stelle des Bundes

Die rechtliche Situation von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland und Europa

Dokumentation der Fachtagung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

7. Oktober 2015, Tagungswerk Jerusalemkirche, Berlin

Inhalt:

I. Vorwort Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes S. 3

II. Keynote Silvan Agius, internationaler Experte für die Rechte von LGBTIQ „Mögliche Lehren für Deutschland: Die rechtliche Situation von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen in Europa und darüber hinaus“ S. 5

III. Podiumsdiskussion „Diskriminierung von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht“ S. 13

IV. Panels S. 17 Panel 1: „Diskriminierungsfreier Umgang mit Geschlechtervielfalt in Unternehmen und Verwaltungen“ S. 17 Panel 2: „Geschlechtervielfalt in der Bildung – Bewusstseinserweiterung durch Berücksichtigung von Trans* und Intergeschlechtlichkeit in Materialien und Unterricht“ S. 22 Panel 3: „Sensibilisierung von Mediziner_innen für Intergeschlechtlichkeit“ S. 26 Panel 4: „Sensibilisierung von Mediziner_innen für Trans* S. 30

V. Anhang S. 34 Christine Lüders, Eröffnungsrede S. 35

Silvan Agius, Keynote: “Possible Lessons for Germany: The rights of trans and people in Europe and beyond” S. 38 Lann Hornscheidt, Willkommen zur Fachtagung S. 48 Konstanze Plett, Eingangsstatement S. 51

Richard Köhler, Die Situation transgeschlechtlichen Menschen im Zugang zur Arbeit und im Arbeitsverhältnis S. 53

Wiebke Fuchs, Mit welchen Benachteiligungen sind transgeschlechtliche Menschen im Arbeitsleben konfrontiert? S. 69 Dr. Claudia Schmidt, SAP-Richtlinie zur Geschlechtsangleichung S. 72 Dr. Dan Christian Ghattas, Geschlechtervielfalt in Unterrichtsmaterialien S. 86 Dr. Dan Christian Ghattas, Trans* und Inter* in der Schule S. 91 Manuela Tillmanns, „Diverse Sex Development“ S. 98 Claudia Kittel, „UN-Kinderrechtskonvention” S. 107 Dr. Katinka Schweizer, „Gedanken zur Vorbereitung auf die Fachtagung“ S. 109 Ev Blaine Matthigack, Wie sieht die Situation in 5 Jahren idealerweise aus, wenn alle Mediziner_innen sensibilisiert sind? S. 111

Maria-Sabine Augstein, Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen S. 113 Katie Wiedner, Positionspapier von Trans Kinder Netz e.V. S. 115 2

I. Vorwort

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Liebe Teilnehmende, liebe Interessierte,

trans*- und intergeschlechtliche Menschen erleben in Deutschland massive Diskriminierungen. Nach der jüngsten Studie der EU- Grundrechteagentur FRA sieht sich eine von drei Trans*-Personen beim Zugang zur Arbeit oder im Arbeitsverhältnis benachteiligt. Für intersexuelle Menschen gibt es keine vergleichbaren Studien. Erfahrungsberichte zeigen aber, dass der Diskriminierungsschutz hier in der Praxis oft nicht greift. Trans*- und intergeschlechtliche Menschen machen häufig die Erfahrung, dass ihre Situation gesellschaftlich nicht wahrgenommen und ignoriert wird. Und: Allzu oft werden ihre Anliegen in der Öffentlichkeit bagatellisiert und lächerlich gemacht. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes war es deshalb ein Anliegen, im Rahmen des Themenjahres „Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.“ ein besonderes Augenmerk auf Diskriminierungserfahrungen trans*- und intergeschlechtlicher Menschen zu richten. Weil es kaum wissenschaftliche Expertise zum Thema gibt – von einigen wenigen, bedeutsamen Ausnahmen abgesehen – und weil wir einen starken Impuls in die Forschungslandschaft aussenden wollten, haben wir uns dazu entschieden, eine Fachtagung auszurichten. Bei der Auswahl der Themen und der Panels haben uns die folgenden Fragen geleitet: Welche rechtlichen Änderungen braucht es, damit Trans* und intergeschlechtliche Menschen ein diskriminierungsfreies und selbstbestimmtes Leben führen können? Wie können wir die körperliche Unversehrtheit aller Menschen sicherstellen? Wie können wir Diskriminierung in Bildung und Arbeitswelt abbauen? Die Beiträge aller Diskussionen, die Impulsreferate und die Keynote des maltesischen Experten für die Rechte von LSBTIQ, Silvan Agius, haben wir in dieser

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Tagungsdokumentation zusammengetragen. Allen aktiv Teilnehmenden möchte ich noch einmal für ihre Beiträge danken: Sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Fachtagung – übrigens die erste dieser Art in Deutschland - zu einem Erfolg zu machen.

Herzlichst

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II. Keynote

Silvan Agius, internationaler Experte für die Rechte von LGBTIQ

„Mögliche Lehren für Deutschland: Die rechtliche Situation von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen in Europa und darüber hinaus“

Die Keynote der Tagung hielt am Vormittag Silvan Agius, internationaler Experte für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen (englische Abkürzung: LGBTIQ), der auch maßgeblich an aktuellen Reformen in

Silvan Agius während der Keynote Malta mitgewirkt hat. In seinem Überblick zur rechtlichen Lage in Europa ging er auf die Situationen in Malta und Argentinien ein und formulierte am Ende einen „einfachen“ Weg, wie auch Deutschland schneller größere Gleichheit für Trans* und Inter*-Menschen erreichen könnte.

Zu Beginn sagte Agius, dass es in Deutschland in letzter Zeit im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern kaum rechtliche Verbesserungen für Trans* und Inter*- Menschen gegeben habe. Viele Veränderungen für Trans*-Personen seien in Deutschland nicht durch die Gesetzgebung, sondern durch Gerichtsentscheide erfolgt. Diese hätten etwa Diskriminierungen durch das Transsexuellengesetz (TSG) zu Fall gebracht. Agius führte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Januar 2011 an. Darin wurden die bis dahin im TSG gesetzten Voraussetzungen der personenstandsrechtlichen Anerkennung Transsexueller zur Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft verworfen, weil sie mit dem Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung und dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar waren. Trotz der aus dem Urteil resultierenden Fortschritte blieben Mängel, so Agius.

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Während Deutschland in den 1980er-Jahren noch zu den ersten Ländern in Europa gehört habe, die Gesetze für diesen Bereich erließen, verliere es derzeit den Anschluss an aktuelle rechtliche Standards. Rechte von Trans*-Personen würden nur teilweise geachtet und würden immer noch als eine wohlwollende Ausnahme gewährt. Dabei müsste es stattdessen ein Bündel allgemeiner Rechte geben, die für alle gleich gelten.

Deutschland sei hingegen eines der ersten Länder, das seit 2010 das Thema Intergeschlechtlichkeit systematisch angehe, ebenfalls vor einem rechtlichen Hintergrund. „In Deutschland sind wahrscheinlich mehr Intersexuelle vor Gericht gegangen, als in allen anderen europäischen Ländern zusammen“, so Agius. Die 2013 nach einer Stellungnahme des Ethikrats verabschiedeten Gesetze seien aber enttäuschend. Sie gingen „ganz klar an der Lebensrealität intersexueller Menschen vorbei“. Es sei sogar wahrscheinlich, dass Inter*-Neugeborene durch das neue Gesetz noch verletzlicher würden, weil sie nun eine Leerstelle in ihrer Geburtsurkunde hätten.

Agius nannte als Voraussetzung für grundlegende Änderungen in beiden Themenfeldern, dass „wir zunächst einmal verstehen müssen, dass die Rechte von Trans*- und Inter*- Personen zu den allgemein gültigen Menschenrechten gehören“. Sie unterschieden sich in keiner Weise von denen anderer Personen. „Zweitens müssen wir verstehen, dass Diskriminierungen von Trans*- und Inter*-Personen ein strukturelles Problem sind, denn sie sind Teil eines binären Geschlechtersystems.“ Schon die bloße Existenz von Trans*- und Inter*-Personen sei bedroht von Marginalisierung oder sogar Auslöschung durch gesellschaftliche Systeme und Institutionen, die häufig sehr starr seien.

Agius wies darauf hin, dass auch auf der Fachtagung Trans*- und Inter*-Themen zwar zusammen besprochen würden. Er hob aber noch einmal die Unterschiede deutlich hervor: Bei intersexuellen Personen gebe es häufig chirurgische oder medizinische Eingriffe, die sie nicht brauchten oder nicht wollten. Für Trans*-Personen sei es hingegen oft schwierig zu beweisen, dass sie wirklich eine Behandlung oder eine Operation brauchten, und ebenso schwierig sei es, diese dann auch zu erhalten.

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Zunächst wandte sich Agius dem Thema Trans*-Personen zu. Agius stellte eine vergleichende Analyse der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zur Situation von Trans*-Personen in Europa vor („Being Trans in the European Union“), die „ein sehr düsteres Bild“ zeichne. Demnach sprechen Trans*-Menschen von ernsthafter und wiederholter Schikanierung, häufiger Diskriminierung, ungerechter Behandlung, Respektlosigkeit bis hin zu Misshandlungen. Dies verursache anhaltende Angstzustände. Als Reaktion würden sie gewisse Orte meiden oder ihre wahre Geschlechtsidentität verheimlichen oder verbergen. Dies schaffe einen Teufelskreis von Angst und Ignoranz, von Intoleranz und Diskriminierung oder sogar Hassverbrechen und Gewalt.

Der Bericht zeige außerdem eine statistische Wechselseitigkeit zwischen der Qualität politscher Maßnahmen und Gesetzgebung und dem Grad der Diskriminierung gegen Trans*-Personen. So habe es positive Trends in jenen Mitgliedsländern gegeben, die breite positive Maßnahmen umgesetzt hätten, um die Menschenrechte von Trans*- Personen zu achten und zu fördern. Dagegen sei in Ländern mit wenigen positiven Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit zweieinhalb Mal höher, dass Trans*-Personen sich nicht am Arbeitsplatz outeten.

Da es in Deutschland und anderen europäischen Ländern in den 1980er-Jahren keine Akzeptanz oder gar Verständnis für Transsexualität gegeben habe, seien erste positive Urteile des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Trans*-Fragen erst ab den 1990er-Jahren zu verzeichnen. Dazu gehörten:

• das Recht auf Anerkennung des Geschlechts von Transgenderpersonen nach geschlechtsangleichenden Operationen (1992),

• das Recht, gemäß dem erworbenen Geschlecht zu heiraten (2002),

• das Recht auf faire und angemessene Bedingungen im Hinblick auf eine Geschlechtsumwandlung (2003)

• das Recht auf eine Rente gemäß des erworbenen Geschlechts (2006),

• das Recht auf adäquate und klare Anerkennungsverfahren des Geschlechts für die Namensänderung und das eingetragene Geschlecht (2007), 7

• das Recht auf angemessene zeitliche Anforderungen im Zusammenhang mit einer Geschlechtsangleichung (2009),

• das Recht einer geschlechtsangleichenden Operation ohne vorherige Sterilisation (2015),

• die Anerkennung der Geschlechtsidentität nach der Anti-Diskriminierungs- Definition aufgrund von Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (2015).

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe in drei Verfahren über Trans*- Fälle im Zusammenhang mit europäischem Recht entschieden. Demnach

• stelle die Diskriminierung einer Trans*-Person aufgrund ihrer Geschlechtsangleichung eine Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (1996),

• müssten erwerbsbezogene Leistungen auch für Trans*-Arbeitnehmer_innen und ihre Partner_innen gelten (2004),

• haben Trans*-Arbeitnehmer_innen das Recht, im Hinblick auf Arbeitsbedingungen und erwerbsbezogene Leistungen gemäß dem erworbenen Geschlecht behandelt zu werden (2007).

Das europäische Recht, das sich explizit auf die Geschlechtsidentität beziehe und Trans*- Menschen mit berücksichtige, sei in den vergangenen Jahren zwar gewachsen. Allerdings seien die Rechtsverfahren zur Geschlechtsanerkennung nationale Kompetenzen, weshalb es keine europäischen Gesetze in diesem Bereich gebe. „Und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass sich das in naher Zukunft ändert“, so Agius.

Dem entgegen stehe die Forderung des Menschenrechtskommissars an die Mitgliedsländer des Europarates von 2009, zügige und transparente Verfahren zur Veränderung des Namens und des Geschlechts einer Trans*-Person zu ermöglichen, Sterilisierungen und andere verpflichtende medizinische Eingriffe als Vorbedingung für die Anerkennung der Geschlechtsidentität abzuschaffen sowie die Einschränkungen für

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Trans*-Personen aufzuheben, wenn sie nach einer offiziellen Geschlechtsänderung in einer bestehenden Ehe bleiben wollten.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates sei sogar noch weiter gegangen. Im Beschluss „Diskriminierung gegen transgender Personen in Europa“ habe sie die Mitgliedsländer aufgefordert,

• schnelle, transparente und leicht zugängliche Verfahren zu entwickeln sowie selbstbestimmte Verfahren zur Änderung des Namens und des eingetragenen Geschlechts von transgender Personen zu ermöglichen,

• Sterilisierungen und andere verpflichtende medizinische Eingriffe sowie die Prüfung der psychischen Gesundheit als Bedingung zur Anerkennung der Geschlechtsidentität einer Person abzuschaffen, wenn es darum geht, den Namen und den Personenstand zu ändern,

• Einschränkungen der Rechte von Trans*-Personen aufzuheben, die in einer bestehenden Ehe bleiben wollen, um sicherzustellen, dass die Partner_innen und Kinder gewisse Rechte nicht verlieren,

• eine dritte Genderoption in Ausweis-Dokumenten zu erwägen,

• sicherzustellen, dass das Kindeswohl immer oberste Priorität habe.

Die Liste mit Forderungen möge zwar überwältigend erscheinen, es gebe aber international noch viel weiter gehende Good-Practice-Beispiele, führte Agius weiter aus. So habe etwa Argentinien 2012 ein Gesetz verabschiedet, das drastische Neuerungen für die Rechte von Trans*-Personen bedeute. Es habe mit dem Modell der wohlwollenden Ausnahme gebrochen, das nur für Trans*-Personen gelte und für das sich eine Person sozusagen qualifizieren müsse. Stattdessen gelte das Recht auf Geschlechtsidentität in gleichem Maß für alle Menschen. Das betreffe beispielsweise die Gleichbehandlung bei Ausweisen und Dokumenten oder der Gesundheitsversorgung von Trans*. Die entsprechenden Verfahren seien schnell, unbürokratisch und transparent, ohne Gerichtsentscheidungen oder Bestätigungen von Fachpersonen oder Behörden. Der

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„Standard“ des argentinischen Gesetzes habe weitere Gesetze z.B. in Dänemark, Malta und Irland nach sich gezogen, in unterschiedlichem Umfang auch in anderen Ländern.

Malta sei jedoch mit der Verfassungsänderung 2015 noch weiter gegangen, so Agius. So seien Änderungen der geschlechtsspezifischen Eigenschaften in sämtlichen offiziellen Dokumenten erlaubt worden, beispielsweise in Ausweisen, Zeugnissen oder Arbeitszeugnissen. Regierungsorganisationen seien in positivem Sinne verpflichtet, nach dem Gesetz zu handeln. Eltern könnten den Eintrag eines Gendermarkers in den Dokumenten ihres Kindes aufschieben. Schulen und Kindergärten müssten die Vorschriften respektieren. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und physische Autonomie gelte für alle Personen und schließe damit auch Minderjährige ein. Es sei rechtswidrig für Ärzt_innen, geschlechtszuweisende Behandlungen oder chirurgische Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen von Minderjährigen vorzunehmen, wenn die Behandlung auch aufgeschoben werden könne, bis die behandelte Person zur informierten Zustimmung in der Lage sei. Wenn eine solche Behandlung jedoch durchgeführt werde, müssten die Erziehungsberechtigen oder der Vormund zustimmen. Eltern hätten außerdem weitreichende Möglichkeiten bei der Registrierung von Neugeborenen: Sie könnten den Geschlechtseintrag freilassen, später sei er ganz einfach entsprechend des Geschlechtsausdrucks und der Geschlechtsidentität des Kindes zu ändern. Im Unterschied zum deutschen Gesetz von 2013 bestimme im maltesischen Recht nicht ein Mediziner über das Geschlecht eines Kindes. Das maltesische Gesetz verbiete darüber hinaus Diskriminierung und Hassverbrechen.

„Diese rechtlichen Änderungen waren wirklich ein Durchbruch für Trans*-Personen“, so Agius. Sie hatten Folgen: Während in den 13 Jahren vor der Neuregelung nur 21 Personen ihr Geschlecht geändert hätten, seien es allein in diesem Jahr schon 36 Menschen gewesen – „in einem ganz einfachen Verfahren. Das ist ein riesiger Erfolg“, so Agius.

Im Folgenden zitierte Agius auch zum Thema Intersexualität aus einer Studie der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Demnach haben fast alle Inter*- Personen Hormonbehandlungen erhalten, bei mehr als der Hälfte sei eine Gonadektomie durgeführt worden, bei je rund einem Drittel sei die Klitoris verkleinert 10

oder die Vagina operiert worden, bei mehr als zehn Prozent habe es chirurgische Korrekturen des Harntrakts gegeben. Viele Betroffene seien einer ganzen Reihe von Eingriffen ausgesetzt gewesen und hätten mit postoperativen Komplikationen zu kämpfen. Die Behandlungen seien traumatisierend und oft auch erniedrigend, wenn die Betroffenen zum Beispiel vor einer großen Gruppe von Mediziner_innen und Medizinstudierenden bloßgestellt worden seien, die dieses angeblich „kuriose Phänomen“ studieren sollten. Für viele hätten die Eingriffe langfristige Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit und ihr Wohlergehen. Die Probleme seien folglich nicht auf Eingriffe an neugeborenen Kindern begrenzt, sondern beträfen diese Menschen im Verlauf ihres restlichen Lebens. Sie litten weiter an den an ihnen in der Vergangenheit vorgenommen Eingriffen und Behandlungen.

Inzwischen würden sich immer mehr herausragende Personen und Institutionen gegen diese Praktiken wenden. „Diese Fragen erhalten endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdienen“, so Agius. So habe der Menschenrechtskommissar des Europarats unter anderem verlangt, medizinisch unnötige Behandlungen von Inter*-Personen zu beenden, weil diese ohne die freiwillige und informierte Zustimmung der betroffenen Personen stattfinden würden. Weiterhin sollte Inter*-Personen und ihren Familien interdisziplinäre Beratung zuteilwerden, wozu auch Peer-Unterstützung gehöre. Inter*- Personen sollten ihre Menschrechte voll wahrnehmen können. Als rechtliche Forderungen an die Mitgliedstaaten ergäben sich dadurch unter anderem erleichterte Anerkennung von Inter*-Personen durch eine schnelle Ausstellung von Geburtsurkunden, Personenstandsurkunden, Ausweisen, Pässen und anderen offiziellen persönlichen Dokumenten. Die Verfahren sollten so flexibel wie möglich sein, indem sie beispielsweise ermöglichten, auf spezifische männliche oder weibliche Gendermarker zu verzichten. Außerdem sollten nationale Gleichbehandlungs- und Hassverbrechens- Gesetzgebungen überarbeitet werden, um den Schutz von Inter*-Personen sicherzustellen. Die nationalen Menschenrechts-Strukturen wie Ombudspersonen, Gleichstellungsbehörden oder Kinderrechtsbeauftrage sollten sich aktiv an Inter*- Personen wenden. Ferner sollten Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit untersucht, offiziell anerkannt und behoben werden, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte dieser Personen in Zukunft gewahrt würden.

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Zum Schluss stellte Agius die Frage, warum es Ländern wie Argentinien und Malta gelungen sei, ihre Gesetzgebung zur Geschlechtsidentität zu ändern. Letztlich habe das nichts mit der Religion oder Ähnlichem zu tun. Vielmehr hätten Politiker_innen der Zivilgesellschaft mehr Mitspracherecht eingeräumt. Menschenrechts- und Trans*- Organisationen hätten die Gesetzgebung in Argentinien und Malta mitbestimmt.

„Es ist tatsächlich einfach: Sobald Politiker_innen und politische Entscheidungsträger_innen sich entschließen, die Gesetze zu ändern, sollte es nicht lange dauern, die dafür notwendige Methodik zu finden, die es schon anderen Ländern ermöglicht hat, eine bessere Gleichstellung von Trans* und Intersexpersonen zu erreichen“, so Agius. „Es gibt hier keine Geheimformel. Alles was Sie benötigen, ist die Stärkung der Gemeinschaft und politische Führung.“

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III. Podiumsdiskussion

„Diskriminierung von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht“

Teilnehmende:

Caren Marks, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Maria-Sabine Augstein, Rechtsanwältin Prof. Dr. jur. Konstanze Plett, Universität Bremen Dr. phil. Michael Wunder, Psychologe Lann Hornscheidt moderierte die Veranstaltung und Psychotherapeut, Mitglied im Kuratorium des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft, Mitglied des Deutschen Ethikrats Mari Günther, Vorstand Bundesverband Trans*, Leitung Beratungsstelle Queer Leben

In einer von Lann Hornscheidt moderierten Podiumsdiskussion stellten mehrere Sprecher_innen zunächst ihre Sicht auf die Diskriminierung von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht dar.

Michael Wunder hob zwei Themen hervor: die Empfehlung an das Parlament, eine Kategorie „Anderes“ beim Geschlecht in das Personenstandsrecht einzufügen und die Grundrechtsverletzungen durch Operationen ohne Einwilligung. Wunder räumte ein, dass der Vorschlag zur v. l. n. r.: Lann Hornscheidt, Mari Günther, Caren Marks, Maria-Sabine Augstein, Konstanze Plett, Kategorie „Anderes“ auf Kritik gestoßen Michael Wunder sei und damit eine bestimmte, sehr heterogene Gruppe von Menschen in eine Begrifflichkeit gezwungen werde. Man könne das aber auch als einen ersten Schritt in die richtige Richtung sehen. Als noch viel 13

gravierenderes Problem bezeichnete er die Operationen an intergeschlechtlichen Kindern. Diese Eingriffe seien nicht nur eine Diskriminierung, sondern massive Grundrechtsverletzungen. Obwohl viele Ärzt_innen inzwischen angeben würden, bei diesem Thema umzudenken, würden weiterhin geschlechtsangleichende Operationen vorgenommen. Dafür gebe es ausreichend viele Belege. „Das ist für mich ein ganz großer Missstand“, sagte Wunder. Es gebe sehr viele Menschen, die deshalb große Schäden zu verarbeiten hätten. Man müsse daher den Gesetzgeber auffordern, hier nicht mehr der Ärzteschaft die Operations-Indikations-Bestimmung zu überlassen. Der Gesetzgeber könne dort tatsächlich Grenzen ziehen.

Caren Marks nahm das Problem der Operationen an intergeschlechtlichen Kindern von Michael Wunder mit deutlichen Worten auf. „Für mich liegt es ganz klar auf der Hand: Wenn es um die Rechte von Kindern geht und wir die wirklich ernst meinen und wirklich durchsetzen [wollen], dann müssen wir hier ein Operationsverbot durchsetzen.“ Es müsse „ein klares Verbot“ geben. Im Ministerium sei dieses Thema zentral, weil dabei ganz besonders in die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und auch die Gesundheit eines Menschen eingegriffen werde. Ebenso wie Wunder nannte sie das Personenstandsrecht als vordringliches Thema. Marks wies darauf hin, wie wichtig es für Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gewesen sei, die besondere Situation von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen in den Koalitionsvertrag der großen Koalition aufzunehmen. Die Einrichtung eines Fachreferats und einer Interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung ihres Ministeriums setze dafür ein klares Signal. Auch im Parlament spiegele sich das in der interfraktionellen Arbeitsgruppe wieder, mit der sie in regelmäßigem Austausch stehe.

Mari Günther stellte als Vorstandsmitglied des unlängst gegründeten Bundesverbandes Trans* dessen Ziele vor. Die Vereinsgründung sei nötig gewesen, um Trans*-Menschen in Deutschland sichtbarer zu machen, um den Anliegen bundesweit Gehör zu verschaffen und um die Möglichkeit zu haben, sich besser mit Recht, Politik und Medizin auseinanderzusetzen. Wichtig seien schnellstmögliche Änderungen der rechtlichen

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Situation für Trans*- und Inter*-Personen. „Da muss wirklich von heute auf morgen was passieren“, sagte Günther. Ihre Beratungsstelle habe immer wieder „mit Menschen zu tun, die psychisch instabil sind, die verzweifelt sind, die nicht mehr leben wollen, weil sie mit der rechtliche Situation nicht zurechtkommen, weil sie diskriminiert werden, jeden Tag“. Dies betreffe alle Lebensbereiche vom Flughafen über den Schwimmbad-Besuch bis zu den Amtsgerichten. Rechtliche Änderungen müssten schnellstens vorgenommen werden. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Gerichten und Verwaltungen müssten diese Änderungen auch möglichst einfach sein, damit „Verwaltungsbeamte auch ein Verständnis dafür entwickeln können, was sie tun“, schloss Günther.

Rechtsanwältin Maria-Sabine Augstein berichtete von Ihren Erfahrungen mit dem Transsexuellengesetz (TSG) vor Gericht. Die Verfahren dauerten viel zu lange und seien zu kompliziert. Es sei sehr entwürdigend, was dort teilweise passiere. Sie schloss sich der Forderung an, dass es eine Vornamens- und Caren Marks erläuterte die Vorhaben der Bundesregierung Personenstandsänderung auf Antrag geben müsse: „Dass die betreffende Person zum Standesamt gehen und sagen kann, ich möchte in Zukunft diesen Vornamen haben und dieses Geschlecht. Dann muss das eingetragen werden, eine Urkunde wird erstellt – und fertig.“ Auch das Krankenversicherungsrecht nannte Augstein viel zu kompliziert. Dies betreffe vor allem die Vorschriften des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK).Die Behandlungsrichtlinien seien sehr überarbeitungsbedürftig. „Auch da brauchen wir eine komplette Vereinfachung, dass die Betroffenen, die diese verschiedenen Schritte möchten, diese auch mit zumutbarem Aufwand bekommen können und nicht jahrelang dafür prozessieren müssen.“

Konstanze Plett stellte einige Ergebnissen ihrer Studie „Diskriminierungspotentiale gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht“ vor. Sie sei bei Erstellung der Studie selbst überrascht gewesen, wie verflochten das Recht in Bezug 15

auf Trans*- und Inter*-Themen sei. Es gebe immanente Diskriminierungspotentiale im Recht. Zwar sei das Personenstandsrecht aus der Sicht der Interessenverbände eher nachrangig gegenüber dem Operationsverbot. Sie habe jedoch festgestellt, dass das Personenstandsrecht „sozusagen das gesamte weitere Leben durchfließt“. Es betreffe Meldebehörden, Krankenkassen, die Sozialversicherung. „Das ist ein wüstes Geflecht an Vorschriften, die mit der Geburtsregistrierung verbunden sind.“ Als Beispiel für die Auslegungsschwierigkeiten beim Recht führte sie an, dass die Eintragung des Geschlechts von Neugeborenen bei einer „verständigen Auslegung der neuen Vorschriften“ im Licht von Trans*- und Inter*-Belangen eigentlich schon heute unterbleiben müsse. In der Praxis sei das freilich nicht so. Ebenso sei es vorherrschende wissenschaftliche Meinung, dass die medizinischen Eingriffe an Neugeborenen schon nach dem geltenden Recht rechtswidrig seien. Es gehe also auch darum das geltende Recht durchzusetzen.

Eine relative Übereinstimmung herrschte auf dem Podium darin, neben dem Recht auf Aufklärung, auch auf gesellschaftliche und politische Veränderungen sowie bessere Aus- und Weiterbildung hinzuarbeiten. Mari Günther sah angesichts einer „aktuellen rechtlichen Situation, die Publikumsfragen an die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion erheblich dazu beiträgt, dass Inter*- Personen gefoltert und verstümmelt werden“, die Aufgabe des Rechts darin, „ein scharfes Schwert zu sein“. Es gehe um klare Verbote und Strafen. Zum Ende der Diskussion sagte Günther, dass die Kompetenz von Trans* und Inter*-Personen insgesamt stärker einbezogen werden müsse: „Trans* und Inter*-Personen wissen offensichtlich, was sie brauchen, was ihnen hilft, wo Diskriminierung ist und wo sie beendet werden muss.“ Sie müssten daher „dringend eng und vielgestaltend in die Entwicklung einbezogen werden“.

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IV. Panels

Panel 1 „Diskriminierungsfreier Umgang mit Geschlechtervielfalt in Unternehmen und Verwaltungen“

Teilnehmende:

Moderation: Caroline Ausserer, freie Journalistin Impuls-Vortrag: Richard Köhler, Transgender Europe Podium: Heidi Holzhauser, Bundesagentur für Arbeit, Expertin für Chancengleichheit v. l. n. r.: Richard Köhler, Caroline Ausserer, Heidi Daniela Wißmeier, Leitung SAP Holzhauser, Daniela Wißmeier, Claudia Schmidt, Leo Development University Yannick Wild, Carlo Sauerbrei, Wiebke Fuchs Dr. Claudia Schmidt, SAP Wiebke Fuchs, Projektmitarbeiterin für „Trans* in Arbeit“ Carlo Sauerbrei, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Leo Yannick Wild, Trans* Job Mentoring von TransInterQueer e.V.

Impuls-Vortrag

Im Impulsreferat wies Richard Köhler auf Überschneidungen und Besonderheiten der Arbeitsmarktsituation von Inter*- und Trans*-Menschen hin. Besonders intergeschlechtliche Menschen seien bereits während der Schullaufbahn von „medizinischen Zwangsmaßnahmen“ betroffen, die zu schlechteren Abschlüssen, Lücken im Lebenslauf und somit schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt führten. Im Folgenden legte er den Schwerpunkt der Ausführungen auf die Situation von Trans* Menschen. Köhler stellte mehrere Studien vor, die die besondere Betroffenheit von Trans* durch Arbeitslosigkeit, unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust, schlechte Bezahlung, Verarmung und Einkommensnachteile nach Änderung des Geschlechts zeigen. Die

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Daten stellten einen deutlichen Handlungsanreiz bzw. Handlungsdruck für Deutschland dar. Köhler verwies zudem auf Erfahrungen in anderen Ländern, in denen gezielte, positive und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen für die Akzeptanz von Trans* Menschen deren Lebensqualität verbessert hätten. Außerdem führe demnach rechtliche Klarheit und Sicherheit zu weniger Diskriminierung. Für Unternehmen sei eine Kultur wichtig, die Geschlechtervielfalt wertschätze und dies in Unternehmensrichtlinien zu Diversität, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung ausdrücke. Der Erfolg von Gleichstellungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt hänge vor allem von der Qualität der Verfahren zur Änderung von Namen und Personenstand ab. Ohne diese Verfahren, die auf dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums beruhen müssen, blieben Bürger_innen- und Menschenrechte von Trans*-Menschen unvollständig. Besonders öffentliche Arbeitgeber_innen aber auch private Unternehmen sollten zudem in Vergaberechtrichtlinien darauf abzielen, nur Auftragnehmende zu verpflichten, die eine Charta der Vielfalt hätten.

Podium

Wiebke Fuchs stellte das Projekt „Trans* in Arbeit“ vor. Dies habe sich durch die große Zahl verschiedener Akteur_innen ausgezeichnet, zum Beispiel Gewerkschaften, Betriebsräte, Personalräte, Arbeitgeberverbände. In den Gesprächen sei es viel um gegenseitige Sensibilisierung gegangen. Entstanden seien daraus Handlungsempfehlungen und Infomaterialen, die es Verantwortlichen in Unternehmen erleichtern sollten, sich für die Belange von trans*geschlechtlichen Menschen einzusetzen. Der Prozess sei außergewöhnlich gewesen, weil diese Menschen sonst niemals zu diesem Thema zusammengekommen wären. Fuchs wies darauf hin, dass es schon eine Benachteiligung trans*geschlechtlicher Menschen sei, wenn etwa im Bewerbungsprozess nicht die freie Wahl bestehe, ob ein Mensch sich outen möchte oder nicht. Außerdem könne eine Person, die damit beschäftigt sei, etwas zu verheimlichen, nicht mit voller Energie den Job gut machen.

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Carlo Sauerbrei hat die äußerliche Veränderung von Frau zu Mann „vor den Augen“ der Kolleg_innen vollzogen. Geholfen hätten ihm dabei seine Mitgliedschaft und der Rückhalt in der Gewerkschaft sowie die Stellung als Personalratsmitglied. Er habe sich in der Gewerkschaft schon vorher für lesbisch-schwule Belange engagiert und Gewerkschaftsseminare zur Vorbereitung des sogenannten Outing-Prozesses genutzt. Nach der öffentlichen Bekanntgabe seiner Transition habe es offenen und ausdrücklichen Zuspruch von Vorgesetzen gegeben. „Das hilft ungemein“, so Sauerbrei. Es habe am Arbeitsplatz bei allen Fragen wie etwa Namensänderung bei der E-Mail oder Visitenkarten die Einstellung geherrscht „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“. Damit sei das erledigt gewesen.

Heidi Holzhauser sagte, dass sie bei der Bundesagentur für Arbeit seinerzeit schon die Änderung der ‚Beauftragen für Frauenbelange‘ in ‚Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt‘ sehr begrüßt habe. Chancengleichheit für alle solle so normal wie möglich sein, da am Arbeitsmarkt eine ungeheure Vielfalt von Denkweisen, Arbeitshaltungen, Kompetenzen und Potentialen benötigt werde. Diese Haltung müsse gelebt werden und eine hohe Transparenz hergestellt werden. Es habe sich gezeigt, dass Unternehmen, die Vielfalt lebten, bessere Ergebnisse erzielten. Ganzheitliches Denken führe auch zu wesentlich besseren Produkten. Bezogen auf die Studienergebnisse aus dem Impulsreferat sagte sie, dass die Sensibilisierung für das Thema häufig wiederholt werden müsse, um die gewünschte Normalität im Umgang zu erreichen.

Leo Yannick Wild stellte das Projekt „Trans Job Mentoring“ vor. Inspiriert von einem Mentoring-Programm der Helmholtz-Gesellschaft sei dieses mit finanzieller Unterstützung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ins Leben gerufen worden. Das Programm habe elf Mentor_innen aus unterschiedlichen Bereichen wie Handwerk, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gesundheitswesen, die nicht zwingend eine eigene Erfahrung als Trans* mitbringen mussten. Im Kern gehe es in dem Programm um Wissenstransfer, so Wild. Dadurch könnten einfacher nächste Karriereschritte geplant werden. Ziel und wünschenswert sei es aber auch, Menschen zu erreichen, die sich durch oder nach einer Transition aus einer prekären Situation in ein gewünschtes Berufsfeld begeben wollten. 19

Die Physikerin Claudia Schmidt hat die Transition als eine der ersten Personen bei SAP am Arbeitsplatz vollzogen und danach an den „Gender Transition Guidelines“ ihres Arbeitgebers mitgearbeitet. Beweggrund für die Mitarbeit an den Guidelines sei gewesen, anderen Mitarbeitenden, die vor einer Transition stehen, Informationen dazu geben, was in ihrer Situation alles getan werden müsse. Ihr habe damals die Betriebsärztin geholfen. Aus der Erkenntnis, dass sie bei einem so großen Unternehmen wie SAP nicht die einzige sein könne, seien die Ideen für Guidelines entstanden. Sie gab an, dass bei SAP weltweit jedes Jahr ein Transitionsprozess starte. Neben einem für jede_n im Unternehmen einsehbaren Informationspapier gebe es auf der ganzen Welt flankierende Maßnahmen, etwa lokale Ansprechpartner_innen für die Personalabteilungen. So könne das Ganze auch mit erfahrenen Menschen begleitet werden.

Daniela Wißmeier berichtete, dass die Transition von Schmidt 2006 den Anstoß zur Frage gegeben habe, wie Führungskräften und Mitarbeiter_innen Hilfestellung für einen solchen „Fall“ gegeben werden könne. Dabei gehe es unter Beteiligung aller Abteilungen um sehr praktische Dinge, wie etwa das Verhalten im Team. Das daraus entstandene Papier sei inzwischen weltweit im Einsatz, die dazu gehörigen Prozesse seien im Unternehmen fest verankert. Es gebe beispielsweise eine Knowledge Base, Hinweise zur rechtlichen Situation und Listen mit Ansprechpartner_innen. Ziel sei, für einen frühen Austausch und Unterstützung zu sorgen und mit allen ins Gespräch zu kommen und zu bleiben – auch, wenn es negative Reaktionen gebe. Sie berichtete ebenfalls von kulturellen Unterschieden. So hätten in den USA die Kolleg_innen „die Aufregung“ über das Thema überhaupt nicht verstanden, weil es für sie nicht neu gewesen sei.

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Diskussion

In der Diskussion wurde kritisiert, dass Inter* Themen nicht behandelt oder bedacht wurden. Es sei um binäre Geschlechtsentwürfe gegangen. Es wurden mehrere Beispiele konkret erfahrener Mehrfach-Diskriminierung genannt. Kritisch gesehen wurde teils die Herangehensweise, keinen Unterschied Diskussion im Panel 1 beim Geschlecht zu sehen oder zu machen, da die Realität der Diskriminierung zu akzeptieren sei. Viel Zuspruch gab es für eine Aussage von Claudia Schmidt: Die für die Veranstaltung gewählten Hinweise an den Toiletten seien eine „wunderbare neue Idee“ – die Schilder zeigten statt eines Geschlechtssymbols die Ausstattung der Räume.

Handlungsempfehlungen

• Ein Verbandsklagerecht bzw. eines der Antidiskriminierungsstelle im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) • Klarere Verankerung des Rechtsschutzes für Trans* und Inter*-Menschen im AGG • AGG als verbindlicher Teil der DIHK-Prüfungen, Schulungen durch zertifizierte Expert_innen • Möglichst verpflichtende Trainingsprogramme und Schulungen für Mitarbeitende der Arbeitsvermittlung zur Sensibilisierung und Umgang mit trans* Personen bei der Arbeitssuche • Guidelines in Unternehmen für den Umgang mit trans* Menschen, Transitionen etc. • Belohnung von Offenheit von Geschlechtervielfalt in Unternehmen, z.B. um öffentliche Förderungen zu erhalten

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Panel 2 „Geschlechtervielfalt in der Bildung – Bewusstseinserweiterung durch Berücksichtigung von Trans* und Intergeschlechtlichkeit in Materialien und Unterricht“

Teilnehmende:

Moderation: Tuğba Tanyılmaz, Initiative Intersektionale Pädagogik (I-Päd) beim MRBB Impuls-Vortrag: Dr. Dan Christian Ghattas, Empowerment für Inter* (TrIQ e. V.), OII Deutschland/IVIM Podium:

Auf dem Podium v. l. n. r.: Tugba Tanyilmaz, Ben Ammo Recla, Aufklärungsprojekt bei Liehr, Dan Christian Ghattas, Melanie Bittner, Ammo ABqueer e. V., Bildungsinitiative Recla, Conny Hendrik Kempe-Schälicke QUEERFORMAT Conny Hendrik Kempe-Schälicke, Koordination der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin Melanie Bittner, Erziehungswissenschaftlerin und Gender-Trainerin, Autorin der Studie "Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von LSBTI in Schulbüchern" Ben Liehr, Schüler_innenperspektive

Impuls-Vortrag

Im Impuls-Vortrag stellte Dan Christian Ghattas fest, dass es nur sehr wenige entpathologisierende wissenschaftliche Publikationen zum Thema Trans* und Intergeschlechtlichkeit gebe. Aus Schulungen mit Lehrkräften gehe hervor, dass nur wenig Wissen über das Thema vorhanden sei. Das Wissen bestehe besonders im biologischen Blick darauf, und darauf Trans* und Intergeschlechtlichkeit vor allem als Abweichung von der Norm zu sehen. Die Vorstellungen würden durch ständige Wiederholung verfestigt und wirkten sich so nachhaltig auf die Ansichten der Lehrkräfte aus. Obwohl die Realität anders aussehe, würden viele Lehrkräfte denken, dass sie keinen Kontakt zu Trans* oder Inter* Personen hätten.

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Wichtig sei für Trans* und Inter*-Kinder und Jugendliche die Unterstützung durch Lehrkräfte. Sie sollten ihre eigene Lebensrealität auch in den Lehr- und Lernmaterialien wiederfinden. Als „Good-Practice-Kriterien“ für Unterrichtsmaterialien nannte Ghattas die Orientierung auf die Lebenswelt und Menschenrechte, außerdem Ent- Pathologisierung, Intersektionalität, Partizipation und Empowerment. Als positives Beispiel erläuterte Ghattas die rechtlichen Regelungen in Malta.

Podium

Ben Liehr bestätigte aus Schüler_innenperspektive die Darstellungen aus dem Impuls- Vortrag anhand der eigenen Schulerfahrung. In keiner seiner Schulen habe es Ansprechpersonen gegeben, alle Lehrkräfte seien überfordert gewesen. Im Schulalltag herrsche viel Unwissenheit. Die meisten Diskriminierungen habe Liehr nicht aufgrund der Trans*Identität erlebt, sondern wegen der Roma-Identität. Liehr habe sich selbst entschieden, das Thema Geschlechtervielfalt in einem Referat aufzugreifen, wobei die Ablehnung der Mitschüler_innen groß gewesen sei.

Melanie Bittner stellte die Ergebnisse ihrer Studie „Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von LSBTI in Schulbüchern“ vor. Auch sie bestätigte die Ausführungen von Liehr und Ghattas. Nur in einem untersuchten Biologiebuch sei im Kapitel zur Sexualerziehung „Intersexualität“ ausdrücklich erwähnt und begrifflich erklärt worden. Die ebenfalls in diesem Buch vorhandene Definition von „Transvestit“ kann nicht als Thematisierung von Trans* bezeichnet werden. Das Geschlecht werde sonst stets binär durch eindeutige und häufig stereotype Codes konstruiert. Die immer noch weit verbreitete Diskriminierung von Trans* und Inter* werde nicht thematisiert. Diskriminierung komme höchstens mit Verweis auf andere Länder und historische Kontexte in Bezug auf Homosexualität vor, wodurch anhaltende Diskriminierung negiert und verharmlost wird.

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Ammo Recla stellte dar, wie Nichtregierungsorganisationen (NGO) damit umgehen, dass Unterrichtsmaterialien Geschlechtervielfalt nicht thematisieren. Es werde Material gesammelt und selbst geeignetes Material erstellt. Als Bausteine für die Fortbildungen von Lehrkräften beschrieb Recla, die Wissensvermittlung, Sensibilisierung und die Klärung von Begriffen. Außerdem müsse Trans*/Inter* zwar auch als Querschnittsthema etabliert werden, sollte aber auch als spezielle Unterrichtseinheit bestehen bleiben. Schulbuchverlage müssten einbezogen und für das Thema gewonnen werden.

Conny Hendrik Kempe-Schälicke schilderte, wie Schulmaterialien vielfältiger gestaltet werden können. Es müsse zunächst das Verständnis in Verwaltungen und Schulen gefördert werden. Dazu sollte es Fortbildung für pädagogische Fachkräfte und Schlüsselpersonen geben und das Thema in die Lehramtsausbildung einbezogen werden. Zwar existierten gesetzliche Vorgaben, dass Lehrmaterialien nur eingeführt werden dürfen, wenn sie nicht diskriminierend seien. Die Realität sehe aber anders aus. In Berlin sind die Rahmenlehrpläne für die Klassen 1 - 10 überarbeitet worden: In den neuen Lehrplänen werde das Wortpaar „Schülerinnen und Schüler“ erstmals so definiert, dass auch Geschlechtervielfalt abgedeckt sei. Trans* und Inter* bzw. die übergreifenden Themen Geschlecht, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck tauchen explizit als Themen z. B. in Biologie und Geschichte, als Querschnittsthemen jedoch für alle Fächer auf.

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Diskussion

In der Diskussion ging es um die Frage, wie Lehrkräfte dazu bewegt werden könnten, vielfältige Materialien einzusetzen. Kempe-Schälicke schlug die Institutionalisierung von Fortbildungen zum Thema vor. Die pädagogischen Fachkräfte müssten das Thema von vielen Seiten kennen lernen, Diskussion im Panel 2 zur Zielgruppe kämen die Materialien möglicherweise am besten mit einer Top-Down-Strategie. In der Frage, wie mit Lehrkräften umgegangen werden soll, die sich ihrer Verantwortung entziehen, verwies Bittner auf die Verantwortung der Ministerien für die Integration der Themen in die Ausbildung, Lehrpläne und Schulbücher. Sie plädierte auch dafür, diejenigen zu bestärken, die schon gute Arbeit leisten. Ghattas sprach sich dafür aus, dass die Bundesregierung sich stärker für das Thema einsetzen solle, auch wenn Bildung Ländersache sei. Nach der Rechtschreibreform sei es kein Problem gewesen, alle Schulbücher komplett auszutauschen, das sollte beim Thema Antidiskriminierung auch möglich sein, so Ghattas.

Handlungsempfehlungen

• Trans* und Inter* müssen Querschnittsthema in allen Fächern werden • Überarbeitung von Rahmen-Lehrplänen • Antidiskriminierung muss Bestandteil des Lehramtsstudiums werden • Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für Klagemöglichkeiten beim Diskriminierungen in Schulmaterialien • Schulbuchverlage müssen für Thematik gewonnen werden

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Panel 3 „Sensibilisierung von Mediziner_innen für Intergeschlechtlichkeit“

Teilnehmende:

Moderation: Thomas Kugler, KomBi - Kommunikation und Bildung, Bildungsinitiative QUEERFORMAT Impuls-Vortrag: Manuela Tillmanns, M.A. Sonderpädagog_in und Sexualwissenschaftler_in Universität Köln Podium: v. l. n. r.: Manuela Tillmanns, Ev Blaine Matthigack, Katinka Schweizer, Claudia Kittel, Lucie Veith, Dipl.-Päd. Claudia Kittel, Freie Thomas Kugler Universität Berlin/Childhood Studies and Children's Rights Dr. phil. Dipl.-Psych. Katinka Schweizer, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Lucie Veith, Intersexuelle Menschen e.V. und Mitglied der Expert_innenkommission der ADS „Gleiche Rechte – Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ Ev Blaine Matthigack, Bundesdeutsche Vertretung der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM)/Organisation Intersex International (OII)

Impuls-Vortrag

Im Impuls-Vortrag erklärte Manuela Tillmanns zunächst die Terminologie: „Disorder of Sex Development“ (DSD) sei ein veralteter Begriff, heute werde öfter von „Diverse Sex Development“ gesprochen. Auch „Intersexualität“ sei überholt, die Bezeichnung lasse vermuten, dass es sich um eine Form der Sexualität handele. Stattdessen sollte „Intergeschlechtlichkeit“ oder „Inter*“ benutzt werden. Im Gegensatz zu DSD, stehe bei Inter* oder Intergeschlechtlichkeit der Mensch im Vordergrund. Der Begriff „uneindeutiges Geschlecht“ sei ebenfalls kritisch zu sehen, da er eine bipolar- strukturierte Weltsicht reproduziere. Jedes Geschlecht sei erst einmal eindeutig. Die Sensibilisierung von Mediziner_innen für die Sprache habe eine hohe Bedeutung, weil sie maßgeblich das damit verbundene Handeln beeinflusse. Tillmanns zählte die Formen der geschlechtszuweisenden und vereindeutigenden Operationen und Behandlungen

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bei Säuglingen und bei Kindern auf (Klitorektomie, Anlegen einer Neovagina, Gonadektomie, Hormonsubstitution). Diese seien oft sehr traumatisierend und hätten schwerwiegende Auswirkungen auf das weitere Leben der Betroffenen. Was eine Operation für intergeschlechtliche Menschen bedeute, werde in der Gesellschaft und der Medizin nicht besprochen. Deutlich wurden die Auswirkungen in einem gezeigten Film, in dem eine betroffene Person über die Erfahrungen mit Mediziner_innen sprach (Vorgeführtwerden, Isolation, Verlust der Gebärfähigkeit, posttraumatische Belastungsstörungen).

Podium

Claudia Kittel hob hervor, dass Kinder aus rechtlicher Sicht eigenständige Rechtssubjekte seien. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) schreibe Eltern vor, im Sinne des Kindeswohls zu handeln. Daher müsse man immer fragen, inwieweit das Kind in die Entscheidungen eingebunden werden müsse. Das Kindeswohl sei nur zu ermitteln, wenn die betroffene Person Gehör finde, im Falle einer Operation im Säuglingsalter werde das verwehrt. Kittel führte weiter aus, in Deutschland werde von „Sorgerecht“ der Eltern gesprochen, der international verwendete Begriff „Erziehungsverantwortung“ sei passender.

Katinka Schweizer sah in den medizinischen Möglichkeiten den eigentlichen Auslöser für Operationen. Dadurch entstehe der Wunsch nach Vereinfachung und Kategorisierung. In der Medizin entstehe so das Problem eines Handlungs- und Normierungsdrucks. Für diesen Umstand müssten die Beteiligten sensibilisiert werden.

Ev Blaine Matthigack erläuterte, dass die Normierung des uneindeutigen Geschlechts und die damit zusammenhängenden Operationen, die in den 1950er-Jahren in den USA begannen, heute noch immer prägend seien. Diese unterstützten die existierende binäre Vorstellung von Geschlecht. Medizin und Gesellschaft müssten für dieses Problem sensibilisiert werden. Die DSD-Nomenklatur gelte noch heute und verdeutliche die Definitionsmacht von Mediziner_innen über intergeschlechtliche Menschen.

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Lucie Veith sagte, dass Eingriffe bei intergeschlechtlichen Menschen keine Heileingriffe, sondern immer Versuche von Normierungen seien. Sie betonte, dass es notwendig sei zu verdeutlichen, über was eigentlich geredet werde: Mediziner_innen genössen eine hoch angesehene gesellschaftliche Stellung und ein Vertrauen, das sie aber missbrauchten. Es fehle an staatlicher Kontrolle und klaren Weisungen, was sie dürften und was nicht. Mediziner_innen müssten für ihr Handeln haften.

Diskussion

In der Diskussion ging es neben rechtlichen Aspekten auch um den Umgang von Mediziner_innen mit Betroffenen. Es gebe Defizite in der Kommunikation, die Sprache der Mediziner_innen störe intergeschlechtliche Menschen und müsse daher verständlicher werden. Es Diskussion im Panel 3 wurde von Mediziner_innen darauf hingewiesen, dass hinter dem Agieren der Kolleg_innen ein „Machbarkeitswahn“ stecke, es aber in der Ärzteschaft auch viel Unwissenheit gebe. Aus dem Publikum wurde bemängelt, dass keine Mediziner_innen auf dem Podium saßen, wodurch nur eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft miteinander rede und dadurch das „Andere“ und das „Besondere“ an der eigenen Gruppe verstärke.

Handlungsempfehlungen

• Gesetzliches Verbot von Operationen, zu denen keine Zustimmung der betroffenen Personen vorliege

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• Selbstverpflichtung der Mediziner_innen, keine geschlechtszuweisenden Operationen an nicht einwilligungsfähigen, ungefragten oder unaufgeklärten Personen durchzuführen • AGG-Reform bzw. -Erweiterung: Schutz von Patient_innen vor Diskriminierung durch die Medizin; Forderung von Verbandsklagerecht • Runder Tisch mit Mediziner_innen • Peer-Involvement: Keine Beratung ohne Betroffenenexpertise und Einsetzten von Ombudspersonen zur Begleitung von Eltern und zur Zusammenarbeit mit der Peer- Group • Transdisziplinäre Kompetenzzentren unter Einbeziehung von Selbstorganisationen • Verständnis von intergeschlechtlichen Kindern als Rechtssubjekte (Partizipationsrechte, Recht auf Information) • Überarbeitung/Reform der medizinischen Standards of Care • Informations- und Beratungsstellen in den Bundesländern

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Panel 4: „Sensibilisierung von Mediziner_innen für Trans*

Teilnehmende:

Moderation: Arn Sauer, Experte für Gender Mainstreaming/Diversity Impuls-Vortrag: Dr. phil. Dipl.-Psych. Timo O. Nieder, Leiter der Spezialambulanz für sexuelle Gesundheit und Transgender Versorgung Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie Universitätsklinikum v. l. n. r.: Timo O. Nieder, Maria-Sabine Augstein, Hamburg-Eppendorf Katie Wiedner, Arn Sauer, Devin Feiner, Mari Günther, Christoph Schuler Podium: Maria-Sabine Augstein, Rechtsanwältin Mari Günther, Vorstand Bundesverband Trans* Dr. med. Christoph Schuler, Facharzt für Allgemeinmedizin Katie Wiedner, TransKinderNetz (TRAKINE) Devin Feiner, Trans*Person zu Erfahrung mit medizinischer Versorgung

Impuls-Vortrag

Timo Nieder kritisiert in seinem Impuls-Vortrag über den medizinischen und psychotherapeutischen Umgang mit Transgeschlechtlichkeit die Grundannahmen der Disziplinen. Diese gingen von heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit und einer notwendigen Übereinstimmung von Empfinden und Körper aus. Die medizinische und therapeutische Praxis im Umgang mit Trans* sei von Pathologisierung und Ablehnung geprägt. Es gebe zwei Debattenstränge: Bei der Ent-Pathologisierung gehe es darum, medizinische Behandlungen zu ermöglichen, ohne Transgeschlechtlichkeit als Krankheitsbild zu fassen. Im zweiten Komplex Selbstbestimmung der „Patient_innen“ gegen die Angst der Mediziner_innen vor Fehlentscheidungen solle ein Verhältnis auf Augenhöhe geschaffen werden, in dem Mediziner_innen und Trans*-Menschen gemeinsam über Bedürfnisse und Behandlungen sprechen könnten.

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Die Behandlungs- und Kassenpraxis sei von pathologisierenden Diagnosen in internationalen Klassifikationssystemen überlagert. Diese seien auschlaggebend für operative wie medikamentöse Behandlungen. Ziel sollte es sein, Geschlecht und insbesondere Transidentitäten in ihrer Vielfalt anzuerkennen. Das bedeute einen Wechsel von Fremdbestimmung zu Selbstbestimmung und vom Fokus auf Transition hin zu einem ganzheitlichen Verständnis von Trans*-Gesundheit.

Podium

Maria-Sabine Augstein verwies auf das Spannungsverhältnis zwischen pathologisierender Diskriminierung und der gleichzeitigen Notwendigkeit von Behandlungen, die von Krankenkassen übernommen werden. Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität seien unterschiedlich und voneinander unabhängig. Insbesondere Menschen mit transsexueller Vergangenheit seien oft zusätzlich von Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung betroffen. Transsexuelle Jugendliche träfen auf Ablehnung ihrer Eltern und des medizinischen Fachpersonals. Dadurch erhielten sie nicht früh genug die Anerkennung, die sie brauchten und auch nicht die Unterstützung, die in dieser Phase so wichtig sei.

Katie Wiedner griff die Probleme von Trans* Kindern und Jugendlichen auf und kritisierte die vorgeschriebenen Altersgrenzen für Hormonbehandlungen. Die therapeutische Anerkennung sei mit einem enormen zeitlichen Aufwand und bürokratischen Hürden verknüpft. Trotz der Bedeutung einer frühen Hormonbehandlung dauerten diese Prozesse oft bis zu 15 Jahre. Diese diskriminierende Praxis betreffe auch die Eltern. Ihnen werde unterstellt, „Schuld“ an der vermeintlichen Identitätsstörung zu sein. Die Unsicherheit der Therapeut_innen werde auf die Patient_innen und deren Eltern abgewälzt.

Devin Feiner berichtete hierzu aus seiner persönlichen Erfahrung. Er bestätigte die diskriminierende Praxis von Mediziner_innen und Therapeut_innen. Der Zugang zu hormonellen Behandlungen sei als Jugendlicher fast unmöglich, der Weg dorthin von

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Desinformation, übergriffigen Fragen und Situationen geprägt. Fehlendes Informationsangebot und fehlende Anlaufstellen verstärkten die Entmutigung.

Mari Günther betonte, dass es einen Verhaltenskodex für Mediziner_innen geben müsste, der einen einheitlichen Umgang mit Trans* Personen gewährleiste. Bevormundung und Diskriminierung könne so entgegengewirkt werden. Es sei wichtig, Angebote zu schaffen, die es Trans* Menschen ermöglichten, sich über die eigene Transition hinaus mit ihrer Geschlechtsidentität auseinander zu setzen. Die bisherigen Beratungsressourcen würden zum Großteil verbraucht, um medizinische und bürokratische Hürden zu überwinden.

Christoph Schuler sagte, dass viele der Probleme an der mangelhaften Auseinandersetzung von Mediziner_innen mit dem Thema liegen. Von der universitären Ausbildung bis hin zur Handhabung der entsprechenden diagnostischen Leitlinie zum Umgang mit Trans*Patient_innen fehle es an Sensibilisierung und Wissen. Komplexe Regelungen und fehlende Flexibilität führten dazu, dass Mediziner_innen häufig nicht unterstützten, sondern Angst hätten, etwas falsch zu machen. Dabei sei vor allem die Initiative der Ärzt_innen selbst gefragt.

Diskussion

In der Diskussion wurde nochmals darauf hingewiesen, dass die Pathologisierung von Transgeschlechtlichkeit gleichzeitig Ursache und Ausdruck diskriminierender Behandlungspraktiken sei. Die Vorbehalte hätten keine empirische Evidenz und produzierten strukturell Diskussion im Panel 4 diskriminierende Systeme (Alltagstest, Begutachtungsverfahren nach dem TSG). Die fehlende Anerkennung transgeschlechtlicher Identitäten und Diskriminierung führten dazu, dass der 32

allgemeinen Gesundheitsversorgung aus Angst vor Diskriminierung misstraut und diese vernachlässigt werde. Außerdem wurde auf bestehende Hürden bei Hormonbehandlungen hingewiesen. Das führe dazu, dass Betroffene auf irreguläre Märkte und Produkte ausweichen müssten. Eltern von Trans* Kindern und Jugendlichen würden allein gelassen. Vor allem Mütter würden mit Unterstellungen konfrontiert und zum Teil mit Kindesentzug bedroht. Auf das Thema Mehrfachdiskriminierung (z.B. Trans* mit Behinderung, Trans* of Color) wurde am konkreten Beispiel von Trans* Flüchtlingen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem erhalten, hingewiesen.

Handlungsempfehlungen

• Transsexualität darf keine pathologisierende Diagnose sein, nur unterstützende Therapien ohne Zwang • Klare diskriminierungsfreie Behandlungsrichtlinien, die partizipativ und unter Einbezug von Expert_innen-Wissen erstellt werden müssen • Einrichtung von Kompetenzzentren, die auf Augenhöhe beraten, Förderung von Peer-Beratungs- und -Anlaufstellen • Der Leistungskatalog der Krankenkassen muss neben Hormonbehandlungen bzw. genital- und geschlechtsangleichenden Operationen auch alle weiteren Maßnahmen enthalten, die für ein möglichst diskriminierungsfreies Leben notwendig sind (Adamsapfelkorrekturen, Epilation auch von Kosmetiker_innen, Penisplastiken etc.). • Aus- und Fortbildung für Mediziner_innen und Therapeut_innen und Einbeziehung Erfahrungen aus dem Peer-Bereich

Applaus nach Vorstellung der Handlungsempfehlungen 33

V. Anlagen

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Grußwort von Christine Lüders auf der Fachtagung der Antidiskriminierungsstelle zur rechtlichen Situation von trans* und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland

07.10.2015

Liebe Teilnehmende!

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Marks, sehr geehrter Herr Agius, liebe Fachleute und Gäste!

Vor etwas mehr als vier Jahren gab es in einem kleinen, katholischen Zwergstaat eine Revolution: Das Verbot von Ehescheidungen wurde nach einem Volksentscheid aufgehoben. Die Rede ist von Malta, und das kleine Land war das letzte in der EU, das sich in diesem Bereich modernen Zeiten anpasste.

In diesem Jahr, 2015, gelang Malta geradezu ein Quantensprung. Ein neues Gesetz sichert trans* und intergeschlechtlichen Menschen Rechte zu, die weit über die anderer Länder hinausgehen.

Dieses "Gesetz über Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Geschlechtsmerkmale" wird zu Recht als "revolutionär" und "das fortschrittlichste der Welt" gelobt. Es ermöglicht es allen Einwohner_innen Maltas, ihre Geschlechtsidentität rechtlich anerkennen zu lassen: Ohne vorherige medizinische Diagnose. Ohne medizinische Behandlung. Ohne vorgehende Operationen. Ohne Zwangsscheidungen oder gar Zwangssterilisationen. Es gibt kein Mindestalter und keine Wartezeit dafür. Außerdem verbietet das Gesetz, intergeschlechtliche Babys oder Kinder zu operieren, damit sie klarer "Mädchen" oder "Jungen" zugeordnet werden können. Das ist erst erlaubt, wenn sie ihr Einverständnis geben können.

Liebe Anwesende, warum gelingt dies einem Land wie Malta – und dem Rest Europas nicht?

Wir werden darauf heute Antworten bekommen. Wir werden einen Überblick über die rechtliche Situation von trans* und intergeschlechtlichen Menschen erhalten. Wir werden diskutieren, was zu tun ist, und wir werden ganz konkret auf Handlungsempfehlungen hinarbeiten.

Dies ist die erste Tagung dieser Größe zu diesen Themen in Deutschland. Darauf sind wir ein wenig stolz und damit verbinden wir viele Hoffnungen: Wir wollen Diskriminierungen und Ausgrenzungen von trans* und intergeschlechtlichen Menschen sichtbar machen. Wir wollen sie zu einem Thema

35 machen, das weit über diesen Tag hinausgeht. Ich freue mich, dass wir heute die besten Fachleute begrüßen dürfen, die es in den anstehenden Themenbereichen gibt:

Allen voran unseren Keynote Speaker Silvan Agius, der maßgeblich an der Gestaltung des maltesischen Gesetzes beteiligt war. Dann unser hochkarätiges Podium – sehr geehrte Frau Staatssekretärin Marks, sehr geehrte Frau Augstein, sehr geehrte Frau Prof. Plett, sehr geehrte Mari Günther, sehr geehrter Herr Dr. Wunder! Von einer solchen Riege an Expert_innen können wir nur das Beste erwarten. Genauso hochkarätig geht es am Nachmittag in den Panels weiter – alle Teilnehmenden der Panels begrüße ich genauso herzlich.

Ich begrüße auch die Teilnehmenden unserer Expert_innenkommission gegen Geschlechterdiskriminierung unter Vorsitz von Frau Prof. Allmendinger und Herrn Wowereit. Die Kommission wird sich hier heute informieren, um im Rahmen ihrer morgigen abschließenden Sitzung Handlungsempfehlungen zur Situation von trans* und intergeschlechtlichen Menschen am Arbeitsplatz zu entwickeln. Wir sind schon sehr gespannt - und erhoffen uns hiervon einen zusätzlichen Schub, um die Debatte in Gang zu halten.

Lassen Sie mich kurz etwas zu den Themen der Fachtagung sagen: Manche fragen sich, ob es sinnvoll ist, die rechtliche Situation von trans* und intergeschlechtlichen Menschen in einem Treffen zusammenzufassen. Sind das nicht ganz verschiedene Herausforderungen? Ja und nein.

Ja: Denn unter anderem im medizinischen Bereich geht es um völlig andere Problemlagen. Das ist uns absolut klar. Wir haben dem Rechnung getragen und bieten daher verschiedene Panels zu diesen Bereichen an. Und ja, es geht hier nicht nur um zwei unterschiedliche Gruppen. Es geht um vielfältige Menschen mit verschiedenen Interessen und Erfahrungen, mit unterschiedlichen Identitäten und Selbstbezeichnungen.

Dennoch ist es aus unserer Sicht richtig, die Situation von trans* und intergeschlechtlichen Menschen in einer gemeinsamen Tagung anzugehen: Denn es handelt sich bei trans* und intergeschlechtlichen Personen um Menschen, die in besonderer und oftmals besonders extremer Weise von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts betroffen sind. Viele hier, auch im Publikum, haben damit ihre Erfahrungen gemacht. Die Probleme reichen über Diskriminierungen hinaus: So wird noch viel zu häufig die eigene Identität, der eigene Geschlechtsausdruck als "krank" gewertet. Und auch die Erfahrungen mit Gewalt sind mitunter enorm.

Und: Es handelt sich hier um Gruppen, deren Probleme leider oftmals von einer Mehrheit als so randständig begriffen werden, dass ihre Stimmen kaum gehört werden. Es fehlt an Forschung, es

36 fehlt an politischen Initiativen – die neue Interministerielle Arbeitsgruppe "Intersexualität/ Transsexualität" ist hier eine rühmliche Ausnahme.

Es fehlt vielleicht auch nach wie vor noch an Vernetzung und wir hoffen, dass diese Tagung einen Beitrag dazu leistet, dass sich dies ändert. Denn: So unterschiedlich und vielfältig trans* und intergeschlechtliche Menschen sind, so wichtig ist es doch, gemeinsam auf Veränderungen hinzuarbeiten und dafür Bündnisse zu schließen.

Liebe Teilnehmende, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat 2015 zum Themenjahr gegen Geschlechterdiskriminierung erklärt. Das Motto "Gleiches Recht. Jedes Geschlecht." haben wir mit Bedacht gewählt. Denn es geht, das muss ich Ihnen nicht erklären, um weit mehr als nur Diskriminierungen von "Frau" oder "Mann". Aber man muss in der Öffentlichkeit immer wieder deutlich fragen: Warum wird stoisch an den Kategorien "Mann" und "Frau" festgehalten, warum werden diese Kategorien zur Grundlage der Wahrnehmung gemacht? Ja: Was bewegt uns, nicht nur jede Person in dieses Zweiersystem einzuordnen, sondern ihr auch noch bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zuzuschreiben? Diese Kategorisierung ist eine der Grundlagen für die Diskriminierung aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten, liebe Teilnehmende.

Es gibt also zahlreiche gute Gründe für diese Tagung und ich freue mich auch sehr über das große Interesse. Wir wollen nachhaltig Bewegung in die Sache bringen – und ich freue mich, dass Silvan Agius jetzt den Anfang macht und uns berichtet, was wir und der Rest Europas von Malta lernen können. Vielen Dank! Ich wünsche uns allen einen spannenden und ergebnisreichen Tag!

37 Berlin, 07 October 2015

Possible Lessons for Germany: The rights of trans and intersex people in Europe and beyond

Silvan Agius

Dear colleagues,

Good morning!

It is a great honour to be here and be able to share with you my knowledge and views with regard to the European legislative framework as it relates to trans and intersex people, the situation in Germany as I understand it, as well as possible lessons that can be learnt from other jurisdictions with regard to specific laws and policies guaranteeing the human rights of trans and intersex people.

Before moving on to discuss the topics outlined, I take this opportunity to commend the work of the Federal Antidiscrimination Agency – FADA. Over the years, it has raised attention to trans and intersex people’s rights, and also provided these people with a platform to voice their experience of discrimination and call for change.

For example, I remember how two years ago, ILGA-Europe and Transgender Europe jointly hosted a European roundtable on legal gender recognition of trans people here in Berlin. That roundtable brought together some 30 governmental and civil society experts as well as political exponents to discuss the latest developments in the field with a view of improving domestic legislation and policies.

On that day, FADA did not only provide us with free access to a beautiful meeting room within its own office building, but it also took that opportunity to issue a press release calling for an “end [to] gender-adjusting surgeries on intersex infants” in Germany.

Indeed, in relation to the law that had just been passed to regulate the registration of intersex newborns, Mrs Christine Lüders, FADA Director, pointed out the need for further action by stating:

“I hope that the German government will use the next legislative term to examine the corresponding Acts more closely and to draw the necessary conclusions. To this end, their objective has to be a legislation which prevents any discrimination and violence against trans* and intersex people. Especially not absolutely necessary sex-adjusting surgeries on children who are not able to give their informed consent, should be prohibited.”

This event today shows FADA’s continued commitment to this human rights call. Yet on a more sober note, it also marks the fact that as yet the German government has not been responsive on this matter. Indeed, two years have gone by with little or no progress at all.

A quick reflection on the current situation in Germany will make apparent that unlike a number of other jurisdictions in Europe where in recent years legislation has been improved through the legislative process; in this country, it is only through litigation that trans people have managed to

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38 strike down discriminatory requirements found in the Transsexuellengesetz – Germany’s gender recognition law.

An important court decision was taken in January of 2011 when the Germany Federal Constitutional Court declared unconstitutional the prerequisite of sterilisation and requirement for the undergoing of surgery to change external sex characteristics prior to a statutory recognition of transsexuals as persons belonging to the gender that they identify with.

This case was brought to the court by a 62-year-old trans woman who successfully argued that although she had legally changed her masculine name to a feminine name, she was still not allowed to enter into a registered partnership with her female partner. She demonstrated that on the one hand, marrying her partner was not an option that she could consider as the requirement to marry her as a man while holding a female name would have recurrently exposed her to unwanted outings. On the other hand, due to her age, undergoing gender reassignment surgery so as to meet the requirements of the Transsexuellengesetz thus allowing her to register her relationship would have involved incalculable health risks.

Therefore, the Court struck down the requirements related to genital surgery basing its judgement on the fact that they went against the Constitutional right to physical integrity and self- determination, and the right to marry or enter into a registered partnership.

Nonetheless, in spite of the progress, a number of other contentious requirements remain, such as the need to have lived for a minimum of 3 years with a conviction of belonging to the other gender, and that a change of that conviction is very unlikely as well as other pathological aspects. This shows that while Germany was among the first countries in Europe to legislate in this field way back in 1980, of late, it is increasingly becoming out of touch with current legal standards.

It also shows, that the rights of trans people are only partially respected, as their respect is still framed as a ‘benevolent exception’ rather than a set of mainstream rights that apply to all indiscriminately.

In short, while nowadays there are no effective differences between the ‘minor solution’ and ‘major solution’, the Transsexuellengesetz’s formulation is out of step with current knowledge on trans issues, and with the authoritative recommendations coming from the Council of Europe and other human rights institutions.

With regard to intersex, Germany was also among the first countries to explore intersex issues systematically since 2010. Here too, more intersex individuals took their cases to court in Germany than most probably all other European countries combined.

Following a submission by Intersexuelle Menschen in the form of a shadow report to the UN Committee on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW), the CEDAW Committee called upon the German Government to enter into a dialogue with intersex people and adopt measures to protect their human rights.

The result was the Ethic Council’s exploration of the issues at stake. In its Intersexuality Opinion, the Council delivered various recommendations and called for the recognition and support of intersex people, as well as protection against discrimination.

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39 The legislation adopted in 2013 following the release of that Opinion was nonetheless disappointing, as it clearly missing the essence of the intersex reality that it was supposed to address. In fact, it is likely that intersex newborns are now more vulnerable than they were prior to its adoption because they now stand out through their birth certificate’s blank entry regarding the sex category.

In this area too, Germany could benefit from the great progress made by international institutions towards the recognition of intersex people, including in the form of authoritative recommendations. Earlier this year, the Council of Europe Commissioner for Human Rights launched a thematic issue paper addressing human rights violations against intersex people; while 3 weeks ago, the United Nations High Commissioner for Human Rights, held an expert meeting aimed at ending human rights violations against intersex persons.

So what are the realities that need to be addressed? Who is still left out? What could – or perhaps should – Germany do about these?

I believe that the first thing that needs to happen is the realisation that the rights of trans and intersex people are part of the universal human rights framework. Theirs are no different than yours, mine, or anyone else’s.

Secondly, we need to realise that discrimination against trans and intersex people is structural, as it is entrenched in the gender and sex binary system. This means that the very existence of trans and intersex people continues to be threatened through marginalisation or even erasure by society’s rigid systems and institutions.

Thirdly, while we will be discussing trans and intersex issues together throughout the day, the issues that affect trans and intersex people are quite different. For starters, intersex people often receive surgical and medical treatment that they do not want or need, while trans people often have a hard time proving that they need medical treatment or surgery, and then receiving it. Because of this, in this part of my speech I will first address trans issues and move on to discuss intersex issues right after.

Last year, the EU Fundamental Rights Agency published its Being Trans in the European Union which provides a detailed comparative analysis of the situation of trans people who responded to the 2012 EU-wide LGBT survey. The report paints a very bleak reality, with its opening paragraphs stating:

“The trans respondents of the EU LGBT survey point to serious and repetitive victimisation in the EU. Frequent discrimination and victimisation, disrespect and maltreatment, prompt persistent feelings of fear among trans persons. They may, in reaction, avoid certain locations. They may also not disclose, hide or disguise their true gender identity. [...]

The problems trans persons face in expressing freely their experienced gender reinforce the barriers to recognition of their preferred gender and perpetuate a lack of public awareness about the reality of trans persons’ identities and lives. They create a vicious circle of fear and ignorance, of intolerance and discrimination or even hate-motivated violence and crime.”

The Report also identified a statistical correlation between the quality of public policy and legislation, and the levels of discrimination experienced by trans people. In fact, positive trends were recorded within those member states that adopted widespread positive measures to promote and

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40 respect the human rights of trans people. In comparison, in those member states where positive measures were rare, trans people were 2½ times more likely to stay ‘in the closet’ at their workplace.

On this point, here is an account of German 43-year-old gender variant person who responded to the survey:

“The fear of harassment or worse makes me walk society’s lines and avoid being my real self.”

As I stated earlier, several trans people in this country remain unable to align their documents with their gender in spite of the Transsexuellengesetz.

This is hardly surprising. In the 1980s when the Transsexuellengesetz was adopted, the framework was such that being trans was very far from the acceptable or the understood. And this was true for all of Europe. Indeed, the first positive European Court of Human Rights judgements relating to trans people only took place in the 1990s, more than ten years after the enactment of the German law.

The full list of rights recognised by this Court to date includes the following:

the right to gender recognition of post-operative transsexuals B v France (1992) the right to marry in accordance with the acquired gender Goodwin and I. v UK (2002) the right to fair and proportionate requirements related to van Kück v Germany (2003) gender reassignment the right to a pension in accordance with the acquired gender Grant v United Kingdom (2006) the right to adequate and clear gender recognition procedure for L v Lithuania (2007) change of name and legal gender the right to proportionate timeframe requirements for purposes Schlumpf v Switzerland (2009) of gender reassignment services the right to undergo gender reassignment without prior Y.Y. v Turkey (2015) sterilisation the recognition of the ground of ‘gender identity’ as falling Identoba and Others v Georgia within the anti-discrimination definition of Article 14 of the (2015) European Convention on Human Rights

On its part the European Court of Justice dealt with three trans cases relating to EU law, indicating that:

discrimination against a transsexual person due to their gender P v S & Cornwall County Council reassignment constitutes a form of sex discrimination (1996) work related benefits need to be extended to trans employees K.B. v National Health Service and their partners Pensions Agency (2004) trans workers have the right to be treated in accordance with the Sarah Margaret Richards v acquired gender for purposes of work related conditions and Secretary of State for Work and benefits Pensions (2007)

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The body of European law that expressly refers to gender identity (or an equivalent ground) and that covers trans people has grown significantly in recent years.

Within the EU framework, both the 2004 legislation on gender equality in access to goods and services, and the 2006 ‘recast’ gender equality legislation in the field of employment and occupation cover trans people under the ground of ‘gender reassignment’.

Additionally, the EU asylum package includes gender identity within the definition of vulnerable asylum seeker, while the victims’ rights directive includes gender, gender identity and gender expression in its list of anti-discrimination grounds.

The above said, since legal gender recognition procedures fall under national competences there is no European legislation regulating this matter and it is unlikely that there will be any in the foreseeable future. Nonetheless, in his 2009 Issue Paper entitled Human Rights and Gender Identity the Commissioner for Human Rights called on Council of Europe member states to:

1. Develop expeditious and transparent procedures for changing the name and sex of a transgender person on birth certificates, identity cards, passports, educational certificates and other similar documents;

2. Abolish sterilisation and other compulsory medical treatment as a necessary legal requirement to recognise a person’s gender identity in laws regulating the process for name and sex change; and

3. Remove any restrictions on the right of transgender persons to remain in an existing marriage following a recognised change of gender.

This year, the Parliamentary Assembly of the Council of Europe went further, and adopted a resolution with a wide margin of support entitled Discrimination against transgender people in Europe, calling on member states to:

1. Develop quick, transparent and accessible procedures, based on self-determination, for changing the name and registered sex of transgender people on birth certificates, identity cards, passports, educational certificates and other similar documents; make these procedures available for all people who seek to use them, irrespective of age, medical status, financial situation or police record;

2. Abolish sterilisation and other compulsory medical treatment, as well as a mental health diagnosis, as a necessary legal requirement to recognise a person’s gender identity in laws regulating the procedure for changing a name and registered gender;

3. Remove any restrictions on the right of transgender people to remain in an existing marriage upon recognition of their gender; ensure that spouses or children do not lose certain rights;

4. Consider including a third gender option in identity documents for those who seek it;

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5. Ensure that the best interests of the child are a primary consideration in all decisions concerning children.

While I reckon that these lists may sound like tall orders, the good news is that the number of good practices in this area is growing.

In 2012, Argentina adopted a law that turned the tables on trans rights forever. That law broke away from the ‘benevolent exception’ model that until then was the only model that existed, and shifted towards a human rights framework. Indeed, through the adoption of a ‘right to gender identity’ equally applicable to all citizens, the law clearly indicated that all human beings are born equal in dignity and rights regardless of their gender identity. The ‘right to gender identity’ reads as follows:

“All persons have the right,

a) To the recognition of their gender identity;

b) To the free development of their person according to their gender identity;

c) To be treated according to their gender identity and, particularly, to be identified in that way in the documents proving their identity in terms of the first name/s, image and sex recorded there.”

Another important aspect of that law was its separation of the legal dimension relating to gender recognition and trans related healthcare.

Moreover, the procedure that it established was quick, non-bureaucratic and transparent, neither requiring a court decision nor any intervention or certification by any professional or authority.

The benchmark that the Argentinean law set is now well established and has already served to inspire three European laws – namely the Danish, Maltese and Irish laws – and to varying degrees legislative changes in other countries as well.

In the case of Malta, the legislation that was adopted earlier this year went even further than the Argentinean law by:

• allowing and regulation amendments of gendered characteristics on all official documents (such as the ID card and the passport) and other certificates such as educational certificates etc.; • introducing a positive obligation on government entities to ensure that their services meet the objectives of the law; • providing parents with the possibility to postpone the entry of a gender marker on their children’s birth certificate; • introducing ‘gender expression’ and ‘sex characteristics’ within the list of grounds for aggravated circumstances under the Criminal Code and in the list of grounds of antidiscrimination in the Equality Act, extending the protection that was already available through the grounds of ‘sex’ and ‘gender identity’.

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43 The first statistics that have come out last week indicate that the legal changes that were adopted have made a real difference for trans people who were not previously able to change their legal gender. In fact, while only 21 persons had changed their gender marker under the previous cumbersome court procedure; as of April this year, 36 others have changed their legal gender through a simple notarial deed.

Besides, until Nepal recently followed suit, Malta was the only country in the world where gender identity is specifically included as a ground of anti-discrimination in its constitution. Additionally, earlier this year, a policy framework was launched by the Maltese Ministry of Education to ensure that the implications of the law are adequately implemented in schools for the benefit of trans, gender variant and intersex students.

This shows that both hard legislative provisions and softer policy measures need to be adopted to ensure that trans people are able to enjoy a good quality of life, and be fully able to function in and contribute towards the wider good of society.

Let us not turn to intersex issues.

For those who may not know, intersex people are born with sex characteristics, including genitals, gonads and chromosome patterns that do not fit the typical binary understanding of male or female bodies.

The term ‘intersex’ is an umbrella term used to describe a wide range of natural bodily variations. In some cases, intersex traits are visible at birth while in others, they are not apparent until puberty, while some chromosomal intersex variations may not be physically apparent at all.

According to different estimates, the incidence of intersex people ranges between one in two thousand (most conservative fraction) and 1.7% (most inclusive percentage) of the population.

In the 2013 Children’s Rights to Physical Integrity report, Marlene Rupprecht, a German Socialist Group representative in the Parliamentary Assembly of the Council of Europe wrote the following:

“Different empirical studies in Germany have shown that until now 96% of all intersex persons across different categories had received hormonal therapy. 64% of persons concerned had received a gonadectomy, 38% a reduction of their clitoris, 33% vaginal operations and 13% corrections of their urinal tract. Many had been submitted to a series of operations and were confronted with post-operative complications. Relevant treatment was traumatising for them and often involved humiliating procedures such as being exposed to large groups of medical professionals and students studying this curious phenomenon. For many, the interventions linked to their syndrome had long-term effects on their mental health and well-being.”

She was right to put a spotlight on this scourge, and to indicate that this issue of unwanted interventions is not limited to newborn children, but also related to all those people who continue to suffer from interventions that were inflicted on them in the past.

Indeed, it is finally becoming more and more commonplace for prominent human rights exponents and institutions to speak out against these practices. From the UN Special Rapporteur on Torture, to

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44 the Council of Europe’s Commissioner for Human Rights, to the EU Fundamental Rights Agency and more recently, the UN High Commissioner for Human Rights, the issue is finally gaining the attention it deserves.

In his Issue Paper entitled Human Rights and Intersex People the Commissioner for Human Rights called on Council of Europe member states to:

1. End medically unnecessary “normalising” treatment of intersex persons, including irreversible genital surgery and sterilisation, when it is enforced or administered without the free and fully informed consent of the person concerned. 2. Intersex persons and their families should be offered interdisciplinary counselling and support, including peer support, while intersex persons’ access to medical records should be ensured. 3. National and international medical classifications which pathologise variations in sex characteristics should be reviewed with a view to eliminating obstacles to the effective enjoyment, by intersex persons, of human rights, including the right to the highest attainable standard of health. 4. Member states should facilitate the recognition of intersex individuals before the law through the expeditious provision of birth certificates, civil registration documents, identity papers, passports and other official personal documentation while respecting intersex persons’ right to self-determination. Flexible procedures should be observed in assigning and reassigning sex/gender in official documents while also providing for the possibility of not choosing a specified male or female gender marker. 5. National equal treatment and hate crime legislation should be reviewed to ensure that it protects intersex people. Sex characteristics should be included as a specific ground in equal treatment and hate crime legislation or, at least, the ground of sex/gender should be authoritatively interpreted to include sex characteristics as prohibited grounds of discrimination. 6. National human rights structures such as ombudspersons, equality bodies, human rights commissions and children’s ombudspersons should be active in their outreach towards intersex people, including children. They should be clearly mandated to work on issues related to intersex people and to provide victim-support services to them. There is a need to facilitate intersex persons’ access to justice. 7. Member states should carry out research into the situation and human rights protection needs of intersex people in different settings. There is an urgent need to improve public awareness and professional training about the problems encountered by intersex persons. Intersex people and organisations representing them should be enabled to participate actively in research concerning them and in the development of measures improving their enjoyment of human rights. 8. The human rights violations intersex people have suffered in the past should be investigated, publicly acknowledged and remedied. Ethical and professional standards, legal safeguards and judicial control should be reinforced to ensure future human rights compliance.

As a side note, I am aware that an official German of the Issue Paper will be launched by OII Deutschland/IVIM at the end of the year. So I urge you to collect a copy when it is published.

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45 The best legislation in this field comes from Malta once more. Indeed, the same Act that provides for the recognition of gender identity also addresses unnecessary and involuntary interventions on the sex characteristics, and introduces a right to bodily integrity and physical autonomy for all persons through the following provision stating that:

“It shall be unlawful for medical practitioners or other professionals to conduct any sex assignment treatment and/or surgical intervention on the sex characteristics of a minor which treatment and/or intervention can be deferred until the person to be treated can provide informed consent:

Provided that such sex assignment treatment and, or surgical intervention on the sex characteristics of the minor shall be conducted if the minor gives informed consent through the person exercising parental authority or the tutor of the minor.”

This law also prohibits discrimination and hatred against intersex people, while it allows for two possibilities when it comes to the registration of newborns, i.e. the parents can either leave the sex entry blank, or they could change it through a simple court procedure at a later stage to match the child’s expressed gender identity.

However, the difference between the Maltese law and the 2013 German law is that the Maltese law does not tie this option to the identification of the intersex baby by medical practitioner but instead allows the option for all children, regardless of their sex characteristics. Additionally a national policy was promptly adopted after the passage of the law with regard to intersex children in kindergarten and primary and secondary schools, thus guaranteeing that a system is in place to receive non- binary children in schools.

A more important point, the demands of intersex people as eloquently elaborated in the International Intersex Forum’s Declaration of 2013 have little to do with gender markers and a lot to do with ending unnecessary and unwanted medical and surgical interventions.

I think that some of you may be wondering: How did Argentina do it? How did Malta do it? Why them?

There is a commonality in the approach of these two countries, and no, it has nothing to do with the major religion that is practiced in these countries or any other characteristic of the sort. Instead, it has all to do with the way politicians have empowered civil society to make legislative proposals and then supported them in parliament.

It is no secret that the Argentinean law was formulated by a broad coalition of human rights organisations with several trans organisations on the lead. In Malta it was the same. Government set up was is called an LGBTIQ Consultative Council consisting of representatives of LGBTIQ civil society organisations, who have a remit to develop legislative and policy proposals for consideration by government. This setup has ensured that many issues that would not be usually addressed were adequately explained and championed by the Council.

When it comes to trans and intersex issues, and surely many other human rights issues, Germany is blessed with the number and quality of domestic trans and intersex rights advocates. I would dare

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46 say that many of the ideas that have shaped the global trans and intersex movements originated here in Germany, and more specifically here in Berlin.

So really, it is simple. Once politicians and policy makers decide to move on with it, and amend the legislation, it should take them little time to identify the methodology needed to replicate the synergy that has allowed other countries to achieve greater equality for trans and intersex people.

Indeed, there are no secret ingredients. All you need is community empowerment and political leadership.

Thank you.

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47 Willkommen zur Fachtagung „Die rechtliche Situation von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland und Europa“

der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Themenjahr Geschlecht.

Mein Name ist Lann Hornscheidt

….

Ich freue mich von der ADB angefragt worden zu sein, diese Tagung zu moderieren, an deren Vorbereitung ich nicht beteiligt gewesen bin, die ich aber für einen wichtigen politischen Schritt zum Abbau von Trans- und Inter- Diskriminierungen halte.

Wie Sie ja dem Programm entnehmen können beginnen wir mit einem Vortragzur europäischen Situation dann Podiumsdiskussion

Mittagspause dann 4 verschiedene Panels danach gemeinsame Auswertung und dann ein informelles Ausklingen der Tagung

Das Ziel der Tagung ist es auf jeden Fall nicht nur eine Bestandsaufnahme zu machen zu rechtlichen Fragen und Herausforderung zum Thema Trans- und Inter-Diskriminierung, sondern auch wichtige Impulse zu geben für eine politische Veränderung. Dazu gehört sowohl Gesetzesänderungen anzustoßen als auch sich aktivistisch zu vernetzen, Diskriminierte als Exper_tinnen ihrer eigenen Diskriminierung wahrzunehmen und angemessen an auch staatichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

48 Die Themen Trans- und Inter-Diskriminierung haben in den letzten Jahren eine immer höhere öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, u.a. auch durch die von Betroffenenverbänden stark kritisierte neue deutsche Inter-Gesetzgebung sowie durch entscheidende internationale Entwicklungen wie der Abschaffung von Zwangsgeschlechtszuschreibungen und Zwangsbegutachtungen in vielen Ländern. Deutschland hat hier international sicherlich viel Entwicklungspotential. Dies kann auf dieser Tagung ausgelotet und in konkrete Forderungen umgesetzt werden. Dazu dienen sowohl das Podium als auch die Panel am Nachmittag.

Der einleitende Vortrag von Silvan Agius wird die europäische Perspektive eröffnen, die Tagung insgesamt wird vor allem die deutsche Situation fokussieren und mögliche Forderungen und Handlungsschritte hier konkretisieren.

Ich freue mich, dass die ADB diese Fachtagung organisiert und dadurch eine Möglichkeit bietet für Personen mit unterschiedlichen Expertisen und Handlungsräumen zusammen zu kommen, sich zuzuhören und voneinander zu lernen.

Gesellschaftliche Veränderungen geschehen vor allem auch darüber, dass wir anfangen die Vielschichtigkeit von Diskriminierungen zu verstehen. Das geschieht auch über Zuhören und über das gegenseitige Respektieren unterschiedlicher Diskriminierungen, Diskriminierungserfahrungen und den Umgängen damit.

Es gibt nicht die eine Diskriminierung, weder in Bezug auf Geschlecht noch über Trans- und Interdiskriminierung, und es spielt eine große Rolle, inwiefern ich wahrnehmen kann, dass Diskriminierungen vielschichtig sind. Für eine Schwarze Transperson kann Diskriminierung etwas komplett anderes bedeuten, sich anders realisieren als für mich als weiße Transperson. Weder ist Trans gleich Trans, es gibt Personen, die sich als Frau oder Mann verstehen, Personen, die sich als Transfrau oder Transmann verstehen, es gibt Personen, die sich als non-binär, Gender-nicht-konform und gender-queer verstehen und keine person ist ‚besser‘, ‚korrekter‘ oder ‚richtiger‘ als die andere – alle haben unterschiedliche Diskriminierungen erfahren und finden jeweils

49 unterschiedliche Wege dagegen zu kämpfen. Ein wichtiges Ziel dieser Tagung, neben den Forderungen an Staatspolitik und Gesetzgebung, ist es für mich, einen konstruktiven Dialog zu führen, der davon getragen ist, dass wir unsere Differenzen wahrnehmen und respektieren, dass wir Privilegien wahrnehmen und benennen und miteinander reden statt gegeneinander.

Die Fachtagung eröffnet also meines Erachtens auch den Raum wertschätzende Umgangsformen miteinander zu finden, sich zu verbünden in einem Kampf gegen Diskriminierung, der notwendigerweise vielschichtig sein muss. Denn wenn wir aus diskriminierten Positionierungen unsere Energie in negativer Weise gegeneinander wenden, spielen wir nur der Hegemonie zu, die sich zurücklehnen kann und außerhalb des Gefechts bleibt. Die Massivität von Diskriminierungen führt häufig dazu, dass wir uns, da wir uns so machtlos und ungehört fühlen, als aktivistische Personen und Gruppen eher gegeneinander wenden statt miteinander verbündet zu sein in all unseren Differenzen. Die Tagung könnte hier einen anderen, wertschätzenden und respektvollen Raum eines miteinander verbündet seins eröffnen.

Audre Lorde formuliert das so in einer ihrer Reden:

„We do not need to become each other in order to work together. But we do need to recognize each other, our differences as well as the sameness of our goals. Not for altruism. For self-preservation-survival.

Every day of your lives is practice in becoming the person you want to be. No instantaneous miracle is suddenly going to occur and make you brave an d courageous and true. And every day that you sit back silent, refusing to use your power, terrible things are being done in our name.”

Ich wünsche uns allen eine Fachtagung, in der wir germeinsam verbündet für eine nicht diskriminierende Gesellschaft kämpfen, in Anerkennung und Respekt und Wertschätzung unserer Differenzen, die wir als Stärke benutzen können.

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Moderierte Podiumsdiskussion: „Diskriminierung von Trans* und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht“

Eingangsstatement von Prof. Dr. iur. Konstanze Plett, LL.M. (Universität Bremen)

Das Recht wird immer auf die Probe gestellt, wenn Menschen in den Blick geraten, die bei Erlass der Vorschriften nicht im Blick waren. So lassen sich im Recht selbst Diskriminierungspotentiale ausmachen. Solche Diskriminierungspotentiale für Menschen aufzuspüren, die in geschlechterpolitischen Zusammenhängen als Trans* und Inter* bezeichnet werden,1 war meine Aufgabe für eine Expertise, die ich im Auftrag der Landesantidiskriminierungsstelle Berlin erstellt habe und die gerade veröffentlicht worden ist.2

Im Recht, das in Deutschland gilt (dazu gehört Bundes-, Landes- und Kommunalrecht, aber auch internationales und Europarecht), wird Geschlecht zwar nicht explizit normiert, aber eine nach männlich/weiblich unterschiedene Geschlechterbinarität ebenso unterstellt3 wie bis vor Kurzem Geschlechtseindeutigkeit aller Menschen, auch in Situationen und Fällen, in denen Geschlecht eigentlich gar keine Rolle spielt. Zum Beispiel kann dem Staat egal sein, welches Geschlecht die zur Steuerzahlung Verpflichteten haben: Hauptsache, die Steuern werden entrichtet. Dabei haben wir bereits seit 1949 ein verfassungsrechtlich garantiertes Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts (das gilt sowohl für die Bundesrepublik als auch die ehemalige DDR).

Oberflächlich betrachtet scheint dieses Diskriminierungsverbot jedenfalls im Rechts selbst durchgesetzt zu sein. Aber erstens ist immer zu unterscheiden zwischen einerseits den Rechtsnormen selbst und ihrer Anwendung in der Lebensrealität andererseits, und zweitens werden Widersprüche offenbar, wenn Regelungsmechanismen etwas genauer unter die Lupe genommen werden und Verbindungslinien zwischen Gesetzen und Verordnungen, Bundes- und Landesrecht zutage treten, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen.

So hat mich selbst die Reichweite des Personenstandsrechts überrascht, das 2013 ja dahingehend geändert wurde, dass bei geschlechtlich mehrdeutigen Kindern kein Geschlechtseintrag im Geburtenregister vorgenommen werden soll. Das Personenstandsrecht wirkt sich auf das ganze Leben aus, weil die

1 Ich weiß um die Schwierigkeiten, die mit diesen Begriffen verbunden sind und dass sie selbst teilweise als diskriminierend empfunden werden. Das Diskriminierungsverbot als andere Seite des Gleichbehandlungsgebots bedeutet, dass von bestimmten Merkmalen rechtlich abgesehen werden muss. In der Diskussion darüber und bei Prüfung der Frage, ob eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung und damit eine verbotene Diskriminierung vorliegt, müssen aber gerade diese Merkmale wieder gebraucht werden – was stets ein Dilemma ist. 2 „Diskriminierungspotentiale gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht", Expertise im Auftrag der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (Landesantidiskriminierungsstelle) der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, Berlin, Fachbereich für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI), Berlin: Oktober 2015. Sie kann gedruckt angefordert oder als pdf-Datei abgerufen werden; http://www.berlin.de/lb/ads/schwerpunkte/lsbti/materialien/schriftenreihe/ (9.12.2015). 3 Als nur männlich und weiblich umfassend wurde es erstmals 2010 in einer Verwaltungsvorschrift geregelt.

4_Statement_Plett.doc 1/2

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Standesämter verpflichtet sind, Mitteilungen an andere Ämter – in erster Linie die Meldebehörden – zu machen, die ihrerseits Informationen sammeln und weitergeben. Auf diese Weise gelangen Informationen über das einmal registrierte Geschlecht in zahlreiche andere Register – mit der Folge, dass überall geändert werden muss, wenn eine Änderung im Geburtenregister erfolgt.

Eine weitere Problematik, die sich aufgetan hat, ist durch die zunehmende Digitalisierung der Verwaltung veranlasst. Wo es früher die Möglichkeit gab, etwas auch mal offenzulassen oder anders auszufüllen, ist nunmehr alles durch Codierungen vorgegeben. Wie das zu geschehen hat, ist wiederum rechtlich geregelt; vor allem mussten und müssen die für einen Kontext erstellten Codierungen so beschaffen sein, dass sie für den Datenaustausch zwischen Behörden praktikabel sind. Und hier gibt es nun ein erstaunliches Ergebnis, veranlasst durch die Personenstandsgesetz-Änderung von 2013. Wollte der Gesetzgeber die Geschlechterbinarität aufrechterhalten durch die Regelung, dass in bestimmten Fällen die Rubrik „Geschlecht“ unausgefüllt bleiben soll, ist in der Logik der Computersprache daraus doch so etwas wie ein „drittes“ Geschlecht geworden: neben „m“ für männlich und „w“ für weiblich ein „x“ für weder weiblich noch männlich.

Geradezu vesteinert im Wortsinne ist die Geschlechterbinarität in der Ausgestaltung von Toiletten und Sanitärräumen in Arbeitsstätten und öffentlichen Gebäuden – auch dies in einer riesigen Anzahl von Rechtsvorschriften geregelt. Hieran – wie auch an anderen Regelungen, die auf Geschlecht mit der alleinigen Vorstellung von Geschlecht als entweder männlich oder weiblich Bezug nehmen, wie zum Beispiel für den Strafvollzug – wird ein Dilemma deutlich. Was ursprünglich einmal zum Schutz von Mädchen und Frauen gedacht war, kann zum Nachteil von trans- und intergeschlechtlichen Menschen umschlagen, aber nicht nur: Auf welche öffentliche Toilette geht ein Vater mit seiner dreijährigen Tochter, warum darf eine sportlich hochbegabte Schülerin in Phasen geschlechtsgetrennten Sportunterrichts nicht mit ihren Mitschülern trainieren?

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Es wird entlang normierter Linien auch dann differenziert, wenn es von der Sache her unnötig ist; zugleich wird nicht differenziert, wo es nötig wäre, nämlich aufgrund individueller Lebenslagen. Das Recht muss Diskriminierungen entgegensteuern und darf sie nicht noch befördern. Zugleich ist aber stets zu bedenken: Das beste Recht nützt nichts, wenn es nicht zugleich für wirksame Durchsetzungsmechanismen sorgt; denn nicht alle haben Zeit, Kraft und Ressourcen, ihre Rechte einzuklagen.

Außerdem ist zu bedenken, dass Geschlecht nicht das einzige verbotene Diskriminierungsmerkmal ist. Besonders schwer wird es für Menschen, die aufgrund weiterer Merkmale diskriminierungsgefährdet oder tatsächlichen Diskriminierungen ausgesetzt sind, etwa Geschlecht, Herkunft und Religion. Und sowohl bei der Analyse von Recht als auch bei Rechtsreformen ist sorgfältig darauf zu achten, ob wir uns die Berechtigten und zu Schützenden als Erwachsene oder als Kinder vorstellen. Denn die Menschenrechte gelten auch schon für Kinder, die noch nicht für sich selbst sprechen können.

4_Statement_Plett.doc 2/2

52 Fachtagung Trans- und Inter Panel I „Diskriminierungsfreier Umgang mit

Geschlechtervielfalt in Unternehmen und Verwaltungen“ 07. Oktober 2015

Impulsreferat Richard Köhler, Transgender Europe:

Die Situation transgeschlechtlichen Menschen im Zugang zur Arbeit und im

Arbeitsverhältnis

I. Einführung

Eingang: Für inter- und transgeschlechtliche Menschen gibt es einige

Überschneidungen aber auch Besonderheiten bezüglich ihrer Arbeitsmarktsituation.

Zum Beispiel ist die Schullaufbahn intergeschlechtlicher Menschen öfter geprägt von

Ausfällen, die mit medizinischen Zwangsmaßnahmen zusammen hängen, die als Folge schlechtere Abschlüsse, Lücken im Lebenslauf und somit schlechtere Chancen auf dem

Arbeitsmarkt haben. Während einige Aspekte die transgeschlechtliche Menschen am

Arbeitsmarkt betreffen auch für inter Menschen relevant sind, müssen beide Themen mit der notwendigen Detailtiefe und Aufmerksamkeit angegangen werden. Es würde deswegen Sinn machen Inter extra zu behandeln, was aber meine Kompetenz im

Rahmen diesen Vortrags sprengen würde. Ich werde mich im Folgenden vor allem auf die Situation von trans Menschen fokussieren.

Im Folgenden möchte ich kurz auf die Problemlage eingehen, die sich bzgl. Trans

Menschen im Zugang zum und am Arbeitsmarkt in Europa darstellt. Des weiteren wurde ich gebeten eine Reihe von Handlungsempfehlungen anzureißen. Ich werde hierzu

Vorschläge zur Verbesserung der Rechtslage, aber auch konkrete Vorschläge für

Antidiskriminierungsstellen sowie Verbesserungen in Unternehmen machen.

53 II. Problemlage

Die Probleme von transgeschlechtlichen Menschen im Zugang zum Arbeitsmarkt sowie

Schwierigkeiten einen Job zu behalten, sind akut in ganz Europa. Die EU-

Grundrechteagentur fragte 2012 fast 7.000 Trans-Menschen EU-weit nach ihren

Erfahrungen mit Diskriminierung und Gewalt, unter anderem auf dem Arbeitsmarkt.

Das Ergebnis ergab, dass lediglich 51% der transgeschlechtlichen Teilnehmenden der

Studie in bezahlten Jobs (Voll-und Teilzeit) sind, im Vergleich zu 68% der

Gesamtpopulation. Trans Menschen sind auch eher von Arbeitslosigkeit und

Unterbezahlung/ Verarmung betroffen als die Durchschnittsgesellschaft. (Quelle: für

Trans FRA Studie 2014 Being Trans in the EU; Hinweis: für Inter keine Zahlen,

Notwendigkeit für Forschung). Eine Schweizer Studie belegt, dass Trans-Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität mindestens einmal in ihrem beruflichen Leben unfreiwillig den Arbeitsplatz wechseln.

Bereits in bzw. vor Bewerbungssituationen ist für viele Trans Menschen bereits Schluss.

mangelnderBesonderheiten Eignung im Lebenslauf und Leistungsfähigkeit (Auszeiten, Brüche, missverstanden. Berufswechsel) Zeugnispapiere werden als und Zeichen

Empfehlungen, die auf eine Frau Meier ausgestellt sind, während Herr Meier schon längst mit Vollbart und rechtlich auch als Herr Meier lebt. Vor allem wenn Max Meier

überhaupt keine Lust hat seine_ihre Geschlechtervielfalt in das eine oder andere

Kästchen auf Online- oder postalischen Bewerbungsformularen zu pressen.

Die EU-Grundrechteagentur stellte fest, dass die Mehrheit der Trans*Menschen

54 als trans erkennen zu geben. sichAußerdem nicht genügend ergab die sicher Untersuchung fühlt, um im sich Bereich auf der Arbeit Arbeit folgende Ergebnisse, die gerade auch für Deutschland Handlungsanreiz sein sollten:

• 30% aller arbeitssuchenden Trans*Menschen wurden bei der Arbeitssuche in den letzten 12 Monaten diskriminiert (im Vergleich, in Deutschland: 32%),

• 23% aller Trans*Menschen wurden während ihrer Arbeit diskriminiert (DE: 23%),

Arbeit• 53% warenausgesetzt schon (DE: einmal 49%), negativen Kommentaren oder Verhaltensweisen bei der

Arbeitskolleg_in• 74% hatten negative als transgeschlechtlich Kommentare oder oder Verhaltensweisen lesbisch, schwul beobachtet oder bisexuell weil (LSBT)ein_e wahrgenommen wurde (DE: 68%),

• 64% waren immer oder oft nicht out, d.h. offen trans* bei der Arbeit (DE: 62%),

Diskriminierung• 58% meinten, es gegen gebe Trans*Menschen kein Gesetz, oder bei wussten der Stellensuche nicht, ob es verbietet ein Gesetz (DE: gibt, 52%), das die

Diskriminierung• Nur 15% aller Trans*Menschen gemeldet (DE: 12%), haben den letzten (allgemeinen) Vorfall von

Trans*Menschen• 76% sagen, dass abd Antidiskriminierungsmaßnahmen am Arbeitsplatz, die explizit

ecken, ihre Lebensqualität verbessern würden (DE: 78%),

Geschlechtszugehörigkeit• 87% sagen, dass die Vereinfachung (legal gender der recognition) rechtlichen eineAnerkennung deutliche derVerbesserung der

Lebensqualität mit sich bringen würde.

Geijtenbeek & Plug (2015) in den Niederlanden haben zudem die „doppelte Bestrafung“ von insbesondere Transfrauen am Arbeitsmarkt nachgewiesen. Durch eine Art Gender

Identity Pay Gap verdienen Transfrauen im Schnitt 20% weniger als vor ihrer Transition.

55 Die Forscher_innen konnten dafür jeweils anteilig die Transgeschlechtlichkeit sowie den

Gender Pay Gap als weibliche Abeitnehmer_in identifizieren.

Dies ist ein strukturelles Problem und bedarf eines vielschichtigen Lösungsansatzes.

Annahmen über „Frauen- und Männerarbeit“ und damit einhergehende Bewertungen bzw. Entwertungen werden bei transgeschlechtlichen Menschen potenziert.

denDas TranssexuellengesetzZugang zum Arbeitsmarkt (TSG) genannt. wird in Deutschland oft als Haupthinderungsgrund für

So geb

Trans*Personenen laut einer an, Untersuchung dass es sie sehr von belastet, 2012 von dass LesMigras ihr Trans*Sein 63% der immer befragten noch als

Verfahren„psychische zur Störung“ Geschlechtsangleichung gilt. 70 von 133 Befragten sie so sehr (52,6%) beansprucht, sagen, dass dasihr Lebensalltag amtliche darunter leidet. Besonders das teure, langwierige und belastende Gutachterverfahren gehört auf den Prüfstand. Dr. Güldenr der

Berufsstand der Psychiatrie denkbar ungeeigneting hat bereits ist Diagnosen 2013 aufgezeigt, zur Geschlechtsidentität dass zu stellen, da es weder eine psychiatrische Störung noch objektiv feststellbar sei.

Zudem sollten Rechtssicherheit über das Recht auf Neuausstellungen von Zeugnissen sowie die unbürokratische Handhabung von transgeschlechtlicher Schüler_innen

(offizielle Eintragung des Namens, Ausstellung von Zeugnissen, Teilnahme an geschlechtergetrenntem Sportunterricht etc.) gesetzlich verankert werden.

Das deckt sich mit unserer Analyse Trans Crossroads – Trans People’s EU Employment

Rights and National Gender Recognition Recognition Laws. Wir haben festgestellt, dass

56 das Problem des Ausschlusses vom Arbeitsmarkt sowie der Arbeitsplatzdiskriminierung maßgeblich von zwei Faktoren bestimmt ist:

(1) Zum einen, sind das einer inadäquater oder fehlender Schutz gegen

Diskriminierung und das Fehlen von angemessenen Maßnahmen, die den Schutz

und die Gleichstellung geschlechtlicher Vielfalt – und hier geht es nicht nur um

Frauen- und Männerquoten, sondern um die das ganze Spektrum an

Geschlechtern, welches trans-, inter- und alle anderen Menschen leben – pro-

aktiv voranbringen.

(2) Zum andren sind dies Zugangsbeschränkungen zur Änderung des Namens und

des Geschlechtseintrags in Ausweisdokumenten, sowie in anderen

Schlüsseldokumenten (Abschlusszeugnisse, Empfehlungsschreiben etc.) - oder

das komplette Fehlen eines solchen Verfahrens)

Der Erfolg von Gleichstellungsmaßnahmen die auf Trans Menschen am Arbeitsmarkt abzielen hängt vor allem von der Qualität der Verfahren zur Änderung von Namen und

Personenstand ab. Ohne schnelle, transparent und zugängliche Verfahren, die auf dem

Selbstbestimmungsrecht des Individuums beruhen, um Papiere von Trans*Menschen zu

ändern, müssen die Rechte von transgeschlechtlichen Arbeitnehmer_innen und deren

Bürger_innen- und Menschenrechte unvollständig bleiben.

Es ist deswegen nur folgerichtig, dass die Politik die Zugangsbestimmungen zu

Personenstandsänderungsverfahren auf den Prüfstand stellt, u.a. als eine Maßnahme um

Zugangsvoraussetzung von Trans Menschen am Arbeitsmarkt zu verbessern.

Während wir in anderen europäischen Nachbarländern diesbzgl. politische Initiativen und auch Gesetzesänderungen sehen, erhöht sich der Reformstau in Deutschland immer mehr. Bisher hat die Politik hier das Feld fast gänzlich dem Bundesverfassungsgericht

57 überlassen, welches das deutsche Transsexuellengesetz von 1980 in sechs

Entscheidungen fast gänzlich als nicht verfassungskonform befunden hat. Eine umfassende Reform des TSG bis heute überfällig und noch immer nicht in Sicht.

Transgender Europe hat mehrfach darauf hingewiesen, dass trans Menschen auch weiterhin benachteiligt bleiben werden, solange die nationale Gesetzgebung zur

Anerkennung der Geschlechtsidentität Trans-Menschen zusätzliche Härten aufbürdet.

Das Fehlen einer angemessenen gesetzlichen Regelung enthält einer klar erkennbaren

Bevölkerungsgruppe Ausweisdokumente vor, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Es ist deswegen geboten, dass sich die nationale Regierung, z.B.

Deutschland, aber auch die Europäische Kommission, sich für umfassende und spezifische Maßnahmen diesbezüglich einsetzen, und sich dafür eng mit Zivilgesellschaft und anderen europäischen Ländern austauschen.

Erfahrungen unserer europäischer Nachbarn in Malta, aber auch Dänemark oder Irland können und sollten deswegen auch eine menschenrechtskonforme Reform hierzulande anregen. Malta, Irland und Dänemark haben jegliche externe Prüfsteine und

Fremdeinwirkungen aus ihren Verfahren entfernt. In diesen Ländern gelten Trans

Menschen als mündige Bürger_innen und ihre Geschlechtsidentität wird respektiert.

Malta hat als erstes Land in Malta den Schutz der Geschlechtsidentität auf

Verfassungsrang eingeführt. Auf diesen weitgreifenden Reformeifer angesprochen, antwortet die zuständige maltesische Ministerin Dalli, dass es eine historische Schuld sei. Nach Jahrhunderten der Verachtung und des sozialen Ausschlusses wären es längst

überfällig trans- und intergeschlechtlichen Menschen Würde und Recht zuzusprechen.

58 Von dieser Sichtweise scheinen ihre zuständigen deutschen Kolleg_innen noch weit entfernt zu sein. Dies ist mehr als bedauerlich. Neben den Negativbotschaften hat die

Grundrechteagentur nämlich auch festgestellt, dass gezielte positive

öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Akzeptanz von LGBT Personen deren

Lebensqualität nachhaltig verbessern und in einem direkten Zusammenhang mit geringeren Diskriminierungserfahrungen stehen.

Vor diesem Hintergrund ist es auch angezeigt den bestehenden Rechtsschutz für trans- und intergeschlechtliche Menschen im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz klarer zu verankern. Die rechtliche Interpretation ist eindeutig, dass Geschlechtsidentität und wohl auch Intergeschlechtlichkeit durch das AGG abgedeckt sind. Allein, mehr als die

Hälfte von trans Menschen in Deutschland weiß dies nicht. Die eignen Rechte zu kennen ist aber eine Grundvoraussetzung sie auch in Anspruch nehmen zu können. Es würde auch Arbeitgeber_innen, Anti-Diskriminierungsstellen, Gleichstellungsbeauftragte und

Gewerkschaften Klarheit über bestehenden Rechtsschutz geben.

Dies ist geboten, und keine Überregulierung. Denn das Antidiskriminierungsrecht hat zum Ziel überkommene gesellschaftliche Zustände aktiv zu verändern und traditionell benachteiligte Gruppen zu unterstützen und Asymmetrien im Zugang zu Ressourcen abzubauen. Darüberhinaus wäre es gerade auch in Deutschland lohnend darüber nachzudenken, die Antidiskriminierungsstelle mit dem Recht Klagen zugunsten benachteiligter Gruppen anzustrengen oder zu begleiten, im Rahmen von strategischen

Fallführungen. Diese Kompetenzen waren ursprünglich im Mandat der ADS vorgesehen, wurden seinerzeit aber politisch nicht gewollt. Es ist an der Zeit diese Überlegungen und

59 auch des Verbandsklagerechts wieder aufzugreifen, damit der Diskriminierungsschutz in Deutschland effektiv greifen kann.

Einer der Hauptgründe warum sich trans Personen in Diskriminierungsfällen nicht an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden ist, die Frage: was können die denn schon ausrichten? Aus anderen Ländern, wie z.B. Schweden wissen wir, dass sich das

Vertrauen und die Bereitschaft sich an eine Gleichstellungsstelle zu wenden wächst, wenn es zumindest theoretisch die Möglichkeit einer rechtlichen Unterstützung im

Klagefall gibt.

Antidiskriminierungsstellen kommt in der Entwicklung und Umsetzung geeigneter

Strategien zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation von Trans- Menschen in

Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle zu. So können sie z.B. unter

Ausnutzung europäischer Gelder wichtige Impulse für praktische Verbesserungen geben und wichtige Akteure zusammenbringen. Zum Beispiel können öffentliche Stellen Gelder des Europäischen Sozialfonds beantragen um Situation von Trans-Menschen am

Arbeitsmarkt zu verbessern.

Die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung hat mit EU-Geldern in einem Europaweit einzigartigen Projekt Unternehmen, trans-Menschen, Behörden und Trans

Zivilgesellschaft zusammengebracht und konkrete Verbesserungen und Empfehlungen entwickelt.

Antidiskriminierungsstellen des Bundes und der Länder sollten pro-aktiv aufklären und spezifischen Informationen bereitstellen: für Trans Menschen (über ihre Rechte am

Arbeitsmarkt), Arbeitgeber_innen (mit Empfehlungen, FAQ und Vorlagen etc.),

Bildungseinrichtungen (z.b. Umschreiben von Zeugnissen etc.)

60

Eine wichtige Komponente ist eine Unternehmenskultur, die Geschlechtervielfalt wert schätzt. „Wir haben hier kein St. Pauli.“, „Ich hab ja nichts dagegen, aber unsere Kunden...“,

„Für einen Einzelfall braucht es keine Unternehmensinternen Richtlinien“ – Unwissenheit und Vorurteile auf Seiten der Arbeitgeber_innen werden oftmals geprägt und verstärkt durch eine einseitige mediale Präsentation und das Fehlen von positiven Rolemodels.

Das AGG sollte verbindlicher Teil der DIHK-Prüfungen z.B. Ausbildereignung in der

Wirtschaft und in Ausbildungsberufen werden. AGG-Schulungen sollten durch zertifizierte Expert_innen durchgeführt werden. Trans- und Interinhalte sollten darin fester Bestandteil sein.

Eine weitere grundlegende Voraussetzung sind eindeutige und verbindliche

Unternehmensrichtlinien zu Diversität, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung im

Unternehmen, wie die Charta der Vielfalt. Diese Richtlinien müssen eindeutig

Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck benennen und sollten durch das

Unternehmen pro-aktiv in der Belegschaft und besonders im Management verbreitet und gelebt werden. Öffentliche Arbeitgeber_innen aber auch private Unternehmen sollten zudem in ihren Vergaberechtrichtlinien darauf abzielen, nur Auftragnehmer zu verpflichten, die eine Charta der Vielfalt haben.

Klare Richtlinien über den Schutz und das Wohlergehen von Trans Beschäftigten können den Beschäftigten aber auch dem Management und Kolleg_innen wichtige

Anhaltspunkte geben. Insbesondere sollten sie die Atmosphäre schaffen für ein selbstbestimmtes Coming-Out und Regelungen für die Transition am Arbeitsplatz

61 enthalten. Schutz der Privatsphäre und Schutz gegen ungewollte Outings sowie praktische Fragen nach Benutzung von Toiletten, Waschräumen, Umkleiden und anderen nach Geschlecht getrennten Einrichtungen, Zugang zu Arbeitskleidung,

Dresscodes, Namensschilder, Visitenkarten, Firmenmail sollten sichergestellt sein, um

Trans Sichtbarkeit am Arbeitsplatz zu fördern.

Darüberhinaus braucht es Sensibilisierung und Training für Personal-Management,

Personal in Schlüsselpositionen, wie Gleichstellungsbeauftragte. Dies gilt insbesondere auch für diejenigen im Kundenkontakt mit trans Arbeitssuchenden/

Arbeitnehmer_innen. Sie sollten spezifische Kenntnisse erhalten und befähigt werden auf informierte und kompetente Weise Interviews zu führen und Arbeitsbeziehungen anzuleiten, und Verständnis dafür entwickeln, dass Transmenschen, wie andere

Menschen auch, diverse Fähigkeiten und Talente haben.

III. Zusammenfassung

Diese Empfehlungen lassen sich wie folgt zusammen fassen: Es braucht politischen Wille zu rechtlichen Veränderungen und die Bereitschaft in Unternehmen und Verwaltungen eine Atmosphäre zu schaffen, die trans- und intergeschlechtliche Menschen in ihrer

Identitäten respektiert und ihre Würde zelebriert.

62  Laut EU-Kommission (05.Mai 2015 Bericht zur Umsetzung der Güter-und

Dienstleistungsdirektive) ist Geschlechtsidentität ist analog zu „Geschlechtsangleichung“ geschützt

IV. Handlungsempfehlungen

Rechtliche Verbesserungen:

1.) Explizite Nennung von Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck im AGG

a. Explizite Nennung von Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck im

Mandat von Bundes- und Landesantidiskriminierungstellen,

b. Möglichkeit der rechtlichen Vertretung durch

Antidiskriminierungsstellen,

c. Einführung des Verbandsklagerecht

2.) Reform des TSG,

a. erleichterter Zugang zur offiziellen Anerkennung des gewählten Namens

und Geschlechts (Abschaffung der Gutachtenpflicht, einfache

administrative Praxis, Senkung der Kosten),

b. Verankerung des Rechts auf rückwirkende Änderung von

Ausbildungszeugnissen, Abschlüssen u.ä., die wichtig für das

Erwerbsleben sind

Policy:

1.) Entwicklung und Umsetzung geeigneter Strategien zur Verbesserung der

Arbeitsmarktsituation von Trans- Menschen in Zusammenarbeit mit der

Zivilgesellschaft und z.B. unter Ausnutzung europäischer Gelder (Europäischer

Sozialfond, für Mitgliedsstaaten reservierte Ausschreibungen im Bereich

Gleichstellung und Antidiskriminierung etc.)

63 2.) Vergaberechtrichtlinien

a. Vergaberichtlinien für öffentlich-rechtliche Auftraggeber nur

Auftragnehmer mit Charta der Vielfalt verpflichten

AGG als verbindlicher Teil der DIHK-Prüfungen (Ausbildereignung in der

3.) Wirtschaft & Ausbildungsberufe), sowie AGG-Schulungen durch zertifizierte

Expert_innen (keine online-Schulungen mit Copy & Paste Inhalten zu Trans etc)

4.) Proaktive Aufklärung z.b. durch die BADS:

a. Bereitstellung von spezifischen Informationen für Trans Menschen (über

ihre Rechte am Arbeitsmarkt), Arbeitgeber_innen (mit Empfehlungen,

FAQ und Vorlagen etc.), Bildungseinrichtungen (z.b. Umschreiben von

Zeugnissen etc.)

Arbeitgeber (privat, öffentlich-rechtlich und auch Gewerkschaften)

1.) Verabschiedung von eindeutigen Unternehmensrichtlinien zu Diversität,

Gleichstellung und Nichtdiskriminierung im Unternehmen, die eindeutig

Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck benennen sowie deren pro-aktive

Verbreitung

2.) Verabschiedung von Richtlinien über den Schutz und das Wohlergehen von Trans

Beschäftigten, inkl.:

a. selbstbestimmtes Coming-Out,

b. Transition am Arbeitsplatz,

c. Benutzung von Toiletten, Waschräumen, Umkleiden und anderen nach

Geschlecht getrennten Einrichtungen,

d. Arbeitskleidung, Dresscodes, Namensschilder, Visitenkarten, Firmenmail

etc.

64 e. Schutz der Privatsphäre und Schutz gegen ungewollte Outings,

f. Förderung von Trans Sichtbarkeit am Arbeitsplatz

Training für Personal-Management, Personal in Schlüsselpositionen bzw. im

3.) Kundenkontakt mit trans Arbeitssuchenden/ Arbeitnehmer_innen:

a. spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten für Erfahrungen von Trans-

Menschen

b. Befähigung auf informierte und kompetente Weise Interviews zu führen

und Arbeitsbeziehungen anzuleiten,

c. Verständnis dafür entwickeln, dass Transmenschen, wie andere

Menschen auch, diverse Fähigkeiten und Talente haben.

V. Good Practice:

• „Trans in Arbeit“ Das Projekt der Senatsverwaltung Berlin zur Verbesserung

der Arbeitsmarktsituation von Trans Menschen hat u.a. konkrete Empfehlungen

und Maßnahmenkatalogen entwickelt, zusammen mit Personalverantwortlichen

und Führungskräften in Unternehmen, Betriebs- oder Personalratsangehörigen,

Vertreter_innen der Arbeitsagentur/Jobcenter und der Sozialpartner, LSBT-

Mitarbeiter_innennetzwerke, Vertreter_innen der Öffentlichen Verwaltungen auf

europäischer, nationaler und Landesebene sowie trans- und intergeschlechtliche

Menschen und ihre Organisationen. Die Wanderausstellung „Trans* in der

Arbeitswelt“ zeigt in 12 Einzelporträts Trans Personen am Arbeitsplatz.1 Das

Projekt wurde aus Mitteln des EU PROGRESS Programms unterstützt.

1 http://www.berlin.de/lb/ads/schwerpunkte/lsbti/trans-in-arbeit/

65 • Die Stadt Madrid hat seit 2008 eine Vereinbarung mit der nationalen

Transgender Organisation, um die Aufnahme von Transgender-Personen in den

Arbeitsmarkt zu fördern. Dieses Programm beinhaltet Informationen über die

Rechte der Arbeitnehmer_innen und andere rechtliche Aspekte, die besondere

Betonung auf ihren Rechte als Transgender-Menschen am Arbeitsmarkt sowie

psychologische Beratung und Orientierung. Darüber hinaus ist innerhalb des

Madrider Rathauses eine Beamtin abgestellt, individuelle Teilnehmer_innen des

Programms zu unterstützen, bpsw. für Vorstellungsgespräche. Das Program steht

auch Migrant_innen offen. Die nationale Transgender Organisation hat

zusammen mit dem Madrider Arbeitsministerium ein Buch über die Rechte und

Erfahrungen von Transgender-Personen am Arbeitsmarkt veröffentlicht.2

Das Projekt wurde 2009 – 2012 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds

mitfinanziert.

• Das Personalrecht der öffentlichen Verwaltung der Stadt Zürich benennt seit 3 Geschlechtsidentität explizit als geschütztes persönliches Merkmal.

2013

• UNISON, die größte britische Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, hat eine

sehr aktive LGBT-Sektion, die sich aktiv für LGBT Mitglieder einsetzt und aktiv

2 Asociación Española de Transexuales AET-Transexualia Madrid, La inserción sociolaboral en las personas transexuales (2012) http://transexualia.org/socio-laboral/ Stadt Zürich, Personalrecht Verordnung über das Arbeitsverhältnis des städtischen Personals3 (PR) https://www.stadt- zuerich.ch/portal/de/index/politik_u_recht/amtliche_sammlung/inhaltsverzeichnis/1/ 177/Personalrecht.htmlArt 3 Abs. 1 li. K:

66 rekrutiert, z.b. bei CSD- und anderen LGBT-Veranstaltungen rekrutiert. Die

Gewerkschaft hat ihre Arbeit zu LGBT Gleichstellung sehr sichtbar gemacht und

mehrere Dokumente veröffentlicht, die Trans-Personen,

Gewerkschaftsvertreter_innen und Personalmanager_innen ansprechen. U.a.:

- Trans Rekrutierung Flugblatt, das die Vorteile der Mitgliedschaft in einer

Gewerkschaft für die trans Mitarbeiter_innen darlegt.

- Das Factsheet Transgeschlechtliche Arbeitnehmer_innenrechte, welches

regelmäßig aktualisiert wird, und Informationen über für die Verteidigung der

Rechte von Trans-Personen, und bewährte Verfahren für Arbeitgeber_innen und

Abteilungen der Gewerkschaft gibt.

- "Geschlechtsidentität, Eine Einführung für Gewerkschaftsvertreter die trans-

Mitglieder unterstützen", in dem UNISON-Leitlinien für die Verteidigung der

Rechte von Trans-Personen für die Gewerkschaften bereitstellt.

- Leitlinien für trans Gleichstellung in der post-schulischen Bildung, die sich an

Bildungsanbieter_innen richtet und besonders rechtliche Aspekte des in Bezug

auf Geschlechtervielfalt berücksichtigt.

• IBM blickt auf eine lange Tradition an LGBT-inklusiver Unternehmenspolitik

zurück, inkl. des weltweiten IBM Mitarbeiter_innennetzwerks EAGLE (Employee

Alliance for Gay, Lesbian, Bisexual and Transgender Empowerment). IBM

unterstützt proaktiv die Proud@Work Stiftung, LGBT Karrieremesse „Sticks &

Stones“ und beteiligte sich am Projekt „Trans* in Arbeit“; andere Unternehmen in

Deutschland: SAP, Siemens, Cisco Systems; Unsere Führungskräfte wissen, was zu

beachten ist, wenn ein Mitarbeiter sie wg. Trans* anspricht: SAP, IBM

67 • Transgender Europe als Arbeitgeber: Erklärung Chancengleichheit 4,

anonymisierte Bewerbungsverfahren, geschlechtsneutrale Berufsbezeichungen

und Toiletten, geschlechtersensible Vertragsvorlagen (Arbeitsverträge,

Honorarverträge, Arbeitsordnung), Arbeitsumgebung die Geschlechtervielfalt

wertschätzt,

4 http://tgeu.org/equal-opportunities-practice/

68 Wiebke Fuchs, Input Fachtagung am 7.10.2015

1.) Mit welchen Benachteiligungen sind transgeschlechtliche Menschen im Arbeitsleben konfrontiert?

• Diskriminierungen beim Zugang zu Arbeit, z.B. im Rahmen des Bewerbungsverfahrens, zum einen wenn die Transgeschlechtlichkeit offenbar wird oder auch wenn Besonderheiten im Lebenslauf (Auszeiten, Brüche, Berufswechsel) als Zeichen mangelnder Eignung und Leistungsfähigkeit negativ ausgelegt werden.

• Probleme bei einer Transition am Arbeitsplatz: die Probleme können reichen von nicht-ernst-Nehmen, Verweigerung der korrekten geschlechtsspezifischen Anrede und des neuen Vornamens, Verweigerung der Nutzung der entsprechenden Toiletten und Dusch/Umkleideräume, ungewünschtes Outen gegenüber Dritten, abfällige Witze, unangemessen intime Fragen nach Körperlichkeiten und medizinischen Maßnahmen, Benachteiligung bei Beförderung, ungewollte Versetzungen (z.B. weg vom Kund_innenkontakt) und alle Formen von Mobbing bis hin zum Arbeitsplatzverlust.

Transgeschlechtliche Menschen überlegen sich gut und häufig auch lange Zeit, ob sie ein Outing am Arbeitsplatz wagen können oder ob die Risiken zu groß sind. Ein wenig trans*freundliches Klima am Arbeitsplatz wirkt hierbei abschreckend.

Die gesellschaftliche Situation und das gesellschaftliche Klima sind immer noch wenig freundlich gegenüber geschlechtlicher Vielfalt:

Rechtlich und psychiatrisch gesehen: Transgeschlechtlichkeit wird weiterhin als psychische Krankheit kategorisiert, ein Wechsel von Vornamen und Personenstand ist weiterhin langwierig und teuer und die Antragsteller_innen müssen sich weiterhin einem Prozedere unterwerfen, das tief in ihre Intimsphäre eingreift.

Transgeschlechtliche Menschen sind in der Öffentlichkeit nur in sehr geringem Maße positiv sichtbar, insbesondere auch in der Arbeitswelt. Das wiederum führt zu der Ansicht, dass Trans* „kein Thema“ sei, weil es „das bei uns nicht gibt“, weil transgeschlechtliche Menschen einfach nicht sichtbar sind.

Wann ist ein wertschätzender und diskriminierungsfreier Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt in der Arbeitswelt erreicht?

Wenn Menschen sich frei für einen offenen Umgang mit ihrer Transgeschlechtlichkeit entscheiden können ohne Angst vor Benachteiligungen haben zu müssen.

Wenn die geschlechtliche Vielfalt im Kollegium als wertvolle Ressource statt als Problem angesehen wird und z.B. die Transition von Angestellten als eine persönliche Leistung und nicht als Defizit gesehen wird. Wenn die Geschlechterordnung aufgeweicht und flexibilisiert ist und sich den Bedürfnissen der einzelnen Menschen, ihrer Geschlechtsidentität und ihres Geschlechtsausdrucks anpassen kann.

69

Was muss passieren um einen diskriminierungsfreien Umgang zu erreichen?

Zu einem diskriminierungsfreien Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt in der Arbeitswelt können und müssen alle „Player“ beitragen: Arbeitgeber_innen und ihre Institutionen und Verbände, Arbeitnehmer_innen und ihre Vertretungen und Gewerkschaften, Nicht- Regierungsorganisationen insbesondere Selbstorganisationen von transgeschlechtlichen Menschen, Verwaltungen (z.B. Arbeitsagenturen), Politik und Gesetzgeber.

Arbeitgeber_innen:

• Abbau von Diskriminierungspotenzialen im Rekrutierungsprozess, z.B. mit anonymisierten Bewerbungsverfahren, aber auch durch Fortbildung von Personalverantwortlichen und Führungskräften • Ein explizit trans*inklusives Diversity-Management (ein reines Mitmeinen unter dem Stichwort „Vielfalt“ bleibt wirkungslos) • Explizite und verlässliche Regelungen zum Umgang mit einer Transition („Transition guidelines“) und Benennung einer Ansprechperson • Fortbildung von Beschäftigten inkl. Führungskräfte (z.B. Diversity-Training) • Einführung von zusätzlichen geschlechtsneutralen Toiletten, Dusch- und Umkleidemöglichkeiten mit Sichtschutz um einen diskreten Umgang mit der eigenen Körperlichkeit/Geschlechtlichkeit zu ermöglichen. • Sichtbarkeit der Trans*freundlichkeit führt dazu, dass sich Angestellte outen können und des erfahrungsgemäß auch vermehrt tun, dass (nicht nur) transgeschlechtliche Fachkräfte sich besser angesprochen fühlen und sich bewerben. • Arbeitgeber_innen-Verbände und ähnliche Institutionen können hierbei Beratung, Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit bieten, insbesondere auf für KMU’s, denn nicht jedes Rad muss neu erfunden werden.

Arbeitnehmer_innen, ihre Vertretungen und Gewerkschaften

• Aufgabe von Betriebs- und Personalräte ist es u.a. sich für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld einzusetzen und im Einzelfall Kolleg_innen zu unterstützen. Das können sie kompetent und wirksam tun, wenn sie die Vertretung von transgeschlechtlichen Kolleg_innen als ihre Aufgabe begreifen und sich fachlich fortbilden bzw. sich fachlich informieren und dies möglichst auch kommunizieren, damit transgeschlechtliche Kolleg_innen sich vertrauensvoll an sie wenden. • Beschäftigtenvertretungen können sich für den Abbau von Diskriminierung einsetzen, z.B. im Rahmen von Betriebs- und Dienst-Vereinbarungen sich für eine trans*inklusive Diversity-Politik einsetzen (z.B. Regelungen zum kollegialen Umgang) • Gewerkschaften können durch individuelle und politische Beratung und Interessenvertretung zum Abbau von Diskriminierung beitragen.

Nicht-Regierungsorganisationen von Trans*Menschen Trans*-NGO’s sind für alle genannten „Player“ kompetente Ansprechpartner_innen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Beratung und dem Empowerment von trans* Menschen. Für ihre Arbeit sind sie auf eine langfristige institutionelle Förderung angewiesen, damit sie subsidiär Beratungsleistungen erbringen können.

Verwaltungen

70 • Verwaltungen haben auch eine Funktion als Arbeitgeber_in und sollten in besonderem Maße vorbildliche Arbeitgeberinnen sein. Der Vorteil bei Verwaltungen ist, dass hier die Politik einen direkteren politischen Einfluss hat und deshalb vermutlich Maßnahmen zur Prävention von Diskriminierung leichter durch den politischen Willen befördert werden können. Landes- und Bundesgleichstellungsgesetze sollten explizit trans*inklusiv sein und explizit Maßnahmen vorsehen. • Arbeitsagenturen und Jobcenter können transgeschlechtliche Menschen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen und direkte und indirekte Diskriminierungen im eigenen Handeln und den eigenen Regeln und Richtlinien abbauen. Die Beauftragten für die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt sollten die Chancengleichheit für transgeschlechtliche Menschen explizit als ihre Aufgabe begreifen. Bei der Ausschreibung von Aufträgen an Dritte (z.B. Bildungsmaßnahmen, Coaching, ESF-Projekte) kann die Berücksichtigung geschlechtlicher Vielfalt als Qualitätskriterium mit ausgeschrieben werden. • Behörden und Ministerien (z.B. für Arbeit) können solche Arbeiten von NGOs und Verbänden finanziell unterstützen, neue Richtlinien für die Arbeitsagenturen herausgeben und entsprechende Fortbildung unterstützen.

Politik/Gesetzgeber • Politik kann die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt nicht alleine per Gesetz oder Verordnung erlassen, aber sie kann für gute Rahmenbedingungen sorgen, damit z.B. die vorher genannten Akteur_innen entsprechend aktiv werden. • Zu den guten Rahmenbedingungen gehört z.B. die Förderung von entsprechenden Projekten und Initiativen. • Vor dem Hintergrund des Projekts „Trans* in Arbeit“ zeigte sich der Bedarf nach einer Weiterentwicklung des Projekts auf Bundesebene, das könnte z.B. vom Arbeitsministerium gefördert werden. • Hilfreich wäre außerdem eine empirische Datenerhebung Studie zur Diskriminierungssituation von Trans* und Inter* auf dem Arbeitsmarkt, um daraus weitere gezielte Maßnahmen ableiten zu können und Aufmerksamkeit für die Problemlagen zu bekommen. • Als Gesetzgeber: Verbesserung des rechtlichen Schutzes vor Diskriminierung über das AGG hinaus (z.B. Tatsachenermittlung durch das Gericht) • Last but not least: Abschaffung des TSG in seiner jetzigen Form

71 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

Richtlinien zur Geschlechtsangleichung (SAP-Richtlinie zur Geschlechtsangleichung)

Version 2 Für alle Mitarbeiter

Februar 2014 Extern

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72 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung ...... 4 2 Definitionen ...... 4 3 Inhalt der Richtlinie ...... 6 3.1 Richtlinien für Mitarbeiter ...... 6 3.1.1 Ankündigung der Geschlechtsangleichung ...... 6 3.1.2 Äußeres Erscheinungsbild ...... 6 3.1.3 Mitarbeiter mit Kundenkontakt ...... 6 3.1.4 Zugang zu sanitären und zu Gesundheitseinrichtungen ...... 6 3.1.5 Recht auf Privatsphäre ...... 7 3.2 Richtlinien für das Management und die Personalabteilung ...... 7 3.2.1 Informationen und Unterstützung finden ...... 7 3.2.2 Vertraulichkeitserklärung ...... 7 3.2.3 Bedenken von Kollegen ansprechen ...... 8 3.2.4 Namensänderungen und Pronomenverwendung ...... 8 3.2.5 Gehaltsfortzahlung für transsexuelle Mitarbeiter ...... 9 3.2.6 Medizinische Behandlung und chirurgische Eingriffe ...... 9 4 Zusätzliche Informationen/Ressourcen ...... 9 4.1 Berufliche Vorbereitungen für eine Geschlechtsangleichung ...... 9 4.1.1 Mitarbeiter: Erweiterte Vorbereitung ...... 9 4.1.2 Vorgesetzte: Erstes Gespräch ...... 10 4.1.3 Vorgesetzte: Informations-/Ankündigungs-Meeting ...... 11 4.1.4 Vorgesetzte: Erster Tag der Geschlechtsangleichung am Arbeitsplatz ...... 12 4.1.5 Ressourcen für Mitarbeiter und Vorgesetzte ...... 12

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73 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

Deckblatt

Ziel Die folgenden Richtlinien dienen dazu, die Probleme am Arbeitsplatz anzusprechen, mit denen Transgender-Mitarbeiter möglicherweise im Laufe ihres Arbeitslebens bei SAP konfrontiert werden. Transgender-Mitarbeiter haben das Recht, ihre Geschlechtsidentität offen und ohne Angst vor möglichen Konsequenzen auszudrücken. Begründung

Warum (Vorteile und Strategieabstimmung) 'LHÄ*HVFKOHFKWVLGHQWLWlW³LVWHLQHGHUYLHOHQ Dimensionen, die unter den Schutz der globalen Richtlinien von SAP fallen, die eine Diskriminierung von Einzelpersonen auf der Grundlage des Geschlechts, der Geschlechtsidentität, des Geschlechtsausdrucks und/oder der sexuellen Orientierung untersagen. Aus den Geschäftsgrundsätzen (Code of Business Conduct), der SAP Diversitätsrichtlinie (SAP Diversity Policy), der globalen SAP- Personalbeschaffungsrichtlinie (SAP Global Recruiting Policy) sowie den Grundwerten von SAP geht klar hervor, dass es der festen Überzeugung von SAP entspricht, dass alle Mitarbeiter fair und mit Respekt behandelt werden. Risiko für SAP bei Nichteinhaltung x Klagen wegen Diskriminierung x Schlechtes Arbeitsklima, unzufriedene/kranke Mitarbeiter, geringere Produktivität/weniger Engagement SAP gilt nicht mehr als Top-Arbeitgeber

Geltungsbereich

Primäre Zielgruppe der Richtlinie x Alle Mitarbeiter weltweit

Vertraulichkeit x Externes Dokument

Durchsetzung x Eine Nichteinhaltung dieser Richtlinien kann Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Kündigung zur Folge haben.

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74 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

Zuständigkeit Verantwortlich für die Richtlinie x SAP Global Diversity & Inclusion Office

Vorstandsbereich x Personalmanagement (HR)

Unterstützendes Vorstandsmitglied x Bill McDermott, Stefan Ries

Ansprechpartner im Vorstandsbereich x Anka Wittenberg, Chief Diversity & Inclusion Officer

Prüfung durch x SAP Global Diversity & Inclusion Office, HomoSAPiens@SAP

Genehmigt von (Vorstandsmitglieder) x Stefan Ries (Februar 2014)

Dokumentinformationen

Veröffentlichungsdatum Version 1 x Juli 2008

Nächste Prüfung/Aktualisierung x Regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung nach Bedarf

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75 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

1 Einführung

'LH Ä*HVFKOHFKWVLGHQWLWlW³ LVW HLQH GHU YLHOHQ 'LPHQVLRQHQ GLH XQWHU GHQ 6FKXW] GHU JOREDOHQ Richtlinien von SAP fallen, die eine Diskriminierung von Einzelpersonen auf der Grundlage des Geschlechts, der Geschlechtsidentität, des Geschlechtsausdrucks und/oder der sexuellen Orientierung untersagen. Aus den Geschäftsgrundsätzen (Code of Business Conduct), der SAP- Diversitätsrichtlinie (SAP Diversity Policy), der globalen SAP-Personalbeschaffungsrichtlinie (SAP Global Recruiting Policy) sowie den Grundwerten von SAP geht klar hervor, dass es der festen Überzeugung von SAP entspricht, dass alle Mitarbeiter fair und mit Respekt behandelt werden. Eine Nichteinhaltung dieser Richtlinien kann Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Kündigung zur Folge haben. Dieser Leitfaden legt den Schwerpunkt auf spezifische Probleme, denen Transgender- Mitarbeiter im Verlauf ihres Arbeitslebens bei SAP begegnen können.

2 Definitionen

'LHIROJHQGH%HJULIIVOLVWHVHW]WVLFKDXVÄ/HKUEXFK-'HILQLWLRQHQ³ ]XVDPPHQ%HDFKWHQ6LHGDVVHLQ eingehendes Verständnis dieser und anderer Begriffe immer auch vor dem Hintergrund der Individualität jeder einzelnen Person zu sehen ist. x Coming-out: Vorgang, bei dem eine Person zum ersten Mal ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität anerkennt, akzeptiert und wertschätzt und diese anderen mitteilt. Dieser Prozess kann eine große Herausforderung darstellen und von einer Vielzahl von Emotionen EHJOHLWHWVHLQGDGLHVLFKÄRXWHQGH³3HUVRQRIWQLFKWZHL‰ZLH)UHXQGH9HUZDQGWH0LWDUEHLWHr und andere Personen darauf reagieren. x Geschlecht: Die auf biologischen Merkmalen basierende Fähigkeit zur Fortpflanzung, aus der sich die Bezeichnung einer Person als männlich oder weiblich ableitet. Die Klassifizierung ergibt sich aus der visuellen Beurteilung der Geschlechtsorgane des Babys durch einen Arzt. x Gender: soziale Dimension des biologischen Geschlechts. Die Gender-Rolle eines Individuums spiegelt die Pflichten, Eigenschaften und Erwartungen der Gesellschaft auf der Basis des sozialen Geschlechts (Gender) wider und umfasst erlerntes Verhalten wie die Gangart, das Aussehen, das Verhalten, den Kleidungsstil, den gewählten Beruf, den Vornamen usw. x Geschlechtsausdruck: 'HU%HJULIIÄ*HVFKOHFKWVDXVGUXFN³YHUZHLVWDXIGLHlX‰HUHQ0HUNPDOH und Verhaltensweisen, die gesellschaftlich als männlich oder weiblich angesehen werden, z. B. Kleidung, Körperpflege, Eigenheiten, Sprechweise und die soziale Interaktion. Soziale und kulturelle Normen können dabei weit voneinander abweichen. Merkmale, die in der einen Kultur als männlich, weiblich oder neutral gelten, werden in einer anderen Kultur völlig anders bewertet. x Geschlechtsidentität: 'HU %HJULII Ä*HVFKOHFKWVLGHQWLWlW³ YHUZHLVW DXI GLH DQJHERUHQH WLHI empfundene psychologische Identifikation als männlich oder weiblich, die nicht zwingend mit dem Körper oder dem bei der Geburt bestimmten Geschlecht übereinstimmen muss. x Geschlechtsangleichung: Der Prozess, bei dem eine Person ihre physischen Merkmale und/oder ihr geschlechtliches Ausdrucksverhalten an die eigene Geschlechtsidentität anpasst. x Transgender: Eine Vielzahl unterschiedlicher Individuen, die ihr soziales Geschlecht (Gender) als abweichend von ihrem biologischen Geschlecht empfinden und/oder ihr soziales Geschlecht davon abweichend ausdrücken, entweder durch ein entsprechendes soziales Verhalten oder durch eine Geschlechtsumwandlung. Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff, der transsexuelle Menschen sowie andere Menschen, die nicht den gängigen Geschlechterrollen entsprechen, zusammenfasst. Nicht alle Individuen, die sich als Transgender verstehen, unterziehen sich einer Geschlechtsangleichung.

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76 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

x Transsexuell: Eine transsexuelle Person ist dabei, das eigene physische und/oder vor dem Gesetz geltende Geschlecht so zu ändern, dass dieses mit dem inneren Gefühl der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt (bzw. hat diesen Prozess bereits abgeschlossen). Der Begriff kann für die Beschreibung von Personen verwendet werden, die ± ohne sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen ± sich vollständig gegenteilig zu ihrem biologischen Geschlecht verhalten und sich mit dieser Geschlechterrolle voll und ganz identifizieren. Nach der Geschlechtsangleichung vom Mann zur Frau bzw. von der Frau zum Mann verstehen sich Transsexuelle mitunter als Transfrau bzw. als Transmann, um dieser Geschlechtsangleichung Rechnung zu tragen. Die Transsexualität einer Person lässt keinen direkten oder vorhersagbaren Rückschluss auf die sexuelle Orientierung der Person zu. x Sexuelle Orientierung: 'LH ÄVH[XHOOH 2ULHQWLHUXQJ³ YHUZHLVW darauf, ob sich eine Person physisch und/oder emotional zu demselben oder zum anderen Geschlecht hingezogen fühlt. Ä+HWHURVH[XHOO³ ÄELVH[XHOO³ XQG ÄKRPRVH[XHOO³ VLQG VH[XHOOH 2ULHQWLHUXQJHQ 'LH VH[XHOOH Orientierung ist von der Geschlechtsidentität und dem Geschlechtsausdruck einer Person zu unterscheiden.

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77 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

3 Inhalt der Richtlinien

3.1 Richtlinien für Mitarbeiter

Transgender-Mitarbeiter haben das Recht, ihre Geschlechtsidentität offen und ohne Angst vor möglichen Konsequenzen auszudrücken.

3.1.1 Ankündigung der Geschlechtsangleichung

Mitarbeiter, die mit der Geschlechtsangleichung beginnen, müssen sich an ihren Human Resources Business Partner (HRBP) wenden und darauf vorbereitet sein, über ihre Pläne und Bedenken zu sprechen. Gegebenenfalls sollten sich diese Personen zuerst an den vertraulichen persönlichen Beratungsdienst von SAP Health & Diversity wenden bzw. das Global Diversity Office oder an ein Mitglied des Mitarbeiternetzwerks HomoSAPiens@SAP, das sich schwerpunktmäßig mit Fragen rund um lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Mitarbeiter (LGBT) befasst. Die Kontaktaufnahme kann telefonisch oder per E-Mail erfolgen, aber auch persönlich. Mitarbeiter sollten rechtzeitig vor dem Tag der geplanten Geschlechtsangleichung den Kontakt suchen. Nach der ersten Kontaktaufnahme mit der Personalabteilung muss der Vorgesetzte des Mitarbeiters nicht nur informiert, sondern auch in das unterstützende Team miteinbezogen werden. Mitarbeiter, die sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen, müssen darauf vorbereitet sein, gegenüber ihrem HRBP, Vorgesetzten und anderen Personen Aufklärung zu leisten, um die Erwartungshaltungen zu klären. Interne und externe Ressourcen, die Mitarbeiter mit geplanter Geschlechtsangleichung bei der Aufklärung unterstützen, werden am Ende dieses Dokuments aufgeführt. Transgender- Mitarbeiter haben das Recht, ihre Geschlechtsidentität offen und ohne Angst vor möglichen Konsequenzen auszudrücken.

3.1.2 Äußeres Erscheinungsbild

SAP hat das Recht, über das äußere Erscheinungsbild und das Verhalten am Arbeitsplatz seiner Mitarbeiter je nach Zuständigkeit, Arbeitsort und Funktion mitzubestimmen, soweit dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsablauf dient. Transgender- oder transsexuelle Mitarbeiter haben das Recht, sich in Überstimmung mit ihrer Geschlechtsidentität zu kleiden, wobei auch hier die gleichen Vorgaben zum äußeren Erscheinungsbild gelten wie für alle SAP-Mitarbeiter. Wann und wie Transgender- oder transsexuelle Mitarbeiter sich gemäß ihrer Geschlechtsidentität kleiden, ist die freie Entscheidung der betroffenen Person.

3.1.3 Mitarbeiter mit Kundenkontakt

Mitarbeiter haben das Recht, sich entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu kleiden, unabhängig davon, ob sie direkten Kundenkontakt haben oder nur eine interne Büroaufgabe übernehmen. Das Engagement von SAP zur Erhaltung eines positiven Arbeitsklimas und die Selbstverpflichtung zu gewissenhaftem und professionellem Wirtschaften können Kunden im SAP Code of Business Conduct und im Abschnitt Ä2XU&RPSDQ\± Diversity des öffentlichen Webauftritts von SAP unter sap.com einsehen.

3.1.4 Zugang zu sanitären und Gesundheitseinrichtungen

Transgender-Mitarbeiter haben das Recht, diejenigen Toiletten und nach Geschlecht getrennten Gesundheitseinrichtungen zu besuchen, einschließlich Fitnessstudios sowie Schließfach- und

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78 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

Umkleideräume, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Die Nutzung von angemessenen Einzel- oder Unisex-Räumlichkeiten kann während der Geschlechtsangleichung des Mitarbeiters bzw., wenn machbar, auch auf Dauer in Erwägung gezogen werden. Mitarbeiter, die sich im Prozess der Geschlechtsangleichung befinden, müssen nicht die Toilette ihres biologischen Geschlechts besuchen, nachdem sie mit der Geschlechtsangleichung begonnen haben.

3.1.5 Recht auf Privatsphäre

SAP respektiert die Privatsphäre ihrer Transgender-Mitarbeiter und wird keine medizinischen Informationen preisgeben, wenn dies nicht ausdrücklich erforderlich ist. Zudem können sich aktuelle und zukünftige Mitarbeiter, die Probleme mit Ausweisunterlagen haben (Gehaltsabrechnung, Versicherungsformulare usw.) vertrauensvoll direkt an ihren HR Business Partner wenden. Die Privatsphäre eines Mitarbeiters im Hinblick auf medizinische und andere Unterlagen kann durch die Rechtsprechung des Bundes, einzelner Staaten und Länder oder durch Datenschutzgesetze geschützt sein. Arbeitgeber sollten sich über ihre Verpflichtungen bei der Anforderung und beim Umgang mit den Personalunterlagen von Transgender-Mitarbeitern bei ihrem Rechtsberater informieren.

3.2 Richtlinien für das Management und die Personalabteilung

Eine Unterstützung von Mitarbeitern, die sich im Prozess der Geschlechtsangleichung befinden, sowohl durch die HR-Abteilung als auch durch den Vorgesetzten ist von entscheidender Bedeutung. Die Handlungen von Vorgesetzten können sich direkt auf das Ergebnis der Übergangs auswirken. Vorgesetzte und HR-Ansprechpartner können ihre Transgender- oder transsexuellen Mitarbeiter um weitere Auskünfte bitten oder sich Hilfe beim Global Diversity Office, den Health-&-Diversity- Ansprechpartnern vor Ort oder dem Mitarbeiternetzwerk HomoSAPiens@SAP holen, das auf Problemstellungen für lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-(LGBT-)Mitarbeiter spezialisiert ist. Vorgesetzte müssen sich beim Diskutieren dieser Fragen mit dem betroffenen Mitarbeiter darauf achten, zuzuhören und offen zu bleiben.

3.2.1 Informationen und Unterstützung finden

Die HR-Abteilung, mit Unterstützung durch das Global Diversity & Inclusion Office und/oder Health-&-Diversity-Vertreter vor Ort, kann Vorgesetzten mit Rat zur Seite stehen und diese beim Umgang mit Transgender-Mitarbeitern, Mitarbeitern, die sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen, und transsexuellen Mitarbeitern unterstützen. Vorgesetzte müssen sich mit ihren persönlichen Meinungen im Hinblick auf das Erscheinungsbild oder das Verhalten des Mitarbeiters zurückhalten. Wenn sich ein Mitarbeiter im geschäftlichen Rahmen unpassend verhält oder sich unpassend kleidet, muss mit dem Vorfall auf die gleiche Weise umgegangen werden wie bei allen anderen Mitarbeitern. Vorgesetzte müssen sich an ihren HRBP oder das Global Diversity & Inclusion Office wenden, wenn Sie Fragen oder Bedenken haben.

3.2.2 Vertraulichkeitserklärung

Der Transgender-Status eines Mitarbeiters ist als vertraulich anzusehen und sollte nur bei einem akuten Wissensbedarf (Need-to-know-Prinzip) und ausschließlich mit Zustimmung des Mitarbeiters offengelegt werden. Mitarbeiter, die sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen, werden nachdrücklich dazu aufgefordert, gegenüber ihren Kollegen Aufklärung zu leisten, unabhängig von der Geschäftsebene und zu einem Zeitpunkt, der ihnen gelegen erscheint.

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79 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

3.2.3 Bedenken von Kollegen ansprechen

Mangelndes Wissen in Transgender-Fragen kann zu Missverständnissen, Spannungen und Konflikten am Arbeitsplatz führen. Von Mitarbeitern wird erwartet, dass sie sich gemäß den Unternehmensrichtlinien verhalten, einschließlich unter Berücksichtigung des Code of Business Conduct und der Global Diversity Policy (verfügbar im SAP Corporate Portal ± Company ± Policies & Guidelines). Schulungs- oder Briefing-Sitzungen müssen vor Beginn der Geschlechtsangleichung des Mitarbeiters abgeschlossen sein. Diese liefern Kollegen und Vorgesetzten wichtige Informationen darüber, was zu erwarten ist, wenn die betreffende Person mit der Geschlechtsangleichung beginnt. Sich mit dem Thema der Geschlechtsangleichung vertraut zu machen und über den grundlegenden Ablauf dieses Vorgangs informiert zu sein ist wichtig, um zukünftige Missverständnisse und Probleme zu vermeiden. Diese Sitzungen können über das Global Diversity & Inclusion Office, die HR- Abteilung oder Health-&-Diversity-Vertreter vor Ort arrangiert werden.

Mitarbeiter, die Bedenken gegenüber Transgender-Kollegen äußern, müssen auf die SAP Global Diversity Policy verwiesen werden, die besagt, dass sie zur Zusammenarbeit mit Kollegen unabhängig von deren Geschlechtsidentität verpflichtet sind, und dass eine Unterlassung entsprechende Disziplinarmaßnahmen, einschließlich Kündigung, zur Folge haben kann. Wenn Mitarbeiter nach der Lektüre der Richtlinie Bedenken hinsichtlich des Erscheinungsbildes eines Transgender-Mitarbeiters äußern oder neugierig sind, welche Veränderungen im Erscheinungsbild oder im Verhalten des Kollegen zu erwarten sind, kann der Vorgesetzte mit diesen Mitarbeitern ein Treffen vereinbaren, um weitere Auskünfte zu erteilen und Fragen zu beantworten. Bei entsprechender Zustimmung des Transgender-Mitarbeiters kann ein informelles Team-Meeting einberufen werden, in dem der Mitarbeiter oder der Vorgesetzte die Geschlechtsangleichung ankündigt und Schulungen oder Briefing-Sitzungen zu Transgender-Fragen anbietet (siehe Abschnitt 4.1). Dies dient der Förderung eines gesunden Arbeitsklimas für alle Mitarbeiter.

Wenn ein Mitarbeiter nach der Lektüre der Richtlinie Bedenken gegenüber der Nutzung der sanitären Einrichtungen oder einer anderen nach Geschlecht getrennten Räumlichkeit durch einen Transgender-Mitarbeiter hegt, kann es diesem Mitarbeiter gestattet werden, eine andere Räumlichkeit oder eine Einzelräumlichkeit zu nutzen, wenn ein solcher Ort am Arbeitsplatz vorhanden ist.

3.2.4 Namensänderungen und Pronomenverwendung

Die Mitarbeiterunterlagen und arbeitsbezogenen Dokumente werden solange unter dem gesetzlichen Namen der jeweiligen Einzelperson (wie auf den Ausweisdokumenten aufgeführt, die zu Beginn des Arbeitsverhältnisses geprüft wurden) geführt, bis diese Person eine gesetzliche Änderung erwirkt. Wenn der gesetzliche Name einer Person nicht mit seinem/ihrem neuen Namen identisch ist, muss der neue Name für die gesamte Dokumentation (E-Mail, Telefonverzeichnis, Unternehmensausweis, Zugangskarte, Namensschild usw.) verwendet werden, außer wenn bestimmte Unterlagen mit dem gesetzlichen Namen übereinstimmen müssen, z. B. bei der Abrechnung oder bei Versicherungsdokumenten. Im alltäglichen Sprachgebrauch und Schriftverkehr müssen der neue Name und die neuen Pronomen verwendet werden, sobald der Mitarbeiter dazu bereit ist und die HR- Abteilung und den eigenen Vorgesetzten darüber informiert hat.

Während der Geschlechtsangleichung sind die Mitarbeiter unter Umständen unsicher, welche Pronomen verwendet werden sollen. Es ist durchaus angemessen, den Transgender-Mitarbeiter mit dem nötigen Respekt zu fragen, welches Pronomen verwendet werden soll. Wahlweise kann der sich einer Geschlechtsangleichung unterziehende Mitarbeiter auch von sich aus dem Kollegen das richtige Pronomen und einen Namen anbieten. Allgemein gilt es als taktlos und unhöflich, auf eine Person mit dem falschen Pronomen oder mit dem falschen Namen zu verweisen, nachdem im Vorfeld klar festgelegt wurde, welcher Name und welches Pronomen erwünscht ist.

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80 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

3.2.5 Gehaltsfortzahlung für transsexuelle Mitarbeiter

Vorgesetzte sollten einem transsexuellen Mitarbeiter ausreichend Flexibilität einräumen, damit dieser seine Arzttermine wahrnehmen kann. Beurlaubung wegen medizinischer Untersuchungen und Eingriffe, die im Zusammenhang mit der Geschlechtsangleichung stehen, muss auf dieselbe Weise behandelt werden wie die Beurlaubung bei sonstigen medizinischen Untersuchungen, die erforderlich und bereits eingeplant sind.

3.2.6 Medizinische Behandlung und Eingriffe

Der Prozess der Geschlechtsangleichung kann zahlreiche medizinische Behandlungen und eine oder mehrere Eingriffe umfassen. Mitarbeiter können sich im Rahmen einer Geschlechtsangleichung diesen Eingriffen unterziehen oder auch nicht (aus einer Vielzahl persönlicher Gründe). Der Eingriff an sich ist dabei aber nicht das eigentliche Ziel einer Geschlechtsangleichung. Wie auch bei anderen Aspekten der Geschlechtsangleichung müssen die Pläne mit den Betroffenen (Vorgesetzter, Team, HR) diskutiert und entsprechend kommuniziert werden, um die Erwartungen klar abzustecken und Ausfälle und Störungen weitestgehend zu minimieren. Von einem Mitarbeiter bekannt gegebene medizinische Informationen wie OP-Pläne müssen vertraulich behandelt werden.

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81 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

4 Zusätzliche Informationen/Ressourcen

4.1 Berufliche Vorbereitungen bei einer Geschlechtsangleichung

Dies sind die empfohlenen Schritte bei einer Geschlechtsangleichung am Arbeitsplatz für einen Transgender- oder transsexuellen Mitarbeiter bei SAP. Dieser allgemeine Prozess muss unter Umständen angepasst werden, um einer einzelnen Person oder einem bestimmten Unternehmen gerecht zu werden. Dieses Dokument dient als Ergänzung für die Planung einer Geschlechtsangleichung.

4.1.1 Mitarbeiter: Erweiterte Vorbereitung

1. Der Mitarbeiter teilt seinem/ihrem HRBP im Rahmen eines Treffens den aktuellen Stand bzw. VHLQH$EVLFKWHLQHU*HVFKOHFKWVDQJOHLFKXQJPLW VLHKHÄ(UVWHV*HVSUlFK³ZHLWHUXQWHQ 

2. Derselbe HRBP und der Mitarbeiter treffen sich mit dem Vorgesetzten des Mitarbeiters, um diesem die Absicht des Mitarbeiters einer Geschlechtsangleichung mitzuteilen.

a) Bei Bedarf Einbeziehung weiterer Personen, z. B. einen Transgender-Experten vor Ort, lokale Vertreter von HomoSAPiens@SAP, das LGBT-Mitarbeiternetzwerk oder eine Mitarbeiterberatungsstelle.

b) Die Beteiligten müssen sich mit den entsprechenden Informationsquellen vertraut machen, einschließlich der Unternehmensrichtlinie und Nachschlagewerken zu diesem Thema.

c) Berücksichtigung, wer im Unternehmen wann im Verlauf der Geschlechts- angleichung beteiligt werden muss.

d) Berücksichtigung besonderer Umstände, die besser frühzeitig angesprochen werden sollten.

3. Planung der Geschlechtsangleichung. Berücksichtigung von Fragen zu den folgenden Problem- stellungen:

a) Das Datum des Beginns der Geschlechtsangleichung, z. B. der Tag der Änderung des Geschlechts, der Pronomenverwendung und des Namens. Beachten Sie, dass sich das Datum der Geschlechtsangleichung in erster Linie nach der Situation und den persönlichen Bedenken des Mitarbeiters richtet. b) Wie das Team, die Kunden und/oder die Geschäftskontakte des Mitarbeiters über die Änderung informiert werden. Vor der offiziellen Ankündigung möchte der Mitarbeiter ggf. mit einigen Kollegen sprechen, um seine Pläne der Geschlechtsangleichung in einem vertraulichen Gespräch offenzulegen. c) Festlegung, ob eine Schulung oder ein Workshop zur Aufklärung der Mitarbeiter stattfinden soll d) Festlegung, welche Änderungen an Personalakten und Systemen vorgenommen werden müssen und wann e) Einholen von Informationen zur den aktuellen Richtlinien zur Vorbeugung von Diskriminierungen und Belästigungen des Mitarbeiters sowie über die dem Mitarbeiter zustehenden Leistungen. f) Festlegung der Kleiderordnung g) Diskussion des voraussichtlichen Plans für die Nutzung von nach Geschlecht getrennten Einrichtungen, z. B. Toiletten. h) Planung von Beurlaubungen wegen medizinischer Behandlungen (wenn bekannt).

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82 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

4. Erweiterte Vorbereitungen, die sicherstellen, dass Namensänderungen zum Tag des Beginns der Geschlechtsangleichung wirksam werden und Telefonanschlüsse, Namensschilder, Ausweise usw. am ersten Tag verfügbar sind. Siehe GD]XGLH/LVWHXQWHUÄ9RUJHVHW]WH(UVWHU 7DJGHU*HVFKOHFKWVDQJOHLFKXQJDP$UEHLWVSODW]³ZHLWHUXQWHQ%HUFNVLFKWLJXQJZLHYLHO=HLW bestimmte HR-Funktionen in Anspruch nehmen (z. B. offizielle Namensänderungen in HR- Systemen, E-Mail-Konten usw.)

4.1.2 Vorgesetzte: Erstes Gespräch

1. Versichern Sie dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin, dass das Unternehmen ihn/sie so weit wie möglich unterstützt. Versichern Sie dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin, das für ihn/sie die vorliegenden Richtlinien gelten, die im AbsFKQLWW Ä(LQIKUXQJ³ GLHVHV 'RNXPHQWV erläutert werden.

2. Stellen Sie gegenüber dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin heraus, dass Ihre Unterhaltung vertraulich geführt wird, und informieren Sie den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin darüber, dass Sie besprechen möchten, wie Sie und das Unternehmen ihn/sie während der Geschlechtsangleichung unterstützen können.

3. Fragen Sie den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin nach seinen/ihren Vorstellungen, welchen Beitrag Sie leisten können, um ihn/sie zu unterstützen. Klären Sie, wer der Hauptansprechpartner im Unternehmen für die Begleitung der Geschlechtsangleichung sein wird (Vorgesetzter oder HRBP), und planen Sie ein Treffen mit dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin ein, um sich auf einen Maßnahmenplan zu einigen, der den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin bei seiner/ihrer Geschlechtsangleichung unterstützt.

4. Fragen Sie den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin, ob er/sie die eigenen Vorgesetzten, Kollegen und Kunden selbst informieren möchte, oder ob eine andere Person dies für ihn/sie erledigen soll. Überlegen Sie sich dann das optimale Timing für diesen Prozess.

5. Fragen Sie den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin, ob er/sie seinen/ihren Namen ändern möchte. Wenn ja, fragen Sie, welchen Namen und welches Pronomen der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin in Zukunft verwenden wird, und ab wann er/sie damit angesprochen werden möchte.

6. Diskutieren Sie den erwarteten zeitlichen Ablauf und die angenommene Abwesenheit wegen medizinischer Behandlungen (wenn bekannt). Informieren Sie den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin darüber, dass die normale Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die normalen Urlaubsrichtlinien gelten.

7. Treffen Sie eine Vereinbarung über die Vorgehensweise bei der Einhaltung der Kleiderordnung im Unternehmen, und einigen Sie sich auf einen Zeitplan für den Beginn der Geschlechtsangleichung am Arbeitsplatz. Dabei handelt es sich in der Regel um den Zeitpunkt, an dem die betreffende Person beginnt, sich dauerhaft konform zu ihrer eigenen Geschlechtsidentität zu verhalten. Dazu gehört die Änderung des Namens, der Pronomenverwendung, der Kleider, des Erscheinungsbildes und des Aufsuchens der entsprechenden sanitären Einrichtungen.

8. Stellen Sie dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin die verfügbaren Ressourcen bereit, die LP$EVFKQLWWÄ5HVVRXUFHQ³GLHVHV'RNXPHQWVDQJHJHEHn sind.

9. Fragen Sie, was Sie sonst noch tun können, um den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin zu unterstützen.

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83 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

4.1.3 Vorgesetzte: Informations-/Ankündigungs-Meeting

1. Halten Sie ein Team-Meeting ab, oder integrieren Sie ein solches Meeting in ein bereits geplantes persönliches Meeting. Beziehen Sie über eine Telefonkonferenz alle Beteiligten mit ein, die sich nicht vor Ort befinden. Es müssen alle Personen im Team einbezogen werden, mit denen der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin häufig in Kontakt steht. Machen Sie diese Ankündigung nicht per E-Mail. Die Aushändigung eines Handouts im Rahmen des persönlichen Meetings ist optional. Der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin muss selbst entscheiden, ob er/sie bei diesem Meeting persönlich anwesend sein möchte.

2. Der Teammanager (z. B. Vorgesetzter oder Team Lead) muss die Ankündigung zusammen mit dem ersten Vorgesetzten in der Gruppe machen, um die entsprechende Unterstützung zu signalisieren. Der Vorgesetzte muss

a. klarstellen, dass es sich bei dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin, der/die sich einer Geschlechtsangleichung unterzieht, um einen wertgeschätzten Mitarbeiter handelt, der bei der Umsetzung seiner Entscheidung die volle Unterstützung des Managements genießt.

b. die Unternehmensrichtlinien und -empfehlungen erläutern.

c. betonen, dass am Tag des Beginns der Geschlechtsangleichung der Mitarbeiter konform zu seiner Geschlechtsidentität auftritt und dementsprechend behandelt werden muss (z. B. durch Ansprache mit dem neuen Namen und mit den neuen Pronomen).

d. mit gutem Beispiel vorangehen und den neuen Namen und die neuen Pronomen in der gesamten formellen und informellen Kommunikation verwenden.

e. klarstellen, dass die Zusammenarbeit im Team wie bisher fortgesetzt wird.

f. Fragen der Mitarbeiter beantworten.

g. wenn eine Schulungssitzung oder ein Workshop für die Geschlechtsangleichung vorgesehen ist, diese(n) entsprechend ankündigen. Die Schulungssitzung oder der Workshop muss jedoch vor dem ersten Tag der Geschlechtsangleichung angeboten werden.

4.1.4 Vorgesetzte: Erster Tag der Geschlechtsangleichung am Arbeitsplatz

Am ersten Tag der Geschlechtsangleichung muss der Vorgesetzte des Mitarbeiters sicherstellen, dass die folgenden Schritte ausgeführt wurden, ähnlich wie bei der Neueinstellung oder Versetzung eines Mitarbeiters:

1. Sicherstellen, dass der Mitarbeiter einen neuen Unternehmensausweis mit dem neuen Namen und einem neuen Foto erhält

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84 SAP-Richtlinie für Geschlechtsangleichung

2. Anbringung/Platzierung eines neuen Namensschildes an der Tür, auf dem Schreibtisch oder am Arbeitsplatz

3. Aktualisierung von Organigrammen, Verteilerlisten und anderen Verweisen auf den neuen Namen

4. Erledigung der Schreibarbeiten für die HR-Datenbank (wirksam zum ersten Tag der Geschlechtsangleichung) zur Änderung der folgenden Punkte:

a) Neuer Name

b) bQGHUXQJGHV*HVFKOHFKWVNHQQ]HLFKHQV Ä0³RGHUÄ:³ 

c) Aktualisierung der E-Mail-Adresse, wenn diese den alten Namen enthält

5. Der Vorgesetzte muss am ersten Tag zusammen mit dem Mitarbeiter vor Ort sein, um in das Thema einzuführen, den Mitarbeiter zu unterstützen, die respektvolle und einbeziehende Behandlung sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass die Arbeit wie gewohnt fortgesetzt wird.

4.1.5 Ressourcen für Mitarbeiter und Vorgesetzte

x Human Resources Business Partner vor Ort und HR-Abteilung x Health & Diversity-Bürostandorte vor Ort (Personal zur medizinischen und psychologischen Beratung vor Ort) x Employee Assistance Program (Programm zur Mitarbeiterbetreuung) x Global Diversity & Inclusion Office (Quick Link /diversity im SAP Corporate Portal) x SAP Global Diversity Policy x HomoSAPiens@SAP (Portal) x HomoSAPiens@SAP Community x Human Rights Campaign (Kampagne für Menschenrechte)

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85 Dan Christian Ghattas: Geschlechtervielfalt in Unterrichtsmaterialien (BADS 7.10.15)

Lassen sie mich mit meinem pädagogischen Hintergrund beginnen: 10 Jahre lang mehrmals in der Woche als Nachhilfelehrer gearbeitet, weitere 15 Jahre Studierende in mittelalterlicher Kultur unterrichtet. Kurz: Ich habe Erfahrung darin, Menschen Wissen zu vermitteln, die dieses nicht unbedingt aufnehmen wollen, u.a. deshalb weil es sie kaum interessiert, fern ihrer erfahrenen Lebensrealität ist oder ihnen zu sein scheint oder weil sie einen gut gefüllten Beutel gesellschaftlich akzeptierte Vorurteile mit sich herumtragen. Seit nunmehr über 10 Jahren bilde ich Menschen zu Transgeschlechtlichkeit und Intergeschlechtlichkeit fort, öffne also den Horizont für Lebenssituationen, die – trotz einigen Fortschritten in den letzten Jahren – immer noch stigmatisiert sind und in unserer Kultur – gerade auch der schulischen – immer noch weitergehend unsichtbar sind und gemacht werden.

Von transgeschlechtlichen und intergeschlechtlichen Menschen denken viele, auch Lehrende, dass sie „noch nie einen getroffen haben“. Und dass obwohl – ohne ihr Wissen – neben ihnen ein Transmensch wohnt oder sie gerade ihrer intergeschlechtlichen Kollegin die Hand geschüttelt haben. Trans*, gendervariante und intergeschlechtliche Menschen sind bis heute auch Menschen, auf die viele immer noch gerne ihre eigene Angst und Unsicherheit in Bezug auf Geschlecht projizieren.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Vor nicht allzu langer Zeit leitete ich ein Fortbildungsworkshop für Pädagog_innen zum Thema transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche in der Schule. Die Anwesenden reagierten auf die beschriebenen Diskriminierungen sehr unterschiedlich. Es gab allerdings – jedenfalls in besagtem Workshop – eine interessante Tendenz: Die Lehrer_innen, die schon länger im Schuldienst standen, kämpften viel stärker damit, die für sie neuen Informationen zu Trans* und Inter* in das eigene Wissen um die Welt und die eigene Lehrerfahrung zu integrieren. Sehr schwer taten sich diese Lehrenden z.B. damit, zu akzeptieren, dass es Kinder und Jugendliche in ihrer Klasse geben könnte, die sich körperlich von sogenannten Mädchen oder Jungen unterschieden. Denn sie hatten entweder noch nie davon gehört oder intergeschlechtliche Körper, etwa als Biologielehrer_innen, in ihrem Studium nur unter der Rubrik seltene Krankheiten und Entstellungen kennen gelernt. Und in dem Schulbuch, welches sie seit Jahren benutzten, dann genauso wiedergefunden. Dieses „Andere“, „Abartige“ und „Kranke“ mit den Kindern in Verbindung zu bringen, die sie tagtäglich im

1

86 Unterricht erlebten, war fast unmöglich für sie, aber sie lösten das Problem nicht durch Erschrecken sondern zunächst einmal durch Verweigerung, das neue Wissen als „wahr“ zu akzeptieren. In Bezug auf transgeschlechtliche Kinder und Jugendliche kreisten ihre Bedenken hauptsächlich darum, was es für sie als Lehrende bedeuten würde, wenn sie die Binarität der Geschlechter nicht mehr als Stütze hätten. So befürchteten einige, dass die Bitte um ein neues Pronomen und einen neuen Vornamen vielleicht nur zum Ziel haben könnte, ihre Autorität zu untergraben. Zudem war für sie Geschlecht an Körper gebunden und die sichere Bestimmbarkeit ein Garant der Hierarchie. Manche weigerten sich rundheraus, so einen Unsinn mitzumachen, da Jugendliche in dem Alter ja sowieso von einer Phase in die andere gingen. Einige fragten etwas unwillig, wie sie denn den „normalen“ Kindern die gewohnte Normalität noch vermitteln sollten, wenn sie gleichzeitig „Sonderkonzepten“ Rechnung tragen sollten.

Natürlich sind solche Reaktionen nicht notwendigerweise an ein bestimmtes Alter gebunden. Was aber in diesem Workshop so überdeutlich sichtbar wurde war, dass sich der Mangel an Wissen und das wiederholte Vermitteln und jahrzehntelange Verfestigen von Schulwissen zuallererst nicht auf die Schüler_innen auswirkt, sondern auf die Lehrenden, die dieses Lehrmaterial als Orientierung und Material benutzen. Und es zeigte sich, wie diese Einschränkung dazu führt, dass die realen Lebensumstände und die Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen abgetan und den eigenen Bedürfnissen untergeordnet werden. Aber dies gilt nicht nur für den „unaufgeklärten“ Teil des Lehrkörpers.

Ein Satz, den ich schon öfters von engagierten und „aufgeklärten“ Pädagog_innen gehört habe ist: „Also für die Kinder ist es schon schwierig genug zu verstehen, wie das mit schwul und lesbisch ist. Wenn ich den mit Trans* oder Inter* komme steigen die mir sofort aus.“ Dies wird dann als Begründung genommen, sich auf diese gesellschaftlich bereits besser etablierten Themen zu beschränken oder erst einmal zu sondieren, „wie weit“ man gehen kann. Aber diese Argumentation ist aus drei Gründen problematisch: Zum einen geht sie wie selbstverständlich davon aus, dass die Schulklasse aus normgerechten Schüler_innen besteht. Schwul, lesbisch, bi, trans und inter Kinder und Jugendliche sind die Abweichungen davon, die irgendwo anders zur Schule gehen. Nämlich in dem Viertel, wo normgerechte Schüler_innen nicht hingehen. Zum zweiten steht merkwürdigerweise in diesem Moment der Schutz jener Schüler_innen im Mittelpunkt, die der Norm entsprechen. Wenn sie aber tatsächlich der Norm entsprechen, sind sie allein deshalb in unsere Gesellschaft weniger

2

87 vulnerabel. Zum dritten geht diese Aussage davon aus, dass die Zielgruppe eines solchen Unterrichts die normgerechten Schüler_innen sind, denen allenfalls vorsichtig ein neuer Blick auf die Welt ermöglicht werden soll. Ist letzteres nicht seltsam angesichts der Tatsache, dass Schule und Schulstoff von Schüler_innen andauernd verlangt sich neues Wissen anzueignen, dies als Leistung feiert und dies seit Jahrzehnten in einem immer schnelleren Tempo einfordert? Und was ist mit der Orientierungsfunktion der Erwachsenen, die, wenn sie eine „Normalität“ als „normal“ vorleben, diese Realität auch für Kinder und Jugendliche „normal“ machen. Noch etwas kommt hinzu: Die Idee, dass die normgerechten Schüler_innen die Hauptzielgruppe der „Aufklärung“ seien. Dies lässt völlig außer Acht, dass diese Informationen und Inklusion im Unterricht am wichtigsten für die transgeschlechtlichen, gendervarianten und intergeschlechtlichen Schüler_innen sind, die sich dadurch vielleicht zu ersten Mal als sichtbar erfahren und langfristig womöglich die Chance erhalten, sich einer erwachsenen Person – oder sogar ihren Mitschüler_innen – zu öffnen. Die Blockade in den Köpfen, die auhc bei engagierten Pädagog_innen manchmal bei der Vermittlung von nicht-curriculärem, emanzipatorischem Wissen bestehen, zeigt sich natürlich doppelt und dreifach in den offiziellen Unterrichtsmaterialien, in denen, wie Melanie Bittner in ihrer Analyse von Schulbüchern klar gezeigt hat „die Norm der Zweigeschlechtlichkeit […] nicht hinterfragt wird, sondern ohne Problematisierung reproduziert wird“. Und das ist das eigentliche Problem, machen wir uns nichts vor. Denn bei all dem Bildungsanspruch und -auftrag den Schule hat und auch erfüllt, ist Schule auch der Ort, an dem normative Muster und normatives Wissen eingeübt werden. Wenn an einem solchen Ort das Lehrmaterial und die Lehre bestimmte Gruppen von Menschen nicht enthalten, sie ignorieren oder pathologisieren, dann sendet dies ein starkes Signal an die Lehrenden und Schüler_innen, die nicht zu dieser marginalisierten Menschengruppe gehören. Das Signal nämlich, dass marginalisierte Menschengruppe der Norm nicht entspricht, dass sie deshalb vernachlässigbar und nicht für das eigene Leben oder Lehren oder Lernen von Interesse ist. Für diejenigen Schüler_innen und Lehrenden, die zu dieser marginalisierten Gruppe gezählt werden müssen, bedeutet dieses Signal, sich still zu verhalten, ihre Persönlichkeit möglichst nicht zu entwickeln, damit, wenn überhaupt möglich, nicht auffällig wird, dass sie den normativen Vorgaben nicht entsprechen. Denn wenn sie „entdeckt“ werden oder sich outen, dann können sie – anders als die normgerechten Schüler_innen – zum Beweis ihrer Existenz – auf nichts verweisen: nicht auf ihrem Platz im Geschichtslehrbuch, nicht auf die Seiten im 3

88 Biologiebuch zur Sexualaufklärung, außer unter Fehlbildung und psychischer Störung, nicht auf das zu ihnen gehörende Pronomen im Fremdsprachenlehrbuch, denn sie kommen nicht vor.

Wie sollen diese Kinder und Jugendlichen in der Schule und später damit zurechtkommen, dass ihre Wahrnehmung und ihre Erfahrung von Welt, offenbar eine ganz andere ist als jene derer, die die Macht haben, Wissen zu schaffen und zu installieren? In dieser Hinsicht geht es transgeschlechtlichen, gendervarianten und partiell noch stärker intergeschlechtlichen Menschen, durchaus ähnlich wie Menschen mit Behinderungen und anderen gesellschaftlich an den Rand gedrängten Gruppen. Was mich zu dem Thema „Intersektionalität“ bringt, das wir noch nicht einmal berührt haben.

Wie muss also Unterrichtsmaterial beschaffen sein, das die Komplexität menschlichen Lebens und die – in unserer Gesellschaft immer noch besonderen – Erfahrungswelten transgeschlechtlicher, genderqueerer und intergeschlechtlicher Kinder und Jugendlicher thematisiert? Wir haben im Zug der Erstellung des Jugendportals meingeschlecht.de einen Good Practice Katalog erarbeitet, der unseres Erachtens für Forschung ebenso gilt wie für Schulbücher: Er umfasst Lebensweltorientierung, d.h. die Kenntnis über die Herausforderungen von gender-nonkonformen Existenzen; Menschenrechtsorientierung als Grundlage für den Schutz von inter*, trans* und genderqueeren Kindern und Jugendlichen als Individuen auch gegen gesellschaftlich dominante Vorstellungen von Geschlecht; Entpathologisierung, im Sinn eines respektvollen Umgangs mit den Selbstbezeichnungen und Lebenserfahrungen von Menschen und dem Ernstnehmen von Menschen als handelnde Subjekte, als Menschen mit eigenen Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen; Intersektionalität, die die Vieldimensionalität und Unterschiedlichkeit von Lebenssituationen und die Erfahrung in mehreren Dimensionen diskriminiert zu werden berücksichtigt; Partizipation, die trans*, inter* und genderqueere Personen oder Organisationen als Expert*innen in eigener Sache ernst nimmt und in die Erstellung von Unterrichtsmaterialen Kooperation auf Augenhöhe einbindet; Empowerment, im Sinn einer Förderung der Selbstermächtigung und Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen, einschließlich der Anerkennung des Erfahrungswissens und der Förderung von Austausch und Vernetzung von Kindern und Jugendlichen.

4

89 Das einzige Land auf der Welt, das diese Ziele auch für intergeschlechtliche, gendervariante und transgeschlechtliche Kinder und Jugendliche explizit in die eigene Schul- und Erziehungspolitik integriert hat, ist Malta, das diese Politik im Zuge des 2015 in Kraft getretenen „Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristic Act“ auf den Weg gebracht hat. Besagtes Gesetz schützt die Selbstbestimmung transgeschlechtlicher und intergeschlechtlicher Menschen u.a. in Bezug auf den Geschlechtseintrag in offiziellen Papieren und vor allem auch in Bezug auf die körperliche Autonomie auf absolut menschenrechtskonforme Weise und ist in Europa und in der Welt bislang einzigartig. Die maltesische Educational Policy und die entsprechenden Educational Procedures, zielt auf ein schulisches Umfeld, das inklusiv, sicher und frei von Mobbing und Diskriminierung für alle Mitglieder der schulischen Community ist, unabhängig von deren sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität, ihrem Geschlechtsausdruck und/oder ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen. Die Verordnungen bieten daher klare und detaillierte Anweisungen für ein empathisches, hilfreiches und menschenrechtskonformes Vorgehen.

[Power Point Folien]

Die Policy wie auch die Implementierungsvorschriften scheuen sich nicht, Diskriminierung klar beim Namen zu nennen. Und sie verpflichten Erwachsene dazu zu lernen. Diskriminierung im Unterrichtsmaterial wird nicht mehr geduldet. Vielen Dank.

5

90 Trans* und Inter*

in der Schule

Dr. Dan Christian Ghattas

91 Good Practice Kriterien

• Lebensweltorientierung

• Menschenrechtsorientierung

• Entpathologisierung www.meingeschlecht.de

• Intersektionalität

• Partizipation

• Empowerment 92 Malta Educational Policy

Irrespective of the incidence, every student deserves to be treated with respect and to be protected from violations of their human rights, including their right to be free from discrimination, harassment and violence (Council of Europe, Office of the Commissioner for Human Rights, 2009). Every student has a right to be encouraged to learn and to grow intellectually and emotionally without being asked to deny an essential component of their identity (Bochenek and Widney Brown, 2001). It is unacceptable that sex and gender minority students face the same social and developmental challenges as their peers but often should have to do so with the added burden of extreme social isolation, self-doubt, and fear (Weiler, E.M. 2003) (Malta Educational Policy, S.8)

93 Malta Educational Procedures

All students including trans, gender variant and intersex students have the right to discuss and express their gender identity and expression openly and to decide with whom, when and how much private information to share.

[…]

When such disclosure takes place, the adult in whom the student confides is to be empathic and immediately lead the student to seek help from school professionals. If approached, the School Support Staff (when this is age appropriate) would discuss with the student how they wish the school to support them, whilst being particularly sensitive with regard to the involvement of parents. (Malta Educational Policy, S.4)

94 Malta Educational Procedures

Name and Pronoun The student is to be addressed with their preferred name and pronoun congruent with their gender identity once the application in Court has been filed.

Dress Code During the period of transition the student may wear garments congruent with their gender identity within the school dress code policy. School Staff should not enforce a stricter dress code against trans, gender variant or intersex students than that of other students. (S.7) […]

95 Malta Educational Procedures

Access to Gender-Specific Activities and Areas

With respect to all toilets or changing facilities, students shall have access to facilities that correspond to their gender identity. Schools may maintain separate toilets or changing facilities for male and female students, provided that they allow students to access them based on their gender identity.

In any gender-specific facility, any student who is uncomfortable using a shared facility, regardless of the reason, shall, upon the student’s request, be provided with a safe and non-stigmatising alternative. However, requiring a trans, gender variant or intersex student to use a separate, non-integrated space threatens to publicly identify and marginalise the student as trans or intersex and should not be done unless requested by a student. Under no circumstances may students be required to use sex-specific facilities that are inconsistent with their gender identity. (S. 7)

[…]

96 Malta Educational Procedures

School Documentation Official documentation (e.g. school register) is to be changed following a Court ruling under the Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act. The school will change a student’s official records to reflect a change in legal name or gender upon receipt of documentation that such change has been authorised by the Courts. […] A student who has changed their legal gender may also request the school to reissue or exchange any official document or certificate relative to them according to their new name and gender. (S. 8)

[…]

97 Sensibilisierung von Mediziner_innen für Intergeschlechtlichkeit Fachtagung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Themenjahr gegen Geschlechterdiskriminierung "Gleiches Recht. Jedes Geschlecht."

Manuela Tillmanns, 7. Oktober 2015, Berlin

Intergeschlechtlichkeit bzw. Intersexualität wird im medizinischen Diskurs anhand eines Systems so genannter ‚Norm’-Abweichungen (Krankheiten, Störungen) bestimmt. Seit der Chicago Consensus Conference von 2005 hat sich hierfür vor allem der Terminus ‚Störungen der Geschlechtsentwicklung’ (engl. Disorder of Sex Development, DSD) durchgesetzt (vgl. Schweizer/ Richter-Appelt 2012a: 109; Schweizer 2012: 26f.). Anlässlich dieser DSD-Nomenklatur regte sich vor allem in Kreisen von Inter*-Verbänden und – Aktivist_innen 1 Widerstand (vgl. Schweizer 2012: 26f.). Aufgrund des stark pathologisierenden Charakters wird dieser Terminus sowohl von der bundesdeutschen Vertretung der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM) als auch von der Organization Intersex International (OII) abgelehnt (vgl. OII Deutschland o.J.) und ist nicht zuletzt auch in Wissenschaftskreisen umstritten (Klöppel 2010: 22). Zur Vermeidung des Störungsbegriffs sei daher alternativ die Rede von ‚Differenzen der Geschlechtsentwicklung’ (z.B. Institut für Sexualforschung Hamburg-Eppendorf) (vgl. Schweizer 2012: 26f.). Dieser Haltung schloss sich auch der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme an (vgl. Deutscher Ethikrat 2012: 12). Auch die weitverbreitete Bezeichnung Intersexualität wird der Komplexität von Geschlechtlichkeit nicht in ausreichendem Maße gerecht. Bevorzugt werden demnach in aktuellen Auseinandersetzungen und Diskursen die Begriffe Intergeschlechtlichkeit oder Inter*2 verwendet, die sich auf physische Merkmale und nicht auf (sexuelles) Begehren beziehen (vgl. Tillmanns 2015: 9). So heißt es als Selbstbezeichnung, dass im Fokus Menschen stehen, die sich „im Hinblick auf ihre äußeren und/oder inneren Geschlechtsmerkmale und/oder ihre so genannten Geschlechtshormone und/oder –

1 Als sprachliches Mittel dient der ‚Gender Gap’ (‚_’), um explizit alle Identitäten anzusprechen und einzubeziehen, die aus dem System der Zwei-Geschlechter-Ordnung exkludiert werden oder sich selbstbestimmt nicht verorten wollen (vgl. Herrmann 2007: 157f.). 2 Das Sternchen (‚*’) ersetzt die möglichen Suffixe ‚-sexuell’ bzw. ‚-geschlechtlich’ in bestimmten Komposita um eine Leerstelle für identitäre Diversität zu schaffen, Raum für weitere Selbstbezeichnungen zu bieten und pathologisierender Sprache eine Alternative entgegen zu setzen (vgl. Baumgartinger 2008, zit. n. Lenz et al. 2012: 7). Es gilt dabei aber auch in besonderem Maße darauf zu achten, dass der Gruppe intergeschlechtlicher Menschen keine Homogenität zugesprochen wird. Verschiedene Begrifflichkeiten werden individuell als Selbstbezeichnungen akzeptiert und verwendet, während andere explizit abgelehnt werden. Es wird keinen Terminus geben, der allen Menschen in gleichem Maße gerecht wird. Zudem ist Sprache fluide und unterliegt diskursiven Veränderungen, so dass Begrifflichkeiten, die heute als politisch korrekt gelten, morgen bereits überarbeitet, erweitert oder gar verworfen werden. 1 98 chromosomen nicht in die medizinische Norm männlicher und weiblicher Körper einordnen lassen“ (Barth et al. 2013: 6). Demnach geht es vielmehr um Varianzen von Geschlecht; um eine Anerkennung körperlicher Vielfalt, welche Intergeschlechtlichkeit nicht als medizinischen, sondern als gesellschaftlichen Handlungsplatz versteht. Durch diese terminologische Gegenüberstellung wird deutlich, dass die jeweilige (internalisierte) Haltung Auswirkungen auf die Art und Weise der Betrachtung sowie auf das daran anschließende Handeln hat und damit einhergehend auch auf die subjektive menschliche und professionelle Haltung gegenüber intergeschlechtlichen Menschen. In der Konsequenz bedeutet ein Umkehrschluss demnach, dass eine reflektierte und gendergerechte Sprache das Denken und Handeln beeinflusst, zu einer gesteigerten Sensibilität gegenüber intergeschlechtlichen Menschen führt und das Potential besitzt, den generellen aber vor allem auch medizinischen Umgang sowohl mit dem Thema Inter* als auch mit dem Personenkreis positiv verändert.

Zur Situation intergeschlechtlicher Menschen Intergeschlechtliche Menschen unterliegen in der Bundesrepublik Deutschland medizinischen Zuweisungs- und Vereindeutigungspraxen, die einer Logik der Anpassung an ein ‚Normgeschlecht’ (essentialistische Vorstellung von ‚typisch weiblich’ respektive ‚typisch männlich‘) folgen und dementsprechend Eingriffe an ‚uneindeutigen’3 Genitalien zum Zweck der optischen Angleichung vorsehen (vgl. Barth et al. 2013: 7). Diese geschlechtszuweisenden und -vereindeutigenden Operationen sind zumeist irreversible Eingriffe im Säuglings- und Kindesalter. Die häufigsten medizinischen Verfahren dabei sind: Gonadektomie (Entfernung der Hoden und Keimdrüsen), Klitorektomie (Reduktion der Klitoris), Anlegen einer Neo-Vagina, sowie unter Umständen darauffolgender lebenslanger Hormonsubstitutionen. Nicht selten wird diese medizinische Praxis von den behandelten Personen als gewaltvoll und traumatisierend erlebt (vgl. Zehnder 2011: 254ff.). Die ersten Anlaufstellen, die Menschen über ihre geschlechtliche Varianz unterrichten, sind in der Regel medizinische Institutionen. Dies geschieht entweder aufgrund der Geburt eines intergeschlechtlichen Kindes, der organischen Abklärung von gesundheitlichen Beschwerden (z.B. Leistenbruch und/ oder Bauchschmerzen) oder anderweitiger Vorkommnisse wie z.B. das Ausbleiben der Menstruation oder das Auftreten sekundärer Geschlechtsmerkmale, die (zunächst) der individuellen Geschlechtsidentität nicht entsprechen. Nicht selten ist unter Mediziner_innen noch immer die Vorstellung verbreitet, eine stabile Identifikation mit einem

3 Mit einem Verweis auf Andreas Hechler ist jedes Geschlecht prinzipiell eindeutig, entspricht nur nicht immer einem der beiden so genannten ‚Normgeschlechter’. Hechler kritisiert diese Normierungspraxis und konstatiert, dass eine genitale Eindeutigkeit ausschließlich in bipolar strukturierten Welt- und Gesellschaftsbildern existieren könne (vgl. Hechler 2014: 53). Demnach gilt es als übergeordnetes Ziel das Zwei-Geschlechter-Modell zu überwinden, um eine Enttabuisierung sowie Entpathologisierung von Trans- und Intergeschlechtlichkeit zu bewirken. 2 99 der beiden Geschlechtermodelle sei als Grundbedingung psychischer Gesundheit und sozialer Einbindung anzusehen (vgl. Klöppel 2013: 94). Dass diese Forschungstheorie mittlerweile überholt ist, bestätigen nicht zuletzt die Outcome- Studien4 zu den medizinischen Behandlungen intergeschlechtlicher Menschen. Aussagen aus den Ergebnissen zentraler deutschsprachiger Studien (Studie des Netzwerks DSD/ Intersexualität 2005-2008, Hamburger Studie zu Intersexualität 2007-2008, Erhebung des Deutschen Ethikrates 2011) verzeichnen insgesamt einen hohen psychosozialen Belastungsgrad. Vor allem in Bezug auf die Lebensqualität werden häufig Beeinträchtigungen des seelischen Wohlbefindens benannt. Im Zusammenhang damit sinke die Lebensqualität mit steigendem Alter und ein entsprechender Anstieg behandlungsrelevanter psychischer Symptome wie Depressionen, Ängste, reaktive Störungen und sozialer Rückzug sei zu verzeichnen (vgl. Kleinemeier/ Jürgensen o.J.: 21; Wunder 2012: 37f.). Sowohl die erhöhte Beeinträchtigung des subjektiven Körpererlebens (genitaler Sensitivitätsverlust) (vgl. Brunner et al. 2012, zit. n. Schweizer/ Richter-Appelt 2012b: 190), als auch der sexuellen Lebensqualität (Angst vor Schmerzen und dem Eingehen von Partner_innenschaften) werden in Zusammenhang mit den erlebten chirurgischen Eingriffen gebracht (vgl. Schönbucher et al. 2010, zit. n. Schweizer/ Richter- Appelt 2012b: 190). Psychosoziale Maßnahmen, wie etwa Beratung und Information erhalten intergeschlechtliche Menschen hingegen nur in unzureichendem Maße. Eine Schnittstelle zwischen Medizin, Beratung und intergeschlechtlichen Personen (Peers) existiert gegenwärtig genauso wenig wie eine professionelle, fachspezifische und psychosoziale Beratung im Sinne standardisierter Beratungsgrundlagen durch Menschen mit ausgewiesenen Beratungskompetenzen und dezidiertem Fachwissen. Die vorgebrachte Kritik richtet sich hauptsächlich gegen ein unzureichendes Informationsmanagement und damit einhergehend die Art und Weise der Diagnose- Mitteilung durch Mediziner_innen. Insbesondere die Dauer des diagnostischen Prozesses wird als äußerst belastend erlebt. Dies betrifft einerseits konkret das zeitliche Ausmaß; Ärzt_innen nehmen sich wenig bis keine Zeit, um die Diagnose adäquat-explizit zu vermitteln, stattdessen erfolgt die Information oft beiläufig und unangemessen, wenig sensibel und in medizinischem Fachjargon. Die Situation der Diagnose-Übermittlung wird als Moment schwerer Verunsicherung benannt. Die verfehlte professionelle Haltung durch eine mangelnde Sensibilität vieler Mediziner_innen führt dazu, dass intergeschlechtliche Menschen in vielen Fällen ihre persönlichen Grenzen verletzt sehen (vgl. Schweizer/ Richter- Appelt 2012b: 194). Die Vorbesprechung und Durchführung medizinischer Eingriffe erfolgt ausschließlich mit dem Ziel genitaler bzw. chirurgischer ‚Korrektur’. Folgeeingriffe sowie Probleme mit Vernarbungen werden oft im Vorfeld nicht benannt. Grundsätzlich fehlt ein

4 Outcome-Studien untersuchen die Auswirkungen medizinischer Eingriffe auf Wirksamkeit und Lebensqualität. 3 100 Umgang mit der emotionalen Betroffenheit der Eltern. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Veränderungen des medizinischen Handelns und Beratens dringend erforderlich sind.

Medizinische Handlungsempfehlungen im Umgang mit Eltern intergeschlechtlicher Kinder In der Regel erfahren Eltern erst zum Zeitpunkt der Geburt, dass ihr Kind intergeschlechtlich ist. Diese Tatsache löst in einem ersten Schritt Sorge um die Gesundheit des Kindes sowie Verunsicherungen und Überforderung aus, was Intergeschlechtlichkeit für sie als Eltern, für das Kind und für das gemeinsame Familienleben bedeutet und mit welchen konkreten Anforderungen und Auswirkungen sie sich konfrontiert sehen (vgl. Sabisch 2014: 57; Intersexuelle Menschen e.V. 2009: 3). In einem zweiten Schritt entstehen Gefühle von Angst vor den Reaktionen des sozialen Umfeldes, des erweiterten Nahraumes und möglicher gesellschaftlicher Stigmatisierungen und Diskriminierungen. Meistens stehen diese Ängste in Verbindung mit fehlendem (Sach-)Wissen über Intergeschlechtlichkeit. Deshalb ist es in diesen Situationen Aufgabe von Mediziner_innen sowie des medizinischen Fachpersonals ‚Brücken zu bauen’, um die Eltern zu einem offenen Umgang mit der Intergeschlechtlichkeit ihres Kindes zu ermutigen, befähigen und begleiten. Der Zugang zu Fachinformationen fördert eine akzeptierende Grundhaltung und unterbindet Ablehnung und Irritation (vgl. Tillmanns 2015: 92f.). Der unbefangene Umgang von Kindern mit ihrer eigenen Geschlechtlichkeit begünstigt eine generelle Veralltäglichung von Intergeschlechtlichkeit in gleichem Maße (vgl. Sabisch 2014: 58f.), wie ein regelmäßiges ‚darüber sprechen’ (Transparenz, kein Schweigegebot) zwischen Eltern und Kind, zwischen Mediziner_innen und Eltern und Kind, sowie innerhalb gesellschaftlicher Strukturen und Bildungseinrichtungen. Begleitend zur Diagnoseübermittlung werden folgende Empfehlungen vorgestellt, die sich wesentlich am Hebammen-Leitfaden des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. (IMeV) zur Unterstützung und Entwicklung von Verhaltensweisen im Umgang mit intergeschlechtlichen Neugeborenen und ihren Eltern orientieren. Demnach gilt vor allem der Erstkontakt als entscheidende Phase nach der Entbindung, der immer auch situationsabhängig vorbereitet werden muss. Aufgrund möglicher Einflussfaktoren wie dem Geburtsverlauf, der psychischen und physischen Konditionen der Eltern bzw. der Mutter ist hierbei besondere Sensibilität geboten. Zudem ist wissenswert, ob bereits ein ärztliches Gespräch stattgefunden hat, ob und in welcher Form die Diagnose übermittelt wurde und welche fachlichen Hilfen darüber hinaus (Hebammen, Psycholog_innen, Peer-Berater_innen) bereits involviert oder angefragt sind.

4 101 Eine empathische und gründliche Vorbesprechung und Abstimmung aller beteiligten Fachdisziplinen mit dem Ziel einer transdisziplinären Zusammenarbeit, erspart den Eltern überfordernde bzw. sich wiederholende (traumatisierende) Situationen. Als goldene Regel eines jeden Beratungsgespräches gilt die Schaffung einer angenehmen Atmosphäre. Insbesondere bedeutet dies, den Ratsuchenden, in diesem Falle den Eltern, Ruhe und Geborgenheit zu vermitteln, Vertrauen auszustrahlen, Empathie und Sensibilität als Kern-Kompetenzen zu verstehen sowie Transparenz und Offenheit im professionellen Vorgehen zu wahren und die beteiligten Personen ausreichend in Kenntnis über anschließende Prozesse zu setzen (vgl. IMeV 2009: 2). Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass ein umfassender diagnostischer Vorgang mit langen Wartezeiten verbunden ist. Besonders wichtig ist im Kontext von Intergeschlechtlichkeit keinen voreiligen Handlungsdruck zu erzeugen (vgl. Reutlinger 2004: 1196). Es braucht Zeit die Tragweite dieser neuen Situation zu erfassen und die eigenen Befindlichkeiten zu überblicken. Empfehlenswert ist diesbezüglich eine längerfristige psychosoziale Prozessbegleitung außerhalb medizinischer Strukturen. Für die akute Situation, z.B. bei der Entbindung, greift das Angebot so genannter ‚Sofortpat_innen’, die Familien mit intergeschlechtlichem Kind das Vorhandensein einer parteilichen Vertrauensperson zusichert. Diese Sofortpat_innen entstammen der Selbsthilfe; ihre Kontaktdaten liegen fortschrittlichen Kliniken vor, so dass sie bei Geburt eines intergeschlechtlichen Kindes eine Begleitung der Eltern anbieten können, solange sich die Familie mit Kind noch in der Klinik aufhält, gegebenenfalls auch darüber hinaus. Weitere Informationen können beim Verein Intersexuelle Menschen erfragt werden (vgl. IMeV 2009:4). Das vom Deutschen Ethikrat geforderte Einsetzen so genannter Ombudspersonen verfolgt das Anliegen, das Kindeswohl gegenüber der elterlichen Sorge zu verteidigen. Ombudspersonen werden vom Familiengericht gemäß 158 FamFG in Entscheidungen hinzugezogen um ausschließlich die Interessen des Kindes zu vertreten und die Stellvertreter_innen-Position der Eltern kritisch zu hinterfragen (vgl. Deutscher Ethikrat 2012: 176). Auch dieses Vorgehen sollte grundsätzlich immer mit einer parallelen Vermittlung und Anbindung zu Inter*-Selbsthilfe- und Versorgungsstrukturen, z.B. Elterngruppen, einhergehen (vgl. IMeV 2009: 3). Wichtig für die generelle Betrachtung ist: Jeder Fall von Intergeschlechtlichkeit ist individuell unterschiedlich; nicht selten erhoffen Eltern eine allgemeingültige, entlastende Aussage, die ihnen in diesem Zusammenhang explizit nicht gegeben werden darf (vgl. ebd.: 1). Allerdings kann der Angst der Eltern insofern begegnet werden, dass sie darüber aufgeklärt werden, dass die Formen von Intergeschlechtlichkeit, die keiner medizinischen Indikation unterliegen, grundsätzlich weder die Gesundheit noch die frühkindliche Entwicklung des Kindes beeinträchtigen (vgl. ebd.: 2). Es geht in diesem Zusammenhang vor allem darum, bei der

5 102 Wahrung höchstmöglicher Objektivität und Sachlichkeit gleichzeitig empathisch zu sein und persönliche Bewertungen sowie Meinungen zu unterlassen. Dabei kommt vor allem der Reflexion über die eigenen verinnerlichten dichotomen Denkkategorien eine besondere Bedeutung zu, was in gleichem Maße für die Sensibilisierung gegenüber möglicher Grenzüberschreitungen gilt. Diese Hinweise müssen zwingend auch an medizinisch- klinisches Pflegepersonal vermittelt werden (z.B. über Multipliktor_innen-Schulungen und Fortbildungen) (vgl. Tillmanns 2015: 95). Erstdiagnosen führen häufig zu Überforderungsgefühlen bei den Eltern, es kann hilfreich sein, in diesen Momenten eine geschützte Rückzugsmöglichkeit anzubieten, z.B. in Form eines Einzelzimmers, um die neue Situation wirken zu lassen (vgl. IMeV 2009: 3). Grundsätzlich gilt: Solange keine medizinische Indikation vorliegt sollten keine chirurgischen Maßnahmen angeraten und durchgeführt werden, denn genau diese medizinischen Entscheidungen werden häufig überstürzt getätigt. Deshalb ist ein gut strukturierter und die grundsätzlichen Kriterien der Gesprächsführung beachtender Erstkontakt nicht zu unterschätzen. Ethische Richtlinien unterstützen eine abwartende Haltung sowie die Forderungen ‚Betroffener’ 5 nach einem Moratorium und zielen bei einer Entscheidung über mögliche Eingriffe vor allem auch auf die körperliche Integrität, die allgemeine Lebensqualität, Reproduktionsfähigkeit, das sexuelle Erleben sowie die freie Persönlichkeitsentfaltung. Im Fokus stehen deshalb immer die Partizipationsrechte der Kinder. Der psychischen und sozialen Unterstützung der Eltern und des Kindes kommt ein höherer Stellenwert zu als dem Herstellen biologischer ‚Normalität’. Auch die Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität bestätigt, dass „geschlechtliche Uneindeutigkeit per se keine behandlungsbedürftige Kondition [ist]“ (Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität 2008: 242). Schlussfolgernd daraus wird ersichtlich, dass Eltern selbst Unterstützung und Begleitung benötigen. Das heißt, wenn Eltern ‚Schwierigkeiten’ mit der Akzeptanz der Intergeschlechtlichkeit ihres Kindes haben, dann muss der vorrangige und ausschließliche Ansatzpunkt in der Elternarbeit angesiedelt und der Schutz der Kinder vor körperlicher Unversehrtheit sowie der Wahrung ihrer sexuellen und geschlechtlichen Integrität gewährleistet werden. Alle Entscheidungen sind demnach immer so zu treffen, dass das Kind auch als später erwachsene Person mitgedacht wird.

5 Der Terminus ‚Betroffene’ wird seitens der Selbstorganisationen kritisch betrachtet und im Sinne von ‚betroffen von einer Krankheit sein’ verstanden. Dies impliziert eine gewisse Passivität, mit der sich intergeschlechtliche Menschen oft nicht identifizieren können oder wollen. Dennoch gibt es auch Personen, die sich durchaus von medizinischen Maßnahmen und Eingriffen gegen ihren Willen betroffen fühlen. Um beidem in gewissem Maße gerecht zu werden, wird der Begriff der ‚Betroffenheit’ im Folgenden in Anführungszeichen gesetzt. 6 103 Die zusammenfassenden wichtigsten Anregungen zum medizinischen Umgang mit Intergeschlechtlichkeit: 1. Einführung eines bundesweiten und gesetzlichen Operationsverbotes im Sinne eines Moratoriums. Demnach dürfen Eingriffe nur nach umfassender Aufklärung und mit ausdrücklich informierter Einwilligung der intergeschlechtlichen Person durchgeführt werden. 2. Es gilt eine ausreichende sowie umfassende Aufklärung und Information hinsichtlich aller Stationen der Diagnostik, operativer Wege sowie Hormonbehandlungen gegenüber Eltern und intergeschlechtlichen Personen zu gewährleisten. Dies gilt auch im Nachhinein und wendet sich im Sinne einer umfassenden Dokumentationspflicht auch gegen den Verschluss der Krankenakten. 3. Humane und wertschätzende Transparenz der Diagnose (hinsichtlich Besonderheiten der Diagnose, tatsächliche und befürchtete Folgen und Risiken von Eingriffen, Aufzeigen von Perspektiven und alternativen Behandlungsmethoden). Das beinhaltet ebenso die explizite Nennung der Möglichkeit einer Nicht-Operation. 4. Das Recht auf eine individualisierte und selbstbestimmte medizinische Behandlung, z.B. bei der freien Wahl der (substituierenden) Hormone und ihrer Finanzierung als Kassenleistung. 5. Die Möglichkeit zur Wahl eines offenen Erziehungsgeschlechts ausdrücklich und gleichberechtigt benennen. 6. Kinder haben ein Recht, über ihre Intergeschlechtlichkeit informiert und aufgeklärt zu werden (altersgemäß und in kindgerechter Sprache). Sie haben ein Recht auf die freie Entwicklung ihrer eigenen (geschlechtlichen) Identität. 7. Jegliche Kommunikation bedarf einer angemessenen ‚barrierefreien’ Sprache, die auf medizinische Fachtermini verzichtet sowie eine sensible und fachlich-professionelle Übermittlung der Diagnose wahrt. 8. Erwerb genereller Grundkompetenzen in Gesprächsführungsmethoden für Mediziner_innen und medizinisch-pflegerisches Fachpersonal. 9. Unterbreiten umgehender Angebote psychosozialer Unterstützung und fachspezifischer Begleitung, Herstellen von Kontakt- und Austauschmöglichkeiten, um ‚Peer-Support’ zu ermöglichen. 10. Übergeordnetes Ziel ist ein Paradigmenwechsel hinsichtlich geschlechtszuweisender und –vereindeutigender Operationen sowie das Vorantreiben neuer emanzipatorischer Behandlungsrichtlinien. 11. Entwicklung transdisziplinärer Kompetenzteams mit dem expliziten Einbezug von Peers, der Selbsthilfe und Betroffenenverbänden, sowie Traumapädagog_innen und - therapeut_innen, Sozialarbeiter_innen, kritischen Jurist_innen und Mediziner_innen.

7 104 Literatur und Quellen: Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität „Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“ (2008): Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD. Therapeutischer Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung/ Intersexualität bei Kindern und Jugendlichen. In: Monatsschrift Kinderheilkunde, 153 (8). S. 241-245. Barth, Elisa/ Böttger, Ben/ Ghattas, Dan Christian/ Schneider, Ina (Hrsg.) (2013): Inter. Erfahrungen intergeschlechtlicher Menschen in der Welt der zwei Geschlechter. Berlin: NoNo. Baumgartinger, Persson Perry (2008): Lieb[schtean] Les[schtean], [schtean] du das gerade liest... Von Emanzipation und Pathologisierung, Ermächtigung und Sprachveränderung. In: Liminalis. Die Zeitschrift für geschlechtliche Emanzipation und Widerstand, (2). S. 24-39. Brunner, Franziska/ Prochnow, Caroline/ Schweizer, Katinka/ Richter-Appelt, Hertha (2012): Hängt das Geschlecht vom Körper ab? Körper- und Geschlechtserleben bei Personen mit kompletter Androgeninsensitivität (CAIS). In: Schweizer, K./ Richter-Appelt H. (Hrsg.): Intersexualität kontrovers. Grundlagen, Erfahrungen, Positionen. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 225-252. Deutscher Ethikrat (2012): Intersexualität. Stellungnahme. Berlin: Eigenverlag. Hechler, Andreas (2014): Intergeschlechtlichkeit als Thema in Pädagogik und Sozialer Arbeit. In: Sozialmagazin. Die Zeitschrift für Soziale Arbeit, 39 (3-4). S. 46-53. Herrmann, Steffen Kitty (2003): Performing the Gap – Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung. In: Arranca! Aneignung I, 28. S. 22-26. Intersexuelle Menschen e.V./ Selbsthilfegruppe XY-Frauen.de (2009): Was ist es denn? Intersexualität/ DSD. Ratgeber für Hebammen. Hamburg: Eigenverlag. URL: http://www.db.intersexuelle-menschen.net/includes/pdf/Hebammenbroschuere.pdf (Zugriff: 30.10.2015). Kleinemeier, Eva/ Jürgensen, Martina (o.J.): Erste Ergebnisse der Klinischen Evaluationsstudie im Netzwerk Störungen der Geschlechtsentwicklung/ Intersexualität in Deutschland, Österreich und Schweiz. Januar 2005 bis Dezember 2007. URL: http://www.netzwerk-dsd.uk- sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf (Zugriff: 30.10.2015). Klöppel, Ulrike (2013): Medikalisierung „uneindeutigen“ Geschlechts. In: Barth, E./ Böttger, B./ Ghattas, D. C./ Schneider, I. (Hrsg.): Inter. Erfahrungen intergeschlechtlicher Menschen in der Welt der zwei Geschlechter. Berlin: NoNo. S. 87-95. Klöppel, Ulrike (2010): XX0XY ungelöst. Hermaphroditismus, Sex und Gender in der deutschen Medizin. Eine historische Studie zur Intersexualität. Bielefeld: Transcript.

8 105 Lenz, Ilse/ Sabisch, Katja/ Wrzesinski, Marcel (2012): Interdisziplinäre Fachtagung „Anders und Gleich in NRW“ – Überblick und Ergebnisse. In: Lenz, I./ Sabisch, K./ Wrzesinski, M. (Hrsg.): „Anders und Gleich in NRW“ – Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Forschungsstand, Tagungsdokumentation, Praxisprojekte. Studien Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, 15. Essen: Eigenverlag. S. 59-65. Organization Intersex International Deutschland (o.J.). URL: http://www.intersexualite.de/index.php/themen/aktivitaten/bundesweit/ (Zugriff: 30.10.2015). Reutlinger, Uta (2004): Beratung für Opfer sexueller Gewalt. In: Nestmann, Frank/ Engel, Frank, Sickendieck, Ursel (Hrsg.): Handbuch der Beratung. Band 2, Ansätze, Methoden und Felder. Tübingen: dgvt. S. 1187-1199. Sabisch, Katja (2014): Geschlechtliche Uneindeutigkeit, sozial Ungleichheit? Zum Alltagserleben von intersexuellen Kindern. In: Psychosozial, 37 (1). S. 55-61. Schönbucher, Verena/ Schweizer, Katinka/ Brunner, Franziska/ Schützmann, Karsten/ Rustige, Lisa/ Richter-Appelt, Hertha (2010): Sexual equality of life in 46, XY individuals with DSD. Journal of Sex Medicine. Epub online first. Schweizer, Katinka (2012): Sprache und Begrifflichkeiten. Intersexualität benennen. In: Schweizer, K./ Richter-Appelt H. (Hrsg.): Intersexualität kontrovers. Grundlagen, Erfahrungen, Positionen. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 19-39. Schweizer, Katinka/ Richter-Appelt, Hertha (2012a): Behandlungspraxis gestern und heute. Vom „optimalen Geschlecht“ zur individuellen Indikation. In: Schweizer, K./ Richter- Appelt H. (Hrsg.): Intersexualität kontrovers. Grundlagen, Erfahrungen, Positionen. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 99-118. Schweizer, Katinka/ Richter-Appelt, Hertha (2012b): Die Hamburger Studie zu Intersexualität. Ein Überblick. In: Schweizer, K./ Richter-Appelt H. (Hrsg.): Intersexualität kontrovers. Grundlagen, Erfahrungen, Positionen. Gießen: Psychosozial-Verlag. S. 187-205. Tillmanns, Manuela (2015): Intergeschlechtlichkeit. Impulse für die Beratung. Gießen: Psychosozial-Verlag. Wunder, Michael (2012): Intersexualität: Leben zwischen den Geschlechtern. In: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte, 62 (20-21). Geschlechtsidentität. S. 34-40. Zehnder, Kathrin (2011): „Man hat mich so beschädigt“. Zur unterschiedlichen Deutung von Verletzbarkeit und Verletzung am Beispiel medizinischer Eingriffe in intersexuelle Körper. In: Feministische Studien, 2011/2. S. 248-263.

9 106 Veranstaltung ADS des Bundes 07. Oktober 2015: 13:00 – 17:00 Uhr

Panel 3 „Sensibilisierung von Mediziner_innen für Intergeschlechtlichkeit“

Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland

Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention 1992 ratifiziert und ist damit die Verpflichtung eingegangen, die darin verbrieften Rechte von Kindern zu schützen, zu achten und zu verwirklichen.

Mit Blick auf die irreversiblen medizinischen Eingriffe zur Geschlechtszuweisung intersexueller Kinder möchte ich folgende Artikel der völkerrechtlich verbindlichen Konvention nennen, die mit einfachem Bundesrecht gleichgestellt zu behandeln sind: • Artikel 3, der vorgibt, dass das Kindeswohl (im englischen Original „best interests of the child“) bei allen das Kind betreffenden Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist; • Artikel 6, der das Recht des Kindes auf Leben und seine bestmögliche Entwicklung enthält; • Artikel 12, der das Recht des Kindes auf Gehör seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten beinhaltet; • Artikel 17, der dem Kind den Zugang zu Informationen aus einer Vielfalt nationaler und internationaler Quellen, welche sein soziales, seelisches und sittliches Wohlergehen sowie seine körperliche und geistige Gesundheit zum Ziel haben, sichert; • Artikel 18, in dem festgelegt ist, dass für die Erziehung und Entwicklung des Kindes in erster Linie die Eltern bzw. der Vormund verantwortlich ist und es Aufgabe des Staates ist, die Eltern bzw. den Vormund bei der Erfüllung dieser Aufgabe in angemessener Weise zu unterstützen und • Artikel 19, der dem Kind Schutz vor jeder Form von körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung garantiert.

Auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention gilt es bei der Sensibilisierung von Mediziner_innen zum einen über geltendes Recht gemäß UN-Kinderrechtskonvention zu informieren und zum andern einen Diskurs darüber zu initiieren, inwieweit überhaupt eine andere Person als der betroffene Mensch höchstpersönlich die Einwilligung zu den irreversiblen medizinischen Eingriffen zur Geschlechtszuweisung erteilen darf. Wir befinden uns damit mitten im Spannungsfeld zwischen Kindeswillen und Kindeswohl. Also der Frage, bis wohin Eltern in ihrer „Sorgeverantwortung“ gehen dürfen (Der UN- Ausschuss hat Deutschland in seiner letzten Anhörung Deutschlands im Februar 2014 empfohlen, endlich das Wort „Sorgeberechtigte“ durch den heute gängigen Begriff der „Erziehungsverantwortlichen“ zu ersetzen…) und ab wann Kinder (gemäß UN- Kinderrechtskonvention „alle Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben“) selbst entscheiden dürfen. Die UN-Kinderrechtskonvention ist geprägt vom Bild des Kindes als (Rechts)Subjekt, dass nicht mehr das Objekt der Erziehung durch seine Eltern oder den Staat angesehen wird. Dem Grundgedanken der Konvention folgend, gilt es diese (Rechts)Subjektstellung des Kindes durch den Staat zu achten und zu respektieren – und zwar von Anfang an.

107 Bezogen auf die Selbstbestimmung von Kindern und deren Einschränkung durch die Elternverantwortung, gibt es bei uns Regelungen im BGB: „Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben“ (§ 1627, Satz 1). D.h. Eltern haben i.S. des Kindeswohls zu handeln. Der UN- Fachausschuss hat zu diesem Kindeswohl (im englischen Originaltext lautet es „best interests of the child“) in einem Kommentar zu den Vorgaben aus Artikel 3 der UN- Kinderrechtskonvention konkretisiert, dass eine Entscheidung im Sinne des „Kindeswohls“ nur dann „sachgemäß“ möglich sei, wenn dem betreffenden Kind selbst Gehör geschenkt werde (vgl. General Comment No. 14 aus 2013, Ziffer 43).

Dies alles lässt den Schluss zu, dass aus kinderrechtlicher Perspektive eine für den Lebensweg eines Menschen so hochsensible Entscheidung, wie die irreversiblen medizinischen Eingriffe zur Geschlechtszuweisung es zweifelsfrei sind, nicht ohne die Beteiligung der betroffenen Person selbst erfolgen darf. Stellt sich dann noch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt. Der UN-Ausschuss erläutert im o.g. Kommentar, dass für ein „Gehör der Meinung des Kindes“ keine Altersbeschränkung gelte. Dies sei in jedem individuellen Falle zu prüfen. Betont wird in diesem Zusammenhang vom Ausschuss das Recht des Kindes auf Information gemäß Art. 17 der UN- Kinderrechtskonvention. Und ich kann an dieser Stelle nicht müde werden, dass genau darin ein wichtiger Schlüssel liegt. Nicht nur mit Blick auf die betroffenen Kinder, sondern insbesondere mit Blick auf die Eltern in ihrer Rolle als Erziehungsverantwortliche! Es ist Aufgabe des Staates, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. In diesem Sinne ist es gemäß Artikel 18 der UN- Kinderrechtskonvention auch Aufgabe des Staates dafür Sorge zu tragen, dass Eltern in ihrer Rolle als Erziehungsverantwortliche in der Erfüllung dieser Aufgabe Unterstützung erfahren. Eine solche Unterstützung sollte die Gewährleistung einer umfänglichen und unabhängigen Beratung von Betroffenen Eltern umfassen, die über die teils weitreichenden Folgen der geschlechtszuweisenden Operation aufklären und gemäß Vorgaben der UN- Kinderrechtskonvention die Einbeziehung der betroffenen Kinder zur Bedingung macht. Und – auch wenn dies das Thema eines anderen Panels heute ist – in einer Zeit, in der wir alle über „inklusive“ Ansätze in der Bildung sprechen, muss auch der Dialog um die Diversität von Lebenswirklichkeiten endlich(!!!) Einzug in die Lehrmaterialen und Rahmenpläne unserer Bildungseinrichtungen (und zwar von Anfang an) nehmen.

Es gilt also die Rechte von Kindern zu stärken, indem wir den Dialog über die Einbeziehung von Kindern in allen sie betreffenden Angelegenheiten diskutieren. Es macht Mut, wenn man in diesem Zusammenhang auf Vorträge und Artikel in Fachzeitschriften stößt, die eine solche kinderrechtliche Perspektive auch in anderen medizinischen Kontexten aufgreifen, wie bspw. Prof. Dr. Jörg Fegert in seinem Beitrag „Information und Partizipation von Kindern und Jugendlichen bei Behandlungsentscheidungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ in der Zeitschrift „Frühe Kindheit“.

06.10.2015 CKi

108 Fachtagung der Bundesantidiskriminierungsstelle in Berlin, 7. Oktober 2015. Panel: „Sensibilisierung von Mediziner_innen für Intergeschlechtlichkeit“

Gedanken zur Vorbereitung auf die Fachtagung zur „Rechtlichen Situation von Trans*und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland und Europa“

Dr. Katinka Schweizer

Frage: Wie können Mediziner_innen für das Thema Intergeschlechtlichkeit sensibilisiert werden?

Im Gegensatz zu anderen ist Mediziner_innen das Themenfeld Intergeschlechtlichkeit meist aus dem Studium bekannt. Spezialisierte Fachärzt_innen wie Kinderendokrinolog_innen sind oft die ersten, die Familien beraten und begleiten, wenn es um das Feststellen einer Variation der körperlichen Geschlechtsentwicklung geht. Die Frage in diesem Panel ist daher zu präzisieren, nämlich wofür welche Mediziner_innen sensibilisert werden sollen. Die Medizin als wissenschaftliche Disziplin und praktisches Anwendungsfeld ist Teil und gleichzeitig Spiegel der Gesellschaft und damit auch ihrer Werte, Sprachformen und Normen. Sensibilisierungsbedarf besteht also nicht zuvorderst hinsichtlich der Kenntnis von Intergeschlechtlichkeit, wie er in weiten Teilen der Allgemeinbevölkerung besteht, sondern eher hinsichtlich des vorhandenen Normierungs- und Handlungsdrucks. Eine veränderte Haltung im Umgang mit Variationen der Geschlechtsentwicklung kann mit einem Perspektivwechsel vom „Handeln müssen“ und „Eindeutigkeit herstellen“ zum „Aushalten von Mehrdeutigkeit“ beginnen.

Die Sichtung der empirischen Literatur zu Intergeschlechtlichkeit in den letzten Jahre ergab vier Problemfelder, die auf notwendige Veränderungen hinweisen (vgl. Schweizer et al., 2014):

(1) Dichotome Vorstellungen von Geschlecht (2) Pathologisierung von nicht-binärem Geschlechtserleben (3) Verleugnung der fehlenden Vorhersagbarkeit der Geschlechtsidentität im Erwachsenenalter bei vielen Intersexformen (4) Vermischung von medizinischen und sozialen Entscheidungen (z.B. die Abhängigkeit irreversibler medizinischer Eingriffe von sozialen Entscheidungen).

Im Rahmen der Hamburger Studie zur Intersexualität (Leitung Hertha Richter-Appelt) haben wir unser Denken vielfach hinterfragt, verändert und Erkenntnisse gesammelt, die auch für die weitere Sensibilisierung in Recht, Medizin, Psychologie und Gesellschaft wichtig sein können. Als Auswahl sei hier genannt (vgl. Brunner et al., 2014):

• Intersexuelle Phänomene verdeutlichen die Vielfalt und Vielschichtigkeit von Geschlecht. • Zum differenzierten Verständnis braucht es beides, den Überbegriff, der vielfältige Formen körpergeschlechtlicher Erscheinungen umfasst, und die spezifische Kenntnis einzelner Intersex-Formen. • Die Abkürzung DSD lesen wir als „Diverse Sex Development. • Meist stellt bei Intergeschlechtlichkeit nicht die körperliche Besonderheit an sich die zentrale Herausforderung dar, sondern der Umgang damit. „Besonders gravierend für das Selbsterleben sind neben unverständlichen Körpererfahrungen und –eingriffen

109 Erfahrungen von Verheimlichung, fehlender Sprache, Scham und das Gefühl, erst durch medizinische Eingriffe „richtig“ und liebenswert zu werden“ (ebd. S. 163 /164). • Partizipative Netzwerke ermöglichen Begegnungen auf Augenhöhe und können die Medizin von ihrer lange wirksamen Position als „Definitionsmacht“ „befreien“.

Literatur

Brunner, F., Handford,C., Schweizer, K. (2014). Geschlechtervielfalt und Intersexualität. In: Schweizer, Brunner, Cerwenka, Nieder, Briken (Hg.). Sexualität und Geschlecht. Psychosoziale, Kultur- und Sexualwissenschaftliche Perspektiven. Gießen: Psychosozial Verlag, S. 155-166

Schweizer, K., Brunner, F., Handford, C., Richter-Appelt, H,. (2014). Gender experience and satisfaction with gender allocation in adults with diverse intersex conditions (Divergences of Sex Development, DSD). Psychology & Sexuality, 5(1), 56-82.

Schweizer, K. & Richter-Appelt, H. (2012). Intersexualität kontrovers. Grundlagen, Erfahrungen, Positionen. Gießen: Psychosozial Verlag.

Veith, L. (2014). Vom Opfersein zum Menschsein in Würde: Intersexuelle Menschen auf dem Weg zurück in das gesellschaftliche Bewusstsein. 10 Jahre Intersexuelle Menschen e.V. In: Schweizer, K., Brunner, F., Cerwenka, S., Nieder, T., Briken, P. (Hg.). Sexualität und Geschlecht. Psychosoziale, Kultur- und Sexualwissenschaftliche Perspektiven. Gießen: Psychosozial Verlag, S.145-154.

Angaben zur Person

Dr. Katinka Schweizer ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychologische Psychotherapeutin und Sexualwissenschaftlerin und am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE), den Fachkliniken Nordfriesland und in freier Praxis tätig. Gemeinsam mit Prof. Dr. Peer Briken hat sie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine „Kurzzeitbefragung zum Beratungsbedarf bei Intergeschlechtlichkeit / DSD“ durchgeführt.

110 Wie sieht die Situation in 5 Jahren idealerweise aus, wenn alle Mediziner_innen sensibilisiert sind? Was hat sich verändert und wie kam es zu den Veränderungen?

Intergeschlechtliche Menschen sind, wie Frauen und Männer, schon immer Teil der Gesellschaft. Wie intergeschlechtliche Menschen gesehen werden, verändert sich jedoch immer wieder. Intergeschlechtliche Menschen sind auch heute noch nahezu unsichtbar und noch nicht gesetzlich vor irreversiblen geschlechtsverändernden Eingriffen geschützt. Hier benötigt es noch eine Bewusstseinsbildung innerhalb der Öffentlichkeit. Da die gesellschaftliche Vorstellung von Geschlecht als binär, also einzig männlich und weiblich, zu Stigmatisierung, sozialem Ausschluss und Unsichtbarkeit führt. Bisher gibt es in Deutschland keine gesetzliche Regelung, die kosmetische nicht eingewilligte geschlechtsverändernde Eingriffe untersagt.

Was ist zu bedenken für eine Medizin, die sensibilisiert ist zum Thema Intergeschlechtlichkeit? Zunächst gibt es die Menschen, die unter die Behandlungsprotokolle der 1950er Jahre fielen, welche langsam ab 2006 mit Nomenklaturänderung „DSD“ und Modifikation der Behandlungsprotokolle in der westlichen Kultur abgelöst wurden. Ein Hinterfragen der binären Vorstellung von Geschlecht als entweder männlich oder weiblich hat jedoch noch nicht stattgefunden. (Biologisches Geschlecht wird in entweder männlich oder weiblich eingeteilt auf den verschiedenen Ebenen).

Doch was ist wichtig, für eine Sensibilisierung von medizinischem Personal?

Niedergelassene Praxen mit unterschiedlichen Schwerpunkten betreffend:

Für intergeschlechtliche Menschen ist es wichtig, dass ihre geschlechtliche Selbstverortung und Selbstbestimmung gewährleistet ist. Hierzu gehört eingangs schon die Frage nach der richtigen Anrede erwachsener Inter*, die mit Ihrem Anliegen zur Behandlung kommen. Eine empathische, wohlwollende Haltung ohne normativen binären Blick ist hier Basis für medizinisches Personal und Mitarbeiter_innen. Grob kann gesagt werden, dass es Kenntnis geben muss über die vergangenen Behandlungsprotokolle, die heutige Erwachsene und ältere inter* Menschen betreffen und die damit zusammenhängenden Konsequenzen, wie Trauma, Narben, Entzündungen, chronische Schmerzen, Schwerbehinderung, um nur einige zu nennen. Ferner sollte es möglich sein, dass Hormonbehandlungen individuell erfolgen nach Wunsch und Wohlfühlfaktor der betroffenen Person, denn Behandlung anhand von Referenzwerten, die für Frauen und Männer erstellt wurden, korrespondieren oft nicht mit den Bedürfnissen intergeschlechtlicher Menschen. Transparenz und Behandlung auf Augenhöhe sind wichtig. Zeit und Zuhören sind wichtig, denn inter* Menschen sind aus Notwendigkeit Spezialist_innen für ihren eigenen Körper geworden und verfügen über weitreichende Kenntnisse. Bei manchen fehlen Krankenakten aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfristen.

Für Personal rund um Geburt:

Ein empathischer nicht normativer Blick ist wichtig. Kinder sollten die Möglichkeit bekommen, selbstbestimmt über ihre Körper und Identität entscheiden zu können. Dazu ist es notwendig, kosmetische Eingriffe von lebensnotwendigen Eingriffen unterscheiden zu

111 können. Ferner sollte ein Blick dafür entwickelt werden, dass das Wohl des Kindes auch das Wohl des zukünftigen Erwachsenen sein soll.

Generell sollten Verbände und Organisationen von intergeschlechtlichen Menschen sowie deren unterschiedlichen Selbsthilfegruppen als Ressourcen genutzt werden. Sie können zu spezifischen gesundheitlichen Bedürfnissen Auskunft geben, fortbilden und sensibilisieren. Eine entpathologisierende Haltung, die ohne defizitäre Sprachen auskommt, bildet die Basis. Sensibilisierung und Bewusstwerdung für Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit sind Grundlage aller Veränderung.

Wie kam es zu den Veränderungen?

Gesetzliches Verbot der irreversiblen geschlechtsverändernden Eingriffe (kosmetische Operationen und Hormontherapie) als Voraussetzung. Ebenso könnte ein gesetzliches Verbot irreversibler geschlechtsverändernder Eingriffe Veränderungen im medizinischen Bereich befördern.

Die FRA Agentur der Europäischen Union für Grundrechte stellt in ihrer im Mai veröffentlichen Untersuchung fest, dass:

„sich der allgemeine Ansatz, Menschen als entweder männlich oder weiblich wahrzunehmen, auf Gesetzgebung und Politik auswirkt.“

Es gibt mittlerweile nationale Gesetzesänderungen in einigen europäischen Ländern, hier ist als Best Practice Malta zu nennen, mit dem Ziel intergeschlechtliche Menschen anzuerkennen und Diskriminierung zu bekämpfen.

Nützliche Links: https://www.unfe.org/system/unfe-65-Intersex_Factsheet_ENGLISH.pdf

http://www.coe.int/t/dg4/lgbt/Documents/HR%20and%20Intersex%20People%20CoE%20Co mmissioner%20for%20HR.pdf

http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2015-focus-04-intersex.pdf

http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=16431&LangID=E

112 Tnput fllr die Tagung in Berlin

Mein erstes Thema sind die Standards der Behandlung Wld Begutachtung von Ttanssexuellen. Ich halte diese für weitgehend unzumutbar, muss jedoch einrij .umen~ dass Betroffene, die die Kostenübernahme ihrer gesetzlichen Krankenkasse benötigen; diese erfUllen müssen. Tcb habe dazu einen seht· interessanten Brief eines Arztes erhalten, der fOr die Krankenkassen lange Jahre gutachtlich tätig war. Er ist Psychiater und Psychotherapeut. Er schrieb, dass sich di.e Situatio11 hinsichtlich der in den Stamiards geforderten Psychotherapie in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert ba.be. Bei der großen Mehrheit der Transsexuellen gebe es .nichts, was im ;~usammenhang mit der Transsexu.ruität psychotherapeutisch angeganget, werden müsste.

Er fragte mich in. diesem Brief, ob eine Klage gegen diese Auflage erfolgversprechend sei. leb. musste ihm antworten, dass das Bundessozialgericht dies bereits negativ entschieden hat. Di.e Klage einer Betroffenen, die sich vor der Operation keiner Psychotherapi.e unterzogen hatte, gegen ihre Krankenkasse auf Kostenerstattung wurde abgewiesen. teh.bi1i. ·sehr froli därll.oer, da$s es -Mö~Vichkeiten gibt, sich· o'hne dW5e Auflagen geschlechtsumwandelnd operieren Jassen zu können, wenn das nötige Geld da ist. Früher von Dr. Butou in Casablanca, zu mei11er Zeit (1977) i.n Singa.pore, 1.md heute in Thailand. Tn Asien sind diese Eingriffe Standard und uberhaupt nicht so tabubelasted wie in Buropa und den USA.

Zu meinem zweiten Thema.: Viele Betroffene wünschen sich hn neue11 Geschlecht gleichgeschlechtliche Beziehungen. Dies gilt nicht nur filr uns gewordene Fra.uen, sondern auch für meine Kollegen! Ich habe in Miinchen be.im Verein "tTansmann'' einige von ihnen kennen gelernt. Sie möchten, wenn sie einmal ein Mann sind, Beziehungen mit Männem. Das passt natürlich nicht in das Schema dieser zwangsheteronormativen Gesellschaft. Viele Ärzte und Psyc.hologen sind sich dieser gesellschaftlichen Pr§gullg n.icht einmal bewusst und suchen nach Erklärungen ftir etwas, was - v..ie di.e Homosexualität allgemein- schlicht eine Normvariante darstellt. So spekulie1't z.B. der Therapieleitfaden T~anssexualität, die Transsexualität der lesbischen Mann-zur-Frau_Transsexuellen erscheine als eine Lösungsschablone für weiterreichende allgemeine Iden.titätskonflikte. Es wird auf die späte Erstvorstellung beim Arzt (im 4. Lebensjahrzehnt oder später) verwiesen.

113 2

Dies hat jedoch einleuchtende GrUnde. Die Politik der zwangsheteronormativen Gesellschaft besteht darin, alle Menschen in eine heterosexuelle Rolle/Beziehung zu drängen, wegen der Fortpflanzung. Der transsexuelle Weg ist fur die lesbischen Transsexuellen viel angstbesetzter als für die, die itn n.euen Geschlecht eine heterosexuelle Beziehung wünschen. So versuchen sie, sich mit dem falschen Geschlecht zu arrangieren. Sie heiraten heterosexuell, zeugen Kinder usw. Es ste!Jt sich jedoch in den meisten Fällen heraus, dass das Anangement mit dem falschen Geschlecht jedenfalls <:~.uf Dauer nicht tnögl i.ch ist, und so müssen sie .mit 40, 50, 60 oder noch später doch ran und den Weg zum anderen Geschlecht geben. Abschließend ist mir wichtig zu sagen, dass auf mich absolut nkhts zutrifft, was in diesem Kapitel des Therapieleitfadens Transsexualität beschrieben ist, insbesondere ni.cht die transvestitisch-fetiscbistische Vorgeschichte. Ich hatte mein. Coming~ out mit Mitte 20, und bin dann konsequent meinen Weg gegangen, und ich habe andere lesbische Mann-zur-Frau-Transsexuelle kennen gelernt, die waren beim. Coming-out Anfang 20.

Meir1 letztes Thema ist die Situation transsexueller Kinder und Jugendlicher. Ist d\e Situation transsexueller Erwachsener wegen der unglaublichen Transphobie der Gesellschaft schon schlimm genug, die Situation transsexueller Kinder und JugendBebet ist drani~.tisch . Sie ettahren J:ast tiber.·alJ nttt· Abl.elumng;··insbesotttlere vom Vater, der es nicht ertragen kann, wenn sein So.hn eine Frau werden will. I Ari':tl~ möchten "auf der sicheren Seite" stehen und lassen sich primär vo11 Ängsten leiten, dass man ilmen nur ja. nicht an den Wagen fahren, ihnen keine Vorwürfe machen kan.n, und nicht davon, was im T.nteresse der Patienten/innen notwendig wäre. Ich möchte l1ier eindringlich betonen, wetm man t11chts macht, nicht mit pubettätsblockierenden Honn.onen und dann mit geschlechtsspezi:fischen Hotmonen eingreift, dann ist das auch eine Entscheidung, und die ist genauso irreversibel, unumkehrbar wie die, horm.o11ell einzugreifen, um die Ausprägung unerwünschter, nicht zur Identität passender Geschlechtsmerkm.ale zu verhi.ndem. Die Behandlung sollte aUerspätesten.s mit 13 Jahren beginnen. 14 .ist zu spät, da ist alles schon in die falsche Richtung gelaufen, wenn ich an mein eigenes Leben zurtickdenke. Mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten ist es ein Ve1•brcchen, einem transsexuellen Kind die notwendige Behandlung aus grundsätzlichen Ängsten heraus zu verweigem.

Teh danke Ihnen tur Ihre Aufmerksamkeit.

114 Trans* bei Kindern und Jugendlichen, Positionspapier von Trans Kinder Netz e.V.

Trans* bezeichnet den Widerspruch zwischen dem selbst erlebten Geschlecht und der bei Geburt zugeschriebenen Geschlechtszugehörigkeit. Die Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit kann nur über die Selbstbeschreibung erfolgen. Diese ist möglich, sobald Kinder sich ihrer Identität bewusst werden und entsprechende Ausdrucksmöglichkeiten haben. Geschlechtszugehörigkeit ist nicht auf beobachtbares Verhalten zu reduzieren, welches in einer Gesellschaft historisch bedingt eher einem Geschlecht zugeordnet wird. Geschlechtliche Identität bedeutet nicht: Mädchen spielen mit Puppen, Jungen mit Autos. Gegenwärtig ist die wissenschaftliche und gesellschaftliche Debatte über Geschlechtszugehörigkeit von Widersprüchlichkeiten, Unwissenheit und Spekulationen bestimmt. Aus dieser Situation heraus erfahren viele trans* Kinder (und auch die Familien) eine Pathologisierung, wenn sie versuchen, Anerkennung für ihre Geschlechtszugehörigkeit zu erlangen. Die Kinder werden in Psychotherapie gezwungen, die Eltern verdächtigt, ihre Kinder manipulieren zu wollen. Medizinische Leitlinien nötigen die Kinder, auf unterstützende Maßnahmen warten zu müssen. Um eine gesellschaftliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität zu erlangen, müssen die Kinder sich Begutachtungen unterziehen, in denen nach unklaren Kriterien die Geschlechtsidentität „geprüft“ und richterlich „bestätigt“ wird. Und selbst diese Begutachtungen werden den Kindern oft vorenthalten. Zu diesen institutionalisierten Hürden kommen noch die persönlichen Vorurteile der im System Handelnden hinzu, die sich gegen die Kinder und deren Familien richten. Ohne positive „Begutachtungen“ besteht kein Rechtsanspruch auf die Verwendung der richtigen Geschlechtsbenennung und des meist neu gewählten Vornamens. So sind Kinder im Umgang mit Bildungsinstitutionen (KiTas, Schulen etc.) auf den „guten Willen“ der Leitung angewiesen. Die gegenwärtige Situation stellt für Kinder und deren Familie hohe Hürden und starke Belastungen dar. Viele zusätzliche Aufgaben müssen bewältigt werden: ärztliche und psychotherapeutische Termine, finanzielle Kosten, kraftraubende Auseinandersetzungen und Verhandlungen mit offiziellen Stellen. Häufig ruft dies psychisch negative Konsequenzen bei Kindern, Eltern und Geschwistern hervor. Die Kinder zeigen nicht selten depressives Rückzugsverhalten, Schulverweigerung, Selbstverletzung oder Suizidgedanken und -handlungen. Das psychische Wohlbefinden von Kindern verbessert sich jedoch nachweislich, wenn es ihnen ermöglicht wird, die für sie richtige Geschlechtszugehörigkeit zeigen und leben zu können. Daher fordert TRAKINE e.V.: • Abschaffung der Diagnose von Trans* als Erkrankung, Störung oder Dysphorie! • Abschaffung von Zwangstherapie bei gleichzeitig freiem Zugang zu allen Maßnahmen des Gesundheitssystems (medikamentöse Maßnahmen, begleitende Psychotherapie, Operationen – sofern gewünscht) und der Sicherstellung der Übernahme der Kosten dieser durch gesetzliche und private Krankenkassen! • Gesellschaftliche und staatliche Anerkennung von Trans* mittels Änderung des Vornamens- und Geschlechtseintrages in staatlichen Dokumenten durch Willenserklärung als Verwaltungsakt ohne Begutachtungsprozess, Wartezeiten und Altersuntergrenzen! • Gesellschaftliche Anerkennung durch Aufklärung mittels verbindlicher Aus- und Weiterbildung in den Bereichen Medizin, Psychologie / Psychotherapie, Pädagogik, Recht etc. sowie mittels der Überarbeitung staatlicher Lehrpläne und -materialien! Ausdrücklich fordern wir die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonventionen!

www.trans-kinder-netz.de Oktober 2015 115

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Dokumentation erstellt von: Marcus Müller, Journalist

Herausgeberin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes 10118 Berlin www.antidiskriminierungsstelle.de

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Stand: Januar 2016

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