Ludwig Van Beethoven Eine Sendereihe Von Eleonore Büning
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Sonntag, 18. Oktober 2020 15.04 – 17.00 Uhr Ludwig van Beethoven Eine Sendereihe von Eleonore Büning 42. Folge: „Musik über Musik“ Willkommen, ich grüße Sie. „Musik über Musik“ – so heißt diese Folge. Das dürfen Sie wörtlich nehmen! Heute hören Sie hier nämlich nur erstklassige „Second- Hand“-Musik. „Musik über Musik“, das besagt: Ein Komponist schreibt ein Stück, indem er sich ein anderes, schon vorhandenes Stück ausborgt und es verändert, sich aneignet, es verdaut und etwas Neues daraus macht. Vergleichbares gibt es natürlich auch in der Literatur und der bildenden Kunst: Es gibt Romane über Romane, Bilder über Bilder. Doch das ist jeweils wohl eher die Ausnahme. „Musik über Musik“ dagegen umfasst eine Fülle von allen möglichen Formaten: Arrangements, Parodien, Improvisationen, Transkriptionen, Paraphrasen, Fantasien, Kontrafakturen und Variationen. Typisch für die flüchtige Luftkunst Musik, dass sie sich in diesem schöpferischen Zwischen-reich so stark hat verankern können! Hier, zum Auftakt, ein berühmtes Beispiel: Opus 111 1) Ludwig van Beethoven: Diabelli-Variationen op.120 0:45 OP 30384 Daraus: Variation Nr.22 Kein LC Grigori Sokolov (Klavier) Track <22> 1985/2000 „Notte e giorno faticar“/ „Keine Ruh bei Tag und Nacht…“. Grigori Sokolov spielte ein Klavierstück von Beethoven über eine Arie von Mozart UND über einen Walzer von Diabelli. Es handelt sich hier um eine Doppelvariation, einen verschärften Fall von „Second-Hand“-Musik. Erstens verarbeitet Beethoven hier die Auftrittsarie von Leporello aus „Don Giovanni“ (aus einer Oper, deren Sujet er angeblich unmoralisch fand). Zweitens verarbeitet Beethoven ein Walzerthema (das ihm, als ein billiges „Thema mit Schusterfleck“ angeblich ebenfalls nicht gefiel). Dieses Thema hatte der Wiener Musikverleger Anton Diabelli im Jahr 1819 an alle möglichen Komponisten verschickt, mit der Bitte, ihm dazu je eine Variation zu schreiben. Auch an Beethoven, was der zunächst verweigerte, sich aber doch noch anders überlegte. Und herausgekommen ist dabei etwas Unerhörtes, Neues, Wegweisendes, eine vielbewunderte Architektur aus 33 Variationen, wovon die 22.Variation, die wir eben hörten, ein vollendetes Kunstwerk in der Nussschale ist: „Musik über Musik über Musik“ in nur 18 Takten. Zeit seines Lebens komponierte Ludwig van Beethoven immer wieder Variations- zyklen, insgesamt 22 für Klavier, darüber hinaus gibt es 10 Zyklen für Kammermusikbesetzungen und 37 Variationssätze in Symphonien, Sonaten, Trios und Quartetten. Bereits das erste gedruckte Werk Beethovens war ein Variationenwerk gewesen: die sogenannten „Dressler“-Variationen, die er zwölfjährig in Bonn komponiert hatte. Nach der Übersiedelung nach Wien profilierte er sich dann mit virtuosen Klaviervariationen über Themen von angesagten Opernkomponisten: Gretry, Righini, Dittersdorf, Süßmayr, Winter, Paisiello, Wranitzky – was eben gerade so auf dem Spielplan stand. „Musik über Musik“ für Ludwig van Beethoven - 42. Folge Seite 2 von 12 Salon und Hausgebrauch - das war damals, als es noch keine Tonaufzeichnung gab, die probate Methode, Musik unter die Leute zu bringen. 1799 knöpfte sich Beethoven, um seinen Lehrer Antonio Salieri zu ehren, eines von dessen Opernduetten vor: „La stessa, la stessissima“: Chandos 2.) Antonio Salieri: „Falstaff“ 1:13 Chan 9613 Daraus: „La stessa, la stessissima“, 1.Akt LC 7038 Lee Myeoungeeh (Sopran) CD 1 Chiara Chialli (Sopran) Orchestra Guido Cantelli od Milan Track <14> Alberto Veronesi (Leitung) 1997/1998 Mrs.Ford und Mrs.Slender haben beide einen Liebesbrief bekommen von Falstaff. Die Frauen treffen sich, vergleichen die Briefe und stellen fest: Es steht wortgleich dasselbe drin: „La stessa! la stessissima!“ Dieses Duett aus der Oper „Falstaff“ von Antonio Salieri wurde auf Anhieb ein Hit, es wurde mehrfach zu Variationen verarbeitet, und auch Ludwig van Beethoven brachte dazu Klaviervariationen heraus, keine zwei Monate nach der Uraufführung, anno 1799: Deutsche 3.) Ludwig van Beethoven: Zehn Variationen in B-Dur 4:18 Grammophon Über „La stessa, la stessissima“ aus Antonio Salieris DG 457 613 Oper „Falstaff“ WoO 73 LC 0173 Gianluca Cascioli (Klavier) Track <1> 1997/1999 Bis zur Mollvariation hat sich der Pianist Gianluca Cascioli vorgearbeitet in diesen B-Dur-Variationen. Beethoven verkomponierte hier ein Thema von Antonio Salieri, er stand damit direkt in Konkurrenz zu Joseph Wölfl und Josephine von Auernhammer, die ebenfalls „La stessa“-Variationen herausgebracht hatten, denn Salieris „Falstaff“-Oper war neu in Wien und sehr in Mode. Vergleichsweise schneidet Beethoven schlecht ab. In der Zeitungskritik heißt es, am 19.Juni 1799: „Mit diesen (Variationen) kann man nun gar nicht zufrieden seyn. Wie sind sie steif und gesucht und welche unangenehme Stellen darin, wo harte Tiraden in fortlaufenden halben Tönen gegen den Bass ein hässliches Verhältnis machen, und umgekehrt. Nein, es ist wahr: Hr.v.B. mag phantasieren können, aber gut zu variiren versteht er nicht.“ Soweit die Kritik. Kurz darauf reißt die Variationenproduktion Beethovens schlagartig ab. Ob er sich diese Kritik zu Herzen nahm? Eher unwahrscheinlich. Er bekam ja zu Beginn seiner Karriere laufend solche Kritiken, die seine avantgardistischen Lösungsvorschläge für konventionelle Tonsatzprobleme als „hässlich“ bezeichneten, und ließ sich davon in seinem Komponieren nicht irritieren. Eher ist es wohl so, dass Beethoven in Sachen „Musik über Musik“ einen neuen Weg gefunden hatte, der ihn mehr interessierte. Er propagierte nämlich, statt die Themen anderer, nunmehr eigene Themen. Und von diesem Zeitpunkt an, ab 1800, hat er nie wieder textgebundene Themen aus modischen Opern variiert. © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 42. Folge Seite 3 von 12 Zuerst verarbeitete Beethoven ein Thema aus einer seiner Klaviersonaten, der B- Dur-Sonate op.22. Auch den beiden nächsten Variationszyklen von 1802, den „Eroica“-Variationen und den „Prometheus“-Variationen legte er ein selbstkomponiertes Originalthema zugrunde. Er schreibt dazu an den Verleger Härtel: „beyde sind auf eine wircklich neue Manier bearbeitet (…) um so mehr, da auch die Themas von mir selbst sind.“ Der nächstfolgende Schritt ist noch radikaler. Beethoven schreibt fortan gar keine Klaviervariationen mehr: eine Enthaltsamkeit, die, von zwei Gelegenheitskompositionen abgesehen, 17 Jahre andauert. Erst 1819 findet er wieder zu dieser Sorte von „Musik über Musik“ zurück, er komponiert erneut einen Variationszyklus, seinen letzten: die „Diabelli“- Variationen. Diese partielle Schaffenspause, vor allem aber Beethovens Worte von der „ganz neuen Manier“ haben schon Hunderte von kritischen Federn in Bewegung gesetzt. Und dieser späte Zyklus der „Diabelli“-Variationen, entstanden zwischen 1819 und 1823, wird als eines der größten musikalischen Weltwunder bestaunt, entstanden gewissermaßen aus dem Nichts, wie eine Athene dem Haupte des Zeus entsprungen. Legenden ranken sich um die Entstehung. Legenden kursieren unter den Pianisten. Lange Zeit hielt man diese Musik für unspielbar schwer – erst 1856 wagte der Liszt-Schüler Hans von Bülow sich in Berlin an die Uraufführung. „Eine Pilgerfahrt“ nennt der australische Pianist Michael Leslie diese Variationen. Außerdem: „ein Testament“ und ein „Paradies“ und „eine Reise um die Welt“. Er schreibt: „Tatsächlich gibt es keinen vernünftigen Grund, sich physisch, intellektuell und emotional mit diesem gigan-tischen Werk auseinanderzusetzen. Genau so wenig, wie es einen Grund gibt, den Mount Everest zu bezwingen.“ Telos TLS 4.) Ludwig van Beethoven: Diabelli-Variationen op.120 0:55 110 Daraus: Thema LC 029666 CD 2 Michael Leslie (Klavier) Track <1> 2009 Michael Leslie spielte das Thema zu Beethovens „Diabelli“-Variationen, woraus wir eingangs schon die 22.Variation gehört haben. In ihrer Ehrfurcht vor den „Diabelli“-Variationen, die so abenteuerlich lang und so labyrinthisch sind, wie kein anderer Variationszyklus zuvor, gehen die meisten Autoren stillschweigend darüber hinweg, dass das Thema keineswegs ein Originalthema ist. Es ist wieder, wie bei den ersten Variationen des jungen Beethoven, ein Fremdthema, das genau so schlicht und dumm gebaut erscheint, wie es zum Beispiel „La stessa, la stessissima“ gewesen war. Wieder kommt es darauf an, was der Komponist daraus macht. Bereits in der ersten Variation, Viervierteltakt, Alla Marcia, ist das Thema nicht mehr wiederzuerkennen. Bewundernd schreibt August Halm, man höre förmlich, wie Beethoven auftrumpft und ruft: „‘Jetzt komme ich!‘ Arietta Music 5.) Ludwig van Beethoven: Diabelli-Variationen op.120 1:30 ART -001 Daraus: Var.1 „Alla marcia maestoso“ Kein LC CD 1 William Kinderman (Steinway) track <1> 2007 © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 42. Folge Seite 4 von 12 William Kinderman spielte Beethovens erste Variation „Alla Marcia Maestoso“, aus den Diabelli-Variationen op.120. „Es ist mir kein anderes Beispiel bekannt, wo er (Beethoven) ein fremdes Thema, das er behandeln wollte, gleich mit so herrischer Gebärde von sich weggeschoben, ja, förmlich von sich fortgestoßen hätte“, sagt dazu August Halm Walter Riezler geht noch einen Schritt weiter, er schreibt: „Schon hier, mit diesem großartigen Beginn, wird das Thema in seiner eignen Gestalt sozusagen vernichtet.“ Rettung durch Vernichtung! So könnte man das Variationsprinzip der Beethovenschen Diabelli-Variationen umschreiben. Denn das Thema, das er variiert, glänzt von der ersten Variation an konsequent durch Abwesenheit. Es wird stets nur portionsweise zitiert und verändert, eine Variation variiert die nächste. Nie können