Aufsatz

Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

Pazifismus per Gesetz? Krieg und Frieden in der westdeutschen Verfassungsdiskussion, 1945-1949

»Von der Kriegs- zur Friedenskultur?«, so lautet der provokante Titel eines vor kurzem auf dem deutschen Buchmarkt erschienen Sammelbandes, der sich mit dem Mentalitätswandel in Deutschland nach 1945 beschäftigt1. Noch provokanter lautet die Antwort, die der Herausgeber Thomas Kühne in seinem Vorwort auf diese Frage gibt. Nachdem bis 1945 in Deutschland ein starker Militarismus vorge- herrscht habe, sei es danach, aufgrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozia- lismus und dem Zweiten Weltkrieg, zu einer umfassenden Delegitimierung von Militär und Gewalt in weiten Teilen der westdeutschen Gesellschaft gekommen2. Wie die Autoren des Sammelbands anhand verschiedener Themen zeigen können - etwa an der Friedensbewegung oder der Erziehungsmethoden in den Schulen - setzte dieser Mentalitätswandel allerdings erst mit voller Macht am Ende der 1960er Jahre ein, die in der deutschen Zeitgeschichtsforschung ja mittlerweile allgemein als Zeit tiefgreifender Veränderungen begriffen werden3. Es sei der früh nach der deut- schen Niederlage beginnende Ost-West-Konflikt gewesen, der zuvor eine tiefe und um- fassende Auseinandersetzung mit der Frage von Krieg und Frieden verhindert habe. Ein bei dieser Fragestellung zentrales Thema haben die Autoren des Sammel- bands allerdings nicht berücksichtigt: den Verfassungs- und Gesetzgebungsprozess nach 1945, d.h. die rechtliche Normierung der Frage von Krieg und Frieden durch die politischen Entscheidungsträger4. Das ist umso erstaunlicher, als friedenspoli- tische Probleme in den Debatten vieler Landesparlamente während der ersten drei Nachkriegsjahre sowie 1948/49 im Parlamentarischen Rat einen breiten Raum ein- nahmen und um drei grundlegende Fragen kreisten: Inwiefern sollte dem deutschen Volk in Zukunft überhaupt noch ein Recht auf Kriegsführung gestattet sein, inwie- weit hatte der Gesetz- bzw. Verfassungsgeber für ein Recht auf Kriegsdienstver- weigerung Sorge zu tragen und war dem künftigen Staat ein ausdrückliches Frie- densgebot aufzuerlegen?

1 Von der Kriegs- zur Friedenskultür? Zum Mentalitätswandel in Deutschland seit 1945. Hrsg. von Thomas Kühne, Münster 2000. 2 So auch Thomas Kühne und Benjamin Ziemann, Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte. In: Was ist Militärgeschichte? Hrsg. von Thomas Kühne und Benjamin Ziemann, Paderborn [u.a.] 2000, S. 9-46. 3 So beispielhaft: Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik. Hrsg. von Matthias Frese, Julia Paulus und Karl Teppe, Paderborn 2003. 4 Das Thema ist in der Forschung insgesamt bislang kaum behandelt worden. Es existie- ren lediglich der kurze, zudem noch ohne Anmerkungsapparat veröffentlichte Aufsatz des Politologen Heinz Janning, Recht auf Kriegsdienstverweigerung? Historisch-Politi- sches zum Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz. In: Kriegs-/Ersatzdienstverweigerung in Ost und West. Hrsg. von Heinz Janning [u.a.], Essen 1990, S. 16-45, sowie die entsprechen- den Passagen in der vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebenen Reihe »Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956«: Roland G. Foerster, Innenpolitische Aspekte der Sicherheit Westdeutschlands. In: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik

Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 45-70 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 46 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

Welche Bedeutung besaßen nun tatsächlich die Erfahrungen mit dem NS-Regime und dem gerade verlorenen Weltkrieg in diesen Debatten? Welche Entscheidungen traf der Gesetzgeber angesichts des totalen Zusammenbruchs, was genau lernte die politische Klasse im westlichen Besatzungsdeutschland aus der deutschen Katastrophe von 1945? Inwieweit spielten, jenseits möglicher innerer Läuterungs- prozesse, äußere Einflüsse wie etwa die Erwartungen und Vorgaben der Besatzungs- mächte in die Gesetz- und Verfassungsgebung hinein5? Die Alliierten hatten ja die Entmilitarisierung Deutschlands zu einem der vier Eckpunkte ihrer Besatzungs- politik erklärt6. Kann man bei diesem Thema zudem Faktoren wie etwa den Ost- West-Konflikt ausmachen, die die Auseinandersetzung mit dem Problem von Krieg und Frieden in der Verfassungsdiskussion verzögerten oder gar unmöglich machten, wie ja der eingangs zitierte Sammelband behauptet?

I. Krieg dem Krieg? Zur Frage des deutschen Antimilitarismus in den Landesverfassungen und -gesetzen, 1946-1948

Unmittelbar nach der totalen Niederlage von 1945, als der Wiederaufbau einer Armee im Besatzungsdeutschland noch unvorstellbar war, entzündete sich in mehreren Landesparlamenten des westlichen Besatzungsdeutschlands während der Beratungen um die Landesverfassungen eine teils scharfe Debatte über die Frage von Krieg und Frieden7. Allerdings ging diese Diskussion nicht von den Alliierten aus. Die Besatzungsmächte machten ungeachtet ihrer Entmilitarisierungs-

1945-1956, Bd 1: Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, München, Wien 1982, S. 405-575; Hans Ehlert, Innenpolitische Auseinandersetzung um die Pariser Verträge und die Wehr- verfassung 1954 bis 1956. In: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956, Bd 3: Die NATO-Option, München 1993, S. 235-560. Alle drei Beiträge berücksichtigen lediglich die Diskussionen des Parlamentarischen Rats, nicht aber die der Landesparlamente. Außerdem wurden die Omgus-Akten und die Akten des Bundesarchivs nur sporadisch herangezogen. Zu den zur Verfügung stehenden Quellen siehe: Wolfram Werner, Quellen zur Entstehung des Grundgesetzes. Ein Überblick. In: Aus der Arbeit der Archive. Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte. Festschrift für Hans Booms. Hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg, Boppard a.Rh. 1989, S. 646-661. 5 Die Frage, welchen Einfluss die amerikanische Besatzungsmacht auf die Bayerische Verfassung nahm, hat bereits aufgeworfen: Barbara Fait, »In einer Atmosphäre von Freiheit«. Die Amerikaner und die Verfassungsgebung in den Ländern der US-Zone 1946. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 33 (1985), S. 420-455. 6 Gerhard Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943-1955. Inter- nationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967. 7 Das war zumindest der Fall in der französischen und amerikanischen Besatzungszone. Die britische Besatzungsmacht ließ in ihrer Zone allein provisorische Organisationsstatute statt ausgearbeiteter Landesverfassungen zu. Deshalb enthielten diese Organisations- statute weder Grundrechte noch machten sie Aussagen zu so grundlegenden Fragen wie der von Krieg und Frieden. Hierzu neuerdings im Uberblick: Udo Wengst, Rahmenbe- dingungen. In: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Hrsg. von Bundes- ministerium für Arbeit und Sozialordnung und dem Bundesarchiv, Bd 2/1: 1945-1949. Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und Gründung zweier deutscher Staaten. Bandverantwortlicher Udo Wengst, Baden-Baden 2001, S. 1-76, hier: 3-10. Pazifismus per Gesetz? 47 politik in friedenspolitischen Fragen überhaupt keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung der Landesverfassungen. Klar war jedoch, dass die Deutschen sich an den diesbezüglichen allgemeinen Direktiven der Alliierten zu orientieren hatten, die die oberste Gewalt im Land innehatten. Planungen zur Wiederaufrüstung Deutschlands waren etwa nach den alliierten Demilitarisierungsbestimmungen ausdrücklich verboten, sodass die Landesverfassungen keine Abschnitte zu Fragen der Landesverteidigung enthalten durften8. Den Anstoß für die friedenspolitischen Debatten in den Landesparlamenten gaben vielmehr die zahlreichen Eingaben, die aus der deutschen Bevölkerung kamen. Gleich eine ganze Phalanx von Jugendorganisationen, Frauenverbänden und Friedensorganisationen hatte sich mit der Bitte an die Landesparlamentarier gewandt, ein weithin sichtbares Zeichen des Friedens im geschlagenen Nachkriegs- deutschland zu setzen9. Nie mehr dürfe von deutschem Boden Krieg ausgehen, das Land müsse vielmehr auf einen allumfassenden Pazifismus eingeschworen werden, erklärten etwa das Stuttgarter Jugendparlament, die Landesjugendringe, die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, der Heidelberger Frauen- verein, die Deutsche Friedensgesellschaft, die Internationale der Kriegsdienstgegner sowie der Bund der Kriegsdienstverweigerer in Deutschland. In Bayern forderte der Landesjugendring, der Zusammenschluss politischer, konfessioneller und sportli- cher Jugendorganisationen, zudem ganz konkret einen Volksentscheid über ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung10. Im vorangegangenen Krieg seien Aber- tausende junger Soldaten, die aus Gewissensgründen den von ihnen geforderten Kriegsdienst verweigert hätten, vom Hitler-Regime unnachgiebig verfolgt worden, so die Argumentation. Wie wir heute wissen, verurteilten die Nationalsozialisten in den Jahren zwischen 1939 und 1945 tatsächlich etwa 50 000 Soldaten wegen Ver- weigerung des Wehrdienstes, Desertion oder »Wehrkraftzersetzung« zum Tode, etwa 20 000 dieser Urteile wurden vollstreckt11. Obwohl derartige Fragen abschließend überhaupt nicht in Landesverfassungen geregelt werden konnten, sondern an sich in die nationale Zuständigkeit fielen, nahmen Landesparlamentarier der SPD, der KPD, aber auch der bürgerlichen Parteien in Bayern, Hessen sowie in Württemberg-Baden - um diese drei Länder soll es im Folgenden exemplarisch gehen - die Anstöße aus der Bevölkerung umgehend auf. Sie versprachen, entsprechende Vorgaben entweder in den gerade entstehenden Landesverfassungen zu machen oder die Frage von Krieg und Frieden

8 Zu den Vorbehaltsrechten der Amerikaner: Rundschreiben von Oberstleutant G.H. Garde, Adjutant General AGD, an die Militärregierungen der Amerikanischen Besatzungszone betr. Relationship between military an civil government (U.S. zone) - subsequent adoption of Land Constitutions vom 20.9.1946. In: Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ-Ar- chiv), Omgus-Akten, Selected Records ΜΑ 1420/8, 010 constitutions. 9 Zu den Organisationen siehe die kurzen Abrisse bei: Guido Grünewald, Die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK). Ihre Geschichte 1945 bis 1968, Köln 1982; Guido Grünewald, Zwischen Kriegsdienstverweigerergewerkschaft und politischer Friedensorganisation. Der Verband der Kriegsdienstverweigerer 1958-1966, Hamburg 1977. Zum Programm des Bunds der Kriegsdienstverweigerer in Deutschland (BDK): Archiv für Christlich-Soziale Politik (ACSP), CSU-Landtagsfraktion (LTF), Registraturplan bis 31.12.1952, Nr. 2-40. 10 Janning, Recht auf Kriegsdienstverweigerung (wie Anm. 4), S. 16. 11 Gerhard Paul, »Deserteure - Wehrkraftzersetzer - Kapitulanten«. Die Opfer der Wehr- machtjustiz. In: Dimensionen der Verfolgung. Opfer und Opfergruppen im Dritten Reich. Hrsg. von Sibylle Quack, München 2003, S. 167-202, hier: S. 169 f. 48 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard in Einzelgesetzen zu regeln12. Man dürfe sich jetzt nicht mit solchen formaljuris- tischen Skrupeln belasten und friedenspolitische Bestimmungen nur deshalb nicht in die Landesverfassungen aufzunehmen, weil nationale Kompetenzen berührt würden, hieß es in allen drei Ländern fast gleichlautend hierzu. Dazu sei die Proble- matik einfach zu wichtig. Nachdem die Sozialdemokratie und die bürgerlichen Parteien auf so grausame Weise aus der Geschichte gelernt hätten und zutiefst bereuten, dass man vor 1933 nicht entschiedener dem Militarismus entgegengetreten sei, gelte es nun, das ge- samte Deutschland auf seine Verantwortung zum Frieden einzuschwören und den Krieg für immer zu ächten13. Denn das deutsche Volk müsse grundlegend neu erzo- gen werden. Dazu könne das Recht als Instrument der politischen Pädagogik dienen14. Wenn man bereits in den Landesverfassungen »klipp und klar« bekenne: »Der Krieg ist kein Mittel der Politik«, dann falle es dem deutschen Volk sicherlich leichter, sich »kompromisslos« von seiner furchtbaren Vergangenheit abzuwenden15. Der verhängnisvolle Geist des Militarismus und die »Hakenkreuzmentalität«, die allzu lange in Deutschland vorgeherrscht hätten, seien nämlich um der Zukunft des Landes willen radikal zu beseitigen, so einer der bedeutendsten Väter der bayerischen Landesverfassung, der Unabhängige Hans Nawiasky, der sich darin mit der Entmilitarisierungspolitik der Alliierten völlig einig wusste16. Das gelte umso mehr, als der Militarismus auch im Nachkriegsdeutschland noch »sehr wach« sei. Es bedürfe eines »sehr ernsten Kampf [es]«, »um ihn zu beseitigen«, wie Heinz Beck von der bayerischen SPD 1947 mit Blick auf die vielen kriegsentlassenen Berufsoffiziere der Wehrmacht anmahnte, die seiner Meinung nach überall im Land nur darauf warteten, dass »ihre Zeit wieder kommt«. Inzwischen gebe es schon . wieder Studenten, die demonstrativ mit Offiziermänteln und -stiefeln die Uni- versitäten beträten, um sich dadurch »aus der Masse herauszuheben«, so die Beobachtung des ehemaligen Widerstandskämpfers Beck17. Das alles erinnere ihn in fataler Weise an die Jahre nach 1918, als sich Freikorpsverbände gebildet hatten, die mit zum Fall der ersten deutschen Republik maßgeblich beigetragen hätten. Die damaligen »Warnungszeichen« werde man nun aber »um keinen Preis« mehr übersehen18. Die »Umerziehung der Jugend« zu einem »Pazifismus aus ernster, ehrlicher, sittlicher Überzeugung« stand für den Bayern Beck deshalb im Zentrum

12 2. Sitzung des Verfassungsausschusses der Verfassungsberatenden Landesversammlung am 8.8.1946. In: Die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946. Hrsg. von Helmut Berding, Wiesbaden 1996, S. 494-496. 13 30. Sitzung am 23.10.1947. In: Bayerischer , 1, Wahlperiode 1946-1950, Stenogra- phische Berichte, 28.-56. Sitzung, S. 53. 14 Petra Weber, Carlo Schmid 1896-1979. Eine Biographie, München 1996, S. 273. 15 2. Sitzung des Verfassungsausschusses (wie Anm. 12), S. 494. 16 Zit. nach: Barbara Fait, Demokratische Erneuerung unter dem Sternenbanner. Amerikani- sche Kontrolle und Verfassungsgebung in Bayern 1946, Düsseldorf 1998, S. 213. Zu den alliierten Gesetzen gegen das Wiederaufleben des deutschen Militarismus: Gutachten von Eberhard Menzel über die Notwendigkeit eines verfassungsändernden Gesetzes zur Errichtung deutscher bewaffneter Streitkräfte im Rahmen der Europäischen Verteidi- gungsgemeinschaft vom Juni 1952. In: Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd 1 /1: Die Fest- stellungsklage, München 1952, S. 280-322, hier: S. 297 f. 17 39. Sitzung am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag, 1. Wahlperiode 1946-1950, Stenographi- sche Berichte, 39.-60. Sitzung, S. 1313. 18 30. Sitzung am 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 53. Pazifismus per Gesetz? 49

aller Überlegungen19. Dass der Krieg kein Mittel der Politik sei, müsse bereits jedem Schulkind im Unterricht eingeimpft werden, »so dass es ihm als eine Selbstver- ständlichkeit in Fleisch und Blut übergeht«. Ein entsprechendes Gesetz könne eine »Bresche« in überholte Denkweisen schlagen20. Die deutschen Landesparlamentarier wollten aber nicht nur das eigene Volk erziehen, sondern auch in anderen Ländern zu einem grundlegenden Umdenken führen. Im Zeitalter des »Atombombenkriegs«, wie es nach Hiroshima bei Carlo Schmid von der SPD in seinem Entwurf für eine Verfassung von Württemberg- Baden aus dem Jahr 1946 hieß, werde der bewusste Verzicht Deutschlands auf eine Politik der militärischen Stärke in Zukunft ein »neues gesundes Vorbild« auch für andere Staaten sein. Das geschlagene Deutschland, so fuhr der gelernte Jurist und baldige Landesjustizminister fort, habe nun die »unschätzbare Gelegenheit«, aus der Not, »in die man uns gestürzt hat«, eine Tugend zu machen. Nicht weil man dazu von den Alliierten gezwungen sei, sondern aus freien Stücken solle Deutsch- land nun auf Macht verzichten. Das werde nämlich einen »moralischen Sog auf die übrige Welt« ausüben. Früher oder später könne sich dem keine Nation entzie- hen, eine friedfertige Welt werde am Ende dieser Entwicklung stehen. Die Politik des Gewaltverzichts, wie sie Gandhi mit großem Erfolg gegen die britische Kolonial- herrschaft in Indien praktiziert habe, könne nun das passende Vorbild für das be- setzte Deutschland sein21. Unter Berufung auf den Mahatma schlug Schmid schließlich in einem ersten Entwurf für die Verfassung von Württemberg-Baden, in der die Kriegsächtung einen der sechs Kernpunkte darstellen sollte, folgende Formulierung vor: »Die Beziehungen mit den anderen Staaten werden auf der Basis friedfertiger Zusammenarbeit unterhalten. Krieg ist kein Mittel der Politik. Jeder Versuch, der mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungs- widrig22.« Über die Notwendigkeit der Kriegsächtung bestand - so scheint es zumindest auf den ersten Blick - unter den Parteien in allen drei Ländern ein grundlegender Kon- sens. Trotzdem zogen sich die weiteren Diskussionen erheblich in die Länge. Vor allem die richtige Formulierung eines solchen Kriegsächtungsparagraphen bereitete, will man entsprechenden Äußerungen Glauben schenken, so manchem Parlamen- tarier Probleme. In Württemberg-Baden fühlte sich etwa der damalige Minister für Kultur und Erziehung und spätere Bundespräsident, , in seinem juristisch-ästhetischen »Stilgefühl« gestört, als er von dem Formulierungsvorschlag Schmids hörte: »Der Krieg ist kein Mittel der Politik23.« Es sei schon etwas merk-

19 Ebd. 20 73. Sitzung des Württembergisch-Badischen am 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch-Badischen Landtags. Protokollbd III. 1. Wahlperiode 1946-1950, 1948, S. 1790 f. 21 So Carlo Schmid in der 3. Sitzung des Verfassungsausschusses der Vorläufigen Volksver- tretung am 5.4.1946. In: Quellen zur Entstehung der Verfassung von Württemberg-Baden. Hrsg. von Paul Sauer, Bd 1, Stuttgart 1995, S. 14. 22 Art. 24 des Vorläufigen Entwurfs einer Verfassung für Nordwürttemberg und Nordbaden vom 24.4.1946, ausgearb. von Carlo Schmid. In: Verfassungsreden und Verfassungsent- würfe. Länderverfassungen 1946-1953, Bd 1. Hrsg. von Frank R. Pfetsch, a.M. [u.a.] 1986, S. 356. 23 5. Sitzung des Verfassungsausschusses der Vorläufigen Volksvertretung am 30.4.1946. In: Quellen zur Entstehung (wie Anm. 21), S. 105. 50 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

würdig, wenn eine so grundsätzliche Erklärung von einem so kleinen Land wie Württemberg-Baden gemacht werde. Da auch andere konservativ-liberale Delegierte diesen Satz als »zu pathetisch« empfanden24, entschied sich die Verfassungsgebende Versammlung, diesen zweiten Satz des Schmidschen Vorschlags ersatzlos zu strei- chen25. Was dann nach längerer, aber ergebnisloser Diskussion übrig blieb, war folgende Formulierung: »Jede Handlung, die geeignet ist, das friedliche Zusammen- leben der Völker zu stören, insbesondere die Vorbereitung eines Krieges, ist ver- fassungswidrig26.« Das entscheidende Manko an diesem Verfassungsentwurf war jedoch, dass keinerlei Strafe für den Fall vorgesehen war, dass die Verfassung verletzt würde. Zumindest die amerikanischen Besatzungsbehörden bemängelten das sogleich, als sie die neue Verfassung vom Oktober 1946 begutachteten. Obwohl sie den Artikel für nicht ausreichend »stark« hielten, akzeptierten die Amerikaner jedoch am Ende den Entwurf der deutschen Delegierten27. Zum einen wollten die zuständigen amerikanischen Besatzungsoffiziere die Verfassungsarbeit nicht unnötig verzögern. Zum anderen sollten - so der Grundsatz der Amerikaner bei der gesamten Verfassungsgebung - den Deutschen weitgehende Entscheidungskompetenzen belassen bleiben, damit der demokratische Neuaufbau der deutschen Bevölkerung nicht als reines Konstrukt der Besatzungsmächte erschien und möglicherweise deshalb abgelehnt würde. Schließlich sei eine Verfassung, die nicht vom Volk selbst komme, nicht das Papier wert, auf der sie geschrieben worden sei, wie ein amerikanischer Besatzungsoffizier hierzu Vermerkte28. Das Manko, keine Strafen für die Verletzung des Kriegsächtungsparagraphen vorzuschreiben, beseitigten auch die Hessischen Delegierten bei ihren 1946 begon- nenen Beratungen der Landesverfassung nicht, als sie die ursprüngliche Formulie- rung Carlo Schmids aus Württemberg-Baden zur Grundlage ihrer Beratungen machten. Wie August Martin Euler erklärte, der Vorsitzende der dortigen Liberalen Deutschen Partei (LDP), sei der Begriff »verfassungswidrig« juristisch bereits aus- reichend bindend29. Eine zusätzliche Bestimmung über mögliche Strafen sei deshalb nicht mehr notwendig. Im Gegensatz zu ihren Kollegen in Württemberg-Baden behielten die hessischen Parlamentarier jedoch die Formulierung Schmids bei: »Der Krieg ist geächtet«. Das geschehe aufgrund ihres hohen deklaratorischen Werts: Keine andere Formulierung könne die Intention der Verfassungsgeber klarer und prägnanter zum Ausdruck bringen. So lautete die endgültige und vollständige For- mulierung des späteren Artikels 69 der Hessischen Landesverfassung aus dem Jahr 1946: »Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der

24 So Gerhard Anschütz (CDU) während der 3. Sitzung des Verfassungsausschusses der Verfassungsgebenden Landesversammlung am 1.8.1946. Iii: Ebd., Bd 2, S. 210. 25 Fait, »In einer Atmosphäre von Freiheit« (wie Anm. 5), S. 442. 26 Art. 47 der Verfassung von Württemberg-Baden vom 28.11.1946. In: www.verfassungen.de/de/bw/wuertt-b46.htm. 27 Ausarbeitung der Civil Administration für den Stellvertretenden Militärgouverneur Lucius D. Clay betr. Division recommendation on which Civil Adminstration Division recommends that no action be taken vom 7.10.1946. In: IfZ-Archiv, Omgus-Akten, Selected Records MA 1420/9, Constitution of Württemberg-Baden. 28 Ausarbeitung von Richard Scammon »Constitutional milestones« o.D. In: Ebd., MA 1420/8. 29 2. Sitzung des Verfassungsausschusses (wie Anm. 12), S. 495 f. Pazifismus per Gesetz? 51

Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig30.« Selbst im konservativen Bayern, wo die CSU mit immerhin 109 von 180 Stimmen eine dominierende Stellung besaß, konnte man sich dieser pazifistischen Zeit- strömung nicht entziehen. So schwörten die Mütter und Väter der Landesverfassung von 1946 das Land auf unbedingten Frieden ein. In die Präambel fügten die Dele- gierten nach kurzer Beratung eine Passage ein, die zumindest darauf hinwies, wie präsent dem bayerischen Volk die Gräuel des letzten Krieges noch seien31. Eine Staatsordnung »ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen« habe ein furchtbares »Trümmerfeld« hinterlassen. Aber nun, mit der neuen demokratischen Verfassung, würden die »Segnungen des Friedens« einkeh- ren, so die beschwörende Formel der Präambel32. Weitaus weniger Konsens herrschte hingegen unter den Parteienvertretern in allen drei Landesparlamenten, als es um die Frage ging, ob es erstmals in der deut- schen Geschichte auch ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung geben sollte. Gegen einen solchen Vorschlag, der diesmal ausschließlich von Parlamentariern der SPD oder der KPD kam, erhoben sich im Gegenteil starke Gegenstimmen auf Seiten der bürgerlichen Parteien. Rührte doch die individuelle Rechtsgarantie, keinen Bürger gegen dessen Willen zum Militär einzuziehen, an den »Grundkonzeptionen« des konservativen wie des nationalliberalen Staats-, Gesellschafts- und Menschenver- ständnisses, wie der liberale Abgeordnete Hermann Kessler in Württemberg-Baden formulierte33. Zwar wusste selbst die CSU in Bayern, dass unter dem National- sozialismus Abertausende wegen Desertion oder Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt worden waren. Diese seien jedoch keine Opfer der Verfolgung durch das NS-Regime. Jedes Land habe nämlich grundsätzlich das Recht, seine Bürger notfalls mit Gewalt zur Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten zu zwingen. Die Pflicht zur Verteidigung des Vaterlands gründe sich schließlich auf »natürliches und göttliches Recht«, das aber ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht einschließe, so Max Zwicknagl, der spätere Schwiegervater von Franz Josef Strauß34. Wenn ein Volk nicht untergehen wolle, müsse jeder wehrfähige Mann grundsätzlich »zur Verteidigung der Freiheit, von Haus und Herd« eintreten, wie selbst der katho- lische Pfarrer und von den nationalsozialistischen Machthabern seines Amtes ent- hobene Wolfgang Prechtl im Bayerischen Verfassungsausschuss verkündete35.

30 Art. 53 der Hessischen Verfassung, bald danach umbenannt in Art. 69. In: www.hessenrecht.hessen.de/gvbl/gesetze/10__lVerfassung/10-l-verfass/ paragraphen/para69.htm. 31 1. und 2. Lesung der Präambel während der 28. und 29. Sitzung des Bayerischen Verfas- sungsausschusses am 4.9.1946. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung. Bd 3, München 1946, S. 619-621 und 649-654. Zur Entstehung der Präambel auch: Anette Zimmer, Demokratiegründung und Verfassungsgebung in Bayern. Die Entstehung der Verfassung des Freistaates Bayern von 1946, Frankfurt a.M. [u.a.] 1987, S. 268-270. 32 Bayerische Landesverfassung vom 2.12.1946. In: www.bayern.landtag.de/pdf_internet/Bayerische_Verfassung.pdf. 33 So Hermann Kessler von der Demokratischen Volkspartei (DVP): 73. Sitzung des Würt- tembergisch-Badischen Landtags am 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch- Badischen Landtags (wie Anm. 20), S. 1791. 34 30. Sitzung am 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 52. 35 Zit. nach dem Berichterstatter von der SPD, Ernst Vogtherr: 30. Sitzung am 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 51. 52 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

Ausdrücklich befürchtete die CSU, dass ein solches Recht auf Kriegsdienst- verweigerung zu einem Gesetz gegen die allgemeine Wehrpflicht verkommen könnte, sollte diese einmal wieder eingeführt werden. Schuld daran, dass man nun überhaupt ein solches Recht auf Kriegsdienstverweigerung diskutieren müsse, seien doch allein die »Auswirkungen der Nazizeit«, die den Begriff der »Vater- landsliebe« und »freiheitliche Gesinnung« heruntergezogen und mit Militarismus und Soldatentum gleichgesetzt hätten. Mit diesen Worten ging Karl Meißner, Dele- gierter der rechtsradikalen und in Bayern zeitweise mitregierenden Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV), zum Gegenangriff auf den Nachkriegspazifismus über, der sich seiner Meinung nach inzwischen überall ausgebreitet habe36. Gegen diese Rhetorik verwahrten sich die Vertreter der SPD und der KPD37. Das seien doch überholte Denkmuster. Ausgehend von den Eingaben der Jugend-, Frauen- und Friedensorganisationen und Zuschriften aus der Bevölkerung hielten Sozialdemokraten und Kommunisten dem entgegen, dass die Einstellung der Deut- schen gegenüber dem Krieg »heute eine ganz andere« als früher sei und dass man ganz dringend ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung einführen müsse38. Als Be- gründung führten sie eine ganze Reihe prinzipieller wie pragmatischer Argumente an. Ein großes Gewicht besaßen dabei tatsächlich die Erfahrungen, die diese Par- lamentarier während der Zeit des NS-Terrors und des Kriegs selbst gemacht hatten. Im hessischen Parlament erklärte beispielsweise die sozialdemokratische Abgeord- nete Elisabeth Seibert, dass sie wie die Mehrzahl der Abgeordneten einer Generation angehöre, die zwei Weltkriege »bei vollem Bewusstsein und als Verbrechen« erlebt habe3®. Die Einführung eines Rechtsschutzes für Kriegsdienstverweigerer sei nun eine große moralische Verpflichtung für die anwesenden Parlamentarier. Die deut- sche Jugend, die ein verbrecherisches Regime zu Millionen geopfert habe, dürfe nämlich nie mehr missbraucht werden40. In Bayern erzählte der SPD-Landesparla- mentarier Franz Haas davon, wie er während des Zweiten Weltkriegs »auf dem Kasernenhof vor 400 Mann« den Waffendienst verweigert hatte. In eine solche für ihn lebensbedrohende Lage wäre er doch nie geraten, wenn es damals schon ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gegeben hätte, so Haas, der deshalb mehrere Jahre Haft in Gefängnissen und im KZ Dachau hinter sich hatte41. Unterstützung erhielten die Abgeordneten Haas und Seibert von ihrem Partei- genossen Konrad Gumbel. Ein solches Recht sei nicht nur für Deutschland selbst

36 Ebd., S. 53. Nach wie vor grundlegend zur WAV: Hans Woller, Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-1955, Stuttgart 1982. 37 73. Sitzung des Württembergisch-Badischen Landtags, 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch-Badischen Landtags (wie Anm. 20), S. 1791. 38 So die sozialdemokratische Abgeordnete Elisabeth Seibert in Hessen während der 39. Sitzung des Hessischen Landtags am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag (wie Anm. 17), S. 1312. 39 Zur Biografie von Elisabeth Seibert: Gisela Notz, Frauen in der Mannschaft. Sozialdemo- kratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen 1948/49-1957, 2003, S. 80-110, hier: S. 88. 40 39. Sitzung am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag (wie Anm. 17), S. 1312. Analog die Ab- geordnete Anna Haag in Württemberg-Baden in der 73. Sitzung des Württembergisch- Badischen Landtags am 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch-Badischen Landtags (wie Anm. 20), S. 1790 f. 41 Zit. nach dem Berichterstatter von der SPD, Ernst Vogtherr: 30. Sitzung am 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 52. Pazifismus per Gesetz? 53

eine Notwendigkeit. Wie bei der Kriegsächtung sprach Gumbel in diesem Zusam- menhang auch von einer weltpolitischen Mission, die es zu erfüllen gelte:, »Wir in Deutschland wollen nicht, dass ein Deutschland geschaffen wird, in dem wieder der Furor teutonicus wut- und racheschnaubend aufersteht.« Man beabsichtige im Gegenteil »ein Land [zu] schaffen, von dem Friedenswellen nach allen Seiten aus- gehen, und wir wollen, dass Deutschland als erstes Land den entscheidenden Schritt getan hat, dem andere Länder folgen werden.« So könne das »früher anmaßende Wort« Wirklichkeit werden, »dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll«42. Das geplante Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung sollte somit als rein deklamatorisches Antikriegsgesetz fungieren. Für die CSU war jedenfalls klar, dass ein solches Gesetz allein einen »ideologischen Wert« besitze, weil es ein ausschließlich ostentatives »Bekenntnis zum Pazifismus« darstelle43. Auch wenn aus den Worten der sozialdemokratischen Abgeordneten volle innere Uberzeugung sprach; die Befürworter eines Rechts auf Kriegsdienstverwei- gerung bemühten in den Debatten auch pragmatische sowie deutschlandpolitische Argumente - wohl nicht zuletzt, um den politischen Gegner zu überzeugen. Die bayerische SPD etwa sah in dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch eine Chance, um die Welt von den friedfertigen Absichten eines geläuterten deutschen Volkes zu überzeugen und damit zu erreichen, dass die Alliierten die Demontage der deutschen Industrie beendeten. Ein solches Recht, so Heinrich Franke von der SPD, sei ein Beweis für die Berechtigung der Deutschen, »mit den Fabriken, die wir behalten wollen, arbeiten zu können, weil wir friedlich sind«44. Darüber hinaus sollten so die eigenen jungen Männer nicht nur vor einem etwai- gen Zugriff des deutschen Staats, sondern auch der alliierten Mächte geschützt wer- den. Sonst wären diese dazu »verurteilt«, als »Kolonialsoldaten« für fremde »im- perialistische Kräfte«, die aus den Kriegen Gewinne zögen, »die Kastanien aus dem Feuer zu holen«, wie der kommunistische Abgeordnete Oskar Müller in klassen- kämpferischem Jargon erklärte und dabei wohl die zweifelhafte Rekrutierungspra- xis der französischen Fremdenlegion in den deutschen Kriegsgefangenenlagern vor Augen hatte45. Dort suchten die Franzosen für ihre Kolonialkriege in Indochina und Algerien gezielt nach deutschen Spezialisten wie Fallschirmjägern; viele Gefangene stimmten nur deshalb der Anwerbung zu, um den Repressalien, den schlechten Lebensbedingungen in den Camps und einer etwaigen Verurteilung als Kriegsver- brecher zu entgehen46. Schließlich gelte es auch zu verhindern, dass aufgrund der »Zerreißung« des Landes in Besatzungszonen demnächst auf Befehl einer alliierten Macht hin Deutsche gezwungen seien, auf Deutsche zu schießen. In diesem Fall sollte es jedem Deutschen möglich sein zu sagen, dass sein Gesetz ihm das Recht gebe, nicht an diesem Kampf teilzunehmen, wie Vertreter der SPD erklärten47.

42 39. Sitzung am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag (wie Anm. 17), S. 1318. 43 30. Sitzung am 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 51. 44 Ebd., S. 57. 45 39. Sitzung am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag (wie Anm. 17), S. 1315. 46 Eckard Michels, Die Bundesrepublik und die französische Fremdenlegion 1949-1962. In: Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Hrsg. von Ernst Willi Hansen [u.a.], München 1995, S. 447-461, bes. S. 448 f. 47 So der Abgeordnete Hermann Nuding von der SPD: 73. Sitzung des Württembergisch- Badischen Landtags am 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch-Badischen Landtags (wie Anm. 20), S. 1792. 54 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

Diese Argumente bestachen so, dass zumindest in Bayern und Württemberg- Baden ein solches Recht auf Kriegsdienstverweigerung dann doch noch eingeführt wurde. Das geschah, obwohl die bürgerlich-konservativen Parteien in beiden Ländern über eine Mehrheit verfügten, und die Sozialdemokratie nicht einmal vor polemischen Attacken auf den politischen Gegner Halt machte. In Bayern etwa warfen Abgeordnete der SPD der Regierungspartei vor, sich des »Massenmord[s]« schuldig zu machen, weil sie das 1947 von der Sozialdemokratie in den Landtag eingebrachte »Gesetz zur Straffreiheit bei Kriegsdienstverweigerung« abgelehnt hatte. Denn nichts anderes als Mord sei doch die Ableistung des Kriegsdienstes. Hier dürfe auf einmal »gemordet« werden, während die CSU in der Debatte um die Abtreibung für den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens eingetreten sei, echauffierten sich sozialdemokratische Redner. Das sei doch völlig widersprüchlich. Wo bleibe denn auf einmal bei der CSU, die sonst immer behaupte, das Christentum in »Erbpacht« genommen zu haben, das biblische Gebot »Du sollst nicht töten«48? Im weiteren Verlauf der Aussprache wurde die Kritik an der CSU richtiggehend ätzend. Die Partei habe Hitler doch überhaupt erst möglich gemacht. Es sei schließ- lich Georg Stang gewesen, der als Zweiter Vorsitzender der Fraktion der Bayerischen Volkspartei in den Jahren zwischen 1920 und 1924 den Nationalsozialismus in Bayern »großgezogen« habe, der sich dann über ganz Deutschland verbreitet habe, wie Jean Stock aus eigener Erinnerung zu berichten wusste, in der Weimarer Repu- blik jüngster Abgeordneter der SPD im Bayerischen Landtag. Die Bayerische Volks- partei habe doch zusammen mit dem seinerzeitigen Ministerpräsidenten Gustav von Kahr die terroristischen Mordaktionen der SA und anderer Organisationen gegen sozialdemokratische Politiker wie Karl Gareis gedeckt oder zumindest für gut geheißen49. Es seien noch immer dieselben Leute, die da auf den Rängen des Maximilianeums säßen, auch wenn ihre Partei sich inzwischen CSU nenne. Ihre »Grundeinstellung« hätten sie im Gegensatz zu ihrem Namen nämlich nicht geän- dert. Mehrheitlich sei der Landtag immer noch so »reaktionär« wie in den frühen 1920er Jahren, wie Stock ausführte und sich dabei gegen die immer erregteren Zwischenrufe etlicher CSU-Parlamentarier kaum mehr Gehör zu verschaffen wuss- te50. Die wiesen voller Entrüstung darauf hin, dass schließlich auch sie in den Kon- zentrationslagern der Nationalsozialisten gesessen hätten51. In der nun tumultuarisch verlaufenden Diskussion zeigte sich jedoch, dass innerhalb der Christkonservativen und der Liberalen in der Frage der Kriegsdienst- verweigerung in keiner Weise Einigkeit bestand. So erklärte der CSU-Abgeordnete August Schwingenstein, der am eigenen Leib erfahren hatte, was politische Verfol- gung durch die Nationalsozialisten bedeutete, dass der Krieg auch für ihn grund- sätzlich »Massenmord« bedeute. Aus diesem Grund heiße er die Vorschläge der

48 So die erregten Zurufe von sozialdemokratischen Abgeordneten, deren Namen nicht notiert wurden: 30. Sitzung vom 23.10.1947, in: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 51. 49 Ebd., S. 56. Zur demokratieablehnenden Haltung der BVP grundlegend: Klaus Schön- hoven, Die Bayerische Volkspartei 1924-1932, Düsseldorf 1972. 50 Zu ganz ähnlichen Vorwürfen von gegenüber Alois Hundhammer von der CSU: Udo Wengst, Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, S. 116. 51 Zur Auseinandersetzung innerhalb der CSU zwischen NS-Verfolgten und Belasteten siehe exemplarisch: Thomas Schlemmer, Grenzen der Integration. Die CSU und der Um- gang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Fall Dr. Max Frauendorfer. In: VfZ, 48 (2000), S. 675-742. Pazifismus per Gesetz? 55

Opposition für gut52. Nach Schwingsteins Stellungnahme herrschte im Sitzungssaal des Parlaments »betretenes Schweigen« bei der CSU, wie die Süddeutsche Zeitung fasziniert schrieb. Die SPD dagegen holte zu »ohrenbetäubendefm] Beifall« aus53. Noch während der folgenden Rede des Abgeordneten Jean Stock von der SPD kippte die Stimmung im Bayerischen Landtag dann ganz um. Stock, der 1917 selbst den Kriegsdienst verweigert und zudem eine langjährige Haft in einem Konzen- trationslager hinter sich hatte, wandte sich in seiner Rede sehr geschickt an die weiblichen Delegierten der CSU. Im letzten Krieg hätten diese doch für ihre »Söhne und Ehemänner« so sehr gelitten, gab Stock zu bedenken. Die Frauen in der CSU müssten nun dafür Sorge tragen, dass das nicht noch einmal geschehe. Wie könnten sie es denn sonst mit ihrem »Gewissen vereinbaren«, diesem Gesetz nicht zuzu- stimmen? Sie müssten nun ihre männlichen Parteikollegen zwingen, dem Gesetz zuzustimmen54. Auf die Aufforderung Stocks hin zogen sich die weiblichen Ab- geordneten der CSU, inzwischen sehr nachdenklich geworden, zur Beratung in eine Ecke des Plenarsaals zurück und übten im weiteren Verlauf der Beratungen tatsächlich erheblichen Druck auf die Männer in den Reihen der Christsozialen aus55. Noch in der gleichen Parlamentssitzung setzte der Abgeordnete Michael Hor- lacher, auch er ein ehemaliger KZ-Insasse, zu einem seiner berühmten Seitensprünge von der Fraktionsdisziplin an56. Der spätere Landtagspräsident gab seiner Partei in diesem Streit eine gangbare Kompromisslinie vor, der die CSU dann tatsächlich folgte. Da die SPD versichert habe, dass das geplante Gesetz nicht die »Notwehr- pflicht« des Staates ab absurdum führen wolle, sondern auch weiterhin garantiert sei, dass eine ausreichende Zahl von Bürgern zur Verteidigung des Vaterlandes bereit stehen werde, könne sich die Fraktion ohne Bedenken einverstanden erklären. Um seine Parteikollegen vollauf davon zu überzeugen, dem geplanten Gesetz ihre Zustimmung zu geben, verwies Horlacher darauf, dass im vorangegangenen Weltkrieg doch nicht nur der Kriegsdienstverweigerer, sondern das gesamte deut- sche Volk »in Gewissenskonflikten« gefangen gewesen sei. Die Menschen, die vom Krieg ja gar nichts hätten wissen wollen und allein mit »inneren Widerstreben« mitgemacht hätten, hätten sich durch das Hitler-Regime und die »Kriegstreiber« ihre Seele »massakrieren« lassen müssen. Denn ungeachtet aller Gewissensbedenken hätten die »tapferen« deutschen Soldaten im Wissen, einer »falschen Sache« zu die- nen, aus reinem Pflichtgefühl ihren Befehlen weiterhin gehorcht. Und auch die »Mütter, die Frauen, die Verlobten« und schließlich die Vertriebenen hätten sich heldenhaft verhalten. Auch sie seien zu Opfern eines Regimes geworden, deren höchste Repräsentanten sich am Ende des Krieges - von Goebbels über Göring bis hin zu Hitler selbst - durch Selbstmord feige aus der Verantwortung gestohlen hätten. Alle diese Opfer würden ein »Ruhmesblatt in der Geschichte« einnehmen,

52 30. Sitzung vom 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 54 f., 57. Zitat S. 54. 53 Hans-Ulrich Kempski, »Niemand kann zum Militärdienst gezwungen werden!«. In: Süd- deutsche Zeitung, 25.10.1950. 54 30. Sitzung vom 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 56. 55 Das geschah vor allem in der folgenden Fraktionssitzung am 23.10.1947, über die wir bedauerlicherweise keine weiteren Hinweise haben. Nach telefonischer Auskunft der Hanns-Seidel-Stiftung in München vom 10.7.2003 existiert kein Protokoll dieser Frak- tionssitzung. 56 Nachfolgendes nach: 30. Sitzung vom 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 57 f. 56 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard wie es in dem für die damalige Zeit typischen Gestus der Selbstviktimisierung hieß57. Man müsse nun das »Vermächtnis der Toten« aufnehmen und aus ihrem »Heldenmut« die Konsequenz ziehen, »dass wir mit Leidenschaft für den Frieden kämpfen«. Aus diesem Grund, da zweifelte Horlacher keine Minute, würden seine Parteigenossen dem Gesetz ihre Zustimmung geben. Einzige Bedingung der CSU war, dass dem Gesetz eine entsprechende erläu- ternde Präambel vorangestellt werden sollte. Diese Präambel sollte sich auf das geltende Völkerrecht berufen, demzufolge der Krieg zwar allgemein geächtet werde, zugleich aber die Landesverteidigung ausdrücklich erlaubt sei. Wohl um keine weiteren Diskussionen mit dem politischen Gegner zu provozieren, tauchte im endgültigen Text der Präambel dieser letzte Punkt allerdings nicht ausdrücklich auf. So hieß es dort nur: »Bayern bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerver- ständigung. Der Krieg wird durch das Völkerrecht geächtet. Die bayerische Volks- vertretung steht zu den Grundsätzen des Völkerrechts.« Unter diesen Voraussetzungen erklärten sich die Mitglieder der CSU und der WAV schließlich mit dem Gesetz einverstanden. Ein solches Gesetz sei ein guter Weg, um die »Außenwelt wissen zu lassen«, dass man in Deutschland nie wieder Krieg wolle, wie Josef Piechl von der CSU als vorletzter Redner versöhnlich-pathe- tisch verkündete58. Am Ende sogar einstimmig verabschiedeten die Parlamentarier noch an diesem Tag, dem 23. Oktober 1947, unter »tosende[m] Applaus von allen Seiten« das »Gesetz über die Straffreiheit bei Kriegsdienstverweigerung«. Darin hieß es: »Kein Staatsbürger darf zum Militärdienst oder zur Teilnahme an Kriegs- handlungen gezwungen werden. Aus der Geltendmachung dieses Rechts dürfen ihm keine Nachteile erwachsen.« Ähnlich schwierig gestaltete sich die Einführung des Rechts auf Kriegsdienst- verweigerung in Württemberg-Baden, wo eine Gruppierung der SPD unter Führung der Abgeordneten Anna Haag im April 1947 einen Gesetzesentwurf zur Kriegs- dienstverweigerung in den Landtag einbrachte. Im zuständigen Rechtsausschuss machten liberale wie konservative Abgeordnete große Bedenken gegen einen derartigen Rechtsschutz geltend. In einer demokratischen Gesellschaft, die man gerade aufbaue, sei jeder verpflichtet, sich den »Auflagen, die ihm die demokratische Gesellschaft erteilt«, zu unterziehen, so das klassisch liberale Argument, das vor allem Theodor Heuss in den Reihen der FDP vertrat59. Man müsse erkennen, führte Hermann Kessler von der Demokratischen Volkspartei weiter aus, dass man mit einem derartigen Gesetz weder »Kriege aus der Welt schaffen, noch viel weniger unsere eigene Verpflichtung zur Verteidigung unseres Landes hinwegdisputieren könne«60. Denn »der Wille der Verteidigung seines Volkstums und seiner Volksge- samtheit im Staat«, hieß es bei dem Parlamentarier in einer Sprache, die durchaus

57 Zur Opferstilisierung der Deutschen nach 1945 allgemein: Thomas Kühne, Die Viktimi- sierungsfalle. Wehrmachtsverbrechen, Geschichtswissenschaft und symbolische Ordnung des Militärs. In: Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik. Hrsg. von Michael Th. Greven und Oliver von Wrochem, Opladen 2000, S. 183-196. 58 30. Sitzung vom 23.10.1947. In: Bayerischer Landtag (wie Anm. 13), S. 58. 59 73. Sitzung des Württembergisch-Badischen Landtags am 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch-Badischen Landtags (wie Aftm. 20), S. 1789 f. 60 Ebd., S. 1791. Pazifismus per Gesetz? 57 noch an die des Nationalsozialismus erinnerte, gehöre »zu einem der historischen Requisiten einer wahren Demokratie«. Um die Gegner ihres Gesetzesentwurfs doch noch umzustimmen, hielt die Ab- geordnete und Schriftstellerin Anna Haag, bereits während der Weimarer Republik in der Friedensbewegung engagiert und 1945 Gründungsmitglied der Internatio- nalen Frauenliga für Frieden und Freiheit61, ein flammendes Plädoyer: »Abgeordnete! Ich habe mir gedacht, dass dieser Gesetzesentwurf angesichts der zahllosen Leidensstationen, die unser Volk durchwandern musste und die von vielen noch nicht endgültig durchschritten sind, keines Kommentars bedürfe.« Nun aber sehe sie, dass ihre Kollegen in einen inneren Zwiespalt gekommen seien. »Ich möchte diesen Kollegen sagen, sie möchten doch einmal jene Lazarette besuchen, wo die Menschen wracks, unseren Augen entrückt, lebendig begraben sind, jene Überbleibsel junger, schöner Menschen ohne Gesichter, ohne Rücken, menschliche Rümpfe ohne Arme und ohne Beine, aber mit dem lebendigen Bewusstsein, das sie zwingt, in jeder Minute ihre Qual« wahrzunehmen. Viel wesentlicher sei aber noch, dass diese jungen Männer gezwungen gewesen seien, das gleiche auch jungen Männern auf der gegnerischen Seite anzutun. Sie glaube, fügte die Abgeordnete Haag hinzu, dass viele ehemalige Soldaten »noch Jahre an dieser Verantwortung zu leiden haben werden«. Ihnen werde es gehen wie dem Unteroffizier Beckmann aus dem Stück >Draußen vor der Tür< von Wolf- gang Borchert. Es zeige »uns einen Mann [...], der aus dem Osten zurückkehrt und [...] der die Verantwortung, die ihm aufgetragen worden ist, und alles Unbegreif- liche, das er erleiden und tun musste, nicht mehr tragen kann62.« Damit die nachfol- genden Generationen nicht gezwungen seien, ebenso innerlich zu zerbrechen, müsse es erstmals in der deutschen Geschichte ein Recht auf Kriegsdienstverwei- gerung geben. Wie schon zuvor in Bayern kam es schließlich auch im württembergisch-badi- schen Landtag zu einem dramatischen Meinungsumschwung. Mit deutlicher Mehr- heit schlossen sich am Ende die Parlamentarier den so eindrücklich vorgetragenen Argumenten der Abgeordneten Haag an; in allen Fraktionen war zuvor der Frak- tionszwang aufgehoben worden. Trotz der grundsätzlichen Bedenken, die seine Partei gegen das Gesetz hege, führte Kessler von den Liberalen zu diesem Stim- mungswandel aus, werde die Demokratische Volkspartei dem Gesetzesentwurf der SPD zustimmen, weil das ein Zeichen der Hoffnung setze für eine durch den Nationalsozialismus zutiefst desillusionierte, »in ihrem Herzen ausgebrannte« Ju- gend, die der Soziologe Helmut Schelsky bald die »Skeptische Generation« nennen sollte63. Er für seine Person, erklärte Kessler, der nach eigenen Aussagen 1914 frei- willig, 1939 gegen seinen Willen Soldat geworden war, werde sich jedenfalls das »moralische Recht« schaffen, »das nächste Mal mich zu weigern, für einen Hitler in den Krieg zu ziehen«. Von diesem Gedanken aus, so fuhr Kessler fort, bejahe er

61 Vgl. das Kurzporträt in: Ina Hochreuther, Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Parla- mentarierinnen von 1919 bis heute. Hrsg. vom Landtag Baden-Württemberg, Stuttgart 2002, S. 113-116. 62 73. Sitzung des Württembergisch-Badischen Landtags am 22.4.1948. In: Verhandlungen des Württembergisch-Badischen Landtags (wie Anm. 20), S. 1791. 63 Zu Schelskys einflussreichem Werk neuerdings: Franz-Werner Kersting, Helmut Schelskys »skeptische Generation« von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerkes. In: VfZ, 50 (2002), S. 465-495. 58 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard das Gesetz. Den Fraktionskollegen stehe es frei, in der Frage nach ihrem Gewissen abzustimmen. Dass die meisten der Angesprochenen im Anschluss daran tatsächlich für das Gesetz votierten, lag wohl nicht zuletzt auch daran, dass Theodor Heuss, einer der größten Gegner eines solchen Gesetzes innerhalb der Liberalen, krank- heitsbedingt fehlte und so keinen »Krach« schlagen konnte, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern, wie er später selbst formulierte64. Nur einen Monat später begann auch im hessischen Parlament eine Debatte über ein Gesetz zum Schutz der Kriegsdienstverweigerer, das den Artikel 69 der Landesverfassung konkretisieren sollte. Als die SPD, die im Landtag immerhin über die Mehrheit verfügte, dort einen Antrag präsentierte, schlug ihr jedoch ein beinahe noch heftigerer parlamentarischer Gegenwind entgegen, als ihn die bayeri- schen und württembergisch-badischen Genossen erlebt hatten65. Wie Abgeordnete der Christdemokraten und nun auch der Kommunisten einhellig kritisierten, lie- ßen sich die neuen militärischen Konflikte der Welt wie etwa der zwischen Israelis und Palästinensern nicht durch ein Gesetz eines kleinen deutschen Landes zur Kriegsdienstverweigerung verhindern66. Ein solches Gesetz, verstanden als globales Antikriegsgesetz, sei in der heutigen weltpolitischen Lage einfach eine »gefährliche Illusion«, so Oskar Müller von der KPD, der im Ersten Weltkrieg volle vier Jahre Soldat gewesen war67. Bereits wenige Jahre nach dem totalen Zusammenbruch begannen also neue Konfliktsituationen in anderen Weltregionen die Erfahrungen westdeutscher Politi- ker mit dem vorangegangenen Weltkrieg und der NS-Diktatur zu überformen. Da sich die Parlamentarier des hessischen Landesparlaments in den folgenden Ausspra- chen nicht sofort einigen konnten und da bald die Verhandlungen über eine vorläu- fige Verfassung für Westdeutschland in Bonn beginnen sollten, wo die Frage der Kriegsdienstverweigerung bereits auf der Agenda stand, stellten sie die Beratungen der Gesetzesnovelle schließlich kurzerhand ein68.

II. Die große Relativierung im Zeichen der -Blockade - die Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat, 1948/49

Als sich am 1. September 1948 die Delegierten des Parlamentarischen Rats in Bonn einfanden, um ein Grundgesetz für Westdeutschland auszuarbeiten, hatten sich die Ausgangsbedingungen für die zu beratenden friedenspolitischen Fragen ent- scheidend verändert. Das betraf weniger die alliierte Besatzungspolitik der Alliier- ten; Amerikaner, Briten und Franzosen machten nach wie vor in dieser Hinsicht

64 So Heuss rückblickend in der 15. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 27.10.1948. In: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Bd 5/1: Ausschuss für Grundsatzfragen, Boppard 1993, S. 418. 65 39. Sitzung am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag (wie Anm. 17), S. 1312-1314; Antrag der Fraktion der SPD betreffend Gesetzesentwurf zur Ausführung des Artikels 69 HV, vom 14.3.1948. In: Hessischer Landtag, 1. Wahlperiode 1946-1950, Drucksachen, Nr. 724, S. 890. 66 39. Sitzung am 25.5.1948. In: Hessischer Landtag (wie Anm. 17), S. 1314. 67 Ebd. 68 66. Sitzung am 21.9.1948. In: Ebd., S. 2388. Pazifismus per Gesetz? 59

keine konkreten Vorgaben. In den Londoner Empfehlungen vom 7. Juni 1948 zur Weststaatsgründung hatten sie lediglich dekretiert, dass der zu gründende west- deutsche Staat föderalistischen Typs sein sollte. Klar war allerdings nach den Frank- furter Dokumenten vom 1. Juli, in denen die Alliierten das künftige Besatzungsstatut ümrissen, dass sich die Besatzungsmächte auch weiterhin umfangreiche Souverä- nitätsrechte im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik vorbehalten wollten69. Was sich jedoch geändert hatte, war, dass seit Kriegsende beinahe drei Jahre vergangen waren, während derer die Erinnerung an Weltkrieg und Nationalsozialis- mus bereits sedimentiert war. Zudem waren die Hauptprobleme bereits in den Regionalparlamenten ausführlich diskutiert worden, d.h. waren die Erfahrungen aus den Jahren zwischen 1933 und 1945 durch den »Filter« der Landesverfassungen gegangen70. Vor allem aber hatte in der Zwischenzeit der Kalte Krieg zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR begonnen, dessen Konfliktlinie genau durch das geteilte Deutschland verlief1. Nur drei Monate, bevor die Verfasser des Grund- gesetzes in der künftigen Hauptstaat Bonn zusammen kamen, hatten die Sowjets mit der Blockade begonnen. Die Gefahr eines neuerlichen Weltkriegs er- schien damit immer realer. So nimmt es nicht wunder, dass im Herbst 1948 nicht nur die amerikanische Regierung an die Einbeziehung Deutschlands in die Vertei- digung der westlichen Welt dachte, sondern auch im Ausland wie in Westdeutsch- land eine öffentliche Debatte über einen möglichen Sicherheitsbeitrag des künftigen Weststaates begann72. Im Rheinischen Merkur, einer Adenauer besonders nahe ste- henden Wochenzeitung, konnte man Anfang November 1948 einen Leitartikels seines Herausgebers Kramer lesen, der wenigstens für einen »bescheidenen Selbst- schutz« eintrat73. In der Schwäbischen Post wurde man noch deutlicher: Zur Ver- teidigung des »Abendlands« sei eine westdeutsche Verteidigungsarmee aufzu- bauen74. All das verschob die Akzente bei der Frage von Krieg und Frieden in den Bera- tungen des Parlamentarischen Rats erheblich. Zwar übernahmen die Bonner Dele- gierten, die erneut zahlreiche Eingaben aus der Bevölkerung erhielten75, im Kern alle drei Bestimmungen zu Krieg und Frieden aus den Landesverfassungen. Auf- grund der veränderten politischen Großwetterlage wurden diese jedoch nun teil-

69 Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd 1: Vorgeschichte. Bearb. von Volker Wagner, Boppard a.Rh. 1975, S. 33 f. 70 Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz; Die - verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Tübingen 1960, S. 22. 71 Anders hierzu: Karlheinz Niclauß, Politische Kontroversen im Parlamentarischen Rat. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 32-33 (1998), S. 20-28, hier: S. 21. 72 Foerster, Innenpolitische Aspekte (wie Anm. 4), S. 430-432; Stellungnahme der Nie- dersächsischen Landesregierung zur Frage der Vereinbarkeit des Vertrages über die Grün- dung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit dem Grundgesetz für die Bun- desrepublik Deutschland vom 21.8.1952. In: Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd 1/2: Das Gutachtenverfahren, München 1953, S. 402^154, hier: S. 421 f. 73 Im Vorgelände. In: Rheinischer Merkur, 6.11.1948, S. 1. Zur Reaktion Adenauers auf den Artikel: Die Unionsparteien 1946-1950. Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschlands und der Konferenzen der Landesvorsitzenden. Bearb. von Brigitte Kaff, Düsseldorf 1991, S. 265. 74 Rudolf Vogel, Westdeutschlands Abwehr. In: Schwäbische Post, 11.11.1948. 75 Die Eingaben aus der Bevölkerung, so etwa vom Berliner Frauenbund aus dem Jahr 1947, sind gesammelt in: Bundesarchiv Koblenz, Ζ 5/107-115. 60 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

weise deutlich relativiert. Das zeigt sich mit aller Deutlichkeit bei der Kriegsächtung. Anstatt jedwede Kriegsvorbereitung zu ächten, verbot das Grundgesetz in seiner endgültigen Fassung in Artikel 26 nur mehr den Angriffskrieg. Zu diesem Ergebnis gelangten die Parlamentarier allerdings erst nach einer langwierigen und heftigen Debatte. Die Sozialdemokratie verfolgte nämlich anfangs weiterhin ihre Position, jeden Krieg zu ächten. »Wir müssen ein Stück weiter gehen, als man bisher üblicherweise gegangen ist, und sollten in unserem Land schlechthin untersagen, die Führung von Kriegen vorzubereiten«, wie Carlo Schmid noch ein- mal zur Vorreiterrolle erklärte, die Deutschland hier einnehmen sollte76. Obwohl die Nürnberger Prozesse eindeutig definiert hätten, was ein »Angriffskrieg« sei, wolle die SPD bei ihrer bisherigen Haltung bleiben und jeden Krieg ächten. »In einem geordneten Zusammenleben der Völker« müssten die Nationalstaaten nun einmal auf dieses »Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte« verzichten, wie Schmid in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Hauptausschusses das Recht auf Krieg- führung bezeichnete. In scharfem Gegensatz dazu wollten die bürgerlichen Parteien nun nicht einmal mehr eine Bestimmung zur Kriegsächtimg ins Grundgesetz aufnehmen. Ihre Gegen- formulierung klang jedenfalls äußerst lau. So schlug der CDU-Delegierte Robert Lehr, ehemals Mitglied der nationalkonservativen DNVP und Sohn eines Berufs- offiziers77, vor, lediglich die »Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker störten« als »verfassungswidrig« zu definieren78. Damit blieben die bürger- lichen Parteien hinter ihrer Ausgangsposition zurück - sowohl in Hessen als auch in Württemberg-Baden hatten sie ja einer ostentativen Achtung jedes Kriegs zuge- stimmt. Wie die recht unverblümten Begründungen von Vertretern der CDU und der FDP nun deutlich zeigten, hatten hinter ihrem früheren Einverständnis jedoch vor allem taktische Gründe gestanden. Damals habe man auf die Amerikaner Rück- sicht nehmen müssen, die im Rahmen ihrer Entmilitarisierungspolitik von den Deutschen einen völligen Abschied von jeder Form von Militarismus erwartet hät- ten, erklärte frank und frei Theodor Heuss während einer Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen im Parlamentarischen Rat im Oktober 1948. Doch danach habe sich die weltpolitische Lage entscheidend verändert: Der aufkommende Kalte Krieg habe die Idee der Entmilitarisierung des Landes immer weniger wichtig er- scheinen lassen. Die Westalliierten hätten im Gegenteil die Westdeutschen in immer stärkerem Maß als militärischer Partner gegen die Sowjetunion begriffen. An einer Friedenserklärung vonseiten der Deutschen seien die Amerikaner bald nicht mehr »so furchtbar interessiert« gewesen, wie Heuss weiter zur nie offen ausgesprochenen Erwartungshaltung der Alliierten ausführte79. Die dadurch erfolgte Ausweitung des deutschen Handlungsspielraums erweise sich nun als sehr nützlich. Wie der zukünftige Bundespräsident erklärte, sei man

76 6. Sitzung des Hauptausschusses am 19.11.1949. In: Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 71 f. 77 Vgl. die Kurzbiografie in: Erhard H.M. Lange, Wegbereiter der Bundesrepublik. Die Ab- geordneten des Parlamentarischen Rates. Neunzehn historische Biografien, Brühl 1999, S. 71-82. 78 29. Sitzung des Hauptausschusses am 5.1.1949. In: Parlamentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 347. 79 15. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 27.10.1948. In: Der Parlamentarische Rat, Bd 5/1 (wie Anm. 64), S. 419. Pazifismus per Gesetz? 61 in Bonn nämlich dabei, »ein Werk der Demokratie zu schaffen«80. Doch diese Demo- kratie müsse verteidigt werden - und zwar durch eine Wehrpflichtarmee. Die wiederum sei »das legitime Kind der Demokratie«, weil deren »Wiege« im revo- lutionären Frankreich gestanden habe, wie Heuss die diskreditierte deutsche Armee verteidigte, sich dabei allerdings einer falschen historischen Argumentation be- diente. Heuss übersah geflissentlich, dass die Einführung der Wehrpflicht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts ja gerade unter der autoritären preußi- schen Monarchie im Zeichen der Restauration gegen Napoleon erfolgt war81. Kurz darauf versuchte die CDU, die Delegierten der SPD und KPD mit einem plumpen Schachzug in der Frage zu überrumpeln. Ohne vorherige Absprache er- setzte der Leiter des Redaktionsausschusses, , im Entwurf den Begriff »Krieg« kurzerhand durch »Angriffskrieg«. Das Vorgehen der Christ- demokraten brachte den Abgeordneten von der KPD, Karl Renner, regelrecht in Rage. Das sei ja ein starkes Stück, eine so wichtige Entscheidung »heimlich« in einem Ausschuss zu fällen, der lediglich für Formulierungsfragen zuständig sei, an- statt das Problem offen im dafür zuständigen Grundsatzausschuss mit den Dele- gierten zu besprechen82. Renner, der ausdrücklich an der einfachen und deshalb sehr einprägsamen Formel »Der Krieg ist verboten« festhalten wollte, erinnerte nun daran, dass Lehr Mitglied der rechtsradikalen DNVP und damit einer Partei gewesen war, die der Steigbügelhalter bei Hitlers »Machtergreifung« gewesen sei. Renner spielte hier wohl auf die Tatsache an, dass Lehr den »Führer« der national- sozialistischen Bewegung im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieclub in Anwe- senheit zahlreicher Industrieller, Bankiers und höherer Beamter offiziell begrüßt und ihm damit zu einem großen Propagandaerfolg verholfen hatte83. Doch Renner ging in seiner Kritik noch weiter: Wie er erklärte, gehe es Lehr doch um nichts an- deres, als einen neuerlichen Krieg vorzubereiten. Die Diskussion im Parlamentari- schen Rat, die sich ansonsten gerade durch einen »verschämten Totalkonsensus«84 und ein Höchstmaß an Respekt vor dem politischen Gegner auszeichnete, geriet somit an dieser Stelle zu einer ausgesprochen polemischen Generalabrechnung mit den kompromittierten Mitgliedern der deutschen Rechten. Gegen die harschen Vorwürfe Renners wurde Lehr sowohl von Zentrumsabge- ordneten Johannes Brockmann als auch vom sozialdemokratischen Remigranten umgehend in Schutz genommen; man wisse genau, dass der Kollege keinen neuerlichen Krieg wolle85. Trotzdem stieß Lehrs Vorstoß vorerst noch auf keine sonderliche Gegenliebe im Ausschuss. Die Mehrheit der Delegierten erklärte sich im Gegenteil damit einverstanden, den Passus, dass der Krieg kein Mittel der

80 43- Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 18.1.1949. In: Parla- mentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 545-547. 81 Detlef Bald, Die Wehrpflicht. Das legitime Kind der Demokratie? Vom Wehrrecht zur Wehrpflicht in Deutschland, München 1991. 82 Die Mitglieder des Redaktionsausschusses, Heinrich von Brentano von der CDU, Georg- August Zinn von der SPD und Thomas Dehler von der FDP, nahmen auch in anderen Fragen inhaltlich Einfluss: Wengst, Thomas Dehler (wie Anm. 50), S. 123. 83 Zu der in der Forschung umstrittenen Rolle Lehrs bei der »Machtergreifung« vgl. die Kurzbiographie in: Lange, Wegbereiter der Bundesrepublik (wie Anm. 77), S. 75. 84 Ernst Nolte, Deutschland und der Kalte Krieg, München, Zürich 1974, S. 251. 85 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Adenauer und Renner: Rudolf Morsey, Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat. In: VfZ, 18 (1970), S. 62-94, hier: S. 70. 62 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

Politik sei, beizubehalten und »ausdrücklich« einen Artikel zur Kriegsächtung in das Grundgesetz aufzunehmen. Doch Teile der CDU und der FDP ließen in der Frage nicht mehr locker. Immer wieder versuchten sie die übrigen Delegierten in eindringlichen Redebeiträgen davon zu überzeugen, dass das Kriegsverbot sich allein auf Angriffskriege erstrecke dürfe, weil kein Volk ein Recht habe, »sich der Pflicht zu seiner Verteidigung zu entziehen«, wie Thomas Dehler eindringlich mahnte, Kriegsfreiwilliger von 1914 und späterer Bundesjustizminister86. Das gelte umso mehr, als »unser Land, unsere Heimat, offen vor den Russen« liege, weil die westalliierten Streitkräfte inzwischen deutlich reduziert worden seien, wie auch Adenauer an anderer Stelle mahnte87. Im Verlauf der dritten Sitzung des Hauptausschusses setzte sich auf Drängen Dehlers diese Position dann tatsächlich durch88. Das Ergebnis der Abstimmung in dieser Sitzung fiel mit 14 Pro- zu drei Gegenstimmen sogar ganz eindeutig aus89. Damit lautete der endgültige Artikel 26 des Bonner Grundgesetzes wie folgt: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusam- menleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten, sind verfassungswidrig90.« Wie kam es zu diesem unvermuteten Positionswechsel aufseiten der Sozialde- mokratie? Angesichts der immer angespannteren »weltpolitischen Situation« sei die Kriegsächtung einfach »illusorisch«. Das erklärte Fritz Eberhard mit Blick auf den aufkommenden Kalten Krieg in einer Ausarbeitung für die Parteiführung bereits im Jahr 1948. Der bald entstehende Weststaat müsse sich doch militärisch verteidigen können, gab der Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs und eben erst aus dem engli- schen Exil zurückgekehrte Emigrant zu bedenken91. Schließlich trete das »Sowjet- system« die Menschenwürde mit Füßen. Eine »Kriegsdienstverweigerung unter allen Umständen« dürfe es deshalb ebenso wenig geben wie die Haltung »Nie wie- der Krieg«. Er könne sich durchaus Umstände vorstellen, so Eberhard, »wo ich, der ich den Krieg hasse, einen Krieg mitmache, weil er gegen ein System geht, das ich noch mehr hasse«92. Eberhard, ursprünglich ein Mann des linken SPD-Flügels93,

86 48. Sitzung des Hauptausschusses am 8.2.1949. In: Parlamentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 626. 87 Niederschrift über die Tagung der CDU/CSU in Königswinter am 8./9.1.1949. In: Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), NL Dörpinghaus 1-009-007/2. 88 48. Sitzung des Hauptausschusses am 8.2.1949. In: Parlamentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 626. 89 Das gleiche Ergebnis wiederholte sich auch in der zweiten und dritten Sitzung des Ple- nums, als die Delegierten sich im Mai 1949 für den Artikel ohne weitere Diskussionen aus- sprachen: 9. Sitzung des Plenums am 6.5.1949. In: Der Parlamentarische Rat 1948-49. Akten und Protokolle, Bd 9: Plenum. Bearb. von Walter Werner, München 1996, Dok.-Nr. 9, S. 463. 90 Art. 26, Abs. 1, erster Satz GG. 91 Material zur Frage der Kriegsdienstverweigerung, zusammengestellt von Fritz Eberhard für die Sitzung des Parteivorstands am 2./3.8.1948 in Springe, IfZ-Archiv, Rep. 177, 76. Zur Bedeutung der Remigranten beim Wiederaufbau und die Westorientierung der Bun- desrepublik: Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands. Hrsg. von Claus-Dieter Krohn und Patrick von zur Müh- len, Marburg 1997. 92 Zit. nach: Jürgen Michael Schulz, »Bonn braucht sein Licht nicht unter den Scheffel zu stel- len.« Fritz Eberhards Arbeit im Parlamentarischen Rat. In: Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk. Hrsg. von Bernd Sösemann, Stuttgart 2001, S. 213-237, hier: S. 230. 93 Lange, Wegbereiter der Bundesrepublik (wie Anm. 77), S. 124. Pazifismus per Gesetz? 63

war als Leiter des Büros für Friedensfragen, eines 1947 eingerichteten und dem Stuttgarter Länderrat unterstellten »Think tanks« für Sicherheitsfragen, sehr früh mit der Möglichkeit konfrontiert worden, das westdeutsche Potenzial in die Verteidigung des Westens einbeziehen zu müssen94. Aber selbst Carlo Schmid gab nun angesichts der zunehmenden Bedrohung aus dem Osten seine bisherige Position auf. Um den Frieden zu erhalten, müsse man stärker die Möglichkeit in Betracht ziehen, Westdeutschland nach dem Vorbild von Locamo in ein System kollektiver Sicherheit zu integrieren95. Das sei die Ultima Ratio, um feindliche Angriffe abzuwehren. Freilich dürfe keine rein nationale Armee mehr aufgestellt werden, diese solle vielmehr in europäische Strukturen einge- bunden werden. Die künftige westdeutsche Regierung solle durch einen eigenen Artikel im Grundgesetz dazu ermächtigt werden, reinen Verteidigungsbündnissen beizutreten, schlug Schmid vor und stimmte damit Theo Kordt zu, dem parteilosen Bevollmächtigten Nordrhein-Westfalens, der bereits zuvor einen entsprechenden Vorschlag gemacht hatte96. So geschah es dann auch97. Nach Artikel 24 des Bonner Grundgesetzes sollte sich der Bund zur »Wahrung des Friedens« demnächst in ein »System gegenseitiger kollektiver Sicherheit« einordnen dürfen98. Um seine Idee der allgemeinen Kriegsächtung aber wenigstens in Teilen doch noch Wirklichkeit werden zu lassen, plädierte Schmid für eine strafrechtliche Verur- teilung derjenigen, die das Verbot eines Angriffskriegs brechen würden; im Grund- gesetz müsse das eindeutig festgehalten werden. Tatsächlich gelang es Schmid, die anderen Delegierten davon zu überzeugen, einen Zusatz hinter das Verbot des An- griffskriegs in Artikel 26 aufzunehmen, wonach alle Handlungen, die das Zusam- menleben der Völker störten, künftig vom Gesetzgeber »unter Strafe [zu] stellen« waren. Mit dieser Formulierung zerstreuten die Mütter und Väter der Verfassung schließlich auch die Bedenken, die die amerikanische Besatzungsverwaltung zuvor bei der Überprüfung der Verfassung von Württemberg-Baden geäußert hatten, auf der der Bonner Artikel ja im Kern aufbaute99. Mit seinem Vorschlag für ein System der kollektiven Sicherheit trat Schmid allerdings ungewollt eine Diskussion über mögliche weitere verteidigungspolitische Klauseln im Grundgesetz los100. So schlug der Stellvertretende Vorsitzende des Zuständigkeitsausschusses, Walter Strauß, im Namen Konrad Adenauers vor, die im heutigen Artikel 73 festgelegte außenpolitische Kompetenz des Bundes um den »Schutz des Bundes nach Außen« zu ergänzen101. Dadurch werde es dem neuen Staat ermöglicht, völkerrechtliche und Staatsverträge über den Schutz Westdeutsch- lands abzuschließen.

94 Foerster, Innenpolitische Aspekte (wie Anm. 4), S. 410. 95 Diese Idee hatte Schmid bereits in den späten 1920er Jahren als Referent am Kaiser-Wil- helm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht entwickelt: Weber, Carlo Schmid (wie Anm. 14), S. 59,359 f. 96 Foerster, Innenpolitische Aspekte (wie Anm. 4), S. 422. 97 Carlo Schmid, Legionäre fremder Interessen? Kollektive Sicherheit statt Remilitarisierung. In: Die Welt, 14.12.1948. 98 Art 24, Abs. 1 und 2 GG. 99 Art. 26, Abs. 1 GG. 100 Foerster, Innenpolitische Aspekte (wie Anm. 4), S. 423 f. 101 Das geschah in der 2. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses vom 22.9.1948. In: Der Par- lamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Bd 3: Ausschuss für Zuständigkeits- abgrenzung. Bearb. von Wolfram Werner, Boppard am Rhein 1986, S. 6 f. 64 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

So lautete zumindest die offizielle Begründung für den Zusatz zu Artikel 73. Insgeheim ging es bei dieser verklausulierten Formulierung jedoch darum, einen verfassungsrechtlichen Ersatz für die Landesverteidigung zu schaffen. Das geht aus den Vorbesprechungen der CDU/CSU-Fraktion mit aller Deutlichkeit hervor. Adenauer hatte dort tags zuvor darauf hingewiesen, dass man schon beizeiten verteidigungsrechtliche Bestimmungen in die Verfassung hineinschreiben müsse, auch wenn der neue Weststaat bislang keine Souveränität besitze. Die sicherheits- politische »Entwicklung« in Europa könne nämlich »sehr rasch vor sich gehen«, wie Adenauer mit Blick auf die sich abzeichnende Verschärfung des Kalten Kriegs zwischen den Supermächten formulierte. Wenn man jetzt die Chance verpasse, könne man sich später nicht einfach schnell hinsetzen und die Verfassung ergänzen. Für Westdeutschland sei das jetzt die Gelegenheit, die »volle Souveränität« zu er- langen102. Dass der vorgeschlagene Passus einem späteren Verteidigungsbeitrag dienen sollte, wollten Strauß und Adenauer 1948 im Parlamentarischen Rat aus zwei Grün- den »aktenmäßig nach außen hin nicht kundtun«103. Zum einen befürchteten sie im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte um die Wiederbewaffnung nega- tive Reaktionen der Alliierten104. Zum anderen mussten sie nach wie vor auf die Be- findlichkeiten vieler Parlamentarier der SPD Rücksicht nehmen. Die waren nämlich inzwischen zwar rational von der Notwendigkeit der Landesverteidigung über- zeugt, hegten aber immer noch eine starke emotionale Aversion gegenüber einem Passus, mit dessen Hilfe das Land erneut bewaffnet werden konnte105. Trotz aller Beteuerungen von Strauß im Parlamentarischen Rat, es werde in ab- sehbarerer Zukunft einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag »nicht geben«, blieb den Delegierten der SPD und KPD nicht verborgen, was CDU/CSU da eigentlich vorhatten. Die Formulierung sei bedenklich vage und vieldeutig, hieß es aufseiten der Sozialdemokratie. Durch einen »ungeschickten Zungenschlag des Herrn Dr. Strauß« sei bei vielen seiner Parteikollegen der »Gedanke an die Wehrmacht« aufgetaucht, wie Fritz Hoch von der SPD die Vertreter der bürgerlichen Parteien wissen ließ. Doch die Delegierten der CDU/CSU wollten den Zusatz unbedingt in die neue provisorische Verfassung einbringen. Eindringlich machte das CSU-Mitglied Wil- helm Laforet in der 8. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses darauf aufmerksam, dass »Dr. Adenauer, der doch einen gewissen Überblick über die Dinge hat«, sich so sehr dafür einsetze, dass das Wort »Schutz des Bundes nach außen« aufge- nommen werden solle106. Der ehemalige Frontoffizier Laforet deutete damit an, dass Adenauer bereits in Verhandlungen mit den Alliierten in der Frage eines möglichen deutschen Verteidigungsbeitrags stand oder diese demnächst aufnehmen

102 Bericht über die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat vom 21.9.1948. In: Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion. Bearb. von Erich Salzmann, Stuttgart 1981, S. 23. 103 Ebd. 104 Foerster, Innenpolitische Aspekte (wie Anm. 4), S. 424. 105 Hans-Christoph Seebohm sprach in diesem Zusammenhang von einer »Gefühlssache« für die SPD: Langprotokoll über die 13. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeits- abgrenzung vom 13.10.1948. In: IfZ-Archiv, ED 94 (Nachlass Walter Strauß), Bd 107. 106 8. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 6.10.1948. In: Der Parlamentarische Rat, Bd 3 (wie Anm. 101), S. 336. Pazifismus per Gesetz? 65 wollte107. Tatsächlich erörterte Adenauer, dem als Vorsitzender des Parlamentari- schen Rats der Geschäftsverkehr mit den Besatzungsmächten oblag, kurz darauf mit einem Mitglied der Besatzungsbehörden »the problem with German re-arma- ment« und wies dabei auf die angeblich zunehmenden Bedrohungsängste vieler Deutscher hin108. Doch die SPD blieb in dieser Frage hart. Während der 13. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses sprachen die Delegierten ein klares Nein aus109. Dessen Vorsitzender, Friedrich Wilhelm Wagner, machte auf die »riesige Gefahr in außenpolitischer Beziehung« aufmerksam, die sich durch einen solchen Zusatz ergäbe. Deutschland stünde vor dem Ausland ja sonst wieder als zutiefst »mili- taristisch« da110. Für die SPD gab es aber auch noch andere Motive, dem Verfassungszusatz ihre Zustimmung zu versagen"1. Zum einen schreckten viele Parlamentarier der SPD, obwohl sie sich inzwischen der Notwendigkeit einer Landesverteidigung bewusst waren, dann doch noch, als es ernst zu werden drohte, vor einem Passus im Grund- gesetz zurück, der direkt zur Grundlage einer Wiederbewaffnung gemacht werden konnte. Offensichtlich wollte die Sozialdemokratie die politische Verantwortung für die »Remilitarisierung« Deutschlands nicht tragen. Zum anderen wollte die Partei durch eine solche Erweiterung des Artikels 73 die Spaltung des Landes nicht noch vertiefen, wie der spätere hessische Ministerpräsident Georg-August Zinn einige Jahre später verriet112. Schließlich machten auch Abweichler in den eigenen Reihen Adenauer und Strauß einen Strich durch die Rechnung. Bei einigen christdemokratischen Delegier- ten spielten tatsächlich die Vorgaben der Besatzungsmächte in ihre Entscheidung hinein113. Mit »ängstlichen Seitenblicken auf die Alliierten« hätten die Abgeordneten davon abgesehen, die Möglichkeit zur Aufstellung deutscher Streitkräfte im Grund- gesetz zu garantieren - und das im Wissen, dass die Landesverteidigung an sich zu den essenziellen Bestandteilen jeder Verfassung zählt, erklärte ein Zeitzeuge im Nachhinein114. Das endgültige Aus für den Zusatz »Schutz des Bundes nach Außen« kam nur wenig später im Hauptausschuss am 19. November 1948. Dort strich man

107 Hierzu: Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952, Stuttgart 1986, S. 582-600. 108 Memorandum von Hans Simons, Chef der Governmental structures Branch von OMGUS, an den Abteilungsleiter der Civil Administration Division vom 15.1.1949. In: Bundesarchiv Koblenz, Ζ 45/15/147-2/1 (fiche 5). 109 13. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung am 15.10.1948. In: Der Parlamentarische Rat, Bd 3 (wie Anm. 101), S. 534 f. 110 Interfraktionelle Besprechungen vom 13. bis 21.10.1948. In: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Bd 11: Interfraktionelle Besprechungen. Bearb. von Michael Feldkamp, München 1997, S. 23,25, 29 f. 111 So in der 15. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 17.11.1948. In: Der Parlamentarische Rat, Bd 3 (wie Anm. 101), S. 597-600. Hierzu auch: Die Unionsparteien 1946-1950. Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschlands und der Konferenzen der Landesvorsitzenden. Bearb. von Brigitte Kaff, Düsseldorf 1991, S. 265. 112 Und zwar in seiner Regierungserklärung vom 10.1.1951. Siehe 3. Sitzung des Hessischen Landtags am 10.1.1951. In: Drucksachen des Hessischen Landstags. II. Wahlperiode. Abteilung III: Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen, Bd 1, Wiesbaden 1951, S. 17-28, hier: S. 26. 113 Hier ist Foerster, Innenpolitische Aspekte (wie Anm. 4), S. 423 f., zu widersprechen, der davon spricht, dass sich die Deutschen überhaupt nicht von den Alliierten beeinflussen ließen. 114 Theodor Steltzer, Sechzig Jahre Zeitgenosse, München 1966, S. 217 f. 66 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard den Vorschlag von Strauß kurzerhand aufgrund der unklaren Formulierung, wie es offiziell für das Protokoll hieß115. Unter der sich aufbauenden Druckglocke des Kalten Krieges erfuhr aber nicht nur der Artikel zur Kriegsächtung, sondern auch das Recht auf Kriegsdienstverwei- gerung eine einschneidende Einschränkung. Während sich nach der Gesetzgebung der Länder bislang unterschiedslos alle wehrpflichtigen Bürger auf ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung berufen konnten, sollte sich eine solche Rechtsgarantie auf nationaler Ebene nur mehr auf »Fälle echter Gewissensgründe« beziehen116. Das bedeutet, dass nur diejenigen staatlichen Schutz genießen sollten, die glaubten, unter keinerlei Umständen Menschen töten zu können. Dabei dachten die Verfassungsmütter und -väter anfangs sogar lediglich an Verweigerer mit religiös- christlichen Motiven, insbesondere an Quäker, Mennoniten sowie an Zeugen Jehovas. Wie die Mitglieder des Parlamentarischen Rats lobend anerkannten, hätten sich aus deren Reihen vor 1945 überdurchschnittlich viele Verweigerer rekrutiert und ihre Standhaftigkeit in Gewissensfragen während des Nationalsozialismus oftmals sogar mit dem Tod bezahlt117. Einigen Parlamentariern wie dem Sozialdemokraten Hans Wunderlich war aus eigener Erfahrung noch sehr präsent, mit welch unerbitt- licher Härte das NS-Regime gegen diese religiöse Minderheit vorgegangen war: »Ich habe miterlebt, wie man die ernsten Bibelforscher im Dritten Reich behan- delt hat, wie man die Leute reihenweise erschossen hat und mit welcher Tapfer- keit die Leute für ihre Glaubensüberzeugung gestorben sind118.« Doch wie kam es dazu, dass sich die Vertreter aller Parteien mit der Idee einver- standen erklärten, dieses Recht einzuschränken119? Damit sich der neue demokrati- sche Staat gegen die aggressiven kommunistischen Expansionspläne auch wirklich verteidigen könne, sollten nur diejenigen staatlichen Schutz genießen, die aus innerster Uberzeugung keine anderen Menschen töten könnten120. Das allein sei die Lehre, die man aus dem verbrecherischen NS-Regime zu ziehen habe, dem das Individuum und dessen Gewissen nichts bedeutet habe, so Fritz Eberhard. Nur Menschen wie die Quäker oder die Mermoniten, die zuvor schon im Nationalsozia- lismus die Aufrichtigkeit ihrer Gewissensentscheidung eindeutig unter Beweis gestellt hätten, sollten im neuen Staat »ihre Gewaltlosigkeit bekunden können ohne Furcht vor dem Richtbock«, so Carlo Schmid Jahre später in einem Interview mit dem Herausgeber der »Zeit«, Gerd Bueerius121.

115 6. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 19.11.1948. In: Parlamentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 78. 1,6 Art. 4, Abs. 3 GG. 117 Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle 1948-1949, Bd 5/2, S. 761. Besonders: 17. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 3.12.1948. In: Parlamentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 209. Zur Verfolgung der Zeugen Jehovas: Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im »Dritten Reich«, 3. Aufl., München 1997, und neuerdings: Repression und Selbstbehauptung. Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur. Hrsg. von Gerhard Besier und Clemens Vollnhals, Berlin 2003. 118 Der Parlamentarische Rat, Bd 5/1 (wie Anm. 64), S. 419. 119 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 30.11.1948. In: Der Parlamentarische Rat, Bd 5/2 (wie Anm. 117), S. 761. 120 43. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 18.1.1949. In: Parla- mentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 102. Siehe dazu auch: Grünewald, Die Internationale der Kriegsdienstgegner (wie Anm. 9), S. 36. 121 Gerd Bueerius, Verweigerung und Gewissen. In: Die Zeit, 16.12.1977. Pazifismus per Gesetz? 67

»Drückeberger« - und darunter fielen für die allermeisten Delegierten Kriegs- dienstverweigerer aus nichtchristlichen Beweggründen - waren von der neuen Rechtsgarantie ausdrücklich ausgeschlossen, wie der sozialdemokratische Abgeord- nete und baldige hessische Ministerpräsident Georg-August Zinn wortwörtlich kundtat. Es war also der beginnende Kalte Krieg, der diesem alten, von der NS- Propaganda massiv beförderten Stereotyp nun neuerlichen Aufschwung verlieh122. Dem zu erwartenden massenhaften Missbrauch eines solchen Rechts auf Kriegs- dienstverweigerung sollte zudem eine »Art Prüfungsverfahren« nach englischem Vorbild begegnen, wie Eberhard vorschlug, der während seines Exils in Großbri- tannien das britische Recht auf Kriegsdienstverweigerung kennengelernt hatte und Kontakte zu den dortigen Verweigererverbänden unterhielt123. So ließe sich der Kreis derjenigen, die sich auf ein solches staatliches Privileg berufen würden, »sehr eng« halten, so der Vorschlag Zinns124. Während über die Entscheidung, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu beschränken, unter allen Parteivertretern sofort Einigkeit herrschte125, entzündete sich an der Frage, wie dieses Recht genau ausgestaltet werden sollte, eine heftige Debatte, die sich zu einer der schärfsten im gesamten Verfassungsgebungsprozess auswuchs126. In der Auseinandersetzung ging es im Kern um die Frage, ob ein sol- ches Recht in der Verfassung garantiert werden sollte oder ob es nicht besser sei, die Angelegenheit später im einen einfachen Gesetz zu regeln, wie das damals in Großbritannien oder den USA der Fall war. Für die zweite Lösung sprach sich Theodor Heuss aus, während die Sozialdemokraten für eine Verfassungsgarantie plädierten. Wie Heuss in der zweiten Lesung des Hauptausschusses im Januar 1949 seine grundsätzliche Position in der Frage wiederholte, sei man doch dabei, einen demokratischen Staat aufzubauen, der durch ein Wehrpflichtheer verteidigt werden müsse127. Wenn dagegen ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Grundrecht im Grundgesetz garantiert werde, dann werde es über kurz oder lang zu einem »Massenverschleiß des Gewissens« kommen. Denn die Grundrechte seien im Gegensatz zu einfachen Gesetzen jeder Veränderung durch die Legislative ent- zogen - und zwar auch dann, wenn die Zahl der Verweigerer einmal stark ansteigen sollte. Die Konsequenz wäre dann, dass die neue Demokratie nicht mehr verteidigt werden könne, weil das Militär dafür nicht mehr ausreichend Soldaten zur Ver- fügung habe. Aus diesem Grund solle dieses Recht keinesfalls in das Grundgesetz aufgenommen werden. Die Vertreter der Sozialdemokratie sahen das ganz anders. Fritz Eberhard, der in seinem Redebeitrag noch einmal auf den »furchtbaren Krieg« und das »totalitäre

122 Hierzu u.a.: Paul, Deserteure (wie Anm. 11), S. 174—176; Jost Dülffer, Der Pazifismus als Feind. Zur NS-Perzeption der Friedlichkeit. In: Politischer Wandel (wie Anm. 46), S. 211-223. 123 Zur Bildung der Interessenverbände während des Ersten Weltkriegs kurz: Keith Robbins, The British experience of conscientious objection. In: The First World War experienced. Ed. by Hugh Cecil and Peter H. Liddle, London 1996, S. 691-706. 124 15. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 27.10.1948. In: Der Parlamentarische Rat, Bd 5/1 (wie Anm. 64), S. 420. 125 Ebd., S. 761. 126 Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Die Entstehung des Grund- gesetzes, Göttingen 1998, S. 60. 127 43. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 18.1.1949. In: Parlamentarischer Rat (wie Anm. 76), S. 545-547. 68 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

System« Hitlers hinwies, entgegnete, dass die Deutschen einen »Massenschlaf des Gewissens« hinter sich hätten. In diesem Massenschlaf hätten Deutsche zu Millionen gesagt: »Befehl ist Befehl und haben daraufhin getötet«128. Gerade wenn man jetzt die Demokratie aufbauen wolle, müsse man Schluss machen mit einer derartigen Auffassung. Der geplante Artikel könne dabei eine »große pädagogische Wirkung« haben, denn der Einzelne sei gezwungen, sein Gewissen zu prüfen, so Eberhard. Der einzelne Bürger habe dann zu entscheiden, ob er den Befehlen gehorchen werde oder nicht lieber seinem Land »auf andere Weise« dienen wolle, wie Carlo Schmid ergänzte. Dass die Menschen lernten, eine solche freie Entscheidung zu treffen, sei doch gerade die unabdingbare Voraussetzqng für das Funktionieren der neuen Demokratie. Heuss, der schon im Parlament von Württemberg-Baden krankheitsbedingt ein solches Gesetz nicht hatte verhindern können, setzte sich auch dieses Mal mit seiner Position nicht durch129. Mit deutlicher Mehrheit votierte der Parlamentarische Rat für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz - für Heuss eine »er- schütternde parlamentarische Niederlage«, wie er später bekannte130. Der überra- schende Sieg der Sozialdemokratie, die ja in Bonn nicht über die Mehrheit verfügte, ist darauf zurückzuführen, dass über die Frage auf bürgerlicher Seite eine grund- sätzliche Meinungsverschiedenheit bestand. Etliche Delegierte der CDU/CSU ge- langten während der Fraktionsberatungen zu der Erkenntnis, dass nur die Verfas- sung ein solches Recht wirksam schützen könne. Ein einfaches Gesetz hierzu laufe im Zeitalter des totalen Kriegs Gefahr, im Notfall einfach außer Kraft gesetzt zu werden, so die Überlegung. Bei dieser Entscheidung innerhalb des liberalen und konservativen Lagers spiel- ten allerdings nicht nur die »Vorgänge in der jüngsten Vergangenheit« die ent- scheidende Rolle. Bei den männlichen Delegierten des Parlamentarischer Rats, die während des Zweiten Weltkriegs bereits zu alt waren, um als aktive Soldaten an der Front gekämpft zu haben, löste das unerbittliche Vorgehen der National- sozialisten gegenüber »Wehrkraftzersetzern« vielmehr Erinnerungen an ihre eigene Militärdienstzeit im Ersten Weltkrieg aus131. »Immer wieder« hätten die in der entscheidenden Fraktionssitzung versammelten Parlamentarier - beschrieb Walter Strauß rückblickend im Jahr 1956 den Entscheidungsfindungsprozess seiner Parteikollegen - »Beispiele« von standrechtlichen Erschießungen von Kriegsdienst- verweigerern »vor allem aus dem Ersten Weltkrieg«, erwähnt132. In den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1918 waren, wie bis heute wenig bekannt ist, ebenfalls

128 Ebd., S. 547. 129 Gleich mehrmals hatten Heuss und Dehler sowie Lehr und Schröter entsprechende Strei- chungsanträge gestellt: Antrag der FDP-Fraktion betr. Abschnitt I: Die Grundrechte vom 29.4.1949, Drs.-Nr. 764; Antrag der Abgeordneten Schröter, Lehr, de Chapeaurouge und Schwalber vom 2.5.1949, Drs.-Nr. 752. In: IfZ-Archiv, ED 94 (Nachlass Walter Strauß), Bd 89. 130 Theodor Heuss, Soldatentum in unserer Zeit, Tübingen 1959, S. 11 f. 131 Das Durchschnittsalter der Delegierten betrug 55,3 Jahre: Morsey, Die Rolle Konrad Ade- nauers (wie Anm. 85), S. 65. 132 So die Erinnerung des ebenfalls anwesenden späteren Staatssekretärs im Justizminis- terium, Walter Strauß: Protokoll der 141. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 20.6.1956, S. 8. In: Parlamentarchiv des Deutschen Bundestags, II 277 A 1. Diese Fraktionssitzung ist in der Sammlung der CDU/CSU-Protokolle nicht über- liefert: Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat (wie Anm. 102). Pazifismus per Gesetz? 69 bereits Soldaten wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet worden133. Die Verbrechen des Nationalsozialismus hatten also in diesem Fall dafür gesorgt, dass man sich auch mit anderen dunklen Kapiteln der deutschen Vergangenheit kritisch auseinandersetzte. Die Entscheidung des Parlamentarischen Rats zugunsten eines grundgesetzlich garantierten Rechts auf Kriegsdienstverweigerung war von grundlegender Bedeu- tung, denn dadurch wurden nicht nur die klassischen Grundrechte wie das Recht auf Leben oder die Meinungs- und Versammlungsfreiheit erweitert. In dem Mo- ment, in dem die Mütter und Väter diese Rechte als unveränderbare Grundrechte in das Grundgesetz aufnahmen, wurden sie jeglichen späteren Veränderungen durch eine parlamentarische Mehrheit entzogen. Dass die Verfassungsgeber die Grundrechte voranstellten und für unveränderbar erklärten, war wiederum das Ergebnis aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus. Mit der »Reichstags- brandverordnung« vom 28. Februar 1933 hatte Hitler ja die Grundrechte aufgeho- ben, die in der Weimarer Verfassung keinen besonderen Schutz genossen hatten134. Im Jahr 1949 erhielt damit das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einen ungleich höheren Stellenwert im Verfassungsgefüge als die Landesverteidigung, zu der das Grundgesetz ja bis heute nur marginale Aussagen trifft. Das war damals weltweit einzigartig und unterscheidet die Bundesrepublik bis heute von den meisten seiner europäischen Nachbarn wie etwa Frankreich oder Dänemark, die das Recht auf Kriegsdienstverweigerung allein als einfaches Gesetz kennen, die Pflicht zur Landesverteidigung dagegen in der Verfassung festgeschrieben haben135. Damit erlangte die Bundesrepublik aufgrund der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus - trotz teils erheblicher Widerstände und Relativierungen - einen nicht unbedeu- tenden Liberalisierungsvorsprung vor den anderen westlichen Ländern.

133 Hierzu: Paul, Deserteure (wie Anm. 11), S. 173. 134 Hierzu die Literatur zusammenfassend: Volker Dahm, NSDAP, Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg (1919/33-1945). In: Einführung in die Zeitgeschichte. Hrsg. von Horst Möller und Udo Wengst, München 2003, S. 113 f. 135 Zu Dänemark: Henning Serensen, Denmark. The vanguard of conscientious objection. In: The new conscientious objection. From sacred to secular resistance. Ed. by Charles C. Moskos and John W.U. Chambers, New York 1993, S. 106-113. Zu Frankreich: Michel Auvray, Objecteurs, insoumis, deserteurs. Histoire des refractaires en France, Paris 1983. Allein in Spanien und Portugal beschritt man den gleichen Weg wie in Westdeutschland - und zwar ebenfalls aufgrund der Erfahrungen mit der vorangegangenen Diktatur, unter der Tausende von Kriegsdienstverweigerern massiver Verfolgung ausgesetzt ge- wesen waren. Siehe Patrick Bernhard, Zivildienst zwischen Reform und Revolte. Eine bundesdeutsche Institution im gesellschaftlichen Wandel, 1961-1982, München 2005, S. 395. 70 MGZ 66 (2007) Alessandra Ferretti und Patrick Bernhard

Abstract

One of the most controversial issues in the West German constitutional process has been the question of war and peace. This article describes the heated debates on the banning of the war (of aggression) and the right on conscientious objection in the State parliaments and the federal constitutional assembly. What can be seen is that under the cold war former peace intentions were partially put into perspective. This is particularly true for the basic right on conscientious objection of 1949 that was gradually restricted.