GUIDO OHLENBOSTEL / ACTION PRESS / ACTION GUIDO OHLENBOSTEL Deutsche Popmusiker Juli, Annett Louisan, Silbermond: Für die Musikmanager liegt auf der Hand, wer den Aufschwung in Deutschland zu

MUSIKINDUSTRIE Deutschpop statt Download Ausgerechnet die bei den großen Plattenfirmen lange verpönte anspruchsvolle deutsche Popmusik hilft der Musikbranche aus der Krise: Unter einer neuen Riege von Plattenbossen machen die Musikkonzerne wieder Gewinne. Das digitale Geschäft dagegen bleibt eine Randerscheinung.

eim Heimspiel ist die Aufregung Ob Juli, Silbermond, , Und plötzlich können die deutschen Plat- meistens am größten: Auch eine Beatsteaks oder 2raumwohnung: Vor kur- tenfirmen auch wieder Geld verdienen. BStunde nach ihrem ausverkauften zem hofften die Plattenfirmen bei solchen Jahrelang haben sie über dramatisch gefal- Konzert in der Hamburger Musikhalle ist Gruppen vielleicht auf 50 000 verkaufte lene Umsätze, miese Plattenverkäufe und Annett Louisan noch immer sichtlich auf- Alben, jetzt greifen 500 000 Käufer zu. fleißige Raubkopierer gejammert, ständig gewühlt. Prosecco in der einen Hand, Zi- „Deutsche Popmusik ist derzeit das fühlten sie sich bedroht, von den interna- garette in der anderen springt sie bei der absolut große Ding“, schwärmt der EMI- tonalen Konzernzentralen in London und Aftershow-Party hinter der Bühne nervös Deutschlandchef Niel van Hoff. Und Sony New York zur Durchreichstation von glo- von einer Gruppe zur nächsten. „Eigent- BMG-Europachef Maarten Steinkamp balem Pop-Produkt degradiert zu werden – lich ist das doch alles nicht zu glauben“, jubelt: „Da gibt es ein großes, unausge- und auf einmal stehen die Musikkonzerne sagt sie. schöpftes Potential.“ in Deutschland gar nicht so schlecht da. 390000 Platten hat die Hamburger Sän- Plötzlich gelingt sogar einstigen Indie- Sony BMG etwa verdiente im vergange- gerin mit ihrer leichten Mischung aus Bands, die bislang nur eher kleinen Musik- nen Jahr rund 27 Millionen Euro, EMI rech- Pop, Jazz, Chanson und ironisch-frechen szenekreisen bekannt waren, der Durch- net zum nächste Woche endenden Ge- Texten inzwischen verkauft. Wer hätte bruch: Gerade vergangene Woche stieg die schäftsjahr mit einem Gewinn von über 10 das vor einem halben Jahr erwartet, als ihr Hamburger Band Kettcar auf Platz fünf in Millionen Euro, und Universal erzielte bei fast ohne Werbung veröffentlicht die Charts ein. einem Umsatz von rund 300 Millionen Euro wurde? Die Plattenfirma Sony BMG je- eine Rendite von über zehn denfalls nicht: Mit 30000 Alben hatte der Prozent. Musikkonzern allenfalls gerechnet – wenn Vom bis vor kurzem noch es gut läuft. beschworenen Untergang der Doch offenbar liegt Louisan genau in ei- Musikwirtschaft in Deutschland nem Trend, der die Plattenfirmen voll- kann damit pünktlich zur Ver- kommen unerwartet traf: Neue deutsche leihung des wichtigsten deut- Popmusik ist massenkompatibel. Nachdem schen Musikpreises „Echo“ etliche Jahre gerade einmal eine Hand voll keine Rede mehr sein. alternder Pophelden wie Herbert Gröne- Aber warum nur? Die deut- meyer, Die Toten Hosen und die Fantasti- schen Erfolgsbands allein kön- schen Vier oder der Plastik-Pop von Dieter nen es kaum sein: Die Zahl der Bohlen mit den Plattenverkäufen der in- Raubkopierer ist nicht zurück- ternationalen Stars mithalten konnten, gegangen, noch immer bren- boomt plötzlich das lange vernachlässigte nen die Deutschen wie wild

Geschäft mit anspruchsvollen deutschen MICHAEL HANSCHKE / DPA Musik-CDs für sich selbst und Pop-Produktionen. „Echo“-Verleihung 2004: Unausgeschöpftes Potential für Freunde, Verwandte und

182 der spiegel 12/2005 Medien STEFAN MALZKORN / FOTEX (L.); GULDNER / SIEMONEIT (R.) / SIEMONEIT (L.); GULDNER / FOTEX MALZKORN STEFAN verantworten hat: sie selbst

Bekannte. Der Musikmarkt ist noch einmal Diese Rosskur haben auch die Künstler Zwar ist in den vergangenen zehn Jah- geschrumpft, wenn auch nur noch um vier gnadenlos zu spüren bekommen. Früher ren die Beteiligung der Musiker an den Prozent. Und das neue digitale Geschäft bekam ein Musiker oft nach einem schlecht CD-Verkäufen drastisch gestiegen: Von mit Downloads und Klingeltönen bleibt verkauften ersten Album die Chance auf durchschnittlich 6 bis 8 Prozent des Brutto- eine Randerscheinung. ein oder zwei neue Anläufe, heute ist nach preises auf 15 bis 18 Prozent und bis zu Für die Plattenbosse der großen Musik- dem ersten Flop meist Schluss. rund 25 Prozent für Stars wie Wir sind Hel- konzerne liegt auf der Hand, wer den Auf- Zudem trennten sich alle großen Plat- den. Gleichzeitig werden aber heute weit- schwung zu verantworten hat: sie selbst. tenfirmen vergangenes Jahr gleich reihen- aus geringere Vorschüsse gezahlt. „Es gibt fast überall ein neues Manage- weise von erfolglosen Bands, am radikals- Und die sind mit der größte Risikofaktor ment mit einer neuen Philosophie“, betont ten aber Sony BMG: Der Konzern löste für die Plattenfirmen: Die Verträge mit den Sony-BMG-Chef Steinkamp. Universal- die Verträge mit Dutzenden Musikern. Musikern sehen vor, dass sie die Vor- Deutschlandchef Briegmann ergänzt: „Die Bei Universal und EMI ist die Zahl der schüsse über ihren Anteil an den CD-Ver- Branche wirtschaftet heute weitaus effi- Künstler mit je über 60 zwar weiter hoch. käufen wieder an die Konzerne zurück- zienter.“ Und für EMI-Chef van Hoff ist Aber die Fluktuation nimmt zu: „Früher zahlen. Allerdings: Werden nicht genug klar: „Die neue Führung denkt unterneh- wurde ein Künstler nach dem anderen noch Platten verkauft, müssen die Musikfirmen merischer und ökonomischer.“ zusätzlich unter Vertrag genommen“, sagt den schon ausbezahlten Vorschuss in der Tatsächlich haben in den vergangenen EMI-Chef van Hoff. „Heute dürfen wir kei- Regel abschreiben. Bei etablierten Künst- anderthalb Jahren neuangetretene Mu- ne Angst davor haben, uns gleichzeitig kon- lern erreichen die Vorschüsse oft Millio- sikmanager die schwerfälligen Platten- sequent von den Erfolglosen zu trennen.“ nenhöhe – entsprechend schwer ist es, sie riesen gnadenlos auf Wirtschaftlichkeit Der zunehmende Kampf um Plattenver- wieder einzuspielen. getrimmt: Standorte wurden geschlossen, träge hat einen entsprechenden Effekt auf Die Plattenfirma kann dieses Spekula- Labels zusammengelegt, Mitarbeiter ent- die Preise: „Wir gehen generell mit Vor- tionsgeschäft teuer zu stehen kommen. lassen. „Streamlining“ nennt van Hoff das. schüssen bewusster um“, sagt Briegmann. BMG etwa war das Album zur zweiten Staffel von „Deutschland sucht den Su- perstar“ vorab 600000 Euro wert. Die Plat- Musik für Millionen 133,1 te floppte, das Geld war weg. Insgesamt Musikverkäufe hat sich BMG so heftig verkalkuliert, dass Marktanteile* der in Deutschland 2004, 2003 beim Geschäft mit deutscher Musik Musikkonzerne in in Millionen Stück nur Verluste blieben: Acht Millionen Euro Deutschland seit Juni: Quelle: BV Phono setzte die Plattenfirma ungeachtet eines 2004 Marktanteils von 20 Prozent trotz oder bes- ser wegen der Castingstars in den Sand. 21,3 Insgesamt wollen die Plattenfirmen aber 20,58 8,0 nicht weniger in neue Künstler investie- ren. Im Gegenteil: Sony BMG etwa hebt 14,57 sein Budget für Künstlerentwicklung in die- CD-Alben Singles kostenpflichtige sem Jahr um ein Fünftel auf 25 Millionen Einzeldownloads % Euro an, auch EMI plant mit rund 15 Mil- Die erfolgreichsten Chart-Alben lionen mehr als im Vorjahr ein. 28,39 in Deutschland 2004 Allerdings stecken die Plattenfirmen heu- 15,58 te deutlich weniger Geld in die Vermark- „Anastacia“ Anastacia tung: Vor einigen Jahren wurde in ein Pop- „Feels Like Home“ Norah Jones Album für den Massenmarkt im Schnitt 7,18 13,70 „Herz“ Rosenstolz noch 500000 Euro investiert, heute sind es „Die Reklamation“ Wir sind Helden rund 300000 Euro. sonstige „Bravo Hits 46“ Diverse Interpreten „Wir sind da inzwischen weitaus vor- sichtiger“, sagt van Hoff. Universal etwa *Top-100-Alben Quelle: Musikmarkt kürzte seine Marketingausgaben von 2002

der spiegel 12/2005 183 Medien auf 2004 um 20 Prozent, wie Universal-Chef gen Vorgängeralbum. Aber welchen Ein- „These Words“ von Natasha Bedingfield Briegmann betont. fluss hatten die große Medienberichter- der mit 36000 Stück bestverkaufte Down- Ganz anders sieht es jedoch mit der Ei- stattung, Marktschwankungen und schlicht load-Titel – gegenüber 120000 Singles. nigkeit der Musikindustrie aus, wenn es die Qualität der Platte? An legalen Angeboten oder deren Be- um die Preispolitik geht. Im vergangenen Zudem haben sich die Testalben nicht kanntheit mangelt es dabei längst nicht Sommer war BMG – noch vor der Fusion gleichmäßig über die drei Varianten ver- mehr: Vor allem die T-Online-Tochter Mu- mit Sony – mit einer viel Aufsehen erre- kauft: Bei 2raumwohnung griffen 43 Pro- sicload drängte vergangenes Jahr mit ge- genden Preisinitiative vorgeprescht. Aus- zent zur billigen, 35 Prozent zur regulären waltigem Marketingaufwand an die Öf- gewählte CDs wurden versuchsweise und 22 zur teuren Variante. Bei Within fentlichkeit. Mit beeindruckendem Ergeb- gleichzeitig in drei Preisklassen angeboten: Temptation dagegen wollten nur 27 Prozent nis: Mit einem Marktanteil von zuletzt um Als Luxusvariante mit Extras wie Videos die billige, aber 40 Prozent die teure CD. 55 Prozent hat Musicload das Apple-An- für 16,99 Euro, als reguläre CD für 13,99 Trotzdem sind damit die schwersten Be- gebot „iTunes“ mit rund 25 Prozent deut- Euro und vor allem als abgespeckte Bil- denken von Sony BMG ausgeräumt: Dass lich auf den zweiten Platz verdrängt. Den ligvariante für 9,99 Euro. nämlich alle nur zur Billig-CD greifen. „Es Rest des Online-Marktes teilen großteilig Jetzt hat sich Sony BMG entschlossen, ist spannend zu sehen, dass viele Kunden AOL und OD2 unter sich auf. Rund zwei die Preisinitiative auszuweiten: Während auch bereit sind, eine deutlich teurere CD Millionen Titel werden derzeit monatlich in der ersten Runde neue Alben in den zu kaufen, solange sie gut ausgestattet ist“, insgesamt verkauft. drei Varianten auf den Markt kamen, sol- sagt Rolf Gilbert, bei Sony BMG für die Allerdings läuft das Geschäft mit Klin- len ab April bereits erschienene Hit-Alben Preiskampagne verantwortlicher Geschäfts- geltönen dem Internet-Vertrieb zuneh- zu unterschiedlichen Preisen angeboten führer verantwortlich. „Wir werten die Ak- mend den Rang ab: Bei Sony BMG teilt werden. Der Plattenkonzern erhofft sich tion deswegen eindeutig als Erfolg.“ sich das Digitalgeschäft mit einem Jahres- CHRISTIAN RUDNIK / ACTION PRESS RUDNIK / ACTION CHRISTIAN JÖRG CARSTENSEN / DPA (L.); DARMER / POP-EYE (R.) (L.); DARMER / DPA JÖRG CARSTENSEN Plattenbosse Steinkamp, van Hoff, Briegmann (mit Sängerin Jeanette Biedermann): Gnadenlos auf Wirtschaftlichkeit getrimmt davon, den Absatz noch einmal deutlich Immerhin hat Sony BMG mit den vier umsatz von 12,5 Millionen Euro bereits pa- anzukurbeln. Die Sony-BMG-Pläne sehen Alben nach eigener Aussage Gewinn ge- ritätisch zwischen Handy und Online auf, dafür die aktuellen Platten von Anastacia, macht, während bei den Vorgängeralben bei Universal dominiert das Handy sogar Silbermond, Annett Louisan, Yvonne Cat- nichts für die Plattenfirma hängen blieb – mit einem Umsatzanteil von 70 Prozent – terfeld und Peter Maffay vor. Auch inter- vor allem, weil die Marketingkosten hö- und dabei bleibt sogar mehr Profit hängen. nationale Stars sollen jetzt dabei sein, dar- her waren. Deswegen lautet die zentrale „Das Handy-Geschäft ist ertragreicher“, unter Usher und Destiny’s Child. Erkenntnis ihrer Preisaktion für die Plat- betont Briegmann. Allein 200000 Klingel- Universal, die zweite große Marktmacht, tenfirma nun: „Offensichtlich machen at- töne von „Schnappi“ verkaufte Universal plant im zweiten Quartal ebenfalls für aus- traktivere Preise mitunter auch weniger vor allem über das eigene Handy-Portal gewählte Künstler parallel zum regulären Vermarktungsaufwand erforderlich“, so Poptone. Album eine Billigvariante für 9,99 Euro Gilbert. Dennoch wird das digitale Geschäft aus auf den Markt zu bringen. Weniger durchschlagend sind niedrige Klingeltönen und Downloads dem CD-Ver- Große Skepsis gegenüber günstigeren Preise dagegen noch immer im Online-Ge- kauf so schnell nicht den Rang ablaufen, CD-Preisen herrscht dagegen bei Warner schäft mit Musik: Obwohl mit meist 99 weder in diesem noch im nächsten Jahr Music und EMI: „Wenn wir nicht aufpas- Cent für Singles und 9,99 Euro für Alben und auch nicht in fünf Jahren. Derzeit liegt sen, denken die Leute bald, Musik wäre vergleichsweise unschlagbar billig, bleiben der Anteil des digitalen Geschäfts am Ge- nicht mehr viel Wert – das Gegenteil ist die Internet-Verkäufe noch meilenweit samtumsatz bei allen großen Musikkon- aber der Fall“, betont EMI-Chef van Hoff. hinter den CD-Verkäufen zurück. zernen gleichermaßen bei je rund zwei Zudem sei bei 9,99 Euro für alle Beteilig- Der erfolgreichste Online-Titel bei EMI Prozent. Für dieses Jahr wird mit vier Pro- ten kaum noch etwas zu verdienen. im vergangenen Jahr: Kylie Minogues zent gerechnet. In der Tat ist es schwierig, den Erfolg des „I Believe in You“ mit 28000 Downloads. „Das digitale Geschäft ist ein zusätzli- ersten Testlaufs bei Sony BMG zu beurtei- Die Single verkaufte sich 110000-mal. Der ches Standbein für uns“, betont Sony- len: Zwar haben die beteiligten Künstler – Universal-Hit „Dragostea Din Tei“ von BMG-Chef Steinkamp. „Aber allen großen darunter 2raumwohnung und die Guano O-Zone wurde immerhin 80000-mal herun- Reden, die dazu geschwungen werden zum Apes – zwischen doppelt und fünfmal so tergeladen, während die Single 540000-mal Trotz: Es ist bestimmt nicht die Rettung viele Platten verkauft wie mit dem jeweili- verkauft wurde. Und bei Sony BMG war der Musikindustrie.“ Thomas Schulz

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