Hein-Bollow-Das Buch
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„Mein“ Bollow von Jürgen Schmidt Inhaltsverzeichnis Der Besuch Das Gespräch Bilder (2008 – 2009) „Mein“ Bollow Der Esel von Sydney Die Statistik Der Besuch Ende Mai stehe ich, nervös wie ein Schüler bei der Klassenarbeit, vor der Tür eines Hauses im Kölner Stadtteil Weidenpesch. Ich bin in der Stettinerstraße. Mein Blick auf das Schild an der Klingel zeigt mir den Namen. „BOLLOW“ Genau 15 Uhr. Wie verabredet. Mutig betätige ich den Klingelknopf. Die Tür öffnet sich. Es ist Frau Hoffmann, die ich schon vor einer Woche bei der Terminabsprache kennen gelernt habe. Schon da hatte mir Hein Bollow seinen größten Schatz vorgeführt. Mehre große Kladden, in denen seine Frau handgeschrieben jeden einzelnen Start ihres Hein als Reiter und als Trainer vermerkt hatte. Frau Hoffmann führt mich herein und da kommt er mir auch schon mit ausgebreiteten Armen entgegen. Das Idol meiner Kindheit. Freundlich lächelnd gibt er mir die Hand und zeigt auf den liebevoll gedeckten Wohnzimmertisch. Es gibt Kuchen. Frau Hoffmann bringt noch die Kaffeekanne, dann lässt sie uns allein. Ich gieße den Kaffee in unsere Tassen und kleckere dabei mächtig. „Macht nichts“, sagt Hein Bollow und lächelt milde. Dann reicht er mir in einem silbernen Kännchen die Milch. Mein Blick fällt auf die Gravur. Dem Sieger im silbernen Band der Ruhr lese ich und schaue in an. Er sagt: „Na ja, ich war schon immer praktisch veranlagt.“. Mein Blick schweift durch den Raum und fällt auf eine große Vitrine mit vielen Silberpokalen und -tellern. Daneben steht die Anrichte mit Bildern seiner Frau, seiner Tochter mit Schwiegersohn und seinem Enkel. Und dann erzählt er und mein Aufnahmegerät läuft. Dies ist für uns beide der beste Weg zu kommunizieren. Hein Bollow ist inzwischen 88 Jahre alt und noch recht fit. Sowohl körperlich als auch geistig. Vor allem sein Erinnerungsvermögen ist bewundernswert. Kann er doch zu jedem Pferd und zu jedem Reiter, gleich welchen Jahrzehnts, Einzelheiten abrufen, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Hein Bollow hat eigentlich nur ein Problem. Das Gehör lässt nach und das verhindert leider vielerorts ein normales Gespräch und erschwert ihm den Kontakt zur Umwelt. Deshalb sind wir so verblieben. Er erzählt und ich nehme auf oder mache mir Notizen. Nach einer Stunde machen wir eine Pause. Aber nur vom Erzählen. Er holt große Alben und Kartons mit Bildern aus dem Wohnzimmerschrank. Wieder bewundere ich sein Erinnerungsvermögen. Zu jedem Bild kennt er nicht nur die Personen, sondern weiß auch die Geschichte um das Bild zu erzählen. Gott sei dank kann ich bei dem einen oder anderen Bild mitreden, denn auch mein Leben ist durch ein brennendes Interesse am Galopprennsport geprägt. Dann gehen wir in den Keller. Hein Bollow warnt mich. „Sie sind zu groß für meine Keller. Bitte ziehen sie den Kopf ein.“. Eine Warnung, die er liebevoll mindestens fünfmal wiederholt hat. Jeder Raum im Keller ist voller Schränke, Regale und Kommoden und jedes dieser Möbelstücke ist gefüllt, manchmal sogar überfüllt, von galoppsportlichen Erinnerungen. Bücher und Zeitschriften, Bilder und Reitstiefel und und und...... Es ist genug Material für ein „Hein Bollow“- Museum vorhanden und der Sammler stöhnt: „Eigentlich müsste das mal aufgeräumt werden“. Auch ans Wegwerfen hat er schon gedacht, aber da hat sein Enkel in Amerika protestiert und den Wunsch geäußert, diese ganzen Erinnerungsstücke übernehmen zu dürfen. Dann geht es in den 1. Stock. Auch dort gibt es noch einen Raum, der mit vielen interessanten Galoppsport- oder Pferdebüchern reich bestückt ist. Dann erzählt Hein Bollow weiter. Die Zeit vergeht. Mehr als zwei Stunden habe ich inzwischen aufgenommen. Die Haustür geht und Peter Remmert kommt mit seiner Lebensgefährtin Frau Hoffmann und einem Dalmatiner herein. Sie wohnen im 1. Stock in einer eigenen Wohnung und helfen Hein Bollow, wenn Not am Mann ist. Peter Remmert streckt mir freundlich seine Hand entgegen. Ich zucke zusammen. Hat der immer noch seinen „Eisenarm“? (Anmerkung für die jüngeren Leser: Peter Remmert war für seine resolute Art, die Pferde seines Trainers Hein Bollow zum Sieg zu treiben, äußerst bekannt und beliebt in Publikumskreisen). Wir plaudern ein paar Minuten. Dann bin ich wieder mit Hein Bollow allein. Zum Abschluss habe ich noch ein paar Fragen auf einem Zettel notiert. Auch jetzt ist noch keinerlei Müdigkeit bei ihm zu erkennen. Bereitwillig gibt er Auskunft über diverse Themen des Galopprennsports. Damit geht dieser kurzweilige Nachmittag zu Ende. Noch ein letzter Blick in seinen Garten. Ich wünsche ihm beim Abschied alles Gute und viel Gesundheit. Er sagt: “Das klappt schon. Ich war immer Optimist, und das hoffe ich bis zum letzten Tag zu bleiben“. Dann schließt sich die Haustür hinter mir. Das Gespräch Frage: Wie war das Verhältnis zu anderen Jockeys? Im Allgemeinen sehr gut, kameradschaftlich, kaum Freundschaften. Freundschaften sind in unserem Beruf selten. Man muss ein guter Kollege sein. Herausheben möchte ich Fritz Drechsler, Ossi Langner oder Peter Remmert. Ich war fast zehn Jahre jünger als damals die guten Jockeys alle, mit denen ich zusammen geritten habe. Mit Otto Schmidt, mit Jule Rastenberger, mit Richard Zachmeier, mit Werner Krbalek. Es war ein anderes Verhältnis als heute. Wenn Rennen in Dresden waren, dann fuhren alle Jockeys mit dem Zug von überall dorthin, entweder vom Lehrter Bahnhof oder vom Ostbahnhof. Hin hatten sie alle Hunger. Die Meisten mussten ja auf ihr Gewicht achten. Zurück trafen sich alle im Speisewagen. Heute fährt man mit dem Auto. Nach dem fünften oder sechsten Rennen fahren alle in alle Himmelsrichtungen auseinander. Es war eine andere Zeit. In der damaligen Zeit, als ich anfing Rennen zu reiten, 38/39, in den Kriegsjahren, hatte kaum jemand ein Auto. Wir waren alle auf öffentliche Verkehrsverbindungen angewiesen. Von Hoppegarten mit dem Dampfzug in Richtung Berlin, dann mit dem D-Zug nach Dresden, Leipzig, Halle, Magdeburg, Breslau, ganz gleich, München im Schlafwagen. Meistens stand man noch eine Stunde auf dem Gang, hat irgendeinen Drink genommen oder hat erzählt. Aber wie gesagt, große Freundschaften gab es unter den Jockeys nicht. Die meisten waren gute Kollegen und im Rennen hängt sehr viel davon ab, dass man sich aufeinander verlassen kann. Frage: Wie kam der Entschluss zur Beendigung der Reiterkarriere zustande? Ja, ich muss Ihnen sagen, ich hatte immer Gewichtsprobleme, obwohl ich sehr leicht geritten habe. Ich habe zwei Tage nach meiner Hochzeit mit 46 oder 45 Kilo den Hamburger Ausgleich gewonnen. Ich habe jahrelang nach dem Krieg 48 und 50 Kilo und fasst bis zum Schluss 53 Kilo geritten. Wenn Sie die alten Bilder sehen, dann sieht man das. Mein Schwiegervater H. Thalheim wollte seine Trainer- Laufbahn beenden. So bin ich kurzerhand in seine Fußstapfen getreten und bin sein Nachfolger geworden. Ich habe seinen Stall mit den Pferden des Gestüts Atlas sowie den Pferden von alten Freunden und Besitzern übernommen. Gleichzeitig habe ich den Stall vom Gestüt Asta auf der Trakehner Straße übernommen. Aber ich muss betonen, ich war immer selbständiger Trainer. Ich war nie angestellt, d.h. ich war selber kleiner Unternehmer. Ich habe mit 40 Pferden angefangen und mit ungefähr 77 Pferden aufgehört. Ich hatte nie 90, 100, 120 oder 130 Pferde. Ich habe vom Fleck weg eine gute Saison gehabt. Mein erster Starter war ein Sieger. Peter Remmert war von Anfang an mein Stalljockey, was viele Jahre gehalten hat. Er hat viele gute und alle großen Rennen für mich gewonnen. Frage: Welcher Beruf war einfacher, Jockey oder Trainer? Es sind zwei verschiedene Berufe. Jockey ist man in der Öffentlichkeit, ist der Sunnyboy, wenn man gewonnen hat. Man wird bejubelt und beklatscht. Und der Trainer hat alle Arbeiten, im Stall, bei Krankheit, Fütterung und Personal. Man muss sich um alles kümmern, bloß beide Berufe haben alle das gleiche: Ich habe mein Leben lang keinen Sonn- und Feiertag gekannt. Alle Sonn- und Feiertage waren Hauptarbeitstage. Es gehört schon enorm Idealismus dazu. Frage: Wieso reiten keine Frauen im Derby oder sonstigen großen Rennen? Ich habe als Trainer bewusst nie einen weiblichen Lehrling genommen. Ich weiß, wie schwer der Beruf ist, und ich wollte immer gerne, wenn ich einen Auszubildenden hatte, ihn auch zum Jockey machen. Es hat in Deutschland einmal, sowie ich weiß, Monika Blasczyk, die eine sehr, sehr gute Amateurreiterin war, im Derby geritten. Aber ein Derby ist eine reine Nervensache. Und es gehört auch sehr viel Kraft und Energie dazu, ein Rennen zu reiten. Es gibt sehr gute Reiterinnen. Aber beruflich ist das sehr schwer für eine Frau, große Rennen zu reiten. Es gibt viele Jockeys, die mit 19 und 20 Jahren große Rennen reiten, aber richtig in Form ist ein Jockey sicher gut über dreißig. Zwischen dreißig und vierzig, würde ich sagen. Es gehört nicht nur dazu, abzuspringen und ins Ziel zu kommen, sondern auch Taktik und vieles Andere. Die Kraft und Energie hat eine Frau nicht. Ich habe viel an einem Zentrum für Trainingsforschung mitgearbeitet. Da waren viele gute Trainer aus der Leichtathletik, dem Radfahren und vielen anderen Sportarten. Dann habe ich Gustav Kilian, den Medaillenschmied des Radsports gefragt: Gibt es einen weiblichen Rudi ltig? Da hat er gesagt „nein, das gibt es nicht. Das ist gar nicht möglich“. Und so habe ich immer gesagt, bevor keine Frauen in der Bundesligamannschaft Fußball spielen, sei es Verteidiger, sei es als Angreifer, wird es im Rennreiten ähnlich sein. Es gibt Top-Fußballspielerinnen, die unter Frauen wunderbar spielen und es gibt auch Top-Reiterinnen. Für mich haben ein Ganzteil Amateurreiterinnen Rennen gewonnen, selbst in Frankreich. Ich nenne nur Gisela Herzog und Helga Dewald. Gisela Herzog wohnt übrigens in Köln-Weidenpesch. Ich sehe sie hin und wieder mal auf der Straße. Frage: Wo wir gerade bei Frauen sind. Gab es bei Ihnen schon weibliches Stallpersonal? Weibliches Personal habe ich auch gehabt, aber verhältnismäßig wenig. Ich habe immer gesagt, wenn, dann muss man beinahe die Hälfte Männer, die Hälfte Frauen haben.