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Aufsatz Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard Pazifismus per Gesetz? Krieg und Frieden in der westdeutschen Verfassungsdiskussion, 1945-1949 »Von der Kriegs- zur Friedenskultur?«, so lautet der provokante Titel eines vor kurzem auf dem deutschen Buchmarkt erschienen Sammelbandes, der sich mit dem Mentalitätswandel in Deutschland nach 1945 beschäftigt1. Noch provokanter lautet die Antwort, die der Herausgeber Thomas Kühne in seinem Vorwort auf diese Frage gibt. Nachdem bis 1945 in Deutschland ein starker Militarismus vorge- herrscht habe, sei es danach, aufgrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozia- lismus und dem Zweiten Weltkrieg, zu einer umfassenden Delegitimierung von Militär und Gewalt in weiten Teilen der westdeutschen Gesellschaft gekommen2. Wie die Autoren des Sammelbands anhand verschiedener Themen zeigen können - etwa an der Friedensbewegung oder der Erziehungsmethoden in den Schulen - setzte dieser Mentalitätswandel allerdings erst mit voller Macht am Ende der 1960er Jahre ein, die in der deutschen Zeitgeschichtsforschung ja mittlerweile allgemein als Zeit tiefgreifender Veränderungen begriffen werden3. Es sei der früh nach der deut- schen Niederlage beginnende Ost-West-Konflikt gewesen, der zuvor eine tiefe und um- fassende Auseinandersetzung mit der Frage von Krieg und Frieden verhindert habe. Ein bei dieser Fragestellung zentrales Thema haben die Autoren des Sammel- bands allerdings nicht berücksichtigt: den Verfassungs- und Gesetzgebungsprozess nach 1945, d.h. die rechtliche Normierung der Frage von Krieg und Frieden durch die politischen Entscheidungsträger4. Das ist umso erstaunlicher, als friedenspoli- tische Probleme in den Debatten vieler Landesparlamente während der ersten drei Nachkriegsjahre sowie 1948/49 im Parlamentarischen Rat einen breiten Raum ein- nahmen und um drei grundlegende Fragen kreisten: Inwiefern sollte dem deutschen Volk in Zukunft überhaupt noch ein Recht auf Kriegsführung gestattet sein, inwie- weit hatte der Gesetz- bzw. Verfassungsgeber für ein Recht auf Kriegsdienstver- weigerung Sorge zu tragen und war dem künftigen Staat ein ausdrückliches Frie- densgebot aufzuerlegen? 1 Von der Kriegs- zur Friedenskultür? Zum Mentalitätswandel in Deutschland seit 1945. Hrsg. von Thomas Kühne, Münster 2000. 2 So auch Thomas Kühne und Benjamin Ziemann, Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte. In: Was ist Militärgeschichte? Hrsg. von Thomas Kühne und Benjamin Ziemann, Paderborn [u.a.] 2000, S. 9-46. 3 So beispielhaft: Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik. Hrsg. von Matthias Frese, Julia Paulus und Karl Teppe, Paderborn 2003. 4 Das Thema ist in der Forschung insgesamt bislang kaum behandelt worden. Es existie- ren lediglich der kurze, zudem noch ohne Anmerkungsapparat veröffentlichte Aufsatz des Politologen Heinz Janning, Recht auf Kriegsdienstverweigerung? Historisch-Politi- sches zum Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz. In: Kriegs-/Ersatzdienstverweigerung in Ost und West. Hrsg. von Heinz Janning [u.a.], Essen 1990, S. 16-45, sowie die entsprechen- den Passagen in der vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebenen Reihe »Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956«: Roland G. Foerster, Innenpolitische Aspekte der Sicherheit Westdeutschlands. In: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 45-70 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 46 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard Welche Bedeutung besaßen nun tatsächlich die Erfahrungen mit dem NS-Regime und dem gerade verlorenen Weltkrieg in diesen Debatten? Welche Entscheidungen traf der Gesetzgeber angesichts des totalen Zusammenbruchs, was genau lernte die politische Klasse im westlichen Besatzungsdeutschland aus der deutschen Katastrophe von 1945? Inwieweit spielten, jenseits möglicher innerer Läuterungs- prozesse, äußere Einflüsse wie etwa die Erwartungen und Vorgaben der Besatzungs- mächte in die Gesetz- und Verfassungsgebung hinein5? Die Alliierten hatten ja die Entmilitarisierung Deutschlands zu einem der vier Eckpunkte ihrer Besatzungs- politik erklärt6. Kann man bei diesem Thema zudem Faktoren wie etwa den Ost- West-Konflikt ausmachen, die die Auseinandersetzung mit dem Problem von Krieg und Frieden in der Verfassungsdiskussion verzögerten oder gar unmöglich machten, wie ja der eingangs zitierte Sammelband behauptet? I. Krieg dem Krieg? Zur Frage des deutschen Antimilitarismus in den Landesverfassungen und -gesetzen, 1946-1948 Unmittelbar nach der totalen Niederlage von 1945, als der Wiederaufbau einer Armee im Besatzungsdeutschland noch unvorstellbar war, entzündete sich in mehreren Landesparlamenten des westlichen Besatzungsdeutschlands während der Beratungen um die Landesverfassungen eine teils scharfe Debatte über die Frage von Krieg und Frieden7. Allerdings ging diese Diskussion nicht von den Alliierten aus. Die Besatzungsmächte machten ungeachtet ihrer Entmilitarisierungs- 1945-1956, Bd 1: Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, München, Wien 1982, S. 405-575; Hans Ehlert, Innenpolitische Auseinandersetzung um die Pariser Verträge und die Wehr- verfassung 1954 bis 1956. In: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956, Bd 3: Die NATO-Option, München 1993, S. 235-560. Alle drei Beiträge berücksichtigen lediglich die Diskussionen des Parlamentarischen Rats, nicht aber die der Landesparlamente. Außerdem wurden die Omgus-Akten und die Akten des Bundesarchivs nur sporadisch herangezogen. Zu den zur Verfügung stehenden Quellen siehe: Wolfram Werner, Quellen zur Entstehung des Grundgesetzes. Ein Überblick. In: Aus der Arbeit der Archive. Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte. Festschrift für Hans Booms. Hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg, Boppard a.Rh. 1989, S. 646-661. 5 Die Frage, welchen Einfluss die amerikanische Besatzungsmacht auf die Bayerische Verfassung nahm, hat bereits aufgeworfen: Barbara Fait, »In einer Atmosphäre von Freiheit«. Die Amerikaner und die Verfassungsgebung in den Ländern der US-Zone 1946. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 33 (1985), S. 420-455. 6 Gerhard Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943-1955. Inter- nationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967. 7 Das war zumindest der Fall in der französischen und amerikanischen Besatzungszone. Die britische Besatzungsmacht ließ in ihrer Zone allein provisorische Organisationsstatute statt ausgearbeiteter Landesverfassungen zu. Deshalb enthielten diese Organisations- statute weder Grundrechte noch machten sie Aussagen zu so grundlegenden Fragen wie der von Krieg und Frieden. Hierzu neuerdings im Uberblick: Udo Wengst, Rahmenbe- dingungen. In: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Hrsg. von Bundes- ministerium für Arbeit und Sozialordnung und dem Bundesarchiv, Bd 2/1: 1945-1949. Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und Gründung zweier deutscher Staaten. Bandverantwortlicher Udo Wengst, Baden-Baden 2001, S. 1-76, hier: 3-10. Pazifismus per Gesetz? 47 politik in friedenspolitischen Fragen überhaupt keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung der Landesverfassungen. Klar war jedoch, dass die Deutschen sich an den diesbezüglichen allgemeinen Direktiven der Alliierten zu orientieren hatten, die die oberste Gewalt im Land innehatten. Planungen zur Wiederaufrüstung Deutschlands waren etwa nach den alliierten Demilitarisierungsbestimmungen ausdrücklich verboten, sodass die Landesverfassungen keine Abschnitte zu Fragen der Landesverteidigung enthalten durften8. Den Anstoß für die friedenspolitischen Debatten in den Landesparlamenten gaben vielmehr die zahlreichen Eingaben, die aus der deutschen Bevölkerung kamen. Gleich eine ganze Phalanx von Jugendorganisationen, Frauenverbänden und Friedensorganisationen hatte sich mit der Bitte an die Landesparlamentarier gewandt, ein weithin sichtbares Zeichen des Friedens im geschlagenen Nachkriegs- deutschland zu setzen9. Nie mehr dürfe von deutschem Boden Krieg ausgehen, das Land müsse vielmehr auf einen allumfassenden Pazifismus eingeschworen werden, erklärten etwa das Stuttgarter Jugendparlament, die Landesjugendringe, die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, der Heidelberger Frauen- verein, die Deutsche Friedensgesellschaft, die Internationale der Kriegsdienstgegner sowie der Bund der Kriegsdienstverweigerer in Deutschland. In Bayern forderte der Landesjugendring, der Zusammenschluss politischer, konfessioneller und sportli- cher Jugendorganisationen, zudem ganz konkret einen Volksentscheid über ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung10. Im vorangegangenen Krieg seien Aber- tausende junger Soldaten, die aus Gewissensgründen den von ihnen geforderten Kriegsdienst verweigert hätten, vom Hitler-Regime unnachgiebig verfolgt worden, so die Argumentation. Wie wir heute wissen, verurteilten die Nationalsozialisten in den Jahren zwischen 1939 und 1945 tatsächlich etwa 50 000 Soldaten wegen Ver- weigerung des Wehrdienstes, Desertion oder »Wehrkraftzersetzung« zum Tode, etwa 20 000 dieser Urteile wurden vollstreckt11. Obwohl derartige Fragen abschließend überhaupt nicht in Landesverfassungen geregelt werden konnten, sondern an sich in die nationale Zuständigkeit fielen, nahmen Landesparlamentarier der SPD, der KPD, aber auch der bürgerlichen Parteien in Bayern, Hessen sowie in Württemberg-Baden - um diese drei Länder soll es im Folgenden exemplarisch gehen - die Anstöße aus der Bevölkerung umgehend