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melden!“ verhallte ergebnislos. Es meldete sich natürlich niemand. Damals sprach man „über so etwas“ noch nicht öffentlich-schon gar nicht im Radio. Daraufhin bestimmte der Direktor zwei Schüler der Klasse, die bereits durch ihre Mitarbeit bei der Schüler- zeitung erste journalistische Erfahrungen gesammelt hatten. Für die Schule sei es eine „Ehre“. Einer, der sie verteidigen sollte, war Axel Buchholz. Ziemlich aufgeregt mach- ten sie sich auf den Weg zum SFB, der sich damals noch am Heidelberger Platz befand. Erst nach dem Abzug der Russen zog der Sender 1957 in das „Haus des Rundfunks“ in die Masurenallee um. Zu ihrer großen Überraschung erfuhren sie dann in der Ju- gendfunkredaktion, dass das Thema des Beitrags ein ganz anderes sei, nämlich das Verhältnis von Schulsport und Leistungs- sport. Das war aus Sicht der beiden „Dienst- verpflichteten“ auch nicht viel besser, da sie beide alles andere als Sportskanonen und in Axel Buchholz – ehemaliger SR-Chef und beiden Themenfeldern wenig beschlagen waren. Die Einstiegssendung verlief dann Wellenchef (SR 1 / Europawelle Saar) dennoch nicht einmal schlecht, so dass jeder Das kleine Saarland, mit 2570 Quadrat- Land nicht immer erst durch die „Zone“ fah- eine Gage von 20 DM bekam. Jedenfalls kilometern nach den Stadtstaaten der Flä- ren musste. durften beide fortan in verschiedenen SFB- che nach das kleinste Bundesland der Bun- Jugendfunksendungen mitwirken – aber nur desrepublik, war im Äther in der zweiten Das Saarland war erst kurz zuvor, im Buchholz wurde mit dem Radiobazillus an- gesteckt. Zuerst befragte er in Gesprächs- Hälfte der 1960er bis in die 1970er und Jahr 1957, zur Bundesrepublik hinzuge- runden mit anderen Jugendlichen interes- 1980er ganz groß. SR 1 wurde als „Europa- kommen – und für ihn nur eine von drei Op- sante Gäste – sozusagen stellvertretend für welle Saar“ konzipiert, ausgestattet mit ei- tionen. Den Ausschlag gab, dass er schon die Zielgruppe. Dann kamen kleine eigene ner später bis zu 1200kW leistungsstarken eine Zusage hatte, beim Saarländischen Rundfunk mitarbeiten zu können. Buchholz Beiträge zu Themen aus dem Jugendleben Mittelwelle vom Standort Heusweiler. Vor hinzu. allem nach Osten breitete sich das Signal machte alle Scheine (Leistungsnachweise), hörte aber mit dem Studium auf, als die Ex- aus, so dass der Sender weit über das Saar- Später durfte er die monatliche Jugend- amensvorbereitung und das Erste Staatsexa- land hinaus vielen ein Begriff war und das sendung „Hobbies, Hot und heiße Sachen“ men anstanden – und er dem Journalismus jeweilige Programm in den Programmzeit- als erster überhaupt moderieren und inter- schon mit Haut und Haaren verfallen war. schriften überregional ausgedruckt wurde. viewen. Einmal im Monat wurden zu einer Axel Buchholz (80) prägte das Programm in „Studioparty“ junge Leute in den kleinen Axel Buchholz hat keine klassische jour- jener Zeit mit, brachte es vom sogenannten SFB-Sendesaal eingeladen. Zwischen Inter- nalistische Ausbildung absolviert: „Das war Festen Freien bis hin zum Chefredakteur, views mit verschiedenen Gästen gab es an- damals noch nicht die Regel“, merkt Buch- Wellenchef der Europawelle Saar und stell- gesagte Live-Musik zum Mittanzen. „Die holz hierzu an. „Journalismus lernte ich, wie vertretenden Programmdirektor Hörfunk Mitarbeit beim SFB bedeutete damals ein viele andere auch, learning by doing.“ des SR. Unser Mitarbeiter Hendrik Leuker Stück weite Welt in meinem Schüler- und Schon ab 1955, als Teenager, schrieb er für traf Buchholz im Funkhaus des SR auf dem später Studentendasein“, fügt Buchholz hin- den „Herderboten“ des Herdergymnasiums Halberg oberhalb von Saarbrücken gelegen zu. Nach seinem Wechsel ins Saarland ar- in Berlin-Westend, den er mitgegründet hat- und bat ihn zum Interview. beitete er dann eine Weile parallel noch in te. Deutsch und Geschichte waren damals Berlin und in Saarbrücken beim Jugendfunk seine Lieblingsfächer. Bald darauf arbeitete weiter. Auch für das „Spandauer Volks- Vom Berliner Kind er außerdem an den Jugendseiten der Berli- blatt“ schrieb er von Saarbrücken aus wei- zum Wellenchef der ner Zeitungen „Telegraf“ und „Spandauer ter. Dass Buchholz keine journalistische Volksblatt“ (dort anschließend auch im Lo- Europawelle Saar Ausbildung verfolgte, sondern damals ein kalen) mit. Zu seinen ersten Worten in ein angehender Jurist war, störte beim SR nie- Radiomikrofon wurde er schließlich von manden. Bald bekam er im Jugendfunk ei- Nach dem Abitur in seiner Heimat Berlin seinem Schuldirektor Dr. Georg Krause zu- gene Sendungen und wurde zusätzlich re- im Jahr 1958 studierte er zehn Semester Jura sammen mit einem Mitschüler „verdon- gelmäßiger Zeitfunkreporter. „Juristen wie an der Freien Universität Berlin und an der nert“. Er verpflichtete ihn, an einer Sendung Journalisten sollten sich beide durch klares Universität des Saarlandes in Saarbrücken des damals neuen, erst im Jahr 1954 gegrün- Denken und strukturiertes Fragen auszeich- und wechselte anschließend in den Journa- deten Sender Freies Berlin (SFB) teilzuneh- nen“, merkt Buchholz an. „Das eine oder lismus. Buchholz hatte ursprünglich nur men. Eines Tages kam der Schuldirektor in andere Mal haben mir später als Journalist vor, im Jahr 1960 für ein Jahr seine Heimat, die 10. Klasse und teilte mit, dass der SFB im Bereich Politik und Zeitgeschehen auch die auch „Frontstadt des Kalten Krieges“ zwei Schüler für einen Beitrag zum Thema meine erworbenen Kenntnisse im Staats- genannt wurde, zu verlassen und auch mal „Sexuelle Probleme in der Jugend“ suchen und Verwaltungsrecht sowie im Strafrecht dort zu leben, wo man für einen Trip aufs würde. Sein anschließendes „Bitte bei mir geholfen.“

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Seine Sendungen

Zehn Jahre lang (von 1960 bis 1970) ar- beitete Buchholz insgesamt als ständiger freier Mitarbeiter, im SR-Hörfunk und Fern- sehen. Im Jugendfunk waren Heinrich Kalb- fuß und danach Dr. Heinz Garber seine Ab- teilungsleiter. Im Zeitfunk war es Dr. Heinz Dützmann, dessen besonderes Hobby es war, sich im Wald und Feld zusammen mit einem Techniker auf die Lauer zu legen, um zur Begeisterung seiner Hörerinnen und Hörer Gesang und Gezwitscher selbst ganz seltener Vögel aufzunehmen. Buchholz wurde zuerst als Reporter eingesetzt, dann auch zunehmend als Moderator, schließlich auch als redaktioneller Gestalter „eigener“ Sendungen.

Ab 1970 war Buchholz dann beim SR fest angestellt und kletterte über die Jahre Funkhaus des Saarländischen Rundfunks auf dem Halberg in Saarbrücken. Foto: SR. die Karriereleiter hinauf: Vom leitenden Redakteur des aktuellen Abendmagazins sich um das erste aktuelle Radiomagazin in tag“ (Reise- und Autothemen, Leitung Otto „Zwischen heute und morgen“ zum Abtei- der Bundesrepublik mit Berichten aus Poli- Deppe) magaziniert. lungsleiter, vom stellvertretenden Hauptab- tik, Wirtschaft und Zeitgeschehen. Es galt teilungsleiter zum Leiter der Redaktions- damals von der Machart her als revolutio- Im „Journal am Vormittag“, das von gruppe Zeitgeschehen und schließlich als när, wenn Politiker (meist live) und (in 1980 bis 1991 ausgestrahlt wurde, gab es Leiter der Hauptabteilung Politik und Zeit- Saarbrücken überwiegend) am Telefon zu mit der Rubrik „Wortgefecht“ um 8:45 Uhr geschehen zum Chefredakteur. Für sieben den tagesaktuellen Themen interviewt wur- (Live-Hörermeinungen per Telefon) das Jahre wurde Buchholz zusätzlich erst Koor- den. Bis dahin wurde Politik in Korrespon- erste tagesaktuelle Phone-In im deutschen dinator dann in den 1990er Jahren Wellen- dentenberichten und Kommentaren und nur Radio. Um 9:15 Uhr nahm zu diesem chef der Europawelle Saar. Zum Karrie- gelegentlich in meist aufgezeichneten Inter- „Wortgefecht“ ein Experte Stellung („Ex- reende hin wurde er schließlich noch zum views vermittelt. Die Magazine machten die perte zum Wortgefecht“). Häufig waren stellvertretenden Programmdirektor Hör- Berichterstattung aus Politik- und Zeitge- dies Wissenschaftler zum jeweiligen The- funk befördert. Im Jahr 2002 ging er in den schehen nun wesentlich authentischer und menbereich. Es ging in dieser Art „dialogi- Ruhestand. interessanter. Die Live-Befragung der Poli- schen Rundfunks“, die zur „damals norma- tiker und sonstigen Protagonisten, die The- len Einbahnkommunikation hin zum Hörer noch den Rückkanal vom Hörer ins Pro- Buchholz hat zahlreiche Sendungen auf menvielfalt und die Präsentation durch ei- gramm hinzufügte“ (Buchholz), oft heftig der Europawelle moderiert, manche über nen Moderator oder eine Moderatorin sorg- zur Sache. Deshalb handelte sich Buchholz viele Jahre hinweg: Zu nennen wären seine ten dafür. Anfänge in den 1960er Jahren beim Jugend- mit dieser Rubrik neben dem Erfolg bei den Hörern auch manchen internen (und exter- funk in der Sendung „Junge Leute – heute“. „Zwischen heute und morgen“ wurde nen) Ärger ein. Interaktion mit den Hörern wurde darin seit Herbst 1964 ausgestrahlt und ab 1965 groß geschrieben – obwohl es noch in der von Buchholz moderiert, nachdem der erste internetlosen Zeit war: „Ich erinnere mich Nach diesen „großflächigen“ Magazinen Moderator und Redakteur, Helmut Prinz, an die Rubrik ‘Hörer fragen – Prominente verdichtete die Europawelle 1992 ihre aktu- den SR verließ und zum WDR wechselte antworten’, in der junge Hörer Fragen an ei- elle Berichterstattung aus Politik, Wirt- („WDR 2-Mittagsmagazin“). Im deutschen nen Prominenten stellen konnten, ‘Funkdis- schaft, Kultur und Zeitgeschehen tagsüber Sprachraum wurde dieser Sendungstyp vom kussion per Telefon’ (Call-Ins) und ‘Mr. wieder in drei einstündigen Sendungen. Unbekannt lässt raten’, worin z.B. ein fikti- RIAS Berlin eingeführt, wo zuvor Helmut Diese kompakten „Infozeiten“ mit einem ver (zu erratender) Johann Wolfgang von Prinz als Mann der ersten Stunde mit einem für Begleitprogramme sehr hohen Wortan- Goethe zu seinem Kutscher sprach. Es war Morgenmagazin ( „Was gibt’s Neues?“, teil gab es morgens, mittags und am frühen ein Versuch, jungen Leuten klassische Bil- ausgestrahlt von RIAS Berlin ab 15. Oktober Abend. Inhaltliche Ausrichtung wie auch dung in einer zeitgemäßen Form zu vermit- 1961 von 5 bis 7.30 Uhr) großes Hörerinter- Sendezeit und Sendedauer des Abendmaga- teln“, führt Buchholz zu dieser Sendereihe esse gefunden hatte. zins änderte sich über all die Jahre mehr- aus. „Der Bildungsauftrag des Radios war fach. Zuerst wurde die aktuelle Berichter- damals noch ein vorrangiges Programm- Nach und nach wurde die Magazinform stattung aus Politik, Wirtschaft und Zeitge- ziel“. von immer mehr Sendern übernommen. schehen an zwei Wochentagen durch Maga- Bald gab es Magazine zu allen Tageszeiten. zine mit kulturellem Schwerpunkt ergänzt. An den Jugendfunk schlossen sich für Der SR führte zusätzlich bald ein Mittags- Es waren im deutschen Radio die ersten ak- Buchholz die Informationsmagazine als magazin ein, für das Buchholz ebenfalls tuellen Kulturmagazine in einem musikbe- Hauptarbeitsfeld an. Er wurde ein Mann der verantwortlich wurde. Ab 1980 wurden tonten Begleitprogramm. Danach wurde die aktuellen Information. Beim aktuellen weite Teile des Tagesprogramms mit dem aktuelle Kultur in alle Abendmagazine als Abendmagazin „Zwischen heute und mor- „Journal am Vormittag“ (Aktuelles, Leitung weiterer Themenbereich integriert. Darauf gen“ ab Mitte der 1960er Jahre handelte es Buchholz) und dem „Journal am Nachmit- wurde eine Stunde lang ein Schwerpunkt-

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sem frühen Morgen noch das Pech hinzu. In der Redaktion ging eine Praktikantin ans Telefon. Jugendlich forsch und schonungs- los ehrlich antwortete sie auf die Frage aus Bonn: „Herrn Buchholz können Sie jetzt nicht sprechen, der ist im Studio und be- schneidet Ihren Chef.“ Die Reaktion aus der damaligen provisorischen Bundeshaupt- stadt muss heftig gewesen sein. In ziemli- cher Panik erschien die Praktikantin im Stu- dio und vermeldete, Buchholz solle sofort die Pressestelle anrufen. Das Interview dür- fe nicht gekürzt werden. Buchholz bat sie dann, nach Bonn zu übermitteln, dass das leider nicht mehr ginge, da er gleich im Sen- destudio am Mikrofon sitzen müsse. Nach der Sendung (mit dem gekürzten Genscher- Interview) konnte er sich den Rückruf dann ersparen. Wenige Minuten nach Sendungs- schluss meldete sich der Leiter der Presse- stelle persönlich. Er ließ seinem Zorn in ei- nem verbalen Donnerwetter freien Lauf und endete mit dem Diktum: „Einen Außenmi- Gebäude des Saarländischen Rundfunks auf dem Halberg. Foto: Hendrik Leuker. nister kürzt man nicht!“ Politikerinterviews waren damals bei der Europawelle am Mor- thema des Tages behandelt. Schließlich kam ßen Anhängsel eines großen Nachbarn wer- gen genauso ein integraler Bestandteil wie ganz das Aus für das Abendmagazin. Durch den wollen (SWF, nunmehr SWR, in dem in etwa beim Deutschlandfunk. Da wog es das zunehmend dominierende Fernseh- Bezug zum SR gar vom ‘Appendix 57’ ge- schwer, dass die Europawelle für gut ein abendprogramm gab es in der abendlichen sprochen wurde). Dreivierteljahr kein Interview mehr mit Sendezeit im Verhältnis zu den hohen Kos- Genscher bekam. Dann war der Zorn ver- ten nicht mehr genügend Radiohörer. Radio-Erlebnisse und raucht und der Außenminister wieder für In- Außer den regelmäßigen, strahlte die Eu- Anfrage aus Luxemburg terviews zu haben. Ob sie „beschnitten“ ropawelle immer wieder Spezialmagazine würden, fragte niemand mehr. Sie wurden – aus. Den aktuellen Anlass dafür lieferten Radio hält für einen Journalisten so man- wie alle anderen (vorher aufgezeichneten) z.B. wichtige Wahlen ebenso wie interna- ches einprägsames Erlebnis bereit: Mitte bei Bedarf auch. tionale Sportereignisse oder auch sonstige der 1970er Jahre zeichnete Buchholz vor herausragende Ereignisse wie die amerika- Sendungsbeginn für die „Infozeit am Mor- Als nächstes fällt Buchholz ein Erlebnis nische Mondlandung. Buchholz war in aller gen“ (8 bis 9 Uhr) ein Interview mit dem da- mit positiven Langzeitfolgen ein. Die Euro- maligen Außenminister Hans-Dietrich Gen- Regel nicht nur redaktionell dafür verant- pawelle bekam überraschend Besuch – von scher (FDP) auf. Für alle Beiträge gab es die wortlich, sondern auch meist einer der Mo- einer Stammhörerin aus der DDR. Das kam Vorgabe, sie möglichst kurz zu halten. Da- deratoren. Sein Credo blieb bis zum Schluss nicht alle Tage vor. Annelie von Dossow mals hieß das noch etwa 4:30 Minuten – was seiner Amtszeit: Als Chefredakteur sollte war von der Ostsee-Insel Hiddensee ange- heute kaum noch denkbar ist. Beim dadurch man auch am Mikrofon den Kontakt zum reist. Ende der 1970er durfte sie als Früh- manchmal erforderlichen Kürzen galt natür- Hörer haben. „Als Begleitprogramm mit in- rentnerin in den Westen. Und wollte dabei lich das eiserne Prinzip, den Inhalt nicht zu novativen Wortformaten, einem attraktiven bei der Europawelle Saar, ihrem Lieblings- verfälschen. Genscher holte an diesem Mor- sender, endlich einmal persönlich Danke- Musikprogramm und populären Moderato- gen besonders weit aus und leitete sein Sta- rinnen und Moderatoren war die Europa- schön sagen. „Dabei kam es zu einem ‘ille- tement mit der bei ihm beliebten und von In- galen Grenzübertritt’ ins benachbarte Loth- welle Saar Vorreiter einer Revolution in der terviewern gefürchteten Floskel ein: „Bevor ringen (Frankreich)“, erinnert sich Buch- Radiolandschaft. Dadurch hat die Europa- ich Ihre Fragen beantworte, lassen Sie mich holz schmunzelnd. Und das hatte folgenden welle Saar wesentlich zur Entwicklung des bitte noch kurz Folgendes sagen...“. Kurz Hintergrund: Der im früheren Saargebiet populären Begleitradios beigetragen“, ist wurde es dann allerdings nie. Auch an die- (bis 1935) gebürtigen DDR-Bürgerin war Buchholz überzeugt. Wie sehr das der Fall sem Morgen hatte Buchholz also einiges zu sein würde, hätten die Europawellen-Ma- schneiden. als Frührentnerin von der DDR die Ausreise cher damals nicht geahnt. mit Visum in die BRD gestattet worden. Zwischen Interview und Beginn der Trotzdem gingen die DDR-Grenzpolizisten Für den Saarländischen Rundfunk habe Live-Sendung versuchte die Pressestelle mürrisch mit ihr um – wie sie das meist ta- das neue innovative Konzept der Europa- des Außenministeriums, Buchholz zu kon- ten. In Saarbrücken ließen es sich die Mode- welle Saar auch für überlebenswichtige zu- taktieren. Wahrscheinlich wollte der Mitar- ratoren vom Abendmagazin „Zwischen sätzliche Werbeeinnahmen gesorgt. „Der beiter nur wissen, um welches Thema genau heute und morgen“ nicht nehmen, ihrem be- erste Intendant des SR, Dr. Franz Mai, hatte es denn gegangen sei. Buchholz hatte das sonderen Gast aus der DDR die Studios zu so eine bessere Chance, die Eigenständig- Interview am späteren Vorabend direkt mit zeigen. Sie konnte Live-Sendungen miterle- keit des SR gegenüber allen Begehrlichkei- Genscher über dessen privaten Telefonan- ben, ihre Lieblingsmoderatoren kennenler- ten zu verteidigen“, sagt er. Der zweit- schluss verabredet – was die Pressestelle nen und sich ihre vielen Fragen beantworten kleinste Sender der ARD habe nie zum blo- ohnehin nicht so gern sah. Nun kam an die- lassen.

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Für abends kam man noch auf die Idee, mit „Tante Annelie“ (Senderjargon) nach Lothringen in ein Restaurant zu fahren – wie das damals im Saarland weit verbreitet war. Erst im Auto merkten sie: Annelie fühlte sich dabei nicht wohl. Sie hatte ja nur ein Visum für die Bundesrepublik – keins für Frankreich. Und Grenzen hielt sie als DDR- Bürgerin – zumal ohne Visum – für etwas Unüberwindbares. Dennoch war sie ins Auto gestiegen, weil ein Restaurantbesuch in Frankreich sie natürlich reizte. Und nun tat sie sich schwer zu glauben, dass das an dieser Grenze alles längst kein Problem mehr sei. Elke Herrmann, die spätere Mode- ratorin der „Tagesthemen“, saß am Steuer und mit dabei waren auch Moderator Hans- Harro Schmidt (später SR-Hörfunkdirektor) sowie Axel Buchholz. Die deutschen Grenzpolizisten winkten ihren Wagen pro- blemlos einfach durch. Überraschung und erstes Aufatmen bei Annelie. Der französi- sche Grenzpolizist hielt die unternehmungs- Axel Buchholz bei einem Vortrag anlässlich eines Besuchs von FM Kompakt lustige Gruppe kurz an: „Ah, Frau Herr- beim Saarländischen Rundfunk 2019. Foto: Michael Schmitz. mann vom SR. Ach so, zum Essen nach Frankreich. Bon appétit!“ Zweites Aufat- jetunion von einmarschierenden Truppen womöglich eine Rührungs-Sendepause ge- men und großes Erstaunen von Annelie. des Warschauer Paktes gewaltsam nieder- geben. Jetzt waren sie schon in Frankreich! So ein- geschlagen worden waren, bedeutete das für fach war das gewesen. Zuhause in der DDR 4erný auch Berufsverbot und zwangswei- Das Telefon als Kommunikationsmittel würde man ihr das nicht glauben – wenn sie ses Ende seiner Arbeit als Journalist beim direkt aus dem und ins Studio sorgte im denn hätte wagen können, es dort zu erzäh- Prager Rundfunk. Er musste fortan sein Laufe der Jahre auch für so manche lustige len. Die nächste Herausforderung für Anne- Geld als Dolmetscher und Deutschlehrer oder ernste Situation. Ende der 1970er Jahre lie kam dann mit den ersten Froschschen- verdienen. – wann genau, weiß Buchholz nicht mehr – keln ihres Lebens! In einem französischen bekam er während der Moderation eines Restaurant. Nach der „samtenen Revolution“ war „Mittagmagazins“ einen Anruf von „Euro- dann schließlich ab 1990 auch Tschechien pawellen-Konkurrent“ Frank Elstner, sei- Der Kontakt zu Annelie wurde von eine Demokratie. 4erný trat in den Diplo- nerzeit Programmdirektor von Radio Lu- Buchholz durch Gegenbesuche auf der Ost- matischen Dienst seines Landes ein und xemburg. Elstner machte ihm dabei kurzer- seeinsel Hiddensee gepflegt – zuerst zu wurde Gesandter und Leiter der Außenstelle hand das Angebot, doch zu Radio Luxem- DDR-Zeiten, dann im wiedervereinigten der Botschaft seines Landes in Berlin, an- burg zu wechseln. Er sei schließlich einer Deutschland. „Tante Annelie“ starb 2014. schließend der Botschafter. In Saarbrücken der bekannten Stimmen des SR. Eine solche Nicht lange zuvor hatte sie Buchholz noch trafen schon früh über einen Berliner Jour- wollte Buchholz auch bleiben: „Ich gebe zu, auf einer Ostsee-Fahrradtour besucht. Es nalisten seine Grüße an Buchholz und die dass ich mich geschmeichelt fühlte, aber zu dauerte nicht lange, bis die damals über 90- ehemaligen Kollegen der Europawelle ein. RTL wollte ich nicht. Dort waren für einen Jährige auf das Schneckenessen in Lothrin- Sie hatten ihm in kritischen Wochen freie Info-Freak wie mich viel zu wenige Infor- gen zu sprechen kam. Berichterstattung über die Grenzen hinweg mationen im Programm. Und ein ‘Unterhal- ermöglicht – auch für viele Europawellen- ter’ bin nun mal nicht“, sagt er zu seinem da- Mit dem Ende des Prager Frühlings (der Hörer in der damaligen DDR. Er hatte das mals ebenso prompten ‘danke, nein’". An- Phase der ideologischen Lockerung in der nicht vergessen. „Wir natürlich auch nicht“, zumerken ist an dieser Stelle, dass Ende der damals kommunistischen Tschechoslowa- fügt Buchholz hinzu. 1970er Jahre bei Radio Luxemburg über die kei) im Jahr 1968 und der Landung der ers- stündlichen Nachrichten hinaus eine Infor- ten Astronauten auf dem Mond am 20. Juli Als die ersten Astronauten der amerika- mationsoffensive in Richtung Infotainment 1969 verbindet Buchholz weitere besondere nischen Apollo 11-Mission auf dem Mond anlief und man sich dabei personell bei den Erinnerungen. landen wollten, gab es dazu eine stunden- auf diesem Feld stärkeren öffentlich-rechtli- lange Sondersendung der Europawelle chen Rundfunkanstalten bediente. Im Ge- „Während der dramatischen Wochen des Saar. Axel Buchholz und Elke Herrmann gensatz zu Buchholz sagten dem privaten Prager Frühlings berichteten für unsere ak- moderierten zusammen. Heinz Kaminski, Sender seinerzeit andere Kollegen für eine tuellen Magazine auch Kollegen des Deut- der Leiter der Sternwarte Bochum, war als Infotainmentsendung namens „Radio-Te- schen Dienstes von Radio Prag, vor allem Experte ebenfalls mit im Studio. „Als lex“ (werktags, 17 bis 19 Uhr) und dreimal Franti5ek 4erný,“ erzählt Buchholz. Er schließlich der erste Mensch die Mondober- tägliche 10-minütige Journale um 7:30, stand den Reformbestrebungen der dort fläche betreten hatte, war Elke dann so ge- 12:30 und 17:30 Uhr (Montag bis Freitag) herrschenden Kommunistischen Partei un- rührt, dass sie Tränen in den Augen hatte und für die Chefredaktion Hörfunk zu. Das ter Alexander Dub5ek positiv gegenüber. und nichts mehr sagen konnte“, erinnert waren Carlheinz Hollmann (vom NDR –ei- Als am 21. August 1968 dann aber die Be- sich Buchholz. „Damit hat sie mich dann ner der ersten Moderatoren der „Aktuellen mühungen um einen „Sozialismus mit angesteckt“. Zum Glück sprang Heinz Ka- Schaubude“) und Reinhard Münchenhagen menschlichem Antlitz“ auf Druck der Sow- minski daraufhin direkt ein. Sonst hätte es (vom WDR – „Je später der Abend“).

Radio-Kurier – weltweit hören® 9/2020 21 Radio-Köpfe

Auf die Beschränkung zeichnung zuerst die Form eines Steins, der Werbung nur auf dann sah er aus wie eine Göttin in Frauenge- festgelegte Werbe- stalt. funk-Blockzeiten soll- te verzichtet werden. Im Jahr 1978 wurde die Verleihung erst- Und das bei starker mals live auf der Europawelle Saar übertra- Erweiterung des Emp- gen, ab 1981 zeitversetzt zur Fernsehaus- fangsgebietes durch strahlung in der ARD. Im Laufe der Zeit Erhöhung der Sende- durften sich u.a. folgende Preisträger über leistung. Der Streit die „Goldene Europa“ freuen: Peter Weck, wurde mit einem Peter Ustinov, die Scorpions, Simply Red, Kompromiss beige- Thomas Gottschalk, Johnny Logan, Mont- legt. Unser damaliger serrat Caballé, die , Alphaville, Intendant, Dr. Franz Chris de Burgh, Tina Turner, , A- Mai, hat dafür Kon- ha, Shakira, Pur, Andrea Bocelli, Genesis, zessionen gemacht, Manfred Krug, Bryan Ferry, Udo Linden- Dieter Thomas Heck und Rainer Oettinger (ganz rechts) beim z.B. was die Sendezeit berg, Shirley Bassey und die Prinzen. Erst Saarländischen Rundfunk (1974). Foto: SR. für Spotwerbungen reichten Newcomer, die man ehren wollte, anging.“ nicht mehr aus, es mussten Stars her, dann Exkurs: SR 1 Europawelle gab es auf einmal zu wenige Stars. Im Jahr Die bekanntesten Sendungen und die be- 2003 fand die letztmalige Verleihung der Saar – Europa im Radio liebtesten Moderatoren und Moderatorin- „Goldenen Europa“ am Rand des „Festivals nen waren bei der Unterhaltung anfangs u.a. des Deutschen Schlagers“ in statt. Axel Buchholz wirkte Mitte der 1960er „Hallo Twen!“ mit Manfred Sexauer, Die Zuschauerzahlen waren immer mehr Jahre bis Ende der 1990er Jahre maßgeblich „Chansons de Paris“ mit Pierre Séguy, und gesunken und im Verhältnis dazu die Kos- an SR 1 –Europawelle Saar mit und trug die „Deutsche Schlagerparade“ mit Dieter ten durch den großen Aufwand für die Show zum Erfolg seiner Station bei. SR 1, das ers- Thomas Heck. Bei der Information waren es zu sehr gestiegen. Die Unterhaltung war al- te Hörfunkprogramm der ARD aus Saarbrü- u.a.: die Büchersendung „Fragen an den Au- lerdings nie das Metier von Buchholz, nicht cken, hieß nacheinander Europawelle Saar, tor“ (sonntags von 11 bis 12 Uhr) mit Hein- seine Sache, auch wenn er hin und wieder dann SR 1 – Europawelle Saar, heute nur rich Kalbfuss, „Zwischen heute und mor- als Reporter daran mitgewirkt hat. Der hohe noch kurz SR 1 (Zusatz: „Deine Eins“). Was gen“ (erst werktags von 22 bis 24 Uhr, dann Stellenwert der Musik und der Unterhaltung war das Besondere, der Haupteinschaltim- von 21 bis 23 Uhr) mit Axel Buchholz (spä- für den Erfolg des Programms war ihm im- puls dieses Senders? Buchholz: „Die Euro- ter auch u.a. mit Hans-Harro Schmidt, mer bewusst. pawelle Saar war das erste Radiobegleitpro- Hans-Dieter Metz und Elke Herrmann). Im gramm in Deutschland. Es kombinierte viel Bereich Service für Autofahrer und Urlau- Was waren die Hauptkonkurrenten von populäre Unterhaltungsmusik mit kurzer, ber: „Auf allen Straßen mit Musik unter- SR 1 – Europawelle Saar? Buchholz macht aktueller Information, brachte regelmäßig wegs“ mit Otto Deppe, Autotester Paul diese sowohl im Inland wie auch im benach- als erster deutscher Sender Popmusik und Güth, Jutta Eckler und Wolfgang barten Ausland aus: „Anfangs vor allem Ra- stündliche Nachrichten. Die Europawelle Dorn/Martin Arnhold. Die Verkehrsinfor- dio Luxemburg. Später wohl – aus deren war Vorreiter mit persönlicher und unkon- mation jederzeit im Programm haben bei Sicht – alle Programme, die im Empfangs- ventioneller Höreransprache. Intern haben Europawelle Saar ihren Ursprung. Aller- gebiet der Europawelle zu hören waren. Ich wir uns durch einen intensiven Teamgeist dings war der Sender nie ein reiner Autofah- denke vor allem an den SWF (heute: SWR) ausgezeichnet.“ Und in Abgrenzung zu be- rer-Sender wie zu ihrem Beginn etwa Bay- und an den hr. Später, in der zweiten Hälfte stehenden Konkurrenzprogrammen: „Wir ern 3 und hr 3. der 1990er Jahre, hatte der landesweite Pri- haben unsere Hörer lange Zeit gesiezt, viel vatsender Radio Salü im Saarland die Euro- später erst geduzt. Wir haben uns immer mit Von der Europawelle Saar ging auch der pawelle Saar zeitweise überholt.“ vollen Namen am Mikrofon gemeldet.“ Die erste deutsche Radio- und Fernseh-Musik- Europawelle war ein Vorreiterprogramm, preis aus, der von 1968 bis 2003 – mit Un- Europawelle Saar hieß der Sender zum das in der ARD zum Vorbild für einige po- terbrechungen wegen Sparmaßnahmen des einen wegen der großen Reichweite seines puläre Hörfunkprogramme „für die Vielen“ Senders – verliehen wurde: die „Goldene Mittelwellensenders und zum anderen we- wurde. Europa“! Nicht zuletzt als Antwort auf die gen der vielen Europabezüge im Programm seit 1959 verliehenen „Löwen“ von Radio des Senders im Saarland – dem „Herzen Eu- Sendestart von SR 1 – Europawelle Saar Luxemburg. Die ersten beiden Male wurde ropas“. Was den Europabezug des Saarlän- war am 2. Januar 1964. Der vom Grün- der Europapreis am Rand des Deutschen dischen Rundfunks anging, waren es weni- dungsintendanten des SR, Dr. Franz Mai, Filmballs verliehen – erst in der Rheingold- ger einzelne Sendungen, als die Gesamtaus- besonders hervorgehobene europäische Ge- halle in Mainz und dann in . Ab richtung des Programms. Das wird u.a. danke und die räumliche Nähe zum mit den dem dritten Mal wurden 1970 die Preisträ- deutlich an Moderatoren aus Frankreich und Sendeanlagen auch im Saarland ansässigen ger in der Heimat des Senders, in der Saar- Luxemburg, einer europäischen Hitparade, französischen Privatsender Europe 1 fanden landhalle in Saarbrücken, gewürdigt. Die der Sendung „Chanson de Paris“, englischer im Stationsnamen „Europawelle Saar“ih- „Goldene Europa“ ging aus der „Deutschen Popmusik mit einem Musikkorresponden- ren Niederschlag. Anfangs aber sollte der Schlagerparade“ von Dieter Thomas Heck ten in „Hallo Twen!“, an wochenlangen Ur- SR 1964 wegen der Europawelle sogar aus hervor, der deutsche Newcomer damit ehren laubersendungen aus Südfrankreich mit Da- der ARD fliegen. Buchholz bestätigt: „Diese wollte. Heck nahm im Jahr 1977 wegen der niel Mollard, an Elke Herrmanns beliebter Drohung stand in der Tat im Raum. Es ging Internationalisierung des Preises seinen Ab- Feriensendung „Urlaub mit Musik“ mit Ur- damals um die Einführung von Spotwer- schied von der „Goldenen Europa“. Zu Be- laubsgrüßen und Reisenotrufen aus ganz bung in weiten Teilen des Tagesprogramms. ginn „Europapreis“ genannt, hatte die Aus- Europa sowie auch Buchholz’ Koopera-

22 Radio-Kurier – weltweit hören® 9/2020 Radio-Köpfe tionsendung mit der RAI in Bozen. Daran beteiligten sich live auch deutschsprachige Hörer aus Norditalien. Es war das erste Mal, dass der Sender dort diese Möglichkeit an- bot. 1979, anlässlich der ersten Direktwah- len zum Europäischen Parlament, sorgte die Tour des „Europawanderers“ Hans-Jürgen Purkarthofer, der von Rom aus alle neun Länder, aus der die Europäische Gemein- schaft (EG) damals bestand, bewanderte, für europaweites Aufsehen. Das ging auf eine Idee von Buchholz zurück.

Das alles gehörte zur Programmphiloso- phie des Senders im europäischen Länder- dreieck Saarland–Lothringen–Luxemburg, entsprach aber auch der damaligen Ent- wicklung der Lebensgewohnheiten der Menschen. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre war eine Zeit des Umbruchs. Immer mehr Leute hatten genügend Geld und entdeckten damals das Reisen in andere europäische Länder. Blick in den Regieraum des SR Fernsehens. Foto: Hendrik Leuker.

Und die Europawelle Saar hatte immer DDR der Fall. Dort hatten wir auch sehr vie- um gut. In den Massenprogrammen vor al- mehr Hörer: 1969 waren das 1,29 Mio. Hö- le und treue Hörer.“ lem mit Unterhaltung. Zumindest zeitweise rer pro Tag und 1976 dann 1,92 Mio. pro (wie z.B. in der aktuellen Corona-Pande- Tag. 1975 kam die Europawelle im weites- Die parallel geschaltete UKW- Frequenz mie-Situation) nimmt auch in diesen Pro- ten Hörerkreis auf 3 Mio. Hörer in 14 Ta- 88.0 MHz von der Göttelborner Höhe (440 grammen das Informationsinteresse stark gen. Für das kleine Saarland und seiner ver- m über NN) konnte auch im Elsass und in zu. Den technikbedingten Aktualitätsvor- gleichsweisen kleinen ARD-Anstalt, dem Lothringen empfangen werden. Nach dem sprung des Radios hat das Fernsehen inzwi- SR, ein Riesenerfolg! Die Europawelle Saar Abschalten der Mittelwelle ist sie heute das schen aufgeholt. Das Internet kann noch war lange Zeit unbestrittener Marktführer sendetechnische Rückgrat von SR 1. schneller und umfassender mit Text, Spra- im Saarland! Nur am Anfang war Radio Lu- che und Bild informieren. Zusätzlich ma- xemburg gefährlich nahe gerückt und er- Zukunft des Radios chen die Musik-Streamingdienste und viele reichte insgesamt mehr Hörer. Mitte der neue Netz-Radios dem klassischen Radio Konkurrenz. Soziale Medien wie Facebook 1990er Jahre hatte der Privatsender Radio Auf jeden Fall ist Buchholz, von Abste- und Instagram haben die Art und Weise der Salü die Nase zeitweise vorn. Heute ist SR 3 chern ins SR-Fernsehen einmal abgesehen, Kommunikation verändert. Heute findet Saarlandwelle das meistgehörte Programm ein Mann des Radios. Als was sieht Buch- Kommunikation weitgehend (auch) durch im Saarland und SR 1 das zweitstärkste SR- holz das Medium Radio an? „Ein Radiopro- die Netznutzer untereinander statt. Die Me- Programm geworden. Was ist SR 1, seit gramm ist ein vertrauter Begleiter durch den 2017 ohne den Zusatz „Europawelle Saar“, Tag, der einen unterhält, informiert und in dienlandschaft hat sich verändert und befin- heute? Buchholz hierzu: „Ein auch saarlän- Stimmung bringt. Und der so sehr dazuge- det sich im ständigen Umbruch. Diesem disch ausgerichtetes, musikbetontes Pro- hört, dass er einem fehlt, wenn er mal nicht Prozess kann sich das Radio nicht entzie- gramm für eine Zielgruppe zwischen dem von sich hören lässt. Damit man sich mit ei- hen. Es muss mit neuen Programmideen SR-Jugendprogramm 103.7 – UnserDing nem Radioprogramm anfreunden kann, und Crossover-Aktivitäten aufwarten. und ‘SR 3 – Saarlandwelle’“. muss es ein Format haben, das einem zu- Gleichzeitig darf es die Ansprüche seiner sagt. Und weil man sich dann so sehr dran Stammhörer nicht enttäuschen. Alte Hörer Die Europawelle Saar wurde mit einer gewöhnt, darf es sich nur schrittweise ver- binden und neue Hörer und Nutzer auch im Sendeleistung von 1200 kW vom Standort ändern. Das aber muss es auch, damit es auf Netz dazugewinnen – das ist unter den heu- Heusweiler ausgestrahlt – zuerst auf Mittel- der Höhe der Zeit bleibt und nicht langsam tigen Dauer-Veränderungen im Medien- welle 1421 kHz, ab dem 23. November altmodisch wird. Auch langweilig darf es markt eine Herkules-Aufgabe der Radio- 1978 wegen der Änderung im Genfer Wel- nicht werden, muss im gewohnten Format- Macher. Darum beneide ich keinen.“ lenplan von 1975 auf 1422 kHz – entspre- Rahmen immer mal wieder für Höhepunkte chend 211 m. Sobald die Abenddämmerung und Überraschungen sorgen. Hierzu muss Hat Buchholz dennoch so etwas wie eine einsetzte, verwandelte sich die Mittelwelle man das Format gelegentlich auch einmal Zukunftshoffnung fürs Radio und den Jour- von einer Boden- zu einer Raumwelle. Da- aufbrechen“, ist sich Buchholz sicher. nalismus allgemein? „Meine optimistische durch war die Europawelle dann bis zur Zukunftsprognose ist, dass es – auch im Ra- Morgendämmerung in ganz Europa bis zum Was ist beim Radio Vergangenheit, was dio – wieder mehr Bedarf für Qualitätsjour- Nordkap und teils sogar in Nordafrika und ist Radio heute und wie entwickelt sich Ra- nalismus geben wird. Meine Sorge ist, dass der Sahara zu empfangen. Buchholz dazu: dio in der Zukunft? „Die Zeiten mit den er sich, egal ob öffentlich-rechtlich oder pri- „Ich habe die Europawelle Saar bei Reisen größten Reichweiten und dem höchsten An- vat, zunehmend schwerer finanzieren lassen abends an der Côte d’Azur, in England, Po- teil an journalistischem Wort hat das Radio könnte. Vor allem auch im immer wichtige- len und Rumänien empfangen können. Und hinter sich. Aber auch in der jetzigen Kon- ren Internet. Trotzdem glaube ich, dass das natürlich war das auch in großen Teilen der kurrenzsituation behauptet es sich als Medi- Medium Hörfunk eine Zukunft hat.“

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Interesse gilt inzwischen (wie kann es an- ders sein) vornehmlich der Radiogeschich- te. So ist er seit 2008 für den Arbeitskreis SR-Geschichte regelmäßig Redakteur und (öfter) auch Autor von Beiträgen der Reihe „Fundstücke aus der SR-Geschichte“. Sie sind im Internet nachzulesen unter http:// www.sr.de/fundstuecke. Für alle Radio- und Fernsehfreunde des SR erschienen viele der Texte als 496-seitiges Buch auch ge- druckt („Fundstücke aus 60 Jahren Saarlän- discher Rundfunk“, herausgegeben von Thomas Kleist und Axel Buchholz, Geist- kirch-Verlag, Saarbrücken, 1. Auflage 2017). Es eignet sich hervorragend zur Fort- bildungslektüre nach diesem Artikel. Das Axel Buchholz anlässlich einer Preisverleihung 2019. Foto: SR. Lesen von Büchern, auch (aber nicht nur) über radiogeschichtliche Themen und von Die Journalismus- dien, Wiesbaden, 11. Auflage, 2017) und mehreren Tageszeitungen verortet „Ruhe- „Fernsehjournalismus“ (Springer Fachme- ständler“ Buchholz inzwischen ebenfalls als Lehrtätigkeiten dien, Wiesbaden, 10. Auflage, 2020). Für Hobby. alle Auflagen hat er viele Beiträge als Autor Seit 1972 war Buchholz als Dozent in der beigesteuert. Den „Radio-Journalismus“ hat Was hört Buchholz im Radio? „Ich höre Journalistenausbildung tätig. „Mit sehr viel er anfangs zusammen mit Walther von La alle Wellen des SR (zumindest hin und wie- Freude sowie Wissens- und Erkenntniszu- Roche herausgegeben, den „Fernsehjourna- der mal), meist aber inzwischen SR 3 Saar- gewinn“, wie er dankbar sagt. Walther von lismus“ zuletzt mit Katja Schupp. Viele er- landwelle (Es gibt noch: SR 1 vormals Euro- La Roche hatte ihn für die Deutsche Journa- fahrene und teils sehr bekannte Journalis- pawelle Saar, SR 2 Kulturradio vormals listenschule in München gefragt, ob er Lust ten-Kolleginnen und -Kollegen haben als Studiowelle Saar, den Jugendsender 103.7 – dazu hätte. Er hatte. Wie sehr, merkte er im Ko-Autoren mitgeholfen. Inzwischen sind UnserDing und Antenne Saar, ein Informa- Laufe der Jahre immer mehr. Als er 2002 die Lehrbücher (auch als E-Books) zu im- tionsprogramm mit besonderem deutsch- beim SR in Ruhestand ging, wurde er Hono- mer wieder aktualisierten und ergänzten französischem Charakter, vormals SR Info). rarprofessor am Journalistischen Seminar Standardwerken der Journalistenausbildung Des Weiteren gerne die Informationssen- der Johannes Gutenberg-Universität in geworden. Eine ganze Reihe weiterer Bü- dungen von Deutschlandfunk und von Mainz. Im Lauf der Jahrzehnte unterrichtete cher, Fachartikel und Aufsätze zeigt, dass Deutschlandfunk Kultur. Dazu kommt noch er zu Darstellungsformen des praktischen Buchholz neben dem Tagesaktuellen auch Internetradio: Meine erste Position dort ist Journalismus in allen Medien außer dem In- Freude am Grundsätzlicheren hatte. Für sein rbb Inforadio aus Berlin. Die zweite Bayern ternet. Sein Schwerpunkt lag dabei auf den besonderes Wirken im Bereich des Journa- 5 (B 5 Aktuell).“ audiovisuellen Medien, auf Hörfunk und lismus und für seinen Einsatz für das Saar- Hendrik Leuker Fernsehen. Aber auch in Printredaktionen land wurde Buchholz im Jahr 2012 mit dem war er Referent und Trainer. Saarländischen Verdienstorden ausgezeich- net. Kontakt Seine Dozententätigkeit begann er 1972 an der Deutschen Journalistenschule in Hobbys und ⇒ E-Mail: München, dann auch beim Institut zur För- [email protected] derung publizistischen Nachwuchses eben- Hörgewohnheiten falls in München und später auch an den Henri Nannen-Journalistenschulen in Ham- Was macht(e) Buchholz in seiner Frei- burg und Berlin (benannt nach dem legen- zeit, damals als hauptberuflicher Journalist dären Chefredakteur des „Stern“). Nach und und jetzt im Unruhestand? „Ich hatte nicht nach wurde er in ganz Deutschland von allzu viel davon“, sagt er zuerst auf die Fra- Journalistenschulen, zu In-house-Semina- ge. „Mein Beruf war zugleich mein Hobby.“ ren bei Sendern und Zeitungen und an sechs Was aber an Freizeit blieb, das nutzte er in- Universitäten eingeladen. Auch in Italien, tensiv. Schon immer war (und ist) er ein be- Österreich, der Schweiz und mehreren afri- geisterter Fahrradfahrer und gerne auf kanischen Ländern gab er Kurse. Rund drei Langstrecken im In- und Ausland unter- Jahrzehnte unterrichtete er an der Universi- wegs. Nach der Wende „erfuhr“ er sich mit tät Mainz. Bis heute ist er dem Mainzer Brandenburg, der Umgebung Berlins, dem „Journalistischen Seminar“ mit einer jährli- Oder-, Spree- und Havelradweg weite Teile chen Radio-Exkursion treu geblieben. der neuen Bundesländer. Alle Jahre wieder macht Buchholz das Deutsche Sportabzei- „Lehren, was man praktisch tut und da- chen, inzwischen ist es das 33ste. Nebenbei: bei selber noch viel für die eigene Praxis da- Bei den ersten zehn war er „Opfer“ seiner zulernen – das hat ideal zusammengepasst“, eigenen Idee für eine große Europawellen- bilanziert Buchholz diese Zeit. Gut dazu ge- Radioaktion „Setz’ ein Zeichen – Sportab- passt haben auch seine beiden Lehrbücher zeichen“. Da musste er ganz einfach selbst „Radiojournalismus“ (Springer Fachme- auch an den Start gehen. Sein historisches

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