40 Jahre Murena

Der geplatzte Traum

Der 1980 vorgestellte Murena war der vierte Entwurf der Automobilsparte von Matra, einem Konzern, der hauptsächlich in den Gebieten der Luft- und Raumfahrt, Elektronik und den Waffensystemen tätig ist. Seine Vorgänger , Rancho und Bagheera waren unterschiedlich, aber doch recht erfolgreich gewesen, und somit lagen große Erwartungen in der Luft.

Text und Bilder: Claude Legrand

er 70er Jahre Bagheera, manchen verzinkten Chassis, D bekannt als der „kleine Miura“, drei Sitzplätzen in einer wie leider auch als die „goldene Zitrone“ Reihe und Klappscheinwerfern. – aufgrund einiger Kinderkrankheiten der Natürlich befand sich der Motor Matra-ty- ersten Modelle und recht negativer Presse pisch wieder in zentraler Position, wie vom – sollte jetzt einen würdigen Nachfolger Urahn Djet erstmals eingesetzt. Seit diesem bekommen. Geniestreich von Konstrukteur René Bonnet werk gerecht geworden wäre. Sein 84 PS fand sich dieses Merkmal in allen sportli- schwacher -Motor konnte Ende der So wie der Bagheera wies auch der Mu- chen Matra-Automobilen wieder. 70er Jahre nicht mehr mithalten und Simca rena viele technische Neuerungen auf: ein Chrysler erwies sich als zu zögerlich, um in revolutionäres und für damals visionäres Dem Vorgänger Bagheera war leider nie die Entwicklung eines wirklich sportliche- Konzept, geprägt durch eine breite, flache ein wirklich sportlicher Motor vergönnt ren Antriebs zu investieren. Als 1979 die Polyesterkarosserie mit darunter einem voll worden, der seinem ausgezeichneten Fahr- PSA-Gruppe die Marke (ehemals Simca) übernahm, wurde wieder an Ma- tra appelliert, um den Nachfolger, quasi einen „Super Bagheera“, zu entwerfen. Philippe Guédon setzte dem Projekt seine drei Hauptziele in den Bereichen Chassis, Platzangebot und Fahrkomfort. Der Desig- ner Antoine Volanis, der auch schon die Bagheera und Rancho zeichnete, und später den entwerfen wird, lieferte die ersten Skizzen ab.

Sein erklärtes Ziel war es, eine zeitlose, rassige Linie zu schaffen, geprägt von Wie-

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dererkennbarkeit und Aerodynamik. blem schmerzlich bewusst geworden, und gute Basis für die Aufwertung der Basis- Intention dagegen war, das Bagheera-Kon- es sollte Abhilfe geschaffen werden. In Zu- modelle Verwendung fanden. Der Murena zept quasi neu zu erfinden und die Schwä- sammenarbeit mit Talbot experimentierte sollte als erstes Großserienfahrzeug ein chen des Vorgängers auszumerzen. So Matra als Erster in ihrer Fabrik in Romoran- vollverzinktes Chassis erhalten, das dem übernahm man das Zentralmotor-Konzept, tin mit dem Verfahren der Galvanisierung rostigen Zahn der Zeit trotzen würde. die Einzelradaufhängung mit großen Feder- durch Eintauchen der kompletten Karosse- Diese moderne Bauweise wurde durch wegen, die Dreiersitzreihe mit tiefer, fast lie- rie in ein 460 Grad heißes Zinkbad. Dieses das Verwenden von Karosserieteilen aus gender Sitzposition und die ausgezeichnete, revolutionäre Verfahren erregte auch die SMC („Sheet Moulding Compound“) ver- 300° umfassende Rundumsicht des Fahrers Aufmerksamkeit vieler anderer, vorwiegend vollständigt, welche ebenfalls sehr haltbar als die Merkmale des neuen Murena. Eine deutscher Automobilkonzerne. und vor allem leicht waren. Die Sicherheit der wichtigsten und dringendsten Verbes- der Fahrgastzelle war ebenfalls ein Anlie- serungen konzentrierte sich auf den Rost- Ende der 70er Jahre verfeinerte Matra gen der Matra-Ingenieure und wurde auch schutz. In den Jahren der Zusammenarbeit das Verfahren anhand der letzten verblie- dementsprechend beworben. Trotz des mit Simca und deren italienischen Blechen, benen Bagheera-Chassis. Diese sollten Zentralmotors und des daraus resultieren- die innerhalb weniger Jahren zu rostigem später hier und da auch in die Hände von den leeren Vorderwagens, erwies sich der Blätterteig mutierten, war Matra des Pro- Bagheera-Fans gelangen, wo sie als eine Murena in Crashtests als vorbildlich.

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Der Antrieb ist eine der wichtigsten beide Modelle wurden einer 200-köpfigen, des Motors. Natürlich wurden bereits hier Komponenten eines Wagens, und leider internationalen Vertretung der Presse vor auch die ersten kritischen Stimmen laut, trübt sich hier die Geschichte. Nachdem eindrucksvoller Kulisse in den Gorges du welche die Untermotorisierung, besonders der zweitgrößte französische Hersteller Verdon, Ouarzazate, Zagora und im Atlas- gegenüber der deutschen Konkurrenz, den PSA die Talbot-Rechte übernahm, gab es gebirge vorgestellt. für größere Fahrer schlecht zu erreichenden zuerst große Hoffnungen und die Rede ging Ganghebel sowie die gewöhnungsbedürfti- davon, dem von PSA und Renault zusam- Hierbei wurden die besten Merkmale ge Lenkradposition, die trotz abgeflachtem men in Regie entwickelten, modernen 2-Li- des neuen Wagens unter den unterschied- Unterteil des Volants für manche Fahrer un- ter-Motor einen Platz im Heck des Murena lichsten klimatischen und geographischen komfortabel ausfiel, kritisierten. Als weitere zu reservieren. Dieser Antrieb hätte perfekt Bedingungen vorgestellt: guter Komfort, Mängel wurden der große Wendekreis und zum Konzept gepasst: ein französischer gutmütiges Fahrverhalten und Elastizität die schlechte Schallisolierung angekreidet. Leichtmetall-Motor mit obenliegender Nockenwelle, mit geringem Verbrauch und guter Leistung. Leider entschied Renault schließlich dagegen und verweigerte Talbot den Motor, da hausgemachte Konkurrenz zum neuen Fuego befürchtet wurde.

Wenige Monate vor Produktionsanlauf befand sich Matra nun in der misslichen Lage, einen veralteten Antrieb in den Re- galen von Simca/Talbot zu finden. Man entschied sich notgedrungen für zwei Murena-Varianten, eine Basisversion mit dem 1,6 Liter großen Simca-Poissy-Motor aus dem neuen Solara GLS (die 4. Evolu- tionsstufe des klassischen Simca 1000 An- triebs), und eine sportlichere Version, die von dem drehmomentstarkem 2,2-Liter aus dem Tagora GLS, einer geräumigen und behäbigen Limousine, angetrieben wurde. 1980 begann die Produktion und

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Das sollte Philippe Guédon aber nicht Murenas die es nie gab davon abhalten, die technischen Vorteile seines Zöglings zu betonen. Die zentrale Auch als Peugeot nicht mehr willig war, den Murena weiterzuentwickeln, Position des Motors ist ein Grund für den kreierten die Matra- Ingenieure weiter interessante Varianten, wie den insgesamt niedrigen Verbrauch des Wa- Murena 4S, der als Prototyp bereitstand aber vom Vorstand leider gens, da der „leere“ Vorder- und der Hinter- verworfen wurden. Der 4S war eine sehr sportliche Evolutionsstufe des wagen ganz den modellierenden Händen Coupés, die in enger Zusammenarbeit mit der Motorsport-Abteilung der Aerodynamiker überlassen werden von Matra entwickelt wurde. Aus dieser Kooperation entstand ein auf konnten. Der typisch flache Vorderwagen Basis des 2,2-Liter-Motors aufgebauter ROC-Rennmotor mit 175 PS und die fliehende Form des Hecks ermög- ab 6.000 U/min und ca. 214 Nm Drehmoment, die ab 2.500 U/min zur lichten einen sensationell niedrigen Cw- Verfügung standen. Mit seinem Gewicht von knapp unter einer Tonne Wert von 0.328, womit er für die damalige konnte er damit in knapp 7 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen Zeit fast konkurrenzlos windschnittig war. und an der 230 km/h-Schwelle kratzen. Auch die Ästhetik des Wagens Dies senkte den Verbrauch und ermög- wurde angepasst: Targa-Felgen, Verbreiterungen und Lufthutzen lichte höhere Endgeschwindigkeiten. Der für Bremsen und Motor, in Hinsicht der Aerodynamik verbesserte Zentralmotor erhöhte auch die aktive Si- Karosserieteile und ein blaues Velours-Interieur mit grünen Streifen als cherheit durch eine günstige Massenvertei- Hommage an Henri Pescarolos Erfolge im Rennsport. Man war nahe lung mit 40/60 des Gewichts auf jeweils dran, einen französischen Senkrechtstarter zu bauen, doch der Rotstift Vorder- und Hinterachse. Das zusätzliche der Buchhalter verhinderte das. Gewicht auf der hinteren Antriebsachse sorgte für bessere Beschleunigung und Dabei gab es noch Haftung. Der leichte Vorderwagen ermög- andere, weniger lichte eine leichtgängige Steuerung ganz alltagstaugliche ohne Servo-Unterstützung und auch die Entwürfe, die erwähnt Längs- und Seitenneigung wurden mit die- werden sollten, wie ser Bauweise verringert. der Geistesblitz, das neue Auto mit dem altbewährten V12-Rennsport-Motor zu vereinen. Im September 1980 wird der Murena Der auf 300 PS gedrosselte Motor sollte mit einem Rohrrahmenchassis auf dem Salon de l’Automobile in Paris vor- bestehend aus dem hinteren Teil eines MS670B und dem Porsche- gestellt und ab dann vom Talbot-Händler- Getriebe des Gewinnersautos von 1973 mit dem Vorderwagen des netz angeboten. Diese waren nie besonders Murena verbunden und das Ganze als eine Art „Supercar“ vermarktet erpicht darauf, die Matra-Modelle zu ver- werden. Der Prototyp verschwand leider in den Archiven, doch Jahre kaufen, da die Heckmotor-Bauweise nicht später erinnerten sich die Ingenieure daran und ließen sich von ihm zu besonders wartungsfreundlich war. Die Ver- einem Publikumsliebling inspirieren, der dann gebaut wurde und in der fügbarkeit des Wagens verbesserte sich 1981 Formel 1 die Rennen eine Zeit lang mit einer Ehrenrunde eröffnete: der ein wenig mit der Fusion aller PSA-Marken unvergessene Renault Matra Espace F1. zu Peugeot-Talbot, trotzdem blieben die Matras in den Peugeot-Ausstellungsräumen meist auf die hinteren Plätze verbannt, da die Händler es vorzogen, zuerst ihre eige- nen, bodenständigen Modelle wie 305 und 505 anzupreisen und zu verkaufen.

Talbot hatte zu dieser Zeit auch mit Unterstützung von Peugeot nicht viel Me- dienpräsenz. Trotz den Erfolgen der Ral- lye-Modelle Talbot Lotus Sunbeam und der Rückkehr der V12 Matra Formel 1 Rennwagen unter Jacques Laffites Talbot Ligier Gitanes Team, konnten weder Matra noch Talbot große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregen. Dadurch kam auch Peugeot in finanzielle Schwierigkeiten, die

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40 Jahre Matra Murena der Erfolg des neuen 205 zum Glück noch Händlernetz vorgenommen und war recht in extremis abwenden konnte. 1982 been- kostspielig: die 15.000 Francs, die einen dete Peugeot die Unterstützung des Renn- Aufpreis von 17 Prozent gegenüber dem sports und die Entwicklung eines neuen Serienmodell darstellen, wurden nur von Motors, der die V12 ersetzten sollte. So 74 Käufern aufgebracht. verließ Matra die internationale Rennsport- Bühne, was auch den zivilen Matra-Model- Kurz darauf folgte dann das Modell Mu- le schwindende Verkaufszahlen bescherte. rena S, welches im Prinzip eigentlich dassel- be Modell war, nur dass die Umbauten di- Während des beginnenden Falls der rekt im Werk erfolgten. Dieses Modell war Marke kam es allerdings auch zu einigen hauptsächlich für den deutschen Markt be- besonderen Entwicklungen. So stellte das stimmt, da dort der Ruf nach mehr Leistung Händlernetz 1982 eine „Préparation 142“ immer am lautesten war. Ein Erkennungs- genannte Evolutionsstufe des 118 PS aus merkmal der Murena S war die irisierende einem 2,2-Liter-Motor vor, welche die Lackierung „Bleu Colombia“, der Heckspoi- Leistung durch das Austauschen des Stan- ler und die verbreiterten Türschweller. Nach dard -Vergasers durch 2zwei Doppelverga- nur einem Jahr und 420 Exemplaren war ser und eine veränderte Zündung auf 142 1984 dann leider auch damit Schluss. Das PS anhob, wodurch der Fahrspaß stark ver- Modell S war somit das letzte offizielle Mo- bessert wurde. Dieser Umbau wurde im dell des Murena und obwohl es zahlreiche

Murena 1.6 3 1.592 cm 66 kW/90 PS @ 5.600 U/min 132 Nm @ 3.200 U/min 11,8 s 0-100 km/h 182 km/h 10,5 l/100 km

Murena 2.2 3 2.155 cm 85 kW/118 PS @ 5.800 U/min 182 Nm @ 3.000 U/min 9,3 s 0-100 km/h 201 km/h 12,3 l/100 km

Murena S 2.2 3 2.155 cm 103 kW/142 PS @ 6.000 U/min 188 Nm @ 3.800 U/min 8,4 s 0-100 km/h 210 km/h 13,7 l/100 km

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Entwicklungen und Vorschläge seitens der bald auch das Aus für die Marke Talbot, Matra P16/P17/P18/P19-Reihe, welche Matra-Ingenieure gab, ertönte jedes Mal so dass Peugeot trotz der wachsenden Ver- aber für den PSA-Konzern zu sehr einem die gleiche Antwort der Peugeot -Direktion: kaufserfolge des 205 sich dazu entschied, Viehtransporter gleich kam. Und prompt „Ausgezeichnet… zu den Akten damit!“ den neu entwickelten Talbot Arizona künf- abgelehnt wurde. So wurde dann Renault tig nur als Peugeot 309 zu vermarkten. der Begründer einer neuen, vom Erfolg So wurde die Produktion nach knapp Und die Marke Talbot, die eh nur noch als verwöhnten Fahrzeugklasse: dem Mini- vier Jahren und knapp 10.700 Exemplaren „Low Cost“-Hersteller ihr Dasein fristete, van, dessen erster Vertreter der von Matra schließlich eingestellt, eine enttäuschende kurzerhand sterben zu lassen. entwickelte und 1984 vorgestellte Renault Laufbahn für einen Wagen, dem seitens der Espace war. Dem Erfolg dieses Wagens Vermarktung und Investitionsbereitschaft Matra jedoch kämpfte weiter ums Über- verdankte Matra sein Überleben, denn die der PSA-Gruppe nur wenig Liebe vergönnt leben und bot dem Mutterkonzern sein Beziehungen zum ehemaligen Mutterhaus war. Mit dem Ende der Kooperation kam neuestes revolutionäres Konzept an, die PSA brachen daraufhin ab.

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