Das Teatro All'antica Von Sabbioneta
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Daniel Buggert (Köln) Das Teatro all’Antica von Sabbioneta Vincenzo Scamozzis Idee des theatralen Einheitsraumes Als letztes Gebäude fügte Vespasiano Gonzaga dem Hochkorridor von Sab- bioneta das Teatro all'Antica hinzu. Als erstes im Stadtraum freistehendes Theater stellt es einen wesentlichen Schritt in der typologischen Entwick- lung des neuzeitlichen Theaterbaus dar. Die neuen bauforscherischen Un- tersuchungen des Aachener Forschungsteams unter der Leitung von Jan Pieper ermöglichen es, eine eindeutige Rekonstruktion der inneren Struk- tur des Ursprungsbaus zu entwickeln. Durch die vergleichende Betrachtung der erhaltenen zeitgenössischen Theater, die auch die Akustik als physika- lisch messbare Dimension berücksichtigt, kann die Entwicklung des früh- neuzeitlichen Theaters nachvollzogen werden. Nicht zuletzt offenbart sich die Raumidee, die der Planung Vincenzo Scamozzis zugrunde liegt. http://www.archimaera.de ISSN: 1865-7001 urn:nbn:de:0009-21-47053 Juli 2018 #7 "Dialog" S. 89–98 Die Untersuchung des Teatro Corte Cornaro in Padua, das Teatro all’Antica war Bestandteil zweier Olimpico in Vicenza und das Teatro mehrjähriger Forschungsprojekte.1 In Farnese in Parma in die Betrachtung einem ersten Schritt wurde mit De- einbezogen, wobei neben der archi- tailbetrachtungen der Anschluss des tekturhistorischen Analyse und bau- Gebäudes an das System der Hochkor- forscherischen Erfassung die Akustik ridore von Sabbioneta untersucht, der der Theaterräume untersucht wurde, alle fürstlichen Bauten der Stadt mit- um die architektonische Entwicklung einander verbunden hat. Eine detail- auch hinsichtlich ihrer aufführungs- lierte Betrachtung des gesamten Ge- praktischen Aspekte zu beleuchten. bäudes erfolgte im Kontext eines drei- jährigen interdisziplinären Projektes, Die Ergebnisse zeigen, dass das Tea- das durch die vergleichende Betrach- tro all’Antica innerhalb des Ensembles tung und Analyse von fünf erhaltenen Sabbioneta von wesentlicher Bedeu- Beispielen aus der formativen Phase tung für die Struktur und Gestaltung des neuzeitlichen Theaterbaus die ty- der Residenzstadt Vespasiano Gonza- pologische Entwicklung in den Blick gas ist, darüber hinaus aber auch als genommen hat. Neben dem Theater Schlüsselbauwerk der Entwicklung des von Sabbioneta wurden der Theater- frühneuzeitlichen Theaters zu betrach- hof der Villa Imperiale in Pesaro, die ten ist. Ein tiefgreifendes Verständ- Abb. 1. Blick aus der Fürsten- loge des Teatro all'Antica auf den Eingang in der Südwand des Zuschauerraumes. Foto: Reinhard Görner, Berlin. 90 nis des Gebäudes und seiner Konzep- Stadtgefüge als eigenständiges Gebäu- tion ist erst zu erlangen, wenn beide de sichtbaren Theaters der Neuzeit eine Aspekte – die lokale und die allgemei- komplexe Bauaufgabe darstellte und ne architekturhistorische Bedeutung hierzu offensichtlich Fachwissen von- – in einer Betrachtung zusammenge- nöten war. führt werden. Die detaillierte baufor- scherische Untersuchung bietet hierbei Scamozzi hatte seine Kenntnis kurz die Grundlage, das Gebäude selbst als zuvor mit der Ergänzung von Andrea Quelle zu erschließen. Das Theater von Palladios Teatro Olimpico in Vicenza Sabbioneta führt also vor Augen, dass durch einen Bühnenraum mit ausge- weder eine rein monografische noch klügelter Kulisse nachgewiesen und eine rein überblicksartige Betrachtung einen wesentlichen Beitrag zur typo- ein vertieftes Verständnis eines Monu- logischen Entwicklung geleistet. Sei- Abb. 2. Die Kulisse des Teatro ments erzielen kann, sondern stets die ne Erfahrungen aus dem Vicentiner Olimpico in Vicenza steht in Wechselbeziehungen zwischen Einzel- Projekt konnte er mit der Neuplanung enger Beziehung zum Teatro objekt und der jeweiligen architektur- des Teatro all’Antica von Sabbione- all‘Antica in Sabbioneta. historischen Entwicklung analysiert ta dazu nutzen, ein Gebäude zu pla- Hier wird deutlich, wie werden müssen. nen, das als Zusammenfassung seiner Vincenzo Scamozzi mit der von Gedanken zum Theaterbau zu ver- Palladio geplanten klassischen Die Baugeschichte des Theaters stehen ist und in seiner klaren Kon- Theater architektur gerungen zeption auch seine Vision der Thea- hat. Die drei Öffnungen Das Teatro all’Antica entstand 1587 – terpraxis vor Augen führt. Es ist des der Rückwand geben nur wenige Jahre vor dem Tod Vespasiano Öfteren darauf hingewiesen worden, bedingt Einblick in fünf Gonzagas – als letztes der fürstlichen dass im Theater zu Lebzeiten Vespa- Straßen der Hauptkulisse, Gebäude Sabbionetas.2 Im Unterschied siano Gonzagas lediglich eine einzige so dass die Einheit zwischen zu den anderen Bauten, deren Archi- festliche Veranstaltung stattgefun- Zuschauer- und Bühnenraum tekten weitgehend unbekannt sind und den hat. Hieraus ist jedoch nicht zu nicht verwirklicht werden bei denen mindestens eine rege Beteili- schließen, dass es sich um ein unter- konnte. Die Holzkonstruktion gung des Fürsten an der Planung anzu- geordnetes Gebäude handeln könnte, der erhaltenen Kulisse liefert nehmen ist, beauftragte Vespasiano für dessen Ausstattung im Innenraum wesentliche Hinweise zum sein Theater mit Vincenzo Scamozzi ei- als temporäre Einrichtung im Sinne Verständnis der vermutlich nen namhaften Baumeister. Zum einen einer ephemeren Festkulisse zu ver- mit den gleichen Mitteln unterstreicht dies die besondere Bedeu- stehen ist. Die Ergebnisse der Bau- konstruierten Bühnenbauten tung, die auch der Fürst dem Gebäude forschung erlauben eine Rekonstruk- in Sabbioneta. beigemessen hat, zum anderen ist zu er- tion des ursprünglichen Gebäudes, Foto: Reinhard Görner, Berlin. kennen, dass die Planung des ersten im die sowohl die Verzahnung des Ge- 91 bäudes mit den anderen fürstlichen war. Als Bestätigung einer Verbin- Bauten, die als 'domus transitoria' dung kann durchaus die Zeichnung über die Stadt verteilt sind, als auch Scamozzis gelten, da das dem Haupt- eine räumliche Konzeption erkennen baukörper angefügte Treppenhaus lässt, die im Innenraum des Theaters einen solchen Anschluss nahelegt. Es die gesellschaftliche Ordnung des ist davon auszugehen, dass ein Archi- Hofes von Sabbionetas abbildet. tekt mit dem Können Vincenzo Sca- mozzis ohne Weiteres in der Lage ge- Der Anschluss an das System des wesen wäre, die Treppe in das große Hochkorridors Rechteck des Theaterbaus zu integrie- Abb. 3. Das Treppenhaus des ren; die merkwürdige Erweiterung Teatro all‘Antica befindet sich Auch wenn es vielleicht nicht ein- muss dem an der Außenwand ver- in einem schmalen Baukörper wandfrei nachzuweisen ist, dass die laufenden Gang geschuldet sein. Mit neben dem eigentlichen The- Konzeption des Hochkorridors zur den Methoden der Bauforschung war atergebäude. Da es sicherlich Verbindung der fürstlichen Bauten es möglich, durch die Untersuchung möglich gewesen wäre, die Sabbionetas bereits Teil der ursprüng- der Mauerwerksstruktur hierfür ei- Treppe in den Hauptbaukör- lichen ersten Stadtidee Vespasiano nen eindeutigen Nachweis zu liefern. per zu integrieren, muss diese Gonzagas war, so muss die Errich- Das Treppenhaus vermittelte dem- Lösung als wichtiger Hinweis tung des Corridor grande (1583/84, zufolge nicht nur zwischen den Ebe- für den Verlauf des Hochkor- Ausstattung 1589) als bauliche Ma- nen des Gebäudes, sondern verband ridors gesehen werden, der in nifestation des Gangsystems gel- die Fürstenloge des Theaters mit dem der entsprechenden Breite an ten. Demzufolge entsteht das Teatro System des Hochkorridors. Diese der Rückfassade des Theaters all’Antica zu einem Zeitpunkt, als der Verbindung erlaubte es dem Fürsten, lag. Das Treppenhaus stellte Hochkorridor zweifelsfrei vorhanden in den Theatersaal zu gelangen, ohne die Verbindung zwischen der Fürstenloge, dem Theater- raum und dem Gangsystem her. Foto: Reinhard Görner, Berlin. Abb. 4. Die Fugen im Mauerwerk unter dem Dach des Treppenhauses zeigen in allen Ecken des Raumes, dass die heutigen Wände an den Stirnseiten nachträglich und ohne Verband eingefügt wurden. Risse im Putz zeigen, dass diese eingestellten Wände auf Höhe der Fenster- brüstung im Obergeschoss der Straßenfassade enden. Es ist daher davon auszugehen, dass auf der Mauer die hölzerne Konstruktion einer Brücke aufgelegen hat. Foto: Daniel Buggert. 92 den Weg über die Straße zu nehmen. der Stadt mit der Piazza d’Armi die Der Theatersaal wird somit zum Teil Verteidigungsfähigkeit der Stadt und der „domus transitoria“ und muss im das militärische Können Vespasiano Zusammenspiel mit dem Corridor Gonzagas verbildlicht. Zur Visuali- grande und der Kunstsammlung im sierung dieser städtebaulichen Funk- Casino als Teil des Weges betrachtet tion schiebt sich der Baukörper am werden, den der Fürst mit hochge- westlichen Ende der Via Vespasia- stellten Gästen beschritten hat. Da- no Gonzaga in den breiten Straßen- her beschränkt sich die Nutzung des raum. Im Theaterraum wird die be- Raumes nicht auf festliche Veranstal- wusste Positionierung des Gebäudes tungen, sondern muss als Teil der Re- unterstrichen, indem mit den Fres- präsentationsräume des Fürsten an- ken der langen Außenwände virtuelle gesehen werden. Ausblicke auf Gebäude und Ruinen Roms in Beziehung zur Stadtstruk- Der Theatersaal und die tur Sabbionetas gesetzt werden. So Theaterbühne des Teatro blickten die Zuschauer beim Eintritt all’Antica in das Theater zunächst auf den Kapi- tolshügel, der auf der Nordwand des Innerhalb der Stadtstruktur Sabbi- Raumes dargestellt ist und auf den onetas markiert das Theater das Ge- dahinterliegenden Palazzo Duca- lenk zwischen dem Areal des Palaz- le als Regierungs- und Verwaltungs- zo Ducale als repräsentativem