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KULTUR REUTER Degas-Gemälde „Graf Lepic und seine Töchter“ in St. Petersburg*: Applaus im Theatersaal des Zaren

Ausstellungen SIEGREICH AM TRESOR Fünf Jahrzehnte lagerten Kriegsbeute-Bilder aus deutschen Privatsammlungen in Geheimdepots der Petersburger Eremitage. Nun werden sie erstmals ausgestellt. Verschollene Meisterwerke kehren damit endlich zurück in die Kunstwelt – doch auch zu den Erben der legitimen Eigentümer?

ie Erinnerung war längst grau und Scharf, gab das Werk 1943 mit anderen andere als gesprächig – Auskünfte dazu blaß geworden, das Bild selbst Kunstschätzen in die Bunker-Obhut der finden sie derzeit „nicht sehr dienlich“. Dverschollen. Nur jahrzehntealte Nationalgalerie. Danach verlor sich die Soviel immerhin bestreiten sie nicht: Schwarzweißfotos überlieferten den An- Spur. Inzwischen haben beide das Degas-Bild blick der meisterlich gemalten Straßen- Zu den wenigen Menschen, die sich und andere Wertstücke ihrer Familien- szene. Kunsthistorische Bücher merkten noch an das Original mit seinen delika- sammlung an einem fernen Ort wieder- an: „Vermutlich während des Zweiten ten Grau- und Gelbtönen erinnern, ge- gesehen, im St. Petersburger Eremi- Weltkriegs zerstört“. hören zwei kunstsinnige ältere Herren, tage-Museum. Und Ende nächsten Mo- „Graf Lepic und seine Töchter“ – ein die Gerstenberg-Enkel Walter und Die- nats werden sie, auf Einladung, wohl scheinbar zufälliger, tatsächlich sou- ter Scharf. Als Teenager hatten sie den wieder dorthin reisen. Denn dann wird verän komponierter Wirklichkeitsaus- Degas in ihrem Elternhaus regelmäßig in der Eremitage so manches öffentlich, schnitt. Um 1875 hatte der Impressionist vor Augen. was lange streng geheim war. seinen adligen Freund und Wenn es allerdings um das Kunst-Er- Vorletzten Donnerstag brachen Hun- Kupferstecher so, als Flaneur auf der be geht, das ihnen doch von Rechts we- derte Journalisten und Fotografen, die Pariser Place de la Concorde, ins Bild gen zustände, dann sind die Brüder alles sich im Theater der Eremitage, des gesetzt. 1911 erwarb der Berliner Ver- einstigen Zarenschlosses, drängelten, sicherungsdirektor Otto Gerstenberg schon einmal in Beifall aus, als Haus- * Mit Eremitage-Direktor Piotrowski (r.) und Ku- (1848 bis 1935) den malerischen Genie- stos Kostenewitsch bei der Pressekonferenz am herr Michail Piotrowski ihnen vorab streich. Tochter Margarete, verheiratete 9. Februar. drei Gemälde als Kostproben zu sehen

200 DER SPIEGEL 8/1995 . THE STATE / ABRAMS Van-Gogh-Gemälde „Landschaft mit Haus und Pflüger“ (Sammlung Krebs): Ungewisse Aussicht für die Erben

gab. Der „Graf Lepic“ war dabei, außer- eine deutsche Ausgabe soll am 1. Juli abenteuerliches Schicksal in der Ver- dem je ein Werk Gauguins und van bei Kindler erscheinen (circa 78 Mark). gangenheit und um ihre ungewisse Zu- Goghs. Sie sollen vom 30. März bis zum Das russische Kulturministerium ver- kunft. 29. Oktober nebst weiteren 71 französi- marktet so, über den New Yorker Ver- Schon 1992 hat die Eremitage in schen Gemälden des späten 19. und frü- lag Abrams, die Kunst-Eroberungen der Deutschland erbeutete Kunstwerke, hen 20. Jahrhunderts ausgestellt werden. einstigen Roten Armee. Altmeisterzeichnungen der Bremer Schau-Titel: „Verborgene Schätze ent- Und dieser Hautgout würzt das Ereig- Kunsthalle, ausgestellt – wie es schien, hüllt“. Ans Licht kommt sowjetische nis zusätzlich. Nicht allein um große mit der Aussicht auf baldige Rückgabe. Kriegsbeute aus insgesamt sieben, mit Kunst geht es, sondern zugleich um ihr Doch daraus ist bis heute nichts gewor- einer Ausnahme privaten, deutschen Kunstsammlungen. Eine Sensation, ohne Frage. Außer ein paar Geheimnisträgern hatte mindestens ein halbes Jahrhundert lang kein Mensch die 74 Bilder zu Gesicht bekommen. Ja, großenteils waren sienochniemals ausge- stellt und vielfach auch nicht publiziert. Darunter sind Gemälde von Ce´zanne, Monet, Renoir und anderen Größen der frühen Moderne – das rechtfertigt Ent- deckerfreude und -aufregung im großen Stil. Überschwengliche Chronisten sehen gar gleich „eine der bemerkenswertesten Ausstellungen des 20. Jahrhunderts“ (Vanity Fair) voraus. Piotrowski glaubt, die in unrestaurierter Frische erhaltenen Impressionistenbilder vermittelten unge- wohnte Original-Eindrücke vom Kolorit dieser Malerei. Wer die Reise scheut, dem bietet ein üppiges Katalogbuch Ersatzanschauung; T. HÄRTRICH / TRANSIT * Heutiger Zustand. Zerstörte Safetür auf Gut Holzdorf*: Museumsmann an die Luft gesetzt

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Claude Monet, „Der Garten“ (Kunsthalle Bremen) 1995 THE STATE HERMITAGE MUSEUM / ABRAMS / VG BILDKUNST, BONN , „Absinth“ (Sammlung Krebs) STATE HERMITAGE MUSEUM / ABRAMS FOTOS: THE Auguste Renoir, „Im Garten“ (Sammlung Gerstenberg) Georges Seurat, „Blick auf Fort Samson“ (Sammlung Koehler) Beute-Bilder aus Deutschland: „Ein frischer Blick auf die Farben des Impressionismus“ den. Ein Bremer Museumsbild, „Der Kriegsende in der Eremitage abgeladen Van-Gogh-Spätwerk „Das weiße Haus“ Garten“ von Monet, das nach einer wurde, bezeugt die Sammelleidenschaft wird aber, mit Grund, gezeigt. Ausstellung während des Krieges in deutscher Besitzbürger – sie blieben der Es entstammt der Hinterlassenschaft Berlin eingebunkert worden war, ist Kunst der Moderne und ihrer Entwick- des Dampfkesselfabrikanten Otto Krebs auch diesmal dabei. lung auf der Spur, wenngleich vielfach (1873 bis 1941), die mit nicht weniger als Werden die Gemälde nach dem 29. mit Zeitabstand. Auch die Kollektion 54 Katalognummern das Gros der Oktober wieder lange Zeit in den Maga- des Berliner Industriellen Bernhard „Verborgenen Schätze“ bildet – gegen- zinen verschwinden? Oder sollte die Koehler, der ein Mäzen des „Blauen über den ausgesuchten Degas-, Dau- Eremitage die besten unter ihnen gar ih- Reiters“ war, glänzt mit Werken, die – mier- und Renoir-Pretiosen der Samm- rer ständigen Schausammlung einverlei- wie ein nun frisch gereinigter Courbet- lung Gerstenberg-Scharf eine erstaunli- ben? Was haben Erben der einstigen Akt – zur Zeit des Ankaufs schon che, bislang kaum bekannte Fülle. Besitzer wie die Brüder Scharf zu hof- Kunstgeschichte waren. Krebs, mit seiner Firma in Mannheim fen? Sibyllinisch raunt Eremitage-Di- In der Ausstellung werden Bildforma- ansässig, hatte die Kollektion auf dem rektor Piotrowski von einer „ehrenvol- te ebenso wechseln wie künstlerische thüringischen Gut Holzdorf unterge- len Lösung, die unsere Nachfahren billi- Qualitäten, und manches Stück haben bracht, das er nur sporadisch bewohnte. gen können“. die Museumsleute auch unter Fäl- Zwischendurch kamen die Wertsachen Noch die zufällige Bilderauswahl, die schungsverdacht aussortiert. Das in vor- in einen Kellersafe, und da steckten sie von sowjetischen Beute-Verteilern nach eiligen Pressemeldungen angezweifelte noch, als, vier Jahre nach dem Tod des

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KULTUR STATE HERMITAGE MUSEUM / ABRAMS FOTOS: THE Paul Ce´zanne, „Badende“ (Sammlung Krebs) , „Später Nachmittag“ (Sammlung Krebs)

Sammlers und wenige Monate nach Kriegs- schluß, die Sowjets das Land von den Ameri- kanern übernahmen. Schon vorher war ein Album mit Fo- tos Krebsscher Samm- lungsobjekte ins nahe Weimarer Schloßmu- seum gelangt. Dessen Direktor Walter Schei- dig hätte dann auch gern die Kunstwerke si- chergestellt und bekam dafür sogar das Plazet der Militärverwaltung. Doch der Safe war nicht gleich zu öff- nen, und beim näch- sten Mal, als Scheidig mit Fachleuten und Schweißgeräten nahte, setzte ihn der auf Gut Holzdorf einquartierte sowjetische General- oberst Wassilij Tschui- kow vor die Tür. Gustave Courbet, „Liegende Frau“ (Sammlung Koehler) Für den Feldherrn Beute-Bilder aus Deutschland: Gänsehaut beim Depotbesuch war das Hindernis be- zwingbar. Bei seinem Auszug 1949 hin- Ihre Aussichten – wie die der ande- erst 1991, als frisch ernannter Direktor- terließ Tschuikow einen leeren Tresor, ren, durchweg öffentlichkeitsscheuen Stellvertreter, Zugang zu dem Depot in dessen Tür ein großes Loch geschnit- Sammlererben – sind trübe. Denn das bekommen haben, in dem die Beute- ten worden war. Zumindest der größte „Eigentum an den Gemälden“ soll, so Bilder ungerahmt und unter KGB-Auf- Teil des Safe-Inhalts kam, wie sich zeigt, Eremitage-Direktor Piotrowski, eine sicht lagerten. Nicht ohne Gänsehaut er- in die Eremitage. „politische Angelegenheit“ sein, zu ent- innert sich hingegen sein Mitarbeiter Al- Ansprüche darauf erheben nun eine scheiden durch ein Votum des russi- bert Kostenewitsch, er habe die „Ver- von dem Sammler begründete „Stiftung schen Parlaments oder ein Dekret des borgenen Schätze“ schon vor 30 Jahren, für Krebs- und Scharlachforschung“ in Präsidenten. Nicht aber, offenbar, als Student, einmal inspizieren können – Weinheim sowie eine 62jährige Enkelin, durch internationales Recht. damals ein ernstes Risiko für die Schlüs- die weder den Großvater gekannt hat Politisch korrekt ist in Rußland heute selbewahrerin. noch bis vor kurzem von seiner Kollekti- nur die Klage über den Zwang zur Das ist passe´. Vor einem Jahr durfte on etwas wußte. Heimlichtuerei. Sogar Piotrowski will erstmals auch eine Kommission deut-

206 DER SPIEGEL 8/1995 . AP , „Das weiße Haus bei Nacht“ (Sammlung Krebs)

scher Museumsleute das jetzige Aus- stellungsgut besichtigen. Und aus- kunftsbereit läßt Piotrowski wissen, ne- ben den Bremer Zeichnungen lagerten im Haus noch Grafikschätze der deut- schen Privatsammler, rund 700 Altmei- sterbilder minderen Werts, Ostasiatica aus Berliner Museumsbesitz und ande- res mehr. Doch selbst der Eremitage-Chef, in seinem Land gewiß kein Scharfmacher, betrachtet es „nicht als Sünde, daß Kunst aus Deutschland weggenommen wurde“, sondern nur, daß sie „so lange vor den Leuten verborgen wurde“. Da- bei folgte das Versteckspiel, als Reakti- on schlechten Gewissens, geradezu zwingend aus dem ersten Fehltritt. In den Augen vieler Russen soll die heiße Ware nun, nach einer Scham- und Ver- jährungsfrist von fünf Jahrzehnten, gleichsam gewaschen aus den Magazi- nen emportauchen. Mit guten Gründen hatte sich die So- wjetunion nie offen zu ihren Kunst-Tro- phäen bekannt. Zwar waren zeitweilige Pläne Stalins für ein riesiges Beute- kunst-Museum in Moskau, die der aus der Ukraine stammende Spezialist Kon- stantin Akinscha vorigen Monat bei ei- ner New Yorker Konferenz enthüllte, weit gediehen: Bauentwürfe lagen ebenso vor wie Wunschlisten für Werke aus vielen europäischen Ländern. Hit- lers Parallelprojekt für Linz hätte noch übertroffen werden können. Solche Ähnlichkeiten aber mochte dann selbst der ruchlose Kreml-Herr- scher so peinlich finden, daß er den Tri- umphplan absetzte. Allzusehr ähnelte die Raubpraxis seiner Armeen den Bräuchen deutscher Plünderer. Allzu Henri de Toulouse-Lautrec, „Frau mit Schirm“ (Sammlung Krebs) kraß stach sie von jenen international

DER SPIEGEL 8/1995 207 verbindlichen Grundsätzen ab, die auch seine Herolde im Munde führten. Schneidend zitierte 1946 der sowjeti- sche Chefankläger in Nürnberg die Haager Landkriegsordnung von 1907, nach der „Beschlagnahme“ und „ab- sichtliche Zerstörung“ von „Werken der Kunst und der Wissenschaft“ strikt verboten und strafbar sind. Als darum 1955 und 1958 die ge- treue DDR etliche Dresdner und Ost- Berliner Museumsschätze zurückbe- kam, deren Verbleib bis dahin gleich- falls geheim gewesen war, wurde eine beschönigende Sprachregelung ausge- geben: Rotarmisten hätten die – in Wahrheit zumeist wohlverwahrten – Gemälde, Skulpturen und archäologi- schen Fundstücke „oft unter Einsatz ihres Lebens gerettet und für uns in Verwahrung genommen“, so Minister- präsident Otto Grotewohl. Kulturfunk- tionäre rühmten pflichtschuldig, damit seien „alle in der Sowjetunion aufbe- wahrten Bestände deutscher Museen“ wieder da. Tatsächlich galt das bestenfalls für Museen auf dem Gebiet der DDR. Be- stände, die ihren Platz in Westdeutsch- land gehabt hätten (wie die Bremer Zeichnungen) oder im westlichen Teil Berlins (wie Heinrich Schliemanns Tro- ja-Funde), blieben unter Verschluß und top-secret. Ebenso verführen die Sowjets, dem Kapitalismus zum Tort, mit jeglichem privaten Kunstgut. Dabei hätte das durch die Haager Landkriegsordnung doppelt geschützt sein sollen – als Kunst und als Privatei- gentum, das der Text sowieso von Konfiszierung ausschließt. Verstöße ge- gen diese Regel galten sogar schon frü- heren Epochen als ehrlose Plünderung. Gäbe es noch juristische Unklarheit, so müßten seit 1990 getroffene deutsch-sowjetische und deutsch-russi- sche Vereinbarungen über die Rückga- be „verschollener oder unrechtmäßig verbrachter Kunstschätze“ sie ausräu- men. Doch unter nationalistischem Druck scheint das Moskauer Regime mittler- weile außerstande, geschlossene Ver- träge einzuhalten. Der stellvertretende Kulturminister Michail Schwydkoi ge- niert sich nicht, „offiziell angeordnete“ Kunst-„Mitnahme“ als rechtmäßig zu erklären – mit dem Hinweis, Deutsch- land habe 1945 ja bedingungslos kapi- tuliert. Ein Papier des Bonner Außenmini- steriums, das dazu „die Rechtslage aus deutscher Sicht“ darlegt, macht einen Vorschlag zur „partnerschaftlichen Lö- sung der Auslegungskontroverse“: Man könnte ja, heißt es dort, „die streitigen Rechtsfragen dem Internationalen Ge- richtshof oder einem Schiedsgericht zur Entscheidung unterbreiten“. Die Rus- sen werden sich hüten. Y

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