Instrumentale Und Vokale Kompositionsweisen Bei Johann Sebastian Bach
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MÜNCHNER VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR MUSIKGESCHICHTE Begründet 1959 von Thrasybulos G. Georgiades Herausgegeben seit 1977 von Theodor Göllner Band 39 Marianne Danckwardt Instrumentale und vokale Kompositionsweisen bei Johann Sebastian Bach VERLEGT BEI HANS SCHNEIDER • TUTZING MARIANNE DANCKWARDT INSTRUMENTALE UND VOKALE KOMPOSITIONSWEISEN BEI JOHANN SEBASTIAN BACH VERLEGT BEI HANS SCHNEIDER • TUTZING 1985 Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ISBN 3 7952 0439 9 © 1985 by Hans Schneider, D 8132 Tutzing Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder Teüe daraus in einem photo- mechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren zu vervielfältigen und zu verbreiten. Gesamtherstellung: Druck+Verlag Ernst Vögel GmbH, 8000 München 82 und 8491 Stamsried INHALT Einleitung: Mögliche Ansatzpunkte zur Beschreibung der Musik Bachs....................................................................................................... 7 A Zur Struktur von Bachs Instrumentalmusik............................... 15 I Beziehungen zwischen Phrase, Besetzung und Form 1. in Ko n z e r t k o p f s ä t z e n ......................................................... 15 2. in Konzertschlußsätzen............................................. 31 3. in Konzertmittelsätzen...................................................... 39 II Eigenarten der Phrasenbildung 1. in Tanzsätzen...................................................................... 44 2. in Sonaten ........................................................................... 50 3. in Eröffnungsstücken....................................... 56 4. in Fugen......................................................... 64 III Der cantus firmus als Akzidens oder abstrakte Konstruk- tionsbasis in den Cantus-firmus-Bearbeitungen für Orgel 67 IV Überblick: Die geringe Bedeutung der Phrasierung für die Instrumentalmusik................................................................... 76 B Zur Struktur von Bachs Vokalmusik........................................... 81 I Der Zusammenhang zwischen Text und Phrasenbildung 1. in Rezitativen...................................................................... 81 2. in Arien und Duetten......................................................... 94 3. in Chören............................................................................. 110 II Der vokale cantus firmus als satztechnisches Zentrum 1. in akkordlich gesetzten Chorälen..................................... 115 2. in chorischen Cantus-firmus-Sätzen................................. 121 3. in solistischen Cantus-firmus-Sätzen............................... 136 III Überblick: Die wichtige Funktion des Textes bei der Phrasenbildung in Vokalmusik.............................................. 149 C Satztechnische Besonderheiten in Bearbeitungen...................... 153 1. vokaler Vorlagen als Instrumentalstücke......................... 153 2. instrumentaler Vorlagen als Vokalstücke ....................... 158 5 Zusammenfassung: Zum Verhältnis von Instrumental- und Vokal- satz ........................................................................................................... 169 Abkürzungs- und Literaturverzeichnis.............................................. 175 1. Abkürzungen....................................................................... 175 2. Gesamtausgaben.................................................................. 175 3. Literatur............................................................................... 176 Register.................................................................................................. 179 6 EINLEITUNG: MÖGLICHE ANSATZPUNKTE ZUR BESCHREIBUNG DER MUSIK BACHS Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Instrumental- und Vokal- musik bei Bach nimmt — nicht zuletzt wegen der biographisch be- dingten Trennung in Schaffensperioden mit instrumentalem bzw. vokalem Schwerpunkt — in der Bachliteratur wenigstens implizite großen, kaum überschaubaren Raum ein. Deshalb ist es sinnvoll, eine Untersuchung zu dieser Frage entweder auf eine zusammenfassende Darstellung aller bisher berücksichtigten Ansatzpunkte oder — wie in der vorliegenden Arbeit — auf das Ausarbeiten eines neuen, für sich natürlich einseitig bleibenden Gesichtspunktes zu konzentrieren. Von der Instrumentalmusik Bachs werden in der Literatur die for- male und die motivische Seite der Kompositionen als am wichtigsten erachtet1; andere Aspekte wie Themenbildung1 2, H a r m o n i k 3, R h y t h - mik4 oder Artikulation5 sind eher speziellen Einzeluntersuchungen Vorbehalten. Für die Beschreibung der Vokalmusik ergibt sich aufgrund der Kombination zweier Schichten mit unterschiedlichem Verhalten — Sprache und Musik — eine ganze Reihe weiterer Gesichtspunkte. Um das Verhältnis von Sprache zu Musik zu erfassen, ist es zweckmäßig, zunächst die Sprache zu untersuchen. Dabei kann man an fünf — oft nicht klar trennbaren — Ebenen der Sprache ansetzen: 1. beim formalen Aufbau des Textes: Abschnittbildung oder Stro- phenbau, Metrum bzw. Versbau, Reimanlage. Die Großgliederung der Sprache kann auf die formale Gliederung der Musik übergehen, die Verseinteilung und Reimanlage auf Phrasenebene in die Musik 1 Siehe z. B. Schering und Klein mit einer Beschränkung auf formale Kriterien, Ste- phan, Dahlhaus und etwa in jüngster Zeit Michael Kopfermann (Uber den Zählsinn. Analytische Erörterungen zum Begriff der Architektonik der Form, am Beispiel des Krebskanons aus Johann Sebastian Bachs Musikalischem Opfer, in: Musik-Konzepte 17/18, S. 20—82) mit einer Verknüpfung der beiden Ebenen. 2 Siehe z. B. Besseler, Kunze. 3 Siehe z. B. Keller, Harmonik. 4 Siehe z. B. Steglich. 5 Siehe z. B. Keller, Phrasierung. 7 übernommen werden. Am schwerwiegendsten ist die Entscheidung des Komponisten, ob und in welcher Weise er das sprachliche Metrum in Musik überträgt (s. auch Punkt 5). Das Nachvollziehen der sprachlichen durch musikalische Betonungen hat in taktgebun- dener Musik zwangsläufig Auswirkungen auf den gesamten musi- kalischen Satz. 2. beim grammatikalisch-syntaktischen Bau des Textes. Grammatika- lische Beziehungen und Parallelitäten können sich in musikali- schen Beziehungen und Parallelitäten spiegeln; syntaktische Zu- sammenhänge können auf der Ebene der Phrasierung berücksich- tigt werden. 3. beim semantischen Gehalt des Textes. Dieser ist nicht unmittelbar in Musik zu übertragen, sondern allenfalls ausschnittweise mit Hilfe von Symbolen andeutbar (figürliche Symbolik etwa des „pas- sus duriusculus“ , figürliches Nachzeichnen von räumlichen, zeitli- chen oder bewegungsmäßigen Begriffen, Zahlensymbolik). 4. beim emotionalen Gehalt des Textes. Der Affekt oder die Stim- mung eines einzelnen Wortes oder eines größeren Textzusammen- hanges kann musikalisch entweder punktuell oder auf größerem Raum durch Tonmalerei, Symbole, Figuren, aber auch durch Ton- art, Tempo usw. realisiert werden. 5. beim gesprochenen Vortrag des Textes. Einige der Rhetorik ent- lehnte Figuren wie Interrogatio, Abruptio, Climax, Exclamatio, Epizeuxis usw. versuchen, durch eine Nachahmung rednerisch wirksamer Mittel den Textinhalt zu unterstreichen. Das Sprechen ist aber auch unmittelbar in Musik übertragbar: Ein Text kann in melodischer und rhythmischer Hinsicht so deklamiert werden, als werde er vorgelesen, als werde er nachdrücklich, sinnbetonend ge- sprochen oder als werde er unter Beteiligung der Affekte der spre- chenden Person vorgetragen. Einige der genannten in Musik übertragbaren Spracheigenschaften lassen sich nur unmittelbar auf die Vokalstimme(n), andere — vor allem der emotionale Gehalt — aber auch auf den hinzutretenden Instrumentalsatz projizieren. Da die Musik nicht in der Lage ist, alle obengenannten Eigenschaften der Sprache gleichzeitig zu berücksich- tigen — auf musikalischer Ebene gerät eine mit Wiederholungen 8 arbeitende Textform mit einem gegensatzreichen, zu einem Höhe- punkt führenden Textfortgang in Konflikt, ein regelmäßiges Textme- trum mit nachdrücklichem Sprechen, syntaktisch-grammatikalische Entsprechungen mit Affektsteigerungen usw. — kann jedes Werk und jeder Komponist jeweils nur bestimmte Seiten der Sprache aus- wählen, um sie musikalisch zu realisieren6. Die Forschung beschreibt als typisch für Bach die an die Textform angelehnte formale Gliede- rung der Musik7, die Figurenlehre und Ton- und Zahlensymbolik8, das Umsetzen der Textstimmung in Musik durch Tonmalerei9 und schließlich die Rhetorik101, betrachtet also vor allem jene Komponen- ten der Sprache, die größere Textabschnitte oder einzelne Wörter be- treffen und die sich musikalisch entweder auf große Zusammenhänge, also die formale Ebene, oder auf kleinste Einheiten, also die motivi- sche Ebene, auswirken. Die meisten Bachforscher kommen zu dem Ergebnis, daß Bach Instru- mental- und Vokalmusik ähnlich behandelt11, daß aber der Instrumen- talmusik — was auch damit begründet wird, daß Bach zunächst als Organist und Hofkapellmeister und erst dann als Kantor tätig war — 6 Die Qualität textgebundener Musik läßt sich also keinesfalls daran messen, ob alle Eigenschaften eines Textes in Musik übertragen wurden. Für Jack M. Stein, Poem and Music in the German Lied from Gluck to Hugo Wolf, Cambridge/Mass. 1971 ist dies jedoch das einzige Kriterium bei der Beurteilung der Musik — wobei Stein unbewußt das größte Gewicht auf Textinhalt und -Stimmung legt. Zwangsläufig kommt Stein zu dem Ergebnis, daß viele