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Kultur

Wong-Film „2046“ mit Tony Leung, und : „Jede Erinnerung ist in Tränen gebadet“ heißt das Motto einer melodramatischen

FILM Der gebrochene Herzensbrecher Das neue Werk des Regisseurs Kar-wai, der durch Filme wie „“ zu einer Kultfigur des ostasiatischen Kinos wurde, ist ein Melodram, das neue Maßstäbe setzt: In „2046“ trauert ein leidenschaftlicher Zocker und Entwurzelter um die Liebe seines Lebens. Von Urs Jenny

oogle liefert in einem Sekunden- wundern – kein Auto, kein Schiff und kein Restaurants ohne Glamour, das Entree bruchteil gut 360000 Einträge zu Flugzeug zu sehen, auch kein Meer und einer schäbigen Absteige namens Oriental G„Wong Kar-wai“, davon etwa 90000 nur ein Stück Baum und ein Eckchen Him- Hotel, dazu Stiegen und schmale Korri- zu seinem Film „2046“. Das US-Magazin mel beim schrägen Blick aus dem Zim- dore, in denen man sich aneinander vor- „Time“, sonst eher patriotisch, hat Wong merfenster des Helden. beidrängelt auf dem Weg zum Haupt- Kar-wais „2046“ auf den Spitzenplatz seiner Der Film spielt in den sechziger Jahren schauplatz, den Zimmern 2046 und 2047 – Filmbestenliste für 2004 gesetzt. Bei uns hauptsächlich in Hongkong und zeigt von und trotz dieses Minimalangebots an wird der Film, auf den treue Fans seit zwei, der ganzen Stadt doch nicht mehr als ein Sehenswürdigkeiten steht außer Frage, drei, vier Jahren gewartet haben, zum ersten paar enge, ausgetretene Gassen, ein paar dass einem aus Wongs Bildern geradezu großen Ereignis des Kinojahres 2005. Leute, die Wongs Filme lieben – und seit seinem letzten, „In the Mood for Love“, sind das eine Menge –, scheuen sich nicht, von einem besonderen „Suchtfaktor“ zu sprechen: Man will diese Geschichten wie- der und wieder sehen, weil sie so schmer- zensschön und bittersüß sind, und doch wird niemand behaupten, sie gingen wie Sirup herunter. Wongs Filme handeln zu- erst und zuletzt von der Liebe und eigent- lich von nichts anderem; er repräsentiert, wie niemand sonst im heutigen Weltkino, auf seine sparsame, verschwiegene und doch schwelgerisch elegante Art die Kunst des Melodrams in Vollendung. In seinem neuen Film „2046“ gibt es – und wer „In the Mood for Love“ kennt,

diese intime Chronik einer Liebe, die an (L.);ERIC GAILLARD/ FUNG HON-MAN / EYEPRESS AFP (R.) sich selbst scheitert, wird sich darüber nicht Regisseur Wong in Cannes 2004, „2046“-Szene mit Faye Wong: Ein Einzelgänger auf der Suche

132 der spiegel 2/2005 Sehnsuchtsreise in die Zukunft und zurück

überströmend Farbenreichtum und Pracht Tony Leung, zum fünften Mal Star eines Wong Kar-wai, obwohl er sie weder ein entgegenkommen, die Fülle der Alltäg- Wong-Films, ist als Mr. Chow, diesmal mit Drehbuch sehen lässt noch eine Stargage lichkeit und der Nervenkitzel des Dramas, schmalem Schnurrbärtchen und etwas Bril- bietet; sie nehmen aus Liebe auf sich, was der Sog der Leidenschaft und das Elend lantine im Haar, zum Idealtyp des „Asian er ihnen an Unberechenbarkeiten zumutet,

des verfehlten, vergeudeten Lebens, be- Lover“ einer versunkenen Epoche gereift, weil sie wissen, dass er sie, auch wenn er PROKINO (L.); AFP (R.) wegt und getragen von einem dunklen, fa- der auch beim Lächeln noch einen ihnen am Ende den Hals umdreht, auf der talistischen Grundstrom der Melancholie. Schmerz in der Tiefe der samtschwarzen Leinwand ganz herrlich zum Blühen und In Zimmer 2047 haust Mr. Chow, ge- Augen ahnen lässt: ein ferner Verwandter Glühen bringt. langweilter Gelegenheitsjournalist, unter- von Arthur Schnitzlers ewigen Liebesme- Das hinreißende Zentralstück, die Liebe bezahlter Schundromanschreiber, passio- lancholikern wie Anatol. des Jahres 1968, gehört Zhang Ziyi, die nierter Zocker und Trinker, vor allem je- Seine Partnerinnen in diesem Reigen, man bisher nur als Kinoprinzessin mit den doch ein Herzensbrecher aus gebrochenem der sich wie eine sanfte Folge von Tête-à- Kulleraugen und den niedlichen Löffel- Herzen. Er hat eine ziemlich unwidersteh- têtes entfaltet, sind Damen von zweifel- öhrchen kannte. Wie sie in der Rolle einer liche Charmeurstour, um die Damen, die hafter Provenienz, denen die Berufsbe- Kokotte, die unter dickem Make-up noch sich für kürzer oder länger in Zimmer 2046 zeichnung „Flittchen“ kaum Unrecht tut – die vorwitzige kleine Göre erraten lässt, einquartiert haben, scheinbar absichtslos doch man könnte ebenso gut sagen: allein- mit jugendlustigem Überschwang den vor- für sich einzunehmen – mit besonderem stehende junge Frauen in einer selbstsüch- sichtigen Fuchs über den Haufen rennt, Erfolg alle Jahre wieder am 24. Dezember: tigen Männerwelt, in der sie nichts ge- und wie dann eine Leidenschaft, die – aus Dann schmelzen offenbar auch in Hong- schenkt kriegen –, und ihre Darstellerinnen Stolz, aus Angst, aus Eigenliebe – weder er kong in einer Bar (mit einem Christmas- bilden ein Bukett der Schönheiten des ost- ihr noch sie ihm eingestehen will, weil man Song von Nat King Cole als Herzerwei- asiatischen Kinos dieser Jahre. einander nichts schuldig bleiben will, sich cher) einsame Seelen mit besonderer An- Gong Li, Faye Wong, Zhang Ziyi, Cari- in überreizte Hassliebe verwandelt: Das lehnungsbedürftigkeit dahin. na Lau, : Sie alle spielen für ist, auf engstem Raum zu einem Ballett spannungsgeladener Gesten choreogra- fiert, noch einmal die typisch Wongsche Geschichte einer Liebe, die an sich selbst scheitert, ein Stück Melodram, dessen Lebendigkeit schmerzt. Die Liebe in ihrer Zerbrechlichkeit, Flüchtigkeit, Anfälligkeit, Hinfälligkeit, Vergeblichkeit, dazu das Glück, sich zu er- innern, so sehr wie die Qual, nicht verges- sen zu können: Das ist Wongs Thema, also das allerallgemeinste der Welt. Und da sein Erfolg daher kommt, dass seine Filme rund um die Welt jeden rühren, der ins Kino geht, um sich ans Herz rühren zu lassen – warum wieder und wieder Hongkong, des- sen turbulente Geschichte doch nur in Fuß- noten vorkommt? Warum wieder und wie- der die sechziger Jahre? Wong Kar-wai, 46, ein breitschultriger nach der verlorenen Zeit Hüne, stets mit schwarzer Brille bewaff-

der spiegel 2/2005 133 Kultur net, der seine meisten Lands- auch Zeit, im Lauf der Jahre leute um einen Kopf überragt, seit „In the Mood for Love“ kann nur immer wieder versi- etwa zehn andere Filme (als chern, dass er immer wieder wichtigsten Zhang Yimous nicht anders kann. Er finanziert „Hero“) zu drehen, und in die- und produziert seine Filme auf ser Zeit hat sich auf Wongs tas- die eigensinnigste, ökonomisch tende, suchende, experimen- unvernünftigste, langwierigste tierende Weise das Utopiepro- Weise: wie ein Lyriker, für den jekt mit wundersam irrationa- alles oder nichts vom Gelingen ler Eigendynamik in ein weite- einer Metapher abhängt – und res Retrostück verwandelt: Wer wer das nicht mag, wie es ist, Nostalgiker ist, kann nicht als muss es lassen. Futurist reüssieren. „Jede Erinnerung ist in Trä- Als Heimkehrer in das kleine nen gebadet“, heißt das Motto Biotop, das sein magischer Blick von „2046“, und für Wong ist zum Kosmos weitet, hat Wong der heilige Ort der Erinnerung „2046“ mit „Days of Being seine kleinbürgerliche Hong- Wild“ und „In the Mood for

kong-Kindheitswelt der sechzi- DEFD Love“ zu einer Trilogie zusam- ger Jahre. Ein erstes Mal hat er Wong-Film „Chungking Express“ (1994)*: Hektische Gegenwart mengeschlossen. Durch Schau- sie 1990 in dem Film „Days of plätze, Leitmotive, Musikzitate Being Wild“ nostalgisch her- und die Lebensläufe der Haupt- aufbeschworen, und etwa ein figuren (wie ihrer Darsteller) ha- Jahrzehnt später – mit dersel- ben sich die drei Filme auf eine ben Hauptdarstellerin in der- Art ineinander verzahnt, die selben Rolle – ein zweites Mal Wong selbst offenbar anfangs in „In the Mood for Love“. nicht gewollt und gegen die er Wong ist auf sein in der sich sogar gesperrt hat. Nun Realität längst platt gemachtes aber (obwohl für keinen „2046“- Sehnsuchts-Hongkong nicht Zuschauer von Belang sein fixiert, weil er dort verwurzelt muss, was in den beiden frühe- wäre, sondern im Gegenteil, ren Filmen geschah) steht das paradoxerweise, weil er mit Ganze im Schein einer Zwangs- seiner Mutter als fünfjähriger läufigkeit da, als hätte es nie Flüchtling aus Shanghai in die- anders kommen können. ser Fremde eine Zuflucht ge- Warum der Film aber über- funden hat, an die er sich klam- haupt „2046“ heißt, ist eine mert – dabei findet er filmend ganz andere Geschichte. Das

die Aura dieses besonderen / FOTEX.DE TARGET futuristische Projekt entstand, Quartiers seit langem nicht Wong-Film „In the Mood for Love“ (2000)*: Nostalgischer Schmerz als die Briten Hongkong an mehr in Hongkong, nur noch in Peking übergeben hatten mit Macao oder der Chinatown von Bangkok anderen Traum –, doch sie erscheinen nun der Garantie, dass dort noch 50 Jahre lang, wieder. Er legt Wert darauf, dass seine Hel- als Zitate eines Autors, der 1969 in Hong- also bis 2046, alles unverändert beim Alten den, auch wenn das für keinen Zuschauer kong in seinem Hotelzimmer 2047 einen bleiben sollte. Wong nahm dieses Verspre- von Belang ist, Shanghai-Flüchtlinge sind im Jahr 2046 spielenden Science-Fiction- chen als poetisch-metaphorische Garantie: wie er selbst, und in „Days of Being Wild“ Roman schreibt. Seine „2046“-Welt ist eine kühle, von wird deutlich, dass ihr „gebrochenes Herz“ Damals, vor fünf Jahren, hatte Wong die schönen Androidinnen animierte Megalo- – die spezifische Bindungsunfähigkeit, an Arbeit an dem ausufernden, auch in seinen polis ewiger Gegenwart, in der – ohne dass der sie leiden – aus dem Trauma ihrer finanziellen Risiken unabsehbaren Projekt das im fertigen Film visuell plausibel würde frühen Entwurzelung herrührt. „2046“ kurz nach dem Start abgebrochen. – alle Erinnerung aufgehoben ist und alle Mal um Mal hat Wong versucht, diesem Plötzlich erschien es ihm wichtiger, den Zeit stillsteht. Kindheitsbann zu entrinnen, in „Chung- kleinen, überschaubaren Film mit Maggie Mr. Chow, als er im Jahr 1969 auf Anre- king Express“ (1994) in die neonkühle Hek- Cheung und Tony Leung, den er in den gung seiner derzeitigen Nachbarin in Zim- tik des heutigen Hongkong, in „Happy To- Monaten davor gedreht, aber aus Unzu- mer 2046 seinen Roman schreibt, beför- gether“ (1997) sogar bis nach Südamerika, friedenheit nicht fertig gestellt hatte, mehr dert die Erinnerung an das Liebesglück, und Mal um Mal, so weit er auch aushol- oder weniger noch einmal neu zu drehen das er ein paar Jahre zuvor (in „In the te, kam er auf seiner Suche nach der ver- – in einer anderen Tonart, nämlich „In the Mood for Love“) in diesem Zimmer 2046 lorenen Zeit wieder zu Hause an. Mood for Love“, und als kleines Souvenir erlebt hat, in diese immerwährende Zu- Nie hat er so weit ausgeholt wie für an das gescheiterte andere Projekt gab er kunft, wobei aber im Film die derzeitige „2046“. Als er vor fünf Jahren mit den dem Hotelzimmer, in dem das heimliche Zimmernachbarin (die man als unglück- Dreharbeiten in Bangkok begann – mit ei- Paar sich trifft, die Nummer 2046. lich Verliebte schon aus „Days of Being nem japanischen und einem thailändischen Als dann Wong – ein Asket, der nie auf- Wild“ kennt) und ihr japanischer Freund Popstar in den Hauptrollen –, war von gibt – erneut (doch wie eh und je ohne als Darsteller agieren: Alles in allem ist das einer Art Gangstergeschichte die Rede, Drehbuch) mit „2046“ begann, stand noch ein arg artifizielles, doch reizvoll phantas- deren Schauplatz eine futuristische Mega- lange nicht fest, wie die Figur von Tony tisches Bild dafür, wie ein Autor seine Ver- lopolis im Jahr 2046 sein sollte. Ein paar Leung darin heißen sollte. Wongs errati- gangenheit in die Gegenwart/Zukunft/ Bilder von damals sind in dem nun voll- scher Produktionsrhythmus ließ Leung Ewigkeit eines Kunstwerks transponiert. endeten Film aufbewahrt – wie Erinne- So gibt es sie also, wenn auch nur im Kino, rungsstücke, wie Rätselfetzen aus einem * Tony Leung mit Valerie Chow (o.), Maggie Cheung (u.). die wiedergefundene Zeit. ™

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