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BAD 73 ALCHEMY gebt mir nur ein bisschen brot egal gebt mir nur statt wein das wasser egal gebt mir nur vergilbte luft egal gebt mir nur statt licht die lüge egal gebt mir nur von allem mehr egal gebt mir nur statt wert den glit ter egal gebt und nehmt und nehmt und nehmt egal Apropos Lesen. Als Lektüren zu BA 73 liefen im Hintergrund mit Tibor Déry - Der unvollendete Satz Helmut Krausser - Fette Welt Jonathan Meese - Diktatur der Kunst Walter E. Richartz - Reiters Westliche Wissenschaft Schuiten / Peeters - Das Stadtecho Jeff VanderMeer - Die Stadt der Heiligen und Verrückten In 'Klassentreffen' (2004) von Jonathan Coe fand ich folgende nicht alltägliche Passage, die 2003 in der Lobby des Hotel Adlon spielt: "Mir ist eingefallen", sagte er... "dass ich mir mal eine Platte von Henry Cow gekauft habe... Und darauf gab es ein Stück mit dem Titel Upon Entering Hotel Adlon. Es beginnt mit einem Trommelwirbel und einer Art Urschrei, und dann bearbeiten die Musiker fünf Minuten lang wie die Verrückten ihre Instrumente. Das war die Art von Musik, die wir damals gehört haben." Damals, das ist die Zeit 20 Jahre zuvor, die Coe bereits in 'The Rotters Club' (2001, dt. 'Erste Riten') geschildert hat. Letztlich benannt nach einem Album von Hatfield and the North, war der Arbeitstitel 'Half Asleep, Half Awake' gewesen, ein weiteres Stück von Henry Cows 'Unrest'. 'Unrest' wiederum ist der Titel eines Work in progress, an dem einer der Protagonisten von 'Klassentreffen' schreibt. Von Coe hat Henry Cow die schöne Beschreibung "The Yardbirds getting into bed with Ligeti, then driving through the ruins of a divided Berlin" verpasst bekommen. Wo ist der deutsche Schriftsteller - und man muss dazu sagen: Coe ist Mainstream - , der derart an Can oder Faust hängen würde? 2 FREAKSHOW: COWBOYS FROM HEL(L)VETIA Für die Freaksaisoneröff- nung am 29.2.2012 legen COWBOYS FROM HELL auf dem Weg nach Europa einen Zwischenstop im IMMERHIN ein, gleich ums Eck vom Würzburger Hbf (oder HB, wie die Helvetier sagen). Unsere Drei entpuppen sich prompt als wahre Hell-Boys, ohne den Akzent dabei zu sehr auf Boys zu setzen. Da gilt es nämlich Einiges wie- dergutzumachen, was ihre Landsleute von Anton and the Headcleaners zuletzt zuviel an Testosteron ver- spritzt hatten. Als Akzentverschieber fungiert der Anführer selbst, der Saxophonist Chris- toph Irniger. Der hatte sich mir mit seinen Pilgrims als derart feingeistig gezeigt, dass er meinte mich warnen zu müssen vor seiner 'anderen' Seite. Mit den Cowboys spielt er näm- lich 'höllischen' Jazzrock für hochseetüchtige Seemänner auf der Jagd nach dem großen Fisch. Er, Irniger, ist dabei der Jazzer neben Marco Blochlinger, der den Groove an fünf (!) Bässen mit Popsensibilität unter einen Hut bringt, und Chrigel Bosshard, der als metal- dynamischem Rocker - und Pinupschwarm in so manchem Matrosenspind - an seinen Tama Drums und Paiste Cymbals schmettert, bollert und zischt. Pantera ist nicht nur als Taufpate gegenwärtig, ihr 'Walk' wird gecovert neben 'Wicked Game', Chris Isaaks Balla- de für wilde Herzen. Alles Andere was das erstaunlich gut besuchte IMMERHIN von einer Wallung in die nächste versetzt, von 'Hymn for the Sailor' bis zur erst rasenden, dann zähflüssigen 'Horror Show' mit einem 'gitarristisch' quallenden Nichtmehrsaxophon im ersten Set, nach der Pause dann 'Mary Jane', 'Chrampf' etc. und 'www' als Zugabe, stammt von Irniger. Er hat die Lektionen von Miles und Kondo intus, für hochdynamische und geschmeidige Panthersprünge aus Rockriffs und schneidigen Saxophonkaskaden, wobei kein Ton nicht elektrifiziert und effektmoduliert daher kommt. Irniger jagt seine Sounds durch Gitarrenpiezo, Looper etc. und evoziert damit eine überjazzige HiTech- Ästhetik, die die bärtige Erdigkeit ihres Augenscheins in Cyberwelten teleportiert. Ein Vokalsample von Ronald Reagan löst in mir den Kippeffekt aus, dass mit Cowboys from Hell doch wohl Seinesgleichen gemeint sind, die geistig gestiefelten Direktoren von Horrorshows, während unsere Musikanten, die sich auf dem Cover ihrer aktuellen CD als Agenten der Matrix präsentieren, jeweils die Gegenwelten dazu mit Rückenwind versor- gen wollen. Dabei geht es nicht um Gegenkraft und Geschwindigkeit allein, die Seemanns- hymne z. B., die mit simpler, aber pikanter Rhythmik ins Offene aufbricht, besticht durch den freien Atem des Mittelteils. 'Walk' geht dagegen in seiner rockigen Sturheit mit Pseu- dobariton, aber total agilen Bassfingern, den von Bosshard frei geräumten geraden Weg. Bei aller groovigen Dynamik gibt es Gerades aber nur auch, Irniger bevorzugt vertrackte und gestaltwandlerische Konstruktionen, oder Irritationen wie die stagnierende Motiv- wiederholung bei 'Big Fish'. 'Mary Jane' echolotet seinen Kurs durch einen psychedelisch morphenden 'weichen' Raum. 'www' ist zuletzt die launig kapriolende Kulmination ohr- wurmiger Funk-Déjà-vus, die darin gipfelt, dass Irniger hufeschwingend sein Horn, das er mit einem mehrtaktigen Loop gefüttert har, alleine 'blasen' lässt. Danach erzwingt natür- lich die enthusiasmierte Freak-Herde eine zweite Zugabe und bekommt eine gefühlvolle Ballade made in Hel(l)vetia. Irniger, ein Mann mit zwei Seiten und beide so stark wie der Schweizer Franken! Foto: Julian Wich 3 : DIGITAL PRIMITIVES Wir lassen uns am 9. April 2012 nach Weikersheim zur zweiten Hälfte des INTENSIV 3 Festivals locken, weil schon der Name des Programmpunktes einen kontrastreichen Ostermontagabend verspricht. Dass uns eine Zeitreise durch 6016 Jahre Jazzgeschichte erwartet – wer hätte das geahnt? COOPER-MOORE, ein äußerst vitaler Mittsechziger, spielt nämlich beim Zwischenstop auf dem Weg von Bilbao nach Paris nicht nur die Selbst- bauinstrumente, für die er bekannt ist, den Didley-Bow, ein uriges Banjo und einen Mund- bogen, wie er schon auf Höhlenmalerei des Magdalénien zu sehen ist, er spielt auch einen Geschichtslehrer, der seine Lektionen mit jeder Faser seines musikalischen Wesens ver- körpert. Den Einstieg macht ein Fife & Drum-Duo mit CHAD TAYLOR, den wir so elegant und konzentriert schon vom Chicago Underground Duo her schätzen. Die schrille kleine Trommelflöte blies in der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges den Miet- und Zwangssöldnern aus Hessen und Ansbach den Marsch in den jungen Tod. Als Pfeifer und Tambour rekru- tierte Sklaven verwandelten den Sound nach dem Krieg in Partymusik - eine der Urformen des Dschäss. Danach führen Taylor und ASSIF TSAHAR, ein Tenorsaxophonist mit Wurzeln in Tel Aviv, vor, wie dieser Jazz heute klingt - wild und zugleich melodiös, mit schönheitstrunkenem Kopf das Freiheitsfeuer in der Faust. Lektion 2 ist ein zweites Duett für Schwegelpfeife und Trommel, aber Taylor darf jetzt nur Besen benutzen für zarte Streicheleinheiten zu einer Flötenmelodie, die sich als alter Billie Holiday-Song entpuppt. Vereint zum Trio tanzt Cooper-Moore dann mit allen Vätern und Müttern des Jazz. Taylor trommelt über die Felle wie ein Gepard, der sein Revier absprintet, und wechselt im Handumdrehen Tempo und Takt, von temperamentvollem Rhythm & Blues zu metrisch gevierteltem Rock zu Samba-Groove. Kernstück ist 'Over the Rainbow'. Tsahar dreht es gnadenlos durch den Variationswolf, reimt ‚lullaby‘ auf ‚high‘ und ‚why can’t I‘ so grüüün, wie vor Judy Garland in Oz nur Eva in Eden es hätte plärren können. Dort nämlich steuert Cooper-Moore in seiner Geschichtsstunde hin, wenn er nach den wundersamsten Melodien und Rhythmen auf seinem sonoren Monochord und den furiosen Mojo-Sounds auf dem elektrifizierten Banjo sich einfach selbst zum Instrument macht. Singend, schreiend im exaltierten Duett mit dem rauen Tenorsax wird er zum 'Urmenschen', zu Adam ben Lucy, der seine Lebendigkeit herausschreit. Damit nicht genug, erteilt er jetzt auch noch ganz andere Lektionen: Bankster müssen erschossen, Blutsauger am nächsten Baum aufgehängt werden, damit die Sklaverei nicht wiederkehrt. Und sei’s geklagt: Jazz has no Mother anymore. Jazz ist nur noch ein Wort, das auf seinen 4 Buchstaben hockt und den neuen Mastern gefällig sein will. Die Jazz-Unis haben Jazz dazu gebracht, seine ‚primitiven‘ Eltern zu vergessen. Dabei muss man sich freilich die Mama so sexy vorstellen wie das ‚Baby‘, von dem Cooper-Moore bei seinem Mouthbowblues schwärmt. Bringt mir den berühmtesten dieser Pseudojazzer, ruft er, und wir fegen ihn von der Bühne. Ohne sich lange bitten zu lassen, bekommt man diese Zugaben einfach so. Und obendrein ein allerletztes Statement a capella: We are so happy, we are so happy, we are so happy to be ALIVE! Das A und O aller ‚Human Music‘. Es lernt sich kinderleicht in der Zwergschule Weikersheim. Foto: Bernd Scholkemper 4 NOW JAZZ, PLINK & PLONK & records (Montréal) Ins Reich der Rippenquallen entführt Ctenophora (&16), Musik, die GUIDO DEL FABBRO für das Tanztheater-Diptychon Petites Pièces de Poche: GRANDEUR NATURE entworfen hat. Wenn es um Tanz geht, dann können wenige Lebewesen mit den Glas-Lappenquallen, den Meerwalnüssen oder gar den Venusgürteln mithalten. Mit Geige und mit Blockflöte, gebrochen, gefiltert und verschluckt von Électroniques und Synthétiseurs wie Licht durch Wasser, erschafft Del Fabbro ein elektroakustisches Unterwasserballett, das das allgemeine Fressen- und Gefressenwerden ästhetisiert mit Walgesängen und ambienter Transparenz. Die ultramarine Lightshow und Eleganz der - von 'Cestum veneris' abgesehen - qualligen Winzlinge entzieht sich meist dem bloßen Auge. Aber imaginär werden sie hier zu Hauptdarstellern von Steptänzchen, Nesselknutscherei und glissan- dierenden Wellen bis hin zu einem prächtig beorgelten Finale. Die Phantasie