Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) zwischen 1960 und 1980 im Kontext der internationalen, insbesondere der deutschen Psychoanalyse

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer.nat.)

vorgelegt von Huppke, Andrea

an der

Mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion Fachbereich Psychologie

Tag der mündlichen Prüfung: 15.06.2018 1. Referent: Prof. Dr. Klaus Hoffmann 2. Referent: Prof. Dr. Thomas Müller

1 Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1tqgw7jjlfzpv9

2

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung ...... 6 Danksagung ...... 7 Einleitung ...... 8

I. Teil 1. Kapitel

1.1. Vorgeschichte der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) ...... 23

1.2. Internationaler Kongress in Amsterdam 1960 ...... 26

1.3. Der „Pre-Congress“ 1961 in Düsseldorf (6. – 11. September) ...... 28

1.4. Das I. Forum 1962 in Amsterdam (27.- 31. Juli 1962): Konflikt mit der American Academy of und Gründung der IFPS ...... 32

2. Kapitel

2.1. Die drei Gründungsgruppen ...... 42

2.1.1. Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) ...... 42

2.1.2. Igor Caruso und die Arbeitskreise für Tiefenpsychologie ...... 46

2.1.3. und die Mexikanische Psychoanalytische Gesellschaft ...... 50

2.2. Erweiterung durch das William Alanson White Institute und Gerard Chrzanowski ...... 54

2.3. Die Konflikte der vier ersten Gruppen untereinander ...... 59

2.4. Beginn der Zusammenarbeit und Ausbau der Beziehungen bis 1965 ...... 64

3. Kapitel

3.1. Das II. Forum in Zürich 11.–15. Juli 1965 ...... 72

3.2. Vorbereitungen für das III. Forum bis zum Zwischentreffen in Göttingen 1968 ...... 75

3.3. Internationale Arbeitstagung (Workshop) 1968 in Göttingen (29. August.–1. September 1968) ...... 80

3

3.4. Planungen bis zum Forum in Mexiko ...... 83

3.5. Das III. Forum 1969 in Mexico ...... 85

3.6. Folge des III. Forums: Recherche von Gerard Chrzanowski, Rose Spiegel und Arthur Feiner zur Psychoanalyse im Nationalsozialismus ...... 88

3.7. Die 2. Internationale Arbeitstagung 1.– 4. September 1970 in Madrid ...... 91

3.8. Bis zum IV. Forum in 1972 ...... 94

3.9. Exkurs: Der Schwidder-Award ...... 98

3.10. Das IV. Forum 28. September – 2. Oktober 1972 in New York ...... 101

4. Kapitel

4.1. Wege zur Institutionalisierung der IFPS nach dem New Yorker Forum ...... 106

4.2. Vorgänge bis zum Forum 1974 ...... 108

4.3. Das V. Forum 1974 in Zürich ...... 111

4.4. Die Zeit bis zum VI. Forum in Berlin ...... 114

4.5. Das VI. Forum in Berlin (17.-21.August 1977) ...... 120

4.6. Kritik am Berliner Forum ...... 122

4.7. Die III. Conference in Helsinki (Veranstaltungsort: Haikko) ...... 126

4.8. Die zweite Formulierung der IFPS-Satzung ...... 128

4.9. Die Krise der IFPS in den 1980er-Jahren ...... 131

4.10. Ausblick auf die weitere Entwicklung der IFPS nach 1980 ...... 133

II. Teil

1. Kapitel 1.1. Die „liberale“ und die „orthodoxe“ Psychoanalyse ...... 136 1.2. Die „Dissidenten“ , Franz Alexander und Harald Schultz-Hencke ...... 141

1.3. Gemeinsames in den Positionen der „Dissidenten“ ...... 146

4

1.4. Die „orthodoxe“ Psychoanalyse am Beispiel von Kurt R. Eissler, Merton Gill, und Leo Stone ...... 147

1.5. Die Menninger-Studie 1952 bis 1982 ...... 155

2. Kapitel 2.1. Das Selbstverständnis der IFPS ...... 159 2.1.1. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band I (1964) ...... 161

2.1.2. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band II (1966) ...... 163

2.1.3. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band III (1968) ...... 165

2.1.4. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band IV (1970) ...... 166

2.1.5. „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“, Band V (1977) ...... 168

2.1.6. „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“,Band VI (1977) ...... 169

2.2. Verbindendes zwischen den IFPS-Gesellschaften ...... 171

2.3. Abschließende Diskussion ...... 173

Anhang Liste der Abkürzungen ...... 179 Bibliographie ...... 180 Liste der Kongresse ...... 190 Liste der Generalsekretäre der IFPS ...... 192 Liste der Mitgliedsgesellschaften der IFPS ...... 193 Satzung der IFPS (vom 6.September 1974):...... 196

5

Zusammenfassung

Die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) ist bisher nicht ausführlich und zusammenhängend beschrieben worden. Es handelt sich um eine internationale psychoanalytische Föderation, in der sich psychoana- lytische Ausbildungsinstitute und psychoanalytische Gesellschaften assoziiert haben, die nicht Mitglied in der großen, traditionsreichen International Psychoanalytical Association (IPA) werden konnten oder wollten. Meist hatte dies mit Ansichten und Haltungen zu tun, die von der „orthodoxen“ und von der IPA definierten psychoanalytischen Lehrmeinung abwichen. Das Grundprinzip der IFPS war von Beginn an geprägt von Offenheit und Toleranz neuen psychoanalytischen Konzepten und Methoden gegenüber und von Nichteinmischung in die Ausbildungsfragen der einzelnen Mitgliedsinstitute. Die IFPS wird 1962 von international tätigen, aber allesamt deutschsprachigen Psychoanalytikern gegründet. Die erste Satzung der IFPS wird 1974 noch auf Deutsch formuliert. Inzwischen ist die Verständigungssprache zum Englischen gewechselt und es gehören der IFPS insgesamt 28 psychoanalytische Institute und Gesellschaften an, viele davon aus dem englisch- und spanischsprachigen Raum. In der vorliegenden Arbeit werden die Gründungsgeschichte der IFPS und die ersten 20 Jahre ihres Bestehens anhand von Archivmaterial nachvollzogen, das die Archivkommission der IFPS zusammengetragen hat. Zunächst geht es um die Vorgeschichte der Gründung, in der die Grundsätze der neuen internationalen Gemeinschaft bereits diskutiert und formuliert werden und in der erste Konflikte mit anderen psychoanalytischen Vereinigungen auftauchen. Dann werden die Gründer, ihre theoretischen Standpunkte und ihre Schwierigkeiten miteinander vorgestellt. Alle ein bis vier Jahre werden größere oder kleinere Tagungen durch die IFPS abgehalten. Diese Tagungen werden hinsichtlich ihres inhaltlichen und organisatorischen Rahmens dargestellt. Die Vorträge der ersten Tagungen werden in Auswahl in sechs Bänden veröffentlicht. Erst 1992 entsteht die vierteljährliche Zeitschrift der IFPS, das „International Forum of Psychoanalysis“. Die Entwicklungsgeschichte der IFPS zeigt die Struktur, den Charakter und die theoretischen Eigenheiten dieser Föderation. Im zweiten Teil der Arbeit werden die inhaltlichen Unterschiede zwischen der „orthodoxen“ psychoanalytischen Lehre und den Lehren der „Dissidenten“ der Psychoanalyse herausgearbeitet. Einige der „Dissidenten“ waren Gedankengeber für die IFPS, einige waren und sind deren Mitglieder. Die Unterscheidung zwischen „orthodoxen“ und „dissidenten“ psychoanalytischen Theorien wird problematisiert und in Frage gestellt.

6

Danksagung

Zu dieser Arbeit haben viele Kollegen und Freunde beigetragen. Einige haben mir Dokumente zur Verfügung gestellt, einige wertvolle Informationen gegeben, viele haben mich ermutigt und unterstützt. Ich möchte an erster Stelle der Archivkommission der IFPS für ihre mühevolle Arbeit bei dem Zusammensuchen der Dokumente danken. Prof. Michael Ermann, Prof. Klaus Hoffmann, Dr. Marco Conci, Dr. Rainer Funk und Dr. Edith Frank-Rieser haben in ihren eigenen Archiven (Erich-Fromm-Archiv, Tübingen) oder in den Archiven ihrer Institute (Archiv der DPG, Berlin) Unterlagen herausgesucht, die die Geschichte der IFPS nachvollziehbar machen. Das IFPS-Archiv befindet sich zur Zeit bei Prof. Klaus Hoffmann im Zentrum für Psychiatrie Reichenau. Ich bin jedem Einzelnen zu großem Dank verpflichtet. Ohne ihre Vorarbeit und spätere individuelle Unterstützung hätte ich dieses Projekt nicht durchführen können. Edith Frank-Rieser und Rainer Funk haben mir zusätzliches Material zugänglich gemacht und damit wichtige Fragen zu beantworten geholfen. Klaus Hoffmann und Thomas Müller haben die Arbeit betreut, mir geholfen, ihr Form zu geben und mir wichtige Anregungen gegeben. Marco Conci hat mir ermöglicht, den Ansatz Harry Stack Sullivans und seinen Einfluss auf die IFPS zu verstehen. Ebenso möchte ich dem Berliner Forum für Geschichte der Psychoanalyse, insbesondere Regine Lockot, Ulrike May, Ludger Hermanns und Michael Schröter, für ihr hingebungsvolles Interesse an der historisch bisher wenig beachteten IFPS danken. Regine Lockot hat mir großzügig ihre Vorarbeiten zur IFPS und viele Dokumente aus ihrem Archiv zur Verfügung gestellt und alle vier haben mir viele wertvollen Rückmeldungen gegeben. Ludger Hermanns hat mir als Vorsitzender des Archivs zur Geschichte der Psychoanalyse den Zugang zu Materialien im Bundesarchiv Koblenz ermöglicht. Jakov Katwan als ehemaliger Generalsekretär der IFPS, Elisabeth von Strachwitz als frühe und engagierte Teilnehmerin an den IFPS-Tagungen und Michael Ermann als langjähriger DPG1- Delegierter in der IFPS haben mit mir in Interviews ihre Erfahrungen mit der IFPS geteilt. Die emeritierte Professorin für Soziologie Ute Gerhardt hat mir Hilfestellung bei der Klärung des institutionellen Hintergrundes der IFPS gegeben. Viele Freunde haben sich geduldig meine Ideen, Gedanken und Zweifel angehört, sich in die verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung hineinversetzt und geholfen, ihnen Form zu geben. Ich möchte hier nur einige von ihnen nennen und Robin Verner, László Kruppa, Vera Kattermann, Carolin Keller, Norbert Somnitz- Lorbeer und Elisabeth Fink für ihre Geduld und ihr Interesse danken.

1 Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG). Zur Geschichte der DPG siehe 1. Teil, 2. Kapitel. 7

Einleitung

Die Gründungsgeschichte der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) und die Geschichte ihrer Entwicklung in den ersten zwanzig Jahren ist bisher nicht zusammen- hängend und eingehend beschrieben worden. Der Generalsekretär der IFPS Jakov Katwan schrieb einmal: „Vor etwa zwei Jahren hatte auch ich bereits Caruso, Chrzanowski, Fromm und Heigl um eine Darstellung der Geschichte der IFPS gebeten (…). Fromm und Caruso antworteten mit nichts- oder wenigsagenden Briefen. Von Heigl und Chrzanowski erhielt ich je eine ausführlichere Schilderung, die einander jedoch so sehr widersprachen, dass ich es vorzog, auf den geschichtlichen Abriss der Föderation ganz zu verzichten.“2

Einige langjährige Mitglieder der IFPS haben anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung, auf einer Tagung der IFPS in Mexiko 2012, einzelne Stationen und Aspekte der Geschichte herausgegriffen und damit eine erste kurze historische Darstellung der IFPS vorgelegt3:

Klaus Hoffmann stellte den Einfluss der Schweizer Daseinsanalytischen Institute mit ihrem Schwerpunkt auf einem philosophischen Zugang bei der Arbeit mit schwer gestörten und psychotischen Patienten heraus4. Die Schweizer Daseinsanalytische Gruppe unter der Leitung von Gion Condrau richtete IFPS-Tagungen in den Jahren 1965, 1974 und 1985 aus und gehörte damit zu den ersten und wichtigsten Gruppen.

Im Beitrag von Marco Conci werden Gaetano Benedetti und Johannes Cremerius als die Gründer der Milan Associazione di Studi Psicoanalitici mit ihrem besonderen, von der „orthodoxen“ Psychoanalyse abweichendem Herangehen an die Ausbildung und an die Arbeit mit psychosekranken Patienten vorgestellt5. Das Institut wurde 1989 Mitglied der IFPS.

Rainer Funk, der Nachlassverwalter von Erich Fromm, beschreibt die Konflikte, denen Fromm als Nicht-Arzt und -Kritiker innerhalb der US-amerikanischen psychoanalytischen Gesellschaften ausgesetzt war und erklärt, wie Fromm dann mit den anderen Protagonisten die IFPS gründete, um auch den kleinen psychoanalytischen Gesellschaften die Gelegenheit zu internationalem Austausch zu geben, die ein neues Verständnis der Psychoanalyse entwickelten oder sich nicht den Ausbildungsstandards der International Psychoanalytical

2 Brief Katwan an Zander am 12.12.1978 3 Siehe International Forum of Psychoanalysis. 50 Years of the IFPS – Past, Present, Future. Volume 23, 2014, No.2, . 4 Ebd., Hoffmann, K., „50 years of the IFPS societies in Switzerland“, S. 80ff. 5 Ebd., Conci, M., „Gaetano Benedetti, Johannes Cremerius, the Milan ASP, and the future of the IFPS“, S. 85ff. 8

Association (IPA)6 unterwerfen wollten7.

Edith Frank-Rieser fasst die Grundlinien der psychoanalytischen Lehre Igor Carusos zusammen, der 1962 unter den Gründern der IFPS war8. Zur Zeit der Gründung betonte Caruso den Einfluss der psychosozialen Situation des Patienten und der Persönlichkeit und Geschichte des Psychoanalytikers auf den therapeutischen Prozess und sah sich damit auf einer Linie mit anderen Gründungsgesellschaften der IFPS.

Den Einfluss Carusos auf die brasilianischen psychoanalytischen Gesellschaften und deren Weg in die IFPS beschreibt Eliana Rodrigues Pereira Mendes in einem eigenen Artikel9.

Die frühere Generalsekretärin der IFPS (2000 – 2008) Sonia Gojman de Millán zeichnet die häufig konfliktreiche Entstehung der lateinamerikanischen psychoanalytischen Gesellschaften und ihre Beziehung zur IFPS nach10. Alle diese Gesellschaften hatten ein gespanntes Verhältnis zur IPA und wünschten sich eine freie Diskussion psychoanalytischer Themen und eine Entbürokratisierung der Ausbildung und der Therapie.

Ein Autorenteam um Kari Holm11 beschreibt die Gründungsgeschichte des norwegischen psychoanalytischen Instituts „Institutt for Psykoterapi“, die insbesondere von der interpersonellen Psychoanalyse (Sullivan, Fromm-Reichmann, Fromm, Horney) beeinflusst war. 1977 wurde das Institut Mitglied der IFPS, zwischen 2008 und 2012 war das Instituts- mitglied Agnar Berle Generalsekretär der IFPS.

Konstantinos Talfanidis und Grigoris Maniadakis12 berichten von dem steinigen Weg, den die Psychoanalyse in Griechenland zurücklegen musste, bis sie sich mit der „Hellenic Society of Psychoanalytic “ endlich etablieren konnte. 1996 wurde das Institut Mitglied in der IFPS.

Christer Sjödin beschreibt die Gründung und Entwicklung des „International Forum of Psychoanalysis“, der Zeitschrift der IFPS13. Sie entstand 1992 unter der aufopferungsvollen

6 Die IPA wurde 1910 durch u.a. , , und Max Eitingon als Internationale Psychoanalytische Vereinigung IPV gegründet und benannte sich später in den englischsprachigen Ländern in International Psychoanalytical Association um. Sie ist bis heute die einflussreichste internationale psychoanalytische Vereinigung und legt u.a. die Standards der Ausbildung für ihre Mitgliedsgesellschaften fest. Sie hat heute etwa 11.000 Mitglieder in 33 Ländern. Zur Geschichte der IPA siehe Loewenberg, P. und Thompson, N. (2011), 100 Years of the IPA, Karnac, . 7 Ebd., Funk, R., „The IFPS´s sense of identity and Erich Fromm´s legacy“, S. 76. 8 Ebd., Frank-Rieser, E., „Igor Caruso´s development of a psychosocial understanding of the unconcious and its cultural transformation and alienation“, S. 96ff. 9 Ebd., Rodrigues Pereira Mendes, E., „Igor Caruso´s presence in Brazil“, S. 101ff. 10 Ebd., Gojman de Millán, S., „Development of -American Societies in the IFPS“, S. 104ff. 11 Ebd., Holm, K., Sandvik, T. J., Hundevadt, E., Kjolseth, T. K., „Institutt for Psykoterapi: Background and Developments of the Intitute for Psychotherapy in Norway“, S. 119ff. 12 Ebd., Talfanidis, K., Maniadakis, G., „Studying the Archives of the Hellenistic Society of Psychoanalytic Psychotherapy: An Outline of its historical Course“, S. 127ff. 13 Ebd., Sjödin, C., „International Forum of Psychoanalysis: Some reflections on editing a psychoanalytical journal“, S. 111ff. 9

Leitung von Jan Stensson und anderen Kollegen aus der schwedischen Society for Holistic Psychotherapy and Psychoanalysis, bildete 1998 eine internationale Redaktion und konnte 2008 online gehen. Sie ist heute eine von vielen internationalen psychoanalytischen Zeitschriften, die unter PEP14 einsehbar sind.

Jan Stensson, der langjährige Chefredakteur der Zeitschrift, gibt seiner Dankbarkeit gegenüber der IFPS mit den Worten Ausdruck: “Looking back today, 50 years later, I still find the founding of the IFPS to be an achievement of historic significance. (…) I still think that the IFPS broadens the space for thinking and feeling on basic human conditions”15. Er bedauerte sehr den Wechsel seiner Gesellschaft von der IFPS zur IPA in den letzten Jahren.

Bereits in früheren Jahren haben Gerard Chrzanowski16, Rainer Funk17, Sonia Gojman de Millán18, Javert Rodrigues19 und Jan Stensson20 einige Facetten der Geschichte der IFPS beleuchtet. Die Untersuchungen hatten jeweils den Umfang weniger Seiten und nahmen nur Ausschnitte in den Blick. Michael Ermann trug zu der Tagung zum 50-jährigen Jubiläum der IFPS einen Vortrag bei, der sich mit den Veränderungen in der psychoanalytischen Landschaft während der letzten 30 bis 40 Jahre beschäftigt und damit auch das Anliegen der IFPS neu verorten will21. Auf seine Gedanken soll an anderer Stelle näher eingegangen werden22.

Nachdem vor einigen Jahren eine Archivkommission der IFPS23 eingerichtet und Dokumente zusammengetragen wurden, können wir heute die historischen Hintergründe ihrer Gründung und ihrer ersten beiden Entwicklungsjahrzehnte weit detaillierter und gründlicher erforschen als dies vorher der Fall war. Wir können zum Beispiel sehen, dass die IFPS in den ersten Jahren trotz ihrer internationalen Ausrichtung von der deutschen Sprache getragen wurde; dass sie aus einer Auseinandersetzung zwischen der American Academy of Psychoanalysis und den Europäern hervorging; dass sie von Anfang an eine spezifische Struktur hatte, welche bis heute besteht und sie grundsätzlich von der International Psychoanalytical Association (IPA) unterscheidet. Inhaltlich bewegt sich die IFPS weit mehr auf der Seite dessen, was hier die „liberale Psychoanalyse“ genannt werden soll, im Gegensatz zu den als „orthodox“

14 Psychoanalytic Electronic Publishing (PEP) 15 Ebd., Stensson, J. (2014), „Fifty years of the IFPS: Some personal memories and comments“, S. 115ff. 16 Chrzanowski, G. (1993). History of the International Federation of Psychoanalytic Societies. International Forum of Psychoanalysis, 2, 168-179. Zur Person Gerard Chrzanowskis siehe Kapitel 2.2. im ersten Teil dieser Arbeit. 17 Funk, R. (2000). Erich Fromm´s role in the foundation of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, 9, 187- 197. 18 Gojman de Millán, S. (2009). The history of the International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) in Latin America. Fromm Forum, 13, 44-50. 19 Rodrigues, J. (1999). IFPS – is there a difference? International Forum of Psychoanalysis, 8, 268-272. 20 Stensson, J. (2007). Some reflections on writing the history of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, 16, 113-118. 21 Ermann, M. (2014), The changing face of psychoanalysis and the development of the IFPS, International Forum of Psychoanalysis, 23, Routledge. 22 Siehe: Abschließende Diskussion. 23 Die Archivkommission der IFPS besteht aus Michael Ermann, Klaus Hoffmann, Marco Conci, Rainer Funk und Edith Frank-Rieser. Das Archiv der IFPS befindet sich zur Zeit bei Prof. Klaus Hoffmann im Zentrum für Psychiatrie Reichenau. 10 bezeichneten Inhalten, die eher in der IPA aufzufinden waren. Mit diesen Zuschreibungen von „liberal“ und „orthodox“ befinden wir uns in der Zeit der 1950er, 1960er und 1970er-Jahre und mitten in der Diskussion um die „klassische Psychoanalyse“ und die „abweichende, dissidente Psychoanalyse“. Die Diskussion ist heute noch virulent und flackert unter anderem sofort auf, wenn es zwischen den verschiedenen psychoanalytischen Gruppen um Fragen der Macht- verteilung geht. Damals aber wurden diese Begriffe definiert und als Kampfmittel benutzt, um sich gegeneinander abzugrenzen, sich gegenseitig zu diffamieren und sogar in einigen Fällen auszuschließen. Es war ein komplexes Geschehen, in dem bewusste und unbewusste, gesellschaftlich-berufspolitische und ganz persönliche Aspekte eine Rolle spielten. Die Prozesse, die sich in dieser Zeit vor allem in den USA abspielten, sind inzwischen gut dokumentiert und analysiert worden24. Wir haben also eine klare Vorstellung davon, vor welchem psychoanalysehistorischen Hintergrund sich die Gründung der IFPS vollzog.

Seit Sigmund Freud die psychoanalytische Bewegung ins Leben rief, unterliegt sie einer starken Gruppendynamik. Von Beginn an gab es Hierarchien, Spannungen zwischen Subgruppen, Abspaltungen und Ausschlüsse. Immer wieder fühlen Kritiker dieser schwierigen Prozesse sich an die Gruppendynamik religiöser Gruppen erinnert. Die Frage nach der „richtigen und wahren Psychoanalyse“ scheidet bis heute die Geister bis in die feinsten Verzweigungen der verschiedenen psychoanalytischen Organisationen. Auch für die vorliegende Arbeit stellt sie eine wichtige Denkfigur dar, da es bei der IFPS um den Zusammenschluss von psychoanalytischen Gruppen geht, die sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sahen, ihre Form der Psychoanalyse sei nicht die „wahre Psychoanalyse“, wie sie in der IPA vertreten werde. Keine der Mitgliedgesellschaften der IFPS gehört zu der großen, durch Freud begründeten IPA, die für sich in Anspruch nahm (und nimmt), festzulegen, wodurch die Psychoanalyse zu definieren sei. Die Gründe für die Nicht-Zugehörigkeit waren sehr unter-schiedlich: Manche wollten aus inhaltlichen oder formalen Gründen nicht zur IPA gehören, manche wollten dazugehören, wurden aber nicht aufgenommen, manch eine Einzelperson war ausgeschlossen worden. Ein Bedürfnis nach Austausch auf internationaler Ebene und nach Zugehörigkeit zu einer größeren, internationalen Gruppe hatten aber auch sie. Die Nicht-Zugehörigkeit zur IPA war zunächst der stärkste Verbindungsstrang zwischen den Gründern der IFPS. Darüber hinaus gab es ähnliche Auffassungen über Lehrinhalte und therapeutisches Vorgehen bei den meisten Gesellschaften. Viele fanden zum Beispiel die Libidotheorie, den Ödipuskomplex, die Todestriebtheorie und die Metapsychologie der Freudschen Lehre nicht in demselben Maß bedeutungsvoll für das psychoanalytische Theoriegebäude oder die Behandlungsmethode wie die meisten IPA-Psychoanalytiker. Dafür legten sie mehr Wert auf Interdisziplinarität mit Geistes- und Sozialwissenschaften und der

24 Siehe zum Beispiel Bergmann, M. S. (1993); Hale, N. G. (1995); Eisold, K. (1998); Ermann, M. (2012). 11

Biologie, auf den interpersonellen Aspekt zwischen Psychoanalytiker und Patient, die Objektbeziehungen, auf den sozialen Kontext des erkrankten Subjekts und die Erprobung neuer Methoden für unterschiedliche Krankheitsphänomene. Einigen waren auch politische Bezüge wichtig, was in der IPA eher selten war.

Die Geschichte der IFPS wird hier vorwiegend aus der Perspektive der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) erzählt. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass die ersten drei Generalsekretäre der IFPS über die ersten 21 Jahre ihres Bestehens DPG- Mitglieder waren und die DPG bis etwa 1985 neben dem New Yorker William Alanson White Institute (WAWI)25 die größte und einflussreichste Mitgliedgesellschaft der IFPS war. Das Archiv der IFPS befindet sich heute in Deutschland, die Archivkommission der IFPS ist deutschsprachig.

Ungefähr dreizehn Jahre lang war die Hauptsprache dieser internationalen Vereinigung das Deutsche: Die Deutschen schrieben deutsch an ihre ausländischen Kollegen und bekamen entweder deutsche oder englische Antworten. Fast alle Protagonisten der ersten Jahre waren entweder Deutsche (Werner Schwidder26, Franz Heigl27,

25 Zur Geschichte des WAWI siehe Kapitel 2.2. im Teil 1. 26 Werner Schwidder (1917-1970) war zwischen 1959 und 1970 Vorsitzender der DPG. Er studierte Medizin in Leipzig und Berlin und begann seine psychoanalytische Ausbildung 1941 im Deutschen Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie. Das Institut wurde auch Göring-Institut genannt, nach dem Institutsleiter Matthias Heinrich Göring, einem Vetter des Oberbefehlshabers der Deutschen Luftwaffe, Hermann Göring. Schwidder wurde einer der wichtigsten Schüler Schultz-Henckes, bei dem er auch seine Lehranalyse machte. Er baute ab 1951 das psychoanalytisch geprägte Landeskrankenhaus Tiefenbrunn bei Göttingen auf und leitete es von 1965 bis 1970. Ab 1968 war er Professor an der Universitätsklinik Göttingen. Mit Annemarie Dührssen und Felix Boehm gab er seit 1953 die Zeitschrift für Psycho-Somatische Medizin heraus. Sein berufspolitisches Engagement trug in den 1960er Jahren dazu bei, dass die Krankenkassen die Kosten für psychoanalytische Psychotherapien übernahmen. Er starb im September während des II. Workshops der IFPS in Madrid an einem Herzinfarkt. (siehe WAW Newsletter, Winter 1971, p. 12). 27 Franz Heigl (1920–2001) war zwischen 1962 und 1972 der erste Generalsekretär der IFPS. Er machte seine psychoanalytische Ausbildung in München und Berlin und gründete 1954 zusammen mit Schwidder und Gottfried Kühnel das Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie in Göttingen. Nach Schwidders Tod übernahm er 1971 die ärztliche Leitung des Landeskrankenhauses Tiefenbrunn und führte es bis 1985. Mit seiner Frau Annelise Heigl- Evers entwickelte er die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie. 12

Anton Schelkopf28, Helmut Bach29), oder deutschsprachige jüdische Emigranten30 (Jakov Katwan31, Erich Fromm, Gerard Chrzanowski, Leon Salzman, Marianne Eckardt-Horney, Frederick Weiss) oder hatten im deutschsprachigen Raum ihre psychoanalytische Ausbildung gemacht (Margit Norell aus Schweden, Martti Siirala aus Finnland, Jeronimo Molina-Nunez aus Spanien, Igor Caruso aus Österreich). Auch Anton J. Westerman-Holstijn, der die Gründung maßgeblich mit vorbereitete, dann aber nicht eintrat, korrespondierte deutsch. Nach 1975 wechselte die Kommunikation ganz ins Englische. Die Urschrift der ersten Satzung 1974 war noch in deutscher Sprache, die zweite Fassung 1980 dann nur noch englisch. Bis 1977 hatten drei der insgesamt elf internationalen Treffen der IFPS-Gesellschaften in Deutschland stattgefunden (1961 in Düsseldorf, 1968 in Göttingen, 1977 in Berlin).

Durch den brutalen Zivilisationsbruch der nationalsozialistischen Diktatur und die Ermordung und Vertreibung der jüdischen Mitmenschen waren u.a. die deutschen Wissenschaftler während und nach dem Zweiten Weltkrieg einige Jahre vom internationalen wissenschaftlichen Geschehen abgeschnitten. In den späten 1950er- und frühen 1960er- Jahren wandten sich viele deutsche Wissenschaftler wieder den ausländischen Kollegen zu und gründeten mit ihnen Vereinigungen oder traten bestehenden internationalen Vereinigungen bei32. Die zweite deutsche psychoanalytische Fachgesellschaft, die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV), die lange Zeit mit der DPG in scharfer Konkurrenz stand, war bereits 1951 in die IPA aufgenommen worden: „Die Auffassung, dass nach dem Krieg der ´Kontakt zur internationalen Entwicklung verloren´ war, dass es ´allzu vieles an psychoanalytischem Wissen nachzuholen´ gab, gehört zum Kernbestand der kollektiven

28 Anton Schelkopf (28.4.1914 - 19.05.1975) war in der Münchener psychoanalytischen Gesellschaft eine umstrittene Persönlichkeit. Er war von 1933 bis 1945 in der NSDAP und in der SS und arbeitete während der nationalsozialistischen Zeit als Kriegsberichterstatter. Er studierte in den 1930er-Jahren Kunstgeschichte, Psychologie und Theaterwissenschaft und wurde Regieassistent am Bayrischen Staatsschauspiel. Nach dem Krieg war er Produzent und Regisseur mehrerer Unterhaltungsfilme und Dokumentarfilme über psychologisch- medizinische Themen und wurde dann Funktionär in der deutschen Filmindustrie. 1958 begann er eine psychoanalytische Ausbildung am Münchner Institut (heute Akademie für Psychoanalyse), wo er 1968 für den Vorsitz kandidierte. Lotte Köhler machte daraufhin seine nationalsozialistische Vergangenheit publik, was nach langen Diskussionen dazu führte, dass Schelkopf die Kandidatur zurückzog. Der Konflikt führte zu einer Ausgrenzung Köhlers und ihrem Austritt aus dem Institut. Von 1972 bis zu seinem Tod 1975 war Schelkopf Generalsekretär der IFPS. Siehe: Brundke, A. (2008), Psychotherapie ohne Freud? Eine Spurensuche in München. In: Bauriedl, T. und Brundke, A., Psychoanalyse in München – Eine Spurensuche, Gießen, Psychosozial Verlag. Auch: Köhler, L. (1998), „Umsonst war´s nicht.“ Bericht einer betroffenen Zeitzeugin. In: Hermanns, L. (Hg.), Psychoanalyse in Selbstdarstellungen Band IV, Tübingen, edition discord. Zu Schelkopfs Biographie siehe den Eintrag bei Wikipedia zu „Toni Schelkopf“, Zugriff am 31.01.2016. 29 Helmut Bach (1922-2002) war Arzt, Psychoanalytiker und Professor an der Freien Universität Berlin. Er machte seine psychoanalytische Ausbildung in dem Institut für Psychotherapie (IfP, DPG) in Berlin, das er von 1972 bis 1982 leitete. 30 Zu den folgenden Personen, außer Jakov Katwan, siehe die Fußnoten im Kapitel 1. 31 Jakov Katwan, jüdischer Psychoanalytiker in Berlin; geb. 1933 in Rumänien, erlebte das jüdische Ghetto in Czernowitz, emigrierte über Zypern nach Israel. 1959 Studium der Psychologie in Berlin, Ausbildung zum Psychoanalytiker bei der DPG in Berlin. Er war zwischen 1977 und 1983 Generalsekretär der IFPS und organisierte das VI. Forum der IFPS in Berlin. 32 Schröter, M. (1999): Zurück ins Weite: Die Internationalisierung der deutschen Psychoanalyse nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Bude, H. und Greiner, B. (Hg.), Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik. Hamburg, Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft. 13

Identität der DPV.“33 Unterstützt durch Stipendien, die Alexander Mitscherlich34 seinen DPV- Kollegen vermittelte, reisten einige Mitglieder der DPV in den 1960er-Jahren nach Amerika, , Holland oder in die Schweiz, um dort Lehranalysen und Seminare zu machen. In den 1950er- und 1960er-Jahren lud Mitscherlich auch viele Dozenten aus dem Ausland nach Heidelberg und später nach am Main für Supervisionen und Seminare ein.

Der DPG wurde bis zum Jahr 2001 der Beitritt zur IPA verwehrt. Werner Schwidder wurde im Januar 1961 zum Vorsitzenden der DPG gewählt und nahm sofort Kontakt zu anderen psychoanalytischen Gruppen auf, die ebenfalls nicht der IPA angehörten. Zunächst fielen ihm Erich Fromm, der Horney-Kreis in New York und die französische Gruppe ein35. Vorher bereits kam Westerman-Holstijn von der Niederländischen Psychoanalytischen Gesellschaft auf die DPG zu und lud sie zu einem internationalen Kongress 1960 nach Amsterdam ein. Nach einem Vorlauf von zwei Jahren wurde dann 1962 die IFPS gegründet.

Die IFPS ist eine internationale psychoanalytische Organisation, die auf einer für wissenschaftliche Einrichtungen ungewöhnlichen Organisationsform beruht. Sie war seit ihrer Gründung 1962 jahrelang ohne Satzung und wurde nur durch eine einzelne Person, den Generalsekretär, zusammengehalten. Erst 1974, als die IFPS insgesamt dreizehn Mitgliedgesellschaften hatte, wurde die Organisation als zu unübersichtlich empfunden und der damalige Generalsekretär Anton Schelkopf arbeitete eine Satzung aus, in der es neben dem Sekretär einen Arbeitsausschuss und eine Generalversammlung gab. Die IFPS verfügt bis heute über nur geringe finanzielle Mittel, was mitunter früher dazu führte, dass der Generalsekretär seine Ausgaben aus eigener Tasche zahlen musste. Bis 1972 gab es nicht einmal Mitgliedsbeiträge. Bis 1983 musste jedes Mitglied umgerechnet 5,- DM zahlen. Die Kongresskosten wurden oft von den Veranstaltern persönlich getragen. Erst 1983 wurde der Beitrag erhöht, um überhaupt weiterarbeiten zu können.

Bis 1992 trat die IFPS nur dadurch in Erscheinung, dass sie alle zwei bis vier Jahre Tagungen abhielt, seit 1992 kommt eine vierteljährliche Zeitschrift dazu. Die Mitgliedsgesellschaften und –institute müssen zwar einige formale Aufnahmekriterien erfüllen, werden nach ihrer Aufnahme aber als autonome Einheiten betrachtet, auf die seitens der IFPS kein Einfluss, zum Beispiel bezüglich der Ausbildungsinhalte ausgeübt wird. Sie hat eine flache Hierarchie und kann der überschaubaren Menge von Funktionsträgern keine finanziellen Vorteile und nur begrenztes Ansehen innerhalb der internationalen psychoanalytischen Gemeinschaft bieten. Wenn man ihre Organisationsform mit der der American Academy of Psychoanalysis und der

33 Ebd., S. 101 34 Alexander Mitscherlich (1908-1982) war 1946 Beobachter der NS-Ärzteprozesse und schrieb zusammen mit Fred Mielke das Buch „Medizin ohne Menschlichkeit“. Er war Herausgeber der psychoanalytischen Zeitschrift PSYCHE, Autor vieler psychoanalytischer Texte und gründete und leitete das Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt/Main. Er war Mitglied der DPV. 35 Protokoll der Generalversammlung der DPG vom 04.01.1959 14 der IPA vergleicht, fällt auf, dass die IFPS zwar Gruppen, d.h. psychoanalytische Gesellschaften oder Institute aufnimmt (wie die IPA), aber keinen Einfluss auf die Ausbildungskriterien der einzelnen Gesellschaften nimmt (wie es die IPA weltweit tut). Der Unterschied zur American Academy of Psychoanalysis besteht darin, dass diese nur Einzelpersonen aufnimmt und sich ausschließlich als wissenschaftliche Vereinigung betrachtet und Ausbildungsfragen daher keinerlei Gewicht bekommen. Vor der Gründung der IFPS versuchten die Protagonisten der American Academy of Psychoanalysis, diese Idee einer internationalen psychoanalytischen Vereinigung jenseits der IPA, die in Europa entstanden war, in ihr eigenes Konzept zu integrieren und so eine International Academy of Psychoanalysis aufzubauen. Die Vollmitgliedschaft in der neuen Organisation sollte ebenso wie in der American Academy of Psychoanalysis den ärztlichen Psychoanalytikern vorbehalten bleiben, und Ausbildungsfragen sollten abgekoppelt sein. Es war vor allem Erich Fromm zu verdanken, dass diese Idee in Europa keinen Anklang fand. Mit der Autorität, dem Konzept und den finanziellen Möglichkeiten der American Academy of Psychoanalysis hätte die neue internationale Organisation ein völlig anderes Gesicht und vielleicht auch größeres Gewicht bekommen. Sie wäre aber sicher von den US-Amerikanern dominiert geblieben und weniger vielfältig und flexibel gewesen als es die IFPS war und ist. Auch hätte es eine enge personelle Verbindung zur IPA gegeben, da viele Mitglieder der Academy in beiden Vereinigungen Mitglied waren.

Mit ihrem Konzept und ihrer Struktur verzichtet die IFPS darauf, Autorität oder Identifizierungsobjekt für ihre Mitglieder zu sein, ganz anders, als die große, einflussreiche und mächtige IPA. Meine Arbeit wird zeigen, dass dieses Konzept von Beginn an präsent war und dass es trotz der beachtlichen Erweiterung und zunehmenden Institutionalisierung bis heute erhalten blieb. Ihr Prinzip wurde 1977 auf die Probe gestellt, als der Organisator der riesigen Berliner IFPS-Tagung, Jakov Katwan, die IFPS zum global player machen wollte. Auf die Tagung folgte eine institutionelle Krise und dann – das Beibehalten der früheren Grundsätze. Die Arbeit wird nach diesem Einschnitt enden und damit den Bogen von der Gründung, der langsamen Institutionalisierung bis hin zur „Sinnkrise“ schlagen. Ihre Entwicklung kann mit dem vergleichenden Blick auf die IPA aufgezeigt werden, welche die offizielle internationale Psychoanalyse repräsentiert und die manchmal zum äußeren Widersacher wird, durchgehend aber innerer Vergleichshorizont bleibt.

Obwohl die DPG neben dem WAWI die größte und einflussreichste Gründungsgesellschaft war, interessierten sich nur eine überschaubare Anzahl von DPG-Mitgliedern für die IFPS und wurden in ihr aktiv. Die meisten hielten den Wunsch nach einer IPA-Mitgliedschaft aufrecht und scheinen die IFPS nur als vorübergehende Notlösung betrachtet zu haben, wenn sie sie überhaupt zur Kenntnis nahmen. Besonders in den ersten zwanzig Jahren erfuhr die DPG

15 durch die Kollegen aus den anderen IFPS-Mitgliedgesellschaften jedoch eine große Wertschätzung und konnte sich international vernetzen und austauschen. Vergleicht man die schwierige Position der DPV, die sich zeitgleich in der IPA vielen kritischen Infragestellungen ausgesetzt sah, mit dieser Art Anerkennung, stellt man verblüfft die Diskrepanz fest und fragt sich, wie sie entstanden ist. Der wohl wichtigste Faktor bei der Beantwortung dieser Frage wird die Tatsache sein, dass in der IPA unter anderen diejenigen Psychoanalytiker waren, die Freud entweder selbst noch gekannt hatten oder in direkter Schülerschaft zu seinen Schülern standen und diese „Abstammung“ durchweg als positiv identitätsstiftend betrachtet wurde. Dadurch war das Schicksal Freuds und damit das Schicksal aller jüdischen psychoanalytischen Kollegen in und nach dem Nationalsozialismus in der IPA viel präsenter und emotional stärker besetzt als in der IFPS, deren Mitgliedgesellschaften sich eher in kritischer Distanz zu Freuds Lehre definierten und ihre fachliche und persönliche Identität entweder aus der Differenz zu Freud oder aus anderen beruflichen oder geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen schöpften. Die Loyalität zu Freud, die Identifizierung mit und auch Idealisierung von seiner Lehre war und ist bis heute das stärkste Bindemittel zwischen den IPA-Kollegen. Die deutschen Psychoanalytiker, die während des Nationalsozialismus in Deutschland geblieben waren, standen unter dem Generalverdacht der Illoyalität und des Verrats an Freud und an der Psychoanalyse, da sie ihren offiziellen Sprachgebrauch an den der Nationalsozialisten ein Stück weit angepasst hatten und auch deshalb, weil sie ihr Institut nach der Vertreibung der jüdischen Kollegen nicht geschlossen und die Vereinigung nicht aufgelöst hatten. Die DPV, deren Mitglieder ebenso wie die Mitglieder der DPG während der Nazi-Zeit praktiziert und gelehrt hatten, wurde zwar in die IPA aufgenommen, sah sich dort aber diesem Verdacht der Illoyalität mit Freud und seiner Lehre ausgesetzt. Der Vorwurf der Illoyalität und des Verrats traf die DPG in der IFPS nicht oder wenigstens lange nicht in dem Maße. Beides, die Loyalität mit Freud und mit seiner Lehre, war kein grundlegendes Kriterium des eigenen Selbstverständnisses als Psychoanalytiker bei den Mitgliedgesellschaften der IFPS. Abgesehen also von dem Vorwurf, sich in der NS-Zeit angepasst zu haben, waren die IFPS-Mitglieder den gleichen Vorwürfen seitens der IPA- Kollegen ausgesetzt. Die DPG konnte sich in der IFPS daher viel mehr als die DPV auf Augenhöhe mit den anderen wahrnehmen. Der Preis dafür war der Ausschluss aus der „Familie der Freudianer“ und der Vorwurf des „Vatermords“. Diesen Preis aber hatten alle zu zahlen, die sich den „Dissidenten“ zuordneten, nicht nur die Deutschen. Die DPV versuchte in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Rolle der Verräter, die sie in der IPA zugeschoben bekam, innerhalb von Deutschland auf die DPG zu projizieren. Sehr lange wurde suggeriert, Harald Schultz-Hencke, einer der profiliertesten Dozenten vor, während und nach der nationalsozialistischen Zeit, und seine Schüler hätten dem nationalsozialistischen Gedankengut nähergestanden als die Gründer der DPV. Aufgrund einiger Forschungen,

16 besonders von Regine Lockot, wissen wir, dass dies nicht zutraf36. Carl Müller-Braunschweig, Mitgründer der DPV, hatte Artikel veröffentlicht, in denen er sich des nationalsozialistischen Vokabulars ebenso bediente wie dies etwa Schultz-Hencke tat; und Gerhard Scheunert, zeitweise Vorsitzender der DPV, war NSDAP-Mitglied gewesen, was unter den Psychoanalytikern außer ihm nur noch über Johannes Heinrich Schultz gesagt werden kann. Aus heutiger Sicht erleben sich alle deutschen Psychoanalytiker, bis hin zu den zeitgenössischen, durch die Schuld der Shoah an Freud gebunden und sehen eine Distanzierung von Freud, ein Unabhängig-Werden von Freud unbewusst als einen antisemitischen, schuldhaften und damit unmöglichen Akt37. Die Auswirkung dessen ist ein Tabugefühl und eine Behinderung des freien Denkens. Das ist bedauerlich, aber bisher ist kein Ausweg abzusehen, wenn man innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft bleiben möchte. Michael Ermann, der der IFPS über 30 Jahre verbunden war, registriert innerhalb der IFPS einen tiefen Loyalitätskonflikt in Bezug auf Freud als dem Vater der Psychoanalyse. Ich würde meinen, dass dieser Konflikt alle deutschen Psychoanalytiker betrifft und dass die IFPS insofern eigentlich ein Stück mehr Möglichkeit zum unabhängigen Denken haben müsste, als sie sich immer schon in der Rolle der Außenseiter sah und diese Rolle nur zu akzeptieren brauchte. Damit stimmt die Einschätzung Ermanns überein, dass die IFPS mit ihren Konzepten des Interpersonellen, Intersubjektiven und des sozialanalytischen Ansatzes moderner ist als die Konzepte der IPA und die in der DPG, die sich heute der IPA zuordnet.

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden die Gründungsgeschichte der IFPS und die Geschichte ihrer Entwicklung der ersten zwanzig Jahre beschrieben. Sie wurde der der besseren Übersichtlichkeit halber in vier Kapitel aufgeteilt.

Das erste Kapitel des ersten Teils erzählt die Vorgeschichte der IFPS, in der sich Werner Schwidder von der DPG, A.J. Westerman-Holstijn von der Niederländischen psychoanalytischen Vereinigung und Erich Fromm über ihre theoretischen Voraussetzungen und ihre Wünsche aneinander verständigen und in der die erste internationale psychoanalytische Nicht-IPA Tagung 1960 in Amsterdam stattfindet. Interessant ist, dass bereits zu diesem frühen Zeitpunkt Westerman-Holstijn das Konzept der neuen internationalen Vereinigung so umreißt, wie es bis heute Gültigkeit hat: Keine Einmischung in die Ausbildungsfragen der Mitgliedsgesellschaften und in ihre internen Angelegenheiten, Interdisziplinarität mit anderen Geistes- und Naturwissenschaften, kein Kampf gegen die IPA, sondern eine Zusammenarbeit zwischen „Orthodoxen“ und „Liberalen“ und kein „Zurückschrecken“ vor der Revision von theoretischen Sichtweisen und methodischem Vorgehen. Mitglieder der IPA reagierten ablehnend auf die Möglichkeit einer Neugründung,

36 Siehe u.a.: Lockot, R. (1995), Mißbrauch, Disqualifizierung und Spaltung statt Entsühnung. In: „Spaltungen in der Geschichte der Psychoanalyse“, S. 106ff. 37 Ich verdanke diesen Gedanken einem persönlichen Gespräch mit Michael Ermann am 21.03.2017 17

Willi Hoffer bezeichnete die Teilnahme an dem nächsten internationalen Kongress der Nicht- IPA-Psychoanalytiker 1961 in Düsseldorf als Illoyalität gegenüber der IPA. Dies zeigt etwas von dem Klima des Misstrauens und der Entwertung innerhalb der psychoanalytischen Bewegung in den 1950er und 1960er Jahren. Der Kongress 1961 in Düsseldorf steht unter dem Titel „Neue Ergebnisse der Psychoanalyse“. Der nächste Kongress 1962 in Amsterdam trägt die Überschrift „Heutige Richtungen der psychoanalytischen Theorie und Therapie“. Die US-Amerikaner sind beeindruckt von der positiven Entwicklung der Psychoanalyse in Deutschland. Vor dem Zusammenschluss der DPG, dem Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie und Erich Fromms mexikanischer psychoanalytischer Gesellschaft zu der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft psychoanalytischer Gesellschaften“, wie die IFPS anfangs genannt wurde, spielt sich der Konflikt zwischen den Europäern und der American Academy of Psychoanalysis ab. Die Academy zog sich schließlich zurück, blieb aber in Kontakt mit der neugegründeten internationalen Vereinigung. Franz Heigl von der DPG wird der erste Generalsekretär der IFPS.

Das zweite Kapitel des ersten Teils stellt die drei Gründungsgruppen mit ihrer Geschichte und ihrer theoretischen Ausrichtung vor. Für die DPG wird die Person Werner Schwidder in den Mittelpunkt gestellt und sein Vortrag auf dem Amsterdamer Kongress 1962 referiert. Igor Caruso als Gründer des Wiener Arbeitskreises für Tiefenpsychologie, seine Biographie und ebenfalls sein Vortrag auf dem Amsterdamer Kongress und danach Erich Fromm mit seiner Biographie und seinem Vortrag 1969 auf dem III. Forum der IFPS werden beschrieben und komplettieren das erste Triumvirat der IFPS. Ein Jahr später tritt das WAWI mit Gerard Chrzanowski der neuen internationalen Vereinigung bei und wird mit der Biographie Chrzanowskis, der Entstehungsgeschichte des WAWI und Chrzanowskis Vortrag auf dem Kongress 1961 in Düsseldorf vorgestellt. Trotz der Begeisterung für die frisch gegründete Vereinigung gab es auch Skepsis untereinander. Die DPG und die Caruso-Gruppe beäugten sich misstrauisch und fragten sich, ob das, was die jeweils andere Gruppe vertritt auch Psychoanalyse genannt zu werden verdient. Auch Fromm und Chrzanowski hatten einen lange Zeit zurückliegenden, unaufgeklärten Konflikt, der sich im Laufe der Jahre vergrößern sollte. Nach der Darstellung dieser Konflikte geht es um die ersten gemeinsamen Projekte, die Planungen für den nächsten Kongress 1965 in Zürich, die Publikation der bisher gehaltenen Vorträge und das Interesse weiterer psychoanalytischer Gesellschaften an der neuen Internationalen Arbeitsgemeinschaft bzw. die Kriterien, die die IFPS für die Neuaufnahme heranzog.

Im dritten Kapitel des ersten Teils geht es zunächst um den ersten von der neuen internationalen Arbeitsgemeinschaft organisierten Kongress, der 1965 in Zürich stattfindet. In der offiziellen Zählung der Foren ist dies das zweite Forum, tatsächlich ist es das erste eigene

18 der IFPS. Die Kongressthemen sind: „Psychoanalyse und psychosomatische Medizin. Neue Ergebnisse und heutiger Stand der Forschung“, „Psychoanalyse der Aggression“ und „Neue Ergebnisse der Psychoanalyse“. Da der nächste Kongress um ein Jahr verschoben werden muss und erst 1969 in Mexiko stattfinden kann, erklärt sich die DPG bereit, eine kleinere internationale Tagung ein Jahr zuvor, 1968 in Göttingen abzuhalten. In Göttingen wird über psychoanalytische Kurztherapie, Kinder- und Jugendlichentherapie, Gruppentherapie und Psychosomatische Medizin gesprochen. In den Jahren 1968 und 1969 werden vier neue psychoanalytische Gruppen in die IFPS aufgenommen: Eine aus Prag, eine aus Madrid, eine aus Rio de Janeiro und eine aus Stockholm. Das III. Forum der IFPS in Mexiko behandelt die Themen „Indikation und katamnestische Erfolgsbeurteilung in der Psychoanalyse“ und „Psychoanalytische Behandlungstechnik und Trauminterpretation“. Im an das III. Forum interessieren sich Chrzanowski und zwei seiner New Yorker Kollegen für die historischen und theoretischen Hintergründe der deutschen Beiträge, von deren Niveau sie beeindruckt waren. Sie führen etwa vierzig Interviews mit Psychoanalytikern durch, die während der nationalsozialistischen Diktatur im deutschsprachigen Raum geblieben waren. Dieses spannende Projekt hat allerdings keinen befriedigenden Abschluss gefunden. 1970 findet eine kleinere internationale Tagung der IFPS in Madrid statt, auf der Werner Schwidder überraschend an einem Herzinfarkt stirbt. Diesem schweren Verlust für die junge Vereinigung folgt die Einführung eines „Werner Schwidder-Awards“, der Beiträge zur psychoanalytischen Forschung im Rahmen der IFPS honoriert. Im Jahr 1972 findet unter dem Titel „The Irrational in Psychoanalysis. Theoretical and Clinical Aspects“ das IV. Forum der IFPS in New York statt. In New York tritt Heigl als Generalsekretär zurück und übergibt den Posten an Anton Schelkopf, ebenfalls aus der DPG. Chrzanowski forderte in seiner Eröffnungsrede eine engere Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften und eine Organisationform für die IFPS, da sie ohne eine Form von Kontinuität nicht fortbestehen könne.

Im vierten Kapitel des ersten Teils wird dieses Thema fortgesetzt und beschrieben, wie 1974 unter dem Generalsekretär Schelkopf die erste Satzung der IFPS entsteht und damit eine Institutionalisierung dieser bislang unstrukturierten, losen Form der Zusammenarbeit einsetzt, in der man sich anfangs in überschaubarem Rahmen traf und alle sich kannten. Nach dem Beitritt von weiteren Gesellschaften kann dieser Rahmen nicht mehr gehalten werden. Chrzanowski fordert ein Organisationskomitee und es wird zum ersten Mal ein Mitgliedsbeitrag erhoben. Ende 1974 wird die erste Satzung der IFPS veröffentlicht und damit eine Generalversammlung, ein Executive Committee und ein Sekretariat eingerichtet. Eingangs der Satzung wird betont, dass „die volle wissenschaftliche und organisatorische Selbständigkeit der Mitgliedsgesellschaften“ Voraussetzung der Zusammenarbeit sei. Mindestanforderung für die Aufnahme in die IFPS ist ein Medizin- oder Psychologiestudium und eine mindestens 3- jährige psychoanalytische Weiterbildung mit Lehranalyse. 19

Die „Schweizerische Gesellschaft für Daseinsanalyse“ um Gion Condrau, die erst nach dem Forum als Mitgliedsgesellschaft aufgenommen wird, richtet das V. Forum wiederum in Zürich aus und wählt als Thema Titel „Individuum - Familie – Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit“. Bevor das VI. Forum wie vorgesehen 1976 in München stattfinden konnte, starb Schelkopf unerwartet, was eine Lähmung innerhalb der IFPS auslöste, die erst durch den Entschluss behoben werden konnte, das Forum ein Jahr später, 1977 in Berlin zu veranstalten. Jakov Katwan aus der DPG wird gebeten, das Forum zu organisieren. Er tut dies mit einem erstaunlichen persönlichen Einsatz und reist sieben Mal in die USA, um Redner zu gewinnen und um schließlich eine Großveranstaltung in der Berliner Kongresshalle mit fast 200 Vorträgen und 900 Gästen unter dem Titel „Psychoanalyse und menschliche Beziehungen“ auf die Beine zu stellen. Katwan wird auf dem Berliner Forum zum Generalsekretär gewählt. Sein Engagement für das Forum ruft sogar erneut den Protest der IPA hervor, die verlauten lässt, die Teilnahme stelle eine Gefahr dar, weil die Standards der psychoanalytischen Ausbildung gefährdet seien. Nach dem Forum hört er Kritik auch von unerwarteter Seite, da vor allem die US-Amerikaner monieren, die Größe der Veranstaltung sei auf Kosten von Qualität und Kontakt untereinander gegangen. Katwan hatte den Plan, die IFPS zu einer weltweit gewichtigen und verantwortungsvollen Organisation zu machen, die z.B. mit der WHO oder der UNESCO zusammenarbeiten sollte. Er forderte die IFPS heraus, sich öffentlich und selbstbewusst zu positionieren und zu einer eigenständigen Alternative zur IPA zu entwickeln. Vorhaben dieser Art fanden in der IFPS kein Echo und Katwan musste das Beste aus der Situation machen. Er formulierte die Satzung neu und erweiterte sie um das Vierfache. Er ergänzte z. B. die Mindestanforderungen für die Aufnahme neuer Gesellschaften und machte die Satzung insgesamt sehr viel verbindlicher und verpflichtender als die erste Formulierung. Auf der kleinen Tagung 1980 in Finnland wird sie verabschiedet. Die IFPS befindet sich nach dem Berliner Forum in einer jahrelangen Sinn- und Identitätskrise, die durch Katwan insofern mitverursacht worden ist, als er die IFPS mit ihrer unklaren Identität konfrontierte. Das nächste Forum fand erst 1985 statt. Die DPG zieht sich immer weiter aus der IFPS zurück und nimmt im Laufe der folgenden Jahre den Kontakt zur IPA auf. 2001 erreicht sie die Aufnahme in die IPA. Als Katwan 1983 die Position des Generalsekretärs an die US-Amerikanerin Ruth Turkell abgibt, verliert die DPG zunehmend an Einfluss in der IFPS und andere Gruppen werden wichtiger. Durch das Engagement der schwedischen Gruppe wird 1992 eine vierteljährliche Zeitschrift herausgegeben, in der sich zunehmend ein größeres Selbstbewusstsein entwickelt. Der Chefredakteur der Zeitschrift Jan Stensson gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass durch fortschreitende Forschung der “heroische Freud” allmählich zu einem “historischen Freud” werde. Dies würde seiner Ansicht nach einen Reifungsschritt der psychoanalytischen Community bedeuten.

20

Mit dieser Aussicht auf die folgenden Jahre schließt der erste Teil und damit der im engeren Sinne historische Teil, der sich auf die Geschichte der IFPS bezieht. Im zweiten Teil der Arbeit geht es um das Problem der „Dissidenten“ in der Psychoanalyse und ihren Zusammenhang mit der IFPS. Als „Dissidenten“ sind diejenigen Psychoanalytiker bezeichnet worden, die sich außerhalb des meist durch die IPA definierten theoretischen und methodischen Rahmens bewegt haben. Die Geschichte der „Abweichler“ ist lang und reicht zurück bis in die Anfangsjahre der psychoanalytischen Bewegung, in denen und Carl Gustav Jung die Gruppe verließen.

Das erste Kapitel des zweiten Teils der Arbeit befasst sich mit dieser Geschichte und geht auf einzelne „Abweichler“ ein, die für die IFPS eine Rolle spielten. Dann wird anhand der Debatte um den Unterschied zwischen Psychoanalyse und Psychotherapie in den USA der 1950er- Jahre der Horizont erläutert, vor dem sich die Gründung der IFPS vollzog. Das Kapitel schließt mit der Vorstellung der Menninger-Studie aus den 1950er- bis 1980er-Jahren, in der die Unterschiede zwischen den therapeutischen Ergebnissen von Psychoanalysen und Psychotherapien untersucht wurden. Alle beteiligten Psychoanalytiker hatten erwartet, dass die aufdeckende und deutende Technik der Psychoanalyse bessere und nachhaltigere Ergebnisse zeigen werde als die stützenden und Ich-stärkenden Techniken der Psychotherapie. Man hatte damit auch erwartet, dass sich Psychoanalysen klar von Psychotherapien würden unterscheiden lassen. Das überraschende Resultat der Studie, dass nämlich beide Techniken gute Erfolge zeigten, die sich nicht voneinander unterscheiden ließen und in manchen Fällen die psychotherapeutischen Prozesse sogar besser wirksam waren, wurde international jedoch wenig beachtet.

Das zweite Kapitel des zweiten Teils fragt nach dem theoretischen und praktischen Selbstverständnis der IFPS-Mitglieder und untersucht dafür vierzehn Vorträge, die auf den IFPS-Kongressen zwischen 1962 und 1974 gehalten und in sechs Bänden veröffentlicht wurden. Das Kriterium für die Auswahl der Texte war die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe etwas über das gemeinsame Selbstverständnis der IFPS-Gesellschaften auszusagen. Wir finden in der Auswertung und Zusammenfassung die Grundsätze, von denen oben bereits die Rede war: Eine Skepsis in Bezug auf die Triebtheorie, eine Öffnung der Behandlungspraxis für neue Methoden, die den Bedürfnissen der Patienten angepasst waren, einen Wunsch nach wissenschaftlicher Fundierung der Erkenntnisse in Studien, eine große Offenheit für neue und auch eigenwillige Konzepte und einen Wunsch nach Austausch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Ein Zug, der die Theorien der IFPS-Mitglieder von Beginn an zudem begleitet, ist ein großes Interesse an interpersonellen, d.h. familiären, gesellschaftlichen und auch politischen Einflüssen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Die Ausarbeitung dieser Zusammenhänge hat den „common ground“ der zeitgenössischen

21

Psychoanalyse, den Viele in den Theorien der Relationalen und Intersubjektiven Psychoanalyse sehen, mit vorbereitet. Die Konzepte von Fromm und Caruso gehen mit ihrem gesellschaftspolitischen Anspruch über diese Theorien hinaus. Vieles spricht heute dafür, die Gräben zwischen den einzelnen psychoanalytischen Schulen und berufspolitischen Gruppen aufzuheben und sich gemeinsam den Herausforderungen an eine moderne Psychoanalyse zu stellen. Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung, der Hirnforschung, der Biologie, der psychosomatischen Medizin, der Soziologie erhärten einige der „alten“ psychoanalytischen Annahmen und negieren andere. Zugleich erfährt die Psychoanalyse in Theorie und Praxis eine große Bereicherung durch diese Erkenntnisse. Die Forderung an die Psychoanalyse, eine „normale Wissenschaft“38 zu werden, anstatt eine Bewegung zu sein, die sich nach allen Seiten hin verteidigen muss und dies auch innerhalb der eigenen Gruppe tut, erscheint angemessen und sinnvoll.

38 Altmeyer, M. (2011), Soziales Netzwerk Psyche. Versuch einer Standortbestimmung der modernen Psychoanalyse. Forum der Psychoanalyse Band 27, Heft 2, S. 109. 22

Erster Teil

Kapitel 1

1.1. Vorgeschichte der International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS)

1959 hat die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) 21 Mitglieder39, die sich auf die Gruppen in Berlin, Göttingen und München verteilen. Auf der Generalversammlung am 04.01.1959 stellt der damalige Vorsitzende Franz Baumeyer fest, die Gesellschaft habe in den letzten Jahren „ein eher stilles Leben“ geführt und man wolle zwecks einer Aktivierung der Gesellschaft im nächsten Jahr eine Arbeitstagung in Göttingen veranstalten. Dazu sollten auch ausländische Kollegen eingeladen werden: Psychoanalytiker aus dem New Yorker Kreis um Karen Horney, Erich Fromm, Herbert Binswanger und einige Kollegen aus Belgien, Holland und Frankreich werden vorgeschlagen. Themen sollten u.a. sein: „Über Behandlungsabbrüche und Misserfolge“, „Bedeutung und Handhabung der Gegenübertragung“ oder „Die Beteiligung des Analytikers am Heilungsprozess“. Man beschließt außerdem, der Einladung von Westerman-Holstijn,40 dem Vorsitzenden der Niederländischen Psychoanalytischen Gesellschaft zu einem internationalen Colloquium im September 1960 in Amsterdam zu folgen. Schwidder wird auf dieser Generalversammlung zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er wird in den nächsten Jahren große Anstrengungen unternehmen, um die DPG zu einer internationalen Anbindung zu führen.

Auf der Mitgliederversammlung der DPG am 24.10.1959 wird bereits über eine Tagung 1960 in kleinerem internationalen Kreis und eine größere internationale Tagung 1961, die in Deutschland stattfinden soll, gesprochen. Schwidder möchte nicht damit warten, da sich „jetzt so fruchtbare Diskussionen anbahnen, dass man sie fortsetzen sollte“. Er schlägt vor, über Fragen der psychoanalytischen Behandlungsmethodik, z.B. den Verlauf einer

39 Lockot, R. (2010), DPV und DPG auf dem dünnen Eis der DGPT. In: Psyche 64. Jg., Klett-Cotta, Stuttgart, S. 1218. 40 Westerman-Holstijn war bedeutsam für die Vorgeschichte der IFPS, trat dieser aber dann nicht bei. (Für die folgenden Ausführungen über A.J. Westerman-Holstijn danke ich Michael Schröter für seine Übersetzung aus Stroeken, H. (1997): „Freud in Nederland“ und Stroeken, H. (2014): Een Ontwikkelingsgeschiedenis van de Psychoanalyse“) A.J. Westerman-Holstijn (1891-1980) geboren als Sohn eines mennonitischen Priesters in den Niederlanden, studierte Medizin und promovierte 1929 bei dem Psychiater und Neurologen G. Jelgersma (1859- 1942). Er machte seine Lehranalysen bei J.H.W. van Ophuijsen und Theodor Reik, wurde 1934 Privatdozent an der Universität in Amsterdam. Er trat 1936 wegen Unstimmigkeiten aus der Niederländischen Psychoanalytischen Vereinigung und damit aus der IPA aus. Westerman-Holstijn, ein eigensinniger, selbstbewusster und in vielen Gruppen und Verbänden vernetzter begabter Organisator, lehnte es ab, sich von der IPA Vorschriften bezüglich der Ausbildung von Psychoanalytikern machen zu lassen. Er war ein Verfechter der nationalen Autonomie. 1941 weigerte er sich, eine Ariererklärung zu unterschreiben und wurde deshalb als Privatdozent abgesetzt. Er gründete 1947 die Nederlands Psychoanalytisch Genootschap (Niederländische Psychoanalytische Gesellschaft) und wurde 1952 wieder Dozent an der Universität Amsterdam. Seine Vereinigung sprach sich klar gegen die Laienanalyse aus und befürwortete die Integration von Psychoanalyse und Psychotherapie. Er war 24 Jahre lang Vorstandsmitglied der Niederländischen Vereinigung für Psychiatrie und Neurologie, 1960 deren Vorsitzender.

23

Behandlungsstunde oder den Prozess eines besonderen Problems innerhalb der Behandlung zu sprechen. Franz Heigl bringt das Thema der Gegenübertragung ein. Für die Tagung 1961 wünscht sich Schwidder eine „Grundlagendiskussion auf breiter Ebene“, zu der Vertreter verschiedener Schulen kommen sollen, etwa der Horney-Kreis aus New York oder der Kreis um aus London (Vorschlag von Fuchs-Kamp). Auch Franz Alexander habe versprochen, 1961 von nach Europa zu kommen; Heigl habe guten Kontakt zu Erich Fromm und solle ihn einladen41. Es fallen auch die Namen von Sándor Radó, Martin Grotjahn und René Spitz42. Man solle einzelne psychoanalytische Schulen miteinander vergleichen, z.B. die eigene Vorgehensweise mit der der Horney-Gruppe. René Laforgue43 beklagt auf dieser Versammlung, dass „die geistige Grundlage der orthodoxen Gruppe“ verloren gegangen sei. Die Unabhängigen, wie Alexander, hätten sich gegen den bestehenden Gruppengeist gewehrt und dem Dogmatismus in der Psychoanalyse den Kampf angesagt. Die orthodoxe Gruppe sei auf sozialem Gebiet in der Dekadenz begriffen und diejenigen, die den Namen der Orthodoxen retten, seien gerade die Unabhängigen, die sich nicht einspannen ließen. Dieser kämpferische und polemische Gestus Laforgues wird jedoch von den Mitgliedern der DPG nicht aufgegriffen.

Am 11.11.1960 fragt Schwidder in einem Brief bei Fromm an, ob er bereit wäre, auf einem internationalen psychoanalytischen Treffen 1961 einen Vortrag über das Thema seines letzten Buches zu halten, „Der moderne Mensch und seine Zukunft“. Er erklärt, die DPG habe nach dem Krieg ihre Arbeit in der Art fortgesetzt, dass sie auch die von der orthodoxen Psychoanalyse abweichenden Positionen ausgiebig diskutiert habe und nennt Radó, Alexander, Horney, Schultz-Hencke44, Sullivan45, Thompson46 und Thomas French: „Unser Bemühen geht jetzt dahin, dass wir eine unorthodoxe Weiterentwicklung der Psychoanalyse im Licht neuer Erkenntnisse anstreben“. Da die DPG auf dem Zürcher Internationalen Kongress 1949 wegen der „ketzerischen Ansichten“ von Schultz-Hencke nicht in die IPV aufgenommen worden sei, gehe das Bestreben heute dahin, mit den liberalen

41 Franz Heigl hatte Ende der 1950er Jahre ein Seminar über „Die humanistische Psychoanalyse Erich Fromms“ gehalten und sie in drei Teilen in der Zeitschrift für Psycho-somatische Medizin, 7.Jg. 1960/61 veröffentlicht. 42 Franz Alexander, Sándor Radó, René Spitz und Martin Grotjahn waren jüdische Psychoanalytiker aus Österreich und Deutschland, die nach 1933 nach England oder USA emigrierten. Franz Alexander gründete in Chicago das erste psychoanalytische Ausbildungsinstitut. Er schrieb einige Bücher über seine psychotherapeutische Haltung und Methode, die von der „klassischen“ Psychoanalyse abwich. Zu seiner Biographie und seinem Werk siehe auch den 2. Teil, 1. Kapitel. 43 René Laforgue (1894 1962) war Psychiater und einer der ersten und bekanntesten Psychoanalytiker in Frankreich. Er arbeitete im Krankenhaus St-Anne in und machte seine Lehranalyse bei Eugenie Sokolnicka. 1926 war er Mitbegründer der Société Psychanalytique de Paris. 44 Zu Harald Schultz-Hencke siehe 1. Teil, 2. Kapitel und 2. Teil, 1. Kapitel. 45 Zum Leben und Werk von siehe: Conci, M. (2005), Sullivan neu entdecken. Psychosozial- Verlag, Gießen. 46 Clara Thompson (1893-1958), US-amerikanische Ärztin und Psychoanalytikerin. Sie war Mitarbeiterin Adolph Meyers und befreundet mit Harry Stack Sullivan. Zwischen 1928 und 1933 verbrachte sie mehrfach längere Zeit in , um bei Sándor Ferenczi in Analyse zu gehen. Sie war Präsidentin der Washington-Baltimore Psychoanalytic Society und wurde 1936 Mitglied der New York Psychoanalytic Society (NYPS). Zusammen mit Fromm, Horney und Sullivan gründete sie 1941 die Association for the Advancement of Psychoanalysis (AAP). 1943 gründete sie mit Fromm das New Yorker Institut der Washington School of , seit 1946 William Alanson White Institute und war bis 1958 Leiterin des Instituts. 24 psychoanalytischen Gruppen in engeren Kontakt zu treten. Es sollen Alexander, Radó, Grotjahn, Edith Weigert-Vowinckel47, Theodor Reik, Gustav Hans Graber, Laforgue, Frederick Weiss (Horney-Institut) und andere Kollegen aus der Schweiz, Frankreich und Holland eingeladen werden.

Westerman-Holstijn nimmt ebenfalls Kontakt zu Fromm auf und erklärt diesem seine eigene Position bezüglich der IPA: „Selbst bin ich schon ein paar Jahre vor dem Krieg aus der Niederländischen Vereinigung ausgetreten, da ich mich in den damals vorherrschenden dogmatischen Auffassungen und psychischen Rigidität nicht mehr zu Hause fühlte (…)“48. Seine Gruppe stehe offen für neue Zugänge in der Praxis und für revisionistische theoretische Ansichten und verspreche sich einen Gewinn durch Kontakte mit neueren biologischen, phänomenologischen und interpersonalistischen Einsichten. Man beabsichtige, nach dem erfolgreichen Kongress (in Amsterdam), dergleichen Zusammenkünfte regelmäßiger zu veranstalten. Fromm antwortet: „I feel, like yourself, that the orthodox and dictatorial way in which this International Psychoanalytic Society is run is a definite handicap to the scientific development of analysis and hence that a new international grouping of psychoanalysts who do not have this orthodox outlook would be very desirable”49.

47 Zum Leben und Werk Edith Weigert-Vowinckels siehe: Holmes, M. (2007): Düsseldorf-Berlin-Ankara- Washington: Der Lebenslauf von Edith Weigert, geb Vowinckel. In: Luzifer-Amor, Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, 20. Jg., Heft 39, Tübingen, edition diskord. 48 DPG-Archiv 22/2. Brief Westerman-Holstijn an Fromm vom 30.09.1960. Für die Überlassung der Kopie des Briefes danke ich R. Lockot. 49 DPG-Archiv 22/2. Brief Fromm an Westerman-Holstijn vom 19.11.1960. Mit Dank an R. Lockot. 25

1.2. Internationaler Kongress in Amsterdam 1960

In der Zwischenzeit hatte im September 1960 an der Universität von Amsterdam eine erste internationale Konferenz von einigen psychoanalytischen Gruppen stattgefunden, die nicht der IPA angehörten. Organisiert wurde sie von der Société Française de Psychanalyse und der Niederländischen Psychoanalytischen Gesellschaft und das Thema lautete „Weibliche Sexualität“. Die Teilnehmer kamen aus der DPG, von der New York Society of Freudian Psychologists, der Belgian Society of Psychoanalysis und der Groupe psychanalytique de Strasbourg. Es trafen sich dort unter anderen Alexander, Reik, , Laforgue, Daniel Lagache und Angelo Hesnard. Von der Wiener Gruppe um Igor Caruso50 waren Raoul Schindler und Rosa Tanco Duque dort, Claude Piron von der belgischen Gruppe. Westerman- Holstijn berichtet am 16.09.196051 dem Vorsitzenden der American Academy of Psychoanalysis52, Roy Grinker, davon und fragt, ob seitens der Academy Interesse an regelmäßigen Treffen der „freien“ Freudianischen Gesellschaften bestehe. Alexander habe ihn auf die Academy aufmerksam gemacht und den Kontakt empfohlen. Man lege in Europa großen Wert gerade auf den näheren Kontakt mit den amerikanischen Kollegen, vor allem solchen, die, obwohl auf den Standpunkt der wichtigsten Freudschen Erkenntnisse stehend, nicht vor einer Revision aktueller theoretischer Sichtweisen und praktischer Ansätze zurückschreckten und außerdem eine Zusammenarbeit mit anderen Natur- und Geisteswissenschaften wünschen. Eine mögliche Organisation nicht-dogmatischer Gesellschaften wolle sich weder in die internen Ange-legenheiten der jeweiligen Gesellschaften noch in ihre Ausbildungsfragen einmischen. Auch wolle man sich nicht als eine Gesellschaft verstehen, die gegen die IPA kämpfe, im Gegenteil wolle man den Kontakt sowohl zu „orthodoxen“ als auch „nicht-orthodoxen“ Kollegen aufbauen. Da es unerschwinglich teuer sei, aus Europa in die USA zu reisen, hoffe man auf den Besuch der Amerikaner in Europa.

Die Konferenz wurde von Lacan mit seinen später publizierten „Leitsätzen für einen Kongress über weibliche Sexualität“ eröffnet53. Die Mitstreiterin Lacans und später in ganz Frankreich als Kinderanalytikerin berühmt gewordene Françoise Dolto hielt einen Vortrag, die Psychoanalytiker und Lacan-Schüler Wladimir Granoff und François Perrière sprachen über weibliche Perversion, Daniel Lagache über „Dialectique phallocratique et sexualité féminine“,

50 Zur Person und dem Werk Carusos siehe 1. Teil, 2. Kapitel. 51 DPG-Archiv 22/2. Mit Dank an R. Lockot. 52 Die American Academy of Psychoanalysis wurde 1956 durch US-amerikanische ärztliche Psychoanalytiker gegründet, die sich mit den psychoanalytischen Institutionen unzufrieden fühlten und dafür plädierten, in der Psychoanalyse mehr Offenheit, Dialogbereitschaft und Wissenschaftlichkeit zu etablieren. Unter den 76 Gründern waren F. Alexander, S. Radó, G. Chrzanowski, F. Fromm-Reichmann. Der Präsident wechselte jährlich. 53 In: Lacan, J. (1966), Ecrits, aux Èditions du Seuil, Paris; S. 725-736. 26 die Kanadierin Camille Laurin trug einen historischen Abriss der Debatte über die weibliche Sexualität vor54. Auch Westerman-Holstijn hielt einen Vortrag.

Auf den beiden folgenden Kongressen 1961 in Düsseldorf und 1962 erneut in Amsterdam nehmen nur wenige Franzosen teil (zwei 1961, sechs 1962) und die Lacan-Gruppe gar nicht mehr. Die französischen Gruppen außerhalb der IPA sollten auch zukünftig kein Interesse an einer internationalen Vereinigung zeigen und traten bis heute nie in die IFPS ein. Westerman- Holstijn berichtet Schwidder in einem Brief vom 15.08.1964, als es um die Suche nach einem geeigneten Ort für das nächste Forum ging: „Und weiter haben wir in Paris keinen Vertreter, Bour wohnt ja im Norden (Die Société Française scheint in Auflösung zu sein – Lagache hat eine neue Vereinigung gestiftet, dessen Mitglieder von der IPA gewählt sind und Lacan hat mit seinen Schülern eine eigene Gruppe gestiftet, die sofern ich sehen kann, nur auf seinen eigenen Ideen und Denkweise basiert. Man ist da wahrscheinlich zu narzisstisch- partikularistisch, um sich der Forum-Idee anzuschließen)“.55

Die Gruppe um Lacan, die Société Française de Psychanalyse, bemühte sich zwischen 1961 und 1963 um eine Aufnahme in die IPA, was auch ein Grund für die Zurückhaltung in Bezug auf eine Teilnahme an einer internationalen Vereinigung außerhalb der IPA gewesen sein mag. Aufgrund von provozierenden Aussagen Lacans über die in seinen Augen uninspirierte und Anpassung fordernde Ausbildungspolitik der IPA und vor allem wegen seiner Weigerung, die variable Sitzungsdauer aufzugeben wurde das Aufnahmegesuch abgelehnt und Lacan außerdem mit einem Verbot belegt, Lehranalysen durchzuführen. Er gab daraufhin seine Bemühung um die IPA auf, baute seine eigene Lehre und seine eigene Vereinigung aus, in der er auch weiterhin Lehranalysen gab56.

54 Für die Vorträge siehe: La Psychanalyse 7, 1962. Vgl. auch: Roudinesco, E., Jacques Lacan & Co: A History of Psychoanalysis in France, 1925-1985. S. 513ff. (In der Staatsbibliothek Berlin steht La Psychanalyse 7 unter der Signatur 12Per1423-7.1964). 55 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder vom 15.08.1964. 56 Roudinesco, E. (1996), Jacques Lacan, Bericht über ein Leben, Geschichte eines Denksystems. Köln, Kiepenheuer & Witsch, S. 367ff. 27

1.3. Der „Pre-Congress“ 1961 in Düsseldorf (6.–11. September)

Schon bald nach dem Kongress in Amsterdam übernimmt die DPG in Zusammenarbeit mit Westerman-Holstijn die Planung für das nächste Treffen. Es sollte in Deutschland, in einer Stadt mit Flughafen stattfinden, zunächst einigt man sich auf Köln. Im Verlauf des Frühjahres 1961 wird der Tagungsort wegen der besseren Verkehrsanbindungen nach Düsseldorf verlegt. Leitthema des Kongresses ist: „Neue Ergebnisse der Psychoanalyse“.

Schwidder schreibt Einladungen unter anderem an René Spitz, Theodor Reik (Absage durch Margarete Krafft, da „Dr. Reiks Arzt ihm geraten hat heuer von einer Europareise Abstand zu nehmen“57), Franz Alexander, Martin Grotjahn, Edith Weigert, Nelly Wolffheim (die in London lebt und erfreut ihre Teilnahme zusagt: „Sollte ich das Erscheinen eines Kongressbuches noch erleben, abonniere ich schon jetzt darauf“58), Melanie Klein, Marie Langer, Erich Wittkower, Heinrich Racker, , , Felix Deutsch, Angel Garma, Sepp Schindler, Caruso und Raoul Schindler, René Laforgue, Sándor Radó, Erich Fromm, Frederick Weiss, Medard Boss59, A. Jores, Sigmund Biran60, Gerard Chrzanowski, Helm Stierlin, Herbert Binswanger, L.N.J. Kamp, John A. Millet61, Tanco Duque. Gustav Bally erhält von Schwidder einen Brief mit der Bitte um einen Vortrag zu „Daseinsanalytische Gesichtspunkten für die psychoanalytische Behandlung“ und mit einer Erklärung, dass die DPG, anders als die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV)62 und die IPA, der Ansicht sei, sowohl Schultz-Henckes Ergebnisse als auch die Weiterentwicklungen der amerikanischen Kultur- Schule und die Franz Alexanders und Sándor Radós seien zu integrieren63. Kurz darauf sagt Bally wegen anderer Vortragsver-pflichtungen ab. Schwidder rechnet im Juli 1961 mit 20-25 Teilnehmern an dem Kongress.

Westerman-Holstijn will in Düsseldorf auch das nächste internationale Treffen vorbereiten, das bereits ein Jahr später erneut in Amsterdam stattfinden sollte. Er schlägt schon im Juli 1961 vor, ein Organisationskomitee für die kommenden internationalen Treffen zu gründen, dessen Zentrale in der DPG liegen sollte. Er macht sich auch Gedanken, ob die Kosten der Kongresse

57 Brief Krafft an Schwidder vom 25.04.1961. 58 Brief Wolffheim an Schwidder vom 18.07.1961. 59 Medard Boss (1903-1990) war Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker. Er machte eine Psychoanalyse bei Freud und befreundete sich später eng mit Martin Heidegger. In der von ihm vertretenen Daseinsanalyse verbanden sich Anteile der Psychoanalyse mit der Philosophie Heideggers. 60 Dr. med. Sigmund Biran, israelischer Psychiater und Psychoanalytiker; lebte in Tel-Aviv, Jaffa. 61 John A. Millet war 1959-1960 Präsident der American Academy of Psychoanalysis. 62 Die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV) wurde 1950 durch eine Abspaltung von der DPG gegründet und kurz darauf in die IPA aufgenommen. Zum Verhältnis von DPG und DPV siehe die späteren Kapitel. 63 Brief Schwidder an Bally vom 14.01.1961. 28 vielleicht aus einer Erhöhung der Mitgliedsbeiträge der teilnehmenden Gesellschaften um die Kongressgebühren gedeckt werden können64.

Am 15. August 1961 sagt Radó wegen einer Operation seines Sohnes ab. Alexander sagt Schwidder am 22. August 1961 in einer Unterredung auf einem Kongress in Wien mit der Begründung ab, die DPV mit Alexander Mitscherlich, den er sehr schätze, nehme ja nicht teil. Die Enttäuschung auf Seiten Schwidders und Westerman-Holstijns über diese beiden Absagen ist groß, da sowohl Radó wie auch Alexander zu den bekanntesten Gästen gehörten, die viel Interesse an dem Kongress erregt hatten. Beide hätten mit ihrer Anwesenheit geholfen, dem Kongress das Ansehen von seriöser, etablierter, liberaler Psychoanalyse zu geben. Alexander hatte am 28. Juli 1961 einen bedauernden Absagebrief an Westerman-Holstijn geschrieben, in dem er seine Unterstützung für die Freiheit der Wissenschaft und gegen den Einfluss politischer Überlegungen in wissenschaftlichen Organisationen betont und seinem Wunsch Ausdruck verleiht, dass die American Academy of Psychoanalysis ihre Aktivitäten international ausweitet. Es sei allerdings nicht wünschenswert, die IPA-Gesellschaften von der Einladung auszuschließen und er hoffe, dass im nächsten Jahr beide deutschen psychoanalytischen Gesellschaften an diesen internationalen Treffen teilnehmen können65. Schwidder beklagt, dass die IPA erreicht habe, „dass neben Grotjahn und Frau Weigert nun auch Herr Alexander abgesagt hat“66. Er habe die Gesinnung, die durch diese sehr späte Absage (wenige Wochen vor Kongressbeginn) zum Ausdruck komme, „bei Alexander am wenigsten vermutet“ und denke, „sie verbinden sich auch wohl noch mit alten Ressentiments gegen Deutschland.“67 Leon Salzman äußert gegenüber Westerman-Holstijn die Vermutung, dass Willi Hoffer68 die größte Unruhe gestiftet habe.69 Durch eine Fehlleistung Alexanders, der an Salzman einen Brief schrieb, diesen aber an Westerman-Holstijn adressierte, gelangte Westerman-Holstijn zu der Information, dass Hoffer Edith Weigert angerufen hatte und sie warnte, die Mitarbeit am Düsseldorfer Kongress werde als Illoyalität gegenüber der IPA gewertet. Auch Westerman-Holstijn wundert sich über Alexanders Zurückhaltung und Rückzug, da dieser doch immer ein selbständiger Mensch gewesen sei.70 Schwidder besprach das Vorgehen der IPA gegen die Initiative der Nicht-IPA-Gruppen mit Westerman- Holstijn und berichtete, dass er bereits von Fromm, Laforgue und anderen, die zuletzt im Ausland waren, gehört hatte, die IPA setze sich sehr aktiv gegen ihre Bestrebungen eines

64 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder vom 30.07.1961. 65 Alexander an Westerman-Holstijn vom 28.07.1961. 66 Brief Schwidder an Riemann vom 03.08.1961. 67 Ebd. 68 Willi Hoffer (1897-1967) war zu der Zeit Ehren-Vizepräsident der IPA. 1949 bis 1959 war er alleiniger Herausgeber des International Journal of Psychoanalysis und von 1959 bis 1962 Präsident der British Psychoanalytical Society. 69 Brief Salzman an Westerman-Holstijn vom 13.08.1961: „I am very sorry about the confused German situation. I agree with you that all the fuss about the politics of the German psychoanalytic societies is unnecessery and follocious (sic!). It seems that Hoffer has sterred (sic!) up most of the trouble.” 70 Brief Westerman-Holstijn an einen ungenannten Kollegen, vermutlich Schwidder, vom 17.07.1961. 29 breiteren wissenschaftlichen Austausches ein71. Dies sei sicher auf die Initiative der deutschen Gruppe um Mitscherlich und Gerhard Scheunert zurückzuführen, die jegliche seiner Einladungen zur Zusammenarbeit zurückgewiesen hätten. Auf eine Tagung der DPV 1961 in Berlin seien zwar ausländische Psychoanalytiker eingeladen gewesen, nicht aber Mitglieder der DPG.72 Da der DPG diese Tagung (der DPV) moralisch nicht geschadet habe, sei es nicht einzusehen, warum der IPA und der DPV der Düsseldorfer Kongress schaden solle. Er schließt seine Überlegungen mit der Vermutung: „Der Hintergrund scheint mir eher zu sein, dass die wissenschaftliche Aktivität und allgemeine Anerkennung unserer Gruppe größer ist und daher mit so unlauteren Mitteln gekämpft wird“. Im August 1961 fühlt sich Schwidder durch die Haltung der DPV und der IPA so unter Druck gesetzt, dass er eine Erweiterte Vorstandssitzung der DPG einberief, in der er beklagt, „dass trotz unserer Bemühungen um Zusammenarbeit (…) unsere Bestrebungen nach breiteren wissenschaftlichen Kontakten von der DPV und IPA boykottiert“ würden.73 Er habe einen Brief an Tobias Brocher74 geschrieben und versucht, ihre Einstellungen zu erklären und er schlage auch vor, trotz der „Anzeichen von aktiver Gegenarbeit“ dabei zu bleiben, die DPV zu Veranstaltungen und zu anderen Formen der Zusammenarbeit einzuladen. In dem erwähnten Brief an Brocher erklärt Schwidder, dass das Interesse der psychoanalytischen Gesellschaften an einer neuen internationalen Vereinigung „nicht durch ein gemeinsames Anti bei sehr verschiedenartigen Konzeptionen gekennzeichnet (sei), sondern durch das Bestreben, neue psychoanalytische Erkenntnisse vorurteilslos zu diskutieren“75. Er sei bereit, der Bitte Brochers als Vorsitzendem der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT)76 nachzukommen und die internationalen Veranstaltungen im Voraus bekannt zu geben, obwohl die DPV dies ihrerseits nicht tue und auch bisher an den Veranstaltungen der DPG nicht interessiert gewesen sei. Entgegen der Erwartung Schwidders kam Brocher am ersten Kongresstag, er musste dann jedoch nach einem Tag „aus dringlichen, akuten, persönlichen Gründen“ abreisen. Einen ähnlich scharfen Angriff von Seiten der IPA gab es erst wieder im Jahr 1977, als der damalige Vorsitzende Joseph Sandler alle Mitglieder der IPA davor warnte, einen „sogenannten psychoanalytischen Kongress“ - das VI. Forum in Berlin - zu besuchen77.

71 Brief Schwidder an Westerman-Holstijn vom 28.07.1961. 72 Ebd. 73 Protokoll der Erweiterten Vorstandssitzung der DPG vom 10.08.1961. 74 Tobias Brocher (1917-1998) war 1949 Mitgründer der DGPT und zwischen 1964 und 1968 ihr Vorsitzender. Er gehörte der DPV an. Zu seiner Person siehe: Brocher, Tobias (1998). Interkulturelle Begegnungen in einer sich wandelnden Welt. In: Hermanns, Ludger (Hrsg.), Psychoanalyse in Selbstdarstellungen, Band IV. Edition diskord, Tübingen. 75 Brief Schwidder an Brocher vom 17.08.1961. 76 Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) wurde 1949 als Dachgesellschaft für alle Psychoanalytiker und psychoanalytische Gesellschaften in Deutschland gegründet, die den Ausbildungsstandards der DGPT entsprachen. Zur Geschichte der DGPT siehe die Homepage der DGPT: „Chronik zur Geschichte der Psychotherapie und zur Psychoanalyse von 1918 bis 1975“ von Regine Lockot. 77 Brief Judd Marmor an Joseph Sandler vom 28.06.1977 und Brief Judd Marmor und Jules Masserman an den Herausgeber des International Journal of Psychoanalysis, undatiert. 30

Medard Boss übernimmt nach den Absagen von Alexander und Radó kurzfristig das Präsidium des ersten Kongresstages, das zunächst Radó zugedacht war. Binswanger übernimmt einen der ausgefallenen Vorträge. Zu dem Kongress kommen 280 Teilnehmer: 204 aus Deutschland, 37 aus Holland, zwölf aus der Schweiz, sieben aus den USA, jeweils drei aus Norwegen und Belgien, jeweils zwei aus Schweden, Österreich, Brasilien und Frankreich und jeweils einer aus Israel, Libanon, Jugoslawien, England, Kolumbien und Mexiko. Es werden 22 Vorträge gehalten, elf davon sind in den ersten beiden Kongressbänden „Fortschritte der Psychoanalyse“ veröffentlicht (Weiss, Chrzanowski, Biran, Schwidder, Hau, Fritz Riemann78, Westerman-Holstijn, R. Schindler, Siegfried Elhardt, Fromm und Klaus Hagspihl), vier weitere in der „Zeitschrift für Psycho-Somatische Medizin“. Von achtzehn Vorträgen existieren Kurz- referate. Es liegen so entweder die Texte oder Kurzreferate von insgesamt zwanzig Vorträgen vor.

Die DPG-Mitglieder hielten allein zehn Vorträge. Sämtliche ihrer Vorträge sind klinisch orientiert und praxisbezogen. Schwidder, Hau, Heigl und Hagspihl sprechen über allgemeine Probleme der Psychopathologie und der Behandlung, Quint und Elhardt behandeln spezielle psychosomatische Phänomene, Fuchs-Kamp referiert über eine spezielle Psychoseform, Riemann nimmt den Einfluss der Persönlichkeit des Psychoanalytikers in den Blick und Annemarie Dührssen79 stellt ihre große Katamnese-Studie vor. Diese Studie wurde im Tagungsbericht in „Der Nervenarzt“ (Juli 1962, Heft 7) besonders hervorgehoben. Es handle sich um eine „einzigartige Untersuchung“ durch eine große und gut kooperierende Gruppe von Psychoanalytikern, die Patienten behandelten, „die nicht aus der sozialen Schicht stammten, aus der sich herkömmlicherweise die Klientele der Psychoanalytiker rekrutiert“80.

Heigl äußert sich nach dem Kongress in einem Rundbrief an die Mitglieder der DPG erfreut über die lebhafte und positive Resonanz, die der Kongress hervorgerufen habe. Auf der Geschäftssitzung des Organisationskomitees des Kongresses sei von allen Vertretern der menschlich wie wissenschaftlich offene Geist besonders hervorgehoben worden81.

78 Fritz Riemann (1902-1979), Psychologe, machte seine psychoanalytische Ausbildung in Berlin und seine Lehranalyse 1934 bei Therese Benedek, später bei Felix Boehm und Harald Schultz-Hencke. Er war 1946 Mitgründer des Instituts für psychologische Forschung und Psychoanalyse in München. Zeitlebens interessierte er sich auch für die Astrologie. 79 Annemarie Dührssen (1916-1998) war Ärztin und Psychoanalytikerin. Sie machte ihre psychoanalytische Ausbildung während der 1940er Jahre in Berlin, vor allem bei Harald Schultz-Hencke. In der Nachkriegszeit gehörte sie der DPG an. Zwischen 1965 und 1984 war sie Leiterin des Zentralinstituts für Psychogene Erkrankungen der Versicherungsanstalt Berlin. Zwischen 1971 und 1975 war sie Vorsitzende der DPG. Von 1976 bis 1985 war sie Professorin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Freien Universität Berlin. Sie war Autorin mehrerer Bücher und gründete mit Schwidder die Zeitschrift für Psychosomatische Medizin. 80 In: Der Nervenarzt, 33. Jg., Heft 7, Juli 1962. 81 Rundbrief an die Mitglieder der DPG vom 06.01.1962. 31

1.4. Das I. Forum 1962 in Amsterdam (27.-31. Juli 1962): Konflikt mit der American Academy of Psychoanalysis und Gründung der IFPS

Ende Juli 1961 treffen sich Vertreter der DPG, der American Academy of Psychoanalysis, der belgischen und der holländischen psychoanalytischen Gesellschaften und beschließen, im nächsten Jahr einen Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Amsterdam zu veranstalten, der auf Vorschlag Leon Salzmans82 „Forum“ genannt83 wird. Alle weiteren Kongresse der neuen internationalen Vereinigung werden ab diesem Zeitpunkt „Forum“ genannt. Westerman-Holstijn als Vorsitzender der holländischen Gesellschaft wird auch Vorsitzender des Organisationskomitees, zu dem unter anderen Alexander, Radó, Weigert, Boss, Caruso, Chrzanowski, Marianne Eckardt-Horney84, Fromm, Grinker, Heigl, Schwidder, Salzman, Harold Kelman, Laforgue und Millet gehören. Der Kongress wird unter den Titel „Heutige Richtungen der psychoanalytischen Theorie und Therapie“ gestellt. In einer Vorankündigung des Forums stellt sich das Organisationskomitee als eine große Gruppe von Psychoanalytikern vor, die sich interessiert für die Entwicklung und Erweiterung der Psychoanalyse als einer Wissenschaft des menschlichen Verhaltens in Übereinstimmung mit den neuesten Fortschritten in Biologie, Soziologie, Psychologie, Anthropologie und anderen verwandten Wissenschaften. Das Forum wird veranstaltet von der DPG, der American Academy of Psychoanalysis, der belgischen und der holländischen psychoanalytischen Gesellschaft, dem Wiener Arbeitskreis und der mexikanischen psychoanalytischen Gesellschaft. Ein Tag soll einer Fallvorstellung vorbehalten werden, über die acht Vertreter verschiedener Schulen diskutieren. Ein zweiter Tag ist der Theorie der Angst reserviert. Der dritte Tag soll neue Konzepte der psychoanalytischen Technik behandeln. Chrzanowski, der die Fallvorstellung halten will, gab jedoch bis Mai 1962 nur eine 9-seitige Anamnese ab, anstatt des erwarteten 70-seitigen Papers. Westerman-Holstijn ist sehr enttäuscht und muss daraufhin das Programm umstellen85. Die Vorträge und Diskussionen werden in deutscher, englischer und französischer Sprache simultan übersetzt.

Es kommen 66 Teilnehmer aus Deutschland, 55 aus Holland, 97 aus den USA, sechs aus der Schweiz, sechs aus Frankreich, fünf aus Österreich, jeweils zwei aus Schweden und England und je ein Teilnehmer aus Belgien, Norwegen, Mexiko, Israel, Griechenland und Finnland. Insgesamt nehmen laut einer vorliegenden Teilnehmerliste etwa 245 Psychoanalytiker teil. Ein

82 Leon Salzman (1915-2009) war amerikanischer Psychiater und absolvierte seine psychoanalytische Ausbildung am William Alanson White Institute. Er war Mitarbeiter von Harry Stack Sullivan. 1964-1965 war Salzman Präsident der American Academy of Psychoanalysis. 83 Brief Westerman-Holstijn an Alexander vom 18.07.1961. 84 Marianne Eckardt-Horney (geb.1913) ist eine der drei Töchter von Karen Horney. Sie ist Psychiaterin und Psychoanalytikerin in New York. Von 1972 bis 1973 war sie Präsidentin der American Academy of Psychoanalysis. 85 Brief Westerman-Holstijn an Chrzanowski vom 19.05.1962. 32

„Vorläufiger Bericht“ von Chrzanowski nach dem Kongress spricht von mehr als 300 Teilnehmern. Es werden neunzehn Vorträge gehalten, acht von Amerikanern. Zwölf der Vorträge sind in den ersten beiden Bänden der Jahrbücher „Fortschritte der Psychoanalyse“ publiziert worden. Die DPG äußert sich nach dem Kongress erfreut darüber, „dass von verschiedenen Seiten, insbesondere von den Amerikanern, geäußert wurde, dass sie nicht erwartet haben, dass die Psychoanalyse in Europa, besonders in Deutschland, eine solche positive Entwicklung genommen hätte“86. Die IFPS wird in den ersten Jahren ihres Bestehens „Internationale Arbeitsgemeinschaft psychoanalytischer Gesellschaften“ genannt, da fast alle Beteiligten Deutsch sprechen. Bevor sie gegründet wurde, gab es einen entscheidenden Konflikt mit der American Academy of Psychoanalysis, in der sich 1956 zunächst nur US- amerikanische ärztliche Psychoanalytiker zusammengeschlossen hatten, die sich als „nicht- orthodox“ und ausschließlich den wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet verstanden87. Die Academy bot keine Ausbildung an, sondern verstand sich als offenes Diskussionsforum. Zu den 76 Gründungsmitgliedern gehörten Radó, Alexander, Thompson, Frieda Fromm- Reichmann, Chrzanowski und Weigert. Später kamen auch Einzelmitglieder aus anderen Ländern hinzu.

Schwidder hatte, kurz nach Westerman-Holstijn, Anfang 1961 bei Radó angefragt, ob es seitens der Academy Interesse an einer internationalen Vereinigung gebe. Radó, der von 1962 bis 1963 Präsident der Academy war, antwortet am 21.01.1961, dass er gerne am Kongress im September in Deutschland teilnehmen wolle und seitens der Academy auch bereits daran gedacht wurde, unter dem Namen „International Academy of Psychoanalysis“ eine solche Vereinigung zu gründen, wie sie Schwidder vorschwebe. Da man in den USA nur Ärzte in eine solche Vereinigung aufnehmen könne88, werde dies auch für eine internationale Academy gelten. Er fügt hinzu, er hoffe, dies werde keine Schwierigkeiten geben. Dasselbe wiederholt er in einem Brief, den Schwidder im August 1961 zitiert89: Radó habe geschrieben, „der Anschluss der Deutschen und anderen Europäischen Kollegen an unsere Academy of Psychoanalysis und hernach die Bildung einer International Academy dürften sich im Rahmen unserer Zulassungsbedingungen ohne Schwierigkeiten durchführen lassen“. Ganz offensichtlich war die Academy bestrebt, möglichst viele neue Mitglieder anzuwerben und

86 Protokoll der Generalversammlung der DPG vom 01.12.1962. 87 Siehe die Selbstdarstellung der American Academy of Psychoanalysis, Zitat der ersten Präsidentin Janet Rioch: „The process of communication by forum is of value to encourage honest exchange of scientific opinion and observations; to build upon and expand those basic premises which survive critical scrutiny; to have the courage to discard that which cannot be regarded as scientifically valid in the light of our present knowledge.” Internet Zugriff am 06.03.2016. 88 In den USA existierten bezüglich der Durchführung von Psychoanalysen durch Nicht-Ärzte restriktive Bestimmungen, die zum Teil von den Behörden ausgingen, zum Teil von den psychoanalytischen Vereinigungen selbst aufgestellt wurden, um Kurpfuscherei zu verhindern und den Wunsch, die Psychoanalyse zum Bestandteil der Psychiatrie zu machen, zu zementieren (siehe May, U., 1982), Psychoanalyse in den USA; in: Tiefenpsychologie, Band 2, Weinheim und Basel, Beltz Verlag). 89 Brief Schwidder an Westerman-Holstijn vom Ende August 1961. 33 ihren Einfluss nach Europa auszudehnen. Hierfür war sie auch bereit, einen finanziellen Einsatz zu bringen und zum Beispiel die Kosten für das I. Forum komplett zu übernehmen.90

Fromm, der die Gründung einer internationalen Vereinigung „liberaler“ psychoanalytischer Gruppen mit großem Interesse beobachtet, interveniert vehement gegen dieses Ansinnen der Academy, da er als Nicht-Arzt bereits schmerzliche Erfahrungen der Ausgrenzung in den USA machen musste, wo die Ausübung der Psychoanalyse durch sogenannte Laien, d.h. Nicht- Ärzte, verboten war. Gegenüber Westerman-Holstijn äußert Fromm die Befürchtung, die Academy wolle sich nach Europa ausweiten91. Dies würde bedeuten, dass die amerikanische Gruppe in der Organisation ein Schwergewicht hätte, was zu Einseitigkeit führe und nicht dem Vorhaben einer unabhängigen internationalen Organisation entspreche, wie er sie als wünschenswert empfinde. Die Academy überlappe sich zudem personell mit der IPA und würde daher keine Parallelorganisation zur IPA sein können, die den Nicht-Orthodoxen ein Forum für Fragen der Theorie und der Ausbildung bieten könne und ihnen eine moralische Stütze wäre. Die Academy ihrerseits könne jedoch Mitglied in einer unabhängigen internationalen Organisation werden. Er selbst und auch seine mexikanischen Kollegen würden einer europäischen Erweiterung der Academy nicht beitreten.

Westerman-Holstijn seinerseits teilt nicht Fromms „Animosität“ und „Misstrauen“ gegenüber der Academy92 und hatte sich bereits wegen einer eigenen Mitgliedschaft an die Academy gewandt. Er verstehe nicht, warum die Nicht-Ärzte wie Fromm nicht die Möglichkeit ergriffen „scientific associates“ der Academy zu werden. Im selben Brief erwähnt Westerman-Holstijn die Zurückhaltung der Société Française, die sich bei der IPA um Zulassung beworben habe und nichts tun wolle, was diese Bewerbung gefährden könnte. Auch in seiner holländischen Gruppe bestehe „allgemein der Wunsch, nicht sofort eine Fighting Society zu gründen“, sondern, so wie es wohl auch die DPG wolle, „nach beiden Seiten offen zu bleiben“. Kurz darauf teilt Westerman-Holstijn Franz Heigl seine Befürchtungen bezüglich einer Neugründung mit und wird hier deutlicher als vorher gegenüber Schwidder. Heigl berichtet Fromm über dieses Schreiben93: Westerman-Holstijn wolle nun mit der Academy als ebenbürtiger Vereinigung zusammenkommen „und sowohl nach der orthodoxen wie nach der liberalen Seite offen bleiben“; er fürchte einen Kampfverein gegen die IPV. Ohne ihn aber werde wohl weder die französische noch die belgische Gruppe bei der Gründung einer neuen Internationalen mitmachen. Heigl teilt die Einschätzung Fromms, dass die Academy, und nun auch Westerman-Holstijn, es sich nicht mit der IPV „verderben“ wollten.

90 Brief Salzman an Westerman-Holstijn vom 10.12.1961. 91 Brief Fromm an Westerman-Holstijn vom 07.03.1961. 92 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder vom 17.03.1961. 93 Fromm-Archiv: Brief Heigl an Fromm vom 09.04.1961. Mit Dank an Rainer Funk, der mir den Brief zur Verfügung stellte. 34

Am 29. und 30. Juni 1961 findet in Paris eine Besprechung zwischen Schwidder und Fromm statt, in der deutlich wird, wie sehr Fromm an einem Zusammenschluss der liberalen Gruppen interessiert ist94. Mit Westerman-Holstijn und Vertretern der belgischen Gruppe habe man dort ebenfalls gesprochen. Diese seien zurückhaltend gegenüber einem festen Zusammenschluss. Der Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie um Caruso sei zwar an einer Mitarbeit interessiert, man vertrete dort jedoch eine „sog. Personalistische Psychoanalyse“ und es sei bisher unklar, inwieweit „es sich dabei wirklich um eine psychoanalytische Gesellschaft handelt“95. Über Grundprinzipien einer internationalen Organisation habe man in Paris ebenfalls bereits gesprochen96.

Fromm ist überzeugt97, dass die Mehrheit der Mitglieder des New Yorker William Alanson White Psychoanalytic Society (WAWS)98 eher einer neuen internationalen Gruppe zustimmen würde, als einer Gründung durch die Academy. Schwidder beruhigt ihn in seinem Schreiben vom 01. August 1961, dass im Juli in Amsterdam, wo sich Mitglieder der Academy, sowie belgische und holländische Psychoanalytiker treffen, eindeutig gegen das Bestreben der Academy Stellung bezogen wurde, nur Einzelpersonen aufzunehmen. Von Seiten der Academy hatten Salzman, Eckardt-Horney und Kelman teilgenommen99. Westerman-Holstijn habe sich mit der Forderung nach einer Vereinigung von unabhängigen Gruppen durchgesetzt (obwohl er selbst sich zurückhaltend geäußert hatte und später auch nicht bei der Gründung dabei war, Anm. A.H.). Auch habe es große Zurückhaltung gegenüber der Gründung einer festen Organisation gegeben und schon das Einsetzen eines Organisationskomitees, bei dem Westerman-Holstijn Vorsitzender wurde, habe Schwierigkeiten gemacht. Allerdings solle es jedem Einzelnen überlassen bleiben, unabhängig von einem internationalen Zusammenschluss zusätzlich in die Academy einzutreten (Schwidder, Gottfried Kühnel, Dührssen und Heigl wurden kurz darauf auch Mitglieder der Academy, 1964 wurde Fritz Riemann als Nicht-Arzt Ehrenmitglied der Academy, Anm. A.H.). Man hoffe, dass sich auch die niederländische und die belgische Gruppe für die internationale Organisation gewinnen ließen. Die Wiener Gruppe um Caruso und die Schweizer Gruppe um Boss und Gustav Bally hätten ebenfalls Interesse bekundet. Boss habe ihm geschrieben, dass er trotz seiner Überlastung zum Kongress kommen werde, „weil einfach die S100ache der liberalen Gruppen unter den Psychoanalytikern (…) viel zu wichtig ist, als dass man irgendeine Mühe scheuen dürfte“. Die Franzosen würden auf eine Aufnahme in die IPA hoffen, daher hielten sie sich zurück. In seiner Antwort drängt Fromm noch einmal darauf, spätestens auf dem Düsseldorfer

94 Einladung von Schwidder zur Erweiterten Vorstandssitzung der DPG vom 10.08.1961. 95 Ebd. 96 Brief Schwidder an Westerman-Holstijn vom Ende August 1961. 97 Brief Fromm an Schwidder vom 27.07.1961. 98 Über die Geschichte der WAWS siehe das Kapitel über Chrzanowski und die William Alanson White Society. 99 Brief Schwidder an Weiss vom 02.08.1961. 100100 35

Kongress eine internationale Organisation zu bilden, um nicht zwei weitere Jahre zu verlieren, in denen die IPA Gelegenheit habe, mit politischen Intrigen die Chance auf eine solche Organisation zu zerstören.101

Womöglich vermindert sich das Interesse der Academy an einer europäischen Erweiterung bereits ein wenig, nachdem Alexander seine Teilnahme am Düsseldorfer Kongress zurückgezogen hatte, „weil die andere (deutsche) Gruppe sich nicht beteilige“ und er Mitscherlich als integren Charakter sehr schätze102. Schwidder hatte daraufhin versucht, ihm die angespannte Situation zwischen DPG und DPV zu erklären und auch berichtet, er habe der DPV immer wieder die Zusammenarbeit angeboten, was diese jedoch ablehnte. Im Grunde würden wissenschaftliche Differenzen nicht genügend diskutiert und auf die (berufs- )politische Ebene verschoben. Alle Mitglieder der DPG seien jedoch „absolut integer“. Als Alexander dann Schultz-Henckes Traumbuch als unbrauchbar kritisiert und Schwidder ihn darauf hinweist, dass Schultz-Henckes Arbeiten aber einen nachhaltigen positiven Beitrag zur klinischen Weiterentwicklung der Psychoanalyse in Deutschland geleistet hätten, dürfte deutlich geworden sein, dass sich die Vorbehalte der DPV gegenüber der DPG auch auf die Amerikaner ausgedehnt hatten.

Salzman macht im Oktober 1961 in New York noch einen Vorstoß, indem er das Amsterdamer Forum 1962 unter die Schirmherrschaft der Academy stellen und keine andere Gruppe gleichberechtigt daneben dulden wollte. Hier bekommt er jedoch schon Widerspruch aus den eigenen Reihen, indem Chrzanowski den Vorschlag ablehnt103. Chrzanowski, zur damaligen Zeit Präsident der WAW Society, sollte in den nächsten Jahrzehnten eine der wichtigsten Figuren der IFPS werden. Er hatte sich im Mai 1961 bei Schwidder als der Repräsentant der WAW Society für die Beratungen über eine internationale Organisation vorgestellt; zugleich war er Mitglied der Academy104. Auch Westerman-Holstijn als Vorsitzender des Organisationskomitees widerspricht diesem Ansinnen Salzmans und besteht auf der ursprünglichen Abmachung, dass das Amsterdamer Forum gleichberechtigt veranstaltet werde von der holländischen, der belgischen und der mexikanischen Gruppe, der Academy, der DPG und dem Wiener Arbeitskreis105. Fromm, Caruso und Boss seien eindeutig für eine „Zusammenarbeit auf föderativer Ebene“106.

101 Brief Fromm an Schwidder vom 07.08.1961. 102 Aktennotiz Schwidder vom 22.08.1961. 103 Brief Chrzanowski an Schwidder vom 10.10.1961. 104 In einem Brief vom 14.1.1961 von Fromm an Schwidder schlug Fromm vor, bezüglich der Gründung einer neuen Organisation auch Vertreter des WAW Institutes zu fragen, da das Institut, das er und Harry Stack Sullivan vor etwa fünfzehn Jahren gegründet hätten „eines der wichtigsten psychoanalytischen Ausbildungsinstitute in Amerika darstellt“. 105 Heigl an die DPG am 06.01.1962. 106 Ebd. 36

Auf dem ersten Forum 1962 in Amsterdam kommt es dann zum „letzten Gefecht“ zwischen der Academy und den Europäern107. Es entsteht eine scharfe Auseinandersetzung über die Frage, ob analytische Gesellschaften oder nur Einzelpersonen an der Organisation eines internationalen Treffens beteiligt sein sollen und als solche im Programmheft ausgewiesen werden. Radó verhindert, dass Vertreter jeder Gesellschaft gewählt werden, was von Fromm, Heigl, Schwidder, R. Schindler und Caruso vorgezogen worden wäre. Insbesondere Fromm begibt sich in einen heftigen Konflikt mit den Vertretern der Academy und verlangt, dass die WAWS einen eigenen Vertreter für das Organisationskomitee für das Forum 1964 bekommen solle, da die Nicht-Ärzte sich durch die Academy nicht vertreten sähen108. Fromm, Schwidder, Heigl, Caruso und R. Schindler werden mehrfach von den Amerikanern überstimmt, die schließlich durchsetzen, dass das Organisationskomitee des Forums 1964 aus drei Personen bestehen solle. Salzman von der Academy sollte einer der drei sein, Westerman-Holstijn der zweite und Schwidder erreicht dann nach mehreren Unterredungen und einer Erweiterten Vorstandssitzung der DPG kurz nach dem Forum, der dritte in diesem Organisationskomitee zu werden. Das Treffen löst sich in einer feindlichen Stimmung auf und am Abend treffen sich Fromm, Schwidder, Heigl, Chrzanowski, Caruso, R. Schindler, Rose Spiegel109 und Miltiades Zaphiropoulos, beide letztere von der WAWS110. Die Mitglieder der WAWS fühlen sich unter Druck gesetzt, sofort eine neue internationale Arbeitsgemeinschaft zu gründen, wofür sie nicht die Befugnis ihrer Gesellschaft hatten. Sie mussten zunächst die Ärzte ihrer Gesellschaft um Zustimmung bitten, die zugleich Mitglieder der Academy waren. Die Vertreter der WAWS waren der Academy gegenüber zu Loyalität verpflichtet, umso mehr, da das Verhältnis mit der Academy angespannt war (Salzman und Radó wollten sich ganz aus der Organisation eines neuen internationalen Forums zurückziehen, blieben aber schließlich). Auch die Kontaktaufnahme mit der holländischen und der belgischen Gesellschaft habe gezeigt, dass diese kein Interesse an einer Vereinigung der psychoanalytischen Gesellschaften hatten, da sie diesen Schritt als illoyal gegenüber der Academy empfanden111. Möglicherweise ist auch Westerman-Holstijns eigene Skepsis gegenüber der sogenannten Laienanalyse ein Grund für ihn, der neuen Arbeitsgemeinschaft nicht beizutreten. Natürlich spielt auch Finanzielles eine Rolle, da die wohlhabende Academy einen größeren Beitrag zum Kongress und zur

107 Vgl. Protokoll der Generalversammlung der DPG vom 01.12.1962 und Protokoll der William Alanson White Society. 108 Am William Alanson White Institute konnten auch Psychologen eine psychoanalytische Ausbildung machen. 109 Rose Spiegel (gestorben 1997) war amerikanische Ärztin und hatte ihre psychoanalytische Ausbildung am William Alanson White Institute gemacht, ihre Lehranalyse machte sie bei Clara Thompson, eine zweite Analyse bei Fromm. 1962 war sie Präsidentin der WAW Society, 1964 gründete sie mit Max Deutscher die Zeitschrift Contemporary Psychoanalysis. (siehe Internet: Psychoanalytikerinnen. Biographisches Lexikon, Zugriff am 26.01.2016). 110 Vgl. das Protokoll der WAWS vom November 1996. 111 Protokoll der Generalversammlung der DPG vom 01.12.1962. 37

Veröffentlichung der Vorträge gab, aus dem sie nach Schwidders Einschätzung „manche Rechte abzuleiten geneigt ist“112.

Schwidder, Heigl, Fromm, Caruso und R. Schindler beschließen nun, ohne die WAWS- Vertreter und ohne die holländische und belgische Gesellschaften und „unabhängig von dem Forum“113, eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der DPG, der Caruso-Gruppe und der Fromm-Gruppe, „ohne dass eine feste Organisation gegründet wurde“. Als Sekretär für diese Zusammenarbeit wird Heigl gewählt. Schwidder berichtet am letzten Kongresstag Salzman, Radó und Westerman-Holstijn von der „intensiveren Zusammenarbeit der Gruppen“ und teilt ihnen den Inhalt der schriftlichen Vereinbarung mit114.

Dieser Beschluss der „Intensivierung der Zusammenarbeit“ zwischen den drei Gruppen war der Beginn der IFPS. Fromm hatte insofern eine entscheidende Rolle dabei gespielt, als er sich konsequent gegen die Vereinnahmung durch die Academy stellte und auf einer tatsächlichen Parallelvereinigung zur IPA mit unabhängigen, gleichberechtigten Gruppen bestand. Vielleicht hätten sich Heigl und Schwidder ohne ihn doch noch von der Idee einer Internationalen Academy überzeugen lassen. Auch scheint Fromm den entscheidenden Impuls zur Gründung der IFPS gegeben zu haben, indem er bereits im August 1961 zu einer derartigen Organisation gedrängt hatte. Fromm wird im weiteren Verlauf keine große Rolle für die IFPS spielen, da er mit dem Verfassen von Büchern vollauf beschäftigt ist115. Er hat aber der IFPS zu Beginn seinen Stempel aufgedrückt. Ende 1969 wird es in einer Rückschau auf die Gründung in einem Protokoll der DPG heißen, „unmittelbarer Anlass“ der Gründung war „die Unmöglichkeit der American Academy of Psychoanalysis, sich mit anderen psychoanalytischen Gesellschaften zusammenzuschließen oder auch nur mit ihnen gemeinsam internationale Kongresse, wie das Forum für Psychoanalyse, zu organisieren“116. Daher habe man sich zu einem „zweigleisigen Vorgehen“ entschlossen: „a) Eintritt einzelner DPG-Mitglieder in die Academy, wobei von vornherein klar war, dass unsere Einflussmöglichkeiten nicht sehr groß sind; b) Gründung einer losen Assoziation psychoanalytischer Gesellschaften mit vergleichbarem Ausbildungsstandard.“117

Kern der Auseinandersetzung ist aus europäischer Sicht die Ablehnung der Nicht-Ärzte durch die Academy. Die neue internationale Arbeitsgemeinschaft hat sich mit ihrem Entschluss, auch Nicht-Ärzte als Psychoanalytiker und vollgültige Mitglieder zu akzeptieren bereits in Richtung der sogenannten Laienanalyse positioniert. Da in Deutschland und Österreich viele Mitglieder

112 Ebd. 113 Vgl. Rundschreiben Nr. 5 des Internationalen Zentralsekretariats der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie. 114 Protokoll der Generalversammlung der DPG vom 01.12.1962. 115 Vgl. Funk, R. (2000). Erich Fromm´s role in the foundation of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, 9, 187-197. 116 Siehe „Gründung“ – 9b Bericht 1969 117 Ebd. 38 der Gesellschaften sogenannte Laien waren, hätte sich die Entscheidung für eine internationale Gruppe ärztlicher Psychoanalytiker schwer legitimieren lassen. Aus der Sicht der Academy ist andererseits die Aufnahme von Gesellschaften, bzw. Gruppen der Kern des Problems, da sie es sich zum Prinzip gemacht hatten, nur Einzelpersonen aufzunehmen. Eckardt-Horney erklärt Heigl und Schwidder in einem Brief vom 18. Januar 1963 die Hintergründe: „Die Academy erwuchs aus einem tiefen Verdruss mit Gruppenstreitigkeiten heraus, die sich in den Staaten nicht nur auf liberale gegen orthodoxe Gruppen bezog sondern auch auf ebenso unangenehme Gruppensplitterungen und Feindseligkeiten unter den liberalen Gruppen. Der Feind war also nicht die orthodoxe Gruppe, sondern die menschliche Schwäche persönlichen Ehrgeizes, der sich besonders um Lehrinstitute herum kristallisierte und dann machtpolitisch sich ausspielte. Die Academy wollte in keiner Weise mit irgendeiner der existierenden Gruppen konkurrieren.“ Dieser Erklärungsbrief war notwendig geworden, nachdem sich Salzman Ende 1962 unerwartet aus dem Dreierkomitee zur Planung des II. Forums in Zürich 1965 zurückgezogen hatte und das Verhältnis zwischen Schwidder, Westerman-Holstijn und Salzman nach einigen Monaten produktiver Zusammenarbeit und stärker werdender Vertrautheit plötzlich frostig wurde.

Es ist nicht klar, was den Argwohn der Academy wachhielt, es werde nun doch eine gegen die IPA konkurrierende Gesellschaft gegründet, aber nachdem die Mißstimmung mit Salzman geklärt war, schreibt auch Millet am 06.07.1963 an Schwidder einen Brief118, den dieser zur Beantwortung an Westerman-Holstijn weitergibt. Westerman-Holstijn weist mit einiger Empörung die in seinen Augen ungerechten Unterstellungen von Millet zurück119 und betont erneut die rein wissenschaftliche und nach allen Richtungen offene Einstellung des Forums. Er fragt Millet, woher diese vergiftete Stimmung komme und vermutet ihre Ursachen in der Angst der IPA vor einem Rivalen, der sich auch die Academy nicht entziehen könne. Er erwähnt die Arbeitsgemeinschaft der DPG, der Wiener und der Mexikaner und erklärt, seine niederländische Gruppe habe sich aus Loyalität der Academy gegenüber nicht daran beteiligt. Westerman-Holstijn betrachtet den Zusammenschluss zu der Arbeitsgemeinschaft dennoch mit Wohlwollen, nennt den Geist der DPG kongenial und verteidigt das Bündnis gegenüber Millets Vorwürfen.

Anhand dieser Auseinandersetzung mit der Academy wird deutlich, dass die IFPS organisatorisch gesehen eine neue Form von psychoanalytischer Vereinigung ist: Sie vereinigt zwar Gruppen und Gesellschaften, jedoch ohne sie in Ausbildungsfragen zu binden, wie es die IPA macht, die ebenfalls Gruppen vereinigt; sie ist aber auch kein rein wissenschaftlicher Verein wie die Academy, die nur aus Einzelpersonen besteht und keine Ausbildung anbietet.

118 Dieser Brief ist nicht erhalten, es kann auf ihn nur durch die Beantwortung durch Westerman-Holstijn rückgeschlossen werden. 119 Brief Westerman-Holstijn an Millet vom 08.08.1963. 39

Schwidder wird in der bald wieder freundschaftlich geführten Korrespondenz mit Salzman und Westerman-Holstijn mehrfach betonen, dass er selbst sich für die ferne Zukunft auch eine Europäische Akademie wünsche, die auf den Gruppenstatus verzichte120. Im Februar 1963 schreibt er an Salzman121: „Es war jedoch bisher eine Zusammenarbeit (mit den orthodoxen Gruppen, A.H.) deshalb nicht zu erreichen, weil wir einer sehr starren `anti-nichtorthodoxen` Einstellung gegenüberstehen, die in der Vergangenheit nicht immer zu loyalen Mitteln führte. Ich hoffe, wir kommen einmal zu einer Plattform, wie sie die Academy erreicht hat.“ Wie Westerman-Holstijn mehrfach in Briefen betont (u.a. an Millet), war es für die Gründer des Forums notwendig, dass sich Gesellschaften zusammenschlossen und nicht Einzelpersonen: Die Kongresse wären für Einzelpersonen ein zu großes finanzielles Risiko und würden ohne das Prestige von Gruppen auch kaum Interesse in der internationalen Kollegenschaft erregen.

Die Frage, ob die IFPS eine Konkurrenz für die IPA sein wollte oder nicht, muss meiner Ansicht nach offen bleiben. Zwar gab es vehemente Beteuerungen, man wolle dies niemals werden und habe kein Interesse außer der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Jedoch nähert sich die IFPS durch die Tatsache der Gruppenzusammenschlüsse der Struktur der IPA an. Auch gibt es eine Aussage vom Sekretär des Wiener Arbeitskreises in einem vertraulichen Schreiben vom 01.02.1964, die ein Licht auf die interne Verständigung wirft: „Diese Zusammenarbeit (der psychoanalytischen Gruppen, A.H.) nützt sicherlich dem wissenschaftlichen Austausch, hat aber vor allem taktischen Wert, insofern sie ein Gegengewicht gegen die Alleinherrschaft der orthodoxen Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung erstellen will.“122 So hat vermutlich jeder der Beteiligten seine eigenen Motive gehabt, diese neue Organisation zu gründen und die eine Gruppe oder Einzelperson wird mehr Gewicht auf die Rivalität zur IPA gelegt haben als eine andere. Von ihrem formulierten Grundsatz her und auch später aus der Satzung ist jedoch nicht abzuleiten, dass es ein erklärtes Ziel war, mit der IPA in Konkurrenz zu treten.

Am 30. Juli 1962 wird also vom Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie, der DPG und der Mexikanischen Psychoanalytischen Gesellschaft ein Papier aufgesetzt und unterschrieben, welches das Übereinkommen bekundet, den Erfahrungsaustausch in persönlichen Begegnungen zu intensivieren, „die vor allem der freien Diskussion der psychoanalytischen Theorie und Praxis dienen sollen“. Ferner wolle man gemeinschaftlich publizieren, Erfahrungen in Ausbildungsfragen teilen und Dozenten und Ausbildungskandidaten zwischen den Ländern austauschen. Der letzte Absatz der Erklärung formuliert den Grundsatz, der die IFPS bis heute leitet und sie von der IPA unterscheidet: „Die volle wissenschaftliche und

120 Brief Schwidder an Westerman-Holstijn vom 24.01.1963. 121 Brief Schwidder an Salzman vom 13.02.1963. 122 Vertrauliches Schreiben an die Mitglieder des Wiener Arbeitskreises und die assoziierten Arbeitskreise vom 01.02.1964; mit Dank an Edith Frank-Rieser, die mir das Schreiben aus dem Caruso-Archiv zur Verfügung stellte. 40 organisatorische Selbständigkeit der genannten freien psychoanalytischen Gesellschaften bleibt in dieser Zusammenarbeit unangetastet. Dasselbe gilt für die evtl. sich anschließenden anderen Gruppen mit eigenen Ausbildungsstätten und vergleichbaren Standards“. Für die DPG unterschreiben Heigl und Schwidder, für den Wiener Arbeitskreis Caruso und R. Schindler, für die Mexikaner Fromm und Jorge Silva-García. Bereits ein Jahr zuvor, am 10. September 1961, hatten Heigl, Schwidder und Fromm Grundprinzipien für eine Internationale Psychoanalytische Organisation ausgearbeitet und formuliert, die hier zum Einsatz kommen. Zu den ersten Prinzipien gehört eine „allgemeine Konzeption der Psychoanalyse“ als „Mindestgrundlage für alle Mitglieder“: „Mit Psychoanalyse ist eine Theorie und Therapie gemeint, die sich auf Freuds Entdeckungen gründet. Deren Zentrum ist die Aufdeckung unbewusster Prozesse, sowie die Kenntnis und Handhabung von Widerstand und Übertragung. Sie dient der Therapie seelischer Erkrankungen körperlicher, psychischer und charakterlicher Manifestation.“ Unter Punkt 4 heißt es, innerhalb dieser Grundlagen könne jedes Institut, jede Gesellschaft und jeder Einzelanalytiker „seine eigene theoretische und therapeutische Einstellung entwickeln“. Punkt 5 legt die Voraussetzungen der Mitgliedschaft fest: Zunächst die Anerkennung der oben genannten Grundlagen, ferner „soll die Ausbildung und Aufnahme von Kandidaten und Mitgliedern im Institut den allgemein anerkannten Bedingungen entsprechen. Diese sind: Drei bis vier Jahre psychoanalytische Ausbildung – nach vollendeter akademischer Ausbildung – in Vorlesungen, Kolloquien und Seminaren, Lehranalyse und Kontrollanalyse durch ausgebildete und anerkannte Lehr- und Kontrollanalytiker.“ Unter Punkt 6 wird noch einmal die Selbständigkeit der Institute bekräftigt: „Jede Gruppe oder jedes Institut kann – im Rahmen der Voraussetzung von Punkt 4 – eigene Bedingungen für die Aufnahme der Kandidaten und Mitglieder und die Anerkennung der Lehr- und Kontrollanalytiker aufstellen. Die Internationale Organisation mischt sich nicht in die Autonomie der lokalen Gruppen.“ Die Übereinkommensbekundung vom 30. Juli 1962 ließ diese Prinzipien nun also in Kraft treten.

Die Wiener Caruso-Gruppe kommentiert den Vorgang mit den Worten: „Das Amsterdamer Abkommen vom 30. Juli 1962 ist unseres Wissens das erste Ereignis in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, das zu einer organisierten Arbeitsgemeinschaft zwischen selbständigen psychoanalytischen Gruppen außerhalb der „orthodoxen“ Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung führte.“123

123 Vgl. Rundschreiben Nr. 5 des Internationalen Zentralsekretariats der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie. 41

2. Kapitel 2.1. Die drei Gründungsgruppen

2.1.1. Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG)

Die Teilnahme der DPG an der Gründung der IFPS ist ohne deren vorangegangenen Ausschluss aus der IPA nicht denkbar. Der Ausschluss aus der IPA ist wiederum ohne den Konflikt zwischen Harald Schultz-Hencke (1892–1953) und Carl Müller-Braunschweig (1881 – 1958) nicht verständlich.124 Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft war 1938 aufgelöst worden und wurde am 16.10.1945 durch die in Deutschland verbliebenen ehemaligen Mitglieder wiedergegründet. Die DPG hatte zu diesem Zeitpunkt noch 37 Mitglieder, die Protagonisten waren u.a. Schultz-Hencke, Müller-Braunschweig, Felix Boehm (1881-1958), Franz Baumeyer (1900-1978) und Werner Kemper (1899-1975). Schultz-Hencke, der von mehreren Seiten als charismatischer Lehrer beschrieben wird, hatte sich bereits seit den 1920er Jahren im Berliner psychoanalytischen Ausbildungsinstitut als ehrgeiziger Querdenker hervorgetan. Er hatte 1927 seine „Einführung in die Psychoanalyse“ veröffentlicht, die von Fenichel kritisch, aber auch anerkennend rezensiert wurde125 und ein Lehrverbot am Berliner Institut zur Folge hatte. Von Freud wurde er 1933 als einer der „inneren Gegner“ bezeichnet, der nie in den Vorstand der DPG gewählt werden dürfe126. Die Reihe seiner Publikationen endete 1951 mit dem „Lehrbuch der Analytischen Psychotherapie“. Durch seine als überheblich und rücksichtslos empfundene Art kränkte und verärgerte er viele seiner Kollegen. Insbesondere Müller-Braunschweig, der als weniger einnehmend galt, aber vermutlich nicht weniger machtbewusst war als Schultz-Hencke, versuchte als der Ältere zunächst, diesen einzubinden und zu „zähmen“. Wenige Tage nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges gründete Schultz-Hencke mit Kemper das Institut für Psychopathologie und Psychotherapie, Anfang 1946 dann das Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen der Versicherungsanstalt Berlin. Er empfand sich selbst als einen Psychoanalytiker, der ganz auf die Empirie konzentriert war, wobei ihm die Metapsychologie und die Libidotheorie als hinderlich erschienen. Die Empirie der Jung- und der Adler-Schule versuchte er in sein Gebäude zu integrieren. Tatsächlich bezeichnete er sich in dieser Zeit nicht als Psychoanalytiker, was allerdings auch Müller-Braunschweig vermied, um nicht als „orthodoxer Psychoanalytiker“ gesehen zu werden127. Müller-Braunschweig reagierte sehr gekränkt, als Schultz-Hencke ihn bei der Erstellung des Studienplanes für das neue Institut nicht einbezog. Ende Oktober 1945

124 Für die folgende Darstellung stütze ich mich im Wesentlichen auf Regine Lockots umfassende Recherche über „Die Reinigung der Psychoanalyse, die DPG im Spiegel von Dokumenten und Zeitzeugen (1933-1951)“.

125 Ebd., S. 29ff. Die Rezension von erschien in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 1929, Heft 4, S. 552-558. 126 Ebd. S. 29. 127 Ebd., S. 97. 42

überraschte und schockierte Schultz-Hencke seine Kollegen mit dem Entschluss, einen eigenen Verein für seine neopsychoanalytische Gruppe zu gründen. Müller-Braunschweig fühlte sich als „alter Trottel“ behandelt, der „nichts zugelernt“ habe, während in dem neuen Verein „wohl alle diejenigen jüngeren und fortschrittlichen Geister anzutreffen seien, die es verstanden hätten, mit der Zeit mitzugehen“128. Dieser Teil der Geschichte ist wichtig, um zu verstehen, was vier Jahre später auf dem Internationalen Kongress in Zürich passierte. 1949 fand in Zürich der erste Kongress der IPA seit 1938 statt. Die DPG hatte den Wunsch, wieder als vollgültiges Mitglied in die IPA aufgenommen zu werden. Schultz-Hencke hielt einen kurzen Vortrag „Zur Entwicklung und Zukunft der psychoanalytischen Begriffswelt“, der im Wesentlichen vorschlug, sich international an einen wissenschaftlichen Sprachgebrauch zu halten, welcher wenige Metaphern enthalten und allgemein verständlich sein sollte. Inhaltlich ist dieser Vortrag aus heutiger Perspektive weder anstößig noch provokativ. Anstoß erregte jedoch offenbar sein Ton: Schultz-Hencke trat selbstbewusst, vielleicht auch selbstgerecht auf, erwähnte die NS-Zeit nicht und verkannte damit vollkommen die Erwartung und den emotionalen Zustand der emigrierten Kollegen, die zunächst mit „eisigem Schweigen“129 und dann mit brüsker Ablehnung auf ihn reagierten. Müller-Braunschweig nutzte die Gelegenheit, um bei den emigrierten Kollegen positive Aufmerksamkeit zu erlangen und hielt direkt nach Schultz-Hencke einen Vortrag, den er zuvor seinen DPG-Kollegen nicht angekündigt hatte. In diesem Vortrag zählte er alle Abweichungen der Lehre Schultz-Henckes von der Freudschen Lehre auf und grenzte sich deutlich davon ab. Nachdem die kritischen Reaktionen auf den Vortrag Schultz-Henckes laut einiger Beobachter allein nicht ausgereicht hätten, die IPA von der Aufnahme der DPG abzuhalten (Kemper beispielsweise meinte, es gebe innerhalb der IPA, besonders in den USA, weit größere Abweichungen von der Freudschen Lehre als die Schultz-Henckes130, man verwies auf Alexander und Radó), bewirkte nun aber Müller- Braunschweigs Vortrag diesen Beschluss. Die IPA entschied, Schultz-Hencke müsse aus der DPG ausgeschlossen werden, bevor diese in die IPA aufgenommen werden könne. In den folgenden Monaten versuchte Müller-Braunschweig diesen Ausschluss Schultz-Henckes zu erreichen, stieß jedoch in der DPG-Gruppe auf erheblichen Widerstand. Daraufhin unternahm Müller-Braunschweig erneut einen Schachzug hinter Schultz-Henckes Rücken und verließ im Juni 1950 mit fünf anderen die DPG-Gruppe, um die DPV zu gründen, obwohl er selbst zu dieser Zeit Vorsitzender der DPG war. Diese kleine neue Vereinigung wurde rasch durch die IPA anerkannt.

1953 starb Schultz-Hencke, 1958 starb Müller-Braunschweig. Die DPG und die DPV entwickelten sich immer weiter auseinander. Bis zur Gründung der IFPS hatte Schwidder

128 Ebd., S. 105. 129 Ebd., S. 219. 130 Ebd., S. 220. 43 regelmäßig versucht, den Kontakt zu den DPV-Kollegen zu halten. Im Protokoll der Generalversammlung der DPG vom 30. Dezember 1960 wird erwähnt, dass sich Schwidder vergeblich bemüht habe, enger mit der DPV zusammenzuarbeiten. Im Gespräch mit Scheunert habe sich herausgestellt, dass die DPV keinen Wert auf Zusammenarbeit lege. In einer Einladung zur Erweiterten Vorstandssitzung vom 10. August 1961 berichtete Schwidder über seine vergeblichen Bemühungen, die DPV zu breiteren wissenschaftlichen Kontakten und zur Zusammenarbeit aufzufordern. Im Gegenteil gebe es eine „Tendenz, unseren Bestrebungen gegenüber ablehnend zu sein“ und sogar „manche Anzeichen von aktiver Gegenarbeit“. Dennoch wolle er dabei bleiben, die DPV zu Veranstaltungen und zu „jeder möglichen Form von Zusammenarbeit“ einzuladen. Zum Kongress in Düsseldorf werde aber wohl kein Mitglied der DPV kommen (entgegen seiner Erwartung war dann doch Brocher für einen Tag dort gewesen). Schwidder erwähnte in dieser Einladung einen Brief an Brocher, in dem er versucht habe, die Einstellung der DPG zu erläutern.

Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, um welche Ideen sich Schwidders Denken drehte, als er mit der Gründung der IFPS beschäftigt war, soll sein Vortrag auf dem ersten Internationalen Forum für Psychoanalyse in Amsterdam 1962 zusammengefasst werden. Schwidder sprach dort über „Neue Ergebnisse zur psychoanalytischen Behandlungstechnik“. In der Einleitung rekapituliert er Freuds Entwicklung der Behandlungstechnik bis 1920, als Freud begonnen habe, sich weit mehr mit der Theorie und der Metapsychologie zu beschäftigen. Andere Forscher haben sich dann um eine Weiterentwicklung der Technik bemüht: Schwidder nennt u.a. Wilhelm Stekel131, Sandor Ferenczi132, Otto Rank133, Alexander, Radó, (1897-1957), Fromm, Horney und Schultz-Hencke. In Deutschland habe es in den letzten 25 Jahren neue Einsichten gegeben, die zu „teilweise weitreichenden Modifikationen der analytischen Behandlungstechnik geführt haben“134, jedoch würden dabei viele Parallelen mit der amerikanischen Entwicklung deutlich werden. Schwidder betont dann die Bedeutung der Ausarbeitungen Schultz-Henckes und referiert kurz dessen Grundpositionen. Im Zentrum der Neurosenbildung stehe eine Hemmung der Antriebe durch Angst- und Schuldgefühle, die eine Erstarrung der Charakterstruktur zur Folge habe. Diese Erstarrung solle beseitigt und eine „Nachentwicklung der ausgeschalteten Erlebnisbereiche

131 (1868-1940) war Psychiater in Wien und gehörte zu der ersten psychoanalytischen Gruppe um Freud. 1912 wandte er sich aufgrund persönlicher und fachlicher Differenzen von Freud und seiner Gruppe ab. 132 Sándor Ferenczi (1873-1933) war ungarischer Psychiater und Psychoanalytiker. Er gehörte zu Freuds engsten Freunden, geriet aber in seinen letzten Lebensjahren vor allem durch seine Betonung der Wichtigkeit äußerer Traumata für die Persönlichkeitsentwicklung und seinen gewährenden Behandlungsstil immer mehr in Konflikt mit Freud. Heute gehören seine Schriften zu den wichtigsten Einflüssen und Wurzeln der Intersubjektiven Psychoanalyse. 133 (1884-1939), Wiener Germanist und Philologe, gehörte ebenfalls zum engsten Kreis um Freud. Er war einer der ersten Laienanalytiker. Er war Mitherausgeber der psychoanalytischen Zeitschrift Imago und Leiter des Internationalen Psychoanalytischen Verlags. Sein Buch „Das Trauma der Geburt“ wurde Anlass des Zerwürfnisses zwischen Freud und ihm. Seit 1936 lebte Rank in New York. 134 Schwidder, W. (1966), Neue Ergebnisse der psychoanalytischen Behandlungstechnik. In: Fortschritte der Psychoanalyse, Band II, Hogrefe (Göttingen). 44 möglich gemacht werden“.135 Die Aufhebung der neurotischen Angst- und Schuldgefühle passiere allerdings nicht durch die Aufdeckung der Kindheitserlebnisse, sondern durch „ein schrittweises Durcharbeiten mit Hilfe der freien Einfälle, der Träume und Übertragungsreaktionen am aktuellen Erleben“136. Man müsse „dem Patienten die hinter seinem Verhalten vorhandenen zwiespältigen und widerstreitenden Gefühle erlebbar werden lassen“ und könne das durch verschiedene Methoden erreichen, z.B. hätten Fremdschilderungen eine angstlösende Wirkung und das Ausphantasieren von neuen Erlebnisweisen wirke ebenfalls befreiend; man solle auch Themen, die mit abgewehrten Impulsbereichen zusammenhängen, in aller Breite erörtern. Riemann habe betont, wie wichtig es sei, sich auf die Neurosenstrukturen flexibel einzustellen, so sei z.B. bei schizoiden Patienten eine größere Unmittelbarkeit zwischen Psychoanalytiker und Patient eine therapeutische Voraussetzung, während bei zwangsneurotisch strukturierten Patienten von vornherein die Aufdeckung von Ausweichtendenzen, Zweifeln und Skrupeln bedeutsam sei. Aber auch die Charakterstruktur des Psychoanalytikers könne zu Fehlern in der Therapie führen. Insgesamt wird an Schwidders Ausführungen deutlich, wie klar das Schwergewicht der DPG auf der Empirie, der Technik und der Praxis lag. Wir werden sehen, dass die Herangehensweise Igor Carusos dazu fast einen Kontrast bildet. Deutlich wird auch das Interesse Schwidders, Schultz-Henckes Lehre international bekannt zu machen und sowohl Schultz-Hencke als Person wie auch seine Lehre zu nach der vernichtenden Kritik durch Vertreter der DPV rehabilitieren.

135 Ebd. S. 122. 136 Ebd. S. 123. 45

2.1.2. Igor Caruso und die Arbeitskreise für Tiefenpsychologie137

Igor Caruso (1914–1981) stammte aus einer russischen Adelsfamilie, mit der er in seiner Kindheit nach Belgien emigrierte. An der Universität in Löwen studierte er Entwicklungspsychologie und christliche Philosophie und wurde durch eine Dissertation Doktor der Erziehungswissenschaften. Er heiratete 1939 in Estland und musste 1940 von dort erneut vor den Russen fliehen. Sein Schwager, Angehöriger der SS, verschaffte ihm, der inzwischen in große finanzielle Not und einen schlechten Gesundheitszustand geraten war (sein Kind war auf der Flucht gestorben), 1942 eine Stelle in der Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund in Wien. Dort arbeitete er als psychologischer Assistent, führte Tests an Kindern durch und schrieb Gutachten über ihren geistigen und körperlichen Zustand. Als ihm klar wurde, dass in der Anstalt Am Spiegelgrund behinderte und verhaltensauffällige Kinder misshandelt und ermordet wurden, habe er so bald wie er konnte diesen Arbeitsplatz verlassen. Er arbeitete dort sieben Monate lang. Caruso selbst war formal, d.h. durch irgendeine Partei- oder Vereinigungszugehörigkeit, nie Teil des nationalsozialistischen Systems. Inwieweit und inwiefern sich Caruso während seiner Zeit in der Anstalt Am Spiegelgrund an der Tötung von Kindern mitschuldig machte, ist Gegenstand einer seit 2008 andauernden Diskussion und Forschung138. Diese Verstrickung in die Euthanasie wurde erst einige Jahre nach seinem Tod bekannt und spielte daher während seiner Wirkungszeit keine Rolle. Nach der Arbeit am Spiegelgrund fand Caruso eine Stelle als Psychologe in der Wiener Nervenheilanstalt Döbling, wo er sich mit seinem Vorgesetzten Alfred Prinz von Auersperg anfreundete. Von Auersperg war Mitglied in der NSDAP und in der SS, nahm jedoch laut Edith Frank-Rieser, Verwalterin des Caruso-Archivs in Innsbruck, nicht an den Euthanasieprogrammen teil139. 1944 begann Caruso eine Ausbildung am Wiener Ableger des Berliner „Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie“, dem sog. Göring-Institut. Seine Lehranalyse absolvierte er bei (1878-1949) und Viktor Emil von Gebsattel (1883-1976). Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Caruso eine offene Gruppe, die psychoanalytische Themen diskutierte und ab 1947 Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie benannt wurde. Es war der erste von insgesamt zehn Arbeitskreisen, die er im Laufe der Jahre aufbaute140. Der Wiener Arbeitskreis hatte ein eigenes Lehr- und

137 Für die folgenden Informationen danke ich Frau Edith Frank-Rieser, die mir freundlicherweise Dokumente aus dem von ihr verwalteten Igor-Caruso-Archiv und eigene Texte über Caruso zur Verfügung stellte. 138 Siehe z.B. Fallend, K. (2010): „Carusos Erben“. Reflexionen in einer erhitzten Auseinandersetzung. Werkblatt – Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik 27. JG, Nr. 64/1, 100-127. Auch: List, E. (2008), „Warum nicht in Kischniew“? – Zu einem autobiographischen Tondokument Igor Carusos. In: Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis 23. Jg., S. 117-141. 139 „Auersperg gilt als Mitläufer des Nationalsozialismus. Er trat u. a. auch als Vortragender bei Schulungsabenden der SS-Ärzteschaft „Donauland“ auf. Eine Beteiligung an Euthanasiemaßnahmen ist nicht direkt nachzuweisen, obwohl er als Klinikleiter durchaus an Patientenselektionen beteiligt gewesen sein könnte.“ Wikipedia zu: Alfred Prinz zu Auersperg, Zugriff am 06.10.2017. 140 1953 wurde der Innsbrucker Arbeitskreis gegründet, 1956 der Brasilianische Arbeitskreis, 1959 der Berner Arbeitskreis, 1963 die Kolumbianische Arbeitsgruppe, 1964 die Argentinische Arbeitsgruppe, 1966 die 46

Ausbildungsprogramm, das sich von dem der IPA unterschied. Ob sich Caruso selbst gegen eine Mitgliedschaft in der 1946 neugegründeten Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) entschieden hatte, die den Anschluss an die IPA suchte und auch schnell fand, oder ob er in die WPV wegen fehlender Voraussetzungen nicht aufgenommen wurde, ist laut Frank- Rieser bis heute ungeklärt. Im Wiener Arbeitskreis sammelte sich um Caruso „ein recht bunt gewürfeltes Völkchen Unruhiger, das der frühen Freud-Gesellschaft in seinem gesellschaftlichen Aufbau nicht unähnlich ist“141. Es trafen sich Psychologen, Ärzte, Philosophen und Theologen, die sich von Carusos Lehre angesprochen fühlten, in der er die Psychoanalyse mit der Philosophie des Existenzialismus und dem Marxismus zusammenbrachte. Laut Eveline List142 dominierten in Carusos frühem Arbeitskreis „politisch rechts stehende Katholiken, ehemalige Adlige und Nationalsozialisten“. Bald kamen auch Interessierte aus Lateinamerika, ließen sich ausbilden und gründeten nach ihrer Rückkehr Arbeitskreise im Heimatland. Caruso betrachtete die Psychoanalyse unter der Perspektive einer philosophischen Anthropologie auf christlicher Grundlage und bemühte sich, die Erkenntnisse der Nachbardisziplinen Soziologie, Sozialpsychologie, Verhaltensforschung, Psychiatrie, Theologie, Biologie oder Philosophie für die Psychoanalyse fruchtbar zu machen. Er kritisierte die „orthodoxe“ Psychoanalyse zum Beispiel für ihre Konzentration auf die Triebdynamik als einseitig, da es neben einem triebhaften Sinn auch einen „höheren“ Sinn gebe143. 1959 äußerte er: „Von den orthodoxen Psychoanalytikern unterscheidet uns also die Tatsache, dass wir nicht eine abgeschlossene Lehre Freuds vertreten, sondern seinen Entwicklungsgedanken. Wir haben keinen Katalog von Hypothesen. Wir müssen uns klar sein, dass zwischen Freud und Marx (…) und dem Christentum eine dauernde Spannung besteht (…), die es immer wieder zu überwinden gilt“144. Die Mitglieder seiner Arbeitskreise beschäftigten sich bereits früh mit Gruppentherapie und Gruppendynamik, ähnlich wie es auch Psychoanalytiker in den USA und Deutschland taten. Caruso betonte immer wieder die Bedeutung von sozialen Umständen, von finanziellen Verhältnissen und auch von Fragen der Gleichberechtigung von Männern und Frauen neben der Deutung des innerpsychischen Geschehens. Dies brachte ihm in den 1960er-Jahren viel Anerkennung von den Studenten, die Antworten auf ihre gesellschaftspolitischen Fragen erwarteten. 1953 wurde vom Wiener Arbeitskreis eine Satzung formuliert, in der unter § 10 und § 11 die Ausbildungsbedingungen aufgeführt werden: Die Lehranalyse sollte mindestens 150 Stunden, in der Regel 250 Stunden

Mexikanische Arbeitsgruppe, 1969 der Salzburger Arbeitskreis und 1973 die Linzer und die Grazer Arbeitsgruppe. 1974 wurde die Internationale Föderation der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie gegründet. 141 Schindler, R (1980), Ein psychoanalytischer Arbeitskreis und die soziale Herausforderung. In: Psychoanalyse als Herausforderung, Festschrift Caruso; Verlag Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, S. 36. 142 List, E. (2008), „Warum nicht Kischniew“? – Zu einem autobiographischen Tondokument Igor Carusos. In: Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis, 23. Jg., Heft 1/2. 143 Vgl. dazu: Huber, W. (1977); Psychoanalyse in Österreich seit 1933. Geyer-Edition Wien-Salzburg. S. 104. 144 Bericht über die zweite Tagung der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie in Innsbruck vom 9. und 10. Dezember 1960. 47 dauern; sie kann vom Lehranalytiker „jederzeit ohne Erklärung unterbrochen werden“, was zur Folge hat, dass der Kandidat keine Behandlungen durchführen darf; unter der Leitung des Lehranalytikers sollen mindestens drei Kontrollanalysen durchgeführt werden; der Kandidat soll während mindestens sechs Semestern an Seminaren, Kursen und kasuistischen Besprechungen teilnehmen.

1960 nahmen die Caruso-Gruppen und die DPG Kontakt auf. Gustav Hans Graber (1893- 1982) aus Bern, der vor dem Krieg Mitglied der DPG war, besuchte die DPG-Tagung im November 1960 und berichtete, dass Schwidder „ganz besonders an persönlicher und wissenschaftlicher Kontaktnahme gelegen ist und dass diese an dem für 1961 geplanten Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Köln getätigt werden könnte“145. Schwidder hatte an Graber geschrieben: „Die Notwendigkeit einer internationalen Fühlungnahme aller Psychoanalytiker, die nicht der IPV angeschlossen sind, scheint uns so wichtig und ein Erfahrungsaustausch und Diskussionen unserer Positionen so notwendig und bereichernd zu sein, dass wir jede Gelegenheit dazu wahrnehmen wollen.“146 Während der Mitgliederversammlung der DPG sei aber deutlich geworden, dass Westerman-Holstijn eine Fusion mit den Caruso-Gruppen als schwierig empfindet, da er offenbar Bedenken wegen der Namensgebung „Tiefenpsychologie“ hatte und zudem eher den US-amerikanischen Psychoanalytikern zugeneigt sei. Schwidder jedoch habe seine Absicht bekräftigt, mit Caruso zusammenzuarbeiten147. In Reaktion auf einen Brief Westerman-Holstijns an R. Schindler, den dieser an Caruso weitergeleitet hatte, betonte Caruso, dass sein Arbeitskreis eine psychoanalytische Vereinigung im Freudschen Sinne sei, die jedoch „entschieden jede totalitär-dogmatische orthodoxe Organisation der psychoanalytischen Bewegung“ ablehne und schon oft den Wunsch geäußert habe, eine Art Konföderation mit freien psychoanalytischen Gesellschaften zu erreichen, in der der eigene Charakter und die spezifische Ausrichtung jeder Gesellschaft und die Freiheit der Meinungsbildung gewahrt blieben. Vor Jahren habe es bereits Überlegungen gegeben, sich mit der französischen Gruppe um Lacan zu assoziieren. Lacan sei eigens für Verhandlungen nach Wien gekommen, seitdem aber sei keine klare Linie mehr bei den Franzosen erkennbar. Caruso erklärte auch, die Bezeichnung „psychoanalytisch“ im Namen deshalb nicht gewählt zu haben, um „unliebsame Polemiken mit unseren Wiener Kollegen der Psychoanalytischen Vereinigung zu vermeiden“.148

Rosa Tanco Duque und R. Schindler vom Wiener Arbeitskreis halten dann auf dem internationalen Kongress 1961 in Düsseldorf zwei Vorträge. Caruso besucht im Februar 1962

145 Bericht über die zweite Tagung der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie in Innsbruck vom 9. und 10. Dezember 1960. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Brief Caruso an R. Schindler vom 08.08.1961. 48 die DPG-Gruppe in Tiefenbrunn und hält dort einen Vortrag und ein Seminar über „Interkollektive Dialektik der psychoanalytischen Situation“149.

Beispielhaft für Carusos theoretische Haltung in der Zeit der IFPS-Gründung soll der Vortrag vorgestellt werden, den er auf dem ersten Forum 1962 in Amsterdam hält und der im zweiten Band der „Fortschritte der Psychoanalyse“ veröffentlicht wurde. Unter dem Titel „Die psychoanalytische Situation als mikrosoziales Modell“ stellt er seine Lehre vom Zusammenwirken von Psychoanalyse, Marxismus und Existenzphilosophie vor, da ihnen gemeinsam sei, dass sie die Welt „durch eine vernünftige Praxis des Menschen in der Welt“ verändern könnten.150 Die psychoanalytische Theorie habe sich von einer positivistischen „vorpersonalen Es-Analyse“ zu einer durch die Arbeit mit der Übertragung erweiterten „Ich- Analyse“ entwickelt. Da die Übertragung nicht ohne die Gegenübertragung existiere, werde klar, dass die Psychoanalyse eine Analyse interindividueller Beziehungen sei und nicht anders denkbar als eine Begegnung zwischen zwei durch ihre Kultur, ihre Familie und ihre Geschichte geprägten Personen. Dadurch werde die therapeutische Beziehung nicht nur zu einer interindividuellen Beziehung, sondern auch zu einer interkollektiven: Die Gesellschaftsstruktur präge die Familie und diese wiederum gebe die Prägungen an das Kind weiter. Obwohl nun „alte Auffassungen“ und Denkgewohnheiten auch in der psychoanalytischen Theorie aufzufinden und selbstkritisch zu analysieren seien, wendet sich Caruso gegen einen „voreiligen Revisionismus gegenüber dem Freudschen anthropologischen Modell“, der von der kulturalistischen Schule in der Psychoanalyse vertreten werde. Auch gegenüber dem Marxismus grenzt sich Caruso insofern ab, als er daran erinnert, dass der „Kapitalist“ und der „Arbeiter“ wohl als Kapitalist und Arbeiter reagieren, „aber nicht nur und nicht immer. Keiner von beiden ist einfach ein Gattungsmensch.“151 Bezüglich psychoanalysetechnischer Fragen macht Caruso einen originellen Vorschlag, der sich bis heute aber nicht durchgesetzt hat: Interessanter als die Fallgeschichten des Psychoanalytikers seien für die Forschung doch die Schilderungen des Analysanden, daher solle man den Analysanden auffordern, jede Analysestunde genau zu protokollieren152. Am Ende seines Vortrages spricht er einen bis heute in der psychoanalytischen Forschung wenig beleuchteten Umstand an, der dennoch für die Entwicklung der Theorie von Bedeutung ist, die Tatsache nämlich, dass aus finanziellen Gründen „die klassische Form der Psychoanalyse vorwiegend der europäischen und nordamerikanischen Mittelschicht der Bevölkerung (…) vorbehalten bleibt.“153 Hierdurch entstünden Skotomisierungen im Denken der Psychoanalytiker. Um die psychoanalytische

149 Internationales Zentralsekretariat der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie, Rundschreiben Nr. 4 150 Caruso, I. (1966), Die psychoanalytische Situation als mikrosoziales Modell. In: Fortschritte der Psychoanalyse, Band II, S. 37. 151 Ebd., S. 44. 152 Die Protokolle der Analysanden sind laut Frank-Rieser nicht wissenschaftlich ausgewertet worden, sondern wurden in die nächste Analysesitzung mitgebracht und gegebenenfalls dort besprochen. 153 Ebd., S. 46. 49

Behandlung sozialer, demokratischer und finanziell zugänglicher zu machen betont Caruso die Bedeutung und Wichtigkeit der Gruppentherapie.

2.1.3. Erich Fromm und die Mexikanische Psychoanalytische Gesellschaft

Erich Fromm (1900 – 1980) ist in der fachfremden Öffentlichkeit so bekannt wie vielleicht nur noch Freud, die psychoanalytischen Kreise jedoch ignorieren seine Lehre und seine Texte bis auf wenige Ausnahmen bis heute konsequent. Dieses Paradox geht vermutlich darauf zurück, dass Fromm den psychoanalytischen Konsens - zumindest den, der von der IPA ausging - an mehreren Punkten verletzt hat: Er hat sich zu seiner Religiosität bekannt, war politisch aktiv, integrierte den Marxismus in seine Lehre, kritisierte Freud und lehnte die Libidotheorie ab. Er arbeitete zeitlebens an einer Theorie, die als psychoanalytische Sozialpsychologie im Rahmen eines humanistischen Sozialismus bezeichnet werden kann. In seiner Jugend und im frühen Erwachsenenalter beschäftigte er, der selbst in einem jüdischen Elternhaus geboren wurde, sich intensiv mit der jüdischen Orthodoxie und Mystik, gründete das „Freie Jüdische Lehrhaus“ (Gershom Scholem, Franz Rosenzweig und Ernst Simon wurden Mitarbeiter) in Frankfurt am Main mit und besuchte täglich den Talmudunterricht bei Rabbi Salman Rabinkow154. Einige Jahre später brach er mit dem orthodoxen Judentum und wandte sich später dem Buddhismus zu, dem er bis zu seinem Lebensende verbunden blieb. Er studierte Psychologie, Soziologie und Philosophie und promovierte 1922 bei Alfred Weber über „Das jüdische Gesetz“. Während des Studiums hatte er die Schriften von Karl Marx rezipiert. 1924 lernte Fromm durch die Psychiaterin Frieda Reichmann auch die Psychoanalyse kennen. Reichmann hatte ihre psychoanalytische Ausbildung in München und Berlin gemacht und eröffnete 1924 in Heidelberg ein Privatsanatorium, das zahlreiche junge jüdische Intellektuelle anzog. Fromm machte eine erste Analyse bei Reichmann, ging dann zur Analyse zu Wilhelm Wittenberg nach München und Karl Landauer in Frankfurt, um seine Lehranalyse schließlich 1928 bis 1930 in Berlin bei Hanns Sachs zu beenden. Er stellte sich den in der damaligen Zeit tonangebenden Berliner Psychoanalytikern mit vier Vorträgen und Aufsätzen vor, einer davon unter dem Titel „Psychoanalyse und Soziologie“ (1929), ein anderer unter „Die Entwicklung des Christusdogmas“ (1930). Die Beziehung zu Frieda Reichmann führte zu einer Ehe, das Paar trennte sich jedoch nach vier Jahren und ließ sich 1940 scheiden. Sie blieben sich bis zum Tod Frieda Fromm-Reichmanns 1957 freundschaftlich verbunden und gingen auch nach der Emigration in die USA zum Teil gemeinsame Wege. Zwischen 1929 und 1933 arbeitete Fromm

154 Vgl. Funk, R. (1980), Einleitung des Herausgebers; in: Erich Fromm Gesamtausgabe in 10 Bänden, Stuttgart, Deutsche Verlags Anstalt. Vgl. auch : Funk, R. (1983), Erich Fromm. Rororo Bildmonographie, Hamburg, Rowohlt. 50 am Frankfurter Institut für Sozialforschung und prägte den institutsinternen Theoriebildungsprozess entscheidend mit155. Er unternahm dort eine empirische Untersuchung zu der Frage der Lebensgewohnheiten und dem politischen Verhalten von Arbeitern und Angestellten, die ergab, „dass ein großer Prozentsatz der parteipolitisch linksorientierten Arbeiter und Angestellten in Wirklichkeit dem autoritären oder ambivalenten Charaktertypus zugeordnet werden musste, so dass von dieser Gruppe kein ernstzunehmender Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu erwarten war“156. Fromm war 1929 Mitbegründer des „Frankfurter Instituts für Psychoanalyse“ und verließ dann 1934 Deutschland. Er ging auf Einladung von Horney 1934 zunächst an die und später nach New York, wo sich viele emigrierte psychoanalytische Kollegen aufhielten und bereits arbeiteten. Nach Konflikten mit Herbert Marcuse verließ Fromm das in New York wiedergegründete International Institute for Social Research 1939 und widmete sich ganz der psychoanalytischen Arbeit. Er arbeitete zunächst am New York Psychoanalytic Institute, wo in dieser Zeit Horney schwere Konflikte mit den „orthodoxen“ Psychoanalytikern ausfocht. Anfang 1941 kam es zur Spaltung und Horney gründete zusammen mit Thompson, Bernard Robbins, Harmon Ephren und Sarah Kelman die Association for the Advancement of Psychoanalysis und das daran angeschlossene Ausbildungsinstitut American Institute for Psychoanalysis. Fromm wurde in der neuen Vereinigung Ehrenmitglied, da er kein Arzt war. Er wehrte sich gegen die eingeschränkte Mitgliedschaft und nach einigen Konflikten verließ er u.a. mit Thompson, Harry Stack Sullivan157 und Edward Tauber das Institut. Danach gründete er mit Sullivan, Fromm-Reichmann, Thompson und David und Janet Rioch einen New Yorker Zweig der 1936 von Sullivan gegründeten Washington School of Psychiatry. 1946 wurde diese Einrichtung umbenannt in William Alanson White Institute of Psychiatry, Psychoanalysis and Psychology und existiert unter diesem Namen bis heute. Dieses Institut wurde mit Gerard Chrzanowski als Repräsentanten 1963 Mitglied der IFPS. Fromm übersiedelte 1950 mit seiner kranken Frau nach Mexiko in der Hoffnung, ihr dort durch die radioaktiven Quellen Besserung ihrer Arthritis zu verschaffen. Trotzdem sie 1952 starb, blieb Fromm insgesamt 25 Jahre in Mexiko. Er traf dort auf einige engagierte Ärzte, die in den späten 1940er-Jahren psychoanalytische Ausbildungen in den USA, Argentinien oder Frankreich machten. Fromm hielt Vorlesungen an der Nationalen Autonomen Universität in Mexico-City und parallel dazu am WAWI und an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten. Zeitgleich richtete er in Mexico-City eine psychoanalytische Ausbildung ein, die an die Universität angeschlossen war,

155 Vgl. Funk, R. (1980), S. 10. 156 Ebd., S. 11. 157 Harry Stack Sullivan (1892-1949) war US-amerikanischer Psychiater und Psychoanalytiker und begründete mit seinen Schriften die Interpersonelle Psychoanalyse, welche die Bedeutung der familiären und sozialen Zusammenhänge für die Psychopathologie betonte und das Individuum als untrennbar von seinen Bezugspersonen betrachtete. Die heutige Intersubjektive Psychoanalyse zählt ihn zu einem ihrer wichtigsten Vorläufer. Zu Leben und Werk von Sullivan siehe: Conci, Marco (2000, 2005), Sullivan neu entdecken. Leben und Werk Harry Stack Sullivans und seine Bedeutung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Gießen, Psychosozial-Verlag. 51 und begann 1951 mit dem ersten Durchgang. Er lud Gastdozenten des WAWI nach Mexiko ein, die die Kandidaten „die Vorteile der Prinzipien der Freiheit und der Ablehnung von Sektierertum“ schätzen lehrten158. Ende 1956 gründeten die Absolventen des ersten Durchgangs mit Erich Fromm die Sociedad Psicoanalitica Mexicana, Vorsitzender war zunächst Alfonso Millán, danach Jorge Silva-García, der, wie oben erwähnt, das Übereinkommen zur internationalen Zusammenarbeit 1962 in Amsterdam mit Fromm zusammen unterschrieb. Um in einem geordneten Rahmen Psychoanalytiker ausbilden zu können, wurde 1963 von denselben Kollegen das Instituto Mexicano de Psychoanálisis gegründet, das ebenfalls an die Universität angeschlossen arbeitete. Ausbildungsinhalte waren die Lehren von Freud, Ferenczi, Rank, Fromm, Horney, Sullivan, Alexander, Klein, Adler, Jung u.a., außerdem legte das Institut Wert auf den Unterricht in Fächern wie Biologie, Soziologie, Anthropologie und Philosophie159. Die Kandidaten hatten innerhalb von vier Jahren mindestens 2800 theoretische Stunden, 600 Stunden Lehranalyse und 300 Stunden Kontrollanalyse, d.h. Supervision zu absolvieren. Dem Institut war die klinische Forschung auf sozialpsychologischem Gebiet ein besonderes Anliegen. Man versuchte, die Lehre „in einem Geist zu vermitteln, der die Freiheit des Denkens anregt“ und die Auszubildenden sich so frei fühlen zu lassen, „dass sie sich entsprechend ihren Überzeugungen entfalten können“160. Die Auswahl der Kandidaten, die entweder Mediziner oder Psychologen sein mussten, erfolgte nach Aufnahmegesprächen und psychologischen Tests. Der Zusammenschluss mit der deutschen und der österreichischen Gruppe zur IFPS hob eine bis dahin bestehende weitgehende Isolierung des Instituts auf. 1965 äußert sich Millán erfreut und dankbar über die Teilnahme an der IFPS und führt aus: „Uns verbindet keine spezifische Theorie, der Geist dieser Konföderation ist offen für alle progressiven Tendenzen, und somit ist unserem Wunsch Genüge getan, einer internationalen, aber nicht bürokratischen Gruppe zugehörig zu sein, selbstverständlich unabhängig von der internationalen Organisation, die ihren Sitz in London hat“161

Fromm unternahm in Mexiko seine zweite große sozialpsychologische Untersuchung unter dem Titel „Psychoanalytische Charakterologie in Theorie und Praxis. Der Gesellschafts- Charakter eines mexikanischen Dorfes“. Er veröffentlichte sie 1970 zusammen mit Michael Maccoby. Seit 1967 hielt sich Fromm mit seiner dritten Frau immer länger in Locarno in der Schweiz auf und siedelte 1974 ganz über. 1973 und 1976 veröffentlichte er noch zwei vielbeachtete Bücher: „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ und „Haben oder Sein“.

158 Vgl. Millán, A. (1965), Die Entwicklung der Mexikanischen Psychoanalytischen Gesellschaft und des Mexikanischen Instituts für Psychoanalyse; in: Jahrbuch der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft, Band 3 (1992); 159 Ebd., S. 3. 160 Ebd. 161 Ebd., S. 4. 52

1980 starb er kurz vor seinem 80. Geburtstag. Für das III. Internationale Forum der IFPS 1969 in Mexiko hatte Fromm einen Vortrag vorbereitet, der seine Sicht auf die Lehre Freuds und seine „dialektisch-humanistische Revision“ sehr klar benennt162. Fromm konnte seinen Vortrag nicht selbst halten, da er kurz zuvor einen Herzinfarkt erlitten hatte und rekonvaleszent war. Fromm bezeichnet Freud in seinem Vortrag als einen liberalen Reformator, einen liberalen Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft, der sich von einer optimistisch aufklärerischen Haltung zu einer immer pessimistischeren entwickelt habe. In Freuds Theorie sei der Mensch ein isoliertes Wesen, das den anderen nur zur Bedürfnisbefriedigung brauche und damit zur Bezogenheit gezwungen sei. Der Mensch werde von den Selbsterhaltungstrieben und den Sexualtrieben motiviert, wobei die Voraussetzung der Libidotheorie das Prinzip des Mangels sei: Das Streben nach Lust und damit eigentlich alle Handlungsmotivation gehe auf das Bedürfnis nach einer Beseitigung der Unlust, des Mangels zurück. Freuds Modell vom Menschen bewege sich innerhalb des Modells des mechanischen Materialismus und eines universellen biologischen Determinismus, in dem die Seele ihre Wurzeln in physiologischen Prozessen hat. Fromm anerkennt aber Freuds Triebtheorie auch als einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis des Menschen, da er ein dynamisches Konzept herausgearbeitet habe, in dem das menschliche Verhalten das Produkt von energiegeladenen Kräften sei, die miteinander und mit der Außenwelt in Konflikt liegen. Freud habe mit dem Ödipuskomplex den Menschen als Helden eines Dramas konzipiert. Freuds neue Triebtheorie ab 1920 sei biologisch-vitalistisch orientiert und gehe auf eine veränderte Einschätzung der menschlichen Destruktivität zurück, da Freud hier vor allem die Erfahrung des I. Weltkriegs verarbeitet habe. Freud habe sich als großer und origineller Denker erwiesen, der eine Synthese von Rationalismus und Romantik entwickelte, als er den Menschen als rational-irrationales Wesen zeichnete. Zwar sei der Mensch in Freuds Theorie von irrationalen Kräften getrieben, er kann durch sein Ich, seine Vernunft und seinen Willen jedoch seine Irrationalität verstehen und sich von ihrer Herrschaft befreien. Fromms eigenes Menschenbild, das er vor dem Hintergrund einer radikalen Gesellschafts- und Ideologiekritik entwickelt habe, sieht den Menschen dagegen primär auf andere bezogen. Dieses Bezogensein sei von einem Bedürfnis geleitet. Er sieht den Menschen nicht durch das Prinzip des Mangels motiviert, sondern durch Leidenschaften, die danach drängen, die Fähigkeiten des Menschen zu verwirklichen. Fromm spricht von einer „vom Organismus erzeugten Gesamtenergie“, die dem Menschen zur Durchsetzung seiner vitalen Interessen zur Verfügung stehe. Das Unbewusste sei verdrängte Wahrnehmung von Ereignissen, Wünschen, Vorstellungen, die sowohl archaischer, irrationaler und „böser“ als auch weiser, rationaler und besser sein können, als das, was uns

162 Fromm, E. (1977): Das psychoanalytische Bild vom Menschen und seine gesellschaftliche Standortbedingtheit. In: Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen (Hrsg. G. Chrzanowski, a. Heigl-Evers, H.V. Brazil, W. Schwidder), Göttingen und Zürich (Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht), S. 17. 53 bewusst ist. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass das Unbewusste gesellschaftlich geprägt sei, entwickelt Fromm seine Utopie einer „voll entfalteten Gesellschaft, die keines Unterdrückungs- und Manipulationsapparates bedarf“163. Ebenso optimistisch mutet Fromms Konzept eines „humanistischen Gewissens“ an, das den Menschen „im Namen seiner Entwicklungsmöglichkeiten zu sich selbst zurückruft“ und „ihm anzeigt, was die Fülle, Intensität und Harmonie seines Lebens steigert bzw. schwächt“164. In Fromms Modell des Menschen wurzelt der Charakter nicht in libidinösen Fixierungen wie bei Freud, sondern in der Art der Bezogenheit auf andere Menschen und auf die Dinge in der Außenwelt. Fromm unterscheidet die produktive Bezogenheit, die auf Arbeit, Liebe, Respekt und Unabhängigkeit basiert von der unproduktiven Bezogenheit, die auf Ausbeutung, Gier, Geiz und Abhängigkeit beruht.

2.2. Erweiterung des Kreises durch das William Alanson White Institute (WAWI) und Gerard Chrzanowski

In einem „Rundschreiben Nr.1“ vom 19. Februar 1963 berichtet Heigl als Sekretär des neuen Zusammenschlusses über die Ergebnisse der bisherigen Zusammenarbeit. Man habe sich wissenschaftliche Sitzungsprotokolle und Sonderdrucke zugesandt und diskutiert, Bücher von Caruso und Fromm ausgetauscht und Vorlesungen über die von den beiden anderen Gesellschaften vertretenen Positionen gehalten (z.B. vergleichende Darstellung der Neurosenlehre von Fromm und Schultz-Hencke). Weiter habe R. Schindler an der DPG eine Gastvorlesung über „Einführung in die Gruppenpsychotherapie mit Demonstration“ und Caruso einen Vortrag über „Ausbildung im Wiener Arbeitskreis und Probleme psychoanalytischer Behandlungstechnik“ gehalten. Der mexikanische Ausbildungskandidat Arturo Fernandez-Cerdeno habe seine Ausbildung in Wien begonnen und setze sie zur Zeit am Göttinger DPG-Institut fort.

Ein Schreiben von Chrzanowski vom 24. Juni 1963 an Schwidder lässt vermuten, dass in New York der Zusammenschluss der drei Gruppen in Amsterdam nicht bemerkt oder aber ignoriert worden ist: Chrzanowski kündigt in seinem Brief seinen Kollegen Edward Tauber an, ein Mitglied des WAWI und ein Freund Fromms, der im Sommer in Deutschland sein werde und dort übergangsweise als Repräsentant des WAWI die Verhandlungen über eine Mitgliedschaft in einer neuzugründenden Organisation zusammen mit der DPG und der mexikanischen Fromm-Gruppe führen solle. Offenbar war es Chrzanowski entgangen, dass bereits die beiden anderen Gruppen mit dem Arbeitskreis von Caruso eine Arbeitsgemeinschaft gegründet

163 Ebd. S. 36. 164 Ebd., S. 37. 54 hatten. Schwidder geht in seiner Antwort am 22. Juli 1963 nicht auf den Punkt ein, sondern heißt Tauber willkommen in der DPG und „den beiden anderen Gesellschaften“. Er klärt dann aber den Sachverhalt auf: „Sie wissen, dass wir zunächst auf jede Organisation verzichtet und absichtlich den Namen Internationale Arbeitsgemeinschaft gewählt haben. Ich hoffe, dass diese Form der Zusammenarbeit fruchtbar werden wird.“ Bereits im Frühjahr hatte eine Abstimmung in der WAW Society eine Mehrheit für einen Anschluss an die Internationale Arbeitsgemeinschaft, die spätere IFPS, ergeben. Tauber trifft am 16. und 17. August 1963 Heigl und Schwidder in Göttingen. Das Protokoll der ordentlichen Generalversammlung der DPG am 24. Oktober 1961 vermerkt die Reaktion der Amerikaner auf dieses Treffen: „Zunächst bestand der Eindruck, noch etwas abzuwarten und uns näher kennenzulernen, daher wurden wissenschaftliche Arbeiten ausgetauscht. Am 13. September 1963 kam dann das offizielle Aufnahmegesuch der WAW Society. Am 15. Oktober 1963 Brief von Chrzanowski mit der Bitte um Aufnahme und offizielle Bestätigung.“ Im selben Protokoll ist der Stand der Interessenlage bei den anderen Gruppen beschrieben: „Noch ein Wort über die Arbeitsgemeinschaft: Weitere Interessenten sind die Horney-Gruppe. Weiss ist sehr dafür, nicht so sehr Kelman, der uns sonst sehr positiv zugewandt ist. Westerman-Holstijn zeigt eher ein zurückhaltendes Interesse. Caruso versucht, die Schweiz und Südamerika einzuschleusen, was nicht so sehr in unserem Interesse liegt. Bezüglich der Neuaufnahme von Gruppen soll Einstimmigkeit herrschen, es können uns also keine Gruppen untergeschoben werden.“165 Die Abstimmung der DPG-Mitglieder über die Aufnahme der WAW Society ergibt eine einstimmige Befürwortung. Im Briefkopf über dem Rundschreiben Nr. 2 der Internationalen Arbeitsgemeinschaft vom 25. November 1963 sind bereits alle vier Gruppen aufgeführt. Heigl als Sekretär der Arbeitsgemeinschaft heißt die neue Gruppe seit dem 01. November 1963 in diesem Schreiben herzlich willkommen. Caruso und Fromm seien über das Treffen Taubers mit Heigl und Schwidder informiert gewesen und „gaben im Namen ihrer Gesellschaften uneingeschränkt ihr Zustimmung zu einer eventuellen Mitgliedschaft der WAW Society.“ Ein erster Austausch von wissenschaftlichen Büchern und Sonderdrucken sei bereits erfolgt, eine Besprechung und Diskussion dieser Schriften in den Arbeitsgruppen der einzelnen Gesellschaften sei für die nächste Zeit vorgesehen. In einem internen Rundschreiben der DPG vom 7. Oktober 1963 wird vermerkt: „Eine Erweiterung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft ist zur Zeit nicht in Sicht und auch nicht wünschenswert. Man liefe sonst Gefahr – so wie die Dinge jetzt liegen – sich die Gegnerschaft der Academy zuzuziehen. Vorläufiges Ziel ist erreicht, nämlich eine Intensivierung des wissenschaftlichen Austausches.“ Im Folgenden soll die Geschichte des WAWI und der William Alanson White Society kurz umrissen und deren Repräsentant Gerard Chrzanowski, der für die IFPS eine

165 1963 existierten bereits fünf Arbeitskreise für Tiefenpsychologie, zwei davon in Südamerika. Nachdem Carusos Wunsch nach Aufnahme seiner Gruppen in die IFPS auch später auf Widerstand stieß, hat er 1974 eine eigene Internationale Föderation der Arbeitskriese für Tiefenpsychologie gegründet. 55 wichtige Rolle spielen wird, mit seiner Person und einem Text vorgestellt werden. Der Namensgeber der Gruppe William Alanson White (1870-1937) war Psychiater in New York und begann früh, sich für Freuds Lehre zu interessieren. Zusammen mit Smith Ely Jelliffe (1866-1945) rief er 1913 die erste amerikanische psychoanalytische Zeitschrift, die „Psychoanalytic Review“ ins Leben.

Das WAWI begann, wie oben erwähnt, 1943 zunächst als New Yorker Zweig der Washington School of Psychiatry, gegründet durch Fromm, Thompson, Fromm-Reichmann, Sullivan und Davis und Janet Rioch. Ausbildungskandidaten dieser Gesellschaft waren zugleich im psychoanalytischen Ausbildungsinstitut Washington-Baltimore eingeschrieben. Sullivan und andere Dozenten fuhren zwischen beiden Orten hin und her um zu unterrichten. Einige Mitglieder des Instituts gründeten in den ersten Jahren eine sehr lose organisierte und informelle wissenschaftliche Gesellschaft, die sich Society on Theory of Personality nannte166. 1946 trennte sich das Institut aus juristischen und finanziellen Gründen von seiner Muttergesellschaft in Washington und gab sich den Namen William Alanson White Institute. Zwei Jahre später wurde auch die William Alanson White Association gegründet, eine dem Institut angegliederte Gesellschaft, die regelmäßige wissenschaftliche Sitzungen veranstaltete. Nachdem ein 1948 gestelltes Aufnahmegesuch für die American Psychoanalytic Association (APA) bis 1952 nicht angenommen worden war, da die APA die dreistündige Sitzungsfrequenz (statt vierstündig, wie in der IPA üblich) des WAW Instituts missbilligte, zog man den Antrag zurück und „ging eigene Wege“. Dies hatte zur Folge, dass im selben Jahr die William Alanson White Society gegründet wurde, mit Thompson als erster Präsidentin. Die Mitglieder geben seit 1964 eine Zeitschrift heraus, die „Contemporary Psychoanalysis“ und ebenfalls einen Newsletter. 1948 wurde durch das Institut eine der ersten „Low-Cost-Clinics“ für Geringverdiener in den USA gegründet. 1955 ereignete sich die einzige Spaltung des Instituts, als einige Mediziner die Ausbildung von Psychologen untersagen wollten. Die Mehrheit der Mitglieder stimmte jedoch für deren Ausbildung, woraufhin die kleine Gruppe der Mediziner, die Protest eingelegt hatten, aus der Gesellschaft austrat. Im Laufe der Jahre entstanden viele Fortbildungen, Beratungsstellen und Forschungsprojekte, beispielsweise existieren seit 1952 Weiterbildungen für Krankenschwestern, Geistliche und Lehrer; seit 1958 gibt es Weiterbildungen in Kinder- und Jugendpsychoanalyse; es wurden im Laufe der Jahre Beratungsstellen für Essgestörte, HIV-Erkrankte, sexuell missbrauchte Patienten, Traumafolgestörungen, Autisten, homosexuelle Männer und Frauen und Immigranten aufgebaut. 1996 gründete das Institut das „Center for Applied Psychoanalysis“, das seither die Weiterbildungen für benachbarte Disziplinen und Berufe organisiert. Bei ihren Prinzipien und

166 Die folgenden Informationen entnehme ich einem Brief von Ralph Crowley an Katwan vom 31.07.1976, dem eine kurze Geschichte des WAW Institutes beigefügt ist. Außerdem der Selbstdarstellung, die das Institut auf seine Homepage gestellt hat. 56

Werten beruft sich das Institut auf seine Gründungsfiguren Fromm und Sullivan: Autorität soll geteilt werden, die Kommunikation soll transparent und offen sein und der Mehrung des eigenen Wohles und dem der anderen dienen, die Autonomie eines jeden soll respektiert werden. Dem Anspruch der geteilten Autorität wurde insofern Rechnung getragen als jedes Jahr ein neuer Präsident gewählt wurde und jeder nur einmal dieses Amt übernahm. Im Jahr 1963, also dem Jahr des Beitritts der WAWS zur IFPS, war Chrzanowski ihr Präsident. Er wurde 1913 im oberschlesischen Industrieregion in der Stadt Gleiwitz (heute Gliwice) in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, die Kohleminen besaß167. Durch die Nähe zu Polen sprach Chrzanowski sowohl Polnisch wie Deutsch. Er besuchte ein Internat in der Schweiz, studierte Medizin in Zürich und machte seine psychiatrische Ausbildung in der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli (Zürich) unter Herbert Binswanger, wo er zwei Jahre verbrachte. In dieser Zeit las er die Schriften von Jaspers und Ludwig Binswanger und ließ seine Behandlungen von einer Analysandin von Frieda Fromm-Reichmann supervidieren168. Diese Supervisorin war es auch, die Chrzanowski ein Empfehlungsschreiben gab, mit dem er sich in den USA bei Fromm und Fromm-Reichmann vorstellte. In seiner kurzen Autobiographie schreibt Chrzanowski, er habe das letzte Schiff aus Genua genommen, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach und habe im Juni 1944 New York erreicht. In seinen Nachrufen heißt es, er sei 1940 in die USA emigriert, was eher den Tatsachen entsprechen dürfte. Nach seiner Emigration begann er im WAWI seine Ausbildung, besuchte Seminare bei Sullivan und Thompson und ließ seine Behandlungen von Fromm und Fromm-Reichmann supervidieren. 1949 gründete er das Bleuler Psychotherapy Center im New Yorker Stadtteil Queens, eine Klinik, die Psychotherapie für sozial Schwache anbot und Psychologen die Gelegenheit gab, psychiatrische Erfahrung zu sammeln, was eine Voraussetzung für ihre Aufnahme in der psychoanalytischen Ausbildung am WAW Institute darstellte. Seine Klinik besteht bis heute. Chrzanowski interessierte sich für transkulturelle Phänomene und war Ehrenmitglied in psychoanalytischen Ausbildungsinstituten in Brasilien und Norwegen. Seine zahlreichen Texte konzentrieren sich meist auf psychoanalytische Behandlungs- und Ausbildungsfragen, auch im internationalen Kontext und Einführungen in die Lehre von Fromm und Sullivan. Zwischen 1963 und 2000 setzt Chrzanowski sich für die Organisation der IFPS-Tagungen ein und unterstützt und berät die jeweiligen Generalsekretäre der IFPS. Er fühlt sich so sehr als Teil

167 Für die folgenden Informationen vgl.: Selbstdarstellung G. Chrzanowski vom 06.05.1997 (Archiv Reichenau); Mann, C. (2001): In Memoriam Gerard Chrzanowski, MD, 1913-2000; in: International Forum of Psychoanalysis 10:(94-96), 2001; , 12.11.2000: „Dr. Gerard Chrzanowski, innovative psychoanalyst, dies at 87“. Auch: Chrzanowski, G. (1998), How I came to be who I was supposedly not; In: Reppen, J. (1998), Why I became a psychotherapist. Northvale, New Jersey, London, Jason Aronson Inc. 168 Die Analysandin war Lotte Sachs, über die bis zur Fertigstellung dieser Studie keine weiteren Informationen erhältlich waren. 57 der IFPS, dass er später die Gründungsgeschichte umschreibt und sich mit der WAW Society ganz an den Anfang des Zusammenschlusses setzt169.

Den Vortrag, mit dem Chrzanowski sich 1961 auf dem Düsseldorfer Kongress den Europäern vorstellt, betitelte er mit „The Impact of Interpersonal Conceptions on Psychoanalytic Technique“170. Er beginnt mit einer langen Reflexion über seine Unfähigkeit, den Vortrag in deutscher Sprache zu halten und fragt sich zunächst, ob dies vielleicht mit den „dark years of tragedy“ zu tun hat, die mit der deutschen Kultur assoziiert sind. Er geht nicht weiter auf diese Frage ein, sondern stellt Überlegungen zur persönlichen und allgemeinen Bedeutung von Worten an und einer sich daran anknüpfenden Gefahr von Missverständnissen und Verfehlungen in Begegnungen, was insbesondere bei analytischen Begegnungen zu beachten sei. Er warnt vor einseitig medizinisch-biologischen Perspektiven oder einseitig sozial ausgerichteten Perspektiven bei der Betrachtung menschlicher Verhältnisse und beklagt die Beeinträchtigung von Verständnis und Behandlung von psychischen Störungen durch den nicht zum Konsens zu bringenden Gebrauch von Fachbegriffen in Psychoanalyse, Psychiatrie und Psychotherapie. Das Zentrum der Psychoanalyse habe sich in die USA verlagert, wo sie tiefe Wurzeln geschlagen und sich mit der amerikanischen Denkweise verknüpft habe. So sei die Interpersonelle Psychoanalyse eine zutiefst amerikanische Entwicklung, da sie aus dem amerikanischen Pragmatismus erwuchs, der auf den Prinzipien von Aktivität, Prozess und Resultat basiert. Die interpersonelle Psychoanalyse betone den beobachtbaren Prozess, in dem der Psychoanalytiker mit seiner Persönlichkeit und seinem Wertesystem teilnimmt und müsse daher unvermeidbar die Gegenübertragung als ein Hauptinstrument für die Behandlung miteinbeziehen. Sullivan, der die Interpersonelle Psychoanalyse ausarbeitete, wurde dabei durch William Alanson White und den bedeutenden schweizerisch-amerikanischen Psychiater Adolf Meyer (1866-1950) beeinflusst. Chrzanowski gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklungsphasen des Kindes aus interpersoneller Sicht und wendet sich dann den Konsequenzen zu, die diese Form der Behandlung für die Technik hat. Ganz dem Pragmatismus verpflichtet warnt er den Psychoanalytiker davor, dem Patienten das Ideal eines glücklichen und gelingenden Lebens vorzugeben, grundlegende existentielle Probleme mit ihm lösen zu wollen, nach einem „authentischen Kern“ der Persönlichkeit zu suchen und

169 Siehe Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 23.01.75: „I took the liberty to make a correction to the Preamble by adding the William Alanson White Society to the group of founding societies in the initial statement.” In seinem Antwortbrief vom 22.03.1975 korrigiert Schelkopf dies mit den Worten: “Auf Grund der Dokumente, die ich in Händen habe, gehörte die William Alanson White Institute (gemeint: Society) nicht zu den Gründungsmitgliedern der Federation sondern kam erst etwas später hinzu.“ Chrzanowski betont daraufhin am 31.03.1975, dass seiner Erinnerung nach die Idee der IFPS bereits auf dem Kongress in Düsseldorf Form angenommen habe, den er das erste Forum nennt. Die Zählung der Foren beginnt allerdings erst 1962 mit dem Treffen in Amsterdam. Er fährt fort: „For a number of reasons (which also involved the Academy) I have been under the impression that the actual birth of the Federation as a nuclear four society “Arbeitsgesellschaft” came into being in the time of the first International Forum in Amsterdam.” Siehe auch unten das Kapitel Beziehung der vier Gruppen. 170 Chrzanowski, G. (1964), The Impact of Interpersonal Conceptions on Psychoanalytic Technique; in: Fortschritte der Psychoanalyse, Band I, Göttingen, Verlag für Psychologie, Hogrefe. 58

Phantomprobleme zu errichten, anstatt sich auf die wichtigsten Schwierigkeiten des Patienten zu konzentrieren. Die Wärme und Sympathie des Therapeuten gegenüber dem Patienten würden ebenso wie die Bedeutung von Träumen häufig bezüglich ihrer therapeutischen Wirkung überschätzt. Das Ziel von Analysen sieht Chrzanowski als ein sehr bescheidenes an, wenn er sich zufrieden schätzt mit einer Erweiterung der zwischenmenschlichen Fähigkeiten und lebenspraktischen Möglichkeiten des Patienten. Man kann sich vorstellen, dass Chrzanowski mit dieser analytischen Haltung Anknüpfungspunkte an die ebenfalls pragmatische Ausrichtung der Schultz-Hencke-Schüler fand und vorstellbar ist auch ein Konfliktpotential gegenüber dem Konzept Fromms von einem „humanistischen Gewissen“ und seiner Utopie von einer „vollentfalteten Gesellschaft“.

2.3. Die Konflikte der vier ersten Gruppen untereinander

Es macht Sinn und ist inhaltlich berechtigt, von den ersten vier Gruppen der späteren IFPS als Gründungsgruppen zu sprechen. Auch wenn die Unterschrift Chrzanowskis aus den oben dargestellten Gründen nicht unter dem Gemeinsamen Beschluss vom 30. Juli 1962 steht, war er für die Gründung, die Organisation und den Bestand der neuen internationalen Vereinigung von so großer Bedeutung, dass er zur Ur-Gruppe hinzugezählt werden muss. Ich werde jedoch noch einmal weiter unten in diesem Abschnitt auf diesen Konflikt zurückkommen. Sieht man sich diese vier Gruppen an, fällt zunächst auf, dass alle deutschsprachig sind. Fromm und Chrzanowski sind deutsche Juden, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten und in den USA einen neuen Wirkungsort fanden. Chrzanowski ist der Einzige der Gründungsgruppe, der diese Vergangenheit anspricht, wenn er im oben zitierten Vortrag von der Unmöglichkeit spricht, den Vortrag auf Deutsch zu halten. Jedoch zeigen weder Fromm noch Chrzanowski Vorbehalte gegenüber den DPG-Kollegen, so wie die DPG-, aber auch die DPV-Kollegen dies von einigen IPA-Psychoanalytikern erfahren haben. Erst viel später, anlässlich des Berliner Forums 1977 wird dieses Thema auch in der IFPS auftauchen. Auch die Vertreter der American Academy of Psychoanalysis, mit denen in den ersten Jahren enger Kontakt bestand, Salzman und Millet sprachen Deutsch, ebenso Eckardt-Horney. Eine weitere Gemeinsamkeit der vier Gruppen besteht in einem deutlichen Interesse am Austausch mit den Nachbarwissenschaften. Caruso und Fromm teilen das Interesse für Religion, Marxismus und Philosophie. Schwidder und Chrzanowski verbindet eher eine therapeutische Vielseitigkeit und der Wunsch, in eigens gegründeten Kliniken ihre psychoanalytische Erfahrung möglichst vielen Patienten mit unterschiedlichen Psychopathologien zukommen zu lassen.

59

Chrzanowski wird jedoch rückblickend 1998 von den Gründungsgruppen der IFPS als von einer „kleinen Gruppe von psychoanalytischen Gesellschaften, die eigentlich nicht recht zueinander passten“ sprechen171. Einige Beispiele sollen verdeutlichen, was Chrzanowski hier gemeint hat.

In dem oben bereits erwähnten vertraulichen Schreiben an die Mitglieder des Wiener Arbeitskreises und die assoziierten Arbeitskreise vom 01. Februar 1964 referiert der Sekretär des Wiener Arbeitskreises Josef Shaked (geboren 1929) über Theorie und Praxis der DPG172. Er benutzt hierfür die Werke von Schultz-Hencke, mehrere Publikationen von DPG- Mitgliedern, Sitzungsprotokolle und schriftliche Zeugnisse der Analysanden. Shaked begründet dieses Vorhaben mit der oben bereits zitierten aufschlussreichen Erklärung zur soeben beschlossenen Zusammenarbeit mit der DPG: „Diese Zusammenarbeit nützt sicherlich dem wissenschaftlichen Austausch, hat aber vor allem taktischen Wert, insofern sie ein Gegengewicht gegen die Alleinherrschaft der orthodoxen Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung erstellen will.“ Er fügt hinzu: „Es befreit uns die erwähnte Zusammenarbeit nicht von einer kritischen Einstellung zu unseren Partnern.“ Anschließend gibt er einen kurzen Abriss der wichtigsten Veränderungen von Schultz-Henckes Lehre gegenüber Freuds Theorie (Ersetzung der Libidotheorie durch die Antriebsgebiete; Wegfall des Ödipuskomplexes, Vernachlässigung von Übertragung und Widerstand, Ersetzen des dynamischen Unbewussten durch das Schwererinnerliche, Wegfall der Dialektik zwischen Individuum und Gesellschaft) und berichtet dann von den Erfahrungen Fernandez-Cerdenos, einem damaligen Kandidaten des Wiener Arbeitskreises, der als Austauschkandidat ein Jahr seiner analytischen Ausbildung bei der DPG in Tiefenbrunn (die Klinik, die u.a. Schwidder in Göttingen gegründet hatte) verbracht hatte. Zwar seien durch die DPG-Mitglieder die Begriffe der Übertragung und des Widerstandes wiedereingeführt worden, „in der Praxis jedoch scheinen sie diesen Begriffen nicht die übliche Bedeutung zu geben.“ Fernandez-Cerdeno bemerkte am Vorgehen der Therapeuten der DPG, das Verhalten sei weitgehend aktiv, die Spiegelhaltung werde als unmöglich betrachtet, die Mehrzahl der Deutungen stellten einen pädagogischen Prozess dar, die kindliche Sexualität und der Ödipuskomplex würden abgelehnt, Begriffe wie Narzissmus, Aggression, Regression, Entwicklungsphasen würden „überhaupt nicht verstanden“. Shaked schließt sein vertrauliches Schreiben mit den Worten: „Der Wiener Arbeitskreis hofft, dass er einen gewissen Einfluss auf die weitere Entwicklung

171 Chrzanowski, G. (1998), Erich Fromms „Flucht“ vor Sigmund Freud. International Forum of Psychoanalysis, Vol.6, S. 185-189. Deutsch bei: Erich Fromm Dokumentationszentrum. 172 Das Schreiben ist mit dem Namen Joseph Shaked unterzeichnet. In seiner Autobiographie sagt Shaked über diese Angelegenheit: „Einige Monate später betraute mich Caruso mit der Aufgabe, ein von ihm formuliertes Positionspapier zur Einschätzung der Neopsychoanalyse zu redigieren. Dieses Dokument war wegen des kritischen Grundtons als heikel einzustufen und wurde deshalb mit dem Vermerk ´vertraulich´ im Februar 1964 ausschließlich an die Mitglieder der Arbeitskreise versandt.“ (Shaked, J. (2011), Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag, Gießen. Seite 50) Es muss also offen bleiben, ob das Schreiben von Shaked oder von Caruso verfasst wurde. 60 der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft e.V. ausüben und zu einem besseren Verständnis der psychoanalytischen Theorie und Praxis beitragen kann. Aus der oben gebotenen kurzen Analyse ist es dennoch klar, dass die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft e.V. noch vieles in ihrer Theorie und Praxis überholen muss, ehe unsere Zusammenarbeit mehr als eine oberflächliche und taktische Angelegenheit werden kann.“ In seiner Autobiographie hat Shaked die Einstellung des Wiener Arbeitskreises gegenüber der DPG so beschrieben: „Die Neofreudianer waren als Bündnispartner gegen die Internationale Psychoanalytische Vereinigung zwar herzlich willkommen, als Komplizen im Geiste genossen sie dagegen nur eingeschränkte Sympathien.“173 Im Vorfeld des Zusammenschlusses hatten die DPG-Mitglieder ihrerseits Bedenken gegenüber den Wienern, da diese dem Namen nach zu schließen offenbar nur Tiefenpsychologen seien und keine Psychoanalytiker: „Es wird die sogenannte `personalistische Psychoanalyse` vertreten. Wir haben erst geringen Einblick wie weit es sich dabei wirklich um eine psychoanalytische Gesellschaft handelt“174 Es gibt keine Hinweise darauf, dass der DPG der Inhalt des vertraulichen Schreibens bekannt gemacht wurde. Erst dreizehn Jahre später macht Caruso den derzeitigen Generalsekretär der IFPS Jakov Katwan auf die Abhandlung von Wolfgang Huber über die Psychoanalyse in Österreich aufmerksam, in der dieses Schreiben verarbeitet wurde175. Katwan hatte bei Caruso um Informationen über die Gründung der IFPS gebeten. Unklar ist, ob die DPG ihrerseits sich eingehender mit der Lehre der Caruso-Gruppe beschäftigt hat, um ihre anfängliche und auf Unkenntnis gründende Skepsis zu überprüfen.

Ein anderer Konflikt ist der zwischen Chrzanowski und Fromm. Er hatte sich vermutlich lange aufgebaut und geht womöglich zurück in die Zeit, als Fromm Chrzanowskis Behandlungen während seiner Ausbildung supervidierte176. Spätestens 1972 eskalierte die Spannung, als sich die Mexikanische Gruppe wegen eines angeblich unfreundlichen und abweisenden Verhalten Chrzanowskis von der Teilnahme am IV. Forum in New York 1972 zurückzog. Helmut Bach und Anton Schelkopf von der DPG versuchten, den Konflikt zu schlichten. Am 28. November 1973 schreibt Fromm an Schelkopf: „As far as I can make it out, the whole point here is Dr. Charnovsky´s (sic! A.H.) personal resentment against me, which dates back over many years.” In einem Brief an Schelkopf vom 14. Februar 1974 bemerkt er, Chrzanowski könne durch die Unzulänglichkeiten seines Charakters verheerenden Schaden anrichten.177

173 Shaked, J. (2011), Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag Gießen. S. 54f. 174 Protokoll DPG vom August 1961. 175 Brief Caruso an Katwan vom 22.02.1979. Vgl. Huber, W. (1977), Psychoanalyse in Österreich seit 1933. Geyer- Edition, Wien, Salzburg. 176 Siehe Chrzanowski, G. (1998), Erich Fromms “Flucht” vor Sigmund Freud. In: Erich Fromm Dokumentationszentrum. 177 “In that way he can create a lot of havoc by the shortcomings of his character. (…) I agree with you that we should not let ourselves be impressed by personal differences which may exist here and there. But what we are dealing with in these cases are not just personal differences but deep-seated destructive tendencies which one can only ignore as a danger that they succeed in influencing and damaging organizations.” Fromm an Schelkopf, 14.02.1974. 61

Schelkopf antwortet Fromm am 15. Dezember 1973: „Ich glaube, dass wir uns alle nicht von persönlichen Differenzen, die es da und dort geben man, beeindrucken lassen sollten. Persönlich werde ich alles mir mögliche versuchen, um in der Zukunft Verstimmungen und Missverständnisse aus unserer Arbeit herauszuhalten. Einem gleichen Ziele dient auch meine bereits angekündigte Absicht, der Generalversammlung des Forums in Zürich einen Entwurf für eine Satzung der Federation vorzulegen, die sowohl die Verbindung der Gesellschaften der Federation untereinander als auch die Grundsatzorganisation des Forums in der Zukunft prägen soll.“ Ein Brief Chrzanowskis vom 1. Juli 1974 direkt an Fromm bringt dessen Ärger über Fromms jahrelange Untätigkeit in Bezug auf die IFPS und die Organisation der Foren zum Ausdruck, mit denen er sich alleingelassen fühlte. Ein anderer Anlass seines Ärgers ist die Verschiebung des III. Forums in Mexiko um ein Jahr, die durch Fromm verursacht war. Dadurch habe sich ein vierjähriges Intervall zwischen dem II. und III. Forum ergeben, das durch zwei Arbeitstagungen habe überbrückt werden müssen. Das lange Intervall habe dem Zusammenhalt der jungen Vereinigung, die ihm, Chrzanowski, sehr am Herzen liege, nicht gut getan. Fromm dagegen habe sich zuletzt 1965 aktiv um das Forum gekümmert (Fromm selbst war auf dem Forum in Mexiko, das er initiiert und dann verschoben hatte, aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend). Chrzanowski läßt kurz darauf Schelkopf wissen: „He (Fromm, A.H.) had lost all interest in the Forum and had turned his back on it since 1965.”178 Fromm wiederum schreibt an Schelkopf, Chrzanowski habe sich seit Langem negativ gegenüber der Mexikanischen Gruppe verhalten und sogar Heigl habe dies bemerkt und gemeint, Chrzanowski habe die Rolle der Mexikanischen Gruppe und die Fromms selbst kleingeredet und verzerrt179. Fromm ging so weit, Chrzanowskis Aktivitäten als schädlich für die IFPS zu bezeichnen180

Der Konflikt fand eine Fortsetzung nach dem Tod Schelkopfs im Mai 1975, als die IFPS ohne Generalsekretär dastand und sich die beiden DPG-Vorstandsmitglieder Katwan und Friedrich Beese (1921-2012) zusammen mit Elisabeth von Strachwitz und Silva-García aus Mexiko trafen, um einen interimistischen Generalsekretär zu ernennen. Katwan und Beese waren dafür, Chrzanowski den Posten zu geben, was allerdings bei Silva-García auf einen so starken Widerstand stieß, dass die Idee aufgegeben werden musste und es für zwei Jahre keinen Generalsekretär gab181. Silva-García schlug vor, die Stelle des IFPS-Generalsekretärs für alle Zeiten an einen Vertreter der DPG zu geben, was dort jedoch abgelehnt wurde. Als Chrzanowski davon erfuhr, erklärte er Katwan: „Dr. Silvas objection to me dates back to the

178 Brief vom 23.07.1974. 179 Brief vom 21.05.1975. 180 (Fromm-Archiv) Briefe Fromm an Schecter vom 28.03.1974 und vom 07.06.1974. 181 Protokoll Beese vom 06.07.1976. 62 early days of the Forum when Erich Fromm wanted my personal support against Radó in a highly personal confrontation between the two men.”182

Ein dritter Konflikt betrifft das Verhältnis zwischen Chrzanowski und Heigl. Heigl hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass die WAW Society und damit Chrzanowski nicht zu den Gründern der IFPS gehörten. Chrzanowski hatte dies in mehreren Publikationen behauptet183 und schließlich 1978 Katwan gegenüber in einem offiziellen Antrag gefordert, in die Liste der Gründer aufgenommen zu werden184. Katwan sah sich hierdurch in einer peinlichen Situation und äußerte gegenüber dem damaligen DPG-Vorsitzenden Wolfgang Zander (1922-2004): „Ich neige dazu, den Wunsch der WAW Society in die Aufzählung der Satzungsänderungs- Vorschläge aufzunehmen und die Entscheidung der Generalversammlung zu überlassen. Es wird also möglicherweise nicht anders sein als in der UNO, nämlich dass die Mehrheitsverhältnisse entscheiden, was geschichtliche Wahrheit ist. Ich wüsste gern Deine und Fritz Beeses Meinung dazu.“185 Heigl meinte außerdem, Chrzanowski ausdrücklich daran erinnern zu müssen, dass er, Heigl, der erste Generalsekretär der IFPS gewesen war186, was von diesem beständig ignoriert werde. Tatsächlich gibt es wenig Korrespondenz zwischen Chrzanowski und Heigl, da Chrzanowski sich eng mit Schwidder befreundet hatte und diesen bis zu seinem Tod 1970 in allen Angelegenheiten des Forums anschrieb. Möglicherweise ist der Konflikt zwischen ihnen in den Jahren nach Schwidders Tod entstanden und geht auf das Gefühl Chrzanowskis zurück, in dieser Zeit die Last des Fortbestehens der IFPS allein getragen zu haben. Vor Schwidders Tod gibt es keine Auffälligkeiten im Ton der Kommunikation zwischen beiden. Im Gegenteil hat Chrzanowski als einzigen deutschen Beitrag in den ersten Jahrzehnten von „Contemporary Psychoanalysis“, der Zeitschrift der WAWS, 1966 die Übersetzung eines Artikels von Heigl untergebracht, dem er verbindliche und anerkennende Worte voranstellt, in denen er seiner Gesellschaft die IFPS präsentiert 187.

182 Brief Chrzanowski an Katwan vom 10.06.1976. 183 Siehe zum Beispiel: Chrzanowski, G. (1975), On the International Forum. In: Contemporary Psychoanalysis (1975), 11: 100-103. 184 Brief Katwan an Zander vom 12.12.1978. 185 Ebd. 186 Siehe Brief Heigl an Chrzanowski vom 13.05.1975: „(…) Der erste Sekretär dieser Intern. Arbeitsgemeinschaft von 1962 bis 1972 war Franz Heigl; ich bat 1972 in New York, mich von diesem Amt zu entbinden. (…) Leider ist der Name des ersten Sekretärs in Ihrem Artikel nicht erwähnt. (…) Bei allem Gedenken an Schwidder und bei aller Freundschaft mit ihm (…) finde ich doch, dass in Ihrem Bericht der sachliche und der ideelle Beitrag der anderen Gründungsmitglieder der Intern. Arbeitsgemeinschaft als der Keimzelle der Intern. Fora etwas zu kurz kommt.“ 187 Heigl, F. (1966), Personality Structure and Prognosis in Psychoanalytical Treatment. In: Contemporary Psychoanalysis, 2. Jg, 1966. „Dr. Franz Heigl is a member of the German Psychoanalytic Society which was founded in 1910. Directed by Werner Schwidder, it is the largest of the continental societies. This group has explored new directions in and practice as Melanie Klein did in England, Rene Laforgue in France and Binswanger, Bally and Boss in Switzerland. For the past decade the European societies have been trying to organize an international forum which would be less restrictive than the International Psychoanalytical Association and which might serve as a discussion place for the varied psychoanalytic schools and viewpoints. Using the model of the Academy of Psychoanalysis, a first International Congress for Psychoanalysis was held in Düsseldorf in 1961, which was followed by an International Forum for Psychoanalysis in Amsterdam in 1962 and in Zürich in 1965. Representatives of European and American psychoanalytic societies participated on the organizing committee. The wish for a closer scientific exchange was recognized and led to the formation of the International Federation of 63

Katwan, der als IFPS-Generalsekretär 1978 die Geschichte der IFPS zu schreiben beabsichtigte, bemerkte: „Die Gegnerschaft Fromm versus Chrzanowski und Chrzanowski versus Heigl zieht sich allerdings als roter Faden durch all die Jahre.“188

Die DPG ist 1969 jedoch sehr zufrieden mit den Ergebnissen ihrer internationalen Bemühungen und fasst ihren Eindruck so zusammen: „Wir haben eigentlich zu allen assoziierten Gesellschaften gute Beziehungen, wenn auch unsere Verbindungen sowohl wissenschaftlicher wie freundschaftlicher Art am engsten zur William Alanson White Society sind. (…) Die DPG als psychoanalytische Gesellschaft und mehrere ihrer Mitglieder als Autoren von Veröffentlichungen sind seit Amsterdam 1962 bekannter geworden. Man zitiert uns häufiger bei anderen psychoanalytischen Gesellschaften. (…) Wir haben, so glaube ich sagen zu dürfen, einen guten Ruf als solide psychoanalytische Gesellschaft, einen Ruf aber auch als umgänglich, nicht sture, liberale Psychoanalytiker.“189

2.4. Beginn der Zusammenarbeit und Ausbau der Beziehungen bis 1965

Wenige Wochen nach dem I. Forum beginnen die Vorbereitungen für das II. Forum. Das engere Organisationskomitee besteht nach dem Beschluss von 1962 aus Westerman-Holstijn, Salzman und Schwidder. Das weiter gefasste Organisationskomitee, welches über das wissenschaftliche Programm des Forums beschließt, sollte sich aus jeweils zwei Vertretern der in der Internationalen Arbeitsgemeinschaft assoziierten Gruppen plus jeweils zwei Vertretern der holländischen und belgischen Gruppen zusammensetzen. Das Dreier-Komitee berät zunächst über den Ort des Kongresses und zieht London in Betracht. Westerman- Holstijn überlegt jedoch, ob es nicht etwas provokativ wäre, sich „in the very heart of the IPA, the residence of Hoffer“190 zu treffen. Er führt seinen Gedanken weiter aus: „But on nearer consideration I recollected that our aim is a friendly one, that we come with a hand streched out for cooperation, and if they think it suitable to thwart us, this cannot change our intention into an inimical one“191. Als Alternative wird die Schweiz in Betracht gezogen, da die “BBB

psychoanalytic Societies (Internationale Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytischer Gesellschaften) which consists of the German Psychoanalytic Society, The Mexican Psychoanalytic Society, the Circle for and the William Alanson White Psychoanalytic Society. Heigl’s paper is being published as an expression of this wish for closer scientific communication among the member groups of the Federation.” 188 Brief Katwan an Zander vom 12.12.1978. 189 Es handelt sich um ein Protokoll aus dem Jahr 1969, das nur im Fragment vorliegt, daher kann nur vermutet werden, dass es sich bei dem Protokollanten um Schwidder handelt. 190 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder und Salzman vom 03.09.1962. 191 Ebd. 64 group (Boss, Bally, Binswanger)“192 dort zwar keine offizielle unterstützende Gruppe sei, aber liberalere Ansichten habe und einen Kongress wohl leichter ausrichten könnte.

Der Einwand von Boss, dass im selben Sommer 1964, in dem in Zürich das II. Forum stattfinden sollte, in London bereits der Internationale Kongress für Psychotherapie geplant worden ist, führt zu der Entscheidung, das II. Forum um ein Jahr nach 1965 zu verschieben. Dies führt in einem Fall zu transnationalen Missverständnissen: Im Juli 1964 berichtet Binswanger, dass kürzlich sieben spanische Kollegen angereist seien, die nicht wussten, dass das Forum erst ein Jahr später stattfindet193.

Ein Thema, das die Korrespondenz der nächsten Jahre begleiten wird ist die Suche nach einem Verlag für die Veröffentlichung der Vortragstexte der Kongresse. Man wollte die Bände „Jahrbuch“ nennen, Westerman-Holstijn schlägt als Haupttitel der Reihe „Fortschritte der Psychoanalyse“ vor194. Dieser Vorschlag wird umgesetzt und aus „Jahrbuch“ wird der Untertitel: „Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse“. Unter diesen Titeln erscheinen die ersten vier Bände, herausgegeben von Salzman, Westerman-Holstijn und Schwidder. Annelise Heigl-Evers (1921-2002) hat die Redaktionsarbeiten besorgt. Westerman-Holstijn fragt zunächst mehrere Verlage in Holland an, von denen einer das Projekt ablehnt, da es nicht zu den exakten Wissenschaften gehöre. Durch eine Fehlleistung des Verlages erfährt er jedoch, dass der frühere Präsident der „Nederlandse Vereniging for Psychoanalysis“, Piet J. van der Leeuw, gegen die Publikation interveniert hatte: „So the situation is clear – the school (d.h. die IPA, A.H.) has continued its machinations“195. Angesichts der „fortwährenden fanatischen Opposition der Clique hier und ihrer Verleumdungskampagne“196 stimmt Westerman-Holstijn dann zu, die Bände in Deutschland drucken zu lassen. Schwidder kann schließlich mit dem Verlag für Psychologie von Dr. Hogrefe in Göttingen den Vertrag abschließen. Der fünfte und sechste Band erscheint 1977 im „Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht“ unter dem Titel „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“ und beenden die Reihe. Die amerikanische und die mexikanische Gruppe gründen eigene Zeitschriften, in die jeweils zwei Vertreter der anderen Gruppen in den wissenschaftlichen Beirat aufgenommen werden. Die WAWS bringt „Contemporary Psychoanalysis“ heraus, verantwortlich zeichnen Rose Spiegel und Max Deutscher; die Mexikanische Psychoanalytische Gesellschaft gründet die „Revista Mexicana de Psicoanalisis, Psiquiatria e Psychologia“ unter der Herausgeberschaft von

192 Ebd. 193 Brief Binswanger an Schwidder vom 28.07.1964. 194 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder und Salzman vom 31.10.1962. 195 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder und Salzman vom 26.10.1962. 196 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder und Salzman vom 31.10.1962. 65

Fromm und Ramón de la Fuente197. Man tauscht auch Neuerscheinungen von den jeweils anderen Gruppen untereinander aus. Aus der Caruso-Gruppe wird das Buch „Personalisation“ (von Edelweiß, Tanco Duque und S. Schindler), aus der DPG „Gelten und Geltenlassen in der Ehe“ (von Heigl und Heigl-Evers) und von Fromm „The Heart of Man“ zur Kenntnis genommen198.

Ein weiteres wichtiges Thema ist das Interesse anderer internationaler psychoanalytischer Gruppen an den Kongressen und dann auch an einem Beitritt zur Arbeitsgemeinschaft. Kurz nach dem Kongress in Amsterdam hatten sich Margit Norell aus Schweden, Einar Dannevig aus Norwegen, Jeronimo Molina Nunez199 aus Spanien und Vertreter des Circulo Brasilieiro de Psicologia Profunda und der griechischen Société Hellénique de Psychobiologie um Kontakt bemüht200. Molina Nunez, der seine Briefe deutsch schreibt, leitet eine psychosomatische Klinik bei Madrid und hatte laut Schwidder seine psychoanalytische Ausbildung im Berliner Institut vor 1933 gemacht201. Er wird ab Mitte 1964 dem erweiterten Organisationskomitee für das II. Forum beitreten. Westerman-Holstijn äußert Bedenken gegenüber der Société Hellénique, da in dieser Gesellschaft nur wenige Psychoanalytiker unter ansonsten vielen Psychotherapeuten waren. Er fragt Schwidder und Salzman, ob sie auch seiner Meinung seien, dass die unterstützenden Gesellschaften als gesamte Vereinigung auf psychoanalytischem Boden stehen sollten. An dieser Stelle beginnt die Auseinandersetzung mit einem Thema, das die IFPS noch lange beschäftigen wird: Die Kriterien für die Aufnahme neuer Gesellschaften. Ich werde weiter unten ausführlicher darauf zurückkommen. Schwidder äußert sich in seiner Antwort ebenfalls ablehnend gegenüber einer „allgemeinen psychotherapeutischen Gesellschaft“ und schlägt vor, den griechischen Psychoanalytiker, der mit ihnen Kontakt aufnahm, zu bitten, eine psychoanalytische Untergruppe zu bilden, um mit dieser dann der Internationalen Arbeitsgemeinschaft beizutreten.

Schwidder und Westerman-Holstijn hatten in ihrer Korrespondenz mit Salzman mehrfach erwähnt, wie wichtig es sei, dass dem Namen einer Einzelperson auf der Liste der Vortragenden oder Teilnehmer seine Zugehörigkeit zu einer psychoanalytischen Gesellschaft zugeordnet werde: Würde die Gruppe nicht genannt, dann wüsste keiner etwas mit den

197 Siehe Rundschreiben der Internationalen Arbeitsgemeinschaft psychoanalytischer Gesellschaften vom Juni 1965. 198 Ebd. 199 Jeronimo Molina Nunez war um 1950 herum bei Carl Müller-Braunschweig in Analyse; zuvor war er in Analyse bei Angel Garma (siehe Knapp, H. (2001): Zweizeitige Objektwahl. Zur Geschichte der Psychoanalyse in Spanien, Diplomarbeit an der FU Berlin). 200 Ebd. 201 Siehe Brief von Schwidder an Chrzanowski vom 10.04.1964. Da verlässliche Daten über die Ausbildungskandidaten des Berliner Psychoanalytischen Instituts vor 1933 fehlen, lässt sich nicht rekonstruieren, wann Molina Nunez dort seine Ausbildung gemacht hat. Vgl.: Hermanns, L., May, U. und Müller, K. (2007), Zum Berliner Institut und seiner Geschichte. In: Semester-Journal des Karl-Abraham-Instituts vom Juli 2007. 66

Personennamen anzufangen und das Interesse für den Kongress wäre geringer. Salzman reagiert jetzt alarmiert und verärgert auf Schwidders Vorschlag gegenüber dem griechischen Kollegen und wünscht, dass die neuen internationalen Kongresse nach dem Vorbild der Academy offen seien für alle interessierten Kollegen aus aller Welt: „The idea we agreed upon was to encourage everyone to come from everywhere and to encourage them to invite others; in this way our Forum will represent free psychoanalysis and not just another international group competing with other international organisations. (…) This is most important for the Academy, since our desire is simply to exchange ideas in an atmosphere congenial to all without concern about group identity“202. In diesem oben bereits erwähnten Konflikt geht es um grundsätzlich unterschiedliche Ansätze für eine internationale Zusammenarbeit, basierend auf unterschiedlichen Ausgangssituationen: In der Academy versammelten sich Psychoanalytiker, die Ärzte waren und damit in den USA die einzigen Zugelassenen; sie standen nicht in der Verantwortung für die Ausbildung und sie waren zum Teil Mitglieder der IPA. Sie waren - mit anderen Worten - etabliert, privilegiert und unabhängig. Die Situation der europäischen Psychoanalytiker außerhalb der IPA war eine grundsätzlich andere, da sie um Anerkennung kämpfen mussten und die sog. orthodoxen Gruppen die Zusammenarbeit mit ihnen verweigerten. Salzman zieht sich kurz darauf aus dem Organisationskomitee zurück, was auch Schwidder mit einem Vermittlungsversuch nicht verhindern kann. Eckardt-Horney, als Mitglied der Academy, schafft dann eine Verständigung zwischen der Academy und den Europäern, indem sie es als einen Fehler der Academy bezeichnet, in Amsterdam als Gruppe aufgetreten zu sein und zugleich die Gruppenbildung abzulehnen. Außerdem sei das europäische Bestreben, die „nichtorthodoxen Gruppen in einer starken Organisation zu vereinigen“, gut verständlich und taktisch richtig, aber für die Academy eben unmöglich. Schwidder hatte kurz nach seinem Vermittlungsversuch mit Salzman auch Millet gegenüber nochmals betont, dass nicht beabsichtigt sei, eine Organisation zu schaffen, die in irgendeiner Weise in Rivalität zur IPA stehe; aus den Forum-Veranstaltungen solle keinesfalls eine feste Organisationsform unter Gruppen nach dem Muster der IPA hervorgehen203. Zu diesem Zeitpunkt ist die Internationale Arbeitsgemeinschaft, die spätere IFPS, noch eine Mischform, in der es sowohl vier assoziierte Gesellschaften gibt als auch Einzelpersonen, wie Westerman- Holstijn, der für die Organisation des Forums zentral, aber nicht Mitglied ist. Chrzanowski, der mit der WAWS gerade dem Bündnis beigetreten war, fragt sogleich nach der Rolle Westerman-Holstijns für das Forum und legt damit den Finger an einen heiklen Punkt. Tatsächlich wird sich Westerman-Holstijn im Laufe der nächsten Jahre nach und nach zurückziehen und die Arbeitsgemeinschaft aus den beigetretenen Gruppen wird sich allmählich festere Organisationsformen geben. Einzelpersonen werden erst ab 2012 als

202 Brief Salzman an Schwidder und Westerman-Holstijn vom 15.11.1962. 203 Brief Schwidder an Millet vom 10.03.1964. 67

Mitglied in der IFPS aufgenommen. Ein anderer Grund für Chrzanowskis Nachfrage kann ein persönlicher Ärger über Westerman-Holstijn gewesen sein, der sich laut Chrzanowski in Amsterdam mehrere Leute zum Feind gemacht habe durch die Art, wie er das Treffen leitete204. Chrzanowski wird in den folgenden Jahren die Rolle von Schwidders engstem Vertrauten in der IFPS übernehmen, die in den ersten Jahren Westerman-Holstijn innehatte. Es ist auch Chrzanowski, der als erster von der „International Federation“ spricht, als alle anderen das Bündnis noch Arbeitsgemeinschaft oder Organisation nennen205. Das Interesse Chrzanowskis an der IFPS ist von Anfang an stark und von viel persönlichem Engagement getragen. Er richtet kurz nach dem Beitritt der WAWS dort ein ständiges „Committee on International Affairs“ ein, das die IFPS vertritt und aus ihm und Edith Nachmansohn besteht206. Im Sommer 1964 reist er nach Europa und trifft Schwidder, im Dezember kommt er erneut nach Europa, um sich mit dem engeren Organisationskomitee zu einer Geschäftssitzung zu treffen und nimmt damit hohe Reisekosten auf sich.

Der Konflikt mit der Academy macht noch eine kurze Volte, als Chrzanowski den Verdacht äußert, die Academy könnte in Europa mit der Veranstaltung eines Workshops der IFPS Konkurrenz machen. Schwidder reagiert mit Unverständnis, da seines Erachtens die Academy und die IFPS die gleichen wissenschaftlichen Ziele verfolgten und beide an Veranstaltungen des jeweils anderen teilnehmen würden. Der einzige Unterschied zwischen Academy und IFPS sei die Tatsache, dass die IFPS „eine engere Form der Zusammenarbeit unter Einschluss der nichtärztlichen Psychoanalytiker“ darstelle207. Nach dem II. Forum in Zürich 1965 zieht sich die Academy mehr und mehr aus der Organisation der Fora zurück und überlässt diese Aufgabe schließlich ganz den Vertretern der Internationalen Arbeitsgemeinschaft, bzw. der IFPS208.

Westerman-Holstijn schlägt nach dem Rückzug Salzmans vor, stattdessen die anderen amerikanischen psychoanalytischen Gruppen „Association for the Advancement of Psychoanalysis“209, „Council of Psychoanalytic Psychotherapists“, „Association for Applied Psychoanalysis“, „Association for Psychoanalytic Psychologists“, „National Psychological Association for Psychoanalysis“210 zur Zusammenarbeit einzuladen. In das engere Organisationskomitee des Forums tritt nun Herbert Binswanger an die Stelle von Salzman, um

204 Brief Chrzanowski an Schwidder vom 15.05.1964. 205 Z.B. Brief Chrzanowski an Schwidder vom 26.05.1964. 206 Ebd. 207 Brief Schwidder an Chrzanowski vom 12.02.1965. 208 Siehe Protokoll der Internationalen Arbeitsgemeinschaft vom 31.8.1968. 209 Gegründet 1941 in New York durch Karen Horney. Die Gesellschaft gibt die Zeitschrift American Journal of Psychoanalysis heraus. Frederick A. Weiss war Mitglied der Gesellschaft und hatte in Düsseldorf 1961 einen Vortrag gehalten. 210 Gegründet 1950 in New York durch Theodor Reik. Die NPAP nahm sog. Laien, also Psychologen und Sozialarbeiter neben den Ärzten in die psychoanalytische Ausbildung auf. Seit 1958 ist die Psychoanalytic Review die offizielle Zeitschrift der NPAP. 68 die lokalen Angelegenheiten zu übernehmen, Medard Boss sagt ebenfalls seine Unterstützung zu.

Alexander sagt seine Teilnahme im Februar 1964 erneut ab, da er das „komplexe europäische Kräfteparallelogramm“ nicht verstehe und durch seine Teilnahme die Schwierigkeiten nicht vergrößern wolle211. Einen Monat später stirbt er an seinem Wohnort in Kalifornien. Auch Radó wünscht dem Forum zwar das Beste, sieht sich aber nicht in der Lage, teilzunehmen212. Paul Parin lehnt seine Einladung mit der Erklärung ab, es gehe aus dem Rundschreiben nicht hervor, dass die Organisatoren des Forums „auf der Basis der Freudschen Entdeckungen ganz andere Formen der Psychotherapie, andere Theorien, andere Denkweisen entwickelt haben (…) und dass dies mit der Freudschen Psychoanalyse im engeren Sinne nichts zu tun hat.“ Zwar würden sich diese Psychotherapeuten als Psychoanalytiker bezeichnen, jedoch hätten sie „nicht ebenso viel für die Weiterentwicklung der Psychoanalyse geleistet (…) wie die Mitglieder der IPA“. Er wäre indes gern gekommen, wenn sie bereit wären zu sagen: „wir haben aus der Freudschen Psychoanalyse vieles andere, vieles Wertvolle, viele Formen der Psychotherapie gemacht und möchten sehen ob dies nicht ebenso fruchtbar (…) ist wie das, was die Freudschen Analytiker aus der Weiterentwicklung ihrer Arbeitsrichtung der Psychoanalyse im engeren Sinne machen konnten“213. Eine Antwort Schwidders darauf ist nicht erhalten. Angesichts der Tatsache, dass IPA-Mitglieder ausdrücklich eingeladen waren, jedoch ihrerseits in den meisten Fällen die Zusammenarbeit verweigerten, befremdet die Aufforderung Parins. Ebenso wie die DPV von der DPG fordert, sich zur Abweichung von der Freudschen Psychoanalyse zu bekennen, bevor man miteinander reden könne, fordert Parin dies von den Organisatoren des Forums. Da die IPA-Mitglieder sich im Allgemeinen wenig mit anderen Formen von Psychotherapie auseinandersetzten, hätte ein Bekenntnis zur Psychotherapie – wie inhaltlich berechtigt auch immer das gewesen wäre, sei dahingestellt - ebenso ein Ende der Diskussion herbeigeführt. Die Aufforderung dazu muss angesichts der verhärteten Fronten in dieser Zeit als paradox bezeichnet werden. Den Veranstaltern des Forums bleibt nichts anderes übrig, als immer wieder zu betonen, dass sie „ausdrücklich den Begriff der Psychoanalyse im Sinne Sigmund Freuds“ meinen214.

Die Finanzierung des Forums sollte durch die Gebühren der Teilnehmer erfolgen. Einzelne Gruppen, die DPG und die WAWS, wollen einen Zuschuss geben, jeweils 500 Dollar, für den Druck und die Verschickung der Ankündigungen und Programme. Binswanger als Hauptorganisator vor Ort gerät kurz vor dem Kongress in große Sorge, ob die Veranstaltung sich finanziell tragen werde. Die Übersetzungen und Reisekosten von Vortragenden, dazu das

211 Brief Alexander an Binswanger, Schwidder und Westerman-Holstijn vom 10.02.1964. 212 Brief Radó an Binswanger, Schwidder und Westerman-Holstijn vom 16.03.1964. 213 Brief Parin an Schwidder vom 12.01.1965. 214 Undatiertes Schreiben von Schwidder, Binswanger und Westerman-Holstijn an einen nicht Genannten, ungefähr Anfang 1965. 69

Rahmenprogramm, übersteigen sein Budget. Das Thema Geld sollte für die IFPS immer schwierig bleiben. Bis 1973 wird gar kein Mitgliedsbeitrag erhoben, bis Ende der 1970er-Jahre wird von jeder Mitgliedsgesellschaft lediglich ein Jahresbeitrag von 350 DM gefordert, was die Vorbereitung und Durchführung von Kongressen zu einem finanziellen Risiko der Veranstalter macht. Ab 1978 wird der Beitrag der Gesellschaften auf 700 DM jährlich erhöht. Mehrfach müssen sogar Einzelpersonen, wie in den 1970er-Jahren Katwan, bestimmte Posten aus eigener Tasche zahlen. Wie unklar selbst innerhalb der DPG, die doch von Beginn an eine zentrale Rolle in der IFPS spielte, die finanziellen Verpflichtungen waren, macht ein etwas unwirscher Brief des DPG-Analytikers und Klinikleiters Heinz Wiegmann aus dem Jahr 1973 deutlich, in dem er eine bei ihm eingegangene Rechnung für Briefpapier für die IFPS moniert. Er erklärt, er wisse „über Satzung, Zusammensetzung usw. dieser Federation überhaupt nichts“ und obwohl es erfreulich für die DPG sei, dass Schelkopf die Position des Sekretärs bekommen habe, könne dies doch wohl nicht dazu führen, dass die DPG nun seine Unkosten bestreite. Er fragt, ob die IFPS denn keinen eigenen Etat habe bzw. ob sie denn keine Mitgliedsbeiträge bei den nationalen Gesellschaften erhebe215. Schelkopf antwortet darauf, die Frage eines Etats der Federation sei noch nicht geklärt; es stehe nicht fest, ob das Sekretariat aus den Mitteln des Forums oder aus den Mitgliedsbeiträgen getragen werde216. Ein Jahr später wird anlässlich der Vergabe des Werner-Schwidder-Awards das Thema Geld wieder akut: Obwohl nun kein Geldpreis mehr mit dem Award verbunden sei, sondern eine Urkunde und eine Medaille, so entstünden doch auch hierfür Kosten, die die Federation nicht übernehmen könne, da sie kein Vermögen besitze217. Katwan, seit 1977 Generalsekretär der IFPS, fasst 1978 die Lage so zusammen: „Die IFPS besitzt keine eigene Sekretärin, keine Schreibmaschine, kein Fotokopiergerät, nichts. Das ist der Zustand der Föderation. Sollte es den Begriff von ´negativen Ausmaßen` geben, dann allerdings könnte man Schwindel bekommen.“218 Er hatte sich schwer darüber beklagt, dass die DPG angesichts von Ausgaben über 283.000 DM für das VI. Forum in Berlin gerade einmal 15.000 DM beisteuerte. Diese Beispiele machen deutlich, dass allein diese finanziellen Umstände die IFPS durchgängig und grundsätzlich von der IPA unterscheiden, welche ungleich höhere Jahresbeiträge erhob. Katwan macht im Jahr 1983 einen Vergleich mit der IPA auf: Die IPA habe 5000-6000 Mitglieder, die jeder etwa 100 Dollar pro Jahr zahlten; die IFPS verfüge insgesamt über etwa 6000 Dollar jährlich219.

Ein Jahr vor dem II. Forum wird über das Konzept beraten. Es ist geplant, den ersten Tag der „Psychosomatischen Medizin und Psychoanalyse“ zu widmen, einen Tag dem Thema

215 Brief Wiegmann an Dührssen vom 30.01.1973. 216 Brief Schelkopf an Wiegmann vom 06.02.1973. 217 Brief Schelkopf an Hicklin vom 01.06.1974. 218 Brief Katwan an Zander vom 24.07.1978. 219 Brief Katwan an Joan Freyberg vom 12.10.1982. 70

Aggression, einen dem Thema Zwangsneurose und den letzten Tag dem Thema „Neue psychoanalytische Ergebnisse“. Chrzanowski betont gegenüber Schwidder, eine hohe Qualität der Vorträge sei von äußerster Wichtigkeit, ebenso wie die Seriosität der Vortragenden. Es gebe in Amerika eine Menge randständige Gruppen, vor allem von Sozialarbeitern, die eine ungenügende Ausbildung hätten und sich dennoch Psychoanalytiker nennen. Die Personen, die offiziell mit dem Forum in Verbindung gebracht würden, müssten sorgfältig ausgesucht werden und sollten das Vertrauen der Kollegen im entsprechenden Land haben220. Schwidder ist an dieser Stelle zwischen die Fronten von Westerman-Holstijn und Chrzanowski geraten, die sich über die Respektabilität eines amerikanischen Kollegen uneinig sind, den Westerman-Holstijn einladen wollte, was Chrzanowski ablehnt. Chrzanowski besteht außerdem darauf, dass die Vorträge etwas Neues bieten und nicht bereits Bekanntes wiederholen, sonst würde das Interesse der Amerikaner schnell erlahmen. Das Organisationskomitee tagt Mitte Dezember 1964, um das Programm der wissenschaftlichen Sitzungen zu beraten. Es nehmen Schwidder, Chrzanowski, Westerman-Holstijn, Binswanger, Boss (Zürich), Adam (Göttingen), Condrau (Zürich), Dannevig (Oslo), Molina Nunez (Madrid) und Schwöbel (Zürich) daran teil221.

220 Brief Chrzanowski an Schwidder vom 12.08.1964. 221 Protokoll der Geschäftssitzung des Organisationskomitees vom 21.12.1964. 71

3. Kapitel

3.1. Das II. Forum in Zürich 11.–15. Juli 1965

Zum II. Forum kommen 148 Teilnehmer aus Deutschland, 62 aus der Schweiz, 46 aus den USA, 22 aus Holland, 21 aus Mexiko, dreizehn aus Spanien, acht aus Schweden, jeweils sechs aus Österreich und England, jeweils vier aus Israel, Frankreich und Norwegen, drei aus Griechenland, jeweils zwei aus Belgien und Italien und jeweils eine Person aus Tunesien, Kanada und Brasilien. Insgesamt stehen 355 Teilnehmer auf der Teilnehmerliste. Laut dem vorläufigen Programm werden 34 Vorträge gehalten und zwei Symposien veranstaltet222. In den Bänden III und IV der „Fortschritte der Psychoanalyse“ sind vierzehn der Vorträge veröffentlicht worden. Da mir kein endgültiges Programm vorliegt, ist die folgende Statistik eventuell an einigen Punkten unrichtig: Es werden zwölf Vorträge von US-Amerikanern gehalten, sieben Vorträge von Deutschen, vier von Österreichern, drei von Schweizern, drei von Mexikanern, zwei von Niederländern, zwei von Israelis und je einer von einem Griechen, einem Franzosen und einem Engländer. Somit liegt zu dieser Zeit ein klares Schwergewicht auf den europäischen Beiträgen (neunzehn Vorträge) und denen aus den USA (zwölf Vorträge). Shaked, der mit Caruso das II. Forum besucht, beschreibt die Atmosphäre dort: „Die Erwartungen waren hoch gesteckt, hatte sich doch zahlreiche Prominenz aus mitteleuropäischen, skandinavischen, kanadischen, amerikanischen und lateinamerikanischen Ländern angekündigt. Tatsächlich war der Konferenzsaal dann jedes Mal zum Bersten voll und die Aufbruchsstimmung bei jeder Wortmeldung spürbar. Es herrschte eine Art fiebrige Zuversicht, dass gravierende Entscheidungen über die Zukunft der Psychoanalyse unmittelbar nahten.“223 Der erste Tag steht unter dem Leitthema „Psychosomatische Medizin“ und wird von Schwidder mit einem Vortrag über „Psychoanalyse und psychosomatische Medizin. Neue Ergebnisse und heutiger Stand der Forschung“ eröffnet. Rothschild aus Jerusalem und Berk aus Amsterdam halten Vorträge über die moderne Gehirnforschung im Zusammenhang mit der Psychoanalyse. Schwöbel aus Zürich und Lefer aus New York sprechen über spezielle psychosomatische Symptome (Lefer über Patienten mit Fehlfunktionen des Kiefergelenks; Schwöbel über Fett- und Magersucht). Condrau aus Zürich berichtet über das Leib-Seele-Problem aus der daseinsanalytischen Perspektive und

222 Psychosomatische Themen: Schwidder, Condrau. Gehirnforschung: Berk, Rothschild. Spezielle psychosomatische Probleme: Schwöbel, Lefer. Aggression: Westerman-Holstijn, Spiegel, Caruso, Biran, Fromm, Bach, Schindler, Dracoulides, Riemann, Heigl-Evers. Zwangsneurose: Binswanger, Salzman, Quint, Chrzanowski, Barnett. Neue Ergebnisse der Psychoanalyse: Eckardt-Horney, Weiss, Boenheim, Silva-Garcia, Abell, Cowan, Bour, Schindler, Millán, R.Schindler, Kleinberger. Erstes Symposion (Zeitproblem in der Psychoanalyse): Condrau, Eckardt-Horney, Fromm, Kühnel, Molina Nunez. Zweites Symposion (Wirksamkeit der Psychoanalyse): Boss, Chrzanowski, Caruso, Heigl, Salzman, Schwidder, Weiss.

223 Shaked, J. (2011), S. 52. 72

Wittich aus Gießen gibt einen „Beitrag zur methodischen Grundlegung einer mehrdimensionalen Therapie in der psychosomatischen Klinik“. Alle diese ersten Vorträge außer dem von Schwöbel werden in „Fortschritte der Psychoanalyse“ veröffentlicht. Der zweite und dritte Tag widmet sich dem Thema Aggression, zunächst allgemein gefasst als „Psychoanalyse der Aggression“, am dritten Tag unter „Aggression – Zwangsneurose“. Der spätere Teil des dritten Tages nimmt sich erneut die Zwangsneurose vor, diesmal die „Psychoanalyse der Zwangsneurose“. Joseph Barnett224 aus New York spricht über „Kognitive Störungen bei der Zwangsneurose“. Die Vorträge des vierten Tages stehen unter dem Leitthema „Neue Ergebnisse der Psychoanalyse“. Veröffentlicht werden die Vorträge von Westerman-Holstijn „Aggressivität, Destruktionstrieb, Sadismus, Todestrieb, Machtstreben“, von Spiegel „A Spectrum of Varieties of Violence“, von Caruso über „Aggressivität oder Todestrieb?“, von Bach über „Die Ausreifung der menschlichen Aggressivität“, von S. Schindler „Aggressionshandlungen Jugendlicher“, von Riemann über „Frühkindliche Formen der Aggression“, von Heigl-Evers über „Rache als Gekränktheitsaggression“, schließlich der Vortrag von Eckardt-Horney über „Psychoanalytische Konzepte und der Begriff der Verantwortung“. Am Abend des zweiten und des vierten Tages werden Symposien abgehalten, das erste unter der Frage „What is Effective in Psychoanalytic Therapy?“, das zweite diskutiert „Das Zeitproblem in der Psychoanalyse“. Das Gespräch des ersten Symposions wird bestritten von Boss, Caruso, Chrzanowski, Heigl, Salzman, Schwidder, Strupp, Toolan und Weiss. Auf dem zweiten diskutieren Condrau, Eckardt-Horney, Fromm, Kühnel, Molina Nunez, Ruesch und Schjelderup.

Am vorletzten Tag des Kongresses findet ein Treffen der Vertreter der neuen Arbeitsgemeinschaft statt: Für die DPG sind Schwidder, Heigl und Heigl-Evers anwesend, für die WAWS kommen Chrzanowski, Spiegel und Kleinberger; der Wiener Arbeitskreis wird repräsentiert von Caruso, Shaked und R. Schindler und die mexikanische Gruppe wird durch Fromm und Millán vertreten. Chrzanowski schlägt vor, die Verbindung zwischen dem Forum und der Internationalen Arbeitsgemeinschaft (zu diesem Zeitpunkt wird die neue Organisation noch meist mit ihrem deutschen Namen genannt; in dieser Arbeit wird die Bezeichnung synonym mit der IFPS benutzt) so zu definieren, „dass die Arbeitsgemeinschaft eine Grundlage für das Forum bildet und die wissenschaftliche Kontinuität pflegt“225. Man beschließt einen Austausch von übersetzten Publikationen aus den einzelnen Mitgliedgesellschaften, die in den Zeitschriften der Mitgliedgesellschaften veröffentlicht

224 Joseph Barnett (1926-1988) war Dozent und Supervisor am William Alanson White Institute und am New York Medical College und verheiratet mit der Psychoanalytikerin Tess Forrest. Zusammen mit Forrest lehrte und supervisierte er in vielen IFPS-Gesellschaften, u.a. in Schweden, Rio de Janeiro, Madrid und Mexiko. Sein Vortrag „On Cognitive Disorders in the Obsessional“ ist veröffentlicht in Contemporal Psychoanalysis, Vol 2, p. 122-134. 225 Protokoll der Sitzung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft psychoanalytischer Gesellschaften am 16.07.1965 in Zürich. Alle weiteren Zitate in diesem Abschnitt sind diesem Protokoll entnommen. 73 werden sollten. Es sollte ein Abstract-Service zwischen den einzelnen Zeitschriften eingerichtet und ein Korrespondenzblatt geschaffen werden in Form einer Korrespondenzspalte innerhalb der bestehenden Zeitschriften, in dem wissenschaftliche Tätigkeitsberichte und persönliche Mitteilungen veröffentlicht werden konnten. Weder in „Fortschritte der Psychoanalyse“ noch in der „Zeitschrift für Psycho-Somatische Medizin und Psychotherapie“ sind diese Korrespondenzspalten und Tätigkeitsberichte allerdings eingerichtet worden.

Der Internationalen Arbeitsgemeinschaft liegen drei Aufnahmegesuche von psychoanalytischen Gruppierungen vor, die die junge Organisation vor die Aufgabe stellen, Aufnahmekriterien für neue Gesellschaften zu formulieren. Die vier Gesellschaften, aus denen die Arbeitsgemeinschaft besteht, verstehen sich als Gründer und befinden sich infolgedessen in der privilegierten Situation, selbst kein Aufnahmeverfahren durchlaufen zu müssen. Caruso und Fromm stellen die spanische Gruppe um Molina Nunez vor, die „im Gegensatz zur IPV und zur imperialistischen Psychiatrie Spaniens“ ständen, eine offizielle Gruppe unter dem Namen ihrer Klinik seien, ihre Ausbildungen in Paris, London, Tiefenbrunn und Wien gemacht hatten und als psychiatrische Klinikmitarbeiter eine klinisch-psychiatrische Ausbildung gewährleisten könnten. Die Frage sei, ob sie auch eine psychoanalytische Ausbildung anbieten. Fromm äußert sich „nicht hundertprozentig positiv beeindruckt“ von der spanischen Gruppe und macht den Vorschlag, dass Millán sie besuchen soll und seinen Eindruck schildert. Spiegel fragt sich, was man tun solle, wenn die Gruppe nicht die Ansprüche erfülle, man wolle „doch keine snobistische Gemeinschaft sein“. Man müsse diesen Gruppen helfen sich zu entwickeln und sie später aufnehmen. Chrzanowski trägt die Bitte um Aufnahme der brasilianischen Gruppe um Horus Vital Brazil (1926-2005) vor, der im William Alanson White Institute (WAWI) ausgebildet worden sei und in Brasilien eine Gruppe vorfand, die ursprünglich von einer Schülerin Thompsons gegründet worden war. Brazils Gruppe habe zwölf Mitglieder, bilde selbst aus und habe Gastdozenten aus dem WAWI. Caruso spricht sich gegen eine Aufnahme dieser Gruppe aus, da sie noch nicht „reif zum Beitritt“ sei. Sein eigener Arbeitskreis in Brasilien habe sich auch nicht um Aufnahme beworben. Chrzanowski selbst fragt sich auch, ob die Gruppe genügend Kraft habe, um ein wertvolles Mitglied der Arbeitsgemeinschaft zu sein. Man solle sich zunächst ihre Ausbildungsrichtlinien und –programme ansehen. Gegenüber der norwegischen Gruppe um Schjelderup besteht eine sehr viel positivere Haltung: Man will sie bitten beizutreten und möchte ihnen eine Wartezeit ersparen. Besonders Fromm, Schwidder und R. Schindler betonen ihren guten Eindruck von dieser Gruppe. Die norwegische Gruppe bestehe aus etwa 30 Mitgliedern und sei eine „alte, wissenschaftlich sehr gut arbeitende, zum Teil durch Wilhelm Reich beeinflusste Gruppe“. Die Anwesenden machen im Laufe der Diskussion mehrere Vorschläge zum Aufnahmeprozedere neuer Gruppen: Vertreter der Gruppen sollten zunächst ein Forum mitorganisieren; sie sollten Fragebogen 74 ausfüllen; ein Besuch von zwei oder drei Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft bei der neuen Gruppe solle Aufschluss über deren Niveau und Ausbildungsstand bringen; ein wissenschaftlicher Austausch solle das wissenschaftliche Niveau überprüfen. Man beschließt dann, dass ein Beitritt erst erfolgen könne, „wenn ausreichend geklärt ist, dass Ausbildung, Arbeitsweise und theoretisch-wissenschaftliches Niveau seriösen Maßstäben entsprechen“. Beitrittsbedingungen sollen genauer formuliert werden und bei der Abstimmung über die Aufnahme einer neuen Gruppe sei Einstimmigkeit erforderlich.

Das erweiterte Organisationskomitee findet sich am letzten Kongresstag zusammen und zieht eine positive Bilanz. Die Anwesenden sind zufrieden mit dem Ablauf des Forums und der Qualität der Vorträge. Man überlegt, die Symposien und die Vorträge zu verlängern, Round- Table-Gespräche einzuführen und macht Verbesserungsvorschläge bezüglich der Organisation der Simultanübersetzungen. Alle stimmen überein, dass weitere Kongresse dieser Art stattfinden sollten. Caruso schlägt Mexiko als nächsten Veranstaltungsort vor, was von Fromm gern aufgenommen wird. Da 1966 in Madrid ein Internationaler Psychiatriekongress und 1967 in Wiesbaden ein Kongress der Internationalen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (Präsident war wiederum Boss) stattfinden sollten, einigt man sich für das III. Forum auf das Jahr 1968. Um das Interesse an der internationalen Zusammenarbeit in Europa in der Zwischenzeit nicht verblassen zu lassen, wird eine Tagung der europäischen Arbeitsgemeinschaften vorgeschlagen. Auch wird vermutet, dass nur wenige Europäer sich auf den Weg nach Mexiko machen würden. Fromm hält es für möglich, dass die Aufenthaltskosten für etwa 120 Personen durch die Universität getragen werden könnten.

3.2. Vorbereitungen für das III. Forum bis zum Zwischentreffen in Göttingen 1968

Im ersten Jahr nach dem II. Forum scheint es wenig Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Arbeitsgruppe gegeben zu haben. Schwidder ist in dieser Zeit sehr beschäftigt, da er zugleich Vorsitzender der DPG (von 1958 bis 1970) und der DGPT ist und 1965 die Leitung der Klinik Tiefenbrunn übernimmt. Er war beteiligt am Zustandekommen von Ausbildungszentren der Psychiatrischen Universitätskliniken in Göttingen und Bonn und hat Lehraufträge an der Göttinger Universität. Außerdem konnte ein seit vielen Jahren geplantes aufwendiges Projekt abgeschlossen werden, indem nun nach vielen berufspolitischen Verhandlungen, besonders durch Dührssen, Schwidder und Rudolf Haarstrick, psychoanalytische Therapien in den Pflichtleistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen 75 wurden.226 Dazu hatten maßgeblich die Katamnesestudien von Dührssen beigetragen, die oben bereits erwähnt wurden. Im Kontext dieser Arbeit muss erklärt werden, dass die Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen bis heute hinsichtlich der Anerkennung und Bezahlung keinerlei Unterscheidung machen, ob die psychoanalytischen Behandlungen von Psychoanalytikern aus der DPG oder der DPV oder auch von nicht- fachgesellschaftsgebundenen Psychoanalytikern durchgeführt werden. Einziges Kriterium ist die Ausbildung in einem staatlich anerkannten psychoanalytischen Institut. Die gesamte Debatte um „orthodoxe“ und „liberale“ Psychoanalyse spielt sich innerhalb der Gruppe der Psychoanalytiker ab und hat für den gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Aspekt keine Bedeutung.

Westerman-Holstijn kommt zu einer Arbeitstagung der DPG im Oktober 1966 nach Göttingen und bespricht dort mit Schwidder und Heigl den Ort eines europäischen Treffens vor dem III. Forum. Schwidder fragt dann Caruso Ende 1966, ob es möglich sei, ein europäisches Treffen in Wien abzuhalten.227 Caruso schlägt stattdessen Göttingen vor. Caruso, Fromm, Chrzanowski und Schwidder einigen sich schließlich darauf, die nächste Jahrestagung der DPG in Göttingen mit einer kleineren internationalen Konferenz zu verbinden. Die Mitglieder der DPG stimmen der Organisation einer solchen Konferenz zu. Da sich kurz zuvor herausgestellt hatte, dass das III. Forum wegen der Olympischen Spiele in Mexiko um ein Jahr verschoben werden muss, war das Bedürfnis nach einem internationalen Treffen in Europa noch dringlicher geworden. Fromm hatte Unterbringungsmöglichkeiten für die Forumsteilnehmer während der Olympischen Spiele überschätzt und befürchtete, keine Hotelzimmer mehr zu bekommen. Trotzdem er diesen Abstand von vier Jahren zwischen zwei Fora zu verantworten hatte, spricht er sich zunächst gegen die Arbeitstagung in Göttingen aus, da er fürchtet, das Interesse an dem Forum in Mexiko werde dadurch abnehmen. Condrau, der nach Mexiko kommen wollte, bedauert die Verlegung des Forums um ein Jahr, da er die Olympischen Spiele als zusätzlichen Anreiz gesehen hatte und bestätigt Fromms Befürchtung, indem er vorschlägt, das Forum in Mexiko durch die Arbeitstagung in Göttingen zu ersetzen228. Westerman-Holstijn, der offenbar auch länger keinen Kontakt zur Internationalen Arbeitsgemeinschaft hatte, schreibt im Oktober 1967 einen besorgten Brief an Schwidder nachdem er gehört hatte, dass das III. Forum verschoben werden musste: „Ich hoffe natürlich sehr, dass die Forumbewegung nicht im Sterben liegt; eine kleine Injektion, sei es mit der Vorbereitung eines dritten Bandes der Fortschritte, sei es mit der Konfektion (sic) eines Mini- Forums würde die Sache vielleicht revitalisieren.“229 Schwidder kann ihn mit der Ankündigung

226 Brief Schwidder an Binswanger vom 16.01.1967. 227 Brief Schwidder an Caruso vom 07.11.1966. 228 Brief Condrau an Schwidder vom 27.11.1967. 229 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder vom 27.10.1967. 76 der Drucklegung von Band 3 und Band 4 der „Fortschritte der Psychoanalyse“ und einer Einladung zu einem „kleinen Forum“ Ende August 1968 in Göttingen beruhigen.

Ende 1966 berät Heigl mit Chrzanowski über den Beitritt neuer Gruppen in die Internationale Arbeitsgemeinschaft230. Er ist von Ferdinand Knobloch aus Lobec, in der Nähe von Prag gebeten worden, seine Gruppe, die Czechoslovak Group for the Advancement of Psychoanalysis and Integration of Psychotherapy, entweder als Vollmitglied oder aber zunächst als assoziiertes Mitglied in die IFPS aufzunehmen. Knobloch hatte erklärt, dass er diese internationale Anbindung benötige, um sich gegen eine Gruppe „orthodoxer“ Psychoanalytiker in Prag zu behaupten, die seine Ausbildungskandidaten abzuwerben drohten. Er suche daher den Rückhalt einer internationalen Gesellschaft und sei durch den Besuch Fromms in Prag auf die IFPS aufmerksam geworden. Heigl berichtet, Knobloch sei Bewerber für die American Academy of Psychoanalysis (wo er im Frühjahr 1967 aufgenommen wurde), habe wissenschaftlich für die WHO gearbeitet (über analytische Gruppentherapie) und verstehe sich selbst bezüglich seiner therapeutischen Ausrichtung als Eklektiker. Man müsse auch wissen, fügt Heigl hinzu, dass Knobloch überzeugter Kommunist sei und in seinen Schriften manchmal der Kommunist über den Psychoanalytiker siege. Es fehle seiner Gruppe bisher eine systematische reguläre Ausbildung, daher habe er sich von Heigl die DPG-Ausbildungsrichtlinien und –programme geben lassen. Seine Kandidaten, im Moment seien es sieben, hätten jedoch regelmäßige Lehr- und Kontrollanalysen. Zwar habe Knoblochs Ausbildung keinen der DPG oder dem WAWI vergleichbaren Standard, aber seine Gruppe könne dennoch zu einem „Kristallisationskern für Psychoanalyse oder sagen wir vorsichtiger für eine psychoanalytisch orientierte Psychotherapie in den Ostblockstaaten werden“231. Mitte 1967 hatte die Gruppe eine eigene psychoanalytische Gesellschaft gegründet und zwei Monate später, am 24. August 1967, wird sie als assoziiertes Mitglied in die IFPS aufgenommen. Im August 1968, kurz vor der Göttinger Tagung, stellt sie einen offiziellen Antrag auf Vollmitgliedschaft. Knobloch und seine Frau Jirina Knoblochva, ebenfalls Psychiaterin, geben eine kurze Selbstdarstellung ihrer Gruppe, in der drei ausgebildete Psychoanalytiker, zwei Kandidaten und mehrere Psychologen und Psychiater arbeiten, insgesamt 35 Teilnehmer. Die Gruppe arbeite in der Psychiatrischen Abteilung der Poliklinik der Universität, teils in einer ambulanten Abteilung in Lobec und teils in einer Tagesklinik in Prag. Es handle sich um das erste und größte psychotherapeutische Zentrum des Landes. Man habe sich immer psychoanalytisch orientiert, auch in der Zeit, als diese Ausrichtung nicht gern gesehen wurde. Das Ausbildungsprogramm sei an das der DPG angelehnt worden. Das Schreiben endet mit der Aussage, die Aufnahme in die Familie der psychoanalytischen Gesellschaften mit langer Tradition sowohl in der Ausbildung als auch in der klinischen Arbeit

230 Brief Heigl an Chrzanowski vom 10.11.1966. 231 Ebd. 77 sei eine große wissenschaftliche und moralische Hilfe und mit dem Versprechen, alles zu tun, um zur wissenschaftlichen Entwicklung und dem guten Namen der IFPS beizutragen.232 Bereits vor der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft auf der Göttinger Tagung liegen von allen vier Gesellschaften schriftliche Zustimmungen zur Aufnahme der tschechischen Gruppe vor. Damit ist die Gruppe um Knobloch die erste Neuaufnahme in die IFPS nach der Gründung 1962.

Die spanische Gruppe um Molina Nunez, die Sociedad Espanola de Psicoterapia Analitica, die sich 1968 ebenfalls um Aufnahme bewirbt, wird auch aufgenommen, jedoch erst einige Monate später, da die Stellungnahme der mexikanischen Gruppe noch nicht vorliegt und von dieser Gruppe kein Vertreter nach Göttingen gekommen ist. Auf dem Forum 1965 in Zürich nimmt der Vorsitzende der spanischen Gesellschaft, Molina Nunez, an einem der Symposien teil. Bei dem Treffen der Arbeitsgemeinschaft auf dem Züricher Forum war beschlossen worden, hinsichtlich der Aufnahme der spanischen Gruppe noch abzuwarten und Informationen einzuholen. Im Oktober 1967 besucht Schwidder anlässlich der Gründung der Sociedad Espanola und ihrem ersten Kongress die Gruppe in Madrid. Es ist der erste On-Site- Visit bei einer neuen Gesellschaft. Diese Besuche eines Vertreters der IFPS bei einer Gesellschaft, die sich um Aufnahme bewirbt, werden in den folgenden Jahren zu einem wichtigen Prüfungskriterium. Schwidder sieht bei seinem einwöchigen Besuch das Ausbildungsinstitut, die Poliklinik und Behandlungsstätten gesehen, nimmt an einer Gruppentherapie teil und an den Diskussionen der Tagung. Er zeigt sich beeindruckt von dem guten wissenschaftlichen Niveau der Beiträge und dem Engagement der Mitglieder. Die Gruppe hatte gerade eine Zeitschrift gegründet und bereits die zweite Ausgabe publiziert. Die Ausbildungsstandards seien mit denen der Arbeitsgemeinschaft vergleichbar, es gebe systematische Vorlesungen, Seminare und Kolloquien. Nach seiner Rückkehr schickt Schwidder der spanischen Gruppe die gesammelten Werke von Ferenczi und einige Bücher von Schultz-Hencke.

Bei beiden neuen Gesellschaften handelt es sich um ganz junge Zusammenschlüsse. Zwar hatten die Kollegen bereits jahrelang miteinander in Kliniken gearbeitet und sich mit psychoanalytischen Themen und Behandlungsmethoden auseinandergesetzt, ihre Institutionalisierung als Gruppe ist jedoch gerade erst erfolgt. Beide Gesellschaften geraten kurz nach ihrer Aufnahme in die IFPS in interne Schwierigkeiten. Die spanische Gruppe spaltet sich, indem einer der profiliertesten Vertreter, Antonio Manuel Campoy, zusammen mit de la Nuez de la Torre und einigen Ausbildungskandidaten die Gruppe um Molina Nunez verlässt. Bei der Prager Gruppe verlässt der Gründer Knobloch mit seiner Frau die Tschechoslowakei ein Jahr später und emigriert nach Kanada, wo beide eine neue Gruppe gründen.

232 Ferdinand Knobloch, Jirina Knoblochva und Emilie Sterbakova an die Mitglieder der IFPS am 24.08.1968. 78

Chrzanowski schlägt Heigl im Juli 1969 vor, selbst die schwedische Gruppe um Margit Norell zu besuchen und zu prüfen, ob man sie zum Beitritt auffordern solle. Er sieht auch Condrau als einen geeigneten Kandidaten für das Organisationskomitee.233

Die Themen der Tagung sind bereits Ende 1967 festgesetzt worden: Leitthema solle sein: „Spezielle Therapieformen der Psychoanalyse“, am ersten Tag solle es um „Psychoanalytische Therapie in der Psychosomatischen Medizin“ gehen, am zweiten um „Psychoanalytische Kurztherapie“, am dritten um „Analytische Gruppenpsychotherapie“ und am vierten Tag um „Psychoanalyse bei Kindern und Jugendlichen“. Ein Symposion wolle die Frage „Gibt es fundamentale Unterschiede zwischen der analytischen Einzel- und Gruppentherapie?“ diskutieren. Für eine Simultanübersetzung Englisch-Deutsch wird gesorgt, dafür muss der Tagungsbeitrag auf 80,- DM erhöht werden.

L.N.J. Kamp aus Utrecht bietet die Fortsetzung eines Films über die Psychotherapie eines autistischen Mädchens an, dessen erster Teil auf dem Internationalen Kongress 1961 in Düsseldorf gezeigt worden war. Die Entwicklung und Therapie eines autistischen Mädchens, deren eineiige Zwillingsschwester gesund war, wurde von ihrem dritten bis zu ihrem zehnten Lebensjahr filmisch begleitet. Heigl bittet R. Schindler, der selbst nicht kommen konnte, jemanden aus seinem Kreis zu schicken, der auf dem Symposion über die Erfahrungen des Österreichischen Arbeitskreises für Gruppentherapie und Gruppendynamik234 berichten sollte. Auch Ambros Uchtenhagen aus Zürich wird zum Symposion über Gruppentherapie eingeladen und erhält ebenfalls eine Einladung in das Organisationskomitee der internationalen Fora. Westerman-Holstijn findet das wissenschaftliche Programm überzeugend, vermisst jedoch einen geselligen Rahmen mit Ausflügen und befürchtet, dass das Interesse seiner Gruppe dadurch geschmälert würde.235 Zauner kann seine Bedenken zerstreuen, indem er ihm eine Weserfahrt und eine Harzfahrt ankündigt.

Anfang August 1968 kann Schwidder erfreut vermelden, dass die Zahl der Anmeldungen unerwartet hoch sei: Aus den USA hatten Chrzanowski, Spiegel, Weigert, Stierlin, Lefer, Gardner, Barnett, Davidson, Geller und Gourevitch ihr Kommen zugesagt; aus Schweden wollen Norell, Schmidt, Stensson und Lyttkus teilnehmen; aus Norwegen sagen Dannevig, Eckhoff, Haga, Johnsen und Krohn Ostensen zu; aus Holland wollen neben Westerman- Holstijn, Emde Boas und Kamp weitere zwölf Kollegen kommen. Aus Spanien und der Schweiz liegen zu dem Zeitpunkt jeweils sechs Anmeldungen, aus England drei und aus Frankreich zwei vor. Vereinzelte Anmeldungen kämen aus sechs weiteren Ländern236.

233 Brief Chrzanowski an Silva-García vom 11.03.1968. 234 Gegründet 1959 durch u.a. R. Schindler und Hans Strotzka. 235 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder vom 23.05.1968. 236 Mitgliederrundschreiben vom 01.08.1968. 79

3.3. Internationale Arbeitstagung (Workshop) 1968 in Göttingen (29. August– 1. September 1968)

Auf die Arbeitstagung kommen etwa 300 Teilnehmer, 70 davon aus dem Ausland. Es werden 25 Vorträge gehalten: vier zum Thema „Psychosomatische Medizin“ (Condrau/ Zürich, Schwöbel/ Zürich, Spiegel/ New York und Zander/ München), neun über analytische Gruppen- und Familientherapie (Chrzanowski/ New York, Geller/ New York, Gállego-Meré und Campoy/ Madrid, Heigl-Evers/ Göttingen, Melitta Mitscherlich/ Düsseldorf, Sperling/ Göttingen, Derbolowsky/ Hamburg, Lefer/ New York, Blankstein/ Zeist), fünf über analytische Kurztherapie (Jores/ Hamburg, Molina Nunez/ Madrid, Beck/ Basel, Leuner/ Göttingen, Mentzel/ Neutrauchburg), sechs über analytische Kinder- und Jugendlichentherapie (Kamp/ Utrecht, Schouten/ Utrecht, Ockel/ Hannover, Barnett/ New York, S. Schindler/ Wien, Gardner/ New York). Kamp zeigte seinen Film über die Behandlung eines autistischen Kindes. Auf dem Symposion über die Unterschiede zwischen Einzel- und Gruppentherapie diskutieren Chrzanowski, Raymond Battegay, Theodor F. Hau, Heigl-Evers, Heigl, Margarete Mitscherlich, W. Schindler und Uchtenhagen. Condrau kann wegen einer akuten Erkrankung nicht anwesend sein. Sein Vortrag wird von Adam verlesen237. Es werden zehn Vorträge von Deutschen gehalten, sechs von US-Amerikanern, drei von Schweizern, drei von Niederländern, zwei von Spaniern und einer von einem Österreicher. Auch auf dieser Tagung teilen sich die US-Amerikaner und die Europäer noch die Präsenz. Auf dem nächsten Forum in Mexiko werden dagegen die Mittel- und Südamerikaner mit ihren Themen weit deutlicher zur Sprache kommen.

Heigl schreibt einen ausführlichen Tagungsbericht, der in der „Zeitschrift für Psychosomatische Medizin“ veröffentlicht wird. Mit dem Thema der analytischen Gruppentherapie, das den Schwerpunkt der Tagung bildet, hatten sich die Veranstalter eines Trends angenommen, der sich in der internationalen Psychotherapiebewegung durchzusetzen beginnt. Heigl stellt eine Statistik vor, nach der zwischen 1940 und 1950 etwa 100 Artikel und ein Dutzend Bücher über Gruppentherapie erschienen, seit 1960 erschienen jedoch etwa 100 Artikel und ein halbes Dutzend Bücher pro Jahr. Viele Vorträge betonen, wie wichtig es sei, die soziale Situation des Patienten in die Behandlung miteinzubeziehen. Chrzanowski plädiert dafür, nicht mehr nur das isolierte Individuum zu sehen, „sondern (…) den Menschen immer im Austausch mit seiner Umwelt (zu) erfassen, mit seiner Familie, die zwischen dem Individuum und der Gesellschaft liegt“238. Einige Redner empfehlen die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie. Auch die Gedanken zur analytischen Kurzzeittherapie tragen

237 Heigl, F. (1969), Tagungsbericht Psychosomatische Medizin und psychoanalytische Behandlungsmethoden. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin, 15. Jg., S. 62-69. 238 Ebd. 80 dem Bedürfnis nach Ausweitung der Behandlungsmethoden Rechnung. Hierbei geht es sowohl um die Bedürfnisse der Patienten, die mit dem klassischen Setting nicht behandelt werden können, als auch um die Bedürfnisse der Behandler, z.B. der Ärzte, die in ihren ambulanten Praxen für jeden Patienten nur kurz Zeit haben. Deutlich wird in allen Vorträgen, dass die Redner von ihren Erfahrungen mit einer sehr weitgefassten Klientel sprechen: Heigl- Evers beispielsweise berichtet von einer Gruppe Jugendlicher mit Symptomen von Verwahrlosung, Sucht und Perversion; Sperling hatte Ehepaargruppen und Studentengruppen untersucht; Lefer hatte Gruppentherapie mit Zahnärzten gemacht; Ockel stellt seine Erfahrung mit kleinen Kindern mit Verdauungsproblemen vor. Über die Kurzzeitherapie wird vor allem auf theoretischer Ebene referiert. Es geht um die Prinzipien der Aktivität des Therapeuten und der Begrenzung der Ziele und der Übertragung, außerdem um das Formulieren eines Fokus und die Orientierung an der Realität. Neun der Vorträge (Chrzanowski, Spiegel, Zander, Gállego-Meré und Meré, Derbolowsky, Gardner, Blankstein, Barnett, Beck) werden im Band IV der „Fortschritte der Psychoanalyse“ veröffentlicht.

Auf der Sitzung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft am 31. August 1968 wird wie oben erwähnt, der Beschluss gefasst, die tschechische Gruppe aufzunehmen und die mexikanische Gruppe um ihr Votum für einen Beitritt der spanischen Gruppe zu bitten. Chrzanowski berichtet über seinen Besuch 1967 bei der brasilianischen Gruppe um Brazil, der Brasilianischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Die Gruppe sei 1954 von einigen Mitgliedern der William Alanson White Society (WAWS) gegründet worden, habe heute zwanzig Vollmitglieder und ein eigenes Ausbildungsinstitut mit systematischem Ausbildungsprogramm, d.h. Vorlesungen, Seminare und Kolloquien. Der Standard der Gruppe sei als hoch zu bezeichnen239. Die Vertreter der DPG und der WAWS stimmen dem Beitritt zu, die mexikanische und die Wiener Gruppe werden um eine Stellungnahme gebeten. Auf dem Forum in Mexiko wollte man dann die Entscheidung über den Beitritt treffen. Eine vierte Gruppe hatte Interesse an einer Mitarbeit angemeldet, die oben erwähnte Norwegian Society for Psychoanalytic Therapy um Dannevig, welcher Direktor des psychotherapeutischen Instituts in Oslo war. Früherer Vorsitzender sei Harald Schjelderup gewesen. Im Jahr 1966 sei ein Ausbildungsinstitut gegründet worden. Nach anfänglichem Interesse an der Internationalen Arbeitsgemeinschaft und einem längeren Kontakt mit Schwidder ab 1966 habe die Gruppe sich jedoch zunächst zurückgezogen, weil sie einen Konflikt mit der „orthodoxen“ Gruppe in Norwegen vermeiden wollte. Dannevig wollte aber gern im Organisationskomitee als Einzelvertreter mitarbeiten240. Als am selben Tag dann das Organisationskomitee für das Forum in Mexiko tagt, ist Dannevig bereits dabei. Die IFPS berät auf einen Vorschlag von Chrzanowski hin noch über eine Intensivierung der

239 Protokoll der Sitzung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft psychoanalytischer Gesellschaften vom 31.08.1968. 240 Ebd. 81

Zusammenarbeit der einzelnen Gesellschaften, indem mehrere Gesellschaften an bestimmten Fragestellungen arbeiten, sich austauschen und ihre Ergebnisse auf dem nächsten Forum vorstellen sollten. Schwidder wünscht sich die Bearbeitung der Fragen „Welche Rolle spielt das Aufdecken der Kindheitserinnerungen in der Therapie?“ und „Ist die Herstellung einer Übertragungsneurose für eine erfolgreiche psychoanalytische Behandlung notwendig?“241 Alle Anwesenden stimmen dem Plan zu. Meines Wissens ist er nicht umgesetzt worden, es blieb beim guten Vorsatz.

Am selben Tag findet ebenfalls die Sitzung des Organisationskomitees für das Forum in Mexiko statt. Anwesend sind Chrzanowski, Schwidder, Heigl, Dannevig, S. Schindler, Kamp, Molina Nunez und Barnett242. Chrzanowski schlägt eine Verlegung des Forums um drei Wochen vor, da ansonsten parallel der Kongress der IPA in Rom stattfinden würde und man den Eindruck einer Konkurrenzveranstaltung vermeiden wolle. Der Vorschlag trifft auf allgemeine Zustimmung. Die Idee ließ sich nicht ganz umsetzen, vermutlich aus organisatorischen Gründen. Das Forum in Mexiko fand schließlich zwei Wochen nach dem Kongress in Rom statt. Für das mexikanische Forum werden die Themen festgelegt: Erster Tag „Indikation und katamnestische Erfolgsbeurteilung in der Psychoanalyse“; zweiter Tag: „Psychoanalytische Behandlungstechnik und Trauminterpretation“; dritter Tag: „Dasselbe Leitthema mit den Untergruppen a) Soziale Aspekte der Psychoanalyse, b) Analytische Gruppenpsychotherapie; vierter Tag: „Neue Ergebnisse der Psychoanalyse“. Die Round- Table-Gespräche sollten den Themen „Was ist gemeinsam in den psychoanalytischen Theorien?“ und „Welche Dauer und Häufigkeit der psychoanalytischen Sitzungen ist für den Erfolg der Therapie am wirksamsten?“ S. Schindler, Heigl und Chrzanowski wünschen sich für das Forum in Mexiko eine Fortsetzung der Themen Gruppen- und Familientherapie.

Dass die Abstimmung zwischen den Gesellschaften nicht immer einfach war, geht beispielsweise aus dem Schicksal der Pläne für den nächsten Veranstaltungsort des Forums hervor: In Göttingen einigt man sich darauf, 1970 in Wien und 1972 in Oslo mit jeweils einem Forum zu tagen. Weder der eine noch der andere Vorschlag konnte umgesetzt werden: 1970 wird ein zweiter Workshop nach dem Göttinger Vorbild in Madrid abgehalten und 1972 ein Forum in New York veranstaltet werden. In das Organisationskomitee werden Uchtenhagen aus Zürich, Brazil aus Rio de Janeiro und Knobloch aus Prag, bzw. Kanada neu aufgenommen. Schwidder zieht in einem Rundschreiben kurz nach der Arbeitstagung eine positive Bilanz: „Die wissenschaftlichen Referate hatten fast alle ein hohes Niveau. Die

241 Ebd. 242 Protokoll der Sitzung des Organisationskomitees des Internationalen Forums für Psychoanalyse vom 31.08.1968. 82

Sitzungen verliefen in einer konstruktiven, harmonischen Atmosphäre, in der auch kritische Auseinandersetzungen in sachlicher Form erfolgten.“243

3.4. Planungen bis zum Forum in Mexiko

Die Planungen für das Forum in Mexico-City sind von einiger Unruhe geprägt. Zunächst muss das Forum um ein Jahr verschoben werden, dann noch einmal um zwei Wochen, dann kann es nicht am vorgesehenen Ort stattfinden, dem Medizinischen Zentrum des Mexikanischen Instituts der Sozialversicherung, sondern muss umziehen in die Kongresshalle eines Hotels in einem Vorort von Mexico-City. Schließlich müssen Fromm und Schwidder ihre Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen absagen und Heigl kann aus beruflichen Gründen nicht fahren. Schwidder hatte kurz zuvor einen ersten Herzinfarkt erlitten, weshalb ihm sein Arzt von der Reise abriet. Er bedauert seine Absage so sehr, dass er sogar einen kurzen Probeflug unternahm, um zu sehen, ob er nicht doch fliegen könne. Da dies ungünstig verlief, muss er definitiv absagen.244 Helmut Bach aus Berlin sollte ihn auf den Sitzungen und dem Symposion vertreten und Schwidders Referat („Bedeutung der Traumbearbeitung in der psychoanalytischen Behandlungstechnik“) vorlesen. Außerdem hält Bach einen eigenen Vortrag („Überprüfung des Arbeitsbündnisses während der Analyse als technisches Mittel“). Fromm hatte drei Wochen vor Beginn des Forums beschlossen, seinen gerade wiederhergestellten gesundheitlichen Zustand nicht zu gefährden und für weitere drei Monate in Locarno zu bleiben. So sind sowohl der designierte Präsident des Forums, Fromm, als auch einer der beiden Vizepräsidenten, Schwidder, auf dem Forum nicht anwesend.

Der Vorsitzende des Organisationskomitees in Mexiko, Silva-García, wiederholt in seiner Mitteilung über den Wechsel des Veranstaltungsortes seine Einladung zum Forum und betont: „Ihre Anwesenheit ist im Hinblick auf den gegenwärtigen Stand der Psychoanalyse von äußerster wissenschaftlicher Wichtigkeit“245

Heigl bittet Chrzanowski, ihn als Sekretär der IFPS zu vertreten. In einem ausführlichen Brief teilt er Chrzanowski im Vorfeld mit, auf welchem Stand die Überlegungen hinsichtlich des Beitrittes neuer Gesellschaften sind246. Caruso wolle zwei seiner Zweigvereinigungen, den Innsbrucker Arbeitskreis und den brasilianischen Arbeitskreis, in die IFPS einbringen und man fürchte, er werde seine Zustimmung zum Beitritt der schwedischen Gruppe davon abhängig

243 Rundschreiben an die Mitglieder der DPG vom 06.09.1968. 244 Brief Schwidder an Bach vom 30.07.1969. 245 Rundschreiben Nr. 5/1969 der DPG; deutsche Übersetzung des Zirkulars vom 20.05.1969. 246 Brief Heigl an Chrzanowski vom 18.07.1969. 83 machen, ob seine beiden Zweigvereinigungen aufgenommen würden. Heigl und Schwidder seien dagegen, da auf diese Weise ein Übergewicht von einer der Mitgliedsgruppen entstehen würde. Der Berliner und der Göttinger Arbeitskreis der DPG würden auch nicht je eigene Aufnahmeanträge stellen, so gehe das auch nicht für den Wiener und den Innsbrucker Kreis. Inzwischen habe einer der beiden Arbeitskreise, der Circulo Brasilieiro Psicologia Profunda um Malumar Lund Edelweiss, seine Aufnahme beantragt. Chrzanowski selbst habe die Gruppe ja schon einmal besucht und habe ein kritisches Urteil abgegeben.

Dann berichtet er Chrzanowski von der Spaltung der spanischen Gruppe und nennt es einen misslichen Umstand, dass der inzwischen einstimmige Beschluss zur Aufnahme der Gruppe wieder in Frage stehe, da man nicht wisse, ob das Madrider Institut nun noch in der Lage sei, eine Ausbildung zu gewährleisten. Schwidder habe Molina bereits eine Andeutung über die Aufnahme gemacht, aber die offizielle Nachricht darüber sei noch nicht erfolgt. Nuez de la Torre, der sich mit Campoy von der Molina-Gruppe getrennt hatte, sei eigens zu einem Kongress nach Heidelberg gekommen, um mit Schwidder und Heigl über die Spaltung zu sprechen. Die Gründe für die Abspaltung seien nicht wirklich deutlich geworden. Eine psychoanalytische Gruppe aus Kolumbien, die Sociedad Psicoanalitica de Colombia in Bogotá, habe ebenfalls Interesse an der Mitarbeit angemeldet und de La Vega habe auch ein schriftliches Aufnahmegesuch gestellt. Schwidder sei sehr für den Beitritt der schwedischen Gruppe um Margit Norell, die „Schwedische Vereinigung für Ganzheitspsychotherapie und Psychoanalyse“, die ebenfalls schriftlich um Aufnahme gebeten hätte, aber man werde in Mexiko aufgrund des Prinzips der Einstimmigkeit sowieso keine definitiven Beschlüsse treffen können. Außer ihm selbst, Schwidder und R. Schindler werde auch Knobloch fehlen, der sich zur Zeit in den USA aufhalte und dessen Rückkehr zu seiner Prager Gruppe unsicher sei. Er, Heigl, habe Frau Knoblochova auf den Lindauer Psychotherapiewochen getroffen, die sich dafür entschuldigt habe, momentan nicht aktiv an der IFPS teilnehmen zu können247.

Es existiert ein längerer Briefwechsel zwischen Chrzanowski und Fromm im Vorfeld des Forums in Mexiko, in dem Chrzanowski Fromm zu der Buchung von Charterflügen, der Ankündigung des Forums in Fachzeitschriften und zur Auswahl von Vorträgen berät. Fromm bittet Chrzanowski, den Kollegen Knobloch zu empfangen und Chrzanowski trifft diesen daraufhin in New York. Der Ton Chrzanowskis ist freundlich und geduldig, auch als sich herausstellt, dass alle Planungen fallengelassen werden müssen, da das Forum um ein Jahr verschoben wird. Er bittet Fromm um ein stärkeres Engagement in der IFPS, da er annimmt, dass man dort auf Fromms Führung warte248. Sogar nachdem Fromm sich sehr beunruhigt über einen möglichen Rückgang des internationalen Interesses an seinem Forum in Mexiko

247 Ebd. 248 (Fromm-Archiv) Brief Chrzanowski an Fromm vom 22.05.1967. 84 durch die dazwischengeschobene Konferenz in Göttingen äußert, bleibt Chrzanowski gelassen und versucht, Fromm zu beruhigen. Die oben erwähnten Spannungen zwischen beiden waren hier jedenfalls noch nicht spürbar. Fromm wird später abstreiten, dass Chrzanowski ihn um Hilfe und Rat bezüglich der IFPS gebeten hat249.

3.5. Das III. Forum 1969 in Mexiko

Aus der DPG kommen Beese, Bach, Becker, Heinz und Helga Schepank und Gretel und Udo Derbolowsky. Beese hält einen Vortrag über „Indikationsstellung zur psychoanalytischen Behandlung in der Klinik unter besonderer Berücksichtigung der Übertragung“; Derbolowsky spricht über „Eine Drei-Stufen-Technik der Traumdeutung innerhalb psychoanalytischer Verfahren“; Becker, Heinz und Helga Schepank und Heigl-Evers sprechen unter je verschiedenen Aspekten über eine Untersuchung an 100 Zwillingspaaren. Derbolowsky hält mit seiner Frau Gretel einen Vortrag über den „Zeichnerischen Ausdruck als Ansatzpunkt für den psychoanalytischen Fortschritt bei Verwendung von Beschäftigungsmaterial“. Die Referate von Schwidder und Bach sind oben erwähnt worden. Es werden 44 Vorträge gehalten: fünfzehn von US-Amerikanern, neun von Deutschen, sieben von Mexikanern (Fromm hinzugezählt); sechs von Brasilianern, vier von Österreichern und einer von zwei Argentiniern, einer von zwei Spaniern und einer von einem Kolumbianer. Hier verschieben sich also die Gewichte im Vergleich zum II. Forum in Zürich zugunsten der Mittel- und Südamerikaner, die hinsichtlich der Anzahl der Vorträge mit den US-Amerikanern gleich liegen. Fünf der sechs brasilianischen Vorträge kommen aus dem Circulo Brasilieiro Psicologia Profunda, der in Belo Horizonte ansässig ist und zu den Arbeitskreisen von Caruso gehört. Der eine andere brasilianische Vortrag wird von Horus Brazil gehalten, der im WAWI seine Ausbildung gemacht hatte, 1954 die Brasilianische Psychoanalytische Gesellschaft in Rio de Janeiro gründete und der weiterhin mit Chrzanowski in Verbindung stand. Zwei der Vorträge aus Belo Horizonte befassen sich mit sozialen Problemen: Jarbas M. Portela gibt aus seiner Erfahrung als Psychiater und Psychoanalytiker einen Überblick über die raschen psychosozialen Wandlungen in der Stadt Belo Horizonte, die die Mittelklasse besonders betreffen. Celio Garcia fragt in seinem Vortrag, ob die analytische Gruppentherapie helfen kann soziale Probleme zu lösen und berichtet aus einer Therapiegruppe aus politischen Anführern. Edelweiss, der Vorsitzende des Arbeitskreises in Belo Horizonte, spricht über „Das Modell der psychoanalytischen Beziehung“ und bezieht sowohl die Persönlichkeit des Psychoanalytikers als auch seine Zugehörigkeit zu einer psychoanalytischen Schule in die

249 (Fromm-Archiv) Brief Fromm an Schecter vom 07.06.1974. 85

Betrachtung der Patient-Psychoanalytiker-Beziehung ein. Die mexikanischen Vorträge unterscheiden sich thematisch ebenfalls wie die brasilianischen wenig von denen der Europäer und US-Amerikaner: Es geht um die Gegenübertragung und die Folgen einer Enthüllung der Gegenübertragung für den therapeutischen Prozess (M. Maccoby); ein anderer Vortrag stellt den Sinn der Todestriebtheorie in Frage und bevorzugt die Erklärung von Frustration und Angst (Jaime Cardena); M. Cardenas untersucht durch das Studium von Traumserien die fundamentalen Werte, um die herum ein Mensch sein Leben organisiert; Armando Suarez untersucht den Beitrag der Verhaltensbiologie, z.B. die Bedeutung der Anlage- und Umwelteinwirkungen, auf die psychoanalytische Metapsychologie.

Schwidders Referat, das von Bach verlesen wird, geht zunächst auf neue Ergebnisse der physiologischen und neurophysiologischen Schlaf- und Traumforschung ein, um dann über die Weiterentwicklungen der psychoanalytischen Traumtheorien und den Umgang mit Träumen im therapeutischen Prozess zu berichten. Hier bezieht er sich auf Schultz-Hencke, Fromm, Erikson und Kemper. Beese stellt eine Studie an 104 Patienten vor, die in psychosomatischen Kliniken behandelt wurden und kommt zu dem Ergebnis, dass manche Patienten besser von Klinikaufenthalten profitieren als von ambulanten Analysen. Derbolowsky beschreibt die von ihm entwickelte Drei-Stufen-Technik zur Interpretation von Träumen in Einzel- und Gruppentherapie und führt aus, wie sie in Gruppen zu erlernen sei. Becker, Heinz und Helga Schepank und Heigl-Evers tragen die ersten Ergebnisse einer großangelegten Untersuchung an 100 Zwillingspaaren vor, die im Krankenhaus Tiefenbrunn und am Berliner Institut für psychogene Erkrankungen gewonnen wurden. Die Untersuchung wollte die Erbe-Umwelthypothese der Psychoanalyse einer Überprüfung unterziehen. Bach schließlich spricht über die Bedeutung des Arbeitsbündnisses und die Notwendigkeit, es in manchen Fällen im Laufe der Therapie zu erneuern oder überhaupt erst zu schließen.

Fünf der Vorträge sind in der Reihe „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band IV veröffentlicht worden und zwei weitere in der Fortsetzung der Reihe, die unter dem Titel „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“ noch zwei Bände hervorbrachte. Da die Zählung der Bände trotz verändertem Einbandtitel fortgeführt wurde, finden wir also im Band V noch zwei der Vorträge aus Mexiko. Bei diesen insgesamt sieben Vorträgen handelt es sich ausschließlich um deutsche Referate und jenes von Fromm. Alle vier Vorträge, die der Untersuchung an 100 Zwillingspaaren gewidmet waren (von Heigl-Evers, Helga Schepank, Heinz Schepank und Peter Becker) sind vertreten, der Vortrag von Schwidder sowie derjenige von Bach. Die Vorträge von Beese und Derbolowsky liegen wie alle übrigen Vorträge nur in Abstracts vor, die im aufwendig gestalteten Forumsprogramm enthalten sind. Jedes Abstract erscheint auf Spanisch, Deutsch und Englisch.

86

Da keine Teilnehmerliste des Forums in Mexiko vorliegt, ist in diesem Fall keine Aussage über die Anzahl der Teilnehmer und deren Herkunft möglich.

Auf der Geschäftssitzung der Delegierten werden die norwegische Gruppe und die brasilianische Gruppe um Horus Brazil in die IFPS aufgenommen, nicht aber der von dem Caruso-Schüler Edelweiss gegründete brasilianische Arbeitskreis in Belo Horizonte, da schriftliche Nachweise über sein Ausbildungsprogramm fehlten250. Caruso, der anwesend ist, empört sich und will selbst dafür garantieren, dass die Gruppe seriös arbeite. Er selbst habe einige Monate dort verbracht. Als man daraufhin dennoch auf schriftlichen Unterlagen besteht, legt Caruso Heigl gegenüber einen wütenden Protest ein: Er vermute eine Intrige innerhalb der IFPS gegen die Arbeitskreise251. Silva-Garcia obstruiere seine lateinamerikanischen Schwestergesellschaften252. Überhaupt werde die Stimmung in den durch Caruso gegründeten Arbeitskreisen gegenüber der IFPS schlechter, sie fühlten sich zunehmend brüskiert. Die IFPS gehe Gefahr, „nützliche Stimmen von wohlorganisierten analytischen Gesellschaften“253 zu verlieren. Heigl hält dagegen, dass auch die Arbeitsgruppen der DPG in Göttingen, Berlin und München selbständig und mitgliederstark seien, man aber dennoch keine Einzelmitgliedschaften beantrage254. Chrzanowski gegenüber beklagt Heigl die „Drohung“ Carusos, um daraufhin zu bemerken: „Na ja, wir müssen uns wohl sowieso einmal eingehend darüber unterhalten, mit wem wir fernerhin unbedingt zusammenarbeiten wollen“255. Fromm und Chrzanowski äußern sich ebenfalls ablehnend zu Carusos Wunsch. Die deutschsprachigen Arbeitskreise (Wien, Innsbruck, Salzburg) beschließen dann, den Wiener Arbeitskreis als Repräsentanten innerhalb der IFPS zu benennen und beenden damit den Konflikt. Caruso zieht aus der Zurückhaltung der IFPS, alle seine Arbeitskreise aufzunehmen, Konsequenzen und gründet 1974 eine eigene Internationale Föderation der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie.

Von einem anderen Ärgernis während des dritten Forums berichtet viele Jahre später Carola Mann. Einige der US-amerikanischen Kollegen hatten ihre Familien mit nach Mexiko gebracht und damit ihre jugendlichen Söhne, die in diesen Jahren langes Haar trugen. Die mexikanische Polizei fühlte sich durch diese Frisuren provoziert und schnitt den jungen Männern die Haare, während ihre Eltern in den Vorträgen saßen. Die Eltern erhoben Protest gegen dieses Vorgehen, jedoch sei es bereits zu spät gewesen. Das Ereignis habe der IFPS allgemeine Aufmerksamkeit bei den US-amerikanischen Kollegen beschert256.

250 Business Session of the IFPS held August 22nd 1969 in Mexico-City. 251 Brief Caruso an Heigl vom 06.09.69. 252 Brief Caruso an Heigl vom 06.02.70. 253 Brief Caruso an Heigl vom 06.09.69. 254 Brief Heigl an Caruso vom 26.09.69. 255 Brief Heigl an Chrzanowski von Ende 1969 (undatiert). 256 Ermann, M. (2009). Michael Ermann Interviews Carola Mann. Int. Forum Psychoanal., 18 (4): 252. 87

3.6. Folge des III. Forums: Recherche von Chrzanowski, Spiegel und Feiner zur Psychoanalyse im Nationalsozialismus

Die deutschen Beiträge beeindrucken einige der US-amerikanischen Kollegen durch ihre Komplexität und Individualität so sehr, dass sie sich fragen, auf wen die Deutschen sich eigentlich fachlich beziehen, wenn sie zum Beispiel immer wieder Schultz-Hencke erwähnen. Dies bringt Chrzanowski, Spiegel und Arthur Feiner257 auf die Idee, der Frage nachzugehen, wie die Psychoanalytiker die Zeit des Nationalsozialismus überlebten und was sie damals taten. In den folgenden Jahren führen sie einige Interviews mit noch lebenden Psychoanalytikern, die in dem Deutschen Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie, dem sogenannten „Göring-Institut“, gearbeitet hatten oder sich in dieser Zeit an anderen Orten in Europa aufhielten. Spiegel spricht von etwa 40 Interviews, die sie innerhalb von zehn Jahren in Deutschland, Österreich, Ungarn, England, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz führten258. Namentlich werden Kemper, Ernst Göring (Sohn von Matthias Heinrich Göring), Hans Graber, Conrad van Emde Boas, Magda van Emde Boas, Jacques Tas und Andrew Peto als Interviewpartner erwähnt. Spiegel, Feiner und Chrzanowski stellen ihre Eindrücke und Erfahrungen 1975 auf einem Panel der American Academy of Psychoanalysis in Los Angeles vor und veröffentlichen drei ihrer Vorträge in „Contemporary Psychoanalysis“259 Das Bild, das entsteht, wenn man ihre Berichte und Überlegungen liest, ist ein für deutsche Leser ungewohnt positives. Chrzanowski kommt zu dem Ergebnis, die psychoanalytische Lehre und auch die psychoanalytische Praxis habe im Nazideutschland weiterbestanden und sei nicht, wie dies von manchen Seiten zu hören sei, aufgelöst worden. Ihre Untersuchung zeige eindeutig, dass die Psychoanalytiker, die in Deutschland geblieben waren, „regular analytic work“ taten. Keiner der Interviewpartner habe den kleinsten Zweifel daran gehabt, weiterhin psychoanalytisch zu arbeiten und Chrzanowski habe keinen Grund, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Er räumt ein, es sei möglich, dass die Beteiligten etwas rationalisierten, denn es habe schließlich keine freie Atmosphäre geherrscht, die man braucht, um seinen persönlichen Konflikten nachzugehen. Man könne nicht davon sprechen, dass im Göring-Institut himmlische Zustände inmitten des Infernos herrschten, aber die Poliklinik und das Reichsinstitut hätten einen relativ unabhängigen Geist bewahrt, der etwas von der Grausamkeit des Dritten Reichs habe auffangen können. In einer entmenschlichten Gesellschaft habe dort ein gewisses Maß an Sorge für individuelle, persönliche Probleme bewahrt werden können. Im „Göring-Institut“ seien nur etwa 5% der Mitarbeiter

257 Feiner war Absolvent des WAWI und editorischer Leiter der Zeitschrift Contemporary Psychoanalysis. Er gehört zu der amerikanischen Schule der interpersonalistischen Psychoanalyse. 258 Spiegel, R. (1985): Survival, Psychoanalysis and the Third Reich. Journal of the American Academy of Psychoanalysis, Vol. 13 (4): 521-536. 259 Spiegel, R. (1975), Survival of Psychoanalysis in Nazi . Chrzanowski, G. (1975), Psychoanalysis: Ideology and Practicioners. Feiner, A. (1975), The Dilemma of Integrity. In: Contemporary Psychoanalysis 11, 1975. 88

Parteimitglieder gewesen, da der Bereich der Psychotherapie für Opportunisten und Karrieresuchende wenig attraktiv gewesen sei. Über Schultz-Hencke sagt Chrzanowski, er sei Karen Horney als Abtrünniger von der orthodoxen Psychoanalyse vorangegangen. Als Sohn einer englischen Mutter und Ehemann einer jüdischen Frau sei er ein „free wheeling spirit“ und Einzelgänger gewesen und vom professionellen Stil her mit Sullivan vergleichbar. Schultz- Hencke sei ein hingebungsvoller Forscher gewesen und nach dem Krieg von Müller- Braunschweig so heftig angegriffen worden, dass die Wunden bis heute nicht wirklich geheilt seien. Er habe den Eindruck gewonnen, die Psychoanalytiker des Göring-Instituts seien ein „bunter Haufen“ (motley crew), der sich stereotypen Zuordnungen widersetze. Chrzanowski stützt sich bei seiner Recherche vor allem auf den Artikel von Baumeyer über die Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland260.

Spiegel hebt in ihrem Aufsatz von 1975 hervor, dass am „Göring-Institut“, das von 1936 bis 1945 existierte, jede der drei psychoanalytischen Gruppen (Freudianer, Adlerianer und Jungianer) für ihre Vertreter verantwortlich gewesen sei. Die Kandidaten mussten Kurse bei jeder der drei Gruppen besuchen und auch ihre Fälle bei allen Gruppen vorstellen. Die Patienten seien systematisch einer der drei Gruppen zugeordnet worden. Sie merkt an, dies Erfordernis der Präsentation von Fällen vor Vertretern aller drei Gruppen sei in Ausbildungen eine selten anzutreffende Chance für die Kandidaten. Sie habe den Eindruck gewonnen, dass die Vertreter der freudianischen Richtung zum Ziel hatten, rigoros die Theorie und Praxis der Freudschen Analyse beizubehalten. Es habe sie an die Tradition der mündlichen Überlieferung in vorschriftlicher Zeit erinnert. Man habe sich natürlich unauffällig verhalten müssen, Vorsicht und Vertrauenswürdigkeit seien von höchster Bedeutung gewesen, man habe sozusagen in den Katakomben gelebt. Die Psychoanalytiker hätten trotz ihrer unterschiedlichen Schulenzugehörigkeit zusammengehalten und aufeinander aufgepasst. In den offiziellen Kursen habe man sich mit dem Sprachgebrauch genauestens an die Regeln des Nazi- Regimes gehalten, in den abendlichen inoffiziellen Treffen habe man dann offen die Freudsche Terminologie benutzt. Da M.H. Göring und seine Frau, die der Psychoanalyse freundlich gegenüberstanden, häufig die Funktion der offiziellen Kontrolleure der Seminare übernahmen, hätten die Psychoanalytiker wenig zu befürchten gehabt. Zu den europäischen Dissidenten habe auch Schultz-Hencke gehört, der Ende der 1920er- Jahre eine begriffliche Strukturierung der Psychoanalyse vorlegte, die seine heutigen Anhänger mit der von Sullivan verglichen. Schultz-Hencke habe während der Nazi-Zeit eine wichtige Rolle als Denker und als Person gespielt. Seine Konzepte bildeten den Kern der Neo-Freudianischen Psychoanalyse in Zentraleuropa. Spiegel habe das Bild von intensiver Arbeit und starkem Engagement einer kleinen Anzahl von Psychoanalytikern bezüglich der analytischen Ausbildung gewonnen. Sie

260 Baumeyer, F. (1971). Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 17. Jg, Heft 3/4. 89 zitiert Baumeyer261, wenn sie der Aussage widerspricht, die Psychoanalyse sei während der Nazi-Zeit ausgelöscht worden. In Deutschland und Österreich seien nicht alle Feinde der Psychoanalyse Nazis gewesen - und nicht alle Nazis seien Feinde der Psychoanalyse gewesen. Man habe die Couch als unwürdig für einen „wahren Deutschen“ abgelehnt, aber einer der Reichsvertreter habe einmal gesagt, es wäre ebenso unvernünftig, auf den Wassermann-Test zu verzichten, weil sein Erfinder Jude war. Wenn Psychoanalytiker bedroht oder angegriffen worden seien, dann wegen ihrer politischen Überzeugungen oder weil sie jüdisch waren und nicht deshalb, weil sie Psychoanalytiker waren. Spiegels Aufsatz von 1985 geht näher auf die einzelnen Interviews ein und fokussiert bezüglich des „Göring-Institutes“ vor allem auf die Persönlichkeit M.H. Görings. Zur Arbeit am Institut während des Nationalsozialismus bringt er keine neuen Informationen.

Der Artikel von Feiner geht nicht speziell auf das „Göring-Institut“ ein, sondern reflektiert die Situation der Menschen in totalitären Regimen. Verglichen mit dem Aufsatz von Baumeyer (1971) muss man feststellen, dass die Texte von Spiegel und Chrzanowski kaum neue Informationen über die Arbeit im „Göring-Institut“ bringen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie sich bezüglich dieses Themas hauptsächlich auf diesen Aufsatz stützten. Baumeyer gehörte zur DPG und bezog kritisch Stellung zu Müller-Braunschweig und der DPV. Er verteidigte die Arbeit von Schultz-Hencke, die seiner Schüler und die der DPG nach dem Krieg gegen die in seinen Augen falschen Anschuldigungen, Unterstellungen und gegen eine unrichtige Darstellung der Vergangenheit durch Autoren, die der DPV angehörten. Diese Haltung findet sich in den Texten von Spiegel und Chrzanowski wieder. Man kann daraus schließen, dass sie nicht mit Kollegen der „gegnerischen“ DPV gesprochen oder sich mit deren Meinung auseinandergesetzt haben. Inhaltlich ist die Untersuchung wenig ergiebig, jedoch als ein deutliches Interesse von US-amerikanischen Psychoanalytikern an dem konkreten Geschehen und der spezifischen Situation der deutschen Kollegen in den Jahren der Naziherrschaft bemerkenswert und in diesen Jahren einzigartig. Möglicherweise hatten Chrzanowski, Spiegel und Feiner auch ein umfangreicheres Projekt mit den Interviews anvisiert, das nicht zustande gekommen ist262. Die neutrale, sogar wohlwollende Sicht Chrzanowskis auf die Arbeit der Berliner Kollegen während der Naziherrschaft ist insbesondere deshalb verblüffend, da er selbst als Jude vor den Nationalsozialisten hatte fliehen müssen. In diesen Jahren war das Bewusstsein für die Schuld, die Verantwortung und die psychischen Schäden, die der Nationalsozialismus zur Folge hatte, noch nicht geschärft,

261 Ebd. 262 Vgl. Conci, M. (2003). Report on the XII IFPS Forum. Int. Forum Psychoanal., 12:72: „They conducted some forty interviews with analysts who had been professionally active during the Hitler years in Germany and in some of the occupied countries, in order to ´throw light upon whether psychoanalysis can function in a climate characterized by secrecy, mistrust and personal danger´. However, they never published this work or made the interviews available to the public (…)”. Vgl. auch: Ermann, M. (2009). Michael Ermann Interviews Carola Mann. Int. Forum Psychoanal., 18 (4): 253. 90 weder in den westlichen Gesellschaften allgemein, noch speziell bei den Psychoanalytikern. Hier macht auch die IFPS keine Ausnahme.

3.7. Die zweite Internationale Arbeitstagung (Workshop) 1.–4. September 1970 in Madrid

Nachdem die ursprünglichen Pläne gescheitert waren, 1970 ein Forum in Oslo und 1972 eines in Wien abzuhalten, überlegen Schwidder und Heigl nach einer Unterredung mit Molina- Nunez, eine zweite Internationale Arbeitstagung nach dem Vorbild der Göttinger Tagung in Madrid zu veranstalten. Sie sollte im September 1970 stattfinden. Der Termin sei günstig, da Ende August 1970 in Mailand der Kongress der Internationalen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie abgehalten wurde und amerikanische Teilnehmer vielleicht beide Kongresse besuchen wollten. Kurz wird überlegt, die Tagung erneut in Göttingen zu veranstalten, jedoch lehnt die DPG dies ab, da die Planung als zu kurzfristig empfunden wird263. Zwei Monate später hatten sich zehn von siebzehn Mitgliedern des Organisationskomitees für die Tagung in Madrid entschieden und Molina und seine Gruppe von dem psychotherapeutischen Institut „Pena Retama“, die Spanische Gesellschaft für Analytische Psychotherapie, nehmen die Herausforderung einer so kurzfristigen Planung und Durchführung dieser Tagung an. Schwidder und Heigl schlagen das Thema „Narzissmus und schizoide Reaktionen“ vor, „weil bei uns in den letzten Jahren die Zahl narzisstischer und schizoider Patienten besonders unter jüngeren Menschen sehr zugenommen hat“264. In Madrid zögert man keinen Augenblick und setzt das Organisationskomitee zusammen: Präsident der Tagung ist Molina-Núnez, Generalsekretär sein Kollege Alejandro Gállego. Als Vizepräsidenten werden die Vertreter der Gründungsgruppen Fromm, Caruso, Schwidder und Chrzanowski ernannt, was deren Bedeutung unterstreicht angesichts der Tatsache, dass die IFPS inzwischen aus acht Gruppen besteht. Man hatte Simultandolmetscher für Deutsch, Englisch und Spanisch organisiert und ein Hotel gefunden, in dem 100 Zimmer reserviert wurden265. Der Parforceritt gelingt und die Tagung wird fachlich ein Erfolg. Sie wird jedoch durch ein tragisches Ereignis überschattet, das auch für die IFPS und die DPG einen schweren Verlust bedeutet: Am 2. September 1970, dem zweiten Tag der Tagung, stirbt Werner Schwidder an den Folgen eines Herzinfarktes. Er hatte bereits das Forum in Mexiko absagen müssen, da sein Arzt nach einem ersten Herzinfarkt von einem Flug abriet. Chrzanowski ist bei Schwidder, als er stirbt und schreibt

263 Rundschreiben von Schwidder und Heigl an die Mitglieder des Organisationskomitees des Internationalen Forums für Psychoanalyse vom 30.10.1969. 264 Rundschreiben Schwidder und Heigl vom 06.01.1970. 265 Rundschreiben von Molina-Núnez und Gállego vom 20.02.1970. 91 einige Tage später an Heigl, der nicht nach Madrid gekommen war: „I had lunch with him and Professor Binswanger the day before he died and spent the entire morning sitting next to him when he suffered his fatal heart attack. The event left a deep personal impression on me and I have not recovered from it yet.”266 In einem späteren Brief ergänzt er: “Madrid went very well except for the tragedy of Dr. Schwidders death. I saw him daily there from Sunday to Wednesday and he expressed a strong interest in the future of the Forum. In my opinion the Forum is a significant milestone of something Dr. Schwidder stood for.”267 Der Tagungsbericht von Beese vermittelt einen weiteren Eindruck davon, wie schockartig dieses Ereignis auf die Teilnehmer der Tagung gewirkt hat. Schwidders Tod, der am frühen Nachmittag des zweiten Tages eintritt, wird erst am Abend, am Ende der Arbeitssitzungen bekanntgegeben. Die spanische Veranstaltergruppe will die Tagung auf der Stelle abbrechen und kann nur durch das von deutscher Seite mehrfach hervorgebrachte Argument, dass Schwidder selbst sicher nicht den Abbruch gewollt haben würde, zögernd dazu gebracht werden weiterzumachen. In den folgenden zwei Tagen, die unter einem deutlichen Schatten stehen, sei es keinem der Teilnehmer möglich gewesen, sich Schwidders Tod emotional voll zu vergegenwärtigen; man habe das Gefühl gehabt, Schwidder sei den Sitzungen nur ferngeblieben. An zwei Stellen sei seines Wirkens und seiner Verdienste offiziell gedacht worden268. Schwidder war 53 Jahre alt geworden. Fromm betont in seinem Beileidsschreiben, er habe Schwidder vom ersten Augenblick an gemocht und führt das zurück auf dessen „marked aliveness, his dignity and a certain purity which showed in his face“269. Caruso schreibt, er habe mit Schwidder einen „sehr gütigen, lieben und charm-vollen Menschen“270 verloren. Der Präsident der Nederlands Psychoanalytisch Genootschap würdigt Schwidders „persönlichen Einsatz für internationale Beziehungen, die er mit bewundernswertem Takt realisierte“271. Helmut Thomä von der DPV schreibt, zwar habe „das Schicksal nicht gewollt, dass die Psychoanalyse sich institutionell zusammenführen ließ“, aber er habe „die Bemühungen Werner Schwidders um Ausgleich, das Festhalten an übergeordneten Zielen“ immer bewundert272.

Beeses Tagungsbericht spricht von 40 Einzelvorträgen und drei Podiumsdiskussionen unter zehn Leitthemen, die auf einer angeregten und gut besuchten Tagung stattfanden. Er geht auf vierzehn Vorträge näher ein. Ein einziger Vortrag, der von Beese, wurde in „Weiterentwicklungen der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“, Band V veröffentlicht. In der „Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse“ erscheint der Vortrag von

266 Brief Chrzanowski an Heigl vom 14.09.1970. 267 Brief Chrzanowski an Heigl vom 14.01.1971. 268 Beese, F. (1970), Bericht über das II. Workshop des Internationalen Psychoanalytischen Forums in Madrid 1970. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin 17.Jg., S. 84ff. 269 Brief Fromm an Heigl vom 29.09.70. 270 Brief Caruso an Heigl vom 12.09.70. 271 Brief J.A. Groen an Heigl vom 21.09.70. 272 Brief Thomä an Heigl vom 11.09.70. 92

Schwidder („Zur schizoiden Neurose“), den er einen Tag vor seinem Tod in Madrid gehalten hat.

Beese stellt seinem Bericht einige Bemerkungen voran, die etwas von der Aufbruchsstimmung spüren lassen, die auf diesem Kongress herrscht. So habe der französische Kollege François Tosquelles von den durch die Mai-Unruhen 1968 ausgelösten Reformen in der psychiatrischen Ausbildung und in der Organisation des Anstaltswesens erzählt, und in einer der späteren Diskussionen der Tagung über Autorität in der therapeutischen Gemeinschaft und Sozialpsychiatrie kam der Vorschlag auf, die Ärzte zwecks Abbau hierarchischer Strukturen eine Woche in der Küche Teller waschen zu lassen. Beese stellt ein großes allgemeines Interesse an der Erweiterung des therapeutischen Repertoires fest, um auch neue Patientengruppen wie Patienten mit Sucht-und Psychoseerkrankungen, Ich-Schwäche und Charakterneurose sowie Delinquente psychoanalytisch behandeln zu können. Er meint: „Die Weiterentwicklung der Behandlungstechnik konnte sich möglicherweise in denjenigen psychoanalytischen Gruppierungen, die sich als nicht orthodox oder neopsychoanalytisch oder neofreudianisch bezeichnen, unbehinderter vollziehen als in den orthodoxen.“273 Herbert Binswanger gibt ein wissenschaftstheoretisches Grundsatzreferat über die Schwierigkeit der Sinnforschung bei der Schizophrenie. Schwidder stellt „Klinische Aspekte und psychodynamische Befunde bei schizoiden Neurosen“ vor dem Hintergrund von 100 Krankengeschichten aus Tiefenbrunn vor. Er schildert die Vielfalt interpersoneller Abwehrmechanismen, die durch Gruppentherapien sichtbar geworden waren. Chrzanowski spricht über „Interpersonelle Einblicke in die Schizophrenie“ unter Rückbezug auf H.S. Sullivan: Schizophrenie sei ein Problem von Denk-, Sprach- und Kommunikationsstörungen und könne auf dieser Grundlage behandelt werden. Zauner trägt zur „Problematik der psychoanalytischen Behandlung verwahrloster Jugendlicher“ vor, mit denen er über längere Zeit Erfahrung in stationären Therapiegruppen gesammelt hatte. Beese stellt seine Überlegungen zum Unterschied neurotischer und psychotischer Reaktionsweisen vor, die er unter Bezugnahme auf Donald D. Winnicott, Spitz und Margret Mahler angestellt hatte. Fernando Cervantes aus Barcelona hält einen Vortrag über ambulante psychoanalytische Behandlungen von schizoiden Neurosen und bezieht sich mit Einschränkung auf Melanie Klein. Joseph Geller leitet den Narzissmus-Begriff historisch her. Barnett bestreitet in seinem Vortrag das Hervorgehen des sekundären aus dem primären Narzissmus, während Prado den sekundären Narzissmus als normalen Bestandteil der Ichbildung versteht und sich ebenfalls auf Margret Mahler bezieht. Gállego-Meré spricht über die Anwendung des Narzissmus- Begriffs in der Therapie und schlägt vor, dass der Therapeut sich dem Schizoiden zunächst als Objekt einer narzisstischen Objektwahl zur Verfügung stellen solle, um später die

273 Ebd. 93 narzisstische Objektwahl in eine echte Objektbeziehung umzuwandeln. Cardena nimmt das Thema seines Vortrages wieder auf, den er auf dem Forum in Mexiko gehalten hatte. Er plädiert dafür, den Abraham-Komplex, d.h. den unbewussten Wunsch des Vaters, den Sohn zu töten, in der Gegenübertragung den ganzen therapeutischen Prozess hindurch zu beachten. Molina-Nunez spricht ebenfalls über die Theorie und die Handhabung der Gegenübertragung und Busk empfiehlt zur Vorbeugung gegen die Entwicklung von Neurosen, die Erziehung der Kinder zu überdenken und zu reformieren.

3.8. Bis zum IV. Forum in New York 1972

Chrzanowski leidet stark an dem Verlust seines Freundes Schwidder und fürchtet um den Fortbestand der IFPS. In Madrid waren weder Fromm noch Caruso anwesend und damit nur wenige Mitglieder des Organisationskomitees, die überhaupt eine der früheren Sitzungen mitgemacht hatten. Die enge und vertraute Zusammenarbeit der ersten Jahre ist durch die Aufnahme weiterer vier Gesellschaften und jetzt mit dem Tod des Spiritus Rector der Arbeitsgemeinschaft endgültig vorbei. Nachdem bereits Westerman-Holstijn 1967 Sorge um den Fortbestand der Arbeitsgemeinschaft geäußert hatte („Ich hoffe natürlich sehr, dass die Forumbewegung nicht im Sterben liegt“274), ist es jetzt Chrzanowski, der pessimistisch in die Zukunft schaut: „Once again we seem to be confronted by misfortune about the Forum. All of us connected with the Forum have to decide whether we have created a stillbirth, an unwanted child or a desired platform for the growth of neo-classical psychoanalysis. It is clear that Dr. Fromm is no longer a loving parent of the organization, Dr. Caruso has his own flock to attend to and Dr. Schwidder is no longer with us. Who is left to carry on and who is willing and desirous to help? (…) There is no doubt, however, that the Forum will die a natural death unless there is some enthusiasm for the organization and some dedication to its future.”275 Caruso hatte zunächst angeboten, das nächste Forum 1972 in Österreich auszurichten, beginnt jedoch bis Anfang 1971 nicht mit der Planung, so dass Chrzanowski ihn in einem dringlichen Schreiben anmahnt276. Offenbar muss dieses Vorhaben aufgegeben werden, da Chrzanowski Heigl dann bittet, das nächste Forum 1972 in Deutschland auszurichten, worauf dieser aber zurückhaltend reagiert: „Es darf ja auch nicht so sein, dass unsere beiden Gesellschaften die einzigen sind, die am Weiterleben des Forums für Psychoanalyse Interesse haben.“277 Heigl hatte als Nachfolger von Schwidder die Leitung des Landeskrankenhauses Tiefenbrunn übernommen

274 Brief Westerman-Holstijn an Schwidder am 27.10.1967. 275 Brief Chrzanowski an Heigl am 14.01.1971. 276 Brief Chrzanowski an Caruso vom 11.01.71. 277 Brief Heigl an Chrzanowski vom 22.02.1971. 94 und sah sich und auch die anderen Ortsgruppen der DPG nicht in der Lage, diesen großen internationalen Kongress bis 1972 zu schultern. Zudem macht er Chrzanowski keine großen Hoffnungen auf eine rege Beteiligung der Europäer bei einem Forum in den USA. Möglicherweise geht die Verstimmung Chrzanowskis gegenüber Heigl, die später zu Konflikten über die Gründungsfiguren der IFPS führen wird (s.o.), auf diesen Zeitpunkt zurück. Chrzanowski hat in Heigl jedenfalls nicht den tatkräftigen Mitkämpfer gefunden, der ihm Schwidder war. In seinem Antwortschreiben an Heigl gibt Chrzanowski eine nüchterne Einschätzung der Lage der neu hinzugekommenen Gesellschaften: Zwar habe sich die spanische Gruppe mit dem Workshop in Madrid gut bewährt, die anderen jedoch steckten zum Teil noch in den Kinderschuhen, andere haben ihre internen Konflikte noch nicht ausreichend gelöst, jedenfalls bräuchten sie Zeit. Er setzt einige Hoffnung auf die schwedische Gruppe um Margit Norell und die norwegische Gruppe um Dannevig. Auch in Bezug auf die Teilnahme europäischer, vor allem wohl deutscher Psychoanalytiker an einem Forum in den USA macht sich Chrzanowski wenig Illusionen: „However, the problem also goes much deeper and any way we look at it the time isn´t ripe yet for Europeans to come to the for an International Forum.“278 Chrzanowski nimmt nach seiner pessimistischen Krise und einem komplizierten Bandscheibenvorfall die Sache der Forumsplanung selbst in die Hand. Das nächste Forum sollte von seiner WAWS ausgerichtet in New York stattfinden. Spanische, brasilianische, skandinavische, kanadische und mexikanische Kollegen hätten bereits Interesse bekundet279. Im Juli 1971 wird ein erstes Rundschreiben an die Mitglieder der DPG geschickt, in dem Ort, Zeitpunkt und Thema des nächsten Forums bekannt gegeben werden: Es soll um „Das Irrationale in der Psychoanalyse“ gehen, womit Träume, Übertragung und Gegenübertragung, transkulturelle Gesichtspunkte, aber auch ethische und moralische Werte gemeint sind. Auch Gruppentherapie soll erneut behandelt werden, woran sich insbesondere die Deutschen beteiligen werden. Chrzanowski beschließt, auf diesem Forum den Symposien, Panels und Workshops mehr Gewicht zu geben, damit sich die Teilnehmer besser kennenlernen und in Diskussion kommen können. Der Ton Chrzanowskis gegenüber Heigl verschärft sich, als er im Dezember 1971 beklagt, dass er Heigl nicht telefonisch erreichen konnte, als er kürzlich in Zürich war und von der DPG bisher kein einziges Abstract gekommen sei, obwohl er das vorläufige Programm drucken lassen müsse:280 Obwohl sich Heigl damit entschuldigen kann, dass er in der Zwischenzeit bereits drei Briefe an Chrzanowski geschrieben habe, die offenbar alle nicht angekommen seien und es für deutsche Kollegen ungewöhnlich und unbequem sei, so weit im Voraus Abstracts zu schicken, reagiert

278 Brief Chrzanowski an Heigl vom 25.02.1971. 279 Brief Chrzanowski an Heigl vom 09.03.1971. 280 Brief Chrzanowski an Heigl vom 09.12.1971 „It is clearly difficult in maintaining liaison with you and I wish to appeal to you personally to give this matter your immediate attention.“ 95

Chrzanowski weiterhin gereizt: Er sei tief enttäuscht darüber, dass aus Göttingen nur so wenige Kollegen kommen werden und er müsse auf den Abstracts bestehen281.

Es entstehen im Laufe der Vorbereitungen weitere Konflikte zwischen Chrzanowski und Mitgliedern der IFPS. Zwei Monate vor Beginn des Forums bedauert Condrau sein Fernbleiben, begründet es aber damit, dass sowohl er selbst als auch Boss und Uchtenhagen zwar Mitglieder des Organisationskomitees seien, ihre Namen jedoch weder im vorläufigen Programm erwähnt wurden noch sie jemals gefragt worden seien, ob sie etwas zur Organisation des Forums beitragen möchten. Damit sei die Daseinsanalyse, die von Schwidder immer zu den Tagungen des Forums gewünscht wurde, diesmal nicht vertreten. Er sei erstaunt darüber, ohne jegliche Mitteilung übergangen worden zu sein282. Chrzanowski reagiert betroffen und versichert Condrau, es müsse sich um ein Missverständnis innerhalb der europäischen Gesellschaften handeln, da er Heigl und Dührssen gebeten habe, die anderen europäischen Kollegen über das Forum zu informieren, wie es ihre Aufgabe gewesen sei. Da beide zu sehr mit ihren Angelegenheiten beschäftigt waren, habe er sich gezwungen gesehen, die Schweizer Kollegen H. Binswanger und Beck zu bitten, sich um die Schweizer Gesellschaften zu kümmern, diese hätten aber offenbar keinen Kontakt mit Condrau aufgenommen. Der Tod von Schwidder habe die Kommunikation in der IFPS unterbrochen. Früher sei er mit diesem in engem Kontakt über die Organisation der Foren gewesen, jetzt müsse er die Last ganz allein tragen. Die DPG sei nach dem Tod von Schwidder dabei, sich neu zu organisieren. Heigl, der eine Abschrift erhält, bestätigt daraufhin, auch er sei enttäuscht über die karge Teilnahme der DPG am Forum und rechtfertigt sich mit formalen Gründen: Er habe an die Gruppe um Condrau deshalb keine Informationen geschickt, da sie nicht zu den Mitgliedern der IFPS gehört habe.

Ein weiterer Konflikt betrifft die Mexikanische Gesellschaft, deren Vertreter zum New Yorker Forum nicht erscheinen, da sie sich durch Chrzanowski diskriminiert und unfreundlich behandelt fühlten283. Fromm erklärt später Bach, dass Chrzanowski mehrere Arbeiten von Silva-García und Aniceto Aramoni abgelehnt habe und diese daraus den Schluss zogen, bei dem Forum nicht erwünscht zu sein284. Bach und Schelkopf versuchen nach dem Forum, zwischen Chrzanowski und Fromm zu vermitteln und betonen, wie sehr ihnen die Teilnahme der mexikanischen Kollegen am Herzen liege. Fromm vermutet als Wurzel des Problems einen lange zurückliegenden Groll Chrzanowskis gegen ihn selbst. Chrzanowski erinnert dagegen ein lang zurückliegendes Ereignis, in dem er auf Bitte Fromms zwischen Radó und Fromm in einer persönlichen Angelegenheit vermitteln sollte285. Chrzanowski klagt 1974 gegenüber

281 Brief Chrzanowski an Heigl vom 04.01.1972. 282 Brief Condrau an Chrzanowski vom 07.07.1972. 283 Siehe oben unter „Konflikte der vier Gründungsgruppen untereinander“. 284 Brief Fromm an Bach vom 01.06.1973. 285 Brief Chrzanowski an Katwan vom 10.06.1976. 96

Fromm, die IFPS habe seit 1965 auf Fromms Rat und Beistand verzichten müssen und er selbst habe seit Schwidders Tod mit einer Reihe von „last-minute-Entscheidungen“ versuchen müssen, die IFPS vor dem Sterben zu bewahren. Die beiden Kontrahenten bleiben unversöhnlich. Nach dem Tod Schelkopfs, der auf dem Forum in New York die Funktion des Generalsekretärs der IFPS von Heigl übernommen hatte, werden Fromm und die Vertreter der mexikanischen Gruppe, vor allem Silva-García, verhindern, dass Chrzanowski das Amt übergangsweise einnimmt.

An dem Konflikt um Günter Ammon286 und seiner Gruppe ist Chrzanowski nicht persönlich beteiligt, da er Ammon und seine Stellung in der bundesdeutschen Psychoanalyse nicht kennt. Kurz vor dem Forum in New York vermeldet er erfreut an Heigl, dass Ammon seine Teilnahme und die von weiteren 25-30 Kollegen angekündigt hat. Heigl reagiert alarmiert: „Günter Ammon! Wissen Sie, dass die DPV, ein Zweig der IPA, ihn aus ihren Reihen exmittiert hat und er auch bei uns nie Anschluss gefunden hat?! Seine fachliche Qualifikation wie die seiner `Ausbildungskandidaten´ wird von allen Lagern in Zweifel gezogen. In Eile!“287 Ammon sorgt dann im Juni 1972 für großen Unmut, indem er eine „Einladung an alle Mitglieder psychiatrischer, psychotherapeutischer und psychologischer Gesellschaften in der Bunderepublik und Westberlin“ mit den Worten beginnt: „Ich lade Sie ein, zusammen mit den Mitgliedern der Deutschen Akademie für Psychoanalyse (DAP) an dem IV. Internationalen Forum für Psychoanalyse teilzunehmen (…)“288. Bach ist ebenso empört und beunruhigt wie Heigl und bringt diesem gegenüber die Befürchtung zum Ausdruck, Ammon könne sich um Mitgliedschaft in der IFPS bewerben. Dies sei jedoch hoffentlich schon deshalb ausgeschlossen, da Ammons Institute den strengen Anforderungen der IFPS nicht genügen würde und deren „unseriöse Maßnahmen“ bekannt seien289. Heigl wiederholt also Chrzanowski gegenüber noch einmal ausdrücklich, dass Ammon in der Bundesrepublik ein „völliger Außenseiter“ sei und dies „sowohl vom Fachlichen wie auch vom Menschlich- Mitmenschlichen her mit einem gewissen Recht“. Auch Schwidder habe ihn gekannt und sicherlich ebenso „allerstärkste Bedenken“ dagegen, Ammon in der IFPS aufzunehmen290. Dührssen hatte ebenfalls von der Sache erfahren und wird von Heigl dahingehend beruhigt, dass Chrzanowski „hoch und heilig“ versprochen habe, Ammon weder für die IFPS noch für

286 Günter Ammon (1918 – 1985) war Arzt und machte seine psychoanalytische Ausbildung 1952 bei der eben gegründeten DPV. Danach ging er von 1956 bis 1965 in die USA und arbeitete in Topeka an der Menninger-Klinik. 1968 gründete er das Lehr- und Forschungsinstitut für Dynamische Psychiatrie und Gruppendynamik in Berlin und 1969 sowohl die Deutsche Gruppenpsychotherapeutische Gesellschaft (DGG) als auch die Deutsche Akademie für Psychoanalyse (DAP). Nach Konflikten mit der DPV trat er aus der DPV aus. Der Dachverband der deutschen psychoanalytischen Gesellschaften DGPT erkennt die von Ammon gegründeten Institute bis heute nicht an. Ammon war Verfechter der Gruppentherapie und auch der Therapie mit psychiatrisch Erkrankten. 287 Brief Heigl an Chrzanowski vom 07.04.1972. 288 Einladung Ammons vom Juni 1972. 289 Brief Bach an Heigl vom 25.07.1972. 290 Brief Heigl an Chrzanowski vom 03.08.1972. 97 deren Organisationskomitee vorzuschlagen291. Nach dem New Yorker Forum stellt Ammon allerdings ein offizielles Aufnahmegesuch an die IFPS und bringt Schelkopf, der in New York Heigl als Generalsekretär der IFPS abgelöst hatte, damit in Verlegenheit. Noch weitere Verlegenheit löst vermutlich Ammons Einladung an Schelkopf aus, dem wissenschaftlichen Beirat seines Berliner Institutes beizutreten292. Dies lehnt Schelkopf freundlich ab. Schwierig wird die Lage zusätzlich, als Caruso sich positiv über Ammons Gruppe äußert, ihnen ein „ansehnliches wissenschaftliches Niveau“ bescheinigt und bei Chrzanowski die Aufnahme empfiehlt. Gegenüber Schelkopf zeigt Caruso aber auch seine persönliche Zurückhaltung im Fall Ammon: Der „etwas penetrante Dynamismus“ und der Ehrgeiz der DAP, die in einem „fast stürmischen Stil“ engen Kontakt zu seinem Arbeitskreis suche, verunsichere ihn jedoch293. Chrzanowski empfiehlt das übliche Prozedere der Überprüfung der Ausbildungsprogramme und der Zulassungskriterien für Kandidaten und einen Besuch in Ammons Institut durch einen IFPS-Vertreter bis zum nächsten Forum. Die ganze Angelegenheit erledigt sich dann allerdings durch Ammon selbst, der kurz darauf mit seinen Mitarbeitern in einen derart heftigen Streit gerät, dass etliche von ihnen aus den Instituten der DAP austreten und einer dieser ausgetretenen Psychoanalytiker an Schelkopf einen Brief schrieb, in welchem er ihn vor Ammons Absichten der IFPS gegenüber warnt294. Die DPG hätte das Aufnahmegesuch vermutlich auch ohne dieses Intermezzo abgelehnt. Am 1. November 1974, nach dem Forum in Zürich und der dort gefallenen Entscheidung, teilt Schelkopf Ammon mit, dass sein Aufnahmegesuch nicht habe berücksichtigt werden können.

3.9. Exkurs: Der Werner-Schwidder-Award

Wenige Tage nach dem Tod von Schwidder, noch in Madrid, hat Chrzanowski die Idee, Schwidders Werk und sein Engagement für die IFPS durch einen Preis zu würdigen, der bei jedem Forum ausgelobt werden sollte. Der unerwartete Tod Schwidders habe allen deutlich gemacht, dass Schwidder die zentrale Figur in der IFPS und die Verkörperung von deren Zielen und Hoffnungen für die Zukunft gewesen sei, erklärt er anlässlich der Preisverleihung an ihn selbst auf dem Forum 1974 in Zürich. Er habe eine dauerhafte Erinnerung an den Mann schaffen wollen, dessen „noble spirit aimed to unite analysts in a friendly mutually supportive and professionally productive atmosphere“295. Das erste Mal sollte der Preis auf dem Forum

291 Brief Heigl an Dührssen vom 14.09.1972. 292 Brief Ammon an Schelkopf vom 23.11.1972. 293 Brief Caruso an Schelkopf vom 30.01.1973. 294 Brief Gröninger an Schelkopf vom 10.05.1974. 295 Chrzanowski, G. (1975), On the International Forum – Werner Schwidder Award Acceptance Remarks. In: Contemporary Psychoanalysis, 11: 100-103. 98

1972 an jemanden vergeben werden, der die Interessen der IFPS fortführt, die Schwidder so am Herzen gelegen haben. Danach sollte beraten werden, für welchen fachlichen Bereich der Schwidder-Award vergeben werden sollte, z.B. psychosomatische Medizin, Kinderpsychiatrie, die Versöhnung gegnerischer psychoanalytischer Gruppen, die Entwicklung der Psychoanalyse oder die Förderung des Werks von Schultz-Hencke296. Molina-Nunez schlägt dem Preiskomitee, dem zunächst Heigl vorsteht und später (nachdem Heigl als Preisträger vorgeschlagen wurde und damit als Jury-Mitglied ausfiel) Sidney Goldensohn297, Heigl als ersten Träger des Preises vor. Heigl habe mit Schwidder seit 1951 eng zusammengearbeitet, mit ihm sowohl das Göttinger Ausbildungsinstitut als auch das Ausbildungszentrum für Psychoanalyse gegründet und dann zusammen mit ihm seit 1961 die internationalen Kongresse organisiert. Da sich Heigl und Schwidder auch in ihren wissenschaftlichen Positionen nahegestanden hatten, fühlt sich Heigl geehrt und meint, guten Gewissens den Preis annehmen zu dürfen298. Diese Preisverleihung an Heigl wird später mehrfach kritisiert. Einige Mitglieder haben den Eindruck, Heigl habe sich den Preis selbst zugesprochen. Wir wissen, dass dies nicht den Tatsachen entspricht, da ein Brief vorliegt, in dem Heigl sich bei Molina für den Vorschlag bedankt, den Preis zu bekommen299. Auf der Sitzung des Organisationskomitees vor dem Forum 1974 in Zürich wird diese Verleihung ein „Betriebsunfall“ genannt und für die Zukunft eine „saubere Lösung“ angemahnt. Condrau meint, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sich „die gerade maßgebenden Leute des Organisationskomitees den Preis im Sinne des Selbstbedienungsprinzips zuspielten“300. Der Preis solle an die beste wissenschaftliche Arbeit aus der Zeit seit dem letzten Forum gehen. Mitte 1973 definiert Chrzanowski den Preis als Auszeichnung für jemanden, der einen bedeutenden Beitrag zur IFPS und den Grundsätzen, für die sie stehe, geleistet habe, eingedenk der Ideale von Schwidder. Dementsprechend schlägt er sich selbst als den nächsten Empfänger des Preises vor. Zuvor hatte er Heigl bezichtigt, sich selbst als den ersten Preisträger vorgeschlagen zu haben. Chrzanowski begründet seinen Vorschlag damit, dass er und Schwidder die IFPS über mehrere Jahre zusammen getragen hätten und nach Schwidders Tod er allein große Mühe auf sich genommen habe, die Bewegung am Leben zu erhalten trotz schwindenden Interesses der anderen301. Schelkopf stimmt ihm zu, macht jedoch den Gegenvorschlag, in Zukunft zwei Schwidder-Awards zu vergeben, einen für Verdienste um die IFPS und einen für wissenschaftliche Beiträge. Dies wird nicht umgesetzt. Das Schwidder-Award-Komitee besteht in den Jahren 1973 und 1974 aus Goldensohn,

296 Brief Chrzanowski an Heigl vom 17.12.1970. 297 Sidney Goldensohn war 1972 Präsident der WAWS. 298 Brief Heigl an Molina vom 04.02.1972. 299 Brief Heigl an Molina vom 04.02.1972: „Lassen Sie mich Ihnen zunächst herzlich danken, dass Sie mich für den Werner Schwidder-Preis vorschlugen. (…) Dass man sich für mich entschieden hat, freut mich natürlich sehr, wenn ich auch den Preis erst nach einiger Bedenkzeit angenommen habe.“ 300 Protokoll der Sitzung des Organisationskomitees am 26.01.1974 in Zürich. 301 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 10.05.1973. 99

Molina-Nunez und Schelkopf. Goldensohn selbst schlägt für den Preis im Jahr 1974 Gaetano Benedetti und Chrzanowski vor302. Schelkopf informiert Chrzanowski darüber, dass das Organisationskomitee für das Forum in Zürich Anfang Februar 1974 beschlossen hatte, der Preis solle für eine „wissenschaftliche Leistung im Rahmen der Zielsetzung des Forums unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des in Aussicht genommenen Preisträgers“303 verliehen werden. Chrzanowski fragt daraufhin, ob ein zweiter Sigmund Freud dann vielleicht für den Preis nicht in Betracht käme, wenn er sich nicht auch um das Forum verdient gemacht habe?304 Dass Condraus Bedenken durchaus ein Problem benennen, zeigt sich noch einmal, als ein Mitglied der Caruso-Gruppe ausgerechnet Caruso als zweiten Preisträger vorschlägt, aber geflissentlich abstreitet, dass es sich um einen Lokalpatriotismus handle305. Es wiederholt sich kurz darauf, als Silva-García, der Repräsentant der Fromm-Gruppe in Mexiko sich verwundert, warum nicht Fromm vorgeschlagen worden sei und dies hiermit nachholt306. Das Hin und Her bezüglich sowohl des Inhalts des Preises als auch der Person des Trägers des Preises hatten einiges Unbehagen hervorgerufen. Schelkopf hatte in seiner neuen Funktion als Generalsekretär der IFPS das Bedürfnis, Klarheit zu schaffen und festzulegen, nach welchen Kriterien der Schwidder-Award in Zukunft organisiert, finanziert und vergeben werden soll. Im Juni 1974 steht bereits fest, dass der Preis nicht mehr mit einem Geldbetrag einhergehen wird, sondern nur noch in einer Urkunde und einer Medaille bestehen soll. Schon dies bringt Schelkopf in finanzielle Verlegenheit, da die IFPS kein Vermögen besitzt. Dann werden auch die Voten der Mitgliedsgesellschaften zusammengetragen, die die Namen von Chrzanowski, Fromm, Caruso, Benedetti und Barnett genannt hatten. Aus diesen sollten nun Schelkopf, Goldensohn und Molina den zweiten Preisträger auswählen. Schelkopf meint307, Chrzanowski habe die größten Verdienste um den Erhalt der Foren und sei der Motor der IFPS. Wenn es nicht den „unsinnigen Streit“ zwischen ihm und der mexikanischen Gruppe gegeben hätte, könnte man mit allgemeiner Zustimmung rechnen. Ohne Fromm wiederum wäre damals der Zusammenschluss der Gesellschaften niemals erfolgt, wie ihm Schwidder mehrfach versichert habe. Obwohl Fromm im Moment in Bezug auf die IFPS den Eindruck „eines grollenden Löwen“ mache, sei er doch die in der Weltöffentlichkeit am meisten profilierte Persönlichkeit. Die Auszählung der Voten scheint dann die Entscheidung gebracht zu haben und Chrzanowski bekam auf dem Züricher Forum den zweiten Schwidder-Award überreicht.

Am 6. September 1974 wird die Satzung für die Verleihung des Werner-Schwidder-Awards beschlossen und tritt in Kraft308. Man hatte sich auf folgenden Passus geeinigt: „Der Preis soll

302 Brief Goldensohn an Hicklin vom 24.01.1974. 303 Brief Schelkopf an Chrzanowski vom 02.02.1974. 304 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 07.02.1974. 305 Brief Larcher an Schelkopf vom 17.04.1974. 306 Brief Silva-García an Goldensohn vom 07.05.1974. 307 Brief Schelkopf an Goldensohn vom 01.06.1974. 308 Wortlaut der Satzung: siehe Anhang. 100 einer Persönlichkeit aus dem Kreis der Mitgliedsgesellschaften der IFPS verliehen werden, die sich hinsichtlich ihrer Bemühungen um die Verwirklichung der Ziele der IFPS und der Abhaltung des Internationalen Forums herausragende Verdienste erworben hat. Dabei soll die Gesamtpersönlichkeit des Preisträgers und seine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Psychoanalyse berücksichtigt werden. Bei der Nominierung sollen nationale Gesichtspunkte keine Rolle spielen.“

Nach dem unerwarteten Tod von Molina-Nunez Anfang November 1974 kommt Schelkopf die Idee, Molina postum den dritten Schwidder-Award zuzueignen. Da aber Schelkopf selbst kurz darauf plötzlich stirbt und damit auch die Stelle des IFPS-Generalsekretärs vakant wird, kommt es auf dem nächstfolgenden Forum 1977 in Berlin zu keiner Preisverleihung. Katwan, der das Berliner Forum organisiert und dort zum Nachfolger Schelkopfs gewählt wird, erklärt später, es habe schlicht keine Voten für einen nächsten Preisträger gegeben bzw. habe es nicht einmal eine Person gegeben, die solche hätte entgegennehmen können.

3.10. Das IV. Forum 28. September–2. Oktober 1972 in New York Die Veranstalter des Forums in New York sprechen von 622 Teilnehmern, eine später verbreitete Liste verzeichnet 664 Teilnehmer. Die weitaus meisten kommen aus New York und den USA, aus Deutschland kommen 31 Teilnehmer, aus Spanien 27, aus Schweden elf, aus Italien zehn. Fünfzehn Kollegen kommen aus Süd- und Mittelamerika, einige aus der Schweiz (fünf Personen), Norwegen (fünf Personen), Kanada, Finnland (zwei Personen), Frankreich (eine Person) und Holland (eine Person). Das Interesse ist natürlicherweise immer am Veranstaltungsort selbst am größten, es muss aber auch festgestellt werden, dass z.B. die holländische Gruppe, die immerhin die ersten Tagungen ausgerichtet hatte und über Westerman-Holstijn die internationale Zusammenarbeit sehr gefördert hat, ein überraschend geringes Interesse zeigt. Aus Mexiko sind aufgrund des Konflikts mit Chrzanowski nur zwei Kollegen angereist. Es werden 37 Vorträge gehalten und sechzehn Workshops veranstaltet. Die US-Amerikaner halten dreizehn Vorträge, die Deutschen sieben, die Spanier sechs, die Brasilianer vier und die Kanadier zwei. Aus Israel, Österreich, Holland, Mexiko und der Schweiz kommt je ein Vortragender. Das Thema des gesamten Forums lautet „The Irrational in Psychoanalysis. Theoretical and Clinical Aspects“. Es wird in mehrere Sektionen aufgeteilt, so dass z.B. Schelkopf seinen Vortrag unter dem Abschnitt „Glaube, Ideologie und Ideologen“ hält, Derbolowsky309 seinen unter „Träume und unbewusste Prozesse. Ammon, den man

309 Udo Derbolowsky war 1972 aus dem deutschen Dachverband der Psychoanalytiker DGPT ausgeschlossen worden, weil er zwei Artikel veröffentlicht hatte, in denen er scharf gegen die Durchführung von Psychotherapien durch Nicht-Ärzte plädierte (mit Dank für die Information an Regine Lockot). 101 offenbar nicht von seiner Teilnahme hatte abhalten können, stellt seinen Beitrag unter den Abschnitt „Träume und Gruppen“, Benedetti hält seinen Vortrag unter dem Abschnitt „Übergangsprozesse im Patienten“. Chrzanowskis und Carusos Vorträge werden unter „Psychoanalytische Theorien, Neubewertung und Erweiterung“ eingeordnet, Kamps Fortführung seines Films über ein autistisches Kind unter „Angewandte Psychoanalyse“.

Die Workshops, die bei diesem Forum auf Wunsch Chrzanowskis besonders zahlreich sind, haben Titel wie „Die veränderte Rolle des Patienten in der Arbeit mit Träumen“, „Irrationalität in der Familie“, „Das Rationale und Irrationale in der psychoanalytischen Ausbildung“, „Probleme bei dem therapeutischen Gebrauch der Gegenübertragungsphänomene“, „Schuld und Trauer der Krieger“.

Schelkopf, der 1968 an seinem Münchener Ausbildungsinstitut als Vorsitzender kandidiert hatte310 und durch die Vorwürfe Lotte Köhlers311, er sei bis zum Ende des II. Weltkrieges in der NSDAP und in der SS gewesen und habe dies verschwiegen, von diesem Vorhaben abgelassen hatte, hält in New York einen Vortrag mit dem Titel „Analytische und irrationale Aspekte politischer Verführung und Verführbarkeit“. Darin spricht er als ein Vertreter der Generation, die in Deutschland zwischen 1910 und 1920 geboren wurde und sich „spätestens 1945 zu fragen begonnen (habe), wie sie, ohne sich für dumm oder charakterlos halten zu müssen, zu Verführten eines politischen Regimes geworden sind, dessen Hybris und dessen Verbrechen die Welt erschütterten (…).“312 Er stellt dann zwei (fiktive) psychoanalytische Fallbeispiele vor, eines von einer Person namens Paul, der im Nationalsozialismus zum Verführer wurde und eines von einem Patienten Andreas, der in dieser Zeit politisch verführt worden sei. Paul stellt sich als Paul Joseph Goebbels heraus und die Biographie des Andreas weist so viele Parallelen mit Schelkopfs eigener auf, dass man diese Identität als hochwahrscheinlich annehmen kann. Die Vorstellung der eigenen Biographie in einem fachlichen Vortrag vor einem internationalen Publikum ist ein ungewöhnliches und bemerkenswertes Vorgehen, insbesondere, wenn man bedenkt, dass in diesem Publikum viele emigrierte jüdische Kollegen sitzen. Man muss annehmen, dass dieser Vortrag vier Jahre nach den Ereignissen am Münchner Institut der Versuch einer Rechtfertigung dieser Erfahrung

310 Siehe dazu: Brundke, A. (2008), Vom überzeugten Nationalsozialisten zum Psychoanalytiker – Anton Schelkopfs „Entnazifizierung“ und seine Karriere am Institut. In: Bauriedl, T. und Brundke, A., Psychoanalyse in München – Eine Spurensuche. Psychosozial Verlag, Gießen. 311 Lotte Köhler wurde 1925 als Tochter eines Unternehmers geboren, studierte Medizin, machte eine erste psychoanalytische Ausbildung bei Riemann im Münchener Ausbildungsinstitut (heute Akademie für Psychoanalyse) und später eine zweite bei Parin in der Schweiz. Sie wandte sich der Säuglingsforschung und der Selbstpsychologie Kohuts zu und führte das Unternehmen ihres Vaters weiter. Sie machte zusammen mit ihrem Mann Hans Kilian 1968 die NSDAP-Zugehörigkeit Schelkopfs publik und trat nach schweren Konflikten mit einigen Mitgliedern aus dem Institut aus. Sie macht dem Institut den Vorwurf, Schelkopfs nationalsozialistische Vergangenheit verschleiern zu wollen und sie selbst zu verunglimpfen. 312 Schelkopf, A. (1977), Analytische und irrationale Aspekte politischer Verführung und Verführbarkeit. In: Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen, Band 5. Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich. 102 war. Es ist in dem Vortrag nicht die Rede von Schuldgefühl oder Reue. Schelkopf versucht lediglich, den Weg zu beschreiben, den „Andreas“ ging und verknüpft ihn mit einer Theorie über Massenpsychologie in Diktaturen. Chrzanowski schreibt ihm danach, er habe viele zustimmende und positive Kommentare über den Vortrag gehört313. Astrid Brundke erwähnt in ihrem Aufsatz über Schelkopf314 einen handschriftlichen Zusatz zu seinem Vortrag, in dem es über „Andreas“ heißt: „Er gehörte zu den Menschen, die in jener Zeit gelebt haben, ohne dass sie im engeren Sinne und in den Augen anderer schuldig geworden waren“. Brundke kommentiert: „Jedoch, so fährt er fort, sei das Schuldgefühl, dass es ´my people´ war, das die gezielte Vernichtung Unschuldiger geplant und durchgeführt habe, permanent. Dieses Eingeständnis scheint das Äußerste gewesen zu sein, was ihm möglich war. Anton Schelkopf erhielt seine Absolution. Nach seiner Rede habe er ´herzliche Aufnahme´ im Publikum gefunden.“315 Es verwundert von heute aus gesehen die Toleranz, mit der vor allem die New Yorker Gruppe der IFPS auf die Berichte der Zeitzeugen und Beteiligten des Nationalsozialismus reagierte. Den gleichen Eindruck hinterlässt die oben erwähnte Recherche von Chrzanowski, Spiegel und Feiner über die Tätigkeit der Psychoanalytiker in der Zeit des Nationalsozialismus. Dies umso mehr als Chrzanowski selbst jüdischer Herkunft war, aus Europa fliehen musste und vielleicht einen Teil seiner Familie verloren hatte. Meines Wissens nach wurde innerhalb der IFPS die nationalsozialistische Vergangenheit Schelkopfs niemals thematisiert. Mir ist nicht bekannt, warum das so war, da die deutschen Psychoanalytiker von den Vorgängen am Münchener Institut gewusst haben werden. Sowohl die amerikanische Interview-Recherche als auch die Wahl Schelkopfs spielt sich in einer Zeit ab, in der trotz der Auschwitzprozesse seit 1963 immer noch der Mantel des Verschweigens über der nationalsozialistischen Vergangenheit liegt und nur wenige, wie z.B. Köhler, unter hohem persönlichen Risiko wagten, diese anzusprechen und Verantwortung einzufordern. Als Heigl auf dem New Yorker Forum als Generalsekretär der IFPS „aus Überlastungsgründen“ zurücktritt, wird Schelkopf zu seinem Nachfolger gewählt. Fromm hatte Bach vorgeschlagen, was dieser jedoch abgelehnt hatte. Schelkopf hatte die internationalen Tagungen seit 1961 in Düsseldorf besucht, ist also kein Unbekannter für die Kollegen der IFPS. Er wird in den Jahren 1972 bis zu seinem unerwarteten Tod 1975 der IFPS seine umfangreichen organisatorischen Erfahrungen und Fähigkeiten zur Verfügung stellen und unter anderem zwei Satzungen ausarbeiten. In meinen Unterlagen sind keine Hinweise darauf zu finden, dass Schelkopf in der IFPS jemals auf seine Vergangenheit angesprochen wurde.

Fünfzehn Vorträge des New Yorker Forums wurden im Band V von „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“ veröffentlicht, zwei weitere im Band VI. Elisabeth von

313 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 23.10.1972. 314 Brundke, A. (2008), S. 355. 315 Ebd. 103

Strachwitz schreibt einen Tagungsbericht für die „Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse“. Auf dem New Yorker Forum werden die Weichen gestellt für eine verbindlichere und organisatorisch klarere Struktur der IFPS. Chrzanowski macht bereits in seiner Vorrede316 zur Tagung deutlich, dass die IFPS keine Zukunft haben werde, wenn die Zusammenarbeit nicht enger werde und eine Organisation entstehe. Organisationen riefen die Furcht vor dem Verlust der Unabhängigkeit und vor dem Entstehen eines konventionellen Systems hervor. Das Forum sei bisher eine vollkommen unstrukturierte Plattform, ohne Satzung, Konstitution, Mitgliedsgebühren und ohne Label. Die amorphe Beschaffenheit des Forums und seine Position als Außenseiter unter den psychoanalytischen Zusammenkünften biete eine einzigartige Möglichkeit zur Zusammenarbeit auf einem Feld, das tief gespalten sei. Er sehe im Forum ein großes Potential zur fruchtbaren Zusammenarbeit, zu gegenseitigem Respekt und für einen produktiven Dialog zwischen allen Psychoanalytikern, ungeachtet ihrer persönlichen Ziele und berufspolitischen Überzeugungen. Jedoch gebe es Freiheit nur, wenn Grenzen akzeptiert werden und Spontanität könne nicht aus einem Vakuum entstehen. Es müsse eine Form von Kontinuität für das Forum gefunden werden, sonst werde es nicht fortbestehen. Chrzanowski hatte vor dem Beginn des Forums in der Vierteljahreszeitschrift der American Academy of Psychoanalysis, „The Academy“, eine kurze historische Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse gegeben, die zur Bildung der IFPS führten. Er verknüpft die Entstehung der IFPS eng mit der Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland: „There has been a long standing interest in the formation of an open international psychoanalytic society. The unique history of psychoanalysis in Germany has been one factor contributing to this“317. Seine Zusammenfassung erwähnt das Berliner psychoanalytische Ausbildungsinstitut vor 1933, die Weiterarbeit der Psychoanalytiker während und nach dem Zweiten Weltkrieg, die Abspaltung der DPV und die Ablehnung der DPG durch die IPA. Er beschreibt kurz den Versuch der American Academy of Psychoanalysis, 1962 eine europäische Academy aufzubauen. Auf dem ersten Forum 1962 in Amsterdam sei es zur Gründung einer neuen internationalen Organisation gekommen, die das vorrangige Ziel hatte, in regelmäßigen Intervallen internationale Foren zu unterstützen. Chrzanowski spricht in seinem kleinen Artikel davon, dass die IFPS inzwischen aus zehn psychoanalytischen Gesellschaften bestehe. Dies ist nicht nachvollziehbar, da zuletzt auf dem Workshop 1970 in Madrid der Circulo Brasilieiro als neuntes Mitglied aufgenommen worden war und bisher kein weiteres Treffen der Vertreter der IFPS stattgefunden hatte, das ein zehntes Mitglied hätte aufnehmen können. Die Satzung wird am 6. September 1974 auch nur von neun Gesellschaften unterschrieben.

316 Chrzanowski, G., Introductory Remarks, Manuskript. Eigene Übersetzung (A.H.). 317 Chrzanowski, G., Historical notes on the IV International Forum. In: The Academy (Erscheinungsjahr und –ort waren nicht eruierbar). 104

105

4. Kapitel

4.1. Wege zur Institutionalisierung der IFPS nach dem New Yorker Forum

Schelkopf ist mit seiner neuen Funktion wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Er hat zuvor keine Berührung mit der IFPS gehabt und muss sich nun mit den Grundlagen vertraut machen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schreibt er Chrzanowski und bittet um Informationen darüber, was eigentlich der „exakte, verbindliche Name der Federation“ sei, wo sie ihren Sitz habe und in welcher Sprache man kommuniziere318. Er erfährt, dass die Hauptgeschäftsstelle der IFPS der Wohnort des jeweiligen Generalsekretärs sei, momentan also München, wo Schelkopf lebt. Er könne auf Deutsch kommunizieren oder in jeder beliebigen Sprache, da einige dann in ihrer eigenen Sprache antworteten319. Tatsächlich aber wurde bislang vor allem Deutsch geschrieben, ansonsten auf Englisch. Chrzanowski schrieb seit einigen Jahren seine Briefe auf Englisch, die Deutschen antworteten deutsch. Heigl klärt Schelkopf darüber auf320, dass es zwar jede Menge Briefe zwischen den Mitgliedern gebe, „dass aber andererseits entsprechend dem losen Charakter der Konföderation nicht viel Verbindliches, Organisatorisches vorliegt“. Bis etwa 1967/68 habe ein sehr enger Kontakt zwischen Caruso, Fromm, Chrzanowski, R. Schindler, Westerman-Holstijn, Schwidder und ihm, Heigl, bestanden und erst danach, auch infolge des Anwachsens der Organisation, seien die Beziehungen loser geworden. Er fährt fort: „Hier hätte eine Institutionalisierung einsetzen müssen, um der Konföderation etwas mehr Halt und Kontinuität zu geben. Dazu hatte jedoch keiner die nötige Zeit und Kraft, Schwidder nicht, ich auch nicht und die anderen mit der einzigen Ausnahme vielleicht von Herrn Chrzanowski schon gleich gar nicht. Damals war auch wegen der geringen Zahl der angeschlossenen psychoanalytischen Gesellschaften und der deshalb überschaubaren Vertreterzahl – alle kannten sich sehr gut und trafen sich meist einige Male pro Jahr – kein Bedürfnis nach einer strafferen Organisation oder einem Komitee vorhanden. Heute könnte nurmehr ein Komitee die nötigen Verbindungen und Kontakte aufrecht erhalten und durch ein Minimum an Institutionalisierung die Kontinuität wahren.“ Mit dieser letzten Bemerkung spricht auch Heigl den Gedanken aus, den Chrzanowski bereits dem New Yorker Forum voranstellte: Man müsse eine Organisation für die IFPS schaffen, um ihr Überleben zu sichern. Dieses Ansinnen ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Knobloch, der früher in Prag lebte und inzwischen nach Vancouver emigriert war, gratuliert Schelkopf zu der guten Organisationsarbeit und hofft, dass unter einer strafferen Organisation die IFPS zu einem

318 Brief Schelkopf an Chrzanowski vom 17.10.1972. 319 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 25.10.1972. 320 Brief Heigl an Schelkopf vom 14.11.1972. 106 international bekannten Gegenpart der IPA werden würde321. Beese dagegen spricht sich dafür aus, die bisherige „Lockerheit und Offenheit“ beizubehalten und keine „fest strukturierte und durch Vereinssatzungen fixierte Organisation“322 zu schaffen. Auf diese Weise könnten sich alle psychoanalytischen Gruppierungen und Einzelpersonen äußern und dafür sorgen, dass das Meinungsspektrum breit bleibe. Vielseitigkeit und Lebendigkeit blieben dadurch gesichert. Wenn ein gemeinsamer Geist vorhanden sei, dann könne man den Risiken, z.B. der unsicheren Qualität der Tagungsbeiträge, begegnen. Dieser Vorschlag scheint unbeantwortet geblieben zu sein und keinen Einfluss auf das weitere Geschehen gehabt zu haben.

Schelkopf kümmert sich zunächst um Ort und Zeitpunkt des nächsten Forums. In New York war beschlossen worden, es 1974 entweder in München oder in Zürich abzuhalten. Da die Münchner DPG-Gruppe 1974 ebenfalls eine DGPT-Tagung veranstalten wollte, schien es ihnen eine Überlastung zu sein, im selben Jahr auch das Forum nach München zu bringen. Condrau hatte dagegen Interesse angemeldet, das Forum nach Zürich zu holen. Jedoch war Condraus Gruppe bisher kein Mitglied der IFPS. Die „Schweizerische Gesellschaft für Daseinsanalyse“ stellt erst im Juli 1973 einen offiziellen Antrag auf Mitgliedschaft in der IFPS. Auf Schelkopfs Frage nach früheren Gepflogenheiten und Arbeitsvorgängen bezüglich der Organisation von Foren antwortet Chrzanowski mit einer freundlichen Belehrung darüber, dass zunächst Schwidder und er und dann nur noch er allein die Organisation im Alleingang und ohne Unterstützung bewältigt hätten. Hätte er die Dinge nicht in die Hand genommen, gäbe es keine IFPS mehr323. Auch das IV. Forum in New York habe er fast allein organisiert. Es sei nicht notwendig, dass eine IFPS Mitgliedsgesellschaft das Forum veranstalte, es könne überall stattfinden. Chrzanowski bekräftigte noch einmal seine Überzeugung, dass es jedoch notwendig sei, ein konstantes Organisationskomitee zu etablieren, um nicht jedes Mal von neuem beginnen zu müssen. Eine erste Neuerung stellt dann die Einführung eines Mitgliedsbeitrags für alle Gesellschaften der IFPS dar. Chrzanowski macht Schelkopf auf einen Beschluss der Mitgliederversammlung auf dem New Yorker Forum aufmerksam, der Mitgliedergebühren für die IFPS-Gesellschaften einführen wollte, da das Forum in New York mit einem Defizit von 7500,- Dollar endete, das die WAWS zu tragen hatte324. Im Februar 1974 informiert Schelkopf die neun Gesellschaften darüber, dass Zürich als Ort des nächsten Forums gewählt wurde, das Thema „Gesellschaft, Familie, Individuum“ lauten werde und außerdem auf Vorschlag der WAWS ein Beitrag für jede Mitgliedgesellschaft über 250,- DM (zuvor war an 75,- Dollar gedacht worden) erhoben werden solle, um Auslagen des Sekretärs zu decken. Dieser Beschluss hatte weitreichende Folgen für das Gesamtkonzept der IFPS.

321 Brief Knobloch an Schelkopf vom 30.03.1973. 322 Brief Beese an Chrzanowski vom 30.12.1972. 323 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 29.01.1973. 324 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 12.02.1973. 107

Bisher waren nämlich das Forum und die IFPS als nicht notwendigerweise zusammengehörig gedacht worden, das Forum war rechtlich unabhängig von der IFPS. Das betraf den Bereich der Finanzen und die Publikationsrechte. Condrau stellt auf einer Sitzung des Organisationskomitees des Züricher Forums klar, dass derjenige, der die finanziellen Risiken trage, nämlich die Forumsorganisation, auch die Rechte an den Publikationen haben müsse325. Schelkopf ist dagegen der Meinung, die Publikationsrechte müssten bei der IFPS liegen. Da Condrau die Vorträge gern veröffentlichen möchte, findet man einen Kompromiss und die IFPS als Inhaberin der Publikationsrechte tritt diese an die Forumsorganisation ab.

4.2. Vorgänge bis zum Forum 1974

Nachdem Zürich als Veranstaltungsort und die Gruppe um Condrau und Alois Hicklin als Veranstalter des nächsten Forums 1974 bestimmt worden waren, entsteht kurz darauf ein Konflikt, da Chrzanowski den Eindruck gewinnt, die Schweizer wollten das Forum für ihre psychoanalytische Ausrichtung instrumentalisieren, es als Propagandamöglichkeit für ihre Methode benutzen und die Organisation allein an sich reißen. Chrzanowski protestiert bei Schelkopf und stellt klar, dass das Forum selbst keinerlei ideologische Orientierung habe und als eine offene Plattform für den Austausch psychoanalytischer Konzepte diene. Während einer Besprechung mit Condrau sei bei ihm die Befürchtung entstanden, dass Condrau sich nicht besonders an die Psychoanalyse gebunden fühle und am liebsten den Begriff Psychoanalyse sowohl aus dem Forum als auch aus der IFPS herausnehmen wolle326. Hier gehe es nicht um Purismus, sondern um Grundsätzliches. Condrau versichert ihm dann, er halte sich an den üblichen Ablauf und verteile die Vorträge gerecht unter den Mitgliedgesellschaften. Der Academy habe er einen ganzen Vormittag reserviert. War die letztere Mitteilung zur Beruhigung Chrzanowskis gedacht, bringt sie nun aber den Vorsitzenden der mexikanischen Gesellschaft Silva-García in Rage, der fragt, wie eine Gesellschaft, die nicht Mitglied der IFPS sei und außerdem Nicht-Ärzte als Mitglieder ablehne, so viel Raum bekommen könne: Unterwerfe sich die IFPS jetzt den Wünschen der Academy oder habe umgekehrt die Academy gar einen Aufnahmeantrag an die IFPS gestellt?327 Silva- García reagiert auch misstrauisch auf Condraus Ankündigung, 32 Vorträge halten zu lassen, aber jeder der dreizehn aufgelisteten Gesellschaften nur je einen zuzugestehen; ob vielleicht Condrau und Hicklin selbst die restlichen neunzehn Vorträge nach ihren Kriterien verteilen wollten? Fromm verstärkt den Punkt in einem eigenen Brief und zieht seinen Beitrag zum

325 Protokoll der Sitzung des Organisationskomitees am 26.01.1974 in Zürich. 326 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 16.07.1973. 327 Brief Silva-García an Schelkopf vom 03.12.1973. 108

Forum zurück, da ja sonst kein anderer aus der mexikanischen Gruppe mehr einen Vortrag halten könne328. Er missbillige diese Art der Auswahl sehr, da es nur um eine angeblich gerechte Verteilung gehe und nicht um die Qualität der Beiträge. Wenn eine der Gesellschaften kein qualitativ gutes Paper zu bieten habe, solle auch die Möglichkeit bestehen, diese Gesellschaft leer ausgehen zu lassen. Tatsächlich hatte Chrzanowski vor, während des Zürcher Forums einen Vormittag reservieren zu lassen, an dem nichts stattfinden sollte, außer den Veranstaltungen der Academy für ihre eigenen Mitglieder329 und die Versammlungen anderer nationaler Gruppen. Er verband dies mit der Annahme, dass sich dadurch sehr viel mehr amerikanische Kollegen bewegen lassen würden, nach Zürich zu kommen. Auch die DPG wollte eine Generalversammlung abhalten, um damit mehr Kollegen zur Teilnahme am Forum zu animieren. Da von der Seite der Mexikaner aber der Wunsch besteht, sich weniger innerhalb der bestehenden nationalen Gruppen aufzuhalten als sich vielmehr international kennenzulernen und auch, den Einfluss der Academy auf das Forum begrenzt zu halten, scheinen deren Einwände nachvollziehbar. Schelkopf versucht, die Wogen zu glätten und versichert Fromm, der besagte freie Vormittag biete für alle Teilnehmer den Raum für persönliche Erledigungen und Unterredungen und die Academy werde ihn eben nutzen für eine Mitgliederversammlung. Bei dem Punkt, der die Zuteilung der Beiträge betrifft, muss es in der mexikanischen Gruppe zu einem Missverständnis gekommen sein, das vielleicht auf vorausgegangene schlechte Erfahrungen mit dem New Yorker Forum zurückgeht. Allein die DPG wolle bis zu neun Vorträge anmelden und erwartet von den US- Amerikanern eine ebenso hohe Zahl. Auch Chrzanowski gegenüber versichert Schelkopf, er sei in ständigem persönlichem Kontakt mit Condrau und werde dafür sorgen, dass das Forum die Gestalt annehme, „die ihm und den anderen Gründern der ersten Stunde vorgeschwebt hat“330. Um in Zukunft Verstimmungen und Missverständnisse herauszuhalten, habe er, Schelkopf, die Absicht, „der Generalversammlung des Forums in Zürich einen Entwurf für eine Satzung der Federation vorzulegen, die sowohl die Verbindung der Gesellschaften der Federation untereinander als auch die Grundsatzorganisation des Forums in der Zukunft prägen soll“331. Er hat vor, auf der Generalversammlung in Zürich, eine Satzung und eine Geschäftsordnung für die IFPS vorzubereiten und eine Satzung für die Verleihung des Schwidder-Awards.

Ein weiterer Konflikt betrifft die spanische Gruppe, die sich gespalten hatte, wobei die „alte“ Gruppe um Molina-Nunez die „neue“ um Alejandro Gállego-Meré nicht anerkennt, ihren die Seriosität abspricht und am liebsten sehen würde, wenn diese am Forum in Zürich nicht teilnähme. Chrzanowski macht deutlich, dass die neue spanische Gruppe ebenso wie alle

328 Brief Fromm an Condrau vom 11.02.1974. 329 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 22.04.1973. 330 Brief Schelkopf an Chrzanowski vom 13.10.1973. 331 Brief Schelkopf an Fromm vom 15.12.1973. 109 anderen Gesellschaften, die nicht Mitglied der IFPS seien, das Recht habe, am Forum teilzunehmen. Die Teilnahme am Forum sei unabhängig von der IFPS. Allerdings wolle er die Aufnahme der Gállego-Meré-Gruppe in die IFPS nicht fördern, da sie sich in die Richtung der Ammon-Gruppe zu bewegen scheine332. Die „Southwest Association for Psychoanalysis“ mit Harold Esler und Jean Rosenbaum im Vorstand bewirbt sich um Aufnahme in die IFPS. Die Southwest Association ist ein Zusammenschluss von 25 Psychoanalytikern, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern aus sieben Staaten der USA, der in Colorado ein psychoanalytisches Ausbildungsinstitut mit insgesamt sechs Kandidaten unterhielt. Esler kündigt einen Vortrag über „Psychoanalytic Interpersonal Theory of Sex“ an und will seine Vereinigung auf dem Züricher Forum vertreten. Weitere sechs seiner Kollegen planen ebenfalls eine Teilnahme am Forum.

Martti Siirala vom „Therapeia Institute of Analytic Psychotherapy“ in Helsinki hatte Mitte 1973 einen Antrag auf Aufnahme seiner Gesellschaft in die IFPS gestellt. Er hatte zusammen mit zwei finnischen Kollegen 1959 in Helsinki einen psychoanalytischen Kreis gebildet, nachdem alle drei zuvor in der Schweiz bei Boss, Benedetti und Bally ihre Ausbildung absolvierten. Sie gründeten bald darauf in Finnland ein Ausbildungsinstitut, das zu diesem Zeitpunkt insgesamt 28 ausgebildete Psychoanalytiker umfasste und etwa 250 Mitglieder. In ihrer Selbstdarstellung betonen sie, ebenso wichtig wie die Vertrautheit mit der klassischen psychoanalytischen Lehre sei die Offenheit für unerwartete und spontane Entwicklungen therapeutischer Formen. Es gehe ihnen darum, bei den Kandidaten geistige Unabhängigkeit zu ermutigen, aber auch eine Abhängigkeit von der Gruppe der Kollegen zu akzeptieren. Ihr Verständnis von Krankheit und Gesundung basiere auf einer Zusammenschau von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren, daher sprächen sie von sozialer Pathologie333.

Auch die Schweizerische Gesellschaft für Daseinsanalyse, die die Tagung veranstaltet, bewirbt sich um Aufnahme in die IFPS. Ebenfalls hatte die Association for the Advancement of Psychoanalysis aus New York einen Aufnahmeantrag gestellt. Hierbei handelte es sich um die oben erwähnte Gesellschaft, die 1941 von Karen Horney und Thompson gegründet worden war. Die fünfte Gesellschaft, über deren Aufnahme auf dem Zürcher Forum entschieden werden sollte, ist die Deutsche Akademie für Psychoanalyse, die Gruppe um Ammon.

332 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 22.04.1973. 333 Broschüre des Therapeia-Institute of Analytic Psychotherapy von 1974. 110

4.3. Das V. Forum 1974 in Zürich

Das fünfte Forum der IFPS steht unter dem Titel „Individuum - Familie – Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit“. Das Thema wird unterteilt in die Abschnitte „Psychoanalyse und Gesellschaft“, „Gesellschaftlicher Wandel und das Selbstverständnis der Psychoanalyse“, „Gesellschaft und psychische Erkrankung“, „Interpersonelle Störungen“, „Die Frau und das Kind in Familie und Gesellschaft“, „Psychosomatische Medizin“ und „Neuere Ergebnisse zur Schizophrenie und Depression“. Alle 30 Hauptvorträge plus vier je einen der Hauptvorträge kommentierende Kurzvorträge sind im Band VI der „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“334 veröffentlicht worden. Es liegen kein Programm und keine Teilnehmerliste vor.

Es wird über die fünf Aufnahmeanträge beraten. Die Gruppe um Ammon wird abgelehnt. Der Schweizerischen Gesellschaft für Daseinsanalyse wird mitgeteilt, dass die DPG gebeten worden sei, jemanden zu dem „seit Schwidder üblichen Besuch bei der Nachbargesellschaft“335 nach Zürich zu schicken. Diesen Besuch sollen Beese, Schelkopf und Zauner durchführen. Dabei stellt sich heraus, dass es nicht um die Aufnahme der Gesellschaft für Daseinsanalyse ging, sondern um die des Daseinsanalytischen Institutes für Psychotherapie und Psychosomatik in Zürich. Die Aufnahme dieses Institutes ist nicht ganz unkompliziert. Nachdem Chrzanowski bereits 1968 der Meinung war, die Gruppe um Condrau würde sich für eine Mitgliedschaft bei der IFPS eignen, vergehen weitere sechs Jahre, bis dies tatsächlich Realität wird. Es gab eine kurzzeitige Irritation vor dem New Yorker Forum, als Condrau seinen Namen und den von Boss nicht auf der Liste des Organisationskomitees fand und deshalb nicht teilnahm. Chrzanowski konnte das klären und die Gesellschaft stellt im Juli 1973 einen offiziellen Aufnahmeantrag. Schelkopf bittet um ihre Ausbildungsrichtlinien und um Angaben darüber, wie sich das daseinsanalytische Konzept einordne und in welcher Weise es sich aus dem ursprünglichen psychoanalytischen Konzept entwickelt habe336. Hicklin erklärt, die Daseinsanalyse stehe auf denselben Grundpfeilern wie die Psychoanalyse und erkenne dieselben Phänomene (Übertragung, Trieb, , Verdrängung, Projektion, Introjektion, usw.), nur verstehe sie diese nicht vor dem Hintergrund einer mechanistischen Metapsychologie, sondern von einer phänomenologischen Betrachtungsweise her337. Die DPG entschließt sich daraufhin, für die Aufnahme zu stimmen. Bei der Sitzung der Delegierten auf dem Zürcher Forum scheint es jedoch zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich ihrer Aufnahme gekommen zu sein, da kein endgültiger Beschluss gefasst wird. Chrzanowski

334 Condrau, G. und Hicklin, A. (Hrsg.) (1977), Individuum – Familie – Gesellschaft, im Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit. Vorträge des V. Internationalen Forums für Psychoanalyse Zürich 1974. Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich. 335 Brief Schelkopf an Chrzanowski vom 01.11.1974. 336 Brief Schelkopf an Condrau vom 30.07.1973. 337 Brief Hicklin an Schelkopf vom 03.09.1973. 111 bedauert später, dass man Condrau und Hicklin habe so lange warten lassen müssen, und man solle die Sache rasch entscheiden. Er sehe zwar ideologische und administrative Probleme bezüglich der Gruppe, aber sie hätten ein umfassendes Ausbildungsprogramm. Mit Blick auf andere Mitgliedsgruppen der IFPS führt er aus: „Furthermore, the actual practices of some groups, i.e. the Caruso group, are very much right of center. Beyond a certain point, we cannot police societies or influence their ideologies. There is no valid reason for keeping a society out as long as we have assurances that a group is basically ethical (in contrast to the Ammon group) and is interested and willing to work within the framework of the Federation with an adequate training program”338. Da Chrzanowski zu dieser Zeit sicher der einflussreichste Mann in der IFPS ist, gibt seine Aussage einen Eindruck von den impliziten Aufnahmekriterien der IFPS für neue Mitgliedergesellschaften. Den ersten Besuch eines IFPS- Mitglieds bei einer neuen Gruppe, die um Aufnahme angesucht hatte, stattete Schwidder 1967 der spanischen Gruppe um Molina ab. Chrzanowski hatte 1969 vorgeschlagen, die schwedische Gruppe zu besuchen, bevor sie aufgenommen würde. Die ersten mir bekannten schriftlichen Stellungnahmen zu einem sogenannten On-Site-Visit sind die von Beese und Zauner nach ihrem Besuch des Zürcher Daseinsanalytischen Instituts. Beide befürworten die Aufnahme des Daseinsanalytischen Instituts in die IFPS, nachdem sie dort an Seminaren teilgenommen, Veröffentlichungen gelesen und Diskussionen geführt hatten. Sie überzeugten sich davon, dass eine psychodynamische Grundausrichtung vorliegt, die auch die Beziehung zwischen Patient und Therapeut bestimmt, die aber manchmal aufgrund der ungewohnten Terminologie schwer zu identifizieren sei. Es gebe zwar nicht zu überbrückende Unterschiede in den Auffassungen und thematischen Konzepten. Wenn es jedoch um die Diskussion von Kasuistiken gehe, dann trete das Gemeinsame der dynamisch orientierten Therapieverfahren zutage339. Das Institut wird 1975 in die IFPS aufgenommen. Louis Landman von der Association for the Advancement of Psychoanalysis bekommt eine Mitteilung über die Aufnahme seiner Gesellschaft in die IFPS340. Offenbar hat hier die Fürsprache Chrzanowskis ausgereicht, da es keine Nachfragen zu den Ausbildungsrichtlinien gibt. Auch das Therapeia- Institut in Helsinki bekommt kurz nach dem Züricher Forum die Bestätigung seiner Aufnahme in die IFPS. Jean Rosenbaum von der Southwest Association for Psychoanalysis bekommt im November 1974 die Benachrichtigung über die Aufnahme seiner Vereinigung in die IFPS. Die Vereinigung tritt 1978 wieder aus der IFPS aus, nachdem sie mehrfach ihre Mitgliedsbeiträge nicht gezahlt hatte. Es gab einen kurzen, aber heftigen Schlagabtausch zwischen der Präsidentin der Southwest Association, Veryl Rosenbaum, die die IFPS verdächtigte, nicht wirklich international zu sein, sondern ein „dünn verschleierter deutscher Versuch, die

338 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 26.09.1974. 339 Stellungnahme von Zauner über den Besuch beim Daseinsanalytischen Institut für Psychotherapie und Psychosomatik am 19.02.1975 in Zürich. 340 Brief Schelkopf an Landman vom 01.11.1974. 112 dynamische Psychologie im Nach-Hitler-Berlin wiedereinzuführen“341 und dem derzeitigen Generalsekretär der IFPS Katwan, welcher sarkastisch-wütend reagierte und Rosenbaum ironisch dazu gratulierte, die erste zu sein, die das dichte Lügennetz um die IFPS enttarnt habe342.

Am 6. September 1974 wird die erste Satzung der IFPS beschlossen. Eine Diskussion über die Entstehung des Textes scheint nicht erhalten zu sein. Möglicherweise hatte Schelkopf die Satzung als einen Vorschlag konzipiert oder als eine vorläufige Fassung. Eine Bemerkung von Norell in einem Brief an Katwan legt dies nahe.343 In der Präambel sind die drei Gründungsgesellschaften aufgelistet, was einen Unterschied zur zweiten (und deutlich erweiterten) Formulierung der Satzung darstellt, die im August 1980 beschlossen wurde und in der die WAWS auf den Wunsch Chrzanowskis als vierte Gründungsgesellschaft mitgenannt ist. Anfangs wird „die volle wissenschaftliche und organisatorische Selbständigkeit der Mitgliedsgesellschaften“ als eine Voraussetzung des Zusammenschlusses betont. In der Satzung wird der zuvor undefinierte Zusammenhang zwischen den Foren und der IFPS geklärt, indem als eine der ersten Aufgaben der IFPS die Veranstaltung von einem Forum alle zwei Jahre genannt wird. Eine weitere Aufgabe ist die gemeinsame Publikation der wissenschaftlichen Arbeitsergebnisse. Damit ist die Frage beantwortet, die Condrau im Vorfeld des Züricher Forums gestellt hatte, ob er als Veranstalter des Forums oder die IFPS die Publikationsrechte für die Forumsvorträge habe. Diese Frage war deshalb entstanden, weil die Gruppe um Condrau bis zum Züricher Forum selbst keine Mitgliedsgesellschaft der IFPS war. Es wird in der Satzung festgehalten, dass nicht nur wie bisher psychoanalytische Gesellschaften Mitglied werden konnten, sondern auch psychoanalytische Ausbildungsstätten und Einzelpersonen. Mitglied kann werden, wessen Ausbildung und Grundsätze den Mindestanforderungen der IFPS genügen. Diese Mindestanforderungen werden in der Satzung nicht detaillierter ausgeführt. Es heißt dort lediglich: „Die von der Federation gesetzten Mindestanforderungen im Grundsatz gründen sich auf die von Freud entwickelte Psychoanalyse in Theorie und Therapie, d.h. auf die Anerkennung eines dynamischen Unbewussten und die Handhabung von Übertragung und Widerstand. Die Mindestanforderungen in der Ausbildung sind unter Voraussetzung eines abgeschlossenen Studiums der Medizin oder der Psychologie, ein mindestens 3-jähriges, durch Prüfung abgeschlossenes Studium der Psychoanalyse und ihrer Weiterentwicklungen und eine

341 Brief Rosenbaum an Katwan vom 30.06.1978. 342 Brief Katwan an Veryl und Jean Rosenbaum vom 14.07.1978. 343 Brief Norell an Katwan vom 22.02.1976: „Dr. Schelkopfs Tod traf mitten in der Ausarbeitung und Diskussion der neuen Satzungen der Federation in den verschiedenen Mitgliedsgesellschaften ein. Einer meiner letzten Briefe an Dr. Schelkopf vom 2. Februar 1975 enthielt z.B. einige Änderungsvorschläge von Seiten unserer Gruppe und ich nehme an, dass andere Gruppen gleicherweise ihre Reaktionen und ev. Vorschläge zu Änderungen oder Komplettierungen an Dr. Schelkopf weitergeleitet haben. Es ist doch in höchstem Masse erwünschenswert, dass diese Arbeit so bald wie möglich wieder aufgegriffen wird und dass die Satzungen bis zum Forum in Berlin eine so weitgehend fertig ausgearbeitete Form wie möglich erhalten.“ 113

Lehranalyse“. Wo es zuvor zur Vorbereitung der Foren Organisationskomitees gab, in denen auch Personen mitarbeiteten, die nicht Mitglied der IFPS waren, werden nun drei Organe eingesetzt, deren Mitglieder alle auch Mitglieder der IFPS sein mussten: Die Generalversammlung, das Sekretariat und der Arbeitsausschuss (Executive Committee). Die Generalversammlung besteht aus je zwei Delegierten jeder Mitgliedsgesellschaft und beschließt u.a. die Foren und die Aufnahme neuer Mitglieder und wählt den Arbeitsausschuss und den Generalsekretär. Der Arbeitsausschuss hat vor allem die Aufgabe, dem Generalsekretär und der Generalversammlung Empfehlungen auszusprechen und den Träger des Werner-Schwidder-Awards zu ermitteln. Zum ersten Arbeitsausschuss gehören Norell, Molina-Nunez, Beese und Silva-Garcia. Der Generalsekretär gehört dem Arbeitsausschuss an und wird für die Dauer von sechs Jahren gewählt, er leitet auch die Generalversammlung. Diese recht knappe Satzung bedeutet jedoch die Institutionalisierung der IFPS. Wo am Anfang die Rede war von einem lockeren Zusammenschluss autonomer psychoanalytischer Gesellschaften, gibt es nun einen festgelegten und definierten Zusammenschluss autonomer Gruppen, die aber auch Einschränkungen ihrer Autonomie hinnehmen müssen, wenn sie sich um eine Mitgliedschaft bewerben und die geforderten Kriterien nachweisen müssen. Insbesondere Chrzanowski ist an einer Institutionalisierung der IFPS gelegen, da er die Erfahrung gemacht hatte, zeitweise im Alleingang die Fäden in der Hand zu halten. Tatsächlich scheint sich die IFPS nach Beschluss der Satzung auch allmählich von der Dominanz einzelner Personen emanzipiert zu haben. Chrzanowski verliert in den folgenden Jahren nach und nach seinen Einfluss. Auf der Sitzung der Delegierten wird beschlossen, das nächste Forum 1976 in München abzuhalten. Schelkopf soll es mit den Kollegen aus seinem Münchener Ausbildungsinstitut organisieren.

4.4. Die Zeit bis zum VI. Forum in Berlin

Das VI. Forum der IFPS sollte dann allerdings nicht wie vorgesehen in München stattfinden. Ein weiterer plötzlicher Tod eines zentralen Mitglieds erschüttert am 19. Mai 1975 die IFPS, als ihr Generalsekretär Schelkopf plötzlich stirbt. In Brundkes Aufsatz über Schelkopf wird seine Witwe zitiert: „Seine Frau berichtete zum frühen Tod ihres Mannes, ihn habe nach dem New Yorker Kongress ´plötzlich die Kraft verlassen´ und vermutete `er sei eigentlich aus Kummer gestorben, weil er sich nicht zur Wehr setzen konnte´“.344 Die IFPS sei durch die unerwarteten Todesfälle Schwidder und Schelkopf für eine Weile paralysiert gewesen, wird

344 Brundke, A. (2008), S. 355. 114

Chrzanowski später die Situation beschreiben345. Ohne Schelkopf aber kann das Forum nicht in München veranstaltet werden. In den Monaten zuvor hatte es zudem Bedenken einiger Kollegen aus Mexiko und den USA bezüglich des Ortes gegeben: Manche jüdische Kollegen fühlten sich unwohl bei dem Gedanken, nach München zu reisen, vermutlich mit dem Gedanken an das Attentat 1972 auf 11 israelische Sportler. Rose Spiegel bat darum, einen anderen Ort zu suchen. Ein Kollege befürchtete außerdem einen Anschlag in München im Falle eines israelisch-arabischen Krieges346. Chrzanowski lässt bei seinen New Yorker Kollegen eine Umfrage zum Ort des VI. Forums machen und erhält die vierzehn Ja-Stimmen zu München, 47 „Maybe“-Stimmen und 27mal die Antwort „No“.347

Es war ein naheliegender Gedanke, das Forum durch die andere große DPG-Gruppe, jene in Berlin, abhalten zu lassen. Aufgrund der erzwungenen Neuplanungen wird es auf 1977 verschoben. Auf einen Vorschlag von Dührssen hin wird Katwan, der vorher die IFPS kaum kannte und bislang Vorsitzender der Berliner DPG-Arbeitsgruppe war, gebeten die Organisation zu übernehmen348. Beese als Mitglied des Arbeitsausschusses wird gefragt, ob er nach dem Tod Schelkopfs die Funktion eines Interims-Generalsekretärs übernehmen würde, was er wegen Arbeitsüberlastung ablehnt. Aus Mexiko kommt der Wunsch, die Generalsekretäre der IFPS möchten doch weiterhin und in alle Zukunft aus der DPG kommen, ebenso sollten die Foren am besten immer am selben Ort stattfinden, es sei denn, eine Gesellschaft möchte den Kongress bei sich machen. Zur Begründung werden logistische und Gründe der Tradition genannt349. Chrzanowski reist im Dezember 1975 nach Berlin, um mit Katwan, Bach und Hagspihl das Forum zu planen. Katwan, der sich voller Elan seiner neuen Aufgabe widmet, stattet Chrzanowski zwei Monate später einen Gegenbesuch in New York ab. Dies ist die erste von insgesamt sieben USA-Reisen, die Katwan mit seiner Frau Gabriele Katwan, ebenfalls Psychoanalytikerin, durchführt, um möglichst viele US-Amerikaner für das Forum zu interessieren und Referenten zu gewinnen. Er richtet ein Organisationskomitee für das Forum ein, dem u.a. Gabriele Katwan, Elisabeth von Strachwitz und Bach angehören. Silva-Garcia, als weiteres Mitglied des Arbeitsausschusses der IFPS kommt am 23. Juni 1976 nach Berlin und trifft dort Katwan, Bach, Beese und von Strachwitz, um einen Interims- Generalsekretär zu benennen. Da niemand gefunden werden kann, muss der Posten vakant bleiben. Die DPG votiert einstimmig dafür, Chrzanowski zu ernennen, was jedoch Silva-Garcia „unter keinen Umständen“ bereit ist zu akzeptieren350. Silva-Garcia will Kollegen aus seinem Institut fragen, Beese die aus der DPG. In der Zwischenzeit soll Katwan die Aufgabe

345 Brief Chrzanowski an Beese vom 01.04.1976. 346 Brief Schelkopf an die IFPS vom 11.01.1975. 347 Brief Chrzanowski an Schelkopf vom 19.02.1975. 348 Mündliche Mitteilung durch Katwan am 31.01.2016. 349 Brief Silva-Garcia an Beese vom 03.04.1976. 350 Brief Beese an Zander vom 06.07.1976. 115

übernehmen, die Mitgliedsgebühren einzusammeln. Im März 1977 ernennt die DPG Katwan zu ihrem Kandidaten für die Funktion des IFPS-Generalsekretärs, Silva-Garcia und Chrzanowski unterstützen den Vorschlag351. Auf dem Berliner Forum 1977 wird Katwan dann einstimmig gewählt werden. In der Zeit um das VI. Forum verliert Chrzanowski langsam seine dominante Rolle in der IFPS. Die Planungen für das Forum stimmt Katwan noch Punkt für Punkt mit Chrzanowski ab, es werden sehr viele Briefe zwischen New York und Berlin hin und her gewechselt. Ende 1976 wird Chrzanowski krank und muss operiert werden. Dieses Ereignis und die Weigerung Silva-Garcias, Chrzanowski auch nur zum Interims- Generalsekretär zu berufen, werden zwei Faktoren bei seinem allmählichen Bedeutungsverlust für die IFPS gewesen sein.

Da Katwan selbst jüdischer Herkunft ist, fällt es ihm leichter, der Skepsis einiger jüdischer Emigranten bezüglich des Veranstaltungsortes Berlin zu begegnen. Dennoch fragt er Biran, ob es in Israel Bedenken gegen Berlin als Veranstaltungsort gebe. Biran, der bereits 1961 auf dem Pre-Kongress der IFPS in Düsseldorf und 1965 auf dem II. Forum in Zürich Vorträge gehalten hatte und viele Jahre im Organisationskomitee der IFPS war, antwortet mit einem langen und nachdenklichen Brief, der hier etwas ausführlicher zitiert werden soll: „Die israelischen Fachgenossen, mit denen ich über die Wahl Berlins als Tagungsort gesprochen habe, erklärten mir geradeheraus, dass ihnen die Gefühlshemmungen kaum erlauben würden, zu einem in Deutschland abgehaltenen wissenschaftlichen Kongress zu kommen. (…) Ich persönlich teile nach gewissenhafter innerer Prüfung die Bedenken der Kollegen nicht, obwohl meine beiden Eltern und der Großteil meiner weiteren Familie von den Nazis ermordet wurden. Ich teile die Bedenken nicht, doch ich kann sie gut verstehen. (…) Andererseits kann ich auch die Gefühle der deutschen Psychoanalytiker verstehen, die nach meinem festen Eindruck nie von der Nazi-Ideologie angehaucht waren und den moralischen Niedergang ihres Volkes als schweres persönliches Leid erlebt hatten. Sie möchten sich endlich vom Odium der düsteren Vergangenheit befreit sehen. (…) Die Deutschen sind heute in ihrer überwiegenden Mehrheit Pazifisten und gute Europäer. Und zwar ist ihnen dies nicht so durch moralische Predigten wie durch die dreihunderttausend Toten nach dem Bombenangriff auf Dresden beigebracht worden. Aber die anderen europäischen Nationen sind ebenfalls nicht aus moralischen, sondern aus egoistischen Motiven Pazifisten und gute Europäer. (…) Das Nichtvergessen ist nicht identisch mit dem Boykottieren.“352 Als Katwan kurz darauf von Chrzanowski erfährt, dass die Präsidentin der Horney Society, Alexandra Symonds Einwände gegen Berlin vorbringt, reagiert er ablehnend gegenüber dem Vorschlag, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins könne ihr einen Brief schreiben, um sie umzustimmen: „Wenn man nämlich als Jude bis heute noch gewisse Vorbehalte dieser Art gegen Berlin hat, so wird es im Einzelfall

351 Brief Katwan an Silva-Garcia vom 31.03.1977. 352 Brief Biran an Katwan vom 10.01.1976. 116 seine sehr verständlichen und einfühlbaren persönlichen Gründe haben. Dass sich diese aber mit einer sachlichen Information oder freundlichen Erklärung beseitigen lassen, halte ich für sehr unwahrscheinlich.“353 Da Symonds in New York den Kontakt zu ihm ablehnt, weil sie nicht mit Deutschen zusammenarbeiten wolle, überlegt Katwan später, einen Passus in die Satzung der IFPS aufzunehmen, der jede Mitgliedsgesellschaft dazu verpflichte, die anderen Gesellschaften als gleichberechtigt zu akzeptieren, egal welcher Rasse, Nationalität, Religion oder Ethnie sie angehören354. Die Horney-Gesellschaft sagt schließlich die Teilnahme am Kongress wegen des Ortes ab355. Man muss im Nachhinein feststellen, dass das VI. Forum in Berlin, das die erste internationale psychoanalytische Tagung in Berlin nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes war (die erste internationale psychoanalytische Tagung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hatte 1961 in Düsseldorf stattgefunden), keinen Impuls zur Erforschung der Vergangenheit während der NS-Zeit auslöste, so wie es vor und nach dem ersten deutschen IPA-Kongress 1985 in Hamburg passierte356. Dafür sind viele Gründe denkbar. Vielleicht war die Zeit für eine solche Infragestellung der eigenen Vergangenheit noch nicht reif. Aber es ist durch die Zeit des Bestehens der IFPS auch zu beobachten, dass die jüdischen Emigranten, die Mitglieder der IFPS sind, die Deutschen wenig oder gar nicht damit konfrontierten. Wir haben dies oben bereits in Bezug auf Fromm und Chrzanowski festgestellt. Auch Spiegel und Feiner reagierten auf die Tätigkeit der deutschen Psychoanalytiker während des Nationalsozialismus noch eher mit Neugier. Ähnlich reagiert ein Journalist von „Psychiatric News, Newspaper of the American Psychiatric Association“, der in seiner Besprechung des VI. Forums besonders den Vortrag von Reuben Fine über die Geschichte der Psychoanalyse hervorhebt, in dem Fine davon spricht, dass es seltsamerweise die Berliner Gruppe von Psychoanalytikern war, die als einzige während des Zweiten Weltkrieges weiterarbeitete: Die nationalsozialistischen Regierungsbeamten hätten so viele Zusammenbrüche gehabt, dass sie an der professionellen Hilfe festhielten357, ist die Vermutung.

Nachdem eine Zeitlang erwogen worden war, das Forum dem Thema „Tabus“ zu widmen, beschließt man dann den Titel „Psychoanalyse und menschliche Beziehungen“. Katwan zieht „seinen“ Kongress in großem Stil auf und veranlasst schon früh den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Dietrich Stobbe, sowohl die Schirmherrschaft für den Kongress zu übernehmen als auch persönliche Einladungen an die Präsidenten etlicher psychoanalytischer

353 Brief Katwan an Chrzanowski vom 27.05.1976. 354 Brief Katwan an Silva-Garcia vom 17.05.1977. 355 Mündliche Mitteilung von Katwan am 31.01.2016. 356 Siehe: Brecht, K., Friedrich, V., Hermanns, L., Kaminer, I., Juelich, D. (Hrsg.) (1985), Katalog und Materialiensammlung zur Ausstellung “Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter… Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland” anlässlich des 34. Kongresses der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Hamburg vom 28.07.-02.08.1985, Verlag Michael Kellner. 357 Psychiatric News vom 20.01.1978, „Analysts explore History“ by John Wykert. 117

Gesellschaften zu schreiben. Da der West-Berliner Senat zu dieser Zeit des Kalten Krieges besonderes Interesse hat, internationale Kongresse in die Stadt zu holen, wird Katwan für das Forum ein großzügiger Zuschuss zugesagt, den er später sogar zurückzahlen kann358. Dem Forum wird die Berliner Kongresshalle zugesagt, die mit neun Räumen vier volle Tage zur Verfügung steht. Zwei der Säle bieten die Möglichkeit der Simultanübersetzung. Dies ermöglicht etwa 200 Vorträge, Referate und Workshops.

Katwan schreibt Einladungen an über 1000 Professoren für Psychiatrie und Psychologie und ebenfalls an die Präsidenten der IPA-Gesellschaften weltweit. Zum Forum sollen auch Referenten eingeladen werden, die keine Mitglieder der IFPS sind, einige sind auch keine Psychoanalytiker. Zusammen mit Chrzanowski erwägt Katwan auch die Idee eines „Federation-Journals“ und fragt den Verleger Ruprecht vom Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, ob er Chancen für eine solche Zeitschrift sehe. Dieser beurteilt die Marktlage für eine weitere psychoanalytische Zeitschrift als nicht ausreichend günstig. Die Idee eines IFPS Journals wird erst 1992 umgesetzt werden, als die erste Ausgabe des „International Forum of Psychoanalysis“ im Verlag Scandinavian University Press erscheint (später wechselt die Zeitschrift zum britischen Verlag Routledge).

Wenige Monate vor Beginn des Forums wiederholt sich ein Konflikt, der im Gründungsjahr der IFPS bereits einmal aufgeflammt war: Der Präsident der IPA, Joseph Sandler, schickt im Juni 1977 Rundbriefe an die IPA-Mitglieder, in denen er davor warnt, Einladungen von „sogenannten Internationalen Psychoanalytischen Kongressen“ anzunehmen oder den eigenen Namen von ihnen benutzen zu lassen359. Die Teilnahme stelle eine Gefahr dar, weil die Standards der psychoanalytischen Ausbildung gefährdet seien. Es handle sich nicht um einen psychoanalytischen Kongress, da er nicht von der IPA gefördert werde360. Judd Marmor, ehemaliger Präsident der American Psychiatric Association, protestiert bei Sandler und bezeichnet diese Haltung als eng und restriktiv: Es sei vollkommen inakzeptabel und gehe ganz gegen den Geist einer freien Wissenschaft, wenn man Psychoanalyse ausschließlich aus den Ideen definiere, die Freud vor mehr als 75 Jahren entwickelt habe und sie nicht als eine lebendige und kreative Lehre verstehe361. Die römisch-katholische Kirche habe einen Index Prohibitorium an die Gläubigen ausgegeben, der verbiete, etwas zu lesen, das den Glauben in Gefahr bringen könne. Das sei vielleicht notwendig für die theologische Orthodoxie, aber schädlich für den Fortschritt in der Wissenschaft, zu der die Psychoanalyse hoffentlich gehöre362. Der Präsident der American Academy of Psychoanalysis, John Schimel, bittet Chrzanowski in Reaktion auf den Angriff aus der IPA, ein demonstrativ freundliches Grußwort

358 Mündliche Mitteilung von Katwan am 31.01.2016. 359 Brief Marmor und Masserman an den Herausgeber des Internationale Journal of Psychoanalysis. 360 Brief Marmor an Sandler vom 28.06.1977 361 Ebd. 362 Brief Marmor und Masserman an den Herausgeber des Internationale Journal of Psychoanalysis. 118 am Beginn des Forums zu verlesen, in dem er seine aufrichtigsten Komplimente zur früheren und derzeitigen wichtigen Funktion der IFPS innerhalb der psychoanalytischen Bewegung ausspricht. Die gesamte American Academy wünsche dem Forum das Beste und hoffe auf gute Zusammenarbeit.

Kurz nach dem Zürcher Forum, im November 1974, stirbt Molina-Nunez an einem spät erkannten Lungenkarzinom. Er war einer der ersten Psychoanalytiker, die nach der Gründung Kontakt zur IFPS aufnahmen und 1968 trat sein Institut Pena Retama der IFPS bei. Anfang der 1970er-Jahre hatte sich eine Gruppe um Gállego-Meré abgespalten und bald darauf stand die Frage im Raum, ob diese neue Gruppe ebenfalls automatisch Mitglied in der IFPS sei oder es werden könne. Molina-Nunez hatte die IFPS noch vor Gállego-Meré „gewarnt“, da er seine psychoanalytische Ausbildung nie beendet habe und in der neuen Gruppe sich jemand als Arzt ausgegeben habe, der keiner war.363 Auf dem Zürcher Forum war die Sache vertagt worden. Ende 1976 stellt Gállego-Meré mit seinem Institut „Centro Psicoanalitico de Madrid“ dann einen offiziellen Aufnahmeantrag an Katwan. Silva-Garcia befürwortet die Aufnahme, da er mit der Gruppe gearbeitet habe und findet, sowohl die Ausbildung als auch ihr Zugang zur Psychoanalyse sei seriös364. Im November 1978 schreibt Brazil einen kurzen Bericht über sein On-Site-Visit im Centro Psicoanalitico de Madrid und empfiehlt die Aufnahme in die IFPS. Auf dem Treffen des Executive Committees im November 1978 wird die Gruppe offiziell aufgenommen.

Auch die Adelphi Society for Psychoanalysis and Psychotherapy aus New York hatte einen Aufnahmeantrag geschickt. Die Gesellschaft besteht aus Absolventen des „Postdoctoral Program in Psychotherapy and Psychoanalysis at Adelphi University“, eines der wenigen psychoanalytischen Institute, die mit der Universität zusammenarbeiten. Chrzanowski schlägt vor, dass Barnett den obligatorischen On-Site-Visit machen solle. Diese Gesellschaft ist im Programm des Berliner Forums bereits in der Liste der Mitgliedsgesellschaften aufgeführt, daher ist es wahrscheinlich, dass die Aufnahme vor dem Forum erfolgte. Anfang Oktober 1977 schickt Katwan ihnen die Bestätigung ihrer Aufnahme in die IFPS365. Auch mit dieser Gesellschaft sollte es in den nächsten Jahren einen Konflikt geben, aufgrund dessen sie wieder aus der IFPS austritt.

Norell meldet bereits im Vorfeld des Kongresses Bedenken an, da ihr das vorläufige Programm wie ein „psychologischer Supermarkt“ vorkam. Katwan bestätigt ihren Eindruck, aber verteidigt zugleich sein Konzept: „Es ist ja nicht nur Charakteristikum unserer Föderation, dass sie aus sehr unterschiedlichen und autonomen Gruppen und Schulmeinungen besteht, sondern auch

363 Brief Ylla und Molina an Schelkopf vom 27.05.1974. 364 Brief Silva-Garcia an Katwan vom 20.03.1977. 365 Katwan an Harry Popper vom 05.10.1977. 119 die explizite Intention des VI. Forums, „multidisziplinär“, „pluralistisch“, „synoptisch“ usw. zu sein. Bei Gesprächen mit Journalisten sei positiv bewertet worden, dass anders als bei den „konventionellen psychoanalytischen Kongressen“ nicht immer „dieselben Personen zu denselben Kollegen über dieselben Dinge sprechen“.366 Wir werden später sehen, dass nicht nur Norell ein Unbehagen bei der Durchführung des Kongresses hatte.

4.5. Das VI. Forum in Berlin (17.-21. August 1977)

Zum I. Forum 1962 in Amsterdam kamen etwa 250 Teilnehmer und es wurden neunzehn Vorträge gehalten. Das II. Forum 1965 in Zürich zählte etwa 350 Teilnehmer und 34 Vorträge. Für das III. Forum 1969 in Mexiko liegt keine Teilnehmerliste vor, es wurden dort 44 Vorträge gehalten. Das IV. Forum 1972 in New York wurde von etwa 650 Teilnehmern besucht, die 37 Vorträge und sechzehn Workshops geboten bekamen. Für das V. Forum 1974 in Zürich liegt wiederum keine Teilnehmerliste vor, aber es ist bekannt, dass 30 Hauptvorträge und vier kommentierende kürzere Vortrage gehalten wurden. Das VI. Forum, das im August 1977 stattfindet, sticht gegenüber den vorhergehenden heraus, da Katwan die Organisation einer Großveranstaltung gelingt. Das Forum verzeichnet 198 Vorträge und Workshops, die von etwa 900 Teilnehmern in sechs Sälen der Berliner Kongresshalle parallel besucht werden. Mehr als die Hälfte der Beiträge kommen von amerikanischen Referenten. Schon das Programmheft ist eher ein Buch, das auf über 100 DinA4-Seiten neben Organisatorischem und dem Programmteil auch Informationen über die Geschichte der Psychoanalyse in Berlin, die Geschichte der DPG und der IFPS und Auszüge aus deren Satzungen, einige Cartoons und Informationen über Berlin bietet – alles auf Deutsch, Englisch und Spanisch. Jeder Referent ist mit Wohnort, Tätigkeitsbereich und Institutsfunktion verzeichnet, was allein neun Seiten in Anspruch nimmt. Die Referate sind nach Themen geordnet, unter denen es genuin psychoanalytische gibt wie „Psychoanalytische Schulen“, „Übertragung und Gegenübertragung“, „Psychoanalytische Behandlungstechnik“, „Die Person Freuds“, „Psychoanalytische Ausbildung“, „Die psychoanalytische Situation“ oder „Der psychoanalytische Prozess“. Daneben hat Katwan Wert auf Interdisziplinarität gelegt und Referenten zu Themen wie „Öffentliches Gesundheitswesen“, „Verhaltensforschung“, „Kreativität“, „Transkulturelle Faktoren“, „Ethnische Faktoren“, „Allgemeine Systemtheorie“, „Psychische Funktionen“, „Partnerbeziehungen“ oder „Individuum und Gesellschaft“ eingeladen. Irvin Yalom ist mit seiner Frau gekommen und ist sich seiner Zugkraft sehr wohl bewusst, als er Katwan um die Erstattung seiner Hotelkosten bittet, was sonst keiner der

366 Brief Katwan an Norell vom 18.02.1977. 120

Referenten bekommt367. Wenige Tage nach dem Forum bringt der Sender Freies Berlin eine lange Reportage368 über die Psychoanalyse und den Kongress. Darin kommen Katwan, Bach, Zander, Hans Strupp, Abraham de Swaan, Reuben Fine und Dührssen zu Wort. Es wird das Neurosenverständnis der Psychoanalyse erörtert, über die Bezahlung der Behandlung von Neurosen durch die Krankenkassen gesprochen und das Verhältnis der Psychoanalyse zu den Universitäten und den Psychologen dargestellt. Dührssen führt aus, wo sie das Jüdische an der Psychoanalyse sieht: „Ich denke, dass ich nicht zu weit gehe, wenn ich die Hypothese aufstelle, dass das psychoanalytische Verfahren – das ja zunächst ganz überwiegend von jüdischen Wissenschaftlern ausgearbeitet worden ist – bestimmte Elemente aus der jüdischen Tradition mit übernommen hat. (…) Die Bereitschaft, sich in gefährdeten Augenblicken selbst zu helfen und die zugehörige Bereitschaft, sich in das Bündnis mit einer schützenden Person durch die Befolgung von Anweisungen einzulassen, finden sich jedenfalls in dieser ausgeprägten Form in keiner anderen Religion wieder.“

In den regionalen und überregionalen deutschen, aber auch einigen US-amerikanischen Zeitungen erscheinen über 40 Artikel über das Forum. Mehr als 100 Journalisten von Rundfunk, Fernsehen und nationaler sowie internationaler Presse nehmen an der Tagung teil369. Einige der Artikel sind überschrieben mit „Analysis returns to Berlin“, „Rückkehr nach 44 Jahren“ (seit der Emigration der jüdischen Psychoanalytiker aus Berlin), „Nach 55 Jahren wieder in Berlin“ (seit dem letzten psychoanalytischen Kongress in Berlin 1922). Ein Journalist betont: „Es ist die größte psychoanalytische Tagung, die es bisher auf deutschem Boden gegeben hat, und das erste internationale psychoanalytische Treffen in Berlin seit 55 Jahren, in Deutschland seit 45 Jahren“370. Viele heben den interdisziplinären Ansatz hervor: „Neben Psychoanalytikern kommen auch Ethnologen, Verhaltensforscher, Physiologen, Soziologen, Psychiater und sogar Juristen zu Wort“371. In einigen der ausführlicheren Artikel wird herausgestellt, dass durch die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen in Deutschland alle gesellschaftlichen Schichten mit psychoanalytischen Behandlungen versorgt werden, was weltweit einzigartig sei. Der Journalist von der Frankfurter Rundschau meint, es lasse sich nicht behaupten, „dass die amerikanischen den deutschen Therapeuten heute überlegen wären“372. Derselbe Autor referiert den Vortrag des ärztlichen Psychoanalytikers Christian Hampel, der seine Erfahrungen mit psychoanalytischer Familientherapie mit Arbeiterfamilien darstellt. Ebenfalls mehrfaches Echo in den Zeitungen findet der Vortrag von

367 Brief Yalom an Katwan vom 11.04.1977. 368 Manuskript sfb 23, Sendung vom 06.09.1977, Ms: Peter Laneus, Rd: Hanspeter Krüger. 369 Katwan, G. (1978), Bericht über das VI. Internationale Forum für Psychoanalyse in Berlin vom 17.-21. August 1977. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 24. Jg., S. 285ff. 370 FAZ vom 18.08.1977. 371 WELT am Sonntag Nr. 29, 21.08.1977. 372 Dietrich, D., „Psychoanalyse als Lehre vom Leben“, Frankfurter Rundschau vom 07.09.1977, Seite 14. 121

Hanus Papousek (1922-2000), Professor für Kinderheilkunde, der die mimische und gestische Anpassung der Mutter an das Verhalten des Säuglings studierte.

Der Verlag Vandenhoeck und Ruprecht plant, 24 Beiträge, die sich unter dem Titel „Der psychoanalytische Prozess“ zusammenfassen lassen, in einem weiteren Band zu veröffentlichen. Dass es dazu nicht kommt, ist vor allem auf Katwans Überlastung mit der Planung eines nächsten Kongresses, diesmal für die Stadt Berlin über das Thema „Terrorismus“ zurückzuführen373. Es existieren etwa 130 Abstracts und ein ausführlicher Tagungsbericht374 von Gabriele Katwan, der dreizehn Vorträge vorstellt. Sechs der deutschen Vorträge sind in der „Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse“ abgedruckt, unter anderen der oben angesprochene Beitrag von Dührssen über Religion und Psychotherapie, der eine der frühesten Beschäftigungen mit dem Thema Judentum und Psychoanalyse darstellt und ein weiterer von Wolfgang Larbis u.a., der ebenfalls in den Medien mehrfach besprochen wird, über „Psychosomatische Symptome und funktionelle Beschwerden bei Arbeitnehmern im Ausland“.

Gabriele Katwan erklärt am Beginn ihres Tagungsberichtes die Größe des Kongresses damit, dass man „einen möglichst umfassenden Überblick über das gesamte Spektrum und den aktuellen Stand der psychoanalytischen Forschung und Praxis bieten“375 wollte. Es seien insgesamt 24 nationale und internationale Fachgesellschaften und andere wissenschaftliche Organisationen vertreten gewesen. Die Hälfte der Teilnehmer seien aus Deutschland gekommen, ein Viertel aus den USA und ein weiteres Viertel aus der Schweiz, Österreich, Spanien, Brasilien, Schweden, Mexiko, Norwegen und zehn weiteren Ländern.

4.6. Kritik am Berliner Forum

Das Forum hat in den Tageszeitungen und Fachzeitschriften, sowie im Radio ein durchweg positives Echo gefunden. Die Kritik am Forum kommt aus einer unerwarteten Ecke, ausgerechnet von Mitgliedern des WAWI, die Katwan fest an seiner Seite wähnte. Chrzanowski schreibt Katwan im September, dass ein großer Teil der amerikanischen Forumsteilnehmer enttäuscht gewesen sei und ihm vorwerfe, etwas unterstützt zu haben, das in Zukunft geändert werden müsse, wenn sie ihr Interesse am Forum aufrechterhalten wollten376. Er legt seinem Schreiben einen Brief von Eckardt-Horney und einen von Earl

373 Mündliche Mitteilung am 31.01.2016. 374 Katwan, G. (1978). 375 Ebd. 376 Brief Chrzanowski an Katwan vom 19.09.1977. 122

Witenberg377 bei. Witenberg beklagt, es habe zu wenig Möglichkeiten zum Austausch gegeben, zu viele Vorträge hätten nichts mit Psychoanalyse zu tun gehabt, überhaupt habe man wohl alle angebotenen Beiträge angenommen und nicht ausgewählt. Eckardt-Horney378 lobt zunächst die bewundernswerte Organisation des Forums und findet es luxuriös. Dennoch sei sie enttäuscht und unzufrieden, da es kein Forum für die Mitgliedsgesellschaften gewesen sei und man vielleicht Werbung für Berlin gemacht, aber darüber seine Identität verloren habe. Sie habe viele schlechte Beiträge gehört und frage sich, wie sie ausgewählt worden seien. Für die Zukunft müsse man entscheiden, ob man Größe wolle oder Qualität und Kontakt. Katwan ist im Mark getroffen - nicht so sehr wegen der Kritik an sich, auf die er sehr wohl antworten kann, als vielmehr durch die Tatsache, dass sie von denjenigen Mitgliedern kommt, ohne die er seine Pläne für die IFPS nicht realisieren kann. Er macht Chrzanowski und dem Executive Committee den Vorwurf, sie seien die ganze Zeit über alle Vorbereitungen informiert gewesen und keiner von ihnen hätte im Vorfeld gegen die Größe und Organisation des Forums protestiert. Die Art, wie er sein Konzept verteidigt, macht deutlich, dass er die grundsätzliche Frage nach dem Sinn, dem Ziel und dem Selbstverständnis der IFPS stellt und es wird auch deutlich, wie er selbst sich die Zukunft der IFPS vorstellt. Er will zunächst der IFPS als der einzigen internationalen Organisation „aufgeschlossener“ und „pluralistischer“ psychoanalytischer Gesellschaften mehr Geltung und Bekanntheit verschaffen und der Psychoanalyse insgesamt einen Zuwachs an Bedeutung ermöglichen379 (z.B. dachte er daran, die IFPS zu einem potentiellen Partner der WHO oder der UNESCO zu machen380). Da er nach dem Kongress aus aller Welt Angebote zur Zusammenarbeit mit der IFPS bekommen habe, sei dieser Zweck erfüllt worden. Zum Beispiel hatten deutsche und amerikanische Institutionen angefragt, ob er mit der IFPS die Organisation einer Tagung über die Psycho- und Soziodynamik von Gewalt und Nihilismus übernehmen könne. Diesen Vorschlag wie auch seinen Plan, den US-Finanzminister Blumenthal zu treffen, habe er jetzt nach der Kritik aus dem WAWI zurückgestellt381. Katwan hat seine Pläne für die IFPS auf die beiden „Pfeiler“ DPG und WAWS gestellt, diese „WAW-DPG-Achse“ schien ihm die besten Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner Vorhaben. Er fühlt sich nach der Kritik aus der WAWS schwer brüskiert und enttäuscht und ist der Meinung, die IFPS müsse sich fragen, ob sie eine Organisation sein wolle, die lediglich alle zwei Jahre durch ein Forum in Erscheinung tritt oder ob sie in den Ländern ihrer Mitgliedsgesellschaften eine wissenschafts- und berufspolitische Funktion übernehmen wolle und sich damit eine „internationale und historische Aufgabe setze“. Wenn die IFPS nicht nach außen aktiv werde, dann würde sie von Regierungen, Stiftungen und

377 Earl Witenberg (1917-2002) war zwischen 1963 und 1992 Direktor des William Alanson White Institutes und von 1975-1976 Präsident der American Academy of Psychoanalysis. 378 Brief Horney Eckardt an Chrzanowski vom 10.09.1977. 379 Brief Katwan an Chrzanowski vom 27.09.1977. 380 Brief Katwan an Kalinkowitz vom 01.07.1980. 381 Ebd. 123

Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen und nicht gefördert und „bestenfalls eine zweite IPA werden“382. Die IFPS sei in der Fachgruppe Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse die einzige Organisation, die zwischen Deutschland und den USA eine Brücke schlagen könne. Wenn aber in der IFPS Partikularität, Isolationismus, liebgewonnene Vorbehalte und Antagonismen die Oberhand gewinnen, so wie es in der IPA der Fall sei, dann sei sie „aus diesem Geschäft raus“383. Er hat zudem mehrere konkrete Vorschläge für die Zukunft der IFPS: Kleinere und intimere Veranstaltungen könnten mit größeren, öffentlichen und multidisziplinären abwechseln; ein Förderverein könnte gegründet werden, um die steuerlichen Voraussetzungen für Spenden an die IFPS zu schaffen; ein IFPS-Bulletin solle gegründet werden; die Satzung müsse dringend überarbeitet werden; jedes Mitglied sollte ein Mitgliederverzeichnis erhalten, um untereinander Kontakt halten zu können.

Nach Chrzanowskis Ansicht 384 existiert die IFPS seit Schelkopfs Tod lediglich auf dem Papier und fällt zwischen den Foren in einen Winterschlaf. Es gebe keinen Kanal für die Kommunikation zwischen den Gesellschaften, das Executive Committee habe seine Entscheidungsfunktion auch nicht wahrgenommen. Man habe Gesellschaften aufgenommen, die nicht als Gesellschaften funktionieren. Außer der WAWS und der DPG gebe es nur wenige kleine kompetente Gruppen in der IFPS. Für die schwächeren Gruppen sei aber ein engerer Austausch wichtig.

Auch eine Beschwerde über das Berliner Forum, die aus der mexikanischen Gruppe kommt, zeigt, dass hier zwei ganz unterschiedliche Perspektiven aufeinanderprallen. Aniceto Aramoni beschuldigt die Veranstalter, die spanischen Beiträge zum „Gegenstand einer diskriminierenden Behandlung“385 gemacht zu haben, da sie nicht übersetzt worden seien. Aus einer Haltung „absoluter Respektlosigkeit“ seien in einem Saal ausschließlich spanischsprachige Beiträge zusammengefasst worden, als solle die spanische Gruppe unter sich bleiben und nicht am internationalen Austausch teilnehmen. Katwan ist zu wenig mit der Geschichte der IFPS vertraut, um zu wissen, dass die mexikanische Gruppe an diesem Punkt besonders empfindlich reagierte, da sie sich bereits vor Jahren durch Chrzanowski diskriminiert gefühlt hatte. Wie Katwan darauf reagiert hat, ist nicht bekannt. Aus seinen Aussagen Chrzanowski gegenüber kann man erschließen, dass ihn dieser Vorwurf weit weniger getroffen hat als die Kritik aus der WAWS. Ebenso wenig lässt er sich durch die Bedenken seines DPG-Kollegen Zander aus der Ruhe bringen, der moniert, dass die Unternehmungen der IFPS immer teurer würden und die IFPS „schwindelerregende Ausmaße“ annähme386. Die Fora sollten sich eher durch Einfachheit und Qualität auszeichnen.

382 Ebd. 383 Ebd. 384 Brief Chrzanowski an Katwan vom 06.10.1977. 385 Brief Aramoni an Katwan vom 21.02.78. 386 Brief Zander an Katwan vom 04.07.1978. 124

Katwan kontert, die IFPS liege vielmehr in einem „Koma unter dem Sauerstoffzelt“ und besitze weder eine Schreibmaschine noch eine Sekretärin; man solle lieber von „negativen Ausmaßen“ sprechen387. Außerdem müsse man bedenken, dass „kein festes und zwangsläufiges Verhältnis zwischen Qualität und Einfachheit (bestehe), und zwar weder ein gerades, noch ein umgekehrtes“. Seiner Einschätzung nach fehle der IFPS ein positives Zusammengehörigkeitsgefühl und sie definiere sich eher durch die Gemeinsamkeit, nicht in die IPA hinein zu kommen. Momentan zeichne sich die IFPS vor allem durch Irrelevanz aus. Deshalb habe er mit dem VI. Forum den „Eindruck von aktiven, modernen, aufgeschlossenen, expansiven und gesellschaftlich relevanten Organisationen“ vermitteln wollen. Internationale Kongresse hätten schließlich vor allem die Funktion einer Öffentlichkeitsarbeit der Verbände und dienten der Stärkung des Selbstgefühls ihrer Mitglieder388. Tatsächlich hat Katwans Argumentation etwas für sich, vermutlich würde sie auch auf die Jahrestagungen der IPA zutreffen. Die Auseinandersetzung ist deshalb interessant, weil sie das latente Selbstverständnis der IFPS-Mitglieder deutlich werden lässt. Katwan hatte sie dazu herausgefordert, sich öffentlich zu ihrer Einstellung zur Psychoanalyse zu bekennen, diese selbstbewusst zu vertreten und offensiv als eigenständige Alternative zur Psychoanalyse, wie sie von der IPA repräsentiert wurde, zu entwickeln. Es liegen keine schriftlichen Äußerungen von Kollegen vor, die dieses Vorhaben begrüßen und unterstützen. Durchweg scheinen die Reaktionen zurückhaltend bis ablehnend zu sein389. Mehrfach wird der Wunsch geäußert, zu den kleineren und einfacheren Tagungen zurückzukehren, um sich besser kennenlernen und austauschen zu können. Man wolle erfahren, wie die anderen mit bestimmten klinischen Problemen umgehen und voneinander lernen. Die Gewissheit, das Selbstbewusstsein und auch die Expansionswünsche, die Katwan den Mitgliedern der IFPS unterstellt und auf die er bauen zu können hofft, waren offenbar nicht oder nicht in dem Maß vorhanden, wie er annahm. Aus den kritischen Haltungen dem Berliner Forum gegenüber lässt sich eher der Wunsch ableiten, im Hintergrund zu bleiben und sich den Beziehungen zu kleineren Kollegengruppen und den praktischen Problemen der Patientenbehandlung zu widmen. Man könnte auch eine Haltung von Unsicherheit, eine Konfliktscheu und eine Angst vor der Übernahme von Macht und Autorität herauslesen. Wenn die IFPS ihre Differenz zur IPA aggressiver betont hätte, dann würde man ihr letzteres zu Vorwurf machen können. Schwidder hatte aber in der Gründungszeit der IFPS wiederholt betont, dass dies nicht das Anliegen sei: Man wolle die IPA nicht herausfordern und ihr nicht zur Konkurrenz werden. Fünfzehn Jahre nach der

387 Brief Katwan an Zander vom 24.07.1978. 388 Ebd. 389 Siehe auch Brief Barnett an Katwan vom 24.09.1978 („… there should be a return to a more selective meeting with greater quality control and less activity at any given time”) und Brief Derbez (Mexiko) an Katwan vom 10.10.1977 (“Regarding the VI. Forum I personally feel it was too tiring for the accumulation of papers in such a short period of time. I suggest that for the next Forums a different structure could be adopted. Mainly round table discussions of specific topics relevant to psychoanalysis as a mean to know the different ways the Society members of the Federation deal with.”). 125

Gründung der IFPS, anlässlich von Katwans Offensive, wird deutlich, dass dies tatsächlich eine Grundhaltung war. Worauf diese Grundhaltung basiert, ist aus den erhaltenen Dokumenten nicht direkt ersichtlich, d.h. es ist dort nie formuliert worden. Man ist geneigt, eine weniger starke Identifizierung mit der psychoanalytischen Bewegung, weniger Idealisierungsbereitschaft gegenüber der Psychoanalyse als Lehre und gegenüber Freud als ihrem Begründer, eine größere Nüchternheit gegenüber Freuds Lehre, einen größeren Pragmatismus und auch eine größere Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten darin zu finden, als dies vielen IPA-Mitgliedern zugeschrieben wird. Insgesamt liegt dieser Haltung mehr Bescheidenheit zugrunde, wobei offenbleiben muss, ob dies für „die Sache“ positiv oder negativ ist. Katwan hätte diese Bescheidenheit vermutlich als schädlich angesehen. Ein anderer wichtiger Aspekt für das Verständnis der IFPS ist ihr hoher Grad an Verschiedenheit der einzelnen Gruppen, was für sich genommen schon etwas wie das Festhalten an einer gemeinsamen Sache schwer bis unmöglich macht. Katwan hatte recht mit seiner Annahme, dass die DPG und die WAWS am ehesten bezüglich ihrer Einstellung zur Psychoanalyse und bezüglich ihrer funktionalen Bedeutsamkeit harmonisierten. Viele der anderen Gruppen fanden untereinander jedoch wenig inhaltliche Gemeinsamkeiten. Die IFPS bleibt aufgrund des Fehlens eines idealisierbaren Objekts eine „lose Amalgamierung“390 von psychoanalytischen Gesellschaften.

Katwan selbst gründet kurz nach dem VI. Forum einen Verein mit dem Namen „Institute for International Scientific Exchange“ und organisiert mehrere Kongresse. Die reale Umsetzung von Ideen für die IFPS gestaltet sich viel kleinteiliger als er sich das gewünscht hatte. Das nächste große Projekt sollte die Neuformulierung der Satzung werden, in die er als Generalsekretär der IFPS wiederum viel Energie investiert.

4.7. Die III. Conference in Helsinki (Veranstaltungsort: Haikko) im August 1980

Die Treffen zwischen den Foren wurden unterschiedlich benannt: Das erste in Göttingen 1968 hieß „Internationale Arbeitstagung“, das zweite 1970 in Madrid hieß „Workshop“. Das Thema dieses dritten Zwischentreffens, das „Conference“ genannt wurde, steht früh fest: Sowohl Katwan, der kurz nach dem Berliner Forum eine Tagung über Terrorismus organisiert, als auch der Vorsitzende der finnischen Gruppe, Siirala, interessieren sich für die Entstehung und Auswirkung von Gewalt. Es sollte über die Gewalt im Allgemeinen und in Bezug auf den

390 Brief Barnett an Katwan vom 24.09.1978. 126

Einzelnen, über Gewalt und Familie und Gewalt in der Gesellschaft gesprochen werden. Es sollten auch Fachleute vortragen, die keine Psychoanalytiker sind. Siirala hofft, über die Tagung interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachgruppen herstellen zu können und auch die Rolle der Psychoanalyse für die gesellschaftliche Verantwortung neu zu bestimmen.

Im Vorwort zum Tagungsprogramm nimmt Siirala die Verantwortung des Psychoanalytikers innerhalb der Gesellschaft noch einmal auf und fragt, ob diese nicht zu einem konstitutiven Element einer IFPS-Identität werden könnte. Um im interdisziplinären Austausch als Psychoanalytiker bestehen zu können, brauche man eine Vorstellung von der Bedeutung und den Zielen einer IFPS-Identität. An das Ende des Programmheftes stellt die finnische Gruppe eine kurze Selbstdarstellung, in der sie ihre Grundsätze erläutert und den Aufbau ihrer Ausbildung darstellt: Kandidaten können entweder eine sechsjährige volle psychoanalytische Ausbildung machen oder eine dreijährige psychotherapeutische oder sie nehmen an einem allgemeinen Programm teil, wobei die beiden letzten Ausbildungen von Ärzten anderer Fachrichtungen, Sozialarbeitern, Theologen, Juristen oder Lehrern wahrgenommen werden.

Es werden auf der ersten Seite sechzehn IFPS-Mitgliedsgesellschaften aufgezählt, fünf aus den USA, je zwei aus Brasilien und Spanien, eine norwegische, eine Schweizer, eine deutsche, eine mexikanische, eine österreichische, eine finnische und eine schwedische. Das Executive Committee besteht aus Barnett, Brazil, Chrzanowski, Norell, Siirala, Silva-García und Zander. Das Programm der Conference ist übersichtlich und besteht hauptsächlich aus Panels und Diskussionen. Sechs Vorträge werden gehalten, unter anderem spricht Siirala über „On Malignant Violence: where to look for hope of getting at its roots“, Benedetti über „The Transformation of Schizophrenic Violence in the Psychotherapeutic Encounter” und Pirkko Sirtala über “On the Violence of Cancer“.

Knobloch hatte im Juli 1980 den Antrag gestellt, mit seiner kanadischen neuen Gruppe wieder in die IFPS aufgenommen zu werden. Er gibt zu bedenken, dass seine neue Gruppe noch zu der früheren tschechischen Gruppe gehöre und daher streng genommen gar kein Aufnahmeantrag notwendig sein sollte. Dennoch hatte er eine Selbstdarstellung und einen Text von sich und seiner Frau über „Integrated Psychotherapy“ beigelegt. Zudem bietet er an, irgendwann in Vancouver ein Forum auszurichten. Katwan aber besteht auf einem On-Site- Visit in der kanadischen Gruppe, um über die Aufnahme beraten zu können. Es war bereits früher ein Besuch von Chrzanowski in Vancouver geplant gewesen, der wegen einer Erkrankung Chrzanowskis ausfiel. Die kanadische Gruppe wird 1980 in Haikko in die IFPS aufgenommen.

127

4.8. Die zweite Formulierung der IFPS-Satzung

In den Jahren nach dem Beschluss der ersten Satzung beginnen bereits die Diskussionen um ihre Ergänzung, Veränderung oder Neufassung. Silva-Garcia schlägt vor, statt eines Executive Committees ein Working Committee einzusetzen und den Generalsekretär nicht mit der Organisation von Foren zu belasten. Auch solle man überlegen, einen Vize-Sekretär zu ernennen und ein jährliches Treffen der Delegierten der Mitgliedsgesellschaften einzuberufen. Es entsteht die Frage, wie viel Einfluss der Generalsekretär und das Executive Committee auf die Organisation des Forums haben sollen, damit nicht eine einzige Gruppe das Forum dominieren könne. Schließlich werde die IFPS am ehesten durch die Foren nach außen repräsentiert391. Daran knüpft sich die Frage, aus welchen Gründen eine Gruppe aus der IFPS ausgeschlossen werden könne. Silva-Garcia überlegt, ob die Diskriminierung anderer Gruppen aus irrationalen Gründen ein solcher Ausschlussgrund sein würde.

Auf der Generalversammlung der IFPS während des Berliner Forums war beschlossen worden, die Satzung neu zu konzipieren. Katwan schickt Mitte 1978 die alte Satzung an alle Mitgliedsgesellschaften und bittet um Anregungen und Änderungswünsche. Im November solle sich das Executive Committee auf seinem Treffen in Monte Carlo damit befassen. Barnett schlägt vor392, das Executive Committee solle sich ab jetzt einmal im Jahr treffen und bei der Aufnahme neuer Gesellschaften sollte der Kandidat sorgfältiger begutachtet werden. Dafür brauche man auch präzisere Kriterien. Er bezieht dies vor allem auf den Konflikt mit der Southwest Association for Psychoanalysis und deren Austritt aus der IFPS. Barnett ist dafür, eine individuelle Mitgliedschaft einzuführen. Jan Stensson und Sylven Schmidt von der Swedish Society of Holistic Psychotherapy and Psychoanalysis nennen als das vorrangige Ziel einer neuen Satzung die Ermöglichung von kontinuierlicher und häufigerer Kommunikation zwischen den Mitgliedsgesellschaften und den Organen der IFPS. Eine volle Mitgliedschaft sollten nur Gesellschaften und Institute bekommen, Individual Members sollten eine affiliierte Mitgliedschaft erhalten. Eine Gesellschaft, die um Aufnahme ersucht, solle sechs Monate vor der nächsten Generalversammlung ihre Statuten, ihr Ausbildungsprogramm, ihre Ausbildungsregularien und eine Liste ihrer Lehranalytiker einsenden. Sie wollen das Executive Committee um zwei Personen erweitern, einer der acht Delegierten solle die Funktion eines Vize-Generalsekretärs einnehmen. Für die zukünftigen Foren wünschen sie sich mehr workshops und Arbeit in kleinen Gruppen. Myer Mendelson, der Präsident der WAWS, besteht auf den höchsten Standards für administrative Angelegenheiten und für wissenschaftliche Präsentationen und Publikationen und schlägt ein Programmkomitee vor, das für jedes Forum

391 Brief Katwan an Silva Garcia vom 20.04.1977. 392 Brief Barnett an Katwan vom 24.09.1978. 128 das Thema aussucht und aus den eingegangenen Abstracts die mit der besten Qualität auswählt393.

Auf der Versammlung des Executive Comittees (Barnett, Brazil, Chrzanowski, Norell, Siirala, Silva-Garcia und Zander) in Monte Carlo im November 1978 wird beschlossen, kein weiteres Forum abzuhalten bevor nicht eine neue Satzung den Ablauf der Foren festlegt. Zum Beispiel ist die Frage aufgetaucht, ob Vorträge von Nicht-Mitgliedern überhaupt gestattet sein sollten. Über die neue Satzung sollte 1980 auf der III. Conference der IFPS in Haikko, Finnland entschieden werden.

Das Executive Committee trifft sich erneut im Oktober 1979 in New York und diskutiert die Satzungsänderungen. Es entscheidet auch über das VII. Forum, um das sich die Adelphi Society beworben hatte. Die Adelphi Society for Psychoanalysis and Psychotherapy an der Adelphi University in New York bietet als eine der jüngsten Mitgliedsgesellschaften an, das VII. Forum auf ihrem Campus zu veranstalten. Sie werden mehrfach auf später vertröstet. Zunächst hatten sie das Forum 1980 abhalten wollen, dann sollte es erst 1981 stattfinden, um vorher die Satzung zu ändern. Die Adelphi Society ging mit und bot sich nach dessen Aufschub dann sogar noch für 1982 an. Auf der III. Conference der IFPS in Haikko im August 1980 entscheidet das Executive Committee dann, der Adelphi Society die Ausrichtung des VII. Forums nicht zuzusprechen. Die Adelphi Society reagiert brüskiert und zieht ihr Angebot zurück, nicht ohne die Rechtmäßigkeit der Entscheidung anzuzweifeln, da sie vom Executive Committee getroffen wurde und nicht wie von der Satzung vorgesehen, von der Vollversammlung. Erst 1984 sollte ein weiteres Treffen und auch diesmal kein Forum, sondern eine IV. Conference stattfinden und erst 1985 fand das VII. Forum in Zürich statt. Katwan hatte ursprünglich vor, das VII. Forum 1983 in Jerusalem abzuhalten. Dazu ist es nicht gekommen.

Katwan verwendet bis zum Treffen des Executive Committee in Haikko viel Mühe darauf, genügend Delegierte und Mitglieder des Executive Committees für die Satzungsänderung zu interessieren und sie zu motivieren, zur Versammlung zu erscheinen. Noch zwei Monate vor der Konferenz bittet er die mexikanische und die spanische Gruppe inständig, doch schnell noch die ausstehenden Beiträge zu bezahlen, damit sie stimmberechtigt seien. Er klagt gegenüber Bernard Kalinkowitz, Professor der Psychologie an der New York University394, der gefragt hatte, warum die IFPS so lang für die neue Satzung brauche, es habe bei den Mitgliedsgesellschaften schon immer wenig Interesse an den Aktivitäten der IFPS gegeben. Dies sei durch die Akten und Unterlagen der IFPS belegt. Die einzelnen Gesellschaften würden erst dann aufmerksam, wenn es um ihre eigenen Interessen gehe. Er selbst sei sehr unglücklich über die Trägheit und Passivität der IFPS und wünsche nichts mehr als die

393 Brief Mendelson an Katwan vom 16.11.1978. 394 Brief Katwan an Kalinkowitz vom 01.07.1980. 129

Abfassung einer überarbeiteten Satzung, um endlich auf gesicherter Basis arbeiten zu können. Auf der anderen Seite habe die Langsamkeit des Prozesses auch formale und inhaltliche Gründe, z.B. müssten auch etliche nationale Gesetze berücksichtigt werden, um die IFPS als eine „registered non-profit association“ eintragen lassen zu können. Einen weiteren Tatbestand, der ihm das Leben und die Arbeit schwermacht, benennt Katwan später als er beklagt, das Executive Committee habe hauptsächlich eine beratende Funktion, während die Geschäftsführung die Aufgabe einer einzigen Person sei, einem Psychoanalytiker in privater Praxis. Er habe die Arbeit in seiner freien Zeit und unter Einsatz eigener finanzieller Mittel zu bewältigen. Im Gegensatz zur IPA, die jährliche Einnahmen von etwa 600.000$ habe, müsse die IFPS mit 6.000$ wirtschaften.395.

Katwan bezeichnet die Vollversammlung in Haikko als die wichtigste seit der Gründung der IFPS396. Es wird dort eine Satzung beschlossen, die fast viermal so umfangreich ist wie die von 1974. In der Präambel wird jetzt die WAWS unter die Gründergesellschaften aufgenommen. Die IFPS wird als Non-Profit-Organisation bestimmt, damit Spenden abgesetzt werden können. Zugleich wird festgelegt, dass der Generalsekretär mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden solle, um seinen Verpflichtungen nachkommen und reisen zu können. Die Voraussetzungen für die Aufnahme einer neuen Mitgliedgesellschaft werden sehr viel detaillierter und differenzierter formuliert und nennen z.B. jetzt Stundenzahlen, Stundenfrequenzen und Theoriestundenanzahl für die Ausbildung der Psychoanalytiker. Außerdem müsse eine Gesellschaft bereits sechs Jahre existieren, bevor sie in die IFPS aufgenommen werden könne. Zwei Mitglieder des Executive Committees sollen dann die neue Gesellschaft besuchen und über ihre Eindrücke berichten. Neu sind auch die Verpflichtung der Mitgliedgesellschaften gegenüber der IFPS und der Reputation der IFPS und die Pflicht, die Anfragen der IFPS zu beantworten. Um den Austausch zwischen den Gesellschaften und der IFPS enger zu gestalten, sollten die Protokolle der Jahresversammlungen und jährlich eine Liste der Mitglieder jeder Gesellschaft an die IFPS gesandt werden. Dem Generalsekretär wird ein Stellvertreter zur Seite gestellt, das Executive Committee wird nun für vier Jahre gewählt und alle zwei Jahre sollten zwei Rechnungsprüfer eingesetzt werden. Es gibt einen neuen Paragraphen, in dem der Umgang mit fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen Gesellschaften geregelt wird: Zunächst soll sich der Generalsekretär um eine Einigung bemühen und wenn dies nicht hilft, dann solle der Konflikt an das Executive Committee weitergegeben werden; sollte es sich um eine Angelegenheit von besonderer Wichtigkeit für die IFPS handeln, müsse eine Vollversammlung der Delegierten einberufen werden. Insgesamt ist die neue Satzung sehr viel verbindlicher und verpflichtender als die erste, die schon insofern ein Meilenstein war, als es in den zwölf Jahren zuvor gar keine

395 Brief Katwan an Joan Freyberg vom 12.10.1982. 396 Brief Katwan an Prado vom 20.07.1980. 130

Satzung gab. Es existieren nur wenige Dokumente über das Zustandekommen der neuen Satzung, aber es kann davon ausgegangen werden, dass Katwan die treibende Kraft war und auch über das nötige Wissen verfügte. Während seiner Zeit als Generalsekretär findet kein weiteres Forum statt, das VII. Forum musste warten bis 1985. Katwan konnte der IFPS nicht zu der Bedeutung verhelfen, die er sich bei den Vorbereitungen zum VI. Forum in Berlin gewünscht hat. Die IFPS befand sich nach dem Berliner Forum in einer jahrelangen Sinn- und Identitätskrise, die Katwan insofern mitverursacht hatte als er die IFPS mit ihrer unklaren Identität konfrontierte. Er wollte die IFPS zu einer Parallellorganisation zur IPA machen und glaubte fest an die Möglichkeit, dass eine internationale Vereinigung sogenannter liberaler psychoanalytischer Gruppen ein alternativer Ansprechpartner für überregionale und internationale Organisationen bei Fragen zur Gesundheit und zu psychotherapeutischen Behandlungsmethoden werden kann. Die Satzung, die er maßgeblich mit ausgearbeitet hat, war eine der Voraussetzungen dafür. Sie half jedoch nicht unmittelbar über die Krise hinweg, in der die IFPS sich befand.

4.9. Die Krise der IFPS in den 1980er-Jahren

Von Michael Ermann, dem Delegierten der DPG in der IFPS über viele Jahre, liegen einige Berichte und Stellungnahmen vor, die die Hintergründe der Krise der IFPS deutlich machen. Er war von der DPG beauftragt worden, zu erkunden, „ob und unter welchen Voraussetzungen es für die DPG angesichts dieser Krise und geplanter Beitragserhöhungen lohnenswert und sinnvoll ist, als Mitglied in der IFPS zu verbleiben.“397 Er reist im November 1983 zu einer „IFPS-Konferenz“ in New York. Da zu diesem Zeitpunkt keine IFPS-Konferenz nachgewiesen ist, sondern eine Jubiläumstagung der WAWS, ist davon auszugehen, dass sich das Executive-Committee der IFPS anlässlich dieser Tagung in New York traf. Es findet außerdem eine mehrtägige Delegiertenversammlung der IFPS statt, um die Hintergründe der Krise zu analysieren.

Ermann beschreibt die Krise der IFPS als durch „einen Circulus vitiosus von mangelndem Interesse, mangelndem finanziellem Engagement und mangelnden Aktivitäten gekennzeichnet“398. Als Gründe hierfür zählt er die große Distanz der Mitgliedgesellschaften untereinander und zur IFPS; die Orientierung auf Veränderungen innerhalb der Gesellschaften selbst statt auf eine Hinwendung nach außen; die zunehmende Anzahl von internationalen Fachgesellschaften im psychotherapeutischen Bereich und schließlich eine zunehmende

397 „Bericht zur Lage der IFPS“ vom 18.11.1983 von Michael Ermann. 398 „Stellungnahme zur DPG-Mitgliedschaft in der IFPS“ vom 18.11.1983 von Michael Ermann. 131

Beschäftigung mit metapsychologischen Themen in der DPG und eine Öffnung der IPA für verschiedene psychoanalytische Richtungen, was sowohl IPA-Treffen als auch eine IPA- Mitgliedschaft für die DPG attraktiv mache399. Tatsächlich hatte sich in der Zwischenzeit in der IPA eine Veränderung vollzogen und die ehemals als starr und orthodox beklagten Haltungen waren zunehmend in den Hintergrund getreten und hatten Formulierungen über eine Pluralität in der Psychoanalyse Platz gemacht. Zwar war die DPG ein Stützpfeiler der IFPS über zwanzig Jahre, aber auch innerhalb der DPG hatten sich nur wenige Mitglieder für die IFPS- Angelegenheiten engagiert, manche kannten die IFPS nicht einmal. Bei vielen von ihnen blieb die IPA-Zugehörigkeit ein unerfüllter Wunsch und die IFPS konnte das Bedürfnis, das hinter dem Wunsch stand, nicht befriedigen, weil sie weit weniger Möglichkeiten zur Identifizierung bietet als die IPA. Die Öffnung der IPA für heterogene Meinungen und analytische Richtungen beinhaltete die erneute Chance auf eine Aufnahme der DPG in die IPA. Zu einer zunehmenden Unzufriedenheit innerhalb der IFPS trug auch bei, dass seit dem Berliner Forum 1977 keine internationalen Treffen mehr stattgefunden hatten, was auch auf Spannungen zwischen den Gesellschaften, fehlende finanzielle Mittel und eine weltweite Rezession zurückzuführen war. Ermann beschreibt die Zuspitzung der Lage: „Es stand rasch fest: In dieser Konferenz würde es um das Überleben der IFPS gehen, denn kaum jemand schien bereit, eine Organisation um ihrer selbst willen am Leben zu erhalten, die von niemandem gewollt würde und niemandem etwas zu bieten hätte“400. Die deprimierte Stimmung zu Beginn des Treffens weicht einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre als das Daseinsanalytische Institut Zürich anbietet, 1985 ein Forum zu veranstalten. Man verständigt sich auf die gemeinsame Haltung und die Ziele der IFPS, indem man noch einmal betont, dass die IFPS sich als pluralistisch in dem Sinne versteht, dass sie verschiedenen psychoanalytischen Richtungen einen Rahmen bietet und nicht vorgeben will, was psychoanalytisch ist und was nicht. Unter den Mitgliedgesellschaften seien einige, die sich „relativ weit vom ursprünglichen Konzept Freuds entfernt haben und andere, die sich mehr im Hauptstrom der Psychoanalyse entwickelt haben oder die sich in den letzten Jahren wieder mehr diesem Hauptstrom angenähert haben“401. Es werden mehrere Beschlüsse gefasst: Eine Reihe von Konferenzen und Foren (1984 Conference in Madrid, 1985 Forum in Zürich, 1987 Forum in Jerusalem, 1989 Forum in Rio de Janeiro) sollen die Zusammenarbeit wiederbeleben, ein regelmäßiges Mitteilungsblatt und ein Mitgliederverzeichnis sollen erstellt und versandt werden, individuelle Mitgliedschaften sollen eingeführt werden und der Mitgliedsbeitrag soll von fünf DM auf 25 DM pro Mitglied erhöht werden. Alle diese Vorhaben bis auf das Forum 1987 in Jerusalem werden umgesetzt. Mit Ruth Ann Turkell von der WAWS wird auf diesem Treffen zum ersten Mal eine Generalsekretärin gewählt, die nicht aus der DPG kommt. Ermann empfiehlt nach dieser

399 Siehe „Bericht zur Lage der IFPS“. 400 Ebd. 401 Ebd. 132

Konferenz uneingeschränkt, die Mitgliedschaft der DPG in der IFPS aufrechtzuerhalten, da das Grundkonzept der IFPS („Pluralismus und Offenheit“) dem der DPG „tatsächlich sehr nahe“ sei.

Nachdem an dem VII. Forum 1985 in Zürich nur fünfzehn DPG-Mitglieder teilgenommen hatten, sieht sich Ermann erneut zu einer Stellungnahme402 veranlasst. Er vermutet, dass die DPG zu sehr damit beschäftigt sei, ihre eigenen Identitätsprobleme zu klären, um Energie für Außenkontakte zu haben und die neopsychoanalytischen Inhalte der IFPS kein Interesse in der DPG mehr erwecken. Auch habe der zeitgleich stattfindende Hamburger IPA-Kongress, auf dem es um die Haltung der deutschen Psychoanalytiker während der Nazi-Zeit ging, viele potentielle Teilnehmer abgezogen. Die IFPS-Mitgliedschaft konfrontiere die DPG mit ihrer neopsychoanalytischen Tradition. Sie biete der DPG keine „übergreifende Identität“, da sie „keine Gesellschaft von Kollegen mit gleicher Grundeinstellung, Tradition und verbindendem Ziel ist. (…) Es zeigt sich, dass ein bloßer Verband von Gesellschaften unterschiedlicher Orientierung auf Dauer keine genügend kohäsive Gruppendynamik entfaltet, um eine progressive Entwicklung zu machen“403. Ermanns Abwägung der Vor- und Nachteile eines Verbleibens der DPG in der IFPS fällt diesmal zurückhaltender aus. Zwar habe man den Vorteil des direkten Kennenlernens der Arbeitsweise von ausländischen Kollegen, aber das fehlende Identitätsgefühl und die neopsychoanalytische Orientierung mehrerer Mitgliedsgesellschaften, die in den Augen Ermanns eine Schwäche und Qualitätsminderung des wissenschaftlichen Niveaus bedeuten, stellten ein Problem dar.

4.10. Ausblick auf die weitere Entwicklung der IFPS nach 1980

Der Einfluss der Deutschen nimmt nach der Abgabe der Funktion des Generalsekretärs an die US-Amerikanerin Ruth Ann Turkell kontinuierlich ab. Auf dem X. Forum 1998 in Madrid entsteht eine hitzige Diskussion darüber, ob der offene und zugleich wenig verbindliche Stil der IFPS mehr Vor- oder Nachteile habe. Die deutschen Teilnehmer erklären, dass die IFPS für die DPG nur eine zweitrangige Heimat („only a second home“) sei404. Die DPG nimmt Kontakt mit der IPA auf, der schnell intensiver wird und 2009 zu einer Aufnahme von etlichen Einzelmitgliedern führt. In der IFPS hat die DPG heute nur noch eine affiliierte Mitgliedschaft. Einige DPG-Mitglieder aber sind bis heute in der IFPS engagiert, zum Beispiel in der 1992 gegründeten Zeitschrift „International Forum of Psychoanalysis“. 1989 übernahm die aus

402 „IFPS-Rundbrief für die Mitglieder der DPG“ vom 18.10.1985 von Michael Ermann. 403 Ebd. 404 Conci, M. (1998). Report on the X IFPS Forum , Madrid, May 5-9 1998. Int. Forum Psychoanal., 7:125-127. 133

Finnland stammende Marja Lindqvist die Funktion der Generalsekretärin. Die IFPS- Gesellschaften aus Norwegen, Schweden und Finnland treffen sich zu regelmäßigen sogenannten „Nordic Conferences“ und zeigen über viele Jahre großes Engagement für die IFPS. Sie riefen, zusammen mit dem Brasilianischen Psychoanalytiker Jochen Kemper, auch die IFPS-Zeitschrift ins Leben, die in Schweden verlegt wird und deren Herausgeber zunächst aus Schweden und Finnland kommen. In der Selbstdarstellung der Zeitschrift wird auf die Ziele der IFPS Bezug genommen, der sich auch die Zeitschrift verpflichtet fühle und die darin bestehen, offen zu sein für alle neuen und kreativen Beiträge zur Entwicklung der Psychoanalyse405. Der Chefredakteur Jan Stensson zitiert in seinem Editorial das Grundprinzip der IFPS: „The IFPS is committed to the concept of pluralism in psychoanalytic theory and practice as well as to the interdisciplinary exchange in matters of micro- and macro-social interest. Complete organizational and scientific autonomy as well as equal standing of all Member Societies are essential for the act of federation.”406 Stensson hofft, dass durch die zunehmende psychoanalysehistorische Forschung der “heroische Freud” allmählich zu einem “historischen Freud” werde, was er für einen Reifungsschritt der psychoanalytischen „Community“ halten würde407. Die Geschichte der Psychoanalyse wird in den 1990er-Jahren zu einem hochrangigen Interesse der Zeitschrift. Stensson betont mehrfach die Bedeutung des kulturellen, philosophischen und sozialen Kontextes, in dem Freud und seine Schüler die Psychoanalyse entwickelten. Immer wieder wird in den Editorials die Unterdrückung und Entwertung von psychoanalytischen Meinungen und Erfahrungen beklagt, die nicht mit dem Mainstream der Psychoanalyse übereinstimmen: Es sei eine bedauerliche Tradition in der psychoanalytischen Bewegung, denjenigen vorzuwerfen, nicht die ganze Wahrheit sehen zu wollen, die Teile des sakrosankten Gebäudes kritisieren, vor allem, wenn diese Vorwürfe mit institutioneller Macht verbunden seien408. Carlo Bonomi vom H.S. Sullivan Institute of Psychoanalysis in Florenz eröffnet ein Themenheft mit dem Schwerpunkt „Ferenczi and Contemporary Psychoanalysis“ mit dem Gedanken, Ferenczi habe genau die Beiträge zur Psychoanalyse kritisiert, die für die orthodoxe Psychoanalyse immer wichtiger wurden und die Erben seines Geistes, zu denen Sullivan, Thompson, Fromm, Alexander und Fromm- Reichmann gehörten, hätten die Feindseligkeit erfahren, die früher Ferenczi entgegengeschlagen sei. Ferenczis Perspektivenwechsel sei der Kern des heutigen Common Ground der Psychoanalyse, der sich still und leise das Wissen derjenigen einverleibt habe, die früher als Häretiker ausgeschlossen worden sind409. Die interpersonelle Beziehungsdimension aus der Psychoanalyse zu eliminieren, sei ein großer Fehler gewesen. Diese Dimension zu

405 International Forum of Psychoanalysis 1, 1992, S. 65. 406 Int. Forum Psychoanal.3, 1994, S. 59f. 407 Int. Forum Psychoanal.3, 1994, S. 202. 408 Stensson, J. (1997). Editorial. Int. Forum Psychoanal., 6:153-154. 409 Bonomi, C. (1998). Editorial. Int. Forum Psychoanal., 7(4):181-185. 134 der intrapsychischen hinzuzufügen bringe der Psychoanalyse die notwendige Mehrdimensionalität und beende die Fragmentierung.

1992 gibt es achtzehn psychoanalytische Mitgliedsgesellschaften aus elf Ländern in der IFPS. Insgesamt sind es etwa 1800 Einzelmitglieder. Alle zwei bis vier Jahre wird ein Forum veranstaltet und zwischen den Foren jeweils Wissenschaftliche Konferenzen. Im Jahr 2000 wird die Mexikanerin Sonia Gojman-de-Millán zur Generalsekretärin der IFPS gewählt. 2002 tritt die 23. Psychoanalytische Gesellschaft der IFPS bei, eine chilenische. Als 2010 die DPG und die Swedish Psychoanalytic Association aus der IFPS austreten, fallen mit einem Schlag 850 Mitglieder und deren Mitgliedsbeiträge weg. Das Executive Committee der IFPS beschließt auf dem XVI. Forum in Athen die Zulassung von Einzelpersonen, in der Hoffnung, diesen Verlust wettmachen zu können. Auf diesem Forum wird auch beschlossen, ein Archiv der Geschichte der IFPS einzurichten. Die Archivkommission besteht aus Michael Ermann, Klaus Hoffmann, Rainer Funk, Edith Frank-Rieser und Marco Conci410. Heute hat die IFPS 29 Mitgliedsgesellschaften aus neunzehn Ländern. Dabei sind vier aus Italien, jeweils drei aus Brasilien und der Schweiz und jeweils zwei aus den USA, Mexiko und Spanien. Jeweils eine Gesellschaft kommt aus Kuba, Portugal, Kanada, Deutschland (die affiliierte DPG), Ägypten, Griechenland, Argentinien, Norwegen, Litauen, Österreich, Chile, Iran und Finnland.

410 Conci, M. (2011). Report from the XVIth IFP Forum, Athens, October 2010. Int. Forum Psychoanal.,20:125- 126. 135

Zweiter Teil

1. Kapitel

1.1. Die „liberale“ und die „orthodoxe“ Psychoanalyse

Die Gründung der IFPS vollzog sich vor dem Hintergrund einer der Spaltungen innerhalb der psychoanalytischen Bewegung: Der zwischen der sogenannten „orthodoxen“ Psychoanalyse und der sogenannten „liberalen“. Die Bezeichnungen „orthodox“ und „liberal“ ergaben sich in den 1940er, 1950er und 1960er Jahren ganz selbstverständlich. Andere Bezeichnungen der „orthodoxen“ Psychoanalyse lauteten „klassische“411 oder „authentische“412 Psychoanalyse, im Amerikanischen auch „psychoanalysis proper“ oder „standard psychoanalysis“. Sie berief sich auf die weitgehend unveränderte Lehre Freuds und ihre eng an Freuds Texten angelegte Interpretation. Zumindest waren dies der Anspruch und die Behauptung. Eingehendere Betrachtungen, oftmals im Rahmen der psychoanalytischen Geschichtsforschung, zeigen, dass auch die „orthodoxe“ Psychoanalyse Einseitigkeiten und Verzerrungen, bis hin zu Verfälschungen aufweist413. Die sogenannte „liberale“ Psychoanalyse unterschied sich von dieser sich ganz auf Freud berufenden Haltung, indem sie einzelne Konzepte der Freudschen Lehre, die sie als theoretisch unrichtig oder praktisch beengend empfand, herausnahm. Andere Teile der Lehre Freuds, die sie als wesentlich empfand, behielt die „liberale“ Psychoanalyse bei. Daher verstanden sich die „liberalen“ Psychoanalytiker auch weiterhin als Psychoanalytiker und nicht als Psychotherapeuten. Aufgrund der Herauslösung einzelner Bestandteile aus der Lehre Freuds und der Integration z.B. kultureller und soziologischer Bezüge in die psychoanalytische Theorie wurden die „liberalen“ Psychoanalytiker auch „Revisionisten“414 und „Kulturalisten“ genannt, sie selbst sahen sich auch als „Neofreudianer“ oder „Neopsychoanalytiker“415.

Es muss grundsätzlich die Frage aufgeworfen werden, ob es innerhalb eines Wissenschaftszweiges, für den die meisten Vertreter der Psychoanalyse diese halten,

411 Will, H. (2003), Was ist klassische Psychoanalyse? Stuttgart, Kohlhammer Verlag. 412 Rundbrief von Hans Kilian, zitiert in Köhler, L., „Umsonst wars nicht“ Bericht einer betroffenen Zeitzeugin, S. 208f. . In: Hermanns, L. (Hg.) (1998), Psychoanalyse in Selbstdarstellungen IV, Tübingen, edition diskord.

413 Siehe Will, H. (2003). 414 Siehe z.B. Adorno, Th. W., Die revidierte Psychoanalyse, in: ders., Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Herausgegeben von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 1986, Band 8, S. 20-40. Marcuse, H.(1955), Eros and Civilization: Philosophical Inquiry Into Freud. , MA: Beacon Press 1955. 415 Für die verschiedenen Benennungen der eigenen Position und die der anderen siehe auch: Hale, N. G. (1995): „The traditionalists pitted `classical`, `orthodox´, `Freudian´, psychoanalysis against `deviant´, `advanced´, `dissident´, views. The neo-Freudians contrasted their `liberal´, `progressive´, psychoanalysis with the´autocratic´, ´Viennese Talmudic´tradition” (S. 136f.). 136

überhaupt so etwas wie Dissidenten und Orthodoxe geben kann. Der Begriff des Dissidenten wird meist im Zusammenhang mit Menschen verwandt, die aus einer Kirche ausgetreten sind, bzw. die sich außerhalb einer Religionsgemeinschaft stellen416. Diese Begriffsverwendung hat kritische Psychoanalytiker wie Johannes Cremerius417, Martin Bergman418 und Otto Kernberg419 dazu gebracht, der psychoanalytischen Bewegung ihre quasi-religiösen Loyalitätsansprüche und ihre Freud-Idolisierung vorzuwerfen. Freud selbst hatte früh begonnen zu definieren, was in den Bereich der Psychoanalyse gehört und was herausfällt und er hatte seine Anhänger seit der Trennung von Alfred Adler auf die Grundpfeiler der Psychoanalyse eingeschworen. Dagegen gab es bereits früh Widerspruch, z.B. verwehrte sich der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler420 gegen Freuds Aufforderung, sich ganz zur psychoanalytischen Bewegung zu bekennen421. Auch in den USA gab es an der Psychoanalyse interessierte Wissenschaftler aus den Nachbardisziplinen, die sich gegen den als sektiererisch empfundenen Geist der psychoanalytischen Gruppen wehrten. Der amerikanische Psychologe Henry Murray schrieb 1940 an Franz Alexander, er könne zwar viel von den Psychoanalytikern lernen, aber er könne nicht an einem Treffen teilnehmen, auf dem jede Abweichung vom anerkannten Dogma als Häresie behandelt werde422. Da der Begriff des Dissidenten jedoch ebenfalls die Bedeutung des Abweichlers von einer offiziellen Meinung und des Andersdenkenden hat423, habe ich mich entschieden, ihn beizubehalten.

In den 1950er Jahren versuchten einige nordamerikanische „orthodoxe“ Psychoanalytiker, die Psychoanalyse von der psychoanalytisch orientierten Psychotherapie zu unterscheiden und damit festzulegen, was Psychoanalyse sei und wer sich Psychoanalytiker nennen dürfe – und wer nicht. Da die „orthodoxen“ Psychoanalytiker ausnahmslos in der IPA organisiert waren, wurde die „orthodoxe“ Psychoanalyse oft mit der IPA gleichgesetzt. Dies galt jedoch schon in den genannten Jahrzehnten nicht durchgehend, da es auch „Dissidenten“ gab, die Mitglieder der IPA waren und blieben (z.B. Franz Alexander, Sándor Radó, ). In den 1980er- Jahren hörte man innerhalb der IPA auf, von Dissidenten zu sprechen und akzeptierte die

416 Siehe: Duden, unter „Dissident, der“. 417 Cremerius, J. (1982), Psychoanalyse jenseits von Orthodoxie und Dissidenz; PSYCHE 1982, Heft 6. 418 Bergman, M. S. (2004)(Ed.), Understanding Dissidence & Controversy in the History of Psychoanalysis; e-book unter [email protected], Seite 15f.. 419 Kernberg, O. (2004), Dissidence in Psychoanalysis: A Psychoanalytic Reflection. In: Bergman, M. (2004). S. 223ff. 420 Eugen Bleuler (1857-1939) studierte in Zürich Medizin und wurde Psychiater. Er reiste zu Studienzwecken nach Paris zu Jean Martin Charcot und wurde 1898 Nachfolger von Auguste Forel an der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli. Er blieb bis 1927 Direktor des Burghölzli. C.G. Jung war einer seiner Mitarbeiter, der Bleuler mit der Psychoanalyse bekannt machte. 421 Freud, S., Bleuler, E. (2012), „Ich bin zuversichtlich, wir erobern bald die Psychiatrie“. Briefwechsel 1904-1937, herausgegeben von Michael Schröter. Schwabe Verlag Basel, S. 151, Bleuler an Freud: „Das `wer nicht für uns ist, ist gegen uns´, das `Alles oder nichts´ ist meiner Meinung nach für Religionsgemeinschaften notwendig und für politische Parteien nützlich. Ich kann deshalb das Prinzip als solches verstehen, für die Wissenschaft halte ich es aber für schädlich. Eine objektive Wahrheit gibt es ja nicht.“ 422 Hale, N. (1995), S. 140. 423 Siehe ebenfalls Duden zu „Dissident, der“. 137

Tatsache, dass eine Pluralität von psychoanalytischen Theorien, Konzepten und Behandlungsformen unter dem Dach der Psychoanalyse existiert. Außerhalb Kontinentaleuropas, vor allem in London und den USA, hatte sich schon ab den 1920er-Jahren eine Perspektive auf die menschlichen Triebe und Bedürfnisse entwickelt, die sich von derjenigen Freuds unterschied und heute als Objektbeziehungstheorie bekannt ist. Bereits Sándor Ferenczi (1873-1933) und sein Schüler Michael Bálint (1896-1970), dann auch der Schotte William R.D. Fairbairn (1889-1964) und die Briten Donald W. Winnicott (1896-1971) und John Bowlby (1907-1990), alle Mitglieder der IPA, hatten weit mehr Gewicht auf die Beobachtung gelegt, dass der Trieb ein Objekt sucht, als darauf, dass er Lust sucht, wie es Freuds Konzept war. Damit hatten sie die Theorie in einem entscheidenden Punkt verändert, was sie zu Erweiterern, Modifizierern424 oder im strengen Sinne zu Dissidenten der psychoanalytischen Lehre machte. Jedenfalls erregten sie das Missfallen derjenigen Kollegen, die sich eng an Freuds Werk hielten. Beispielsweise musste Bowlby mit seinen bis heute sehr einflussreichen Untersuchungen zum Bindungsverhalten der Kleinkinder die unbeirrbare Ablehnung der Melanie Klein-Gruppe hinnehmen. Später verfolgte unter anderen Kohut (1913-1981) die Richtung der Objektbeziehungstheorie weiter und baute auch den Punkt weiter aus, der im psychoanalytischen Sprachgebrauch die „Zwei-Personen-Psychologie“ genannt wird: Die Bedeutung der Gegenübertragung des Psychoanalytikers und ihr Einfluss auf die Behandlung. Zeitgleich gab es außerhalb der IPA Entwicklungen der psychoanalytischen Theorie, die genau die gleichen Aspekte untersuchten: Die Interaktion zwischen Kind und Eltern, zwischen Mensch und Kultur, den Einfluss der Gesellschaft auf die Entwicklung des Menschen und die Gegenübertragung des Psychoanalytikers auf die Behandlung. Die Geschichte der IFPS ist Zeugnis davon. Diese Bewegung außerhalb der IPA führte in den Reihen der IPA-Psychoanalytiker jedoch nicht dazu, von einer Pluralität der Konzepte zu sprechen, statt von Dissidententum. Erst als die Theorieentwicklung innerhalb der IPA unübersichtlich zu werden drohte und man nicht mehr mit Ausschluss reagieren konnte und wollte, begann eine Akzeptanz und Toleranz abweichender Standpunkte in der IPA. Robert Wallerstein (1921-2014), der zwischen 1985 und 1989 Präsident der IPA war, lässt den Pluralismus innerhalb der IPA mit der jahrelangen Kontroverse zwischen und Melanie Klein beginnen, die in den 1940er-Jahren in London stattfand425. Zur selben Zeit habe es in New York ebenfalls eine Kontroverse innerhalb des psychoanalytischen Institutes gegeben, die jedoch darauf hinauslief, dass sich eine der Gruppen abspaltete und ein eigenes Institut gründete, während Melanie Klein in London das Stigma der Dissidentin habe

424 Zu der Unterscheidung zwischen „modifiers“, „extenders“ und „heretics of psychoanalysis“ siehe: Bergmann, M. (1993), Reflections on the History of Psychoanalysis. Journal of the American Psychoanalytic Association, 41, p.929-955. 425 Wallerstein, R. (2006), Entwicklungslinien der Psychoanalyse seit Freud: Divergenzen und Konvergenzen einer Wissenschaft im steten Wandel. In: PSYCHE, 60.Jg., Heft 9/10, S. 804. 138 vermeiden können und mit ihrer Gruppe in der British Psychoanalytical Society verblieb426. Aus meiner Sicht muss jedoch offen bleiben, ob sich die Toleranz der IPA heute auch auf die psychoanalytischen Entwicklungen und Bewegungen außerhalb der IPA erstreckt oder ob diese weiterhin als dissidente Konzepte betrachtet werden. Die vielen nicht- fachgesellschaftsgebundenen Psychoanalytiker in Deutschland, die immer noch die größte Einzelgruppe innerhalb der psychodynamisch orientierten Dachgesellschaft DGPT bilden427, können sich nicht auf eine IPA-Mitgliedschaft bewerben, bevor sie nicht entweder in die DPV oder die DPG aufgenommen wurden und zudem die 4-stündige Behandlung praktizieren. Sie werden nicht als Dissidenten bezeichnet, gehören aber in der psychoanalytischen „Szene“ eher zu den randständigen Kollegen.

Wallerstein anerkennt inzwischen, dass sich die Wurzeln der bedeutsamen Wende hin zur Objektbeziehungstheorie und zu einer „Zwei-Personen-Psychologie“ bei den frühen Vertretern der Interpersonalen Psychiatrie befinden und dort begegnen wir Namen, die im Zusammenhang mit der IFPS wieder auftauchen: Harry Stack Sullivan, Clara Thompson, Karen Horney, Erich Fromm428. Wallerstein stellt fest: „Damals, in den 40er Jahren, waren ihre Vertreter entweder aus den Reihen der organisierten amerikanischen Psychoanalyse ausgeschlossen oder völlig marginalisiert, schließlich war es die Hochzeit der Ich-Psychologie; aber jetzt ist sie mit allen Ehren wiederbelebt worden, einschließlich ihres größten Vorläufers, Sándor Ferenczis (…)“429. Die grundsätzliche Frage, ob das Freudsche Triebmodell mit einem Beziehungsmodell vereinbar sei oder nicht, hält Wallerstein für nicht beantwortet. Er hatte sich jedoch stark für eine konvergierende Entwicklung hin zu einer einheitlichen Metatheorie eingesetzt.

Für die Gruppe der psychoanalytischen Dissidenten kann eine weitere Unterscheidung getroffen werden, wenn man sich die zeitliche Abfolge ansieht, in der einzelne Psychoanalytiker zu Dissidenten wurden. Man kann Dissidenten, die Freud gekannt haben von denen unterscheiden, die ihre Konzepte nach Freuds Tod ausarbeiteten. Innerhalb der Gruppe derjenigen, die Freud kannten, kann man die Freud Nahestehenden von den weiter Entfernten unterscheiden. Adler, Jung, Rank, Radó und Ferenczi standen Freud sehr nah, bevor sie sich von ihm als Person bzw. von seinen Lehren abwandten. Horney, Reich, Schultz- Hencke, Fromm und Fenichel (1897-1946) kannten Freud entweder gar nicht persönlich oder nur entfernt, entwickelten ihre Konzepte aber bereits zu Freuds Lebzeiten und bewegten sich im deutschsprachigen Raum (anders als z.B. Sullivan, der zu Lebzeiten Freuds in den USA lebte). Bedeutung bekommt diese Unterscheidung bei der Analyse der Gründe für die

426 Ebd., S. 818. 427 Siehe Internetseite der DGPT unter „Freie Institute in der DGPT“. 428 Ebd., S. 805. 429 Ebd. 139

Abwendung: Bei Adler, Jung, Rank und Ferenczi werden in viel höherem Masse persönliche Beweggründe angenommen, die sich auf das Übertragungsgeschehen mit Freud und eigene unbewusste psychische Konstellationen beziehen. Die für alle Beteiligten unglücklichen Prozesse sind in der Sekundärliteratur ausführlich und gründlich aufgearbeitet. Diese Art Bemühung um ein persönliches Verständnis erfahren die von Freud weiter entfernten Dissidenten durch die Sekundärliteratur nicht oder aber in weit geringerem Maße. Hier scheint weit schneller ein negatives Urteil gefällt zu werden und dann eine große Zähigkeit zu besitzen, in manchen Fällen, z.B. bei Schultz-Hencke bis heute. Die These, dass es vor allem persönliche Gründe sind, die den einen zum Dissidenten machen und den anderen zum Geduldeten oder Erneuerer, findet in diesem Zusammenhang viel Unterstützung, jedoch eben nur bezogen auf Jung, Adler, Rank und Ferenczi. Das Sachlich-Inhaltliche gerät dabei meist in den Hintergrund. Inzwischen kann zugestanden werden, dass einige Konzepte der frühen Dissidenten im Laufe der Zeit und durch andere Protagonisten transportiert Eingang in den umfangreichen Wissensschatz der Psychoanalyse gefunden haben. Bergman nennt als Beispiele die Bedeutung der präödipalen Phase, die Rank einbrachte, die Bedeutung der Aggression und der Ichfunktionen, auf die Adler den Schwerpunkt legte und die bedeutsame Rolle des Traumas, die Ferenczi betonte. Bezug nehmend auf Rank meint Bergman: „Wieder einmal, wie in Falle Adlers, lenkte ein Dissident die Aufmerksamkeit auf Themen, die nach und nach in einer anderen Form wieder in den mainstream der Psychoanalyse zurückkehrten, in diesem Fall unter der Überschrift der präödipalen Phase der Entwicklung. Was in einer Phase der analytischen Geschichte zurückgewiesen wurde, wird in der nächsten Phase in einer anderen Form wieder aufgenommen“430.

Im Folgenden soll zunächst am Beispiel der Theorien Horneys, Alexanders und Schultz- Henckes das Selbstverständnis der „liberalen“ Psychoanalytiker aufgezeigt werden, die als Dissidenten galten. Sie werden auch deswegen vorgestellt, weil die Protagonisten der IFPS sich wesentlich auf sie beziehen. Danach wird anhand der US-amerikanischen Debatte aus dem Jahr 1954 der Versuch beschrieben, die Psychoanalyse von der Psychotherapie zu unterscheiden.

430 Bergman, M. (2004), S. 61, eigene Übersetzung. 140

1.2. Die „Dissidenten“ Karen Horney, Franz Alexander und Harald Schultz-Hencke

Viele der Dissidenten aus der dritten und vierten Generation der psychoanalytischen Bewegung hatten ihre Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut (BPI) gemacht. Zu ihnen gehören unter anderen Erich Fromm, Frieda Fromm-Reichmann, Sándor Radó und Wilhelm Reich. In Berlin entstand vor dem Hintergrund der kulturellen und intellektuellen Aufbruchstimmung der 1920er Jahre und vermutlich auch aufgrund der räumlichen Entfernung von Freuds Wirkungsort Wien eine Atmosphäre von Experimentierfreude und Offenheit sowohl in theoretischer als auch in therapeutischer Hinsicht. Horney, Alexander und Schultz-Hencke kannten einander aus dem Berliner Psychoanalytischen Institut. Sie waren etwa gleich alt und hatten alle Medizin studiert. Horney war ab 1919 am Aufbau des Instituts beteiligt, Alexander war 1920 der erste Ausbildungskandidat und Schultz-Hencke kam 1922 ebenfalls zur Ausbildung an das BPI. Alle drei waren ehrgeizige Theoretiker, die früh zu publizieren begannen. Alexander und Horney setzten ihre Karrieren in den USA fort, Schultz-Hencke blieb während und nach dem Nationalsozialismus in Berlin.

Karen Horney (1885 -1952) hatte 1910 eine therapeutische Analyse bei Karl Abraham (1877- 1925) und später ihre Lehranalyse bei Hanns Sachs (1881-1947) gemacht. Sie gründete als einzige Frau unter mehreren Kollegen das erste psychoanalytische Ausbildungsinstitut mit und arbeitete dort das Ausbildungsprogramm aus. Sie war Dozentin und Lehranalytikerin bevor sie 1932 der Einladung Alexanders nach Chicago folgte. Als Nicht-Jüdin war sie eine derjenigen, die nicht zur Emigration gezwungen wurden, so wie viele ihrer jüdischen Berliner Kollegen in den folgenden Jahren. In Chicago war sie wiederum am Aufbau des psychoanalytischen Ausbildungsinstituts beteiligt und ging nach Auseinandersetzungen mit Alexander 1934 nach New York an die New York Psychoanalytical Society (NYPS). In New York bildete sie mit Clara Thompson, Harry Stack Sullivan, Erich Fromm und anderen eine informelle Arbeitsgruppe, den Zodiac-Club und kam darüber in Kontakt mit Gedanken zu den kulturellen, soziologischen und interpersonellen Hintergründen psychischer Erkrankungen und menschlicher Entwicklung. Horney und Thompson lehrten viele Jahre lang an der New School for Social Research, an der viele europäische Intellektuelle arbeiteten, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren. Thompson war eng befreundet mit Sullivan und hatte zwischen 1931 und 1933 in Budapest gelebt, wo sie bei Ferenczi in Analyse ging. Heute werden Horney, Thompson, Sullivan, Fromm und Fromm-Reichmann zusammen mit Ferenczi als die ersten Vertreter der interpersonellen Psychoanalyse angesehen431. 1940 wurde Horney aufgrund

431 Lionells, M. et al. (2014), Handbook of Interpersonal Psychoanalysis, e-book, p. 11. 141 ihrer vom „orthodoxen“ Kanon abweichenden psychoanalytischen Konzepte der Status der Lehranalytikerin am New Yorker Institut entzogen, ein Jahr später trat sie aus und gründete zusammen mit Thompson und einigen anderen die Association for the Advancement of Psychoanalysis. In der Kontroverse um die Laienanalyse bezog Horney Position zugunsten der Mediziner, was den Bruch mit Fromm begründete, mit dem sie über lange Jahre eng zusammengearbeitet hatte. Sie hatte sich seit 1923 auf kritische Fragen zu Freuds Konzept der Weiblichkeit konzentriert und hierzu bereits in Berlin dreizehn Aufsätze veröffentlicht. Einige Titel sollen das Spektrum ihrer Überlegungen andeuten: „Die Flucht aus der Weiblichkeit“ (1926), „Psychische Eignung und Nichteignung zur Ehe“ (1927), „Die monogame Forderung“ (1928), „Das Misstrauen zwischen den Geschlechtern“ (1931), „Die Verleugnung der Vagina“ (1933). Eine ihrer zentralen Thesen war, dass die weibliche Entwicklung stark von der patriarchalen Gesellschaftsordnung geprägt sei und auch psychische Erkrankungen der Frau nicht ohne eine Berücksichtigung dieser Geschlechterordnung verstanden werden können. In den USA baute sie ihre Gedanken zur Entwicklung der Weiblichkeit aus und erweiterte ihre Kritik an Freuds Lehre auf die Triebtheorie, den Todestrieb, den Ödipuskomplex und die einseitige Konzentration auf die frühen Kindheitserinnerungen. 1939 fasste sie in ihrem Buch „New Ways in Psychoanalysis“ (deutsche Übersetzung 1952) ihre Kritik an Freuds Lehre zusammen und stellte ihre eigenen Erfahrungen und Konzepte dagegen. Sie sah die Psychoanalyse durch die Triebtheorie und die genetische Psychologie in der Theoriebildung begrenzt und in ihren therapeutischen Möglichkeiten eingeschränkt. Horney betrachtete die Faktoren der Umwelt, Gesellschaft, Kultur und vor allem die Beziehungen zu den Mitmenschen als bedeutsamer als die Berücksichtigung der innerpsychischen Triebstruktur: Die Neurose sei eine Störung im Verhältnis zwischen dem Ich und den anderen432. Sie stellte die zentrale Rolle der Sexualität für die menschliche Entwicklung und für die Entstehung der Neurose in Frage und betrachtete den Ödipuskomplex als einen Spezialfall in Familienkonstellationen. Anstelle der Libido betrachtet Horney das Schicksal von Emotionen, Bedürfnissen, Impulsen und Leidenschaften. Im therapeutischen Prozess gab sie den Vorgängen in der Gegenwart, vor allem der Übertragung, aber auch aktuellen Problemen im Leben der Patienten den Vorrang vor den Kindheitserinnerungen. Bergman betrachtet Horneys Konzept als eine fundamental neue Form der Dissidenz innerhalb der Psychoanalyse, da sie Freuds Werk einer grundlegenden Revision unterzog433.

432 Horney, K. (1939), New Ways in Psychoanalysis, W.W. Norton Comp, New York. 433 Bergman, M. (2004), S. 88. 142

Franz Alexander (1891-1964) kam ursprünglich aus Budapest434. Er machte seine psychoanalytische Ausbildung am gerade gegründeten Berliner Institut, hatte seine Lehranalyse bei Hanns Sachs und wurde dort bald Dozent und ab 1926 Lehranalytiker. Bereits 1922 bekam er für seinen Aufsatz „Kastrationskomplex und Charakter“ den Freud-Preis. Er veröffentlichte 1927 sein erstes Buch „Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit“. Zwei Jahre später schrieb er zusammen mit dem Juristen Hugo Staub „Der Verbrecher und sein Richter“ und legte damit das Fundament für seine Gastdozentur in Chicago, wo er 1930 eingeladen wurde, an der Universität Vorlesungen zu halten. Er hatte regelmäßigen Kontakt zu Freud, besuchte ihn mehrfach in Wien und wurde von ihm sehr geschätzt. Ab 1932 gründete er das erste amerikanische psychoanalytische Ausbildungsinstitut in Chicago und war bis 1956 dessen Vorsitzender. Zwischen 1938 und 1956 lehrte er zudem an der psychiatrischen Fakultät der Universität Chicago. 1956 wechselte Alexander an das Mount Sinai Hospital in Los Angeles. Seine Schaffensperiode in Amerika war ganz der Psychosomatik und der Integration der Psychoanalyse in die Psychiatrie gewidmet. Er forschte zusammen mit einem Team über den psychischen Anteil an der Entstehung von somatischen Erkrankungen und entwickelte neue Behandlungsmethoden. Alexander fand, dass nur wenige Patienten zu dem Setting der klassischen Psychoanalyse passten und die Behandlung den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Patienten entsprechen sollte. Die Übertragung sei zwar das wichtigste Werkzeug der Therapie, jedoch dürfe keine reale Abhängigkeit vom Psychoanalytiker entstehen. Um die Übertragungsneurose auf einer „optimalen Höhe“ zu halten schlug er die Reduzierung der Stundenfrequenz und kurze Unterbrechungen der Behandlung vor. Der Bezug auf außeranalytische Beziehungen und Alltagserfahrungen der Patienten sollte ebenso wichtig sein wie die Übertragungsbeziehung. Anders als seine „orthodoxen“ Kollegen sah Alexander keine scharfe Trennung zwischen einer Psychoanalyse und einer psychoanalytischen Psychotherapie. Es gebe nur den Unterschied zwischen primär aufdeckenden und primär supportiven Techniken435. Bei einer psychoanalytischen Psychotherapie dominierten die supportiven Interventionen, die darauf gerichtet sind, die Angst des Patienten durch partielle Bedürfnisbefriedigung zu reduzieren, seine Abwehr zeitweise zu stärken, ihm dabei zu helfen, seine Lebenssituation zu verändern, ihm die Möglichkeit zu geben, seine Anspannung abzureagieren oder ihm sein Problem auf eine objektive und intellektuelle Weise zu spiegeln436. Die Psychotherapie und die Psychoanalyse basierten jedoch auf derselben Wissenschaft vom Menschen, zu der die psychoanalytische Theorie den bedeutendsten Beitrag geleistet habe. Das Zentrum der Behandlung, ihr

434 Zur Biographie Franz Alexanders siehe auch: Melcher, I. (2013): Franz Alexander und die moderne Psychotherapie. Gießen, Psychosozial-Verlag. 435 Alexander, F. (1954), Psychoanalysis and Psychotherapy, Journal of the American Psychoanalytic Association, 2: 722-733. 436 Ebd. 143

„dynamischer Mittelpunkt“ sei immer die korrigierende emotionale Erfahrung, da die zugleich objektive und unterstützende Haltung des Psychoanalytikers dem Patienten ermöglicht, seine kindlichen Verhaltensmuster neu zu betrachten und zu verändern. Dem Psychoanalytiker gegenüber könne der Patient seinen Ärger zeigen oder Geständnisse machen, ohne von ihm bestraft oder verurteilt zu werden. Diese Erfahrung benötige der Patient, um zu verstehen, dass er nicht länger das hilflose Kind in der Abhängigkeit von beengenden und bedrohlichen Beziehungen sei. Allerdings sei es sekundär, ob die korrigierende emotionale Erfahrung innerhalb oder außerhalb der Analyse im Alltag des Patienten stattfinde. Durch die Wiederholung neuer Verhaltensmuster integriere sich eine neue Haltung in die Persönlichkeit des Patienten. Ein rein intellektuelles Verstehen bewirke keine Veränderung. Auch die Erinnerung an Kindheitserlebnisse allein sei wirkungslos, da der Patient am Aktuellen leide. Das Wiedererlangen von Erinnerungen sei das Resultat des therapeutischen Prozesses, nicht seine Ursache. Alexander provozierte den Ärger seiner psychoanalytischen Kollegen durch die Aussage, sie hielten an der hohen Stundenfrequenz und an der „überlangen“ Dauer der analytischen Behandlungen nur darum fest, weil sie Angst hatten, sonst nicht von anderen Therapeuten unterscheidbar zu sein. Das klassische Setting bezeichnete er als eine rigide Routine, es sei bequemer, sich daran festzuhalten als sich auf jeden Patienten neu einzustellen. Auch erfordere es weniger Wissen als die flexiblere psychoanalytische Psychotherapie. Er sah seine Arbeit in einer Linie mit der von Ferenczi und Rank stehend437, die ebenfalls das emotionale Erleben betonten und sich dafür aussprachen, die Suche nach Erinnerungen und die intellektuelle Rekonstruktion durch gefühlshafte Erfahrungen zu ersetzen.

Harald Schultz-Hencke (1892 – 1953) wurde in Berlin geboren, studierte in Freiburg Medizin und hörte dort die Vorlesungen der Philosophen Heinrich Rickert, Martin Heidegger und Edmund Husserl438. Er schloss sich dem linken Flügel der „Freideutschen Jugend“ an und lernte dort den späteren Psychoanalytiker (1892-1953) kennen. Nach der Abwendung von der Jugendbewegung begann er 1922 seine psychoanalytische Ausbildung am Berliner Institut und machte seine Lehranalyse bei Sándor Radó und Felix Boehm. Zusammen mit Otto Fenichel gründete er am Institut das sogenannte Kinderseminar, einen inoffiziellen Diskussionszirkel, in dem sich jüngere Psychoanalytiker und Kandidaten des

437 Alexander, F. und French, T. (Hg.) (1946), Psychoanalytic Therapy, New York: Ronald Press, 1946. Siehe auch: Alexander, Franz (1950), Analyse der therapeutischen Faktoren in der psychoanalytischen Behandlung. Psyche, 4.Jg., S. 401-416 438 Zum Lebenslauf Schultz-Henckes siehe: Lockot, R. (1985): Erinnern und Durcharbeiten. Frankfurt/M., Fischer Verlag; Lockot, R. (1994): Die Reinigung der Psychoanalyse. Tübingen, edition diskord; und Gleiss, I. (1998): Zu Vorgeschichte und Geschichte des Instituts für Psychotherapie e. V. Berlin – eine chronologische Skizze. In: Kohte- Meyer, I. (1998)(Hg.): Über die Schwierigkeit, die eigenen Geschichte zu schreiben. Tübingen, edition diskord. 144

Instituts trafen. 1927 wurde er als ordentliches Mitglied am Institut aufgenommen und veröffentlichte im selben Jahr sein erstes Buch, die „Einführung in die Psychoanalyse“. Fenichel bezeichnete das Buch in seiner Rezension439 als „höchst lesenswert“ für Psychotherapeuten, „die an die Terminologie und Denkweise der deskriptiven Psychologie gewöhnt sind“ und denen durch ein „terminologisches Entgegenkommen“ die Psychoanalyse zugänglich gemacht werden soll, denn – und das sei der rote Faden des Buches - „wesentlich an der Psychoanalyse ist die Erkenntnis bestimmter psychischer Realitäten, nicht deren Interpretation.“ Zwischen 1927 und 1929 hielt Schultz-Hencke Seminare am Institut, in denen er u.a. Skepsis gegenüber langen Analysen äußerte und den rezenten psychischen Fixierungen therapeutisch den Vorzug vor den infantilen Fixierungen gab. Danach wurde ihm Lehrverbot am Institut erteilt und er wandte sich in den nächsten Jahren der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP) zu, die er 1927 mitgegründet hatte. Er veröffentlichte viele seiner Arbeiten im „Zentralblatt für Psychotherapie“. Obwohl die DPG nicht damit einverstanden war, „dass ihre Mitglieder innerhalb der AÄGP einen Funktionsposten bekleiden“440, blieb Schultz-Hencke in der Ärztlichen Gesellschaft und versuchte, die Psychoanalyse gegen Kritiker zu verteidigen und den Ärzten den „empirischen Kern“ der Psychoanalyse zu erklären, da er der Auffassung war, „die Kritik richte sich nur gegen den theoretischen Überbau der Psychoanalyse“441. Sein zweites Buch „Schicksal und Neurose“ erschien 1931 und wurde von (1894-1970) mit den Worten kommentiert, es handle sich um eine Theorie, die von der analytischen mehrfach abweiche; damit stehe nicht, wie Schultz-Hencke meine, Empirie gegen Theorie, sondern eine Theorie gegen eine andere442. Wie andere Dissidenten auch, bezweifelte Schultz-Hencke den Nutzen und die Richtigkeit der Metapsychologie und der Libidotheorie. Vor allem aber wandte er sich rigoros gegen Anteile der psychoanalytischen Lehre, die er als spekulativ und metaphorisch empfand und die den „fanatischen Anhängern“ Anlass böten, suchtartig „an einer geheimnisvollen Lehre esoterisch teilzuhaben“443. Sollte die Abkehr von der psychoanalytischen Begrifflichkeit die Kollegen noch nicht gegen Schultz-Henckes Vorhaben aufgebracht haben, dann wurde spätestens seine Haltung als Zumutung empfunden, mit der er „von einer riesig ausgebauten Lehre höchstens ein Drittel als geprüft“ übriglassen, „die glaubensbildende Lehre“ selbst zerfallen lassen und das geprüfte Drittel an die Wissenschaft abgeben wollte444. Während des Nationalsozialismus blieb Schultz-Hencke am Berliner Institut, das nach der erzwungenen Emigration aller jüdischen Kollegen umbenannt wurde in Deutsches Institut für Psychologische

439 Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse Jg. XV, Heft 4, S. 552ff. 440 Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse Jg. XVI, Heft 3/ 4, S. 536. 441 Gleiss, I. (1998), S. 217 442 Ebd, S. 218 443 Schultz-Hencke, H. (1972): Die psychoanalytische Begriffswelt (nach einem unveröffentlichten Manuskript von 1947). Göttingen, Verlag für Medizinische Psychologie, S. 10 444 Ebd. 145

Forschung und Psychotherapie. Er wurde dort Dozent und der Lehranalytiker einer Reihe von einflussreichen Nachkriegsanalytikern, u.a. Schwidder, Dührssen und Riemann, denen wir bei der Beschäftigung mit der IFPS wiederbegegnen. Nach Lockots Aussage kam das Verbot der psychoanalytischen Terminologie durch die Nazis Schultz-Henckes theoretischer Entwicklung entgegen und er habe uneingeschränkt an seiner Theorie weiterarbeiten können445. Dies habe ihm später (fälschlich) den Ruf eingebracht, sich an die nationalsozialistischen Dogmen angepasst zu haben. Tatsächlich hatte er bereits in seinen Arbeiten 1927 und 1931 psychoanalytische Begriffe durch andere ersetzt, die er für allgemeinverständlicher hielt. Schultz-Henckes Frau Gerda Bally war „Halbjüdin“446, er war während des Nationalsozialismus kein Parteimitglied und einmal sagte er in Gegenwart M.H. Görings öffentlich, alle wüssten, dass er kein Nationalsozialist sei und niemals einer sein werde447. Zwischen 1940 und 1952 schrieb Schultz-Hencke vier weitere Bücher, in seinem letzten setzte er sich mit dem „Problem der Schizophrenie“ auseinander und dachte über die Anwendung der Psychoanalyse auf Psychosen nach. Sofort nach dem Krieg gründete er zusammen mit Kemper das Institut für Psychotherapie und das Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen der Versicherungsanstalt Berlin. Schultz-Hencke starb 1953 unerwartet im Alter von 60 Jahren.

1.3. Gemeinsames in den Positionen der „Dissidenten“

Horney, Alexander und Schultz-Hencke stehen hier als Repräsentanten für die Dissidenten der dritten und vierten Generation der psychoanalytischen Bewegung. Zwischen ihren Ausarbeitungen bestehen Differenzen, jeder hat seine eigenen Schwerpunkte gelegt. Allen gemeinsam ist jedoch eine mehr oder weniger große Skepsis und Ablehnung gegenüber der Triebtheorie, der Libidotheorie, der Metapsychologie und dem Ödipuskomplex. Fast alle bezweifeln die zentrale Rolle der Sexualität bei der Entstehung von psychischen Störungen und sehen vielmehr die sozialen Beziehungen in der Verantwortung. Meist wird die Sexualität in ihrem enger verstandenen Sinn, d.h. im Zusammenhang mit einer sexuellen Erregung gesehen und die von Freud eingeführte weitere Bedeutung, die in der Libidotheorie zum Ausdruck kommt, abgelehnt. Die Metapsychologie, insbesondere der Todestrieb wird als theoretisch wenig überzeugend und therapeutisch wenig nützlich betrachtet. So gibt es auch häufig die Auffassung, die Destruktivität sei nicht in der Triebstruktur angelegt, sondern durch äußere Bedrohungen und für den Selbstschutz entwickelt. Der Ödipuskomplex wird als existent, jedoch als Spezialfall in der sexuellen und sozialen Persönlichkeitsentwicklung

445 Lockot, R. (1985): Erinnern und Durcharbeiten. S. 131 446 Ebd., S. 130 447 Ebd. 146 angesehen. Seine grundlegende und allgemein strukturierende Bedeutung wird abgestritten. Manchmal wird auch die vollständige Version der Ödipuserzählung aufgenommen, d.h. der Befehl von Laios, Ödipus zu töten, wird einbezogen. So kann man auch auf die Aggression und den Todeswunsch des Vaters gegenüber dem Sohn verweisen, anstatt lediglich den Todeswunsch des Sohnes gegen den Vater zu sehen. Statt der ödipalen Wünsche werden gesellschaftliche Verhältnisse und komplexe familiäre Beziehungen in den Vordergrund gestellt. Den Dissidenten ist auch gemeinsam, dass sie die psychoanalytische Technik flexibler gestaltet haben. Sie haben die Stundenfrequenz verringert oder verändern sie je nach Krankheitsbild, Bedürfnis des Patienten oder Phase der Behandlung. Die Begründung ist immer, dass neue Krankheitsbilder neue Techniken erzwingen. Es wird eine Flexibilität befürwortet, die sich an den Bedürfnissen des Patienten orientiert. Auch die strenge und rigorose Abstinenz und Neutralität des Psychoanalytikers, wie sie in den USA der 1950er- Jahre gefordert wurde, wird in Frage gestellt und in bestimmten Fällen werden eine stärkere Aktivität des Psychoanalytikers oder auch suggestive und pädagogische Interventionen empfohlen. Fast alle Dissidenten behaupten, die gegenwärtigen oder kurz zurückliegenden Erlebnisse des Patienten seien für die Bearbeitung seiner Problematik in der Therapie wichtiger als die frühen Kindheitserlebnisse. Den meisten Dissidenten lag sehr an einer Zusammenarbeit mit den Nachbarwissenschaften, insbesondere der Psychiatrie, Psychologie und den Geisteswissenschaften. Sie nahmen deren Erkenntnisse auf und versuchten, die eigenen Erkenntnisse in einer dem Wissenschaftsbetrieb angepassten Terminologie zu formulieren. Über diese Kontakte besteht bei den Dissidenten auch eine größere Bereitschaft, sich den Erfordernissen der Wissenschaften anzupassen und zum Beispiel Studien zu verfassen, Untersuchungen durchzuführen oder Statistiken anzulegen. Von keinem von ihnen wird die Bedeutung der Übertragung, der Gegenübertragung und des Widerstandes für die Technik bestritten. Alle erachten die Existenz eines Unbewussten und der Abwehrformen für zentral wichtig, auch wenn einige ein eigenes Verständnis des Unbewussten erarbeitet haben. Alle verteidigen daher ihre Methoden, ihre Klinik und ihre Behandlungen und bestehen darauf, sie als psychoanalytisch zu bezeichnen. Manchmal wird auf den allgemeineren Begriff der psychodynamischen Behandlung ausgewichen.

1.4. Die „orthodoxe“ Psychoanalyse am Beispiel von Kurt R. Eissler, Merton Gill, Edward Bibring und Leo Stone

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen emigrierten nach und nach fast alle jüdischen Psychoanalytiker aus den meisten europäischen Ländern. Viele von ihnen fanden

147 in England und vor allem in den USA eine neue Heimat und neue Arbeitsstätten. In den USA hatte sich seit Anfang der 1900er Jahre eine psychoanalytische Bewegung etabliert, die im Allgemeinen recht frei mit Freuds Lehre umging und ihr Teile entnahm oder hinzufügte und eng am psychiatrischen Erfahrungswissen orientiert war. Die Psychoanalyse war dort immer eng mit der Medizin verbunden, was später zur strikten Ablehnung der sogenannten Laienanalyse führte, d.h. der psychoanalytischen Behandlung durch Nicht-Ärzte. Erst nach der Immigration der europäischen Psychoanalytiker bildeten sich mehrere starke psychoanalytische Gruppen von Kollegen, die ihre Ausbildung in Berlin und Wien gemacht hatten und zum Teil Freud persönlich kannten. Besonders einflussreich wurde die von Heinz Hartmann (1894-1970), Ernst Kris (1900-1957) und Rudolph Löwenstein (1898-1976) in New York entwickelte Ich-Psychologie. In ihr drückte sich der Wunsch nach einer konsequenteren Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse aus, einer systematischen psychoanalytischen Theorie und auch danach, die Psychoanalyse zum Kern einer Allgemeinen Psychologie zu machen. Man wollte auch die normale Entwicklung des Menschen erforschen und die positiven Aspekte der Abwehr berücksichtigen. Ein weiteres Anliegen der Ich-Psychologie war es, nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges der menschlichen Aggression einen festen Platz im „psychischen Apparat“ zu geben und zugleich die Vernunft und den Intellekt als Antipoden der Triebe zu stärken448. David Rapaport (1911-1960) führte den Versuch einer Systematisierung der psychoanalytischen Theorie in seinem Buch „Structure of Psychoanalytic Theory“ (1960) am konsequentesten aus. Zu den Vertretern der Ich-Psychologie gehörte auch Anna Freud in London. Die sogenannte „klassische“ oder „orthodoxe“ Psychoanalyse ging aus der Ich- Psychologie hervor und entstand erst nach 1938, dem Jahr der Emigration Freuds. Neben den wissenschaftlichen Motiven spielten auch berufspolitische und emotionale Aspekte eine Rolle bei der Formulierung einer psychoanalytischen Standardtechnik. Nachdem die Psychiatrie sich in den USA erst wenige Jahre zuvor innerhalb der Medizin einen eigenständigen wissenschaftlichen Rang erarbeitet hatte, achteten ihre Vertreter nun besonders darauf, der Psychoanalyse einen Platz innerhalb der Medizin zu geben, um ihre Seriosität zu wahren449. Dies schloss die psychoanalytischen Behandlungen durch Nicht-Ärzte aus und machte eine Anpassung der psychoanalytischen Theorie an das universitäre Wissen notwendig. Die erzwungene Emigration der europäischen Psychoanalytiker und der Tod Freuds im Jahr 1939 ließen ein starkes Bedürfnis nach einer Identifizierung mit Freud, nach Sicherheit und nach Abgrenzung entstehen. Daraus entstand ein starres, formalistisches Konzept, das in dem Versuch, „vermutete Gefährdungen von der Psychoanalyse abzuhalten“450, seine Flexibilität

448 Siehe Hale, N. G. (1995), The Rise and Crisis of Psychoanalysis in the United States. New York, Oxford, Oxford University Press, S. 231ff. 449 Vgl. Eisold, K. (1998), The oft he New York Psychoanalytic Society and the Construction of Psychoanalytic Authority. In: International Journal of Psychoanalysis, 79: 871-885. 450 Will, H. (2003), Was ist klassische Psychoanalyse? Stuttgart, Kohlhammer, S. 25. 148 verlor. Herbert Will beschreibt den Prozess so: „Es entstand das Bestreben, einen gleichsam rudimentären, eigentlichen und von allen psychotherapeutischen Zutaten gereinigten Kern der psychoanalytischen Technik zu identifizieren (…) Diese Tendenz zum Einmauern in ein psychoanalytisches Ideal scheint mir die Berechtigung zu geben, den dabei entstehenden Gebrauch von klassischer Analyse als defensiv zu bezeichnen.“451 Wills Befund zufolge habe sich trotz kluger und differenzierter Argumente der Ich-Psychologen aus ihrer Definition der „eigentlichen Psychoanalyse“ zunehmend das „Stereotyp von Klassischer Psychoanalyse“ entwickelt, „das von seinen Gegnern schließlich mit Orthodoxie und Dogmatismus gleichgesetzt wurde“452.

Im Folgenden sollen die Positionen von Kurt R. Eissler, Merton Gill, Edward Bibring und Leo Stone aus den 1950er Jahren als Repräsentanten der orthodoxen Psychoanalyse vorgestellt werden.

Kurt R. Eissler (1908 – 1999), geboren in Wien, gestorben in New York, war Psychologe und Arzt und machte seine psychoanalytische Ausbildung in Wien453. Eissler arbeitete dort eng mit August Aichhorn zusammen und war bei ihm in Lehranalyse. Er wurde 1938 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und musste im selben Jahr zusammen mit seiner Frau Ruth Selke-Eissler vor den Nationalsozialisten fliehen. Einer seiner Brüder wurde im KZ ermordet. Eissler lebte zunächst einige Jahre in Chicago und wurde 1949 Mitglied der New York Psychoanalytical Society. 1951 gründete er die New Yorker Sigmund Freud Archives, deren Sekretär er bis 1985 war. Er sammelte darin alle Original-Schriftstücke, die mit Freud und der Psychoanalyse in Zusammenhang standen und führte viele Interviews mit Kollegen, die Freud selbst kannten. Eissler schrieb zwei zweibändige Studien zu Goethe und Leonardo da Vinci und eine Vielzahl von Aufsätzen zu den Themen Freud-Biographik, Briefwechsel Freuds und Metapsychologie. Freud ebenso wie Goethe oder Shakespeare wurden von Eissler als Genies bezeichnet, deren Seelenleben „anders betrachtet und eingeschätzt werden muss als das des Durchschnittsmenschen oder des Talents.“454 Freud habe ein „gültiges Universum“ geschaffen, das seinen bleibenden Wert behalten werde, weil es „mehr als Wissenschaft“ sei455. Es ist nützlich, sich dies zu vergegenwärtigen, wenn es um Eisslers

451 Ebd. 452 Ebd., S. 30 453 Zur Biographie und Gesamtbibliographie Kurt Eisslers siehe: Eickhoff, F.-W. (1999): In memoriam K.R. Eissler, M.D., Ph.D.. In: Jahrbuch der Psychoanalyse, Heft 41, Tübingen, frommann.holzboog. Auch: Troje, H. E. (2009): K.R. Eissler zum 100. Geburtstag. In: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, Hefr 43, Tübingen, edition diskord und Brandes& Apsel. Auch: Luzifer-Amor, Heft 40 (2007) mit dem Themenschwerpunkt Kurt R. Eissler, Tübingen, edition diskord. 454 Eissler, K. R.(1974): Gedenkrede zur 30 Wiederkehr von Sigmund Freuds Todestag. In: Jahrbuch der Psychoanalyse, Band VII, Bern, Verlag Hans Huber, S. 25. 455 Ebd., S. 26f. 149

„orthodoxe“ psychoanalytische Einstellung geht. Manche nannten ihn „the pope of orthodox analysis“. 1950 und 1953 schrieb Eissler zwei Aufsätze456, in denen er sich mit dem Buch „Psychoanalytic Therapy“ von Alexander und French auseinandersetzte und definierte, was die Grundsätze psychoanalytischer Technik und was dagegen Psychotherapie sei. Er postulierte, im idealen Fall sei das einzige Instrument des Psychoanalytikers die Deutung, woraus alles Weitere folge: Die Abstinenz, die Neutralität, die psychoanalytische Haltung, das Durcharbeiten. Dies gelte für die Psychoanalyse der Hysterie. Bereits für die Analyse einer Phobie jedoch gelte, dass der Psychoanalytiker an einem bestimmten Punkt über die reine Deutung hinausgehen müsse und sogenannte Parameter einsetze. Eissler bezeichnete die quantitative oder qualitative Abweichung vom Basismodell (dem Idealfall) als Parameter und legte fest, dass 1.) ein Parameter nur eingesetzt werden darf, wenn das Basismodell nicht ausreicht; 2.) ein Parameter niemals das unvermeidliche Minimum überschreiten darf; 3.) ein Parameter sich selbst überflüssig machen muss und am Behandlungsende auf Null zurückgesetzt worden sein muss und 4.) dass der Effekt eines Parameters auf die Übertragungsbeziehung immer rückgängig gemacht werden können muss. Freud habe im Fall des Wolfsmannes zum Beispiel zwei Parameter eingesetzt, indem er das Therapieende festlegte und ein Heilungsversprechen gab. Auch bei der Analyse einer Phobie komme der Zeitpunkt, an dem die Deutung nicht reiche, sondern der Patient sich mit der angstauslösenden Situation konfrontieren müsse. Jede Einführung von Neuerungen, wie sie Alexander versuche, müsse die Frage beantworten, zu welchen Einschränkungen des Ichs und zu welchen Kosten für das Ich sie führe. Wer Parameter in die Behandlung einführe, weil Deutungen angeblich keine Wirkung hatten, solle sich fragen, ob er vielleicht unfähig war, richtig zu deuten. Psychoanalyse wolle in jedem Fall die Struktur des Ichs verändern und nicht lediglich Symptome heilen, da ein Symptom wenig über die wahre Struktur des Ichs aussagt: Jemand könne nach außen normal wirken, aber in Wahrheit eine schwere Ich-Pathologie aufweisen. Eine wahre Strukturveränderung erweitere die Fähigkeiten des Ichs und beseitige bestimmte Abwehrmechanismen. Eine oberflächliche Veränderung von Persönlichkeitsinhalten dagegen beruhe auf Verschiebung, auf neuer Verdrängung, auf dem Austausch von Illusionen, auf magischem Glauben oder auf Imitation des Psychoanalytikers – auch wenn die Symptomatik geheilt worden sein sollte. Es gebe nur einen Weg, der zu strukturellen Veränderungen führe, nämlich den einer rationalen Therapie über Deutung und Einsicht. Alle anderen Formen von Psychotherapie nannte Eissler „magische Therapien“, denen es nur um die Beseitigung von Symptomen gehe. Eissler bezeichnete die neue Technik von Alexander und seinen Kollegen als eine Form des Behaviorismus, da sie das Konzept des Konfliktes und den genetischen

456 Eissler, K. (1950) The Chicago Institute of Psychoanalysis and the sixth period of the development of psychoanalytic technique. In: The Journal of General Psychology 42. Und: Eissler, K. (1953): The Effect of the Structure of the ego on psychoanalytic technique. In: Journal of the American Psychoanalytic Association, 1: 104- 143. 150

Aspekt (d.h. die Entstehung von psychischen Störungen aus Erlebnissen in der Kindheit) nicht berücksichtige.

Eissler war mit seiner Einstellung sicher einer der harschesten Vertreter der „orthodoxen“ Psychoanalyse und sehr wenig bereit, die Standpunkte der Dissidenten zu prüfen. Seine Rigorosität lässt die Vermutung aufkommen, dass er Abweichungen von der Freudschen Lehre wie eine Blasphemie empfand. Die anderen IPA-Psychoanalytiker, die sich 1954 zu der Debatte äußerten, gingen offener und auch analytischer mit dem Anliegen derjenigen um, die sich Neuerungen in der Theorie und Therapie wünschten. Will zufolge stellte Eissler zudem Behauptungen auf, die historisch nicht haltbar sind: Weder habe Freud die „Standardtechnik“ empfohlen, noch selbst durchgeführt; auch können die Forderung nach einer hohen Stundenfrequenz, dem Schweigen des Psychoanalytikers und der reinen Deutungstechnik nicht auf Freud oder seine direkten Schüler zurückgeführt werden457.

Merton Gill (1914 – 1994), geboren und gestorben in Chicago, war Arzt und Psychoanalytiker458. Er studierte bis 1938 in Chicago und praktizierte danach an der Menninger Klinik in Kansas und in der psychiatrischen Fakultät der Yale University. Er arbeitete einige Jahre in Kalifornien und wurde dann Professor für Psychiatrie, zunächst einige Jahre in New York, dann an der University of Illinois in Chicago. In den 1950er-Jahren war Gill ein Vertreter der „orthodoxen“ Psychoanalyse, was sich später änderte, als er sich immer weiter der Intersubjektiven Psychoanalyse annäherte. In Deutschland ist er durch zwei seiner Bücher, „Die Übertragungsanalyse“ und „Psychoanalyse im Übergang“, bekannt geworden. 1954 beteiligte er sich an der Diskussion über die Unterscheidung von Psychoanalyse und Psychotherapie mit dem einflussreich gewordenen Artikel „Psychoanalysis and Exploratory Psychotherapy“459. Darin setzt er sich mit Alexander auseinander, der die Unterscheidung zwischen Psychoanalyse und explorativer Psychotherapie als überflüssig ansah. Diesen Standpunkt lehnten diejenigen ab, die behaupteten, nur die Psychoanalyse könne strukturelle Ich-Veränderungen erreichen, während die Psychotherapie lediglich mit Übertragungseffekten und Abwehrtechniken arbeite. Gill zeigte bereits in diesem Artikel eine offenere Haltung als andere „orthodoxe“ Psychoanalytiker, wenn er zugestand, dass die Psychoanalyse als therapeutische Technik Grenzen habe und auch ablehnte, die Stundenfrequenz zum Unterscheidungsmerkmal zwischen Psychoanalyse und Psychotherapie zu machen. In bestimmten Situationen oder mit bestimmten Patienten sei Psychoanalyse nicht indiziert und

457 Will, H. (2003), S. 26 458 Zur Biographie Merton Gills siehe: Obituary der New York Times, 19.11.1994; auch: Wallerstein, R. (1995): Merton Gill, Psychotherapy and Psychoanalysis: A Personal Dialogue. (http:/www.psychomedia.it/rapaport- klein/wallerstein 95.htm) 459 In: Journal of the American Psychoanalytic Association, 2: 771-797. 151 man müsse eine andere Technik benutzen, deren Ziel jedoch mit dem der Psychoanalyse übereinstimme. Gills Definition lautete: Psychoanalyse ist die Technik, die von einem neutralen Psychoanalytiker mit dem Ziel durchgeführt wird, über eine regressive Übertragungsneurose mit den Mitteln der Deutung zu einer Auflösung dieser Neurose zu gelangen. Er sprach sich gegen Alexanders Empfehlung aus, der Psychoanalytiker solle in seinem Verhalten flexibel bleiben, da nur dann, wenn der Psychoanalytiker eine stabile Art des Verhaltens zeige, die Veränderungen des Patienten gesehen werden können und nicht mit Reaktionen des Patienten auf die veränderlichen Verhaltensweisen des Psychoanalytikers verwechselt werden können. Der Psychoanalytiker müsse aufpassen, dass seine spontanen emotionalen Reaktionen auf den Patienten nicht zu stark werden und sich keine Muster emotionaler Reaktionen entwickeln, ebenso wenig dürfe er den Patienten nach seinen Wertvorstellungen erziehen. In der Psychoanalyse entwickle sich eine regressive Übertragungsneurose durch die Frustration der Bedürfnisse des Patienten, sein Gefühl der Unterlegenheit, das Fehlen von realen Signalen vom Psychoanalytiker, das Ignorieren von Symptomen, die Betonung der Phantasie und die häufigen Sitzungen. In der Psychotherapie dagegen verhindere der Therapeut eine regressive Übertragungsneurose, indem er eher die Realität als die Phantasie betone, die freie Assoziation verhindere, dem Patienten auf Augenhöhe begegne, eine Atmosphäre der zeitlichen Begrenztheit schaffe und die Übertragung nur manchmal deute, wenn sie den Prozess beeinträchtigt. Für die Durchführung einer Psychoanalyse brauche der Patient ein relativ starkes Ich und seine Abwehr müsse so gut funktionieren, dass er nur in der Analyse regrediere und nicht in seinem Alltag. Alexander benutze die größere Aktivität des Psychoanalytikers, um schneller eine Veränderung beim Patienten zu erreichen, aber er produziere lediglich eine Anpassung des Patienten an diese spezielle therapeutische Beziehung, da der Patient sich durch die Kürzung der Stundenfrequenz bestraft fühle und mit geringerer Abhängigkeit reagiere. Obwohl Alexander eine korrigierende Erfahrung herstellen wolle, behindere er die affektive Erfahrung des Patienten, indem er die Übertragungsneurose verhindere. Das Ziel der Psychoanalyse sei eine Stärkung und Integration der Ichfunktionen, die Freisetzung der Energie, die in inneren Konflikten feststecke, die Arbeits- und Genussfähigkeit des Patienten und die Möglichkeit, das Beste aus seinen mitgebrachten Fähigkeiten zu machen. Dagegen gebe sich die Psychotherapie mit einer Symptomverminderung, der Befreiung aus einer Krise und der Unterstützung in einer schwierigen Situation zufrieden. Die Psychoanalyse habe lange dafür gekämpft, eine Behandlungsmethode zu werden, die ohne die Suggestion auskommt und habe alle Neuerungen daran gemessen. Allerdings habe die Psychoanalyse auch lange Zeit die Rolle der Anpassung an die Realität und die soziale Rolle unterschätzt und auch vor allem die Pathologie erforscht und nicht die gesunde Entwicklung.

152

Gill wird in den folgenden Jahren von seiner hier ausgesprochenen Forderung nach Neutralität in der Übertragungsbeziehung und deren genetischer Deutung, d.h. die überwiegende Betrachtung der Vergangenheit des Patienten, abweichen und die Übertragungssituation im Hier und Jetzt in den Mittelpunkt stellen.

Edward Bibring (1894-1959) wurde in Ostgalizien geboren460 und studierte in Wien Medizin. Dort machte er eine Analyse bei (1871-1950) und wurde 1925 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 1938 emigrierte er zunächst nach England und besorgte dort einige Jahre die Herausgabe der Gesammelten Werke Freuds. 1941 verließ er London und ging nach Boston, USA, wo er am Boston Psychoanalytic Institute und als Psychiater in der Klinik arbeitete. Für die Psychoanalyse-Psychotherapie-Debatte schrieb er einen differenzierten, systematischen Artikel: „Psychoanalysis and the Dynamic “461. Darin zählte er zunächst die therapeutischen Techniken auf, mit denen jeder Psychotherapeut – und damit auch jeder Psychoanalytiker - arbeitet: Die Suggestion, das Abreagieren, die Manipulation (Bibring betont, er benutze den Ausdruck in einem neutralen Sinn), das Klären und das Deuten. Je nach der Form der Psychotherapie werde jede dieser Techniken in unterschiedlichem Umfang eingesetzt. Auch in der klassischen Psychoanalyse finden sich alle diese Techniken, aber die Einsicht durch Deutung ist das hauptsächliche Mittel. Suggestion wirke von Beginn an, schon wenn der Patient erwarte, durch die Analyse geheilt zu werden. Die Technik der Manipulation betrifft in erster Linie die Handhabung der Übertragung. Die akzeptierende Haltung des Psychoanalytikers, seine freundliche Neutralität und Objektivität, seine Bereitschaft nicht zu urteilen bieten dem Patienten eine neue Erfahrung an. Das Abreagieren spiele in der Psychoanalyse eine untergeordnete Rolle. Die relativ passive Haltung des Psychoanalytikers sei von manchen Psychoanalytikern übertrieben worden, aber ebenso von deren Kritikern. Bibring spricht von vier therapeutischen Prozessen, die man bei der Untersuchung von Therapien unterscheiden kann: 1.) die Produktion von Material; 2.) das Nutzbarmachen des Materials durch den Therapeuten; 3.) die Aneignung der Ergebnisse dieses zweiten Prozesses durch den Patienten; 4.) die Neuorientierung und Neuausrichtung durch Ausprobieren und Lernen. Die Therapieformen unterscheiden sich in der Art, wie das Material gewonnen wird. In der Psychoanalyse besteht es aus dem gesamten sprachlichen und nonverbalen Verhalten des Patienten und wird durch die freie Assoziation des Patienten und die Beobachtungen des Psychoanalytikers gewonnen. Auch in der Gewichtung der therapeutischen Prozesse

460 Zur Biographie Bibrings siehe: Mühlleitner, E. (1992): Biographisches Lexikon der Psychoanalyse. Tübingen, edition diskord 461 Bibring, E. (1954), Psychoanalysis and the Dynamic Psychotherapies. Journal of the American Psychoanalytic Association, 2: 745-770 153 unterscheiden sich die Therapieformen, manche legen Wert auf aktive und schnelle Nutzbarmachung des Materials, manche erleichtern die Aneignung der Ergebnisse, manche fokussieren auf den Prozess der Neuausrichtung. Am einfachsten sei es, die Produktion von Material zu beschleunigen, das Schwierigste sei jedoch immer die Integration der neuen Erkenntnisse. Das Ziel der Psychoanalyse bestehe darin, die Fixierung des Ichs an pathogene Abwehrmechanismen aufzulösen, die Wahlfreiheit des Ichs weiter zu entwickeln, die Flexibilität der Triebe zu vergrößern und die Rigidität und Härte der archaischen Über-Ich- Bildungen zu mildern.

Bibring enthält sich in seinem Artikel jeder Polemik und Entwertung und lässt jeden Bezug auf metapsychologische Themen beiseite. Er konzentriert sich ganz auf die Methoden und die Therapieprozesse. Mit seiner gut nachvollziehbaren Analyse der Vorgänge in der Therapie und ihrer technischen Mittel unterstützt er im Grunde Alexanders Überzeugung eines Kontinuums zwischen der Psychoanalyse und den Psychotherapien.

Leo Stone (1904-1997) wurde in New York geboren. Er studierte Medizin in Michigan, Wien und Berlin und ging zurück in die USA. Dort arbeitete er einige Jahre an der Menninger Clinic und eröffnete dann seine Praxis in New York. Zwischen 1974 und 1976 war er Präsident des New York Psychoanalytic Institute und von 1977 bis 1979 Präsident der New York Psychoanalytic Society. In Deutschland ist sein Buch „Die psychoanalytische Situation“ (1961) bekannt geworden. 1954 beteiligte er sich an der Diskussion über Psychoanalyse und Psychotherapie mit einem Artikel „The Widening Scope of Indications for Psychoanalysis“462, der insbesondere den Beifall Anna Freuds fand. Stone öffnet in seinem Artikel zunächst den Raum für etliche neue Patientengruppen, die bereits durch frühe Schüler Freuds behandelt wurden und für die manchmal die klassische Technik angepasst worden ist, oft aber auch beibehalten wurde: Psychosen, Sucht, Delinquenz, Homosexualität, Paranoia, Perversionen, Schizophrenien, psychosomatische Störungen und die Borderline-Störungen. Stone warnt davor, die Psychoanalyse auf magische Weise zu überschätzen und sich von ihr Hilfe zu erwarten in Fällen, wo eher „altmodische Methoden“ wie Mut, Weisheit und mühevolle Arbeit angewandt werden sollten. Die Psychoanalyse löse die Widerstände auf und mache dem Ich seine Abwehrmechanismen und die Es- und Über-Ich-Inhalte bewusst. Die Grundelemente der Psychoanalyse sind das Unbewusste, die Libidotheorie, die Macht der infantilen Sexualität, die Triebtheorie und das Prinzip des Genetischen. Das Ziel der Psychoanalyse sei das Bewusstwerden von intrapsychischen Konflikten, die Reduzierung von Über-Ich und Es- Verzerrungen, die Vergrößerung der Souveränität des Ich gegenüber den Trieben und der

462 Stone, L. (1954), The Widening Scope of Indications for Psychoanalysis. Journal of the American Psychoanalytic Association, 2: 567-594. 154

Ausbau seiner positiven Fähigkeiten. Dazu sei die Aktivierung einer vollausgebildeten Übertragungsneurose, ihre Durcharbeitung und ihre anschließende Auflösung durch das hauptsächliche Instrument der Deutung notwendig. Wo dies nicht passiere, finde keine psychoanalytische Behandlung statt und dort könne auch keine tiefe Reorganisation der Persönlichkeit erreicht werden. Die Fälle, in denen der Psychoanalytiker von dem Prinzip der Neutralität abweiche, sollten streng nach Eisslers „exzellenter Aufstellung“ der Parameter bewertet und behandelt werden. Der Psychoanalytiker sollte keine Rolle annehmen, er sollte aber auch nicht vollständig als Individuum verschwinden.

1.5. Die Menninger-Studie 1952 bis 1982

In der Übergangszeit von der harschen Formulierung der „orthodoxen“ Psychoanalyse bis zur Anerkennung einer Pluralität der Theorien und Techniken auch innerhalb der IPA- Psychoanalyse wurde eine Psychotherapie-Studie gemacht, die die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Ergebnisse von psychodynamischen Psychotherapien und Psychoanalysen erforschen wollte. Die Studie, benannt als Psychotherapy Research Project (PRP), wurde zwischen 1952 und 1982 an der Menninger Clinic in Topeka, Kansas, von psychoanalytisch ausgebildeten Therapeuten an 42 Patienten durchgeführt. Der oben mehrfach erwähnte Wallerstein war Mitarbeiter an der Studie und berichtete darüber in mehreren Artikeln und einem Buch463. Die Patienten waren schwer Erkrankte, unter ihnen Alkoholiker, Drogenabhängige, Patienten mit paranoiden, sexuellen und Borderline- Störungen. Wallerstein betont mehrfach, dass dies nicht das Klientel sei, das üblicherweise den Weg zum Psychoanalytiker finde. Alle Patienten wurden – soweit sie noch am Leben waren – über 30 Jahre entweder mehr oder weniger intensiv therapeutisch betreut oder regelmäßig zu Katamnesen einbestellt. Die Behandlungen dauerten zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren, die Katamnesen erstreckten sich über zwölf bis 24 Jahre.

Die behandelnden Psychoanalytiker ließen sich alle der eher „orthodoxen“ Richtung zuordnen, zumindest hatten sie alle die Erwartung, dass eine auf Deutung und Einsicht basierende Psychoanalyse bessere, tiefere und nachhaltigere Ergebnisse bringen würde als die unterstützende und suggestive analytische Psychotherapie. Alle erwarteten, dass die aufdeckenden und deutenden Techniken die Abwehr analysieren und die Reintegration voranbringen, während die stützenden, Ich-aufbauenden Techniken die Abwehr stärken und

463 Wallerstein, R. (1986), Forty-two Lives in Treatment. A Study of Psychoanalysis and Psychotherapy. New York, The Guilford Press. Siehe auch: Wallerstein, R. (1990). Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Psychotherapie. Wiederaufnahme einer Diskussion. In: PSYCHE 44 (11) S. 967ff. 155 die Konfliktverdrängung befördern. Man ging somit auch von einer klaren Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen dem psychoanalytischen und dem psychotherapeutischen Vorgehen aus. Weiter wurde davon ausgegangen, dass die in der deutenden psychoanalytischen Behandlung gewonnenen Einsichten zu Konfliktlösungen und damit zu Verhaltensänderungen führen, also eine Korrelation zwischen Einsicht und Änderung besteht. Alle diese Erwartungen wurden durch die Studie enttäuscht. Zunächst stellten die Behandler fest, dass die Unterscheidung zwischen psychoanalytischer und psychotherapeutischer Behandlung sich nicht aufrechterhalten ließ und auch in die psychoanalytische Behandlung vielfache Elemente der Psychotherapie einflossen. Hier ging es um stützende und suggestive Elemente, um die unaufgelöste Identifizierung mit dem Therapeuten, um die Tatsache, dass eine positive, abhängige Übertragung auf den Behandler sich in jedem Fall als eindeutig wichtiger Faktor erwies. Ein Ergebnis der Studie bezog sich auf die Wirkmechanismen von psychoanalytischen und psychotherapeutischen Behandlungen: Die Erfahrung zeigte,

1.) dass der wohlwollende, empathische, realitätsorientierte und neutrale Behandler eine Voraussetzung für die positive Wirkung jeder Therapieform ist;

2.) dass in beiden Therapieformen die Realitätsprüfung und die Nacherziehung, jeweils am Bedürfnis des Patienten orientiert, wichtiger Teil der Behandlung ist: „Bei beiden technischen Strategien wird der Patient sowohl unterstützt als auch auf ein realitätsorientiertes Problemlösen hin erzogen sowie auf realitätsgerechte emotionale Reaktionen aufgrund einer erborgten Ich-Stärke, die der Identifizierung mit dem Therapeuten in der Rolle des Helfers und Heilers entstammt“.464

3.) dass die entweder schädigende oder fördernde Umwelt, d.h. vor allem Familienangehörige der Patienten, einen großen Einfluss auf die Effekte der Behandlung hat und schädigende Einflüsse durch den Behandler möglichst beseitigt werden sollten;

4.) dass in beiden Therapieformen die Behandler sich mit den Patienten explizit oder implizit darüber einigten, in welchen Bereichen Veränderungen erreicht werden sollten und in welchen Bereichen „gewisse Inseln der Psychopathologie“465 bestehen bleiben konnten.

Ein weiteres Ergebnis der Studie war die Beobachtung, dass der therapeutische Effekt von stützenden Techniken stabiler und dauerhafter war als der durch Deutung erzielte. Dies stellte den gesamten Argumentationsaufbau der „orthodoxen“ Psychoanalytiker in Frage, die behauptet hatten, eine umfangreiche Persönlichkeitsentwicklung und Strukturveränderung der Persönlichkeit könne ausschließlich durch das deutende und einsichtsfördernde Verfahren der Psychoanalyse erreicht werden. Wallerstein bezeichnet es in seiner Zusammenfassung als

464 Wallerstein, R. (1990), S. 979f. 465 Ebd., S. 981. 156

„leichtfertige Annahme“466, dass einzig eine strukturelle Veränderung stabil und nachhaltig sein könne, während die sogenannten „bloß veränderten Anpassungstechniken“ des Patienten weniger dauerhaft seien. Die Psychoanalyse nehme auch keinesfalls den „exklusiven Rang als Auslöser einer echten Strukturveränderung“467 ein.

Darüber hinaus ergab die Studie Belege dafür, dass das Erlangen von Einsicht nicht notwendigerweise Voraussetzung für eine Änderung und Besserung des Verhaltens und der Symptomatik war: Viele Patienten erreichten Verbesserungen, die weit über ihre Einsichten hinausgingen, manche andere erlangten weitreichende Einsichten, ohne entsprechende Symptomverbesserungen zu zeigen. Nur bei einem Viertel der Patienten entsprachen die gewonnen Einsichten den erreichten positiven Veränderungen. Die Behandler mussten am Ende der Studie feststellen, dass sich die positiven Veränderungen der Patienten durch psychotherapeutische Maßnahmen nicht von denen unterscheiden ließen, die durch Psychoanalyse erreicht wurden. Die strukturellen Persönlichkeitsveränderungen ließen sich nicht von den Veränderungen unterscheiden, die durch Anpassung, Stärkung der Abwehr oder durch Identifizierung zustande kamen.

Die Menninger PRP Studie hat weniger Erschütterung in der „orthodoxen“ Gruppe ausgelöst als man erwarten könnte. Die Kritik bezog sich sofort auf die Auswahl der Patientenpopulation, die weit kränker waren als die meisten Psychoanalysepatienten.468 Es wurde die skeptische Überlegung angestellt, dass gesündere Patienten vermutlich weniger von psychotherapeutischen Techniken profitieren würden als die Patienten aus der Studie. Ebenso wurde moniert, dass das psychoanalytische Vorgehen an die Bedürfnisse der Patienten angepasst wurde und somit nicht mehr als unverändert bezeichnet werden kann. Weil die meisten der Patienten aus der Studie kaum in einer privaten psychoanalytischen Praxis angenommen worden wären, sei die Möglichkeit einer Verallgemeinerung der Ergebnisse in Frage gestellt.469

Ich habe diese Studie angeführt, weil sie eine Brücke schlägt nicht nur zwischen Psychoanalyse und Psychotherapie, sondern auch zwischen sogenannten Dissidenten und sogenannten Orthodoxen in dem Zeitrahmen, der hier bearbeitet wird. Seither ist weitere Forschung zu Wirkfaktoren von psychodynamischen Therapien betrieben worden. Auch die Entwicklung von Kindern ist intensiv empirisch untersucht worden, was zu Debatten um die

466 Ebd., S. 987. 467 Ebd., S. 987. 468 Siehe z. B.: Richards, A. (1988), Review of „Forty-two Lives in Treatment“. In: Int. Journal of Psycho-Analysis, 69: 140-144. 469 Ebd. 157

Interpretation der Ergebnisse und ihre Bedeutung für die psychoanalytische Lehre geführt hat470.

Diese Beobachtung unterstützt die These, dass das psychoanalytische Dissidententum weniger auf wissenschaftliche Argumente und Befunde zurückgeht als vielmehr auf persönliche Einstellungen, Vorlieben oder zwischenmenschliche Unverträglichkeiten und Eigenheiten. Dies übrigens auf beiden Seiten. Auch die Dissidenten hängen an theoretischen Vorlieben und Idealisierungen, ebenso wie die „Orthodoxen“, und auch sie haben manchmal persönliche Unverträglichkeiten zum Anlass genommen, sich von der ursprünglichen Gruppe zurückzuziehen. Eine weitere persönliche Beobachtung ist, dass in der psychoanalytischen Community häufig die Aussagen von Klinikern, insbesondere solchen, die in Krankenhäusern arbeiten und damit eine große Menge an Patienten sehen, weniger wertgeschätzt werden als die von Theoretikern. Sicher kann keine scharfe Trennlinie zwischen diesen beiden Gruppen gezogen werden, schon weil in der Psychoanalyse das Junktim von Forschen und Heilen immer noch gültig ist. Es bleibt aber der Eindruck, dass in dem bearbeiteten Zeitraum 1960 bis 1980 und bezogen auf Nachkriegsdeutschland die unermüdliche, vielfältige und gründliche klinische, vor allem psychosomatische Arbeit der DPG-Kollegen weit weniger Anerkennung und Interesse fand als die theoretischen Ausarbeitungen aus England, Frankreich und den USA. Vermutlich gibt es unter den psychoanalytischen Kollegen eine unaufhebbare immanente Aufspaltung in die Gruppe derjenigen, die die Psychoanalyse vor allem als eine Geisteswissenschaft ansehen und denen, die sie vor allem als therapeutische Methode schätzen. Die beiden Gruppen finden sich sowohl auf der „orthodoxen“ als auch auf der „liberalen“ Seite und haben meist wenig miteinander zu tun. Wenn sie, wie es in psychoanalytischen Ausbildungsinstituten der Fall ist, zusammentreffen, entstehen oft erbitterte und kränkende Auseinandersetzungen, die meist je nach Größenverhältnis der Gruppen entschieden werden. In jedem Einzelfall, möchte ich behaupten, spielen aber auch persönliche Eigenheiten eine Rolle. Cremerius meint in Bezug auf Spaltungen innerhalb der psychoanalytischen Community: „Es sind die allgemeinen, wohlbekannten menschlichen Leidenschaften wie Herrschsucht, Wunsch, der Erste zu sein, sich nicht ein- oder unterordnen können, den anderen übertreffen, entthronen müssen etc., die in diesen Situationen der Vernunft den Garaus machen.“471

470 Siehe z.B. Dahl, Gerhard (2001), Primärer Narzißmus und Inneres Objekt. Zum Schicksal einer Kontroverse. In: Psyche Jg.55, S. 577ff. 471 Cremerius, J. (1982), Psychoanalyse – jenseits von Orthodoxie und Dissidenz. Psyche, Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 36. Jg., Klett-Cotta, S. 490. 158

2. Kapitel

2.1. Das Selbstverständnis der IFPS

Die im letzten Kapitel geschilderten Auseinandersetzungen um die „wahre Psychoanalyse“ und die Psychotherapie waren auch den Gründern der IFPS bekannt. Fromm und Chrzanowski hatten die Konflikte miterlebt und Fromm war auch in sie hineingezogen worden. Viele der sogenannten Dissidenten, die im vorigen Kapitel Erwähnung fanden, waren bei der Gründung der IFPS bereits gestorben: Schultz-Hencke starb 1953, Horney 1952, Sullivan 1949, Thompson 1958. Franz Alexander erlebte noch die Gründung der IFPS, starb aber 1964. Die Protagonisten der IFPS waren deren Schüler, außer Igor Caruso.

Im Folgenden soll untersucht werden, wie das Selbstverständnis der IFPS-Mitglieder aussah, was die Mitglieder der IFPS unter den Zuschreibungen „liberale Psychoanalyse“ und „orthodoxe Psychoanalyse“ verstanden, wo sie sich selbst positionierten, welche Kriterien ihnen an der Psychoanalyse wichtig waren und mit was sie sich als psychoanalytische Gruppe identifizierten. Anhand der bis 1977 veröffentlichten Vorträge der IFPS-Mitglieder soll versucht werden, auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Viele der Vorträge, die bis 1974 auf den internationalen Tagungen der IFPS, sowohl auf den Foren als auch bei den Arbeitstreffen zwischen den Foren, gehalten wurden, sind in sechs Bänden veröffentlicht. Die ersten vier Bände erschienen unter dem Titel „Fortschritte der Psychoanalyse. Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse“, die letzten beiden unter dem Titel „Weiterentwicklungen der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“472. Aus jedem Band sollen zwei oder drei Aufsätze ausgewählt werden, die dazu beitragen, die oben genannten Fragen zu beantworten.

Die drei Herausgeber der ersten vier Bände, Westerman-Holstijn, Schwidder und Salzman, benennen im Vorwort des ersten Bandes473 ihre Haltung gegenüber der Psychoanalyse als Methode und ihre Hoffnungen bezüglich der Zukunft ihrer Bemühungen. Westerman-Holstijn schreibt sieben Sätze und erwähnt in jedem Satz den Namen Freuds: Freud habe der Wissenschaft mit der Psychoanalyse ein reiches Material geschenkt und als die „entscheidenden integrierenden Faktoren“ das Unbewusste, die Übertragung, den Widerstand und die infantile Sexualität genannt; seit Freud diese Postulate aufstellte, habe die

472 Band I – IV wurden herausgegeben von L. Salzman, W. Schwidder und A.J. Westerman-Holstijn und erschienen 1964, 1966, 1968 und 1970 bei dem Verlag für Psychologie Dr. C.J.Hogrefe in Göttingen. Die Bände V und VI wurden herausgegeben von G. Chrzanowski, A. Heigl-Evers, H.V. Brazil und W. Schwidder und erschienen beide 1977 im Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen und Zürich. 473 Für die folgenden Zitate siehe: Salzman, L., Schwidder, W., Westerman-Holstijn, A.J. (Hrsg.) (1964), Vorwort und Einführung. Fortschritte der Psychoanalyse – Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse Band I. Verlag für Psychologie Dr. C.J .Hogrefe, Göttingen, S. 7ff.

159

Psychoanalyse eine große Entwicklung durchlaufen. Freud habe nie gewünscht, dass seine „Forschungsergebnisse in ihrer erstmaligen Form starr zu fixieren“ seien, da auch er selbst seine Lehre mehrfach korrigiert habe. Auf der Basis Freuds hoffe man, aus benachbarten Konzeptionen und antithetischen Auffassungen eine Verschmelzung und Synthese herstellen zu können.

Schwidder stellt fest, dass die Grundlagen jeder Wissenschaft durch neue Erkenntnisse regelmäßig ergänzt und erweitert werden müssen und sieht die „bahnbrechende Forschungsarbeit Sigmund Freuds am besten gewürdigt, wenn seine Lehre nicht dogmatisch erstarrt“. Er möchte die neuen psychoanalytischen Erkenntnisse und Theorien empirisch überprüfen und „zu einer allgemeinverbindlichen, theoretischen Erfassung der von der Psychoanalyse gewonnenen Erfahrungen als Grundlage einer wirksamen Psychotherapie“ gelangen. Mit der Forderung nach empirischer Überprüfung der Erkenntnisse und der Entwicklung einer allgemeinen und wirksamen Psychotherapie steht Schwidder ganz in der Tradition Schultz-Henckes. Dies war auch die Linie der DPG in den ersten Nachkriegsjahrzehnten.

Salzman äußert im Vorwort den Wunsch, alle Standpunkte der psychoanalytischen Richtungen zur Sprache kommen zu lassen, „von den allerorthodoxesten bis zu den allerdivergierendsten“. Manche der psychoanalytischen Revisionen seien begrenzt, manche abenteuerlich, andere aber stillschweigend in den mainstream „einverleibt“ worden. Die Psychoanalyse benötige eine strenge, aber auch wohlwollende „Bemühung um ihre wissenschaftliche Integrität“. Alle Psychoanalytiker, die „klassischen“ wie auch die „der anderen Richtungen“ seien daran interessiert, Techniken zur Lösung seelischer Störungen und „eine wahre Wissenschaft des menschlichen Verhaltens“, auf der Basis einer empirisch begründeten Theorie zu entwickeln, daher gehe es darum, von den Standpunkten der anderen zu lernen und sich durch sie bereichern zu lassen.

Wir können hier eine vorläufige Bilanz ziehen und sehen, was das ursprüngliche Vorhaben der Initiatoren der IFPS war. Salzman und Westerman-Holstijn waren keine Gründer, traten auch nie in die IFPS ein, standen jedoch bei ihrer Gründung Pate und blieben bis 1970 Herausgeber der IFPS-Vorträge. Bei der Betrachtung der drei Aussagen stellen wir fest: a) alle betonen ihre Verbundenheit mit Freuds Lehre; b) sie betrachten die Psychoanalyse als eine empirische Wissenschaft; c) sie schließen daraus, dass es Revisionen, Kritik, empirische Überprüfung und Weiterentwicklung der Ideen geben muss;

160 d) sie befürworten eine enge Zusammenarbeit aller psychoanalytischen Kollegen, egal welcher Schule und wünschen sich eine Synthese der Erkenntnisse.

Bei dem nun folgenden Überblick über jeweils zwei bis drei Aufsätze aus jedem der sechs Bände gebe ich eine kurze Zusammenfassung der Inhalte mit einem Schwerpunkt auf Textelementen, die eine Antwort auf die Frage nach dem Selbstverständnis der IFPS geben können.

2.1.1. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band I (1964)

Der erste Band enthält Vortragstexte der Tagungen 1961 in Düsseldorf, 1962 in Amsterdam und 1963 in Göttingen. Die Autoren sind aus Deutschland, den USA, Holland, Frankreich, Österreich und Israel.

Sigmund Biran aus Israel stellt in seinem Text „Wandlungen im psychoanalytischen Strukturkonzept“ die Frage, „was das Es in Wirklichkeit sei“474, da die Triebe keinen blinden Kräfte seien wie Freud annahm, sondern primäre Wünsche und „nicht weiter reduzierbare, von vornherein ziel- und ganzheitsgerichtete Motive und Antriebe unseres Handelns“. Biran möchte das psychoanalytische Strukturkonzept erweitern und unterscheidet die Ich- Arbeitsweise (angetrieben von Triebwünschen) von der Es-Arbeitsweise (angetrieben von Spannung und Angst) und möchte damit „die Kluft zwischen der vitalistischen und der mechanistischen Psychologie“475 überbrücken und das gesunde seelische Geschehen exakt vom pathologischen abgrenzen. Dazu benötigt er ebenfalls eine neue Sichtweise der Verdrängung, die in seinem Konzept zur „Spaltung des seelischen Kontinuums“476 wird. Er nimmt eine dynamische Struktur des Psychischen an, die aus Systemen besteht, daneben eine topische Struktur, die aus Schichten besteht und zur Erklärung der Psychose erwägt Biran ein „transzendentes Seelisches, das Transbewusste“477.

Der Entwurf von Biran hat etwas Genialisches, mir ist keine Sekundärliteratur dazu bekannt, die helfen würde, es einzuordnen478. Biran scheint einerseits selbstbewusst, andererseits aber isoliert an seiner Neukonzeption gearbeitet zu haben. Meines Wissens hat er damit keine tiefen Spuren hinterlassen können.

474 Fortschritte der Psychoanalyse, Band I, S. 105. 475 Ebd., S. 107. 476 Ebd., S. 109. 477 Ebd., S. 113. 478 Eine sehr kurze Rezension von Birans Buch „Die funktionelle Analyse der neurotischen Störung“ (1962) von B. Pietrowicz in der Zeitschrift für Psycho-Somatische Medizin, 9.Jg., S. 142 schließt ebenfalls etwas ratlos: „Die gesamte Freudsche Konzeption erscheint aufgearbeitet, korrigiert und in einer überzeugenden Theorie präzisiert“. 161

Eckardt-Horney äußert in ihrem Aufsatz „Psychoanalytic Technique, the Stepchild of Psychoanalysis“479 eine grundsätzliche und harsche Kritik daran, wie die Psychoanalytiker bisher an ihren technischen „Ritualen“ festhielten und bei jeder Veränderung zuerst fragten, ob das noch Psychoanalyse sei, anstatt einzig und allein das Wohl des Patienten in den Vordergrund zu stellen. Sie macht darauf aufmerksam, dass jeder Psychoanalytiker mit seinen subjektiven Erfahrungen und subjektiven Kenntnissen dem Patienten zuhört und dass darin sowohl ein wertvolles therapeutisches Instrument liegt, als aber auch die Möglichkeit, sich zu irren, Vorurteilen aufzusitzen und sogar, das Instrument für eigene Zwecke zu missbrauchen. Psychoanalytiker unterschätzten die Möglichkeit, durch theoretische Einseitigkeit und Voreingenommenheit und durch die Vernachlässigung von Ressourcen des Patienten dem von ihnen abhängigen Patienten Schaden zuzufügen. Jeder Therapeut werde Teil des Ichs des Patienten und es sei entscheidend, dass das Bild, das er dem Patienten spiegelt, seiner gesamten Persönlichkeit Rechnung trage. Obwohl es schwer sei zu akzeptieren, dass wir alle irren können, dürfen wir nicht mehr als nur Hypothesen formulieren, die wir immer wieder überprüfen müssen. Dies gebiete der Respekt für den Patienten und die Komplexität der Aufgabe. Die Psychoanalyse sei ein mächtiges Instrument, das ausschließlich in die therapeutische Praxis gehöre und nicht für private Streits missbraucht werden dürfe. Der Therapeut müsse auch die Angehörigen des Patienten im Blick behalten, die wiederum vom Patienten nicht zur Selbstverwirklichung oder zur Affektabfuhr missbraucht werden dürfen. Eckardt-Horney kritisiert keine bestimmte psychoanalytische Schule, sondern nimmt offensiv eine Gefahr in den Blick, die der psychoanalytischen Methode immanent ist. Sie war, wie Salzman, kein direktes Mitglied der IFPS, sondern Mitglied der American Academy of Psychoanalysis.

Heigl, der erste Generalsekretär der IFPS und Weggefährte von Schwidder in Göttingen, gibt mit dem Aufsatz „Gemeinsamkeiten der Neurosenlehren von Fromm, K. Horney und Schultz- Hencke, verglichen mit der Psychoanalyse S. Freuds“ einen Einblick in den theoretischen Hintergrund seiner persönlichen psychoanalytischen Orientierung. Fromm, Horney und Schultz-Hencke gehörten zu den Schulen, die Freuds Libidotheorie ablehnten und stattdessen den Einfluss der sozialen und kulturellen Bedingungen als wichtiger ansehen als die Entwicklung angeborener Antriebe. Freuds Konzept des Ödipuskomplexes werde von ihnen neu bewertet und eher als eine Entwicklungsstörung betrachtet. Die Bedeutung von Traumata werde von ihnen dahingehend verschoben, dass sie annehmen, chronische Mikrotraumen für die Entwicklung seien schädlicher als einzelne traumatische Einwirkungen. Alle drei gehen davon aus, dass die Persönlichkeit des Menschen nicht ausschließlich durch seine frühe Geschichte bestimmt ist, was es rechtfertigt, in der Therapie nicht die Rekonstruktion der

479 Fortschritte der Psychoanalyse, Band I, S. 141ff. 162

Vergangenheit zu betonen, sondern immer im Kontakt zum aktuellen Konflikterleben des Patienten zu bleiben. Die Weiblichkeitstheorie Freuds werde von ihnen abgelehnt und u.a. der Masochismus als eine „spezielle Form interpersoneller Beziehung“480 betrachtet. Therapeutisch wichtig sei ihnen allen die große Bedeutung des Ichs mit seinen autonomen, synthetischen und Steuerungsfunktionen. Als Quelle menschlicher Motive sehen die drei den Drang nach „produktive(r) Orientierung (Fromm), Streben nach Selbstrealisierung (Horney) und nach Autonomie (Schultz-Hencke)“481 und formulierten demnach ein anderes anthropologisches Konzept als Freud es mit seiner Triebtheorie tat. Heigl gibt damit eine gute Zusammenfassung der Inhalte „dissidenter“ Psychoanalyse, die vorwiegend auf der Ablehnung des Triebkonzepts und der Libidotheorie beruhte.

2.1.2. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band II (1966)

Im zweiten Band sind vorwiegend Vorträge der Amsterdamer Tagung 1962 veröffentlicht. Die Autoren stammen aus Deutschland, Österreich, Holland und den USA.

Caruso hielt seinen bereits im Kapitel I erwähnten Vortrag „Die psychoanalytische Situation als mikro-soziales Modell“, der hier noch einmal kurz zusammengefasst werden soll. Für Caruso steht die Psychoanalyse in einer Reihe mit der Existenzphilosophie und dem Marxismus als eine der drei „großen modernen Denkströmungen“482. Er bedauert, dass die Theorie der Psychoanalyse gegenüber der dialektischen Praxis „allzu oft in undialektischer und idealistischer Weise nachhinkt“483. Die Psychoanalyse solle dringend „nach Ursprung und Auswirkungen ihrer Ideologien forschen“484. Die Übertragung existiere nicht ohne die Gegenübertragung, da sich in der Therapie immer zwei durch ihre persönliche Geschichte, die Gesellschaftsstruktur und die Kultur geprägten Menschen begegneten. Dadurch werde die therapeutische Beziehung auch zu einer interkollektiven Begegnung. Caruso stellt sich mit seiner Auffassung gewissermaßen außerhalb der Dichotomie von „orthodoxer“ und „liberaler“ Psychoanalyse, wenn er sagt: „Orthodoxie und Revisionismus sind die undialektischen Abfallprodukte in der dialektischen Entwicklung der Psychoanalyse“485. Die kulturalistische Schule der Psychoanalyse sei zu einem voreiligen Revisionismus gelangt und habe z.B. mit der Ablehnung des Ödipuskomplexes „die Kontinuität der geschichtlichen Entwicklung“ unterschätzt. Carusos Kritik richtet sich gegen die „klassische Form der Psychoanalyse“

480 Ebd., S. 87. 481 Ebd., S. 90. 482 Fortschritte der Psychoanalyse, Band II, S. 37. 483 Ebd. , S. 38. 484 Ebd., S. 42. 485 Ebd., S. 41. 163 insofern als sie vorwiegend der europäischen und nordamerikanischen Mittelschicht vorbehalten bleibe und über die proletarische Klasse lediglich Vorurteile existieren. Er empfiehlt die Gruppenanalyse als ein demokratisches, preiswertes und soziales Verfahren. Mit seiner selbständigen und philosophisch geprägten Herangehensweise lehnt Caruso einerseits den „gemeinsamen Gegner“ ab, bleibt aber andererseits auf Distanz zu einer möglichen Gruppenbildung der „Revisionisten“ (sein Wiener Arbeitskreis hat sich ebenso wie die DPG um eine Aufnahme in die IPA beworben und ist 2009 aufgenommen worden).

Schwidder war zusammen mit Chrzanowski bis zu seinem frühen Tod 1970 der Motor der IFPS. Sein Vortrag von 1962 „Neue Ergebnisse zur psychoanalytischen Behandlungstechnik“ möchte zum einen die Kollegen mit der, wie er meint, international ungenügend gewürdigten Lehre Schultz-Henckes bekannt machen und zum anderen die Erfahrungen mit klassischen und modifizierten Techniken weitergeben. Schwidder warnt davor, zu intensives Aufdecken von Kindheitserlebnissen zu einem Widerstand in Form einer Flucht in die Vergangenheit und in die Passivität werden zu lassen. Die Bearbeitung aktueller problematischer Situationen führe schneller zu größerer Ich-Stärke und Selbständigkeit. Das Aufdecken von Hemmungen entlaste schneller von Angst und Schuldgefühlen als das Deuten verdrängter Impulse. Es gehe nicht darum, möglichst viele Erinnerungen hervorzuholen, sondern darum, die Erweiterung von Erlebnismöglichkeiten zu fördern. Zusammen mit anderen deutschen Kollegen hat Schwidder die Erfahrung gemacht, dass es für die Therapien nützlich und zeitsparend ist, sich mit den Erwartungen bezüglich Übertragungsreaktionen und Gegenübertragungsreaktionen an den verschiedenen Neuroseformen zu orientieren und entsprechend das therapeutische Vorgehen darauf einzustellen. Die strukturspezifischen Variationen der psychoanalytischen Technik gingen auf Schultz-Henckes „detaillierte Beschreibung der Charakterstrukturen und ihre dynamischen Hintergründe“486 zurück. In den Kliniken würden strukturiertere und kurzfristige Behandlungsmethoden untersucht, z. B. die Gruppentherapie und vor dem Hintergrund des Wunsches nach empirischer Fundierung würden Katamnesestudien durchgeführt. Schwidder gibt hier einen kurzen Überblick über die Arbeit der DPG in den 1950er und 1960er- Jahren. Man sieht, wie gut kompatibel diese deutsche Arbeitsweise und Haltung kompatibel mit der US-amerikanischen ist, die sich an Franz Alexander und den Mitgliedern der American Academy of Psychoanalysis orientiert.

486 Ebd., S. 117. 164

2.1.3. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band III (1968)

Im dritten Band sind ausschließlich Vorträge der Tagung 1965 in Zürich veröffentlicht.

Schwidder stellt in seinem Vortrag „Psychoanalyse und Psychosomatische Medizin – Neue Ergebnisse und heutiger Stand der Forschung“ zunächst fest, dass sich innerhalb der Psychoanalyse zwei Lager gebildet haben, „die zwar in ihren empirischen Ergebnissen weitgehend übereinstimmen, deren theoretische Formulierungen jedoch sehr unterschiedlich sind“487. Die Forscher, die sich streng an Freuds Theorie halten, versuchen, psychosomatische Erkrankungen auf entweder Regression oder Konversion zurückzuführen, während die anderen Forscher, wie etwa Alexander und einige der deutschen Kollegen Schwidders, ein „ganzes Bündel von Bedingungen (…) im Sinne einer Ergänzungsreihe“488 annehmen. Faktoren in diesem Bündel sind die Familie, der soziale und kulturelle Lebensraum, organische und erbliche Elemente. Einzelne schwere Traumen in der Kindheit haben z.B. nur dann psychische Störungen zur Folge, wenn zusätzlich zu den frühen Bezugspersonen problematische Beziehungen bestehen. Diese Aussagen erscheinen sehr modern und erinnern beispielsweise an die heutige Resilienz- und Traumaforschung. Ebenfalls scheint Schwidders Forderung nach der Einbeziehung der Persönlichkeit des Forschers bei der Auswertung der Beobachtungen seiner Zeit voraus zu sein. Er stützt sich hier auf Riemanns Arbeiten über die Auswirkung des Charakters des Psychoanalytikers auf den therapeutischen Prozess.

Westerman-Holstijn gibt mit seinem Vortrag „Aggressivität, Todestrieb, Destruktionstrieb, Sadismus, Machtstreben“ einen Überblick über die Haltung der meisten derjenigen Psychoanalytiker, die der Triebtheorie Freuds skeptisch gegenüberstanden. Er bezweifelt die Existenz eines genuinen Todestriebes und hält es für „realistischer“489, davon auszugehen, dass Aggressivität und Destruktivität Folgen von Frustrationen sind. Aggressivität entstehe aus dem behinderten und frustrierten Lebenstrieb und sei eine „instinktive Abwehr-Reaktion“490. Wenn die frustrierenden Erlebnisse sich wiederholten und die Abwehrreaktion dagegen selbst gehemmt werde, dann passiere es, dass die gestauten Abwehrreaktionen „im Unbewussten zu ständig lebenden Antrieben anwachsen, zu latentem Hass, Bosheit, Wut, zu stets treibenden destruktiven Trieben, die aber sekundär sind“491. In einer gelungenen Psychoanalyse könne man den Hass „fortanalysieren“, die Liebe jedoch nie. Erotik sei ein Urtrieb, während Hass eine gestaute und gestörte Abwehrform sei. Interessant ist, dass

487 Fortschritte der Psychoanalyse, Band III, S. 15. 488 Ebd. , S. 18. 489 Ebd., S. 94. 490 Ebd., S. 95. 491 Ebd., S. 95. 165

Westerman-Holstijn sich in seinem Vortrag explizit Gedanken zu Sadismus und Grausamkeit in den Konzentrationslagern macht. Er kommt zu dem Schluss, dass die kalte Grausamkeit in den KZs nicht Sadismus genannt werden dürfe, da im Sadismus kein Vernichtungswunsch bestehe. Die kalte Grausamkeit in den KZs sei von Menschen begangen worden, die „über einen verstärkten, infantil fixierten Destruktionstrieb verfügte(n)“ und dass das Ideal des Hart- Seins die Verdrängung der letzten mitmenschlichen Gefühle ermöglichte.

2.1.4. „Fortschritte der Psychoanalyse“, Band IV (1970)

Der vierte Band veröffentlicht Vorträge des zweiten Forums 1965 in Zürich, der Arbeitstagung 1968 in Göttingen und des dritten Forums 1969 in Mexiko. In diesem Band sind zum ersten Mal alle Vorträge ins Deutsche übersetzt, während sie zuvor zum Teil auf Englisch, selten auch auf Französisch geschrieben waren.

Chrzanowski hält in seinem Vortrag ein Plädoyer für „Die Berücksichtigung der Familiendynamik in der individuellen psychoanalytischen Behandlung“. Als Vertreter der interpersonellen Psychoanalyse ist er der Ansicht, dass psychische Erkrankungen Ergebnis von gestörter Interaktion und Kommunikation sind und zwar weniger die mit einer einzigen Bezugsperson als vielmehr mit dem gesamten Familiengefüge, in dem der Patient aufwächst. Das gesamte Leben stehe im „Widerhall unserer ursprünglichen Familienatmosphäre“492. Eine gestörte, neurotische oder gar psychotische Beziehungsstruktur zwischen den Eltern beispielsweise präge das spätere Beziehungserleben der Kinder nachhaltig. Chrzanowski macht den unorthodoxen Vorschlag, der Patient solle Fotos von sich und seiner Familie mitbringen, um dem Therapeuten einen deutlicheren Eindruck von den besprochenen Personen zu geben. Eine andere Möglichkeit sei es, einzelne oder mehrere Familienmitglieder zu einer Sitzung mitzubringen. Er gibt eine Reihe von eindrucksvollen Fallbeispielen von Anpassung an einen Familienmythos, Übernahme der Denkstörung von Mutter und Onkel oder Auswirkungen von familiären Denkmustern auf die Ehebeziehung.

Im vierten Band der „Fortschritte“ befinden sich zwei Beiträge, die weniger das Selbstverständnis der IFPS formulieren als vielmehr etwas davon implizit zum Ausdruck bringen. Der eine Beitrag berichtet von den Erfahrungen mit einer bestimmten Form von Gruppentherapie, die an einer Psychotherapeutischen Klinik in Madrid entwickelt wurde, der andere von einer großen Zwillingsstudie in Berlin und in Göttingen. Beide Texte sind praxisnah und konkret auf einen Sachverhalt bezogen und vom Stil her darauf ausgerichtet, andere zu

492 Fortschritte der Psychoanalyse, Band IV, S. 43. 166 informieren und in einen Austausch mit ihnen zu treten. Damit erfüllen sie den Wunsch, der oftmals in den Gründungs- und Entwicklungsjahren der IFPS geäußert wurde. Antonio Campoy Guerrero und Alejandro Gallego Meré beschreiben in dem Vortrag „Intensive Gruppenpsychotherapie“ detailliert, wie sie ihre Gruppen aufbauen, welches Setting sie vorgeben, welche Aufgaben sich auf die beiden Gruppenleiter verteilen und was sie von dem Behandlungsprozess erwarten. Besondere Betonung legen sie auf die Neuerung, zwei Therapeuten zum Einsatz zu bringen. Sie stellen die Vorteile, aber auch die Gefahren dar, die damit verbunden sind. Beide gehen dabei mit einer in der psychoanalytischen Öffentlichkeit nicht gewohnten Offenheit vor und sprechen z.B. von der Gefahr ungelöster Omnipotenzvorstellungen beim Psychoanalytiker, dem „Problem der Ausbildung einer sadomasochistischen Beziehung zwischen den Therapeuten“493 und vom „Problem der Institutionalisierung der Rollenfunktionen“.

Die Studie „100 Zwillingspaare: Ein psychoanalytischer Beitrag zur Ätiologie neurotischer Erkrankungen“ des Humangenetikers P.E. Becker und der Psychoanalytiker H. Schepank (Berlin), H. Schepank (Berlin) und A. Heigl-Evers (Göttingen) wurde auf dem dritten Forum 1969 in Mexico-City vorgestellt und untersucht die Frage, ob und wenn ja, welche Persönlichkeitsanteile bei der Entwicklung von Neurose angeboren sind. Man wollte zur „Klärung der ätiologischen Faktoren bei neurotischen Erkrankungen“494 beitragen und griff dafür auf die Erfahrungen mit rund 50.000 Patienten aus dem Landeskrankenhaus Tiefenbrunn und dem Institut für psychogene Erkrankungen der AOK in Berlin zurück. Anhand von insgesamt 100 Zwillingspaaren, die den Bedingungen der Studie entsprachen, wurde festgestellt, dass „wesentliche erbliche Determinanten bei neurotischer Symptomatik angenommen werden müssen“495 und dass es einzelne psychosomatische Störungen gibt, bei denen eine Erblichkeit wahrscheinlicher ist (z.B. Gastritis, Stottern, Schulleistungsversagen) als bei anderen (z.B. Tics, Phobien, Herzsymptome, motorische Unruhe). Außerdem konnte man „den sicheren Nachweis des Einflusses frühkindlicher äußerer Entwicklungsbedingungen auf die spätere Neurose erbringen“496, wie z.B. eine körperlich oder psychisch kranke Mutter, ein fehlender Vater, körperliche oder intellektuelle Defekte beim Patienten, unerwünschte Geburt, beengte Wohnverhältnisse. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde erwähnt, dass Chrzanowski nach dem Forum in Mexico-City so beeindruckt war von der Komplexität und Individualität der Beiträge der deutschen Mitglieder, dass er beschloss, zusammen mit Spiegel und Feiner Interviews mit den deutschen Kollegen zu führen, die während des Nationalsozialismus im deutschsprachigen Raum geblieben waren.

493 Ebd., S. 143. 494 Ebd., S. 65. 495 Ebd., S. 69. 496 Ebd., S. 70. 167

2.1.5. „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“, Band V (1977)

Der fünfte Band erschien in einem neuen Verlag und trägt einen anderen Titel: „Weiterentwicklungen der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen. Das Irrationale in der Psychoanalyse – Theoretische und klinische Aspekte“. Er enthält zwei Texte vom Forum 1969 in Mexiko, einen vom zweiten Workshop in Madrid 1970 und fünfzehn Beiträge aus dem vierten Forum 1972 in New York. Diesmal wurden die zehn englischen Texte wieder in der englischen Sprache belassen.

Der programmatische Vortrag, den Fromm 1969 auf dem dritten Forum in Mexico-City verlesen ließ, ist oben bereits referiert worden (s. S. 51f.). Auch Schelkopfs Vortrag auf dem vierten Forum in New York über „Analytische und irrationale Aspekte politischer Verführung und Verführbarkeit“ wurde bereits diskutiert (s. S. 102f.).

Paul Matussek stellt in seinem Vortrag „Ideologie und Glaube“ seine Untersuchung an über 200 KZ-Überlebenden vor, in der er nach „Beziehungen zwischen der Persönlichkeitsentwicklung, Belastungen im Konzentrationslager und der Art der Beschwerden nach der Befreiung“497 suchte. Er fand heraus, dass Personen, die von Ideologien geprägt waren, aus disharmonischen Familien stammten, in denen der Vater streng und autoritär war, dass sie angesichts von Verfolgung relativ angstlos reagierten, dass sie sich entweder mit Gleichgesinnten zusammenschlossen oder isoliert blieben und überzeugt waren, die politische Überzeugung habe ihnen geholfen, im KZ zu überleben. Nach der Befreiung zeigten sie sich misstrauisch und isoliert, aber nicht psychisch gestört und klagten eher politische Systeme an als konkrete Personen. Matussek folgert, ein „ideologisch gestalteter Glaube“ trage zwar zu einer größeren Belastbarkeit bei, jedoch nur um den Preis der Einengung menschlicher Beziehungen und einer Isolation. Am Ende seiner Ausführungen zählt Matussek einige Widersprüche innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft auf, die er dem „Irrationalen in der Psychoanalyse“ zuordnet: „Man denke nur an die altbekannten Rivalitäten zwischen den Schulen, die immer wieder beklagten Streitigkeiten zwischen Mitgliedern eines Instituts, das Bewusstsein der Auserwähltheit, das Pochen auf Rechtgläubigkeit, die Unkenntnis anderer psychotherapeutischer Methoden, mangelnde Bereitschaft zur Verbesserung der Theorie, Unfähigkeit zur empirischen Kontrolle der eigenen Befunde.“498

Ein bis heute singulärer und etwas befremdlicher Beitrag zum Irrationalen in der Psychoanalyse ist der von Fritz Riemann über „Psychoanalyse und Astrologie“. Er soll hier Erwähnung finden, weil er von einer vielleicht überweiten Toleranz innerhalb der IFPS zeugt

497 Weiterentwicklungen der Psychoanalyse, Band V, S. 73. 498 Ebd., S. 75. 168 und in der außeranalytischen Öffentlichkeit viel Resonanz gefunden hat. Riemann ist der Meinung, die Astrologie könne der Psychotherapie gute Dienste leisten, da durch das Horoskop Aussagen über die ursprüngliche Natur, die „Grundstruktur“ des Individuums getroffen werden könnten, bevor es von der Umwelt und der Erziehung überformt wurde. Er sieht im Horoskop ein „Konzept für die schicksalhafte Eigenformel eines Menschen“ mithilfe dessen er etwa suizidale Krisen der Patienten versuchen könne vorherzusehen und Entwicklungskrisen der Patienten nicht mit Widerstand oder Regression verwechseln müsse. Auch bezüglich der Gegenübertragung könne man durch einen Vergleich des eigenen mit dem Horoskop des Patienten Prognosen treffen, die Missverständnisse vermeiden könnten. Die Kenntnis des eigenen Horoskops reiche jedenfalls über das hinaus, „was wir durch die Lehranalyse über uns erfahren können“499.

2.1.6. „Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen“, Band VI (1977)

Der sechste und letzte der Bände trägt den Untertitel: „Individuum – Familie – Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit“. Bis auf zwei der insgesamt 36 Vorträge und Kommentare sind alle vom V. Internationalen Forum der IFPS 1974 in Zürich. Dieser Band ist der umfangreichste von allen. Die Autoren kommen aus Deutschland, den USA, der Schweiz, Spanien, Österreich, Brasilien, Schweden, Kanada, Finnland, Israel und Frankreich.

Ferdinand Knobloch und Irina Knobloch waren 1968 mit ihrer psychoanalytischen Gesellschaft der IFPS beigetreten, als sie noch in Prag lebten. Beide wanderten nach Vancouver in Kanada aus und richteten eine neue Klinik und eine neue psychoanalytische Gesellschaft ein. Sie arbeiteten mit Patienten, die unter Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und psychosomatischen Symptomen litten und therapierten sie mit Psychoanalysen Gruppentherapie, Familientherapie und Psychodrama. Sie nannten ihren Vortrag „Towards an Integrated Theory of Curative Factors in Psychoanalysis, Familiy and Group Therapy“. Die Grundlage der verschiedenen Therapiemethoden war die Analyse von Übertragung und Widerstand. Hintergrund ihres Vorgehens war immer der Versuch, die verschiedenen Therapiemethoden mit den Methoden der Psychoanalyse zu vergleichen. Sie fanden, dass non-verbale und körperbetonte Methoden den therapeutischen Prozess beschleunigten und außerdem die Möglichkeit boten, neue Verhaltensweisen zu erproben und zu lernen. Der Einsatz von Methoden, die die Abreaktion, z.B. an imaginierten Eltern zum Ziel hatten, konnte zwar korrigierende Erfahrung ermöglichen. Die Autoren konnten diesen Ansatz jedoch bisher

499 Ebd., S. 267. 169 noch nicht mit der Psychoanalyse der Übertragung vergleichen. Sie untersuchten die Abreaktion näher und definierten sie als die Öffnung von zuvor gehemmten Automatismen, bzw. Instinktmechanismen, z.B. die Fähigkeit zu weinen, lachen, lieben oder sich zu ärgern. Die Autoren plädieren für eine Zusammenarbeit mit den Ethologen, um mehr über die Verhaltensursachen von Menschen herauszufinden und die Erkenntnisse dann für die Psychotherapie zu verwenden. Sie sind sich jedoch darüber bewusst, dass dieses Vorgehen in der psychoanalytischen Öffentlichkeit auf wenig Zustimmung stößt. Dieser Beitrag zeigt etwas von der Offenheit gegenüber anderen Therapieformen und anderen Humanwissenschaften innerhalb der IFPS.

Ruth Moulton aus New York stellt mit „Women with Double Lives“ ihre Erfahrungen mit der Therapie von berufstätigen Frauen vor, die die gewohnten Verhaltensmuster der Ehefrauen und Mütter verlassen und neuen Herausforderungen, Anfeindungen und Versuchungen begegnen. Sie wünschen sich eine respektvolle, liebevolle und interessierte Partnerschaft und finden diese oft nicht in ihren Ehen. Sie reagieren mit Unzufriedenheit und gehen häufig außereheliche Beziehungen ein. Moulton fand in den Behandlungen eine stark ambivalente Beziehung zum Vater, der die Tochter zunächst in ihren Fähigkeiten bestärkte und dann später nicht mehr unterstützte als sie erwachsen wurde. Ebenfalls sah sie häufig eine negative Identifizierung mit der Mutter, die sich von den Unabhängigkeitswünschen der Tochter bedroht fühlte und diese zu vereiteln trachtete. Der dritte Aspekt bei den Problemen der Frauen war ein gut verstecktes, aber tiefsitzendes Abhängigkeitsbedürfnis. So fanden die Frauen in ihren Eltern, besonders im Vater nicht die Art Unterstützung, die sie zur Veränderung alter Rollenmuster dringend gebraucht hätten. In den außerehelichen Beziehungen suchten einige von den Frauen diese gute väterliche Figur. Erschwerend kamen ablehnende Reaktionen von männlichen Kommilitonen und Professoren hinzu, die die Ambitionen der Frauen entwerteten. Einige Frauen suchten in den Affären die Wertschätzung, die sie für ihre beruflichen Leistungen nicht bekamen. Diese Studie ist ein Beispiel für die Perspektive auf psychische Symptomatik, die neben den innerpsychischen auch familiäre und gesellschaftliche Faktoren miteinbezieht. Auf diesem Forum kam diese Dimension in der Haltung vieler IFPS- Gesellschaften besonders klar zum Ausdruck.

170

2.2. Verbindendes zwischen den IFPS-Gesellschaften

Die Beiträge, die in den vorhergehenden Abschnitten referiert wurden, geben einen Eindruck der Heterogenität der Ansätze und Schwerpunkte innerhalb der IFPS. Da die einzelnen Gesellschaften in der IFPS nicht gezwungen waren, sich auf ein einheitliches Ausbildungskonzept zu einigen und sich ganz unterschiedliche psychoanalytische Kulturen in den Instituten entwickelt hatten, bleibt die Heterogenität ein Merkmal der IFPS bis heute. Zunächst sei dargestellt, was den verschiedenen Ansätzen trotz der Heterogenität gemeinsam ist.

Eine der Gemeinsamkeiten, die alle Mitgliedsgesellschaften verbindet, ist die Suche nach psychoanalytischen und psychotherapeutischen Methoden, die an speziellen Bedürfnissen bestimmter Patientengruppen orientiert sind. Die meisten IFPS-Psychoanalytiker entwickelten Konzepte für Gruppentherapien und Familientherapien, Kurzzeittherapien und interaktionelle Ansätze. Hintergrund dafür war einerseits eine klare Ausrichtung auf die verschiedenen Bedürfnisse der Kranken, die besonders in der DPG, bei Chrzanowski und Eckhardt-Horney zu sehen ist. Viele versuchten zum Beispiel bereits früh, die Psychoanalyse auf Behandlungen mit Psychotikern anzuwenden. Eine Anpassung der Methode an das Leiden des Kranken wurde von ihnen als notwendig angesehen und nicht als unzulässige Veränderung der psychoanalytischen Grundsätze. Der andere Hintergrund ist eine gemeinsame Perspektive auf gesellschaftliche, familiäre und kulturelle Einflüsse, die als entscheidend wichtig für die Entstehung und Aufrechterhaltung von pathologischen Zuständen betrachtet wurden. Dies ist über lange Zeit ein Unterschied zu der Sicht der sogenannten orthodoxen Psychoanalyse, die weitgehend auf das innerpsychische Geschehen und die intrapsychischen Triebkonflikte konzentriert blieb. Die interpersonelle Sicht auf die Persönlichkeits- und Störungsentwicklung ist den sogenannten Dissidenten, basierend auf den Arbeiten von Ferenczi, Sullivan und Thompson früh ein wichtiges Anliegen gewesen. Zu dieser Sicht gehört grundsätzlich die Gewichtung von Umwelt, Familie, Gesellschaft, Politik, Kultur, aber auch das Einbeziehen der Gegenübertragung des Therapeuten. Die Persönlichkeit des Psychoanalytikers, seine Gedanken und Gefühle und seine Probleme spielen immer wieder eine Rolle in den Texten der IFPS-Mitglieder. Dies ging konsequent aus dem interpersonellen Ansatz hervor, der sich skeptisch gegenüber einer übergroßen Neutralität und Abstinenz des Psychoanalytikers verhielt und den therapeutischen Prozess von Beginn an als ein abhängiges Geschehen zwischen zwei Persönlichkeiten ansah. Die Methode der Psychoanalyse wurde unter dieser Perspektive als kritisierbar und veränderungswürdig betrachtet. Die Person Freuds und seine Lehre wurden bei den IFPS-Mitgliedern weit weniger zum Identifikationskern der beruflichen Haltung als es bei den IPA-Mitgliedern tendenziell der Fall war. Das Thema der Identität des Psychoanalytikers, die bis heute bei vielen Psychoanalytikern als grundsätzlich wichtiger

171

Faktor für eine gute therapeutische Arbeit angesehen wird, findet bei den IFPS-Mitgliedern selten Erwähnung. Von vielen der sogenannten Dissidenten haben früh schon Freuds Weiblichkeitstheorie und die Libidotheorie kritisiert und als Konzept für die Behandlungen und die Entwicklungslehre abgelehnt. Auch bezüglich der ausschließlich deutenden und auf die Vergangenheit bezogenen Behandlungsmethode wird Kritik geübt. Auch wird die Arbeit an den aktuellen Konflikten und das Aufdecken von Hemmungen dem Deuten von weit zurückliegenden Beziehungsmustern vorgezogen. Heigl und Schwidder von der DPG sind hier Repräsentanten dieser Haltung und beziehen sich dabei auf Schultz-Hencke. Die meisten IFPS-Psychoanalytiker lehnten auch Freuds Todestriebtheorie ab und fanden familiäre und gesellschaftliche Gründe für die Entstehung von Destruktivität einleuchtender.

Andere hatten die gleichen Bedenken, gewichteten aber die einzelnen Aspekte anders. So stellt zum Beispiel Caruso ebenfalls das anthropologische Konzept der „orthodoxen“ Psychoanalyse in Frage, wenn er weit mehr als Freud den Einfluss des Gesellschaftlichen betont. Er möchte jedoch das Konzept des Ödipuskomplexes beibehalten und nennt dessen Ablehnung einen „voreiligen Revisionismus“.

Auch der Wunsch, die eigenen Ergebnisse über Studien wissenschaftlich abzusichern, vereinte viele der IFPS-Mitglieder. Hiermit waren sie den IPA-Kollegen nicht wirklich voraus, da diese ebenfalls vereinzelt Wirksamkeitsstudien vorlegten, zum Beispiel wurde oben die Menninger-Studie erwähnt. Man kann jedoch sagen, dass die Bereitschaft, sich wissenschaftlichen Standards zu unterwerfen und Behandlungserfolge durch Studien abzusichern, bei den IFPS-Mitgliedern insgesamt größer war als bei den „orthodoxen“ Kollegen. An diesem Punkt muss beispielhaft wieder die DPG erwähnt werden, die ihre vielen kleinen und größeren Forschungsarbeiten regelmäßig in der „Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse“ veröffentlichte. Die großangelegte Katamnesestudie von Dührssen, die maßgeblich dazu beitrug, die Psychoanalyse in den Leistungskatalog der bundesdeutschen Krankenkassen aufzunehmen, wurde ebenfalls oben vorgestellt. Die große Zwillingsstudie von drei DPG-Psychoanalytikern wurde hier als Beispiel für dieses Anliegen angeführt.

Ein weiterer zentraler Punkt der IFPS ist die Toleranz für eigenwillige und eigenständige Arbeiten. Beispiele hierfür sind die Texte von Biran und Riemann über ein grundsätzlich verändertes Strukturkonzept für die Psychoanalyse und die Nutzung von astrologischen Daten für die Diagnose und die Behandlung. Während Birans Konzept vermutlich auch für Kollegen schwer nachvollziehbar war, entsprach Riemanns Vorschlag, Horoskope in die Behandlung einzubeziehen einem populärwissenschaftlichen Bedürfnis und wurde von einer breiten nicht- psychoanalytischen Öffentlichkeit interessiert verfolgt. Ein ähnlich breites Interesse außerhalb der psychoanalytischen Community fanden die vielen Arbeiten Fromms. Möglicherweise ist 172 aus den beiden letztgenannten Beispielen abzuleiten, dass den IFPS-Mitgliedern mehr an einer Vermittlung der Psychoanalyse in andere Fachgebiete und in die interessierte Öffentlichkeit gelegen war, als man dies von dem oft recht eingeschworenen Kreis der „orthodoxen“ Kollegen sagen kann. Dafür spricht auch das Bemühen, einen Austausch mit den Nachbardisziplinen herzustellen. Bei den Tagungen kam dieses Anliegen zwar weniger zum Ausdruck, da die veröffentlichten Vorträge ausschließlich von Psychoanalytikern kamen. In den Texten aber tauchen Hinweise auf Erkenntnisse der Ethologen, Philosophen, Soziologen auf, die mit eigenen Ansätzen in Verbindung gebracht werden.

2.3. Abschließende Diskussion

In der IFPS trafen die psychoanalytischen Institute und Gesellschaften zusammen, die seit den 1960er Jahren keine Aufnahme in die IPA fanden oder diese Mitgliedschaft nicht wollten. Da die IPA sich zeit ihres Bestehens als die Bewahrerin der wichtigsten Grundsätze der Psychoanalyse und als Hüterin von Freuds Erbe betrachtete, gerieten alle Psychoanalytiker, die ihr nicht angehörten, in den Verdacht, nicht die „wahre“ Psychoanalyse auszuüben. Die überwiegende Mehrheit der Psychoanalytiker überall auf der Welt sieht dies bis heute so, trotz der paradoxerweise glaubhaften Beteuerungen, die IPA sei viel heterogener und toleranter geworden als sie es früher war. Wahrscheinlich ist es so, dass die IPA zwar toleranter und offener geworden ist, dies jedoch überwiegend auf ihre eigenen Mitglieder bezogen. Einzelne IPA-Mitglieder sind inzwischen ebenfalls Mitglieder in der IFPS oder halten Vorträge auf den Foren der IFPS. Von einer offiziellen Ablehnung der IPA gegen die IFPS kann man heute nicht mehr sprechen. Psychoanalytische Ansätze außerhalb der IPA werden von deren Mitgliedern jedoch wohl weiterhin kaum oder mit großer Skepsis betrachtet. Dazu passt auch die Beobachtung, dass die Theorien von Fromm, Caruso oder Sullivan nach wie vor kaum eine Rolle in der IPA-nahen Psychoanalyse spielen.

Die IFPS wurde 1962 gegründet, zu einer Zeit, in der es außer der IPA keine größere internationale psychoanalytische Vereinigung gab. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich dies geändert. Innerhalb der IPA hat es Auseinandersetzungen gegeben, die nicht mehr zu Spaltungen führten. Zum Beispiel hat Kohut die Freudsche Lehre in seiner Selbstpsychologie so weit verändert, dass viele das Ergebnis nicht mehr als Psychoanalyse anerkennen wollten. Kohut blieb dennoch in der IPA und seine Schule hat sich längst etabliert und 1981 auch eine eigene internationale Vereinigung gegründet, die International Association for Psychoanalytic Psychology. In die Selbstpsychologie und später die Relationale Psychoanalyse und die Intersubjektive Psychoanalyse sind viele Gedanken, Erkenntnisse und Haltungen 173 eingeflossen, die in den 1940er bis 1960er-Jahren nur außerhalb der IPA, bei den sogenannten Dissidenten zu finden waren. Viele von ihnen waren Mitglieder der IFPS oder fühlten sich ihr nahe. Diesen Zusammenhang haben unter anderen 2011 einige Mitglieder der Archivkommission der IFPS im „Forum der Psychoanalyse“ herausgearbeitet. Frank-Rieser, Conci und Funk zeigten in den Werken von Caruso, Sullivan und Fromm die Vorläufer der Intersubjektiven Psychoanalyse auf und markierten zugleich die Differenzen zu den heute weit verbreiteten Grundannahmen der modernen Psychoanalyse.

Frank-Rieser betonte Carusos Erfahrungen mit den psychoanalytischen Ausbildungsinstituten in Lateinamerika, die ihm deutlich gemacht haben, wie eng die psychische Entwicklung mit den sozialen Verhältnissen verbunden ist: „In den 1960er und 1970er Jahren differenzierte Caruso seine Ansichten über die Verschränkung von sozialer und psychischer Entwicklung, von Narzissmus und Objektbeziehung als Entwicklung psychosozialer Identität unter wechselnden gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und analysierte die Folgen für die psychoanalytische Methodik. (…) Er bezog immer mehr soziologische und materialistische Theorien der Sozietät (insbesondere H. Horkheimer, T.W. Adorno, H. Marcuse, K. Marx, C. Levi-Strauss) mit ein, begriff die individuelle psychosoziale Entwicklung als Teil der Entwicklung der Gesellschaft und analysierte die Wirkung von ökonomischen und politischen Bedingungen auf die Identität und das Unbewusste des einzelnen Individuums“500. Carusos interdisziplinärer Ansatz hatte ihn Anfang der 1960er Jahre den Austausch mit „anderen soziopsychoanalytischen Sichtweisen auf die menschliche Entwicklung“501 suchen lassen, was zur seiner Teilnahme an der Gründung der IFPS führte.

Fromm verfolgte einen ganz ähnlich ausgerichteten Weg mit seinem sozialpsychoanalytischen Ansatz, den Funk mit den Annahmen der Intersubjektiven Psychoanalyse vergleicht: „Das Besondere am psychoanalytischen Ansatz Fromms ist darin zu sehen, dass er den Menschen als schon immer bezogenes Wesen begreift und dass er diese primäre Sozialität nicht nur im Sinne des Interaktionssozialen als vorgängige Bezogenheit auf andere Einzelne versteht, sondern als eine allen konkreten Beziehungsaufnahmen vorausliegende gesellschaftliche Bezogenheit, die im Gesellschaftscharakter ihre psychische Repräsentanz hat. (…) Damit hat Fromm in der Tat ein neues und anderes Verständnis von Individuum und Gesellschaft in die Psychoanalyse eingeführt. Mit ihm lässt sich das soziale Bezogensein des Menschen auf eine Weise verstehen, die weit über das intersubjektive Paradigma hinausgeht“502. Diese letzte Bemerkung Funks ist zugleich eine Kritik an der Geschichtsvergessenheit der Intersubjektiven

500 Frank-Rieser, E. (2011), „Symbolisierung“ als intersubjektive und intrapsychische Dynamik. Igor A. Carusos historischer Ansatz einer Intersubjektivität der Psychoanalyse. Forum der Psychoanalyse, Band 27, Heft 2, Springer Medizin, S.135f. 501 Ebd., S. 137. 502 Funk, R. (2011), Mehr als Intersubjektivität. Der sozialpsychoanalytische Ansatz von Erich Fromm. Forum der Psychoanalyse, Band 27, Heft 2. Springer Medizin. S.156. 174

Psychoanalyse, die ihre Vordenker immer noch nicht in ihrer Gesamtheit anerkenne und auch die Entwicklung des Menschen nicht wirklich – so wie Fromm es tat – als „mit der sozialen Umwelt verbunden“ betrachtet503.

Sullivan, mit dem Fromm ab 1935 in Kontakt stand504, wird hingegen in den verschiedenen historischen Betrachtungen der Intersubjektiven Psychoanalyse jedesmal als einer der Vorläufer angegeben, meist neben Ferenczi, Fairbairn, Winnicott und Hans Loewald. Conci beschreibt Sullivan als einen „Pionier eines neuen Konzepts der Gegenübertragung (…) und der Ich-Funktion“ und erklärt: „Sullivan hat die klinischen, entwicklungspsychologischen, technischen und interdisziplinären Voraussetzungen entworfen, die hinter der gegenwärtigen intersubjektiven Sichtweise der Psychoanalyse stehen.505 Indem Sullivan seinen neuen therapeutischen Ansatz auf psychotische Patienten anwandte und seine Klinik auf die Interaktion von Patient und Therapeut basierte, habe er sich über Freud hinausbewegt506.

Besonders in den Überlegungen von Frank-Rieser und Funk wird deutlich, dass die Vorarbeit zu den heutigen intersubjektiven Positionen der Psychoanalyse zu einem guten Teil für die dissidenten Ansätze proklamiert werden. Darüber hinaus wird jedoch betont, die Intersubjektive Psychoanalyse gehe nicht weit genug und lasse den wichtigen Punkt der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Einflüsse auf die Entwicklung von gesunder Persönlichkeit und Psychopathologie unbeachtet, die zum Beispiel Caruso und Fromm herausgearbeitet hatten. Dies ist tatsächlich der Fall. Nach wie vor tauchen diese Art Einflüsse auch in den neuen Theorieansätzen zu einzeltherapeutischen Methoden kaum auf. In den psychodynamischen Gruppentheorien ist dies anders, hier werden häufiger die kulturellen, politischen oder geschichtlichen Voraussetzungen der Gruppenmitglieder und deren Interaktion und Wechselwirkung untersucht. Es ist interessant, dass die Methode der Gruppentherapie in der IFPS von Beginn an eine große Rolle spielte. Durchgehend wurden Erfahrungen mit verschiedenen Varianten der Gruppentherapie in Vorträgen mitgeteilt. Die Mitglieder der IFPS waren nicht die einzigen, die mit Gruppen arbeiteten. Auch in der IPA gab es Einzelne, die diese Therapieform ausübten, insbesondere S.H. Foulkes (1898-1976) und (1897-1979).

Betrachtet man die Entwicklung der psychoanalytischen Bewegung mit einigem Abstand, stellt man fest, dass seit ihrem Beginn von den verschiedenen Psychoanalytikern unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden. In Freuds früher sogenannter Mittwochsgesellschaft, einer Zusammenkunft der ersten Schüler Freud in seiner Wohnung, nahmen Ärzte teil, die die

503 Ebd., S. 152f. 504 Ebd., S. 154. 505 Conci, M. (2011), Sullivan und die intersubjektive Sichtweise. Forum der Psychoanalyse, Band 27, Heft 2. Springer Medizin. S. 149. 506 Ebd., S. 141. 175

Psychoanalyse vorwiegend therapeutisch anwandten, z.B. Isidor Sadger507 und es gab andere, die in der Psychoanalyse mehr das philosophische und anthropologische Potential schätzten. Wie am Ende des Kapitels 2.1. bereits erwähnt, kann man diese Linien bis heute finden, überall auf der Welt. Manche psychoanalytischen Schulen konzentrieren sich mehr auf den geisteswissenschaftlichen Aspekt der Psychoanalyse und integrieren Anteile der Philosophie und Linguistik, wie die Lacan-Schule in Frankreich. Andere vertiefen den klinischen, methodischen, therapeutischen Bereich, wie die Schule Melanie Kleins und die DPG im untersuchten Zeitraum. Die Psychoanalyse ist unter allen psychotherapeutischen Ansätzen die Methode, die mit Abstand das differenzierteste Menschenbild bietet und zu vielen geisteswissenschaftlichen Bereichen Beiträge geliefert hat. Die Beschaffenheit des Menschenbildes variiert jedoch zwischen den psychoanalytischen Schulen zum Teil erheblich. In der Auseinandersetzung zwischen den „orthodoxen“ und den „dissidenten“ Psychoanalytikern in den 1950er und 1960er Jahren kommt das gut zum Ausdruck. Wo Horney, Fromm und Sullivan mit der Ablehnung des Todestriebes und der Libidotheorie und der weit größeren Einbeziehung des Einflusses der Außenwelt einen optimistischeren und pragmatischeren Zugang zu Therapie und Menschenbild propagierten, beharrten die „orthodoxen“ Psychoanalytiker mit der Triebtheorie auf einer mehr deterministischen und tendenziell pessimistischen Sicht. Diese Unterscheidung zwischen „orthodoxen“ und „liberalen“ Psychoanalytikern ist im Laufe der Jahrzehnte immer mehr verblasst, indem die „Orthodoxen“ sich differenzierten und Akzente und Varianten zuließen, die früher den „Dissidenten“ zugeordnet worden wären.

Wenn man jedoch die Heterogenität der Ansätze innerhalb der IFPS genauer betrachtet, dann findet man ähnlich viele Unterscheidungen wie innerhalb der IPA, die zu keinem Zeitpunkt wirklich so homogen „orthodox“ war, wie es die Debatte um den Unterschied zwischen Psychoanalyse und Psychotherapie in den 1950er Jahren suggeriert. Beispielsweise ist auch innerhalb der IPA die Todestriebtheorie immer umstritten gewesen und ist dies bis heute. In den 1940er Jahren erklärte Fairbairn, der Mensch suche in erster Linie das Objekt und nicht die Triebbefriedigung. Auch die IFPS hat bis heute zwar bestimmte Schwerpunkte und ist beispielsweise stärker intersubjektiv orientiert als die IPA, aber in sich auch so heterogen, dass es sich eigentlich um Schattierungen handelt und nicht um klare Grenzen. Es gibt allerdings einen tatsächlich bedeutsamen Unterschied zwischen der IFPS und der IPA, der nicht im Inhaltlichen, sondern im Formalen liegt, aber inhaltliche Konsequenzen hat: Die IFPS legt nur sehr allgemeine Standards als Voraussetzung einer Mitgliedschaft fest und überlässt jeder Mitgliedgesellschaft ihre eigenen Ausbildungskriterien. Die IPA setzt zentral die Ausbildungsstandards fest und verlangt von ihren Mitgliedern und den Instituten deren

507 Siehe Huppke, A. und Schröter, M. (2006) (Hg.), , Sigmund Freud, Persönliche Erinnerungen, edition diskord, Tübingen. 176

Einhaltung, auch wenn es für einzelne Länder inzwischen Ausnahmen gibt508. Die Folge der großen Toleranz innerhalb der IFPS besteht aber in einem Mangel an konsequenter Auseinandersetzung über den Wert und die Bedeutung der Veränderungen und Entwicklungen innerhalb der Theorie und der therapeutischen Anwendung. Da es keine gemeinsamen Ausbildungsstandards gibt, gibt es auch keine Notwendigkeit, sich zu einigen. Keiner muss den anderen vom Wert seines Ansatzes überzeugen, keiner muss ihm dessen Unrichtigkeit nachweisen509. Hiermit ist zwar ausgeschlossen, dass Dogmen benutzt werden, um andere Gruppen in Frage zu stellen, ihre Theorien zu entwerten oder sie aus der größeren Gruppe auszuschließen. Aber der Nachteil ist die weit geringere Kohärenz in der IFPS und vielleicht auch eine mangelhafte Ausarbeitung einzelner Ideen und Entwicklungen, die durch eine intensive Gruppendiskussion, in der eine Einigung erzielt werden muss, hätten vertieft werden können. Eine geringere Kohärenz bedeutet auch eine geringere Identifizierung mit der Organisation und eine Unmöglichkeit, sie zu idealisieren. Die IFPS hat in der Gründungszeit und während der ersten zwanzig Jahre ein gewisses Potential zur Idealisierung geboten, da manche Mitglieder sich ausdrücklich gegen die IPA positionierten. Beispielsweise waren Fromm, Chrzanowski und Westerman-Holstijn (der wie erwähnt nie Mitglied der IFPS wurde, die Gründung aber maßgeblich förderte) der IPA gegenüber kritisch bis ablehnend eingestellt. Im Laufe der Jahrzehnte wechselten immer wieder wichtige und große IFPS-Gesellschaften zur IPA über: Die Swedish Society for Holistic Psychotherapy and Psychoanalysis, die deutsche DPG, der Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie, vor kurzem das William Alanson White Institute. Das zeigt die ungebrochene Strahlkraft der traditionsreichsten und mit Freud scheinbar direkt verbundenen psychoanalytischen Organisation. Wer hier Mitglied ist – und jeder ist sowohl individuell als auch über seine Gesellschaft Mitglied -, der steht in einer Generationsfolge in der psychoanalytischen Bewegung, die mit Freud und seinen ersten direkten Schülern begann. Diese Vorstellung löst in den meisten Psychoanalytikern eine Faszination aus, die von der IFPS nicht annähernd befriedigt werden kann. Von außen gesehen hat diese Faszination und die Idealisierung, die damit verbunden ist, irrationale und verwunderliche Züge. Die meisten der heutigen nicht-psychodynamischen psychotherapeutischen Schulen und auch die meisten anderen wissenschaftlichen Richtungen sind nüchterner und machen sich weniger Gedanken um ihre spezifische Haltung zu ihrer Methode und die Identifizierung mit deren Begründern.

Bei der Aufarbeitung der Geschichte der IFPS wurde deutlich, dass unter den Nicht-IPA- Psychoanalytikern die Identifizierung mit Freud und seiner Lehre geringer ausgeprägt war und

508 Zum Beispiel wird die ansonsten strikte Forderung nach der 4-stündigen Frequenz der psychoanalytischen Behandlung und Lehranalyse in einigen südamerikanischen Ländern aufgrund mangelnder finanzieller Mittel bei den Patienten und Ausbildungskandidaten auf drei Sitzungen reduziert. 509 Diese Einschätzung verdanke ich Michael Ermann, der über 30 Jahre Funktionen in der IFPS ausgeübt hat (Interview am 21.3.2017). 177 die Bereitschaft größer, einzelne Theorieteile in Frage zu stellen und zu verändern. Dieser Umstand muss kein Nachteil sein, da die Freiheit des Denkens durch Identifizierungen natürlicherweise eingeschränkt wird. In Bezug auf einige theoretische Entwicklungen in der Psychoanalyse kann man vielleicht die Behauptung aufstellen, dass sie außerhalb des „orthodoxen“ Rahmens gefunden und vorbereitet wurden, zum Beispiel in der IFPS, und dann innerhalb der IPA in vielen Auseinandersetzungen vertieft und mit Freuds Lehre kompatibel gemacht wurden.

Ermann diskutiert in seinem Beitrag zum 50jährigen Bestehen der IFPS die Frage der Identität der IFPS, nachdem das Anliegen, mit Liberalität und Pluralismus einen Gegenpart zur konservativen IPA zu bieten, durch die zunehmende Toleranz innerhalb der IPA obsolet geworden sei510. Er plädiert dafür, heute anstatt auf Differenz lieber auf die Gemeinsamkeiten zu setzen und innerhalb und außerhalb von IPA und IFPS die neuen, wegweisenden Erfahrungen der Psychoanalyse und ihrer Nachbarwissenschaften mit der Intersubjektivität in der Entwicklung von Persönlichkeit und Psychopathologe weiter voranzutreiben. Mir erscheint dieser versöhnliche Vorschlag zugleich vernünftig zu sein. Die psychoanalytische Bewegung der Vergangenheit ist heute wenig zeitgemäß, da die Wissenschaften sich zunehmend vernetzen und die Untersuchungsmethoden sich verfeinern und immer wieder zu wichtigen neuen Erkenntnisse führen. Die psychoanalytische Bewegung hatte den Sinn, die junge Wissenschaft zu schützen. Sie hatte jedoch den Nachteil, dass sich die einzelnen Gruppen einigelten und gegeneinander und gegen vermeintliche „Feinde“ Ignoranz übten. Altmeyer meint, der in der psychoanalytischen Bewegung beklagte Verlust des „common ground“ habe „vor allem damit zu tun, dass sie statt durch Wissen durch Bekenntnisse zusammengehalten worden ist“511. Die Psychoanalyse habe die Aufgabe, zu einer normalen Wissenschaft zu werden, die Evidenzen für ihre Konzepte zu sammeln, ihre Ideen empirisch zu prüfen und ihre Befunde nach wissenschaftlichen Standards zu evaluieren512. Um zu einer von allen psychoanalytischen Schulen anerkannten „Kerntheorie“513 zu kommen, sieht auch Altmeyer keinen Weg an den intersubjektiven Befunden von Hirnforschung und Säuglingsforschung vorbei.

510 Ermann, M. (2014), The changing face of psychoanalysis and the development of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, Vol. 23, No.2, S. 69ff. 511 Altmeyer, M. (2011), Soziales Netzwerk Psyche. Versuch einer Standortbestimmung der modernen Psychoanalyse. Forum der Psychoanalyse Band 27, Heft 2, S. 109. 512 Ebd. 513 Ebd., S. 110. 178

ANHANG

Verzeichnis der Abkürzungen

APA American Psychoanalytic Association DGPT Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie DPG Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft DPV Deutsche Psychoanalytische Vereinigung IFPS International Federation of Psychoanalytic Societies IPA International Psychoanalytic Association (deutsch auch: IPV Internationale Psychoanalytische Vereinigung) WAWI William Alanson White Institute WAWS William Alanson White Psychoanalytic Society WPV Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

179

Bibliographie

Adorno, Theodor W. (1986): Die revidierte Psychoanalyse, in: ders., Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Herausgegeben von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Band 8. Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Alexander, Franz (1954): Psychoanalysis and Psychotherapy, Journal of the American Psychoanalytic Association, 2.

Alexander, Franz; French, Thomas (Hg.)(1946): Psychoanalytic Therapy. Ronald Press, New York.

Alexander, Franz (1950): Analyse der therapeutischen Faktoren in der psychoanalytischen Behandlung. In: Psyche, 4.Jg. Klett-Cotta, Stuttgart.

Altmeyer, Martin (2011): Soziales Netzwerk Psyche. Versuch einer Standortbestimmung der modernen Psychoanalyse. Forum der Psychoanalyse Band 27, Heft 2. Springer, Heidelberg.

Baumeyer, Franz (1971): Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 17. Jg. Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen.

Beese, Friedrich (1970): Bericht über das II. Workshop des Internationalen Psychoanalytischen Forums in Madrid 1970. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin 17.Jg. Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen.

Bergmann, Martin (1993): Reflections on the History of Psychoanalysis. Journal of the American Psychoanalytic Association, 41.

Bergmann, Martin S. (Ed.)(2004): Understanding Dissidence and Controversy in the History of Psychoanalysis; e-book unter [email protected].

Bibring, Edward (1954): Psychoanalysis and the Dynamic Psychotherapies. Journal of the American Psychoanalytic Association, 2.

Bonomi, Carlo (1998): Editorial. International Forum of Psychoanalysis, 7(4). Routledge Publishing.

180

Brecht, Karen; Friedrich, Volker; Hermanns, Ludger M.; Kaminer, Isidor J.: Juelich, Dierk H. (Hrsg.)(1985): Katalog und Materialiensammlung zur Ausstellung “Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter… Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland” anlässlich des 34. Kongresses der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Hamburg vom 28.7.-2.8.1985. Verlag Michael Kellner.

Brundke, Astrid (2008): Psychotherapie ohne Freud? Eine Spurensuche in München. In: Bauriedl, Thea; Brundke, Astrid, Psychoanalyse in München – Eine Spurensuche. Psychosozial Verlag, Gießen.

Brundke, Astrid (2008): Vom überzeugten Nationalsozialisten zum Psychoanalytiker – Anton Schelkopfs „Entnazifizierung“ und seine Karriere am Institut. In: Bauriedl, Thea; Brundke, Astrid, Psychoanalyse in München – Eine Spurensuche. Psychosozial Verlag, Gießen.

Caruso, Igor (1966): Die psychoanalytische Situation als mikrosoziales Modell. In: Fortschritte der Psychoanalyse, Band II. Verlag für Psychologie Hogrefe, Göttingen.

Chrzanowski, Gerard: Historical notes on the IV International Forum. In: The Academy (Erscheinungsjahr und –ort unbekannt).

Chrzanowski, Gerard; Heigl-Evers, Annelise; Brazil, Horus V.; Schwidder, Werner (Hrsg.) (1977): Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen. Das Irrationale in der Psychoanalyse – Theoretische und klinische Aspekte. Vorträge des IV. Internationalen Forums für Psychoanalyse New York 1972. Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich.

Chrzanowski, Gerard; Heigl-Evers, Annelise; Brazil, Horus V.; Schwidder, Werner (Hrsg.) (1977): Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen. Individuum – Familie – Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit. Vorträge des V. Internationalen Forums für Psychoanalyse Zürich 1974. Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich.

Chrzanowski, Gerard (1998): How I came to be who I was supposedly not; In: Reppen, Joseph (1998), Why I became a psychotherapist. Jason Aronson Inc., Northvale, New Jersey, London,

Chrzanowski, Gerard (1964): The Impact of Interpersonal Conceptions on Psychoanalytic Technique; in: Fortschritte der Psychoanalyse, Band I. Verlag für Psychologie Hogrefe, Göttingen,.

Chrzanowski, Gerard (1998): Erich Fromms „Flucht“ vor Sigmund Freud. International Forum of Psychoanalysis, Vol.6. Deutsch bei: Erich Fromm Dokumentationszentrum.

181

Chrzanowski, Gerard (1975): Psychoanalysis: Ideology and Practicioners, In: Contemporary Psychoanalysis 11, 1975.

Chrzanowski, Gerard (1975): On the International Forum – Werner Schwidder Award Acceptance Remarks. In: Contemporary Psychoanalysis, 1975, 11.

Chrzanowski Gerard (1993): History of the International Federation of Psychoanalytic Societies. International Forum of Psychoanalysis, 2. Scandinavian University Press, Oslo, Stockholm.

Conci, Marco (1998): Report on the X IFPS Forum, Madrid, May 5-9 1998. International Forum of Psychoanalysis, 7. Routledge Publishing.

Conci, Marco (2005): Sullivan neu entdecken. Leben und Werk Harry Stack Sullivans und seine Bedeutung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Conci, Marco (2011): Report from the XVIth IFP Forum, Athens, October 2010. International Forum of Psychoanalysis,20. Routledge Publishing.

Conci, Marco (2011): Sullivan und die intersubjektive Sichtweise. Forum der Psychoanalyse, Band 27, Heft 2. Springer Medizin, Heidelberg.

Condrau, Gion;Hicklin, Alois (Hrsg.) (1977): Individuum – Familie – Gesellschaft, im Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit. Vorträge des V. Internationalen Forums für Psychoanalyse Zürich 1974. Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich.

Cremerius, Johannes (1982): Psychoanalyse – jenseits von Orthodoxie und Dissidenz. Psyche, Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 36. Jg. Klett-Cotta, Stuttgart.

Dahl, Gerhard (2001): Primärer Narzißmus und Inneres Objekt. Zum Schicksal einer Kontroverse. In: Psyche Jg.55. Klett-Cotta, Stuttgart.

Der Nervenarzt, 33. Jg., Heft 7, Juli 1962.

Dietrich, Dieter: „Psychoanalyse als Lehre vom Leben“, Frankfurter Rundschau vom 07.09.1977.

182

Eickhoff, Friedrich-Wilhelm (1999): In memoriam K.R. Eissler, M.D., Ph.D.. In: Jahrbuch der Psychoanalyse, Heft 41. Verlag frommann.holzboog, Tübingen.

Eisold, Kenneth (1998): The Splitting oft he New York Psychoanalytic Society and the Construction of Psychoanalytic Authority. In: International Journal of Psychoanalysis, 79.

Eissler, Kurt R.(1974): Gedenkrede zur 30 Wiederkehr von Sigmund Freuds Todestag. In: Jahrbuch der Psychoanalyse, Band VII. Verlag Hans Huber, Bern.

Eissler, Kurt (1950): The Chicago Institute of Psychoanalysis and the sixth period of the development of psychoanalytic technique. In: The Journal of General Psychology 42.

Eissler, Kurt (1953): The Effect of the Structure of the ego on psychoanalytic technique. In: Journal of the American Psychoanalytic Association, 1.

Ermann, Michael (2009): Michael Ermann interviews Carola Mann. International Forum of Psychoanalysis, 18 (4). Routledge Publishing.

Ermann, Michael (2012): Psychoanalyse in den Jahren nach Freud. Entwicklungen 1940- 1975. Kohlhammer, Stuttgart.

Ermann, Michael (2014): The changing face of psychoanalysis and the development of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, Vol. 23, No.2. Routledge Publishing.

Fallend, Karl (2010): „Carusos Erben“. Reflexionen in einer erhitzten Auseinandersetzung. Werkblatt – Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik 27. JG, Nr. 64/1.

Feiner, Arthur (1975): The Dilemma of Integrity. In: Contemporary Psychoanalysis 11.

Fenichel, Otto (1929): Rezension zu H. Schultz-Hencke: Einführung in die Psychoanalyse. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 1929, Heft 4.

Frank-Rieser, Edith (2011): „Symbolisierung“ als intersubjektive und intrapsychische Dynamik. Igor A. Carusos historischer Ansatz einer Intersubjektivität der Psychoanalyse. Forum der Psychoanalyse, Band 27, Heft 2. Springer Medizin, Heidelberg.

183

Frank-Rieser, Edith (2014): „Igor Caruso´s development of a psychosocial understanding of the unconcious and its cultural transformation and alienation“. International Forum of Psychoanalysis, 23. Routledge Publishing.

Freud, Sigmund; Bleuler, Eugen (2012): „Ich bin zuversichtlich, wir erobern bald die Psychiatrie“. Briefwechsel 1904-1937, herausgegeben von Michael Schröter. Schwabe Verlag Basel.

Fromm, Erich (1977): Das psychoanalytische Bild vom Menschen und seine gesellschaftliche Standortbedingtheit. In: Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen (Hrsg. Chrzanowski, Gerard; Heigl-Evers, Annelise; Brazil, Horus V.; Schwidder, Werner). Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich.

Funk, Rainer (1980): Einleitung des Herausgebers. In: Erich Fromm Gesamtausgabe in 10 Bänden, Deutsche Verlags Anstalt, Stuttgart.

Funk, Rainer (1983): Erich Fromm. Rororo Bildmonographie. Rowohlt, Hamburg.

Funk, Rainer (2000): Erich Fromm´s role in the foundation of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, 9. Routledge Publishing.

Funk, Rainer (2011): Mehr als Intersubjektivität. Der sozialpsychoanalytische Ansatz von Erich Fromm. Forum der Psychoanalyse, Band 27, Heft 2. Springer Medizin, Heidelberg.

Gleiss, Irma (1998): Zu Vorgeschichte und Geschichte des Instituts für Psychotherapie e. V. Berlin – eine chronologische Skizze. In: Kohte-Meyer, Irmhild (1998)(Hg.): Über die Schwierigkeit, die eigenen Geschichte zu schreiben. Verlag edition diskord, Tübingen.

Gojman de Millán, Sonia (2009): The history of the International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) in Latin America. Fromm Forum, 13.

Gojman de Millán, Sonia (2014): „Development of Latin-American Societies in the IFPS“, International Forum of Psychoanalysis, 23. Routledge Publishing.

Hale, Nathan G. (1995): The Rise and Crisis of Psychoanalysis in the United States. Oxford University Press, Oxford, New York.

Heigl, Franz (1966): Personality Structure and Prognosis in Psychoanalytical Treatment. In: Contemporary Psychoanalysis, 2. Jg, 1966. 184

Heigl, Franz (1969): Tagungsbericht Psychosomatische Medizin und psychoanalytische Behandlungsmethoden. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin, 15. Jg. Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen.

Hermanns, Ludger (Hrsg.): Psychoanalyse in Selbstdarstellungen, Band IV. Verlag edition diskord, Tübingen.

Hermanns, Ludger; May, Ulrike; Müller, Kurt (2007): Zum Berliner Institut und seiner Geschichte. In: Semester-Journal des Karl-Abraham-Instituts vom Juli 2007.

Holm, Kari; Sandvik, Tor Jakob; Hundevadt, Egil; Kjolseth, Tove Kjersti (2014): „Institutt for Psykoterapi: Background and Developments of the Intitute for Psychotherapy in Norway“, International Forum of Psychoanalysis, 23. Routledge Publishing.

Holmes, Maren (2007): Düsseldorf-Berlin-Ankara-Washington: Der Lebenslauf von Edith Weigert, geb Vowinckel. In: Luzifer-Amor, Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, 20. Jg., Heft 39. Verlag edition diskord, Tübingen.

Horney, Karen (1939): New Ways in Psychoanalysis. W.W. Norton Comp, New York.

Huber, Wolfgang (1977): Psychoanalyse in Österreich seit 1933. Geyer-Edition Wien- Salzburg.

Huppke, Andrea; Schröter, Michael (Hg.)(2006): Isidor Sadger, Sigmund Freud, Persönliche Erinnerungen. Verlag edition diskord, Tübingen.

Katwan, Gabriele (1978): Bericht über das VI. Internationale Forum für Psychoanalyse in Berlin vom 17.-21. August 1977. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 24. Jg. Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen.

Knapp, Hanna (2001): Zweizeitige Objektwahl. Zur Geschichte der Psychoanalyse in Spanien, Diplomarbeit an der Freien Universität Berlin.

Köhler, Lotte (1998): „Umsonst war´s nicht.“ Bericht einer betroffenen Zeitzeugin. In: Hermanns, Ludger (Hg.), Psychoanalyse in Selbstdarstellungen Band IV. Verlag edition diskord, Tübingen.

Lacan, Jacques (1966): Ecrits, aux Èditions du Seuil, Paris.

185

Lionells, Marylou; Fiscalini, John; Stern, Donnel; Mann, Carola: Handbook of Interpersonal Psychoanalysis. Analytic Press.

List, Eveline (2008): „Warum nicht in Kischniew“? – Zu einem autobiographischen Tondokument Igor Carusos. In: Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis 23. Jg. Stroemfeld, Frankfurt/M., Basel.

Lockot, Regine (1994): Die Reinigung der Psychoanalyse. Die DPG im Spiegel von Dokumenten und Zeitzeugen (1933-1951). Verlag edition diskord, Tübingen.

Lockot, Regine (1995): Mißbrauch, Disqualifizierung und Spaltung statt Entsühnung. In: „Spaltungen in der Geschichte der Psychoanalyse“. Verlag edition diskord, Tübingen.

Lockot, Regine (2010): DPV und DPG auf dem dünnen Eis der DGPT. In: Psyche 64. Jg. Klett- Cotta, Stuttgart.

Lockot, Regine (1985): Erinnern und Durcharbeiten. Fischer Verlag, Frankfurt/M.

Lockot, Regine: Chronik zur Geschichte der Psychotherapie und zur Psychoanalyse von 1918 bis 1975“. Homepage der DGPT.

Loewenberg, Peter; Thompson, Nellie (2011): 100 Years of the IPA. Karnac, London.

Mann, Carola (2001): In Memoriam Gerard Chrzanowski, MD, 1913-2000. In: International Forum of Psychoanalysis 10. Routledge Publishing.

Marcuse, Herbert (1955): Eros and Civilization: Philosophical Inquiry Into Freud. Boston, MA: Beacon Press.

May, Ulrike (1982): Psychoanalyse in den USA. In: Tiefenpsychologie, Band 2. Beltz Verlag, Weinheim und Basel.

Melcher, Imke (2013): Franz Alexander und die moderne Psychotherapie. Psychosozial- Verlag, Gießen.

Millán, Alfonso(1965): Die Entwicklung der Mexikanischen Psychoanalytischen Gesellschaft und des Mexikanischen Instituts für Psychoanalyse. In: Jahrbuch der Internationalen Erich- Fromm-Gesellschaft, Band 3 (1992).

186

Mühlleitner, Elke (1992): Biographisches Lexikon der Psychoanalyse. Verlag edition diskord, Tübingen.

Richards, Arnold (1988): Review of „Forty-two Lives in Treatment“. In: International Journal of Psycho-Analysis, 69.

Rodrigues, Javert (1999): IFPS – is there a difference? International Forum of Psychoanalysis, 8. Routledge Publishing.

Rodrigues Pereira Mendes, Eliana (2014): „Igor Caruso´s presence in Brazil“. International Forum of Psychoanalysis, 23. Routledge Publishing.

Roudinesco, Elisabeth (1990): Jacques Lacan & Co: A History of Psychoanalysis in France, 1925-1985. The University of Chicago Press, Chicago.

Roudinesco, Elisabeth (1996): Jacques Lacan. Bericht über ein Leben, Geschichte eines Denksystems. Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Salzman, Leon; Schwidder, Werner; Westerman-Holstijn, Anton J. (Hrsg.)(1964): Vorwort und Einführung. Fortschritte der Psychoanalyse – Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse Band I. Verlag für Psychologie Dr. C.J. Hogrefe, Göttingen.

Salzman, Leon; Schwidder, Werner; Westerman-Holstijn, Anton J. (Hrsg.)(1966): Fortschritte der Psychoanalyse – Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse Band II. Verlag für Psychologie Dr. C.J. Hogrefe, Göttingen.

Salzman, Leon; Schwidder, Werner; Westerman-Holstijn, Anton J. (Hrsg.)(1968): Fortschritte der Psychoanalyse – Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse Band III. Verlag für Psychologie Dr. C.J. Hogrefe, Göttingen.

Salzman, Leon; Schwidder, Werner; Westerman-Holstijn, Anton J. (Hrsg.)(1970): Fortschritte der Psychoanalyse – Internationales Jahrbuch zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse Band IV. Verlag für Psychologie Dr. C.J. Hogrefe, Göttingen.

Schelkopf, Anton (1977): Analytische und irrationale Aspekte politischer Verführung und Verführbarkeit. In: Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendungen, Band 5. Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich.

187

Schindler, Raoul (1980): Ein psychoanalytischer Arbeitskreis und die soziale Herausforderung. In: Psychoanalyse als Herausforderung, Festschrift Caruso; Verlag Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs.

Schultz-Hencke, Harald (1972): Die psychoanalytische Begriffswelt (nach einem unveröffentlichten Manuskript von 1947). Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen.

Schwidder, Werner (1966): Neue Ergebnisse der psychoanalytischen Behandlungstechnik. In: Fortschritte der Psychoanalyse, Band II, Verlag für Psychologie Hogrefe, Göttingen.

Sjödin, Christer (2014): International Forum of Psychoanalysis: Some reflections on editing a psychoanalytical journal. International Forum of Psychoanalysis, 23. Routledge Publishing.

Stensson, Jan (1997): Editorial. International Forum of Psychoanalysis, 6. Routledge Publishing.

Stensson, Jan (2007): Some reflections on writing the history of the IFPS. International Forum of Psychoanalysis, 16. Routledge Publishing.

Stensson, Jan (2014): „Fifty years of the IFPS: Some personal memories and comments“. International Forum of Psychoanalysis, 23. Routledge Publishing.

Shaked, Joseph (2011): Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Spiegel, Rose (1985): Survival, Psychoanalysis and the Third Reich. Journal of the American Academy of Psychoanalysis, Vol. 13 (4).

Spiegel, R. (1975): Survival of Psychoanalysis in Nazi Germany. In: Contemporary Psychoanalysis 11.

Stroeken, Harry (1997): Freud in Nederland. Een eeuw Psychoanalyse. Boom Amsterdam.

Stroeken Harry (2014): Een Ontwikkelingsgeschiedenis van de Psychoanalyse“. Amersfoort, BBNC uitgevers. Stone, Leo (1954): The Widening Scope of Indications for Psychoanalysis. Journal of the American Psychoanalytic Association, 2.

188

Talfanidis, Konstantinos; Maniadakis, Grigoris (2014): „Studying the Archives of the Hellenistic Society of Psychoanalytic Psychotherapy: An Outline of ist historical Course“, International Forum of Psychoanalysis, 23.

Troje, Hans Erich (2009): K.R. Eissler zum 100. Geburtstag. In: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, Heft 43. Verlag edition diskord und Brandes & Apsel, Tübingen.

Wallerstein, Robert (1986): Forty-two Lives in Treatment. A Study of Psychoanalysis and Psychotherapy. The Guilford Press, New York.

Wallerstein, Robert (1990): Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Psychotherapie. Wiederaufnahme einer Diskussion. In: Psyche 44 (11). Klett-Cotta, Stuttgart.

Wallerstein, Robert (1995): Merton Gill, Psychotherapy and Psychoanalysis: A Personal Dialogue. (http:/www.psychomedia.it/rapaport-klein/wallerstein 95.htm)

Wallerstein, Robert (2006): Entwicklungslinien der Psychoanalyse seit Freud: Divergenzen und Konvergenzen einer Wissenschaft im steten Wandel. In: Psyche, 60.Jg., Heft 9/10. Klett- Cotta, Stuttgart

Will, Herbert (2003): Was ist klassische Psychoanalyse? Kohlhammer Verlag, Stuttgart.

189

LISTE DER KONGRESSE DER IFPS:

- 1961 Internationaler Kongress in Düsseldorf, „Neue Ergebnisse der Psychoanalyse“; Präsident: Werner Schwidder;

- 1962 I. Forum in Amsterdam, „Heutige Richtungen der psychoanalytischen Theorie und Therapie“; Präsident: Westerman-Holstijn

- 1965 IInd Forum in Zürich; Psychosomatische Medizin, Aggression, Neue Entwicklungen in der Psychoanalyse; Präsident: H. Binswanger

- 1968 I „Workshop“, d.h. kleine Tagung in Göttingen

- 1969 IIIrd Forum in Mexiko; verschiedene Themen zur psychoanalytischen Theorie und Technik; Präsident: Erich Fromm;

- 1970 IInd „Workshop“ in Madrid; Narzissmus, Schizophrenie, klinische Probleme

- 1972 IVth Forum in New York; „The Irrational in Psychoanalysis: Theoretical and Clinical Aspects”; Präsident: G. Chrzanowski

- 1974 Vth Forum in Zürich; „The Individual, the Familiy and Society between Coertion and Freedom”; Präsident: G. Condrau

- 1977 VIth Forum in Berlin; „Psychoanalysis and Human Relations“; Präsident: Wolfgang Zander;

- 1980 IIIrd Conference in Helsinki (Haikko), „Violence“

- 1984 IVth Conference in Madrid; „Psychoanalytic Training“

- 1985 VIIth Forum in Zürich; “Changing models of , Psychoanalysis through the Life Cycle, the social Responsibility of the Psychoanalyst”

- 1987 Vth Conference in New York; “Psychoanalytic Practice Today: Similatities and Differences”

- 1989 VIIIth Forum in Rio de Janeiro; „One Hundred Years of Psychoanalysis“. Präsident: Horus Vital Brazil

- 1991 VIth Conference in Stockholm; “Male and Female Themes in Psychoanalysis”

- 1992 VIIth Conference in München; “Psychoanalysis between Conformity and Opposition”

- 1994 IXth Forum in Florenz; „Psychoanalysis at the Threshold of the XXI Century“

190

- 1996 VIIIth Conference in Athen; “Mythology and Psychoanalysis”

- 1998 Xth Forum in Madrid; “The severely disturbed Patient”

- 2000 XIth Forum in New York; “Dedicated to the memory of Erich Fromm”

- 2002 XIIth Forum in Oslo; “Potentials in psychoanalytic Treatment and Thought. Hope, Change, Growth“

- 2004 XIIIth Forum in Belo Horizonte (Brasilien); „The multiple Faces of Perversion“. Präsident: Javert Rodrigues

- 2006 XIVth Forum in Rom; „The Interplay of internal and external World“

- 2008 XVth Forum in Santiago de Chile; „Identity and Globalisation. New Challenges for Psychoanalysis”

- 2010 XVIth Forum in Athen; “The Intrapsychic and the Intersubjective in contemporary Psychoanalysis”

- 2012 XVIIth Forum in Mexico-City;

- 2014 XVIIIth Forum in Kaunas;

- 2016 XIXth Forum in New York;

191

LISTE DER GENERALSEKRETÄRE DER IFPS:

- 1962 bis 1972 Franz Heigl

-1972 bis 1975 Anton Schelkopf

- 1977 bis 1983 Jakov Katwan

- 1983 bis 1989 Ruth Ann Turkell (New York)

- 1990 bis 2000 Marja Lindqvist (Finnland)

- 2000 bis 2008 Sonia Gojman-de-Millán (Mexiko)

- 2008 bis 2012 Agnar Berle (Norwegen)

- seit 2012 Juan Flores (Chile)

192

LISTE DER MITGLIEDSGESELLSCHAFTEN DER IFPS:

- 1962: Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft; Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie; Sociedad Psicoanalítica Mexicana - 1963 WAW Society

- 1968 Czechoslovak Society for the Advancement of Psychoanalysis and Integration of Psychotherapy (Knobloch);

Asociación Espanola Analitica, Instituto Clinica Molina-Nunez (Molina-Nunez)

- 1969 Swedish Society for Holistic Psychotherapy and Psychoanalysis (Stockholm, M.Norell);

Sociedade de Psicoanalise Iracy Doyle (Rio de Janeiro, Horus Vital Brazil);

- 1970 Circulo Brasilieiro de Psicoanálise;

- 1974 Therapeia Institute of Analytic Psychotherapy (Helsinki, M. Siirala);

Southwest Association for Psychoanalysis“ (Esler und Rosenbaum, Colorado),

American Association for the Advancement of Psychoanalysis“ (New York)

Department of Psychology New York University, Postdoctoral Program (Bernard Kalinkowitz)

- 1975 Daseinsanalytisches Institut für Psychotherapie und Psychosomatik Zürich

- 1977 Psychoanalytic Society of the Postdoctoral Program (New York, Harold Davis);

Institutt for Psykoterapi (= Oslo Institute for Psychotherapy, Einar Dannevig)

- 1978 Adelphi Society for Psychoanalysis and Psychotherapy (New York)

- 1980 Postgraduate Center for Mental Health (New York, Benjamin Fielding)

Canadian Society for the Advancement of Psychoanalysis and Integration of Psychotherapy (Knobloch)

Círculo Psicanalitico do Rio de Janeiro (Brasilien)

- 1994 Instituto Mexicano de Psicoanalisis AC (Mexiko)

Als Study Group: Instituto de Psicoanalisis Contemporáneo (Argentinien)

- 1996 Hellenic Society of Psychoanalytic Psychotherapy (Griechenland)

193

- 1998 Institut für Psychoanalyse Zürich-Kreuzlingen (Schweiz)

- 2002 Chilean Institute of Psychoanalytic Psychotherapy (Chile)

- 2003 Sociedad Chilena de Psicoanálisis (Chile)

- 2004 Seminario de Sociopsicoanálisis (Mexiko, Sonia Gojman de Millán)

Auf der Webseite der IFPS sind Anfang 2018 folgende Mitgliedsgesellschaften der IFPS gelistet514:

ASSOCIAÇÅO PORTUGUESA DE PSICOANÁLISE E PSICOTERAPIA PSICANALÍTICA (PORTUGAL)

ASSOCIAZONE DI STUDI PSICOANALITICI ()

CANADIAN SOCIETY FOR INTEGRATED PSYCHOTHERAPY AND PSYCHOANALYSIS (CANADA)

CENTRO DE ESTUDIOS Y APLICACION DEL PSICOANALISIS (SPAIN)

CENTRO PSICOANALITICO DE MADRID (SPAIN)

CÍRCULO BRASILEIRO DE PSICANÁLISE SEÇÃO RIO DE JANEIRO (BRASIL)

CIRCULO PSICOANALITICO DA BAHIA (BRASIL)

CIRCULO PSICANALITICO DE MINAS GERAIS (BRASIL)

CIRCULO PSICANALITICO DE SERGIPE (BRASIL)

CIRCULO PSICANALITICO DO RIO DE JANEIRO (BRASIL)

CIRCULO PSICANALITICO DO RIO GRANDE DO SUL (BRASIL)

DASEINSANALYTISCHES SEMINAR (SWITZERLAND)

HELLENIC SOCIETY FOR PSYCHOANALYTIC PSYCHOTHERAPY (GREECE)

INSTITUTT FOR PSYKOTERAPI (NORWAY)

INSTITUT FÜR PSYCHOANALYSE (SWITZERLAND )

INSTITUTO MEXICANO DE PSICOANALISIS A.C. (MEXICO)

514 Ifps.info/sociedades (Zugriff am 03.02.2018) 194

ISTITUTO DI PSICOANALISI ESISTENZIALE GAETANO BENEDETTI (ITALY)

ISTITUTO DI PSICOTERAPIA ANALITICA, H.S. SULLIVAN (ITALY)

ISTITUTO ERICH FROMM DI PSICOANALISI NEOFREUDIANA (ITALY)

KAUNAS SOCIETY FOR THE STUDY OF PSYCHOANALYSIS AND PSYCHOTHERAPY (LITHUANIA)

ÖSTERREICHISCHE ARBEITSKREISE FÜR PSYCHOANALYSE ()

SCHWEIZERISCHER FACHVERBAND FÜR DASEINSANALYTISCHE PSYCHOTERAPHIE (SWITZERLAND)

SEMINARIO DE SOCIOPSICOANALISIS A.C. (MEXICO)

SOCIEDAD CHILENA DE PSICOANALISIS-ICHPA (CHILE)

SOCIEDAD DE PSICÁNALISE IRACY DOYLE (BRASIL)

SOCIETÀ ITALIANA DI PSICOANALISI DELLA RELAZIONE (ITALIA)

TEHERAN PSYCHOANALYTIC INSTITUTE (IRAN)

THERAPIEA SOCIETY (FINLAND)

THE POSTGRADUATE PSYCHOANALYTIC SOCIETY (EE.UU)

WILLIAM ALANSON WHITE PSYCHOANALYTIC SOCIETY (EE.UU)

(AFFILIATED MEMBER) DEUTSCHE PSYCHOANALYTISCHE GESELLSCHAFT (GERMANY)

(STUDY GROUP) ASOCIACION PSICOANALITICA DE CUBA (CUBA)

(STUDY GROUP) EGYPTIAN PSYCHOANALYSIS GROUP CAIRO (EGYPT)

195

Wortlaut der Satzung der IFPS (vom 06.09.1974)

Satzung der International Federation of Psychoanalytic Societies

Präambel

Die International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS) entstand aus der am 30.Juli 1962 in Amsterdam beschlossenen internationalen Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytischer Gesellschaften. Die gründenden Gesellschaften

die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) gegr. 1910,

die Mexikanische Psychoanalytische Gesellschaft und

der Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie hatten den Wunsch, die wissenschaftlichen und menschlichen Kontakte und den Meinungsaustausch zwischen den psychoanalytischen Gesellschaften durch freie Diskussion der psychoanalytischen Theorie und Praxis, durch gemeinsame Publikationen und durch den Erfahrungsaustausch in Ausbildungsfragen zu intensivieren.

Die volle wissenschaftliche und organisatorische Selbständigkeit der Mitgliedsgesellschaften sollte eine wesentliche Voraussetzung des Zusammenschlusses sein.

Zur Verwirklichung dieser Ziele haben die unterzeichneten Gesellschaften, ermächtigt durch ihre Mitgliederversammlungen und vertreten durch bevollmächtigte Mitglieder folgende Satzung beschlossen:

I.

Name und Sitz

§ 1 Die durch den Zusammenschluss autonomer psychoanalytischer Gesellschaften und Ausbildungsinstitute entstehende Organisation trägt den Namen International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS).

§ 2 Sitz der Federation ist der Sitz des jeweils gewählten Generalsekretärs.

§ 3 Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr

196

II.

Grundsätze und Aufgaben

§ 4 Die IFPS hat die Aufgabe, die wissenschaftlichen und menschlichen Kontakte, sowie den Meinungsaustausch zwischen den psychoanalytischen Gesellschaften durch freie Diskussion der psychoanalytischen Theorie und Praxis und ihrer Weiterentwicklungen und den Erfahrungsaustausch in Ausbildungsfragen zu fördern.

§ 5 Insbesondere hat die IFPS die Aufgaben:

a) In regelmäßigen Abständen (zwei Jahre) ein Internationales Forum für Psychoanalyse abzuhalten,

b) für die gemeinsame Publikation der von den Gesellschaften vorgelegten wissenschaftlichen Arbeitsergebnisse zu sorgen,

c) nach Notwendigkeit zwischen den Foren Arbeitstagungen zu veranstalten,

d) die Verbreitung psychoanalytischen und aus der Psychoanalyse weiterentwickelten Gedankenguts in den Einflussbereichen der Mitgliedsgesellschaften zu fördern,

e) die Förderung und Unterstützung psychoanalytischer Ausbildung.

§ 6 Die IFPS verleiht anlässlich der Internationalen Foren für Psychoanalyse den Werner- Schwidder-Award, für den eine eigene Satzung erlassen wird.

III.

Mitgliedschaft

§ 7 Mitglied der IFPS können werden:

a) Psychoanalytische Gesellschaften, deren Satzungen den von der Federation geforderten Mindestanforderungen im Grundsatz und in der Ausbildung ihrer Mitglieder entsprechen.

b) Psychoanalytische Ausbildungsstätten, deren Ausbildungsrichtlinien den von der Federation geforderten Mindestanforderungen im Grundsatz und in der Ausbildung entsprechen.

c) Personen und Personengruppen, die nach Meinung der Federation die Bildung von Gesellschaften im Sinne des § 7 a) und b) anstreben oder deren Mitgliedschaft beantragt und von der Federation gewünscht wird.

197

Die von der Federation gesetzten Mindestanforderungen im Grundsatz gründen sich auf die von Freud entwickelte Psychoanalyse in Theorie und Therapie, d.h. auf die Anerkennung eines dynamischen Unbewussten und die Handhabung von Übertragung und Widerstand.

Die Mindestanforderungen in der Ausbildung sind unter Voraussetzung eines abgeschlossenen Studiums der Medizin oder der Psychologie, ein mindestens 3-jähriges, durch Prüfung abgeschlossenes Studium der Psychoanalyse und ihrer Weiterentwicklungen und eine Lehranalyse.

Die Erfüllung der Mindestanforderungen im Sinne des § 7 a und b muß vor der Aufnahme überprüft werden.

Personen und Personengruppen im Sinne des § 7 c können sich vorläufig einer bestehenden benachbarten Mitgliedsgesellschaft anschließen.

§ 8 Die Aufnahme eines neuen Mitglieds erfolgt nach an den Generalsekretär gestellten Aufnahmeantrag, nach Überprüfung und Empfehlung durch den Arbeitsausschuss durch die Generalversammlung mit zwei Drittel Mehrheit.

§ 9 Die Generalversammlung kann auf Empfehlung des Arbeitsausschusses, der mit einfacher Mehrheit beschließt, ein Mitglied nach § 7 a bis c ausschließen, wenn dieses Mitglied die Grundsätze der Federation beharrlich verletzt oder durch Änderung der eigenen Grundsätze nicht mehr mit den Grundsätzen der Federation übereinstimmt. Dieser Beschluss wird mit zwei Drittel Mehrheit gefasst.

§ 10 Der Austritt einer Mitgliedsgesellschaft muss durch eingeschriebenen Brief an den Generalsekretär erfolgen und wird 6 Wochen nach Eingang des Briefes wirksam.

§ 11 Die Beitragszahlung erlischt mit Ende des Geschäftsjahres, in dem der Austritt erklärt wurde.

IV.

Organe

§ 12 Die Organe der Federation sind:

a) die Generalversammlung

b) der Arbeitsausschuss (Executive Committee) 198

c) das Sekretariat

§ 13 In Übereinstimmung mit den Mitgliedsgesellschaften (einfache Mehrheit) können bei Bedarf Nebenorgane zur Durchführung von Aufgaben eingesetzt werden.

V.

Die Generalversammlung

§ 14 Die Generalversammlung besteht aus den Vertretern der Mitgliedsgesellschaften nach § 7 a, b und c.

§ 15 Jede Mitgliedsgesellschaft nach § 7 a und b kann bis zu zwei abstimmungsberech- tigte Vertreter in die Generalversammlung entsenden. Mitglieder nach § 7 c haben nur eine Stimme.

§ 16 Die Generalversammlung kann alle Angelegenheiten der Federation erörtern und zu diesen Fragen Beschlüsse fassen. Sie kann den Mitgliedsgesellschaften und dem Arbeitsausschuss Empfehlungen zuleiten.

§ 17 a) Insbesondere hat sie die Aufgabe, die Abhaltung von Internationalen Foren und Arbeitstagungen zu beschließen,

b) über die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern zu beschließen,

c) den Arbeitsausschuss zu wählen,

d) den Generalsekretär zu wählen,

e) den Etat der Federation zu beschließen und die Abrechnung zu überprüfen.

§ 18 Jeder bevollmächtigte Vertreter einer Mitgliedsgesellschaft hat in der Generalversammlung eine Stimme.

§ 19 Das Stimmrecht ruht, wenn der beschlossene Mitgliedsbeitrag nicht bis zur Generalversammlung einbezahlt worden ist.

§ 20 Die Generalversammlung findet alle zwei Jahre nach Möglichkeit anlässlich eines Internationalen Forums statt. Sie wird unter Angabe einer Tagesordnung vom Generalsekretär einberufen. Der Generalsekretär kann nach Empfehlung oder nach Zustimmung des Arbeitsausschusses innerhalb einer Frist von 8 Wochen eine außerordentliche Generalversammlung einberufen.

199

§ 21 Die Generalversammlung ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitgliedsgesellschaften vertreten sind.

§ 22 Die Leitung der Generalversammlung hat der Generalsekretär.

VI.

Der Arbeitsausschuss

§ 23 Der Arbeitsausschuss besteht aus dem Generalsekretär und 6 Mitgliedern, die von der Generalversammlung auf die Dauer von 2 Jahren zu wählen sind. Die Generalversam- mlung wählt 2 Ersatzdelegierte in den Arbeitsausschuss.

§ 24 Die Aufgaben des Arbeitsausschusses sind:

a) nach Vorschlag des Generalsekretärs über alle Fragen zu entscheiden, die über die Zuständigkeit des Generalsekretärs hinausgehen oder nicht in die Zuständigkeit des Generalsekretärs fallen,

b) der Generalversammlung die Aufnahme neuer Mitglieder zu empfehlen,

c) den Ausschluss von Mitgliedern zu empfehlen,

d) der Generalversammlung Vorschläge zur Wahl des Generalsekretärs zu machen.

e) den Preisträger für den Werner-Schwidder-Award zu ermitteln.

VII.

Das Sekretariat

§ 25 Das Sekretariat wird von einem Generalsekretär geleitet, der auf Empfehlung des Arbeitsausschusses von der Generalversammlung auf die Dauer von 6 Jahren gewählt wird.

§ 26 Der Generalsekretär kann die Aufmerksamkeit des Arbeitsausschusses auf alle Probleme lenken, die für die Federation von Bedeutung sind.

§ 27 Der Generalsekretär gehört dem Arbeitsausschuss an.

200

§ 28 Als Generalsekretär kann nur ein bevollmächtigter Vertreter einer Mitgliedsgesell- schaft gewählt werden.

VIII.

Besondere Bestimmungen

§ 29 Innerhalb der Federation sind alle Sprachen der Länder der Mitgliedsgesellschaften gleichberechtigt.

§ 30 Die Auflösung der Federation erfolgt auf Antrag einer Mitgliedsgesellschaft, wenn die Generalversammlung dem Antrag mit drei Viertel Mehrheit zustimmt.

§ 31 Diese Satzung wurde am 6. September 1974 anlässlich des V. Internationalen Forums in Zürich beschlossen.

Geschehen in Zürich am 6. September in Zürich in einer Urschrift in deutscher Sprache, von der die Mitgliedsgesellschaften Abschriften und Übersetzungen in englischer, spanischer und französischer Sprache erhalten.

Asociacion Espanola de Psicoterapia Analitica

Circulo Brasilieiro de Psicoanalise

Czechoslovakian Psychoanalytic Society

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG)

Instituto Mexicano de Psicoanalisis

Sociedade de Psicoanalise Iracy Doyle

Österreichische Arbeitskreise für Tiefenpsychologie

Swedish Holistic Psychoanalytic Society

William Alanson White Psychoanalytic Society

201

(Am 09.10.2012 wurde in Mexico-City eine IFPS-Satzung beschlossen und verabschiedet, die nachzulesen ist unter: ifps.info/estatutos_deu.php)

202