I. Reale Vorlage und filmische Umsetzung

Rapid City, South Dakota, 1959: Kit Carruthers, ein 25-jähriger Müllarbeiter, der aussieht wie James Dean und der ihn auch im Alltag zu imitieren versucht, lernt die 15-jährige Schüle­rin Holly Sargis kennen. Als sich der Vater des Mädchens, der für seine Tochter auf Höhe­res hinauswill, gegen die Beziehung stellt, schießt Kit ihn nieder und flüchtet mit Holly. Das junge Paar lebt tagelang in der Wildnis, flieht quer durch Dakota in die wüsten Bad­lands im Grenzgebiet des Staates Montana und legt zunächst alle Verfolger um. Erst als diese übermächtig werden, gibt Holly auf, und nach einer Verfolgungsjagd lässt auch Kit sich festnehmen. Er endet auf dem elektrischen Stuhl, während Holly den Sohn ihres An­walts heiratet. Dies ist die Inhaltsangabe von Badlands, und doch ist mit ihr wenig über den Film gesagt. Um sich der Besonderheit des Blicks bei Malick anzunähern, soll zunächst die reale Bege­benheit näher untersucht werden, auf der Badlands basiert.

1. Reale Vorlage

Badlands ist von dem blutigen Drama um Charles Starkweather inspiriert, der im Alter von neunzehn Jahren im Dezember 1957 und Januar 1958 mit Unterstüt­ zung seiner vierzehnjährigen Freundin Caril Ann Fugate einen Amoklauf unter- nahm, dem elf Menschen zum Opfer fielen. Um festzustellen, welche künstlerischen Entscheidungen Malick bei der filmi- schen Umset­zung des Stoffs getroffen hat, ist es notwendig, sich die reale Vorlage zunächst genauer anzusehen. Charles Starkweather stammte aus einer Arbeiterfamilie in Lincoln, ­. Nachdem er die Schule mit sechzehn Jahren beendet hatte, jobbte er erst als Lager-, dann als Müll­arbeiter. Er war ein erklärter Fan von James Dean. ­Starkweather ver- suchte Deans Eigen­arten, seine Kleidung und Frisur zu imitieren. Es gibt Fotografien, auf denen zu sehen ist, wie er mit Zigarette im Mundwinkel und zurückgewuscheltem Haar seinem berühmten Vorbild nacheifert oder wie er bei seiner Gefangennahme mit Lederjacke, Jeans und Cow­boystiefeln und einem triumphierenden Gesichts- ausdruck dem rebellischen Image Deans gerecht zu werden versucht. Auf den Fotos erscheint Stark­weather als ein durchschnittlicher­ junger Mann, der zwar vieles dafür tut, dem Kinohelden Dean zu ähneln, und dessen Posen einen gewissen Geltungs- drang erkennen lassen. Aber nichts an ihm lässt auf etwas Böses in ihm schließen. Ähnlich verhält es sich mit überlieferten Fotografien seiner minderjährigen­ Freundin Caril Ann Fugate. So sieht man sie auf einer Fotografie neben einem Sheriff, dem sie gerade bis zur Brust reicht. Im Verhältnis zu ihm wirkt sie klein und zierlich. Auch bei ihr lässt das unscheinbare Äußere in keiner Weise kriminelle Absichten erkennen. 16 Konvention und Kontingenz in Badlands

Und doch handelte es sich bei Starkweather und Fugate nicht um ein gewöhn- liches junges Paar. Im Juni 1959 wurde Starkweather im Staatsgefängnis von Neb- raska für einen von insgesamt elf Morden, die ihm zugeschrieben worden waren, hingerichtet. Caril Ann Fugate­ wurde der Beihilfe zum Mord für schuldig befun- den und zu einer lebenslangen Haft­strafe verurteilt. Im Jahr 1976 wurde sie auf Be­währung aus dem Gefängnis entlassen. Laut New York Times sagte Starkweathers ehemalige Vermieterin vor Gericht aus, sie habe das Zimmer des Jungen mit einem Vorhängeschloss verschlossen, weil die Miete nicht gezahlt worden sei. Starkweather habe als Müllarbeiter gejobbt, sei aber seit einigen Wo­chen ohne Arbeit gewesen. William Fugate, Carils leiblicher Vater, berichtete, die Mutter des Mädchens sei gegen die Beziehung ihrer Tochter mit Starkweather gewesen, und ihr Stiefvater habe Starkweather angewiesen, sich von dem Haus fernzuhalten. Anfang Dezember 1957 wurde ein bewaffneter Raubüberfall auf eine Tank- stelle verübt, bei dem der einundzwanzigjährige Tankstellenwart ermordet wurde. Die Gewalttat wurde später Starkweather zugeschrieben. Im Januar 1958 richtete Starkweather offenbar vor den Augen seiner Freundin ein Blutbad in deren Eltern- haus an. Die Opfer waren ihre Mutter, ihr Stiefvater und deren kleine Tochter. Auf der ersten Station ihrer gemeinsamen Flucht, einer abgelegenen Farm 25 Kilome- ter südöstlich von Lincoln, ermordete Starkweather den alten Far­mer sowie eine Sechzehnjährige und ihren ein Jahr älteren Freund. In einer Villa in Lincoln kamen drei weitere Menschen zu Tode. Die Op­fer waren C. Lauer Ward, 48, Präsident der Stahlwerke in Lincoln, dessen Ehefrau und die schwerhörige Haushälterin. Im Haus der Wards wurde ein Brief von Starkweather gefunden,­ der „an das Gesetz“ adressiert war: eine grammatikalisch fehlerhafte Mischung aus Geständnis und dem Versuch einer Rechtfertigung. Nachdem die beiden aus dem Haus mitge- nommen hatten, was ihnen wertvoll erschien, flüchteten sie in Wards Packard. Das elfte Mordopfer, ein Schuhhändler aus Great Falls, Montana, fand man nicht weit von dem Ort entfernt, wo Starkweather gefasst wurde. Am 29. Januar 1958 wurde der Neunzehnjährige in der Nähe von Douglas, , festgenommen. Ein Hilfssheriff, der auf einer Routi­nefahrt un­terwegs gewesen war, gab zu Protokoll, am Straßenrand zwei Männer gesehen zu haben, die um die Kontrolle über eine Schusswaffe rangen. Er habe angehalten, um der Sache nach­zugehen, und Caril Ann Fugate sei bei dieser Gelegenheit in seinen Wagen ge­sprun­gen. Nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei, bei der Starkweather leichte Kopfver­ ­letzungen infolge von Schüssen erlitt, habe dieser seinen Wagen schließlich acht Kilometer­ östlich von Douglas angehalten und sich ohne Widerstand festnehmen lassen. Das Paar wurde nach seiner Gefangennahme von Wyoming zurück nach Nebraska­ gebracht.