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1 Die Schönheit der Perfektion Die Schönheit der Perfektion Eine Würdigung des Filmemachers Von Marcus Stiglegger

Bewegung – Prozess – Überwachung voller Epilog zum New Yorker Zweig des 1977 war John Badhams Großstadtmelo- New Hollywood, irgendwo zwischen Mar- dram (Nur Sams- tin Scorseses urbaner Apokalyptik und tag Nacht) der Film der Stunde. Wie kein Woody Allens Stadtneurotikern. anderer fing er den Zeitgeist und die Stimmung einer Ju- gend ein, die in der Trist- esse des Alltags eine eigene Welt erschaffen hatte: eine Welt der ewigen Nacht und neonglitzernder Partys, die der Protagonist mit eleganten Schritten durchtanzte. Bald stand der Film nicht nur sy- nonym für eine Ära, er wur- de auch parodiert, plagiiert und schließlich zur (auch iro- saturday night fever – Wille zur Perfektion nisch) eingesetzten Ikone. Be- trachtet man saturday night fever aus In saturday night fever löste ein heutiger Perspektive, fällt auf, dass es sich unermüdlicher Protagonist seine Alltags- um einen anderen Film handelt, als ihn die sorgen in energetischen Choreographien populäre Kultur interpretiert hat. Badham auf, ein Interesse, das Badham in den fol- hat ein melancholisches Großstadtdra- genden Jahren beibehalten sollte, wenn ma über eine Zeit geschaffen, in der New auch mit einer anderen Ausrichtung: In York noch eine harte und dreckige Stadt dem futuristischen Thriller blue thun- war, in der Lebenswille und Todessehn- der (Das fliegende Auge; 1983) existiert sucht koexistierten. Seine Liebesgeschichte eine Szene, in der sich zwei Polizisten im war von Beginn an aufgrund unüberwind- Helikopter eine Auszeit gönnen, während barer Milieukonflikte zum Scheitern ver- sie eine junge Frau beim Nackt-Yoga be- urteilt. Im Gegensatz zu den Tanzfilmen, obachten. Bereits in diesem ebenso sinnli- die folgen sollten, besitzt saturday night chen wie amüsanten Moment kulminiert fever nichts von einem leichten Musical, ein weiterer Urmoment Badhams: die nichts von buntem Eskapismus. Was Bad- Schamlosigkeit der grenzenlosen Über- ham zeigt, ist der Wille zur Perfektion in wachung, der amerikanische Wahn der einer parallelen Welt, was er zeigt, sind Beobachtung, der jede Intimität zerstört sehnsuchtsvolle und begehrliche Blicke, und eine Welt der Verunsicherung und die an den Grenzen der Milieus abprallen; Paranoia zurücklässt. Sein Buddy-Mo- eine Großstadtwelt am Rande einer ewigen vie stakeout (Die Nacht hat viele Au- Nacht. saturday night fever ist heute gen; 1987) wird eine solche Szene zum nicht nur ein anderer Film, er ist gewachsen Ausgangspunkt nehmen und dann konse- und erscheint mehr denn je als eindrucks- quent ad absurdum führen. Die Schönheit der Perfektion 2

sich selbst hinauszuwachsen. Diese Pro- zesse von Lernen, Aneignung und Per- fektionierung interessieren Badham. Waren die Grenzen des Milieus bereits in saturday night fever thematisiert worden, kulminieren diese Konflikte in der Michael Kohlhaas-Adaption (1999) für hbo im generi- schen Gewand eines Rachewestern. Hier geht es um die Auseinanderset- zung zwischen dem jungen Pferdezüch- stakeout – Überwachung ter Myrl Redding (John Cusack), der beim Übertritt der Landesgrenze von Jahre später erregte Badham mit der In- seinem reichen Nachbarn Ballard (L.Q. Jones) szenierung eines Remakes von Luc Bessons erpresst wird, seine besten Pferde und seinen la femme nikita (Nikita; 1990) Aufsehen, indianischen Helfer Billy als Pfand zurückzu- indem er die Handlung in die USA verlegte. lassen. Als er zurückkommt, sind die Pferde ge- Nah am Original und doch atmosphärisch quält und geschunden und Billy misshandelt. und im Lokalkolorit völlig eigenständig, zeigt Der Ruf nach Gerechtigkeit wird nicht erhört, er in point of no return (Codename: Nina; denn Ballard zieht die Fäden der lokalen Poli- 1993) die Entwicklung einer zum Tode ver- tik. Erst als Redding das Gesetz des Grenzlan- urteilten drogenabhängigen Polizistenmörde- des selbst ausruft und Ballard mit Gewalt ver- rin zur erwachsenen, aber ebenso tödlichen folgt, wird ein aufrechter Anwalt (John Good- Auftragskillerin im Dienst der Regierung. man) auf ihn aufmerksam und zieht gegen die Zum Ende ihrer Ausbildung wird sie (Brid- Ungerechtigkeit des Systems vor Gericht – ohne get Fonda) von ihrem Ausbilder (Gabriel By- jedoch Reddings Verurteilung verhindern zu rne) zum Essen ausgeführt, doch statt eines können. Mit diesem kinotauglichen Fernseh- romantischen Abends zu zweit bekommt die spiel brachte Badham seine stärksten Themen neu ausgebildete Killerin eine Automatikwaf- zusammen – von der Auslieferung des Indivi- fe überreicht, mit der sie umgehend ihren ers- duums an ein undurchschaubares System bis ten Mord begehen soll. Kaltblütig entfesselt zur dynamischen Revolte eines seine Möglich- sie ein Massaker, an dessen Ende ein blockier- keiten auslotenden Unterdrückten – und erin- ter Fluchtweg steht. Badham entwickelt diese nerte auch zwei Jahrzehnte später noch einmal Handlung an eher selten präsenten Schauplät- daran, dass das Hollywoodkino immer schon zen in Washington und New Orleans, gleitet etwas war, was es langsam zu vergessen droh- vom Obdachlosenmilieu mühelos in die Chef­ te: ein Bollwerk antitotalitärer Kritik. Und so etagen des Geheimdienstes – und schafft auch war auch the jack bull nicht weniger als visuelle Verknüpfungen der scheinbar unver- ›a John Badham Movie‹. einbaren Welten. Dabei bleiben seine Protago- nisten Marionetten eines undurchschaubaren Systems, kontrolliert und überwacht, erpresst und doch ruhig gehalten in einer Atmosphäre ständiger Gewaltbereitschaft. Immer wieder gelangen die Protagonistin- nen und Protagonisten in Badhams Filmen in Grenzsituationen, die sie an den Rand des Er- träglichen bringen, um sie zu motivieren, über the jack bull – Kampf um Gerechtigkeit 3 Die Schönheit der Perfektion

A John Badham Movie boren wurde:2 als Sohn der Schauspielerin Beachtet man die Abspänne von John Bad- Mary Hewitt und eines amerikanischen Ge- hams Filmen, dann enden sie meist mit ei- nerals, der nach einigen Jahren mit seiner Fa- ner signifikanten Wendung: ›A John Bad- milie nach Alabama zurück versetzt wurde. ham Movie‹ steht da geschrieben. Gerade Nicht nur Badhams Mutter, sondern auch im Produzentensystem Hollywoods ist eine seine Schwester Mary schaffte früh einen solch explizite Signatur seitens des Regis- Einstieg ins Filmgeschäft: 1962 erhielt sie im seurs eher ungewöhnlich. Sie erinnert in Alter von zehn Jahren eine Academy Award ihrer rigiden Verdichtung an jene tatsäch- Nominierung für ihre Rolle in to kill a mo- lich handgeschriebene Einblendung ›A Sie- ckinbird (Wer die Nachtigall stört; R: Ro- gel Film‹ in einigen Werken des Mavericks bert Mulligan). Badham selbst studierte zu- Don Siegel. Doch gemessen an den ideal- nächst Philosophie in Yale, wo er auch den typischen Forderungen einer ›politique des Master der Yale School of Drama erwarb. auteurs‹, wie sie den Kreisen der Cahiers du Motiviert durch den Erfolg seiner Schwes- cinéma in den 1950er Jahren entstammten ter zog es ihn ebenfalls nach Los Angeles, und 1962 von Andrew Sarris im englischen wo er in der Poststelle der Universal Studios Sprachraum popularisiert wurden,1 ist Bad- eine Tätigkeit aufnahm. Über die Jahre ge- ham ein Filmemacher von geradezu frap- lang es ihm, sich in den Bereichen Casting, pierender Wandelbarkeit. Angesichts seiner Trailerschnitt, Montage und durch die Re- Arbeit in völlig unterschiedlichen Genres, gie von Fernsehepisoden emporzuarbeiten – mit unterschiedlichen Teams und für wech- eine beispielhafte amerikanische Erfolgsge- selnde Studios lässt sich eine gemeinsame schichte, die zugleich prototypisch für den Handschrift und eine übergreifende Welt- Professionalismus des Classical Hollywood sicht und Thematik schwer bestimmen. der 1930er bis 1960er Jahre stehen mag, Doch so einfach ist es nicht, denn Badhams denn so gelang zahlreichen Filmemachern Ambitionen liegen weniger in seiner artis- der Aufstieg: William Friedkin, Sam Peckin- tischen Egozentrik, als vielmehr in einer pah, John Frankenheimer u.a. Anders als die konsequenten ›Hollywood-Professionali- movie brats um den Exploitation-Produzen- tät‹, die von Beginn an das Fundament sei- ten Roger Corman, von Francis Ford Cop- ner auf den zweiten Blick dann doch oft zu- pola bis Joe Dante, war John Badham von tiefst persönlichen Inszenierungen bilden. Beginn an im Herz der Industrie präsent und lernte das große post-klassi- sche Studiosystem von innen kennen. Das mag auch erklä- ren, warum er bereits seine ers- ten Filme nahezu im Blockbus- ter-Kontext inszenierte, selbst wenn seine Filme nach Studio- maßstäben eher als mittlere Produktionen galten. Was John Badhams Œuvre für eine autorentheoretische Analyse eher problematisch John Badham weist den Weg erscheinen lässt, ist zugleich eine Qualität, die ihm früh John Badham stammt aus einem amerikani- höchstes Lob seitens der Hollywood-affinen schen Haushalt in England, wo er auch ge- Kritik einbrachte: Seine thematische und Die Schönheit der Perfektion 4 stilistische Variabilität, sei- ne frühe Fähigkeit, mit Star- besetzungen umzugehen und den Erwartungen des Hol- lywoodsystems formal umfas- send zu entsprechen. Er blieb stets am Puls der Zeit, indem er die Sehnsüchte und Ängs- te des zeitgenössischen Pub- likums erahnte und in noch heute frappierender Form ver- dichtete: in saturday night fever, in und saturday night fever – Urbane Verletzlichkeit in (Kriegsspiele; 1983), Filmen, die eine ganze Kinogenera- saturday night fever sicherte nicht tion definierten und aus teilweise beschei- nur Badham, sondern auch John Travol- denen Budgets internationale Blockbuster ta und den Musikern der Bee Gees einen werden ließen. ewigen Platz in der Filmgeschichte. 1976 Für Badhams Karriere elementar ist zu- zog Badham mit einem hochmotivier- gleich einer seiner selten gesehenen Filme. ten und oft schlecht ausgestatteten Team Während viele saturday night fever nach Brooklyn, das damals noch als ›har- für sein Kinodebüt halten – und ihn damit tes Pflaster‹ galt – ein Eindruck, den der noch zu den ›Wunderkindern‹ des New Hol- Film treffend dokumentiert, und der heu- lywood der 1970er Jahre rechnen, debütier- te angesichts der neuen ›Hip-Town‹ Brook- te er tatsächlich mit einem kleinen, aber at- lyn nur schwer nachvollziehbar ist. So stol- mosphärisch ungewöhnlich dichten period ziert John Travoltas Tony Manero durch picture, dem amüsanten Sportlerdrama the die Straßen des Arbeiterviertels wie zu- bingo long traveling all-stars and vor nur Robert de Niro und Harvey Keitel motor kings (1976), in dem er die späte- in mean streets (Hexenkessel; 1973; R: ren Prominenten der afroamerikanischen Martin Scorsese) durch Little Italy. Doch Schauspielerriege zusammenbrachte: James bewaffnet war er nicht mit einer kleinkali- Earl Jones, Billy Dee Williams und Richard brigen Kanone, sondern seinem figurbeton- Pryor. Doch statt an die B-Film-Tendenz der ten Polyesteranzug und Tanzschuhen. Was zeitgleich populären Blaxploitationfilme an- für Scorsese die rauchigen Kneipen von zuknüpfen, wählte er dieses spezifische The- Manhattans Gangsterviertel waren, sind ma, um auf amüsante Weise den latenten in saturday night fever die glitzernden Rassismus der amerikanischen Kultur zu Großraumdiscos mit pulsierendem Boden- dekonstruieren und die geheimen Stars der licht, das so hypnotisch von der Flucht in farbigen Off-Liga des Baseball zu feiern. So einer Welt der puren Leidenschaft künde- ist the bingo long traveling all-stars te. Badhams Inszenierung jedoch versäumt and motor kings ein betörend leichter und es nicht, seinen Helden regelmäßig auf doch intelligent und ironisch inszenierter den brutalen Boden der Realität zurück- Underdog-Film mit den Mitteln des Genre- zuholen. Was Philip Kaufman für die Ver- kinos. Obwohl er aus einer anderen Rich- gangenheit der Bronx in the wanderers tung kam, war Badham nie näher an den (1978) geleistet hat, schuf Badham für die Corman-induzierten Debüts seiner Kollegen Jugend von Brooklyns Gegenwart. Er kre- (von Joe Dante bis Francis Ford Coppola). ierte den ultimativen Zeitgeistfilm, der ei- 5 Die Schönheit der Perfektion ner desorientierten Generation nach 1968 das nicht mein Leben?; 1981) mit Richard einen eigenen easy rider (1969) schenkte. Dreyfuss und John Cassavetes Badhams Man erkannte sich in Tony Manero wieder, Vielseitigkeit. Hier inszenierte er das Me- teilte seine existenziellen Sorgen, seine fa- lodrama eines Todgeweihten (ein Thema, miliären Konflikte und seinen Traum von das später noch auftauchen wird), das er in Erfolg und Sex. Noch heute ist saturday oft tragikomischen Sequenzen auflöst und night fever eine ferne Erinnerung an eine die radikal eingeschränkte Dynamik des Naivität angesichts der existenziellen Not, völlig gelähmten Protagonisten zu einem und an ein Stadtbild von New York, das Netzwerk der Beziehungen umschreibt. Die längst verloren ist im egalitären Dschungel Kehrseite dieses Kammerspiels stellt ein in von Starbucks und Urban Outfitters. monumentalen Außenaufnahmen gefilm- tes Brüderdrama dar: Auch die beiden männlichen Protagonis- ten des Sportdramas (Die Sieger; 1985), der er- folgreiche Marcus (Kevin Cost- ner) und der jüngere Drifter Da- vid (David Grant), werden als erb- bedingt Todgeweihte etabliert, auch wenn die Dramaturgie in ei- nem geschickten Zug das Schick- sal der Brüder auf dem Höhe- punkt des Films umkehrt – am Dracula posiert Ende ist es Kevin Costner, des- sen Virilität sich als Trugbild er- Angesichts Badhams erstaunlichen Box- weist. Wie zuvor sucht Badham nach einer office-Erfolgs mutet es ungewöhnlich an, gelungenen Balance aus dramatisierter und dass seine nächsten beiden Filme auf Bro- zweifellos spektakulärer Sport-Action und adway-Stücken basierten. Doch mit dra- melancholischer Melodramatik, denn die cula (1979) bewies er erneut, dass er ein Männer finden ihre Bestimmung in einem Talent für die ästhetische Transformation extremen Radrennen durch die eindrucks- melodramatischer Stoffe besaß. Er löste die volle amerikanische Landschaft der Rocky Kammerspielhaftigkeit der Bühnenvorla- Mountains. ge an einem einzigen Schauplatz kunstvoll in monochrome Table- american flyers – Trügerischer Etappensieg aus auf, in denen Frank Langella in Erinnerung an Béla Lugosi den gefährlichen Latin Lover verkör- pert. Mit der Besetzung von Sir Laurence Olivier bewahrte er das Charisma der großen Geste auch schauspielerisch. Während dra- cula in seiner expressiven und zutiefst artifiziellen Bildgestal- tung heute neu gewürdigt wird, zeigte die zweite Theateradaption whose life is it anyway? (Ist Die Schönheit der Perfektion 6

Vom Jugendstreich zu den wargames

Es blieb dagegen einer Reihe von futu- kalation eines atomaren Krieges. Und es ristischen Blockbustern überlassen, John grenzt an Ironie, dass seine anschließen- Badhams Ruf als verlässlicher Hollywood de Komödie short circuit (1985) aus- Professional weltweit zu etablieren: 1982 gerechnet mit dem ›Ultimate Soldier‹, ei- drehte er dicht hintereinander den Ver- nem Kampfroboter, seinen Anfang nimmt. schwörungsthriller blue thunder mit Roy Nachdem wir den Herstellungsprozess der Scheider und wargames (1983) mit Mat- denkenden Maschine zu Beginn verfolgt thew Broderick und Ally Sheedy. haben und ihre tödliche Effektivität bezeu- Beide Filme lassen sich als Kriegsfilme gen können, nimmt der Film die generische rezipieren: In blue thunder herrscht der Wendung zur Komödie erst mit der Verle- Bürgerkrieg in den Straßen von Los Ange- gung des mechanischen Deserteurs in zivi- les, in wargames holt ihn ein hochbegabter le Gefilde, wo er die Welt einer jungen Frau Hacker aus der virtuellen Welt auf die Büh- (Ally Sheedy) ins Chaos stürzt. ne der Weltpolitik. Beide Filme reflektierten Ein neues, ebenso erfolgreiches Kapi- so eine Atmosphäre tiefer Verunsicherung, tel seiner Karriere etablierte Badham mit eines kalten Krieges innerhalb und außer- dem ironischen Polizeifilm stakeout (Die halb der amerikanischen Gesellschaft. Und Nacht hat viele Augen; 1987), der nicht nur so dynamisch und packend beide Filme er- eine ähnliche Fortsetzung another sta- scheinen, so sind sie doch grundverschie- keout (Die Abservierer; 1993) erfuhr, son- den: Die Hubschrauberpiloten aus blue dern das Genre des unterhaltsamen Big- thunder entfesseln ihren Krieg über den Screen-­Thrillers für über ein Jahrzehnt zu Dächern der Großstadt, während wir die Badhams bevorzugter Spielwiese erkor. wargames am Ende als bunte Computer- stakeout griff Motive des ungleichen Bud- simulation auf den Bildschirmen des ›War dy-Paares von Professional und Rookie aus Rooms‹ erleben dürfen. Badham nimmt blue thunder wieder auf, und versetzte hier die in Hochhäuser einschlagenden Pro- dieses in immer neue Varianten von Ver- jektile (in diesem Fall Raketen) ebenso vor- folgungs- und Beobachtungssituationen, in weg wie die mögliche und befürchtete Es- denen die klassischen Genrestandards pa- 7 Die Schönheit der Perfektion rodiert und mediale Mechanismen expo- dramaturgischen Motor. In the hard way niert werden. In stakeout erhalten zwei (Auf die harte Tour; 1991) geht er diesbe- Polizisten, der erfahrene Chris (Richard züglich einen entscheidenden Schritt wei- Dreyfuss) und der Neuling Bill (Emilio Es- ter, denn hier wird die Thriller-Handlung tevez), den Auftrag, die Ex-Geliebte eines ganz explizit zur medialen Metareflexion: entflohenen Polizistenmörders zu observie- Im Stil der exponierten Schauspielerarbeit ren. Die Überwachungsroutine wird zum eines Robert de Niro beschließt ein junger existenziellen Spiel, als der Ausbrecher ih- Schauspieler (Michael J. Fox) in Vorberei- nen nach dem Leben trachtet und berufli- tung auf seine nächste Rolle, einen hart- che und emotionale Interessen kollidieren. gesottenen Cop (James Woods) im Einsatz zu begleiten. Das ungleiche ›Er- mittlerpaar‹ – die homoerotische Doppeldeutigkeit dieses Begriffes wird bereits in stakeout expli- zit thematisiert – gerät in absurde wie lebensbedrohliche Situatio- nen, in denen sich gerade das Po- tential ihrer Beziehung als Vorteil erweist. Die folgenden Werke setzen den Weg einer zunehmenden Dy- namisierung fort, wobei gerade bird on a wire – Buddies point of no return noch ein- mal die Themen der gesellschaft- Es ist nicht zuletzt dieses Konzept der lichen Paranoia aus einer neuen Perspekti- situationskomischen Paarung von Gegen- ve spürbar macht. Der Actionthriller drop sätzen, das auch den 1989 gedrehten bird zone (1994) überzeugt mit spektakulä- on a wire (Ein Vogel auf dem Drahtseil; ren Action-Set-Pieces, leidet jedoch eben- 1990) mit Mel Gibson und Goldie Hawn so wie der Echtzeitthriller nick of time zum kommerziellen Erfolg machte. Mit sei- (Gegen die Zeit; 1995) eher unter etwas ge- ner Aussage gegen zwei Rauschgiftdealer wagten Handlungsdispositionen. In nick erschafft sich der Kronzeuge Rick Jarmin of time etwa erpresst eine dubiose Or- zwei unermüdliche Feinde, die ihn trotz ganisation den Durchschnittsangestellten ständig wechselnder Identität immer wie- Watson (Johnny Depp) durch die Entfüh- der aufspüren und quer durch die USA ja- rung seiner Tochter, eine Politikerin zu er- gen, wobei große Teile des Films wie schon schießen, wogegen er sich 80 Minuten er- stakeout in Vancouver, British Colum- folgreich zur Wehr setzt. Viele offene Fra- bia, inszeniert wurden. Zugleich wird Rick gen überdeckt Badham mit einer rasanten von seiner ehemaligen Geliebten wiederer- Actiondramaturgie, die in Echtzeit und zu kannt, die er scheinbar ohne Grund verlas- hämmernden Elektrobeats das ausbrechen- sen hatte. Gejagt von den Killern, kommt de Chaos zelebriert. Erst mit dem thema- sich das entfremdete Paar wieder näher. tisch ungewöhnlichen Kunstfälscherdrama Badham interessieren erneut die Verflech- incognito (1997) kehrt der Regisseur zu tungen von Liebesinteresse und existenziel- einer anderen Qualität zurück: zur intensi- ler Grenzsituation. Mit Gewalt geht er hier ven Beobachtung von Prozessen. In langen zunehmend spielerisch um, nutzt sie als fil- Close-Ups und goldschimmerndem Ker- mischen Ausdruck von Dynamik und als zenlicht sehen wir hier die Entstehung eines Die Schönheit der Perfektion 8

Kunstwerkes auf der Leinwand – in einem ick-Kollegen, wiederkehrende Elemente, Mo- doppelten Sinne. tive und Stilmittel zu isolieren. Es entspricht Nach incognito arbeitete Badham fast Badhams Sinn für Professionalität, sich zu- ausschließlich für das Privatfernsehen. Er nächst jedem der mitunter völlig unterschied- drehte das Alkoholikerdrama floating lichen Stoffe mit einem Gestus der Präzision away (1998) mit Paul Hogan und Rosean- zu nähern. Dabei interessiert er sich vor allem na Arquette, den Rachewestern the jack für die deutliche Dynamisierung seiner oft bull sowie the last debate (Gnadenloses generischen Dramaturgien. Bewegung und Duell; 2000) mit James Garner und Peter Choreographie markieren eine Handschrift, Gallagher; Fernsehspiele, für die er durch- die als Inspiration für das spätere, rein perfor- weg Kritikerlob erhielt. Es folgten mit ähn- mativ überhöhte Actionkino Michael Bays ge- licher Resonanz brother's keeper (Spu- dient haben könnte. Badham strebt nach ori- ren in den Tod; 2001) mit Jeanne Tripple- ginellen Actionszenen und vermeidet das Vor- horn, obsessed (Besessen; 2002) mit Jen- hersehbare. Als Beispiel mag man an die Hub- na Elfman und footsteps (Footsteps – Die schrauberjagd über L.A. in blue thunder Nacht kennt den Mörder; 2003) mit Can- denken, die darin gipfelt, dass eine asiatische dice Bergen. Erst 2004 kehrte er für die Hähnchenbraterei von einer Wärmesensorra- TNT-Produktion des Bio-pics evel knie- kete getroffen wird. Mit einer verheerenden vel (2004) zum Spielfilmformat zurück, in Explosion verteilen sich Tausende gebratener dem George Eads den waghalsigen Stunt- Hähnchen über das Stadtviertel und werden man verkörpert, dessen lebensmüde Kunst- – so betont es Badham im Audiokommentar stücke hier spektakulär nachgestellt wer- der DVD – von Obdachlosen fleißig eingesam- den. Seit 2005 arbeitet Badham teilweise als melt. Auch in den Sportszenen aus american Executive Producer der ABC-Serie blind flyers leistet Badham Pionierarbeit, indem justice und unterrichtet daneben Regie an er die dramatischsten Radrennabfahrten aus der Chapman University. Jüngst drehte er subjektiver Perspektive filmt und so das Pub- einzelne Episoden populärer TV-Serien wie likum in die Szene direkt involviert. John Mi- the shield (2003), standoff (2006) und lius hat ähnliches 1978 in seinem Surferepos just legal (2005), die zahlreiche seiner zu- big wednesday (Tag der Entscheidung) ge- vor etablierten Motive wieder aufgreifen. leistet, als er die Kamera auf das Surfboard montierte. Diese radikale Subjektivierung Schönheit, Bewegung und Präzision wurde bald vom Fernsehen bei Liveübertra- Untersucht man das Œuvre John Bad- gungen übernommen, doch in diesen Kinofil- hams, erscheint es ungleich komplexer und men sah man das dynamische Geschehen zu- schwieriger als bei einigen seiner Maver- dem in epischen Breitwandkompositionen.

blue thunder – Prophetische Vorwegnahme des Anschlags vom 11. September 2001 9 Die Schönheit der Perfektion

Auch der Herausforderung potentiell kaufmann zum waffenschwenkenden Ac- statischer Stoffe stellt sich Badham, als er tionhelden wird – diese Aspekte interessie- etwa den Überwachungsthriller stakeout ren Badham. Er entdeckt den uramerika- drehte, der erst nach einem Viertel seiner nischen Frontierhelden auch im modernen Laufzeit zur eigentlichen Szenerie kommt. Großstädter. Der Zwang zur Gewalt weckt Davor sehen wir einen brutalen Gefängnis- den Pionier und lässt ihn am Ende trium- ausbruch sowie eine spektakuläre Verfol- phieren – in der ›Gunfighter Nation‹.3 gungsjagd durch eine Fischfab- rik, die Badhams Ambition des ›originellen Actionsettings‹ ent- gegenkommt. Richard Dreyfuss gerät unversehens in einen riesi- gen Trichter und wird im Gefol- ge Tausender glitschiger Fische auf das Fließband befördert, wo ihn die erstaunten Sortiererinnen empfangen. Diese Auflösung in purer physischer Dynamik – der performative Anteil der Thriller- handlung – erscheint relativ früh War Games im War Room im Film, klingt aber lange nach – ein Prinzip, das durchaus von Alfred Hit- Ähnliche Dokumentationen finden sich chcock inspiriert sein könnte. Dieser Be- auch bei einem kreativen Prozess wie der zug zu Hitchcock wird noch deutlicher im Kunstfälschung in incognito – dem Höhe- Echtzeitnarrativ von nick of time, einem punkt eines ungewöhnlichen Spielfilms, der Thriller, der uns suggestiv in die Situation Einblicke in eine unbekannte Welt gewährt, eines Durchschnittsmannes versetzt, wel- ohne auf melodramatische Elemente zu ver- cher in eine existenzielle Grenzsituation ge- zichten. Badham belegt hier prototypisch, zwungen wird, indem man seine Tochter dass das moderne Hollywood-Kino per se als entführt und so kaum eine Wahl lässt, als Melodrama gelten kann. Und nicht zuletzt in sich den drastischen Forderungen zu fügen. wargames gelingt es Badham, eine unspek- Hier steigert die Übereinstimmung von Er- takuläre Grundidee (der jugendliche Hacker zählzeit und erzählter Zeit ebenso die Iden- sitzt vor seinem Computerbildschirm) in ei- tifikation mit dem leidgeprüften Vater. nen dramatischen Spionagethriller mit Co- Neben diesen Strategien der Dynamisie- ming of Age-Motiven zu transformieren. rung interessiert Badham sich für die inten- Auch wenn der finale Atomkrieg zum Glück sive Beobachtung von Prozessen: Wachs- der Protagonisten nur als Computersimulati- tum, Produktion, Kreativität. So bringt on abläuft, holt Badham erstaunlich viel aus er uns nah, wie ein unbedarfter Drifter in diesen statischen Grunddispositiven heraus. american flyers über seine Grenzen hi- Neben der Dynamisierung und den nauswächst und sich zu einem leistungs- Wachstumsprozessen existiert ein dritter starken Marathonradler entwickelt, als Themenkomplex in Badhams Œuvre: Über- er miterleben muss, wie sein älterer Bru- wachung und Paranoia. Badhams amerika- der gesundheitlich in eine Krise gerät. Die- nisches Kino ist in einer letzten Konsequenz ser Wachstumsprozess wird zum Puls des ein kritisch-politisches. Das kann sich in Films. Auch nick of time zeigt einen sol- ganz kurzen Momenten und Impressionen chen Prozess: wie ein ahnungsloser Büro- zeigen, etwa wenn zu Beginn von stakeout Die Schönheit der Perfektion 10 während des Gefängnisausbruchs die Häft- gisseur. Er hat mit Größen wie Laurence Oli- linge ihre Rasierspiegel aus den Zellen hal- vier, Kevin Costner, Goldie Hawn, Richard ten, um zu sehen, was vor sich geht – hier Dreyfuss, Mel Gibson, Johnny Depp oder wird für Sekunden die Isolation der Häftlin- James Garner gearbeitet, und zugleich jun- ge spürbar. Wichtig wird es aber vor allem gem Nachwuchs eine Chance geboten: Ally in Momenten, in denen die Ordnungskräfte Sheedy, Matthew Broderick – und nicht zu- rücksichtslos in die Intimsphäre amerikani- letzt dem jungen John Travolta. Wie kaum scher Bürger eindringen: In der Beobachtung ein Kollege seiner Generation verdichtet4 der ahnungslosen Frau in stakeout , die von Badham die Ambitionen und Möglichkeiten zwei Polizisten rund um die Uhr überwacht des kommerziellen Hollywoodkinos zu ei- wird – und so zum Objekt der Begierde avan- nem performativen, unterhaltsamen wie her- ciert. Hier wie an anderer Stelle reflektiert ausfordernden Ereignis. Es ist zu hoffen, dass Badham zugleich unsere Position als Filmzu- John Badham nach langer Abstinenz endgül- schauer und Voyeure: Ebenso explizit ist jene tig zur großen Leinwand zurückkehrt, um frühe Szene in blue thunder, als die Hub- als Hollywood-Professional noch einmal zu schrauber-Cops eine nackte Frau beim Yoga zeigen, welche Schönheit in der Perfektion beobachten. Hier wird die Überschneidung liegt – der Perfektion des Inszenierten, aber von Überwachungsparanoia und Amtsmiss- vor allem: der Inszenierung selbst. brauch ambivalent und für das Publikum durchaus peinlich auf die Spitze getrieben. Anmerkungen 1 Dokumentiert in: Emanuel Levy (Hg.): Citizen Sarris: American Film Critic – Essays in Honor of Andrew Sarris. Lanham 2001. 2 Zahlreiche Informationen dieses Artikel entstammen dem Buch John Badham: On Directing. Studio City 2013. 3 Richard Slotkin: Gunfighter Nation. The Myth of the Frontier in Twentieth-Century America. Norman, Oklahoma 1998. blue thunder – Eindringen in die Privatsphäre 4 Siehe zum Begriff der Verdichtung: Marcus Stigleg- ger: Verdichtungen. Zur Ikonologie und Mythologie Am Ende von Badhams prototypischem populärer Kultur. Hagen-Berchum 2014. wie originellem Hollywoodkino steht die Schönheit der Perfektion. Er führt in sei- Marcus Stiglegger überreicht John Badham den nen intensivsten Momenten vor, wie die an- Cinestrange-Award in Braunschweig (2014), Foto von gestrebten Prozesse zum ungeahnten Er- Markus Haage folg führen: zum Sieg im Tanzwettbewerb, dem Triumph im Radrennen oder der Auf- deckung einer rassistisch motivierten Staats- verschwörung. Ambivalent wird diese Feier der Perfektion, wenn wir mitbekommen, wie Nina in point of no return zur immer per- fekteren Killerin wird, die zugleich ihre Auf- tragsmorde vor dem misstrauischen Freund verbirgt (in der New Orleans-Sequenz). John Badham ist ein Regisseur der Dyna- mik, der Varianz – und ein Schauspielerre-