Musik und Raum

Biennale für Moderne Musik Frankfurt Rhein Main

25.–27.11.2011 Musik und Raum Iannis Xenakis

Biennale für Moderne Musik Frankfurt Rhein Main

25.–27.11.2011 Grußworte...... 5 Programm Vorwort...... 8 Ausstellung...... 35 Symposium – Erster Tag...... 39 Festival-Übersicht...... 10 Eröffnungskonzert...... 43 Un/Limits – Open Space...... 49 Essays Symposium – Zweiter Tag...... 55 Von ganz verschiedenen Seiten – Espaces Musicaux...... 59 3 Ein Festival von Zur Geschichte des Raums in der Musik...... 14 Gruppen ...... 65 Ensemble Modern und hr-Sinfonieorchester Xenakis[a]live!...... 71 Iannis Xenakis – von Mathematik, Raumwelten...... 75 Ontologie und räumlicher Musik ...... 21 in Kooperation mit dem Chambers...... 81 Internationalen Musikinstitut Darmstadt (IMD) Iannis Xenakis In Darmstadt...... 28 Abschlusskonzert...... 87 und in Zusammenarbeit mit dem Institut für zeitgenössische Musik an der Hochschule Beitrag zu den Darmstädter Ferienkursen 1974...... 31 Biografien für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Komponisten, Interpreten, Referenten...... 94 und der Internationalen Ensemble Modern Akademie Anhang Medienpartner Spielstätten / Shuttle-Bus...... 124 hr2-kultur Video-Livestream / Radio ...... 125 Impressum ...... 126

Inhalt Meine herzlichen Grüße gelten allen, die sich Eine ausgeprägte Kunstszene ist eine Bereicherung für jede an dem Festival cresc… 2011 beteiligen. Ich freue mich, diese Stadt und jedes Land. Sie ist ein wichtiger Teil der Kultur, in ihr besondere Veranstaltung bei uns in Hessen zu wissen, die neue drücken sich die Gefühle und Ansichten der Menschen aus, die künstlerische Positionen und Perspektiven der Auseinander- diese Kultur leben. Diejenigen, die für die Musik als einer Form setzung mit der Gegenwart vorstellen will. der Kunst tätig sind, haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Empfindungen und Meinungen aufzugreifen und aus ihrer per- Wir alle wissen, dass es nicht leicht ist, neben Traditionellem sönlichen Sicht heraus darzustellen. Sie bieten der Gesellschaft und damit Liebgewonnenem und Vertrautem auch neuen Din- eine Bühne. gen eine gleichberechtigte Chance zu geben. Neue Impulse sind jedoch unbedingt notwendig, um zeitgemäße Entwicklungen Dem Festival gelingt es, namhafte Künstler und Ensembles für zu ermöglichen und erforderliche Wandlungen im Zeichen einer ein spannendes Programm zu gewinnen und deren vielfältige sich modernisierenden Gesellschaft einzuleiten. Ideen zu präsentieren.

Ich wünsche cresc… 2011 einen guten Verlauf.

Volker Bouffier Hessischer Ministerpräsident

Grußworte 5 Ein neuer Leuchtturm soll entstehen. Überall sicht- neues künstlerisches Potenzial und schafft so mit vereinten Seit dem Jahr 2004 unterstützt die Allianz Kultur- Dieses europaweit einzigartige Professionalisierungsangebot bar soll er sein. Jedoch nicht in »Küstenlage«, sondern inmitten Kräften ein neues kulturelles Glanzlicht. Ein Beispiel für die stiftung das Internationale Kompositionsseminar des Ensemble findet nun eine zusätzliche Dimension im neu gegründeten einer Region, eines Landes, inmitten Europas. Seit jeher Knoten- kulturelle Dynamik der Region durch kreative Vernetzung hier Modern. Bei diesem gemeinsam entwickelten Projekt konnten biennalen Festival für Moderne Musik cresc…, das zu einem kul- punkt und urbanes Zentrum in der Mitte Deutschlands ist in angesiedelter Substanz höchster Qualität. bisher 37 Komponisten aus 18 Ländern ihre Werke im Rahmen der turellen Flaggschiff der Metropolregion Frankfurt Rhein-Main und um Frankfurt am Main im Bereich der Modernen Musik Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) zur Urauf- zu werden verspricht. Wir sind beglückt darüber, von einem Für die erste Ausgabe von cresc… haben die verantwortlichen eine beachtliche und substanzreiche Szene der Zeitgenössischen führung bringen. Dabei wurde nicht »in der stillen Ecke« kom- Reigen hochkarätiger Partner und dem Kulturfonds Frankfurt Köpfe einen roten Faden gesponnen, der sich als Thema »Musik Musik gewachsen. Mit dem in Frankfurt ansässigen Ensemble poniert und dann par force uraufgeführt. Die Lehr- und Lernstät- RheinMain als Hauptförderer so freundlich aufgenommen zu und Raum« durch das gesamte Festival zieht, dabei Iannis Xenakis Modern, seiner Internationalen Ensemble Modern Akademie, te wurde hier zu einem Ort der Begegnung und des Austausches, werden. Das verspricht eine fruchtbare Zusammenarbeit, auf die besonders umgarnt und ein Symposium und eine Ausstellung dem Hessischen Rundfunk mit seinem hr-Sinfonieorchester und des experimentellen Forschens und der öffentlichen Präsenta- sich die Mitarbeiter und Gremien unserer Stiftung sehr freuen. zum Werk dieses exzeptionellen Komponisten und Architekten der hr-Bigband, dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt tion. Das Besondere dieses Kompositionsseminars bestand gerade mit sich führt. cresc… sucht die Schnittmengen und Verbindun- sowie mit dem Institut für zeitgenössische Musik an der Hoch- darin, dass musikalische Inhalte vor dem Hintergrund ästheti- Michael M. Thoss gen zu anderen Kunstsparten, zeigt neue Bezüge auf und versteht schule für Musik und Darstellende Kunst haben wir es mit über- scher Fragestellungen gemeinsam analysiert, im Kontext unter- Geschäftsführendes Mitglied des Stiftungsrates sich als Forum für aktuelle Entwicklungen wie für bereits Vorhan- aus agilen, kreativen, renommierten, gut vernetzten und Impuls schiedlicher Kompositionstechniken ausprobiert und schließlich Allianz Kulturstiftung denes. Auch künftig sollen weitere Institutionen aus dem reichen gebenden Protagonisten zu tun. Diese zusammenzubringen, ein mit ruhiger Hand am Taktstock umgesetzt wurden. Dabei ist der Fundus des rhein-mainischen Kulturlebens in diese Vernetzung gemeinsames Festival anzuregen und diesem zu einer internatio- Aspekt, dass die Komponisten die Musiker, für die sie ihre Werke einbezogen werden. nalen Leuchtkraft zu verhelfen, hat sich der Kulturfonds Frank- schreiben, vor diesem künstlerischen Prozess genau kennen furt RheinMain auf die Fahnen geschrieben. Mit cresc… Biennale für Moderne Musik Frankfurt Rhein Main lernen können, sicher nicht hoch genug einzuschätzen. Dafür sei schärft die hiesige Region ihr Profil als offene, vielfältige und auch den beteiligten Dozenten und Mentoren Stefan Asbury, Die Region Frankfurt Rhein-Main hat in der Vergangenheit inter- zukunftsgerichtete Kulturlandschaft, die aufgrund ihres hohen George Benjamin, Johannes Kalitzke, Hanspeter Kyburz, Helmut national bedeutsame Beiträge zur Entwicklung der Modernen Qualitätsniveaus auch international wahrgenommen wird. Lachenmann und Franck Ollu noch einmal herzlicher Dank Musik geleistet; Aufsehen erregende Komponisten haben hier Wir wünschen cresc… eine starke und nachhaltige Ausstrahlung! gezollt! stilbildend gewirkt und die Avantgarde vorangetrieben. cresc… greift diese Linie auf, schließt die Lücke und leistet einen neuen, Professor Dr. Herbert Beck eigenen Beitrag, verdichtet Vorhandenes, erschließt aber auch Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain

6 7 kresch [krE`∫] crash cresc… Auch wenn man zentral für die erste Ausgabe dieser Biennale, in Zukunft aber – profil überführt, das mit relevanten künstlerischen Positionen werden. So ziehen sich »Xenakis« und »Musik und Raum« wie gerade in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet an andere so unser und der Wunsch des Kulturfonds Frankfurt RheinMain der jüngeren Vergangenheit die aktuelle Gegenwart reliefartig rote Fäden durch das cresc…-Programm 2011, nicht ohne Freiraum Konnotationen denken könnte und die Assoziation insbesondere als wichtigster Förderer des Festivals – beteiligen sich weitere abtasten will. für Exkursionen in Grenzbereiche anderer Musikformen … heute, in nicht eben krisenresistenten Zeiten naheliegt, so stand cresc…-Denker aus der Region an unserer Idee, um den Gedanken In diesem Verständnis hat Iannis Xenakis’ Musikdenken für die cresc… ist ein Festival von Ensemble Modern und hr-Sinfonie- von Anbeginn das musikalische Bild im Vordergrund unserer eines wachsenden, lauter werdenden und sich verdichtenden konzeptionelle Ausrichtung von cresc… Referenzcharakter: Kom- orchester in Kooperation mit dem Internationalen Musikinstitut neuen Initiative – crescendo, also lauter werdend, zunehmend, neuen Kunst-Festivals Realität werden zu lassen. ponist, Wissenschaftler und Architekt in Personalunion, ein kriti- Darmstadt (IMD) und in Zusammenarbeit mit dem Institut für verdichtend, (an)wachsend. Die kuratorischen Setzungen lassen sich aus diesem ersten scher Kopf, der stets und trotz mancher Widerstände seinen eige- zeitgenössische Musik an der Hochschule für Musik und Darstel- Als der Kulturfonds Frankfurt RheinMain vor mehr als zwei Jah- cresc…-Programm ableiten und zielen zugleich auf die perspek- nen Weg suchte und ging, der weit über die Grenzen der Neuen lende Kunst Frankfurt am Main und der Internationalen Ensem- ren verschiedene Protagonisten der Musik unserer Zeit, die in der tivische Planung: cresc… möchte ein expandierendes biennales Musik hinaus Akzeptanz erfuhr und Inspirationen folgte, die ble Modern Akademie (IEMA) – insofern danken wir stellvertre- Rhein-Main-Region agieren, zum gemeinsamen Gedankenaus- Festival mit klarer thematischer Positionierung werden, um im ebenso weit außerhalb dieser Neuen Musik lagen. Keine Musik tend für die beteiligten Institutionen allen, die die erste Ausgabe tausch einlud, um die unterschiedlichen Kräfte und Potenziale in nationalen und internationalen Kontext ein wahrnehmbares existiert ohne den Raum – das ist zwar eine Binsenweisheit, aber von cresc… möglich gemacht haben. Ein besonderer Dank geht der Metropolregion zusammenzuführen, wurde auch der Grund- Gesicht zu bekommen. Wenn 2011 der griechisch-französische gerade Xenakis hat sie in seinem Schaffen sosehr gestärkt, dass freilich an die beiden finanziellen Ermöglicher des Festivals, den stein für cresc… gelegt. Darmstadt und Frankfurt sind in den ver- Komponist, Wissenschaftler und Architekt Iannis Xenakis und – Musik und Raum zu einem Parameterpaar zusammengewachsen Kulturfonds Frankfurt RheinMain und die Allianz-Kulturstiftung, gangenen gut sechs Jahrzehnten immer schon wichtige Zentren mit seinem vielgestaltigen Schaffen eng verbunden – das sind, das kaum zu trennen ist. Der Raum wird bei Xenakis (wie ohne deren Engagement cresc… ein reines – wenn auch schönes – und Player für Zeitgenössische Musik gewesen – ob als Darmstäd- Themenfeld »Musik und Raum« im Zentrum stehen, so deutet auch bei anderen Komponisten der Zeit) in das konzeptionelle Gedankenspiel geblieben wäre. ter Ferienkurse, als Hessischer Rundfunk mit seinen Orchestern, sich damit ein Verweis aus dem inneren musikalischen Kontext Denken einbezogen und – so lässt sich vielleicht sagen – zu einem Wir wünschen cresc… ein möglichst langes Leben und allen Konzerten und Kooperationen oder – seit 1985 – als Ensemble an, der Andockstellen zu anderen Kunstsparten ermöglicht, riesigen Instrument umgebaut. Hörperspektiven und Wahrneh- Besuchern neue, unerwartete Begegnungen und Hörerlebnisse. Modern: Jede Institution hat ihren eigenen Wirkungskreis ent- zulässt und bewusst sucht. In diesem Verständnis ist Musik- mungskategorien werden damit in neue Zusammenhänge ver- faltet, hat internationale Reputation, kann auf eine lange Erfolgs- Diskurs ein Diskurs über aktuelle Kunstformen, womit eine setzt, die Besucher stärker als bisher zur aktiveren Teilhabe ein- Roland Diry geschichte verweisen. Jetzt und hier aber finden sich die verschie- Spannung angedeutet ist, die wir gerne aufgreifen und abbilden geladen und können sich den Klangströmen weniger stark ent- Geschäftsführer Ensemble Modern denen Institutionen mit ihren unterschiedlichen Initiativen, möchten. cresc… ist damit erklärtermaßen aber auch kein ziehen – heute bereits klassische Stücke wie Xenakis’ Terretektorh Formaten, Akzenten und Spielformen im Umgang mit der Musik weiteres Uraufführungsfestival – wobei Uraufführungen neuer oder Stockhausens Gruppen lassen sich in der Retrospektive als Andrea Zietzschmann unserer Zeit zusammen, um nicht nur Kräfte zu bündeln, sondern Werke willkommen, aber eben keine Voraussetzung sind. Die durchaus zukunfts- und wegweisend erkennen. Wie wir diesen hr-Musikchefin zugleich eine neue Strahlkraft in die Region hinein und darüber wichtige und häufig genug vernachlässigte Pflege des heutigen selten live zu hörenden bahnbrechenden Arbeiten heute begeg- Thomas Schäfer hinaus zu entwickeln. Die Achse Darmstadt–Frankfurt steht zwar Repertoires Zeitgenössischer Musik wird bei cresc… in ein Festival- nen, dürfte eine ebenso lohnende wie spannende Erfahrung Direktor des Internationalen Musikinstituts Darmstadt (IMD) 8 Vorwort 9 Festival-Übersicht 19 Uhr Darmstadt, Böllenfalltorhalle GRUPPEN3 65 hr-Sinfonieorchester • Ensemble Modern • Saar Berger Matthias Pintscher • Lucas Vis • Paul Fitzsimon 9–21 Uhr Frankfurt, hr-Sendesaal, Goldhalle IANNIS XENAKIS – ARCHITEKTUR UND MUSIK 35 25.11. – 1.12. Xenakis • Cheung • De Mey • Stockhausen Eröffnung: AUSSTELLUNG 25.11., 17.45 Uhr 22 Uhr Darmstadt; 603qm XENAKIS[A]LIVE! 71

zeitkratzer • Lillevan Friedl 25.11. 14–17.30 Uhr Frankfurt, hr-Sendesaal, Foyer XENAKISPERSPEKTIVEN • SYMPOSIUM • Erster Tag 39 Baltensperger • Hoffmann • Frisius • Cloot 11 Uhr Frankfurt, Frankfurt LAB RAUMWELTEN 75 19 Uhr Frankfurt, hr-Sendesaal ERÖFFNUNGSKONZERT 43 27.11. IEMA-Ensemble • Holger Falk • Matthias Pintscher Ensemble Modern • hr-Sinfonieorchester Xenakis • Pintscher • Berio IEMA-Ensemble • Johannes Kalitzke Xenakis • Žuraj • Qian • Carter 13 Uhr Frankfurt, Frankfurt LAB CHAMBERS 81 JACK Quartet 22.30 Uhr Frankfurt, Frankfurt LAB UN/LIMITS – OPEN SPACE 49 Xenakis • Ligeti • Scelsi hr-Bigband • Christian Lindberg • Örjan Fahlström Jaksjø • Fahlström • Xenakis • Lindberg 16 Uhr Frankfurt, hr-Sendesaal ABSCHLUSSKONZERT 87 Ensemble Modern • Norbert Ommer Pablo Rus Broseta • Johannes Kalitzke 26.11. 10–13.30 Uhr Frankfurt, hr-Sendesaal, Foyer XENAKISPERSPEKTIVEN • SYMPOSIUM • Zweiter Tag 55 Beyer • Herrmann • Horváth • Keller Saxer • Kanach • Solomos • Cloot Motschmann • Rohloff

15 Uhr Frankfurt, hr-Sendesaal ESPACES MUSICAUX 59 Ensemble intercontemporain • Alain Billard Jeweils 45 Minuten vor den Konzerten: XenakisSplitter • Konzerteinführungen Susanna Mälkki Julia Cloot • Stefan Fricke • Rudolf Frisius ∙ Levinas • Aperghis • Xenakis • Varèse • Jarrell Martin Grunenberg • Robin Hoffmann • Michael Rebhahn ∙ Marion Saxer • Martin Schüttler

10 11 Essays Michael Rebhahn Wirkung des Auseinanderklingens der akustischen Umwelt auf Tatsächlich »von ganz verschiedenen Seiten und ohne Rücksicht Von ganz verschiedenen Seiten – Zur Geschichte des Raums in der Musik seine Musik explizit herausstellte, verharrte Mahler doch inner- aufeinander« erklingen musikalische Linien und Texturen in halb der traditionellen musikalischen Syntax. Sein Impuls, die zahlreichen Kompositionen von Charles Ives. In seinen hochgra- Fülle des musikalischen Raumes als Urgrund seiner Polyfonie dig disparaten Tonsätzen wird die vorbehaltlose Präsentation des Als immaterieller Ausdrucksform, die nicht an stoffliche Materie vorhanden war und markierten zugleich den endgültigen zu begreifen, bleibt Metapher für die Diskontinuität, für die Inte- Gleichzeitigen erstmals zur kompositorischen Methode. Ives gebunden sei und von allem Sichtbaren abstrahieren könne, Übergang von der Renaissance zum Barock. Das mehrchörige gration des Disparaten als Konsequenz eines universalistischen überführt die real erfahrenen Diskontinuitäten ins Artifizielle, wurde der Musik vor allem in der Romantik eine Vorrangstellung Komponieren und Musizieren verbreitete sich rasch in weiten Sinfoniebegriffs, dem die klangliche Fülle der Welt als Modell wobei ihm nicht daran gelegen ist, scheinbar widerspruchsvolle unter den Künsten eingeräumt. Sie galt als die geistigste aller Teilen Europas; der bedeutendste deutsche Komponist, der dient. Die musikalische Welt, die Mahler erzeugt und deren Ord- Aspekte seines Materials in widerspruchslose Beziehungen zu Künste – als Symbol des Unendlichen und der Wahrheit am das Prinzip der Cori spezzati adaptierte, war Giovanni Gabrielis nung »zu einem zusammenstimmenden und zusammenklin- setzen, um zu einer Synthese zu gelangen. An die Stelle der tradi- nächsten: »In den Wellen der Musik strömt recht eigentlich nur Schüler Heinrich Schütz, der in seinen 1619 entstandenen genden Ganzen« er als seine Pflicht begreift, bewegt sich noch tionellen Polyfonie setzt er die Überlagerung von Klangschichten. »domestiziert« in den Bahnen der tradierten musikalischen Einheitlichkeit, im Sinne einer nach außen erkennbaren Konsis- das reine, formlose Wesen« (Wackenroder). Gleichwohl ist Musik Psalmen Davids vorschrieb, die einzelnen Chöre »an unterschied- nie eine schiere »Zeitkunst« gewesen. Auch hier wirken Raum und lichen Örthern« zu postieren. Mitte des 17. Jahrhunderts verlor Grammatik. tenz von kompositorischer und ästhetischer Organisation, wird in Ives’ Kompositionen durch die Collage des Ungleichartigen Zeit zusammen – wie in allen darstellenden Künsten, wie in der sich die mehrchörige Satzweise allmählich zugunsten einer Erst mit der Unterminierung der Tonalität wurde ein anderer ersetzt. gesamten Erfahrungswirklichkeit des Menschen. Das Bewusstsein orchestral orientierten Faktur, wobei Residuen der alten Technik Umgang mit dem musikalischen Raum möglich. Die Begrenzun- für diese im Grunde schlichte Zwangsläufigkeit wurde bereits im in der Terrassendynamik des Concerto grosso erhalten blieben. gen der Dur-Moll-tonalen Harmonik wurden gesprengt, die Einen Höhepunkt seiner Arbeit mit heterogenen Klangschichten 16. Jahrhundert konzeptualisiert: In den Cori spezzati der Vene- Zerstreuung in weite und offene Räume ermöglicht, die Orientie- markiert der zweite Satz seiner zwischen 1909 und 1916 entstan- zianischen Schule um Adrian Willaert und Andrea und Giovanni Polyfonie als Raum rung an einem unveränderlich gesetzten Fixpunkt hinfällig. denen Symphony No. 4. Der von Ives als »Comedy« bezeichnete Gabrieli finden sich Entwürfe einer Musik, die den (architektoni- Eine erneute Sensibilität für die Potenziale des musikalischen Tonalität, Metrum und geschlossene Form, die Polaritäten von Satz realisiert ein kompositorisches Prinzip, demzufolge die ver- schen) Raum als konstitutiven Bestandteil in die musikalische Raumes lässt sich im Zuge einer Neubewertung des Phänomens Dur und Moll, Konsonanz und Dissonanz, das Fundament des schiedenen klanglichen Objekte und Assoziationen kaum noch Faktur integriert. der Polyfonie am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert aus- Grundtones sowie der fest umrissene Klangraum der Oktave das Erfassen des je Einzelnen zulassen. Ives erschafft eine musika- In seiner 1558 erschienenen Schrift »Le istituzioni harmoniche« machen. Dass musikalische Gestalten im polyfonen Kontext wirkten als »Einschalungen« musikalischer Gefüge, als Demar- lisch-räumliche Mehrdimensionalität, als deren Effekt sich die beschrieb der Musiktheoretiker Gioseffo Zarlino jene Mehrchörig- »von ganz verschiedenen Seiten und ohne Rücksicht aufeinan- kationen räumlicher Perspektiven. Polytonalität und Atonalität Unbestimmtheit der Wahrnehmung einstellt. Der Hörer muss keit als ein Mittel, um »einen großen Klang zu erzielen [und] in der« erklingen mögen, wurde bereits von Gustav Mahler formu- vermochten jene starre Konstruktion zu erschüttern: Mit der sich notwendig für die Herauslösung einzelner Schichten ent- diesem Klang auch Abwechslung zu schaffen«. Die Cori spezzati liert, der die akustische Disparität der Welt zum Leitbild seiner Tonalität aufgegeben wird der durch die funktionale Harmonik scheiden, er kann und muss nicht sämtliche Aspekte der Gesamt- entwickelten im Wesentlichen das Dialogprinzip weiter, das kompositorischen Ästhetik erhob: »Alles andere ist bloß Vielstim- begründete »Richtungszwang«. form gleichzeitig wahrnehmen. In der kolossalen Fülle der »Co- bereits in den antifonalen Wechselgesängen der Gregorianik migkeit und verkappte Homophonie« (Mahler). Wiewohl er die medy« scheinen die Ausdrucksmöglichkeiten dem Ausdruckswil-

14 15 len nicht länger gerecht zu werden und die Grenzen des Dar- Prinzip dynamisch bewegter Klangmassen anregte. Im Rekurs auf Stück Octandre hatte Varèse die Idee der »Klangperspektive« wurden – als Pendant zur elektronischen Raummusik Gesang der stellbaren erreicht. Das klangliche Überangebot, das eine ein- Helmholtz bezeichnete er in einer Vorlesung aus dem Jahr 1936 zu realisieren versucht: Jeder der drei Sätze eröffnet mit einem Jünglinge – weithin als Initialwerk einer neuen Instrumentalmu- dimensionale Lesart verunmöglicht, scheint nach der Utopie seine Musik als die »Bewegung von Klangmassen«, die an die anderen Instrument – Oboe, Piccoloflöte und Fagott –, wobei, sik im Raum wahrgenommen. Der französische Musikkritiker einer musikalischen Totalität zu streben. Stelle des linearen Kontrapunkts getreten sei. Diese – nicht auf- so Varèse, jene Instrumente das jeweils entfaltete musikalische Claude Rostand rühmte sie als eines »der glänzendsten Stücke der einander bezogenen – Massen würden sich anziehen, durchdrin- Material von einem je eigenen Standpunkt aus »betrachten«. jungen Orchesterliteratur«, als eine »Musik, die neue Horizonte Kubistische Musik gen und abstoßen, sich gleichzeitig in verschiedenen Geschwin- Für diese Vorstellung einer räumlichen Abbildung der Klänge auftut«. Dabei war es nicht Stockhausen allein, der sich komposi- digkeiten bewegen und sich vor allem im Parameter des Timbres verwandte Varèse den Terminus spatial music – räumliche Musik. torisch dem Parameter Raum widmete. Die Erkenntnis, die er »Aus blassen Harmonien der Farbe steigen Linien empor, Prismen in verschiedene »Intensitätszonen« differenzieren. Auf der Basis einer »Musik als Körper von Klängen, die sich frei 1958 in seinem Essay »Musik im Raum« formulierte, war zu dieser schieben sich hoch, wachsen uns entgegen, springen zurück, bre- im Raum entfalten«, formulierte er die Utopie einer »Befreiung Zeit längst ein virulentes ästhetisches Moment musikalischer chen Stufen in den unendlichen Raum, führen nach oben und in Neben Helmholtz wurde Varèse von den Schriften des Physikers des Klanges«, die letztlich wegbereitend für die folgenreichsten Innovation: »Wir bemerken mehr und mehr, wie sich alle musika- die Tiefe, verbreitern, vervielfältigen sich, sammeln sich zu Akkor- und Philosophen Josef Hoëné-Wronski inspiriert, der Musik als Umwälzung der Musikgeschichte war: Musik als son organisé – lischen Vorstellungen in zunehmendem Maße verräumlichen.« den, werden vom Rhythmus beschwingt und tanzen nun auf in »die Verkörperlichung der in den Klängen selbst gelegenen Intel- als organisierter Klang, organisierter Ton, organisiertes Geräusch. der absoluten Musik des Raumes. Man erlebt diese transzendente ligenz« definierte. »Es war für mich«, erinnerte sich Varèse später, Die Sondierung des Raumes war für nahezu alle Stilrichtungen Dynamik nicht anders als die wirklichkeitsferne Kontrapunktik »eine neue, aufregende und die erste einleuchtende Konzeption der Avantgarde konstitutiv; für die serielle Musik von Stockhau- Verzeitlichter Raum Bachscher Fugen.« von Musik. Hier lag für mich wahrscheinlich der erste Ansatz- sen, Boulez oder Nono ebenso wie für die stochastischen Metho- punkt, mir Musik räumlich vorzustellen, mir die Klänge als be- »Der Klang wandert im Raum, durchmisst ihn von links nach den von Iannis Xenakis, das konzeptuelle Komponieren Dieter Ungeachtet der dezidiert musikalischen Terminologie ist hier von wegliche Tonkörper im Raum zu denken, eine Konzeption, die ich rechts und dann wieder zum mittleren Orchester in Korrespon- Schnebels oder die zufallsbestimmten Verfahren John Cages. Eine Bildender Kunst die Rede. Der Kunsthistoriker Paul Erich Küppers stufenweise weiter entwickelte und realisierte.« denzen, in Echo- und Antwortwirkungen, in responsorischen Vielfalt von Kompositionsweisen wird vom Phänomen der Räum- gebrauchte in seinem 1920 erschienenen Essay »Der Kubismus. Steigerungen, im Hin- und Rückwurf rhythmischer und klang- lichkeit durchdrungen: An die Stelle einer verräumlichten Zeit der Ein künstlerisches Formproblem unserer Zeit« diese überborden- In seiner 1925 entstandenen Komposition entwarf Intégrales licher Akzente, in Bläser-Crescendi, die faszinierend den Raum traditionellen tonalen Musik ist ein verzeitlichter Raum getreten: de Metaphorik zur Beschreibung der Arbeiten von Picasso und Varèse eine musikalische »Projektion geometrischer Figuren auf weiten, in konzertierenden Fanfaren, die ihn aufzusplittern Es geht um Auflösung und Erweiterung, Zerstreuung, Offenheit Braque. Umgekehrt hatte die Formensprache des Kubismus auf die Fläche«. Als Analogie zur malerischen Fläche platzierte er eine scheinen und in polymetrischen Schlagzeugpartien, die mit dem und Simultaneität, um Verschachtelung und Ineinanderfließen einige Komponisten der Zeit einen nachhaltigen Einfluss. Vor feststehende »Intervallkonstante«, um die sich die Klangkörper Aufgebot von neun Spielern in den großen Steigerungen das mehrerer Räume. allem Edgard Varèse näherte sich der künstlerischen Stilrichtung bewegen. Allerdings wird die Konstante immer wieder durch den Publikum einem konzentrischen Trommelfeuer ausliefern.« mit kompositorischen Strategien, die Musik als Klangraum und Einsatz von Unregelmäßigkeiten gestört, in denen der Musikwis- Insbesondere Iannis Xenakis hat sich immer wieder mit diesen Klänge als Objekte organisierten. Bereits 1870 erkannte der Physi- senschaftler Wilfried Gruhn eine Parallele zum kubistischen So beschrieb Wolfgang Steinecke in der Zeitschrift »Melos« seine Potenzialen auseinandergesetzt. Ab Mitte der 1960er Jahre kom- ker Hermann von Helmholtz »eine große Ähnlichkeit der Ton- Prinzip der »Simultaneität mit ihren perspektivischen Verzer- Wahrnehmung der Uraufführung von Karlheinz Stockhausens ponierte er eine Reihe von Stücken, die explizit mit der Verräum- leiter mit dem Raume«, die Varèse zu seinem formbildenden rungen« erkennt. Bereits im zwei Jahre zuvor entstandenen Gruppen für 3 Orchester, die 1958 in Köln stattfand. Die Gruppen lichung des Klanges arbeiten. Die eindrucksvollsten Kompositio-

16 17 nen dieser Art sind das Orchesterstück Terretektorh (1966), in Raumes zusammengepfercht, sondern müssen mindestens ge- und Inhalt entsteht auch hier nicht länger durch sukzessive dem 88 Musiker kreisförmig angeordnet und das Publikum zwi- trennt um die Hörer herum sitzen, wenn nicht sogar unter diesen Fortschreitung, sondern durch eine kontinuierlich sich erneuern- schen den Instrumentalisten platziert wird, sowie Nomos Gamma Platz nehmen. In diesem letzteren Falle wird die weitere Tren- de Gestaltbildung. Die »neuen Horizonte«, von denen Claude (1967/68), wo ein 98-köpfiges Orchester in verschiedene kleine nung der Spieler und Hörer untereinander die unabhängige Rostand sprach, markieren die Absage an eine narrative Musik im Ensembles aufgeteilt wird. 1985 schließlich entstand Alax – eine Aktion ihrer aller erleichtern, was Mobilität seitens aller in sich weitesten Sinne – sei sie nun romantischer oder expressionisti- Komposition, in der die vorangegangenen Raumentwürfe noch begreift.« scher Natur. Der Einbezug des Raumes in die Musik ist im 20. einmal perfektioniert erscheinen. Die drei Ensembles formen hier und 21. Jahrhundert weit mehr als eine bloße Bereicherung des Mit den Entwürfen von Unabhängigkeit und Determination die Eckpunkte eines gleichschenkligen Dreiecks – dessen »Fläche« Materialfonds, mehr als die bloße Positionierung von Klang- stießen in Darmstadt nicht nur zwei entgegengesetzte komposi- wird zu einem Hörraum, in dem extrem verdichtete Klangbewe- quellen im Raum. Vielmehr erfordert er eine Revision der musika- tionsästhetische Positionen der Avantgarde aufeinander, sondern gungen stattfinden. Xenakis arbeitet Überblendungen instrumen- lischen Wahrnehmung, indem unterschiedliche Hörperspektiven auch zwei vollends verschiedene Konzeptionen des Raumes. taler Timbres und der Fusion klanglicher Einzelcharaktere zu zur gleichen Zeit eröffnet und ein vitales Erleben von Musik Dennoch wird in beiden Fällen deutlich, dass eine explizite Ge- »Meta-Instrumenten«, die zur Hervorbringung unkonventionel- aktiviert wird: ein unmittelbar sinnliches Hören. staltung der räumlichen Dimension im Zuge der Unterminierung ler Klangqualitäten imstande sind. tradierter musikalischer Schemata und Setzungen notwendig Die Aktualität und Brisanz, die die räumliche Musik bereits Ende geworden war. An die Stelle der linearen Zielgerichtetheit des der 1950er Jahre einnahm, mag eine denkwürdige Konstellation tonalen, funktionsharmonischen Komponierens mit all seinen bei den Darmstädter Ferienkursen des Jahres 1958 verdeutlichen. Sukzessions- und Finalstrategien ist die Ausgestaltung eines Drei Tage, nachdem mit seinem Vortrag mehrdimensionalen Klangraums getreten. »Musik im Raum« die Notwendigkeit des »fünften Parameters Die Dispositionen einer räumlichen Musik beschäftigen Kom- Raum« für das seriellen Komponieren begründet hatte, wurde die ponisten bis heute, wie auch die im Rahmen von cresc... präsen- Bedeutung dieser »neuen« Dimension aus völlig konträrer Per- tierten Uraufführungen von Stücken der Teilnehmer des Inter- spektive ein zweites Mal thematisiert. Im Rahmen eines spektaku- nationalen Kompositionsseminars zeigen. Etwa Vito Žurajs lären Auftritts von John Cage und David Tudor präsentierte Cage Orchesterstück , in dem der Komponist die räum- die Lecture »Indeterminacy«, in der er folgendes ausführte: Changeover lichen Gegebenheiten eines Tennismatches musikalisch reflek- »Die räumliche Trennung der Spieler ist im Falle eines Ensembles tiert oder Balázs Horváths räumlich-theatralische Komposition nützlich, um Nichtstörung und wechselseitige Durchdringung Assemblage (1), in der seltsame »Solisten« die frontale Konzert- hervorzubringen. Die Spieler werden nicht mehr in der Mitte des situation unterminieren. Musikalischer Sinn, Zusammenhang

18 19 Iannis Xenakis bei den 26. Darmstädter Ferienkursen, 1972 André Baltensperger Iannis Xenakis – von Mathematik, Ontologie und räumlicher Musik

I Wer sich mit dem Œuvre und dem Musikdenken von Iannis in den kosmischen Ereignissen das zutiefst menschliche Einzel- Xenakis näher beschäftigt, stößt stets an Grenzen, an Grenzen der schicksal zu promulgieren, die Verbindung von Archaischem und musikalischen Perzeption, bisweilen der Wahrnehmungsfähig- avancierter, computergesteuerter Technik, dies alles zu vereinen, keit, des Nachvollzugs seiner kompositionstechnischen Äußerun- überfordert schlichtweg, kennzeichnet aber Werk und Musikden- gen zu einzelnen Werken, der Mathematik, der implizierten Theo- ken bei Iannis Xenakis. rie, der Politik, der Philosophie, aber auch an die Grenzen des Offensichtlich hat gerade die zunächst abschreckende Ambiguität Spielbaren. zwischen dem eisernen Griff der Theoriebildung und einer oft Xenakis’ Werke stellen an die Interpreten hohe Ansprüche, nicht empfundenen Überwältigung im Hören sein Werk im Bewusst- nur in der Technik, sondern auch im Hineinwachsen in einen sein einer stets größeren Schar von Anhängern lebendig erhalten. Stil, der seinen Preis fordert. Dennoch, die Werke packen Spieler Zehn Jahre nach dem Ableben des Komponisten erscheint das und Hörer, sie faszinieren, überwältigen und führen Musik und Werk frischer denn je und findet sein Publikum. Das neue bienna- Musikausübung in Gefilde, die neue gedankliche und sinnliche le Festival für Moderne Musik der Metropol-Region Frankfurt Räume füllen. Eine Musik, die anregt und anstrengt, die auch Rhein-Main hat sich gleich zu Beginn zu einem thematischen in kleiner Besetzung große Räume öffnet, in der der Puls des Schwerpunkt »Musik und Raum« entschlossen, in dessen Mittel- Geschehens in kosmische Dimensionen versetzt erscheint, mit punkt der Komponist Iannis Xenakis steht. Dies zeigt überdeut- Klangformen und Instrumentalfarben, die in ihrer Erdverbun- lich, dass ein zunehmendes Interesse an diesem untypischen denheit durchaus diesseitig, konkret, dem Leben, um nicht zu Vertreter der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als sagen den politischen Lebensumständen entspringt. Querdenker fassbar wird, dass seine Werke in das Repertoire einfliessen und dadurch Bestand haben. Zwischen Massen und ephemeren Ereignissen zu vermitteln,

Übergänge zwischen disparaten Texturen zu suggerieren, den Interpreten sowohl ins Zentrum des Geschehens zu setzen, wie auch im atomisierten Orchester als Individualität zu negieren,

21 II haben: »Sie haben das Glück, Grieche zu sein, in Mathematik legt hatte, genoss internationale Anerkennung. Mit dem Wieder- sam inkorporiert sei. Dies entspricht im Übrigen der Vermittler- Iannis Xenakis, 1922 in Braila/Rumänien geboren und griechi- beschlagen zu sein, als Architekt Erfahrung zu haben. Profitieren aufbau nach dem Kriege und im Zuge der wirtschaftlichen Expan- rolle, welche – in diesem Denken – der Musik und der Architektur scher Abstammung, verbringt seine Schulzeit in Griechenland Sie von Ihren Einsichten und legen Sie diese in Ihre Musik!« sion jener Zeit flogen ihm die Aufträge förmlich zu. So beschäftig- als »Art-Sciences« zukommen. und absolviert ein Ingenieurstudium am Polytechnikum in Athen te einen umfangreichen Mitarbeiterstab, in den sich Weitere, in mehrfacher Hinsicht wichtige Stationen bildeten Die Axiomatisierung und Formalisierung des Kompositionspro- – erst nach dem Krieg kann er mit dem Diplom abschließen. Die Xenakis alsbald einfügte und zunehmend an wegweisenden Pro- im Jahre 1954 Xenakis’ Zulassung an das Studio d’essai von Pierre zesses, welche Methoden aus der theoretischen Mathematik Kriegserlebnisse sind für Xenakis’ Persönlichkeit entscheidend: jekten beteiligt wurde. Schaeffer – dem Vater der »Musique concrète« –, und dort die aufnimmt und deren logische Schlüssigkeit in die Musik überzu- Er wird im Widerstand aktiv, zuerst gegen die deutsche Besetzung, Begegnungen mit Edgard Varèse und Hermann Scherchen, die Es trifft nun zu und ist keineswegs erstaunlich, dass sich Xenakis führen trachten, bildet fortan eine der wesentlichen Leitlinien im anschließend gegen die britische Intervention; dabei wurde er beide zu seinen wichtigsten Mentoren gehören sollten. Olivier in seinen Jahren bei Le Corbusier dessen Theorien und Lehrsätze Musikdenken von Xenakis. So eröffnete sich für ihn in der Archi- bei Kämpfen in den Straßen Athens im Januar 1945 schwer ver- Messiaen hat indes den wesentlichsten Einfluss auf Xenakis’ über Architektur gleichsam einverleibt hat. Einer der zentralen tektur ein Repertoire an strukturellen Elementen, die, sozusagen wundet und im Gesicht fürs Leben gezeichnet. Seine politische spezifisch musikalische Kompositionstechnik ausgeübt. Gedanken Le Corbusiers war, dass sich die Architektur von den sinnbeladen, sowohl im Bau wie in der musikalischen Komposi- Zugehörigkeit zum linken Widerstand nötigt ihn 1947 zur Flucht »historisierenden« Stilen der Vergangenheit nur lösen könne, tion für Gehalt und Stimmigkeit sorgen. aus Griechenland. Er gelangt auf abenteuerlichen Wegen nach Die Stadt Paris, in jener Zeit noch die unbestrittene Welt-Haupt- wenn sie sich in den Rahmen einer allgemeinen Philosophie stel- Paris: Schließlich wird Xenakis von 1947 bis 1960 Mitarbeiter des stadt der Kunst, war mit seinem pulsierenden Kulturangebot, das Freilich, der Zeitgeist sprach auch zu Beginn der 50er Jahre der le, welche der ursprünglichen Verbindung von Kunst und Wissen- schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier. Literatur, Theater, Chanson, Jazz und neben den zahlreichen Exil- Technik das Wort. Alles wurde ihr fast kritiklos anvertraut – der schaft wieder die erste Priorität einräumen würde. Le Corbusier Kulturen insbesondere ein reiches Musikleben einbeschloss, der wissenschaftliche, mathematisch fundierte Ansatz fand seine Die Musik hat Xenakis von Kind an begleitet und wird allmählich sah diese – ganz im Geiste der Pythagoreer – im Zeitgeist fass- Ort des Geschehens. In diesem brodelnden Umfeld hatte zwar die Anwendung in den täglichen Dingen wie auch in den säkularen zu seiner zentralen Beschäftigung. So hatte Xenakis schon in Grie- bar: In der modernen Technik erkannte er den »neuen Geist« – Neue Musik einen höchst schwierigen Stand; dennoch fand sich Errungenschaften, welche die Gazetten füllten: Kriegstechnik, chenland Klavierstunden und genoss Unterricht in Theorie – von »l’esprit nouveau«, so seine Zeitschrift –, der die Entwicklung dort alles wieder, was in den folgenden Jahren und Jahrzehnten Weltraumfahrt, Elektronengehirne, Rhythmus und Mobilität. Das ersten Kompositionsversuchen aus jener Zeit wird zwar berichtet, in ewig gültige ästhetische Gesetze lenkte. »L’esthétique de l’in- den Ton angeben sollte. technoide Weltbild erleichterte gewiss die Demarchen des jungen sie sind aber verloren. In Paris angekommen bemüht sich Xenakis génieur« sollte fortan die Kreativität leiten. Komponisten. Zudem hatte die Entwicklung der Kompositions- um Unterricht in Musiktheorie und Komposition. Seine unkon- Bei Xenakis ist im Laufe der Jahre eine grundlegende Einsicht in technik und des Musikdenkens in jener Zeit durchaus Züge eines ventionellen Ideen erschweren die Suche nach einem verständ- III Mit dem Eintritt in das Atelier von Le Corbusier im Dezember die tiefer liegenden strukturellen und mathematischen Gesetze stets reflektierten Laboratoriums; dass sich qua Wissensentfal- nisvollen Lehrmeister; Arthur Honegger, Darius Milhaud, Nadia 1947 ergriff Xenakis die ihm gebotene Chance; zugleich tat er hinzugekommen, was ihm erlaubt, strukturelle Elemente der tung neue Musik schreiben ließ – man denke auch an den Sieges- Boulanger, sogar Xenakis’ politischer Gefährte Louis Saguer spa- nach allen Wirren den logischen Schritt in ein einigermaßen ge- Architektur unmittelbar in die musikalische Kompositionstech- zug der Elektronischen Musik in all ihren Facetten –, wurde von ren nicht mit heftiger Kritik an seinen Kompositionsversuchen. sichertes Berufsleben. Le Corbusier, der weltberühmte Schöpfer nik eingehen zu lassen. Dabei geht Xenakis davon aus, dass solche den Komponisten selbst in Texten scharfsinnig und akribisch Es war schließlich , welcher das Potenzial des und Propagator des Neuen Bauens seit Beginn des Jahrhunderts, Strukturen, in ihrer Abstraktheit, lediglich ein Prinzip oder ein begründet. jungen Kandidaten zu erkennen vermochte und ihn um 1950 in der in zahlreichen Büchern und Artikeln seine Ansichten darge- Theorem darstellen, in welchen die ästhetische Kategorie gleich- seine mittlerweile berühmte Klasse aufnahm. Dabei soll er gesagt

22 23 Es formte sich somit in Kunst und Kunstkritik, besonders in der Xenakis allerdings in den Kern seines Handelns, sind doch seine Edgard Varèse geschaffen wurden. Über die von Xenakis damals Die Werke von Xenakis, welche im Rahmen des biennalen Musik der Moderne, eine Ästhetik des steten Fortschritts »am Werke als im Detail errechnete Ausführungen eines Gedankens bereits festgehaltenen Gedanken zu einem »Geste Electronique« Festivals für Moderne Musik aufgeführt werden, sind zudem Material«, die nirgends wie in der Musik – der wohl »abstraktes- aufzufassen, der in seiner Konkretisierung lediglich eine Möglich- (1958) hin zur Realisierung der Polytopes von Montreal (1967) und angetan, den sinnlichen Aspekt der musikalischen Welt des Kom- ten« Kunst (begriffslose Kunst hat sie Adorno bezeichnet) – den keit unter vielen präsentiert und so die Klang gewordene Option im Musée de Cluny (1971) ist es ein kurzer Weg; der Unterschied ponisten stärker in den Vordergrund treten zu lassen. Sie stam- Diskurs zu prägen vermochte. In diesem Klima von Konzert als darstellt, die nun gerade jetzt dem Publikum vorgestellt wird. Und zum Vorbild beruht jedoch auch hier darin, dass Xenakis ein voll- men, mit der erwähnten Ausnahme, aus den 80er und 90er Experiment, von Reflexion des künstlerischen Schaffens als dem Ruf nach elektronischen Rechnern folgte bereits 1962 die ständig abstraktes Spektakel von Licht, Ton und Raum schuf, mit Jahren, somit aus dem späteren Werk und lassen einen freieren begründeter, öffentlicher Diskurs, von Durchbrechen der tradi- Realisation: das Kammermusikwerk ST-10, 080262, aufgrund eines Tausenden von Leuchten, Flashes, Lasern sowie einer elektroni- Umgang mit den Erkenntnissen der mathematischen Formalisie- tionellen Erscheinungsformen der Musik als Legitimation für ausgeklügelten mathematischen Programms, welches mithilfe schen Musik ab Band, das losgelöst von konkreten Aussagen rung erkennen. Xenakis verfügt in jener Zeit über ein Handwerk, kompositorischen Fortschritt, der engen Zusammenführung von eines Computers die Realisation der Komposition mittels stochas- durch stochastische Prozesse gesteuert wurde. das ihm, wie er selber durchblicken ließ, ermöglichte, die gründ- Recherche und Artefakt, hier bleibt noch die Frage, was die hier- tischer Methoden ermöglichte. lich erarbeitete Methodik fallweise zur Anwendung zu bringen, Die Räumlichkeit musikalischer Abläufe erweist sich freilich mit gewonnene Ideologiefreiheit an neuen Schranken produzier- mit diesen Elementen sozusagen stilbildend umzugehen. Der Mathematische Methoden verfolgen indes ordnende und analy- schon in den frühesten Orchesterwerken, etwa in te. Oder: Warum klingt denn Neue Musik wie Neue Musik? Metastaseis Klang an sich war in jener Zeit Gegenstand seiner Erkundungen, tische Ziele. Gemäß dieser Einsicht forschte Xenakis in der Metho- (1954), wo der vollständig aufgeteilte Streicherklang zu unerhör- aus dem Instrument oder dem Klangkörper spezifische Vorstel- denvielfalt der angewandten Mathematik und entwickelte Forma- ten Klangentfaltungen im Raum beiträgt, oder exemplarisch im IV lungen herauszulocken seine Präokkupation. Seine Investigatio- lisierungen, die er für seine kompositorischen Zwecke einsetzen Orchesterwerk (1966), das an diesem Festival zur Xenakis’ frühe, unveröffentlichte Werke, die sich im Nachlass be- Terretektorh nen in die mathematische Theorie scheinen sich neuen Gefilden konnte. Und dies in der ganzen Vielzahl von Ansätzen, welche die Aufführung gelangt: Statt vis-à-vis einem Orchester auf der Büh- finden, zeigen, dass die Spurensuche zunächst ganz unterschied- zugewandt zu haben, die Axiomatik wirkt indes noch stärker in Mathematik zur Verfügung stellt, gleichsam einem Fundus an ne sitzend wird das Publikum sozusagen selbst zur Bühne, in liche Wege beschritt, bis sie mit dem Orchesterwerk Metastaseis den Gedankenmodellen, die den Rahmen für die Kompositionen Verfahrensweisen für spezifische kompositorische Probleme. welches sich die einzelnen Orchestermusiker zufällig verteilen. aus dem Jahre 1954 erstmals die Erscheinungsform fand, die setzen. Nicht nur wird dadurch der Zuhörer in einen Klangraum gebettet, für Xenakis und einen Teil seiner Werke typisch und sozusagen Als Ingenieur und Architekt, dem die »Ästhetik des Ingenieurs« in dem sich das Stück um ihn herum abspielt und somit Abläufe stilbildend war: Massenklänge aus einem Orchester, das extreme Le Corbusiers zur Maxime geworden war, sind Raum und räum- V eine räumliche Dimension annehmen, die sinnlich erfahrbar Dynamiken beansprucht, darin vollständig aufgeteilte Instru- liche Expansionen naheliegend. Vorwiegend in szenischen Xenakis war seit seinem Ausscheiden aus dem Atelier von Le Cor- wird, darüber hinaus kann jeder Zuhörer einen anderen Aspekt mente, Cluster von Glissandi-Bewegungen und Klangwolken aus Situationen, das heißt in der Verbindung von musikalischer Auf- busier 1960 freischaffender Komponist, mit allen Risiken und des Werks mit sich nehmen. Auch hier sind hinter den Kulissen Einzeltönen, die sich wie Galaxien überlagern, und dies alles führung und räumlichem Kontext, entstehen bei ihm spannungs- Chancen. Komposition auf Komposition entstand und mit jeder Prozesse des gelenkten Zufalls an der Wurzel des musikalischen durch eine mathematische Formalisierung gelenkt, bei denen der reiche Konzepte. Auch hier haben Erfahrungen in der Arbeit mit auch eine neue Anwendung seiner neu entwickelten Methoden – Geschehens; die Genese und Struktur des Werks folgt komposi- Komponist, so Xenakis, »wie ein Weltraumfahrer mit Hilfe elek- Le Corbusier Entscheidendes beigetragen, etwa im Pavillon Philips neue Ideen konnten in Klang und Raum verwirklicht werden. torisch strengen mathematischen Gesetzen. tronischer Rechner die musikalischen Abläufe wie ein Raumschiff der Weltausstellung 1958 in Brüssel, in dessen Inneren eine Bild/ Dabei ist es erstaunlich, wie oft seine Werke aufgeführt wurden. durch die klanglichen Konstellationen und Galaxien steuert.« Klang-Performance präsentiert wurde, dessen inhaltliches Kon- Lag dies an seiner Beharrlichkeit, an der Intransigenz, seinem Diese Metapher, so musikfern sie uns erscheinen mag, greift bei zept von Le Corbusier und deren musikalische Umsetzung durch bald etablierten Ruf als »Mathematiker unter den Komponisten«?

24 25 »Les mauvais calculs de Xenakis« – so der Titel einer Glosse des orientierten Kompositionstechnik. Sein Credo galt einer neuen mathematischer Methoden in der musikalischen Komposition französischen Musikkritikers Antoine Goléa Mitte der 60er Jahre Musik, die sich ihrer Immaterialität im Spannungsfeld von Art hat bei Xenakis sozusagen den Anschluss ans 20. Jahrhundert – bestärkten eher seinen Ruf, als dass es ihm schadete. Mentoren und Science bewusst wird und aus dieser Sonderstellung her- vollzogen: die starre, deterministische Arithmetik innerhalb der und Mäzene, in erster Linie Hermann Scherchen, dem Dirigenten aus neue Erfahrungen ins Bewusstsein bringt. »La musique, de pythagoreischen Rezeption musste einer dynamischen Formali- und Herausgeber der »Gravesaner Blätter« und Maurice Fleuret, par son essence abstraite, est le premier des arts à avoir concilié sierung der »Musik schlechthin« weichen – derjenigen des mittels aber auch Edgard Varèse und Albert Richard, der Verleger der la pensée scientifique et la création artistique« (Iannis Xenakis, stochastischer Gesetze formulierten »Minimums an Komposi- »Revue Musicale«, sorgten für Öffentlichkeit in weitestem Sinne. 1963). tionsregeln«. Die Herausgabe seiner verstreuten Texte in einem Band unter Dabei handelt es sich nicht um eine neue Mathematik, oder gar dem Titel »Musiques formelles« 1963 bildete einen Meilenstein, VI um eine schwierige, sondern um eine, welche die heutige Auf- die Durchführung eines Festivals »Varèse – Xenakis – Berio – Wird dadurch musikalische Komposition lediglich zu einer Frage fassung von Wandlungen in der Welt besser zu beschreiben 1968«, an dem zahlreiche seiner Werke erstmals der Strukturen, in klanglich-räumlicher Umsetzung? So formu- vermag. Mit dem Einbezug indeterministischer Methoden in die einem breiteren Publikum präsentiert wurden, einen weiteren. liert würde man dem Musikdenken von Xenakis nicht gerecht. musikalische Komposition wurde die Wechselbeziehung Mathe- Ende der 60er Jahre durfte Xenakis zumindest in Frankreich für Xenakis hatte sich die Antwort dazu in langen Jahren selbst zu matik – Musik wieder künstlerisch fruchtbar. Wesentlich ist je- sich in Anspruch nehmen, zu den prominenten Komponisten geben versucht. Mit Fragen wie »Was ist das Minimum an Vor- doch, dass dies im Rahmen eines präliminaren, ästhetischen seiner Generation zu gehören. Im Ausland ging dies freilich um aussetzungen, um in einem musikalischen Werk ein Maximum Konzepts stattfand. Nur in diesem kann letztlich der mathemati- einiges länger; möglicherweise spielten Sprachbarrieren, wie auch an Asymmetrie zu erlangen?«, »Wie kann ein kontinuierlicher schen Formalisierung der Musik Sinn abgerungen werden. schwer zu vermittelnde Ansätze, sicher aber auch spezifische Übergang von ganz raren Ereignissen im Orchester zur überwälti- Umfeldsituationen eine Rolle. genden Klangmasse geschaffen werden?«, »Wie lassen sich musi- Die Frage bleibt, ist es metaphorisch zu verstehen und somit kalische Strukturen außerhalb der Zeit festsetzen, und welche Teil der Ästhetik, oder begründet es eine Ontologie der Musik? Die Schriften Xenakis’, zu denen um 1968 »Vers une métamusi- Maximen oder Regeln braucht es, um diese in einen zeitlichen Diese Frage, die viele schon beschäftigt hat und die letztlich auf que« und »Vers une philosophie de la musique« hinzukamen, in Ablauf einzuordnen?« und weiteren Fragen begründete er seine den Musikbegriff weist, dem Xenakis nachlebte, wird uns auch welchen eine auf deterministischen Vorgaben beruhende Axio- ureigene Philosophie der Musik, die sich an Theoremen der in Zukunft keine Ruhe geben – wie auch das Œuvre niemanden matisierung des musikalischen Kompositionsprozesses entwi- klassischen, antiken Philosophie anschloss und diese in seinem unberührt lässt. ckelt wird – von der Stochastik zur Algebraischen Gruppentheorie Sinne deutete. –, dokumentieren nicht nur die intensiven Investigationen in ein grundlegend neues Verständnis von abstrakten Darstellungsfra- Die traditionelle, mithin zum Topos gewordene Verbindung von gen musikalischer Abläufe, sondern begründeten auch seinen Musik und Mathematik erscheint bei Xenakis methodisch erst- Ruf als Vordenker einer neuen, an universalen Gesichtspunkten mals auf einer reflektierten abstrakten Ebene. Die Anwendung

26 27 Iannis Xenakis in Darmstadt Aufführungen und Seminare bei den Internationalen Ferienkursen

1958 Auf Empfehlung von Hermann Scherchen erstmals 1974 Kompositions-Dozent (5 Seminare). 1982 (1975), Steven Schick (Schlagzeug), 1990 »Iannis Xenakis – Hommages, Seminare, Fragen, Teilnehmer der Darmstädter Ferienkurse. (1973), Deutsche Erstaufführung, Aloys Kontarsky Theraps (1975/76), Jean-Pierre Robert (Kontrabass) – Antworten« – Veranstaltungsreihe vom 20. bis 22.07.

Achorripsis (1956/57), Europäische Erstaufführung, (Klavier), Mikka (1972), Deutsche Erstaufführung, Saschko Konzert am 22.07. 20.07.: hr-Sinfonieorchester, Ernest Bour (Leitung) – Gawriloff (Violine), Charisma (1971), Deutsche Erstauffüh- Ikhoor (1978), Irvine Arditti (Violine), Levine Andrade »Iannis Xenakis – Aspekte seines Denkens im Blick auf Konzert am 09.09. rung, Hans Deinzer (Klarinette), Siegfried Palm (Violon- (Viola), Rohan de Saram (Violoncello) – Konzert am 23.07. das Gesamtwerk« (I). Eine Einführung von Rudolf Frisius cello), (1969), Deutsche Erstaufführung, (1956–62), Deutsche Erstaufführung, (1976), Elizabeth Chojnacka (Cembalo) – (1980), James Avery (Klavier), (1989), 1963 St/4-1, 080262 Les Percussions de Strasbourg – Konzert am 30.07. 1984 Khoai Mists Epicycles Quatuor Parrenin – Konzert am 21.07. Konzert am 22.07. Rohan de Saram (Violoncello), Ensemble Köln, Morsima-Amorsima (St/4-1, 030762) (1956–62), Tetras (1983), Arditti Quartett, zwei Sätze aus Robert HP Platz (Leitung) 1968 (1965/66), Siegfried Palm (Violoncello) – Saschko Gawriloff (Violine), Dan Lupu (Violoncello), (1978), Percussionsstudio der Ferienkurse, Konzert am 01.09. Andreas Pflügler (Kontrabass), Werner Füsser (Klavier) – 21.07.: James Wood (Leitung) – Konzert am 26.07. Konzert am 03.08. Lecture von Iannis Xenakis 1972 Erstmals Kompositions-Dozent bei den Ferienkursen 1986 Akanthos (1977), Vincent Cortvrint (Flöte), Roland Diry (1987–89), Psappha (1975), Persephassa (1969); (5 Seminare). 1976 Theraps (1975/76), Deutsche Erstaufführung, (Klarinette), Steffen Schleiermacher (Klavier), Sara Stowe Percussion-Ensemble der Ferienkurse, (1959), (1964), Deutsche Erstaufführung, Fernando Grillo (Kontrabass) – Konzert am 21.07. Syrmos Hiketides (Sopran), Roger Redgate und Levine Andrade (Violine), James Wood (Leitung) Synaphai (1969) Deutsche Erstaufführung, 1978 La Legende d’Er (1977) – Einführungsvortrag und Barbara Maurer (Viola), Alan Brett (Violoncello), (1960/61), (1969), 22.07.: Anaktoria Aufführung am 04.08. Fernando Grillo (Kontrabass), Barrie Webb (Leitung) – Georges Pludermacher (Klavier), Sinfonieorchester des Komponisten-Forum: »Iannis Xenakis – Aspekte seines Charisma (1971), Florian Popa (Klarinette), Konzert am 27.07. Saarländischen Rundfunks, Hans Zender (Leitung) – Denkens« (II). Eine Einführung von Rudolf Frisius Michael Bach (Violoncello), Psappha (1975), Evryali (1973), Mari Takano (Klavier) – Konzert am 28.07. Konzert am 20.07. (1973), Bernhard Wambach (Klavier) Mircea-Gheorghe Ardeleanu (Schlagzeug) – evryali 1988 Mists (1980), James Avery (Klavier) – Konzert am 07.08. Konzert am 12.08.

28 29 Iannis Xenakis bei den 35. Darmstädter Ferienkursen, 1990 Iannis Xenakis Beitrag zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 1974

1. 3. Es gibt eine Kategorie von Komponisten, die serielle Musik Dies ist eine Frage der Musikerziehung, eines Musikunterrichtes, geschrieben haben und sich aus diesem Grunde jetzt in einer der nicht stattfindet. Das heißt, der Musikunterricht sieht noch postseriellen Phase befinden. Aber es gibt auch andere Kategori- immer so aus wie im 19. Jahrhundert. Ferner sind die Ver- en, Leute, die nie serielle Musik geschrieben haben, die deshalb triebswege der Musik mehr oder weniger in den Händen kom- nicht postseriell sein können, da sie außerhalb standen, so wie ich merzieller Einrichtungen: Schallplatte und Radio haben Zuhörer, zum Beispiel, und nicht nur ich, sondern alle, die den gleichen die weder ausgebildet noch informiert sind; dies alles blockiert Weg gehen und sich all der Kompositionsmethoden bedienen, die das Kennenlernen musikalischer Entwicklungen, und diese mit dem gesamten Tonmaterial, mit Tonmassen, mit Glissandi Blockade kann, meiner Ansicht nach, bei der augenblicklichen arbeiten, was vollständig außerhalb der seriellen Richtung lag. Lage der Dinge nur nach und nach überwunden werden, durch Folglich setzt die Neue Musik ihren Weg mit verschiedenartigen kommende Generationen, die hier einen Ersatz schaffen. Das Stilmischungen fort. Wenn man die Partituren junger Komponis- heißt, die gegenwärtige Neue Musik wird eine klassische gewor- ten betrachtet, sieht man diese Mischungen aus mehreren den sein. Es gibt übrigens nur eine Verschiebung, die immer ge- Strömen; aber leider gibt es deren nicht viele. Es sind wie stets ringer wird, jedoch werden dafür spezielle Kräfte nötig sein, um wenige, die ihre Zeit überdauern und von Interesse bleiben. dies zu bewirken, müsste man vielleicht den Sinn von Musik und Forschung neu definieren. 2. Nostalgie, die sich auf das tonale System richtet? Ich meine, auf 4. dem Gebiet der Musik gibt es kein Zurück. Es ist wie in allen Die Musik, die Kunst generell, ist eine Umwelt, die den Menschen Dingen, es gibt vielleicht zyklische oder kreisförmige Folgeer- verändert, deshalb auch die menschliche Gesellschaft und scheinungen, aber eine Rückkehr so ohne weiteres: niemals! Das folglich auch die Politik. Aber die Kunst als Mittel zur Verände- ist unmöglich. Man hat nie gesehen, dass Musik eine vergangene rung zu benutzen, das ist eine Idee, die periodisch von allen Arten Musik kopiert hat. Vielleicht wurde sie manchmal von ihr von Regierungsformen aufgegriffen wurde und meiner Ansicht inspiriert. Was die Nostalgiker betrifft, nun ja, es hat zu allen nach sinnlos ist. Eine politisierte oder engagierte Musik kann sehr Zeiten Nostalgiker gegeben. gute Musik sein, wenn sie mit Talent gemacht ist; die Politisie-

31 rung ist eine zusätzliche Sache, die das in die Musik bringt, was Was Organisation und Qualität von Kursen Neuer Musik, auch die Ideen und Ideologien trägt; die Musik selbst kann nicht hier in Darmstadt, betrifft, so kann ich dazu nicht viel sagen, denn politisch sein! Ist die Mathematik vielleicht politisch? Also, das ich sehe nicht deutlich genug, was anderswo geschieht. Ich ver- hat keinen Sinn! Andererseits kann eine Tätigkeit auf musikali- bleibe hier eine bestimmte Zeit, aber nicht sehr lang. Dann habe schem, schöpferischem Gebiet den Menschen zutiefst verändern. ich einige weitere Kontakte, aber dies ist nicht ausreichend. Auf Es ist übrigens der Sinn der Musik, dass sie ihn verändert, ob er jeden Fall erscheinen mir die Ferienkurse dazu veranstaltet, junge es will oder nicht. Leute und weniger junge Leute verschiedener Richtungen zusam- menzubringen: durch Konzerte, Diskussionen und Seminare. 5. Man kann da nicht von einer Ausbildung im allgemeinen Sinn Die junge Generation der Komponisten? Ich denke, dass es eine sprechen, da einige Wochen Kontakte nicht ausreichen. Meines gibt. In Anbetracht der Schwierigkeiten in der Kommunikation, Erachtens ist diese viel schwieriger und zugleich auch viel tief- im Studium und bei Prüfungen will ich zunächst von der Schwie- greifender. Zum Beispiel müsste mehr als nur eine einfache Be- rigkeit einer grundlegenden Kritik der Musik sprechen. Die jun- gegnung mit verschiedenen Vorführungen stattfinden. Es müsste gen Leute erziehen sich nicht, sie benehmen sich wie die Schma- einzelne und genau festgelegte Studienthemen geben. Verschie- rotzer. Sie erwischen von rechts und links eine Menge Dinge, dene Arbeitsgruppen sollten schon im Voraus gebildet werden ohne eine richtige Definition und eine veritable Kritik dessen, was und Arbeitsmaterial zur Verfügung haben. Denn diese Gruppen sie benötigen. Die Folge davon ist, dass das Meiste von dem, was können sich nicht erst in Darmstadt bilden, da die Zeit ihres sie verwirklichen, oberflächlich ist, und sie gleichen einander wie Aufenthaltes dafür zu kurz ist. ein Ei dem anderen. Das ist ein Mangel an Tiefe in der komposi- torischen Haltung und kommt meiner Meinung nach durch das Was sich im Laufe eines Jahres oder während mehrerer Jahre zu- Fehlen von Diskussionen und die Erziehung, die die jungen trägt, kann man nicht in einige Arbeitswochen zusammendrän- Musiker in den Musikschulen, Hochschulen oder Konservatorien gen. Aber vielleicht ist es gar nicht das Ziel Darmstadts, etwas in erhalten, wo man sie, wie es scheint, nur traditionelle Dinge lehrt, dieser Richtung zu unternehmen, und sind die Kontakte und der anstatt an neuen Erscheinungen Diskussion, Kritik und damit Austausch von Musik – zudem von hoher Qualität hinsichtlich auch die Unterweisung fortzusetzen. Allein können sie die Neue der aufgeführten Werke und ihrer Wiedergabe – reichhaltig Musik nicht bewältigen. Was sie tun, ist rechts und links Vorhan- genug. denes nachzuahmen. Das bewirkt eine Verwirrung der Geister und ein Absinken des musikalischen Denkens, also der Qualität Quelle: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, Ferienkurse ’74, Herausgeber Ernst Thomas, Mainz 1975 © Schott Music/IMD und des Geschmackes. 32 Programm Fr25Nov bis Do1Dez IANNIS XENAKIS – ARCHITEKTUR UND MUSIK 9 – 21 Uhr Ausstellung Frankfurt hr-Sendesaal Goldhalle Ausstellung der Bayerischen Architektenkammer Eröffnung in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule München 25.11.2011 Fachbereich Architektur 17.45 Uhr mit der Präsentation des Films: durch La Vie et la Musique de Iannis Xenakis Thomas Schäfer, von Mark Kidel Internationales ...... Musikinstitut Darmstadt (IMD) Kuratorium: Ulrich Winko, Minas Borboudakis Grafische Konzeption: Wolfgang Achmann Modellbau: Florian Rist, Rainer R. Lorenz

35 IANNIS XENAKIS – ARCHITEKTUR UND MUSIK Kultur als Ausstellung

In seiner Doppelbegabung als Komponist und Archi- in der Ausstellung anhand von Reproduktionen zahl- tekt ist Iannis Xenakis der Erste nach Edgard Varèse, der reicher Zeichnungen, Pläne, Fotografien, Partituren, Markenzeichen sich mit den Verhältnissen und Wechselwirkungen zwi- musikalischen Skizzen und einem Modell des Philips- schen Musik und Raum immer wieder beschäftigt hat. Pavillons präsentiert, erklärt und verdeutlicht. Zusätz- Mit einer einzigartigen Dichte wissenschaftlicher Forschungs- und Lehreinrichtungen, Bei den Donaueschinger Musiktagen 1955 gelang ihm lich wird der Film »La Vie et la Musique de Iannis erstrangigen Bildungspotenzialen und Kulturinstituten nimmt Frankfurt RheinMain der internationale Durchbruch als Komponist. In der Xenakis / Leben und Werk des Iannis Xenakis« des eine kulturelle Spitzenstellung ein. Vielfältige Angebote der Museen, Opern und Konzerthäuser, Festspiele, Orte der Literatur, des Modernen Tanzes, des Designs und Architekturszene ist Xenakis mit seinen Werken für vie- Regisseurs Mark Kidel gezeigt. der Neuen Musik setzen Zeichen und inspirieren. le ein Unbekannter geblieben. Die Ausstellung »Iannis Xenakis – Architektur und Musik« der Bayerischen Um diese starke Position von Frankfurt RheinMain national und international weiter Architektenkammer dokumentiert diese beiden außer- auszubauen, haben Kreise und Städte der Region sowie das Land Hessen eine gewöhnlichen Begabungen. gemeinsame Plattform geschaffen: Der Kulturfonds Frankfurt RheinMain initiiert, entdeckt und unterstützt Projekte von Rang. Er vernetzt Institutionen und fördert Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen Projekte von Vorhaben, die jeweils aus eigener Kraft nicht die gleiche Wirkung entfalten könnten. Xenakis, die beispielhaft die Symbiose von Musik und Architektur darstellen. Besonders prägend war seine Dies erhöht die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung der zentralen Region Schaffensperiode im Büro von Le Corbusier in den inmitten Europas und trägt zu ihrer Strahlkraft bei. Jahren 1947 bis 1959. Die Arbeiten von Xenakis werden

Biennale füR ModeRne MusiK Den Kulturfonds tragen das Land fRanKfuRt RheinMain Hessen, der Hochtaunuskreis und der 25–27 NOV 2011 Main-Taunus-Kreis sowie die Städte Konzerte, Ausstellung und Lectures Darmstadt und Frankfurt am Main. in der Kulturregion Frankfurt RheinMain www.kulturfonds-frm.de 36

Anzeige Kulturfonds_Markenzeichen_cresc.indd 1 19.10.11 12:24 Fr25Nov XENAKISPERSPEKTIVEN 14 – 17.30 Uhr Symposium Frankfurt hr-Sendesaal Foyer Erster Tag

14 Uhr 16 Uhr »Art« und »Science« in der Musik Musikwerke als Formverläufe und im Denken von Iannis Xenakis Rudolf Frisius ...... André Baltensperger ...... 17 Uhr 15 Uhr Art oder Science? Berechenbare Musik. Xenakis’ Projekt einer Abschlussdiskussion mit den Teilnehmern formalisierten und algorithmischen Kunst Moderation: Julia Cloot ...... Peter Hoffmann ......

39 Erster Tag

XENAKISPERSPEKTIVEN »Art« und »Science« in der Musik und im Denken Musikwerke als Formverläufe Symposium von Iannis Xenakis Rudolf Frisius André Baltensperger In vielen Stücken von Xenakis finden sich Ansätze einer auch im Der Eröffnungsvortrag dient zur Einführung in die Entstehung unmittelbaren Höreindruck direkt nachvollziehbaren Formge- Das zweitägige Symposium nähert sich der Musik von des musikalischen Denkens bei Xenakis und seiner frühen Werke, staltung, in der sich klare Abschnittsgliederungen verbinden Xenakis mit sechs Vorträgen und zwei Diskussions- unter anderem werden Bezüge zu Le Corbusier, Olivier Messiaen, mit prozesshaften, meist vom Gestalthaften zum Strukturellen runden, die sich an Fachpublikum ebenso richten wie zur Seriellen und zur stochastischen Musik darin aufgespürt. führenden Formverläufen. Das Phänomen der durchhörbaren an Musikinteressierte. Schwerpunkte sind Bezüge Formgestaltung wird einerseits werkbezogen diskutiert, anderer- zwischen Raum und Zeit in Xenakis’ Kompositionen, seits im Zusammenhang mit der Frage nach neuen Aspekten der Verflechtungen von Architektur und Musik in seinem Berechenbare Musik. Xenakis’ Projekt einer Formgestaltung in der Musik seit 1968 (auch nach ihren einerseits musikalischen Denken, Mathematik und Stochastik formalisierten und algorithmischen Kunst musikimmanenten, andererseits musikübergreifenden, beispiels- weise zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Aspekten). als Grundlage der kompositorischen Arbeit und nicht Peter Hoffmann zuletzt Aspekte der Interpretation und Aufführungs- Wenn musikalische Parameter (wie Dauern, Tonhöhen oder gar praxis. In einer Hörstation sind Edgard Varèses Poème Klangfarben) in mathematische Formeln gefasst werden können, électronique Iannis Xenakis’ Concret PH zu erleben. dann ist ein Computer in der Lage, solche Strukturen zu gene- Konzeption und Leitung: Julia Cloot rieren, auch wenn er gar nichts von Musik »versteht«. Diese langgehegte Utopie einer »automatischen« (wir würden heute sagen: algorithmischen) Kunst hat Xenakis gegen Ende seiner Karriere erreicht: mit der Konstruktion des Computerprogramms GENDYN 1991, das die Gesamtheit eines musikalischen Werkes einschließlich seiner digitalen Klanggestalt eigenständig berech- net. Diese Art von Musik kann man als »berechenbare Musik« bezeichnen: Sie ist durch die Maschine vollständig determiniert, aber für den Hörer durchaus spannend und überraschend.

40 41 Fr25Nov ERÖFFNUNGSKONZERT 19 Uhr Ensemble Modern • hr-Sinfonieorchester • IEMA-Ensemble Frankfurt Johannes Kalitzke, Leitung hr-Sendesaal

Einführung 18.15 Uhr Foyer Festivaleröffnung durch Ingmar Jung, Qian Shen-Ying (*1985) Staatssekretär im Hessischen Ministerium Padma (2010/11) XenakisSplitter I für Wissenschaft und Kunst Dialog mit LI Shang-Yin, Stéphane Mallarmé, »Musik und Raum/ ...... SHI. Tao und Claude Monet Instrumente für im Raum verteiltes Ensemble und Orchester in Gruppen I« mit Iannis Xenakis (1922–2001) Auftragswerk des 5. Internationalen Rudolf Frisius Alax (1985) Kompositionsseminars der IEMA für drei Ensembles gleicher Besetzung 21’ Uraufführung 12’ ......

Vito Žuraj (*1979) Elliott Carter (*1908) (2011) A Symphony of Three (1976) 17’ Changeover ...... für Instrumentalgruppen und Sinfonieorchester

Auftragswerk des 5. Internationalen Kompositionsseminars der IEMA Uraufführung 20’ ......

Keine Pause. Alle Besucher sind nach dem Konzert zu einem Umtrunk im Foyer eingeladen . 43 Iannis Xenakis laufsformen haben. Die Überlagerung verdichtet sich bis zum vergleichbar mit der Situation der frisch entstehenden Musik, Qian Shen-Ying Alax (1985) Paroxysmus, bis wiederum das Schlagzeug ins Geschehen ein- wenn ein Komponist mitten im künstlerischen Drang unter- Padma (2010/11) greift. Langsam oszillierte Liegetöne werden abschließend von brochen wird, um eine Werkeinführung verfassen zu müssen... In Alax, das 1985 in Köln uraufgeführt wurde, findet ein Dialog Paukenglissandi absorbiert. Alax (Austausch) beschreibt, so Für mich beinhaltet »Raum« in der Musik zwei Bedeutungs- Das in Gruppen rund um das Publikum angeordnete Ensemble zwischen drei Kammerensembles statt. Sie stehen in einem Xenakis, die »Verwandlung von Ebenen, Unordnung, Ordnung, ebenen. Die eine bezeichnet den realen, physikalischen Raum und das auf der Bühne standardmäßig aufgestellte Sinfonie- Dreieck zueinander und lassen Klangereignisse von einem zum von Klängen und Strukturen innerhalb und außerhalb der Zeit«. als Dispositionsmöglichkeit von Klangquellen (Musiker, Laut- nächsten Ensemble wandern, transformieren sie oder schmelzen orchester sind zwei ungleichmäßig besetzte Akteure, die mit- sprecher, etc.) – die konkrete Räumlichkeit von Klang. Die andere sie zum Tutti aller drei Gruppen zusammen. Die Ensembles sind Dieter A. Nanz einander nicht im Verhältnis wie Solist zur Begleitung stehen, Ebene bezeichnet den virtuellen oder spirituellen Raum, wie identisch mit Flöte und Klarinette, zwei Hörnern und Posaune, sondern vielmehr als kontrastierende Spielpartner agieren. Die er im vielschichtigen Ausdruck der Musik zum Tragen kommt – Violine und zwei Celli sowie (ausschließlich mit Fellinstrumenten vorher erwähnten Begriffe wie Sonnenlicht, Schatten, Wind und die Diversität spiritueller Vermittlung durch den Klang. bestücktem) Schlagzeug besetzt. Vito Žuraj Publikum bedeuten für mich das Festlegen der Antonym-Paare ist diesen beiden räumlichen Konzepten gewidmet. Des- Changeover (2011) wie Geräusch – Tonhöhen, Solo – Mehrstimmigkeit, Unisono – Padma Eine hohe, kapriziöse Violinmelodie leitet das Werk ein. Sie wird Arpeggio und Passivität – Bewegung, die ich im Schaffensprozess halb konstituieren das Orchester (vor dem Publikum) und das zusehends von Trillerfiguren und Tremoli unterbrochen, um Changeover ist die zwölfte Komposition in meiner Serie von auf meine Tonhöhen-, Rhythmus- und Klangfarbenstrukturen Ensemble (um das Publikum herum) in ihrer räumlichen Auf- dann in Glissandofiguren aller drei Gruppen überzugehen. Es Musikwerken, die einen Tennis-Titel führen. Als begeisterter übertragen habe. teilung ein akustisches 360°-Panorama, den physischen Klang- entsteht eine pendelnde, periodische Bewegung, die durch die Tennisspieler versuche ich, in jeder meiner »Tennis-Komposi- raum des Werks. Zusätzlich ist die Musik von zwei Gedichten Bongos beendet wird. Der anschließende Hauptteil des Werks tionen« eine bestimmte Spielsituation in Tönen auszudrücken. Vito Žuraj von LI Shang-Yin und Stéphane Mallarmé sowie zwei Gemälden beschreibt eine enorme Vergrößerung der Elemente dieser Ein- »Changeover« ist ein englischer Begriff für Seitenwechsel. Die von SHI Tao und Claude Monet inspiriert, so dass der konkrete leitung. Wiederum durch eine melodische Linie eröffnet, findet Tennisspieler wechseln die Spielfeldseiten nach Beendigung Text und die visuelle Dimension hinter dem abstrakten Klang, ein Übergang zu rhythmisierten Klangfeldern statt. Klangschich- jeden Satzes und zusätzlich nach jedem ersten, dritten und je- der spirituelle Raum des Werkes, Form annimmt. tungen der drei Ensembles im Tutti verwandeln sich in kano- dem folgenden ungeraden Spiel (im Tiebreak nach jeweils sechs Darüber hinaus thematisieren die ausgewählten Gedichte und nisch gegeneinander verschobenen Kaskaden schneller Figuren. Punkten). Was die Abmessungen betrifft, sind die beiden Spiel- Bilder ein ähnliches Subjekt: die Lotusblume, auf Sanskrit: . Diesen rhythmischen Prozessen werden fluktuierende, breit aus- feldseiten eines Tennisplatzes natürlich gleich groß, jedoch gibt Padma In China ist die Lotusblume Symbol sowohl für Reinheit und Per- ladende Klangbänder gegenübergestellt, deren gleitende Liege- es andere Faktoren, die nach einem Seitenwechsel den einen fektion als auch für Träume und Liebe gleichermaßen. Daneben töne, nur durch Linien angedeutet, »unregelmäßig und langsam oder anderen Spieler beeinflussen: direktes Sonnenlicht, Schat- ist sie eines der prominentesten Symbole des Buddhismus, und im Bereich von zwei Ganztönen oszillieren«. Es folgen schnelle tenausdehnung, Windrichtung oder Sitzposition des Spieler- das schichtweise Wachstum der Blüte verdinglicht die zyklische Läufe durch alle Instrumente, die nun wiederum rhythmisch Teams auf der Zuschauertribüne. Im Falle der Fehlentscheidun- Evolution der Seele. präzis koordiniert sind, jedoch unterschiedliche melodische Ver- gen der Linienrichter leidet vor allem das Tennisspiel an sich –

44 45 Bis zu einem gewissen Grad spiegelt meine Disposition (erste Elliott Carter How many dawns, chill from his rippling rest können, genau so wenig, wie er die Modulationen in Tristan und Schicht: ein großes Orchester auf der Szene; zweite Schicht: zwei A Symphony of Three Orchestras (1976) The seagull’s wings shall dip and pivot him, Isolde enträtseln soll; seine Aufgabe ist vielmehr, den Charakter Perkussionisten und ein Klavier; dritte Schicht: fünf Streicher; Shedding white rings of tumult, building high dieses Kaleidoskops musikalischer Themen hörend zu erfassen, vierte Schicht: vier Holzbläser und drei Blechbläser) in der Wachs- A Symphony of Three Orchestras, entstanden zwischen Juni und Over the chained bay waters Liberty – während sie in wechselnden Kontexten präsentiert werden. tumsform 1-3-5-7 die Form der Lotusblume wider und geht damit Dezember 1976, wurde im Rahmen eines Förderpreises an sechs Then, with inviolate curve, forsake our eyes Der Hauptteil des Werkes wird in seiner Dynamik von einer parallel mit meinem Konzept von Raum im Klang einher. Die Orchester (Boston, Chicago, Cleveland, Los Angeles, New York und As apparitional as sails that cross Reihe wiederholter, kurzer und lauter Akkorde des gesamten Musik in Padma kommt also ebenfalls in symmetrischer Form Philadelphia) der Nationalen Kunststiftung zur Feier des 200- Some page of figures to be filed away; Orchesters unterbrochen, die den vorherigen Fluss zerrütten. zum Klingen. jährigen Bestehens der Vereinigten Staaten, von den New Yorker Philharmonikern in Auftrag gegeben. Die Partitur ist dem New – Till elevators drop us from our day… Das Werk endet in einer Coda, die Fragmente der Musik wie- Qian Shen-Ying der aufgreift und dabei repetitive Passagen und expressive York Philharmonic und , seinem musikalischen Der anfängliche Abstieg führt unmittelbar zu einem Giocoso- Übersetzung: Patrick Klingenschmitt Ausbrüche im Wechsel präsentiert, bevor sie – als Umkehr des Leiter, gewidmet. Thema, das von den Fagotten gespielt wird und die zentrale Beginns – zu den tiefsten Registern der drei Orchester hinab- Idee des ersten Satzes des dritten Orchesters darstellt, mit dem In diesem Werk wird das gesamte Orchester in drei kleinere steigt. Orchester unterteilt. Das erste Orchester besteht aus Blechblä- der Hauptteil des Werkes beginnt. Bis zur abschließenden Coda sern, Streichern und Pauken, das zweite aus Klarinetten, Klavier, sind in der Folge zwölf unterschiedlich charakterisierte Sätze Obwohl A Symphony of Three Orchestras nicht als Versuch Vibrafon, Glockenspiel, Marimba, Solo-Violinen, Bässen und zu hören, jeder mit seinen eigenen aufeinander bezogenen verstanden werden soll, das Gedicht Hart Cranes musikalisch einer Gruppe von Celli, das dritte aus Flöten, Oboen, Fagotten, Themen, je vier pro Orchester. Die vier Sätze jedes Orchesters umzusetzen, sind doch viele musikalische Ideen daraus von Hörnern, Violinen, Violas, Bässen und ungestimmter Perkussion. unterscheiden sich in Ausdruck und Geschwindigkeit, während diesem und anderen seiner Werke inspiriert. sie in Bezug auf räumliche Anordnung, Instrumentalfarbe, cha- Elliott Carter Die Musik beginnt in den höchsten Registern der drei Orches- rakteristische Harmonik und Rhythmik natürlich korrelieren. Übersetzung: Patrick Klingenschmitt ter und steigt von dort langsam herab, während die Trompete Kein Orchester spielt zwei seiner Sätze gleichzeitig, aber jeder der eines der Themen ankündigt, das man zuvor mehrmals im ersten zwölf Sätze wird eingeführt, während ein anderer Satz eines ande- Orchester gehört hat. Es endet in einer Serie schnell abfallender ren Orchesters noch gespielt wird – er taucht dann kurz auf, wird Passagen, die vom Beginn von Hart Cranes »The Bridge« inspi- alleine im Vordergrund hörbar und wird dann zum Hintergrund riert sind, der den New Yorker Hafen und die Brooklyn Bridge für das Auftauchen eines weiteren Satzes. So entsteht ein sich beschreibt: kontinuierlich überlappender, changierender musikalischer Fluss. Der Hörer soll natürlich nicht beim ersten Hören alle De- tails dieses sich permanent verändernden Klangnetzes erfassen

46 47 Fr25Nov UN/LIMITS – OPEN SPACE 22.30 Uhr hr-Bigband • Christian Lindberg, Posaune und Leitung • Örjan Fahlström, Leitung Frankfurt Frankfurt LAB

Einführung Christian Jaksjø (*1973) Iannis Xenakis (1922–2001) 21.45 Uhr Halle 2 They Will Be Buried by Laughter Keren (1986) [Change Ringing] (2011) für Posaune solo 6’ XenakisSplitter I I ...... für Jazzorchester [Unbestimmte Dauer] »Xenakis als ...... Anreger I«

mit Christian Lindberg (*1958) Michael Rebhahn Örjan Fahlström (*1953) Troorkh in memoriam (2010/11)

Meditation on a Luminous Mind (2011) für Jazzorchester für Jazzorchester Auftragswerk der hr-Bigband Auftragswerk der hr-Bigband Uraufführung 15’ ...... Uraufführung 10’ ......

Keine Pause 49 Christian Jaksjø Im gekerbten Raum wird das Zählen durch eine reelle Funktion Örjan Fahlström einen strahlenden Geist, der einen unauslöschbaren Eindruck They Will Be Buried by Laughter ermöglicht, die den räumlichen Abstand zwischen zwei Punkten Meditation on a Luminous Mind (2011) in der Musikgeschichte hinterlassen hat. definiert. Im glatten Raum ist Zählen deshalb nicht möglich, [Change Ringing] (2011) Örjan Fahlström weil es keinen Begriff von extensiver, metrischer Distanz gibt. Meditation on a Luminous Mind ist nicht nur eine Hommage an Übersetzung: Patrick Klingenschmitt They Will Be Buried by Laughter [Change Ringing] ist ein offenes Vielmehr erscheint Distanz im glatten Raum – im Sinne Deleuzes Iannis Xenakis, sondern auch eine Reflektion auf die Möglichkeit Werk. Kollektiv und dynamisch kontrollierte regelbasierte Ent- und Guattaris – als »Zusammenstellung geordneter Differenzen, der Erschaffung eines Klangraumes seiner architektonischen scheidungen, die über das Gehör gesteuert werden, resultieren mit anderen Worten: Differenzen, die so ineinander verschachtelt Sprache mit den kreativen Möglichkeiten eines Jazzorchesters in einem ungewohnten musikalischen Raum, der im Offenen sind, dass es möglich ist zu beurteilen welche größer und welche wie der hr-Bigband. Meine Komposition ist von Xenakis’ elektro- Iannis Xenakis und Unvollständigen verwurzelt ist. kleiner ist, aber nicht, wie groß sie genau sind«. Nach Michel akustischer Komposition Mycènes Alpha (1978) beeinflusst, die Keren (1986) Foucault entspricht dies der Ordnung der Dinge, die »ohne Bezug auf dem von Xenakis entwickelten Computerprogramm UPIC Pierre Boulez unterscheidet zwischen zwei unterschiedlichen »Keren« ist hebräisch und bedeutet Horn. Iannis Xenakis’ gleich- zu einer äußerlichen Einheit besteht, […] indem sich eine Sache basierte, mit dessen Hilfe sich grafische Zeichnungen als Echt- Formen musikalischen Raumes: gekerbter Raum, in dem man namiges Stück für Solo-Posaune entstand 1986 im Auftrag der als die Einfachste entdeckt, dann die nächste als die nächstein- zeitinstruktionen für Klangsynthese reinterpretieren lassen. durch zählen operiert, und glatter Raum, in dem es unmöglich ist International Trombone Association für Benny Sluchin, der es fache« und so weiter – es entsteht eine Reihe, in der die »Begriffe zu zählen (selbst wenn man es versuchen würde). Aufbauend auf Meditation on a Luminous Mind besteht aus meiner Intention, im gleichen Jahr im Rahmen des Festivals »Musica« in Straßburg rein nach größer werdenden Differenzen entstehen«. Oder wiede- Boulez’ Begriff definieren Gilles Deleuze und Felix Guattari das unter Berücksichtigung der besonderen Möglichkeiten des Jazz- uraufführte. Kaum sechs Minuten lang, reizt Keren die instru- rum, nach Deleuze: »Hier gibt es nicht länger eine Aufteilung Glatte als etwas, das »untrennbar von einem Prozess kontinuier- orchesters, Xenakis’ Zeichnungen von neuem zu spielbaren mentalen und spieltechnischen Ressourcen der Posaune bis an dessen, was verteilt wird, sondern vielmehr eine Aufteilung licher Variation« ist: Es ist »die kontinuierliche Entwicklung von Parametern umzudeuten. Im Gegensatz zu Mycènes Alpha be- ihre Grenzen aus. Mit einer schlichten Melodie auf scheinbar innerhalb derer, die sich selbst im offenen Raum verteilen, – ein Form; […] ist die Fusion von Harmonie und Melodie zum Zwecke zieht meine Komposition in einem rein akustischen Umfeld einfachste Weise beginnend, gewinnt das Werk dabei zunehmend unbegrenzter Raum, oder zumindest ein Raum ohne präzise der Synthese in eigentlichem Verstand rhythmischer Werte, der Stellung – die einzige Ausnahme bildet die elektrische Klarinette, an Tiefenraum und struktureller Komplexität. Abrupte Änderun- Grenzen.« reine Akt, eine Diagonale durch das Vertikale und das Horizontale die darüber hinaus die metaphorische Verbindung zu Xenakis’ gen der Dynamik, extreme Stimmlagen, Glissandi und Mikroin- zu ziehen.« Das Gekerbte, auf der anderen Seite, ist etwas, »das Christian Jaksjø Komposition und einen Träger kreativer Jazz-Improvisationsmög- tervalle erweisen sich als zusätzliche destabilisierende Elemente. […] Konstanten und Variablen möglich macht, […] eine Ordnung Übersetzung: Patrick Klingenschmitt lichkeiten darstellt. Ich habe die Grafiken von Mycènes Alpha als Der Komposition liegen verschiedene Patterns zugrunde: und Abfolge bestimmter Formen produziert und horizontale Grundlage für die Form meines Werkes benutzt, habe aber gleich- Kombinationen grundlegender Parameter wie Tonhöhe und melodische Linien und vertikale harmonische Flächen organi- zeitig die vertikale Entwicklung grundlegend neu interpretiert. Tondauer einerseits bis hin zu abstrakteren Einheiten wie siert«. Im gekerbten Raum sind wir in der Ebene; im glatten Meditation on a Luminous Mind ist nicht nur eine Reflektion über Tonhöhenklassen, harmonische Schichtungen, melodische Raum sind wir auf ihr. Oder, um es mit Morton Feldman zu leitende Prinzipien musikalischen Ausdrucks, wie sie sich in Konturen, Längenkonturen und Intervalle in Kombination mit sagen: »Aus diesem Grund scheinen [Mondrians] Bilder wie aus Mycènes Alpha zeigen, sondern eben auch eine Meditation über spezifischen Längen. Xenakis geht dabei sehr selektiv mit dem der Ferne gemalt, müssen aber so nah betrachtet werden, dass man den Rand der Leinwand nicht mehr sieht.«

50 51 kompositorischen Material um. Die intervallische Struktur von Christian Lindberg 1, 4 und 5 und die sich ergebende Symmetrie mit 7, 8 und 11 Troorkh in memoriam (2010/11) spielen hier eine besonders wichtige Rolle. In einer Sektion des Werkes ist nur diese Struktur hörbar. Alle Permutationen und Ich hatte die große Ehre, Iannis Xenakis persönlich und auch Kombinationen mit allen unterschiedlichen Akzenten und recht gut kennenlernen zu dürfen. Viele Menschen halten seine Artikulationen sind hier zu hören. Im Rest des Stückes sind diese Musik für emotional unbeteiligt oder gar gewalttätig, weshalb intervallischen Strukturen zwar wahrzunehmen, werden durch man den Eindruck gewinnen könnte, er wäre eine gefühlskalte zusätzliches kompositorisches Material aber ausgedünnt. Das Persönlichkeit gewesen. Mein Eindruck ist aber das absolute charakteristische Eröffnungsmotiv des Stückes ist bereits eine Gegenteil. Er zeigte in all seinem Umgang und seiner Freund- Artikulation dieser intervallischen Struktur, die sich abwärts und lichkeit mir gegenüber, dass er einer der sensibelsten und emo- aufwärts bewegt. tionalsten Menschen war, die ich jemals kennen gelernt habe. Aber ich habe selbst bemerkt, dass er bezüglich des wahren und Andreas Maul ehrlichen Ausdrucks dieser Gefühle extrem vorsichtig war. Deshalb ist es die Betonung von Klarheit, Form und Mathematik, die seine Musik stark und substanziell macht – und nicht einfalls- los und effektüberladen. Kultur braucht Freiräume

Das Werk Troorkh in memoriam ist prinzipiell ein »Kommen- und einen Partner, der sie schafft. tar« oder eine »Fantasie« über das Posaunenkonzert, das Iannis geschrieben und mir gewidmet hat. Ich glaube, dass, sollte er das Stück vom Himmel aus hören, er hier und dort darüber lachen würde, wie seine Phrasen hier in die Sprache von Jazz und Big- bands übersetzt sind. Europa eine Bühne geben: Die Allianz Kulturstiftung fördert den Christian Lindberg kulturellen Dialog und den künstlerischen Austausch europaweit. Übersetzung: Patrick Klingenschmitt www.allianz-kulturstiftung.de

52

ALIA_Kulturstiftungl_210x148_ProgrammheftCresc_39L 1 19.10.11 12:58 Sa26Nov XENAKISPERSPEKTIVEN 10 – 13.30 Uhr Symposium Frankfurt hr-Sendesaal Foyer Zweiter Tag

10 Uhr 12 Uhr What is a composer? The notion of space in Xenakis’ music Marion Saxer Makis Solomos ......

11 Uhr 13 Uhr Performing Xenakis Musik und Raum zwischen Ästhetik Sharon Kanach und Interpretation ...... Abschlussdiskussion mit den Teilnehmern Moderation: Julia Cloot ......

54 55 XENAKISPERSPEKTIVEN possibly difficult« music is, as passes, diminishing, yet many Symposium obstacles and questions of interpretation still remain. His dedi- catees, while many are still performing »their« works, are also sharing their intimate knowledge and experience with their Zu cresc… 2011 erscheint bei Ensemble Modern students or other, younger performers. This presentation will take Medien eine CD mit Aufnahmen von Konzerten des Zweiter Tag a look at the current situation of the performance of Xenakis’ Ensemble Modern mit dem Dirigenten Ernest Bour: works on the heels of two recent events: the release by Pendragon Die Live-Mitschnitte der Uraufführung von Iannis What is a composer? Press of the collective volume »Performing Xenakis« (2010) and Xenakis’ „Alax“ aus dem Jahr 1985 und der Aufführung Marion Saxer the most important tribute ever to Xenakis’ music in this sum- mer’s Flâneries de Reims festival. des Violinkonzerts op. 61 von Ludwig van Beethoven Iannis Xenakis hat einmal auf die selbstgestellte Frage »What is mit dem Solisten Thomas Zehetmair bei den Welt- a composer?« geantwortet: »A thinker and plastic artist who musiktagen 1987. Mit dieser Veröffentlichung startet expresses himself through sound beings.« In dem Vortrag wird The notion of space in Xenakis’ music eine neue CD-Reihe mit herausragenden Aufnahmen versucht, diese Antwort aus dem Denken Xenakis’ heraus zu Makis Solomos des Ensemble Modern. verstehen und zu kommentieren. Unter anderem soll der Stel- lenwert der Expressivität in der Musik von Xenakis – auch anhand Music, which is the art of time, becomes, with Xenakis, also an Jetzt an den CD-Tischen des Festivals erhältlich. eines Klangbeispiels – diskutiert werden. Ist es dem Denken von art of space. We can find space in Xenakis’ music and thought Xenakis adäquat, ihn als einen »Propheten der Gefühllosigkeit« through three levels. First, in the level of the compositional (Milan Kundera) zu verstehen, oder beruht sein Komponieren auf techniques, geometrical space is for him an operatory category. einem spezifischen Ausdruckskonzept? In a second level, Xenakis belongs to the generation for which physical space begins to be a compositional category. In a third and last level, we could define space as a place where happens an Performing Xenakis event: this is the definition of the Xenakian notion of »polytope«. Sharon Kanach

In order for a work of music to survive the test of time and be- come a »Classic«, it must be performed, interpreted, performed again, re-interpreted… The myth of Xenakis having written »im-

56 Sa26Nov ESPACES MUSICAUX 15 Uhr Ensemble intercontemporain • Alain Billard, Bassklarinette Frankfurt Susanna Mälkki, Leitung hr-Sendesaal

Einführung 14.15 Uhr Foyer Michaël Levinas (*1949) Edgard Varèse (1883–1965) Appels (1974) Octandre (1923) XenakisSplitter I I I für sieben Blasinstrumente, für acht Instrumente »Xenakis und Varèse« zwei Schlagzeuger, ein Klavier und Kontrabass 9’ I. Assez lent ...... mit II. Très vif et nerveux Marion Saxer III. Grave 7’ ...... Georges Aperghis (*1945) Pièce pour douze (1990/91) für Ensemble 12’ Michael Jarrell (*1958) ...... La chambre aux échos (2011) für Ensemble 32’ ...... Iannis Xenakis (1922–2001) Échange (1989) für Bassklarinette und 13 Musiker 14’ ......

Pause ......

59 Michaël Levinas Der Ruf (Appel) ist an sich eine Öffnung. Er verlangt eine offene Georges Aperghis Die Textur des Beginns, die nur zum Anfangen geeignet schien, Appels (1974) Form, die sich nur durch Fermaten schließen lässt, die selbst wie Pièce pour douze (1990/91) wird nun zerrissen, aufgelichtet: Die Vereinzelung und die ein Ruf sind (etwa in Bachs Chorälen). Und in einem Werk, das Entropie haben ihr Maximum erreicht. Die Pausen (es sind die Blasinstrumente, und insbesondere die Blechbläser, haben natur- nur durch Rufe spricht, kann es anstelle von Entwicklungen nur Zwölf Instrumente, deren dominierendes Register tief, sogar sehr ersten im Stück) durchlöchern die Klangtextur, die jedoch in gemäß eine starke räumliche Klangverbreitung (Rolands »Oli- Beschwörungen verschiedener Rufe auf verschiedenen Instru- tief ist. Das Stück ist als eine Folge von misslungenen Ausbrüchen einen immer größeren Aufruhr gerät. Die Zyklen werden immer fant«, Oberons Horn…). Sie sind deshalb in der Musik oft dazu menten geben, darunter das Tam-Tam (aber in einer speziellen konzipiert, die jedes Mal wieder in ein dunkles, kaum hörbares kürzer, die Instabilität wirkt sich auf die Abfolge der musika- verwendet worden, einen Ruf aus der Ferne zu versinnbildlichen Weise gespielt). Das Stück sollte den Eindruck einer Gleichzeitig- Gemurmel zurückfallen: Diese Zyklen bestimmen die Form. lischen Phrasen aus. Der Duktus wird abgehackt, die Wechsel – das Gebet, den Aufruf (etwa wenn der Cantus firmus in der keit und nicht eines Verlaufs erwecken. Flöte, Fagott, Oboe, Klari- chaotisch: Das Stück endet mit einer Art Stretta. Ein beständiges, unstabiles Rumoren: »Wie die Flamme einer Liturgie von einer Posaune gespielt wird oder auch die Hörner nette, die Tremolos des Klavier halten sich an diese im wesent- Kerze« flackert es. Denn der Klang, so winzig wie auch immer, Mit (Stück für zwölf) hat Georges Aperghis ein im Kopfsatz des 1. Brandenburgischen Konzerts von Bach, die Fan- lichen statische Rolle und garantieren so die Einheit des Werks. Pièce pour douze wird hier ständig gestört, von vierteltönigen Verzierungen, von Werk »absoluter Musik« komponiert, dem trotzdem eine gewisse faren in der 3. Leonoren-Ouvertüre von Beethoven, die Leitmotive Die melodischen Phrasen der hyperbolischen Rufe werden von Multiphonics in den Bläsern, von der Stimme der Spieler, die in Theatralik anhaftet, abseits von seiner szenischen Produktion. von Wagner und sogar die Oktaven der Bläser in Ligetis Lontano immer weniger temperierten Klängen ausgestoßen. die Blechblasinstrumente hineinsingen1, von dem schnellen Wenn eine dramatische Komponente übrig bleibt, so ist sie ganz oder in den Chants d’oiseaux von Messiaen). Das Wesen der Musik – die in dieser Hinsicht religiös ist – leuchtet Wechsel der offenen oder gestopften Klänge in den Hörnern. verinnerlicht – hervorgegangen aus der dramatischen Anlage der Eine ähnliche Rolle spielen das Schlagzeug, die Trommeln und wahrscheinlich in jeder Musik auf, die sich von einer rein orna- (Dieses Murmeln ist wie das Wiederkäuen eines Grundmotivs Gesamtform. die Glocken. Die Vibration der Klangfarbe einer kleinen Trommel mentalen Funktion absetzt. aus sechs Tönen, das sämtliche Figuren des Stücks bestimmt.) (weißes Rauschen) trägt sehr weit und ist daraufhin konzipiert Peter Szendy Ein erster Ausbruch endet mit dem Absturz der Hörner und der Übersetzung: Martin Kaltenecker worden. Sie hat den Effekt eines Hereinbrechens. Michaël Levinas Übersetzung: Martin Kaltenecker Tuba – das Bild eines Versagens, das mehrfach wieder auftaucht. Die Mitschwingung ist wie eine »Musik zweiten Grades« oder Die Tuba bleibt allein zurück, in der Ermattung des allertiefsten 1 Die Stimme wird nie als solche wahrgenommen, sondern eine Musik der Musik. Registers, morendo. verschmilzt mit dem Instrumentalklang.

In Appels treten die Klänge der Bläser in Verbindung mit den Ein zweites Anschwellen von Energie – reichere Besetzung, Explo- Klangfarben der kleinen Trommeln. Das Ensemble: Die Schwin- sion der Register und Rhythmen – endet mit einem Rückfall: Zwei gung und der Klang, den sie hervorruft, vom Mikrofon gemischt, Hörner in der Ferne permutieren unaufhörlich und wie ein Echo werden im Saal aus Lautsprechern gesendet. Sie sollten die mu- die gleichen Motive. Diese »Kadenz« zu zweit führt zu einer sikalischen Phrasen von Appels in eine andere Welt versetzen, Wiederholung der Anfangstakte. in ein Jenseits, wie es auch von den Wirbeln der Bläser und den Vibrationen des Tam-Tams unterstrichen wird.

60 61 Iannis Xenakis Edgard Varèse zusammengefassten Instrumente keine Liegetöne, sondern Échange (1989) Octandre (1923) Sprünge, entsteht ein diffuses, extrem atonales Klangbild. Die Prinzipien des klassischen Konzerts werden hier enger gezo- Vier einzeln besetzte Holzbläser, drei Blechbläser und ein Kon- Andreas Maul gen: Während des ganzen Stücks wohnt man einer Kraftprobe trabass: Die Besetzung des 1924 in New York uraufgeführten zwischen der Solo-Klarinette und dem kleinen Orchester bei, das Octandre verrät Edgard Varèses Abkehr vom Streicherklang. sie begleitet, ausgehend von dem musikalischen Text. Wer wird Streichinstrumente, so Varèse, repräsentierten das 18. Jahrhun- Michael Jarrell die Oberhand behalten und seine Musik dem anderen »diktie- dert und seien im 20. Jahrhundert fehl am Platz. Andererseits La chambre aux échos (2011) ren«? Zu Beginn etwa begnügt das Orchester sich damit, die Partie spielt Varèse hier mit »klassischen« Formelementen. Das Werk Es scheint mir, dass die künstlerische Entwicklung oder doch das, des Solisten widerzuspiegeln. Nach einer Kadenz der Bassklarinet- ist dreisätzig, jeder Satz wird dabei durch ein anderes Solo-Instru- was das künstlerische Schaffen bewegt hat, immer mit der Ent- te scheint die Begleitung dieser zu widersprechen, bevor sie sich ment eröffnet: der erste durch die Oboe, der zweite durch das wicklung der Wissenschaft verbunden war. Nach der Lektüre des in ein massives Tutti einreihen muss. Im Zentrum des Stücks Piccolo, der dritte durch das Fagott im Dialog mit dem Kontra- Buches von Richard Powers, »The Echo Maker«, habe ich mich für pendelt sich ein Status quo ein: Der Solist geht weiter mit seinem bass. die letzten Entwicklungen in den Neurowissenschaften interes- virtuosen Continuo, das ihn von den anderen Spielern abhebt, Wie der Titel bereits andeutet, ist die Besetzung als geometrische siert. Die Thematisierung des Gehirns in dem Roman von Powers ohne die Oberherrschaft zu erlangen. Am Schluss diktiert die Formation im Raum gedacht, innerhalb derer sich die Instru- ist faszinierend, und er verfolgt sie mit ihren tiefgreifenden Aus- Klarinette eine Folge von »Geräusch-Klängen«, der schließlich mente in Untergruppen, meist in extremen Registern, gegen- wirkungen: »Wie baut das Gehirn den Geist auf, wie baut der die Versöhnung folgt. übertreten. Ein Instrument erhält hierbei oft eine solistische Geist all den Rest auf, und wo sind die neurologischen Korrelate Échange (Austausch) war ein Auftrag der Amsterdam Foundation Funktion und liefert gewissermaßen das Motto für einen Ab- des Bewusstseins aufzufinden?« for the Arts und ist dem Asko Ensemble sowie dem Bassklarinet- schnitt. Auffallend und bei Varèse einmalig ist im dritten Satz ein In dem Stück La chambre aux échos (Die Echo-Kammer), das für tisten Harry Sparnaay gewidmet. Die Uraufführung fand am regelrechtes Fugato. Dieses wird nach wenigen Takten allerdings das Ensemble intercontemporain komponiert wurde und Pierre 25. April 1989 in Paradiso (Amsterdam) statt, unter der Leitung verzerrt und verliert sich letztlich in drängenden Klangballungen. Boulez anlässlich seines 85. Geburtstags gewidmet ist, habe ich von David Porcelijn, dem musikalischen Leiter des Adelaide In jenen Fällen, in denen sich Varèse entschließt, sämtliche versucht, einerseits das Thema des Gedächtnisses zu behandeln, Symphony . Instrumente zusammenzufassen, entstehen Höhepunkte oder und andererseits mit einer Introspektion dessen zu arbeiten, was Schlüsse, wie etwa zum Ende des ersten und des zweiten Satzes. Jean-Christophe Marti Gefühle und deren Kausalität sein könnten. Im ersten Satz kommen dabei zugleich die für Varèse typischen Übersetzung: Martin Kaltenecker Auftürmungen zustande, wenn die Instrumente nicht gleich- Michael Jarrell zeitig, sondern kurz nacheinander einsetzen. Spielen die chorisch Übersetzung: Martin Kaltenecker

62 63 Sa26Nov GRUPPEN3 19 Uhr hr-Sinfonieorchester • Ensemble Modern • Saar Berger, Horn Darmstadt Matthias Pintscher, Lucas Vis, Paul Fitzsimon, Leitung Böllenfalltorhalle

Einführung 18.15 Uhr Iannis Xenakis (1922–2001) Thierry de Mey (*1956) Böllenfalltorhalle Terretektorh (1965/66) Musique de tables (1987) für 88 im Publikumsraum verteilte Musiker 18’ für drei Schlagzeuger 8’ XenakisSplitter IV ...... »Musik und Raum / Instrumente in Gruppen II: Pause Karlheinz Stockhausen (1928–2007) ...... Die Wucht des (1955–57) Gruppen Konstruktiven« für 3 Orchester 25’ ...... Anthony Cheung (*1982) mit Robin Hoffmann Fog Mobiles (2010) für Solo-Horn und Orchester Auftragswerk des hr-Sinfonieorchesters Uraufführung 11’ ......

64 65 Iannis Xenakis Die musikalische Komposition wird auf diese Weise ungemein Atmosphäre, jedem linearen Konzept, ob statisch oder in Bewe- selnden Dichte des Nebels, den sich drehenden Lichtern der Terretektorh (1965/66) bereichert, wird gleichsam in wirbelnde Rotation versetzt. Die gung. Schließlich wird er sich entweder auf der Spitze eines Leuchttürme, brechenden Wellen und Winden aus unterschied- Geschwindigkeiten und Beschleunigungen der Klangbewegungen Berges mitten in einem Sturm wiederfinden, der ihn von allen licher Richtung. Alles hängt zusammen, auf natürlichen Ober- Terretektorh, das dem Orchesterstück Nomos Gamma (1967/68) können verfolgt und erlebt werden, wie sich auch neue und kraft- Seiten attackiert, oder in einer zerbrechlichen Barke, hin- und tönen basierende Hornmelodien tauchen aus sonoren orchestra- voranging, war eine Innovation im Hinblick auf die räumliche volle Funktionen wie zum Beispiel logarithmische oder archime- hergeworfen auf dem offenen Meer, oder aber in einem Univer- len Grundklängen auf, wechselnde Nebeldichte aktiviert und Verteilung des Orchesters und schlug zwei grundlegende dische Spiralen in Zeit und Raum umsetzen lassen. Geordnete sum, das übersät ist mit kleinen Klangsternen, die sich als kom- deaktiviert Nebelhornsignale, gravitätische Kräfte zwischen Solist Veränderungen vor: oder ungeordnete Klangmassen, die wie Wellen gegeneinander pakte Nebelwolken bewegen oder einsam ihre Bahnen ziehen. und Ensemble wirken anziehend und abstoßend: ein giganti- rollen ... etc., all das wird möglich sein. scher, mobiler Organismus aus Nebel, Licht und Klang entsteht, Iannis Xenakis a. der durch seine unterschiedlichen sensorischen Vorrichtungen ist somit ein »Sonotron«: ein Beschleuniger von Die quasi-stochastische Verteilung der Orchestermusikerinnen Terretektorh in Bewegung gesetzt wird. und -musiker zwischen dem Publikum. Das Orchester befindet Klangpartikeln, ein Desintegrator von Klangmassen, ein sich im Publikum, und das Publikum befindet sich im Orchester… Synthesizer, der den Zuhörer in Klang und Musik hüllt und eine Anthony Cheung Anthony Cheung Übersetzung: Patrick Klingenschmitt Alle beweglichen Objekte, die das Hören oder Sehen behindern körperliche Nähe schafft. Zerrissen wird der psychologische und Fog Mobiles (2010) könnten (Sitze, Bühne etc.), sollten vor der Aufführung aus dem auditive Vorhang, der das Publikum vom Orchester trennt, wenn Ich bin aufgewachsen umgeben vom leisen Flüstern unsichtbarer Saal entfernt werden. In Ermangelung einer neuen Art von dieses weit von ihm weg auf einem Podest und oft genug in einer Nebelhörner, eingehüllt von Nebelbänken, die über San Francisco Architektur, die für alle Gattungen Zeitgenössischer Musik erst Vertiefung platziert ist. Der Orchestermusiker entdeckt wieder schwebten. Die asynchronen Patterns mehrerer Nebelhorn- entworfen werden muss, da ihnen weder Amphitheater und noch seine Verantwortung als Künstler, als Individuum. signale, mit ihren voneinander unabhängigen Tonhöhen und viel weniger normale Theater oder Konzertsäle adäquat sind, -dauern, kamen unter den richtigen Voraussetzungen ins Zen- würde auch ein großer Festsaal, der im Idealfall rund ist und b. trum meiner Aufmerksamkeit. Oft konnte man ein wunderschö- einen Durchmesser von mindestens 40 Metern hat, dem Zwecke Um die Klangpalette des Orchesters zu erweitern und mit der nes und spontanes Konzert dieser Hörner verfolgen, und jedes dienlich sein. oben erwähnten Verteilung die größte Wirkung zu erzielen, wird der Ensembleklang in einem trockenen, geräuschhaften Ton davon war einzigartig und unreproduzierbar. Daher kam die Idee In der Verteilung der Musikerinnen und Musiker manifestiert gefärbt. Zu diesem Zweck hat jeder der 90 Musiker neben seinem von »Nebel-Mobiles«: Fog Mobiles. Die antifonen Schichtungen sich eine völlig neue, kinetische Vorstellung von Musik, wie sie üblichen Saiten- oder Blasinstrument auch drei Perkussions- der Nebelhörner reagieren auf die sich verändernde Intensität mit modernen elektroakustischen Mitteln nicht zu realisieren instrumente, und zwar Holzblock, Maracas und Peitsche, sowie und Dichte der Musik, während die Instrumentierung und der wäre… Denn während Zuspielungen von 90 Magnettonbändern kleine Sirenenpfeifen in drei Registern, deren Töne wie Flammen Dialog zwischen Solist und Ensemble wiederum Auswirkungen über 90 im ganzen Raum verteilte Lautsprecher undenkbar sind, aus dem Klangbild züngeln. Wenn es notwendig erscheint, kann auf die Perspektive des Hörers hat. Hörner von der Golden Gate ist es im Gegensatz dazu sehr wohl möglich, derartige akustische so jeder Zuhörer von einem Hagelschauer umgeben sein, ja sogar Bridge, von Leuchttürmen (namentlich Point Bonita und Point Effekte mit einem klassischen 90-köpfigen Orchester zu erzielen. vom leisen Rauschen der Pinienwälder, im Grunde von jeder Diablo) und einfahrenden Tankern interagieren mit der wech-

66 67 Thierry de Mey De Mey charakterisiert jede Aktion mit einem Namen und einem nur Musik von links, von vorne oder von rechts; der Klang wan- Von Zeit zu Zeit kommen 2 oder 3 Gruppen einander näher, sehr Musique de tables (1987) Symbol und gibt der Partitur das komplette Repertoire an Sym- dert von einem Orchester zum anderen. nahe – und sie treffen sich im gleichen Klangrhythmus. Und sie bolen als Legende bei. Die intendierte Klangvariation ist von verändern sich. Eine nimmt die andere in sich auf. Oder spielt Wie es bei der Verteilung der 5 Lautsprechergruppen in der Elek- Musique de tables (Tafeln-Musik) ist ein Stück für drei Musiker, De Mey in einer Partitur notiert, in der jede Hand mit einem mit ihr. Löscht sie aus. Sie stoßen sich ab oder schmiegen sich tronischen Musik schon der Fall war, so wer- die als einziges Instrument über Tische verfügen. Die Positionen »Notenschlüssel« versehen ist, ähnlich wie bei einer Klavierpar- Gesang der Jünglinge aneinander. den auch jetzt für die Instrumentalmusik die Orte im Raum, an der Hände und die »Figuren« sind durch ein System von symbo- titur. Die Positionen der Hände und die Bewegungsfiguren stel- denen Musik erklingt, für das Hören maßgeblich: Funktionelle Oder sie verschmelzen. Dann sind alle 3 Orchester ein einziges: lischen Zeichen festgelegt. len eine Art formaler Sprache dar, die durchaus mit einer Choreo- Raummusik. (Es ist schwer, in den bestehenden Konzertsälen Sie spielen im gleichen – in gleicher Harmonik – in glei- grafie verglichen werden kann – mit dem Unterschied, dass der An dem Punkt, wo Musik und Tanz aufeinandertreffen, wird die diese Musik aufzuführen.) Jeder Klangkörper ist nun in der Lage, cher Tönung. Aber das Tempo ist in Fluss geraten und immerzu visuelle Aspekt direkt mit dem musikalischen Resultat verbun- Geste ebenso wichtig wie der produzierte Klang. seinen eigenen Zeitraum erlebbar zu machen, und als Hörer verlangsamt oder beschleunigt, und aus der einzigen Bewegung den ist und umgekehrt. Mit dieser Komposition erforscht De Mey befindet man sich inmitten von mehreren Zeiträumen, die wie- entspringen einzelne Stimmen deutlicher und endlich ganz ein- Thierry de Mey die Grenzen zwischen Musik und der Bewegung, die diese hervor- derum einen neuen, gemeinsamen Zeitraum ausmachen. Und fach: Über Zeitstrecken hinweg hört man Streicher allein, die Übersetzung: Martin Kaltenecker bringt. was die Klangkörper zum Klingen bringen, sind nicht mehr Gitarre, Trommeln für sich, das Klavier, zwei oder drei Trompeten Das zentrale Element in Thierry de Meys Kompositionen ist Cathérine Raes Punkte – wie im Anfang, wo alles kontrapunktisch, keimförmig und Posaunen, nur die kleine Klarinette; und eins spielt über ins Übersetzung: Patrick Klingenschmitt war – sondern Gruppen: Gruppen von Klängen, Geräuschen und andere. Bewegung. Musique de tables (1987) bildet ein repräsentatives Klanggeräuschen als selbständige Einheiten. Beispiel für sein Verständnis davon. Die Komposition sieht sechs Aber die 2 beziehungsweise 3 Klangkörper können nicht ganz Hände verteilt auf drei Tische vor. Die drei Schlagzeuger verfügen Karlheinz Stockhausen Gruppen von Klängen, Geräuschen und Klanggeräuschen sind verschmelzen, bleiben sie doch räumlich distanziert. Verändert nur über den jeweiligen Tisch als Instrument und vollziehen ver- Gruppen (1955–57) ganz selbständige Einheiten. Jede Gruppe bewegt sich in ihrem trennen sie sich und geben neuen Gruppen eigenen Bewegungs- schiedenste Bewegungen mit beiden Händen, die von simplen Zeitraum. Mit eigenem Tempo vor allem. raum — bis zur nächsten Begegnung. Aktionen wie »le plat« (mit der Handfläche auf den Tisch schla- Mit den Gruppen hat eine neue Entwicklung der Instrumental- gen), »le revers« (die Oberfläche des Tisches mit der Handrück- musik im Raum eingesetzt. Die neue Form vielschichtiger Zeit- Um sich frei zu bewegen sind die Gruppen auf 3 Orchester ver- Karlheinz Stockhausen seite berühren), »le trenchant« (eine Art Karateschlag), »la dacty- komposition von Instrument zu Instrument wird auch in der teilt, individuell dirigiert, und alle 3 haben gleiche Stärke sowie lo« (parallele Reibebewegungen der Handgelenke über dem äußeren Form klargemacht. Mehrere selbständige Orchester – bei nahezu gleiches Instrumentarium. Ein Orchester links, ein Tisch) und »les essuie-glaces« (Wischbewegungen mit der Unter- den Gruppen sind es drei – umgeben die Zuhörer; die Orchester Orchester vorne, ein Orchester rechts: sie umgeben im Halbkreis seite der Arme) bis zu kreisenden Bewegungen und mehr pianis- spielen – jedes unter seinem Dirigenten – teilweise unabhängig die Zuhörer. tischen Techniken wie »arpèges« und »les-one-finger-Pianist« in verschiedenen Tempi; von Zeit zu Zeit treffen sie sich im (erst eine »Taste« des Tischklaviers anvisieren, dann eine andere gemeinsamen Klangrhythmus; sie rufen sich zu und beantwor- »drücken«) reicht. ten sich; das eine gibt des anderen Echo; eine Zeitlang hört man

68 69 Sa26Nov XENAKIS[A]LIVE! 22 Uhr zeitkratzer • Lillevan, Live-Video Darmstadt 603qm

Einführung (*1964) Reinhold Friedl 21.15 Uhr 603qm Xenakis[a]live! (2007) für verstärkte Bassklarinette, Flügelhorn, XenakisSplitter V Posaune, Klavier, Schlagzeug, Gitarre, Stefan Fricke Violine, Violoncello und Kontrabass 54’ im Gespräch mit ...... Reinhold Friedl

Keine Pause 71 Reinhold Friedl über einzigartige Erfahrung mit elektronisch verstärkten Instru- Xenakis[a]live! (2007) menten und durch die Elektronik rückbeeinflussten avancierten Spieltechniken. Reinhold Friedls Xenakis[a]live! ist eine Hommage an Iannis Xenakis. Klangmaterialien und -texturen aus Werken wie Zum anderen sind die Zufalls-Techniken, die Xenakis »statis- tisch«, sozusagen textural einsetzt, auf verblüffende Weise auf Persepolis, La Légende d’Eer, Bohor oder Concret PH entsprechen den Qualitäten des zeitkratzer-sounds zwischen metaphysischem das Instrumentalspiel übertragbar: Instrumentale Motorik bildet Rauschen und gewalttätigem Noise, zwischen Aphrodisiakum durch klar definierte, aber mit Freiheitsgraden versehene und Schocktherapie, die das Ensemble bereits mit der Version Aktionsanweisungen präzis bestimmte Zufallsgeneratoren, die gepaart mit genauen Klanganweisungen überraschend ähnliche von Lou Reeds Metal Machine Music unter Beweis stellte. musikalische Resultate erzeugen, wie »das Singen der Zikaden, Xenakis’ Polytopes wie Persepolis ist eine Umsetzung für verstärk- der Lärm der Regentropfen auf dem Zirkuszelt, die geordneten te Instrumente doppelt eingeschrieben: zum einen der Instru- oder ungeordneten Rufe einer politischen Demonstration, mental-Klang; Xenakis hat sich um den Streit zwischen deutscher die Gleitklänge der Geschosse beim Straßenkampf« (Xenakis, »elektronischer Musik« und Pariser »musique concrète« nicht Musique, Architecture, Paris 1971), die Xenakis als klangliche geschert, sondern sich um die Lebendigkeit des Klanges bemüht, Vorbilder dienten. wie es auch seine spätere Implementierung der Granular-Syn- these zeigt. »Nur wenn die »reinen« elektronischen Klänge durch So führt zeitkratzer Xenakis’ Ideen, die er gerade in seinem »konkrete« Klänge, die so viel reicher und so sehr viel interes- elektroakustischen Œuvre zu realisieren suchte, in logischer santer sind, kombiniert werden, kann elektronische Musik wirk- Konsequenz mit elektronisch verstärkten Instrumenten fort; lich stark werden« (Xenakis, New Proposals in Microsound und verschiebt die Grenzen zwischen den »Möglichkeiten und Structure, 1968). Unmöglichkeiten der Instrumente«, die Xenakis 1969 in sei- nem Werk Anaktoria untersuchte, weit in damals noch unmög- Für seine Tonbandkompositionen verwendete Xenakis mit Vor- liche Bereiche; hin zu Xenakis’ orgiastischen und holistischen liebe aufgenommene Instrumentalklänge als Material. Dass Klangarchitekturen der Polytope. Reinhold Friedl mit zeitkratzer nun hierauf zurückkommt, um sozusagen das Xenakis’sche Konzept der »mehrschichtigen und Fred Freytag mehrdimensionalen Physik des Klanges« (Ivanka Stoianova) fort- Das Ensemble Modern begleitet u. a. Filmklassiker – wir begleiten das Ensemble Modern. So strahlen Stummfi lmhelden wie zuführen, liegt nahe – schließlich verfügt zeitkratzer mittlerweile Charlie Chaplin wieder in bewegender Atmosphäre mit den Finessen der neuesten audiovisuellen Technik. Und diese Kombination kann noch so viel mehr: vom Klassiker bis zur Inszenierung von Videokunst wie „The Cave“ oder „Three Tales“ bieten wir den perfekten technischen Rahmen. Was wir noch so können, fi nden Sie unter www.big-cinema.de WWW.BIG-CINEMA.DE 72

BIC_ANZ_CRESC_210x148_sw_FINAL.indd 1 07.11.11 11:51 S027Nov RAUMWELTEN 11 Uhr IEMA-Ensemble • Holger Falk, Bariton • Delphine Roche, Flöte Frankfurt Felix Behringer, Klarinette • Matthew Conley, Trompete • Rho-Mei Yu, Schlagzeug Frankfurt LAB Yusuke Ishii, Alberto Carnevale Ricci, Klavier • Filip Saffray, Violine Marie Schmidt, Violoncello • Matthias Pintscher, Leitung Einführung 10.15 Uhr Halle 2

XenakisSplitter VI »Xenakis’ Iannis Xenakis (1922–2001) Iannis Xenakis Ensemblewerke« Plektó (1993) Kassandra (1987) für Flöte, Klarinette, Klavier, Schlagzeug, für Bariton, Psalter und Schlagzeug 11’ mit ...... Violine und Violoncello 14’ Julia Cloot ......

Luciano Berio (1925–2003) Matthias Pintscher (*1971) Tempi concertati (1958/59) celestial object I (2009) für Flöte, Violine, zwei Klaviere Teil 1 der »sonic eclipse« und andere Instrumente 16’ ...... für Trompete und Ensemble 15’ ......

Keine Pause 74 75 Iannis Xenakis ben, wie das vonstatten geht). Nachdem die Krise überstanden Instrument und Klanggestus verschmilzt und anschließend wie- Iannis Xenakis Plektó (1993) ist, gibt es eine langsamere Coda, noch immer laut, in der noch der auseinander fällt. Bildlich entspricht dies genau der Eklipse.« Kassandra (1987) immer neue Dinge passieren. Aus prägnanten, tonlos gestoßenen Partikeln der Solo-Trompete Die unterschiedlichen Instrumentalfarben dieser Xenakis-Kom- Das Stück ist der zweite Teil der Oresteïa-Suite (für Kinderchor, position artikulieren ein Spiel aus Tonhöhenkonglomeraten, die Paul Griffiths entwickelt sich in celestial object I ein Dialogisieren mit dem gemischten Chor und 12 Musiker). Es versucht eine neue Annähe- Übersetzung: Patrick Klingenschmitt Ensemble, das einer schrittweisen Vereinnahmung gleicht: zu- ineinander verwoben sind: daher der Titel, der übersetzt »Flech- rung an die Stimme, was auch schon in Oresteïa (1965/66, Text te« bedeutet. Die Klarinette am Anfang ist beispielsweise auf die nächst in der Art eines Responsoriums, dann mit zunehmender, nach Aischylos) der Fall war. Der Bariton ist in hoher Stimmlage Noten einer Ganztonskala festgelegt, während das Cello mehr gegenseitiger Intensivierung, die den Klang der Trompete vom Kassandra, und in der Folge ist derselbe Bariton in tiefer Lage der oder weniger die Lücken ausfüllt und die Flöte und Violine irre- Matthias Pintscher umgebenden Instrumentarium geradezu aufsaugen und umge- Chorführer der alten Männer von Argos. Er spielt auch ein Psal- gulären Skalen folgen. Wie bei geflochtenen Zöpfen aus Seil, Haar celestial object I (2009) färbt widerhallen lässt. Das Repertoire der Trompete reicht vom ter, wobei er seine Stimme auf einen der Tetrachorde abstimmt, oder Bändern berühren sich die Linien an bestimmten Punkten impulsgebenden Gestus des Beginns zur virtuosen Koloratur. die er den Textsequenzen und Klangcharakteren entsprechend celestial object I ist der erste Teil des dreiteiligen Zyklus sonic (eine Note wird dann zeitgleich von drei Instrumenten geteilt) Trotz vielfältiger Farbigkeit geht es in diesem Stück nicht um eine wählt. eclipse (2009/10) für Ensemble und Soloinstrumente. In sonic und verlaufen sich an anderen; bezeichnenderweise beinhaltet klangliche Entgrenzung, sondern um haptische, griffige Kontu- eclipse wird das Verdecken zum Thema des kompositorischen Dieses Psalter, Kopie eines 20-saitigen Instrumentes der Insel keine von ihnen eine Oktave – ein Merkmal, das genauso ein Erbe ren. celestial object I wurde im Mai 2009 vom Scharoun Ensemble Prozesses, schrittweise eine Verhüllung hergestellt. Im ersten Java, erwähnt in der »Critique musicale« von Maurice Fleuret, ist osteuropäischer Volksmusik wie eine theoretisch begründete in Berlin uraufgeführt. Teil celestial object I agiert die Trompete, in celestial object II das ein bemerkenswerter Ersatz der antiken Lyra. – Das Schlagzeug Einschränkung sein kann. Horn als Soloinstrument. Beide werden im dritten Teil, occulta- Marie Luise Maintz setzt sich aus Trommeln und Wood-blocks zusammen, die den , miteinander verschränkt und finden mit dem Ensemble zu Mit der Zeit werden die Instrumente in verschiedenen Gruppen tion Text akzentuieren oder kommentieren. Kassandra kann in meine vollständiger Verschmelzung. Als Bild für diesen Vorgang fand zusammengedrängt, einzig das Klavier bleibt für gewöhnlich vom Oresteïa-Suite eingefügt oder auch unabhängig vorgetragen wer- Rest unabhängig, und der Perkussionist entspricht mehr einem Pintscher das Phänomen der Eklipse, also des Übereinanderschie- den. Katalysator für die Veränderungen als einem tatsächliche Teil- bens von Himmelskörpern und der gegenseitigen Verdunkelung nehmer: Das Schlagzeug besteht aus Trommeln (Bongos, Tom- im Moment der vollständigen Abdeckung. »Mich hat interessiert, Iannis Xenakis Toms und Bassdrums), die nach etwa einem Drittel kurzzeitig das Repertoire von zwei sehr unterschiedlichen Instrumenten, gegen ein Set Holzblocks getauscht werden, um damit das Klavier die doch einer Familie angehören, zu untersuchen und die beiden zu begleiten. Mit der Zeit verändern sich auch die Tonhöhen- Instrumente sehr verschieden klingen zu lassen. Dieses ganz hete- register der Instrumente (vor dem Hintergrund eines dermaßen rogene Klang- und Gestaltungsrepertoire wird langsam zusam- dramatischen Werkes wäre es zu viel verraten, genau zu beschrei- men- und übereinandergeführt und schließlich auch das Ensem- ble hineingezogen, so dass alles wirklich zu einer Stimme, einem

76 77 111028_Anzeige cresc_RZ_Anzeige AMH 210x148,5 01.11.11 12:29 Seite 1 r e f r ö d n e t t O

p p i l i h P

: f a r g o t o F

Kreativität entwickeln www.deutsche-bank-stiftung.de

Die Deutsche Bank Stiftung engagiert sich in den Bereichen Bildung, Kunst & Musik und Soziales. Sie fördert Talente und motiviert junge Menschen, ihre Potenziale zu nutzen. Das Engagement für den künstlerischen Nachwuchs hat bei der Deutsche Bank Stiftung eine besondere Tradition: Im Rahmen ihres Stipendiatenprogramms „Akademie Musiktheater heute“ vergibt sie jedes Jahr 15 Stipendien an junge, begabte Regisseure, Dramaturgen, Dirigenten, Kulturmanager, Komponisten und Bühnenbildner. Auch mit dem Ensemble Modern verbindet die Deutsche Bank Stiftung eine langjährige und intensive Partnerschaft.

111028_Anzeige cresc_RZ_Anzeige AMH 210x148,5 01.11.11 12:29 Seite 1 r e f r ö d n e

ziehung zwischen dem individuellen Tempo (der Solisten: vor t t O

allem der Flöte) und dem gemeinschaftlichen Tempo (der vier p p i

Tempi concertati (1958/59) l i

kleinen Instrumenten-Gruppen) nicht immer gegeben ist, aber h P

: Die – 1958/59 entstanden – behandeln die Frage f Tempi concertati jedes Mal koordiniert werden soll auf Grund von Ausgangsver- a r g

des »Raumklangs auf dem Podium«: vier Instrumentalgruppen o einbarungen, die seitens eines jeden Ausführenden eine fort- t o von verschiedener Besetzung sind auf der Bühne nach Möglich- währende hörende Aufmerksamkeit auf das Handeln der andern F keit mit räumlicher Distanz postiert. Im Zentralpunkt zwischen bedingen und die von Mal zu Mal die individuelle Handlung diesen Gruppen hat die Solo-Flöte ihren Platz, deren dominieren- zu einer kollektiven Funktion führen oder umgekehrt. Dieses de und koordinierende Rolle damit auch äußerlich unterstrichen Schwanken zwischen individuellen und kollektiven Aktionen ist. Koordination will hier besagen, dass der Flöte neben ihren und Tempi, zwischen gegebenem Zeichen und empfangenem solistischen Aufgaben auch die Funktion des klanglichen Vermit- Zeichen, zwischen »verloren« und »wiedergefunden«, kann der telns zwischen den Gruppen zukommt. Sie wird dabei gelegent- Komposition den diskontinuierlichen Charakter der Improvi- lich von einer Solo-Violine abgelöst und unterstützt. Als weiterer sation verleihen. konzertanter Partner treten zwei Klaviere hinzu, die in zwei expo- nierten Formabschnitten mit den anderen beiden Soloinstrumen- Luciano Berio ten zusammen eine Art selbständiges Kammermusikensemble oder »Concertino« bilden. Josef Häusler Kreativität entwickeln www.deutsche-bank-stiftung.de Die Klanggruppen eines Instrumentalsatzes fallen nicht notwen- digerweise mit den Instrumentengruppen zusammen (jenen der Behandlung der Instrumentation z.B.), im Gegenteil, die Klang- Die Deutsche Bank Stiftung engagiert sich in den Bereichen Bildung, Kunst & Musik und Soziales. gruppen scheinen eigens dort Analogien zu stiften, wo die Sie fördert Talente und motiviert junge Menschen, ihre Potenziale zu nutzen. Das Engagement für den künstlerischen Nachwuchs hat bei der Deutsche Bank Stiftung eine besondere Tradition: Instrumentengruppen Differenzen und Oppositionen schaffen. Im Rahmen ihres Stipendiatenprogramms „Akademie Musiktheater heute“ vergibt sie jedes Jahr ist gerade deshalb gedacht als eine Entwicklung Tempi concertati 15 Stipendien an junge, begabte Regisseure, Dramaturgen, Dirigenten, Kulturmanager, Komponisten von Analogien der Klangcharaktere und nicht als Entwicklung und Bühnenbildner. Auch mit dem Ensemble Modern verbindet die Deutsche Bank Stiftung eine instrumentaler Gegenüberstellungen. Concertati: weil die Be- langjährige und intensive Partnerschaft.

78 S027Nov CHAMBERS 13 Uhr JACK Quartet Frankfurt Christopher Otto, Violine / Ari Streisfeld, Violine Frankfurt LAB John Pickford Richards, Viola / Kevin McFarland, Violoncello Einführung 12.15 Uhr Halle 2

Iannis Xenakis (1922–2001) Giacinto Scelsi (1905–1988) XenakisSplitter VII Tetora (1990) Quartett Nr. 4 (1964) 9’ »Werke für ...... für Streichquartett 17’ Streichquartett« ...... mit Martin Iannis Xenakis Grunenberg György Ligeti (1923–2006) Tetras (1983) Streichquartett Nr. 2 (1968) für Streichquartett 16’ ...... Allegro nervoso Sostenuto, molto calmo Come un meccanismo di precisione Presto furioso, brutale, tumultoso Allegro con delicatezza – stets sehr mild 21’ ......

Keine Pause 80 81 Iannis Xenakis In besonderer Weise abwesend in Tetora sind die komposito- György Ligeti Tetora (1990) rischen Techniken, die Xenakis’ frühes Werk geprägt hatten. Streichquartett Nr. 2 (1968) Der vierte Satz ist extrem kondensiert, brutal, bedrohlich. Der Es finden sich keine stochastischen Wolken pointilistischer abrupte Typenwechsel des ersten Satzes kehrt wieder, zusammen- Tetora mag für Hörer, die mit Xenakis’ frühen Werken gut bekannt Elemente wie in seinem ersten (und viel früher entstandenen) Das Streichquartett beruht auf einer musikalischen Vorstellung, gedrängt auf kleinstem Raum. Der fünfte Satz ist wie eine Erinne- sind, überraschend daherkommen. Das Stück beginnt mit einer Quartett ST/4. Komplexe polyrhythmische Schichtungen wie die in allen fünf Sätzen wiederkehrt, aber jedesmal ganz anders rung, durch Nebel betrachtet: Der gesamte bisherige Verlauf des sonoren Melodie im unteren Register der ersten Violine, wobei die in Tetras (seinem zweiten Quartett) sind selten und können realisiert wird. Im ersten Satz ist der Duktus der Musik völlig Stückes wird rekapituliert, doch abgemildert – die Musik erklingt jede Note von einem anderen Instrument gedoppelt wird. Das nur in einem Abschnitt gegen Ende der Komposition gefunden zerhackt, es gibt abrupte Wechsel zwischen extrem schnellen und wie aus weiter Ferne. Alle fünf Sätze enthalten dieselben musika- Ergebnis ist das graduelle Umreißen eines sich ausdehnenden werden. Xenakis meidet jedwede erweiterte Technik zugunsten extrem langsamen Gestalttypen. Im zweiten Satz ist das musika- lischen und formalen Gedanken, doch Blickwinkel und Färbung harmonischen Raumes, ähnlich dem Schweif einer Sternschnup- eines konsistenten Klanges, der seine harmonische Sprache in lische Geschehen fast statisch, doch wird die Statik durch jähe sind in jedem Satz anders, so dass die übergreifende musikalische pe, der sich im Bogen über den Himmel zieht. Dieser fast roman- den Vordergrund stellt. Häufig wurde er wegen seiner mathema- Einbrüche, Störungen, plötzliche Tempo- und Gestaltverände- Form sich erst ergibt, wenn das Quartett als Zusammenhang tische Vorstoß entwickelt sich schnell, nimmt an Dissonanz tischen Kompositionsmethoden mit der Anschuldigung kritisiert, rungen unterbrochen – gleichsam von Resten aus dem ersten gehört und gedacht wird. und Intensität zu, während die tiefen Streicher sich von der Solo- diese Prozesse führten zu einer Art kalkulierter Ästhetik. Tetora Satz, die in den zweiten verpflanzt worden sind. Der gesamte György Ligeti Violine lösen und rhythmisch gegen die aufsteigende Melodie liefert solchen Argumenten Gegenpositionen, indem es demons- zweite Satz stellt eine langsame Variante des ersten dar, es gibt pulsieren. Bald darauf vereinigen sich alle vier Stimmen wieder, triert, dass ein Werk strukturell und theoretisch kohärent und zahlreiche unterirdische Verbindungen, und die Schlüsse beider um Akkordblöcke von eindrucksvoller Intensität und enormem dabei gleichzeitig schön und unglaublich expressiv sein kann. Sätze, in denen die musikalische Form in sich zusammenbricht, Ambitus zu produzieren. Währenddessen bleibt der Fokus auf Es ist ein Werk, das eine unvorstellbare Kraft heraufbeschwört verhalten sich wie der Endreim zweier Zeilen eines Gedichts. die graduelle Entwicklung der harmonischen Dichte gerichtet, (die im Titel mit der Zahl vier angelegte Implikation wird bei Der dritte Satz, ein Pizzicato-Stück, ist eine Art Hommage an Béla die von der höchst konsonanten modalen Sonorität bis hin zu weitem übertroffen) und trotzdem durch und durch – vielleicht Bartók — das Scherzo pizzicato aus Bartöks 4. Streichquartett wird undurchdringlichen Acht-Noten-Akkorden an der Schwelle zu auch paradoxerweise – tief emotional bleibt. aber nicht zitiert, nur angedeutet. Die Netzgebilde der Musik, die Clustern reicht. Der Komponist wechselt beständig zwischen dem in den beiden ersten Sätzen weich waren, erscheinen hier wie Herausstellen individueller Stimmen und Stimmpaaren, die sich Kevin McFarland Übersetzung: Patrick Klingenschmitt verhärtet. Es gibt da ein maschinelles Ticken – von einer imagi- in Hoquetus-Technik zu- und abwenden. Obwohl die Musik nicht nären Maschine, die langsam kaputtgeht, in Einzelteile zerfällt. als programmatisch bezeichnet werden kann, ist es einfach, Solche polymetrischen maschinellen Vorgänge finden sich in zwischen der Stimmführung und Konzepten aus dem griechi- meiner Musik immer wieder – etwa im für schen Theater Parallelen zu ziehen: die Hybris des tragischen Poème Symphonique hundert Metronome aus dem Jahr 1962 oder in den Horloges Helden, die Unisono-Signale als Warnungen eines narrativen démoniaques aus , und das Cembalostück , Chores und die Herausforderung des Schicksals. Aventures Continuum das ich kurz vor dem 2. Streichquartett komponiert habe, stellt als Ganzes einen Präzisionsmechanismus dar.

82 83 Giacinto Scelsi Durch das Werk hindurch steigt die Musik langsam und stetig Iannis Xenakis ständigen Struktur. Mich als ausführenden Instrumentalisten fas- Quartett Nr. 4 (1964) von C zu A, bevor sie zurück zu F schlittert und dann wieder auf Tetras (1983) ziniert dabei vor allem der kognitive Fokus, der notwendig ist, ein A endet. Das Cello übernimmt dabei keine Bassfunktion; es ver- solches Werk auszuführen, während man gleichzeitig von der Scelsis 4. Streichquartett zeigt gegenüber dem dritten eine enor- harrt stets im mittleren oder hohen Register. Während sich die Wie die antiken Griechen ihre Tradition, verstand auch Xenakis extremem Physikalität der Musik durchtränkt ist; die Musik muss me stilistische Weiterentwicklung. Es entstand in seiner letzten Musik permanent bewegt, fächert sie sich vertikal über eine große seine Musik als zugleich künstlerische und wissenschaftliche sprichwörtlich verkörpert werden. Die dazu notwendige Einheit Schaffensperiode, während der ihn sein wachsender mystischer Spannweite auf und erreicht die Klimax und damit das erste Disziplin. Der wissenschaftliche Aspekt kann dabei für den Erst- von Geist und Körper funktioniert meines Erachtens ähnlich wie Eifer und Ästhetizismus zur weiteren Reduktion seiner Mittel Fortissimo genau am Punkt des goldenen Schnitts, der für Scelsi hörer durchaus verwirrend wirken, da die bei der Aufführung bei Hochleistungssportlern, bei denen die Strategie abstrakt und trieb. Die konzentrierte Energie des Quartetts Nr. 4 nimmt dabei eine grundsätzliche mystische Proportion darstellte. Er benutzt realisierte intuitive Qualität seiner Musik die Erwartungen vieler vollkommen ist, während der Körper unbedingt die Kontrolle die Entwicklung von Scelsis Musik nach 1970 vorweg, in der er ein Webern-ähnliche Symmetrien für den Aufbau der Struktur. Aber Hörer darüber zerstört, wie Musik klingen könnte, die mit Hilfe behalten muss. Höchstmaß an enigmatischer Präzision erreichte. Eine der beson- was der Hörer erfährt, gebiert sich unschuldiger und gewalt- mathematischer und statistischer Prozesse komponiert wurde. Dieses Werk zeugt von einer unkorrumpierbaren Vision, primi- deren Innovationen in diesem Werk findet auf der Ebene der tätiger, als man sich vorstellen kann. Jede der kratzenden, knir- Häufig wurde der ursprüngliche, oft brutale Charakter des Groß- tiver Brutalität und umwerfender Schönheit. Es ist – zusammen Instrumentation statt. Scelsi behandelt jede Saite jedes Instru- schenden, kreischenden Noten der unterschiedlichen Instru- teils seines Œuvres beschrieben. Eine weitere außergewöhnliche mit einer Handvoll anderer – eines der wahren Meisterwerke für ments wie einen unabhängigen Akteur, da er jede Saite für sich mente scheint die anderen in einem verzweifelten Versuch eines Qualität dieser Musik ist, dass sie außerhalb des Flusses west- Streichquartett des 20. Jahrhunderts. in einer eigenen Tabulatur instrumentiert. Die Partitur für das totalen, unerreichbaren Grades von Einheit bekämpfen zu wollen, licher Musikgeschichte angesiedelt zu sein scheint und wenig Quartett, das nur zehn Minuten Aufführungszeit beansprucht, jede gewichtige, wütende Artikulation aus der Frustration zu Ähnlichkeiten mit der seiner Zeitgenossen aufweist. Vielleicht Kevin McFarland fällt aus diesem Grund mit 44 Seiten ungewöhnlich gewichtig erwachsen, die Noten nicht perfekter in einen einzigen kosmi- stehen diese Qualitäten in einem Zusammenhang: Xenakis’ Übersetzung: Patrick Klingenschmitt aus. schen Klang zusammenlaufen lassen zu können. Musik wirkt befremdlich, gerade weil sie in vielerlei Hinsicht ursprünglich und die erste »ihrer Art« ist. Und vielleicht verkör- Die Anwendung dieser Instrumentationstechnik ist dabei keines- Andreas Maul pert keine Komposition diesen offensichtlichen Widerspruch wegs Scelsis Exzentrik geschuldet. Die minutiös subtilen Schattie- besser als Tetras. rungen des Timbres, die er der Musik einkomponierte, verlangen vielmehr danach. Scelsi nutzte die Tabulatur-Technik nach dem Xenakis hat das Werk in seinen späten Jahren geschrieben, es ist 4. Streichquartett auch in einer Reihe weiterer wichtiger Werke, geprägt von stark kontrastierenden Texturen, die in blockartigen darunter Ygghur für Cello und Natura Renovatur für elf Streicher. Strukturen präsentiert werden, deren Übergänge sehr abrubt Gleichwohl ist das Quartett Nr. 4 das reichhaltigste und brillantes- ausfallen. Das Stück öffnet mit einem virtuosen -Solo te Werk, das mit Hilfe dieser Technik komponiert worden ist, und der Violine, die von der Viola in Doppelgriffen verfolgt wird, wurde vom Komponisten selbst als Krönung seiner architekto- bevor das ganze Quartett mit einem Echo der Soli einsetzt. Jeder nischen Konzeptionen bezeichnet. der folgenden Blöcke ist im Grunde eine Re-Interpretation dieses Materials innerhalb einer neuen und hoch dynamischen, unbe-

84 85 S027Nov ABSCHLUSSKONZERT 16 Uhr Ensemble Modern • Norbert Ommer, Klangregie Frankfurt Pablo Rus Broseta, Leitung • Johannes Kalitzke, Gesamtleitung hr-Sendesaal

Einführung 15.15 Uhr Foyer Musik und Raum – Stefan Keller (*1974) Sechs Auftragswerke des 5. Internationalen Spring! (2011) XenakisSplitter VIII Kompositionsseminars der IEMA für Ensemble 15’ »Xenakis als ...... Uraufführungen Anreger II« mit Stefan Beyer (*1981) Johannes Motschmann (*1978) Martin Schüttler In Terms of Eigentlichkeit. Eine Rodung (2011) Attack Decay (2011) für großes Ensemble 15’ für Ensemble 15’ ......

Torsten Herrmann (*1981) Steingrimur Rohloff (*1971) Rainbow Tables (2011) Der erste Mensch (2011) für zwei Klaviere und großes Ensemble 15’ für 18 Musiker und Elektronik 15’ ......

Balázs Horváth (*1976) Assemblage (1) (2011) für Ensemble und »Solisten« 15’ ......

Die endgültige Reihenfolge der Werke entnehmen Sie bitte dem Handzettel am Konzerttag. 87 Stefan Beyer 1909). Dieser Kahlschlag – »bei Kiefern- und Fichtenhochwal- Balázs Horváth – Horn solo ist ein richtiger Solist. In Terms of Eigentlichkeit. Eine Rodung (2011) dungen die herrschende Verjüngungsart« (Meyers Großes Kon- Assemblage (1) (2011) – Trompete solo ist ein Zirkusclown, der nicht nur die Konzert- versations-Lexikon, Bd. 10, Leipzig 1907) –, in dessen »extreme situation stört, sondern auch die Musiker für ihr Wissen und »Nicht mehr ließ sich gewahren, als daß vor ihnen eine mäßige pain we are, after all, excised from the world and collapsed into Als ich dieses Stück komponierte, hatte ich zwei grundlegende ihre Professionalität bewundert. Bodenerhöhung anstieg; dort mußte es trockner sein, als in der the peculiar ownmostness of our privacy« (James G. Hart, Who Ideen im Kopf. Die eine war es, solistische und theatralische – Schlagzeug solo ist der Bauchladenverkäufer eines Reisezirkus, feucht andunstenden Uferniederung, um die Reststunden der One is. Book 2. Existenz and transcendental phenomenology, = Fähigkeiten der kreativen Musiker des Ensemble Modern zu der während des Konzerts Knabbereien, Popcorn, Kaugummi, Nacht zu verbringen, und sie suchten hinaufzugelangen. Es fiel Phaenomenologica 190, Dordrecht 2009), ist »Kennmarke ver- nutzen, um meine momentane Faszination für theatralische Ele- Zigaretten etc. verkauft. nicht leicht, denn Waldbäume mit dicht verwachsenem Unter- gesellschafteten Erwähltseins, edel und anheimelnd in eins« mente in der Musik zu bedienen. Gleichzeitig wollte ich ein Stück – Violine solo ist ein Schauspieler. Obwohl er kein Solist im busch sperrten mannigfach den Durchlaß.« (Adorno), und »sorglich bahnte Markwart für Adelhard einen Pfad schreiben, in dem kleine Fragmente und Splitter vorkommen, musikalischen Sinne ist, fühlt er sich als Zentrum der gesamten durchs Dickicht« (Jensen). die keinerlei Beziehung zueinander zu haben schienen. Darauf Aufführung. Wilhelm Jensen, Hunnenblut, Kap. 14, Leipzig 1892 bezieht sich der Titel. Stefan Beyer Mit all diesen unterschiedlichen Persönlichkeiten und den Eine Komposition für großes Ensemble von 19 Spielern, aus de- Die andere wichtige Sache ist der Klang, der zum einen der ge- fragmentarischen musikalischen Elementen wollte ich eine ren teilweisen Doppelbesetzungen sich eine inhärente räumliche wöhnliche Ensembleklang ist, der aus der typischen Bühnendis- Assemblage schreiben, die die essentiellen räumlich-theatra- Konstellation ergibt. Der Raum erscheint als problematische Torsten Herrmann position entsteht, der zum anderen aber durch Solisten gestört lischen Aspekte von Musik unterstreicht. Größe, auch, »weil er seine Botschaft durch seine pure Beschaf- Rainbow Tables (2011) wird, die sich zwischen dem Ensemble und dem Publikum bewe- fenheit automatisch setzt und sie dadurch absperrt von der Erfah- gen und die Musik damit aus ihrem voraussehbaren räumlichen Balázs Horváth Übersetzung: Patrick Klingenschmitt rung, die ihn beseelen soll«, während »er überfließt von der Prä- An der Komposition Rainbow Tables (Regenbogentabellen) hat Kontext reißen. Die Musiker verhindern damit die Möglichkeit tention tiefen menschlichen Angerührtseins« (Theodor W. Ador- mich die Frage interessiert, wie ich mit kleinsten motivischen des Publikums, die Musik klar zu hören. Diese räumliche Idee no: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. Neuaufl., Pixeln und Partikeln auf eine hermetische Situation vom Anfang entstand auch aus einem theatralischen Aspekt heraus, da die Frankfurt/M. 1992). reflexiv Bezug nehmen kann. Gleich zu Beginn erscheint ein Klänge ja aus den individuellen Charakteren der Musiker resul- mehrtaktiges thematisches Emblem, das sofort in viele kleine tieren. Auch die sprachlichen Mittel, »Verfallsprodukte der Aura« Mosaiksteine zerfällt, quasi vaporisiert wird. Splitter dieses (Adorno), stehen in der Kritik. Anfangs rotieren entropisch im Raum, lokalisieren sich kurz, Um die Solisten und das Ensemble räumlich in Beziehung zu setzen, habe ich fünf Protagonisten kreiert, die sich jeweils Vonnöten ist eine neue Kontextualisierung, so entschieden wie schließen sich zu neuen Objekten zusammen oder zerfallen unterschiedlich verhalten: »das Ausstocken des Waldbodens vor Beginn der Erdarbeiten vorher und führen letztlich wieder in die Hermetik. eines Bahn-, Straßen-, Wiesenbaues usw.« (Lexikon der gesamten Torsten Herrmann – Fagott solo ist ein Orchestermusiker, der sich mit Skalen auf- Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7, Stuttgart, Leipzig wärmt, der bekannte Parts aus dem Orchesterrepertoire übt und Zeitung liest, während er nicht spielt.

88 89 Stefan Keller hier im kammerorchestralen Kontext aber umgekehrt um eine sierten Form ohnehin unser Bewusstsein und Urteil in zuneh- Dadurch erhielt das Stück besonders am Schluss Wildheit und Spring! (2011) Abwertung des konkreten Raumes, um einen virtuellen hervor- menden Maße prägt. Jede musikalische Bedeutung ist jedoch nur Rauheit, die sich auch darin widerspiegelt, wie ich die elektro- treten zu lassen. Dabei war es mir wichtig, den sonst meist sehr metaphysisch erfahrbar und hat außerhalb unserer Vorstellung nischen Klänge behandelt habe: Ich habe mich hierbei vielleicht An dieser Stelle findet sich meist ein Text, der erläuternd auf das solistisch geprägten Ensembleklang möglichst homogen zu keinen Ort. Ihr einen Raum geben zu wollen hieße, sie in ihm von klangschönen, organischen, harmonischen und an den Werk des Komponisten Bezug nimmt. Ich habe jedoch selten das halten, damit auch die konkreten Geometrien herkömmlicher einzusperren. Instrumenten angelehnten Klängen frei gemacht, und mehr Bedürfnis, die Idee meines Stücks vorab in Worten zu präsentie- Sitzordnung unwichtig werden. Jede Hierarchisierung soll spielerisch gewisse raue, elektronische und digitale »quasi- Johannes Motschmann ren. Vielmehr habe ich mich doch gerade bemüht, diese Idee in verschwinden. Fehler« zugelassen. Neuland auszuprobieren und ja, mir selbst Musik zu fassen, und meine Mühe wäre umsonst gewesen, sollte Freude während des Schaffensprozess zu schaffen, führte hier bezeichnet die ersten beiden Phasen der Hüllkurve sie sich nicht hörend erschließen. Ich ziehe es vor, die Musik für Attack Decay also, wenn man so will, zu einem Zulassen von »klanglicher Ver- von Lautstärken eines elektroakustisch erzeugten Signals, gleich sich selber sprechen zu lassen. Steingrimur Rohloff schmutzung« und »musikalischen Unsauberkeiten«. welchen Ursprungs, die als Hüllkurvengeneratoren an nahezu Der erste Mensch (2011) Stefan Keller jedem Synthesizer zu finden sind. Stellt man die beiden folgen- Steingrimur Rohloff den Phasen Sustain und Release ab, ergibt sich ein kurzer, Der Titel Der erste Mensch steht für mich lediglich für den selbst- impulshafter Ton, den ich durch ständiges Staccato in fast allen auferlegten leichten Zwang, sich als Komponist – und damit auch Johannes Motschmann Stimmen immer wieder imitiere. Auch hier soll eine Reduktion die Interpreten – neuen Situationen auszusetzen. Der Titel deutet Attack Decay (2011) des Raumes, die der einzelne Ton einnimmt, erreicht werden. Die also eine Tabula-Rasa-Situation an. Klangfarbe teilt sich bereits durch das Ansprechen eines Musik- Musik als immaterielles Objekt im objektiven Raum zu themati- Was dieses Werk für mich persönlich besonders wichtig macht, instrumentes so stark mit, dass man versucht ist, die Attackphase sieren bedeutet, zwangsläufig einander ausschließende Abstrak- ist die Tatsache, für wen und unter welchen Umständen ich es als prioritär einzustufen, wenn es um das Erkennen des jeweiligen tionsebenen in Konkurrenz treten zu lassen: Der konkrete Raum schreiben durfte: Der erste Mensch ist für Ausnahmemusiker Instrumentes geht. Dabei rekurriert auch der Tonvorrat in mehre- lenkt die Aufmerksamkeit vom abstrakten Raum ab. Deshalb habe komponiert, und im Kompositionsprozess hatte ich Klänge und ren Augmentationsstufen motivisch immer wieder auf sich ich dagegen versucht, einen musikalischen Raum auszugestalten, Spielmöglichkeiten mit den Musikern probieren und aufnehmen selbst. Durch ein fast statisches Repetieren dieser auf Ökonomie der zwar äußerlich statisch und konventionell erscheint, der aber können. In dem Wissen um die Virtuosität der Spieler konnte ich und Selbstähnlichkeit zielenden Phrasierung und Bewegung gleichzeitig perspektivisches Hören und Wahrnehmen aller auf verschiedenen Ebenen experimentieren: Mich interessierte möchte ich den Klang der Musikinstrumente ihrem jeweiligen musikalischen Objekte in ihm ermöglicht. z.B. besonders, die Interpreten in einem schnellen Wechselspiel Alter Ego als Softwaresimulation annähern, und gelegentlich – zwischen »normalem Gebrauch ihres Instruments« und dem Verräumlichung von Musik wird bei Nono, Stockhausen und etwa in den Popmusikzitaten – klischeehaft überzeichnen, viel- eher »unüblichen Gebrauch der Stimme« zu involvieren. Die Xenakis fast reflexhaft durch Expansion erreicht, und das ist für leicht um sogar eine Abstraktionsebene zwischen Instrument und hierbei entstehende »Angestrengtheit« interessierte mich, auch monumentale orchestrale Klangbilder auch sinnvoll. Mir geht es jener akustischer Information zu erreichen, die in ihrer digitali- da sie dem Stück schon fast einen theatralischen Effekt verleiht.

90 91 Biografien Penzel und Esa Tapani (2007–2008), wo er seinen Abschluss Komponisten, Interpreten, Referenten Luciano Berio • 1925 im italie- erwarb. Zu seinen Lehrern zählten außerdem Michael Slatkin nischen Oneglia geboren und 2003 in und Michael Höltzel. Rom gestorben, war einer der Pioniere Georges Aperghis • 1945 in Athen nahe stehen. Oft fließen auch in diese Stücke theatralische Saar Berger war Hornist der Israeli Opera Tel Aviv, beim Israeli der Elektronischen Musik. Er studierte geboren, lebt und arbeitet seit 1963 in Momente ein. Dazu kommt die Oper, die bei Aperghis als eine Symphony Orchestra Rishon LeZion und sammelte zahlreiche nach dem Zweiten Weltkrieg am Mailän- Paris. Er teilt dabei sein Leben zwischen Synthese beider Pole betrachtet werden muss: Hier der Text als weitere Orchestererfahrungen, u.a. beim Young Israel Philharmo- der Konservatorium bei Giulio Cesare seiner rein kompositorischen Arbeit bestimmendes und befruchtendes Element, dort die Stimme nic, dem West Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim, Paribeni und Giorgio Federico Ghedini. und dem »théâtre musical«, als dessen als Hauptträger des Ausdrucks. dem Jerusalem Symphony Orchestra, dem Musica Nova Modern Durch eine im Krieg verletzte Hand an aktivster und dauerhaftester Vertreter Ensemble sowie beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. einer pianistischen Karriere gehindert, er gilt. 1976 gründete Aperghis das André Baltensperger • Musikwissenschaftler und Ökonom, Als Kammermusiker trat er in Israel, der Schweiz, Deutschland, konzentrierte sich Berio dabei auf die Atelier Théâtre et Musique (ATEM). Mit geboren 1950 in Basel, ist seit 2001 Rektor der Musik Akademie Polen, Russland und Spanien auf, u.a. mit dem Scharoun Komposition. 1947 fand die erste Aufführung eines eigenen Wer- dieser äußeren Struktur erneuerte er Basel. Zuvor war er in der Druckbranche tätig, später wissen- Ensemble und der Kammerakademie Potsdam. kes statt, einer Suite für Klavier. Zu dieser Zeit verdiente Berio sei- von Grund auf auch seine komposito- schaftlicher Mitarbeiter an der Paul Sacher-Stiftung in Basel und nen Lebensunterhalt mit der Begleitung von Gesangsklassen. Als Solist gastierte Saar Berger bei europäischen Festivals wie rische Praxis: In ständiger Zusammenarbeit mit Musikern und während zehn Jahren Generalsekretär der Konferenz der Kanton- Dabei lernte er die amerikanische Sopranistin Cathy Berberian dem Schleswig-Holstein Musik Festival, den Internationalen Schauspieler-Sängern entwickelt er nach und nach während der regierungen in Bern. Seine Arbeitsgebiete sind, neben Bundes- kennen, die er kurz nach seinem Universitätsabschluss 1950 hei- Hamburger Horntagen und dem Festival Internacional de Proben szenische Spiele, die vom Alltagsleben, von sozialen staats- und Föderalismusfragen, die Musik des 20. Jahrhunderts, ratet. 1951 geht Berio in die USA, um in Tanglewood bei Luigi Santander in Spanien. Berger war Teilnehmer der Karajan- Fakten, in poetische – oft satyrische oder absurde Welten trans- Choral, Tropen und Sequenzen sowie die Entwicklung der Instru- Dallapiccola zu studieren, der sein Interesse an serieller Musik Akademie des Berliner Philharmonischen Orchesters (2006), portiert sind. Alle Dimensionen der Komposition (vokale, instru- mentalmusik in der Renaissancezeit. Er promovierte 1987 über weckt. Stipendiat der America-Israel Cultural Foundation und der mentale, gestische, szenische) werden auf gleicher Ebene behan- Iannis Xenakis. Daneben hat er eine Ausbildung in Klavier, Stiftung für junge Solisten des Santander Festivals und erhielt Bruno Maderna brachte Luciano Berio schließlich zu den Darm- delt und tragen – zusätzlich zu den vorher existierenden Texten – Cembalo und Gesang. 2005 den Zvi und Ofra Meitar Familie Ltd. Award sowie den städter Ferienkursen, die Berio 1954 bis 1959 besuchte. Dort lernte zur Dramaturgie des jeweiligen Schauspiels bei. Von 1976 bis 1995 Ersten Preis der America-Israel Cultural Foundation. Seit 2007 er Boulez, Stockhausen, Ligeti und Kagel kennen. Er beginnt, sich sind aus der Zusammenarbeit zwischen Aperghis und ATEM Saar Berger • Der 1980 in Tel Aviv/Israel geborene Hornist konzertiert er als regelmäßiger Gasthornist mit dem Orquestra für Elektronische Musik zu interessieren und gründet gemein- dabei mehr als 20 »théâtres musicals« entstanden. begann seine musikalische Ausbildung an der Rubin-Akademie Sinfonica Pamplona/Spanien. Im selben Jahr wurde er Mitglied sam mit Maderna 1955 in Mailand das »Studio di Fonologia Mu- für Musik der Universität Tel Aviv (2002–2004) und in Jerusalem Daneben blieb Aperghis aber auch der Kammer- und Orchester- des Ensemble Modern. sicale«, wo Mutazioni (1955), Perspectives (1957), Thema (Omaggio (2004–2005) bei Chezi Nir. Danach studierte er an der Hochschu- musik treu. Er komponierte eine Reihe von Werken für Solo- a Joyce) (1958) sowie Différence (1958/59) entstehen. Zur Arbeit im le für Musik Hanns Eisler in Berlin bei Marie Luise Neunecker instrumente oder Solostimme, meist für Interpreten, die ihm Studio lädt Berio bedeutende Komponisten ein, darunter Henri (2005–2007) sowie an der Frankfurter Musikhochschule bei Erich Pousseur und John Cage. Darüber hinaus gibt er mit Maderna die 94 A/B 95 Zeitschrift für Elektronische Musik »Incontri Musicali« heraus. Förderpreis der Musikhochschule Weimar und dem Ersten Preis für Bassklarinette und Orchester von Bruno Mantovani, mit Runde beim Probespiel des Ensemble intercontemporain für Zu seinen bedeutendsten Werken werden der Sequenza-Zyklus des Internationalen Kompositionswettbewerbs Harelbeke in Jonathan Nott und dem Bamberger Symphoniker aufgenommen junge Dirigenten, bei dem Pierre Boulez und Susanna Mälkki in (1958–2002), Folk Songs (1964), Sinfonia (1968), Coro (1975/76) Belgien. 2011 nahm er an der Internationalen Sommerakademie und zudem die Uraufführungen von Génération, einem Tripel- der Jury saßen. 2010 bekam er eine Einladung zu den Internatio- sowie seine Werke für Musiktheater Passaggio (1961/62), Labo- Schloss Solitude bei Stuttgart teil. Künstlerische Zusammenarbeit konzert für drei Klarinetten von Jean-Louis Agobet, mit Michel nalen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Außerdem rintus II (1965), Opera (1977), La vera storia (1977–81), Un re in u.a. mit dem Ensemble Surplus, der Luxembourg Sinfonietta, Portal, Paul Meyer und dem Orchestre National de Strasbourg nahm er an einer Reihe von Meisterkursen teil, darunter Kurse ascolto (1979–83), Outis (1996) und Cronaca del Luogo (1999). dem GAMEnsemble Moskau, dem Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Jan Latam Koening und François-Xavier bei Bernard Haitink (Lucerne Festival), Kurt Masur, Steven Sloane, Altenburg-Gera, dem Rundfunk-Blasorchester Leipzig, Seth Josel, Roth, sowie Machine for Contacting the Dead von Lisa Lim, für Sir Roger Norrignton und Sylvain Cambreling. Darüber hinaus Stefan Beyer • geboren 1981 in Luka Juhart, Christian Hommel. Stefan Beyer ist Doktorand im Kontrabassklarinette, Cello und Ensemble mit dem Ensemble dirigierte Pablo Rus Broseta bereits das BBC Scottish Symphony Braunschweig, studierte zunächst Schul- Fach Musikwissenschaft und lebt in Berlin. intercontemporain und Jonathan Nott gespielt. Darüber hinaus Orchestra, das Orchestre Philarmonique de Liège, das Beethoven musik in Leipzig (Musik, Geschichte, engagiert er sich stark für das Education-Programm des Ensem- Orchester Bonn, die Holland Symfonia, die Bochumer Symphoni- Pädagogik). Nach Grund- und Haupt- Alain Billard • geboren 1971, begann im Alter von fünf Jahren, bles, das speziell auf ein junges Publikum und professionelle ker, das Ensemble Modern und die Essener Philarmoniker. Vor studium sowie einem einjährigen Aus- Klarinette zu spielen. Sein erster Lehrer war Nino Chiarelli an der Musiker von Morgen abgestimmt ist. kurzem wurde Pablo Rus Broseta eingeladen, beim Meisterkurs landsstudium an der Musikhochschule Ecole de Musique de Chartres. Er setzte seine Studien zunächst für Dirigenten bei der Lucerne Festival Academy unter der Göteborg in Schweden absolvierte er bei Richard Vieille am Conservatoire National de Région de Paris Pablo Rus Broseta • geboren 1983 im Godella/Spanien, Leitung von Pierre Boulez teilzunehmen. Seit Oktober ist er 2008 das Erste Staatsexamen (mit einer (CNR), später dann am Conservatoire National Supérieur de studierte Saxofon, Kammermusik und Komposition an der Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Arbeit über den Berliner Komponisten Musique de Lyon fort, wo er bei Jacques Di Donato seinen Ab- Musikhochschule Valencia. Er erweiterte seine musikalische Paul-Heinz Dittrich). Eine Kompositions- schluss machte. Im Anschluss wurde er Mitglied im Bläserquin- Ausbildung in Lyon bei Jean Denis Michat und Philippe Elliott Carter • geboren 1908 in ausbildung hatte er bereits 2004 aufgenommen, studierte in tett »Nocturne«, mit dem er mit höchster Auszeichnung das Cambreling, sowie im Conservatorium van Amsterdam bei New York, ist einer der profiliertesten Leipzig bei Gesine Schröder, in Schweden bei Anders Hultqvist Fach Kammermusik am Conservatoire de Lyon abschloss und dem Dirigenten Lucas Vis. In der Spielzeit 2009/10 wurde amerikanischen Komponisten des und Ole Lützow-Holm und wechselte anschließend in die Leip- den Zweiten Preis beim Internationalen ARD-Wettbewerb in Pablo Rus Broseta Assistent des Dirigenten beim Orchestre 20. und 21. Jahrhunderts. Bereits in ziger Kompositionsklasse Claus-Steffen Mahnkopfs. Noch vor München gewann. Philarmonique de Liège mit François Xavier Roth als musika- seiner Jugend eröffneten sich ihm zahl- Beendigung des Erststudiums wurde er dessen Aufbaustudent. lischem Leiter. Außerdem wurde er für die nächsten Spiel- reiche Gelegenheiten, die unterschied- Seit 1995 ist Alain Billard Bassklarinettist des Ensemble intercon- zeiten zum Dirigentenassistent des Valencia Youth Orchestras lichen ästhetischen und kompositions- Sein Kompositionsstudium beendete Stefan Beyer im Mai 2011 temporain, spielt aber auch Klarinette, Bassetthorn und Kontra- ernannt. technischen Strömungen der zeitgenös- mit dem Konzertexamen (mit Auszeichnung). Er war Stipendiat bassklarinette. Er ist ständig in regem Kontakt mit Musikern sischen amerikanischen und europä- des Else-Heiliger-Fonds (Konrad-Adenauer-Stiftung) und der unterschiedlichster Stilrichtungen und erweitert seine Erfahrun- Pablo Rus Broseta nahm an der Internationalen Ensemble Mo- ischen Musik kennenzulernen. Charles Studienstiftung des deutschen Volkes, seine Kompositionen wur- gen sowie seine Instrumentalpalette, indem er lernt, Tuba, Saxo- dern Akademie teil, wo er beim Klangspuren Festival 2009 und Ives machte den erst Sechzehnjährigen mit der New Yorker den mit Preisen ausgezeichnet, u.a. 2010 mit dem Franz-Liszt- fon und Bassgitarre zu spielen. Er hat , ein Konzert beim Transart Festival in Bozen dirigierte. Er erreichte die letzte Mit Ausdruck Musikszene bekannt, indem er mit ihm Konzerte besuchte und 96 B/C 97 Partituren analysierte. Zu Beginn der 1930er Jahre ging Carter 2008 gewann Anthony Cheung für seine Komposition Anthony Cheung • geboren 1982 Wind- Thierry de Mey • geboren 1956 in für einige Jahre nach Paris, um dort bei Nadia Boulanger Kom- in San Francisco, ist Komponist und swept Cypresses den Ersten Preis und den Publikumspreis des Brüssel, ist Komponist, Regisseur und position zu studieren. Die meisten der in dieser Zeit entstan- Pianist. Mit sechs Jahren begann er 6. Internationalen Henri-Dutilleux-Wettbewerbs. 2006 erhielt er Perkussionist. Seine Begegnung mit denen Werke sind deutlich der Ästhetik des Neoklassizismus ver- Klavier zu spielen, ein Jahr später ent- das Charles-Ives-Stipendium der American Academy of Arts and Henri Van Lier an der Brüsseler Film- pflichtet. Ein entscheidender Entwicklungsschritt kündigt sich in standen bereits seine ersten Komposi- Letters. Darüber hinaus erhielt er fünf ASCAP Morton-Gould- schule wurde zum Katalysator für sein seinem Schaffen mit seiner 1946 entstandenen Klaviersonate an, tionen. 2004 schloss Anthony Cheung Preise, das Green-and-Paine-Stipendium des Musikinstituts in musikalisches und filmisches Schaffen. in der sich Carter erstmals von seiner bisherigen Diktion distan- sein Musik- und Geschichtsstudium an Harvard sowie den Louis Sudler-Preis des Harvard Kunstinstituts. Ein Aspekt von Van Liers Lehre blieb ziert. Mitte der 1950er Jahre schloss Carter die Partitur seiner der Harvard University ab, 2010 bekam Als Autor und Wissenschaftler hat er u.a. Arbeiten über Ligeti für de Mey dabei besonders wichtig: Variations for Orchestra ab, die zusammen mit seinem 2. Streich- er von der Columbia University den (Dissertation 2010 über das Hamburgische Konzert) sowie Artikel Künstlerisches Engagement sollte quartett (1959) und dem Double Concerto (1961) die Grundlage Doktortitel verliehen. Dort hat er auch über Zeitgenössische Musik verfasst. immer von einem Interesse an mathe- seiner eigenen Klangsprache darstellt. am Musikinstitut unterrichtet und war assistierender Dirigent matischen Strukturen begleitet sein. Van Lier machte de Mey Julia Cloot • leitet das Institut für zeitgenössische Musik an In der Folgezeit entwickelte Carter eine vollends autonome har- des Columbia University Orchestra. Seine primären Komposi- zudem auf die Musik von Steve Reich aufmerksam. Reichs rhyth- der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt. monische und rhythmische Sprache, die entschieden den in den tionsstudien absolvierte Cheung bei Tristan Murail und Bernard mische Verschiebungen, die klare Struktur und die chaotischen Zuvor war sie Chefdramaturgin am Theater Görlitz (1999–2001) USA ungebrochenen Hang zum Neoklassizismus negierte, sich Rands, zusätzlich hat er am Tanglewood Music Center, beim Klänge der Stadt bildeten in der Folge wichtige Inspirations- und Referentin bei einer Kulturstiftung in Hannover (2001– aber auch von der für die europäische Avantgarde maßgeblichen Aspen Music Festival, bei Domaine Forget in Fontainebleau und quellen für de Mey. Die Begegnung mit Fernand Schirren, einem 2005). Seit 2006 ist sie für das Off-Programm der Donaueschin- Seriellen Musik absetzte. Bezeichnend für Carters Individualstil am Centre Arcanthes studiert und mit vielen führenden Kompo- Perkussionisten des Ballet of the Twentieth Century, war ein ger Musiktage verantwortlich, seit 2010 für »Positionen zum ist die Komplexität der musikalischen Faktur, die Verwendung nisten zusammengearbeitet. Als Pianist prägten ihn vor allem zweiter wegweisender Faktor in de Meys Entwicklung. Schirren Musiktheater« bei den Schwetzinger Festspielen (beides SWR). verschiedener, gleichzeitig ablaufender Tempi sowie die Technik Robert Levin und Paul Hersh. hatte eine fertige Vision von Rhythmus und Bewegung: Rhyth- Sie ist Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der Internatio- der »metrischen Modulation«, einer Methode der Zeitorganisa- mus war für ihn identisch mit Bewegung. Seine »Philosophie des Anthony Cheung ist Künstlerischer Leiter und Pianist des Talea nalen Gesellschaft für Neue Musik und der Internationalen tion, die es ermöglicht, proportionale Änderungen des Rhythmus« wurzelt in der Dualität von Anfang und Ende einer Ensemble in New York. Seine Kompositionen werden von zahl- Forschungsstätte Archiv Frau und Musik. Sie lehrt und publiziert mit hoher Präzision zu verwirklichen. Bewegung. reichen Orchestern und Ensembles aufgeführt. Eine intensive über (Kunst-)Ästhetik und -Poetik um 1800, Oper/Neues Musik- Zusammenarbeit verbindet Cheung dabei u.a. mit dem Ensemble theater, Konzertdramaturgie, Libretto, Lied, Musik und andere De Mey komponierte den überwiegenden Teil seines musikali- Modern. Mehrere Werke bereits hat er für das Ensemble und Künste, Neue Musik und ihre Institutionsgeschichte. Seit diesem schen Œuvres in Zusammenarbeit mit Choreografen oder für die seine Solisten geschrieben. Seine Musik findet sich zudem regel- Jahr ist sie Präsidentin der Gesellschaft für Neue Musik (GNM). Gruppe Maximalist! (1984 –1991), die er zusammen mit Peter mäßig auf den Programmen internationaler Festivals, wie Ultra- Vermeersch gründete. Darüber hinaus war er Gründungsmitglied schall (Berlin), Wittener Tage für neue Kammermusik, Musica des Ictus Ensemble, einer belgischen Formation für kontemporä- Nova Helsinki, Centre Acanthes, Musica Strasbourg, Tactus Young re Musik, die viele seiner Werke uraufführte. De Meys Musik Composers Forum und Domaine Forget. 98 C/D 99 wurde bereits erfolgreich auch von Klangkörpern wie dem Das Ensemble intercontemporain erteilt jedes Jahr Komposi- Tourneen führten das Ensemble Modern bereits nach Afrika, Örjan Fahlström • ist ein internati- Hilliard Ensemble, der London Sinfonietta, dem Orchestre Sym- tionsaufträge und bringt neue Partituren zur Uraufführung. In Australien, China, Indien, Japan, Korea, Russland, Südamerika, onal erfolgreicher schwedischer Kom- phonique de Lille und dem Arditti String Quartet aufgeführt. Die Zusammenarbeit mit dem IRCAM ist es zudem im Bereich der Taiwan und in die USA. Regelmäßig tritt es bei renommierten ponist, Arrangeur und Jazz-Musiker. 1977 Musik und Filme Thierry de Meys wurden bereits vielfach ausge- synthetischen Klangerzeugung aktiv. Außerdem engagiert sich Festivals und an herausragenden Spielstätten auf wie etwa den gründete er die Fahlström International zeichnet, u.a. von den Bessie Awards in New York, dem Forum des das Ensemble im Education-Bereich: mit »musikalischen Schau- Salzburger Festspielen, den Klangspuren Schwaz, den Festwochen Big Band, der einige der renommiertes- Compositeurs de l’Unesco, von Eve du Spectacle, dem Flemish spielen« für junge Leute, kreativen Workshops für Studenten Wien, dem Musikfest Berlin, der MusikTriennale Köln, dem ten in Europa ansässigen Jazz-Solisten Film Festival in Ghent (1999 Preis für den besten belgischen Kurz- und Weiterbildungskursen für Nachwuchsinstrumentalisten, Lincoln Center Festival in New York, settembre musica in Turin, wie Benny Bailey, Bobo Stenson, Tim film für »Musique de tables«), vom Grand Prix International du -dirigenten und -komponisten. Seit 1995 ist die Cité de la Musi- dem Festival d’Automne à Paris, dem Festival Ars Musica in Hagans oder Palle Mikkelborg ange- Film de Dance in Nizza und dem Moving Pictures Festival in que in Paris der ständige Sitz des Ensembles, das weltweit mit Brüssel, dem Holland Festival in Amsterdam und dem Lucerne hörten. Örjan Fahlström war von 1989 Toronto. 1998 war de Mey Gastkomponist in Fresnoy und 2001 großem Erfolg gastiert und regelmäßig an allen bedeutenden Festival, der Alten Oper Frankfurt, der Oper Frankfurt, der Kölner bis 1996 künstlerischer Leiter der Norr- bis 2002 Hauskomponist der Musica in Straßburg. internationalen Festivals für Zeitgenössische Musik teilnimmt. Philharmonie, dem Konzerthaus Berlin, der Philharmonie Essen botten Big Band und ist regelmäßiger Gastdirigent bei vielen Finanziell gefördert wird das Ensemble intercomtemporain vom und dem Festspielhaus Baden-Baden. Jährlich gibt das Ensemble renommierten Bigbands, u.a. bei der NDR-Bigband und der Ensemble intercontemporain • Das Ensemble intercon- französischen Ministère de la Culture et de la Communication Modern ca. 100 Konzerte. In enger Zusammenarbeit mit Kompo- Estonian Dream Big Band Tallinn. Als Komponist und Musiker ist temporain ist eines der bedeutendsten Spezialisten-Ensembles sowie von der Stadt Paris. nisten, verbunden mit dem Ziel größtmöglicher Authentizität, er Mitglied der Swedish Radio Jazz Group. 2005 wurde er zum für Moderne Musik. 1976 von Pierre Boulez mit Unterstützung erarbeiten die Musiker jedes Jahr durchschnittlich 70 Werke neu, Professor für Komposition an der Königlichen Musikhochschule des damaligen Staatssekretärs für Kultur, Michel Guy, in Paris Ensemble Modern • Das Ensemble Modern, 1980 gegrün- darunter etwa 20 Uraufführungen. Das Ensemble Modern wird Stockholm ernannt, wo er bald die Leitung der Kompositions- gegründet, besteht es aus 31 Solisten, die sich ausschließlich der det und seit 1985 in Frankfurt am Main beheimatet, gehört zu gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, die Stadt Frank- und Dirigierabteilung übernahm. 2008 bis 2011 war Örjan Fahl- neuen und neuesten Musik widmen: von den Klassikern des den weltweit führenden Ensembles für Neue Musik. Derzeit furt sowie über die Deutsche Ensemble Akademie e.V. durch das ström Chefdirigent der hr-Bigband und bleibt auch weiterhin mit 20. Jahrhunderts bis zu aktuell entstehenden Werken. Dabei er- vereint das Ensemble 19 Solisten verschiedenster Herkunft: Land Hessen, die GEMA-Stiftung und die GVL. Ausgewählte Pro- der Band als Gastdirigent und Komponist verbunden. Fahlström forscht das Ensemble in enger Zusammenarbeit mit den Kompo- Argentinien, Bulgarien, Deutschland, Indien, Israel, Japan, Polen jekte des Ensemble Modern werden außerdem durch den Kultur- blickt als Bigband-Leiter ebenfalls auf eine langjährige Radio- nisten neue instrumentale Techniken und realisiert auch Pro- und die Schweiz bilden den kulturellen Hintergrund dieser fonds Frankfurt RheinMain gefördert. und Fernseherfahrung zurück. Seine musikalische Kompetenz jekte, die Musik mit Tanz, Theater, Film, Video und der bildenden Formation. Das Ensemble Modern ist bekannt für seine einzig- erstreckt sich darüber hinaus auf so unterschiedliche Gebiete Kunst verbinden. Nach Pierre Boulez, der bis 1978 die Leitung artige Arbeits- und Organisationsweise: Es besitzt keinen künstle- wie Musicalproduktionen, die Leitung von Sinfoniekonzerten innehatte, stand Peter Eötvös zwölf Jahre lang (1979–1991), an der rischen Leiter; Projekte, Koproduktionen und finanzielle Belange und seine eigene solistische Tätigkeit als Vibrafonist und Spitze des Ensembles. Ihm folgten David Robertson (1992–1999) werden gemeinsam entschieden und getragen. Seine unverwech- Perkussionist. und Jonathan Nott (2000–2005). Seit 2006 amtiert Susanna selbare programmatische Bandbreite umfasst Musiktheater, Mälkki als Chefdirigentin. Tanz- und Videoprojekte, Kammermusik, Ensemble- und Orches- terkonzerte. 100 E/F 101 dete die Ensembles Piano-Inside-Out und zeitkratzer, die er auch Holger Falk • Der Bariton Holger Falk, in Regensburg gebo- Paul Fitzsimon • Vor seiner Position als Assistant Conductor Stefan Fricke • lebt als Musikpublizist in Frankfurt am Main ren, begann seine musikalische Ausbildung bei den Regensburger des Melbourne Symphony Orchestra absolvierte der 1982 gebore- und Berlin. Nach dem Studium war er als wissenschaftlicher Mit- leitet. Domspatzen. Sein Gesangsstudium absolvierte er in Würzburg ner Paul Fitzsimon sein Studium an der University of Melbourne, arbeiter in der Fachrichtung Musikwissenschaft an der Universi- Friedl hat als Kurator für das Podewil Center für Kontemporäre und in Mailand bei Sigune von Osten, Franco Corelli und Neil wo er den Bachelor of Music im Hauptfach Piano Performance tät des Saarlandes tätig. 1989 gründete er gemeinsam mit Sigrid Kunst Berlin gearbeitet und war als Direktor für die Off-ICMC Semer. Engagements führen ihn an das Théâtre de Champs erwarb. 2009 bis 2011 studierte er an der Universität der Künste Konrad in Saarbrücken den auf Neue Musik spezialisierten PFAU- (International Computer Music Conference) in Berlin im Jahre Elysées Paris, das Théâtre de la Monnaie Brüssel, Theater an der Berlin bei Lutz Köhler. Während des 2006 Melbourne Internatio- Verlag. Lehraufträge und Workshops führen ihn an verschiedene 2000 verantwortlich. Sowohl die Ars Electronica als auch die Wien, Nationaloper Warschau, das Boston Early Music Festival, nal Festival dirigierte Paul Fitzsimon die australische Urauffüh- akademische Institutionen. Er ist Autor und Herausgeber zahl- Gulbenkian Stiftung in Lissabon machten ihn zu einem stän- das TPO Bangkok sowie an zahlreiche deutsche Opernhäuser, rung von Hommage à T. S. Eliot der russischen Komponistin Sofia reicher Publikationen zur Neuen Musik / Ars Acustica und Mit- digen Jury-Mitglied. Als Pianist und Komponist hat er mit u.a. Frankfurt, Bonn und Gelsenkirchen. Er arbeitet zusammen Gubaidulina, und 2007 leitete er Purcells Oper Dido and Aeneas glied im Bundesfachausschuss Neue Musik des Deutschen Musik- Musikern und Komponisten wie Lee Ranaldo (Sonic Youth), mit herausragenden Dirigenten und Regisseuren wie Gabriel an der Chapel off Chapel in Melbourne, sowie die australische rats. Seit 2008 ist Stefan Fricke Redakteur für Neue Musik beim Phil Niblock, Helmut Oehring, Nicolas Collins, Lou Reed, Merz- Garrido, Christopher Hogwood, Franck Ollu, Stephen Stubbs, Premiere von Rodion Shchedrins The Sealed Angel mit dem Hessischen Rundfunk. bow (Masami Akita), Radu Malfatti, Bernhard Guenter, Mario Werner Schröter, Carlos Padrissa und Vincent Boussard. Melbourne Chorale. Bertoncini (nuova consonanza) zusammengearbeitet und hat Reinhold Friedl • wurde 1964 gebo- Neben Partien des klassischen Repertoires widmet sich Holger 2008 dirigierte Fitzsimon die Welturaufführung von Marcello zahlreiche Radio- und CD-Aufnahmen eingespielt. In jüngster ren und lebt seit 1987 in Berlin. Er stu- Falk auch dem zeitgenössischen Musiktheater und hat Opern Pannis im Rahmen der Metropolis-Reihe des Melbourne Zeit hat er das »Spazialisation Piano-Project« im ZKM Karlsruhe Short dierte Klavier bei Renate Werner, Alan von Benoit Mernier, Steffen Schleiermacher, Jan Müller-Wieland, Symphony Orchestra, sowie das Einführungskonzert des MSO im und in den Asphodel Studios in San Francisco realisiert. Der Marks und Alexander von Schlippen- Hans Gefors und Vladimir Tarnopolski uraufgeführt sowie mit neuen Melbourne Recital Centre. Ferner leitete er Konzerte mit Fokus all seiner Arbeiten liegt in der Erforschung des Raumes bach sowie Mathematik und Musik- dem Ensemble Modern, Ensemble Kontraste, Ensemble Avant- dem Canberra sowie dem Adelaide Symphony Orchestra. Weitere innerhalb des Klavieres. Reinhold Friedl hat die komplette Litera- wissenschaft in Stuttgart und Berlin. garde und der musikfabrik NRW zusammengearbeitet. Als Kon- Engagements führten ihn 2009 zum Sydney Symphony Orches- tur gespielt, die sich Techniken im Klavierinnenraum bedient, Als Interpret und Komponist erhielt er zertsänger und Liedinterpret gastierte Holger Falk u.a. an der tra und dem Orchestra Victoria. Paul Fitzsimon dirigierte seine und mehrere Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. zahlreiche Stipendien (Eurocréation Kölner Philharmonie, dem Gewandhaus Leipzig, dem Palais des ersten Konzerte in Deutschland mit dem Philharmonischen Paris, das Rom Stipendium der Villa Beaux-Arts Bruxelles, der Franz-Liszt-Akademie Budapest, dem Kammerorchester Wernigerode und den Berliner Symphonikern. Rudolf Frisius • ist Musikwissenschaftler und Autor diverser Serpentara der Berliner Kunstakademie, Rheingau Musik Festival, Berliner Festspiele, Dresdner Musik- 2010 und 2011 dirigierte Fitzsimon Neue Musik im Rahmen der Veröffentlichungen und Radiosendungen. Seit 1972 lehrt und STEIM Amsterdam) wie eine Vielzahl an Kompositionsaufträgen. sommer, dem Schleswig-Holstein Musik Festival, Staatsgalerie Heidelberger Festspiele. Weitere Engagements führen ihn 2011 forscht er in Karlsruhe. Seine Schwerpunkte sind Neue Musik, Reinhold Friedl hat Artikel in Tageszeitungen und Fachzeit- Stuttgart und dem Steirischen Herbst Graz. Holger Falk ist zu Dirigaten mit den Queensland Symphony Orchestra und dem Musiktheorie, Elektroakustische Musik und die Analyse der Neu- schriften veröffentlicht und zusammen mit Ehrhard Behrends Gründer des deutsch-persischen Ensemble Hafez. Melbourne Symphony Orchestra in Australien, mit dem Ham- en Musik, insbesondere der Werke von Karlheinz Stockhausen, ein Seminar über »Musik und Mathematik« im Fachbereich burg Ballet nach Baden-Baden sowie als Musikalischer Assistent John Cage, Edgard Varèse, Pierre Boulez, Mauricio Kagel und Mathematik an der Freien Universität Berlin geleitet. Er grün- an die Grazer Oper. Iannis Xenakis. 102 F 103 2001 Erster Preis beim 10. Landeswettbewerb »Jugend kompo- u.a. »Amalgam aus Musik und Wissenschaft. Naturwissenschaft- Martin Grunenberg • stammt aus Frankfurt am Main. Er Balázs Horváth • wurde 1976 in hat Musikwissenschaft, Philosophie und Geschichte in Frankfurt niert« mit dem Streichquartett Palindrom. 2004 Förderstipen- liches Denken im Werk von Iannis Xenakis« (1994) und »Music Budapest geboren. Er studierte Kompo- und Wien studiert, außerdem ein Studienjahr am Dartington dium für die 43. Darmstädter Ferienkurse und Stipendium für out of Nothing? The Dynamic Synthesis. A Rigorous sition bei Zoltán Jeney, Attily Bozay und College of Arts in England absolviert. Seit 1989 als freier Mitarbei- die 42. Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. 2006 Zweiter Approach to Algorithmic Composition by Iannis Xenakis« (2009). János Vajda an der Ferenc Liszt Academy ter im Hessischen Rundfunk tätig, zunächst als Aufnahmeleiter, Preis beim Hanns-Eisler-Preis für Komposition und Interpreta- of Music. Noch während er 2005 seinen dann als Moderator, Redakteur und Autor in hr2-kultur. tion Zeitgenössischer Musik. Seit 2006 Stipendiat der Studien- Robin Hoffmann • ist Komponist und Interpret. Er studierte Abschluss machte, begann er bereits, stiftung des deutschen Volkes. 2009 Teilnahme am Orchester- in Essen und Frankfurt am Main bei Nicolaus A. Huber und Claus dort zu unterrichten. Horváths Kompo- workshop mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Kühnl (Komposition), Michael Teuchert und Thomas Bittermann Torsten Herrmann • geboren 1981 sitionen werden regelmäßig in Ungarn in Jülich, schrieb 1990 bereits erste Dirigent Matthias Pintscher. 2003 Uraufführung der 4 Inven- (Gitarre), Bernhard Kontarsky (Kammermusik Neue Musik). Sein und anderen Ländern bei renommierten Kompositionen. Ab 1993 erhielt er tionen für Violoncello solo durch Guido Schifen in Salzburg. 2004 Schaffen umfasst die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern, Festivals aufgeführt, u.a. dem 25th Cen- Posaunen- und Klavierunterricht sowie Uraufführung des Quartetts Matrjoschka bei den 42. Darmstädter Literaten und Tänzern, Arrangements für diverse Rockbands und tre Acanthes Festival in Villeneuve-lez-Avignon, dem Budapest Unterricht in Harmonielehre und Kon- Ferienkurse für Neue Musik. 2005 Uraufführung des Trios experimentelle Improvisation; zuletzt war er auch als Sprecher/ Autumn Festival, der Gaudeamus Music Week in Amsterdam, trapunkt und ab 1999 den ersten Kom- Monochrom in Bonn. 2006 Uraufführung des Werks Nexus bei Lauterzeuger oder Kunstpfeifer (Gastmusiker bei Klangforum dem Bartók-Festival in Szombathely, dem Huddersfield Contem- positionsunterricht. 2002 bis 2005 den 43. Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Weitere Wien und Ensemble Modern) aktiv. Er gibt Vorträge und Work- porary Music Festival, bei Music of Today in London, Music in folgte ein Kompositionsstudium an der Aufführungen bei Festivals und Konzertreihen u.a. in Berlin, shops zu musiktheoretischen Themen meist aus dem Bereich Current Tokyo, den ISCM World Music Days (2003 Ljulljana, 2009, Musikhochschule Köln bei York Höller, Hamburg, Köln, Karlsruhe, München, Stuttgart und Wuppertal. der Zeitgenössischen Musik. Robin Hoffmanns Kompositionen Göteborg, 2011 Zagreb) sowie beim Musikprotokoll in Graz. Klavierunterricht bei Klaus Oldemeyer wurden mit verschiedenen Kompositionspreisen ausgezeichnet, 2007 gewann Balázs Horváth mit seiner Komposition den und Kontrapunkt bei Thomas Daniel. Seit 2005 setzt Torsten Peter Hoffmann • studierte Musikwissenschaft und Infor- er ist Gründungsmitglied und Vorsitzender der Frankfurter Poly Ersten Preis beim »In Memoriam György Ligeti«-Kompositions- Herrmann das Kompositionsstudium in Berlin an der Hoch- matik an der Technischen Universität Berlin. 1995/96 absolvierte Gesellschaft für Neue Musik. wettbewerb in Berlin, 2009 war er unter den Preisträgern des schule für Musik Hanns Eiser bei Hanspeter Kyburz fort, elektro- er einen Aufenthalt am CEMAMu, dem Forschungsinstitut von New Hungarian Music Forum (mit ), 2011 gewann nische Komposition bei Wolfgang Heiniger. 2006 Aufnahme Xenakis bei Paris (NAFöG/DAAD-Forschungsstipendium). Seit Borrowed Ideas er dort die ersten beiden Plätze (Zweiter Preis für , Erster eines begleitenden Mathematik- und Philosophiestudiums an 1997 war er musikalischer Assistent an den Ateliers UPIC (heute (Tec)tonic Preis für ). Darüber hinaus tritt Horváth auch der Humboldt-Universität Berlin und 2008 bis 2009 Aufenthalt CCMIX) bei Paris, seit 1998 Softwareentwickler im Forschungs- Faust Groteske regelmäßig als Dirigent zeitgenössischer Werke auf. Zusammen in Paris als Student am Conservatoire National Supérieur im projekt Studio Online am IRCAM Paris (finanziert vom franzö- mit sechs jungen Musikern gründete er die Formation Rahmen des ERASMUS-Programms. Kompositionsunterricht bei sischen Forschungsministerium), seit 1999 Mitarbeiter in der THReNSeMBle, die sich besonders der Aufführung jüngster Kom- Frédéric Durieux, Orchestration bei Marc-André Dalbavie und Intranetz Gesellschaft für Informationslogistik Berlin. Er hat über ponisten verschrieben, aber auch schon Werke von Boulez, Berio, elektronische Komposition bei Yan Maresz. die Musik von Iannis Xenakis und György Kurtág veröffentlicht, Donatoni, Hosokawa, Haas und Jeney realisiert haben. 104 G/H 105 Tanzprojekt mit Jugendlichen sind für die Musiker der hr-Big- Der Este Paavo Järvi ist seit 2006 Chefdirigent des hr-Sinfonieor- setzung zwischen hoch qualifiziertem Nachwuchs und renom- hr-Bigband • Die Bigband des Hessischen Rundfunks zählt heute zu den besten Ensembles ihrer Art und wird auch außer- band reizvolle Herausforderungen. Alle Konzertprojekte werden chesters und bereichert das Orchester mit seiner Arbeit um neue mierten Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur fördern. mitgeschnitten und in hr2-kultur ausgestrahlt. spannende Facetten. Experimente und Entdeckungen im Bereich halb der Landesgrenzen hoch gelobt. Mit fantasievoller und viel- Einen Schwerpunkt bildet der einjährige Masterstudiengang Neuer und Alter Musik wie die Zusammenarbeit mit hochkaräti- seitigster Programmgestaltung, einer regen Konzerttätigkeit und »Zeitgenössische Musik«, der seit 2006 in Kooperation mit der hr-Sinfonieorchester • Das hr-Sinfonieorchester gehört gen Gastdirigenten und Solisten gehören dabei ebenso selbstver- hochkarätigen Solisten setzt sie neue Maßstäbe, ist aufgeschlos- Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am in die Reihe der besten europäischen Orchester. Hochqualifiziert ständlich zum künstlerischen Profil des Orchesters wie das grenz- sen, beweglich und stets am Puls der Zeit. Souverän deckt das Main durchgeführt wird. Ein Jahr lang arbeiten junge Künstler und musikalisch äußerst flexibel präsentiert das drittälteste überschreitende Music Discovery Project, das Engagement beim 17 Musiker umfassende Ensemble das gesamte Spektrum des Jazz (Instrumentalisten, Dirigenten, Komponisten und Klangregisseu- deutsche Rundfunkorchester mit seiner über 80-jährigen Ge- Internationalen Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti sowie zahl- ab und sprengt die Grenzen zu Klassik, Neuer Musik, Pop und re) mit den Mitgliedern des Ensemble Modern am vielfältigen schichte heute Musik aller Stile und Epochen: vom Barock bis zur reiche Kinder- und Jugendprojekte. Weltmusik. Tradition und Innovation, Unterhaltung und Kunst, Repertoire der Moderne. Zu Gast sind regelmäßig namhafte Kom- zeitgenössischen Avantgarde. Mit seinen vielfältigen Konzert- Projekte mit jungen Talenten und mit internationalen Stars, die ponisten- und Dirigentenpersönlichkeiten wie Friedrich Cerha, und CD-Aktivitäten feiert es gemeinsam mit Chefdirigent Paavo Internationale Ensemble Modern Akademie (IEMA) ∙ die Band nach Hessen holt, Präsenz in Konzerten, Radiosendun- Peter Eötvös, Heiner Goebbels, Heinz Holliger, Helmut Lachen- Järvi weltweit große Erfolge und ist ein geschätzter Gast auf Lebendiges Lernen, Experimentieren und Austauschen. Mit die- gen und auf CDs sowie ein umfangreiches Angebot für Kinder mann, Wolfgang Rihm und Hans Zender. In 20 Konzerten pro renommierten internationalen Bühnen wie bei den Londoner sem Ziel wurde 2003 die Internationale Ensemble Modern Akade- und Jugendliche: Das alles macht die hr-Bigband heute aus. Jahr im In- und Ausland werden die Ergebnisse dieser Arbeiten »Proms«, im Amsterdamer Concertgebouw, in Wien, Salzburg, mie gegründet. Sie ist die konsequente Weiterführung dessen, präsentiert. Zum Ausbildungsprogramm der IEMA gehört weiter- Sie ist gern gesehener Gast auf bedeutenden Festivals im In- und Paris, Budapest und Prag, in Japan oder in China. wofür das Ensemble Modern seit über 30 Jahren steht: Qualität hin als weltweit singuläre Einrichtung das Internationale Kompo- Ausland, lud und lädt Jazz-Größen wie Dave Douglas, Billy Cob- auf höchstem Niveau, Spielfreude, interdisziplinäre Kunstpro- Hans Rosbaud setzte als erster Dirigent des Orchesters ab 1929 sitionsseminar für Komponisten, Dirigenten und Musikwissen- ham, John Scofield, Django Bates oder David Sanborn ein und jekte und Internationalität. Durch die intensive Auseinander- entscheidende Akzente in der Pflege der Tradition wie der Zeit- schaftler. Den jungen Komponisten wird hier die Möglichkeit treibt die Entwicklung der Bigband-Musik mit Kompositions- und setzung mit Künstlern und ihren Werken konnte das Ensemble genössischen Musik. Nach dem Krieg engagierten sich Kurt gegeben, sich mit herausragenden Gast-Tutoren auszutauschen Arrangieraufträgen voran. In Projekten mit Popstars wie Patrice, Modern in den Jahren seines Bestehens ein tiefes und breit ge- Schröder, Winfried Zillig und Otto Matzerath zunächst für den und gemeinsam mit dem Ensemble Modern ihre eigenen Werke Annett Louisan, Bela B oder Laith Al-Deen erschließt die hr-Big- fächertes Wissen um die Musik seit Beginn des 20. Jahrhundert Wiederaufbau des Ensembles und für ein breitgefächertes Reper- über mehrere Phasen zu erproben und aufzuführen. band ein Publikum jenseits der Jazzszene. Woche für Woche erar- ansammeln: ein »Gedächtnis der modernen Musik«. Die IEMA toire. Große Dirigentenpersönlichkeiten wie Dean Dixon, Eliahu beitet sich die hr-Bigband neue musikalische Welten. In jeder möchte Nachwuchskünstlern die Möglichkeit geben, an diesem Inbal und Hugh Wolff formten das Sinfonieorchester des Hessi- Konzertsaison nehmen so etwa 25 neue Projekte Gestalt an, die in Gedächtnis teilzuhaben und auf vielfältige Weise davon zu profi- schen Rundfunks darauf zu einem Ensemble von internationa- rund 50 Konzerten live aufgeführt werden. Durch das intensive tieren. Durch die Förderung der Kulturstiftung des Bundes, der lem Format mit gefeierten Gastspielen in aller Welt und wich- und regelmäßige Zusammenspiel zu einem homogenen Ganzen Kunststiftung NRW, des Kulturfonds Frankfurt RheinMain und tigen, vielfach ausgezeichneten Schallplatten- und CD-Produk- zusammengeschweißt, stellt sich die hr-Bigband jeder Aufgabe. der Allianz Kulturstiftung kann die IEMA diverse Ausbildungs- tionen. Weltneuheiten wie die überraschenden Begegnungen mit baline- programme anbieten, die gezielt die künstlerische Auseinander- sischer Gamelan-Musik, Tuwa-Musik aus der Mongolei oder ein 106 H/I 107 Dillon, Toshio Hosokawa, Wolfgang Rihm, Elliott Sharp, Beat Internationales Musikinstitut Darmstadt (IMD) • I z M an der Hochschule für Musik und Darstellende Christian Jaksjø • Der musika- Veranstalter und Netzwerk, Dokumentations- und Informations- Kunst • Das Institut für zeitgenössische Musik I z M wurde Furrer, Caleb Burhans oder Aaron Cassidy zusammen. Es war zu lische Hintergrund Christian Jaksjøs zentrum, Schaltstelle und Impulsgeber für die Zeitgenössische 2005 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Gast bei vielen namhaften Veranstaltern u.a. beim Muziekge- umfasst Studien über Improvisation, Musik seit 1946 – das ist das Internationale Musikinstitut (HfMDK) gegründet. Es konzipiert als fachbereichsübergreifende bouw aan ’t IJ (Niederlande), dem Internacional Cervantino Komposition und elektro-akustischer Darmstadt (IMD). Mit seinen Internationalen Ferienkursen für Schnittstelle ein Lehrangebot zur Zeitgenössischen Musik. Dazu (Mexico), den Donaueschinger Musiktagen und in der Library of Musik, eine Karriere als Posaunist, Neue Musik, seinem Archiv und seiner Bibliothek schreibt das gehören Workshops, Kolloquien und Lectures mit Gastdozenten Congress, dem Miller Theatre, der Morgan Library & Museum Eufonist und an verwandten Instru- IMD in einem beständigen Wechselspiel von Erfinden, Aufführen, ebenso wie Konzerte, Vortragsreihen und Symposien. Das I z M und im Kimmel Center in New York. Mit der Gesamtaufnahme menten, interdisziplinäre experimen- Hören, Reflektieren und Fixieren auf einzigartige Weise Musik- initiiert interdisziplinäre Projekte und arbeitet dabei regional der Xenakis-Streichquartette eroberte JACK zugleich die Besten- telle Studien dynamischer Form, zusam- und Kulturgeschichte fort und macht sie greifbar. und überregional mit Kooperationspartnern zusammen: listen der »Los Angeles «, des »Boston Globe«, des »New men mit einer gleichzeitigen, bahn- Ensemble Modern, Oper Frankfurt, Hessischer Rundfunk, Kultur- Yorker« und der »Time Out New York«. brechenden kreativen Tätigkeit als Kom- Die Ferienkurse sind ein Treffpunkt von Musikschaffenden und fonds Frankfurt Rhein-Main, Senckenberg Naturmuseum, Archiv ponist: Hierbei verwendet er beispielsweise prozessuale musika- -interessierten. Hier wird Kreativität beflügelt, Ideen werden wei- Das Repertoire des Quartetts bietet aber auch frische Interpreta- Frau und Musik e.V., Hessisches Staatstheater und Museum lische Transformation in der Form diskret variierender, virtueller, tergetragen und künstlerische Positionen diskutiert; sie bieten tionen früherer Musik, wie den Werken von Don Carlo Gesualdo, Wiesbaden, Donaueschinger Musiktage und Schwetzinger SWR gleich temperierter n-Ton-Unterteilungen der Oktave (Ortho- Raum für den Austausch zwischen den Kulturen, zwischen künst- Guillaume de Machaut und Josquin des Prez. Die Erfahrungen, Festspiele. Ereignisse aus dem regionalen und überregionalen drom/Loxodrom [Grosszirkelnavigation], 1997–2000); architekto- lerischem Nachwuchs, international renommierten Komponis- die die Mitglieder des JACK Quartet bei Kursen mit dem Arditti Kulturleben reflektiert das Institut und trägt sie in die Hoch- nisierte Musik, indem er algorithmisch mit komplexen dyna- ten, Interpreten und Wissenschaftlern. Die umfangreichen und Quartet, dem Kronos Quartet, dem Muir String Quartet und schule hinein. Das I z M vermittelt damit Zeitgenössische Musik mischen Systemen komponiert, die unmittelbar auf räumlichen, z.T. äußerst wertvollen Bestände von Archiv und Bibliothek bil- Mitgliedern des Ensemble intercontemporain sammeln konnten, sowohl nach innen als auch nach außen. Seit dem Wintersemes- architektonischen Strukturen von Jan Duiker basieren (Ungroun- den die Ideen und das Schaffen von Künstlern und Wissenschaft- gibt es zugleich weiter bei Workshops mit jungen Komponisten ter 2006/07 bieten das Ensemble Modern und die HfMDK ded [Zonnestraal], 2002); stochastischen Algorithmen und Klang- lern des 20. und 21. Jahrhunderts ab und stehen in Form von wie z.B. an den Universitäten in Iowa, Wisconsin-Madison, gemeinsam den Masterstudiengang »Zeitgenössische Musik« an. synthese basierend auf mystischen Texten von David Libeskind Partituren, Schriften, Korrespondenzen, Fotos, Presseartikeln und Buffalo, Illinois, Washington und New York, an der Columbia (The Four Texts, 2003) oder auf der virtuellen instrumentellen Ton- und Videoaufnahmen für die Forschung zur Verfügung. Und University, der Carnegie Mellon University, der Eastman School JACK Quartet • Trotz seiner noch jungen Karriere hat sich Resonanz, wie sie in Helmut Lachenmanns Werk Serynade vor- natürlich ist auch das IMD nicht allein Impulsgeber: Es spürt sei- of Music, der Northwestern University, der University of das JACK Quartet bereits zu einem der führenden Formationen kommt – im letzten Fall kombiniert mit komplexer instrumen- nerseits ebenso beständig aktuellen Tendenzen nach und erfin- Huddersfield (Großbritannien), der University of Victoria (Kana- für Zeitgenössische Musik entwickelt. Bestehend aus den Geigern taler Erweiterung in Form von ringmoduliertem und elektroma- det sich selbst immer wieder neu. Etwa seit 2009 – gemeinsam da), der Manhattan School of Music und den Internationalen Christopher Otto und Ari Streisfeld, dem Bratschisten John gnetischem Feedback (Ulysses [Encountering the Imaginary], mit dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain – in einer neuen losen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt. Pickford Richards und dem Cellisten Kevin McFarland, konzen- 2010). Reihe verschiedener Projekte in der Metropolregion Frankfurt am triert es sich auf die Interpretation Zeitgenössischer Musik und Main. arbeitet dabei eng mit Komponisten wie Helmut Lachenmann, Grundlegend für das Werk von Jaksjø – sowohl als Komponist als György Kurtág, Matthias Pintscher, Georg Friedrich Haas, James auch als Improvisator – ist die Hörbarmachung des Unhörbaren:

108 109 unterliegende Kräfte ebenso wie ansonsten nicht wahrnehmbare den Auftrag für ein Klavierkonzert mit dem Titel . Im sel- nes Kalitzke Kapellmeister, dann Chefdirigent am Musiktheater Abschied Sharon Kanach • ist Musikerin, kam als Schülerin von Nadia Strukturen. Christian Jaksjø lebt und arbeitet in Oslo, wo er 1973 ben Jahr wurde Jarrell »Chevalier des Arts et des Lettres«. 2004 im Revier (Gelsenkirchen), wo er in der Nachfolge von Carla Boulanger vor 30 Jahren nach Paris und lebt seither in Frank- geboren wurde, und in Frankfurt am Main, wo er seit 2003 in der wird er zum Kompositionsprofessor am Conservatoire Supérieur Henius 1986 die Leitung des Forums für Neue Musik übernahm. reich. Sehr bald kam sie in Kontakt mit Xenakis, mit dem sie eng hr-Bigband Posaune spielt. von Genf ernannt. Seine Oper Galilei, nach Brecht, ein Auftrag des Neben seiner Tätigkeit als Dirigent (seit 1991 als künstlerischer zusammenarbeitete. Sie übersetzte »Arts/Sciences« (unter dem Grand Théâtre de Genève, wurde 2006 uraufgeführt. Der konzer- Leiter und Dirigent der musikFabrik, des Landesensembles von Titel »Alloys«) und gab eine erweitere Neuausgabe von »Forma- Michael Jarrell • 1958 in Genf gebo- tante Stil bedeutet für Michael Jarrell eine bleibende Inspirations- Nordrhein-Westfalen, dazu als Gastdirigent beim Klangforum lized Music« heraus; für »Musique de l’Architecture« (2006 post- ren, studierte Komposition am Genfer quelle: …un temps de silence… wurde im März 2007 in Genf von Wien) hat sich Johannes Kalitzke auch als Dozent (seit 1996 bei hum auf Französisch, 2008 als »Music and Architecture« in eng- Konservatorium bei Eric Gaudibert so- Emmanuel Pahud und dem Orchestre de la Suisse Romande den Darmstädter Ferienkursen sowie an der Musikhochschule lischer Sprache erschienen) übernahm sie eine Ko-Autorschaft. wie in mehreren Meisterklassen in den unter der Leitung von Heinz Holliger uraufgeführt. Nachlese III, Graz) und als Komponist einen Namen gemacht. Seit 1998 arbei- Überdies war sie als musikalische Assistentin von Giacinto Scelsi USA (Tanglewood, 1979) und vervollstän- ein Doppelkonzert für Klarinette, Violoncello und Orchester tet er freischaffend. in dessen letztem Lebensjahrzehnt tätig. Eine dreibändige Aus- digte seine Ausbildung an der Hoch- (Auftrag des WDR) wurde 2009 in Köln uraufgeführt und das gabe von Scelsis Schriften erarbeitete sie zwischen 2006 und 1990/91 entstand Johannes Kalitzkes erste Oper Bericht über schule für Musik in Freiburg (Breisgau) Orchestre de la Suisse Romande spielte 2009 die Erstaufführung 2008. Für die Editions Salabert ist sie als Herausgeberin der Wer- den Tod des Musikers Jack Tiergarten, ein Beitrag zur Münchener bei Klaus Huber. Seit 1982 erhielten von Le Ciel, tout à l’heure si limpide, soudain se trouble horrible- ke beider Komponisten tätig. Biennale 1996. Die zweite Oper Molière oder die Henker der seine Werke zahlreiche Auszeichnungen: ment unter der Leitung von Marek Janowski. Die Kammeroper Komödianten (1994–97) wurde 1998 in Bremen uraufgeführt; Prix Acanthes (1983), Beethovenpreis der Cassandre, 1994 am Pariser Châtelet uraufgeführt, wird interna- 2004 folgte (UA 2005) und 2009 (UA Stefan Keller • wurde 1974 in Zürich Stadt Bonn (1986), Marescotti (1986), Gaudeamus und Henriette tional gespielt, in Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Spani- Inferno Die Besessenen 2010). Im Jahr 2000 war Johannes Kalitzke Stipendiat der Villa geboren. 1995 Beginn des Musikstudi- Renié (1988) und Siemens-Förderpreis (1990). Zwischen 1986 und sche, Finnische, Russische und Italienische. ums in Zürich mit Hauptfach Oboe, Massimo (Rom) und begann mit der Arbeit an dem Werk Kafka- 1988 war Jarrell Stipendiat an der Cité des Arts in Paris und Teil- später auch Komposition. Nach dem Komplex, dessen erster Teil Nachricht an Charon im selben Jahr nehmer des Informatik-Kursus am Ircam. Johannes Kalitzke • ist ein international geschätzter Inter- auf der EXPO 2000 in Hannover uraufgeführt wurde. Ebenfalls Konzertdiplom Fortsetzung des Oboen- pret für Neue Musik. Geboren 1959 in Köln, studierte der Dirigent Michael Jarrell war Stipendiat der Villa Medici (Rom, 1988/89), 2000 erfolgte die Uraufführung des Streichquartetts studiums für anderthalb Jahre bei und Komponist von 1974 bis 1976 zunächst Kirchenmusik und Six Covered sodann Mitglied des Istituto Svizzero di Roma (1989/90). Von durch das Arditti Quartet bei den Wittener Tagen für Ernest Rombout am Konservatorium dann von 1978 bis 1981 an der Musikhochschule Köln: Klavier Settings 1991 bis 1993 war er »Composer in Residence« des Orchestre de neue Kammermusik. Zum Werkkatalog von Johannes Kalitzke Utrecht. Von 2002 bis 2007 Komposi- bei Aloys Kontarsky, Dirigieren bei Wolfgang von der Nahmer, Lyon. Seit 1993 ist Jarrell Professor für Komposition an der Hoch- gehören außerdem u.a. (2001) und tion bei Hanspeter Kyburz, Musiktheorie Komposition bei York Höller und später elektronische Musik bei Wind-Stille-Zeit Vier Toten- schule für Musik in Wien. 1996 war er »Composer in Residence« für Klavier, Bariton und Orchester (2002/03). 1990 erhielt bei Jörg Mainka sowie elektronische Hans Ulrich Humpert. 1982/83 folgte mit einem Stipendium der inseln des Festivals von Luzern. 2000 ehrte ihn das Festival Musica Johannes Kalitzke den Bernd-Alois-Zimmermann-Preis der Stadt Musik bei Wolfgang Heiniger an der Hochschule für Musik Hanns Studienstiftung des Deutschen Volkes ein Studienaufenthalt am Nova Helsinki, und 2001 erhielt er von den Salzburger Festspielen Köln; 2009 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Eisler. Stefan Keller erhielt als Komponist u.a. mehrere Studien- IRCAM in Paris bei Vinko Globokar. Von 1984 bis 1990 war Johan- preise des Schweizerischen Tonkünstlervereins, den Ersten Preis 110 /K 111 beim Wettbewerb des SJSO 2002, den Kompositionspreis der Akustik nach neuen Möglichkeiten »abzuhören«, ganz besonders tigkeit, die auf eine ganze Komponistengeneration prägend wirk- György Ligeti • 1923 als Sohn unga- Landeshauptstadt Stuttgart 2004, Erste Preise beim Hanns-Eisler- in Stücken wie Appels (1974), L’ouverture pour une fête étrange risch-jüdischer Eltern in Siebenbürgen te, führte Ligeti 1973 bis 1989 als Kompositionsprofessor schließ- Preis 2005 und 2006 sowie den startup-Preis des Fördervereins (1979) und La conférence des oiseaux (1985). geboren und 2006 in Wien gestorben, lich an die Hamburger Musikhochschule. Und in Hamburg und der Musikhochschule Berlin. Seit Herbst 2006 hat Stefan Keller gilt als bedeutender Vertreter der Klang- Wien arbeitete der vielfach geehrte Kosmopolit, der 2003 auch einen Lehrauftrag für Tonsatz, Gehörbildung, Kontrapunkt und Die Frage der Beziehung zwischen Text und Musik, über die Les raumkomposition, deren Perspektiven mit dem Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt ausge- Analyse Neue Musik an der Musikhochschule Hanns Eisler in Aragon von 1998 besonders Zeugnis ablegt, stellen auch weitere er in den 1960er und 1970er Jahren zeichnet wurde, bis zu seinem Tode. Berlin. 2008 bis 2009 Cursus 1 am IRCAM in Paris und Stipen- seiner neueren Werke: die Oper Go-gol (1996) nach »Le Manteau« kompositorisch konsequent ausarbeite- dium des Berliner Senats an der Cité des Arts in Paris. CAA Berlin von Nicolas Gogol wurde beim Festival Musica in Strasbourg, am te. Ligeti schuf eine wichtige Alternative Lillevan • Der Animations-, Video- und Medienkünstler Stipendiat 2011. IRCAM und der Oper in Montpellier aufgeführt. Die Oper Les zum Serialismus der europäischen Lillevan gründete 1997 die audiovisuelle, bis 2008 bestehende Nègres nach einem Stück von Jean Genet wurde von der Opéra Nachkriegsavantgarde, die alle Ebenen Gruppe Rechenzentrum. Parallel zu seiner Arbeit mit Rechen- Michaël Levinas • 1949 in Paris ge- National de Lyon und der Oper Genf beauftragt und 2004 urauf- der Komposition einem strengen Reihendenken unterwarf. zentrum ist er mit vielen Künstlern aus einer großen Zahl von boren, ist gleichermaßen erfolgreicher geführt. Eine dritte Oper, La Métamorphose nach Franz Kafka, Charakteristisch für seine Musik wurde die Arbeit mit dichten Genres – von der Oper bis zur Installation, vom minimalistischen Pianist wie Komponist. Er studierte am wurde im März 2011 an der Oper in Lille uraufgeführt. Dabei ist Klangstrukturen, die auf eine Differenzierung von Melodie, elektronischen Experimentalismus bis zu Tanz und klassischer Pariser Conservatoire National Supéri- die Berufung zum Komponisten und Pianisten bei Michaël Harmonie und Rhythmus zugunsten mikropolyfoner Texturen Musik – aufgetreten. Nach seinem Studium der Politik, des Films eur de Musique bei Vlado Perlumuter, Levinas auf engste miteinander verbunden. Seine Diskografie verzichten. Ligetis Begabung, außermusikalische Phänomene in und der Filmtheorie, nach einer Zeit als Drehbuchautor und Akti- Yvonne Lefébure und Yvonne Loriod erstreckt sich von Bach bis Boulez. Von den renommiertesten akustische umzusetzen und zu Farben, Formen und Materialien vitäten in der Film- und Animationsszene in den späten 1980er und besuchte Kompositionskurse bei europäischen Festivals wurde er dabei bereits eingeladen, um Klänge zu assoziieren, verleiht seinen Werken dabei – jenseits und frühen 1990er Jahren sowie als Betreiber von Berliner Clubs Olivier Messiaen. 1974 war er an der u.a. Kompositionen von Stockhausen, Boulez, Messiaen und jeder inhaltlichen Programmatik – eine besondere Aura von kehrte er Mitte der 1990er Jahre zum Film zurück. Dabei sieht er Gründung der Gruppe »l’Itinéraire« Ligeti zu präsentieren sowie zahlreiche Werke – vor allem von Plastizität und Bildhaftigkeit. seine Arbeit als vielschichtigen Prozess, dessen zentrales Prinzip beteiligt, bevor er Stipendiat der Aca- Nunes und Murail – uraufzuführen. Michaël Levinas ist heute die Improvisation ist. démie de France in Rom in der Villa Medici wurde. Zu seinem Professor am Conservatoire National Supérieur de Musique de Ligeti war u.a. Schüler von Ferenc Farkas und Sándor Veress in Selbstverständnis als Komponist gehört es, ein pianistisches Spiel Paris. 2009 wurde er in die Académie des Beaux-Arts gewählt. Budapest, wo er 1945 bis 1949 die Franz-Liszt-Akademie besuchte. und eine instrumentale Kultur zu entwickeln, die Rückschlüsse Nachdem er 1956 nach dem Ungarnaufstand sein Heimatland auf Interpretationsansätze des Barock ebenso zulässt wie auf die verlassen hatte, setzte er sich als Mitarbeiter im Elektronischen der Musik des 20. Jahrhunderts. Das Gesamtwerk von Michaël Studio des WDR mit der Musik Karlheinz Stockhausens, Mauricio Levinas hat dabei nie aufgehört, den Bereich des Timbres und der Kagels und Pierre Boulez’ auseinander. Seine folgenden Orches- terwerke Apparition und Atmosphères machten ihn Anfang der 60er Jahre dann international bekannt. Eine ausgedehnte Lehrtä- 112 L 113 seine weiterhin fortgesetzte Tätigkeit als Solist. Heute tritt Chris- und beim Holland Festival dirigiert hatte, betraute die Kompo- bei Clemens Kühn und Ludwig Holtmeier an der Hochschule für Christian Lindberg • hat über 300 Werke für Posaune uraufgeführt – tian Lindberg oft als Solist bei Veranstaltungen auf, die er auch nistin sie 2006 mit der Uraufführung von La Passion de Simone Musik Carl-Maria-von-Weber in Dresden. Von 2002 bis 2006 war darunter mehr als dreißig selbst kom- dirigiert. In Zukunft wird er zudem einige exklusive Auftritte als in Wien und 2008 mit der amerikanischen Premiere des Werks Johannes Motschmann Schüler von Wolfgang Rihm an der Karls- ponierte Werke. Schon früh in seiner Solist mit dem Concertgebouw Orchester in Amsterdam, dem am Lincoln Center New York. Im Frühjahr 2010 übernahm ruher Musikhochschule, wo er sein Diplom und Konzertexamen Karriere wurde er neben Yo Yo Ma und Australian Chamber Orchestra und dem Minnesota Orchestra Susanna Mälkki die musikalische Leitung des neuen Balletts ablegte. haben. Siddharta von Bruno Mantovani an der Opéra de Paris. Neben Gidon Kremer zum Solist des Jahres des Danach absolvierte er ein Postgraduiertenstudium bei Hanspeter diesen Aktivitäten ist Susanna Mälkki auch im traditionellen BBC Music Magazines und 2000 von Kyburz an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Susanna Mälkki • Die finnische Dirigentin Susanna Mälkki Repertoire zuhause, und dies nicht nur als »Chefin« des einem internationalen Blechbläser-Ma- 2004 war Motschmann Wolfgang-Rihm-Stipendiat der Brauerei begann ihre musikalische Laufbahn als Solo-Cellistin der Göte- Stavanger Symfoniorkester, dem sie von 2002 bis 2005 vorstand; gazin unter die fünf besten Blechbläser Höpfner, 2005 erhielt er ein Graduiertenförderungsstipendium borger Sinfoniker, denen sie von 1995 bis 1998 angehörte. Ihr als Gast leitete sie zudem die Berliner und die Münchner Phil- des 20. Jahrhunderts gewählt. Als erster des Landes Baden-Württemberg. Johannes Motschmann erhielt Dirigierstudium absolvierte sie an der Sibelius-Akademie ihrer harmoniker, das Concertgebouw Orchester Amsterdam, das schwedischer Instrumentalist hat er als Solist mit den Berliner Kompositionsaufträge renommierter Musikfestivals wie Klang- Heimatstadt Helsinki, wo sie von Jorma Panula, Eri Klaas und Leif Philharmonia Orchestra, das Boston Symphony Orchestra, das Philharmonikern und dem Chicago Symphony Orchestra ge- spuren/Schwaz, dem Davos Festival, dem Heidelberger Frühling Segerstam unterrichtet wurde. Schon früh interessierte sie sich Deutsche Symphonie-Orchester Berlin sowie zahlreiche Rund- spielt. Im Mai 2007 war er Artist in Residence im Musikverein und dem Alpenklassik-Festival. Seine Werke wurden u.a. beim besonders für die Zeitgenössische Musik und arbeitete mit dem funkorchester. Im Juni 2010 wurde Susanna Mälkki zum Mit- in Wien. Christian Lindberg hat mit nahezu jedem bekannten Schleswig Holstein-Musikfestival, beim Mecklenburg Festival, Klangforum Wien, der Birmingham Contemporary Music Group, glied der Londoner Royal Academy of Music ernannt. Orchester und Dirigenten unserer Zeit zusammengearbeitet. dem Beethovenfest in Bonn und in der Yellow-Lounge im Berg- dem Asko und dem Schoenberg Ensemble aus den Niederlanden hain in Berlin aufgeführt. Der Deutsche Musikrat wählte Johan- Erst mit 17 Jahren begann Christian Lindberg Posaune zu spielen, sowie dem Avanti! Chamber Orchestra zusammen. Das Ensemble Johannes Motschmann • wurde nes Motschmann als Vertreter Deutschlands für die Europäische sein großes Vorbild war damals der Jazz-Posaunist Jack Teagarden. intercontemporain dirigierte sie erstmals 2004. Im darauffol- 1978 in Hamburg geboren. Mit neun Ensembleakademie 2007 aus. 2008 gewann er den Bremer Kom- Er wurde am Royal College of Music in Stockholm aufgenommen genden Jahr wurde ihr die Musikalische Leitung des Ensembles Jahren erhielt er ersten Klavierunterricht ponistenpreis. Johannes Motschmann begleitet regelmäßig das und bekam eine Anstellung als Posaunist im Orchester der Kö- übertragen. Im März 2007 leitete sie das Jubiläumskonzert an- und begann zu komponieren. In den Education-Projekt »Response« der Deutschen Kammerphilhar- niglichen Schwedischen Oper in Stockholm. Mit 20 Jahren verließ lässlich des 30-jährigen Bestehens des Ensembles an der Seite folgenden Jahren wurde er durch Kurt monie Bremen. Motschmann lebt und arbeitet in Berlin. er das Orchester und begann seine internationale Solisten-Karrie- von Pierre Boulez und Peter Eötvös. Seibert (Klavier) und Wolfgang Baum- re. Parallel dazu machte er eine erfolgreiche Karriere als Dirigent gratz (Orgel) weiter gefördert. Er studier- Auch im Bereich der Oper hat sich Susanna Mälkki profiliert, und Komponist. Sein Terminplan verbindet seine Verbundenheit te Komposition bei Jörg Herchet, Klavier so 1999 mit der skandinavischen Premiere von Thomas Adès’ als Chefdirigent des neugegründeten Norwegian Arctic Sympho- bei Gunther Anger, elektronische Musik beim Musica Nova Festival Helsinki oder 2004 ny Orchestra mit den Aufgaben als Gastdirigent der großen inter- Powder Her Face bei Wilfried Jentzsch und Musiktheorie nationalen Orchester ebenso wie die Aufträge, die er als Kompo- mit Neither von Morton Feldman in Kopenhagen. Nachdem sie nist von Orchestern, Ensembles und Solisten erhält und auch Kaija Saariahos L’ Amour de loin an der Finnischen Nationaloper 114 L/M 115 1996), der Prix Prince Pierre de Monaco (1999), der Kompositions- der »George Enescu« International Composition Competition in Norbert Ommer • studierte Klavier und Klarinette in Köln QIAN Shen-Ying • geboren 1985 und im Anschluss daran Musik und Nachrichtentechnik an der preis der Salzburger Osterfestspiele und der Hindemith-Preis des in Nantong/Jiangsu Provinz, am Yangzi- Bukarest (2009) für das Kammerwerk Invocation of Wind and Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf, wo er sein Examen Schleswig Holstein Musikfestivals (2000) und der Hans-Werner- Fluss in China. Seinen ersten musika- Thunder (Feng Lei Yin), und den Grand Prize der »Alfredo Casella« als Diplom-Bild- und Toningenieur abschloss. Bereits während Henze-Preis (Westfälischer Musikpreis) 2002. lischen Unterricht erhielt er von seinem International Composition Competition in Siena (Dezember 2009) für das Streichquartett Ode to Cicada – Reflection in Zen seines Studiums zum Diplom-Toningenieur war er als freier Ton- Erstes internationales Aufsehen erregte Matthias Pintscher mit Vater, einem Violinlehrer. Im Alter von (Yong Chan – Si Chan) verliehen. QIAN Shen-Yings Kompositionen meister für Rundfunk und Fernsehen tätig. Seit 1990 verbindet der Oper an der Dresdner Semperoper (1998), fünf Jahren begann QIAN Shen-Ying mit Thomas Chatterton wurden bereits in vielen führenden Institutionen aufgeführt, u.a. ihn eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Ensemble später mit seiner zweiten Oper an der Opéra dem Klavierstudium und studierte von L’espace dernier dem Shanghai Grand Theatre, der Beijing Concert Hall, dem Arse- Modern – seit 1997 ist er dort Gesellschafter – sowie mit der WDR National de Paris (2004). Seitdem hat er sich mit bedeutenden 1998 bis 2004 an der Music Middle nal in Metz und dem Teatro dei Rozzi in Siena. Gespielt wurden Bigband als Tonmeister. Als Sounddesigner und Klangregisseur Kompositionen für wichtige Interpreten und Orchester weltweit School, die zum Shanghai Conservatory seine Werke bereits auch vom Shanghai Philharmonic, dem hat sich Norbert Ommer bei Uraufführungen von Frank Zappa, einen Namen gemacht. 2002 war er Composer in Residence beim gehört. Ab 2004 besuchte er das Shang- Orchestre National de Lorraine und dem Quartetto di Cremona. Heiner Goebbels, Steve Reich, Michael Brecker, Joe Zawinul, Cleveland Orchestra, in der folgenden Saison beim Konzerthaus hai Conservatory of Music, um seine Kompositionsstudien bei Michael Gordon und Ryuichi Sakamoto & Carsten Nicolai auch Dortmund, 2005 beim Lucerne Festival, 2006/07 beim Rundfunk Shi-Rui Zhu fortzusetzen. 2009 schloss er sein Studium mit Michael Rebhahn • studierte Musikwissenschaft, Kunst- international einen Namen gemacht. Sinfonieorchester Saarbrücken, 2007/08 in der Kölner Philhar- höchster Auszeichnung ab. 2010 begann QIAN Shen-Ying selbst, geschichte und Philosophie und wurde mit einer musikästheti- monie und 2008/09 beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart an der Nanjing Arts University Komposition zu lehren. Seit schen Arbeit über John Cage promoviert. Er arbeitete in der Matthias Pintscher • feiert inzwi- des SWR. Seit 2010 ist er Artist in Association beim BBC Scottish September 2011 erhält er das Chinese Government Scholarship, Redaktion der Neuen Zeitschrift für Musik, als Autor für 3sat- schen als Komponist wie Dirigent inter- Symphony Orchestra. Als Dirigent arbeitet Matthias Pintscher um seine Studien bei Michael Jarrell an der Geneva University Kulturzeit und als Lehrbeauftragter für Musikwissenschaft. 2007 national große Erfolge. 1971 im nord- darüber hinaus regelmäßig mit bedeutenden Orchestern und of Music weiterzuführen. rhein-westfälischen Marl geboren, stu- leitete er die Redaktion Neue Musik bei hr2-kultur. Zur Zeit lebt Ensembles in Europa und den USA. Von 2007 bis 2009 war er QIAN Shen-Yings Musik ist stark von Naturphänomenen und dierte Matthias Pintscher Komposition er als freischaffender Musikpublizist und Kurator in Frankfurt zudem Professor für Komposition an der Hochschule für Musik östlicher Philosophie geprägt, darüber hinaus zieht er seine bei Giselher Klebe und Manfred Trojahn. am Main und ist als Rundfunkautor u. a. für Deutschlandradio und Theater in München, seit 2010 lehrt er an der New York Inspiration aus Ausdrucksstrukturen in Literatur, visueller Kunst Prägend waren zudem seine Begegnun- Kultur, hr2-kultur und WDR 3 tätig. University. Außerdem ist er seit 2007 künstlerischer Leiter des und Architektur, wobei er die Reflektion der Dualität und Wider- gen mit Hans Werner Henze, der ihn Heidelberger Ateliers beim Festival Heidelberger Frühling. sprüchlichkeit in seinem Kompositionsprozess unmittelbar ver- 1991 und 1992 nach Montepulciano ein- folgt. Er wurde international vielfach ausgezeichnet, bekam u.a. lud, sowie mit Helmut Lachenmann, den Finalist Prize der »Queen Elisabeth« International Composi- Pierre Boulez und Peter Eötvös. Unter den Auszeichnungen, die tion Competition in Brüssel (2009) für das Violinkonzert Pintscher bereits erhielt, gehören u.a. der Erste Preis beim Kom- In , den Grand Prize positionswettbewerb Hitzacker (1992), der Rolf-Liebermann-Preis search of childhood carried away as dandelion und der Opernpreis der Körber-Stiftung Hamburg (1993 und 116 O/P/Q/R 117 Reykjavik 2000«; vom dänischen Ensemble 2000; der schwe- ten dafür bezahlte, diese Aufnahmen zu übertragen, hat nach sei- Steingrimur Rohloff • Der deutsch- Giacinto Scelsi • wurde 1905 in La isländische Komponist wurde 1971 in dischen Violonistin Cecilia Zilliacus, und dem nordischen Musik- Spezia geboren und starb 1988 in Rom. nem Tod zu einer noch unabgeschlossenen Auseinandersetzung Reykjavik geboren. Er studierte Kultur- rat für das Saxofonkonzert. Er erhielt Einladungen zu Festivals in Seine Biografie ist nur fragmentarisch über die Qualität von Scelsis Schaffen und die Legitimität einer pädagogik an der Universität Hildes- Island (Skálholt-Festival), Norwegen (Edvard Grieg Grand Prix), bekannt. Als Konsequenz seiner Inten- derartigen Produktionsweise geführt. heim, wo er Klavier-, Gesangs- und Schweden (GAS), Finnland (UNM), Dänemark (Copenhagen Guitar tion, nicht die traditionelle Funktion des Schlagzeugunterricht erhielt. Ab 1994 Festival), Deutschland, Holland, Frankreich. Seine Werke wurden kompositorischen Subjekts einzuneh- Martin Schüttler • geboren 1974, studierte Komposition studierte er bei Krzysztof Meyer Kom- darüber hinaus auch schon in Japan und den USA gespielt. men, sondern als »Medium« hinter sei- bei Nicolaus A. Huber und Ludger Brümmer und war von 2001 position an der Kölner Musikhochschu- ne Werke zurückzutreten, existieren nur bis 2004 Stipendiat am ZKM in Karlsruhe. Er ist Dozent an der le. Unterstützt von einem DAAD-Stipen- Marion Saxer • ist Musikwissenschaftlerin und Autorin, ihre wenige verlässliche Daten. Scelsi studier- Musikhochschule Frankfurt und an der Philipps-Universität dium ging er 1998 an das Conservatoire Forschungsschwerpunkte sind: Musik im Medienwandel, Zeitge- te Harmonielehre und Komposition bei Marburg. Schüttler arbeitet mit international renommierten National Supérieur de Paris, wo er Komposition bei Gérard Grisey nössische Musik, gattungsübergreifende künstlerische Entwick- Giacinto Sallustio in Rom, daneben erhielt er Anregungen von Musikern und Ensembles zusammen. Er ist Mitbegründer der und Marco Stroppa, Orchestration bei Marc-André Dalbavie und lungen (Klangkunst), Musiktheater, der Experimentbegriff und Ottorino Respighi und Alfredo Casella, ohne jedoch zum Kreis Plattform stock11. Für seine Kompositionen wurde er mit zahl- Elektro-akustische Musik bei Laurent Cuniot und Louis Naon Fragestellungen der Ausdrucksästhetik im 19. und 20. Jahrhun- ihrer Schüler zu gehören. 1935/36 erhielt er in Wien Komposi- reichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Kranichsteiner studierte. 1999 wurde Steingrimur Rohloff für einen Aufenthalt dert (Habilitation). Derzeit nimmt sie eine Lehrstuhlvertretung tionsunterricht von Walther Klein, einem Schüler Arnold Schön- Kompositionspreis der Darmstädter Ferienkurse 2002. 2009 am IRCAM ausgewählt. Seit 2002 studiert er an der Kölner Musik- und kommissarische Institutsleitung am Institut für Musikwis- bergs. 1937 veranstaltete er mit Goffredo Petrassi in Rom Kon- erschien in der Reihe »Edition Zeitgenössische Musik« des hochschule Elektronische Musik bei Hans-Ulrich Humpert. Roh- senschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main wahr. Sie zerte mit Zeitgenössischer Musik. Ebenfalls in die frühen 1930er Deutschen Musikrats seine CD »Pelze & Restposten«. loff arbeitet dort an einem neuen Werk für Klavier und Elektro- plant Tagungen und Gesprächsreihen, außerdem ist sie im Jahre fiel sein Unterricht bei Egon Köhler in Genf, der ihn mit nik, beauftragt vom isländischen Komponistenrat. Redaktionsbeirat der Zeitschrift »Positionen« und im Vorstand dem musikalischen Denken Alexander Skrjabins bekannt machte. Makis Solomos • stammt aus Griechenland und lebt seit der Frankfurter Gesellschaft für Neue Musik. 1980 in Paris, wo er Musikwissenschaft an der Université Paris 8 Steingrimur Rohloff erhielt Preise für die Werke Relief für zwei Etwa seit 1950 zeichnet sich das Schaffen Scelsis im Wesentlichen lehrt. Er ist Autor zahlreicher Publikationen über Neue Musik Flöten und Klavier beim Forum Ost-West (1996), Wave für Orgel durch die Gestaltung musikalischer Abläufe mittels einer einzi- und Spezialist für die Musik von Iannis Xenakis, über deren und Schlagzeug bei den Saarlouiser Orgeltagen 1996) und die gen Tonhöhe aus, die sich in unterschiedlichen Oktavlagen stu- Klanglichkeit er promovierte. Zu seinen Veröffentlichungen isländischen Lieder Logn beim Edvard Grieg Grand Prix Oslo fenlos in überwiegend eng begrenzten, vierteltönig gegliederten gehören eine kommentierte Bibliografie des Schrifttums über (1996). Rohloff hat bereits mehrere Ensemblewerke geschrieben. Intervallräumen bewegt. Entsprechend seinem Selbstverständnis Xenakis und die erste griechische Ausgabe von dessen Schriften. Ebenso Orchesterwerke wie Sol (uraufgeführt 1999 in Göteborg), als »Medium« arbeitete Scelsi seit dieser Zeit mit Tonbändern, 1998 richtete er die erste internationale Xenakis-Konferenz aus, Gravitation (uraufgeführt 2001 in Saarbrücken) und das Saxo- die seine den notierten Fassungen zugrunde liegenden Improvi- 2005 eine weitere in Athen. Derzeit arbeitet er an einem Buch fonkonzert (uraufgeführt 2001 in Oslo). Kompositionsaufträge sationen aufzeichneten. Die Tatsache, dass er andere Komponis- über Xenakis’ Elektroakustische Musik. gingen an Rohloff u.a. aus Island für die »Kulturhauptstadt 118 R/S 119 Konzerte, die ihn rasch international bekannt machten. Insbeson- Varèses: Unbeirrt von den europäischen Schulen und Komposi- Karlheinz Stockhausen • 1928 in Lucas Vis • ist ein gefragter Spezialist für Zeitgenössische Mödrath bei Köln geboren und 2007 in dere gilt er als ein Pionier der Elektronischen wie der Seriellen tionsrichtungen schlug er einen konsequent experimentellen Musik. Der niederländische Dirigent arbeitete mit Komponisten Kürten-Kettenberg gestorben, war einer Musik. 1977 nimmt Stockhausen sein riesiges Projekt des sieben Weg ein. wie John Cage, Mauricio Kagel, Karlheinz Stockhausen, Theo Abende umfassenden Bühnenzyklus Licht in Angriff, ein kos- der bedeutendsten Komponistenper- Beeinflusst von den Experimenten der italienischen Futuristen Loevendie und Louis Andriessen zusammen und dirigierte zahl- misch-mythologisches Welttheater auf Basis einer musikalischen sönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und und angeregt von seinem ausgeprägten Interesse für die physika- reiche Uraufführungen. Seine musikalische Karriere begann »Superformel«, das er über 25 Jahre lang verfolgte und im Jahre einer der Hauptakteure für die Neue lisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen der Musik, erforschte Lucas Vis als Cellist. Nachdem er 1967 als Preisträger beim Diri- 2003 vollendete. Für seine Arbeit erhielt Stockhausen dabei zahl- Musik nach 1945. Kaum ein anderer Varèse in seinen Kompositionen die klangfarblichen Dimensio- gierkurs am Mozarteum hervortrat, entwickelte er sich zum viel- reiche Auszeichnungen, darunter den Grand Prix du Disque, die Komponist hat einen so prägenden Ein- nen der Musik. Mit der Verwendung von Geräuschinstrumenten seitigen Dirigenten. Während seiner Assistenz bei Bruno Maderna Picasso-Medaille der Unesco, den Siemens-Musikpreis, den Bach- fluss auf die Musik seit dem Zweiten und Sirenenglissandi setzte er dabei die bis dato unantastbaren 1967 bis 1973 wurde ihm 1971 zudem der Koussevitzky Tangle- Preis und den Kunstpreis der Stadt Köln. Weltkrieg gehabt, kaum einer so viele Parameter der festen Tonhöhe und des temperierten Tonsystems wood Compostion Prize verliehen. exemplarische Werke geschaffen, in exemplarischen Auffüh- außer Kraft. In den parabolischen und hyperbolischen Klang- Nach dreijähriger erfolgreicher Tätigkeit als Leiter des Nederlands rungen zu Gehör gebracht und mit scharfem theoretischen Ver- Edgard Varèse • 1883 in Paris gebo- kurven der Sirenen manifestierte sich für ihn seine Konzeption Dans Orkest war Lucas Vis von 1979 bis 1983 Chefdirigent des stand kommentiert wie er. Dabei gilt er u.a. als ein Pionier der ren und 1965 in New York gestorben, ist von Musik als Bewegung im Raum. 1928 kehrte Varèse für mehre- Brabants Orkest und von 1988 bis 1996 Chefdirigent des Noord- Elektronischen wie der Seriellen Musik. 1947 bis 1953 studierte einer der lange verkannten Pioniere der re Jahre nach Paris zurück, wo 1931 sein berühmtes Schlag- hollands Philharmonisch Orkest in Haarlem, wo er Werke unter- Stockhausen an der Kölner Musikhochschule Klavier, Schulmusik Neuen Musik. Seine kompositorische zeugstück Ionisation entstand und einige Aufführungen seiner schiedlichster Epochen präsentierte. Als Gast der Niederländi- und Komposition und an der Universität Musikwissenschaften, Entwicklung verläuft in zwei voneinan- Kompositionen stattfanden, die sein Werk erstmals einem euro- schen Oper in Amsterdam leitete er neben Opern von Mozart, Philosophie und Germanistik. In Bonn folgte später ein Studium der getrennten Phasen, als deren biogra- päischen Publikum präsentierten. Nach seiner Rückkehr in die Puccini, Busoni, Maderna und Verdi zudem zahlreiche Urauf- der Fonetik und Kommunikationsforschung, ferner besuchte fische Zäsur die Auswanderung in die USA 1932 geriet Varèse in eine schwerwiegende Schaffens- und führungen niederländischer Komponisten wie Otto Ketting, Theo er bei Olivier Messiaen in Paris Analyse- und Ästhetikkurse und USA 1915 auszumachen ist. Nach einem Lebenskrise, von der er sich nicht mehr restlos erholen sollte. Ab Loevendie und Guus Janssen. Bis 1998 stand Lucas Vis außerdem nahm bei Pierre Boulez und Luigi Nono Unterricht im Bereich Studium bei Albert Roussel, Vincent 1950 galt sein vornehmliches Interesse der Elektronischen Musik. den Konservatorien in Maastricht und Tilburg als Künstlerischer Neue Musik. d’Indy und Charles Marie Widor am Pariser Conservatoire ging Varèse 1907 zunächst nach Berlin, wo Leiter vor. Von 1998 bis 2005 schließlich war er Direktor der Im Jahre 1953 wurde Stockhausen ständiger Mitarbeiter und 1963 er von Ferruccio Busoni, Richard Strauss und Hugo von Hof- Amsterdamer Musikhochschule und ist diesem Institut auch Leiter des Studios für elektronische Musik beim Westdeutschen mannsthal beeinflusst und gefördert wurde. In dieser Zeit ent- heute noch als Professor für Dirigieren verbunden. Daneben diri- Rundfunk. Ab 1953 hatte er verschiedene Professuren für Neue stand eine Reihe von Orchesterstücken und Sinfonischen Dich- giert Lucas Vis bis heute alle bedeutenden Orchester der Nieder- Musik und Komposition inne, u.a. in Darmstadt und Köln. Anläss- tungen, die heute als verschollen gelten. Mit der Übersiedlung lande wie das Concertgebouw Orchester Amsterdam und das lich der Weltausstellung 1970 in Osaka gab Stockhausen mehrere nach Amerika beginnt das eigentliche musikalische Schaffen Residentie Orchester Den Haag sowie zahlreiche renommierte Orchester in England, Frankreich, Deutschland und Italien. 120 S/V 121 zeitkratzer • wurde 1999 gegründet und ist in seiner Konzep- Vito Žuraj • geboren 1979, studierte tion als europäisches Solisten-Ensemble weltweit einzigartig. Die Komposition in Ljubljana bei Marko neun Musiker, der Lichtdesigner und der Tonmeister leben in Mihevc, sowie an den Musikhochschu- verschiedenen europäischen Städten – von Oslo über London bis len Dresden bei Lothar Voigtländer und Köln – und kommen zu Arbeitphasen zusammen. Dort werden Karlsruhe bei Wolfgang Rihm, wo er neue Projekte, in den vergangenen Jahren als ständiger Gast an anschließend den Master of Arts in der Volksbühne Berlin und des Hauses der Kulturen der Welt, Musikinformatik bei Thomas A. Troge erarbeitet. zeitkratzer wurde weltweit bekannt für seine eigenwil- abschloss und seitdem Lehrbeauftragter ligen und wegweisenden Programme. Das Repertoire umfasst für Instrumentation und Gregorianik Werke und Projekte von / mit so unterschiedlichen Musikern wie ist. 2009/10 war Žuraj Stipendiat der Karlheinz Stockhausen, Lou Reed, Carsten Nicolai, John Cage, Keiji IEMA, seit 2010 ist er Stipendiat der Akademie Musiktheater, Haino, Jim O’Rourke, James Tenney, Helmut Oehring, La Monte heute der Deutschen Bank Stiftung. Young, Merzbow, Alvin Lucier und zahlreiche interdisziplinäre Vito Žuraj nahm an verschiedenen Meisterkursen teil, u.a. bei Zusammenarbeiten. den Darmstädter Ferienkursen, beim Bartók-Seminar und dem zeitkratzer genießt musikalisch einen exzellenten Ruf und profi- IRCAM Overview Paris, bei Brian Ferneyhough, Marc Andre, tiert von seinen Musikern, ihren avancierten und einzigartigen Hector Parra, Johannes Schöllhorn, Enno Poppe und Michael Spieltechniken, ihrem Umgang mit Elektronik und Technologien, Jarrell. Er erhielt mehrere Auszeichnungen und Stipendien, u.a. ihren hybriden Erfahrungshintergründen: Neue oder improvi- den Anerkennungspreis der Art Mentor Foundation Lucerne, sierte Musik, experimenteller Rock und Pop, Noise, Ambient, den Orchesterpreis der Saarbrücker Werkstatt, ein Stipendium Improvisierte Musik, Volksmusik. Die Auszeichnungen reichen der Hanne Darboven Stiftung, ein Projektstipendium des ZKM vom Deutschen Jazzpreis (Frank Gratkowski) über die Fellowship Karlsruhe und ein Landesgraduiertenstipendium des Landes am Kings College in Cambridge (Anton Lukoszevieze) bis hin zum Baden-Württemberg. Seine Musik wurde auf mehreren Festivals Kompositionsaufträgen des französischen Staates oder Wien Zeitgenössischer Musik aufgeführt, u.a. beim Festival Mouve- Modern (Reinhold Friedl). Tourneen führten zeitkratzer in fast ment Saarbrücken, den Tenso Days Berlin, dem Heidelberger alle europäischen Länder, regelmäßig tritt zeitkratzer bei renom- Frühling, dem Takefu Festival Japan, dem Davos Festival und mierten Festivals von Madrid, Rom oder London bis nach Wien dem Acanthes Metz, dem Royaumont, den Darmstädter und Berlin auf. Über 20 Tonträgerveröffentlichungen liegen Ferienkursen und den Donaueschinger Musiktagen »Next zudem von zeitkratzer bereits vor. Generation«. 122 Anhang Spielstätten Shuttle-Bus cresc… im Video-Livestream cresc… im Radio auf ARTE Live Web auf hr2-kultur

Frankfurt Wir bieten einen kostenlosen Shuttle-Service* für Konzertkarteninhaber für folgende Strecken an: 25. November 2011 ∙ 22.30 Uhr 3. Januar 2012 ∙ 20.05 Uhr hr-Sendesaal Hessischer Rundfunk UN/LIMITS – OPEN SPACE (Seite 49) ERÖFFNUNGSKONZERT vom 25.11.2011 (Seite 43) Freitag, 25.11. Bertramstraße 8 Frankfurt, hr-Sendesaal – Frankfurt, Frankfurt LAB 60320 Frankfurt 26. November 2011 ∙ 19 Uhr 21. Februar 2012 ∙ 20.05 Uhr Abfahrt: Eingang Hessischer Rundfunk, 21.30 Uhr www.hr-sinfonieorchester.de GRUPPEN3 (Seite 65) UN/LIMITS – OPEN SPACE vom 25.11.2011 (Seite 49)

Frankfurt LAB Die Konzerte werden im Internet live übertragen 6. März 2012 ∙ 20.05 Uhr Schmidtstraße 12 Samstag, 26.11. und können im Nachhinein auch als Video-On-Demand ESPACES MUSICAUX vom 26.11.2011 (Seite 59) 60326 Frankfurt am Main Frankfurt, hr-Sendesaal – Darmstadt, Böllenfalltorhalle erlebt werden. www.frankfurt-lab.de Abfahrt: Eingang Hessischer Rundfunk, 17 Uhr 3. April 2012 ∙ 20.05 Uhr 3 vom 26.11.2011 (Seite 65) Darmstadt, Böllenfalltorhalle – Darmstadt, 603qm – GRUPPEN Darmstadt www.arteliveweb.com Darmstadt, Hauptbahnhof – Frankfurt, Hauptbahnhof www.hr-Sinfonieorchester.de 17. April 2012 ∙ 20.05 Uhr Böllenfalltorhalle Abfahrt: vor der Böllenfalltorhalle nach Konzertende, vom 27.11.2011 (Seite 75) Nieder-Ramstädter Straße 170 ca. 21 Uhr RAUMWELTEN

64285 Darmstadt Darmstadt, 603qm – Darmstadt, Hauptbahnhof – 12. Juni 2012 ∙ 20.05 Uhr www.darmstadt.de Frankfurt, Hauptbahnhof CHAMBERS vom 27.11.2011 (Seite 81) 603qm Abfahrt vor dem 603qm nach Konzertende, Alexanderstraße 2 ca. 23.30 Uhr 19. Juni 2012 ∙ 20.05 Uhr 64283 Darmstadt ABSCHLUSSKONZERT vom 27.11.2011 (Seite 87) www.603qm.de *nach Verfügbarkeit Frequenzen: UKW (Rhein-Main) 96,7 MHz Kabel (Südhessen/Rhein-Main) 99,45 MHz sowie als Livestream im Internet unter: www.hr2-kultur.de

124 125 Impressum Mitarbeit: Produktion Originalbeiträge: Monika Cordero (Ensemble Modern) Produktionsleitung: André Baltensperger, Stefan Beyer, Anthony Cheung, Örjan Andreas Maul (hr-Sinfonieorchester) Michael Karl Schmidt (Ensemble Modern) Fahlström, Fred Freytag, Torsten Herrmann, Balázs Horváth, Stefan Fricke (hr2-kultur) Stefan Kuhnert (hr-Musikproduktion) Christian Jaksjø, Stefan Keller, Christian Lindberg, Marie Luise cresc… Armin Wunsch (hr-Sinfonieorchester) Maintz, Andreas Maul, Kevin McFarland, Johannes Motschmann, Biennale für Moderne Musik Symposium und Einführungen – Konzeption und Leitung: QIAN Shen-Ying, Michael Rebhahn, Steingrimur Rohloff und Frankfurt Rhein Main Julia Cloot (I z M der HfMDK Frankfurt) Veranstaltungsorganisation: Vito Žuraj Christiane Spieler (hr-Kommunikation) Ein Festival von Projektleitung Textnachweise: Ausstellungsorganisation: Ensemble Modern und hr-Sinfonieorchester Gesine Otto (Deutsche Ensemble Akademie) Luciano Berio – Material Universal Edition Wien; Elliott Carter – Bettina Leder-Hindemith (hr-Kommunikation) Partitur-Vorwort; Thierry de Mey – Material IRCAM; Josef Häusler in Kooperation mit dem Assistenz: – Programmheft NDR Hamburg 1960; Paul Griffiths – Material Internationalen Musikinstitut Darmstadt (IMD) Kerstin Anhuth (Deutsche Ensemble Akademie) Editions Salabert; György Ligeti – Gesammelte Schriften, Band 2;

und in Zusammenarbeit mit dem Förderer Jean-Christophe Marti – Material Ensemble intercontemporain; Kulturfonds Frankfurt RheinMain Institut für zeitgenössische Musik an der Hochschule Marketing Dieter A. Nanz – Katalog Wien Modern 2009; Cathérine Raes – Marie-Luise Nimsgern (Ensemble Modern) Allianz Kulturstiftung für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Matrix (www.matrix-new-music.be); Karlheinz Stockhausen – Daniela Steinmacher (hr-Kommunikation) und der Internationalen Ensemble Modern Akademie Texte zu eigenen Werken, Band 2; Iannis Xenakis: Kassandra –

Medienpartner Material Editions Salabert, Terretektorh – Katalog Wien Modern hr2-kultur Grafik-Design 2009 Birgit Nitsche (hr-Grafik) Festivalleitung Roland Diry (Geschäftsführer Ensemble Modern) Bildnachweise: Andrea Zietzschmann (hr-Musikchefin) Pressearbeit Programmbuch Peter Andersen (113); Mats Bäcker (114); Bettmann-Corbis (120b); Marie-Luise Nimsgern (Ensemble Modern) Andreas Maul (hr-Sinfonieorchester) Christophe Daguet (110); Patricia Dietzi (94); Wolfgang Gillo (109); Brigitte Schulz (hr-Kommunikation) Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut Darmstadt) Meredith Heuer (97); Huszti István (105); Ben Knabe (4, 12, 34, 38, Programm 42, 48, 54, 58, 64, 71, 74, 80, 86, 117); Gisela Kunisch (Titelgrafik); Roland Diry (Ensemble Modern) Redaktionsleitung: Website Pit Ludwig (20); Andrea Medici Baci & Baci (116); Manfred Melzer Andrea Zietzschmann (hr-Musikchefin) Andreas Maul Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut Darmstadt) Christopher Martin (CMCM) (30); Olivier Roller (112); Beowulf Sheehan (98); Hyou Vielz (120a); Christoph Voy (103)

126 127 Herausgeber cresc… Biennale für Moderne Musik Frankfurt Rhein Main c/o Deutsche Ensemble Akademie e.V. Schwedlerstraße 2–4 D – 60314 Frankfurt am Main Tel: (069) 94 34 30 14 [email protected] www.cresc-biennale.de www.cresc-biennale.de