ist: Wie kann sie weiterrechnen, ohne das Sinnhunger »Warum« zu verstehen? Erst als Jahre später Algebra an die Reihe kam, konnte Hena der Peter Buck (Hrsg.): Mathematik endlich wieder Sinn geben, ihr wie gelangt ein Engagement (und ihre Leistungen) wurden mensch zu sinn? schlagartig besser. 212 S. mit zahlr. Aus allen Altersstufen ließen sich Beispiele Abb., kart. EUR dafür anführen, dass jedes Verstehen nicht nur 22,–. Verlag Freies ein Verstehen von Konventionen oder (hier: Geistesleben, Stutt- mathematischen) Zusammenhängen, sondern gart 2006 immer auch ein Verstehen von Menschen ist: »Erklär’s mir, was hast Du dabei im Sinn?« Wie viel didaktisches Bemühen scheitert in unseren Schulen tagtäglich allein deswegen, Bücher Neue Ein sinnerfülltes Leben zu führen gehört zu weil der Sinn für den Sinn aus dem Blick ge- den Grundbedürfnissen des Menschen, das rät? aber immer mehr Zeitgenossen unerreich- »Wie gelangt ein Mensch zu Sinn?«, fragen bar scheint, wie der Wiener Neurologe und daher die 14 vielfältigen Beiträge in der von Psychiater Viktor Frankl (1905-1997) bereits Peter Buck herausgegebenen und geradezu vor einem halben Jahrhundert bemerkte: »Wir künstlerisch gestalteten Buch-»Installation«, leben in einem Zeitalter eines um sich greifen- die den Leser lebendig teilhaben lässt an den den Sinnlosigkeitsgefühls.« Frankl, der Au- regelmäßigen Diskussionsrunden des Erzie- schwitz überlebte, bezeichnete dieses Gefühl hungswissenschaftlichen Kolloquiums beim als »existenzielle Frustration« und entwickel- Bund der Freien Waldorfschulen über »Sinn te eine sinnzentrierte Psychotherapie: die Lo- als Frage an die Pädagogik«. Die Beiträge gotherapie, in der versucht wird, das Leben sind in drei zusammenhängenden Kapiteln wieder nach sinnvollen Werten auszurichten. und zwei Postskripten untergebracht. In der Schule begegnet uns in zunehmendem In einer ersten Annäherung klärt Ernst- Maße, und nicht nur biografisch bedingt bei Michael Kranich die Bedeutung des Sinn- pubertierenden Jugendlichen, die Frage nach begriffs und weist auf die Wirkungen eines dem Sinn. Der Sinnfindungsprozess ist hoch- Wesens oder eines Geschehens hin, denn gradig individuell und kann nicht »gelehrt«, »nur in den Wirkungen liegt das Sinnvolle, wohl aber im (jungen) Menschen angeregt das Bedeutungsvolle oder Sinnwidrige.« Im werden. Ein phänomenologisch ausgerichte- Hauptteil des Buches spürt er dem Sinn des ter Unterricht, Kernbestandteil der Waldorf- chemischen Elements Calcium im Gewebe pädagogik, führt bestenfalls »durch die Sinne der Natur nach, dessen nachweisliche Abson- zum Sinn« der Sache, indem er die Bedeutung derungstendenzen auf der stofflichen Ebene der Unterrichtsinhalte im behandelten Zusam- so etwas wie Selbstständigkeit überhaupt menhang aufleben lässt. Aber Sinn hat viele erst ermöglichen. In dieselbe Richtung zielt Facetten. Martin Rozumeks »Sinnsuche in der Stoff- Hena lernt Rechnen: Dass 4 und 4 zusammen- chemie«, auf der er am Beispiel des Stick- gezählt 8 ergibt, ist für sie kein Problem. War- stoffs als typisch vermittelndes Element einen um aber sollte das dieselbe Zahl sein, die aus prozessualen Stoffbegriff entwickelt: »Stoffe 5 und 3 hervorgeht? Das ist doch überhaupt sind nicht Ursachen von Prozessen, sondern nicht einzusehen! Was für einen Sinn macht Momente zwischen Gewordensein und Ver- das? Und wenn die Sinnfrage nicht geklärt wirklichung neuer Möglichkeiten.«

Erziehungskunst 11/2006 1205 Lesenswert ist auch der Beitrag von Chris- Peter Bucks Nachwort macht die Komposi- tian Rittelmeyer über »Aha-Erlebnisse« als tion des Buchs transparent, die den – wie ich Momente der Sinn-Entdeckung, die einen finde – gelungenen Versuch unternimmt, auf engagierten, keinesfalls gleichgültigen Blick Beziehungen und Kontraste zwischen den auf die Phänomene voraussetzen. Erst diese einzelnen Texten hinzuweisen und den Leser, »Leibresonanz«, das Zusammenklingen von auch durch verschiedene Einschübe – Illustra- Sinn und Sinnen, kultiviert den »inneren tionen, Zitate, Gedankensplitter – einzubin- Sinn« (Novalis), der weit mehr ist als »der den, ihn zur Sinnsuche aufzufordern: Seinen Unsinn, den man lässt«. eigenen Sinnbegriff muss er freilich selber Ausgehend von der Shellstudie 2002 stellt finden. Fritz Bohnsack im zweiten Kapitel (»Erfah- Einig sind sich alle Autoren darin, dass die rungsfelder«) den Zusammenhang her zwi- Sinnfrage im Zentrum der Pädagogik steht und schen Sinnbegriff und Seinsvertrauen, beides mehr Aufmerksamkeit verdient. »Sinn sicht- Erziehungsaufgaben. »Ist die Schule als Sinn- bar, verstehbar zu machen ist die Aufgabe ei- vermittlungsinstitut überfordert?« fragt Horst ner modernen, zukunftstüchtigen, sinnvollen Rumpf, der gleich mit vier Beiträgen im Buch Pädagogik« (Harm Paschen). Wenn Schule vertreten ist. Im Hauptteil führt er aus: »Kein nämlich keine primär sinnstiftende Veranstal- Sinn ist je aufgetaucht ohne wartende Auf- tung ist, bleibt dem jungen Menschen letztlich merksamkeit, Leere und Schweigen.« Die nur »existenzielle Frustration«. Möge dieses manchmal leider etwas zu trockene Lesart Buch viele Leser finden und die darin ent- wird durch sein Postskript über »Leichtsinn, haltenen Anregungen auch in den Kollegien Unsinn und kleine Sinnfluchten im Alltag« sinnstiftend wirken! Jürgen Brau beträchtlich aufgeheitert. Hartwig Schiller (»Sinn, Entäußerung, Schmerz«) schildert die Erfahrungen Frankls, der zu sagen pflegte, »… dass es eigentlich Faszination nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr Brücken lediglich darauf: was das Leben von uns er- wartet«, und betont die Bedeutung der We- Joachim von Königs- sensbegegnung für die Sinnerfassung, die der löw: Brücken. Myste- Frankl-Schüler Alfried Längle in der »4W- rien des Übergangs, Methode« zusammenfasst: Wahrnehmen, 264 S., 126 farb. Werten, Wählen, Wirken. Abb., geb. EUR 48,–. Besonders erwähnenswert ist noch der her- Johannes M. Mayer ausragende Beitrag von Wenzel Götte über Verlag, Stuttgart »Sinnerfahrungen an der Geschichte«. In 2005 einem Streifzug durch die Entwicklung des Menschen und der Menschheit umreißt er exemplarisch drei nacheinander sichtbar wer- Wer sie nicht kennt, die Lust auf Brücken, dende, Sinn konstituierende Dimensionen, zu der wird sie mit dem neuen Buch von Joa- denen im 20. Jahrhundert als viertes Motiv chim von Königslöw für sich entdecken. die moralische Selbstbestimmung hinzuge- Nach seinem wegweisenden Buch über »Die kommen ist: Die Beziehung von Mensch zu Flüsse Mitteleuropas« (Stuttgart 1995) hat Mensch und sein Verhältnis zur Natur treten der Autor jetzt einen Band über Brücken in in den Vordergrund. Mitteleuropa vorgelegt. Wieder geht es ihm

1206 Erziehungskunst 11/2006 um das Zusammenspiel von Natur und Kul- des Baumaterials; die Brücke wäre dann noch tur an bestimmten Landschaftspunkten, hier stärker aus ihrer Landschaft heraus verständ- an Flussübergängen. Der vom Verlag opu- lich. lent ausgestattete großformatige Band bietet Historisch erfahren wir aber viel über die über 50 Miniaturen kleiner und großer, alter Bedeutung, die manche Brücken einmal ge- und moderner Brücken mit atmosphärischen habt haben. Das ist besonders der Fall bei der Abbildungen dazu. Der Leser freut sich, Be- herrlichen Werra-Brücke von Creutzburg, der kanntes wiederzufinden und vertieft zu - ver Krämerbrücke in Erfurt, den Brücken von stehen, aber auch auf Neues zu stoßen, das die Heidelberg, Bamberg und Regensburg und Reiselust weckt. vor allem bei der Karlsbrücke in Prag. Auch Zugleich lädt das Buch zum Verweilen und auf die jeweilige geographische Lage der Brü- Nachdenken ein. Dazu wird man vor allem cke wird der Blick gerichtet: meist ersetzte sie durch das Eingangskapitel »Vom Ursprung eine Furt, und der Fluss wurde durch ein Wehr und Sinn des Brücken-Bauens« vorbereitet. aufgestaut, um Mühlen zu betreiben. Das in- Wir werden daran erinnert, dass der Mensch in tensivierte Verkehr und Handel im Mittelalter. Urzeiten den Brückenschlag zwischen Dies- Es ist wohltuend, sich von der behutsamen seits und Jenseits suchte, wovon Märchen und Betrachtungsweise des Autors leiten zu las- Mythen erzählen, was aber auch von Goethe sen und in vergangene Kulturwelten einzu- in seinem »Märchen« von der grünen Schlan- tauchen. ge gestaltet wurde. Doch auch sonst zieht der Einen neuen Impuls erhielt der Brückenbau Autor literarische Darstellungen heran und durch das Aufkommen der Eisenbahn und die macht historische Brückenschläge. Industrialisierung überhaupt. Die ersten Eisen- In drei Schritten führt uns von Königslöw in bahnbrücken waren Ziegelbauten: der Ruhr- Wesen und Entwicklung des Brückenbaus tal-Viadukt bei Herdecke und der Göltzsch- ein: Elementare Formen und Typen des Brü- tal-Viadukt im Vogtland, dieser dem rö- ckenbaus, mittelalterliche Brücken, moderne mischen Pont du Gard nachempfunden. Mit Brücken. der Erfindung des Stahls waren neuartige Brü- Im ersten Abschnitt treffen wir auch auf »pri- ckenkonstruktionen möglich: die 100 Meter mitive« Übergänge, die wir kaum als Brücken über der Wupper schwebende Müngstener bezeichnen würden: Hölzerne Stege, die wie Brücke im Bergischen Land, die zum Kölner ein Stück Natur anmuten, und aus Bruchstei- Hauptbahnhof führende Hohenzollern-Brü- nen errichtete Bogenbrücken, die noch ganz cke oder das »Blaue Wunder« in Dresden, das aus der Natur herauswachsen – harmonische seinen Namen durch die unerwartete Verfär- Überhöhung durch den Menschen. Sie alle bung des Farbanstrichs erhielt. liegen abseits der heutigen Straßen, und es Die Neubauten nach dem Zweiten Weltkrieg bedarf eines kundigen Führers, um sie zu fin- stellen wiederum einen neuen Brückentyp den. dar. Die Spannweite konnte erheblich ver- Die mittelalterlichen Brücken werden unter größert werden, an ein oder zwei Pylonen den Gesichtspunkt »Frommes Werk und Le- aufgehängte Brücken entstehen. Beispiele bensgleichnis« gestellt. Stets betrachtet der am Rhein, die Köhlbrand-Hochbrücke im Autor zuerst die äußere Gestalt einer Brücke, Hamburger Hafen werden vorgestellt, ande- ihre Architektur, das Baumaterial. Bei letzte- rerseits die auf schlanken Pfeilern ruhenden rem wünschte man sich manchmal mehr als Autobahnbrücken. Obgleich sie Fremdkörper nur die Angabe »heller Sandstein«, »dünne in der Landschaft sein könnten, lassen viele Schieferplatten« o.ä., nämlich einen Hinweis durch ihre Schlichtheit wieder das Urmotiv über die geologische und örtliche Herkunft des Brückenschlagens vor uns entstehen. Die

Erziehungskunst 11/2006 1207 Baukultur des Menschen kann die Natur er- von strikten Regelungen und Vorgaben hin zu gänzen und überhöhen – ein Geistiges kann einem selbstbestimmten Arbeiten und Leben. vom Menschen in die Landschaft eingeschrie- Die Waldorfschule mit ihrem Erfahrungsvor- ben werden. Die Rheinbrücke bei Emmerich sprung auf dem Felde der Selbstverwaltung mit ihrer filigranen Linienführung ist für den könnte »zum Vorreiter für den anstehenden Autor ein Beispiel. Paradigmenwechsel in der Gesellschaft wer- Von Königslöws Buch kann eine breite Leser- den«. Er versucht, die inneren Gesetzmäßig- schaft ansprechen, weil es verschiedene Inter- keiten der kollegialen Selbstverwaltung »eini- essengebiete berührt. Einige wenige Irrtümer germaßen umfassend darzustellen«, nicht als hätte das Lektorat ausmerzen können. »Spezialwissen für Sozialtechniker, sondern Christoph Göpfert als notwendige Voraussetzung für jeden, der sich an der Selbstverwaltung beteiligt«. Dietz baut das Buch von einzelnen, eigenen Erlebnissen her auf und knüpft Fragen dar- Dialogische an. Die konkrete Tagesarbeit soll immer vor Augen bleiben. Grundlagen der kollegialen Schulführung Zusammenarbeit und Fragen der spezifischen Fähigkeitsbildung dazu werden behandelt, Karl-Martin Dietz: auch vor dem Hintergrund des zeitbedingten Dialogische Schul- Bewusstseinswandels. Fallbeispiele sind aus führung an Waldorf- der eigenen Arbeit mit Schulen genommen, es schulen – Spiritueller sind markante Fälle, die «als solche nicht ty- Individualismus als pisch, wohl aber symptomatisch« sind. Sozialprinzip. 184 S., Unter dem Gesichtspunkt »Das Ganze entsteht EUR 16.50. Menon im Prozess« stellt Dietz Hintergründe und Ver- Verlag, Heidelberg fahren zu einer »Kunst der Moderation« dar; 2006 anregend, überzeugend. Der Einzelne in der Selbstverwaltung ist Unternehmer. Souverän, Die Selbstverwaltung an Waldorfschulen ist der mit den anderen als Souveränen agiert. immer mehr ins Gespräch gekommen. Es gibt Dazu braucht Zusammenarbeit zur Geistigen viel Literatur zu einzelnen Gesichtspunkten, Produktivität des Einzelnen die Freie Emp- bisher fehlte aber eine geschlossene Darstel- fänglichkeit der anderen. Letztere steht als lung zu diesem Thema. Wir alle wissen oder Grundpfeiler innerhalb der vier dialogischen haben davon gehört, dass die Fragen und Pro- Prozesse, denen der größte Teil des Buches bleme der Selbstverwaltung und der Schulfüh- gewidmet ist. Für den Begriff »dialogisch« rung in den Waldorfschulen schwieriger und nimmt Dietz eine Wurzel aus dem Grie- größer werden; die Struktur- und Konflikt- chischen: »Dialogisch ist eine Art der Zusam- berater haben alle Hände voll zu tun und oft menarbeit, durch die der Logos durchgeht …« – wenn sie die Schule wieder verlassen, bricht und: »… wenn sie von Mensch zu Mensch, danach das Problem und der Konflikt wieder von Ich zu Ich geht und zugleich der Wirklich- auf. Dietz sieht die Selbstverwaltung deshalb keit verpflichtet ist«. nicht am Ende – es werden ja immer wieder An dieser Stelle kommt Dietz zu einer m.W. Rufe nach einem Direktor laut – im Gegenteil, neuen Wortbildung: »Wir leben heute im Zei- er sieht die Selbstverwaltung als eine bedeu- chen eines neuen Individualismus.« Er nennt tende Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. diesen neuen Individualismus einen Spiritu- Die allgemeine Gesellschaftsentwicklung geht ellen Individualismus und führt dieses Thema

1208 Erziehungskunst 11/2006 im Schlusskapitel zu einer begeisternden Ge- serung der Zusammenarbeit möglich wird. genwarts- und Zukunftsvision aus, die ganz im Schlussendlich blickt Dietz auf die Arbeit zu- Zusammenhang mit den dialogischen Prozes- rück: »Die dialogischen Prozesse beschreiben sen steht. so das Betätigungsfeld des freien Menschen »Dialogische Führung … geht von der Tatsa- in der Gesellschaft … Die Pioniersituation, in che aus, dass jeder seine Aufmerksamkeit in der sich die Waldorfschule bei ihrer Begrün- vier verschiedene Richtungen zu lenken hat: 1. dung im Jahr 1919 befand, ist noch längst Die einzelnen Menschen … 2. Das gegebene nicht vorüber. Im Gegenteil: Sie kommt viel­ Ganze … 3. Die Zukunft … 4. Das Handeln. leicht heute erst richtig zum Bewusstsein … Nicht nur die individuelle Leistungsfähigkeit, Die Darstellung…fing recht harmlos an … Sie sondern auch die Sozialfähigkeit muss vom endet in der Andeutung eines historischen Be- Einzelnen ausgehen.« Die vier entsprechenden wusstseinsumschwungs … Es gilt, die Fehler dialogischen Prozesse dazu sind: 1. Individu- als »Pannen« zu verstehen … Krisenhaftigkeit elle Begegnung, 2. Transparenz, 3. Beratung, und Chance gehören im heutigen Zeitalter der 4. Entschluss. »Sie sind Aufmerksamkeits- und »Bewusstseinsseelenentwicklung« unmittel- Gestaltungsbemühungen, jedoch keine Struk- bar zusammen.« turvorgaben und keine Verfahrensmuster … Es In dem Buch sind in gegenwartsbezogener geht darum, dem anderen Menschen als Indivi- Sprache zentrale Anliegen Rudolf Steiners dualität zu begegnen (nicht als Gattungswesen, und Entwicklungen der Gegenwart wahrge- Funktionsträger usw.)« und den Blick auf das nommen, verarbeitet und in den Gesamtzu- Ganze zu richten: »Was ist wirklich der Fall sammenhang gestellt. Man findet ein breites und was bilden wir uns nur ein … Wie kommt Spektrum der Literatur zur Selbstverwaltung Zukunft in die Gegenwart herein?« Welche und viele andere Autoren, die zur aktuellen Be- Voraussetzung brauchen wir für die Hand- wusstseins-, Gesellschafts- und Individualität- lungsentschlüsse? Diese vier Prozesse werden sentwicklung maßgebende Arbeiten geliefert ausführlich und detailliert dargestellt, man haben. findet sie begründet; vieles kann man aus der Dietz hält immer wieder inne und spricht die eigenen Erfahrung mit vollziehen. Mit den dia- leisen Zweifel und Unsicherheiten an, die logischen Prozessen wird die Herrschaft geis- sich bilden in der Aufnahme des komplexen tiger Traditionen und Ideologien aufgehoben. Themas. Etwa so: Ist das überhaupt zu leisten, »… das initiative Handeln steht an der Stelle worum es da geht? Und er weist auf den zen- von direktoralen Anweisungen oder des Voll- tralen Moment hin, der dieser »Menschenkun- zugs vorher ausgedachter Detailplanungen. de der Selbstverwaltung und Individualitäts- – Die kollegiale Selbstverwaltung dreht das Entwicklung« innerlich verwandt innewohnt: übliche Verhalten um 180 Grad.« Der Weg ist das Ziel. Das Ziel ist schon im Für das Kapitel Voneinander lernen: die Part- ersten Versuch anwesend. Die Praxisrelevanz, nerschaft zwischen Eltern und Lehrern hat die m.E. in jedem Kapitel auffällt und mit Dietz schon einige Vorarbeit geleistet in seinem Vorschlägen und Tipps verdeutlicht ist, ver- 2002 erschienenen Beitrag Eltern und Lehrer stärkt er mit Zwischenkapiteln, so genannten an der Waldorfschule (Menon Verlag, Heidel- Zwischenrufen, in denen er die Anliegen wei- berg). Er greift das Thema wieder auf mit den ter verständlich macht bis hin zu einem »Was Fragen, wie Eltern in der Ganzheit der Schule machʼ ich wenn ...«. darinnen stehen. Er stellt einen verblüffenden Als jemand, der seit 24 Jahren in der Selbstver- Zusammenhang fest zwischen den gängigen waltung mitarbeitet, erlebe ich, dass das Buch Klagen und den Anliegen der vier dialogischen die aktuelle Lage der Selbstverwaltung tref- Prozesse, durch die eine grundlegende Verbes- fend beschreibt. Im mehrmaligen Bearbeiten

Erziehungskunst 11/2006 1209 wurde mir immer klarer, welch umfangreicher entwickelte hier keine schwierigen gedank- Horizont darin abgeschritten ist und zur Erfah- lichen Zusammenhänge, sondern zeigte, die rung gebracht wird. Das ist nicht einfach auf- innere Lebenssituation der damaligen Jugend zuarbeiten, insbesondere auch, wenn aus der symptomatisch auf und skizzierte Lösungs- aktuellen Lage der Selbst- und Sozialentwick- vorschläge, die aus der Krise führen. Die 18- lung heraus beschrieben wird. Wir stecken ja bis 25-jährigen Menschen, zu denen er sprach, mitten darinnen. Der »dialogische« Zugriff suchten die Anthroposophie. Er sprach zu des Buches erweist sich jedoch als geeignet, ihnen in einfachen Worten, die sich an ihre Lösungswege aus den Schwierigkeiten zu ent- Herzen wendeten. Was hatte er der Jugend zu wickeln. Es gibt im Buch keine Problembe- sagen? schreibung, der nicht eine Hilfe zum Verstehen Die Jugend erlebte seit Beginn des 20. Jahr- und zur Lösung folgte. Es ist kein Handbuch hunderts die ältere Generation zunehmend im Sinne einer schlichten Handlungsanleitung so, dass ihr von dieser eine Art Tod entgegen – und doch ist es ein Handbuch, das konkret kam; sie fand keine Menschen mehr, sondern aufzeigt: wohin muss ich mich wenden in der nur noch Masken. Die Jugend fühlte in sich inneren Aufmerksamkeit. Jürgen Paul ihr volles, lebendiges Menschsein; sie wollte ihre Ideen verwirklichen – doch sie empfand bei den Älteren nur Konvention, Schwere und Müdigkeit. Aber ist das nicht bei jeder Jugend- Jugendgeneration so? Jugend charakterisiert sich ja gerade dadurch, dass sie sich gegen anthroposophie das Althergebrachte auflehnt und etwas ganz anderes will. Steiner sah die damalige Jugend vor eine besondere Aufgabensituation ge- : Unsere stellt: Mit Ablauf des 19. Jahrhunderts war die Herzen sind anders Menschheit geistesgeschichtlich in das »lich- geworden. Drei Anspra- te Zeitalter« eingetreten, die Menschen haben chen an die Jugend. seither die Fähigkeit, eine neue Spiritualität 94 S., EUR 9,–. Rudolf zuzulassen. Das 20. Jahrhundert dürfe nicht Steiner Verlag, Dornach materialistisch werden, mahnte er. Die Jugend 2006 könne hier entscheidende Impulse setzen. Und er forderte sie auf, eine »neue Seelenwelt un- ter den Menschen zu gründen«, den Egoismus zu überwinden und sich in den anderen »hin- Das Buch enthält drei Ansprachen an die Ju- einzufühlen«, »hineinzufinden«. Und lapidar gend von Rudolf Steiner im Sommer 1924, fügte er hinzu, womit das gelingen kann: »Be- die im Umkreis des »Landwirtschaftlichen geisterung wird alles machen.« So kam er zur Kurses« in Koberwitz/Breslau und seines Anthroposophie, die, weil sie »biegsam« ist, vorletzten pädagogischen Kurses in Arnheim mit den Menschen »mitwachsen« kann und gehalten wurden. Sie erscheinen als Separat- in der es, weil sie kein »wissenschaftliches druck aus der Gesamtausgabe; der Text wur- Buch« ist, gar nicht ums »Verstehen«, son- de redaktionell überarbeitet. Dass er dennoch dern ums »Erleben« geht. z.T. lückenhaft, manchmal sogar aphoristisch Können solche Worte die heutige Jugend – 80 bleibt, tut ihm keinen Abbruch. Das Gesagte Jahre später – noch erreichen? Ist diese nicht ist zwar unfertig, hat aber zugleich eine ge- mit ganz anderen Problemen konfrontiert, wisse Unmittelbarkeit und Frische. Steiner z.B. in einen Beruf hineinzufinden, der sinn-

1210 Erziehungskunst 11/2006 gebend und zugleich gefragt ist? Vielleicht mäßigen Abständen gezwungen sieht, auf aber können Steiners Gedanken sogar dafür Rassismusvorwürfe zu reagieren, wird dieses eine hilfreiche Orientierung geben, indem er Problem in Australien in der Praxis entwaff- ausführte, wie eine menschliche Geistigkeit nend und überzeugend gelöst. heute kaum noch innerhalb, sondern nur noch Auch kann man sich als Europäer bei der Be- außerhalb des modernen Berufslebens gelebt trachtung der Bilder eingestehen, dass wir auf werden kann. Daniel Hartmann unserem Kontinent noch sehr mit nationalen Problemen beschäftigt sind, dass wir zwar Grenzen abbauen, aber gleichzeitig auch im- mer wieder neue errichten (z.B. beim Schul- Kulturelle Vielfalt oder Kindergartenbesuch außerhalb einer Wohnsitzgemeinde). Die »Einheit Europas« Vicki Kearney: ist noch in weiter Ferne, was hier nicht primär Creating Ave- politisch zu verstehen ist. nues for Chan- Ergänzt wird die englische Einleitung durch ge. Englischer eine japanische und eine deutsche Fassung Text, 96 S., vor- (Heide Bierbrauer), was den wahrhaft interna- wiegend farb. tionalen Anspruch und die kulturelle Vielfalt Abb., EUR 19,–. in der Waldorfschule unterstreicht. Pädagogische Hansjörg Hofrichter Forschungsstel- le beim Bund der Freien Waldorfschulen, Stuttgart 2006, www.waldorfbuch.de Organsprache

Die Waldorfschule in Brisbane/Australien Olaf Koob: Wenn hatte sich in einem dreijährigen Projekt vorge- die Organe sprechen nommen, die Rollen von Denken, Fühlen und könnten. Grundlagen Wollen in der Waldorfpädagogik dokumenta- der leiblich-seeli- risch zu belegen. Auf 96 Seiten wird nun das schen Gesundheit. Ergebnis aus 18 australischen Waldorfschulen 208 S., brosch. EUR mit Aufnahmen von 43 Photographen vorge- 16,80. legt. Während mit Text eher sparsam umgegan- Verlag Johannes gen wurde, zeigen beeindruckende Bilder das M. Mayer, Stuttgart ganze Spektrum menschlicher Erscheinungs- 2006 form: Menschen von afrikanischer, asiatischer, australischer und europäischer Herkunft. Olaf Koob ist bekannt vor allem durch seine Menschen, die als Schüler, Eltern und Lehrer »Drogensprechstunde«, aber auch durch ande- zusammenwirken, die mit und in ihrer Schule re Bücher. Dieser schmale Band versucht nun, leben und zum Ausdruck bringen: dies ist un- die Hauptorgane des Menschen in ihrer kos- ser Zuhause. So kann Waldorfschule sein. mischen Ordnung dem Leser nahe zu bringen: Die Pädagogische Forschungsstelle hat dieses Milz (Saturn), Leber (Jupiter), Galle (Mars), Buch-Projekt aufgegriffen, weil in Australien Herz (Sonne), Niere (Venus), Lunge (Merkur) ganz andere Verhältnisse herrschen, in denen und Regenerationstrakt (Silber). Schon hier Waldorfpädagogik zu verwirklichen ist. Und fällt auf, dass statt Silber eigentlich »Mond« während man sich in Deutschland in regel- stehen müsste, doch dieser Missklang setzt sich

Erziehungskunst 11/2006 1211 durch das Inhaltsverzeichnis, die Überschriften birges, S. 110). Das mag ja in den Zentralalpen bis in den Text fort. Diesem Hauptteil ist eine an einigen Stellen so sein, aber ausgerechnet Einführung in die kosmische Sprache der die höchsten Berge der Welt bestehen aus Se- menschlichen Gestalt vorangestellt (Tierkreis- dimentgestein. zeichenmensch). Anschließend werden vier Im letzten großen Kapitel wird der Autor au- Organe mit den Elementen Erde, Wasser, Luft thentisch, schreibt plötzlich in der ersten Per- und Wärme in Beziehung gebracht. Abschnitte son und erzählt aus seiner eigenen Praxis. Sehr über Vergiftung, Absondern und Ernähren fol- aufschlussreich sind zwei Fallschilderungen gen. Ein Vergleichsversuch zwischen Homö- zur Diagnose »Magengeschwür« aus der Sicht opathie, traditioneller chinesischer Medizin der TCM – beide Behandlungen sehen völlig (TCM) und anthroposophischer Medizin bildet anders aus. Hier wäre eine einmalige Gele- den Abschluss. Ein kurzes Literaturverzeich- genheit gewesen, die Therapie aus anthropo- nis gibt Auswahlbücher an, ein Register fehlt. sophischer Sicht zu beschreiben. Dann wäre Warum wichtige Werke anthroposophischer für den Leser der Unterschied augenfällig und Autoren wie (Sieben Metal- aufschlussreich. Wer aufmerksam liest, findet le, Heilpflanzenkunde) oder Walter Holzapfel zwei Seiten zuvor die Offenbarung des Autors, (Im Kraftfeld der Organe) fehlen, bleibt un- als er TCM und Homöopathie lediglich als Er- ergründbar. gänzungs- und Erfahrungswissenschaften im Vertieft man sich in die Kapitel, die Organwir- Vergleich zur allopathischen Medizin einstuft. ken, Planeten und Metalle zusammenschauen, Wolfgang Creyaufmüller fällt auf, dass kein Organ richtig charakteri- siert, sondern gleich die Urteilsebene angesteu- ert wird. Derjenige Leser, der keine profunde Kenntnis der Physiologie hat, weiß hinterher Anwalt der Armen über die Organe selbst eigentlich nichts, nur Karl-Julius Reubke: über Facetten ihrer Wirkungsweise. Genauso Yatra Sutra. ������Indien verhält es sich mit den Metallen. Eine Cha- im Aufbruch. Expe- rakterisierung der Wirkung im Gesamtorganis- rimente mit der Ge- mus fehlt oder man muss sich die verstreuten waltlosigkeit. 274 S., Details zusammensuchen. Warum aber ein be- kart. Mit zahlr. Abb., stimmtes Organ eine Affinität zu genau diesem EUR 19,80. Verlag Metall hat, wird nur durch die Hinweise auf Johannes M. Mayer, TCM oder antikes Wissen erklärt, nicht durch Stuttgart 2006 eine zeitgemäße naturwissenschaftliche Be- trachtung. In diesem ziemlich nebulösen Feld finden sich allerdings immer wieder gute Tipps »Indien im Aufbruch«: Da denken wir viel- und Hinweise, so dass man nicht sagen kann: leicht an rasante Wachstumsraten in der in- Lasst uns diese Teile einfach überblättern. Wer dischen Computerbranche, umsatzstarke aber Systematik erwartet, bleibt im Regen Filmspektakel aus Bollywood oder an atoma- stehen. Anstatt einen Gedanken gründlich zu res und geostrategisches Großmachtsgebaren. vertiefen, wird rasch ein neues Bild parallel Einen ganz anderen Blick wählt Karl-Julius gestellt, und schon ist man beim nächsten The- Reubke in seinem Buch »Indien im Auf- ma. Manchmal kommen dann noch Unsau- bruch«, in dem er den Leser mit der jungen, berkeiten hinzu, wenn über Geologie referiert aber schnell wachsenden indischen Land- und wird (… weg vom Kalkboden der Ebene hin Menschenrechtsbewegung Ekta Parishad be- zu dem Kiesel- und Granitboden des Hochge- kannt macht.

1212 Erziehungskunst 11/2006 Reubke geht so vor, dass er zunächst in einer Ekta Parishad werden überall auf den Dörfern biographischen Skizze Rajagopal, den Initia- offen empfangen und unterstützt, die Land- tor und Leiter von Ekta Parishad vorstellt. rechtsbewegung wächst von Tag zu Tag, Poli- Daran schließt sich ein ausführlicher und per- tiker müssen auf ihre Forderungen eingehen. sönlich gehaltener Bericht über den mehrwö- Rajagopal setzt auf den Idealismus und den chigen Friedensmarsch der Bewegung durch sozialen Enthusiasmus der Jugend aus den Chhatisgarh, einen Bundesstaat in Zentralin- Dörfern. Mit ihnen diskutiert er Strategien dien, an. In mehreren Zwischenkapiteln wer- im Kampf gegen die Armut. Er macht ihnen den die Entstehung, die Ziele und Methoden deutlich, dass nur die richtige Verbindung aus von Ekta Parishad, die politischen Verhält- Mut, Entschlossenheit und konsequenter Ge- nisse von Chhatisgarh sowie die Adivasi, die waltlosigkeit zum Ziel führen kann. Er ermu- Ureinwohner Indiens, näher dargestellt. tigt die Jugendlichen nachdrücklich, Fragen Der zweite Hauptteil des Buches vertieft zu stellen, da nur so die eigene Not deutlich das Verständnis der Arbeit von Rajagopal wird. Sie sollen sich klar werden, welche Hil- und Ekta Parishad und geht der Frage nach, fe sie brauchen und wie sie Probleme selbst wie Armut entsteht und wie sie überwunden lösen können. Großen Wert legt Rajagopal werden kann. Ekta Parishad versteht sich als bei seinen Mitarbeitern, aber auch bei den Anwalt der armen, an den Rand der Gesell- Jugendlichen aus den Dörfern auf das künst- schaft gedrängten Menschen, als »Werkzeug lerische Element, das nicht nur das Denken, für die einfachen Leute«, die auf sich gestellt, sondern auch das Gefühl der Menschen in dem Vormarsch der Moderne – und das heißt besonderer Weise anspricht. So wurden auf in Indien leider immer wieder krasse soziale dem Friedensmarsch kleine Theaterstücke Ungerechtigkeiten, Vertreibungen und Land- und Sketche gezeigt, die immer auf die realen raub – zumeist hilflos ausgeliefert sind. Durch Bedingungen am Ort bezogen waren. gewaltfreien Widerstand in der Tradition Die Stärken des Autors zeigen sich in sei- Gandhis setzt sich Ekta Parishad für die ele- nem Buch besonders an den vielen Stellen, mentaren Rechte der Menschen auf Wasser, wo er von der Begegnung mit den Menschen Wald und Land ein. Ebenso wie Gandhi geht in Indien berichtet, von ihrem Leben, ihren es auch Rajagopal nicht um eine ausgeklügel- Traditionen und ganz besonders ihrer Gast- te Theorie, sondern um konkrete Hilfe gerade freundschaft. Man spürt, wie Reubke von dort, wo die Not am größten ist. Die Probleme den Menschen angerührt wird, ihnen offen werden vor Ort angepackt, Lösungen gemein- und unvoreingenommen begegnet, sie zu sam mit den Betroffenen erarbeitet. Die Ge- verstehen versucht, hinschaut, differenziert danken und Handlungen werden fortwährend beschreibt und schließlich zu grundsätzlichen durch die Erfahrung an der Wirklichkeit kor- Fragen vorstößt: »Was braucht man, um als rigiert und entwickelt. Mensch zu leben, sich als Mensch zu fühlen?« Rajagopal ist eine Persönlichkeit mit großer Er sieht den Hunger, die Armut, und erlebt Ausstrahlung. Sein konsequent gewaltfreies doch gleichzeitig die große Gastfreundschaft Engagement für die Armen hat ihm eine wei- – überall, wo er hinkommt, bis in die ärm- te Anerkennung bis hin zum Ministerpräsi- lichste Hütte. Reubke beschreibt immer sach- denten verschafft. Er setzt sich aber ganz be- lich, wird nie sentimental. Aber man spürt auf wusst vom Guru-Prinzip ab. Wichtig ist ihm, jeder Seite, dass es ihm ein echtes Herzen- die Menschen auf dem Land zu begeistern, sanliegen ist, Menschen in Indien zu helfen zu motivieren und in ihnen die Kraft zur ei- und vor allem auf die fruchtbare Arbeit von genen Aktivität zu wecken. Die Erfolge ge- Ekta Parishad aufmerksam zu machen. – Und ben der Bewegung Recht. Die Vertreter von in der Tat, Rajagopal, Ekta Parishad und ihr

Erziehungskunst 11/2006 1213 gewaltfreier und erfolgreicher Widerstand de als sie herabgeklettert sind, um die Sirrush gegen ungerechte und unmenschliche Zustän- zu füttern, werden sie von den Wachen ent- de, die nicht nur in Indien anzutreffen sind, deckt, aber ein Tier leckt über Tiamats Hand. stellen ein ermutigendes Beispiel für unsere Damit beginnt eine unaufhaltsame, subtile Schüler in der Oberstufe dar und zeigen, was Veränderung. Diese Hand wird ihre Glücks- man auch unter den widrigsten Verhältnissen hand im 20-Felder-Spiel, was ihr die Aufnah- erreichen kann, wenn man an den eigenen me ins Egibi-Team sichert. Erst viel später Idealismus und die Kraft der Veränderung erfährt sie, dass sie damit auch die magischen glaubt. Ich meine, dass man Rajagopal durch- Tore auf dem Gipfel der Zikkurat öffnen kann, aus in eine Reihe mit anderen vorbildlichen durch die die alten Könige zwischen den Städ- Persönlichkeiten der Gegenwart stellen kann ten und Welten reisen konnten. Im bereits von wie Wangari Maathai, und Persern belagerten Babylon hält man dies . aber für unwirkliche Geschichten der Vorzeit. Rajagopal schreibt in seinem Geleitwort zu Ensi jedoch, der Stellvertreter des Königs, Reubkes Buch: »Wir hoffen, dass viele, die hat seine eigene Version dieser Legende und dieses Buch lesen, uns und unsere Arbeit in In- sucht sie für seine Machtspiele auszunutzen. dien aufsuchen und unsere Bewegung als eine Damit geraten Tiamat und Simeon ins Räder- Basis sehen, von der aus sich gewaltfreie Akti- werk der Politik. Dies bemerken sie aber erst onen über die ganze Erde ausbreiten können.« so recht, als sie die Drachen befreien und im Thomas Voß Lager des Perserkönigs Kyros landen. Die Geschichte hat einen Erzählstrang aus der Perspektive der Protagonistin, allerdings Die Drachen von auch eine Reihe von Seitenzweigen, die dann aus der Sicht der Hauptperson abschnittweise erfasst werden. Die Zeit der Handlung sind Babylon die Wochen vor dem Fall Babylons, und das Menetekel erfährt eine neue, allerdings durch- Katherine Roberts: aus weltliche Interpretation. Das überrascht Die Drachen von ein wenig, sind doch mit den Teleportpunk- Babylon. 336 S., ten auf der Zikkurat-Spitze und den Sirrush kart. EUR 7,50. genügend phantastische Elemente eingebaut. Reihe Hanser, dtv, Einige kleine Wermutstropfen müssen aller- München 2006 dings doch angemerkt werden. Die englische Autorin bleibt mit einigen Begriffen zu sehr im eigenen Kulturraum hängen. Wenn die Ba- bylonier Met trinken (S. 254), so ist dies ein Missgriff, denn der Honigwein unter diesem Die grünäugige Tiamat, auch Perserauge Namen ist ein typisch nordisches Gebräu, das geschimpft, findet im Garten der Prinzessin auch die Römer erst mit der Eroberung Ger- ein uraltes Rollsiegel, das ein Drachenwesen maniens kennen lernten, während sie doch zeigt – einen Sirrush. Ihrem Freund, dem Ju- den Orient viel früher vereinnahmten. Eben- däerknaben Simeon zeigt sie aber nicht nur so der durch die Gassen Babylons streunende dieses Geheimnis, sondern auch die echten, Bulldog (S. 34), eine von den englischen Bä- lebendigen Drachen, die nächtens zwischen renbeißern abstammende Hunderasse, hat im den Stadtmauern umherlaufen und auch auf antiken Orient nichts zu suchen. Hier hätte dem blauen Ishtar-Tor abgebildet sind. Gera- doch spätestens der Übersetzer oder Lektor

1214 Erziehungskunst 11/2006 einhaken müssen. Ansonsten ist das orienta- Flensburger Hefte: Kulturdialog oder Kultur- kampf? Islamische und westliche Werte im lische Panorama stimmig, das 20-Felder-Spiel Gespräch. Flensburger Hefte 92, II/2006 ist getreu dem von Wollney in Ur ausgegra- benen Spielbrett beschrieben (das Original Britta Bannenberg / Dieter Rössner: Er- befindet sich im British Museum in London, folgreich gegen Gewalt in Kindergärten und es wird heute z.B. »Seneti« genannt; siehe Schulen. Verlag C.H. Beck auch: http://www.derbackgammonfreund.de/ Götz W. Werner: Ein Grund für die Zukunft: history/sumer_urspiel.php). das Grundeinkommen. Interviews und Reak- Insgesamt ist das Hintergrundpanorama sehr tionen. Verlag Freies Geistesleben gut recherchiert; auch die Sozialkonflikte an- Sigrid Ebert: Erzieherin – ein Beruf im Span- tiker Sklavenhaltergesellschaften werden the- nungsfeld von Gesellschaft und Politik. Ver- matisiert. Wolfgang Creyaufmüller lag Herder »Lesen macht Schule«. Bücher von heute für Schüler von heute. Jugendliteratur für die Un- Neue Bücher – Zur Rezension terrichtspraxis. dtv Julian Sleigh: Lebenskrisen. Zwölf Schritte Kai Ehlers: Grundeinkommen für Alle. zu ihrer Bewältigung. Verlag Freies Geistes- Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft. leben Pforte Verlag Lisette Thooft: Zehn Gebote der inneren Ruhe. Verlag Urachhaus Erika Beltle: Der erste Bruder wird gebun- den. 101 einfallsreiche Rätsel. Verlag Freies Michaela Glöckler: Eltern-Sprechstunde. Geistesleben Erziehung aus Verantwortung. Verlag Urach- haus Dick Laan: Pünkelchens Abenteuer. Verlag Urachhaus Lüder Jachens: Hautkrankheiten ganzheitlich heilen. Der Ratgeber aus anthroposophischer Stan van Elderen: Im Bann des Verräters. Ver- Sicht. aethera im Verlag Freies Geistesleben lag Urachhaus & Urachhaus Emily Rodda: Elfenzauber. Das goldene Arm- Wolfgang Gädeke: Ehe. Sehnsucht – Idee band. Verlag Urachhaus – Wirklichkeit. Verlag Urachhaus Flensburger Hefte: Von Ewigkeit und Le- Walter Kraul: Spielen mit Feuer und Erde. bensdunkel. Naturgeister 7. Flensburger Hefte Werkbücher für Kinder, Eltern und Erzieher. III/2006 Verlag Freies Geistesleben Donella Meadows / Jørgen Randers / Dennis Meadows: Grenzen des Wachstums. Das 30- Bei Intereresse an einer Rezension Jahre-Update. Hirzel-Verlag wenden Sie sich bitte an: Lorenzo Ravagli. Julia Rogge: Der Familienführerschein. dtv [email protected] Verlag

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