3 Morceaux En Forme De Poire (À Quatre Mains) Avec Une Manière De Commencement, Une Prolongation Du Même & Un En Plus, Suivi D’Une Redite
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SATIE 3 Morceaux en forme de Poire (à quatre mains) avec une Manière de Commencement, une Prolongation du même & Un En Plus, suivi d’une Redite Urtext Herausgegeben von / Edited by Jens Rosteck Hinweise zur Aufführungspraxis von Notes on Performance Practice by Steffen Schleiermacher Bärenreiter Kassel · Basel · London · New York · Praha BA 10809 VORWORT dessen epochalem drame lyrique Pelléas et Mélisande ENTSTEHUNG UND REZEPTION am . April versetzte Satie in einen schockar- Mit den emblematischen Morceaux en forme de Poire tigen Zustand. An seinen jüngeren Bruder Conrad von legte Erik Satie seinen ersten wichtigen Bei- schrieb er über das Werk knapp: „sehr schick! absolut trag zur vierhändigen Klaviermusik vor. Sie stellen famos.“ 2 Gleichzeitig aber übte das Ereignis eine ge- nicht nur sein bekanntestes und anspruchsvollstes radezu kathartische Wirkung auf Satie aus, wie eine Werk für diese Besetzung dar, sondern bilden auch Bemerkung gegenüber Jean Cocteau verrät: „In dieser den Auftakt zu einer ganzen Reihe ähnlicher Zyklen, Hinsicht gibt es nichts mehr zu tun; ich muss etwas sowohl Originalkompositionen als auch Bearbeitun- anderes finden, sonst bin ich verloren.“ 3 Die Über- gen eigener Bühnen- und Orchesterwerke – darunter windung dieses Zustands kreativer Lähmung gelang Aperçus désagréables ( –), En habit de cheval (), Satie im Folgejahr während der Beschäftigung mit sei- Trois petites pièces montées (/) sowie die kongenia- nem „Birnen“-Zyklus. Bedeutete das Aufgreifen und len vierhändigen Klavierfassungen von Parade ( Verarbeiten eigener früherer Kompositionen einerseits bis ; unter Einbezug von Geräuschen wie Revol- eine Art Bestandsaufnahme seines bisherigen Schaf- verschüssen, Sirene und Schreibmaschinengeklapper) fens, so eröffnete es andererseits einen Ausweg aus und La Belle excentrique (). der kompositorisch festgefahrenen Situation und er- Für einen menschenscheuen Eigenbrötler und Anti- möglichte die Loslösung vom übermächtigen Vorbild Traditionalisten wie Satie schien die Auseinanderset- seines Freundes Debussy. Die weit verbreitete Darstel- zung mit dem vierhändigen Klavierspiel – Inbegriff lung, Satie habe mit den Stücken und ihrem spaßig- des bürgerlich-geselligen Zusammenseins – nicht un- absurden Titel auf die formale Kritik Debussys und bedingt nahe zu liegen. Dem nicht zuletzt auch im dessen Vorwurf, mangelnde Sorgfalt walten zu lassen, (spontanen) Zusammenspiel mit anderen Interpreten reagiert, lässt sich – auch und vor allem vor diesem erfahrenen Kabarettpianisten und Chansonbegleiter Hintergrund – nicht hinreichend belegen: Hatte sich am Montmartre ging es offenkundig jedoch nicht um doch Debussy selbst nach der Uraufführung seiner das routinierte Fortführen einer beliebten Musizier- Oper mit dem Verdikt der Formlosigkeit konfrontiert form, sondern vielmehr um die innovative Anver- gesehen, prominent geäußert durch Vincent d’Indy, wandlung dieses bourgeoisen Genres, das sich als dem Direktor der Schola cantorum.4 experimentelles – und nicht selten humoristisches – Am . August informierte Satie Debussy in „divertissement“ in den Salons, Galerien, Avantgarde- launiger Manier erstmals über sein derzeitiges Projekt: und Unterhaltungslokalen von Paris längst etabliert „Erik Satie arbeitet derzeit an einem amüsanten Werk, hatte. das Zwei Stücke in Birnenform genannt wird. […] Er ist Seit Ende der er-Jahre befand sich Satie in einer der Ansicht, dass es allem, was bis zum heutigen Tage Phase der Verunsicherung und des Innehaltens. Die geschrieben wurde, überlegen ist.“ 5 Wahrscheinlich ist, Arbeit an einigen kürzeren (Vokal-)Kompositionen, als dass es sich hierbei um die Stücke I und II handelte,6 da unbefriedigend oder unzulänglich empfunden, war zum Stillstand gekommen oder wurde abgebrochen; ; Erik Satie, Correspondance presque complète, réunie, établie et présentée par Ornella Volta, Paris , S. an seinem Wohnort im südlichen Pariser Vorort Ar- 2 Brief vom . Juni ; ebd., S. cueil fühlte er sich zusehends isoliert. Lediglich der in- 3 Jean Cocteau, Fragments d’une conférence sur Éric Satie [sic] (), tensive künstlerische und menschliche Austausch mit in: Revue musicale , März , S. ; Repr. u. a. in: ders., Erik Satie, Lüttich . Debussy verschaffte ihm Inspiration und Anregun- 4 Vgl. Léon Vallas, Claude Debussy et son temps, Paris , S. , gen: „Ich bin ziemlich allein hier. Wenn ich Debussy sowie Jean-Pierre Armengaud, Erik Satie, Paris , S. , und nicht hätte […], wüsste ich nicht, wie ich meinem arm- Satie, Correspondance (s. Anm. ), S. und . 5 Satie, Correspondance (s. Anm. ), S. und . seligen Denken Ausdruck verleihen sollte, wenn ich es 6 Vgl. Patrick Gowers, Erik Satie: His Studies, Notebooks and Cri- überhaupt noch ausdrücke.“ 1 Die Uraufführung von tics, Bd. , Diss., University of Oxford , S. –, und Ste- ven Moore Whiting, Satie the Bohemian. From Cabaret to Concert Hall, Oxford , S. –, sowie Armengaud, Satie (s. Anm. ), 1 Hier und im Folgenden: Übersetzung aller französischen Zi- S. –, und in Teilen abweichend Robert Orledge, Satie the Com- tate und Texte von Jens Rosteck. – Brief an Conrad Satie vom Juni poser, Cambridge , S. f. und f. III Dolly (–), Ravels Ma mère l’oye ( –) und lautende Tempoangaben, die in dem in Primo und Se- Poulencs Sonate (, rev. ). condo getrennten Erstdruck für jeden Part gesondert angegeben sind, erscheinen im vorliegenden Partitur- druck nur einmal über dem oberen System des Primo- Spielers. Jeweils zum Primo und Secondo werden sie ZUR EDITION nur bei abweichender Position gesetzt. In A, KE und Die vorliegende Edition stützt sich, unter Berücksichti- ED übereinstimmend zwischen Primo und Secondo gung der vollständigen, von Satie mit September auftretende Differenzen dynamischer Angaben wur- datierten autographen Reinschrift (Quelle A), die als den unverändert beibehalten, ebenso die zahlreichen Stichvorlage diente, sowie der von ihm durchgesehe- Abweichungen paralleler Stellen hinsichtlich Artiku- nen Korrekturabzüge des Erstdrucks (Quelle KE), auf lation, Halsung, Balkung und Bogensetzung innerhalb den erschienenen Erstdruck (Quelle ED). Die in der Quellen und der Quellen untereinander, ausge- den vier Rahmensätzen in A vereinzelt enthaltenen nommen wenige Stellen, die eindeutig als Versehen Fingersätze von unbekannter Hand und gegenüber ED oder Stichfehler zu deuten waren. Die in den Quellen im gesamten Manuskript deutlich höhere Zahl dyna- KE und ED verwendeten Bezeichnungen Seconda und mischer Gabeln legen nahe, dass die Handschrift auch Prima sind einheitlich mit Secondo und Primo (hierin für Aufführungen verwendet wurde. Die im März auch A folgend) wiedergegeben. mit weiteren Klavierstücken Saties erschienenen Vorabdrucke von Morceau Nr. I und des A-Teils von Morceau Nr. II (Quellen VA und VA ) in der Revue I II DANK Musicale sind aufgrund zahlreicher Fehler und Unge- nauigkeiten (siehe Critical Commentary) von nachge- Allen Personen und Institutionen, die die Vorberei- ordneter Bedeutung. tung der vorliegenden Ausgabe unterstützt haben, Editorische Zusätze sind durch eckige Klammern sei gedankt, vor allem der Bibliothèque nationale de (Pausen, dynamische Bezeichnungen, Staccato-Punk- France für die Bereitstellung von Quellenreproduk- te), Kleinstich (Akzidenzien) und Strichelung (Bögen) tionen. Mein besonderer Dank gilt Britta Schilling- kenntlich gemacht. Offenkundige Fehler wurden still- Wang, Bärenreiter-Verlag, Kassel, für wertvolle Hin- schweigend korrigiert sowie Akzidenzien, deren Set- weise und das aufmerksame Lektorat. zung heutiger Konvention entspricht, kommentarlos ergänzt bzw. bei übergebundenen Noten nach dem Nizza, Februar Taktstrich nur bei Zeilenwechsel wiederholt. Gleich- Jens Rosteck VI HINWEISE ZUR AUFFÜHRUNGSPRAXIS Um die drei mit Nummern versehenen Mittelstücke langsameren Einleitung scheint = ca. als Tempo der Morceaux en forme de Poire herum gruppiert Satie je empfehlenswert. Die Arbeitsteilung der beiden Spieler zwei kurze Vor- und Nachspiele. Diese insgesamt sie- in diesem Stück ist eindeutig: Der Primo-Spieler hat ben Stücke für Klavier zu vier Händen scheinen auf die Melodie zu gestalten (meist einstimmig bzw. mit den ersten Blick keine besonders großen Anforderun- Oktavverdoppelungen), der Secondo-Spieler begleitet. gen an die beiden Spieler zu stellen, äußere Virtuosi- Letzterer, der hier wie im gesamten Stück für die Pe- tät ist ihnen – wie allen Stücken Saties – eher fremd. dale zuständig ist, sollte darauf achten, dass der Satz Auch gibt es keine verwegenen Überkreuzungen der durchsichtig bleibt, vor allem, dass die Bassviertel (mit Hände, die beiden Spieler kommen sich in der Mittel- Staccato-Punkt) nicht im Pedal nachklingen. Anderer- lage kaum gegenseitig ins Gehege. Doch unterschätze seits müssen die melodiebildenden Tonwiederholun- man die Subtilität und Raffinesse der Stücke nicht. gen des Primo-Spielers an diesen Stellen trotzdem ge- Das betrifft in erster Linie die dynamischen Abstu- bunden erscheinen. fungen der einzelnen Stimmen, die minutiöse Beach- Prolongation du même Als Tempo sei = ca. tung der manchmal seltsam wirkenden dynamischen angeraten. Der Satz lebt von den krassen dynamischen Angaben und auch die Pedalbehandlung. Unterschieden, die plötzlich erfolgen sollen. Man hüte Und auch „formlos“ sind Saties Stücke keineswegs, sich vor Crescendi, wo sie nicht notiert sind. Der hinge- wie die beharrlich kolportierte Geschichte nahelegen tupfte Satz darf auch an den lauten Stellen nicht brutal will, der zufolge Debussy, dem Satie freundschaftlich klingen. Besonders am Schluss vermeide der Secon-