ISSN 1866-0843

HEFT 289 – MÄRZ 2013 53. JAHRGANG

• Friedensbotschaft • Militärethik – • Revolution der des Papstes international (Teil 3) Kriegsführung?

• Christenverfolgung • Interviews mit: • Kamingespräch mit: • Kai-Uwe von Hassel Rainer Kardinal Woelki Miloslav Kardinal Vlk zum 100. Geburtstag Prof. P. Peter Gumpel SJ Bischof (em) J. Wanke INHALT AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 • 53. JAHRGANG

EDITORIAL ...... 3 KIRCHE UNTER SOLDATEN Empfang des Militärgeneralvikars SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN ...... 4 Übergabe des zweiten Teils Chronik GKS . . . . . 46

SEITE GEISTLICHER BEIRAT ...... 5 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK GKS KREIS KÖLN-WAHN Selig, die Frieden stiften Friedenslicht ...... 47 Friedensbotschaft 2013 ...... 6 GKS-BEREICH WEST Internationaler Soldatengottesdienst von Bertram Bastian ...... 10 BAK II/2012 ...... 47 Militärethik Polen von Ruth Nobis ...... 12 GKS-KREIS UNIBW MÜNCHEN Militärethik Spanien Katholische Kirche im Sozialismus von Dieter Stenzel ...... 13 Kamingespräch in Neubiberg von Bertram Bastian ...... 49 Revolution der Kriegsführung? von Bertram Bastian ...... 16 BUCHBESPRECHUNG: ...... 27, 46 Gemeinsame Erklärung der Bischöfe KURZ BERICHTET: ...... 21, 25, 35 F.-J. Overbeck und S. Ackermann ...... 18

TERMINE ...... 51 GESELLSCHAFT NAH UND FERN Todesstrafe für Bibelbesitzer IMPRESSUM ...... 52 Bericht über Christenverfolgung von Carl-H Pierk ...... 20

BILD DES SOLDATEN Gebirgsjäger feiern Stallweihnacht GebJgBrig 23 ...... 22

RELIGION UND GESELLSCHAFT „heutige Probleme der Gesellschaft und Kirche“ Interview mit Kardinal Woelki Redaktionsschluss für von Bertram Bastian ...... 23 Soziales Engagement im Geiste des heiligen Franz von Sales AUFTRAG 290 Seligsprechung von Louis Brisson ...... 26

BLICK IN DIE GESCHICHTE Freitag, 12. 04. 2013 Interview mit Pater Gumpel von Philipp Weber ...... 28 Kai Uwe von Hassel zum 100. Geburtstag von Dieter Kilian ...... 36

Titelbild: Während des Jahresempfanges des Militärgeneralvikars für das organisierte Laienapostolat übergab der Bundesvorsitzende Oberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer (links) den neu erschienenen Band 2 der Chronik der GKS an den Apostolischen Protonotar Walter Wakenhut. (Foto: Bertram Bastian)

2 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 • 53. JAHRGANG

Erklärung des Vorsitzen- den der Deutschen Kom- mission Justitia et Pax und des Katholischen Mi- litärbischofs ist in diesem Teil der Berichterstattung abgedruckt.

Zum Abschluss der Arbeit von Philipp Weber Jahres-CD mit den über das Leben von Eu- genio Pacelli bis 1939 ist Jahrgängen 2000-2012 das Zeitzeugeninterview mit Professor Pater Peter Gumpel SJ, dem Relator Heft 238-288 im Seligsprechungspro- zess von Pius XII. abge- (Heft 238 bis 251 nur Titelseiten und Inhaltsverzeichnisse) druckt. Danach erinnert Dieter Kilian an den ehe- maligen Verteidigungs- minister Kai Uwe von Hassel, dessen 100. Ge- burtstag den Anlass gab.

Außerhalb dieser Be- richterstattung möchte ich an zwei Termine er- innern, die dieses Jahr Höhepunkte darstellen: die Salzburger Hochschul- wochen vom Montag, den 29.07.2013 bis Sonntag, den 4.08.2013 und vor allem die GKS-Akademie Oberst Korn, die in Zusammenarbeit mit dem Bo- editorial: nifatiushaus in Fulda vom Montag, den 4.11.2013 bis Freitag, den 8.11.2013 stattfinden wird. Liebe Leserschaft, Für die Lektüre dieses Heftes wünsche ich Ihnen wie in jedem Jahr beginnt der AUFTRAG mit in der Osterzeit die notwendige Muße, freuen Sie der Friedensbotschaft des Papstes, bevor die Reihe sich und Ihre Lieben über dieses christliche Hoch- über die Militärethik in den verschiedenen Staaten fest, das wünscht Ihnen mit Polen und Spanien fortgesetzt wird.

Die Debatte über die Beschaffung von bewaffne- ten Drohnen ist lebhaft und vielfältig. Das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) hat eine Podiumsveranstaltung in Dresden durchge- führt, der Bundesvorsitzende und der Chefredak- teur waren unter den Zuhörern. Die gemeinsame

3 SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN

Zur Sache: Neue Drohnen für die Bundeswehr?

chon seit etlichen Wochen sind die Überlegungen Belastungen sind schon einzigartig. Diesen Aspekt an- Szur Ausrüstung der Bundeswehr mit Drohnen, die gemessen zu berücksichtigen ist auch eine Forderung, auch Waffen einsetzen können in der öffentlichen Dis- die in die Kompetenz der GKS fällt. kussion – zumindest in interessierten Kreisen. Dabei Zur ethischen und belastungsbezogenen Bewertung gehen die Argumente nach meiner Einschätzung oft müssen wir uns äußern, das verlangt unser Selbstver- durcheinander, weil verschiedene Aspekte unzulässig ständnis, das ist unser Auftrag. vermischt werden. Am Auftrag der GKS Zunächst einmal sind be- wirkenw Viele an verschiede- waffnete Drohnen, und nur um nenn Stellen mit. Daher gibt diese neue Qualität scheint es ese Last-but-not-least aus zu gehen, ein Waffensystem, meinerm Sicht noch eine Per- das neue Möglichkeiten eröff- sonalies anzusprechen, die net. Diese fachlich zu bewer- died GKS in besonderer Wei- ten ist Sache der Fachleute, ses betrifft. Getrieben durch z.B. in der Luftwaffe. Dass died dienstliche Veränderung diese Waffensysteme einer vonv Militärdekan Msgr. Jo- spezifischen ethischen Be- hhann Meyer wurde der GKS wertung zu unterziehen sind, aauf Bundesebene ein neuer haben sie mit allen anderen GGeistlicher Beirat zugeord- Waffensystemen gemein. Es nnet. Diese Aufgabe hat mit ist gut, dass diese Überlegun- AnfangA November 2012 Mi- gen schon vor der Beschaf- litärdekanl Bernd Schaller fung ins Bewusstsein gebracht übernommen.ü Damit konnte werden. Dabei ist aus meiner hierh die Kontinuität der Auf- Sicht unbedingt der Zusam- gabenwahrnehmungg trotz menhang der „Hardware“ mit vakantemv Dienstposten im den Einsatzverfahren und – KMBAK sichergestellt wer- strukturen sowie anderen Ein- den.d Damit bleibt auch auf flussfaktoren darzustellen. derd Bundesebene sowohl die Gerade vor diesem Hin- sachgerechtes Schwerpunkt- tergrund geht die Verbindung setzungs auf die Aufgaben, des Rüstungsvorhabens mit died sich aus dem zweiten der geübten Praxis des „targeted killing“ völlig an den Kapitel des Dekrets über das Laienapostolat „Apo- realen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutsch- stolicam actuositatem“ des 2. Vatikanischen Konzils land vorbei. Ich habe keinerlei Zweifel, dass auch eine ergeben als auch die pastorale Begleitung garantiert. Kampfdrohne ausschließlich in den Streitkräften und Ich freue mich auf die Zusammenarbeit, die bereits im Rahmen eines auf völkerrechtlicher Basis gefassten konstruktiv angelaufen ist. Ich bin sicher, dass wir Bundestagsbeschlusses eingesetzt werden wird. Das damit wieder einen Begleiter haben, dem die Zusam- Thema „Gezielte Tötung“ muss daher aus der inner- menarbeit mit dem Verband an der gemeinsamen Sa- deutschen Debatte herausgehalten werden. che wirklich am Herzen liegt. In eine ethische Gesamtbewertung sollte meines Erachtens aber auf jeden Fall die Situation der Droh- Rüdiger Attermeyer, OTL i.G. nenpiloten einbezogen werden. Hier sollten die inter- Bundesvorsitzender der nationalen Erfahrungen ausgewertet werden, denn die Gemeinschaft Katholischer Soldaten

4 AUFTRAGAUFTRAG28 2899 • MÄRMÄRZÄ Z20 201313 SEITE GEISTLICHER BEIRAT

„Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“

iese Deutung von John Lennon ist bewusst an den stande kommen, die Fragen über unterschiedliche Le- DAnfang der „Seite des Geistlichen Beirates“ ge- bensformen gerade in Parteien für reichlich Gesprächs- stellt, da sie sich mit der Lebenswirklichkeit, wie wir stoff sorgen, der Berliner Flughafen und „Stuttgart 21“ sie immer wieder erleben, deckt. nicht aus den Schlagzeilen kommen, erleben Soldatin- Als ich 2011 an der „Woche der Begegnung“ in Un- nen und Soldaten der Bundeswehr ganz konkret und termarchtal, an der GKS-Akademie „Oberst Dr. Helmut hautnah, wie Leben plötzlich Planungen durcheinander Korn“ und an der „Woche der Be- bringen kann und wie schnell gegnung 2012 in jeweils wweit weg geglaubtes ganz prä- als Gast teilnehmen durfte, ahnte sents sein kann. So erbringen ich noch nicht, dass ich eines Ta- unsereu Frauen und Männer ges die Aufgabe des Geistlichen nichtn nur in den bisherigen Ein- Beirates in der Gemeinschaft Ka- satzländerns ihren Dienst, son- tholischer Soldaten auf Bundes- ddern stehen gerade in diesen ebene übernehmen würde. Nun TTagen und Wochen in der Ope- habe ich bei vielen Begegnungen rationr „ACTIVE FENCE TUR- und Gesprächen er-leben dürfen, KEY“K (AF TUR) in der Tür- wie mich diese Gemeinschaft auf- keik und in der Unterstützung und annimmt, mit der ich auf dem dder militärischen Mission der Weg durch die Zeit und das Leben afrikanischena Staatengemein- unterwegs sein darf als Begleiter schafts ECOWAS im nordafri- bei dem „was passiert“. kanischenk Mali unter oft großen Während diese Zeilen ent- persönlichenp Einschränkungen stehen, ereignet sich sowohl in fürf Frieden, Gerechtigkeit und der Kirche als auch in der Welt MenschenwürdeM zur Verfügung. vieles, was uns als Gemeinschaft InI einer Jahreszeit, in der die Katholischer Soldaten als Men- meistenm von uns sich an der neu schen und besonders als Christen erwachendene Natur und dem gleichermaßen betrifft: OsterfestO mit all seinen positi- Die Katholische Kirche erlebt venv Begleiterscheinungen er- mit Papst Benedikt XVI. den ersten freiwilligen Rücktritt freuen, er-leben Kameradinnen und Kameraden, wie eines Papstes in der Neuzeit. Hier wird ein neues Kapi- nahe Leid und Tod, Freude und Leben miteinander tel in der Kirchen- und Weltgeschichte aufgeschlagen, verbunden sind. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, dessen Fortsetzung sicher nicht nur innerhalb der Ka- sondern gelebte Nächstenliebe und Engagement für tholischen Kirche ganz neue Dimensionen zeigen wird. Zukunftsperspektive der Menschenfamilie, unabhän- Hier zeigt sich auf ganz spezielle Weise die Richtigkeit gig von Rasse, Stand oder Weltanschauung. des eingangs genannten Zitats. Leben erwächst für uns Christen gerade auch aus Während Sie diese Ausgabe in Händen halten, der Tatsache, dass auf den dunklen Karfreitag der wird gerade ein neuer Papst gewählt, bzw. ist vielleicht lichterfüllte Ostermorgen folgt. In diesem Sinn wün- seit kurzem im Amt, der sowohl innerhalb der Kirche sche ich uns allen ein frohes und gesegnetes Osterfest, als auch in seiner Wahrnehmung in der Welt auf nahe- das uns auch und gerade dann Kraft gibt, wenn unser zu allen Feldern des Lebens, wo etwas „passiert“, als Leben sich anders ereignet, als wir es geplant haben. „Brückenbauer“ gefragt sein wird. Während wir alle erleben, dass in manchen Län- Militärdekan Bernd F. Schaller, dern politische Mehrheiten sich ändern oder nicht zu- Geistlicher Beirat

AUFTRAGAUFTRAG 289 • MÄRMÄRZÄ Z 2013 5 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK SELIG, DIE FRIEDEN STIFTEN Botschaft Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. zur Feier des Weltfriedenstages 1. Januar 2013

Jedes neue Jahr bringt die Er- Jedem Menschen ist der Wunsch nach offenbart die Liebe des Vaters; er zö- 1.wartung einer besseren Welt mit Frieden wesenseigen und deckt sich gert nicht, sich selbst hinzugeben und sich. In dieser Perspektive bitte ich in gewisser Weise mit dem Wunsch als Opfer darzubringen. Wenn man Gott, den Vater der Menschheit, uns nach einem erfüllten, glücklichen und Jesus Christus, den Gottmenschen, Eintracht und Frieden zu gewähren, gut verwirklichten Leben. Mit ande- aufnimmt, erfährt man die Freude an damit für alle das Streben nach einem ren Worten, der Wunsch nach Frieden einem unermesslichen Geschenk: die glücklichen, gedeihlichen Leben Er- entspricht einem grundlegenden mo- Teilhabe am Leben Gottes selbst, das füllung finden könne. ralischen Prinzip, d. h. dem Recht auf heißt das Leben der Gnade, Unter- Fünfzig Jahre nach dem Beginn eine ganzheitliche, soziale, gemein- pfand eines vollkommen glücklichen des Zweiten Vatikanischen Konzils, schaftliche Entwicklung mit den dazu Lebens. Jesus Christus schenkt uns im das eine Stärkung der Sendung der gehörenden Pflichten, und das ist Teil Besonderen den wahren Frieden, der Kirche in der Welt ermöglicht hat, des Planes Gottes für den Menschen. aus der vertrauensvollen Begegnung ist es ermutigend festzustellen, dass Der Mensch ist geschaffen für den des Menschen mit Gott hervorgeht. die Christen als Volk Gottes, das in Frieden, der ein Geschenk Gottes ist. Die Seligpreisung Jesu besagt, Gemeinschaft mit Gott lebt und un- All das hat mich angeregt, für dass der Friede messianisches Ge- ter den Menschen unterwegs ist, sich diese Botschaft von den Worten Jesu schenk und zugleich Ergebnis in der Geschichte engagieren, indem Christi auszugehen: »Selig, die Frie- menschlichen Bemühens ist. Tatsäch- sie Freude und Hoffnung, Trauer und den stiften; denn sie werden Söhne lich setzt der Friede einen auf die Angst1 teilen, das Heil Christi verkün- Gottes genannt werden« (Mt 5,9). Transzendenz hin offenen Humanis- den und den Frieden für alle fördern. mus voraus. Er ist Frucht der wech- Unsere Zeit, die durch die Glo- Die Seligpreisungen selseitigen Gabe, einer gegenseitigen balisierung mit ihren positiven wie Die von Jesus verkündeten Se- Bereicherung, dank dem Geschenk, negativen Aspekten und durch wei- 2.ligpreisungen (vgl. Mt 5,3-12; Lk das von Gott ausgeht und ermöglicht, ter andauernde blutige Konflikte und 6,20-23) sind Verheißungen. In der mit den anderen und für die anderen drohende Kriege gekennzeichnet ist, biblischen Überlieferung stellen die zu leben. Die Ethik des Friedens ist erfordert in der Tat einen erneuten Seligpreisungen nämlich ein literari- eine Ethik der Gemeinschaft und des und einhelligen Einsatz in dem Be- sches Genus dar, das immer eine gute Teilens. Es ist also unerlässlich, dass mühen um das Gemeinwohl wie um Nachricht, d. h. ein Evangelium ent- die verschiedenen heutigen Kulturen die Entwicklung aller Menschen und hält, das in einer Verheißung gipfelt. Anthropologien und Ethiken über- des ganzen Menschen. Die Seligpreisungen sind also nicht winden, die auf rein subjektivisti- Alarmierend sind die Spannungen nur moralische Empfehlungen, de- schen und pragmatischen theoretisch- und Konfliktherde, deren Ursache in ren Befolgung zu gegebener Zeit – die praktischen Annahmen beruhen. Da- der zunehmenden Ungleichheit zwi- gewöhnlich im anderen Leben liegt – durch werden die Beziehungen des schen Reichen und Armen wie in der eine Belohnung bzw. eine Situation Zusammenlebens nach Kriterien der Dominanz einer egoistischen und in- zukünftigen Glücks vorsieht. Die Se- Macht oder des Profits ausgerichtet, dividualistischen Mentalität liegen, ligkeit besteht vielmehr in der Erfül- die Mittel werden zum Zweck und die sich auch in einem ungeregelten lung einer Verheißung, die an alle ge- umgekehrt, und die Kultur wie auch Finanzkapitalismus ausdrückt. Au- richtet ist, die sich von den Erforder- die Erziehung haben allein die Inst- ßer den verschiedenen Formen von nissen der Wahrheit, der Gerechtig- rumente, die Technik und die Effizi- Terrorismus und internationaler Kri- keit und der Liebe leiten lassen. Die enz im Auge. Eine Voraussetzung für minalität sind für den Frieden jene auf Gott und seine Verheißungen ver- den Frieden ist die Entkräftung der Fundamentalismen und Fanatismen trauen, erscheinen in den Augen der Diktatur des Relativismus und der gefährlich, die das wahre Wesen der Welt häufig einfältig und realitätsfern. These einer völlig autonomen Mo- Religion verzerren, die ja berufen ist, Nun, Jesus verkündet ihnen, dass sie ral, welche die Anerkennung eines die Gemeinschaft und die Versöhnung nicht erst im anderen, sondern bereits von Gott in das Gewissen eines jeden unter den Menschen zu fördern. in diesem Leben entdecken werden, Menschen eingeschriebenen, unab- Und doch bezeugen die vielfäl- dass sie Kinder Gottes sind und dass dingbaren natürlichen Sittengesetzes tigen Werke des Friedens, an denen Gott ihnen gegenüber von jeher und verhindert. Der Friede ist der Aufbau die Welt reich ist, die angeborene Be- für immer solidarisch ist. Sie werden des Zusammenlebens unter rationalen rufung der Menschheit zum Frieden. verstehen, dass sie nicht allein sind, und moralischen Gesichtspunkten auf 1 Vgl. II. Vaticanum, Pastoral-Konstituti- weil er auf der Seite derer steht, die einem Fundament, dessen Maßstab on über die Welt von heute Gaudium et sich für die Wahrheit, die Gerechtig- nicht vom Menschen, sondern von spes, 1. keit und die Liebe einsetzen. Jesus Gott geschaffen ist. „Der Herr gebe

6 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Kraft seinem Volk. Der Herr segne lebt werden, das eine innere und äu- Frieden zu bewirken. Der Friede ist sein Volk mit Frieden“, sagt Psalm ßere Sittenordnung einschließt, in der hauptsächlich die Verwirklichung des 29 (vgl. V. 11). ehrlich – gemäß der Wahrheit und der Gemeinwohls der verschiedenen Ge- Gerechtigkeit – die wechselseitigen sellschaften, auf primärer, mittlerer, Der Friede: Gabe Gottes und Frucht Rechte und Pflichten anerkannt wer- nationaler, internationaler Ebene und menschlichen Bemühens den. Der Friede ist eine Ordnung, die weltweit. Genau deshalb kann man Der Friede betrifft die Person in belebt und ergänzt wird von der Liebe, annehmen, dass die Wege zur Ver- 3.ihrer Ganzheit und impliziert die so dass man die Nöte und Erfordernis- wirklichung des Gemeinwohls auch Einbeziehung des ganzen Menschen. se der anderen wie eigene empfindet, die Wege sind, die beschritten werden Er ist Friede mit Gott, wenn man ge- die anderen teilhaben lässt an den ei- müssen, um zum Frieden zu gelangen. mäß seinem Willen lebt. Er ist innerer genen Gütern und die Gemeinschaft Friede mit sich selbst, er ist äußerer der geistigen Werte in der Welt eine Friedensstifter sind diejenigen, Friede mit dem Nächsten und mit der immer weitere Verbreitung findet. Der die das Leben in seiner Ganzheit lieben, gesamten Schöpfung. Wie der selige Friede ist eine in Freiheit verwirklich- verteidigen und fördern Johannes XXIII. in seiner Enzyklika te Ordnung, und zwar in einer Weise, Ein Weg zur Verwirklichung des Pacem in terris schrieb, deren Veröf- die der Würde der Menschen ange- 4.Gemeinwohls und des Friedens fentlichung sich in einigen Monaten messen ist, die aufgrund ihrer ratio- ist vor allem die Achtung vor dem zum fünfzigsten Mal jährt, bedingt der nalen Natur die Verantwortung für ihr menschlichen Leben, unter seinen Friede hauptsächlich den Aufbau ei- Tun übernehmen.3 vielfältigen Aspekten gesehen, von nes auf Wahrheit, Freiheit, Liebe und Der Friede ist kein Traum, keine seiner Empfängnis an, in seiner Ent- Gerechtigkeit gegründeten Zusam- Utopie: Er ist möglich. Unsere Au- wicklung und bis zu seinem natürli- menlebens.2 gen müssen mehr in die Tiefe schau- chen Ende. Wahre Friedensstifter sind Die Leugnung dessen, was die en, unter die Oberfläche des äußeren also diejenigen, die das menschliche wahre Natur des Menschen ausmacht Anscheins, um eine positive Wirk- Leben in all seinen Dimensionen – der – in seinen wesentlichen Dimensio- lichkeit zu erblicken, die in den Her- persönlichen, gemeinschaftlichen und nen, in der ihm innewohnenden Fä- zen existiert. Denn jeder Mensch ist der transzendenten – lieben, verteidi- higkeit, das Wahre und das Gute, letzt- nach dem Bild Gottes erschaffen und gen und fördern. Das Leben in Fülle lich Gott selbst zu erkennen –, gefähr- dazu berufen, zu wachsen, indem er ist der Gipfel des Friedens. Wer den det den Aufbau des Friedens. Ohne zum Aufbau einer neuen Welt bei- Frieden will, kann keine Angriffe und die Wahrheit über den Menschen, trägt. Gott selber ist ja durch die In- Verbrechen gegen das Leben dulden. die vom Schöpfer in sein Herz ein- karnation seines Sohnes und durch Wer den Wert des menschlichen geschrieben ist, werden die Freiheit die durch ihn erwirkte Erlösung in Lebens nicht ausreichend würdigt und die Liebe herabgewürdigt, und die Geschichte eingetreten, indem und folglich zum Beispiel die Libera- die Gerechtigkeit verliert die Basis er eine neue Schöpfung erstehen ließ lisierung der Abtreibung unterstützt, für ihre praktische Anwendung. Um und einen neuen Bund zwischen Gott macht sich vielleicht nicht klar, dass authentische Friedensstifter zu wer- und den Menschen schloss (vgl. Jer auf diese Weise die Verfolgung eines den, ist zweierlei grundlegend: die Be- 31,31-34) und uns so die Möglich- illusorischen Friedens vorgeschla- achtung der transzendenten Dimen- keit gegeben hat, »ein neues Herz« gen wird. Die Flucht vor der Verant- sion und das ständige Gespräch mit und »einen neuen Geist« (Ez 36,26) wortung, die den Menschen entwür- Gott, dem barmherzigen Vater, durch zu haben. digt, und noch mehr die Tötung ei- das man die Erlösung erfleht, die Eben deshalb ist die Kirche über- nes wehrlosen, unschuldigen Wesens, sein eingeborener Sohn uns erworben zeugt, dass die Dringlichkeit besteht, können niemals Glück oder Frieden hat. So kann der Mensch jenen Keim Jesus Christus, den ersten und haupt- schaffen. Wie kann man denn mei- der Trübung und der Verneinung des sächlichen Urheber der ganzheitli- nen, den Frieden, die ganzheitliche Friedens besiegen, der die Sünde in chen Entwicklung der Völker und Entwicklung der Völker oder selbst all ihren Formen ist: Egoismus und auch des Friedens, neu zu verkünden. den Umweltschutz zu verwirklichen, Gewalt, Habgier, Machtstreben und Jesus ist nämlich unser Friede, unse- ohne dass das Recht der Schwächs- Herrschsucht, Intoleranz, Haß und re Gerechtigkeit, unsere Versöhnung ten auf Leben – angefangen bei den ungerechte Strukturen. (vgl. Eph 2,14; 2 Kor 5,18). Friedens- Ungeborenen – geschützt wird? Jede Die Verwirklichung des Friedens stifter im Sinne der Seligpreisung Jesu dem Leben zugefügte Verletzung, be- hängt vor allem davon ab anzuerken- ist derjenige, der das Wohl des ande- sonders an dessen Beginn, verursacht nen, dass in Gott alle eine einzige ren sucht, das umfassende Wohl von unweigerlich irreparable Schäden für Menschheitsfamilie bilden. Wie die Seele und Leib, heute und morgen. die Entwicklung, den Frieden und die Enzyklika Pacem in terris lehrte, ist Aus dieser Lehre kann man ent- Umwelt. Es ist auch nicht recht, auf diese durch zwischenmenschliche Be- nehmen, dass jeder Mensch und jede raffinierte Weise Scheinrechte oder ziehungen und durch Institutionen Gemeinschaft – religiösen wie zivi- willkürliche Freiheiten zu kodifizie- gegliedert, die von einem gemein- len Charakters, im Erziehungswesen ren, die auf einer beschränkten und schaftlichen „Wir“ getragen und be- wie in der Kultur – berufen ist, den relativistischen Sicht des Menschen 2 Vgl. Enzyklika Pacem in terris (11. sowie auf dem geschickten Gebrauch April 1063): AAS 55 (1963), 265-266. 3 Vgl. ebd.: AAS 55 (1963), 266. von doppeldeutigen, auf die Begüns-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 7 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK tigung eines angeblichen Rechts auf täten auf dem Gebiet der Erziehung, ruhende Sicht der Arbeit, die ihr Ver- Abtreibung und Euthanasie abzielen- der Wohltätigkeit und der Betreuung ständnis als fundamentales Gut für die den Begriffen beruhen, letztlich aber auszuüben, die es erlauben, die reli- Person, die Familie und die Gesell- das Grundrecht auf Leben bedrohen. giösen Vorschriften anzuwenden; als schaft stärkt. Einem solchen Gut ent- Auch die natürliche Struktur der soziale Einrichtungen zu existieren sprechen eine Pflicht und ein Recht, Ehe als Verbindung zwischen einem und zu handeln, die entsprechend den die mutige und neue Formen der Ar- Mann und einer Frau muss anerkannt ihnen eigenen lehrmäßigen Grundsät- beitspolitik für alle erfordern. und gefördert werden gegenüber den zen und institutionellen Zielen struk- Versuchen, sie rechtlich gleichzustel- turiert sind. Leider nehmen auch in Das Gut des Friedens schaffen len mit radikal anderen Formen der Ländern alter christlicher Tradition durch ein neues Entwicklungs- Verbindung, die in Wirklichkeit die Zwischenfälle von religiöser Intole- und Wirtschaftsmodell Ehe beschädigen und zu ihrer Desta- ranz zu, speziell gegen das Christen- 5. Von mehreren Seiten wird er- bilisierung beitragen, indem sie ihren tum und gegen die, welche einfach kannt, dass es heute eines neuen Ent- besonderen Charakter und ihre uner- Identitätszeichen der eigenen Reli- wicklungsmodells wie auch eines neu- setzliche gesellschaftliche Rolle ver- gion tragen. en Blicks auf die Wirtschaft bedarf. dunkeln. Diese Grundsätze sind kei- Der Friedensstifter muss sich Sowohl eine ganzheitliche, solidari- ne Glaubenswahrheiten, noch sind auch vor Augen halten, dass in wach- sche und nachhaltige Entwicklung sie nur eine Ableitung aus dem Recht senden Teilen der öffentlichen Mei- als auch das Gemeinwohl verlangen auf Religionsfreiheit. Sie sind in die nung die Ideologien des radikalen eine richtige Werteskala, die aufge- menschliche Natur selbst eingeschrie- Wirtschaftsliberalismus und der Tech- stellt werden kann, wenn man Gott ben, mit der Vernunft erkennbar und nokratie die Überzeugung erwecken, als letzten Bezugspunkt hat. Es genügt so der gesamten Menschheit gemein- dass das Wirtschaftswachstum auch nicht, viele Mittel und viele – auch sam. Der Einsatz der Kirche zu ihrer um den Preis eines Schwunds der so- schätzenswerte – Wahlmöglichkeiten Förderung hat also keinen konfes- zialen Funktion des Staates und der zu haben. Sowohl die vielfältigen, für sionellen Charakter, sondern ist an Netze der Solidarität der Zivilgesell- die Entwicklung zweckmäßigen Gü- alle Menschen gerichtet, unabhängig schaft sowie der sozialen Rechte und ter als auch die Wahlmöglichkeiten von ihrer religiösen Zugehörigkeit. Pflichten zu verfolgen sei. Dabei muss müssen unter dem Aspekt eines gu- Solch ein Einsatz ist um so nötiger, man bedenken, dass diese Rechte und ten Lebens, eines rechten Verhaltens je mehr diese Grundsätze geleugnet Pflichten grundlegend sind für die genutzt werden, das den Primat der oder falsch verstanden werden, denn volle Verwirklichung weiterer Rech- geistigen Dimension und den Aufruf das stellt eine Beleidigung der Wahr- te und Pflichten, angefangen bei den zur Verwirklichung des Gemeinwohls heit des Menschen dar, eine schwe- zivilen und politischen. anerkennt. Andernfalls verlieren sie re Verletzung der Gerechtigkeit und Zu den heute am meisten bedroh- ihre richtige Wertigkeit und werden des Friedens. ten sozialen Rechten und Pflichten ge- letztlich zu neuen Götzen. Darum ist es auch ein wichti- hört das Recht auf Arbeit. Das ist da- Um aus der augenblicklichen Fi- ger Beitrag zum Frieden, wenn die durch bedingt, dass in zunehmendem nanz- und Wirtschaftskrise – die ein Rechtsordnungen und die Rechtspre- Maß die Arbeit und die rechte An- Anwachsen der Ungleichheiten zur chung die Möglichkeit anerkennen, erkennung des Rechtsstatus der Ar- Folge hat – herauszukommen, sind vom Recht auf Einwand aus Gewis- beiter nicht angemessen zur Geltung Personen, Gruppen und Institutionen sensgründen gegenüber Gesetzen und gebracht werden, weil die wirtschaft- notwendig, die das Leben fördern, in- Regierungsmaßnahmen Gebrauch zu liche Entwicklung vor allem auf der dem sie die menschliche Kreativität machen, die – wie Abtreibung und völligen Freiheit der Märkte basiere. begünstigen, um sogar aus der Kri- Euthanasie – die Menschenwürde ge- So wird die Arbeit als eine abhängige se eine Chance für Einsicht und ein fährden. Zu den auch für das fried- Variable der Wirtschafts- und Finanz- neues Wirtschaftsmodell zu gewinnen. liche Leben der Völker fundamen- mechanismen angesehen. In diesem Das in den letzten Jahrzehnten vor- talen Menschenrechten gehört das Zusammenhang betone ich noch ein- herrschende Wirtschaftsmodell for- Recht der einzelnen und der Gemein- mal, dass die Würde des Menschen so- derte die größtmögliche Steigerung schaften auf Religionsfreiheit. In die- wie die wirtschaftlichen, sozialen und des Profits und des Konsums in einer sem geschichtlichen Moment wird es politischen Erfordernisse verlangen, individualistischen und egoistischen immer wichtiger, dass dieses Recht „dass als Priorität weiterhin das Ziel Sicht, die darauf ausgerichtet war, die nicht nur in negativer Deutung als verfolgt wird, allen Zugang zur Arbeit Menschen nur nach ihrer Eignung Freiheit von – zum Beispiel von Ver- zu verschaffen und für den Erhalt ih- zu bewerten, den Anforderungen der pflichtungen und Zwängen in Bezug rer Arbeitsmöglichkeit zu sorgen“.4 Konkurrenzfähigkeit zu entsprechen. auf die Freiheit, die eigene Religion Voraussetzung im Hinblick auf Aus einer anderen Perspektive er- zu wählen – gefördert wird, sondern die Verwirklichung dieses ehrgeizi- reicht man dagegen den wahren und auch in positiver Deutung in ihren gen Ziels ist eine neue, auf ethischen dauerhaften Erfolg durch Selbsthinga- verschiedenen Ausdrucksformen als Prinzipien und geistigen Werten be- be, durch den Einsatz seiner intellek- Freiheit zu: zum Beispiel die eigene tuellen Fähigkeiten und seines Unter- 4 Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in Religion zu bezeugen, ihre Lehre zu veritate (29. Juni 2009), 32: AAS 101 nehmungsgeistes, denn die lebbare, verkünden und mitzuteilen; Aktivi- (2009), 666-667. das heißt authentisch menschliche

8 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK wirtschaftliche Entwicklung braucht zu versetzen, ihre Tätigkeit würdig, so- gen, den Schulen und den Universitä- das Prinzip der Unentgeltlichkeit als zial vertretbar, umweltfreundlich und ten wahrgenommen. Von diesen wird Ausdruck der Brüderlichkeit und der wirtschaftlich nachhaltig zu entfalten. ein beachtlicher Beitrag nicht nur zur Logik der Gabe.5 Konkret zeigt sich Ausbildung zukünftiger Generationen in der wirtschaftlichen Aktivität der Erziehung zu einer Kultur von Führungskräften, sondern auch Friedensstifter als derjenige, der mit des Friedens: die Rolle der Familie zur Erneuerung der öffentlichen In- den Mitarbeitern und den Kollegen, und der Institutionen stitutionen auf nationaler und inter- mit den Auftraggebern und den Ver- 6. Mit Nachdruck möchte ich nationaler Ebene erwartet. Sie kön- brauchern Beziehungen der Fairness noch einmal betonen, dass die zahlrei- nen auch zu einer wissenschaftlichen und der Gegenseitigkeit knüpft. Er chen Friedensstifter aufgerufen sind, Überlegung beisteuern, welche die übt die wirtschaftliche Aktivität für sich mit ganzer Hingabe für das allge- Wirtschafts- und Finanzaktivitäten das Gemeinwohl aus, lebt seinen Ein- meine Wohl der Familie und für die in einem soliden anthropologischen satz als etwas, das über die eigenen soziale Gerechtigkeit sowie für eine und ethischen Fundament verankert. Interessen hinausgeht, zum Wohl der wirksame soziale Erziehung einzuset- Die Welt von heute, besonders die der gegenwärtigen und der kommenden zen. Niemand darf die entscheidende Politik, braucht den Halt eines neu- Generationen. So arbeitet er nicht nur Rolle der Familie, die unter demo- en Denkens, einer neuen kulturellen für sich selbst, sondern auch, um den graphischem, ethischem, pädagogi- Synthese, um Technizismen zu über- anderen eine Zukunft und eine wür- schem, wirtschaftlichem und politi- winden und die mannigfaltigen poli- dige Arbeit zu geben. schem Gesichtspunkt die Grundzelle tischen Tendenzen im Hinblick auf Im wirtschaftlichen Bereich ist – der Gesellschaft ist, übersehen oder das Gemeinwohl aufeinander abzu- besonders seitens der Staaten – eine unterbewerten. Sie hat eine natürli- stimmen. Als ein Ganzes aus positi- Politik der industriellen und land- che Berufung, das Leben zu fördern: ven zwischenmenschlichen und ins- wirtschaftlichen Entwicklung erfor- Sie begleitet die Menschen in ihrem titutionellen Beziehungen im Dienst derlich, die den sozialen Fortschritt Wachsen und fordert sie auf, durch des ganzheitlichen Wachstums der und die Ausbreitung eines demokra- gegenseitige Fürsorge einander zu einzelnen und der Gruppen gesehen, tischen Rechtsstaates im Auge hat. stärken. Insbesondere die christliche ist das Gemeinwohl die Basis für jede Grundlegend und unumgänglich ist Familie trägt in sich den Urplan der wahre Erziehung zum Frieden. außerdem die ethische Strukturierung Erziehung der Menschen nach dem der Währungs-, Finanz- und Handels- Maß der göttlichen Liebe. Die Familie Eine Pädagogik märkte; sie müssen stabilisiert und ist einer der unverzichtbaren Gesell- des Friedensstifters besser koordiniert und kontrolliert schaftsträger in der Verwirklichung So ergibt sich schließlich die werden, damit sie nicht den Ärmsten einer Kultur des Friedens. Das Recht 7.Notwendigkeit, eine Pädagogik Schaden zufügen. Die Sorge der zahl- der Eltern und ihre vorrangige Rolle in des Friedens vorzuschlagen und zu reichen Friedensstifter muss sich au- der Erziehung der Kinder – an erster fördern. Sie verlangt ein reiches inne- ßerdem – mit größerer Entschieden- Stelle im moralischen und religiösen res Leben, klare und gute moralische heit, als das bis heute geschehen ist Bereich – müssen geschützt werden. Bezüge, ein entsprechendes Verhalten – der Nahrungsmittelkrise zuwenden, In der Familie werden die Friedens- und einen angemessenen Lebensstil. die weit schwerwiegender ist als die stifter, die zukünftigen Förderer einer Tatsächlich tragen die Werke des Finanzkrise. Das Thema der Sicher- Kultur des Lebens und der Liebe, ge- Friedens zur Verwirklichung des Ge- heit der Nahrungsmittelversorgung boren und wachsen in ihr heran.6 meinwohls bei und wecken das In- ist aufgrund von Krisen, die unter an- In diese ungeheure Aufga be der teresse für den Frieden, erziehen zu derem mit plötzlichen Preisschwan- Erziehung zum Frieden sind beson- ihm. Gedanken, Worte und Gesten des kungen bei den landwirtschaftlichen ders die Religionsgemeinschaften ein- Friedens schaffen eine Mentalität und Grundprodukten, mit verantwortungs- bezogen. Die Kirche fühlt sich an ei- eine Kultur des Friedens, eine Atmo- losem Verhalten einiger Wirtschafts- ner so großen Verantwortung beteiligt sphäre der Achtung, der Rechtschaf- unternehmer und mit unzureichender durch die neue Evangelisierung, de- fenheit und der Herzlichkeit. Man Kontrolle durch die Regierungen und ren Angelpunkte die Bekehrung zur muss also die Menschen lehren, ein- die Internationale Gemeinschaft zu- Wahrheit und zur Liebe Christi und ander zu lieben und zum Frieden zu sammenhängen, erneut ins Zentrum infolgedessen die geistige und mora- erziehen sowie über bloße Toleranz hi- der Tagesordnung der internationa- lische Wiedergeburt der Menschen naus einander mit Wohlwollen zu be- len Politik gerückt. Um dieser Ver- und der Gesellschaften sind. gegnen. Der grundsätzliche Aufruf ist sorgungskrise zu begegnen, sind die Die Begegnung mit Jesus Christus der, „nein zur Rache zu sagen, eigene Friedensstifter aufgerufen, gemein- formt die Friedensstifter, indem sie sie Fehler einzugestehen, Entschuldigun- sam im Geist der Solidarität von der zur Gemeinschaft und zur Überwin- gen anzunehmen, ohne sie zu suchen, lokalen bis hin zur internationalen dung des Unrechts anhält. Ein beson- und schließlich zu vergeben“7, so dass Ebene zu wirken, mit dem Ziel, die derer Auftrag gegenüber dem Frieden Bauern, besonders in den kleinen wird von den kulturellen Einrichtun- 7 Benedikt XVI., Ansprache anlässlich Landwirtschaftsbetrieben, in die Lage der Begegnung mit den Mitgliedern der 6 Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Regierung, der Institutionen des Staa- 5 Vgl. ebd., 34 und 36: AAS 101 (2009), Weltfriedenstag 1994 (8. Dezember tes, mit dem Diplomatischen Corps, den 668-670 und 671-672. 1993): AAS 86 (1994), 156-162. Verantwortungsträgern der Religionen

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 9 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Fehler und Bel eidigungen in Wahr- Im Gegensatz dazu bedeutet die die Verantwortlichen der Völker er- heit eingestanden werden können, Pädagogik des Friedens aktives Han- leuchten, damit sie neben der Sorge um gemeinsam der Versöhnung entge- deln, Mitleid, Solidarität, Mut und für den rechten Wohlstand ihrer Bür- genzugehen. Das verlangt die Verbrei- Ausdauer. Jesus verkörpert das Gan- ger für das wertvolle Geschenk des tung einer Pädagogik der Vergebung. ze dieser Verhaltensweisen in seinem Friedens bürgen und es verteidigen; Denn das Böse wird durch das Gute Leben bis zur völligen Selbsthingabe, er möge den Willen aller entzünden, besiegt, und die Gerechtigkeit muss in bis dahin, das Leben zu „verlieren“ die trennenden Barrieren zu überwin- der Nachahmung Gottvaters gesucht (vgl. Mt 10,39; Lk 17,33; Joh 12,25). den, die Bande gegenseitiger Liebe werden, der all seine Kinder liebt (vgl. Er verspricht seinen Jüngern, dass sie zu festigen, die anderen zu verstehen Mt 5,21-48). Es ist eine langwierige früher oder später die außerordentli- und denen zu verzeihen, die Krän- Arbeit, denn sie setzt eine geistige che Entdeckung machen werden, von kung verursacht haben, so dass kraft Entwicklung, eine Erziehung zu den der wir zu Anfang gesprochen haben, seines Handelns alle Völker der Erde höheren Werten und eine neue Sicht dass es nämlich in der Welt Gott gibt, sich verbrüdern und unter ihnen im- der menschlichen Geschichte voraus. den Gott Jesu Christi, der ganz und mer der so sehr ersehnte Friede blühe Man muss auf den falschen Frieden, gar solidarisch mit den Menschen und herrsche.8 den die Götzen dieser Welt verspre- ist. In diesem Zusammenhang möch- Mit dieser Bitte verbind e ich den chen, verzichten und so die Gefahren, te ich an das Gebet erinnern, in dem Wunsch, dass alle als wahre Friedens- die ihn begleiten, umgehen: auf je- wir Gott darum bitten, dass er uns zu stifter an dessen Aufbau mitwirken, nen falschen Frieden, der die Gewis- einem Werkzeug seines Friedens ma- so dass das Gemeinwesen der Men- sen immer mehr abstumpft, der zum che, um seine Liebe zu bringen, wo schen in brüderlicher Eintracht, in Rückzug in sich selbst und zu einem Hass herrscht, seine Vergebung, wo Wohlstand und in Frieden wachse. ❏ verkümmerten Leben in Gleichgül- Kränkung verletzt, den wahren Glau- (Text: vatican) tigkeit führt. ben, wo Zweifel droht. Gemeinsam mit und den Vertretern der Welt der Kultur, dem seligen Johannes XXIII. wollen 8 Vgl. Enzyklika Pacem in terris (11. Baabda, Libanon (15. September 2012) wir unsererseits Gott bitten, er möge April 1963): AAS 55 (1963), 304.

Internationaler Soldatengottesdienst Kardinal Meisner feiert mit Soldaten

m Donnerstag, den 10. Januar A2013 feierte Joachim Kardinal Meisner im Hohen Dom zu Köln den Internationalen Soldatengottesdienst. Unter den ca. 1.600 Besuchern im Dom waren der Bundesminister der Verteidigung Dr. Thomas de Maizi- ère, der Generalinspekteur der Bun- deswehr, sowie zahlreiche Beamte der Bundespolizei und eine große Abord- nung von internationalen Angehöri- gen ausländischer Streitkräfte, die die Bundessprachenschule in Hürth besuchen. Die Lesung trug der Minister vor und Oberstabsfeldwebel Joachim Lensch wiederholte auf Englisch für die internationalen Gäste. Die Für- bitten, welche auch die Angehörigen Von links: Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, der im Einsatz befindlichen Soldatin- Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, Staatssekretär nen und Soldaten einschlossen, wur- Rüdiger Wolf, dahinter Militärgeneralvikar Apostolischer Protonotar Walter den wechselseitig in verschiedenen Wakenhut Sprachen vorgetragen und jeweils auf Deutsch wiederholt. In seiner Predigt als Diener des Friedens und der Si- „pacem in terris“ des seligen Pap- ging Kardinal Meisner auf die Texte cherheit der Völker bezeichnet wer- stes Johannes XXIII. In dieser stehe, des Konzils ein, in der die Soldaten den, aber auch auf die Enzyklika dass Freiheit und Würde des Men-

10 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK schen die unverzichtbaren Grundla- gen des Friedens seien. In der Unvoll- kommenheit unserer Welt bräuchte man aber Soldaten, die ihren Dienst Grußwort des Bundesvorsitzenden der GKS, Oberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer „recht“ versähen, damit die Freiheit und die Würde des Menschen auch apst Benedikt XVI. hat für den 46. Weltfriedenstages im Jahr 2013 zur Geltung kommen könnten führte Pals Thema gewählt: „Selig, die Frieden stiften“. der Kardinal aus. Frieden stiften in Er hat damit ein Thema aufgegriffen, das uns Soldaten ganz beson- der Perspektive der Bergpredigt hie- ders anspricht, wie ich meine, denn es trifft unsere Aufgabe im Kern. ße, schon die Ursachen für den Un- So liegt es in diesem Jahr wirklich auf der Hand, „Gaudium et Spes“ frieden aus der Welt zu schaffen, so als für uns Soldaten wichtiges Konzilsdokument zu zitieren. „Wer als Kardinal Meisner weiter. Friedens- Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der stifter setzten der Macht der Stärke- Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht er- ren ihren Ungehorsam entgegen, denn füllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.“ Friedensstifter seien alles andere als Dabei sind Gerechtigkeit und Frieden zwei Begriffe, die untrennbar harmlos. Sie seien gelebtes Zeugnis miteinander verbunden sind. „Wer Frieden will, muss Gerechtigkeit für Jesus, der auch „Ecken und Kan- wollen“ heißt es in „Gerechter Friede“, dem Friedenswort der deut- ten“ gehabt hätte. Mit der Bitte, Gott schen Bischöfe aus dem Jahr 2000, denn ohne Gerechtigkeit ist ein möge „unsere Schritte lenken auf den dauerhafter Friede nicht denkbar. Eine Welt, so heißt es an anderer Weg des Friedens“ beendete Kardinal Stelle, in der ein menschenwürdiges Leben vorenthalten wird, steckt Meisner seine Predigt. Beim anschließenden Empfang auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. im Maternushaus, begrüßte Kardinal Nun ist eine alte Forderung der GKS, die Konfliktbewältigung nicht Meisner weitere Ehrengäste aus dem ausschließlich mit militärischen Mitteln anzugehen, sondern in einem Ministerium, den Militärbischof aus gemeinschaftlichen Ansatz alle politisch opportunen Möglichkeiten Großbritannien Richard Moth sowie einzusetzen. Sicherheit als Voraussetzung für Entwicklung werden in weiter internationale Gäste, unter vielen Fällen nur Soldaten schaffen können, andere Fähigkeiten sind ihnen auch der Vorsitzende der Ar- dann aber vor allem durch andere Organisationen zu leisten. beitsgemeinschaft der Katholischen Über diese Rolle der Soldaten besteht weitgehender Konsens in Soldaten aus Österreich, Brigadier der Gesellschaft, auch wenn die Aktivitäten der Bundeswehr oft mit Martin Jawurek, der mit einer De- Desinteresse begleitet werden. Hohe Anerkennung hat das Engage- legation den Präsidenten des Apo- ment der Soldaten in Afghanistan Mitte Dezember letzten Jahres beim stolat Militaire International (AMI) Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck im Einsatzland erfahren. Generalmajor Norbert Sinn beglei- Neben der Übermittlung von Dank und Anerkennung für die Arbeit tete. Launig bemerkte der Kardinal, von deutschen und internationalen Soldaten, Polizisten und Mitarbei- dass er im Dom über 15 min gepre- tern der Entwicklungszusammenarbeit hat er sich eine realistische digt hätte und deshalb seine Begrü- Diskussion über die Verhältnisse in Afghanistan gewünscht. Die An- ßung straffen würde. Er erinnerte wesenden hat er aufgefordert, ehrlich über den Einsatz zu berichten daran, dass Europa seit fast 70 Jah- – ehrlicher, wie er sagte. ren Frieden hätte, was nicht nur auf Ehrlich und realistisch ist es leider nicht, wenn Soldaten in Af- kluge Politiker sondern auch auf die ghanistan als „Besatzer“ bezeichnet werden, die die Gewalt nicht ge- Präsenz von gut ausgebildeten Sol- stoppt, sondern eher zur Eskalation beigetragen haben. daten zurückzuführen sei. In dieser ParlSts Schmidt hat für das Verteidigungsministerium rasch und langen Friedenszeit habe sich die eindeutig dazu Stellung bezogen. Die Vorwürfe bezeichnete er als ver- Gesellschaft zu einer „Spaßgesell- fehlt und mahnt dazu, für eine Bewertung der Entwicklung in Afgha- schaft“ entwickelt, führte der Kardi- nal aus und forderte, man müsse sich nistan „einen differenzierten Blick zu verwenden“. Ich danke Ihnen, zu einer Verantwortungsgesellschaft“ Herr Minister, für diese Reaktion aus Ihrem Hause, nun sind aber aus weiter entwickeln, um Frieden und meiner Sicht die deutschen Bischöfe an der Reihe, klare Position im die Würde des Menschen überall zur Sinne von „Gerechter Friede“ zu beziehen. „Diejenigen, die sich ver- Geltung zu verhelfen. antwortlich für diesen Dienst entscheiden und damit ihren Auftrag zur Der Minister ging in seiner Erwi- Sicherung des Friedens, insbesondere zur Kriegsverhinderung, erfül- derung zu Beginn auf die Länge der len wollen, haben Anspruch auf Achtung und Solidarität“. (GF 133) Predigt ein und sagte den Gästen, So heißt es dort, und ich frage mich, ob dies noch gilt. dass in seiner Kirche eine Predigt Das Engagement im soldatischen Alltag für christliche Werte ein- nicht unter 20 Minuten dauere und zustehen wurde der GKS in „Gerechter Friede“ ausdrücklich bestä- er somit mit der Predigt des Kardi- tigt, dies ist uns Verpflichtung bis heute und auch für die Zukunft. ❏ nals gut bedient worden sei. Er erin- nerte auch daran, dass Teile der Kir- chen das Wort der Bergpredigt über-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 11 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK setzen würden „selig die Friedferti- dienendeutschland unter dem Stich- für den Menschen im Einsatz sei gen“. Dies sei aber zu wenig, führte wort „danke“ anschauen können. und verwahrte sich, den Soldaten zu der Minister aus. Der Friede müsse Militärgeneralvikar Walter Wa- unterstellen, diese würden ihre Waf- aktiv errungen werden, deshalb sei kenhut überbrachte die Grüße des fen einfach nur als „Werkzeug“ ein- das diesjährige Friedenswort „selig, Militärbischofs und lud die Anwe- setzen. Durch eine solide ethische die die Frieden stiften“ so zutreffend, senden ein, an einer Veranstaltung und moralische Ausbildung würden weil es den tätigen Christen anspre- des Militärbischofsamtes zur Enzy- die Soldaten ihr demokratisch legi- che, der den Frieden herbeiführe. klika „pacem in terris“ am 9. und timiertes Tun in Einklang mit ihrem Zum Schluss dankte der Minister der 10.April in Berlin teilzunehmen. Er Gewissen bringen. Militärseelsorge für ihren Dienst als verwies auf die Veröffentlichungen Der Bundesvorsitzende der GKS, Ansprechpartner für alle Soldaten. Er der Deutschen Bischofskonferenz, Oberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer, dankte ganz besonders, dass die An- die sich letztmalig 2011 zum zehn- sprach in seinem abschließenden gehörigen in den Fürbitten bedacht ten Jahrestag der Anschläge in New Grußwort (Text siehe Kasten Seite 11), wurden, denn die Angehörigen der York geäußert hätten (siehe AUF- dass Soldaten nicht alles allein ma- Soldatinnen und Soldaten im Einsatz TRAG 284, Seite 7). Er sagte aber chen könnten, der gemeinschaftliche seien ebenso den Herausforderungen auch, dass dies nicht in allen kirch- Ansatz sei notwendig, um die richti- unterworfen. Anschließend wurde der lichen Verbänden so gesehen würde. gen Kräfte zur richtigen Zeit nach Videoclip gezeigt, den interessierte Wakenhut betonte, wie wichtig der ihren Fähigkeiten einzusetzen. ❏ Leser bei www.youtube/com/user/wir- Dienst der Militärseelsorge gerade (Text und Foto: Bertram Bastian)

Militärethik international Militärethik in der polnischen Armee

VON RUTH NOBIS1

ch, Soldat der polnischen Ar- Der Soldat soll den anderen Men- – die Nationalhymne ehren; „Imee, schwöre der Republik Po- schen durch sein Leben ein gutes – dem Eid und der Militärfahne len treu zu dienen und Ihre Unabhän- Beispiel geben. Die Attribute des treu sein; gigkeit und die Grenzen zu schüt- polnischen Soldaten sind: Patriotis- – seine Uniform ehren; zen. Ich schwöre die Konstitution, mus, Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe, Ge- – seine Pflichten und Aufgaben gut die Ehre des polnischen Soldaten und rechtigkeit, Ehre des Vorgesetzten erfüllen, ggf. auch dafür sein Le- die Militärfahne zu schützen und für und Gehorsam gegenüber dem Vor- ben riskieren; meine Heimat im Notfall mein Le- gesetzten. – veratwortungsbewusst sein; ben und Blut zu opfern. So wahr mir Darüber hinaus soll er sportlich – die erteilten Befehle ausführen; Gott helfe.“2 sein, einen gesunden Lebensstil füh- – auf die Anderen achten und sie Dieser Text spiegelt die wesent- ren, selbstdiszipliniert und innerlich ehren; liche Grundlage polnischer Militäre- stark sein, mit gefestigtem Charakter – sich in sein Berufsumfeld gut in- thik wider.Für das soldatische Tun und offen für den Anderen. tegrieren; ist es sehr wichtig, neben dem Recht – diejenigen schützen, die auf seine auch die Moral zu akzeptieren. Die- 2. Grundlage der Hilfe angewiesen sind. se Moral ist als Berufsethik zu sehen ethischen Pflichten und dient dem Soldaten dazu, seinen Die ethischen Pflichten der Ar- Der Soldat soll diese Pflichten Dienst und sein Leben so zu gestalten, meeangehörigen sind untrennbar mit nie vergessen, sein Dienst am Volk dass er bereit ist nicht nur für Volk, dem Gewissen verbunden und sollen soll auf diesen Grundlagen stehen Frieden und Vaterland sondern auch im Dienst aber auch außerhalb des und sein Tun soll ein Zeichen für die für den Anderen sein Leben zu opfern. Dienstes beachtet werden. Sie sind anderen sein. im Ehrenkodex des Berufssoldaten Die Armee ist für das Image und 1. Die Persönlichkeitsattribute der Polnischen Armee3 nachzulesen. die Stärke des polnischen Staates sehr des polnischen Soldaten – Der polnische Soldat soll: wichtig. Sie ist entscheidend für die 1 Oberfeldapothekerin Ruth Nobis ist – die polnische Fahne und das Bedeutung und Glaubwürdigkeit des langjähriges Mitglied im Internationalen Staatswappen ehren; Staates gegenüber anderen Nationen. Sachausschuss Für das polnische Volk repräsentiert 2 Dz.U.1992.77.386 – Przysiega wojsko- 3 Kodeks Honorowy Zolnierza Zawodo- die Armee Stärke und Leistungsfähig- wa. Ustawa z dnia 3 pazdziernika 1992 wego Wojska Polskiego DwiPO MON keit des Staates sowie Unterstützung r.o przysiedze wojskowej (wybrane tresci) [Eid und Gelöbnis Text vom 3. Oktober [Ehrenkodex des Berufssoldaten der polni- für das Volk. 1992] schen Armee]

12 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

3. Universale Muster für das Dienstes, in seiner Freizeit. Er soll – Hochachtung gegenüber den Be- soldatische Tun insbesondere dürftigen haben; Der Soldat soll dem Volk und dem – in seinem Umfeld die wichtigsten – den guten Ruf der polnischen Ar- Frieden mit der größten Hingabe die- Moral- und Gesellschaftswerte re- mee achten und ihn pflegen. nen. Dienst ist mehr als normale Ar- präsentieren; Zusammenfassend ist festzuhal- beit. Der Soldat muss sich voll mit – ein Vorbild sein; ten, dass sich die ethischen und mo- seinem Dienst identifizieren und al- – seinen Dienst und sein Familien- ralischen Maßstäbe in den polnischen les tun, um solche Werte wie Ehre, leben verbinden; Streitkräften an den christlichen Wer- Heimat und Würde zu verinnerlichen. – sich in sein Berufsumfeld gut inte- ten orientieren und die Soldaten sich Aber nicht nur im Dienst soll der grieren und anderen Berufsgrup- verpflichten diese Werte in „Gänze“, Soldat seine ethischen Pflichten er- pen gegenüber innerhalb und außerhalb des Diens- füllen, sondern auch außerhalb des – stets offen sein; tes zu leben. ❏

Militärethik international Versuch einer Annäherung an die spanische Militärethik

VON JÖRG STENZEL1

m ersten Buch seines ‚Don Quijote“ hat, seine Vorrechte und seine Gewalt la“ wurde in Spanien eine freiheitlich- Ilässt der spanische Nationaldich- zu gebrauchen.“2 demokratische Ordnung installiert. ter Miguel de Cervantes Saavedra die Der Widerspruch ist dabei nur ein Den Streitkräften wurden hier die Waffen und die Wissenschaften einen scheinbarer; in den Zeiten in denen folgenden Aufgaben zugewiesen: „die Disput austragen: „(...) Lassen wir je- der Hidalgo Don Quijote Kastillien Souveränität und Unabhängigkeit Spa- doch dieses beiseite; denn es ist ein durchzogen hat und mehr noch heu- niens zu garantieren und seine terri- Labyrinth, aus dem der Ausgang sehr te besteht eine Wechselwirkung zwi- toriale Integrität und Verfassungsord- schwer zu finden ist; kommen wir viel- schen Waffengewalt und Recht. Geset- nung zu verteidigen.“3 mehr auf den Vorrang der Waffen vor ze, Normen und Werte bestimmen und Die Ausgestaltung der Struktur den Wissenschaften zurück, ein Ge- begrenzen den Einsatz militärischer und Organisation der Streitkräfte er- genstand, der noch zu untersuchen Gewalt. Nachfolgend soll der Versuch folgte mit weiteren Gesetzen und Rege- bleibt, derart sind die Gründe, die von unternommen werden, einen Überblick lungen von denen für die hiesigen Be- jeder der beiden Seiten angeführt wer- über den ethischen Referenzrahmen trachtungen die „Reales Ordenanzas“ den. Und außer denen, die ich schon der spanischen Streitkräfte zu geben. die wichtigsten sind. Dieses Dokument vorgebracht, sagen die Wissenschaf- Am 23. Februar 1981 stürmte der enthält die Verhaltensrichtlinien, die ten, ohne sie könne das Waffenhand- Oberstleutnant Antonio Tejero mit be- Pflichten und Rechte der spanischen werk nicht bestehen; denn auch der waffneten Kräften der Guardia Civil Soldaten und stellt einen ethisch-mo- Krieg hat seine Gesetze und ist den- das spanische Parlament und nahm ralischen Kanon bereit. Die Tradition selben unterworfen, die Gesetze aber die Politiker mehrere Stunden als Gei- dieser Weisungen geht zurück auf die fallen unter die Herrschaft der Wis- seln. Parallel versuchten Teile des spa- Zeiten des spanischen Imperiums. Die senschaften und der Gelehrten. Darauf nischen Militärs einen Putsch. Die- ersten „Reales Ordenanzas“ wurden antworten die Waffen, ohne sie können ses Zwischenspiel vermochte freilich im Jahr 1503 von den „Katholischen die Gesetze nicht bestehen, weil mit nicht, die von 1975 bis 1978 andau- Königen“ erlassen. Nahezu zeitgleich den Waffen die Republiken sich ver- ernde friedliche Transition, also den mit der Verfassung wurden im Jahr teidigen und die Königreiche sich er- Übergang zwischen der franquisti- 1978 die erste Weisung basierend auf halten, die Städte geschützt, die Stra- schen Diktatur zu einer parlamentari- der demokratischen Konstitution er- ßen gesichert und die Meere von See- schen Monarchie, aufzuhalten. Nach lassen und regelte die Binnenstruktur räubern gesäubert werden; und kurz, den Jahren der Militärdiktatur unter der Streitkräfte, seine Aufgaben und wenn die Waffen es nicht verhinderten, Franco trat Ende Dezember 1978 die die Innen- und Außenverhältnisse der so wären die Republiken, die König- heutige gültige Verfassung des König- Militärs. Dieses Dokument stellt sozu- reiche, die Monarchien, die Städte, reichs Spanien in Kraft und damit wur- sagen Philosophie und das Leitbild des die Straßen zur See und zu Lande der de Spanien eine parlamentarische Mo- spanischen Militärs dar. Grausamkeit und Zerrüttung preisge- narchie. Mit der „Constitución Españo- Die aktuell gültigen „Reales geben, die der Krieg mit sich bringt, Ordenanzas“4 wurden im Jahr 2009 solange er dauert und volle Freiheit 2 Cervantes Saavedra, Miguel de: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der 3 Artikel 8 der spanischen Verfassung. Mancha – Erstes Buch – Kapitel 38, Deutsche Übersetzung unter: www. 1 Oberstlt i.G. Jörg Stenzel ist Mitglied im online verfügbar unter: http://gutenberg. verfassungen.eu/es/verf78-index.htm Internationalen Sachausschuss spiegel.de/buch/2805/39 4 Online (in Spanisch) verfügbar unter:

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 13 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK erlassen und adressierten geänderte nisverpflichtungen eingegangen nie des „Pascua Militar“ jeweils am Rahmenbedingungen im innen- und ist. 6. Januar. Im Jahr 2012 betonte er, außenpolitischen Bereich. – Beitrag zum Erhalt des Friedens dass das Militär die höchste Anerken- Diese werden auch im Weißbuch und der internationalen Stabilität. nung des spanischen Volkes verdiene der spanischen Regierung im Jahr – Humanitäre Hilfe an Drittländer und erinnerte daran, dass das Mili- 2000 aufgegriffen und der damalige oder deren Bevölkerung wenn be- tär „die Prinzipien Disziplin, Hierar- Ministerpräsident stellt in seinem Vor- nötigt. chie und Einheit, verbunden mit der wort heraus, dass „sich Spanien in den – Katastrophenhilfe im Inland. Pflicht politischer und gewerkschaft- letzten 25 Jahren wiedergefunden hat“. – Evakuierung von spanischen licher Neutralität aufrechtzuerhalten Bestimmendes Element ist die Er- Staatsbürgern, wenn deren Leben habe.“9 Der spanische Verteidigung- kenntnis, dass Spanien seine Sicher- oder Interessen in den jeweiligen sminister äußert sich ähnlich. Er führte heitsinteressen „nicht isoliert, viel- Aufenthaltsländern bedroht sind. aus, dass der Soldat jemand sei, der mehr kollektiv mit allen Staaten, die Das gleiche Gesetz definiert auch sich dem Dienst an der Gemeinschaft sein [Spaniens] Bekenntnis zu Frieden die Voraussetzungen für einen Einsatz verpflichtet und sich einem, weit über und Freiheit, die Verteidigung der De- spanischer Streitkräfte außer zur Lan- militärische Tugenden herausgehen- mokratie, seinen Respekt für die Men- des- und Bündnisverteidigung. Dem- den Wertekodex verschrieben habe. schenrechte und die Einhaltung des nach müssen die folgenden Kriterien Als Beispiele führt er „Genügsamkeit, internationalen Völkerrechts teilen,“5 erfüllt sein: Opferbereitschaft, Ehrenhaftigkeit, koordinieren muss. Bereits 1989 stell- – Der Einsatz erfolgt auf Bitten des Teamgeist und Vaterlandsliebe an.“10 te der spanische Senat heraus, dass betroffenen Staates, ist durch eine Wie bereits dargelegt ist der eine der signifikantesten Folgen der Resolution des UN Sicherheitsra- Pflichten und Wertekanon in den weltpolitischen Veränderungen, die tes legitimiert oder auf Beschluss ‚Reales Ordenzas’ niedergelegt. Dort Abwendung von einer autarken natio- einer internationalen Organisati- findet sich der der ‚Codigo deontolog- nalen Verteidigung, hin zu kollektiver on, hier NATO oder EU. ico militar’, der militärethische Kanon. Verteidigung und Teilhabe in multina- – Der Einsatz dient dem Schutz der Imperativ ist insbesondere die absolute tionalen Sicherheitsorganisationen ist. Menschenrechte, der Herstellung, Bindung an die spanische Verfassung, Die Sicherheitsstrategie der aktuellen der Stabilisierung oder der Auf- insbesondere an deren Freiheitsrechte, spanischen Regierung aus dem Jahr rechterhaltung des Friedens. an die Allgemeine Erklärung der Men- 20116 nennt vier Prinzipien internati- – Der Einsatz muss im Einklang mit schenrechte und das Humanitäre onalen Handelns: Zuerst wird der eu- der Charta der Vereinten Nationen Kriegsvšlkerrecht. ropäische Bezugsrahmen genannt, in und dem Internationalen Recht Als erste Pflicht benennen die ‚Re- dem auch das strategische Konzept der stehen. ales Orenanzas Militares’ von 2009 das NATO eingeschlossen ist. Zweites be- Der spanische Heeresgeneralst- Recht und die Pflicht, Spanien jeder- stimmendes Prinzip für die spanische abschef stellt in seiner „Vision 2025“8 zeit zu verteidigen und das unter Ein- Sicherheitspolitik sind Multilateralis- fest, dass „in Zeiten der Globalisierung satz des eigenen Lebens. Die beson- mus, Legitimität und Legalität. Drittes der Weg des Friedens komplex, unge- dere Stellung dieser Obligation wird bestimmendes Merkmal ist Peace Buil- wiss und voller Gefahren ist.“ Ausge- schon dadurch deutlich, dass sie als ding und schließlich wird der Schutz hend von der Betrachtung der Gefah- erste Pflicht benannt ist, danach dieser von Zivilisten und die ‚Responsibility ren und Herausforderungen steht für Nummerierung aber nicht mehr gefolgt to protect’ benannt. Diese Prinzipien ihn fest, dass der Soldat der Schlüssel- wird. Folgend werden unter dem Punkt finden sich bereits im Gesetz zur na- faktor für die Bewältigung der zukünf- „Generelle Pflichten“, die Disziplin, tionalen Verteidigung aus dem Jahr tigen Aufgaben ist. Deswegen muss das Respektieren von Befehlen, Lo- 20057, in dem fünf Aufträge für das besondere Aufmerksamkeit auf die yalität und Kameradschaft, Professi- spanische Militär definiert werden: Entwicklung soldatischer Tugenden, onalität und die bestmšgliche Pflicht- – Die militärische Verteidigung des ergänzt durch zivile Werte der Gesell- erfüllung genannt. Diesen allgemei- Königreich Spaniens oder von schaft in der das Heer integriert ist und nen Verhaltensregeln folgen spezielle Staaten mit denen Spanien Bünd- der es dient, gelegt werden. Der spani- Pflichten. An prominenter Stelle sind sche Soldat ist ein „Soldado de la Paz die Pflichten in militärischen Operati- www.portalcultura.mde.es/Galerias/pub- internacional“, also ein Kämpfer für onen festgelegt: Mut und Opferbereit- licaciones/fi chero/ROFA_2010.pdf 5 Online (in Spanisch) verfügbar den weltweiten Frieden. schaft in Gefechtssituationen, Bindung unter:www.portalcultura.mde.es/Galeri- Was sind nun aber diese spezi- an die Regeln des Kriegsvšlkerrechts as/publicaciones/fi chero/ROFA_2010. fisch militärischen Tugenden und Wer- und strikte Berücksichtigung der uni- pdf te? Eine erste Annäherung bietet die versellen Menschenrechte, Einschrän- 6 Estrategia Española de Seguridad, Una responsabilidad de todos. Online Rede des nominellen Oberbefehlsha- 9 Online (in Spanisch) verfügbar (in Spanisch) verfügbar unter: www. bers, König Juan Carlos während der unter:www.lavanguardia.com/politi- lamoncloa.gob.es/nr/rdonlyres/d0d9a- sich jährlich wiederholenden Zeremo- ca/20120106/54244101552/rey-pide- 8eb-17d0-45a5-adff-46a8af4c2931/0/ militares-efi ciencia-recursos-crisis.html estrategiaespanoladeseguridad.pdf 8 Online (in Spanisch) verfügbar unter: / 10 Online (in Spanisch) verfügbar unter: 7 Online (in Spanisch) verfügbar www.ejercito.mde.es/Galerias/Descar- www.revistatenea.es/revistaatenea/revis- unter:www.defensa.gob.es/RROO_2009/ ga_pdf/EjercitoTierra/Noticias/2010/ ta/articulos/GestionNoticias_7281_ESP. pdf/LODN_2005-11-18-BOE.PDF vision_jeme2025.pdf asp

14 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK kung des Gewalteinsatzes und die Ko- eine improvisierte Messe gehalten wird Geregelt ist dieses Sonderverhält- operation mit alliierten Streitkräften. oder die Teilnahme des Kommandie- nis zwischen Militär und katholischer Zum Erreichen der Einhaltung renden Generals an durchschnittlich Kirche im Einverständnis zwischen und Verinnerlichung der dargestellten 1 bis 2 religiösen Veranstaltungen, pro dem spanischen Staat und dem Hei- Verhaltensnormen, legt die Vorschrift Woche. Alle Veranstaltungen, so ver- ligen Stuhl aus dem Jahr 1979. Hier großen Wert auf die Ausbildung der schiedengestaltig sie auch sein mögen, wird vereinbart, dass der seelsorge- Soldaten in Bezug auf die spanischen haben eines gemein: sie sind katho- rische Beistand für alle katholischen Verfassungswerte und ethischer Ver- lisch. In einigen spanischen Kreisen Militärangehörigen durch ein Militär- haltensvorschriften. Dies dient nicht wird dann auch ein kritisches Wort vikariat ausgeübt wird, dass eine Or- zuletzt dazu, den Soldaten in die Lage geführt und die Militärseelsorge als ganisationseinheit der katholischen zu versetzen das nun verbriefte Recht, letzte Grenze des laizistischen Staa- Kirche innerhalb der Streitkräfte Spa- Befehle, die nicht dem Rechts- und tes in Spanien und als letzte Bastion niens ist. Angehörige der Streitkräfte Wertekosmos entsprechen, zu verwei- der ehemaligen staatstragenden Kir- anderen Glaubens haben Anspruch auf gern. che bezeichnet. Diese Diskussion soll ihrer Religion entsprechender Seelsor- Zusammenfassend kann festge- hier nicht aufgegriffen werden, geht sie ge, aber eben auf Wunsch. stellt werden, dass der neue Verhal- doch im Kern viel tiefer und betrifft Zur Erfüllung der seelsorgerischen tenskodex im Vergleich zur Version von mühsam verdeckte Brüche und Kon- Aufgaben verfügt der spanische Mi- 1978 einerseits traditionelle Aspekte, flikte in der spanischen Gesellschaft. litärerzbischof, Monsignore Juan del wie Disziplin und hierarchischen Auf- Konstitutionell gibt es keine Río Martín derzeit über 110 Priester, bau der Streitkräfte bewahrt an andere Staatsreligion. Die Glaubensfreiheit davon sind 85 direkt dem Militär zu- Stelle aber die unumstšßliche Bindung wird als Rechtsgut mit Verfassungs- geordnet.12 jeder militärischen Gewaltanwendung rang gewährleistet. Die Verfassung Neben der pastoralen Betreuung an das Humanitäre Všlkerrecht bindet bestimmt weiterhin: „Die öffentliche für die Soldaten und deren Familien und den Frieden und den Schutz der Gewalt berücksichtigt die religiösen und der Evangelisierung hat die Seel- Schwachen in den Vordergrund rückt. Anschauungen der spanischen Ge- sorge für das im Einsatz befindliche Im Gegensatz zur Vorgängerversion sellschaft und unterhält die entspre- Personal besondere Bedeutung. Der haben die „Reales Ordenanzas“ kei- chenden kooperativen Beziehungen Erzbischof legt besonderen Wert auf nen Gesetzesrang, sind aber dennoch zur Katholischen Kirche und den sons- diese Personengruppe, weil sie sich die bestimmende Vorschrift in Bezug tigen Konfessionen.“11 Bereits mit einerseits fern der Heimat und ihrer auf Werte und Normen der spanischen der expliziten Benennung im Verfas- Familien befinden und andererseits Armee. sungstext wird aber der katholischen unter besonderen Belastungen und Die aktuelle spanische Militäre- Kirche eine Sonderrolle eingeräumt, unter der Bedrohung ihres Lebens ein- thik ganz in der Tradition der Aus- die freilich der Lebenswirklichkeit gesetzt werden. führungen des in Spanien hochge- in Spanien entsprach bzw. entspricht. Einer der bisher 77 Militärgeist- achteten und verehrten Papst Johan- Bezüglich der Militärseelsorge hält die lichen, die in Auslandsmissionen tä- nes Paul II. zum Militärdienst: „Wenn katholische Kirche ‚de facto’ das Mo- tig waren, ist Pater Francisco, der das man sein Wesen betrachtet, ist der Mi- nopol in Spanien. spanische Kontingent im Westen Af- litärdienst in sich eine sehr ehrenvol- Das wird unter anderem daran ghanistans betreut. le, sehr schšne, sehr edle Sache. Der deutlich, dass der Militärerzbischof Während seiner Zeit als Seelsor- eigentliche Kern der Berufung zum den Rang eines Generalmajors be- ger einer Fallschirmjägerbrigade hat Soldaten ist nichts anderes als die kleidet, es keine Militärgeistlichen er dort 35 Taufen und Erstkommu- Verteidigung des Guten, der Wahrheit anderer Konfessionen gibt und der nionen durchgeführt. Befragt warum und vor allem jener, die zu Unrecht Militärbischof alle Trauerfeiern für sich im Einsatz so viele Soldaten Gott angegriffen werden.” Diese Worte des gefallene spanische Soldaten (gleich zuwenden, glaubt er nicht, dass es an Pontifex aus dem Jahr 1989 sollen nun welcher Konfession) durchführt. Auch der Todesnähe, sondern vielmehr an auch zu einigen grundsätzlichen Aus- der alltägliche Dienstbetrieb ist von der zur Verfügung stehenden Zeit zur sagen zur Organisation der Militärseel- katholischer Symbolik durchzogen: Reflexion liege. Mit seiner sehr tref- sorge in den spanischen Streitkräften viele Einheiten und Verbände führen fenden Beschreibung seiner Tätigkeit überleiten. das Kreuz in ihren Wappen, die Waf- soll die überblickartige Betrachtung fengattungen verehren ihre Schutzhei- über die spanische Militärseelsorge an Militärseelsorge in Spanien ligen, sei es beispielsweise der Heili- dieser Stelle beendet werden: „Meine n nunmehr fast zwei Jahren in einem ge Santiago für die Kavallerie oder die Mission hier ist sehr schön, ich bin der Ispanisch dominierten NATO Korps, Heilige Barbara für die Artillerie und Psychologe der Herzen.“ 13 ❏ sowohl in Spanien als auch im Einsatz viele Einheiten nehmen an den Oster- in Kabul, habe ich einen Eindruck von prozessionen in im wahrsten Sinne des 12 Siehe Homepage des Militärerzbischof- der Bedeutung der Militärseelsorge für Wortes tragender Funktion teil. samt unter: http://www.arzobispadocast- das spanische Heer gewinnen kön- rense.com/arzo/#ja-mainnav nen. Sei es der Weihnachtsmarsch des 11 Artikel 16 Satz 3 der spanischen Ver- 13 ‘A salvo en Afganistán’, In Spanisch fassung. Deutsche Übersetzung unter: verfügbar unter: www.elmundo. Korps, der damit endet, dass auf dem www.verfassungen.eu/es/verf78-index. es/elmundo/2012/08/23/espa- Berggipfel eine Krippe aufgebaut und htm na/1345711394.html

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 15 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Ethik im Einsatz Revolution der Kriegsführung? Drohnen im Einsatz – anonymes Töten auf Distanz

nter diesem Titel veranstaltete das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) mit dem Militär- historischen Museum der Bundeswehr in den Räumen des Museums in Dresden eine Podiumsdiskussion. UIn der öffentlichen Diskussion werden Fragen gestellt, ob die Beschaffung dieser Waffensysteme lediglich das Risiko für die eigenen Soldaten verringert, oder ob dieser Einsatz auf Distanz nicht das ethische Ziel der Ge- waltminimierung unterläuft. Die unterschiedlichen Aspekte in dieser Diskussion wurden vorgetragen von Prof. Dr. Stefan Oeter, als Verfassungsrechtler, Professor Daniel Statman aus Haifa als Vertreter der Philosophie, Prof. Dr. Harald Freyberger aus Greifswald als Fachmann für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie als Vertreter des Kommandeurs Zentrum Innere Führung Privatdozent (PD) Dr. Thomas Elßner. Die Moderation hatte Dr. Hilmar Linnenkamp von der Stiftung Wissenschaft und Politik. n ihrer Begrüßung führte Dr. Veroni- zwei möglichen Positionen, dass die Prof. Oeter (Bild 2) sprach zu Be- Ika Bock, Direktorin des zebis, aus, Drohne eine gute Entwicklung sei ginn seiner Ausführungen davon, dass dass Krieg keine technische Ausein- oder aber eine Katastrophe, welche die Drohne zuerst eine Waffenplatt- andersetzung sei, sondern ein soziales, die Menschenrechte verletzen wür- form sei, eine neue Technologie und politisches Ereignis und deshalb die de. Sich selbst zählte er zu der ersten nicht per se ein „Tötungsinstrument“. Fachleute aus diesen verschiedenen Gruppe, denn auch andere Waffen Somit seine die Einsatzformen zu be- trachten und er sehe hier drei Bereiche.B Den bewaffneten Konflikt,K in dem das huma- nnitäre Völkerrecht zum Zuge kkäme, der aber selten gewor- dend sei. Der bewaffnete inter- nationalen Konflikt, der asym- mmetrischen Bedingungen ge- horche.h Hier sei es schwie- rig,r den Gegner zu erkennen, dder in der Bevölkerung „wie Bild 1 Bild 2 eein Fisch im Schwarm“ un- tertauchent könne und sich Der Direktor des Militärhistorischen Von links: Prof. Daniel Statman, University auch selten zu erkennen gebe. Museums Dresden, Oberst PD Dr. of Haifa, Israel, Prof. Dr. Stefan Oeter, Die Problematik sei die Ab- Matthias Rogg bei der Begrüßung Universität Hamburg, Dr. Peter Rudolf, grenzung und die Tatsache, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin dass über eine Veränderung Bereichen die Problematik des Droh- des Völkerrechtes zwar dis- neneinsatzes untersuchen und vor- würden aus der Distanz töten, ohne kutiert würde aber die Chancen, dass stellen sollten. Der Direktor des Mu- dass jemals eine solche „Verteufe- eine Änderung dieses Rechtes von seums, Oberst PD Dr. Matthias Rogg lung“ stattgefunden hätte und erwähn- der Gegenseite anerkannt würde, sehe (Bild 1), erinnerte die Zuhörer daran, te als Beispiel Artilleriesysteme oder er als gering an. Somit sei diese Be- dass schon im zweiten Laterankonzil gar den strategischen Bombenkrieg trachtung nicht zielführend. Den drit- von 1139 ein Verbot der Armbrust als im zweiten Weltkrieg. Weiterhin äu- ten Bereich, sagte Prof. Oeter, sei der „Distanzwaffe“ diskutiert wurde und ßerte Prof. Statman, dass die Diskus- Einsatz von Drohnen außerhalb des gewisse Parallelen zur heutigen Dis- sion nach seiner Meinung „überdreht“ bewaffneten Konfliktes, hier müsse kussion erkennbar gewesen seien, von geführt würde. Gerade bei asymmetri- das Polizeirecht angewandt werden. der ethisch vertretbaren Waffe bis zur schen Bedingungen dienten automa- Ein Töten ohne Versuch der Festnah- Ächtung derselben. Nach der Begrü- tisierte System dem Schutz der eige- me sei einfach nicht erlaubt. Er sehe ßung durch den Leitenden Katholi- nen Leute, wohingegen in der Presse die daraus folgenden Probleme in ei- schen Militärdekan Erfurt Stefan van das „illegitime Töten“ durch Drohnen ner „Entgrenzung der Kriegszone“. Dongen forderte der Moderator die Ex- breit dargestellt würde, das gewollte Man spreche heute schon von mög- perten auf dem Podium zu einer kur- und gezielte Töten von Zivilpersonen lichen Aufenthaltsorten der Terroris- zen Erklärung auf, um ihre jeweiligen durch terroristische Organisationen ten, die dadurch häufiger auftreten- Standpunkte zu erläutern. aber „hingenommen“ würde. Es sehe den Kollateralschäden, die aus den Den Beginn machte Prof. Statman keine ernsthafte Alternative zum Ein- nicht eindeutig identifizierbaren Tä- (Bild 2) aus Israel. Er beschrieb die satz von Drohnen. tern folgten, sowie erfolge ein Wettrüs-

16 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK ten, welches dazu führe, dass immer Israel scheint bei seinen Operationen bunden werden, somit sei die Verant- mehr zivile Hände an tödliche Waffen über bessere Lageinformationen zu wortung klar geregelt. gelangten. Während bei den Militärs verfügen, schloss Dr. Rudolf seine Psychologe Dr. Freyberger (Bild das ethische Dilemma des Waffenein- Eingangserklärung ab. 3) berichtete, dass mit Hilfe der Ex- satzes bekannt sei, würden Geheim- Der Vertreter des Zentrums Inne- perimentalpsychologie erwiesen sei, dienste anders vorgehen, zumindest re Führung, PD Dr. Elßner (Bild 3), dass ein „Dazwischenschalten“ eines erführe man von solchen Überlegun- erklärte, dass die Bundeswehr Droh- Mediums die Irrationalität der Hand- gen nichts. nen zur Aufklärung und bewaffnete lungen der Probanden erhöht hätte. Drohnen für die Luftnahunterstützung Übertragen auf den Einsatz von Droh- er Politologe und USA-Kenner beschaffen wolle. Die Diskussion in nen bedeute dies, dass durch Kame- DDr. Rudolf (Bild 2), stellte klar, Deutschland darüber sollte ohne „Ebe- rabeobachtung mehr falsche Lagebe- dass Waffen nicht töten würden, tö- nenverschiebung“ stattfinden, denn urteilungen erfolgten, somit die Kolla- ten würden Menschen und Waffen Geheimdienstoperationen hätten völ- teralschäden erhöht würden. Er wider- machten es ihnen immer leichter. lig andere Einsatzregeln als die Bun- sprach der Illusion des sauberen Krie- Es sei schwierig, die Lage und die deswehr, die ja eine Parlamentsarmee ges, der mittels „chirurgischer Schnit- Einsätze in Pakistan zu beurteilen, sei. Die Bundeswehrsoldaten mach- te“ Verluste unter der Zivilbevölkerung da trotz gezielter Informationen aus ten sich sicherlich Gedanken über vermeiden würde. Zum Schluss seiner der Administration keine detaillier- die Waffeneinsätze, auch von neuerer Ausführungen ging Dr. Freyberger aus ten und umfassenden Erkenntnisse Technologie. Die Fragen, die auch im die posttraumatischen Belastungsstö- aus diesen Einsätzen bekannt wür- Zentrum Innere Führung behandelt rungen ein und sagte: „Wir muten den den. Klar sei, dass die Anzahl derje- würden, seien: Soldaten etwas zu, das wir uns überle- nigen, die auf „Listen“ erschienen, – Wie und mit welchen Mitteln kann gen sollten.“ immer zahlreicher würden. Somit sen- ein erteilter Auftrag erfüllt wer- Bei der anschließenden Diskus- den? sion wurde deutlich, dass nicht die – Wie kann man die ei- Drohnentechnik das Problem darstellt, geneng Soldaten schützen, um sondern die Einsatzarten. Einigkeit diesed sicher und gesund in herrschte darüber, dass Töten recht- died Heimat zurückzubringen? fertigungspflichtig sei, wie Dr. Rudolf – Wie wäge ich die Ver- hervorhob. In Israel wache der obers- hältnismäßigkeith der Mittel te Gerichtshof über den Einsatz der ab,a gerade vor dem Hinter- Drohnen. Er warnte vor einem „simp- grundg der asymmetrischen len Eindreschen“ auf Amerika. Dass Kriegsführung?K Diskussionsbedarf herrsche, sei ein- – Wie kann man unbetei- leuchtend, aber man solle sich einer Bild 3 lligte Personen schützen? Vorverurteilung, die ja von Außen- – Wie vermeidet man Fehl- stehenden komme, hüten. Auch Prof. Von Links: PD Dr. Thomas Elßner, Zentrum entscheidungen in stressrele- Statman betonte, dass Angehörige von Innere Führung, Koblenz, Prof. Dr. Harald vanten Situationen? getöteten Einsatzsoldaten andere Mei- Freyberger, Direktor Klinik und Poliklinik für Darüberhinaus diskutie- nungen hätten, als ein Expertengre- Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald re man selbstverständlich die mium „am grünen Tisch“. Schließ- ethischen Bedingungen des lich würde der Einsatz von Drohnen ke der Drohneneinsatz tatsächlich die Waffeneinsatzes sowie die Veränderun- gefährliche Kommandounternehmen „Schwelle des gezielten Tötens“ her- gen des Völkerrechtes durch neue Si- überflüssig machen und dadurch Sol- ab. Auch würden schon verdächtige tuationen bzw. neue Technologien. Die daten schützen. Gruppen als solche bekämpft, was die Erhöhung der Sicherheit der eingesetz- Alle Beteiligten sahen die Droh- Zahl der getöteten Zivilisten erhöhe, ten Truppen stünden dabei eindeutig nentechnologie als eine technische fügte Dr. Rudolf hinzu. Es ginge im- im Vordergrund, führte Dr. Elssner aus, Weiterentwicklung an, die das Krieg- mer mehr, um die Verhinderung eines extralegale Tötungen würden über- führen nicht revolutioniert hätte, aber Anschlages, wobei es oft nicht nach- haupt nicht angedacht, da nur die Ein- das Einsatzszenar erweitert hätte. Hier vollziehbar sei, wie nah wäre denn satzszenarien der Bundeswehr in Frage läge die eigentliche Problematik, dass der „Terrorist“ an einem Anschlag. kämen. Für die von der Bundeswehr- Geheimdienste, deren Kontrolle durch Der Einsatz eines Sonderkommandos führung beabsichtigten Einsatzzwecke die Sache selbst schon schwierig sei, zur Bekämpfung solcher Ziele, bräch- bestünden keinerlei völkerrechtliche diese Technologie nützten und somit te eine größere Anzahl eigener Kräfte oder verfassungsrechtliche Bedenken. ein Wettrüsten auf diesem Gebiet statt- in Lebensgefahr, somit sei der Einsatz Auch sei man sich sehr wohl der Tat- fände. Die Frage der Proliferation sei der Drohne nachvollziehbar. Die sache bewusst, dass es sich um tödli- erheblich komplexer als bei der Nukle- Auswahl der anzugreifenden Personen che Waffeneinsätze handele und nicht artechnologie, die vertraglich geregelt ohne juristischen Aufarbeitung um Computerspiele, sagte Dr. Elssner sei. Bei der Drohnentechnik sei ein oder Verantwortungsnahme sei das weiter. Der Einsatz auch der Drohnen solcher Vertrag nicht vorstellbar. ❏ Problem bei diesen Operationen. werde in der Befehlshierarchie einge- (Text und Fotos: Bertram Bastian)

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 17 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

18 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 19 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Gesellschaft nah und fern Todesstrafe für Bibelbesitzer Das Hilfswerk Open Doors hat den Weltverfolgungsindex 2013 vorgelegt

VON CARL-H. PIERK

eit dem Tod von Kim Jong Il hofft darauf, mit Hunger Kontrolle auszu- ausschließlich Länder auf dem Welt- Sdie Welt mit seinem Sohn Kim üben“, berichtet Shin Dong-hyuk. „Es verfolgungsindex, in denen islami- Jong Un auf eine Öffnung Nordko- geht darum, den Willen der Häftlinge scher Extremismus herrscht. An zwei- reas. Doch jenseits der Propaganda- zu brechen und sie dazu zu bringen, ter Stelle steht Saudi-Arabien, danach bilder sind im Reich der Kims noch den Gefängniswärtern zu gehorchen.“ folgen Afghanistan, der Irak und So- immer geschätzte 200.000 Menschen Totale Kontrolle in einer Welt malia. Auf den Plätzen sechs bis zehn in Todeslagern eingesperrt. Seit Jahr- ohne Liebe war für ihn ganz nor- stehen die Malediven, Mali, Iran, Je- zehnten herrschen dort Zustände wie mal. Verrat war Pflicht. Als er eines men und Eritrea. Auch in Lybien, das im russischen Gulag. Inzwischen gibt Abends mitgehört hatte, dass seine von Rang 26 auf Rang 17 vorrück- es tausende, die in den Lagern ge- Mutter und sein Bruder fliehen woll- te, leiden Christen unter islamischen boren wurden und die dort groß ge- ten, verriet er sie an einen Wärter. Der Extremisten. In Saudi-Arabien gibt worden sind. Einer von ihnen ist der damals 13-Jährige hoffte dadurch auf es eine eigene Religionspolizei, die 1982 geborene Shin Dong-hyuk, dem Privilegien. Doch als vermeintlicher auf die Einhaltung der Scharia ach- die Flucht in den Westen gelang. Der Komplize wurde er von den Wärtern tet. Auch in Afghanistan können sich amerikanische Journalist Blaine Har- daraufhin fast zu Tode gefoltert. Mo- Christen nur in kleinen Gruppen ver- den erzählt dessen Geschichte in dem nate später musste er mit seinem Va- einzelt treffen. Eine offizielle Kirche Buch „Flucht aus Lager 14“. Shin ter ansehen, wie seine Mutter erhängt gibt es nicht mehr. Außerdem werden Dong-hyuk wurde in einem Straflager und sein älterer Bruder erschossen immer wieder ausländische Christen in Nordkorea geboren und verbrachte wurde. Dass es eine Welt außerhalb durch extremistische Gruppen wie die die ersten 23 Jahre seines Lebens in des Lagers gibt, erfuhr Shin von einem Taliban ermordet oder entführt und einem solchen Straflager, bis er ent- Mithäftling aus der Elite Nordkore- zum Verlassen des Landes gezwun- fliehen konnte. as, von Park Chong-yul. Während ei- gen. Durch Revolutionen habe sich in Sechs solcher Straflager soll es in nes Arbeitseinsatzes auf den Feldern vielen Ländern ein Machtvakuum auf- Nordkorea geben. Offiziell bestreitet zwängten sich die beiden im Januar getan, sagt Markus Rode, Leiter von das Regime, dass sie existieren. Das 2005 durch den Elektrozaun des La- Open Doors Deutschland. Extremis- „Lager 14“ ist auf Satelliten-Bildern gers. Park bekam einen Stromschlag. tische muslimische Organisationen zu erkennen. 40.000 Gefangene leben Shin robbte über seinen regungslosen bekämen so die Chance zur Macht- dort. Dort wurde Shin im Jahr 1982 Körper in die Freiheit. ergreifung. Herausragendes Beispiel geboren. Sein Vater saß hier ein, da Nach Angaben des christlichen dafür sei Ägypten, wo Revolution und seine Brüder nach Südkorea geflo- Hilfswerks Open Doors befinden sich demokratische Wahlen den Muslim- hen waren. Seine Eltern lernten sich etwa 50.000 bis 70.000 Christen in brüdern und Salafisten als Trittbrett im Lager kennen. Als Belohnung für den Arbeitslagern Nordkoreas. Schon zur Machtübernahme gedient hätten. hartes Arbeiten durften sie heiraten, auf den Besitz einer Bibel steht die In diesem Land und im Sudan, Nige- alles unter der Kontrolle der Wärter. Todesstrafe. Die Gläubigen gelten ria, Syrien und im Irak stehen beson- Hier wuchs Shin Dong-hyuk auf. „Die dort als politische Feinde, da sie die ders Christen muslimischer Herkunft Begriffe Vater und Mutter waren für „Juche“-Ideologie, die unter ande- im Fokus. Sie gelten nach der Scha- mich nichts weiter als Worthülsen“, rem den Menschen als Herrscher der ria als vom Islam Abgefallene. Ihnen sagt er. „Ich empfand keine Gefühle Welt und Korea als Mittelpunkt der drohe die Todesstrafe. für sie. Sie waren einfach nur diejeni- Welt bezeichnet, ablehnen und dem Auch in Ländern, in denen kei- gen, die mich erzeugt haben. Für mich Staatsgründer Kim II. Sung sowie sei- ne mehrheitlich muslimische Bevöl- waren sie lediglich Lagerhäftlinge wie nem verstorbenen Sohn Kim Jon II. kerung lebt, leiden Christen unter alle anderen auch.“ keine gottgleiche Verehrung entgegen Gewalt und Unterdrückung. Als auf- Der Hunger war im Lager allge- bringen wollen. Trotzdem geht Open fallendes Beispiel nennt Open Doors genwärtig. Oftmals blieb Shin nichts Doors von 200.000 bis 400.000 Chris- Syrien. Durch den Bürgerkrieg im anderes übrig, als Ratten zu essen. ten aus, die ihren Glauben in Haus- Land werden viele Christen durch Wer Lebensmittel im Lager stahl, kirchen im Untergrund leben. ausländische Islamisten, die der Sy- musste mit dem Tod rechnen: Als sein Auf dem Weltverfolgungsindex rischen Befreiungsarmee angehören, Lehrer bei einer Klassenkameradin 2013, den das Hilfswerk im Januar ins Visier genommen. Das Land rückt fünf Maiskörner entdeckte, prügelte veröffentlicht hat, belegt nach wie vor 2013 deshalb von Platz 36 auf Platz 11 er sie vor ihren Mitschülern zu Tode. das kommunistische Nordkorea Platz vor. Weitere Länder, in denen Christen „Das gesamte Lagersystem basiert eins der Liste. Nach Nordkorea stehen durch Islamisten aus Nachbarstaaten

20 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 GESELLSCHAFT NAH UND FERN verfolgt werden, sind Kenia, Uganda che um ihre Einschätzung gebeten. Das ist, zum Christentum zu konvertieren und Tansania. sind zum einen Forscher und Spezia- und sich zum christlichen Glauben listen aus den betroffenen Ländern, die zu bekennen – wenn Gläubige also er aktuelle Weltverfolgungsindex dort für Open Doors tätig sind sowie ex- mit Konsequenzen für Familie, Be- Dzeigt aber auch einige – zweifel- terne Experten, darunter Forscher und sitz, Leib und Leben rechnen müssen, hafte – Verbesserungen. China belegt Journalisten. Auf Basis der Rückläufe spricht Open Doors von Christenver- nur noch Platz 37. Im vergangenen Jahr nehmen die Analysten bei Open Doors folgung. Ebenso verhält es sich, wenn stand das Land auf Platz 21. Kirchen International eine Bewertung vor, die es Christen nicht erlaubt ist, Kirchen gelten dort zwar weiterhin als illegal, zur Platzierung auf dem Index führen. zu bauen oder sich auch nur privat zu Hauskirchen dürfen aber bestehen, Open Doors folgt bei seinen Re- versammeln, wenn die Registrierung wenn sie sich an bestimmte Regeln cherchen einem weiten Verständnis einer christlichen Gemeinde oder Or- halten, und Gottesdienste dürfen gefei- des Begriffs „Christenverfolgung“. Da- ganisation nur unter schikanösen Be- ert werden. Die Regierung übt jedoch nach herrscht Verfolgung nicht nur, dingungen oder auch gar nicht möglich eine strenge Kontrolle aus und verlangt wenn der Staat Einzelne oder ganze ist. Ob dies bereits Verfolgung oder genauen Bericht über die Aktivitäten Gruppen von Christen wegen ihres Diskriminierung zu nennen ist, sieht der Christen. Trotzdem befinden sich Glaubens einsperrt, verletzt, foltert Open Doors als nicht entscheidend an. nach Schätzungen von Open Doors oder tötet, wie es die Realität in vielen Der Weltverfolgungsindex 2013 weiterhin etwa 100 Christen im Ge- Ländern ist. Verfolgung herrscht auch bezieht sich auf einen Zeitraum vom fängnis. Auch der südasiatische Staat dann, wenn Christen aufgrund ihres 1. November 2011 bis zum 31. Okto- Bhutan rutschte einige Plätze nach Glaubens ihre Arbeit oder ihre Lebens- ber 2012. Er dokumentiert die Chris- hinten. Er liegt nun an 28. statt an 17. grundlage verlieren, wenn Kinder auf- tenverfolgung in 50 Ländern. Derzeit Stelle. Open Doors weist darauf hin, grund ihres Glaubens oder des Glau- werden laut Angaben der Organisation dass die Verbesserung dieser Länder bens ihrer Eltern keine oder nur eine rund 100 Millionen Menschen weltweit lediglich an einer Verschlechterung schlechte Schulbildung bekommen wegen ihres christlichen Glaubens ver- der Situation in anderen Ländern liege. oder Christen aufgrund ihres Glaubens folgt oder bedrängt. Der Index hat noch Der Vorsitzende der CDU/CSU- aus ihren angestammten Wohngebie- eine andere Botschaft – dass nämlich Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ten vertrieben werden. Auch wenn es selbst in hochgradig christenfeindli- bezeichnete die Ergebnisse des Inde- Andersgläubigen gesetzlich oder zu- chen Staaten Christen im Verborge- xes als alarmierend. Es müsse immer mindest gesellschaftlich nicht erlaubt nen an ihrem Glauben festhalten. ❏ wieder auf die Bedeutung der Reli- gionsfreiheit hingewiesen werden. Das könne bereits der erste Schritt zu einer Verbesserung der Situation der Christen sein, heißt es in einer Kurznachrichten offiziellen Stellungnahme. Der CSU- Europaabgeordnete Martin Kastler Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier: forderte von der Politik, das Thema Ehe-Privileg nicht zu halten Christenverfolgung und Religions- n der Debatte um die Gleichstellung homosexueller Paare sieht der freiheit verstärkt zu thematisieren. frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, Gerade für eine effektive Entwick- keineI Chance, die rechtliche Besserstellung der Ehe gegenüber anderen lungspolitik auf dem afrikanischen Formen des Zusammenlebens aufrecht zu erhalten. Der „Bild“-Zeitung Kontinent müsse dort Frieden entste- sagte Papier: „Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur eingetrage- hen. Das funktioniere aber nur, wenn nen Lebenspartnerschaft ist rechtlich nicht mehr zu halten.“ Menschen nicht um ihres Glaubens Zwar bleibe der besondere Schutz der Ehe nach Artikel 6 des Grund- willen verfolgt würden. gesetzes weiterhin bestehen, fügte der Verfassungsrechtler hinzu. „Ihn mit Seit 1993 veröffentlicht Open Leben zu füllen, wird aber immer schwieriger.“ Papier sieht keinen Spiel- Doors jedes Jahr den Weltverfolgungs- raum für den Gesetzgeber. „Durch die Einführung der eingetragenen Part- index. Damit wird das Ausmaß von nerschaft im Jahre 2001 und die Billigung durch das Bundesverfassungs- Verfolgung und Diskriminierung von gericht im Jahre 2002 sind die Würfel gefallen“, sagte er. Spätere Urtei- Christen in aller Welt erfasst und do- le hätten die Gleichstellung immer wieder verlangt. Die Unterscheidung nach der sexuellen Orientierung sei grundsätzlich verfassungsrechtlich kumentiert. Erstellt wird der Index von unzulässig. „Das hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschen- einer internationalen Expertengruppe, rechte so entschieden. “ deren Mitglieder in engem Kontakt mit Eine rechtliche Unterscheidung zwischen Ehe und Partnerschaft ist den Mitarbeitern des Hilfswerks in den nach Ansicht Papiers nicht möglich. „Die Sonderstellung der Ehe im betroffenen Ländern stehen. Zunächst Grundgesetz wird damit begründet, dass sie auf Dauer angelegt ist und werden einheimische Mitarbeiter be- auf der für den Partner übernommenen Verantwortung gründet. Darin un- fragt, die in den Ländern tätig sind, in terscheiden sich Ehe und eingetragene Partnerschaft nicht. Im Grunde welchen Christen ihren Glauben nicht sind Ehe und eingetragene Partnerschaft juristisch gesehen weitestge- frei leben können. Zusätzlich werden hend gleich.“ ❏ (KNA) Experten unterschiedlicher Fachberei-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 21 BILD DES SOLDATEN Gebirgsjäger feiern Stallweihnacht mit traditionellem Krippenspiel nmitten des abendlichen dichten Tannenwaldes steht ein alpenländischer Stall, darin angebunden Ochs und Esel. ISie fressen gemächlich das Heu, das ihnen der Hirte zurechtgelegt hat. Neben der Feuerstelle haben sich auf Stroh Schäfer mit ihren Herden niedergelas- Anwesenden zwischen den angebun- Das Krippenspiel wurde schließlich sen. Über ihnen leuchtet in kräftigem denen Haflingern und Maultieren dem öffentlich und ist in seiner Art und Gelborange der große Weihnachts- lebendigen Vortrag von Oberfeldve- Größe inzwischen einzigartig in Euro- stern, dessen Schweif den heiligen terinär Dr. Franz Edler von Rennen- pa. Dann wird zum Beginn des Krip- drei Königen aus dem Morgenland kampff, dem Leiter des Zentrums. Er penspiels in die eisig kalte Reithal- ihren Weg zu diesem besinnlichen erzählt die Entstehungsgeschichte der le gebeten. Dick eingepackt mit den Ort gewiesen hat. Sie alle sind gekom- im Laufe der Jahrzehnte weit über die bereitliegenden Bundeswehr-Woll- men, um dem Christuskind zu huldi- Grenzen des Berchtesgadener Landes decken verfolgen die Gäste sowie die weiteren etwa 800 Zuschauer aus nah und fern die Vorstellung. In der Auf- führung spielen die Soldatinnen und Soldaten, die als Hirten, Könige, En- gel sowie als Maria und Josef kostü- miert sind, die Szenen aus der Bibel rund um die Geburt Jesu nach. Das Bühnenbild und die Kulisse haben die Gebirgsjäger selbst entworfen und gebaut. Zusätzlich sorgt bei der In- szenierung die Anwesenheit lebender Tiere für das Gefühl des heimeligen Dabeiseins. Oberbayerische Volksmusik von Gruppen und Solisten aus der Region sorgten auch 2012 wieder für vorweih- nachtliche Stimmung und machten die Stallweihnacht zu einem unver- gesslichen Ereignis. Die glücklichen Gesichter der Zuschauer und lang anhaltender Beifall waren der Lohn für die Arbeit der Bühnenkünstler. Von links: Korpskommandant Dominique Andrey, Generalleutnant Unter den Gästen der Vorstellung war Franz Reißner, Generalleutnant Bruno Kasdorf ebenfalls der Inspekteur des Hee- res, Generalleutnant Bruno Kasdorf. gen, welches in dieser Nacht geboren berühmt gewordenen Stallweihnacht In seiner Begleitung waren General- wurde. An seiner Krippe wachen an- der Bad Reichenhaller Tragtierführer. leutnant Franz Reißner, Kommandant dächtig Maria und Josef. Wenn es nun Begonnen hat alles im Jahr 1962. der Streitkräfte des Österreichischen dunkler wird in der Reithalle der Bad Ein Tragtierzugführer lud in der Weih- Bundesheeres und der Kommandant Reichenhaller Hochstaufen-Kaserne nachtszeit seine Soldaten und ihre An- des Schweizer Heeres, Korpskom- und die Aufführung des Krippenspiels gehörigen in den Stall ein. In einem mandant Dominique Andrey (Bild). der traditionellen Stallweihnacht bei geschmückten Haferkarren, auf dem Der gemeinsame Besuch der Stall- der Gebirgsjägerbrigade 23 beginnt, ein kleiner Tannenbaum stand, lagen weihnacht bildete den Abschluss ei- dann finden die Zuschauer in dieser kleine Leckereien wie Äpfel und Möh- nes Treffens zum Gedankenaustausch Kulisse Momente der Ruhe und des ren, die an die Mulis und Haflinger der drei Heeresbefehlshaber. Friedens. verfüttert wurden. Im Laufe der Jahre Insgesamt erlebten das Krippen- Der Gastgeber des Abends, Bri- kamen immer mehr Soldaten mit ihren spiel der Bad Reichenhaller Gebirgs- gadegeneral Michael Matz, Komman- Angehörigen, Freunden und Bekann- jäger in vier Aufführungen über 3.000 deur der Gebirgsjägerbrigade 23, be- ten zum vorweihnachtlichen Beisam- Zuschauer. Unter ihnen auch Bundes- grüßt bei einem kleinen Empfang in mensein in den Stall. verkehrsminister Dr. Peter Ramsauer, den historischen Stallungen des Ein- Die Soldaten entwickelten da- Vertreter der Landes- und Kommunal- satz- und Ausbildungszentrums für für ein Drehbuch zur Vorführung ei- politik sowie Gäste aus Bundeswehr Gebirgstragtierwesen 230 die militä- nes Krippenspiels, und schnell wurde und Gesellschaft. ❏ rischen Gäste des Abends. Bei einem die Stallgasse zu klein. Man wich in (Text: Pressestelle GebJgBrig 23, wärmenden Glühwein lauschen die die große Reithalle der Kaserne aus. Foto: PIZ Heer)

22 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Religion und Gesellschaft „die heutigen Probleme der Gesellschaft und der Kirche“ Interview mit Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Berlin

AUFTRAG: Herr Kardinal, terricht mit dem Wissen um ihren ei- des Religionsunterrichts eigenverant- manche befürchten ja, durch die genen Glauben auseinanderzusetzen. wortlich und selbstbestimmt vertritt. Forderung, Kleinkinder durch den So wachsen sie zu mündigen Chris- Modelle, die in den letzten Jahren Staat in Kindertagesstätten erzie- ten, Juden oder Muslimen heran, nur diskutiert werden und eine Einmi- hen zu lassen, werde das sozialis- so sind sie in der Lage, einen eige- schung des Staates ermöglichen, da tische Erziehungsmodell „durch sie letztlich die Frage nach dem An- die Hintertür“ wieder eingeführt. sprechpartner unbeantwortet lassen, Wie sehen Sie diese Entwicklung? sehen wir daher kritisch.

Kardinal Woelki: Für die deut- AUFTRAG: Viele Gläubige schen Bischöfe hat bekanntlich der sind aufgrund der Kirchensteuer Familienbischof, mein Mitbruder aus der Kirche ausgetreten, wieder Franz-Peter Tebartz-van Elst, klar andere wollen Kirche „von unten“. hierzu Stellung genommen und insbe- Ist die Kirche in Deutschland in sondere auf die Wahl- und Entschei- der Krise oder ist es vielmehr eine dungsfreiheit der Eltern hingewiesen. „Gottes-Krise“, da der moderne Ich kann mich dem nur anschließen. Mensch Gott aus seinem Alltags- Gerade an der „Nahtstelle der Syste- leben verdrängt hat? me“ hier in Berlin will ich vorsichtig sein mit der Erneuerung ideologi- Kardinal Woelki: Ich glaube scher Grabenkämpfe. Das Wohl der nicht, dass die Menschen in erster Kinder und die Förderung der Fami- Linie wegen des Geldes aus der Kir- lie müssen im Mittelpunkt und Fokus che austreten. Als Bischof nehme ich bleiben. Sicherlich läuft etwas falsch, die vielen Austritte als den schmerzli- wenn Eltern sich faktisch genötigt se- nen Standpunkt zu entwickeln und chen Hinweis, dass erstaunlich viele hen aus ökonomischen oder ideologi- ihn auch selbstbewusst aber offen im Menschen sich schon lange offenbar schen Gründen, die Erziehung ihrer Dialog mit anderen Religionen und von „ihrer“ Kirche entfernt haben, Kinder gerade in den ersten Jahren Weltanschauungen zu vertreten. Mit dass ein äußerer Anlass genügt, um abzugeben, andererseits sind unsere der Berliner Variante eines freiwilli- sie zum Austritt zu bewegen. Dazu ha- Pfarrgemeinden auch in Berlin Trä- gen zusätzlichen Angebots kann ich ben wir als Kirche auch beigetragen. ger von Kindertagesstätten, die auch mich nur schwer anfreunden, es liegt Umso mehr teile ich das Anliegen des bereits Kinder unter drei Jahren auf- im Wesen der Schule, dass verpflich- Heiligen Vaters: die Frage nach Gott nehmen. Außerdem sehe ich, dass tende Angebote ein höheres Gewicht wieder zu stellen, dass sich die Men- manchen Eltern eine Unterstützung bekommen. Die Einführung eines Re- schen wieder auf die Suche machen bei der Erziehung ihrer Kleinkinder ligionsunterrichts für Muslime hat mit nach Gott. sehr gut tun würde. Islamisierung nichts zu tun. Was wir – mit guten Gründen – für den christ- AUFTRAG: Die Kirche hat AUFTRAG: Während es in lichen Glauben fordern, kann für den schon viele Krisen durchlebt und Berlin auch durch ein entspre- Islam nicht falsch sein. Ich verbinde existiert seit 2.000 Jahren. Gerade chendes Volksbegehren nicht ge- damit auch die Hoffnung, dass auch die Katholische Kirche hat einen lungen ist, den Religionsunterricht junge Muslime in die Lage versetzt „langen Atem“. Da der Gespräch- als ordentliches Unterrichtsfach werden, informierter und aufgeklär- sprozess bis 2015 abgeschlossen einzuführen, wollen andere Bun- ter über ihren Glauben zu sprechen. sein soll, wie kann den engagier- desländern wie Niedersachsen und Allerdings lege ich Wert darauf, ten Gläubigen vermittelt werden, Nordrhein-Westfalen einen Isla- dass dort, wo man bekenntnisorien- dass die Kirche nicht die Probleme munterricht einführen. Wird hier tierten islamischen Religionsunter- „aussitzt“ sondern gemeinsam mit einer „Islamisierung“ der Bundes- richt einführt – Sie haben Nordrhein- den Gläubigen angeht? republik Vorschub geleistet? Westfalen genannt – auch die Vorga- ben des Grundgesetzes beachtet. Un- Kardinal Woelki: Die Kirche, Kardinal Woelki: Ich bin fest sere Verfassung setzt voraus, dass der das sind die Gläubigen! Und es wäre davon überzeugt, dass es Kindern Staat in einer Religionsgemeinschaft schlimm, wenn wir ab 2015 nicht jeglicher Religionszugehörigkeit gut einen zuverlässigen Ansprechpartner mehr miteinander reden würden. Ich tut, sich im schulischen Religionsun- hat, der Inhalte und Ausgestaltung bin froh, dass wir schon jetzt funktio-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 23 RELIGION UND GESELLSCHAFT

nierende Strukturen haben auf allen Ebenen, vom Pfarrgemeinderat bis zur Bischofssynode und dem Kon- sistorium der Kardinäle, wo mitein- ander gesprochen wird und auch an den Problemen gearbeitet wird. Wenn wir einen „langen Atem“ haben, dann heißt das nicht, dass ich in langatmi- gen Diskussionen den zermürben will, der eine andere Auffassung hat, in der Gewissheit, doch am längeren Hebel zu sitzen. „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde“, heißt es in einem neu- en geistlichen Lied, ich verstehe die Ungeduld vieler Gläubigen, ich bin selbst nicht immer der Geduldigste. Andererseits kann das nicht heißen, dass wir jetzt alle Wünsche erfüllen.

AUFTRAG: Wäre die Öffnung des Diakonats für Frauen nicht eine Gelegenheit, die immer wie- der geforderte Neuevangelisierung auf eine breitere Basis zu stellen?

Beschreibung: Kardinal Woelki: Ich halte es für on Rot und Blau gevierter Schild mit eingepfropfter goldener Spit- den falschen Weg, die Frage nach der Vze; Feld 1: zwei gekreuzte silberne Schlüssel; Feld 2: ein silbernes Neuevangelisierung mit dem Diako- Tatzenkreuz; Feld 3: eine goldene Hausmarke („pommersches Kreuz“); nat der Frau zu verknüpfen. Für die Feld 4: zwei gekreuzte silberne Bootshaken, oben begleitet von einem Neuevangelisierung können wir auf sechsstrahligen silbernen Stern; in der Spitze ein blaues Rad mit 6 ro- Frauen auf gar keinen Fall verzich- ten Keilen als Speichen, abwechselnd nach außen oder innen gerichtet. ten. Das fängt schon damit an, dass in Hinter dem Schild ein goldenes Doppelkreuz als Vortragekreuz, der Regel die Mütter die ersten sind, überhöht von einem roten Kardinalshut mit beidseitig an roten Schnü- die ihren Kindern den Glauben und ren herabhängenden je fünfzehn (1 : 2 : 3 : 4 : 5) roten Quasten, unten Gottvertrauen vermitteln. Frauen sind belegt mit dem silbernen Pallium, darunter ein silbernes Schriftband wichtige Zeuginnen des Glaubens, ob mit der Devise „Nos sumus testes“. das die Ministrantinnen oder Ordens- schwestern sind, die Frauen in der Erläuterung: theologischen Lehre und Forschung, er Schild vereint in der Sprache der Heraldik das Wappen des die vielen Frauen in unseren Gremi- DBerliner Erzbistums mit dem persönlichen Wappen des Kardinals. en und Verbänden, aber auch in der Die Felder 1, 2, 3 und 4 zeigen die Wappen der vorreformatorischen Politik und der Kunst. Zu aller Zeit Vorgängerdiözesen Brandenburg, Havelberg, Cammin und Lebus. hat die Kirche Kirchenlehrerinnen Im Schildfuß verweist das sogenannte Rad des hl. Bruders Klaus auf ernannt. Ich denke nicht nur in der das Patrozinium der Heimatpfarrei des Kardinals in Köln-Mühlheim. Kirche sollten wir uns angewöhnen, Drei der sechs „Speichen“ (Strahlen) des Meditationsrades gehen von mehr auf die Frauen zu hören und der Mitte aus, so wie sich Gott in Liebe den Menschen zuwendet; drei auf ihr Zeugnis und ihre Verkündi- „Speichen“ weisen den umgekehrten Weg, sie führen zu Gott, der auf gung vertrauen. die Antwort derer wartet, die ihn lieben. Begleitet wird der Schild von den heraldischen Insignien des Erz- AUFTRAG: Wo sehen Sie als bischofs: dem goldenen Doppelkreuz und dem silbernen Pallium – ei- Repräsentant der Kirchenführung ner ringförmigen mit 6 schwarzen Kreuzen belegten Wollstola, von der noch Bedarf in der Umsetzung des jeweils ein bleibeschwertes Endstück herabhängt – sowie dem roten II. Vaticanums? Kardinalshut mit je fünfzehn Quasten. Das Schriftband trägt die Devi- se „Nos sumus testes (horum verborum)“ aus Apostelgeschichte 5,32 Kardinal Woelki: Das Zweite Va- und lautet übersetzt: „Zeugen dieser Ereignisse sind wir“ oder mit den tikanische Konzil selbst hat von der Worten des II. Vatikanischen Konzils über die Hirtenaufgabe der Bi- Kirche als „Volk Gottes unterwegs“ schöfe „Zeugen Christi vor allen Menschen“ (Christus Dominus, 11). gesprochen. Damit hat die Umsetzung des Konzils eine Dynamik, die nicht nach Abgeschlossenheit strebt, bzw.

24 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 RELIGION UND GESELLSCHAFT eine eschatologische Dimension er- dass damit zum Ausdruck gebracht der Kommune auslöst, Arbeitsplät- halten. Wir sind auf dieser Erde nicht wird: Die Seelsorge für unsere Sol- ze schafft und Infrastruktur, so ist ganz zuhause. Wenn mit Umsetzung daten geht uns als Kirche alle an, das das ja auch für andere Orte, an de- gemeint ist Abschluss oder „Es sich dürfen wir nicht an einen Spezialisten nen wir als Kirche seelsorglich tätig gemütlich machen im Erreichten“, am Rande delegieren oder abschie- sind: Gefängnisse und Krankenhäu- dann darf es eigentlich nie ganz um- ben. Die zahlreichen Veränderungen ser aber auch unsere Schulen und Ki- gesetzt sein. Wenn wir das aber ver- in der Bundeswehr dürfen uns nicht tas stehen in einer Wechselwirkung standen haben, dass wir immer unter- gleichgültig sein, wie viel mehr muss zu den Ortsgemeinden. Für die pas- wegs sind auf unserem Weg zu Chris- uns die Sorge um die Menschen um- torale Planung in meinem Bistum tus, dann ist es umgesetzt. treiben, die letztlich ihr Leben für wird all das in den Blick genommen uns riskieren. werden, wenn neue Zusammenhän- AUFTRAG: Der Militärbischof ge entstehen, warum nicht auch die ist immer ein amtierender Diözes- AUFTRAG: Militärseelsorger Bundeswehr-Standorte. Und umge- anbischof. Hat man mit der Lei- haben im Regelfall keine „Sonn- kehrt ist beispielsweise schon längst tung einer Diözese nicht genug zu tagsgemeinde“, da die Bundes- der Militärgeneralvikar ein hoch- tun, dass in den Zeiten der Aus- wehr mittlerweile fast nur aus willkommener Zelebrant in unserer landseinsätze mit Tod und Ver- Pendlern besteht. Wäre die Einbin- Kathedrale. wundung das wichtige Amt des dung der Militärseelsorger an den Militärbischofs zur Nebenbeschäf- Standorten für die Sonntagsmes- AUFTRAG: Eminenz, ich be- tigung wird? sen nicht eine Möglichkeit, die Mi- danke mich für die Beantwortung litärseelsorge in der katholischen der Fragen. ❏ Kardinal Woelki: Ich habe ho- Öffentlichkeit besser sichtbar zu hen Respekt vor Bischof Overbeck machen? Die Fragen wurden von und der Doppelbelastung, die er zu Bertram Bastian gestellt, tragen hat. Dennoch wollen wir schon Kardinal Woelki: So wie die Ka- das Foto und das Wappen aus historischen Gründen daran fest- serne vor Ort nicht unbemerkt bleibt mit Erläuterungen stammen halten. Ich verstehe es aber auch so, und zahlreiche Wechselwirkungen mit vom Erzbistum Berlin

Kurznachrichten Deutsche Bischöfe im Einklang mit der Lehre der Kirche ngenauer Sprachgebrauch in der Angelegenheit der Die Vollversammlung hat bekräftigt, dass in katho- Uso genannten „Pille danach“ stifte auch unter Ka- lischen Krankenhäusern Frauen, die Opfer einer Verge- tholiken Verwirrung. Die Linie der Deutschen Bischofs- waltigung geworden sind, selbstverständlich menschliche, konferenz in dieser Frage sei absolut richtig. Dies bestä- medizinische, psychologische und seelsorgliche Hilfe er- tigte der Präsident der „Päpstlichen Akademie für das halten. Dazu kann die Verabreichung einer ‚Pille danach‘ Leben“, Bischof Ignacio Carrasco de Paula, nach Radio gehören, insofern sie eine verhütende und nicht eine ab- Vatikan am Rande eines Kongresses seiner Akademie im ortive Wirkung hat. Medizinisch-pharmazeutische Metho- Vatikan. Was die deutschen Bischöfe bei ihrer jüngsten den, die den Tod eines Embryos bewirken, dürfen wei- Vollversammlung erklärt hätten, entspreche dem, was terhin nicht angewendet werden. Die deutschen Bischöfe der Vatikan bereits seit 50 Jahren lehre. vertrauen darauf, dass in Einrichtungen in katholischer Bischof Carrasco de Paula habe betont, dass auch Trägerschaft die praktische Behandlungsentscheidung viele Katholiken diese Lehre mehrfach falsch verstanden auf der Grundlage dieser moraltheologischen Vorgaben hätten. Der entscheidende Punkt sei, so Carrasco, dass erfolgt. Auf jeden Fall ist die Entscheidung der betroffenen laut Lehre der Kirche nach einer Vergewaltigung Mittel Frau zu respektieren. Die Vollversammlung anerkennt die erlaubt seien, die eine Befruchtung der Eizelle verhinder- Notwendigkeit, neben ersten Stellungnahmen zur ‚Pille ten. Eine mit Gewalt aufgezwungene sexuelle Vereinigung danach‘ die weiteren Zusammenhänge der Fragestellung – könne nicht als ein für das Leben offener Akt verstan- auch im Kontakt mit den in Rom Zuständigen – vertieft zu den werden, wie es für eine Ehe gelte. Daher seien Mittel ergründen und notwendige Differenzierungen vorzuneh- erlaubt, die eine Befruchtung verhinderten. Mittel, die men. Die Bischöfe werden entsprechende Gespräche mit den Tod einer befruchteten Eizelle oder eines Embryos den Verantwortlichen der katholischen Krankenhäuser, herbeiführten, seien hingegen moralisch nicht gestattet. mit katholischen Frauenärztinnen Die Bischöfe werden Durch den ungenauen Sprachgebrauch, der zwei entsprechende Gespräche mit den Verantwortlichen der ganz unterschiedliche Präparate unter dem Oberbegriff katholischen Krankenhäuser, mit katholischen Frauen- „Pille danach“ zusammenfasse, sei es zur Verwirrung ärztinnen und -ärzten sowie mit Beraterinnen und Bera- gekommen. tern führen.“ ❏ (Von Jan Bentz/ZENIT)

AUFTRAGAUFTRAG 289 • MÄRMÄRZÄ Z 2013 25 RELIGION UND GESELLSCHAFT Soziales Engagement im Geist des heiligen Franz von Sales er französische Ordensgründer Louis Brisson wurde am 22. September 2012 selig gesprochen. Seit fast achtzig Jahren warteten die Oblatinnen und Oblaten des hl. Franz von Sales auf diesen Tag. Nun war Des so weit: am 22. September 2012 wurde ihr Ordensgründer, der französische Priester Louis Brisson (1817-1908), in der Kathedrale von Troyes, der Hauptstadt des Champagners, selig gesprochen.

Im Dienst für die Arbeiterinnen ben zu rufen. 1866 gründete er zu- Geburtsort Plancy zurück und starb und Arbeiter sammen mit der heiligen Leonie Avi- dort am 2. Februar 1908. ouis Brisson wurde 1817 in Plancy at (1844-1914), die den Ordensnamen Lgeboren und hatte bereits als Kind Franziska Salesia annahm, die Obla- Der lange Weg zur Seligsprechung den Wunsch, Priester zu werden. Kurz tinnen des heiligen Franz von Sales. m 11. Februar 1938 wurde der nach seiner Priesterweihe begegne- Die ersten Oblatinnen übernahmen die AInformativprozess für die Selig- te er Maria Salesia Chappuis (1793- Leitung seiner Heime und die Sorge sprechung von Louis Brisson in der 1875), Oberin des Klosters der Heim- um die Erziehung der Mädchen. Diözese Troyes eröffnet. Aufgrund suchung Mariens („Salesianerinnen“) Was aber war mit der Idee des des Zweiten Weltkrieges konnte die- in Troyes. Diese drängte ihn, einen salesianischen Männerordens ge- ser erst in den 1950-Jahren abge- Männerorden im Geist des heiligen schehen? Maria Salesia Chappuis schlossen werden. 1964 wurde dann Franz von Sales (1572-1622) zu grün- jedenfalls vergaß diese Idee nicht. der Seligsprechungsprozess in Rom den, da der Heilige selbst diese Idee Als sich Louis Brisson bereit erklär- eröffnet. Am 19. Dezember 2009 wur- aufgrund seines frühen Todes nicht te, das einzige katholische Gymna- de das Dekret über die Heroizität der mehr verwirklichen konnte. Damit än- sium für Jungen in Troyes zu über- Tugenden von Louis Brisson von Papst derte sich das bisher eher geruhsame nehmen, sah sie darin ein göttliches Benedikt XVI. unterzeichnet. Das zur Leben des jungen Priesters schlagar- Zeichen, dass es nun an der Zeit sei, Seligsprechung notwendige Wunder tig. Zu diesem Zeitpunkt interessierte diese Männergemeinschaft zu grün- wurde zwei Jahre später, am 19. De- ihn nämlich alles andere mehr als die den. 1872 erhielten die ersten Leh- zember 2011, anerkannt. visionären Ideen einer Ordensfrau. rer dieses Gymnasiums zusammen Das Fest der Seligsprechung be- Vor allem sah er im Zeitalter der mit Louis Brisson die Erlaubnis, als gann am 21. September 2012 in der Industrialisierung die vielen jungen Gemeinschaft im Geist des heiligen Kathedrale von Troyes mit einem Arbeiterinnen und Arbeiter, die auf Franz von Sales zu leben. 1875 wur- Abend der Besinnung und Einstim- Arbeitssuche zu den neuen Fabriken den die Oblaten des heiligen Franz mung. Am 22. September 2012 leitete vom Land in die Städte strömten, ohne von Sales als Ordensgemeinschaft Angelo Kardinal Amato SDB, der Prä- dort eine richtige Unterkunft zu haben. päpstlich anerkannt. fekt der Kongregation für Selig- und So gründete er für die Jungarbeiterin- In seinen letzten dreißig Lebens- Heiligsprechungsprozesse, in Vertre- nen Heime und Werkstätten und sorgte jahren erlebte Louis Brisson nicht nur tung von Papst Benedikt XVI. im Rah- sich für deren religiöse und soziale Bil- das Aufblühen seiner beiden Ordens- men eines Festgottesdienstes in der dung. Ebenso wurde er in der Diözese gemeinschaft und deren Ausbreitung Kathedrale von Troyes die Seligspre- Troyes zur führenden Gestalt des Franz in zahlreiche Länder der Erde, unter chung. Am 23. September 2012 wurde von Sales-Vereins, eines katholischen anderem in Afrika, Nord- und Süd- das Wochenende der Seligsprechung Erwachsenenbildungswerkes zur Er- amerika, sondern auch die Zerstörung mit einer Dankmesse in der Pfarrkir- neuerung des katholischen Glaubens seiner zahlreichen Werke in Frank- che von Plancy, in der Louis Brisson in Frankreich nach den Jahren der reich. Aufgrund des französischen getauft wurde, seine Erstkommunion Revolution und der napoleonischen Kirchenkampfes wurden die Obla- empfing und seine erste Heilige Messe Kriege. Er machte sich auch als Er- tinnen und Oblaten 1903 gesetzlich als Priester feierte, abgeschlossen. ❏ finder einen Namen. So konstruierte verboten und aus Frankreich vertrie- (Text: P. Herbert Winklehner er eine astronomische Uhr, die bei der ben. Louis Brisson zog sich in seinen OSFS aus der Pressemitteilung) Weltausstellung in Paris den zweiten Platz erzielte. Der erste Platz blieb ihm verwehrt, da sich die französische Re- gierung damals nicht erlauben konnte, Redaktionsschluss für einem katholischen Priester mit einem ersten Preis zu belohnen.

Ordensgründer AUFTRAG 290 ein soziales Engagement für die SJungarbeiterinnen führte ihn dazu, Freitag, 12. 04. 2013 eine Schwesterngemeinschaft ins Le-

26 AUFTRAGAUFTRAG 289 • MÄRMÄRZÄ Z 2013 BUCHBESPRECHUNG

Buchbesprechung Muslime in der Waffen SS an möchte im Grunde genommen Tschetniks eingesetzt wurde. Zvonimir in schwere Kämpfe gegen die Partisa- Mnichts mehr hören von dieser Bernwald schildert in dem vorliegen- nen eingebunden war, sondern auch schrecklichen Zeit des Nationalsozi- den Buch sein Heranwachsen in Sla- die bislang unveröffentlichten Fotos alismus. Dennoch ist man hin vonski Brod, das unpro- und die Faksimile der Divisionszei- und wieder überrascht, wenn blematischeb Nebenein- tung, die einen sehr guten Einblick neue, bis dahin unbekannte andera verschiedener Re- in die öffentliche Darstellung dieses Details bekannt werden. Wa- ligionen,l das Verhärten, einmaligen Verbandes gewährt. Leicht rum diese erst jetzt an die Öf- alsa die Ideologien aller lesbar gibt dieses Buch einen Einblick fentlichkeit kommen, könnte SeitenS die Überhand be- in das Verhältnis von Islam und Natio- daran liegen, dass die Zeit- kkam und seinen Einsatz nalsozialismus. Ersterer repräsentiert zeugen jetzt das Schweigen alsa Dolmetscher in dieser vom Großmufti von Jerusalem Amin brechen oder ihre Erinnerun- 13.1 Waffen-Gebirgs-Divi- el-Husseini und letzterer durch den gen veröffentlichen. So auch sionsi der SS, die aus insge- Reichsführer-SS Heinrich Himmler. mit diesem äußerst interes- samtsa 15.000 bosnischen Muslime in der Waffen-SS, santen Buch über die Divi- Muslimen,M die sich freiwil- Erinnerungen an die bosnische sion Handžar, eine muslimische Di- lig gemeldet hatten, bestand. Das be- Division Handžar (1943-1945) vision in der Waffen-SS, die in den sondere an diesem Buch ist nicht nur von Zvonimir Bernwald, Ares-Verlag, Bergen Nord-Ost Bosniens gegen die die Geschichte dieses Verbandes, der Graz, 416 Seiten, Tito-Partisanen und die serbischen eine Meuterei zu überstehen hatte und ISBN 978-3-902732-002

Zwischen Weiß und Rot Die russische Tragödie er Autor des Buches Edwin Erich sen Staaten bemerkbar, so dass die Un- liche Erinnerungen DDwinger, Sohn eines Marineoffi- terstützung nur halbherzig erfolgte und dem Leser darge- ziers, meldete sich zu Kriegsbeginn immer weniger wurde. So wurden die stellt, meist in Dia- 1914 als Kriegsfreiwilliger und geriet Anfangserfolge der weißen konterka- logform zwischen enn verwundet Ende 1915 in russische Ge- riert und die Roten gewannen die Ober- handelnden Perso-- fangenschaft. Nach einer abenteuerli- hand. Edwin Erich Dwinger veröffent- nen. So schafft es der AdLAutor, den Leser chen Flucht 1919, geriet er in die Aus- lichte 1929 den ersten Teil der Schilde- in die Handlung hineinzuholen. Es ist einandersetzung zwischen dien Weißen rung seiner Flucht unter dem Titel „Ar- kein historischer Roman, der Anspruch (Zarentreue) und den Roten (Bolsche- mee hinter Stacheldraht“ und 1932 den auf Quellennachweis erheben würde, wiken) und erst 1921 erreichte er das zweiten Teil „Zwischen Weiß und Rot“. es ist die Schilderung, wie ein junger Nachkriegsdeutschland. Dieser Teil wurde neu aufgelegt, da er Mensch die Unwirklichkeit des Krie- Man kennt die Russische Oktober- für sich allein den Abschnitt der Flucht ges, der Gefangenschaft, der Flucht mit revolution und den Frieden von Brest- Dwingers schildert, als er mit einigen anschließenden Bürgerkriegshandlun- Litowsk aber nur wenige kennen den Kameraden den Kampf der weißen ge- gen erlebt und durchlebt. Von Dwinger russischen Bürgerkrieg, der von 1918 gen die Roten unterstützt und damit damals geschrieben, um den nachfol- bis 1924 zwischen den Bolschewiken diesen Teil des russischen Bürgerkrie- genden jungen Menschen, diese Gräuel und den konterrevolutionären Kräften ges schildert, der nach der Machtüber- zu ersparen, indem er die Unmensch- tobte. Die von Trotzki aus dem Boden nahme durch die Bolschewiken erfolg- lichkeit so detailgetreu niederschreibt gestampfte Armee nannte man die Ro- te. Die Grausamkeiten von beiden Sei- wie möglich. Vielleicht reihte deshalb ten und die anderen die Weißen. Diese ten werden geschildert, ebenso wie die der Dichter Johannes R. Becker noch wurden anfangs von der Entente unter- Enttäuschung der Menschen, als sie be- 1947 diesen Roman unter die 20 wich- stützt, da diese Mächte sich eine Front merkten, dass sie von den siegreichen tigsten deutschen Bücher der ersten gegen die Mittelmächte erhofften. Nach Entente-Mächten nicht mehr gefördert Jahrhunderthälfte ein. Kriegsschluss waren dann wirtschaft- wurden, da nach dem Waffenstillstand Zwischen Weiß und Rot von liche Interessen der Hauptgrund, wa- von Compiègne der Kriegswille stark Edwin Erich Dwinger, Leopold rum die Sieger des ersten Weltkrieges nachließ und wirtschaftliche Interes- Stocker Verlag, Graz – Stuttgart, die Weißen unterstützten. Allerdings sen die Überhand gewannen. All die- 404 Seiten plus Übersichtskarte, machte sich die Kriegsmüdigkeit in die- se Begebenheiten werden als persön- ISBN 3-7020-0929-9

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 27 BLICK IN DIE GESCHICHTE Leben und Wirken von Eugenio Pacelli Zeitzeugeninterview mit Pater Gumpel SJ

VON PHILIPP WEBER

ür seine Bachelor Arbeit über das Leben und Wirken von Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., in- terviewte Leutnant Philipp Weber, den Relator des Seligsprechungsprozesses für Papst Pius XII. , Professor FDr. Pater Peter Gumpel, SJ. Diesen Zeitzeugenbericht wollte die Redaktion den Lesern nicht vorenthalten, um einem Mann Gelegenheit zu geben, seine persönlichen Eindrücke und seine Forschungsergebnisse über den Papst Pius XII. einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Damit beschließt die Redaktion die Berichte über das frühe Leben des Papstes Pius XII. Weber: Sehr geehrter Pater als heute und wären in jener Zeit so richtigt und Pius XII. ließ es ihr, ohne Gumpel, Sie haben als Kind und auch nicht zu bewerkstelligen gewe- zu überlegen sofort auszuhändigen. später als junger Priester den apo- sen. Heute kommen bis zu mehre- Er war in allen Anliegen die ihm stolischen Nuntius und späteren ren zehntausend Menschen und der angetragen wurden, sehr hilfsbereit. Papst Pius XII. getroffen. Kön- Papst fährt mit dem Papstmobil über Als später in Rom die große Hungers- nen Sie mir von Ihren Eindrücken den Petersplatz, damit ihn alle ein- not war, hat er am Tag hunderttausend berichten? mal sehen können und hält dann eine Leuten eine warme Suppe reichen Ansprache. lassen. Der Vatikan hatte damals als P. Gumpel SJ: Meine Eindrücke Die damaligen Audienzen waren Staat gute Beziehungen zu Amerika waren sehr positiv. Ich habe ihn als anders. Damals waren es zwar viele und Argentinien und Spenden aus Kind kennengelernt, als ich ungefähr Hundert oder manchmal ein paar Tau- diesen Ländern, gingen ohne große sechs Jahre alt war. Damals machte er send, aber diese konnten noch in den Umwege sofort an die hungernden als apostolischer Nuntius einen Ab- großen Sälen des Vatikans empfangen Menschen von Rom, nachdem sich schiedsbesuch im Dezember 1929 werden. Der Papst hielt bis auf weni- der Papst dafür eingesetzt hatte. bei meinem Großvater. Wir Kinder ge Ausnahmen dabei keine größeren Oder als Italiener trank er gerne wurden bei solchen Anlässen geru- Ansprachen, sondern ging mitten un- morgens einen Espresso oder einen fen, wenn Minister oder Diplomaten ter die Leute. Viele konnten ihm dabei Kaffee. Als es in der großen Not da- kamen. Manche Gäste machten da- ihre Anliegen vortragen. Dabei wurde mals keinen Kaffee mehr gab, selbst bei großes Theater, um meinen Eltern er immer von einem Privatsekretär be- nicht für Herzpatienten in den Kran- und meinem Großvater eine Freude gleitet, der die Bitten aufschrieb die kenhäusern, hat Pius XII. sofort den zu machen. Auch wir Kinder merkten die Leute vortrugen. Es ist auch nicht ganzen Kaffee des Vatikans – dabei das, ob es jemand ernst meinte oder selten vorgekommen, dass einige bei handelte es sich um mehrere Zentner das alles spielte. Beim apostolischen ihm beichten wollten. Dann ging der – an Krankenhäuser gegeben und von Nuntius Erzbischof Pacelli war das Papst mit diesen in eine Ecke – wo ab da keinen Kaffee mehr getrunken. keinesfalls so. Er schaute mich sehr man sie nicht hören konnte – und Er lebte allgemein auch sehr be- freundlich an und sagte dann: „Du nahm ihnen die Beichte ab. Und die scheiden. Er konnte nicht viel essen, bist bestimmt ein guter Junge. Bleib Eindrücke der Audienzen waren ganz da er seit seiner Kindheit Verdauungs- so, sei deinen Eltern gehorsam und anders als heute. Ich habe im Rah- probleme hatte. Im Übrigen setzte er werde ein guter Christ.“ Danach gab men meiner Arbeit mit vielen Leuten alles was er bekam – auch sein Pri- er mir den Segen. Es war ein positi- gesprochen, welche da Pius XII. er- vatvermögen – für arme Menschen ver Eindruck, auch im Hinblick auf lebt haben. Alle waren beeindruckt ein und auch gerade für Juden. Ge- andere Besucher später. Dieses Bild von der Einfachheit, Freundlichkeit rade bei den Judenverfolgungen half zum Nuntius hat sich sehr gefestigt. und Herzlichkeit mit der er den Leu- er wo er konnte, auch wenn man das Man muss hier zwei Dinge deutlich ten begegnete und das war allgemein heute nicht mehr glaubt, aber alles ist beim Auftreten Pius‘ XII. unterschei- bekannt. schriftlich festgehalten und belegbar. den: Wenn er beispielsweise später Es gab beispielsweise einen Fall, Dafür wurde ihm am Ende des Krieges als Papst eine öffentliche Messe in der mich sehr beeindruckte. Damals vom World Jewish Congress, von zahl- St. Peter zelebrierte, war er natürlich war gerade das Penicillin erfunden reichen Rabbinern, dem Chefrabbiner während dieser liturgischen Hand- und es gab im Vatikan eine einzige Herzog von Palästina und zahlreichen lung der Hohepriester und dadurch Phiole, die für den Papst bestimmt Oberrabbinern in bewegenden Worten majestätisch. So haben ihn dann viele war, wenn er es benötigen würde. Es und Briefen gedankt. Die israelische Leute gesehen. Aber das war bei ihm kam damals eine arme Frau zur Pforte Außenministerin Golda Meir hat sich nur ein Aspekt. am Vatikan und trug vor, dass sie Me- anlässlich seines Todes für sein Han- Er hat im Heiligen Jahr 1950 vie- dikamente und auch Penicillin benö- deln bedankt, weil er sich im Krieg ei- le Generalaudienzen gegeben. Die tige, es aber nicht auftreiben könnte. gentlich als einzige Instanz wirklich damaligen Audienzen waren anders Daraufhin wurde der Papst benach- für die Juden eingesetzt hätte. Auch

28 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE der Minister Moshe Scharett kam da- hält, aber er war da immer sehr ein- dann Leute wie Max Planck und Hei- mals eigens nach Rom und sagte, dass fach und überaus freundlich. Wenn al- senberg konsultiert, da er sich auf die- es seine erste Pflicht sei, sich bei les besprochen war und das Gespräch sem Gebiet nicht genügend auskann- Pius XII. zu bedanken für das, was beendet war, brachte er mich immer te. Er begrüßte dann die Entwicklun- der Papst für die Juden getan hatte. persönlich zur Tür und fragte ob man gen dieser neuen Forschungsrichtung Das war Pius XII. und es gab kei- mich mit dem Auto zurückbringen und Technik, warnte aber auch gleich- ne Kampagnen gegen ihn – wie das sollte. Er hätte nicht herzlicher und zeitig vor der Möglichkeit, diese in ei- heute der Fall ist. freundlicher sein können, was auch nem Krieg zu verwenden. Das war da- Später hat er mich dann wie- zahlreiche Leute bestätigen, welche mals noch einige Jahre vor Hiroshima der empfangen. Ich wurde 23 jäh- in den vielen Jahren mit ihm zusam- und Nagasaki. rig als wissenschaftlicher Assistent mengearbeitet haben. Er war jemand der immer bestens nach Rom ans Germanicum berufen Ich bin später von allen ande- informiert war und hatte deswegen – nachdem mein Vorgänger durch eine ren Päpsten aufgrund meiner wis- einen festen Kontrakt mit den besten schwere Krankheit am Anfang des senschaftlichen Arbeit – ausgenom- Buchhandlungen hier in Rom, um Jahres ausgefallen war – und musste men Johannes Paul I., der nur 33 sich wissenschaftlich immer weiter- nachdem die deutschen Pässe nicht Tage regierte – empfangen worden. zubilden. mehr gültig waren aus Holland mit Es ist heute nicht mehr möglich, in Pius XII. war immer ein uner- einem Diplomatenpass nach Rom rei- allen wissenschaftlichen Disziplinen müdlicher Arbeiter. Es ist bekannt, sen. Wir verfügten über Kontakte um und in all den Spezialisierungen ge- dass er fast nie vor 02.00 Uhr nachts von Deutschland Bücher nach Rom nauestens informiert zu sein, so dass zu Bett ging. Ihm wurde immer am kommen zu lassen, die der Papst be- man in jedem Gebiet einen völligen Abend eine große Dokumentenmappe nötigte. Der Papst hatte in seiner Zeit Überblick hat. für Unterschriften und Antwortschrei- als Nuntius in München und später in Pius XII. und alle seine Nach- ben vorgelegt, welche dann am nächs- Berlin viele Bücher gelesen. Wenn er folger wollten von allen Vertretern ten Morgen wieder in zwei Teilen im ein Buch oder eine Stelle zitieren woll- der verschiedenen wissenschaftlichen Staatssekretariat zurück waren. Der te, dann wollte er es noch einmal vor- Richtungen Informationen bekom- eine Teil enthielt Texte, an denen er gelegt haben, um sich bei seinen Ver- men, damit sie sich einen Überblick kleine handschriftliche Notizen zur weisen vollkommen sicher zu sein. Es und eine Meinung zu den betreffenden Änderung gemacht hatte und der zwei- kam dann seine Haushälterin Schwes- Themen machen konnten. Wenn ich te Teil Korrespondenzen, bezüglich ter Pascalina und fragte, ob wir dieses gefragt wurde, was ich darüber denke welchen er zustimmte, dass sie so ge- oder jene Buch in unserer Bibliothek oder wie meine Meinung zu bestimm- schickt werden konnten. Bis kurz vor hätten oder ob wir es über unsere Kon- ten Themen sei, habe ich immer dar- seinem Tod hat er so intensiv gearbei- takte aus Deutschland kommen lassen auf verwiesen, dass es nicht auf mei- tet. Die Ärzte sagten nach seinem Tod, könnten. Dadurch bin ich dann wie- ne Meinung ankomme. Ich habe die dass mit seinem Herzen und seiner derholt zum Papst gerufen worden, verschiedenen Lehrmeinungen vor- Lunge alles in Ordnung sei und dass weil er sich für diese Dienste bedan- gestellt und darauf verwiesen, dass er sich einfach „zu Tode gearbeitet“ ken wollte. So hat er es auch bei al- es in der katholischen Kirche auch habe. Das sind meine Eindrücke von len seinen Untergebenen gemacht. Er verschiedene Strömungen gibt und ihm, welche auch von vielen Leuten, hatte immer für die kleinste Gefällig- meistens empfohlen auch die Vertre- die mit ihm zu tun gehabt haben, be- keit ein Wort des Dankes. Und das war ter der verschiedenen Strömungen zu tätigt werden. typisch für ihn. Es gibt ja das Sprich- befragen. wort „Für den Kammerdiener gibt es Bei solchen Angelegenheiten ist Weber: Sie haben gerade schon keine Helden“. Aber alle Menschen es immer wichtig, sich ein nüchternes angesprochen, dass Pius XII im aus seiner unmittelbaren Umgebung, Urteil zu bilden. Auftreten unterschiedlich war. In haben bei den Prozessen die wir ge- Pius XII. war ein sehr nüchterner einer Papstmesse sehr würdevoll, führt haben, immer mit höchsten Lob Mensch, der nie über sein Inneres Le- majestätisch und im privaten Ar- von Pius XII. gesprochen. Diese Herz- ben gesprochen hat. Der Gegensatz beitsalltag sehr freundlich und lichkeit, Einfachheit und Bescheiden- dazu war beispielsweise sein Nach- herzlich. Wie würden sie das be- heit waren typisch für diesen Papst. folger Johannes XXIII., der gerne fast urteilen: Rührt das von einer ge- Wissen sie, ich war damals mit 23 ein wenig großväterlich aus seinem wissen Form der Arroganz oder Jahren noch nicht einmal Priester, als Leben und seiner Jugend erzählte, einfach dem Selbstverständnis sei- ich diese Wege für ihn erledigte. Aber was übrigens immer sehr interessant ner Zeit für das Amt? jedes Mal wenn man zu ihm gerufen war. Pius XII. war weder absoluter wurde, kam er auf einen zu, gab einem Optimist noch Pessimist. Er wollte P. Gumpel SJ: Ich denke, dass beide Hände und fragte zunächst ein- die Sachlage vorgetragen haben und das alleine schon von seiner Erzie- mal nach dem eigenen Befinden. Wir dann sachlich beurteilen. Er war eben hung kommt. Er stammte aus einer setzten uns und er erkundigte sich erst nüchterner. gut situierten Familie und war sehr gut einmal wie es einem ging. Natürlich Beispielsweise hat er einmal eine erzogen. Damals war der italienische wusste man während des Gesprächs, Rede über die damals noch sehr neue Staat dem Vatikan sehr feindlich ge- dass man sich mit dem Papst unter- Atomforschung gesprochen. Er hat stimmt. Es ist daher merkwürdig, dass

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 29 BLICK IN DIE GESCHICHTE ihn seine Eltern nicht an eine katho- in ihrer Muttersprache zu sprechen, turtätigkeit in Deutschland beendete lische Privatschule, sondern an das wenn er sie beherrschte. Das hat er so und erfuhr, dass er Kardinal werden berühmte römische Gymnasium „Vis- mit Engländern, Franzosen, Spaniern sollte. Er wurde dann im Dezember conti“ geschickt haben. Einige Leh- und Deutschen gemacht, denn er war 1929 unter Pius XI. zum Kardinal kre- rer waren dort sehr kirchenfeindlich. sprachlich sehr talentiert. iert und im Februar 1930 Kardinal- Seine Mitschüler stammten meistens Auch bei seinen Reisen – er wur- staatssekretär. Pacelli setzte Himmel aus sehr liberalen bis sogar antikatho- de als Staatsekretär und päpstlicher und Erde unter Hilfe seines Bruder lischen Familien, hatten aber zu dem Legat zum Eucharistischen Weltkon- Francesco in Bewegung – der durch jungen Eugenio Pacelli ein sehr gutes gress nach Argentinien und danach seine Beteiligung an den Lateranver- Verhältnis. Das war bei den damali- dann nach Brasilien geschickt – hat trägen bekannt war – um den Papst gen Spannungen zwischen Kirche und er einige Reden in der jeweiligen davon abzubringen, ihn zum Kardinal Staat a priori nicht selbstverständlich. Landessprache gehalten. Er wurde zu kreieren. Er wollte den Papst bit- Übrigens war sein bester damaliger dort von den höchsten Gremien emp- ten, ihm eine Diözese zu geben – zwar Freund – Guido Mendes – ein Jude. fangen und ist dort durch seine Be- keine allzu kleine, denn dann habe er Beide besuchten sich auch gegensei- scheidenheit aufgefallen, eben weil nicht genug zu tun, aber auch keine tig und man sagte später über er sich nichts aus sich machte. Es ist zu große, denn dann könne er nicht Pius XII., er sei der einzige Papst ihm einmal in Argentinien gelungen, genügend mit den Priestern Kontakt gewesen, der je an einer koscheren sich von seiner Umgebung zu entfer- pflegen. Er bat also den Papst von der Mahlzeit teilgenommen hat, da er un- nen und in die Armenviertel zu ge- Kardinalskreierung abzusehen. Papst ter anderem auch bei der Familie hen, um sich ein Bild von den dorti- Pius XI. ging nicht darauf ein, mach- Mendes zum Essen eingeladen war. gen Zuständen zu machen, denn sol- te ihn zum Staatssekretär bis 1939 Man muss dazu sagen, dass diese chen Gästen werden ja nur die besten und wollte ihn als seinen Nachfolger Familie orthodoxe Juden waren, die Seiten gezeigt. Er wurde trotz seiner haben. Die Beiden waren völlig ver- sich genau an die strengen jüdischen einfachen schwarzen Soutane erkannt schiedene Charaktere: Pius XI. war Speiseregeln hielten. Beide waren und die Leute umdrängten ihn sehr, eher spontan und auch teilweise sehr beste Freunde, unterhielten sich un- um ihm die ihre Anliegen vorzutragen. impulsiv, während Pacelli schon als ter anderem auch über Religion und Es wurde dann die Polizei rufen, um Staatssekretär eher ruhig und bedacht tauschten auch Bücher aus. Als dann ihn wieder abzuholen, weil die Leute war und schon alles abgewogen hatte, im Jahr 1938 hier in Rom die Rassen- ihn so vor Begeisterung nicht gehen bevor er den Papst beriet. Pius XII. gesetze erlassen wurden, kam Guido lassen wollten. Selbst hätte er gerne sagte einmal einem Vertrauten, dass er Mendes in Schwierigkeiten und konn- diese Begegnung noch verlängert. nie „Ja“ gesagt habe, wenn er „Nein“ te seinen Arztberuf nicht weiter aus- Was mich persönlich sehr beein- gedacht habe. In einem Fall in dem üben. Der damalige Kardinalstaatsse- druckte und für die Persönlichkeit die Meinungen sehr stark auseinan- kretär Pacelli half ihm in die neutrale Pius‘ XII. spricht ist folgender Um- der gingen, sagte er dem Papst, dass Schweiz zu gelangen und von da aus stand: Man sagte immer er sei ein seine Heiligkeit aufgrund seines Am- dann nach Israel, wo Mendes ein be- großer Diplomat gewesen, was er ja tes machen könne was er wolle, aber rühmter Chirurg wurde. auch war. Aber er wollte eigentlich gar dass er diese Entscheidung in sei- Als Pius XII. am 09. Oktober nicht in den diplomatischen Dienst – ner Funktion als Kardinalsstaatsse- 1958 starb, gab dieser Guido Mendes er wurde mehr oder weniger dazu ge- kretär nicht mittrage und dem Papst ein Interview in welchem er sagte, wie zwungen, denn Eugenio Pacelli wollte seinen Rücktritt anbiete, sollte der höflich, freundlich und geschätzt sein eigentlich Pfarrer werden. Aber eines Papst diese Entscheidung fällen. Er alter Freund schon damals bei seinen Abends kam ein gewisser Monsigno- war also offen und ehrlich und wurde Mitschülern gewesen sei und dass er re Gasparri – der spätere Kardinal- deswegen bereits als Nuntius von den immer der beste Schüler seiner Klasse staatssekretär – und sagte ihm, dass Diplomaten geschätzt, auch als Do- gewesen sei. Er führte auch an, dass man immer nach hochbegabten Leu- yen des diplomatischen Corps. Viele Pius XII. schon zu Schulzeiten auch ten suche und man habe durch die der katholischen Diplomaten, kamen dem Lehrer widersprach, wenn die- Universität von ihm gehört, dass er deswegen mit ihren Familien zu ihm ser Behauptungen gegen die Kirche hervorragend dafür qualifiziert sei. zum beichten. erhob, welche nicht zutreffend waren. Der junge Priester Pacelli lehnte das Auch ist es ja Usus, dass jede Er war bereits als Schüler gut ge- dann ab und gab an, dass er Kaplan diplomatische Vertretung einmal im bildet und studierte sehr viel. Im übri- und Pfarrer werden wolle, dass er des- Jahr einen Empfang für alle Diplo- gen lernte er schon als Schüler jeden wegen Priester geworden sei und nicht maten gibt, wobei sich immer wieder Tag mindestens eine Stunde deutsch. um in den diplomatischen Dienst ein- verschiedene Botschaften in Berlin Als er Nuntius in Deutschland wurde, zutreten. Aber Monsignore Gasparri besonders hervortun wollten. Das war konnte er zwar gut deutsch lesen, aber fragte, ob er es tun würde wenn der beim Nuntius und Erzbischof Pacelli noch nicht gut sprechen. Aber er per- Papst das wolle und Eugenio Pace- nicht der Fall. Bei ihm ging alles ver- fektionierte das so sehr, dass er immer lli sagte, dass er das dann natürlich gleichsweise bescheiden und normal, wenn ich zu ihm bestellt war, deutsch im Gehorsam tun würde, obschon es aber natürlich korrekt und höflich zu. mit mir redete. Er tat das als einen nicht sein Ideal sei. Dasselbe ereig- Und gerade Hindenburg, der solche Akt der Höflichkeit mit den Leuten nete sich wieder, als er seine Nuntia- Feiern immer mied, ging oftmals gera-

30 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE de zu den Feiern und Empfängen der lich sehr viel Vorsicht und Taktgefühl. deten sich dann vorsorglich über die Nuntiatur, die anlässlich der Papstfei- Man muss sich dann so verhalten, dass Schweiz an den Vatikan und fragten er an dessen Krönungstag oder ande- man das Vertrauen beider Seiten ge- an, ob dieser nicht etwas gegen einen ren Anlässen gegeben wurden. winnt und das ist Kardinal Pacelli im möglichen bevorstehenden Genozid Kardinal Pacelli war sehr um- hohen Maß gelungen. unternehmen könne. gänglich. Es ergab sich einmal die Diese Anfrage vom Vatikan lief Gelegenheit, dass Pacelli einmal den Weber: Pater Gumpel, Sie ha- dann über die Apostolische Nuntiatur evangelischen Theologen Harnack ben eben angeführt, dass Kardi- in Berlin und Nuntius Pacelli konnte traf. Und Pacelli fragte den Profes- nal Pacelli auch erste ökumeni- hier eingreifen und wendete sich mit sor, wie viel Prozent Wahrheitsgehalt sche Kontakte hatte. Nun ist be- diesem Anliegen an den damaligen wohl in den Geschichtsbüchern ste- kannt, dass er kurz nach seiner Reichskanzler von Bethmann-Holl- hen würde und wie viel man anders Ankunft als Nuntius in München weg. Auf dessen Initiative interve- beurteilen müsse. Harnack erwiderte vom Rabbi der jüdischen Gemein- nierte das Deutsche Kaiserreich bei darauf, dass es vielleicht 50 Prozent de konsultiert wurde und um Hil- den Türken und konnte durch seine seien, worauf Pacelli erwiderte, dass fe gebeten wurde. Was können Sie diplomatischen Beziehungen verhin- er diesen Prozentsatz sogar noch nied- dazu und zu den damaligen Um- dern, dass hier ein solcher Genozid an riger angesetzt hätte. Sie sehen also, ständen sagen? den Juden begangen wurde. Sie sehen dass es auch mit führenden Protes- also, dass Eugenio Pacelli sich auch tanten Gespräche gab. Er hat damals P. Gumpel SJ: Selbstverständ- schon in jungen Jahren für die Juden schon Protestanten empfangen und lich ist mir diese Begebenheit be- einsetzte. bereits da kam es zu solchen Gesprä- kannt. In der jüdischen Tradition gibt Er war auch für die Gründung chen. Natürlich waren die Kirchen da- es das Laubhüttenfest. Zur Feier die- eines eigenen jüdischen Staates. Be- mals noch längst nicht so weit mit dem ses Festes benötigen sie Palmzweige. reits vor seiner Zeit als Nuntius, als ökumenischen Prozess und Dialog wie Damals war schon ein ganzer Waggon er noch im Staatssekretariat arbeite- heute und selbst heute hat dieser Di- an Palmzweigen in Italien gekauft und te, empfing er den Führer der Zionis- alog ja noch genügend Schwierigkei- bezahlt. Weil aber Krieg war, wollten tischen Bewegung Nachum Sokolow. ten. Aber was damals Nuntius Pacel- die Italiener den Waggon nicht nach Diesem vermittelte Pacelli auch ein li begonnen hat – und übrigens auch Deutschland schicken. Deswegen hat Treffen mit dem damaligen Heiligen durch Augustin Kardinal Bea später dann der Oberrabbiner von München Vater Benedikt XV., damit er diesem weiter fortgesetzt hat – war wie ein Kontakt zum Nuntius Pacelli aufge- das Anliegen der Gründung eines ei- kleiner Beginn der Ökumene und der nommen und um dessen Hilfe gebe- genen israelischen Staates vortragen Nuntius Erzbischof Pacelli und später ten, ob der Vatikan sich nicht beim könnte. Später trafen sich Pacelli und Pius XII. unterstützte das. Er konnte italienischen Staat für eine gute Lö- Sokolow noch einige Male. mit Leuten, mit denen er völlig unter- sung einsetzen könnte. Damals hatten Als dann als Folge der Shoah schiedlicher Meinung war sich trotz- Italien und der Vatikan keine diplo- 1948 recht schnell der Staat Israel dem gut unterhalten und diskutieren. matischen Beziehungen und das Ver- gegründet wurde, verwies Pius XII. Das zeigte sich auch während sei- hältnis war angespannt. Aber trotz- bereits auf die Rechte der aus ihren nen Reisen als apostolischer Legat dem hat der Nuntius das nach Rom Gebieten vertriebenen Palästinen- nach Amerika, Frankreich und Un- gemeldet und angefragt, ob man nicht ser und befürwortete dass man diese garn. Während seiner Reise als Legat doch noch etwas versuchen könnte. auch ordentlich behandeln müsse. nach Frankreich, bot ihm die franzö- Er sagte dem Oberrabbiner – wel- Das wurde damals sehr positiv von sische Regierung als Unterkunft das cher übrigens stellvertretend für alle jüdischer Seite aufgenommen und Schloss Versailles an und er lehnte Oberrabbiner in Deutschland sprach versprochen, jedoch gab es dann ja das ab und blieb als Gast in der apo- – dass er es versuchen würde, mach- die ganzen Konflikte, die bis in die stolischen Nuntiatur. te ihm in dieser Angelegenheit aber heutige Zeit anhalten. So war er und Sie sehen er mach- wenig Hoffnung, da das Verhältnis Im Jahr 1942 sprach Pius XII. te nichts sich aus sich selbst und hat- zwischen dem Vatikan und Italien zu die Shoah und die Massenmorde in te dabei ein sehr feines Gespür, was dieser Zeit sehr feindlich war und es deutlichen Worten an. Er sagte, dass man gegenüber Anderen tun kann keine diplomatischen Beziehungen es nicht vorkommen dürfe, dass hun- und was man besser unterlässt. Das zueinander gab. derttausende wegen ihrer staatlichen sind Eigenschaften für jemanden mit Das Vorhaben ist nicht gelungen, Zugehörigkeit – gemeint waren hier Regierungsgewalt, die hervorragend trotzdem wusste der Rabbiner diesen die Polen – oder wegen der Zugehö- sind – sich erst einmal zu informie- Einsatz sehr zu schätzen. rigkeit zu einer Rasse – gemeint wa- ren, alle Seiten zu hören, um Unge- Pius XII. half auch auf andere Art ren die Juden – umgebracht oder de- rechtigkeiten zu vermeiden. Ich kann und Weise wo er nur konnte. Als zum portiert werden dürften. das selber nachvollziehen. Ich wurde Beispiel der türkische Völkermord Ich habe dann später als Unter- mehrfach apostolischer Visitator – das an den Armeniern begann – was ein suchungsrichter im Selig– und Hei- passiert nur wenn in einer Institution Tabuthema ist – befürchteten die jü- ligsprechungsverfahren von Pius XII. sehr große Schwierigkeiten bestehen dischen Bewohner des Landes, dass alle jüdischen Zeitungen, welche wäh- und ein solches Amt erfordert natür- sie die Nächsten wären. Diese wen- rend des zweiten Weltkrieges und in

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 31 BLICK IN DIE GESCHICHTE den ersten Jahren danach erschienen auf die Volksschule um mich mit den Lehrer meinte mein Großvater, dass er sind, untersuchen lassen. Ich habe realen Zuständen zu konfrontieren. etwas geschafft habe, was nicht einmal damals einen meiner Mitarbeiter in Sie dürfen dabei nicht vergessen wel- bessere Menschen als er schaffen wür- New York, die Staatsbibliothek des che Zustände damals in Deutschland den, nämlich dass ein Junge aus ei- Bundesstaates durcharbeiten lassen, herrschten. Hinter unserer Schule war ner reichen Familie mit einem Jungen da dort eine große Judaica-Biblio- ein Barackenlager für die Ärmsten der aus einer Proletarierfamilie Freunde thek ist. Dabei kam heraus, dass die Armen. Das kann man sich wenn man geworden seien. Ich habe am Abend Meinung zu Pius XII. durchweg sehr das nicht erlebt hat, gar nicht mehr meinen Großvater gefragt, ob er nicht positiv war. vorstellen. Unsere alte Generation, noch den Vater des Jungen in einem Die gleiche Untersuchung habe die das miterlebt hat und jetzt langsam seiner Fabriken unterbringen könne, ich in Deutschland machen lassen ausstirbt, hat noch erlebt wie Kinder was er dann auch machte. und zwar bezüglich der damaligen aus diesen Baracken in Schule kamen, Abends hörte man oft Schießerei- nationalsozialistischen Presse, also mit zerrissener Kleidung und ohne en zwischen Kommunisten und Na- dem Stürmer, dem Völkischen Beob- Schuhe, den Magen leer und nichts tionalsozialisten. Es waren damals achter, Das Reich, Die Brennnessel zu essen dabei. Sie müssen sich das fast bürgerkriegsähnliche Zustände. und so weiter. Alles war wie zu er- dann mal vorstellen. Der Lehrer war Als dann am 30. Januar 1933 Hit- warten äußerst negativ über Pius XI. da sehr sozial und vergab immer klei- ler an die Macht kam, war ich zufäl- und Pius XII. sowie über den Vati- ne Metallmarken, damit die Kinder lig bei meinem Großvater. Es kam kan und die Katholische Kirche im in der Schulküche eine warme Milch dann einer seiner Sekretäre und über- Allgemeinen. oder etwas zu essen bekommen konn- reichte meinem Großvater ebendie- Sie haben also ein Meinungsbild ten. Aber es waren immer mehr Kin- se Meldung und das Gesicht meines der „freien“ und der damaligen Deut- der als Marken da. Ich hatte damals Großvater wurde völlig blass und er schen Presse über Pius XII., der von zwar nicht viel Geld in der Tasche, sagte, dass Hindenburg – er war ein Hitler und den Nationalsozialisten aber immerhin meistens 50 Pfennig Freund und persönlicher Vertrauter verabscheut und gehasst wurde. dabei, die ich dann dem Lehrer gab, des Reichspräsidenten und General- Wenn man also untersucht, wie damit er mehr Marken verteilen konn- feldmarschalls – ihm doch hoch und während der Kriegszeit und später te – bis mir das von der Schulleitung heilig versprochen habe, dass er die- in der Nachkriegszeit das Bild von verboten wurde. sen Hitler nicht zum Reichskanzler Pius XII. auf beiden Seiten gezeichnet Auch kam es eben vor, dass die machen würde. Daraufhin ließ er mich wurde, dann sehen sie wie falsch und Kinder aus den kalten Baracken, ohne nach Hause bringen, da er jetzt ande- unverantwortlich die heutige Presse- Frühstück in die gut geheizte Schu- re Dinge zu erledigen habe. kampagne gegen diesen großen Papst le kamen und dann eben dabei ein- Er hatte immer zu vermeiden ver- ist. schliefen. Unser Lehrer ging dann sucht, dass Hitler an die Macht kommt Sie sprachen gerade von den Kon- durch die Reihen und stieß die Kin- und hat das auch immer Hindenburg takten Pacellis zu anderen Glaubens– der leicht an – aber er schlug sie nicht als Freund und ökonomischer Berater und Religionsgemeinschaften. Nun da oder so. Aber dann wurde einmal der angetragen. Die beiden waren schon muss man natürlich zunächst einmal Lehrer krank und es kam ein grober lange Freunde gewesen. Hitler war unterscheiden. In Deutschland gab Vertretungslehrer. Der sagte, dass man das bekannt und so lange Hinden- es damals die „Deutschen Christen“, auf sein Zeichen hin die Schlafenden burg lebte, war mein Großvater si- welche mit dem Nationalsozialismus mit der Faust auf den Kopf schlagen cher. Aber als der Feldmarschall dann konform gingen und die bekennenden solle, damit sie wieder wach werden. verstorben war, wurde mein Großva- Christen, mit denen die Katholiken Als das ein zweimal gemacht wurde, ter eines Tages abgeholt, verschleppt sehr gute Kontakte pflegten, weil eben ging ich dann einmal dazwischen und und wohl in einem Wald umgebracht. beide Gruppen von den Nationalso- hielt den Jungen der gerade zuschla- Man hat dort erst Jahre später einen zialisten verfolgt wurden. Allerdings gen wollte fest und sagte ihm, dass das Manschettenknopf mit dem Wappen war dieses Verhältnis vor dem Krieg eine Gemeinheit sei. Der Lehrer kam meines Großvaters gefunden. Ich ließ sehr gespalten. Schon in der Schule dann auf mich zu, fragte mich ob ich damals keine Untersuchungen ma- endete das zwischen den Gläubigen verrückt sei und wie mein Name wäre. chen. Es war nun mal passiert und der beiden Konfessionen manchmal Anschließend schlug er mich und ich ich wollte nicht, dass man vielleicht in Raufereien. drehte mich dabei weg, aber Lehrer noch rausfindet wie man ihn gequält Die Verhältnisse waren damals schlug so auf mich ein, dass meine hatte oder so. Das hätte nur belastet. eben schwierig. Ich bin jetzt 88 Jah- Nase stark blutete und ich ins Kran- Die Machtergreifung Hitlers habe ich re alt und in einem so langen Leben kenquartier gebracht werden musste. erlebt, als ich in der katholischen Ju- hat man einiges gesehen. Ich ent- Dann wurde mein Großvater sowie die gendgruppe Bund Neudeutschland stamme einer angesehenen Familie Polizei gerufen und man riet meinem war. Die Nationalsozialisten zerstör- und eigentlich gingen wir auf eine Großvater Anzeige zu erstatten. Er ten unsere Heime und wir mussten Privatschule oder nahmen Privatun- wehrte aber ab und meinte, dass er uns dann heimlich treffen, weil so- terricht und wuchsen in einer behü- es zu verantworten habe, dass ich ge- gar wir deswegen überwacht wurden. teten Gegend auf. Aber meine Mutter schlagen worden sei, da er mich auf Sie müssen sich vorstellen, dass man und mein Großvater schickten mich diese Schule geschickt habe. Zu dem damals nicht einmal einen Witz über

32 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Hitler oder Göring machen konnte, te und dass nun auch die katholisch ihrem Land. Aber wer kann sich dann ohne befürchten zu müssen ins Ju- getauften Juden – die nicht deportiert noch heute in diese damaligen Zustän- gendgefängnis zu kommen. werden sollten – nun auch und sogar de hineinversetzen? Wer kann dann Ein anderes Erlebnis war, dass als erste deportiert würden. Aber da- beispielsweise darüber urteilen, ob es meine Mutter völlig fälschlicherwei- bei blieb es nicht. Sofort kam es zu Be- falsch oder richtig war, dass Pius XII. se wegen Hochverrat festgenommen schlagnahmungen von katholischen keine flammenden Reden und Enzyk- wurde. Sie sollte am nächsten Tag Gebäuden und auch zu Festnahmen liken gegen den Nationalsozialismus um 05.00 Uhr erschossen werden. Ich von Priestern und katholischen Laien. unternommen hat? Der stellvertreten- konnte damals mit einem General, der Das war eine Racheaktion der Nati- de amerikanische Ankläger der Nürn- mit unserer Familie befreundet war, onalsozialisten, aufgrund von diesem berger Prozesse Robert Kempner, hat sprechen und ihm das Anliegen vor- Hirtenbrief. Wenn man das alles vor nach dem Krieg mehrfach in Publi- tragen. Der ging noch zu Hitler und diesem Hintergrund sieht, dann fragt kationen und Interviews darauf hin- erwirkte, dass meine Mutter freige- man sich, warum die Leute heute so gewiesen, dass „flammende Protes- lassen wurde. Und ich wurde dann über Pius XII. und die Katholische te“ den Deportationen hätten Einhalt sofort wieder ins Ausland und zwar Kirche urteilen. gebieten können Unsinn ist. Kempner nach Holland geschickt. führte weiterhin aus, dass die einzi- Dadurch habe ich auch die deut- Weber: Wie ist ihr Eindruck, ge Möglichkeit des Papstes war, den sche Besetzung in Holland miterlebt. im Umgang des Nuntius Pacelli Juden im Stillen und im Hintergrund Es war erschreckend zu sehen, wie die und späteren Papstes mit anderen zu helfen, was er ja auf vorbildliche da gehaust haben. Nicht die Wehr- Kulturen und wie bewegte er sich Weise getan hat. macht, die Wehrmacht hat sich im All- im interkulturellen Bereich? Der beste jüdische Shoah-For- gemeinen sehr anständig verhalten. scher Sir Martin Gilbert, hat wieder- Nein, das war wie im Polenfeldzug, P. Gumpel SJ: Man muss da na- holt Pius XII. gegen solche Thesen als hinter den Linien der Wehrmacht türlich zunächst erst mal zwei Dinge verteidigt. Durch den Austausch ge- die SS, SD und Gestapo kamen und unterscheiden. Also mit anderen Re- rade auch mit vielen jüdischen Uni- die bekannten Gräueltaten verübten. ligionsgemeinschaften, da war er sehr versitätsprofessoren und Historikern, Dazu kam das Folgende: Am 26. Juli tolerant. Er war natürlich überzeugter kommt hier langsam ein anderes Bild 1942 einem Sonntag bin ich zu Hl. Katholik. Er hat aber – auch als Papst von Pius XII. zu Tage. Wir unterstüt- Messe gegangen wie es sich für ei- – versucht verletzende Äußerungen zen die Professoren bei der Arbeit, nen katholischen Jungen gehört und gegenüber den Juden oder Protestan- machen ihnen die Quellen zugäng- erwartete da eben eine etwas langwei- ten zu vermeiden. Er war aber nicht lich und so weiter. Sie dürfen dabei lige Predigt. Doch wurde damals ein für eine schwammige Angelegenheit, auch nicht vergessen – das ist ja mitt- Hirtenschreiben von dem Erzbischof wie das andere später versucht haben. lerweile nachgewiesen und bestätigt, von Holland verlesen, in dem gegen Er wollte nicht, dass man die Unter- dass diese ganze negative Debatte die zwangsweise Verschleppung von schiedlichkeiten und Reibungspunkte maßgeblich von Moskau dirigiert wur- holländischen Zwangsarbeitern und unter den Tisch fallen lässt. Trotzdem de. Man hat mir vor Monaten ein Ma- die Deportation von Juden protestiert wollte er einen respektvollen Umgang nuskript eines amerikanischen Uni- wurde. Ich dachte damals zweierlei: untereinander. Das hat sich nach dem versitätsprofessors vorgelegt, welcher Erstens, dass es ein katholischer Erz- Krieg, nachdem auch auf protestan- zum ehemaligen rumänischen Gene- bischof so für seine jüdischen Mitbür- tischer Seite die Fähigkeit zur Kom- ralleutnant Pacepa Kontakt hatte, der ger aufnahm, beeindruckte mich sehr. munikation mit der Kirche und des 1978 als höchster Überläufer der Ge- Zwischen den Juden und Katholiken respektvollen Umgangs miteinander heimdienste des Ostblocks nach Ame- bestanden in Holland keine Konflik- aufgebrochen war, weiterentwickelt. rika geflüchtet ist. Dieser General hat te, man akzeptierte sich, aber man Das Problem war natürlich, dass man viele Dokumente und Fakten geliefert. war eben auch nicht einander Freund. kein einheitliches Oberhaupt der oder Dabei kam er auch auf die Desinfor- Aber dass ein katholischer Bischof einer der protestantischen Kirchen mationskampagne gegen Pius XII. zu die deutschen Besatzer so scharf kri- hatte. Und so ist das heute noch. sprechen, die im englischen als „Seat tisierte, das flößte schon Respekt ein. Ich denke was aus diesem Inter- 12“ bezeichnet wird. Diese Opera- Meine zweite Reaktion war die view hervorgeht ist, dass heute die tion konnte dadurch gelingen, dass Frage, ob der Bischof dabei an die Zustände der damaligen Zeit in der die Kommunisten Kontakte in jedem mögliche Reaktion der Besatzer ge- Pius XII. lebte, kaum noch verstan- Land hatten, bis hin zu Zeitschriften dacht hatte. Das war am 26. Juli 1942. den werden. Wissen sie, meine Gene- die sie dann auch nutzten. Und am 02. August 1942 mussten ration hat die Diktatur, den Krieg und Schwieriger ist hier zu verstehen, alle Zeitungen eine Bekanntmachung das alles miterlebt. Wir können uns warum manche jüdische Historiker so des Generalkommissars Fritz Schmidt unter diesen Begriffen etwas vorstel- etwas geschrieben haben. Denn wenn veröffentlichen, in dem es hieß, dass len. Aber heutzutage, die Jugendli- man die zeitgenössischen Quellen man sich nicht von der katholischen chen und jungen Menschen, die diese liest, geben alle Verfasser zu, dass Kirche beeinflussen lasse und deswe- Dinge nur aus den Geschichtsbüchern Pius XII. und der Vatikan mehr als gen die Deportation der Juden nicht kennen? Großbritannien und die USA jede andere Instanz zur Rettung der anhalte, sondern fortan beschleunig- hatten Gott sei Dank keine Diktatur in Juden beigetragen hat. Viele Juden

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 33 BLICK IN DIE GESCHICHTE geben noch heute zu, dass Pius XII. deutsch sprechen. Aber er ist dann und noch mehr Verluste verursachen hunderttausende Juden gerettet hat. in Deutschland sehr von der Kultur würde. Pius XII. hat also einige Din- Wenn wir wieder die Hintergründe der und den „guten Eigenschaften“ der ge für die Deutschen unternommen, damaligen Zeit genauer betrachten – Deutschen beeindruckt worden. Das die ihm heute angekreidet werden. was hätte denn Pius XII. noch mehr waren damals vor allem die Zuverläs- Das waren aber Dinge, die nach mei- tun können, als er schon tat? Aber sigkeit und die Pünktlichkeit. Wenn nem Ermessen völlig sinnvoll waren wenn eben in den Medien erst einmal sie damals also zum Schuhmacher und für die wir Deutsche ihm dank- heute eine Meinung da ist, dann ist gingen um ihre Schuhe reparieren zu bar sein sollten. die da. Wer liest denn heute noch die lassen, dann sagte ihnen der Schuh- Stellen sie sich nur vor wie viele Berichte, studiert die Akten und die macher, dass die Schuhe am nächsten Güterzüge an Nahrungs- und Hilfs- Originalquellen. Man würde da ganz Tag um 17.00 Uhr fertig seien. Wenn mittel nach dem Krieg durch den Va- klar erkennen, dass er seine ganzen sie dann um 17.00 Uhr kamen, dann tikan nach Deutschland und nach Eu- Möglichkeiten genutzt hat. Aber diese waren die Schuhe selbstverständlich ropa geschickt wurden. Pius XII. hat spätere Hetzkampagne, hat sehr stark fertig. Das ist hier in Italien schon ein sich damals gegen die Vertreibungen die öffentliche Meinung beeinflusst. wenig anders, Sie haben das ja sicher- der Deutschen aus den osteuropäi- Ein Journalist schrieb vor Jahren ein- lich auch schon erlebt. Er war auch schen Gebieten ausgesprochen und mal in einem Buch, in dem es auch um von der deutschen Wissenschaft sehr dagegen protestiert. Das waren auch die Geschichte um Pius XII. ging, dass beeindruckt. Er war ja selbst hochin- Verbrechen, aber diese sind heute wir Katholiken jede einzelne Schlacht telligent und hatte mehrere Doktorate. Tabu. Er erkannte die Probleme der um Pius XII gewonnen hätten, aber Es beeindruckte ihn – selbst wenn er Zeit und sprach die Dinge kritisch noch lange nicht den Krieg. nicht allem zustimmte – mit welchem an, wie beispielsweise die Entnazi- Einer der berühmtesten Histo- Eifer die deutschen Wissenschaftler fizierung. Insoweit kann man sagen, riker sagte diesbezüglich einmal zu arbeiteten und sich dabei bemühten dass er schon sehr viel für Deutsch- mir: „Wissen Sie was die Tragik an die Wahrheit herauszufinden – das hat land getan hat. Andererseits hat er unserem Beruf ist? Das will ich Ih- ihn sehr beeindruckt. aber auch dem Kriegsverbrechertri- nen sagen. Wir brauchen Jahre um Er hatte viele deutsche Mitar- bunal über den apostolischen Visi- ein Thema zu studieren. Wir arbeiten beiter wie zum Beispiel den Jesui- tator Erzbischof Muench Unterlagen mit jeder Quelle und mit jedem Buch, tenpater und Professor Dr. Leiber. Er über Kriegsverbrecher an die Anklage was über das betreffende Thema ge- hat also Deutschland geschätzt. Aber weiterleiten lassen. schrieben worden ist. Dann fangen er war sich auch der Schwächen im Eugenio Pacelli war kein reiner wir an zu schreiben und wir überlegen deutschen Charakter bewusst, bei- Deutschlandfreund. Er hatte auch uns jeden einzelnen Satz, um nicht zu spielsweise die Auffassung „Befehl für andere Länder Interesse und dort viel oder zu wenig über die Sache zu ist Befehl“ oder solche Dinge. Er war eben auch Freundschaften. Präsident sagen. Endlich ist dann das Buch fer- deutschfreundlich, aber keineswegs Roosevelt der Kardinal Pacelli wäh- tig – und wer liest es? Bestenfalls die auf eine einseitige Art und Weise. rend seines Amerikaaufenthaltes ken- Fachleute.“ Und er führte weiter aus: Er wusste eben, dass jedes Volk sei- nenlernte, verband mit dem späteren „Und der erste beste Idiot stellt sich ne Stärken und Schwächen hat. Das Papst bis an sein Lebensende eine vor die Fernsehkameras und erklärt gilt für Frankreich, das gilt für Itali- Freundschaft. So schrieb der ameri- den größten Unsinn. Und das wird ihm en, Großbritannien und natürlich gilt kanische Präsident immer in seinem auch voll und ganz geglaubt. Wissen das auch für uns. Und dessen war er Briefen „My dear old friend“. Es gibt sie, das ist die Tragik von uns heutigen sich bewusst. Persönlich gab er bei- eine beachtliche Korrespondenz zwi- Historikern.“ Da ist viel Wahres dran. spielsweise auch der französischen schen dem amerikanischen Präsiden- Literatur den Vorzug vor der deut- ten Roosevelt und Pius XII. Die Ame- Weber: Sie haben anfangs schen Literatur. Und seine Haltung rikaner, wollten zu dieser Zeit keinen angesprochen, dass Sie Nuntius geht aus kultureller Sicht mehr nach Botschafter am Heiligen Stuhl haben, Pacelli und später Pius XII. öfters Frankreich als nach Deutschland. Ihn woraufhin dann Roosevelt Myron Tay- getroffen haben. Es wird immer also als deutschen Papst zu bezeich- lor als seinen persönlichen Vertre- wieder von eben solchen Medien nen wäre verfehlt. Natürlich war er ter nach Rom zu Pius XII. schickte. behauptet, dass Eugenio Pacelli zwölf Jahre in Deutschland und hat Dieser leitete dann die Briefe weiter. ein deutscher Papst gewesen sei. viel für Deutschland getan – schon da- Aus dieser Korrespondenz geht unter Inwiefern würden sie zustimmen mals 1917 während der Seeblockade. anderem auch hervor, dass Pius XII. beziehungsweise sagen, dass Erz- Das ging im Zweiten Weltkrieg, trotz gegen den Bombenkrieg und die Zer- bischof Pacelli von Deutschland seiner Abneigung gegen Hitler und störung ganzer Städte protestierte. geprägt war? die Nationalsozialisten weiter. Er hat Also um noch einmal auf die Be- sich von Anfang an gegen eine deut- hauptung des „Deutschen Papstes“ P. Gumpel SJ: Zum einen ist sche Kollektivschuld eingesetzt. Er zurückzukommen. Er hatte viele deut- es natürlich so, dass er bereits als riet damals auch Amerika, auf eine sche Mitarbeiter: Sein Privatsekretär Junge Deutsch lernte und auch die totale Kapitulation zu verzichten. Er war Pater Leiber SJ und dann natür- deutsche Literatur studiert hatte. Er wusste, dass das die Deutschen noch lich sein Bibliothekar Pater Dr. Wil- konnte aber noch nicht wirklich gut mehr in die Kriegsanstrengung treiben helm Hentrich SJ, seine Haushälterin

34 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Schwester Pascalina Lehnert und sei- liche Lösung zu finden. Er hat sich er natürlich wusste oder plante, dass ne Köchin waren alles Deutsche. Das für eine Friedenskonferenz eingesetzt, es mit Russland Krieg geben würde waren alles Personen die er bereits in an der England, Frankreich, Polen, und er die Gebiete und das alles eben Deutschland kennengelernt hatte und Deutschland und Italien teilnehmen wieder zurückerobern könnte. dass in seiner diskreten Umgebung so sollten. Merkwürdigerweise waren die Um aber wieder auf ihre Frage zu- viele Deutsche waren, rief bei man- Ersten, die abgelehnt haben die polni- rückzukommen. Der Papst versuchte chen Italienern Befremden hervor, da schen Politiker. Die polnischen Solda- eben den Frieden zu erhalten. England er ja schließlich Italiener war. Aber ten sangen in ihren Liedern, dass sie und Frankreich gaben aber hinsicht- das änderte alles nichts an der Sache, ihren Pferden an der Spree – also in lich einer solchen Konferenz eben zu dass er Italiener war und sich auch als Berlin – zu trinken geben würden. Mir bedenken, dass sie Polen eine Garan- ein solcher fühlte. ist das militärisch ein absolutes Rät- tieerklärung gegeben hätten. sel, aber die polnische Militärführung Wissen sie, ich hatte durch mei- Weber: Abschließende Frage war anscheinend überzeugt im Fal- ne wissenschaftliche Arbeit und in- zu dem Interview: Haben sie den le eines Krieges gegen Deutschland ternationale Kontakte ab und zu die Eindruck, dass Pius XII. interkul- zu gewinnen. Die Polen haben dann Möglichkeit, hinter die Kulissen zu turell kompetent handelte und wie wirklich tapfer gekämpft. Aus heutiger schauen. Und dann wird man in der hat sich ihre Meinung zu Pius XII. Sicht völlig unverständlich, wie noch Beurteilung recht vorsichtig und sieht verändert? vor dem Krieg die Meinung war, Polen auch manchmal die Dinge ein wenig könne Deutschland alleine besiegen. anders, als sie in Geschichtsbüchern P. Gumpel SJ: Also meine Mei- Dazu kam dann natürlich noch der Ein- stehen oder durch die Medien gezeich- nung zu ihm hat sich eindeutig posi- marsch der Roten Armee im Osten Po- net werden. Aus den Ergebnissen mei- tiviert. Ich wusste zwar schon vieles lens. Hitler machte natürlich vor dem ner Forschung steht für mich fest, dass über Pius XII., aber durch meine sehr Krieg Russland große Zugeständnisse, Pius XII. richtig gehandelt hat. umfangreichen Studien über Pius XII. was heute in der breiten Masse der Ge- in den letzten 25 Jahren, hat sich ein sellschaft nicht bekannt ist. Aber diese Weber: Pater Gumpel. Herzli- immer positiveres Bild ergeben. Wir Zugeständnisse konnte er machen, weil chen Dank für das Interview. ❏ haben uns mit der Positio zur Selig- sprechung sehr viel Zeit gelassen und haben mit einer großen Gruppe von hochqualifizierten Wissenschaftlern alles zu diesem Papst genauestens un- Kurznachrichten tersucht. Wir haben uns dafür Zeit ge- lassen und haben jegliche Situation auf die wir gestoßen sind, eingehend Laschet fordert Vorrang für heterosexuelle Ehen untersucht. Alles in allem kann ich sa- eterosexuelle Ehen sollen nach Ansicht des stellvertretenden CDU- gen dass ich, je mehr ich mich in die Bundesvorsitzenden Armin Laschet weiterhin staatlichen und rechtli- Quellen über chenH Vorrang genießen. „Nicht Gleichstellung darf das Prinzip sein, sondern Pius XII. eingearbeitet habe und man muss sich darüber verständigen, was gefördert werden soll“, sagte La- je mehr ich an Erkenntnissen über schet der „Welt“. „Wer alles fördert, der fördert am Ende gar nichts mehr. “ ihn gewonnen habe, umso mehr ist Steuerrecht und staatlicher Einfluss sind nach den Worten des CDU- meine Bewunderung und menschliche Politikers dann wirkungsvoll, wenn man Schwerpunkte setzt. „Und die- Hochschätzung für Pius XII. gestie- se müssen sein: Kinder, Ehe, Familie. Nur so wird die Generationenfolge gen. Wir haben immer alle Anschuldi- gesichert, die das soziale Zusammenleben auch in Zukunft ermöglicht“, gungen gegen Pius XII., egal ob diese sagte der nordrhein-westfälische CDU-Landeschef. aus Moskau, von den Freimaurerlogen Laschet reagierte damit auf die Debatte um die Gleichstellung ho- oder jüdischen Historikern kamen, ge- mosexueller Ehen, die ein aktuelles Grundsatzurteil des Bundesverfas- nau überprüft. Und wir hatten dabei sungsgerichts zum Adoptionsrecht ausgelöst hat. Der CDU-Politiker sieht kein Interesse ihn irgendwie falsch zu darin keinen Anlass für eine umfassende Gleichstellung. „Dieses Urteil schützen – das geht gar nicht – oder ist zu akzeptieren und muss umgesetzt werden, aber das ändert nichts an etwas zu entscheiden und dem Papst der Frage, wie Kinder und Ehe und Familie prioritär staatlich gefördert zur Unterschrift vorzulegen, was wir werden. An der besonderen Beziehung von Mann und Frau kann auch das nicht menschlich verantworten und Verfassungsgericht nichts ändern. “ Der Gesetzgeber müsse die Chance unterstützen können. haben, einen besonderen Sachverhalt zu fördern. „Nicht die komplette Zum Interkulturellen: Was hät- Gleichstellung aller Lebensformen, sondern die Förderung eines Lebens te er mehr tun können? Er wurde am mit Kindern ist im staatlichen Interesse. Alles andere ist Privatsache“, 02. März 1939 zum Papst gewählt. sagte Laschet. Er warnte seine Partei davor, vor der Bundestagswahl in diesem Jahr von geltenden Beschlüssen zur Familienpolitik abzurücken: Zehn Tage später hat Hitler die Restt- „Alles gleichzustellen ist sicher noch nie ein Markenzeichen der Union schechei besetzt. Der Krieg zeichnete gewesen.“ ❏ (KNA) sich schon ab. Pius XII. hat bis zum letzten Augenblick versucht eine fried-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 35 BLICK IN DIE GESCHICHTE Kai-Uwe von Hassel Zum 100. Geburtstag

VON DIETER KILIAN

Einleitung Theodor Berthold, und vier Jahre spä- m 9. Januar 1963 – vor 50 Jah- ter folgte Tochter Magdalene. Aren – wurde Kai-Uwe von Hassel Am Ende seiner Laufbahn befeh- (Bild 1) zum Bundesminister der Ver- ligte Friedrich Julius Hassel als Ge- teidigung berufen, und im April 2013 neralleutnant die 6. Division in Bran- jährt sich sein 100. Geburtstag. Sein denburg. Am 22. März 1887 wurde er Leben und das seiner Familie waren durch König Wilhelm I. von Preußen mehrfach von Aufbau, Abstieg und in den erblichen Adelsstand erho- Neuanfang geprägt. ben. General Alfred von Waldersee, Die Familie Hassel stammt ur- der Chef des Großen Generalstabs, sprünglich aus dem Raum Magde- hatte von Hassel offenbar sogar als burg, wo sie erstmals im 17. Jahr- Generalquartiermeister eingeplant. hundert erwähnt wurde. Vermutlich Damit wäre von Hassel zum Stellver- im 18. Jahrhundert zog sie von Mit- Bild 1 tretenden Chef des Preußischen Ge- teldeutschland in die Rheingegend. neralstabs und damit auf die höchs- Der Jurist Heinrich Wilhelm Hassel, telpunkt seiner Nachfahren werden te Ebene der Armee aufgestiegen, der Ur-Großvater von Kai-Uwe von sollte. Am 17. April 1864 zeichnete mit der zugleich die Beförderung Hassel, und dessen Frau Marianne sich Hassel bei einem Kommando- zum General der Infanterie verbun- lebten im westfälischen Hamm, wo Unternehmen aus, welche die Über- den gewesen wäre. Doch hier griff Vater Heinrich als Geheimer Justiz- querung des breiten Alsen-Sundes das Schicksal ein: Anfang 1890 er- rat und Oberappellations-Gerichtsrat vorbereitete. Mit einer Handvoll Sol- am Oberlandesgericht der Garnisons- daten war Oberleutnant Hassel unbe- tadt arbeitete. merkt an das dänische Ufer gelangt, wo es ihnen gelang, zwei feindliche Der Großvater – Generalleutnant Geschütze zu „vernageln“: Mit Eisen- riedrich Julius Hassel (Bild 2), nägel in den Zündlöchern wurden die Fder Großvater von Kai-Uwe, wur- Kanonen für einige Zeit unbrauchbar, de 1833 geboren und trat nach dem da nun das Pulver nicht mehr gezün- Abitur 1853 als Musketier in das in det werden konnte. Diese beispiel- Wesel stationierte II. Bataillon des In- hafte Leistung förderte Friedrich Ju- fanterieregiments „Prinz Friedrich der lius Hassels militärischen Lebensweg. Niederlande“ (2. Westfälisches) Nr. Seine Karriere führte in im Wechsel 15 ein. Weshalb er die Soldatenlauf- zwischen Truppen– und Stabsverwen- bahn einschlug und nicht dem Beruf dung kreuz und quer durch Deutsch- seines Vaters folgte, ist nicht bekannt. land – von Bielefeld über Rendsburg, 1855 wurde er zum Sekonde-Leutnant Trier, Stettin, Königsberg, Berlin, Ko- Bild 2: Oberst Friedrich Julius befördert, absolvierte von 1858 bis blenz, Halle, Magdeburg nach Bran- Hassel als Regimentskommandeur 1861 die Königliche Kriegsakademie denburg an der Havel. Er war u.a. in Berlin, erhielt 1863 sein Patent Kompaniechef, diente im Stab der 16. krankte Friedrich Julius von Hassel als Premier-Leutnant (Oberleutnant) Division in Trier, war Lehrer an der schwer. Als sich abzeichnete, dass und wurde zu den Füsilieren1 seines Kriegsakademie, Kommandeur des er nicht mehr genesen würde, ließ Stammregiments, in das III. Batail- Magdeburgischen Füsilier-Regiments er sich in den Ruhestand versetzen. lon des Infanterieregiments Nr. 15, Nr. 36, Abteilungschef im Großen Ge- Der Aufstieg an die Spitze der preu- nach Bielefeld versetzt. Im Jahre 1864 neralstab und Chef des Stabes des IV. ßischen Armee und damit zugleich kämpfte er im Deutsch-Dänischen Armeekorps. Als Hauptmann nahm er die „Unsterblichkeit innerhalb der Krieg und in einer Region, die weniger im Stab der Elb-Armee am Krieg ge- deutschen Militärgeschichte“ blie- als 100 Jahre später zum Lebensmit- gen Österreich 1866 teil. ben ihm verwehrt. Am 14. Oktober Im November 1866 heiratete er 1890 starb Friedrich Julius von Has- 1 Füsiliere zählten zur leichten Infanterie. Elise Helene Thormann (1846-1896), sel mit nur 57 Jahren. Die Soldaten waren mit Steinschloss- eine Kaufmannstochter aus Rends- Gewehren ausgerüstet. Seit dem 19. burg. Aus der Ehe gingen drei Kinder Der Onkel – Oberstleutnant Jahrhundert war es nur noch eine Tradi- tionsbezeichnung für die III. Bataillone hervor: 1867 kam Friedrich Theodor ie beiden Söhne Friedrich und der Garde– und Grenadierregimenter. Hassel zur Welt, 1868 der zweite Sohn DTheodor wurden mit zehn Jah- 36 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE ren ins Kadettenkorps der Königlich 1905 brach im Süden von ra-Bergen im Nordosten der Kolo- Preußischen Hauptkadettenanstalt Deutsch-Ostafrika unerwartet der so- nie. Dort wurde am 21. April 1913 in Groß-Lichterfelde bei Berlin auf- genannte „Maji-Maji“-Aufstand2, aus, Kai-Uwe als drittes Kind des Ehe- genommen. Dadurch blieben ihnen der sich rasch ausbreitete und auch paares geboren. Der Erste Weltkrieg die wegen der häufigen Versetzun- den Bezirk Mahenge erfasste. Grund zerschlug die Zukunftsplanungen der gen des Vaters notwendigen Schul- war vermutlich die Art und Weise, mit Familie, die wie die meisten Sied- wechsel erspart. Nach dem Abitur der eine „Hüttensteuer“ von 3,– Ru- ler gehofft hatte, ihre Kolonie würde schlugen sie, ihrem Vater folgend, pien pro Jahr bei den Einheimischen neutral bleiben. Vater Theodor von die Soldatenlaufbahn ein. Friedrich durchgesetzt wurde. Von Hassel, mit Hassel wurde 1915 reaktiviert und wurde Soldat im 1. Hannoverschen seiner kleinen Truppe weitgehend kämpfte in der Schutztruppe unter Infanterie-Regiment Nr. 74 in Han- auf sich allein gestellt, behauptete Oberstleutnant Paul von Lettow-Vor- nover, absolvierte die Kriegsakade- sich in den schweren, mit Härte auf beck (1870-1964; General). Dieser mie und übernahm im November beiden Seiten geführten Kämpfen. führte mehr als vier lange Jahre trotz 1914 das Kölner Infanterieregiment Die schlecht ausgerüsteten, unorga- zahlenmäßiger und materieller Un- „Freiherr von Sparr“ (3. Westfäli- nisierten Rebellen waren zwar in der terlegenheit in einem riesigen Gebiet sches) Nr. 16 als Kommandeur. Er Überzahl, hatten aber keine Chance auf sich allein gestellt mit taktischem fiel am 10. März 1915 an der West- gegen die – wenngleich nur wenigen Geschick einen militärischen Hase- front als Oberstleutnant. – Maschinengewehre der Schutztrup- Igel-Kampf gegen die übermächti- pe. Der Aufstand ebbte 1906 ab und gen Kolonialtruppen Großbritanniens, Der Vater – Hauptmann galt ein Jahr später als beendet. Mitte wobei ihn seine Gegner auch wegen er zweite Sohn, Theodor von 1906 reiste von Hassel auf Heimat- seiner fairen Kriegsführung respek- DHassel (Bild 3), trat 1887 in urlaub nach Deutschland und heira- tierten. Zwar war sein Kampf nicht das Schleswig-Holsteinische Füsi- tete die einundzwanzigjährige Emma ohne Erfolg, aber fern des entschei- lier-Regiment Nr. 86 „Königin“ ein, Jebsen aus Apenrade an der Ostsee. denden europäischen Hauptkriegs- das auf Schloss Sonderburg auf der Emma war das jüngste von neun Kin- schauplatzes blieb es aus strategi- Insel Alsen stationiert war. 1903 dern des Reeder-Ehepaares Michael scher Sicht letztlich ein „verlorener schied er als Oberleutnant formell Jebsen (1835-1899) und Clara Anna Sieg“, denn auf das Kräfteverhältnis aus dem Heer aus und meldete sich zur Kaiserlichen Schutztruppe der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Er wurde zum Hauptmann befördert und diente als Chef einer selbständigen Kompa- nie in drei abgelegenen Standorten, dem Küstenort Lindi (3. Kompanie), im Landesinneren in Mahenge (12. Kompanie) und in Neu-Langenburg (5. Kompanie), im äußersten Süd- westen der Kolonie. Jede Kompanie gliederte sich in drei Züge von je etwa 50-60 Askari. Jeder Zug wur- de von einem Leutnant und drei bis vier Unteroffizieren geführt. Ausbil- dung, Geist und Kampfkraft der Trup- Bild 3: Ehepaar Emma und Theodor von Hassel pe wurden ausschließlich durch den jeweiligen Kompaniechef geprägt. Er Offersen (1844-1913). Ihre Vorfah- und die Operationen in Europa hatte war der unumschränkte Herrscher ren waren Seefahrer, Kapitäne und sich der Kampf in Ost-Afrika nicht in seinem Bezirk, sowohl über die Schiffsbauer gewesen und hatten es zu entscheidend ausgewirkt. Ob Theo- Soldaten als auch über die Einhei- Wohlstand gebracht. Die Familie der dor von Hassel die Guerillakriegfüh- mischen. Von Hassels Tagesablauf Braut stand – trotz ihrer deutsch-na- rung von Lettow-Vorbecks unterstütz- als Stationschef bestand aus einer tionalen Orientierung – dem Schwie- te, oder er sie – wie manche Kolonial- Mischung aus militärischen, polizei- gersohn eher ablehnend gegenüber. offiziere – ablehnte, ist nicht bekannt. lichen und zivilen Verwaltungsauf- Nach der Trauung reiste das junge Erstaunlich ist, dass von Hassel mit gaben. Die militärische Ausbildung Paar zurück nach Deutsch-Ostafri- seiner langen Erfahrung in Ostafrika der Askari hingegen lag weitgehend ka. Drei Jahre später, 1909, schied und seinem Rang als vormals aktiver in den Händen seiner Offiziere und Theodor von Hassel nach 22 Jahren Hauptmann während der Kämpfe in Unteroffiziere. Der Schwerpunkt der Militärdienst aus der Armee aus. Er Ostafrika in der Aufstellung des „Of- Friedenaufgaben lag auch bei den erwarb eine Farm in den Usamba- fizierkorps der Schutztruppe für DOA- Askari auf dem zivilen Bereich: Beim Afrika 1914-1918“ in keiner einzigen 2 Maji = (Wasser), d. h. von Zauberern ge- Häuser-, Wege– Brücken– und Brun- weihtes, „heiliges“ Wasser, das vor den Führungsposition aufgelistet wird, ob- nenbau. Kugeln der Deutschen schützen sollte. wohl viele Einheiten der Schutztrup-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 37 BLICK IN DIE GESCHICHTE pe von jungen, kaum erfahrenen Of- Ost-Afrika zurückgekehrt. Sieben Mo- lierten. Kai-Uwe geriet in amerikani- fizieren der Reserve geführt wurden. nate später, am 29. November 1935, sche Kriegsgefangenschaft, aus der er Auch wird Hassels Name – anders als starb der Vater in Mahenge an Malaria. aber bereits im September 1945 – als 1905/1906 während des Maji-Maji- Überdies hatten eine Missernte und Landwirt dringend benötigt – entlas- Aufstandes – bis zur Einstellung der finanzielle Probleme den beruflichen sen wurde. Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung im Neustart erschwert. Es war ein har- Nun folgte der dritte Neuanfang, August 1916 in keiner der „Amtlichen ter Einschnitt für den Sohn. Kai-Uwe jedoch nicht als Landwirt: Kai-Uwe Nachrichten vom Kriegsschauplatz in schlug sich durch und bekam auch von Hassel trat in Glücksburg der der Kolonie“ erwähnt. Indizien deuten in der nun britisch geführten Kolonie CDU bei und schlug die Politikerlauf- auf ein Zerwürfnis mit von Lettow hin. beruflich schnell wieder Boden unter bahn ein. Von 1947 bis 1950 war von Das Schicksal wollte es, dass Theodor Hassel auf kommunaler Ebene tätig, von Hassels Sohn Kai-Uwe im März als Stadtvertreter, Bürgermeister und 1964 in Pronsdorf bei Bad Segeberg Bürgervorsteher in seiner Wahlheimat während der Beisetzung Lettow-Vor- Glücksburg an der Flensburger För- becks als Verteidigungsminister die de. Friedrich Wilhelm Lübke (1887- Traueransprache hielt. 1954), der ältere Bruder von Bun- Seine Frau Emma – mit inzwi- despräsident Heinrich Lübke (1894- schen vier kleinen Kindern – musste 1972) und frühere Windjammer-Ka- die Farm allein weiterführen, um zu pitän, war Landrat in und überleben. 1917 geriet Theodor von förderte den jungen Politiker. Im Juli Hassel in britische Gefangenschaft. 1950 war von Hassel bereits zum Stell- Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs vertretenden Landesvorsitzenden der und dem Vertrag von Versailles ging CDU aufgestiegen, wurde Mitglied des die kurze deutsche Kolonialzeit nach schleswig-holsteinischen Landtages in nur 35 Jahren zu Ende. Deutsch-Ost- Kiel und nahm dies Aufgabe bis 1965 afrika kam zu Großbritannien. Theo- wahr. Parallel dazu war von Hassel dor von Hassel wurde 1920 – wie zu- von 1953 bis 1954 und von 1965 bis vor auch seine ganze Familie – nach 1980 als direkt gewählter Abgeordne- Deutschland ausgewiesen. Sie ließen Bild 4: Leutnant Kai-Uwe von Hassel ter Mitglied des Deutschen Bundesta- sich in Glückburg nieder und versuch- ges. 1963 wurde Kai-Uwe von Hassel ten, ein neues Leben aufzubauen. Es die Füße. Doch dann brach der Zwei- Ehrenbürger der Stadt Glücksburg. gelang nur zum Teil, denn die Ehe te Weltkrieg aus. Er wurde ein zwei- Als Friedrich Wilhelm Lübke, der zerbrach. Theodor von Hassel kehr- tes Mal nach Deutschland ausgewie- Landesvater in Kiel, 1954 starb, wur- te 1926 nach Ostafrika zurück und sen und dort 1940 in die 1. Kompa- de von Hassel zu seinem Nachfolger unternahm einen weiteren Anlauf als nie der Nachrichten-Ersatzabteilung gewählt und zog mit nur 41 Jahren als Kaffeefarmer. Emma von Hassel blieb 30 nach Lübeck eingezogen (Bild 4). sechster Ministerpräsident des nörd- mit den fünf Kindern in Glücksburg. Als Nachrichtendolmetscher diente lichsten Bundeslandes in das Kieler In der Chronik ihrer Familie zog sie er – unterbrochen durch die Ausbil- Landeshaus ein. Das neue Amt war eine bittere Bilanz: dung zum Reserveoffizier – bis 1943 eine Mammutaufgabe: Schleswig-Hol- „Von allen Geschwistern hat sie bei der Horchkompanie 613 in Frank- stein wies nach dem Zweiten Weltkrieg (= Emma) das härteste Leben gehabt, reich. Während eines Kurzurlaubs zu nicht nur die größte Flüchtlings-, son- sie ist vor schwere Aufgaben gestellt Weihnachten 1940 heirateten Leut- dern auch die höchste Arbeitslosen- worden.“3 nant Kai-Uwe von Hassel und Elfrie- quote in Westdeutschland auf. Aber In ihrer Wahlheimat war sie als de Frölich (1914-1971) in Glücks- von Hassel war ein Stehaufmännchen „resolute Frau und starke Persön- burg. Er hatte seine Frau, die Tochter im besten Sinne, ein Pionier und ein lichkeit“ bekannt. Den Aufstieg ih- eines Hafenkapitäns, bei der Koloni- Farmer, geprägt von Rhythmus des Sä- res Sohnes zum Ministerpräsidenten aljugend bereits als Schüler kennen- ens und Erntens, umrahmt von Pflicht, erlebte Emma von Hassel noch. Sie gelernt. 1941 kam Sohn Joachim und Ordnung und Fleiß, der selbst in dun- starb am 14. April 1960 in Hamburg 1943 Tochter Barbara zur Welt. Von kelsten Momenten von christlicher an Herzversagen. Hassel wurde zur 94. Infanteriedivi- Hoffnung getragen wurde. Bereits auf sion versetzt und war dort Zugführer kommunaler Ebene pflegte von Hassel Der Sohn – Verteidigungsminister in der Funkkompanie der Division enge Beziehungen zum Flottenkom- ai-Uwe von Hassel hatte nach und später Ordonanzoffizier im Divi- mando in seinem Wohnort Glücksburg. Kdem Abitur in Flensburg 1933 sionsstab. Sein Großverband wurde Später als Ministerpräsident dehnte er eine breitgefächerte Ausbildung als im Spätsommer 1943 in den Raum diese auf alle in seinem Bundesland Kolonialkaufmann absolviert und war von Neapel verlegt und kämpfte dort stationierten Truppenteilen der Bun- im April 1935 zu seinem Vater nach gegen die alliierten Invasionstrup- deswehr aus. Neben Niedersachsen pen. Hinhaltend kämpfend wichen war Schleswig-Holstein das einzige 3 Hassel, Emma von Michael Jebsen Das Leben des Schiffsreeders und die die deutschen Truppen nach Norden Bundesland, in dem alle drei Teil- Chronik seiner Vorfahren S. 158 aus, wo sie am 2. Mai 1945 kapitu- streitkräfte – Heer, Luftwaffe und Ma-

38 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE rine – vertreten waren. Kai-Uwe von sestadt Hamburg 315 Menschleben Schild-Theorie“ verkündet: Wegen Hassel war ein überzeugter Verfech- zu beklagen hatte. Von Hassel, der der gegenseitigen Neutralisierung des ter der allgemeinen Wehrpflicht. Als sich zufällig in Dithmarschen aufhielt, Atompotentials beider Seiten („Pattsi- Landesvater musste sich von Hassel spielte eine beispielhafte Rolle. Er be- tuation“) sollte fortan nukleare Kom- auch mit Fragen der Verteidigung des suchte die gefährdeten Deichabschnit- ponente von der Rolle des Schwertes schmalen Landstreifens im Falle eines te mehrfach persönlich und sprach zu der des Schutzschildes wechseln, Angriffs des Warschauer Paktes ausei- den Menschen Mut zu. Am 09. Ja- und den konventionellen Kräften, die nandersetzen. Von Hassel blickte mit nuar 1963 übergab von Hassel das bisher als „Schild“ fungierten, wurde Sorge auf die Probleme, die sich wegen Amt des Ministerpräsidenten in Kiel die Aufgabe des Schwertes übertra- der exponierten geographischen Lage an seinen Nachfolger Helmut Lemke gen. Dazu wurde es erforderlich, dass seines Bundeslandes für die Landes- (1907-1990). die europäischen Staaten, allen voran verteidigung ergaben. Am 1. Oktober Als 1962 Verteidigungsminister die Bundesrepublik Deutschland, ihre 1956 hatte in Husum, Theodor Storms Franz Josef Strauß (1915-1988) we- konventionellen Rüstungsanstrengun- „grauer Stadt am Meer“, der Aufbau gen der sog. „SPIEGEL-Affäre“5 nicht gen erhöhten. der Heeresoffizierschule II (HOS II) mehr zu halten und das vierte Kabi- begonnen.4 Doch nur eineinhalb Jah- nett Adenauers zerbrochen war, suchte er zweite Schwerpunkt zielt auf re später, am 21. Juni 1958, wurde die Bundeskanzler Adenauer nach einem Ddas Innenleben der Armee. Zwar Heeressoffizierschule (HOS) II nach geeigneten Nachfolger. Von Hassel war war 1964 die Quote der Wehrdienst- Hamburg-Wandsbek verlegt. Am 16. im Gespräch, doch er weigerte sich. verweigerer mit 2.777 (davon nur 205 Oktober 1959 stellte der damalige Erst beim Appell an Hassels Pflicht- Soldaten) am niedrigsten,6 doch nach Luftwaffeninspekteur, Generalleut- bewusstsein beugte sich dieser. Mit der überstürzten Aufstellung bedurf- nant Josef Kammhuber, in Anwesen- nur 49 Jahren übernahm von Hassel ten die noch jungen Streitkräfte auch heit von Ministerpräsident von Has- am 9. Januar 1963 offiziell im fünften der inneren Festigung. Dies gelang sel das Jagdbombergeschwader 35 in Kabinett Adenauers die neuen Amts- weitgehend. Dennoch gab es Fehl- Husum in Dienst. In seiner Ansprache geschäfte als Inhaber der Befehls- schläge. In Nagold starb 1963 ein schi- hob von Hassel hervor, dass die An- und Kommandogewalt. Von Hassel kanierter Rekrut bei einem Gepäck- wesenheit deutscher Flugzeuge und war, als er ins Kabinett wechselte, marsch, und ein zweiter Vorfall mit Panzer in Schleswig Holstein verhin- ein Schwergewicht in der politischen Todesfolge ereignete sich ein Jahr spä- dern werde, dass hier einmal sowjeti- Arena der jungen Bundesrepublik, ter in Esslingen. Minister von Hassel sche Truppen stünden und fügte hinzu: konnte er doch auf neun erfolgreiche verurteilte die Übergriffe mehrfach. „Wem der Fluglärm nicht ge- Jahre als Landeschef zurückblicken. Mit einem Bündel von Verbesse- fällt, der muss bedenken, ob nicht Das Erbe, das er in der Bonner Er- rungen erhöhte der Minister die At- der Lärm deutscher Flugzeuge über mekeil-Kaserne antrat, war schwer. traktivität der Bundeswehr und stärkte seinem Haus besser ist als der von Nach innen musste er die in Misskre- ihre inneres Gefüge. So erstritt er u.a. sowjetischen Maschinen“. dit geratene moralische Autorität der beim Finanzminister die alte deut- Mehrfach nahm von Hassel auch Bundeswehrführung wieder herstel- sche Militärfahrkarte und verbesser- Termine bei der Bundeswehr wahr, len. Bei den Beziehungen zur NATO te damit das Budget der oft heimat- wenn sich hohe Bonner Prominenz lag der Schwerpunkt seiner Arbeit fern einberufenen Soldaten. Es folg- zu Besuch bei Truppenteilen in sei- darauf, die deutschen Sicherheitsin- ten einige „optische“ Maßnahmen, nem Bundesland angesagt hatte, so teressen zu wahren und zugleich die die das Bild der Bundeswehr in der zum Beispiel am 18. September 1960, verloren gegangene Übereinstimmung Öffentlichkeit, aber auch das Selbst- als Bundespräsident Heinrich Lübke mit der Führungsmacht im Bündnis wertgefühl der Soldaten steigerten: So das 1. Marinefliegergeschwader auf wieder herzustellen. Die USA hat- wurde z.B. 1964 die nicht sonderlich dem Marinefliegerhorst Schleswig/Ja- ten 1962 die Umkehr der „Schwert- kleidsame Uniform aufgebessert; Heer gel besuchte. und Luftwaffe bekamen neue Ausge- Blicken die Medien nach über ei- 5 Mitarbeitern des Nachrichtenmagazins huniformen. „DER SPIEGEL“ war wegen einer nem halben Jahrhundert auf die ver- kritischen Berichterstattung über das Nachdem Bundespräsident Lübke heerende Sturmflut vom Februar 1962 Manöver FALLEX 62 („Bedingt ab- im September 1964 Truppenfahnen für zurück, steht zumeist die Hansestadt wehrbereit“) Landesverrat vorgeworfen die Bundeswehr gestiftet hatte, über- Hamburg im Zentrum des Interesses. worden. Beim Bundesgerichtshof wurde gab Minister von Hassel am 23. Ap- ein Verfahren wegen des Verdachts Dabei waren die nordfriesischen In- von Geheimnisverrat an das Magazin ril 1965 der Bundesmarine als erster seln und Halligen, sowie das Binnen- eingeleitet. Mehrere Redakteure wurden Teilstreitkraft die Truppenfahnen auf land entlang der Elbe und der Küste verhaftet, darunter Herausgeber Rudolf dem Gelände der Marineunteroffizier- ebenso stark gefährdet. Allerdings Augstein (1923-2002) und Chefredak- schule in Plön. Einen Tag später, am teur Conrad Ahlers (1922-1980). Letz- blieb es in Schleswig-Holstein nur bei terer weilte zu jener Zeit in Spanien auf 24. April, erfolgte die Übergabe an Sachschäden, wohingegen die Han- Urlaub und wurde auf Veranlassung von das Heer und Luftwaffen-Inspekteur Verteidigungsminister Strauß und nach Panitzki7 im Preußenstadion in Müns- 4 Nur eineinhalb Jahre später, am 21. Einschaltung des deutschen Militärat- Juni 1958, wurde die Heeressoffi zier- tachés in Madrid, Oberst i.G. Achim 6 BMVg Weißbuch 1970, S. 82 schule (HOS) II nach Hamburg-Wands- Oster (1914-1983), von der spanischen 7 Generalleutnant Panitzki gab die bek verlegt. Polizei in Gewahrsam genommen. Truppenfahnen danach in einer eigenen

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 39 BLICK IN DIE GESCHICHTE ter. Das Heer erhielt u.a. den neuen mäß aus dem aktiven Dienst. Nach- nis zu den Sozialdemokraten. Am 1. Kampfpanzer „Leopard“. Die Luftwaf- folger Trettner begleitete von Hassel Juli 1965 unterzeichnete von Hassel fe hatte im Februar 1962 – elf Monate mit 2 ½ Jahren am längsten, General den ersten Traditionserlass der Bun- vor Hassels Amtsantritt – die erste Ma- de Maizière hingegen nur drei Monate. deswehr. Er förderte den Bau neuer schine des Typs „Starfighter“ (F-104 Insgesamt sieben Inspekteure standen Kasernen, sowie von Offiziers- und G) übernommen. Die bodengestützte zwischen 1963 und 1966 an der Spitze Unteroffiziersheimen. Ein weiterer Luftabwehr basierte auf dem aus fes- der drei Teilstreitkräfte und des Sani- Schwerpunkt seiner Arbeit galt der ten Stellungen einzusetzenden System tätsdienstes der Bundeswehr. Zu von Verbesserung der Ausbildung der Of- „Nike Hercules“, das für einen Einsatz Hassels engsten militärischen Mit- fiziere und Unteroffiziere. Ab 1965 gegen Ziele in großen und mittleren arbeitern und Beratern – neben den sorgte er mit einem „Drei-Stufen- Höhen vorgesehen war und dem ab Spitzenmilitärs – gehörten sein erster Plan“ für eine Neukonzeption der 1963 eingeführten beweglichen Sys- Adjutant, Oberst i. G. Willi Wagen- Offizierausbildung: Offizierschule, tem „Hawk“ für den mittleren und un- knecht (1912-1998; Generalmajor), Wehrakademie und Stabsakademie. teren Bereich. Die Bundesmarine er- und dessen Nachfolger, Kapitän zur Allerdings wurde diese Planung nur hielt u.a. neue U-Boote der Klasse 205 See Rolf Thomsen (1915-2003; Flot- langsam umgesetzt.9 Zur Verbesse- und drei Raketen-Zerstörer (Klasse tillenadmiral). Der dritte Adjutant in rung der Unteroffizierausbildung im 103). 1963 erinnerte sich von Hassel der Amtszeit von Hassels wurde im Heer wurden die beiden Unteroffi- an seine früheren Pläne zur Schaffung Januar 1966 wieder ein Marineoffi- zierschulen in Sonthofen (HUS I) und einer „Landeswehr“ und rief die Re- zier: Kapitän zur See Herbert Tre- Aachen (HUS II) eingerichtet. Hassels servisten der Bundeswehr zum freiwil- besch (1915-2007; Vizeadmiral). Von Ansätze zur Hebung des Niveaus der ligen Dienst in der Territorial-Reserve Hassel stellte sich unmissverständlich Ausbildung wurden nur wenige Jahre auf. Allerdings lag die Resonanz weit vor die Soldaten, wenn diese angegrif- später durch die seines Nach-Nachfol- unter den Hasselschen Erwartungen. fen wurden. gers Helmut Schmidt obsolet, weil sie Im selben Jahr erfolgte die Umbenen- Am 4. Oktober 1963 sprach der im Kern zwar richtig, aber nicht weit- nung in Heimatschutztruppe. Zwanzig Minister in der Hamburger Michae- reichend genug waren. Auch die bei- Jahre nach dem Attentat auf Hitler lis-Kirche über das Thema „Christ den Heeresunteroffizierschulen wur- nahm Bundesminister von Hassel am und Wehrdienst“. Er betonte zwar, den später aufgelöst, doch ihre Idee 20. Juli 1964 an der Einweihung ei- dass „die Pervertierung des Krieges erlebte ab 1990 mit ihrer Neugrün- nes Denkmals für Claus Schenk Graf … ihm den Charakter eines normalen dung, wenngleich in anderer Form, von Stauffenberg in Sigmaringen teil Mittels der Politik genommen“ hätte. eine Renaissance. und sagte u.a.: Doch jedes Nachlassen in den Ver- Im zeitlichen Zentrum von Has- „Jedoch mit einem alljährlichen teidigungsanstrengungen wäre eine sels Amtszeit stand die „Starfighter- Gedenken … darf es nicht sein Be- Ermutigung für einen potentiellen Krise“.10 Vom Vorgänger Franz Josef wenden haben. … Es darf … nicht Angreifer. Käme es aber zum Krieg, Strauß übernommen warf sie über Jah- unerwähnt bleiben, dass sich für die sagte der gläubige Christ von Hassel, re düstere Schatten, obwohl die Aus- Mehrzahl der Soldaten – …– die Frage wüssten wir um unsere Verstrickung lieferung der ersten Flugzeuge bereits des Widerstands aus der Sicht ihres in Schuld und Sünde, und sollten uns vor der Amtsübernahme von Hassels überschaubaren Bereichs nicht stel- klar sein, dass wir „vor die Schranken erfolgt war. Die Ursachen der Krise len konnte. Auch sie, …, haben An- des Gerichtes Gottes“ treten müssten. waren weder dem Flugzeugmuster spruch auf die Achtung ihres Volkes, Trotz seiner berechtigten Warnungen noch Minister von Hassel anzulasten, … . Kann die Widerstandshaltung des vor der expansiven kommunistischen sondern bestanden aus einem kom- 20. Juli auch keine Norm setzen, weil Ideologie war von Hassel keinesfalls plexen Bündel an Gründen, die hier eine geschichtliche Ausnahmesitua- ein „kalter Krieger“, was er mit den nicht im Einzelnen dargestellt werden tion zu keiner Norm werden kann, so folgenden Worten untermauerte: sollen. Das Urteil über die Maschine ist doch die Verweigerung sinnloser, „Das Wissen um unsere Schuld, schwankt und reicht von „Witwen- … oder ungesetzlicher Befehle gute … lässt uns im Feind den Menschen, macher“ bis „Traumflugzeug“. Luft- deutsche Soldatentradition.“ den Bruder sehen, der Gottes Eben- Die politische Leitung des Ver- bild ist wie wir.“ 9 Die Stabsakademie in Hamburg-Osdorf teidigungsministeriums bestand da- Dies war ein klarer Hinweis auf nahm 1967 ihren Dienstbetrieb auf, und mals nur aus dem Minister und dem die Anwendung christlichen Gedan- die Wehrakademie in Hilden öffnete erst im Oktober 1969, d.h. drei Jahre beamteten Staatssekretär. Minister kengutes im politischen und solda- nach von Hassels Ausscheiden aus dem von Hassel arbeitete in seiner Amts- tischen Alltag. Der Minister mahnte Amt, ihre Pforten und kam über einen zeit mit drei Generalinspekteuren zu- zugleich seine eigene evangelische Modell-Lehrgang nicht hinaus. sammen: General Foertsch war be- Kirche, die in dieser Frage gespalten 10 Durch technische Überfrachtung und zusätzliche Einsatzrollen für die deut- reits seit April 1961 im Amt; mit ihm wäre, sie möge eine Stätte des Frie- sche Version des US-Flugzeugmusters arbeitete von Hassel nur ein knap- dens“ bleiben.8 Seit seinem Amtsan- Lockheed F-104 stieg dessen Ge- pes Jahr zusammen, denn Foertsch tritt bemühte sich von Hassel auch samtgewicht beträchtlich und ver- schied bereits Ende 1963 altersge- erfolgreich um ein besseres Verhält- langte höchstes fl iegerisches Können. Zwischen 1962 und der Ausmusterung Zeremonie in München an die Verbände 8 Hassel, Kai-Uwe von Verantwortung für 1991 stürzten 292 Maschinen ab, und seiner Teilstreitkraft weiter. die Freiheit S. 10 ff. 108 Piloten verloren ihr Leben.

40 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE waffen-Oberst Peter Vogler (* 1941; nichts mit dem Panitzkis zu tun; die Ministervorlagen über seinen Tisch zu Generalleutnant) schrieb: zeitliche Nähe war zufällig. Seit ge- laufen, was einer Zensur gleichkam. „ Sie hat schlechten Ruf nicht ver- raumer Zeit war innerhalb der Bun- Gumbels „pedantisch genaue, aber oft dient. Sie stellt nur >nur< das Höchst- deswehr die Frage gewerkschaftlicher auch undurchsichtige Arbeitsweise“ maß dessen dar, das ein sorgfältig aus- Betätigung in den Kasernen diskutiert hätte „die Stellung des Staatssekretärs gewählter und ausgebildeter, … ein- worden. Bislang hatte der „Deutsche ins Zwielicht gerückt,“13 schrieb Ge- zelner Mensch zu meistern vermag.“ 11 Bundeswehrverband“ – 1956 von Sol- neralinspekteur de Maizière, und Hel- Da der Bedarf an qualifizierten Pi- daten gegründet – als alleinige Stan- mut Schmidt bezeichnete ihn sogar als loten nicht so schnell gedeckt werden desorganisation deren Interessen ver- „Krebsschaden der Bundeswehr“.14 konnte, wurden die Anforderungen ge- treten. Neun Jahre später, 1965, for- Unmittelbar nach Trettner trat auch senkt. Dies aber führte zu einer Über- derte die Gewerkschaft ÖTV („Öffent- Generalmajor Günther Pape (1907- forderung von Material, Personal und liche Dienste, Transport und Verkehr“) 1986), der Befehlshaber im Wehr- Organisationsstruktur. Am 25. Janu- ebenfalls Zugang in die Kasernen und bereich III in Düsseldorf, zurück; er ar 1962 kam der erste deutsche Star- richtete deshalb eine Beschwerde an schloss sich dem Generalinspekteur fighter-Pilot ums Leben. Es folgte eine das Bundesverfassungsgericht. Dies aus kameradschaftlichen Gründen an. beispiellose Absturzserie.12 Von Has- führte zu öffentlichem Streit und zu Es war eine bisher einmalige, honori- sel hatte die undankbare Aufgabe, die Widerstand innerhalb der Bundes- ge Geste, wenngleich sie wirkungslos Einführung des neuen Waffensystems wehr, war doch damals das Verhält- blieb. Von Hassel wusste um die De- zu verteidigen und tat es aus Loyalität. nis zwischen Gewerkschaften und den fizite bei der Spitzengliederung und Am 12. August 1966 bat Luftwaffen- Streitkräften noch sehr belastet. Nicht um Querelen in seinem Hause und chef Werner Panitzki (1911-2000) we- wenige Soldaten fürchteten, parteipo- vertrat auch hinsichtlich des Begriffes gen der aus seiner Sicht mangelnden litischer Streit in den Kasernen würde „civil control“ eine andere Auffassung Unterstützung bei der Überwindung das innere Gefüge der Armee nach- als Gumbel. Bereits 1963 hatte er in der Probleme seinen Minister um vor- haltig stören. In der Rückschau kann einer Rede vor dem Beirat für Fragen zeitige Versetzung in den Ruhestand. festgestellt werden, dass sich diese der Inneren Führung dazu festgestellt: Von Hassel lehnte den Rücktritt ab, Befürchtungen nicht bewahrheitet „Civil control heißt nicht >zivi- warf dem Inspekteur der Luftwaffe haben. Auch die Kassandrarufe, die le Kontrolle< der Soldaten, sondern aber zugleich vor, nicht genug getan Schleusen für eine Politisierung der verantwortliche Leitung durch Poli- zu haben, um die Krise in den Griff zu Bundeswehr wären damit weit geöff- tik. … Eine gegenseitige oder einsei- bekommen. Als sich Panitzki empört net, haben sich nicht bewahrheitet. tige Kontrolle etwa der Soldaten durch an die Presse wandte, wurde er in den Und so gab Minister von Hassel auch den Zivilisten wäre ein durch nichts einstweiligen Ruhestand versetzt und für die ÖTV „grünes Licht“ für deren gerechtfertigtes Mißverständnis. … Generalleutnant Johannes Steinhoff Weg in die Kaserne. Die Grundsätze der Inneren Führung (1913-1994; General), der Stellver- Trettner warf am 15. August 1966 müssen auch für das Verhältnis von treter des Oberbefehlshabers der Al- „das Handtuch“, weil er bei der He- Beamten und Soldaten gelten.“15 liierten Luftstreitkräfte Europa Mitte rausgabe des sog. „Gewerkschafts- Doch weshalb griff er nicht ein, um (AAFCE oder AIRCENT) in Fontaine- erlasses“ vorsätzlich von der zivilen diese innerministeriellen Reibungs- bleau bei Paris, zum Nachfolger be- Beamtenhierarchie des Ministeriums flächen zu entschärfen? Der Minister rufen. Nach neun Tagen Bedenkzeit übergangen worden war. Nicht der In- vermied wahrscheinlich die Ausei- übernahm er die schwere Aufgabe, halt des Erlasses war der Grund von nandersetzung mit seinem Staatsse- forderte aber klare Kompetenzen und Trettners Entscheidung, sondern die kretär, weil er wusste, dass dieser die bekam sie. Basierend auf dem Einsatz Tatsache, dass ohne sein Mitwissen Rückendeckung des Kanzlers besaß. des „Sonderbeauftragten für das Waf- eine die innere Struktur der Streitkräf- Aus Loyalität gegenüber dem Regie- fensystem F-104“, Generalmajor Diet- te betreffende Entscheidung getroffen rungschef nahm er in Kauf, von vie- rich Hrabak (1914-1995), und der Er- worden war. Auch war sein Schritt kein len Soldaten als Zauderer angesehen fahrung und Durchsetzungskraft von Affront gegen seinen Minister, sondern zu werden. Inspekteur Steinhoff, gelang es, die gegen den Amtsmissbrauch durch den Der nahezu zeitgleiche Rücktritt Krise Schritt für Schritt in den Griff beamteten Staatssekretär Karl Gumbel dreier hoher Offiziere war bisher ein- zu bekommen. Gleichwohl kam es im- (1909-1984), der sich als direkter Vor- malig in der jungen Geschichte der mer wieder zu Flugunfällen. Einer traf gesetzter des Generalinspekteurs sah, Bundeswehr. Deshalb schlugen die die Familie von Hassel bis ins Mark, obwohl die rechtliche Grundlage dafür Wellen in den Medien hoch. Staats- als der Minister bereits vier Jahre aus fehlte. Dies äußerte sich im ministeri- sekretär Gumbel blieb bis zum Ende dem Amte war. ellen Dienstbetrieb z.B. darin, dass er der Amtszeit von Hassels im Amt. Im Der Rücktritt von Generalinspek- dem Generalinspekteur sogar in des- Dezember 1966, nach Bildung der teur Trettner einige Tage später hatte sen Funktion als Berater der Bundes- Großen Koalition, brachte Gerhard regierung das unmittelbare Vortrags- 11 Jarosch, Werner Immer im Einsatz – 50 recht beim Minister verweigerte – ein 13 Maizière, Ulrich de Führen im Frieden S. 287 Jahre Luftwaffe, S. 57 Affront gegen Minister und Kanzler 12 Bis zur Ausmusterung am 22. Mai 1991 14 „SPIEGEL“ – Nr. 36/66 vom starben 108 Piloten, und die Luftwaffe und ein massiver Eingriff in deren 29.08.1966 verlor insgesamt 292 Maschinen. Kompetenzen. Überdies hatten alle 15 Zitiert bei: Speich, Mark, a.a.O., S. 289

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 41 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Schröder (CDU), der Nachfolger von schweige denn von einem Aufstand führte mit seinen Fünf-Jahres-Plänen Hassels, seinen bewährten Staatsse- des Militärs, keine Spur. die erste solide Finanzplanung und kretär Prof. Dr. Karl Carstens (1914- In seiner fast vierjährigen Amts- die Grundsätze und Verfahren moder- 1992) vom Außenamt als Staatssekre- zeit inspizierte von Hassel eine große ner Streitkräfteplanung17 in die Bun- tär auf die Hardthöhe mit. General de Anzahl von Truppenteilen, die nicht deswehr ein. Er war zudem einer der Maizière schrieb: vorgestellt werden können. In Erin- wenigen Verteidigungsminister, wenn „Carstens gelang es innerhalb nerung bleibt seine Rolle als Gast- nicht sogar der einzige, der während kurzer Zeit, im gesamten Haus wie- geber bei der Abschiedsparade für der alle zwei Jahr stattfindenden NA- der ein vertrauensvolles Arbeitsklima Bundeskanzler Dr. Konrad Adenau- TO-Übungen FALLEX selbst als Mi- herzustellen.“ … Alle atmeten auf.“16 er (1876-1967) auf dem Fliegerhorst nister fungierte.18

ährend der Amtszeit Kai-Uwe Wvon Hassels überschatteten zwei große Unglücke die Bundes- wehr: Das Schießen am 9. April 1964 auf dem Truppenübungsplatz Bergen- Hohne, bei dem vier Mörsergranaten in eine Zuschauergruppe einschlugen und zehn Soldaten töteten, und der Untergang des Schul-U-Bootes „Hai“ am 14. September 1966 in der Nord- see, bei dem 19 Soldaten der Marine ihr Leben verloren. Als die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU gebildet wurde, ver- ließ von Hassel am 5. Dezember 1966 die Bundeswehr. Er musste das Amt – anders als einige seiner Vorgänger Bild 5: Abschiedsparade für Bundeskanzler Adenauer auf dem Fliegerhorst und Nachfolger – nicht wegen grö- Wunsdorf am 12.10.1963 ßerer oder kleinerer Skandale oder persönlichen Fehlverhaltens aufge- Dieser Wechsel und die anschlie- in Wunsdorf am 12. Oktober 1963 ben, sondern wegen des Wechsels der ßende Verbesserung der Zusammenar- (Bild 5). Minister und Kanzler fuhren, politischen Mehrheiten. Im Zuge der beit innerhalb des Ministeriums zei- in einem Mercedes 300er-Cabriolet Bildung der ersten Großen Koalition gen deutlich, dass die Ursachen für stehend, gefolgt vom Generalinspek- übernahm die SPD als Junior-Partner die angebliche Generalskrise nicht teur in einem LKW 0,25 t, die ange- im Kabinett Kiesinger ein Schlüssel- beim Generalinspekteur, sondern in tretene Paradeaufstellung ab. Eine Ressort – das Außenamt und über- der Amtsanmaßung des Staatssekre- halbe Stunde dauerte der anschlie- trug es Willy Brandt (1913-1992). tärs gelegen hatten. ßende Vorbeimarsch der Verbände von Doch damit musste Ersatz für Ger- Generalleutnant de Maizière trat Heer, Luftwaffe und Marine, bei dem hard Schröder, den bisherigen Amts- als oberster Soldat an die militärische etwa 5.000 Soldaten, mehrere hun- inhaber, gefunden werden. Als dieser Spitze der Bundeswehr. Auch die Va- dert Rad- und Kettenfahrzeuge und auf die Hardthöhe wechselte, über- kanz im Wehrbereich III in Düssel- 150 Flugzeuge beteiligt waren. Etwa nahm von Hassel das Bundesministe- dorf wurde schnell geschlossen. Be- 100.000 Menschen verfolgten die Ver- rium für Vertriebene, Flüchtlinge und reits zwei Wochen später hatten sich anstaltung. Minister von Hassel för- Kriegsgeschädigte. Wäre es um Kom- die Wogen, die von den Medien so derte auch die Einbindung der Frau- petenz in diesem Ressort gegangen, hoch aufgepeitscht worden waren, wie- en in die Streitkräfte und strebte dazu hätte von Hassel den Vergleich mit der geglättet – von Generalkrise, ge- eine Änderung des Grundgesetzes an, Schröder fraglos um Längen gewon- um diese zum Dienst in der Bundes- nen. Das Urteil der Zeitgenossen und wehr verpflichten zu können. 1964 Mitstreiter über von Hassels Amts- 16 Maizière, Ulrich de In der Pfl icht S. 287. Als Minister Schröder 1967 schwer arbeiteten bereits etwa 82.000 Frauen zeit als Verteidigungsminister ist ge- erkrankte, übernahm Carstens, – wie für das Militär: Knapp 37.000 in der teilt. Strauß urteilt, von Hassel sei es die Gemeinsame Geschäftsordnung Bundeswehr und 45.000 bei NATO- „militärhörig“19 gewesen, und Gene- (GGO) vorsah – nur die Vertretung des Dienststellen und alliierten Truppen. ral Gerd Schmückle (* 1917) schreibt Ministers in den laufenden Angelegen- heiten des Ministeriums. Die Befehls– Mit der Verpflichtung jener 82.000 17 Maizière, Ulrich de In der Pfl icht, S. und Kommandogewalt hingegen wurde Frauen bereits im Frieden wollte der 243 und 245, sowie Führen im Frieden, von einem anderen Bundesminister Minister sicherstellen, dass diese auch S. 256. wahrgenommen; von Kai-Uwe von im Spannungs- und Kriegsfall zur Ver- 18 Maizière, Ulrich de In der Pfl icht, S. Hassel, der in das Amt des Bundesmi- 283. nisters für Vertriebene, Flüchtlinge und fügung stünden. Doch er scheiterte da- 19 Strauß, Franz Josef Die Erinnerungen, Kriegsgeschädigte gewechselt war. mals mit seinem Vorhaben. Von Hassel S. 275

42 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE

– als ehemaliger Pressesprecher von – Er hatte von allen bisherigen Förde auf. Nach dem Abitur trat er Strauß nicht unerwartet – fast iden- Amtsinhabern die engsten fami- am 1. April 1963, drei Monate nach tisch, aber ohne konkrete Beispiele liären Bindungen zum Militär und dem Amtsantritt seines Vaters – ge- zu nennen: von daher auch einen emotionalen meinsam mit etwa 100 anderen Ma- „Dabei war Hassel besten Wil- Bezug zu seinem Amte, der Armee rineoffizieranwärtern der Crew IV/63 lens. Allerdings: Durch Uniformier- und den Soldaten. Von daher be- – in die Bundesmarine ein, strebte te, die goldene Sterne trugen, ließ saß er das Vertrauen der unter ihm aber nicht die seemännische, son- er sich allzu sehr beeindrucken. … Dienenden. dern die fliegerische Laufbahn an. Zu- Diese Schwäche ließ ihn auch Rat- – Er war der einzige Verteidigungs- nächst absolvierte Joachim von Hassel schlägen folgen, die er hätte verwer- minister, dessen Sohn Berufsoffi- die dreimonatige Grundausbildung in fen müssen.“20 zier wurde und der 5. Kompanie des 3. Marineaus- De Maizière hingegen stellt fest: – der einzige hochrangige deutsche bildungsbataillons in Glückstadt an „Durch seine persönliche Integ- Politiker in mehr als einem hal- der Unterelbe. Danach begann am 1. rität hatte er im In- und Ausland Re- ben Jahrhundert, der seinen Sohn Juli 1963 die dreimonatige seemänni- spekt erworben. Hassel war im besten durch den Dienst in der Bundes- sche Ausbildung auf dem Segelschiff Sinne des Wortes ein >Bundeswehr- wehr verlor. „Gorch Fock“ unter Kapitän zur See minister<; für die Soldaten und ihr – Seine Erziehung und sein Denken Hans Engel (1910-2001). Der nächs- Denken besaß er viel Verständnis.“21 waren von christlichen Grundsät- te Ausbildungsabschnitt fand an der Der vormalige Wehrbeauftragte zen geprägt und diese bestimmten Technischen Marineschule 2 (TMS 2) Willi Weißkirch hatte zum 80. Ge- sein Handeln und Auftreten. in Bremerhaven statt, und im Janu- burtstag Kai-Uwe von Hassel 1993 – Er war – im Gegensatz zu eini- ar 1964 folgte das zweite Bordkom- in der Zeitschrift „Das Parlament“ gen seiner Nachfolger – bereits mando, diesmal auf der Schulfregat- geschrieben: bei Amtsübernahme mit sicher- te „Hipper“ unter Fregattenkapitän „Wenn Prädikate für besonders heitspolitischen und militärischen Hubert Nordheimer (1917-1997; Ka- noble, über kleinlichen Parteihader Fragen aus deutscher und NATO- pitän zur See). Auf dieser Reise wur- und pures Machtstreben erhabene Sicht vertraut. de Jochen von Hassel im April 1964 Politiker zu vergeben wären, dann – Er hat seine Aufgaben – getreu zum Seekadetten befördert. Die 27. stünde in dieser Liste ein Name ganz seinem Amtseid – immer im Sin- Auslandsausbildungsreise (AAR), ge- oben an: Kai-Uwe von Hassel“. ne seiner Gesamtverantwortung meinsam mit der Schulfregatte „Graf Die kürzeste, vielleicht auch prä- betrachtet und ausgeübt und da- Spee“, führte durch das Mittelmeer, gnanteste Charakterisierung Kai- bei das Wohl Deutschlands im den Suez-Kanal, das Rote Meer und Uwe von Hassels stammt ebenfalls Blick. Es ging ihm weder um pri- danach quer durch den Indischen von General de Maiziere: „Ein Herr. “ vate, noch um parteipolitische In- Ozean an die Südspitze Indiens über Die Amtszeit von Hassels als teressen und schon gar nicht um Chittagong und bis nach Bangkok. Verteidigungsminister war – auch Macht und Profit. Er war weder Im Juni kehrte das Schiff nach Kiel gemessen am Wirken vieler seiner Opportunist, noch Populist. Seine zurück. Die nächste Station des an- Nachfolger – ohne Zweifel sehr er- Haltung und sein Handeln waren gehenden Marineoffiziers fand an der folgreich. Leider wird sie zu Un- zeitlebens patriotisch geprägt – Marineschule Mürwik unter Flottil- recht und unangemessen eng mit der was damals vor allem gemeinnüt- lenadmiral Dr. Karl Schneider-Pungs Starfighter-Krise in Verbindung ge- zig bedeutete. (1914-2001; Konteradmiral) statt, für bracht. Dadurch verzerrt sich die Be- Viele seiner Projekte, die von Has- den aus dem nahen Glücksburg stam- urteilung in Medien und Öffentlich- sel als Verteidigungsminister geschaf- menden jungen Mann ein Heimspiel. keit. Hinzukommt, dass das Vertei- fen hatte, haben die Zeit des Kalten Der Lehrgang dauerte von Juli 1964 digungsministerium – anders als z.B. Krieges, die Wiedervereinigung, die bis Juni 1965. Im dritten Jahr ihrer das Außenamt – per se kein Ressort Neuordnung Europas überlebt und Ausbildung trennten sich die Wege ist, mit dessen Führung man in die bis heute auch nach einem halben der angehenden Marineoffiziere: See- oberen Ränge der Skala öffentlicher Jahrhundert Bestand, auch wenn der fahrer, Techniker und Flieger began- Beliebtheit aufsteigt. Keine andere Name ihres Schöpfers in Vergessenheit nen ihre Spezialausbildung. Aus der oberste Bundesbehörde war – wie geraten sein mag. Gerade wegen der Crew IV/63 schlugen zunächst nur zwischen 1955 und 1990 – für weit kurzen Haltbarkeitsdauer zahlloser fünf Mann als zukünftige Jet-Flieger über eine halbe Million Menschen militärischer Vorhaben ist dies ein be- die fliegerische Laufbahn ein. Ihre verantwortlich. sonderer Vorzug und Verdienst. Seine fliegerische Grundausbildung erhiel- Hassels Amtszeit als Verteidi- überdurchschnittlich lange Amtszeit ten sie auf dem Fliegerhorst Uetersen gungsminister zeichnet sich durch war – zusammen mit Minister Jung – nordwestlich von Hamburg auf den folgende persönliche und fachliche bisher die fünftlängste. Flugzeugmustern Do-27 und Piaggio. Besonderheiten aus: Die weiterführende fliegerische Aus- Der Enkel – Oberleutnant zur See bildung wurde in mehreren Abschnit- 20 Schmückle, Gerd Ohne Pauken und Trompeten, S. 294 Sein Sohn Joachim (gen. Jochen) ten den USA durchgeführt, wobei die 21 Maizière, de Ulrich In der Pfl icht, S. (Bild 6) kam am 14. Mai 1941 in künftigen Flugzeugführer von Luft- 285 Glücksburg zur Welt wuchs an der waffe und Marine gemeinsam beim

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 43 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Training Command der US-Air Force „wings“ der Marine, einer flachen gol- Pilot, der ums Leben kam. Joachim geschult wurden. denen Schwinge, und dem silbernen verlor auf den Tag genau 55 Jahre nach Bereits in der Schule seines Hei- Flugzeugführerabzeichen der US-Air seinem Onkel Friedrich das Leben. matortes Glücksburg hatte Jochen von Force an der Uniform nach Deutsch- Staatssekretär Willi Berkhan (1915- Hassel die 1940 in Sindelfingen gebo- land zurück. Dort folgte bis Februar 1994) und Generalinspekteur Armin rene Elke Ottens, die Tochter des pen- 1968 in Jever die Anpassung an die Zimmermann (1917-1976) überbrach- sionierten Heeres-Obersten Otto-Her- hiesigen Flug– und Wetterbedingun- ten Vater Kai-Uwe im Dienstzimmer mann Ottens (1898-1982) und dessen gen („Europäisierung“). Joachim von des Bundestagspräsidenten die To- Frau Karin (1905 1983; geb. Wittekop) desnachricht. Die genaue Unfallur- kennengelernt. Karin Ottens und ihre sache konnte nicht ermittelt werden. vier Kinder22 wohnten bis Ende 1944 Die militärische Trauerfeier fand am in Böblingen bei Stuttgart. Durch zwei 13. März 1970 in Eggebek statt; am schwere Bombenangriffe auf Böblin- Nachmittag nahmen Familie und die gen im Sommer 1944 hatten sie ihre Gemeinde in der Auferstehungskir- Wohnung und ihr Hab und Gut verlo- che in Glücksburg Abschied. Jochen ren und waren nach Glücksburg, wo von Hassel fand im Familiengrab in Ottens Eltern lebten. Da Fähnrich zur Glücksburg seine letzte Ruhestätte. See Joachim von Hassel und Elke Ot- Sein früher Tod lastete schwer auf der tens eine zweijährige Trennung nicht ganzen Familie. Am 29. April 1971, auf sich nehmen wollten, gaben sie nur dreizehn Monate später, starb El- sich vor der Kommandierung in die friede von Hassel mit nur 57 Jahren. USA das Jawort. Jochen von Hassel Die zierliche Frau war nicht über den erhielt zunächst auf der Lackland Air Verlust ihres Sohnes hinweggekom- Force Base bei San Antonio in Texas men. Im 2009 eingeweihten Ehrenmal eine auf die Belange des Piloten aus- der Bundeswehr in Berlin wird Jochen gerichtete Sprachausbildung. Danach von Hassels Name – nach Todesjahr folgte von November 1965 bis Februar geordnet in alphabetischer Namens- 1966 die Schulung auf der T-41 („Mes- folge – in einer Endlosschleife an die calero”), der militärischen Version der Bild 6: Leutnant zur See Wand gestrahlt. Elke von Hassel, die Cessna 172. Sie fand in Casa Grande, Jochen von Hassel Schwiegertochter, hatte im Alter von ca. 10 km südostwärts von Tucson, dreißig Jahren und nach nur fünf Ehe- einer Außenstelle der Williams Air Hassel wurde zum Marinefliegerge- jahren ihren Mann und die beiden Jun- Force Base im Bundesstaat Arizona, schwader (MGF) 2 ins schleswig-hol- gen – Ulf-Martin und Frank-Michael statt. Anfang 1966 wurde Jochen von steinische Eggebek versetzt. Er war – im Alter von 9 und 3 Jahren ihren Hassel zum Leutnant zur See beför- ein begeisterter, leidenschaftlicher Vater verloren. Da die Ehe noch kei- dert. Die nächste Phase der Ausbil- und guter Pilot. So gehörte er zu den ne zehn Jahre bestanden hatte, erhielt dung bei der US-Air Force, das sog. handverlesenen Piloten seines Ge- sie keine Witwenrente; nur ihre beiden „Undergrade Pilot Training“ (UPT), schwaders, die an dem NATO-Auf- Söhne bekamen eine schmale Waisen- erfolgte ab März 1966 im Rahmen klärungswettbewerb „BIG CLICK 69“ rente. Der „Dank des Vaterlandes“ war der Klasse „UPT class 67D“. Sie fand teilnahmen. und ist eine zerbrechliche, hohle Flos- auf der Williams Air Force Base bei Der 10. März 1970 war nach meh- kel, die sich schnell im bürokratischen Mesa statt. Die Schulung wurden auf reren trüb-kalten Winterwochen der Verordnungsdickicht verfängt. Elke den Flugzeugmustern T-37 und T-38 erste sonnige Tag. Vier Flugzeugfüh- von Hassels zahlreiche ehrenamtliche durchgeführt. Am 10. Dezember 1966 rer des Geschwaders nutzten ihn zu ei- soziale Engagements – hier ähnelt sie fand die „Graduation“-Zeremonie der nem 75-minütigem Übungsflug. Wäh- sehr Emma von Hassel, der Großmut- statt. Der letzte Abschnitt von Januar rend die erste Rotte landete, dreh- ter ihres Mannes – aufzuzählen, würde bis zum Herbst 1967 galt – nunmehr te die zweite noch eine Warterunde den Rahmen dieser Darstellung spren- als „class 68B“ – der vertieften flie- und musste dabei gegen die Sonne gen. Ihr Schwerpunkt lag auf der Un- gerischen Schulung und der Waffen- und eine Blendung durch ausgedehn- terstützung älterer Menschen und der systemausbildung auf dem Flugzeug- te Schneefelder fliegen. Kurz vor der Arbeit für Kinder; später kam auch das muster F-104 („Starfighter“) bei der 2. Landung und damit zu spät, um den politische Wirken in ihrer Gemeinde Deutschen Luftwaffen-Ausbildungs- Schleudersitz zu bedienen, stürzte hinzu. Im September 1986 wurde sie staffel F-104 in der Luke Air Force Oberleutnant zur See von Hassel, der – als erste Frau – zur Bürgervorstehe- Base in Arizona. Ende August 1967 die Aufklärungsvariante des „Star- rin gewählt und übte dieses Amt 16 schloss die Klasse 68-B der „Cactus fighter“ RF 104G flog, im Obdruper ½ Jahre lang bis zum 8. April 2003 Starfighter Squadron“ ihre Ausbildung Wald – etwa 15 Kilometer südlich von erfolg- und ideenreich mit großem in den USA ab. Alle fünf Marineoffi- Glücksburg – aus dem Gegenanflug Einsatz aus. Ihr Sohn Frank-Micha- ziere der Crew IV/63 kehrten mit den einer radargeführten Platzrunde aus el leistete von 1987 bis 1988 seinen 22 Uwe (* 1931), Wiebke (* 1932), Elke (* 2.000 Fuß (= etwas über 600 Meter) fünfzehnmonatigen Grundwehrdienst 1940) und Antje (* 1943) Höhe ab. Er war der 57. Starfighter- im Jägerbataillon 512, den „Oldenbur-

44 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 BLICK IN DIE GESCHICHTE ger Jägern“, in der Wagrien-Kaserne Bonn-Muffendorf fand er im Rahmen – Hassel, Kai-Uwe Der Christ in Putlos an der Ostsee und schied als eines Staatsbegräbnisses seine letzte und der Wehrdienst Agentur Gefreiter der Reserve aus. Ruhe. Die enge Verbindung der Fami- des rauhen Hauses 1964 Ausklang lie von Hassel zum Militär ging nach – Jarosch, Werner (Hrsg.) Immer im aturgemäß wurden Kai-Uwe von über 100 Jahren zu Ende. Lediglich Einsatz 50 Jahre Luftwaffe Verlag NHassels offizielle Bindungen zur in der Namensgebung der Luftwaffen- Mittler und Sohn Hamburg 2005 Bundeswehr nach seinem Ausscheiden Kaserne im schleswig-holsteinischen – Koop, Volker Kai-Uwe von aus dem Amt des Verteidigungsminis- Kropp – seit 1992 ist dort das Aufklä- Hassel – Eine politische ters schwächer, doch bisweilen ließ er rungsgeschwader 51 „Immelmann“ Biographie Böhlau Verlag Köln es sich nicht nehmen, an militärischen stationiert – „brennt“ eine, wenngleich 2007 Veranstaltungen teilzunehmen. Im Jah- leider nur kleine Flamme der Erinne- – Lettow-Vorbeck, Paul von Meine re 1969 übernahm er mit 56 Jahren das rung an Kai-Uwe von Hassel. Dabei Erinnerungen aus Ostafrika. protokollarisch zweithöchste Staatsamt war er – neben Blank, Schmidt, Leber, Koehler Verlag Leipzig 1926 der Bundesrepublik Deutschland, das Dr. Stoltenberg und Dr. de Maizière – – Maillard, Wolfgang-Eisenhardt des Präsidenten des Deutschen Bun- einer der wenigen Bundesminister der und Schröder, Jürgen Das destages und bekleidete es bis 1972. Verteidigung, die im persönlichen Auf- Offizierkorps der Schutztruppe Im selben Jahr heiratete er die Histo- treten, in Pflichterfüllung und ihrem für Deutsch-Ostafrika im rikerin Dr. Monika Weichert, und 1974 emotionalen Zugang zum Militär bei- Weltkrieg 1914-1918 Beiträge wurde sein zweiter Sohn Jan Friedrich spielgebend für die Soldaten waren. ❏ zur deutschen Kolonialgeschichte geboren. Er arbeitet heute als Rechts- Band 10 Traditionsverband anwalt und ist ein Virtuose an der Or- Literatur: ehemaliger Schutz– und gel. Auch Ulf-Martin von Hassel, der – Ahlmann, Joh. Theodor Überseetruppen e.V. 2003 Enkel, studierte Jura. Beide kehrten Thormann Ein Lebensbild – Maizière, Ulrich de Führen im damit zu jenem Metier zurück, das Heinrich Möller Söhne Frieden 20 Jahre Dienst für einst ihre Vorfahren Anfang des 19. Rendsburg 1936 Bundeswehr und Staat, Bernard Jahrhunderts in Hamm ausgeübt hat- – BMVg Weißbuch 1970 & Graefe, München 1974 ten. Zugleich wurde – beruflicher Mo- – Cramer, Alfred Geschichte – Maizière, Ulrich de In der Pflicht bilität geschuldet – auch die Bindung des Infanterie-Regiments Prinz Lebensbericht eines deutschen an den Ostseeraum in großen Teilen Friedrich der Niederlande Soldaten im 20. Jahrhundert aufgegeben. (2. Westfälischen) Nr. 15 Verlag Verlag E. S. Mittler & Sohn In den letzten Jahren seines poli- von R. Eisenschmidt Berlin 1910 Herford Bonn 1989 tischen Wirkens wandte sich Kai-Uwe – Deutsch-Ostafrikanische Zeitung – National Archives & Records von Hassel vor allem der europäischen (DOA-Zeitung) Wöchentliche Administration (NARA) Politik zu: 1977 wurde er zum Vizeprä- Ausgabe, Daressalam 1903-1916 Washington sidenten der Parlamentarischen Ver- – Erinnerungsbuch der 94. – Priesdorff, Kurt von Soldatisches sammlung des Europarates gewählt, Infanterie-Division an die Führertum 10 Bände Hamburg von 1977 bis 1980 war er Präsident Kriegsjahre 1939-1945 ohne Datum (1937-1942). der Versammlung der Westeuropäi- Lieferung 4 B. Steinmetz – Schmückle, Gerd Ohne Pauken schen Union (WEU) und von Juli 1979 Hannover 1973 und Trompeten Erinnerungen an bis Juli 1984 schließlich als Europa- – Krieg und Frieden DVA Stuttgart, Abgeordneter Mitglied des ersten di- – Flensburger Tageblatt, diverse 1982 rekt gewählten Europa-Parlaments. Im Ausgaben – Speich, Mark Kai-Uwe Jahre 1984 schied er aus der aktiven – Hamer, Berthold Glücksburger von Hassel Eine politische Politik, doch bisweilen mischte er sich Biografien Lexikon Husum 2010 Biographie Inauguraldissertation noch in die sicherheitspolitische Dis- – Hassel, Emma von Michael der Philosophischen Fakultät der kussion ein. So profilierte er sich z.B. Jebsen Das Leben des Universität Bonn 2001 zu einem der energischsten Anhänger Schiffsreeders und die Chronik – SPIEGEL, DER – Hamburger des von ihm geprägten Begriffs einer seiner Vorfahren Selbstverlag, Wochenmagazin 1966 „Europäischen Verteidigungsinitiati- Apenrade 1953 – Strauß, Franz Josef Die ve“ (EVI). Am 8. Mai 1997 nahm Dr. – Hassel, Friedrich Julius Erinnerungen, Wolf Jobst Siedler h.c. Kai-Uwe von Hassel an der Ver- v., Generalsbiographie aus Verlag Berlin, 1989 leihung des Karlspreises der Stadt Aa- Brandenburg-Preussen – Westphal, Walter von Bornhöved chen an Bundespräsident Prof. Roman (16.-19.Jahrhundert), SOL, bis zur Erstürmung der Düppeler Herzog teil. Auf dem Fußweg zum Rat- Band X, S.445, Nr.3319 Schanzen Hamburg 2001 haus, wo der Festakt stattfinden sollte, – Hassel, Kai-Uwe von brach er zusammen und starb kurze Verantwortung für die Freiheit Bildnachweis Zeit später im Alter von 84 Jahren an Auszüge aus Reden und – Medienzentrale der Bundeswehr: Herzversagen. Am 16. Mai 1997 fand Veröffentlichungen in den Jahren 1, 5 Privatarchiv Elke von für ihn ein Trauerstaatsakt in Bonn 1963/64 Harald Boldt Verlag Hassel: 4, 6 statt. Auf dem Friedhof St. Martin in Boppard a. R. 1965 – Verfasser: 2, 3

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 45 KIRCHE UNTER SOLDATEN Jahresempfang des Militärgeneralvikars

m Samstag, denen das Engagement der Anwesenden für die Militärseelsorge A19. Januar 20133 und damit für die anvertrauten Soldatinnen und Soldaten. fand der schon tradi-i- Für die Laien erwiderte der Bundesvorsitzende der GKS, tionelle Jahresemp-- Oberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer die Begrüßungsrede und fang des Militärge-- dankte dem Generalvikar sowie der Kurie für die unkom- neralvikars, Apos-- plizierte und effektive Zusammenarbeit. Bei dieser Gele- tolischer Protono-- genheit übergab der Bundesvorsitzende dem Militärgene- tar Walter Waken-- ralvikar den „frisch“ erschienenen 2. Band der Chronik hut, für das orga- der GKS, in der die Dokumente zusammengefasst sind, nisierte Laienapo- die den Umfang des ersten Bandes gesprengt hätten. Zu- stolat statt. Nach sammengestellt von Brigadegeneral a.D. Friedhelm Koch der Heiligen Mes- und redaktionell bearbeitet von Oberstlt a.D. Paul Schulz se in der Hauska- sind in diesem zweiten Band die Dokumente enthalten, pelle St. Michael die zur Gründung des Königsteiner Offizierkreises geführt des Bischofsam- hatten. Es werden die Wochen der Besinnung dokumen- tes, versammel- tiert, ebenso wie wichtige Beiträge von Dr. Helmut Korn ten sich die ge- oder Dieter Clauss. Die Ordnung der GKS von 1970, als ladenen Gäste die Gemeinschaft sich für alle Dienstgradgruppen öffnete aus Katholiken- und weitere wichtige Meilensteine in der Entwicklung der rat und Gemein- GKS. Eine beigefügte CD enthält darüber hinaus wichtige schaft Katholischerr Soldaten,Soldaten zusammen mit mit Dokumente der organisierten Laienarbeit wie „gaudium et den Referatsleitern der Kurie zum feierlichen Abendessen. spes“ und die Ergebnisse der Würzburger Synode, neben Militärgeneralvikar Walter Wakenhut begrüßte die Gäs- den Dokumenten, die in diesem zweiten Band aus druck- te zu seinem – wie er selbst ausführte – letztem Empfang technischen Gründen keinen Platz mehr gefunden haben. ❏ in seiner Dienstzeit als Generalvikar und bedankte sich für (Text und Foto: Bertram Bastian)

Buchbesprechung Verantworten Salzburger Hochschulwochen 2012

ie in jedem Jahr wurden die wichtigstenn die unterun dem Begriff „verantwor- WVorlesungen, die Dankesrede und die ten“ standen.s Der Beitrag des Pu- Laudatio sowie die Festrede der Salzburger blikumpreisträgersbliku Andreas Weiß Hochschulwochen als Jahresband vom Ob- – AAmericanm History „Exodus“, ein mann, Univ.-Prof. Dr. Gregor Maria Hoff, he- biblischesbibli Erzählmotiv als identi- rausgegeben. Dieses Jahr von besonderem In- tätssicherndetätss Verantwortungsstra- teresse, kann man doch die umstrittenen Reden tegietegie – schließt die Vorträge ab, und Beiträge nachlesen, die im Sommer die Woge bevorbev das Vorlesungsverzeichnis hochschlagen ließen. Dabei wird man feststellen, undund die Autorenprofile das Buch dass manches sich unspektakulärer zugetragenn beschließen.bes Insgesamt ein sehr hatte, als es in der Presse sich nachher darstellte.. gutesgut Buch, um die Salzburger Beginnend mit dem Grußwort des Vorsitzen-n- HochschulwochenHo 2012 nicht den der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischofof nurnu in Erinnerung zu rufen, son- Dr. Robert Zollitsch, ist sowohl die Festrede vonon dernde auch als Quellenlage zu Hubert Wolf enthalten, als auch die Laudatioio benützen.be Hans Joas‘ für den Preisträger 2012 José Casa-sa- Verantworten, herausge- nova und dessen umstrittene Dankesrede, die ffürür gebeng von Gregor Maria Hoff, Irritationen sorgte. Die großen Vorlesungen derder Verlagsanstalt Tyrolia, Vormittage sind abgedruckt und geben einen sehrehr Innsbruck, 238 Seiten, guten Überblick über die Spannweite der Themen,men, ISBN 978-3-7022-3206-1

46 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS-Kreis Köln-Wahn senden“, so Stefan Dengel, der Geschäftsführer der aktion kaserne, „es soll ein Zeichen sein, dass wir Zuhause an „Mit Frieden gewinnen alle“ sie denken, ihnen verbunden sind und uns eine gesunde Rückkehr wünschen, aber auch eine Erinnerung an die aktion kaserne überbringt das Friedenslicht große Verantwortung eines jeden Einzelnen für den Frie- den, insbesondere natürlich im Einsatzland!“ aus Bethlehem der Militärseelsorge So einfach die Idee war, so schwer war auch die Um- m 17. Dezember 2012 übergab die „aktion kaserne“ setzung: Ein kleines Licht in verschiedenen Militärma- Adas „Friedenslicht aus Bethlehem“ im Rahmen eines schinen über mehrere Staatsgebiete zu fliegen ist eine Gottesdienstes der katholischen Militärseelsorge in Köln/ echte Herausforderung. Gelungen ist sie letztendlich nur Wahn. „Die Luftwaffe wird das Licht wie im vergangen mithilfe des Engagements und der Expertise einiger Sol- Jahr auch zu den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz daten aus den Reihen der Gemeinschaft Katholischer Sol- bringen“, versprach Brigadegeneral Helmut Schütz, Chef daten (GKS) am Standort Köln/ Wahn. Ihnen sei an dieser des Stabes beim Luftwaffenführungskommando, der das Stelle herzlich gedankt! Licht von Militärdekan Paul Hauser in Empfang nahm. (Text: Stefan Dengel, Foto: Yvonne Lange-Dengel) Bei der Übergabe richtete Dekan Hauser seine Auf- merksamkeit insbesondere an diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die über Weihnachten in Afghanistan stationiert sind: „Das Licht von Bethlehem ist um die ganze Welt ge- reist um nun bei den stationierten Soldaten in Afghanistan GKS Bereich West Die Zukunft im Blick

Bereichskonferenz Bereich West als Familienwochenende mit Workshop ie können wir die Arbeit der GKS im Bereich West Wnoch besser machen? Diese Frage stand im Mittel- punkt der zweiten Bereichskonferenz im Jahr 2012, die als Familienwochenende mit Workshop im Tagungshaus des Erzbistums Köln Maria in der Aue in Wermelskirchen stattfand. 16 Funktionsträger des Bereiches West waren teilweise mit ihren Familien der Einladung des Bereichs- vorsitzenden, Oberstleutnant Albert Hecht gefolgt. Um ihnen neue Impulse zu geben, hatte der Bereichsvorstand Referenten eingeladen, deren Vorträge zum Nachdenken anregen sollten. Mit Militärdekan Schnettker, dem geistli- chen Beirat des Bereiches West, stand gleich zu Beginn ein Von links: Geschäftsführer der Aktion Kaserne Stefan Referent zur Verfügung, der einige interessante, aber auch Dengel, Militärdekan Paul Hauser, Oberstleutnant Dirk gewagte Thesen in den Raum stellte. So schlug Schnettker Junker, Brigadegeneral Helmut Schütz vor, dass sich die GKS in Zukunft auf Themenbereiche fo- kussieren sollte, die derzeit durch die Militärseelsorge noch als Sinnbild der Hoffnung und des Mutes zu leuchten.“ nicht bearbeitet werden. „Durch die praktische Anwendung Das „Friedenslicht aus Bethlehem“ wird seit 1989 in der Grundsätze der GKS könnten manche Bereich mit Le- der Geburtsgrotte in Bethlehem entzündet und von den ben gefüllt werden, die dazu führen, dass die GKS weitere Pfadfinderinnen und Pfadfindern weltweit nicht nur in Alleinstellungsmerkmal hat.“, begründete Schnettker sei- Kirchen, sondern auch in soziale Einrichtungen, Kran- ne Idee. So nannte er beispielsweise die Erarbeitung von kenhäusern, Schulen usw. gebracht. Dieses Jahr steht die Antworten auf die Sinnfrage nach Einsätzen der Bundes- Aktion unter dem Motto: „Mit Frieden gewinnen alle“. wehr als eine Möglichkeit, die zukünftig eine immer stär- Weitere Informationen über die Aktion und auch Termine kere Rolle spielen wird. „Viele Soldaten, aber auch deren von Aussendungsgottesdiensten in Ihrer Heimat finden Angehörige fragen sich häufig nach dem Sinn des Einsat- Sie unter www.friedenslicht.de zes. Wenn es dann noch zu Situationen kommt, in deren Die Idee, das Friedenslicht auch an die Soldatinnen Konsequenz der Einsatz einer Waffe steht, oder Soldaten und Soldaten im Einsatz zu überbringen, stammt von der Schaden nehmen, wird dieser Punkt immer prekärer“, so „aktion kaserne“. Dies ist eine Initiative der Mitglieds- Schnettker über die Erfahrungen aus seiner täglichen Ar- verbände im Bund der Deutschen Katholischen Jugend beit. Neben diesem Punkt nannte Schnettker aber auch (BDKJ) für junge Soldatinnen und Soldaten. „Da im BDKJ die bessere Vernetzung innerhalb der Militärseelsorge als auch Pfadfinder/- innenverbände sind, kamen wir im letz- einen Bereich, dessen Bedeutung in den nächsten Jahren ten Jahr auf die Idee, dieses Licht als Zeichen des Frie- weiter zunehmen wird. „Nicht mehr jeder wird alles ma- dens auch an die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zu chen können. Hier gilt es, seine eigenen Kernkompeten-

AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 47 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

zen zu finden und sich in der täglichen Arbeit auf diese Mithilfe angewiesen.“, appellierte Berners an die Zu- zu konzentrieren“, unterstrich Schnettker die Bedeutung hörer, ihn über festgestellten Optimierungsbedarf in seiner Aussagen. Kenntnis zu setzen. Unter dem Motto „Tue Gutes, aber rede und schreibe Neben der inhaltlichen Arbeit für die Mandats- auch darüber“ hatte OStFw Stefan Radermacher seinen und Funktionsträger hatte der Bereichsvorstand aber Vortrag über effektive Pressearbeit im kirchlichen Umfeld auch Wert darauf gelegt, den Familienangehörigen gestellt. So stellte er u.a. dar, wie die Zusammenarbeit mit ein ansprechendes Programm zu bieten. So fand für den regionalen Presseorganen aussehen kann und wie der die Kinder und Jugendlichen, neben der obligatori- optimale Pressebericht über eine Veranstaltung der GKS schen Betreuung am Samstag eine theoretische und gestaltet sein soll. „Halten sie engen Kontakt mit den Pres- praktische Einweisung ins Geocaching statt. Mit severtretern ihres Einzugsbereiches.“, betonte Raderma- Hilfe der Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Sol- datenbetreuung (KAS) konnte hierfür ein versierter Dozent verpflichtet werden. Waren die Jugendlichen anfänglich noch skeptisch, stand ihnen am Nachmit- tag die Begeisterung förmlich ins Gesicht geschrie- ben. Wussten die Mütter ihre Kinder in dieser Art der Betreuung gut aufgehoben, konnten sie den parallel angebotenen Ausflug nach Köln entspannt genießen. Nicht nur die rund um den ersten Advent eröffneten Weihnachtsmärkte, auch der Dom und sein Umfeld boten viele Möglichkeiten zum kurzweiligen Zeitver- treib. Um an diesem für die Funktionsträger sicher- lich sehr arbeitsintensiven Tag auch noch gemeinsa- me Zeit als Familie verbringen zu können, stand der Abend ganz im Zeichen der Begegnung. Das für den Bereich West obligatorische Bingo schaffte es auch diesmal wieder, alle großen und kleinen Mitspieler in seinen Bann zu ziehen. Der Sonntag stand dann ganz im Zeichen des Starts in die Adventszeit. Mit Militärpfarrer Andreas Tem- me zelebrierte ein alter Bekannter der GKS den Fa- miliengottesdienst. Dabei verstand er es wieder gut, alle Anwesenden in die Gestaltung der Liturgie mit Der Vorsitzende des Bereiches West, Oberstlt Albert einzubinden und den Gottesdienst zu einen Erlebnis Hecht (links) mit dem Fachstellenleiter der Katholischen werden zu lassen. Im Anschluss trug Martin Oster, Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung, Martin der Fachstellenleiter Entwicklung und Beratung der Oster KAS, zum Angebot der KAS vor. Oster stellte die verschiedenen Angebote vor, die bei Bedarf abgeru- cher nochmal zum Ende seines Vortrages. „Pressearbeit fen werden können. „Wir wollen uns in den nächsten ist Netzwerkarbeit“, gab er den Teilnehmern für die Zu- Jahren verstärkt als Dienstleister der Militärseelsor- kunft mit auf den Weg. ge anbieten. Dennoch werden wir auch eigene Akti- Ein Thema, dass den Kreisvorsitzenden häufig vitäten entwickeln, wie moderne Freizeitaktivitäten unter den Nägeln brennt, wurde am Nachmittag des für Soldaten aussehen können“, beschrieb Oster die Samstages behandelt. Der Haushaltsbeauftragte und derzeit laufenden Aktivitäten. Weiter stellte er her- der Webmaster, OStFw a.D. Johann Schacherl u. OSt- aus, dass GKS und KAS zwei starke Partner sind, die Fw a.D. Hubert Berners stellten den Teilnehmern voneinander profitieren können. der Bereichskonferenz die Grundlagen zur Abrech- Dass der Bereich West mit dieser Art der Bereichs- nung von Intensivmaßnahmen und die dazu verfüg- konferenz ganz den Geschmack der Teilnehmer gefun- baren Hilfsmittel vor. Schacherl nutzte die Chance, den hatte, wurde bei der Abschlussrunde deutlich. So die Qualität der Abrechnungen des Bereiches West machten die Anwesenden deutlich, dass sie viele gute zu loben. „Es gibt sicherlich an der einen oder an- und neue Informationen zur Gestaltung der Arbeit in deren Stelle noch Optimierungspotential. Aber ins- den Kreisen mitgenommen haben. Gleichzeitig wurde gesamt bleibt festzustellen, dass Sie auf einen guten der Wunsch geäußert, diesen Weiterbildungsaspekt Weg sind.“, ermutigte Schacherl die Anwesenden. auch bei den Planungen der Konferenzen für das Jahr Welche Funktionalitäten das als Hilfsmittel für Ab- 2013 zu berücksichtigen. „Wir wollen auch weiter- rechnungen entworfene Programm bietet, erläuterte hin Vordenker sein, damit wir auch zukünftig Arbeit OStFw a.D. Berners. So werden mit der Version 2012 machen, die bei den Soldaten ankommt.“, fasste der weitere Funktionalitäten aufgenommen, die durch die Bereichsvorsitzende Oberstleutnant Albert Hecht, Nutzer als hilfreich genannt worden waren. „Ich bin das Wochenende zusammen. ❏ bei der Weiterentwicklung dieses Programmes auf Ihre (Text und Foto: Andreas Quirin)

48 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS-Kreis UniBw München dungen zum Nationalsozialismus als Bischöfe eingesetzt und so das Vertrauen der Gläubigen in die Hirten zerstört. Kirche im Sozialismus Durch ein Besuchsverbot für die Pfarrhäuser sowie das verbot, sich außerhalb der Kirchen zu versammeln, habe m Mittwoch, den 23. Januar 2013 führte der GKS-Kreis man erfolgreich ein Gemeindeleben unterbunden, führte AUniBw München ein Kamingespräch unter diesem Kardinal Vlk aus. Ordensgemeinschaften seien zerschla- Thema durch. Referenten des Abends waren Miloslav Kar- gen worden und durch Schauprozesse die Glaubwürdig- dinal Vlk, emeritierter Erzbischof von Prag und der emeri- keit untergraben, denn – so der Kardinal – die Lüge sei tierte Bischof von Erfurt, Joachim Wanke. Zu Beginn seiner ein wichtiges Instrument im Kommunismus gewesen. Eine Ausführungen bemerkte Kardinal Vlk, dass die Schilde- einzige Fakultät, die vom Staat gesteuert worden sei, war rung von persönlichen Erlebnissen wesentlich besser sei die Möglichkeit, stromlinienförmige Priester auszubilden, deshalb sei Erfurt so wichtig gewesen. Als er Abitur machte, war ihm das Studium verwehrt worden, da er in keiner kommunistischen Vereinigung war. Deshalb sei er zuerst in der Fabrik gewesen, habe dann Wehrdienst absolviert und erst 1964 die Priester- weihe erhalten. Ein Hauptgrund für den Niedergang der Katholischen Kirche in Tschechien sah Kardinal Vlk in der Tatsache, dass die tschechoslowakischen Bischöfe noch Anfang der 50er Jahre dachten, der Kommunismus sei nur eine kurze Episode. Nachdem er sich als Pries- ter ab 1964 dem Kommunismus immer noch verweigerte, wurde er zuerst strafversetzt und letztendlich wurde ihm die staatliche Lizenz als Pfarrer entzogen. Um nicht in ei- Bei den Fragen der Zuhörer hielt es Miloslav Kardinal ner Fabrik eingesperrt (und kontrollierbar) zu sein, ent- Vlk (links) nicht auf seinem Sessel. In der Mitte schloss er sich, als Fensterputzer in den Straßen Prags der Moderator Leutnant Philipp Weber, rechts der sein Geld zu verdienen, denn staatlich verordnet musste emeritierte Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, der jeder eine Arbeit haben. So sei es ihm gelungen, in den zweite Referent an diesem Abend. Straßen die Beichte abzunehmen und als ihm die staatli- che Überwachung auf die Spur gekommen war, verlegte als einfache Vorlesungen. Die Authenzität einer persönlich er seinen „Beichtstuhl“ in die Räumlichkeiten des Amts- erlebten Zeit sei durch nichts zu ersetzen. Bischof Wanke gerichtes. Dies seien seine persönlichen Erfahrungen mit könne seine Schilderung perfekt ergänzen, denn grade auf den Kommunisten, die auch erklären können, warum man dem theologischen Gebiet waren Tschechien (damals noch 1990 nach der Wende die Möglichkeiten gar nicht nutzen Tschechoslowakei) und die DDR eng verbunden, allerdings konnte, weil die „echten“ Priester einfach fehlten. Seine etwas einseitig. Die ehemalige DDR war für Tschechien größte Erfahrung während dieser ganzen Jahre des Elends wichtig, denn das kommunistische Regime in Prag hatte war: Gott ist mir nah! Und diese Erfahrung habe ihm das die Priesterseminare geschlossen und es gab keinen Ver- Überleben sehr erleichtert, schloss Kardinal Vlk seinen lag für theologische Bücher. Somit waren die theologische Teil der Erfahrungen. Fakultät in Erfurt und der St. Benno Verlag in Leipzig für die katholische Kirche Tschechiens sehr wichtig. Da grö- er ehemalige Bischof aus Erfurt Joachim Wanke er- ßere Versammlungen in Tschechien verboten waren, traf Dgänzte aus seiner Sicht, wie es in der ehemaligen DDR man sich in Erfurt. Die Situation der Kirche im Kommu- aussah. Er schilderte, dass die Parteiführung sich derart im nismus sei im Westen nicht vermittelbar und vorstellbar Fokus der westlichen Presse gesehen hätte, dass man nicht gewesen, denn so führte Kardinal Vlk aus, Kommunis- so streng wie in der Tschechoslowakei gegen die Kirche mus müsse man erlebt haben. Dass der Kommunismus vorgegangen sei. Deshalb habe man etwas mehr Freihei- so schnell gesiegt habe, sei nicht verwunderlich sagte der ten gehabt. So wäre die katholische Kirche in den sozialen Kirchenmann, denn die Sowjetunion war die Siegermacht Diensten aktiv gewesen und habe Kindergärten unterhal- gewesen und die akademische Intelligenz beschäftigte sich ten, allerdings auf dem Stand von 1945. Dafür habe man mit sozialen Belangen. Nach dem „Putsch“ 1948 regierte Gott und die Religiosität aus der Öffentlichkeit und aus die Kommunistische Partei allein und durchsetzte die Ins- dem Bildungssektor herausgedrängt, schilderte Bischof titutionen mit ihren Kadern. Nachdem man vergeblich ver- (em) Wanke. Das ganze gesellschaftliche Leben sei viel- suchte, die Kirchen für sich zu gewinnen, bekämpfte man fältig gewesen, man dürfe das Nachlassen der Religiosität sie. Zuerst habe man es mit Agitation und Verleumdung nicht monokausal sehen, erklärte der frühere Erfurter Bi- probiert und nachdem dies nicht den gewünschten Erfolg schof. Es sei schwer, den heutigen, unwissenden Bürgern brachte, zwang man die Kirche in den Untergrund. Dies dies zu erklären. Es sei eben nicht „karrierefördernd“ ge- hatte zur Folge, dass man die offizielle Kirche überwach- wesen, wenn man sich den Ersatz-Kulthandlungen wie Ju- te und knebelte, aber die Kirche im Untergrund habe sich gendweihe entzogen hätte. Es habe in der DDR nur wenig der Beeinflussung durch die Partei entzogen. Man habe militante Atheisten gegeben, führte Joachim Wanke weiter durch den Staat belastete Priester mit früheren Verbin- aus, aber genauso wenig wie echte Kommunisten. Wäh-

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würden die Würdenträger nach Sibirien verbannt. Diese Weihen sein gültige Weihen, führte Kardinal Vlk aus. 1993 habe man dann zu einer Re-Organisation gegriffen, die unter anderem dazu führte, dass die verheirateten Pries- ter in der orthodoxen katholischen Kirche aufgenommen wurden. Er selbst habe in diesem Jahr 1993 einen Brief an alle Priester geschrieben, die mit den staatlichen Stel- len zusammengearbeitet hätten, erzählte Kardinal Vlk, ca. 10 % seien zu einem persönlichen Gespräch gekommen, davon seien nur ganz wenige überzeugte Mitarbeiter der staatlichen Dienste gewesen. Die nächsten Fragen bezogen sich darauf, wie und wo- von er denn wirtschaftlich gelebt hätte in dieser Zeit und man bat um einen Vergleich des Einflusses der Politik in der früheren Tschechoslowakei und dem jetzigen China. Der ehemalige Prager Erzbischof antwortete, dass man die Unter den Zuhörern war auch der emeritierte Erzbischof Frage nach dem wirtschaftlichen Überleben nicht mit heu- von München und Freising, Friedrich Kardinal Wetter tigen Maßstäben messen dürfe. Durch das Leben in der (zweiter von rechts). Links daneben der tschechische Gemeinschaft (Fokolar-Bewegung3) konnte der Priester, Generalkonsul München Josef Hlobil sowie der der im Untergrund wirkte, überleben. Schließlich sei ja Militärpfarrer Neubiberg, Dr. Jochen Folz. 1949 alles entschädigungslos enteignet worden und die Finanzen seien seitdem durch den Staat geregelt worden. rend früher das Bestreben der Regierung gewesen sei, die Bischof Wanke ergänzte, die offizielle Kirche wurde als Religion aus dem Leben der Bürger rauszudrängen, hieße Instrument des Staates angesehen. So wie es in China – es jetzt bei den Nachfolgeorganisationen, Religion mache von nur wenige Informationen nach außen kämen – eine unfrei. Hier müsse man ansetzen, meinte der emeritierte staatliche Kirche gäbe, in der der Staat die Priester und Bischof, man müsse ein Selbstbewusstsein aus dem Evan- Bischöfe ernannte, würde sich dann ein Kirche im Unter- gelium heraus entwickeln, denn das Evangelium mache grund entstehen. Diese könne aber dann nicht vom Staat frei und gebe dem Leben der Gläubigen Kontur. Jeder kontrolliert werden. Durch den Blick der Katholischen Christ sei ein kleines Leuchtzeichen, auch am Beispiel Kirche nach Rom als Sitz der Weltkirche entstünde ge- der Bundeswehr, wo Christen in Führungspositionen ein rade in totalitären Staaten der Eindruck, die Kirche wür- Beispiel geben würden. de vom Ausland gesteuert und damit auch die gläubigen Nach dem Dank des Moderators an die beiden Zeit- Staatsbürger. Alle diese Dinge müssten im Zusammenhang zeugen, standen diese den Zuhörern zur Verfügung. Die gesehen werden, denn es gäbe keine monokausale Erklä- ersten Fragen bezogen sich auf Kardinal Tomášek1 sowie rung – schon gar nicht, wenn es wie hier um das Wirken auf die „geheimen Priester“ von denen einige verheiratet Gottes gehe. gewesen sein sollten. Kardinal Vlk führte aus, dass durch Diese auch als Josephinismus4 bekannte Phänomen das Verbot der Rückkehr des Prager Kardinals Beran 1965 habe der Kommunismus zur Perfektion erhoben, erklär- durch die Regierung sei Tomášek zum Administrator der te Kardinal Vlk. Die falsch begründeten Ideologien des Prager Erzdiözese ernannt worden, er stand immer im zwanzigsten Jahrhunderts – Kommunismus gleich Klassen- Verdacht der Zusammenarbeit mit den staatlichen Stel- kampf, Nationalsozialismus gleich Rassenkampf – seien len. Dieses ließ sich aber nie beweisen, äußerste Kardi- gescheitert, da der Hass gegen die Natur des Menschen nal Vlk. Die Unterdrückung der Kirche führte dazu, dass sei. Die Kirche sei Gottes Tatsachen in den Händen der schon Pius XII. die Bischöfe aufgefordert hatte, für den Menschen, erklärten die Zeitzeugen zum Schluss dieser Fall ihrer Verhaftung für Nachfolger zu sorgen. So wurden interessanten Veranstaltung. In kleiner geselliger Runde Priester im Geheimen geweiht, die – damit sie nicht auf- war dann Gelegenheit für alle Zuhörer sich direkt an Mi- fielen – dann auch Ehen geschlossen hätten. Ebenso sei es loslav Kardinal Vlk und Bischof (em) Joachim Wanke zu zu Bischofsweihen im Geheimen gekommen, wie die Wei- wenden. ❏ he von Bischof Davidek2 1967, da man befürchtete, nach (Text und Fotos: Bertram Bastian) einem Eingreifen der Sowjetunion in den Prager Frühling 3 Fokolar-Bewegung; 1943 von Chiara Lubich in Trient gegrün- det und leitet sich ab vom Wort focolare (ital) = Herd. Eine 1 František Kardinal Tomášek (1899 – 1992), Priesterweihe 1922, Anspielung auf den Herd in den frühen Bauernhäusern, um den 1938 Promotion in Theologie an der Fakultät in Olmütz, 1949 sich die Familie versammelte, soll auf Geborgenheit und Wärme von Bischof Matocha geheim zum Weihbischof ernannt, ernannte in einer Familie hinweisen. Auf deutsch: Werk Mariens ist die ihn 1965 Papst Paul VI. zum Administrator der Erzdiözese Prag, Bewegung seit 1962 (durch Johannes XXIII.) approbiert. 1977 wurde er Erzbischof von Prag, 1976 von Papst Paul VI. „in 4 Josephinismus; (abgeleitet von Joseph II. Kaiser von Österreich), pectore“ (geheim) ins Kardinalskollegium aufgenommen, trat er das Ziel des Josephinismus war die völlige Unterordnung der 1991 von seinem Amt zurück. Kirche unter die Staatsgewalt. Joseph II. schaffte die Abhängig- 2 Felix Maria Davidek (1921 – 1988), Priesterweihe 1945, von keit der Bischöfe von der päpstlichen Autorität ab, und durch ei- 1950 bis 1964 inhaftiert, 1967 im Geheimen zum Bischof nen Pfl ichteid band er die Bischöfe an den Staat. Bis ins kleinste geweiht; umstritten, da er seine Generalvikarin zur Priesterin Detail wie zum Beispiel Zahl und Länge der Kerzen, griff der weihte Staat in die kircheninternen Dinge ein.

50 AUFTRAG 289 • MÄRZ 2013 TERMINE

Termine für das Laienapostolat in der Kath. Militärseelsorge

2013 Allg. Termine u. Bundesebene GKS-Sachausschüsse

19.01. Vorstand Katholikenrat, Berlin SA „Innere Führung“ 19.01. geschäftsführender Bundesvorstand, 12. – 14.07. Sitzung in Berlin (mit SF) Berlin 19.01. Empfang Militärgeneralvikar, KMBA SA „Sicherheit und Frieden“ 08.03. – 10.03. GKS Bundesvorstand, Kloster Arenberg 15.02. Sitzung in Bonn 24. – 28.04. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 12.04. Sitzung in Bonn 01. – 05.05. Evangelischer Kirchentag, Hamburg 12. – 14.07. Sitzung in Berlin (mit IF) 22. – 25.05. 55.Lourdeswallfahrt 25.10. Sitzung in Bonn 29.05. – 02.06. Seminar 3. Lebensphase, Cloppenburg SA „Internationaler Sachausschuss“ 07.06. – 09.06. Vorstand Katholikenrat, Hamminkeln Bei Redaktionsschluss keine Termine bekannt 28.06. – 30.06. GKS Bundesvorstand, Fulda 29.07. – 03.08. Int. Jugendwoche der AKS Vorschau 2014 14.09. Vorkonferenz zur Woche der Begegnung 15.09. – 20.09. 53. Woche der Begegnung, Hamminkeln 18.01. Vorstand Katholikenrat, Berlin 16. – 20.10. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 18.01. geschäftsführender Bundesvorstand, Berlin 04. – 07.11. GKS-Akademie Oberst Korn, Fulda 18.01. Empfang für organisiertes Laienapostolat, 08. – 09.11. Vorstand Katholikenrat, Berlin Berlin 16. – 17.11. GKS Bundesvorstand, Bonn 14. – 20.05. 56. Int. Soldatenwallfahrt nach Lourdes 29.11. Verwaltungsrat 14. – 18.05. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 28.05. – 01.06. 99.Katholikentag, Regensburg Bereichs- / Arbeitskonferenzen / Familienwochenenden „mit Christus Brücken bauen“ 02. – 06.07. Seminar 3. Lebensphase, Fulda KMilD Kiel / GKS Nord / Küste 15. – 19.10 Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 15.03. – 17.03. Erkner KMilD Erfurt (Berlin) / GKS Mitte Regionale Zuständigkeit der Katholischen 15.03. – 17.03. Erkner Militärdekanate KMilD Mainz / GKS West KMilD Kiel: Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schles- 10.05. – 12.05. Bereichskonferenz, Wermelskirchen wig-Holstein, Dienststellen im Bereich des Flottenkommandos 27.09. – 29.09. DAK, Ort wird noch bekannt gegeben KMilD Mainz: Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland- 29.11. – 1.12. Bereichskonferenz, Wermelskirchen Pfalz, Saarland KMilD München / GKS Süd KMilD München: Bayern, Baden-Württemberg 08.03. – 10.03. Kloster Roggenburg KMilD Erfurt: Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, 11.10. – 13.10. Ferienhaus Lambach Sachsen-Anhalt, Bremen, Niedersachsen Arb.Konf. Bereich Ausland 19.04. – 23.04. El Paso (Texas)

VERWENDETE ABKÜRZUNGEN: BK – Konferenz der GKS im Bereich ..., BuKonf – Bundeskonferenz der GKS, BV GKS – Bundesvorstand der GKS, DAK – Dekanatsarbeitskonferenz im Bereich….., GKMD – Gemeinschaft der kath. Männer Deutschlands, IS – Internationaler Sachausschuss, IThF – Institut Theologie und Frieden, Hamburg, KMilD – Kath. Militärdekanat, MGV – Militärgeneralvikar, SA InFü – Sachausschuss »Innere Führung«, SA S+F – Sachausschuss »Sicherheit und Frieden«, WB – Wehrbereich, WdB – Woche der Begegnung, KR – Katholikenrat beim Militärbischof, VV ZdK – Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

AUFTRAGAUFTRAG 289 • MÄRMÄRZÄ Z 2013 51 Impressum AUFTRAG ist das Organ der GEMEINSCHAFT KATHOLISCHER SOLDATEN (GKS) und erscheint viermal im Jahr. Hrsg.: GKS, Am Weidendamm 2, Das Kreuz der GKS 10117 Berlin Das »Kreuz der GKS« ist das Symbol www.katholische-soldaten.de der Gemeinschaft Katholischer Sol- Redaktion: verantwortlicher Redakteur daten. Vier Kreise als Symbol für die Bertram Bastian (BB), GKS-Kreise an der Basis formen in Rainer Zink (RZ), Oberstlt a.D., Redakteur einem größeren Kreis, der wiederum Zuschriften: Redaktion AUFTRAG die Gemeinschaft ver sinnbildlicht, ein c/o Bertram Bastian, Alter Heerweg 104, 53123 Bonn, Kreuz, unter dem sich katholische Sol- Tel: 0177-7054965, Fax: 0228-6199164, daten versammeln. E-Mail: [email protected] Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Namensartikel werden allein vom Verfasser verantwortet. Nicht immer sind bei Nachdrucken die Inhaber von Rechten feststellbar oder erreichbar. In solchen Aus- nahmefällen verpfl ichtet sich der Herausgeber, nachträglich geltend gemachte rechtmäßige Ansprüche nach den üblichen Honorarsätzen zu vergüten. Der Königsteiner Engel Layout: VISUELL, Aachen Der »siebte Engel mit der siebten Posaune« Druck: MVG Medienproduktion (Offb 11,15–19) ist der Bote der Hoff- Boxgraben 73, 52064 Aachen Überweisungen und Spenden an: nung, der die uneingeschränkte Herrschaft GKS e.V. Berlin, Pax Bank eG Köln, Gottes ankündigt. Dieser apokalyptische BLZ: 370 601 93, Konto-Nr.: 1 017 495 018. Engel am Haus der Begegnung in Königstein/ Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Ts., dem Grün dungsort des Königsteiner Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe. Nachbe stellung gegen Offi zier kreises (KOK), ist heute noch das eine Schutzgebühr von EUR 10,- an Tradi tionszeichen der GKS, das die katho- den ausliefernden Verlag. lische Laienarbeit in der Militärseelsorge seit mehr als 40 Jahren begleitet. ISSN 1866-0843