acatech DISKUSSION
Materialforschung: Impulsgeber Natur
Innovationspotenzial biologisch inspirierter Materialien und Werkstoffe
Peter Fratzl, Karin Jacobs, Martin Möller, Thomas Scheibel, Katrin Sternberg (Hrsg.) acatech DISKUSSION Materialforschung: Impulsgeber Natur
Innovationspotenzial biologisch inspirierter Materialien und Werkstoffe
Peter Fratzl, Karin Jacobs, Martin Möller, Thomas Scheibel, Katrin Sternberg (Hrsg.) Die Reihe acatech DISKUSSION
Diese Reihe dokumentiert Ergebnisse aus Symposien, Arbeitskreisen, Workshops und weiteren Veranstaltungen der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Die Bände dieser Reihe liegen in der inhaltlichen Verantwortung der jeweiligen Herausgeberinnen und Herausgeber sowie Autorinnen und Autoren.
Alle bisher erschienenen acatech Publikationen stehen unter www.acatech.de/publikationen zur Verfügung. Inhalt
Vorwort 7
Zusammenfassung und Forschungsfelder 9
Projekt 12
1 Einleitung 14
2 Chemische Synthese 20 2.1 Die Herausforderung, lebensähnliche Materialien herzustellen 24 2.2 Konstruieren mit DNA 26 2.3 Nicht-kanonische Aminosäuren 28 2.4 Biologisch inspirierte Hybridmaterialien 29 2.5 Bioinspirierter elastischer Zement 29 2.6 Interview Lin Römer, Firma AMSilk 30
3 Additive Fertigung 32 3.1 Interview Héctor Martínez, Firma CELLINK 34 3.2 Interview Lutz Kloke, Firma Cellbricks GmbH 35
4 Bioinspirierter Leichtbau 37 4.1 Bioinspirierte Modifikation des Holzes 38 4.2 Beispiel Faserpavillon auf der Bundesgartenschau Heilbronn, 2019 39 4.3 Interview Stefan Schlichter, Institut für Textiltechnik Augsburg gGmbH 40
5 Weiche Robotik 43 5.1 Roboter auf der Basis von Pflanzen 45 5.2 Wie der Oktopus die weiche Robotik inspiriert 46 5.3 Interview Karoline von Häfen, Firma Festo AG & Co. KG 47
6 Bioinspirierte Energiematerialien 49 6.1 Licht als Energiequelle in der Materialentwicklung 50 6.2 Katalysatoren für die Künstliche Photosynthese 51 6.3 Optische Materialien aus Zellulose 52 6.4 Natürliche Farbstoffe aus Zellulose 53 6.5 Interview Stefan Buchholz, Firma Evonik Creavis GmbH 55 7 Haften und Kleben 56 7.1 Haare mit unbeschränkter Haftung 58 7.2 Bioinspirierte Haftstrukturen für Robotik und Industrie 4.0 60 7.3 Muschelinspirierte Adhäsion 61 7.4 Reibungsreduktion und Antifouling mit bionischer Beschichtung 62 7.5 Bioinspirierte Grenzflächenmoleküle 63
8 Biologisch inspirierte Biomaterialien für medizinische Anwendungen 64 8.1 Konzepte für Gewebeersatz und Regeneration 65 8.2 Die Rolle des Knochenmaterials bei der Metastasenbildung von Brustkrebs 67 8.3 Elektrospinnen von Biomaterialien als biomimetisches Konzept 69 8.4 Biologisierte Medizinprodukte für die Blutbehandlung 71 8.5 Das bionische Ohr – Wiederherstellung des Hörvermögens durch biologisierte Technik 72 8.6 Biologisch inspirierte faserbasierte Strukturen für die regenerative Medizin 73
9 Intelligente Materialsysteme und Künstliche Intelligenz 75 9.1 Metamaterialien und Programmierbare Materialien 76 9.2 Chancen und Grenzen einer biointelligenten Wertschöpfung in der Logistik 77 9.3 Organische iontronische Elemente für neuromorphes Computing 78 9.4 Interview Henk Jonkers, Firma Green Basilisk 80
10 Interdisziplinäre Aspekte: Geisteswissenschaften und Gestaltungsdisziplinen 82 10.1 Materie und Information 83 10.2 Aktive Materie 84 10.3 Bioinspirierte Materiomik 86 10.4 Design mit Faserstrukturen 89 10.5 Bildung an der Schnittstelle zwischen Biologie und Materialwissenschaften 90 10.6 Wirtschaftswissenschaften und bioinspirierte Materialforschung 92 10.7 Interviews mit Mitarbeitern der Firma BASF SE 93 10.7.1 Interview Jens Rieger, Firma BASF SE 93 10.7.2 Interview Andreas Mägerlein und Alex Horisberger, BASF designfabrik® 94 10.7.3 Interview Andreas Wüst, BASF SE 95
11 Bibliometrie, Förderprogramme, Verbände 97 11.1 Literaturrecherche 97 11.2 Patentrecherche 98 11.3 Ausgewählte DFG-Förderprogramme 99 11.4 Ausgewählte Förderaktivitäten des Bundes 102 11.5 Interviews Verbände und Institute 103 11.5.1 Interview Frank O. R. Fischer, DGM 103 11.5.2 Interview Kurt Wagemann, DECHEMA 104 11.5.3 Interview Ljuba Woppowa, VDI 105 11.5.4 Interview Viola Bronsema, BIO Deutschland e. V. 106 11.5.5 Interview Alexander Böker, Fraunhofer IAP 107
12 Internationale Perspektiven 109 12.1 Interview Don Ingber, Wyss Institute at Harvard University, Boston, USA 109 12.2 Interview Robert Full, UC Berkeley, USA 111 12.3 Interview Lei Jiang, Beihang University, China 113 12.4 Interview Xiaodong Chen, Nanyang Technological University, Singapur 114 12.5 Interview Olli Ikkala, Aalto University, Finnland 115 12.6 Interview João Mano, Universität Aveiro, Portugal 117 12.7 Interview Sybrand van der Zwaag und Santiago Garcia Espallargas, TU Delft, Niederlande 118 12.8 Interview Hisashi Yamamoto, Chubu University, Japan 120
Anhang 122 Abbildungsverzeichnis 122 Tabellenverzeichnis 124
Literatur 125
Vorwort
Wenn biologische Materialien und Prozesse immer besser unter- Vorwort sucht und verstanden sowie gegebenenfalls modifiziert und technisch weiterentwickelt werden, dann sind neue Anwendun- gen möglich: So können zum Beispiel „intelligente“ Materialien Die Natur ist seit jeher Quelle und Impulsgeber für Erfindungen entstehen, die mit ihrer Umgebung in Wechselwirkung treten. Es und Innovationen. Dies gilt für die Herstellung nachhaltiger gilt insbesondere, das Innovationspotenzial von „Bits meets Bio“ Produkte auf Basis von biogenen Ausgangsstoffen ebenso wie zu nutzen, und das nicht nur im medizinischen Bereich. für die Entwicklung bioinspirierter Materialien und Werkstoffe, zum Beispiel für den Leichtbau im Gebäude- und Transport Zudem kann biologisch inspirierte Materialforschung eine sektor, für neuartige Oberflächen bis hin zur Gesundheitsversor- wichtige Rolle für die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Natio- gung. Viele Produkte, bei denen die Biologie als Ideengeber für nen und die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung die Materialforschung diente, nutzen wir bereits seit Längerem: spielen. Bei der Entwicklung von Produkten sind künftig Klettverschluss oder wasserabweisende Lacke und Oberflächen Reparaturmechanismen, Wiederverwendbarkeit oder Abbau- inspiriert vom Lotusblatt sind bekannte Beispiele für die Nach barkeit von Beginn an mitzudenken. Materialien sind daher ein ahmung der Natur, also Bionik im engeren Sinne. Schlüssel für die Entwicklung nachhaltiger Produkte und kön- nen einen bedeutenden Beitrag für die aktuelle „Circular In den letzten Jahren konnten sowohl die Lebens- als auch die Economy Initiative Deutschland“ des Bundesministeriums für Technikwissenschaften von dynamischen Entwicklungen in den Bildung und Forschung leisten. sogenannten Enabling Technologies profitieren – Beispiel Bio- technologie: Seit den neunziger Jahren haben molekularbiologi- Das vorliegende Diskussionspapier zeigt vielfältige Beispiele aus sche Erkenntnisse und Prozesse aus den Lebenswissenschaften den unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen – von Chemie in Verbindung mit Werkzeugen aus ganz anderen Bereichen wie und Energie über Medizin und Robotik bis hin zu Kunstwissen- Verfahrenstechnik, Automatisierung und insbesondere Digitali- schaften und Design. Die Bandbreite untermauert eindrucksvoll sierung zu enormen Fortschritten gerade auch in Deutschland die Interdisziplinarität und das große Innovationspotenzial die- geführt. ses Forschungsbereichs. Deutschlands gute Position in der For- schung sollten wir in nachhaltige Wertschöpfung übersetzen. Weitergehende Perspektiven für bioinspirierte Materialwissen- schaften ergeben sich vor allem durch die Anwendung biotechno Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Mitwirkenden, den logischer Verfahren, neue Fertigungsmöglichkeiten wie 3D-Druck Autorinnen und Autoren, den weiteren Fachleuten aus Wissen- und zunehmende Digitalisierung. Dazu bedarf es moderner, schaft, Verbänden und Unternehmen, die für Interviews zur hocheffizienter Analysemethoden, semi-automatischer Systeme Verfügung standen, sowie bei dem gesamten Projektteam herz- sowie der Auswertung von erheblichen Datenmengen. lich bedanken.
Prof. Dr. Dieter Spath Prof. Dr. Martina Schraudner Präsident acatech Vorstandsmitglied acatech
7
Zusammenfassung und Forschungsfelder
Erste Erfolgsbeispiele, etwa der steigende Anteil an bioinspi- Zusammenfassung und rierten Synthesebausteinen und Polymeren, machen deutlich, dass die Neuausrichtung der Materialforschung bereits begon- Forschungsfelder nen hat und alle wichtigen Zukunftsfelder, wie beispielsweise den Leichtbau, die Medizin, die Robotik oder den Energie bereich, adressiert. Innovationspotenzial biologisch inspirierter Materialien und Im Verbund mit zunehmender Digitalisierung und fortschrei- tender Künstlicher Intelligenz können beispielsweise Materiali- Werkstoffe en entwickelt werden, die bereits Informationen über die späte- re Nutzung enthalten. Dies verspricht Fortschritte in der Peter Fratzl, Karin Jacobs, Martin Möller, Thomas Additiven Fertigung wie bei 3D-Druckverfahren von zum Bei- Scheibel, Katrin Sternberg spiel Geweben. Selbstorganisationsprozesse sowie neue selbst- heilende Materialien mit erhöhter Lebensdauer spielen nicht nur für den Medizin- und Pharmabereich eine Rolle, sondern Materialien und Werkstoffe spielen in fast allen Technikberei- werden zunehmend in allen Technologiebereichen eingesetzt. chen und Produkten schon heute eine entscheidende Rolle, und Effizientere, skalenübergreifende Prozessverfahren zur geziel- ihre Bedeutung wird in unserem Alltag noch weiter zunehmen: ten Nano- und Mikrostrukturierung von Oberflächen können Demografische Entwicklung, knapper werdende Ressourcen so- bei der Entwicklung von Kleb- und Haftstoffen, aber auch für wie Klimawandel erfordern eine nachhaltigere Wirtschaftsweise, die Oberflächenbehandlung von Schiffsrümpfen zur Anwen- zu der die Material- und Werkstoffforschung zukünftig einen dung kommen. Die weiche Robotik erlaubt es, eine oftmals noch größeren Beitrag zu leisten hat. Stichworte wie effizientere eher mechanisch starre Struktur mit flexibleren, an die Umge- Materialsynthese und materialsparende Werkstoffproduktion, bung adaptierbaren Komponenten zu versehen. recycelbare oder biologisch abbaubare Produkte, intelligente, das heißt selbstreparierende beziehungsweise sich adaptierende Diese ausgewählten Beispiele machen deutlich: Bioinspirierte Materialien oder auch eine zunehmende Individualisierung, zum Material- und Werkstoffe haben das Potenzial, den deutschen Beispiel im medizinischen Bereich, machen deutlich: Mit den Forschungs- und Technologiestandort in den nächsten Jahren sich ändernden Anforderungen steigt auch die zu beherrschende maßgeblich zu prägen. Vergleichbar mit der Digitalisierung Komplexität in der Material- und Werkstoffforschung. werden sie einen wichtigen Beitrag für die Ziele der Hightech- Strategie 2025, die ressortübergreifende Agenda „Von der Bio Bereits heute weiß die Forschung, wie Materialzusammen logie zur Innovation“, die sich derzeit im Aufbau befindet, und setzung und Struktur auf der einen sowie Eigenschaften und die zu entwickelnde Roadmap „Circular Economy“ der Bundes Funktion auf der anderen Seite zusammenhängen. Sie kann Fort- regierung leisten. Mit seiner auch im internationalen Vergleich schritte bei Synthese- und Fertigungsverfahren über verschie- exzellent aufgestellten Forschungslandschaft bieten sich für den denste Größenskalen hinweg vorweisen, an die Leistungsfähig- Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland beste Voraus- keit der Natur reicht dies allerdings noch lange nicht heran. In setzungen, um in diesem für Akademie, Start-ups, mittelständische der Natur wird eine Vielzahl äußerst komplexer Strukturen mit Unternehmen und Industrie wichtigen Zukunftsfeld ein bedeu- wenigen Bausteinen auf effiziente Weise synthetisiert, die tendes Wort mitzureden. Hinzu kommen ausgeprägte Kompeten- zugleich unterschiedliche Funktionen und Adaptionseigenschaf- zen in den Bereichen Verfahrenstechnik, Biotechnologie sowie ten haben. Sie wartet mit kreislauffähigen Materialien auf und Industrie 4.0, die in Kombination mit innovativen Materialien, vereint auf mitunter erstaunliche Art und Weise Effizienz und unter anderem im Hinblick auf Ressourcenschonung, mittelfristig Funktionalität in einem System. Wettbewerbsvorteile für Deutschland bringen werden. Mit ers- ten industriellen Anwendungen sowie einer gerade im Daher birgt die sogenannte Biologisierung der Materialforschung akademischen Bereich exzellent aufgestellten Grundlagenfor- – das heißt, sich von der Natur inspirieren zu lassen, wie biologi- schung hat Deutschland die Chance, sich eine internationale sche Ressourcen, Prinzipien und Verfahren genutzt werden kön- Spitzenposition in der Material- und Werkstoffforschung zu si- nen – große Innovationspotenziale für den Forschungs- und Wirt- chern und diese weiter auszubauen. schaftsstandort Deutschland.
9 Damit sich das Innovationspotenzial der Materialwissenschaften Ziel dieser acatech DISKUSSION ist es, anhand von Beispielen auch in Patenten, unternehmerischen Aktivitäten, Produkten, die Vielfalt und große Bandbreite an möglichen Struktur-, Funk- Kundennachfrage und Arbeitsplätzen niederschlägt, bedarf es tions- und Syntheseprinzipien aufzuzeigen, mit denen die Natur übergreifender Prozesse, die die verschiedenen Disziplinen und die Materialforschung schon heute inspiriert und in Zukunft Verfahrensschritte über die gesamte Wertschöpfungskette noch weiter voranbringen wird. In verschiedenen Anwendungs- ressortübergreifend und integriert betrachten. Den Diskussions- feldern werden neue materialbasierte Innovationen an der beiträgen ist zu entnehmen, wie wichtig gerade in diesem Schnittstelle von Biologie und Technik exemplarisch dargestellt, Forschungsbereich interdisziplinäre Ansätze sind. In der Wissens- die Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen zugutekommen. vermittlung müssen neue Formate für disziplinübergreifende Zudem wird ein kurzer Überblick über den Stand der nationalen Zusammenarbeit in Forschung und Lehre erarbeitet werden. und internationalen Forschung gegeben. Neben der Verfahrenstechnik werden insbesondere Digitalisie- rung und Künstliche Intelligenz eine Schnittstelle zur Ausgehend von den Diskussionsbeiträgen der verschiedenen biologisierten Materialwissenschaft darstellen und sollten Teil Autorinnen und Autoren und den mit Verbänden, Unternehmen der notwendigen Grundlagenkompetenzen werden. sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführten Interviews hat die Projektgruppe folgende weitere Forschungs Um multidisziplinäre Forschungsansätze stärker zu fördern, gilt felder identifiziert: es, fachübergreifende Kriterien zu entwickeln. Somit werden dem interdisziplinär arbeitenden wissenschaftlichen Nachwuchs die 1. Biologisch inspirierte Syntheseprozesse gleichen Karrierechancen eingeräumt wie in der disziplinären Werden synthetische Werkstoffe mit natürlich gewachsener Forschung, die bereits Erfolgskriterien wie Monografien, Publika- Materie verglichen, so fällt auf, dass die Strukturen der Na- tionen in referierten Fachjournalen, Fachkonferenzen oder Aus- tur um einiges vielfältiger und komplexer sind. Ein wesent- stellungen etabliert hat. licher Grund dafür ist der Wachstumsprozess, in dessen Rahmen Bausteine sukzessive zu immer größeren Einheiten Technologietransfer entsteht durch Transfer in den Köpfen und er- zusammenfinden. Wachstum erfolgt in Umgebungsbedin- fordert ressortübergreifende Zusammenarbeit. Gerade bei von der gungen, das heißt bei Temperatur-, Druck- und Lösungsver- Natur inspirierten Materialien, welche durch individuelles Wachs- hältnissen, die der unmittelbaren Umgebung entsprechen. tum entstehen und die zu oftmals maßgeschneiderten Materialien Grundstoffe und Energie werden dabei direkt der Umge- und Produkten führen, stellt das Upscaling, also die Maßstabsver- bung entnommen. größerung der Herstellungsverfahren, eine besondere Herausfor- derung dar, die eigens erforscht und erprobt werden sollte. Dabei 2. Multifunktionalität durch Kombination von könnten insbesondere Start-ups durch entsprechende Unterstüt- Materialeigenschaften zung und Förderung angesprochen werden. Nach vielfältigen Vorbildern aus der Natur sollen unverein- bar erscheinende Eigenschaften, wie zum Beispiel hart und Um von vornherein den Gedanken der Nachhaltigkeit und zäh, leicht und hochfest oder hochtemperaturbeständig, in Ressourcenschonung mitzudenken, sollte möglichst zu einem einem Material verbunden werden. Die Herstellung soll frühen Zeitpunkt in der Material- und Produktentwicklung ein dabei möglichst ressourcen- und energieeffizient sein. Life Cycle Assessment (LCA) mitgedacht werden. Hieraus können neue Materialentwicklungen mit bisher un- bekannten Eigenschaftskombinationen entstehen. Regulatorische Entwicklungen und Zulassungsstandards sind bisher noch nicht auf die Erfordernisse responsiver, adaptiver 3. Neuartige aktive Eigenschaften von Materialien oder selbstheilender Materialien eingestellt. Hier kann eine früh- Natürliche Wachstumsprozesse sind dynamisch und erlau- zeitige begleitende Diskussion zum gegenseitigen Verständnis ben in der Regel eine kontinuierliche Anpassung an die hilfreich sein. Erfordernisse. Diese Anpassungsfähigkeit zeigen Pflanzen während des Wachstums und tierische Organismen sogar Gleiches gilt für eine Darstellung des Innovationspotenzials der während des gesamten Lebens. Zum Beispiel werden durch biologisierten Materialforschung in der Öffentlichkeit. Wie in physisches Training Muskel- und Knochenmasse an erhöhte anderen Forschungsfeldern kann auch hier eine transparente Anforderungen angepasst. Das Studium solcher Prozesse lie- Kommunikation den gesellschaftlichen Diskurs befördern. fert Konzepte für responsive und adaptive Materialsysteme.
10 Zusammenfassung und Forschungsfelder
4. Komplexe Materialien als technische Systeme Funktion, zum Beispiel als Sensor, Aktuator oder Signalgeber, In der Natur verschwimmen die Begriffe von Material und angepasst werden, ist die Information über diese Funktion im System: So sind etwa Pflanzenstängel und Muskeln Material Material gespeichert. Eine systematische Erforschung dieser und Organ zugleich; das Wachstum erfolgt durch eine beson- analogen Informationsspeicherung verspricht große Fort- dere Komplexität des Materialaufbaus und nimmt die zu schritte, insbesondere im nachfolgenden Technologiefeld. erwartende Funktion des Organs bereits zu großen Teilen vorweg. Diesem Konzept folgend ist auszuloten, inwieweit 6. Smarte Materialien als essenzieller Baustein der Materialentwicklung und Systemdesign in vielen Technolo- Digitalisierung giebereichen generell zusammengeführt werden können. Aufgrund der rapide zunehmenden Digitalisierung aller tech- Das Feld der Mikroelektronik kann auch als Vorbild dienen, nischen Abläufe kommt „intelligenten“ Materialien eine im- weil hier Materialentwicklung und Systemintegration bereits mer größere Bedeutung zu. Die bisher als Paradigma Hand in Hand gehen. angenommene Trennung zwischen „passivem“ Material und „aktiven“ Informationssystemen wird aufgrund endlicher 5. Materialien als Informationsspeicher (Energie-)Ressourcen und Rechenkapazitäten nicht aufrecht Die interne Struktur biologischer Materialien, zum Beispiel erhalten werden können. Die Struktur von Materialien wird so Porosität, Faseranordnungen, lamellare Strukturen etc., be- gestaltet werden müssen, dass sie zu hocheffizientenanalogen stimmt deren funktionale Eigenschaften und damit auch die Maschinen auf der Mikrometer- und Nanometerskala werden des Gesamtsystems. Wenn diese Strukturen beim Wachstum und damit die Flexibilität der digitalen Intelligenz ergänzen. – in technischen Systemen bei der Herstellung – der späteren
11 –– Prof. Dr. Claudia Fischbach-Teschl, Cornell University Projekt –– Prof. Dr. Peter Fratzl, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung –– Dr. Michael Friedman, Humboldt-Universität zu Berlin Projekttitel –– Prof. Dr. Magnus Fröhling, Technische Universität München –– Dr. Paschalis Gkoupidenis, Max-Planck-Institut für Polymerforschung Erforschung des Innovationspotenzials der Biologisierung in den –– Prof. Dr. Sebastian J. Goerg, Technische Universität München Material- und Werkstoffwissenschaften –– Prof. Dr. Stanislav Gorb, Universität Kiel –– Prof. Dr. Jürgen Groll, Universität Würzburg –– Prof. Dr. Matthew Harrington, McGill University Projektleitung –– Dr. René Hensel, INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien GmbH –– Prof. Dr. Peter Fratzl, Max-Planck-Institut für –– Prof. Dr. Karin Jacobs, Universität des Saarlandes Kolloid- und Grenzflächenforschung –– Dr. Tobias Keplinger, ETH Zürich –– Prof. Dr. Jan Knippers, Universität Stuttgart –– Dr. Karin Krauthausen, Humboldt-Universität zu Berlin Projektgruppe –– Prof. Dr. Cecilia Laschi, Sant’Anna School of Advanced Studies –– Prof. Dr. Peter Fratzl, Max-Planck-Institut für –– Prof. Dr. Thomas Lenarz, Medizinische Hochschule Hannover Kolloid- und Grenzflächenforschung –– Prof. Dr. Karl Leo, Technische Universität Dresden –– Prof. Dr. Karin Jacobs, Universität des Saarlandes –– Prof. Dr. Markus Linder, Aalto University –– Prof. Dr. Martin Möller, Leibniz-Institut für –– Dr. Liliana Liverani, Friedrich-Alexander-Universität interaktive Materialien Erlangen-Nürnberg –– Prof. Dr. Thomas Scheibel, Universität Bayreuth –– Dr. Barbara Mazzolai, Istituto Italiano di Tecnologia –– Prof. Dr. Katrin Sternberg, Aesculap AG –– Prof. Dr. E. W. Meijer, Eindhoven University of Technology –– Prof. Achim Menges, Universität Stuttgart –– Prof. Dr. Martin Möller, Leibniz-Institut für interaktive Autorinnen und Autoren Materialien –– Dr. Karsten Moh, INM – Leibniz-Institut für Neue –– Prof. Dr. Markus Antonietti, Max-Planck-Institut für Materialien GmbH Kolloid- und Grenzflächenforschung –– Andreas Nettsträter, Fraunhofer-Institut für Materialfluss –– Prof. Dr. Eduard Arzt, INM – Leibniz-Institut für Neue und Logistik IML Materialien GmbH –– Dr. Richard M. Parker, University of Cambridge –– Prof. Dr. Paul W. M. Blom, Max-Planck-Institut für –– Christian Prasse, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Polymerforschung Logistik IML –– Prof. Dr. Aldo R. Boccaccini, Friedrich-Alexander-Universität –– Prof. Christiane Sauer, weißensee kunsthochschule berlin Erlangen-Nürnberg –– Prof. Dr. Wolfgang Schäffner, Humboldt-Universität zu –– Prof. Dr. Markus J. Buehler, Massachusetts Institute of Berlin Technology MIT –– Prof. Dr. Thomas Scheibel, Universität Bayreuth –– Prof. Dr. Ingo Burgert, ETH Zürich –– Prof. Dr. Thomas Schimmel, Karlsruher Institut für –– Prof. Dr. Chokri Cherif, Technische Universität Dresden Technologie –– Prof. Dr. Helmut Cölfen, Universität Konstanz –– Dr. Detlef Schumann, Aesculap AG –– Prof. Dr. Hendrik Dietz, Technische Universität München –– Prof. Dr. Metin Sitti, Max-Planck-Institut für Intelligente –– Prof. Dr. Claudia Doblinger, Technische Universität München Systeme –– Prof. Dr. Christoph Eberl, Fraunhofer-Institut für –– Dr. Olga Speck, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Werkstoffmechanik IWM –– Prof. Dr. Thomas Speck, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
12 Projekt
–– Prof. Dr. Katrin Sternberg, Aesculap AG –– Dr. Ljuba Woppowa, VDI-Gesellschaft Technologies of Life –– Dr. Markus Storr, Gambro Dialysatoren GmbH, Baxter Sciences International Inc. –– Andreas Wüst, BASF SE –– Prof. Dr. Michael ten Hompel, Fraunhofer-Institut für –– Prof. Dr. Hisashi Yamamoto, Chubu University Materialfluss und Logistik IML –– Dr. Silvia Vignolini, University of Cambridge –– Prof. Dr. Carsten Werner, Leibniz-Institut für Polymerforschung Projektkoordination –– Dr. Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle –– Dr. Birgit Wiltschi, ACIB – Austrian Centre of Industrial –– Dr. Lena Simon, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Biotechnology Grenzflächenforschung –– Prof. Dr. Cordt Zollfrank, Technische Universität München –– Dr. Christine Metz-Schmid, acatech Geschäftsstelle
Interviewpartnerinnen und -partner Redaktionelle Mitarbeit, Interviews sowie weitere Expertinnen und und Übersetzungen Experten –– Dr. Lena Simon, Max-Planck-Institut für Kolloid- und –– Dr. Horst Beck, Henkel AG & Co. KGaA Grenzflächenforschung –– Prof. Dr. Alexander Böker, Fraunhofer IAP –– Dr. Viola Bronsema, BIO Deutschland e. V. –– Prof. Dr. Stefan Buchholz, Evonik Creavis GmbH –– Prof. Dr. Xiaodong Chen, Nanyang Technological University Weitere Mitarbeit –– Dr. Frank O. R. Fischer, Deutsche Gesellschaft für Materialkunde e. V. (DGM) –– Johannes Simböck, acatech Geschäftsstelle –– Prof. Dr. Robert Full, University of California, Berkeley –– Dr. Martina Kohlhuber, acatech Geschäftsstelle –– Prof. Dr. Santiago J. Garcia Espallargas, TU Delft –– Farras Fathi, acatech Geschäftsstelle –– Karoline von Häfen, Festo AG & Co. KG –– Dr. Khashayar Razghandi, Max-Planck-Institut –– Alex Horisberger, BASF SE für Kolloid- und Grenzflächenforschung –– Prof. Dr. Olli Ikkala, Aalto University –– Prof. Dr. Don Ingber, Wyss Institute at Harvard University –– Prof. Dr. Lei Jiang, Beihang University –– Prof. Dr. Henk Jonkers, TU Delft & Green Basilisk Projektlaufzeit –– Dr. Lutz Kloke, Cellbricks GmbH –– Andreas Mägerlein, BASF SE 12/2018–01/2020 –– Prof. Dr. João Mano, CICECO – Aveiro Institute of Materials –– Dr. Héctor Martínez, CELLINK –– Dr. Carsten Momma, CORTRONIK GmbH –– Dr. Heinz Müller, CORTRONIK GmbH Förderung –– Dr. Jens Rieger, BASF SE –– Dr. Lin Römer, AMSilk GmbH Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und –– Dr. Oliver Schauerte, Volkswagen Aktiengesellschaft Forschung (BMBF) gefördert. –– Prof. Dr. Stefan Schlichter, Institut für Textiltechnik Augsburg gemeinnützige GmbH Förderkennzeichen FKZ: –– Prof. Dr. Sybrand van der Zwaag, TU Delft 13XP5083 –– Prof. Dr. Kurt Wagemann, DECHEMA
13 die Verarbeitung von Werkstoffen auf, die letztlich alle Schritte 1 Einleitung vom Molekül bis zum Bauteil integrieren müssen.
Die Natur fasziniert und inspiriert mit einer Vielzahl spezialisier- Materialien und Werkstoffe begegnen uns in fast allen Lebens- ter biologischer Einzel- und Systemlösungen, die sich in einer seit bereichen und stellen die Basis für die meisten technischen Millionen von Jahren vollziehenden biologischen Evolution an Systemlösungen dar, die uns im Alltag umgeben. Unsere die sie umgebende Umwelt angepasst haben. Im Laufe ihrer moderne Infrastruktur und Architektur in Großstädten wäre bei- Entwicklungsgeschichte ist es lebenden Organismen gelungen, spielsweise ohne Stahlwerkstoffe undenkbar. Kunststoffe haben ihren Aufwand an Energie und Ressourcen zu reduzieren, intelli- viele Produkte für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich gente Strategien der Informationsverarbeitung und des gemacht. Transistoren aus Halbleitern eröffneten das Zeitalter Recyclings zu entwickeln sowie Stoffwechselreaktionen auf engs- der Informationstechnik und Digitalisierung. Studien zeigen, tem Raum optimal und zeitlich koordiniert ablaufen zu lassen. dass auf die Entwicklung von Materialien rund siebzig Prozent aller Innovationen zurückzuführen sind. Basis für diese Leistungsfähigkeit biologischer Systeme sind hoch- gradig parallelisierte und gleichzeitig präzise ablaufende Synthe- In Deutschland wird in material- und werkstoffbasierten Bran- se- und Abbauprozesse, selbstlernende und meist (energie)effizi- chen jährlich ein Umsatz von etwa einer Billion Euro erzielt. ente Systeme, gezielt schaltbare Mechanismen für beispielsweise Rund fünf Millionen Arbeitsplätze hängen davon ab.1 Für das Regulation und Informationstransport sowie ein hoher Vernet- in Deutschland so wichtige verarbeitende Gewerbe betrug der zungsgrad selbstständiger Module in einem fehlertoleranten Anteil an Materialkosten im Jahr 2011 etwa 45 Prozent der Ge- Gesamtsystem. Dies ist ein Fundus an Ideen, von dem die samtkosten.2 Diese gesellschaftliche und wirtschaftliche Be- Material- und Werkstoffforschung lernen und profitieren kann. deutung begründet auch, dass ein entsprechend hoher Anteil der Fördermittel für die akademische Forschung in diesen Be- Durch wissenschaftliche Fortschritte ist es heute möglich, unser reich einfließt: Rund zwanzig Prozent der gesamten Mittel der zunehmendes Verständnis von biologischen Strukturen und Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zwischen 2014 und Wachstumsprozessen für die Entwicklung neuer Materialien zu 2016 in den Ingenieurwissenschaften gingen an das Fachge- nutzen. Das hier vorliegende Diskussionspapier beleuchtet das biet Materialwissenschaft und Werkstofftechnik.3 heutige und zukünftige Potenzial, welches einer Biologisierung der Material- und Werkstoffforschung innewohnt. Dabei geht es War in der Vergangenheit die Entwicklung neuer Materialien um die Nutzung biologischer Ressourcen, Prinzipien und Verfahren prägend für die gesellschaftliche Entwicklung und den Aufbau bei Entwicklung, Einsatz und Recycling von Werkstoffen. Fort- unserer industriellen Zivilisation, so sind es heute die sozio schritte in der Analyse von biologischen Systemen und erste Um- ökonomischen und ökologischen Anforderungen, welche die setzungen bionischer Anwendungen werden hierbei ebenso Richtung für zukünftige Innovationen auf Basis neuer Materialien berücksichtigt wie die gezielte Übertragung von biologischen vorgeben. Dies ist nicht zuletzt auf endliche Ressourcen, Prozessen und Prinzipien. Kernelemente dieses Transfers von Prin- steigende Klimaschutzanforderungen und entsprechende natio- zipien der Natur in eine moderne Materialentwicklung sind nale und internationale Nachhaltigkeitsziele zurückzuführen, die auch Produktion und Verbrauch von Produkten umfassen. Stich- §§ der für die Natur charakteristische Vielkomponentenaufbau worte sind Kreislaufwirtschaft, Recycling und Abbaubarkeit von über Hierarchiestufen, der zu Materialien mit einem hohen Materialien. Das geht mit immer vielfältigeren Anforderungen Informationsgehalt führt und es ermöglicht, neue und spezi- an moderne Werkstoffe einher, die nur durch eine immer größere fische Funktionen in der Materialstruktur zu kodieren, strukturelle Komplexität der Werkstoffe selbst erfüllt werden §§ die Selektion „intelligenter“ (funktionierender) Strukturen können. Hierfür brauchen wir neue Herstellungstechnologien durch Computersimulation und Modellierung, und für deren Entwicklung neue Denkweisen. Die Vielfalt der §§ die Integration von Synthese- und Fertigungstechnologien, Natur mit ihren sich ständig anpassenden Strukturprinzipien und um solche komplexen Materialien herstellen zu können, und den daraus abgeleiteten hochentwickelten Funktionseigenschaf- §§ die Verträglichkeit mit der Natur sowie die Verknüpfung mit ten zeigt uns hier neue Wege für das Design, die Synthese und natürlichen Strukturen und Funktionen.
1 | Vgl. Deutsche Gesellschaft für Materialkunde e. V. 2015. 2 | Vgl. Weber/Oberender 2014. 3 | Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2018 als Basis für eigene Berechnung.
14 Einleitung
Um den derzeitigen Stand dieser Entwicklungen zu beleuchten, Bauteileigenschaften ermöglichen. Dadurch können zeit- und gibt diese Publikation einen Überblick über Beiträge, die den kostenintensive Entwicklungsarbeiten deutlich reduziert werden. Stellenwert einer Biologisierung in der Material- und Werkstoff- Das tiefere Verständnis grundlegender biologischer Materialei- forschung unterstreichen. Dies erfolgt anhand ausgewählter genschaften wie Selbstorganisation, Reparaturfähigkeit, Adapti- Anwendungsfelder und Fachbeiträge, die grundsätzlich in drei onsfähigkeit oder auch energieeffizienter Lebensvorgänge eröff- Bereiche unterteilt werden können: net neue Chancen in Fertigungstechnik, Informationsverarbeitung, Logistik sowie Ressourceneffizienz und schafft somit eine verbes- 1. Inspiration durch natürliche Strukturen, Synthesen und serte Konkurrenzfähigkeit des deutschen Forschungs- und Prozesse: Bionik, biomimetische und bioinspirierte Materialien Industriestandorts im globalen Wettbewerb. für technische Anwendungen („Materialien durch die Natur“) Aufgrund der rapide zunehmenden Digitalisierung aller techni- 2. Nutzung nachwachsender Rohstoffe: natürliche und bio schen Abläufe insbesondere bei Produktionsprozessen kommt basierte Materialien („Materialien von der Natur“) „intelligenten“ Materialien eine immer größere Bedeutung zu. Die bisher als Paradigma angenommene Trennung zwischen 3. Anwendung als biomedizinische und Implantat-Materialien „passivem“ Material und „aktiven“ Informationssystemen wird („Materialien für die Natur“) aufgrund endlicher Ressourcen und Rechenkapazitäten nicht auf- rechterhalten werden können. Der Anteil der digitalen Technologie am globalen Endenergieverbrauch (der um etwa 1,5 Prozent pro ech i Jahr wächst) wird zwischen 2013 und 2020 um fast siebzig Pro- zent gestiegen sein4 – ein Aspekt, der sich nur bedingt mit den Klimazielen der Bundesregierung in Einklang bringen lässt. So R DUR ON wie Gelenke Bewegungsabläufe vorbestimmen, wird die zuneh- aterialien aterialien inspiriert utzung mende Komplexität von Materialstrukturen Teile der Information im ontakt mit durch biologische nachwachsender für technische Abläufe enthalten. Materialien werden so zu ana- lebenden Systemen Strukturen und Prozesse Rohstoffe logen Maschinen auf der Mikrometer- und Nanometerskala. Das reduziert zwar die Flexibilität in den technischen Abläufen, weil die Materialstruktur nicht so leicht modifiziert werden kann, er- höht aber die Effizienz durch Einsparung von Rechenkapazität Nat und den damit verbundenen Energieaufwand. Die Zukunft der Digitalisierung im technisch-industriellen Bereich wird ganz we- Abbildung 1: Neben der Nutzung nachwachsender Rohstoffe sentlich von dieser Schnittstelle abhängen, zu deren Definition oder der biotechnologischen Herstellung von Materialien und Optimierung noch viel Forschungsbedarf besteht. (Materialien VON der Natur) sowie der Entwicklung von Mate- rialien für biomedizinische oder landwirtschaftliche Anwen- Biologisierte Materialforschung – einige Beispiele dungen (Materialien FÜR die Natur) stellt die biologisch inspi- zum Stand des Wissens rierte Materialwissenschaft ein besonders zukunftsträchtiges Feld für Innovationen dar (Materialien DURCH die Natur) Werden synthetische Werkstoffe mit natürlich gewachsener (Quelle: Peter Fratzl, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenz- Materie verglichen, so fällt auf, dass die Strukturen der Natur flächenforschung MPIKG). um einiges vielfältiger und komplexer sind.5 Ein wesentlicher Grund dafür ist insbesondere der Wachstumsprozess, bei dem Zukünftig wird insbesondere die Übertragung natürlicher Grund- Bausteine sukzessive zu immer größeren funktionalen Einheiten prinzipien auf die Fertigung und Verarbeitung von modernen zusammenfinden. Kann dieser Vergleich mit natürlichen Materi- Materialien und Werkstoffen neue, vielfältige Anwendungs alien und deren Kreisläufen für innovative Ansätze in der perspektiven eröffnen. So kann die technische Anwendung von Materialwissenschaft und Werkstofftechnik genutzt werden? Evolutionsstrategien beispielsweise eine durch Mutationen Welchen Beitrag zu neuen Lösungen könnte diese „Biologisie- hervorgerufene Optimierung von Material- und rung“ der Materialwissenschaft leisten?
4 | Vgl. The Shift Project 2019. 5 | Vgl. Eder et al. 2018.
15 Die Betrachtung des Wachstumsprozesses mit synthetischen Multifunktionalität Herstellungsverfahren6 führt rasch zu einigen Schussfolgerungen: Moderne Materialien müssen mehr erfüllen als nur einzelne §§ Für natürliche Materialien sind hierarchisch aufgebaute Funktionen wie mechanische Festigkeit oder elektrische, optische Strukturen charakteristisch,7 das heißt, Moleküle bilden und magnetische Eigenschaften. Die Anforderungen gehen funktionale Aggregate, die wiederum zu größeren Einheiten immer mehr dahin, multifunktionelle, adaptive, interaktive und verbunden sind. Stimuli-responsive (auf Signale reagierende) Materialeigenschaf- §§ Der Wachstumsprozess ist dynamisch und erlaubt eine ten zu kombinieren.10 kontinuierliche Anpassung an die jeweiligen Erfordernisse.8 Diese Fähigkeit zeigen Pflanzen während des Wachstums Viele natürliche Materialien genügen einer Vielzahl dieser und tierische Organismen sogar während des gesamten Le- Anforderungen, da sie über exzellente primäre Materialeigen- bens. So hat zum Beispiel physisches Training eine Anpas- schaften wie hohe Festigkeit oder Zähigkeit verfügen, die mit sung von Muskel- und Knochenmasse an erhöhte Anforde- sekundären Eigenschaften in komplexen multifunktionalen rungen zur Folge. biologischen Systemen integriert sind. Auf diese Weise §§ Wachstum führt zu einer besonderen Komplexität des kombinieren sie verschiedene wichtige Systemmerkmale wie Materialaufbaus, welche die zu erwartende Funktion des hohe Performanz, Schadenstoleranz, Adaptionsfähigkeit, Modu- Organs bereits zu großen Teilen vorwegnimmt. In diesem larität und Multifunktionalität.11 Es gibt bereits etliche bio Sinne verschwimmen die Begriffe von Material und Bauteil inspirierte Materialien, die Einzug ins alltägliche Leben gehalten in einem Pflanzenstängel beziehungsweise stellen eine Ein- haben. Bekannte Beispiele sind unter anderem der Klett heit dar. Ähnlich verhält es sich mit Muskel oder Leber: Sie verschluss, der Lotus-Effekt® von selbstreinigenden Oberflächen, sind Organ und Material zugleich. Multifunktionale selbstreparierende Polymermembranen, das Gecko-Tape® zur Eigenschaften sind in der Natur eher die Regel als die Aus- kleberlosen reversiblen Anhaftung, Sharklet AF™, Antifouling- nahme. Oberflächen basierend auf der Haut von Haien und die künstli- §§ Wachstum erfolgt bei Bedingungen, die hinsichtlich Druck- che Spinnenseidenfaser BioSteel®. oder Temperaturverhältnissen der Umgebung angepasst sind. Benötigte Grundstoffe und der Energiebedarf werden Hierarchischer Aufbau dabei direkt der Umgebung entnommen. Eine grundlegende inhärente Eigenschaft von natürlichen Dadurch wird offensichtlich, dass Werkstoffe nicht einfach nur Materialien ist der hierarchische Aufbau über mehrere Größen Metalle, Keramiken oder Polymere sind. Dank der Möglichkeit, skalen hinweg, die von der molekularen Ebene bis hin zum Grundstoffe miteinander zu kombinieren und Strukturen auf ver- makroskopischen Aufbau reichen können. Dieses Design bewirkt schiedenen Größenskalen gezielt herzustellen, wächst die Zahl eine Funktionsintegration. Spezifische Funktionen können ent- der Variationen an Hybridwerkstoffen und Kompositen schnell: weder auf einer einzelnen Hierarchieebene oder mehrere Ebenen Selbst Papier ist längst ein Komposit aus Zellulosefasern und übergreifend etabliert werden.12 Exemplarisch für hierarchisch kunststoffbasierten Bindemitteln. Voraussetzung für diese strukturierte Systeme in der Natur seien der Aufbau von pflanzli- Entwicklung waren enorme Fortschritte in Synthese- und Ferti- chen Zellwänden inklusive Holz, Chitin-Panzer von Schalentieren gungsverfahren sowie ein immer besseres Verständnis der und Insekten, Biokeramiken wie Kieselalgen sowie Knochen, Zusammenhänge zwischen multiskaliger (über viele Größen aber auch reversible Anhaftungsstrukturen wie beim Gecko oder ordnungen reichende) Struktur und Eigenschaften. selbstreinigende Oberflächen mit Lotus-Effekt® genannt.
Die folgende Zusammenfassung liefert anhand ausgewählter Bei- Ein etabliertes Beispiel für ein „biologisiertes“ Faserverbund spiele einen Überblick über aktuelle Trends auf diesem Gebiet.9 material ist der schwingungsgedämpfte technische Pflanzenhalm®,
6 | Vgl. Fratzl 2007. 7 | Vgl. Fratzl/Weinkamer 2007. 8 | Vgl. Weinkamer/Frat zl 2011. 9 | Zum Teil veröffentlicht in Bargel/Scheibel 2018. 10 | Vgl. Speck et al. 2012. 11 | Vgl. Zollfrank et al. 2014. 12 | Vgl. Speck/Speck 2009.
16 Einleitung
ein von der Plant Biomechanics Group der Universität Freiburg zu- Templaten mit anorganischen Verbindungen – von der Nano sammen mit dem Textilforschungsinstitut Denkendorf entwickeltes meter- bis zur Mikrometerskala. Dazu kommen neben Biopolyme- technisches Textil. Für den technischen Pflanzenhalm® wurden als ren wie Polysacchariden oder Proteinen auch Kolloide in pflanzliche Vorbilder das Pfahlrohr, der Schachtelhalm und der Betracht.17 In diesem Zusammenhang werden verstärkt Nano Bambus verwendet. Die technische Übertragung basiert auf den strukturen wie zum Beispiel stäbchenförmige Viren zum kontrol- Prinzipien „Faseranordnung im Verbund“, „gradueller Struktur lierten Aufbau von Nanomaterialien eingesetzt.18 Ziel dabei ist größenübergang“ und „Leichtbau in Form von Sandwichstruktur“. eine effektive, bioinspirierte Fertigung von hierarchisch aufge- Ähnlich wie armierter Stahlbeton – übrigens auch ein bionisches bauten, faserverstärkten Verbundwerkstoffen sowie robusten, Material und 1867 von Joseph Monier zum Patent angemeldet – miniaturisierten technischen Anwendungen in Geräten. Die zeichnet sich der technische Pflanzenhalm® durch hohe Festigkeit wesentlichen Herausforderungen bei der Synthese der infrage und Steifigkeit sowie hohe dynamischeBelastbarkeit bei enormer kommenden mineralisierten Nanostrukturen liegen in der Selek- Schwingungsdämpfung aus.13 tivität und der Einstellbarkeit der anorganischen Materialien, die auf den biologischen Templaten abgelagert werden. Dabei sind Biotemplating und Biomineralisation Dicke und Oberflächenprofil der resultierenden Beschichtung wichtig und eine Aggregation in unerwünschten supramolekula- Ein anderer Ansatz wird beim Biotemplating verfolgt. Unter ren erweiterten Strukturen zu vermeiden. Template wie der nano- Biotemplating werden die Verwendung von Biopolymerstrukturen tubuläre Tabakmosaikvirus (TMV) haben sich dafür besonders und deren Umwandlung in anorganische Funktions- und gut bewährt: Seine mehrfach geladene Proteinbeschichtung Strukturmaterialien verstanden.14 Mit gängigen Methoden ist kann durch eine hohe Oberflächendichtenkonjugation spezifisch der Aufbau von technischen Werkstoffen mit einer mit bestimmten Peptiden, Enzymen, Farb- und Wirkstoffen oder skalenubergreifenden Multifunktionalität sowie einer komple- anorganischen Komponenten funktionalisiert werden. Dadurch xen Struktur nur schwierig zu verwirklichen. Ein genereller ergeben sich zahlreiche Vorteile für eine Reihe von technischen Lösungsansatz zur Herstellung komplexer, hierarchisch struktu- Anwendungen – von biomedizinischen Bildgebungsverfahren rierter Materialien ist die lokal abgegrenzte Ablagerung von fes- und therapeutischen Ansätzen über Batterien mit großen Ober- ten, dauerhaften anorganischen Materialien an vordefinierten flächen bis hin zu Biosensoren.19 biologischen Architekturen.15 Auf diese Weise können beispielsweise biogene (Polymer-)Strukturen erzeugt und ihre Neben dem Biotemplating können für sehr kleine Strukturen im Überführung in Kompositmaterialien für verschiedene techni- Nanometerbereich auch Moleküle für die Keimbildung und das sche oder biomedizinische Anwendungen vorgenommen kontrollierte Wachstum von Biomineralien eingesetzt werden; werden. Als Beispiel für Biotemplating sei die hierarchische man spricht dann von Molekültemplaten.20 Ein Vorbild für die Strukturierung poröser keramischer Werkstoffe und Komposite bioinspirierte Synthese von Halbleitern, Nanodrähten oder -parti- genannt. Die Strukturierung erfolgt durch Nanoabformung keln sind Radiolarien (einzellige Algen), deren Mikroskelette aus pflanzlicher Zellwände, Vorbild ist der Kiefernzapfen. Hier bleibt Siliziumdioxid bestehen und durch das Zusammenspiel von sogar die aktive direktionale Bewegung durch asymmetrische Lipidvesikeln und phosphat- und aminreichen Proteinen (Silaf Schichtung wie beim natürlichen Vorbild erhalten – wenn auch fine, langkettige Polyamine und Silacidine) gebildet werden. Für in deutlich geringerem Ausmaß.16 Eine bioinspirierte Heran die Herstellung von synthetischen Materialien werden daher be- gehensweise, die in den letzten Jahren zunehmend das Interesse stimmte Funktionspeptide eingesetzt, die selektiv an anorgani- der Materialwissenschaft geweckt hat, ist unter anderem die sche Materialien binden und damit sowohl die Keimbildung als Beschichtung von regelmäßig geformten, leicht zugänglichen auch das Mineralwachstum kontrollieren.
13 | Vgl. Speck et al. 2012. 14 | Vgl. Zollfrank 2014. 15 | Vgl. Zollfrank et al. 2014. 16 | Vgl. Van Opdenbosch et al. 2016. 17 | Vgl. Preiss et al. 2014. 18 | Vgl. Bittner et al. 2013. 19 | Vgl. Koch et al. 2016. 20 | Vgl. Nudelman/Sommerdijk 2012.
17 Interaktive und adaptive Materialien diese Prozesse, die in der Natur bei generell milden Reaktions bedingungen wie niedriger Temperatur (circa 25 Grad Celsius) Materialinteraktion mit einer sich verändernden Umgebung und atmosphärischem Druck (circa 1.010 Millibar) ablaufen.22 An- stellt einen weiteren aktuellen Forschungs- und Entwicklungs- ders ausgedrückt verläuft die Bildung größerer funktioneller Ein- zweig dar. Als interaktive Materialien bezeichnet man solche Ma- heiten – aus modularen Bausteinen entlang eines Energiegefälles terialien, die auf eine Umgebungsänderung (Reiz, Stimulus) mit von kleineren zu größeren Einheiten – in wässrigen Systemen „wie einer unspezifischen, nicht gerichteten Reaktion antworten – von selbst“.23 Durch die Ausnutzung dieser natürlich ablaufenden auch als passive interaktive Reaktion bezeichnet. Adaptive Mechanismen können neue Material- und Eigenschaftskombina Materialien dagegen reagieren mit einer intelligenten aktiven tionen und somit erweiterte technische Anwendungsfelder für Antwort, die auf die veränderte Situation abgestimmt ist; sie Funktionsmaterialien erschlossen werden. Allerdings beruhen werden deshalb auch oft als smarte Materialien bezeichnet. diese Self-Assembly-Prozesse im Wesentlichen darauf, dass die Pri- Interaktive und adaptive Materialien sind insbesondere solche, märstruktur der Biomakromoleküle die sich bildende übermoleku- die intrinsische Eigenschaften als Reaktion auf einen Reiz be lare Struktur festlegt; diese ist also bereits „einprogrammiert“. Für inhalten, darunter Selbstheilung, Selbstassemblierung, Selbst hochpräzise Strukturen bleiben Biomakromoleküle und die Her- replikation, Selbstreinigung oder Selbsterneuerung. Sie heißen stellung von Biopolymeren durch den Einsatz von Biotechnologie daher auch Selbst-X Materialien und weisen ein hohes Innova- unübertroffen. Die gewünschten molekularen Bausteine oder tions- und Anwendungspotenzial auf, zum Beispiel bei der „Rohstoffe“ können aber in den biotechnologischen Verfahren von Entwicklung selbstreparierender technischer Materialien nach Wirtsorganismen, wie Bakterien oder Hefezellen, im Fermenter dem Vorbild der Natur. So werden beispielsweise bionische hergestellt und danach zu Materialien prozessiert werden. Dabei Selbstreparaturkonzepte nach dem Vorbild wundversiegelnder ermöglicht die moderne Biotechnologie nicht nur die Synthese des pflanzlicher Latex- und Harzsysteme untersucht, um sie bei Poly- Wildtyps, sondern auch den Zugang zu abgewandelten Struktu- merwerkstoffen in schwingungsdämpfenden oder abdichtenden ren, in einzelnen Fällen auch mit nicht natürlichen Grundbau Systemen einzusetzen. Das Prinzip dabei ist die Freisetzung von steinen. Für die Materialwissenschaft besonders interessant sind zwei (oder mehr) chemischen Komponenten, die als Vorrat in unter anderem Proteine, da sie eine Vielfalt an biologischen Auf- Mikrokapseln oder -röhren im Material eingebettet sind, bei gaben übernehmen und beispielsweise hochfeste Fasern bilden Schädigungen (zum Beispiel Mikrorissen) lokal freigesetzt wer- können.24 Eine sehr interessante Proteinfaser ist die Seide von den und polymerisieren. Dadurch kann eine weitere Rissausbrei- Insekten und vor allem von Spinnen, die das Material in Kokons tung unterbunden und der Riss repariert werden.21 oder Netzen einsetzen. Dafür produzieren unter anderem Spinnen unterschiedliche Seidentypen mit spezifischen Funktionen, von de- Biotechnologische Verfahren nen die von der großen Ampullendrüse (Major Ampullate, MA) gebildete Seide des Abseilfadens außerordentliche mechanische Auch für die Entwicklung neuer Materialien gewinnt die moderne Eigenschaften aufweist. Deren Zähigkeit – eine Kombination aus Biotechnologie schnell an Bedeutung. Im Zentrum der Material- Zugfestigkeit und Dehnung – ist größer als die von technischen forschung stehen dabei die Analyse und das Verständnis der Ei- High-Performance-Materialien wie Kevlar oder Carbonfasern.25 genschaften sowie intra- und intermolekulare Wechselwirkungen der Grundbausteine natürlicher Materialien. Neben biopolymeren Weitere Technologiefelder Grundbausteinen wie Polysacchariden, Nukleinsäuren und Protei- nen sind auch anorganische Biomineralien von Relevanz, die zum In der vorliegenden acatech DISKUSSION werden auch techni- Beispiel in Verbundmaterialien wie Knochen, Zähnen oder Mu- sche Anwendungen betrachtet, die oben nicht erwähnt sind, schelschalen vorkommen. Ein wesentliches natürliches Prinzip bei wie zum Beispiel neue Konzepte in der Robotik (weiche und der Zusammenlagerung dieser modularen Bestandteile zu größe- elastische Aktuatoren, gekoppelte Systeme) und in der Füge- ren funktionellen Einheiten ist der Ablauf in Selbstorganisations- und Klebetechnik oder innovative Lösungsansätze bei der prozessen, zu denen auch die Selbstassemblierung zählt. Hilfs- Erzeugung, Speicherung und Einsparung von Energie. Zu strukturen und intermolekulare Wechselwirkungen unterstützen Letzteren zählen die Erforschung und Entwicklung der als
21 | Vgl. Speck et al. 2013. 22 | Vgl. Volkmer 1999. 23 | Vgl. Speck et al. 2012. 24 | Vgl. Römer/Scheibel 2007. 25 | Vgl. Grunwald et al. 2009.
18 Einleitung
„Grätzelzellen“ bekannten Farbstoff-Solarzellen oder der nachhaltiger Technik zu leisten. Dieses „bionische Versprechen“ künstlichen Photosynthese. Obwohl entweder – wie im Falle der trifft jedoch nicht zwangsläufig und per se für bioinspirierte künstlichen Photosynthese – die Entwicklung noch am Anfang Innovationen zu.26 Es gilt aber insbesondere dann, wenn sie öko- steht oder der Wirkungsgrad noch nicht konkurrenzfähig ist, nomisch sinnvolle, ökologisch schonende Alternativen zu erdöl- wird bioinspirierten Materialien allgemein ein großes Potenzial basierten Systemen sowie klassischen Materialien und deren zugeschrieben, einen wichtigen Beitrag bei der Entwicklung von (oft energieintensiven) Herstellungsverfahren liefern können.
26 | Vgl. Speck et al. 2012.
19 Voraussetzung für zukünftige Entwicklungen ist somit eine 2 Chemische Synthese schnelle Weiterentwicklung unserer Fähigkeiten für die Synthese immer komplexerer Strukturen. Dafür ist es notwendig, den Be- griff der Synthese wesentlich weiter zu fassen, als darunter „nur“ Prof. Dr. Martin Möller die Herstellung der chemischen Bindungen und Moleküle zu ver- Leibniz-Institut für Interaktive Materialien, Aachen stehen. Zunehmend ist im Rahmen der Synthese auch zu berück- sichtigen, dass Struktur und Eigenschaftsbildung über alle Charakteristisch für Materialien der belebten Natur ist ihr kom- Längenskalen hinweg beherrscht werden müssen: Das beinhaltet plexer Aufbau. So stellt auch hier die strukturelle und die gesamte Kette vom Atom zum Molekül, vom Molekül zu funktionale Verschiedenartigkeit der Natur die grundlegende nanoskopischen Bausteinen bis hin zu deren Verbindung auf der Herausforderung für eine von der Biologie inspirierte Material- Mikrometerskala und zu den makroskopischen Strukturelementen wissenschaft dar. Die strukturelle Vielfalt biologischer Materia- des Bauteils. Heute unterscheidet man für den Weg vom Mole- lien und der damit verbundene Informationsgehalt der Material kül zum Bauteil sehr klar einzelne Entwicklungsstufen, indem es konfigurationen weisen den Weg für den Übergang vom für jede Längenskala Fachleute gibt, die ihre Methoden und ihr einheitlich zusammengesetzten Material zu funktionsbestimm- Spezialwissen in eigenen Disziplinen entwickeln, um sie dann ten Systemen. Dabei beginnen wir gerade erst, von der Natur zu über die Weitergabe ihrer Produkte miteinander zu verbinden. lernen, wie neue Eigenschaften über die Synthese komplexer Im Gegensatz dazu verfügt die Natur mit ihren Wachstums Materialstrukturen ermöglicht werden können. Hier ist die Na- prozessen über eine vollständig integrierte Synthesetechnologie, tur ein unübertroffenes Vorbild und stellt uns gleichzeitig vor die es erlaubt, aus vergleichsweise wenigen Grundbausteinen die „synthetische“ Herausforderung, welche funktionalen Eigen- komplexe hierarchische Strukturen mit besonderen und aktiven schaften wir in die Struktur eines Materials einprogrammieren Eigenschaften aufzubauen. können.
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