Die Österreichische Außenpolitik Unter Karl Renner Und Michael Mayr
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Die österreichische Außenpolitik unter Karl Renner und Michael Mayr Am 17. Oktober 1919 wurde der Staatsvertrag von Saint-Germain von der Konstituierenden Nationalversammlung ratifiziertl. Das Kabinett Renner II trat zurück, um gleich darauf - mit geringfügigen Änderungen als Kabinett Renner III vom Plenum gewählt zu werden. Der sozialdemo kratische Staatskanzler - zugleich Staatssekretär für Äußeres' - glich die österreichische Außenpolitik den neuen europäischen Machtverhält• nissen an. Der Anschluß an Deutschland mußte wenigstens aufgeschoben werden. Dafür verschrieb sich der Kanzler umso mehr der Idee des Völker• bundes. Diese "Weltorganisation der freien Nationen" sollte den Frieden si chern und die internationale Zusammenarbeit fördern. In dieser Gemein schaft mitzuwirken, schien die einzig versprechende Alternative zu sein. Mit dem Beitritt Österreichs erhoffte er sich nicht zuletzt eine Chance, den Anschluß an Deutschland doch noch zu verwirklichen. Obwohl das Pariser Friedensvertragswerk einen solchen zwar - ohne internationale Zustim mung - untersagte, sollten nicht nur der "deutsche Sozialdemokrat" Renner, wie er sich selbst bereits zu Zeiten der Monarchie gefühlt hatte, sondern auch sein Nachfolger im Außenamt an dieser Vision festhalten. Mit der Unterzeichnung und der Ratifikation des Staatsvertrags von Saint Germain glaubte Renner den Beginn einer neuen Phase der europäischen Politik gekommen. Nun, so verkündete er im Ausschuß für Äußeres am 22. November 1919, konnten die einst gegnerischen Lager wieder daran gehen, ein normales Verhältnis zueinander aufzubauen. Durch die starken friedensvertraglichen Bindungen und die fatale wirtschaftliche und soziale Lage der Alpenrepublik setzte der Kanzler beinahe seine gesamte Außen• politik mit Wirtschaftspolitik gleich. Zwei Aufgaben besaßen demnach oberste Priorität: Die in Saint-Germain übernommenen Verpflichtungen nach Kräften zu erfüllen sowie bestmögliche Beziehungen mit allen Staaten zu pflegen, nicht zuletzt, um die erforderliche Unterstützung zur Milderung der Not in Österreich zu erhalten. Als vorrangigste Leitlinie strebte Renner aber an, Völkerbundpolitik zu be treiben: "Völkerbundpolitik machen aber besagt: Wir betrachten uns nach dem Friedensschluß als ein Glied der durch die Friedensschlüsse von Ver sailles und St. Germain in Konstituierung begriffenen, von den Puissances 1 Am 16. Juli 1920 sollte er dann tatsächlich in Kraft treten. Zur Entwicklung Öster• reichs nach dem Staatsvertrag siehe u. a. Kar! R. Stadler, Hypothek auf die Zukunft. Die Entstehung der österreichischen Republik 1918-1921 (Wien - Frankfurt - Zürich 1968). 2 Vgl. dazu etwa Renate Schulla, Kar! Renner als Leiter des Staatsamtes für Äußeres 1919-1920. In: Österreich in Geschichte und Literatur 17 (1973). 10 Die österreichische Außenpolitik unter Karl Renner und Michael Mayr principales geleiteten abendländischen Kulturgemeinschaft, als ein vor läufig noch leidendes Glied, das jedoch durch den Völkerbund selbst zu einem mittätigen Glied jener Gemeinschaft und im bescheidenen Verhält• nisse seiner Größe und Kulturbedeutung gleichberechtigt werden soll und alle seine sonstigen Ideale den künftigen Entschließungen dieser abend ländischen Kulturgemeinschaft anvertraut. Außer dieser führen wir keine Politik." (ADÖ 3/387) Bereits am 22. September 1919 hatte Konsul Max Hoffinger im Staats amt für Äußeres eine streng vertrauliche "Denkschrift zur Neuorganisation der auswärtigen Vertretungsbehörden Deutschösterreichs" (ADÖ 3/362) ver faßt. Weitgehende Sparsamkeit und das Hauptaugenmerk auf die Entwick lung der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland galten auch hier als Gebot der Stunde. Hoffinger hielt es jedoch für gefährlich, die "rein politische Seite der Auslandsvertretung außer Auge zu lassen". Für die Durchsetzung der vitalsten Interessen "Deutschösterreichs" würde auch der Völkerbund allein nicht genügen. In weiser Voraussicht schätzte Hoffinger den Völkerbund nicht als "Schiedsgericht unabhängiger Männer" ein. Umso nötiger erschien es des halb, in den Hauptstädten jener Mächte, "die - wenigstens auf absehbare Zeit hinaus - die Geschicke der Welt leiten und dem Völkerbund ihren Willen aufzwingen werden", durch fähige Diplomaten vertreten zu sein. "Die richtige Frage im richtigen Augenblick vor den Völkerbund zu bringen, wird die wichtigste Kunst unserer auswärtigen Politik sein, und sie kann nur gelingen, wenn wir einerseits wichtige Glieder des Völker• bundes in Einzelfragen für unsere Auffassung gewinnen und die allge meine Weltlage jederzeit geschickt auszunutzen im Stande sind." Hoffinger hielt es für besonders entscheidend, daß die österreichischen Vertreter in Zukunft keinesfalls die "lächerliche Rolle der Diplomaten machtloser Kleinstaaten" spielten. Um Österreich vor dem "Vergessen werden in seinem Elend zu bewahren", sollten sie vielmehr derart gut in formiert sein, daß ihre Einschätzung sogar die Diplomaten der europäi• schen Großmächte zugunsten der Alpenrepublik beeinflußen könnte. Hof fingers Ansicht nach kamen für diese schwierige Aufgabe aber nur ver sierte Außenamtsbeamte und keine Newcomer in Frage. Darüber hinaus durften die österreichischen Vertreter im Ausland gegen über ihren Kollegen - vor allem aus den Nationalstaaten - nicht rang mäßig schlechtergestellt sein, d. h. sie mußten vom bloßen Geschäftsträger zum Gesandten ernannt werden. Voraussetzung für eine gedeihliche politi sche Tätigkeit sei zudem die Unterstützung des Missionschefs durch zu mindest einen Konzeptsbeamten des Auslandsdienstes. Schon allein für die Heranbildung eines gut ausgebildeten Nachwuchses wären den wich tigsten Missionen auch jüngere Kräfte des Konzeptdienstes beizugeben. Weiters sollten nach Möglichkeit "effektive Konsularvertretungen" den österreichischen Gesandten unterstützen. Hoffinger sprach sich dabei vom politischen wie vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt entschieden für Berufs- und gegen Honorarkonsuln aus. Die Instruktion des Staatsamts für Äußeres für den Gesandten in Paris, Johann Andreas Eichhoff, von Ende September 1919 (ADÖ 3/363) betonte Die österreichische Außenpolitik unter Kar! Renner und Michael Mayr 11 wiederum den "Ruf nach internationaler Gerechtigkeit" als das Leitmotiv der österreichischen Außenpolitik. Stets sollte gegenüber dem Ausland durchklingen, daß die Österreicher "ein durch den Krieg schuldlos ins Elend gebrachtes" und "durch den Friedensvertrag bitter enttäuschtes Volk sind." Aller Widrigkeiten zum Trotz sei die Erste Republik jedoch ent schlossen, die Pflichten des Friedensvertrags loyal und gewissenhaft zu er füllen. Die Aufnahme in den Völkerbund, als "Hochburg der internatio nalen Gerechtigkeit" stelle jedenfalls das "ganze Streben und Wollen auf internationalem Gebiete" dar. Die Instruktion zeichnete auch das beabsichtigte Bild von Österreich in der Zukunft: Die Erste Republik als friedfertiger Kleinstaat, der Geheim bündnisse ablehnt. "Unsere Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit soll un sere Stärke sein ..." Der europäischen Staatenwelt sollte freilich zu Bewußtsein kommen, "daß ihre unverkennbaren Interessen an der Er haltung der sozialen Ruhe und Ordnung im Herzen Europas ebenso wie die Befriedigung ihrer finanziellen Forderungen von der Wiedererlan gung unserer Arbeitsfähigkeit abhängt". Dazu war aber nach Ansicht des Außenamts auch die Sicherstellung "unentbehrlicher Lebensnotwen digkeiten". erforderlich, Kohle, Rohstoffe für die Industrie und beson ders Lebensmittel. Vor allem vom Gesandten in Paris sollte auf die Unklarheiten und Wider sprüche des Friedensvertrages eingegangen werden, jedoch keinesfalls in zu kritischem Ton, um etwaige Empfindlichkeiten zu vermeiden. Selbst verständlich wurde auch hervorgehoben, mit den Nachbarstaaten im besten Einvernehmen leben zu wollen. "Der natürliche Austausch der wirt schaftlichen Güter" mit der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und Jugo slawien - allem voran stand dabei die Kohleversorgung - sei "als das elementarste Menschenrecht des Volkes hinzustellen, das nur in einer den politischen Bedürfnissen der Staaten entsprechenden Weise geregelt werden muß". Als Bedingung "freundnachbarlicher" Beziehungen zu Un garn galt jedenfalls dessen loyaler Verzicht auf das Burgenland. Die kulturelle Zusammengehörigkeit mit der deutschen Nation mußte nachdrückliehst zur Geltung gebracht, das Anschlußverbot als Verletzung der wirtschaftlichen Interessen Österreichs dargestellt werden. Mit den deutschen Vertretern sollten die "wärmsten und herzlichsten Bezie hungen" aufrecht erhalten bleiben. Die Anschlußidee durfte allerdings nur "leidenschaftslos als eine nationale und wirtschaftliche Selbstverständlich• keit" behandelt werden, "deren Erfüllung wir allerdings nicht eigen mächtig herbeiführen, sondern gemäß dem Friedensvertrage vor dem Forum des Völkerbundes durchsetzen werden". Zu Frankreich, von dem Österreich sogar in der Südtirolfrage maßgebliche Unterstützung erhoffte, seien herzliche Beziehungen anzustreben. Als wichtigste Stützen galten jedoch fortan die Vereinigten Staaten und - in zweiter Linie - Großbritannien. Unter allen Umständen mußte der Ein druck vermieden werden, Österreich könnte daran interessiert sein, die so ziale und politische Ordnung des Pariser Friedensvertragssystems um stürzen zu wollen. Es sollte den wichtigsten Mächten hingegen zu Be wußtsein kommen, daß es sich bei den Österreichern um ein "schwer heim- 12 Die österreichische Außenpolitik unter Karl Renner und Michael Mayr gesuchtes, unter bitterem Elende leidendes, aber durchaus rechtschaffenes