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ZEITSCHRIFT DES STUDIENGANGES MEDIEN UND MUSIK

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„WIE EIN SCHWARZES LOCH“ STILLE IM GEFÄNGNIS IST KOSTBAR UND BEDRÜCKEND

„MANCHMAL HAT MAN GLÜCK“ GEEIGNETE ÜBERÄUME SIND NICHT LEICHT ZU FINDEN

HEKTISCHE STILLE HINTER DEN KULISSEN DES MÄDCHENCHORES

Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung

AUSGABE 15 SOMMER 2017

ZUM MITNEHMEN 1 http://saitensprung-online.eu/ 2 INHALT | EDITORIAL

EDITORIAL INHALT

Tagtäglich nimmt der Mensch eine Viel- %28/(9$5' zahl an Geräuschen wahr – sowohl unbe- 10 Fragen an Sharon Kam/Hannover-Tipps ...... 4 wusst als auch bewusst. Manchmal sind es nur leise Geräusche, die im Getümmel einer Das Saitensprung-Rätsel/taktlos/Unerhört ...... 5 Großstadt unterzugehen scheinen. Oft sind Plattenkritik ...... 6 diese Geräusche aber auch von einer uner- träglichen Lautstärke, wie etwa der Lärm auf einer stark befahrenen Straße oder das (,1()/8&+7+$79,(/(*(6,&+7(5 laute Gemurmel einer Menschenmenge. PREMIERE OPER ...... 8 In solchen Situationen wünschen wir uns nichts als Stille. EINFACH LEBEN ...... 9 Stille gehört genauso zum Geräusch wie Yousef Ibrahim erzählt über seine Leidenschaft: den Tambur Lärm. Diese Begriffe stehen in einer engen Beziehung. Wie eng diese Beziehung ist, 6&+:(5381.767,//(. zeigt auch ein Blick in den Duden. Fragt man ihn nach dem Wort „Stille“, so HEKTISCHE STILLE ...... 10 spuckt er einem gleich mehrere Definitio- „STILLE FOLTER“ ...... 14 nen aus. Stille ist beispielsweise ein „durch Musik kann nicht nur heilen und trösten kein lärmendes, unangenehmes Geräusch gestörter Zustand“. Diese Erklärung er- CRESCENDO ...... 16 scheint zwar logisch und nachvollziehbar, „WIE EIN SCHWARZES LOCH“ ...... 17 erfasst jedoch nicht den Facettenreichtum Über Stille im Gefängnis von Stille. Sie kann nämlich weitaus mehr sein. THE SOUND OF THE SIDEWALK ...... 20 Was hören wir also in der Stille? Hören Straßenmusik in der „City of Music“ Hannover wir alle das Gleiche? Bei der Suche nach 7 UHR: DUSCHEN UND MUSIK VOM TABLET ...... 22 Antworten auf diese Fragen sind uns diver- Finden wir Stille in unserem Alltag? se Aspekte der Stille in den Sinn gekommen: Was spüren und erleben wir in musikali- „MUSIK NUR, WENN SIE LAUT IST“ ...... 23 schen Pausen? Welche Rolle spielen Stille VERSTAUBTER REGELKATALOG ...... 25 und Musik im Gefängnis? Wie nehmen Gehörlose Musik wahr? Und woher kommt DAS SAITENSPRUNG-FOTO ...... 26 eigentlich die Stille-Etikette im klassischen EINMAL STUMM BITTE! ...... 28 Konzert? Wie lassen uns Musik und Soundeffekte in Horrorfilmen erschaudern? Wir, die Studierenden des Masterstu- diengangs Medien und Musik am Institut ZWISCHEN DEN OHREN DES ZUHÖRERS ...... 30 für Journalistik und Kommunikationsfor- Warum die Arbeit eines Akustikers viel mehr ist als eine physikalische Berechnung schung in Hannover, haben uns das Ziel ge- „MANCHMAL HAT MAN GLÜCK“ ...... 32 setzt, die Stille in ihren Facetten einzufan- gen und in dieser „Saitensprung“-Ausgabe Geeignete Überäume zu finden ist für Musikstudierende gar nicht so leicht festzuhalten. VON DER STILLE ZUR NEUGEBURT ...... 35 Lara Sagen Ein Besuch beim Geigenbaumeister DIE STILLE ZWISCHEN DEN TÖNEN ...... 38 IMPRESSUM Herausgeber: 6WXGLHQJDQJ0HGLHQXQG0XVLNï PLÖTZLICH STILLE ...... 40 Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung Hannover The Voice of Germany-Siegerin Charley Ann Schmutzler über die Stille nach dem Erfolg Redaktion: Christoph Kastrop, Roland Kolb, Sara Kuhlgatz, Jana Rebellato, Lara Sagen, FRAU STILLE – DAS SAITENSPRUNG-FEUILLETON ...... 42 Bruno Schubert, Clara-Liliane Strutz,  (OLVD7DUDELFKL=VµĆD7LP£U6DUDK:DKQHOW Layout: Katharina Bock NICHT SO LAUT BITTE ...... 45 Kontakt: [email protected] Von akustischer Umweltverschmutzung, Lärm und sonstigem Krach V.i.S.d.P.: Prof. Dr. Gunter Reus, Prof. Dr. Ruth Müller-Lindenberg RUHE IM KIRCHLICHEN RAUM ...... 48 Herstellung: Layout · Satz & Druck e.k. Lister Damm 5–7, 30163 Hannover Wie still ist es in der Kirche wirklich?

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10 FRAGEN AN ... SHARON KAM

Sie ist Klarinettistin, Weltstar und dreifache Multitalent war, und Vladimir Horowitz, da ich die nette, und ich würde ihm gern zeigen, dass die Qua- Mutter: Sharon Kam. Das israelische Ausnah- Art und Weise sehr mag, wie er Klavier spielt. Auch lität eines Musikers nichts mit dem deutschen oder metalent trat bereits im Alter von 16 Jahren Itzhak Perlman bewundere ich, weil er einfach die französischen Griffsystem zu tun hat, sondern mit erstmals solistisch in der Carnegie Hall auf, Freude am Musizieren verkörpert und über seine dem einzelnen Künstler und seiner Art, zu spielen. wurde wenig später Vollstipendiatin der Juil- körperliche Begrenzung hinauslebt. liard School und gewann zahlreiche Wettbe- Und zu guter Letzt: Was war das schrägste Erleb- werbe und Auszeichnungen, darunter zwei- Wann warst du das letzte Mal selbst Konzertbe- nis deiner Karriere? mal den Echo Klassik als „Instrumentalistin sucher? Das war auf jeden Fall mein Konzert bei den Salz- des Jahres“. Heute hat sie ihren Hauptwohn- Letzten Sonntag beim Neujahrskonzert des Mäd- burger Festspielen 2003. Es war so ein großes Ziel sitz in Hannover. chenchores in der Oper. Ansonsten höre ich mir von mir, einmal dort zu spielen, und ich habe mir sehr gerne zweite Konzerthälften an, wenn ich mit so viel davon erhofft, als es endlich so weit war. Ich Ich liebe Musik, weil … meinem Part fertig bin. habe dort Mozarts Klarinettenkonzert in A-Dur ge- … sie die Welt besser macht. Sie öffnet Herzen und spielt, und der erste Satz lief auch super. Im Kopf gibt Menschen Emotionen, die sie im normalen All- Vinyl, CD, Kassette oder MP3? habe ich mir schon ausgemalt, wie wohl das me- tag nicht haben. Man könnte sagen, gute Musik holt MP3, weil ich viel unterwegs höre. Zwar haben wir diale Feedback dazu aussehen würde und was das das Gute im Menschen heraus. zuhause über tausend CDs und LPs und kaufen für meine Karriere bedeuten könnte. Aber am Ende auch weiter fleißig, aber viele davon digitalisiere ich, des ersten Satzes hörte ich plötzlich ein lautes Pie- Hannover ist für mich City of Music, weil … um sie mitnehmen zu können. Es ist manchmal toll, pen aus dem Publikum. Es wurde ziemlich unru- … es hier so viele Chöre gibt und weil hier die erste eine CD in der Hand zu haben, aber die Zeiten, in hig im Saal, und irgendwann kam heraus, dass das Schallplatte gepresst wurde. Hier gibt es unglaubli- denen ich zuhause sitze und Musik höre, sind ein- wohl ein Hörgerät war. Das Problem war nur, dass che Möglichkeiten, sich musikalisch von „Klein“ bis fach vorbei. aufgrund der Akustik des Raumes niemand das Pie- Hochschullehrer ausbilden zu lassen, und das finde pen lokalisieren konnte, weil der Ton von überall ich viel wichtiger als z.B. die Anzahl an professio- Was ist für dich der größte Hit aller Zeiten? reflektiert wurde und die Person, bei der das Gerät nellen Orchestern. Das ist schwer zu sagen. Irgendeine Opernarie von im Ohr piepte, es anscheinend nicht gemerkt hat. Puccini oder Verdi, wo jeder mitsummen kann. Wir konnten also nicht herausfinden, welche Per- Was war der erste Tonträger, den du gekauft hast? Vielleicht so etwas wie „La donna è mobile“. son im Publikum so laut piept, und haben uns dazu Da ich in einem Haus voller Klassik aufgewachsen entschlossen, einfach weiterzuspielen. Leider passte bin, war es vermutlich etwas Popmusikalisches. Was sollte man beim Touren immer dabeihaben? der Piepton so gar nicht zum D-Dur des zweiten Vielleicht Elton John oder Sting. Noise-Cancelling-Kopfhörer! Das ist so wichtig, Satzes. Aber aus so etwas lernt man. Jetzt weiß ich, wenn man viel reist. Man kann damit abschalten dass das perfekte Konzert nicht nur vom Renom- Wer sind deine musikalischen Vorbilder? und der Hektik am Flughafen oder wo auch immer mee der Bühne, sondern von so vielen Faktoren ab- Ich bin nicht so wirklich der Vorbild-Mensch. Ich entfliehen und einfach mal seine Ruhe haben. hängig ist. Jetzt weiß ich es zu schätzen, ab und an habe das Glück, mit vielen tollen Menschen zu- auch mal in kleineren Sälen zu spielen, wenn dafür sammenarbeiten zu dürfen, unter denen auch viele Mit wem würdest du in Zukunft gerne mal zu- die älteren Leute Tränen in den Augen anstatt ein waren, die mir große und wichtige Türen geöffnet sammenarbeiten? Piepen im Ohr haben. haben. Leute, zu denen ich aufblicke, sind aber auf Mit Daniel Barenboim, der ein toller Pianist und Di- Aufgezeichnet von Sara Kuhlgatz jeden Fall Leonard Bernstein, weil er ein absolutes rigent ist. Er ist ein großer Fan der deutschen Klari-

HANNOVER-TIPPSRÄUME DER STILLE – QUELLE DER KRAFT

Ist es Ihnen zu laut? Zu stressig? Einfach zu viel? Räumen“. Zusammen bilden sie einen Rundweg, der abverlangt. Die „Räume der Stille“ können dabei Sie haben Angst, trauern oder finden keine innere die fünf Phasen eines Abschiedsprozesses thema- helfen, mit den verschiedenen Phasen von Abschied Ruhe? Dann hat Hannover etwas ganz Besonderes tisch darstellt. vertraut zu werden, sich darin wiederzufinden und für Sie! Und zwar bundesweit einzigartig! Mit Abschied ist Trauer verbunden, meist die vielleicht sogar heilsame Impulse zu erfahren, loszu- Stille wird oft in Verbindung gebracht mit Ruhe, Trauer um einen geliebten Menschen. Doch Trau- lassen und eine neue Lebensphase anzunehmen. In mit Zu-sich-Kommen und Entspannung, ja sogar er und Abschied von etwas Liebgewordenem sind den „Räumen“ können Trauerfeiern und Gedenk- mit Heilung. Manchmal aber auch mit Tod und Ab- allgegenwärtig im Leben. Jeder Mensch muss sich veranstaltungen im Freien abgehalten werden. Selbst schied. Für all das bieten die „Räume der Stille“ im von klein auf damit auseinandersetzen. Im Laufe zu Lesungen oder kleinen Konzerten kann der „Grü- Zentrum der Gesamtanlage in der Abteilung 45 des unseres Lebens werden wir erfahrener; gelegentlich ne Andachtsraum“ genutzt werden. Stadtfriedhofs Ricklingen Platz. Dort ist ein „grüner gewinnen wir aber auch den Eindruck, dass uns mit Roland Kolb Andachtsraum“, umgeben von weiteren fünf „stillen zunehmendem Alter jeder Abschied immer mehr

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SAITENSPRUNG-RÄTSEL taktlos Finden Sie die neun Begriffe, die sich AUFGEDREHT hinter diesen Emojis verstecken. In den letzten Jahren habe ich immer und immer wieder festgestellt: Wer Bahn fährt, muss wirklich starke Nerven haben. Neulich auf dem Heimweg bot sich mir wieder folgendes Szenario: 1 Song: Nach einem langen und anstrengenden Tag sitze ich, wie so oft, in der vollgestopften, überhitzten und viel zu stickigen Straßenbahn. Die Frau 2 Film: hinter mir lässt alle Fahrgäste an ihrem Telefonat teilhaben, eine Tür weiter plärrt ein Kleinkind im Kinderwagen, und schräg gegenüber wummert der Bass aus den Kopfhörern eines Jugendlichen. Gangster-Rap à la Bushido 3 Gesichtscreme: mit dominantem Beat und grimmigen Texten. Wie in Trance starrt der Halbstarke auf sein Smartphone, nickt teilnahmslos im Takt und bemerkt die durchdringenden Blicke der Fahrgäste nicht. 4 Sportmarke: Während mein Adrenalinspiegel langsam aber stetig ansteigt und ich be- müht daran arbeite, meine aufkommenden Aggressionen zu besänftigen, 5 Lieferdienst-Kette: versuche ich freundlich zu wirken und meine Mimik unter Kontrolle zu behalten. Mit mäßigem Erfolg. Die Kiefermuskulatur verkrampft sich und die Nasenflügel blähen sich langsam auf. 6 Aktivität: Ich wünsche mir Stille. Nichts als Stille. Dem Lärm zu entfliehen und ein Abteil nur für mich zu haben, einfach Stille. 7 Person: Irgendwann hat der Geräuschpegel meine persönliche Toleranzschwel- le deutlich überschritten. Wie gelegen käme mir jetzt ein Knopf, mit dem 8 Getränk: man die Welt einfach stumm schalten und sie wie einen Stummfilm an- schauen kann. Oder eine schalldichte Luftblase, aus der man seine Außen- welt zwar wahrnimmt, an der die ohrenbetäubende Geräuschkulisse aber 9 TV-Casting-Show: einfach abprallt. Schön wär’s.

:HQQ6LHGLHQHXQ%HJULIIHHUUDWHQKDEHQVFKLFNHQ6LHXQVHLQIDFKHLQH Beherrscht suche ich also in meiner Tasche nach meinem MP3-Player, E-Mail ([email protected]). stecke mir die Stöpsel der Kopfhörer in die Ohren und drehe meinen Lieb- Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir zwei Eintrittskarten lingssong laut auf, um den Rest der Bahnfahrt wenigstens halbwegs erträg- I¾UGDV0$6$/$:HOWEHDW)HVWLYDOYRPELV]XP0DLLP lich zu gestalten. Pavillon Hannover. Lara Sagen

UNERHÖRTDEUTSCHER ANTILÄRM-VEREIN

„Niemals hat sich der Mensch mit mehr Gelärm, einen stilleren Straßenverkehr zu treffen, gründete staatlichen Behörden durchsetzen. Statt der erhoff- unter schrecklicherem Geruch über die Erde be- Lessing 1908 in Hannover den „Deutschen Anti- ten 6000 Mitglieder waren in zwei Jahren kaum wegt.“ Man könnte meinen, diese Aussage stamme lärm-Verein“. Er trat neben aufklärenden Essays mehr als 1000 Engagierte der Gesellschaft beigetre- aus einem Ökomagazin. Der Satz geht jedoch auf über die Gefahren des Lärms auch mit konkreten ten. Im April 1911 stellte Lessing fest: „Unsere Sache den gebürtigen Hannoveraner Theodor Lessing zu- Ideen hervor, wie der „Einführung eines besseren, kam noch zu früh, wird sich aber immer wieder rück und erschien 1908 in seiner Abhandlung „Der geräuschlosen Beton- oder Asphaltpflasters“, „ex- melden und wird siegen“ – und schloss das Büro des Lärm. Eine Kampfschrift gegen die Geräusche un- akteren Verfügungen über die erlaubte Spurweite“ Antilärm-Vereins in Hannover. seres Lebens“. oder Vorschlägen zum „Hufbeschlag der Pferde“. Auch wenn die Initiative kurzlebig war, zog sie Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich das Lessing betrachtete die Geräusche der Städte als einige praktische Ergebnisse nach sich. Dank ihrer städtische Leben durch die technische Entwicklung „Nervengift“. Seiner Initiative ablehnend gegenüber Arbeit begannen zum Beispiel Experimente zur so stark und rasant verändert, dass es für viele bald standen allerdings Menschen, für die das gleiche Schalldämmung an der Technischen Hochschule unerträglich wurde. Nachdem sich Menschen in Phänomen die „Melodie“ des modernen Lebens Hannover. den USA und in England bereits in Vereinen zu- bedeutete. Deshalb konnten sich Lessing und seine =VµĆD7LP£U sammengeschlossen hatten, um Maßnahmen für Kollegen weder in der Öffentlichkeit noch bei den

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PLATTENKRITIK

Diese Seiten sind Hannovers lebendiger und vielseitiger Musikszene gewidmet. In jeder Ausgabe stellen wir aktuelle und spannende Veröffentlichungen von Bands und Künstlern vor allem aus der Region vor. Stilistische Grenzen setzen wir uns dabei nicht – ob Rock, Hip-Hop oder Klassik. Unser Credo lautet: Ehrlich loben und konstruktiv kritisieren.

Maciek – ein aufstrebender, junger Chor gebrüllte „Frauke halt’s Maul“ – Musiker, von dem man in Zukunft viel mehr klassischer Punk geht nicht. hoffentlich noch viel hören darf. Mit In einer Minute und elf Sekunden einem Album, das jedem Fan von brüllen die Abstürzenden Brieftauben Singer--Pop und den ge- ihre Meinung über die Tongeberin der nannten Künstlern wärmstens zu AfD und neue Stimme der scheinbar empfehlen ist. Anspieltipps: „Stormy Alleingelassenen und Abgehängten. Weather“, „Dreams Begin to Fly“, „I Sympathiebekundungen sehen an- MACIEK Want to Go“. ders aus. Aber Sympathiebekundun- LENA Maciek Mehr davon: gen waren auch noch nie ein Ziel der Beat to My Melody Magic Mile Music www.maciek-music.com hannoverschen Punkband, die sich Universal Music Christoph Kastrop 1993 im links-alternativen Jugendzen- Sonniger Singer-Songwriter-Pop, der trum Kornstraße gründete. Mit ihrem Wenn man über Hannovers Musiker zum Träumen und Tanzen anregt – so Album „Im Zeichen des Blöden“ er- schreibt, sollte man die eine nicht klingt die Musik von Maciek, einem oberte die Band nach einigen Jahren vergessen, die für den wahrscheinlich jungen hannoverschen Musiker, der voller Schwierigkeiten die deutschen größten von Hannover ausgehenden im September letzten Jahres bei dem Charts und erreichte immerhin Platz Musikhype seit Beginn des neuen Label Magic Mile Music sein erstes 39. Ihre alten Aufnahmen erinnern an Jahrtausends sorgte: Lena Johanna Album veröffentlicht hat und als Han- die Hits der Ärzte, voller Ironie und Therese Meyer-Landrut, wie sie nach novers neuer Stern am Pop-Himmel Scheiß-drauf-Gefühl: Fun-Punk, wie ihren GEMA-Eintragungen mit vol- bezeichnet wird. dieses Genre in Kennerkreisen zu hei- lem Namen heißt. Mit ihrer authen- Mal ruhig und nachdenklich, mal ABSTÜRZENDE ßen scheint. Mitte der neunziger Jahre tischen und lustigen Art verzauberte selbstbewusst nach vorne treibend BRIEFTAUBEN wird es dann ruhig um die Abstürzen- sie beim – Langeweile kommt bei den zwölf )UDXNHKDOWV0DXO den Brieftauben, bis sie mit mehreren und Stefan Raabs Entscheidungsshow Songs des Albums nicht auf. Der Mu- Weserlabel Abschiedskonzerten 2002 scheinbar „Unser Star für Oslo“ viele Deutsche sik von Maciek sind eindeutige Ein- ihr Brieftaubendasein beenden. Mit und später auch den Großteil der eu- flüsse aus Folk, Soul, Funk, Blues und „Du willst alle Grenzen schließen – der aktuellen Single „Frauke halt’s ropäischen ESC-Fans. Spätestens mit Reggae zu entnehmen. Seine Stimme Frauke, halt’s Maul! Und die Flüchtlin- Maul“ meldet sich jedoch im Novem- ihrem Album „Traffic Lights“ schaffte klingt nach einer Mischung aus Joshua ge abschieben – Frauke, halt’s Maul!“... ber 2016 eine Punkgröße aus Hanno- sie den internationalen Durchbruch Radin und Jamie Cullum. Sein Stil ruft Man muss nicht lange rätseln, um ver zurück. Vielleicht aus dem Pflicht- und war auch fünf Jahre nach ihrem namhafte Künstler wie Jack Johnson, dahinterzukommen, gegen wen sich gefühl heraus, der neuen von rechts ESC-Gewinn noch 17 Wochen auf James Morrison oder Jason Mraz ins dieses Lied wohl richten mag. Und kommenden deutschen Alternative Platz zwei der deutschen Charts. Mit Gedächtnis. Bei „I Want to Go“ – Ti- auch der Titel „Frauke halt’s Maul“ die Stirn zu bieten und die Meinung „Wild and Free“, dem Titelsong zu tel 9 des Albums – fühlt man sich bei erschließt sich dem aufmerksamen vieler stillschweigender Talkshow- „Fack ju Göhte 2“, platzierte sie sich genauem Hinhören an die jungen Zuhörer schnell aus dem Text. Das Zuschauer in die Welt zu schreien: sogar in den Top-Ten der deutschen Coldplay und Songs wie „Don’t Panic“ Schlagzeug wechselt bei jedem Viertel „Frauke halt’s Maul“? Single Charts. Doch was macht Lena von deren Debut-Album „Parachutes“ zwischen Bassdrum und Snare, Gitar- Mehr davon: www.weserlabel.de seitdem? Und vor allem: wie hört es erinnert. ren und Bass betonen unisono das im Bruno Schubert sich an?

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LIEBLINGSMUSIK

Ein Song, der mir so gut gefällt, dass ich einfach unbedingt von ihm erzählen muss: ÁSGEIR IN THE SILENCE

Himmel, so weit das Auge reicht. Teilweise verdecken kleine Wolkenfetzen das tiefe Blau und erweitern es um eine Unmenge an *UDXW¸QHQVRGDVVGHUćHFNLJH+LPPHOPDUPRULHUWHUVFKHLQW.ULV- Ihre letzte Neuerscheinung ist die TV-Shows und ihre Tätigkeit als Syn- tallklare Flüsse bahnen sich ihren Weg durch die endlosen hügeligen Single „Beat to My Melody“, die 2016 chronsprecherin wirft die Frage auf, ob Wiesen und stürzen in Wasserfällen von rauen Steinklippen, die mit fünf unterschiedlichen Remix- die Musik für sie überhaupt noch die immer wieder die Landschaft durchbrechen. Es ist Island. Das Land, Versionen dieses Titels auf den Markt größte Rolle spielt. Lena präsentiert in dem die eine Hälfte der Bevölkerung Schriftsteller und die andere kam, einem Song, der schon auf ihrem sich als Multi-Media-Talent, zu dem Musiker zu sein scheint. Vereinzelte Straßen und Städtchen wirken letzten Album zu hören war. Offen- ihr musikalisches Schaffen gut zu pas- machtlos gegen die allgegenwärtige Natur, die hier dem Menschen sichtlich ist die Single somit weniger sen scheint. Welchen Stellenwert die ihre Überlegenheit zeigt. ein kreativer Hochpunkt von Lenas Musik im Gesamtpaket „Lena“ in Zu- „In The Silence“ heißt der Song von Ásgeir, der so gut zur islän- Schaffen als eine Überbrückung zu ih- kunft noch einnimmt, wird sich spä- dischen Landschaft passt, weil er nach Klarheit, Weite, Kraft und rem neuen Album „GEMINI“, an dem testens mit „GEMINI“ zeigen. Einsamkeit klingt. Wie der Name Ásgeir hingegen klingt oder „Dyrd í Lena seit dem letzten Jahr arbeitet. Mehr davon: Dauðathognand“ (so heißt das Stück in seiner isländischen Original- Doch wie klingt ihre Musik? „Beat to www.universal-music.de/lena Version), kann man nur raten. Am besten spricht man das einfach so My Melody“ ist voller urbaner Elekt- Bruno Schubert überzeugt aus, dass sich kein Nicht-Isländer traut, es anzuzweifeln. ronik, und der Grund dafür sind nicht Der Song beginnt folkartig mit einem sich halbtaktig wiederho- nur die Remixe. Schon im Original ist lenden Basston, einer sanften Akustikgitarre und hohen, unschein- ihre Stimme nur schwer wiederzuer- baren Fill-Ins eines Klaviers. Bereits der allererste Ton des Stücks kennen, zeigt wenig von der unper- klingt nach Weite – als würde man aus einem schmalen Tunnel in fekten Stimme der alten ESC-Lena. ein Bergpanorama fahren. Nach dem instrumentalen Vorspiel setzt Ob das alles am Gesangscoaching Ásgeirs Stimme ein. Er singt größtenteils mit Kopfstimme, die weich liegt? Wohl kaum. Die „deutsche Ellie und sanft klingt. Da sie doppelt aufgenommen wurde und von rechts Goulding“ nennen sie fiese Zungen, und links zu hören ist, wirkt sie einzeln intim, zusammen jedoch seitdem sie bei „Traffic Lights“ mit kraftvoll. Der Text stammt von Ásgeirs Vater Einar Georg Einarsson, demselben Produzenten-Team wie El- einem isländischen Dichter, der die meisten Texte für die Songs sei- lie Goulding zusammenarbeitete und nes Sohnes schreibt. So sind die Lieder gewissermaßen gesungene sich ihre Stimme auf dem Studioalbum Gedichte und passen irgendwie zum Bild des mysteriösen Island: zu merklich in Richtung der britischen Elfen, Feen und Geistern. Sängerin veränderte. Doch ihre Mu-  'DV0\VWHUL¸VHĆQGHWVLFKDXFKLQGHUKDUPRQLVFKHQ$EIROJHGHV sik funktioniert, passt in die Zeit, die Stücks wieder, die Ásgeirs Musik so besonders macht. Nicht weil auf- durch moderne elektronische Klang- fallend virtuose Tonartwechsel den Hörer in die Irre führen, sondern landschaften, tanzbare Rhythmen und ZHLOGLH.DGHQ]HQLPPHUZLHGHUDXILKUH$Xć¸VXQJ]XVWHXHUQXQG eingängige Melodien geprägt ist. dann doch noch einen weiteren Umweg nehmen. Die Musik verhält Die Authentizität, die schon immer Ihr wollt eure CD im „Saiten- sich wie eine durch die isländische Berglandschaft gewundene wichtig für ihr Image war, verlagert sprung“ rezensieren lassen? Dann Straße: Genau wie der Fahrer nicht weiß, was hinter der nächsten sich aus ihrer Musik in eine andere schickt eure Platte und dazugehö- Kurve lauert, weiß auch der Hörer nicht, wo ihn die nächsten Töne Umgebung: das Internet. Kaum eine riges Informationsmaterial an: hinführen. Und so steigern sich die Teile fast sinfonisch: Trommeln Musikerin ist so aktiv in den Sozia- und Bläser treiben den Song an seinen Höhepunkt, bis sich alles im len Medien wie Lena: Instagram und Redaktion „Saitensprung“ EHUXKLJHQGHQ$QIDQJVUK\WKPXVGHV6W¾FNHVDXć¸VWXQGQXUQRFK besonders Youtube bespielt sie so in- Institut für Journalistik und die marschartigen Trommeln übrigbleiben. Unbeirrt fahren sie fort, tensiv, als sehe sie den Austausch mit Kommunikationsforschung wie ein Zug, der sich durch die weite isländische Landschaft von ihren Fans für mindestens genauso (Gunter Reus) Tunnel zu Tunnel schiebt. wichtig an wie ihre Musik. Auch ihr Expo Plaza 12 Mehr davon: www.asgeirmusic.com Engagement in unterschiedlichen 30539 Hannover Bruno Schubert

7 PREMIERE OPER

Ein festlicher Opernabend erwartet uns. wir von unseren Plätzen aus wohl bald ein nach den ersten zwei aufregenden Akten. Wir nutzen noch die vor Beginn des Stücks starres Genick haben werden, wenn wir Er mag und hört Musik jeglicher Art, doch verbleibende Zeit, um das Opernhaus und versuchen wollen den deutschen Untertitel die Oper mit ihren selbst geschneiderten seine Gäste genauer zu betrachten. Yassert des italienischen Werks durchgängig mit- Kostümen, ihren stimmsicheren Sängern gefällt die Architektur des Gebäudes mit zulesen. „Egal.“ Yassert ist zuversichtlich, und wandelbaren Schauspielern, dem seinen hohen Decken und hellen Räu- dass es gut wird, egal wie viel er am Ende pompösen Bühnenbild und ihrem klang- men. „Und alle sehen so toll aus“, bemerkt verstehen wird. Und ich bin erfreut über ei- vollen Orchester ist für ihn etwas Neues. er. Yassert selbst hat sich ebenfalls schick nen so offenen, der Oper gegenüber positiv Ich bin erleichtert, dass Yassert die Oper gemacht und genießt die besondere Stim- gestimmten Begleiter. gefällt. Er findet es toll, wie viele Menschen mung, die so ein Ort unwiderruflich in uns an so einem Werk mitarbeiten, und hofft hervorruft. Kennengelernt haben Yassert und ich sehr, dass die nervige Manon in den nächs- uns im letzten Herbst. Seitdem versuchen ten zwei Akten noch zur Vernunft kommt Sonst treffen wir uns meistens in einem wir uns regelmäßig zu treffen. Yassert ist und sich gegen den Luxus und für die Liebe kleinen Café in der Altstadt. Wir erzählen 28 Jahre alt und kam vor eineinhalb Jahren entscheidet. uns, wie es in der Uni so läuft, besprechen aus Ruanda nach Deutschland. Momentan ab und an Hausaufgaben zur Vorbereitung besucht er die Schule und die Uni paral- Zwei Akte später ist Manon tot. Wir auf einen Deutschtest oder reden darüber, lel. Morgens macht er einen Sprachkurs, sind beim Hinausgehen noch leicht er- was in den nächsten Wochen ansteht. und nachmittags ist er Gaststudent an der griffen von der verzweifelten Leidenschaft Hochschule Hannover. Ich bin ebenfalls des Stücks. Das tragische Ende lässt Yas- „Vor der Oper war ich schon oft, aber ich Studentin und neu in der Stadt. Gemein- sert dann doch schnell hinter sich und war noch nie drinnen“, erzählt Yassert. Im sam haben wir uns vorgenommen, regel- freut sich, dass wir heute so ein spezielles Sommer saß er hier gerne mit einer Freun- mäßig neue Sachen zu entdecken. Und Abendprogramm hatten. „Das können wir din und einem Becher Kaffee in der Hand Yassert ist für jeden Vorschlag zu haben. gerne öfter machen“, meint Yassert, erfreut, auf den Treppen in der Nachmittagssonne. wieder etwas Neues kennengelernt zu ha- Doch heute haben wir eine Premiere: Wir Die Lichter werden gedimmt, das Pub- ben. Nach einem Erinnerungsfoto vor der gehen in die Oper. „Manon Lescaut“ von likum verstummt, der Dirigent betritt den Oper machen wir uns auf den Weg nach Giacomo Puccini steht auf dem Programm. Saal, und nach einem kurzen Applaus be- Hause und überlegen, was wir das nächste ginnt das Liebesdrama des Chevaliers Des Mal unternehmen könnten. Wieder Oper Es wird Zeit die Plätze einzunehmen. Grieux und seiner jungen Manon Lescaut. oder vielleicht mal ins Ballett? Wir sitzen im Parkett links, vierte Reihe. Yassert erkundigt sich, in welcher Sprache „Ich war schon einmal in einem Sinfo- Jana Rebellato gleich gesungen wird. Wir stellen fest, dass niekonzert“, erklärt Yassert in der Pause

8 EINE FLUCHT HAT VIELE GESICHTER

EINFACH LEBEN

Die KHG (Katholische Hochschulge- habe ich einen Lehrer in einer Musikschu- Hamburg, und er hat einen Tambur. Wenn meinde) in Hannover lädt einmal im le aufgesucht. Aber dort war ich nur sechs ich ihn besuche, kann ich ein bisschen spie- Monat Flüchtlinge zum gemeinsamen Monate. Dann habe ich nur noch allein wei- len. Ich hätte natürlich sehr gern sein Ins- .RFKHQHLQ'DEHLN¸QQHQGLH*Hć¾FK- tergeübt. trument. Und er würde es mir auch gern teten selbst Rezepte aussuchen und geben. Ich habe ihm jedoch gesagt: Behalte ihr Nationalgericht für die anderen zu- Warum hast du die Musikschule so schnell es noch, weil ich jetzt erst mal Deutsch ler- bereiten. Yousef Ibrahim nimmt auch verlassen? nen muss. Zuerst will ich die Sprache ler- gern an diesen Treffen teil. Er kommt Ich hatte wenig Zeit und wenig Geld. Ich nen, dann den Tambur abholen. Wenn ich aus der Stadt Qamischli in Syrien. musste viel arbeiten, und Musikschulen in den Tambur bei mir hätte, würde ich nicht Seit 15 Monaten lebt er in Deutsch- Syrien sind leider teuer. lernen, ich würde die ganze Zeit nur Musik land und wurde zusammen mit vielen machen. anderen Flüchtlingen im ehemaligen Wenn du ein neues Lied lernst, spielst du Maritim-Hotel am Neuen Rathaus dann nach Noten oder nach Gehör? Hast du auch andere Musikinstrumente untergebracht. Er erzählt uns über Beides. Manchmal spiele ich mit, manch- ausprobiert? seine Leidenschaft: den Tambur. Weil mal ohne Noten. Aber vielleicht doch lieber Im Maritim, wo wir jetzt wohnen, hat ein Yousef noch Schwierigkeiten mit der nach dem Gehör. Das Notenlesen habe ich Freund von mir eine Gitarre. Ich durfte deutschen Sprache hat, half sein Cou- schon ein bisschen vergessen. sie ausprobieren. Es ging ganz gut. Es ist sin, Suliman Ibrahim, als Dolmetscher. ein bisschen anders, als Tambur zu spie- Das glaube ich nicht! Das kann man nicht len, doch wenn man Tambur spielen kann, Seit wann machst du Musik? vergessen – wie das Fahrradfahren. kommt man auch schnell mit der Gitarre Seit 1994 – glaube ich. Ich bin mir nicht Doch. Leider hatte ich nur wenig Unter- klar. Außerdem hat mein Cousin, der Bru- ganz sicher. Ich denke, ich war 12 Jahre alt, richt, und ich habe mein Wissen lange nicht der von Suliman, in Syrien ein Klavier. Ich als ich anfing Tambur zu spielen. aktiv genutzt. konnte bei ihm Klavier spielen und habe sogar drei, vier Lieder gelernt. Aber die Warum Tambur? Hast du ein Lieblingslied? habe ich auch schon wieder vergessen. Das Dieses Instrument ist sehr wichtig in der Ich kann keins von den Liedern hervorhe- ist schon lange her. kurdischen Kultur. Es ist ein fester Bestand- ben, die ich mag. Alle kurdischen Lieder teil kurdischer Musik. Ich hörte es immer mag ich sehr, und ich spiele sie alle gerne. Hast du eine musikalische Familie? Spie- und überall seit meiner Geburt und liebe len noch andere in deiner Familie ein In- dieses Instrument. Wann und wo hast du zu Hause Tambur strument? gespielt? Im Kreis der Familie, bei Freun- Ich habe drei Brüder und eine Schwester. Hast du allein Tambur spielen gelernt den oder auf Hochzeiten? Zwei von meinen Brüdern machen auch oder mit einem Lehrer? In Syrien, bei Familientreffen oder wenn Musik. Meine Eltern nicht, aber auch sie Eigentlich hat mir mein Bruder das beige- sich Freunde treffen, singen wir oft zu- lieben Musik. Ja, Musik ist schon wichtig bracht. Er hat mir gezeigt, wie man damit sammen. Das ist selbstverständlich, und in meiner Familie. Aber ich denke, das ist spielen kann, und ich habe geübt, was er ich spiele dann häufig dazu. Ich spiele je- nichts Besonderes. Musik lieben ja alle. mir gezeigt hat. Erst nach mehreren Jahren doch viel mehr allein und für mich. Mu- sik ist für mich ein Hobby. Welche Wünsche hast du für die Zukunft? Ich habe keine Auftritte, ich Ich möchte vor allem Deutsch lernen und werde nicht als Musiker zu dann eine Arbeit finden. Wenn der Krieg Hochzeiten oder woanders in Syrien weitergeht, bleibe ich hier. Wenn eingeladen. Ich bin kein pro- wir zu Hause Frieden hätten, würde ich zu- fessioneller Musiker. Musik rückgehen. Ich habe keine großen Pläne. ist einfach ein Teil meines Ich möchte arbeiten und einfach leben. Lebens, meines Alltags. 'DV*HVSU¦FKI¾KUWH=VµĆD7LP£U Hast du hier in Deutschland ein Instrument? Nein, leider nicht. Mein Bru- der wohnt in der Nähe von

9 10 HEKTISCHE STILLE

Wie aus Kindern und Jugendlichen professionelle Musikerinnen werden – ein Blick hinter die Kulissen des Mädchenchores Hannover

Es ist 10 Uhr an einem Sonntagmorgen, der Spiegelreflexkameras lässt einen erah- sich in Reihen aufstellen und das Einsingen und von der Bühne des Opernhauses in nen, welche Bedeutung das bevorstehende beginnt. Jetzt weicht das muntere Gerede Hannover klingen glockenklare Stimmen. erste Konzert des Jahres haben muss. Man einem konzentrierten Arbeitsklima. Sie gehören den Sängerinnen des Mädchen- bekommt einen Eindruck davon, wie wich- chores Hannover, der an diesem Tag sein tig es auch für die Mädchen ist und wie sie Los geht es mit leichten Lockerungs- Neujahrskonzert im ausverkauften Haus sich entsprechend diszipliniert verhalten. übungen, die von der Chorleiterin genau singen wird. Gerade sind die Mädchen da- erklärt und begründet werden. Es folgen bei, in einer letzten Stell- und Lichtprobe Schon um 9 Uhr hatten sie sich an die- gesummte Quinten und schließlich Ak- ausgewählte Stücke noch einmal anzusin- sem Morgen im Chorsaal des Opernhauses kordbrechungen, die immer weiter ausge- gen. Immer wieder unterbricht Gudrun getroffen. Von Aufregung zu diesem Zeit- reizt werden. Die Soprane singen immer Schröfel den Chor, korrigiert und lässt punkt noch keine Spur. Die etwa 60 Mäd- höher, die Altstimmen immer tiefer, immer Passagen wiederholen. Die jungen Sänge- chen sitzen in Grüppchen und unterhalten voller und runder wird der Klang. Nach rinnen wirken dabei sehr geduldig. Ihre sich angeregt. Noch machen sie nicht den dem Einsingen macht Gudrun Schröfel Blicke sind nach vorn gerichtet, sie hören Eindruck, als beschäftigten sie sich mit dem noch letzte Ansagen zum Ablauf, geht alle konzentriert und leise zu und machen sich bevorstehenden Konzert. Entlang der Wän- Stücke theoretisch durch, weist auf fehler- Notizen in ihren Noten. Im Zuschauer- de stapeln sich Rucksäcke, Kleidersäcke trächtige Stellen hin und sagt noch einmal raum laufen mehrere Fotografen durch die und einzelne Kleidungsstücke. Die Stim- das Programm an. Reihen. Die Geräuschkulisse aus den Hin- mung wirkt fröhlich und gelöst, die Mäd- weisen Gudrun Schröfels, dem Kratzen der chen scheinen noch sehr entspannt zu sein. In diesem Moment wird es schlagartig et- Bleistifte auf dem Papier und dem Klicken Die Atmosphäre verändert sich erst, als sie was hektisch. Während vorn das Programm

11 Die Soprane singen immer diktiert wird, schreiben die einen mit, an- dere beginnen bereits mit dem Sortieren höher, die Alt- Nach etwa zehn Minuten hat die Stille der Noten in der Konzertmappe. Am Ende ein Ende. Die Mädchen klemmen sich die weicht die hektische Stille einem großen stimmen immer schwarze Konzertmappe unter den Arm Geraschel, als nun auch die Mädchen ihre und gehen gemeinsam nach unten zum Noten zu sortieren beginnen, die vorher tiefer, immer vol- Bühnenaufgang. Obwohl die Ruhe wieder nur mitgeschrieben haben. Das selbstge- regen Unterhaltungen gewichen ist, ist der schriebene Programm wird in das kleine ler und runder Druck noch immer spürbar. Unten ange- durchsichtige Fach auf der Innenseite der kommen, betreten die Mädchen mit rou- Konzertmappe geschoben, und die nicht wird der Klang. tinierten Schritten und unter Beifall die benötigten Noten werden im Rucksack ver- Bühne, wie sie es auch schon in China, Est- staut. land, den USA, Weißrussland, Slowenien, Plötzlich wird es still. Die jungen Sänge- England und vielen weiteren Ländern getan Nun geht es auf die Bühne zur Stellprobe. rinnen sitzen im Raum verteilt auf Stühlen haben. Auch hier ist den Mädchen noch keine Auf- und Stufen, die Mappe auf den Knien. Ab regung anzumerken. Zwar hören sie genau und zu raschelt es leise, wenn ein Mädchen Etwas unruhiger sind dagegen die Vor- zu, was ihre Chorleiterin erklärt, die Sopra- eine Seite umblättert. Es herrscht wieder chöre. Sie werden insgesamt fünf Stücke mit ne, die direkt hinter dem Flügel stehen, wit- eine Atmosphäre absoluter Konzentrati- den „Großen“ zusammen singen. Swantje zeln aber immer wieder mit Nicolai Krügel, on, sodass man kaum zu atmen wagt. „Wir Bein, die Leiterin der Vorklasse, fragt die dem Pianisten des Chores. Etwa 20 Minu- sind alle sehr geschult darin, vom Blatt zu „Kleinen“ nach der Reihe, in der sie stehen, ten später sitzen die Mädchen wieder im singen. Jede von uns weiß, wie ein Stück und lotst sie zum entsprechenden Bühnen- Chorsaal. Das Bild gleicht dem von heute klingt, bevor wir es gehört haben“, hatte aufgang. Die Nervosität merkt man ihnen früh, nur der Geräuschpegel ist lauter. Die Heide Müller, die mit ihren 20 Jahren zu dabei deutlich an. Es wird getuschelt, nervös morgendliche Müdigkeit scheint verflogen, den Ältesten gehört, zuvor erklärt. Obwohl mit den Armen geschlackert und noch ein es reden alle wild durcheinander, während man nichts hört, ist klar, dass die Musik in letztes Mal das T-Shirt mit der Aufschrift sich die letzten Mädchen ihre Konzertklei- diesem Moment in den Köpfen der Mäd- „Mädchenchor Hannover“ zurechtgezupft. dung anziehen. chen klingt. Das Getuschel wird regelmäßig durch ein ermahnendes „Pssssst“ der Betreuer durch- brochen. Als endlich alle stehen, tritt auch die Dirigentin auf. Sie verneigt sich vor dem Publikum, dreht sich zum Chor, wirft noch einmal einen Blick in ihre Partitur und hebt RENOMMIERTER ihre Arme. Der Applaus verstummt, es wird KONZERTCHOR schlagartig still. In dieser Sekunde ist die Spannung fast mit den Händen zu greifen. Der Mädchenchor Hannover ist ein Chor Es ist diese Art von Stille, in der man buch- mit internationalem Renommee. Er hat stäblich die Stecknadel fallen hören könnte. zahlreiche Wettbewerbe gewonnen und „In diesem Moment denke ich nur an die wurde vielfach ausgezeichnet, im Jahr 2010 Musik“, wird Gudrun Schröfel hinterher er- sogar mit dem Echo Klassik. Er ist vierstufig zählen. „Ich weiß, dass alles gut vorbereitet aufgebaut und besteht aus der Vokalen ist. Jetzt geht es nur darum, dem Ganzen Grundstufe, der Vorklasse, dem Nachwuchs- noch eines draufzusetzen.“ chor und dem Konzertchor. Junge Mädchen dürfen dadurch bereits mit etwa sieben Sie gibt den Auftakt, und das Konzert Jahren mitsingen. Geleitet wird der Konzert- beginnt. Die ganze Anspannung scheint in chor seit 1999 von Gudrun Schröfel, die viele diesem Moment einfach davonzufliegen. Jahre lang Professorin und Vizepräsidentin Auf den Gesichtern der Mädchen spiegeln der Musikhochschule war. sich Freude und Begeisterung für die Mu- Das Neujahrskonzert stellt für alle Mädchen sik wider, und auch beim Publikum schei- ein ganz besonderes Event dar. Nicht nur, nen sie mit ihren Stimmen Gefühle zu weil es das erste Konzert des Jahres ist und wecken. Sie variieren zwischen Pianissimo in der meist ausverkauften Oper stattfindet, und kraftvollem Forte, treten in solistischen sondern auch, weil es eines der wenigen ist, Gruppen nach vorne und wahren auch in bei dem alle Altersklassen zusammen auftre- den Pausen zwischen den Stücken, in de- ten dürfen. sk nen der Chor verstummt und das Publikum

1212 Die Blicke der Mädchen sind auf ihre Chor- OHLWHULQĆ[LHUW das Publikum ist totenstill. meist nicht zu klatschen wagt, die Haltung. leichterung an. Obwohl keine von ihnen Das ganze Konzert wirkt wie ein riesiger vor dem Konzert zugab, aufgeregt zu sein, Für Sekunden, Spannungsbogen. fällt jetzt doch sichtbar der Druck von ih- nen ab. Ihre zuvor sehr aufrechte Körper- die einem wie Auch nach dem Verklingen des letzten haltung wird auf einen Schlag lockerer und Tones hält Gudrun Schröfel ihre Arme entspannter. Sie schließen ihre Mappen und eine Ewigkeit noch ein paar Sekunden oben. Die Blicke nehmen sie wie zu Beginn des Konzertes der Mädchen sind auf ihre Chorleiterin fi- unter den Arm. Gudrun Schröfel verbeugt vorkommen, xiert, und sogar das Publikum ist totenstill. sich, deutet auf den Chor, der sich ebenfalls Für Sekunden, die einem wie eine Ewigkeit verbeugt, der Posaunenchor verbeugt sich, ist alles still. So vorkommen, ist alles still. So still, dass man die Solisten treten noch einmal hervor, und das Gefühl bekommt, das ganze Opernhaus auf allen Gesichtern liegt ein zufriedenes still, dass man wäre in Watte gepackt oder würde in einer Lächeln. Unter noch immer lautstarkem Luftblase schweben. „In diesem Moment Applaus verlässt der Chor die Bühne, nur das Gefühl be- war ich einfach nur glücklich“, schwärmt um gleich im Anschluss wieder in rege Un- Gudrun Schröfel später. „Wir hatten dieses terhaltungen zu verfallen. Gerade so, als kommt, das gan- Jahr nach den Weihnachtsferien nicht wirk- wäre nichts gewesen. lich viel Zeit zum Proben. Ich war nicht si- ze Opernhaus cher, ob die Mädchen konzentriert genug Sara Kuhlgatz sind und alles abrufen können, aber es hat wäre in Watte super geklappt. Ich bin wirklich zufrieden.“ gepackt oder Und so endet das Konzert wie es begann: mit Sekunden absoluter Stille. Erst, als die würde in einer Hände der Dirigentin sinken, geht eine Welle der Entspannung durch die Reihen. Luftblase schwe- Das Publikum bricht in tosenden Beifall aus, und den Mädchen sieht man ihre Er- ben.

13 „STILLE„STILLE FOLTER“FOLTER“

Es gibt wenige Dinge auf dieser Welt, de- Allgemeine Psychologie an der Universität seiner „Göttlichen Komödie“ bestand eine nen so viel Positives zugesprochen wird wie Kiel, weiß: „Stille Folter“ zielt vorrangig auf der Strafen darin, ewig an eine Glocke ge- der Musik. Musik verbindet, bringt Freude, Disziplinierung, Demütigung und Ernied- schmiedet zu sein, „deren gewaltige Schläge kann trösten, ja sogar heilen. Doch auch rigung und versucht, die soziale und kul- dem Pönitenten unaufhörlich durch Mark Musik hat eine Schattenseite. Die meis- turelle Identität ihrer Opfer zu zerstören. und Bein dröhnen“. Heute unterscheiden ten werden nicht glauben, dass sie auch Dazu gehört auch die Folter mit Musik. Forscher wie der emeritierte Professor für Folter bedeuten kann. Während Elektro- Psychiatrie Volker Faust zwei Formen von schocks, Vergewaltigungen und Verbren- Schon im Mittelalter wurden öffentliche Musikfolter: Die dauerhafte Beschallung nungen sichtbare Spuren bei ihren Opfern Hinrichtungen und andere Bestrafungen mit lauter Musik und das erzwungene Sin- hinterlassen, brennen sich bei „stiller Fol- musikalisch begleitet. Für Dante (siehe gen. Wobei Gefangene selten allein mit Mu- ter“ – wie Psychologen sagen – psychische auch unseren Beitrag „Nicht so laut bitte“) sik gequält werden; meist sind sie zusätzlich Grausamkeiten speziell in die Seele der war Lärm eine der schlimmsten vorstellba- Schlafentzug, extremen Temperaturen, Opfer ein. Rainer Mausfeld, Professor für ren Foltern überhaupt. Im Kapitel „Inferno“ Dunkelheit und unerträglichen Positionen

14 Musik kann nicht nur heilen und trösten. Sie kann, in Gefängnissen und Lagern, auch dazu dienen, Menschen zu drangsalieren, zu demüti- gen und zu zerstören.

abkommandierte Priester, zum Leichen- kräfte im Irak, Ricardo S. Sanchez, explizit einsammeln ein Requiem anzustimmen, auf. Musik ist ein besonders gutes Mittel um auf diese Weise das christliche Begräb- zum Zweck, da sie allgemein verfügbar und nisritual zu verspotten. Das Ziel all dieser leicht einzusetzen ist. Denn brauchbare Aktion war es, den Gefangenen seelische CDs und MP3s finden sich im Gepäck der Qualen zuzufügen und ihre Persönlichkeit, meisten Soldaten. Grüny versteht Musikfol- wenn es nicht schon über körperliche Folter ter letztlich als beliebige Form von Lärm, geschehen war, psychisch zu zerstören. bei der die Musik Platzhalter ist. Denn es werden sowohl aggressive Death-Metal- Auch heute wird immer noch und im- Lieder als auch harmlose Kinderlieder zur mer wieder mit Musik gefoltert. Der däni- Musikfolter verwendet. Das gesamte Reper- sche Musikanthropologe Tore Tvarnø Lind toire der Musikfolter entstammt, so Grüny, hat in einem Beitrag für den Band „Krieg der Popmusik mit ihren eingängigen Struk- singen“ (hrsg. v. Detlef Diederichsen und turen. Je schlichter und repetitiver die Mu- Holger Schulze) etliche Beispiele aus dem sik ist, desto eindringlicher scheint sie zu Irak nach den Anschlägen vom 11. Sep- sein, und es ist den Gefangenen unmöglich, tember 2001 gesammelt. So baute die CIA ihr aus dem Weg zu gehen. auf der Mosul Air Force Base in einem Schiffscontainer eine Musikfolterzelle, die Binyam Mohamed, eines der oft zitier- als „the disco“ bekannt war und weit au- ten Opfer von Musikfolter, berichtet, dass ausgesetzt. Deshalb nennt Christian Grüny, ßerhalb des Lagers in der Hitze der Wüste er in Afghanistan, gefesselt in einer licht- Privatdozent für Philosophie an der Uni- stand. Tony Lagouranis, der selbst Leiter losen, von Zementstaub verschmutzten versität Witten-Herdecke, Musikfolter auch des Verhörs in „the disco“ war, berichtet Zelle, ein und denselben Song 20 Tage lang eine „parallel angewendete Methode“. in seinem gemeinsam mit Allen Mikaelian am Stück hören musste. Er konnte sich der verfassten Buch „Fear Up Harsh: An Army Musik nicht entziehen und war gezwungen Erzwungene Musik – diese Folterme- Interrogator’s Dark Journey Through Iraq“ die Stücke auswendig zu lernen und die thode haben die Nationalsozialisten in den von den dort stattfindenden Verhören. Den Strukturen wieder und wieder nachzuvoll- Konzentrationslagern teuflisch perfektio- Gefangenen wurde ein Sandsack über den ziehen. Auf diese Weise geraten Gefangene niert. Häftlinge auf Befehl musizieren zu Kopf gezogen, während donnernde Death- in eine Bewegung, die keinen Raum für an- lassen, um sie zusätzlich zur körperlichen Metal-Musik gespielt wurde, die von dem deres lässt und jegliche Distanz unmöglich Gewalt zu drangsalieren und zu demütigen, metallischen Inneren des Containers zu- macht. Die eigene Aktivität wird zur Folter, war bei der SS besonders beliebt, schreiben rückgeworfen wurde, und Lagouranis sie da der Geist sich nicht gegen die andrän- Renate Funk-Hennings und Johannes Jäger anschrie. Er selbst musste das Verhör häufig genden Ansprüche des Zuhörens wehren in ihrem Buch „Rassismus, Musik und Ge- abbrechen, da die Musik ihn so sehr unter kann. Ruhal Ahmed, ein anderes häufig walt“. So mussten politische Inhaftierte wie Stress gesetzt hatte. zitiertes Opfer von Musikfolter, beschreibt die Schriftsteller Erich Mühsam und Carl die Wirkung mit den Worten: „It makes von Ossietzky oder der Rechtsanwalt Hans Auch Christian Grüny beschäftigte sich you feel like you are going mad. You lose Witten auf ihrem Fußmarsch in das Lager in seinem 2011 veröffentlichten Artikel the plot and it’s very scary to think that you Sonnenberg das Horst-Wessel-Lied singen. „Von der Sprache des Gefühls zum Mit- might go crazy because of all the music, be- Das war die Parteihymne der NSDAP und tel der Qual. Musik als Folterinstrument“ cause of the loud noise, and because after a fungierte als zweite deutsche Nationalhym- intensiv mit der Musikfolter der CIA (die while you don’t hear the lyrics at all, all you ne. Im KZ Buchenwald wurden die Häftlin- selbst von „no-touch torture“ spricht). In hear is heavy banging.“ ge bei Massenerschießungen gezwungen, den maßgeblichen Folterhandbüchern der Lieder zu singen, um das Krachen der Ge- CIA wurde Musikfolter lange Zeit nicht er- Christoph Kastrop wehrschüsse und das Geschrei der Opfer zu wähnt. Erst 2003 tauchte sie im Memoran- übertönen, und im KZ Dachau zwang man dum des Oberbefehlshabers der US-Streit-

15 &5(6&(1'2

Ein Exkurs über die steigende Lautstärke der Musik

Popmusik wird immer lauter. Wie das funk- sich unserer Umgebung an; ist die Musik der Wiedergabe stark oder weniger stark tioniert? Kompressoren sorgen dafür, dass von Anfang an lauter, müssen die Hörer sie komprimieren. Und wem die komprimier- ein Song voller klingt, obwohl der Maxi- nicht lauter drehen. Im sogenannten Loud- te Musik im Straßenlärm zu anstrengend malpegel des Stücks gleich bleibt. Dabei nesswar stritten beide Seiten jahrelang über wird, der macht sie einfach aus und horcht werden die höchsten Spitzen einer Tonspur diese Entwicklung. Richtig ist wohl, dass auf den urbanen Rhythmus der Baustellen- abgeschnitten, damit die Gesamtlautstärke durch den steigenden Lärmpegel in den hämmer. angehoben werden kann. So klingt alles Städten viele Menschen laute Musik bevor- insgesamt satter, aber auch die Unterschie- zugen, die sich gegen den Lärm durchset- Bruno Schubert de zwischen den lauten und leisen Stellen zen kann. Im stillen Wohnzimmer hinge- werden kleiner. gen kann einem die immer laut dröhnende Musik schnell den Nerv töten. Die geringe Dynamik führt nach Mei- nung vieler Kritiker zu weniger Differen- Warum sorgen nicht die Abspielgerä- ziertheit im Klang. Die Befürworter hinge- te für die Kompression? Je nach Umge- gen sagen: Die Lautstärke der Musik passt bungslautstärke könnten sie die Musik bei

JANA GROBE ALIAS „GOLDKIND“

16 „WIE EIN SCHWARZES

Stille im Gefängnis ist etwas Kostbares, aber auch bedrückende Last und Strafe

Stille kann je nach Kontext etwas an- in ihrem Leben bereits bewusst mit Auch Marcel weiß nur zu gut, wie es ist, deres bedeuten und andere Gefühle dem Thema Stille auseinandergesetzt nicht selbstbestimmt leben zu können. Be- auslösen, sie kann befreiend oder eben haben. reits mit 16 Jahren stieg er als Scheidungs- auch bedrückend sein. Doch wie fühlt kind in die Straßenkriminalität ein. Zu Be- es sich an, wenn man selbst nicht da- Dennis, 28 Jahre alt, kommt aus der Nähe ginn klaute er Autos, irgendwann verdiente rüber bestimmen kann, ob es still um von Trier. Momentan arbeitet er als Heil- er seinen Lebensunterhalt mit Schutzgeld- einen ist oder ob man von Lärm umge- erziehungspfleger. Vor fünf Jahren muss- erpressungen, und ein bewaffneter Raub- ben wird? Was löst ungewollte Stille te er für 30 Monate ins Gefängnis. Sieben überfall brachte ihm seine längste Haftstrafe oder Lärm in einem aus? Und was kann Monate verbrachte er in der Justizvollzugs- von fünf Jahren ein. Insgesamt saß er sechs- bewusst aufgesuchte Stille bewirken? anstalt Wittlich, danach kam er in den Of- mal in Haft. In den unterschiedlichsten An- Um diesen und weiteren Fragen nach- fenen Vollzug in die JVA Diez und wurde stalten, wie den JVA Stendal, Magdeburg, zugehen, suchte der „Saitensprung“ wegen guter Führung bereits nach 13 Mo- Dessau oder auch Hannover. Das letzte Mal das Gespräch mit Menschen, die wis- naten entlassen. In dieser gesamten Zeit 2014. Seitdem bemüht er sich um ein Leben sen, was es bedeutet, nicht selbstbe- wurde ihm sein Alltag von anderen Men- ohne Kriminalität, hat eine sechsmonatige stimmt leben zu können, und die sich schen vorgegeben. Drogentherapie hinter sich und holt mit 38

17 Jahren sein Abitur auf einer Abendschu- konnte sich etwas beruhigen, mit dem Wis- Ablenkung war für ihn die Musik. Er er- le nach. Die Kraft, nach 20 Jahren mit der sen, tatsächlich von niemandem gestört zu zählt, dass ihn Musik schon immer durch Kriminalität aufzuhören, gewann er dank werden. Viele Gefangene empfänden die sein Leben begleitet habe und er mit den einer Psychologin, eines Seelsorgers und Geräuschkulisse als furchtbar, sie wirke meisten Liedern eine Erinnerung verbin- der ständigen Auseinandersetzung mit sich einschüchternd. Auf den sogenannten Pis- de. Im Gefängnis ist es nur möglich, Mu- selbst, umgeben von nichts außer Stille und ten, den verschiedenen Stockwerken, die in sik zu hören, wenn man sich mit seinem seinen Gedanken. der Mitte offen sind und so den Blick in die am Tag erarbeiteten Geld einen Fernseher anderen Stockwerke ermöglichen, domi- mietet, mit dem man auch Radioprogram- Als Dennis erzählt, wird me empfangen kann. Einfach schnell klar, dass Momente im seiner Lieblingsmusik zu lau- Gefängnis, in denen man für schen, um den kalten Mauern sich allein ist, eine Seltenheit zu entfliehen, gestaltete sich als sind. Vormittags müssen die schwierig. Dennis versuchte es Gefangenen einer Arbeit nach- trotzdem immer wieder, mit gehen, nachmittags ist eine der Musik, die ihm zur Verfü- Stunde Rundgang für alle, und gung stand, schaute viel VIVA die restliche Zeit verbringt der und hörte die Charts. Gefangene in seiner Zelle. Je- doch nicht unbedingt allein. „Die Zelle ist kein angeneh- Dennis musste sich öfter die mer Raum. Man vergisst nie, Zelle mit weiteren Insassen wo man ist. Immer dieses helle teilen. Zur Ruhe kam er selten. Neonlicht, diese ekligen Ma- „Da ist immer eine Grundan- tratzen und das Geschrei von spannung in dir.“ Denn ent- draußen.“ Was ihm am ehes- weder musste er den strikt ten seine Anspannung nehmen vorgegeben Aufgaben als Haus- konnte, war eine Meditations- arbeiter nachgehen, wie beispielsweise Es- niere meistens ein sehr lauter, männlicher gruppe, die ein Pastor wöchentlich anbot. sen ausgeben und die Duschen und Toilet- und oft auch beleidigender Ton. Für neue In dem verabredeten Raum durfte nicht ten putzen, oder er saß mit einem Fremden Insassen könne das zum Schockerlebnis gesprochen werden. Der Pastor schlug eine in einer Zelle. werden, und viele könnten erst aufatmen, Klangschale an, dann liefen alle acht Teil- wenn abends das Brett an der Tür ver- nehmer ein paar Runden im Raum umher. Auf die Frage, welche Geräusche Dennis schlossen wird. „Die Zelle beschützt einen Danach setzten sich alle und versuchten, zu mit dem Gefängnis assoziiert, antwortet er paradoxerweise“, erklärt Marcel, der die meditieren. Dieser Ablauf wiederholte sich prompt: „Den Schlüssel. Den Zellenschlüs- meiste Zeit eine Zelle für sich allein hatte. regelmäßig, und die Zeit des Meditierens sel. Egal, wo du durchgehen wolltest, vor Mit 16 Jahren fand er es schrecklich, allein verlängerte sich nach und nach. Alle Betei- dir ging die Tür mit diesem Geräusch des zu sein, und fühlte sich einsam, doch das ligten nahmen diese Sitzungen sehr ernst, Schlüssels auf und hinter dir direkt wieder Gefängnis hat ihm beigebracht, sich selbst denn es gab sonst wenige Möglichkeiten, zu.“ Auch ständige Durchsagen, perma- ertragen zu können. Er wollte dem Lärm sich zu entspannen. nentes Gequatsche und das Klappern an des Gefängnisses so oft es ging entfliehen den Fenstergittern sind für Dennis Dinge, und ließ sich dafür von einem Seelsorger Auf die Frage, wie er dem Gefängnislärm die für ihn zu diesem, wie er ihn beschreibt, heimlich in die Kapelle bringen. „Dort war entflohen sei, wenn er nicht in die Kapel- kalten Ort Gefängnis, voller trauriger Ge- ich eine Stunde eingesperrt, ohne klap- le konnte, kommt Marcel ebenfalls auf das stalten und ohne Harmonie und Freude, pernde Schlüssel. Die Stille hatte etwas Thema Musik. Er zeichnete gerne Mix- dazugehören. Heilsames für mich.“ Tape-Kassetten auf, um nicht nur von dem laufenden Fernseh- und Radioprogramm „Man hört ständig das Rasseln der Wenn Dennis von seiner Anspannung abhängig zu sein. Manchmal gab es im Schlüssel, ständig das Auf- und Zuschlie- im Gefängnis erzählt, ist deutlich zu spü- Gefängnis auch kleine Konzerte von Mu- ßen und das Zufallen der Metalltüren“, er- ren, wie diese ihn komplett eingenommen sikern, zu denen er sich anmelden konnte. innert sich auch Marcel. Für ihn ist das Ge- hat. Er suchte sich verschiedene Wege, um Zudem beteiligte er sich in der JVA Hanno- fängnis ein unglaublich lauter Ort. „Wenn diesem Gefühl zu entkommen. Er nutz- ver an einem ehrenamtlichen Radioprojekt es Inseln der Stille und Ruhe gab, waren sie te die Möglichkeit, zweimal in der Woche des Senders Leinehertz 106.5. Eine Stunde immer angenehm und so selten, dass Stil- Sport zu treiben. Eine Stunde Badminton lang wird jeden Monat direkt aus dem Ge- le als Luxus empfunden wurde.“ Nur zwi- und eine Stunde Laufen. „Draußen an den fängnis gesendet. Gefangene dürfen Mu- schen Mitternacht und drei Uhr morgens Knastmauern entlang. Das waren schöne sikwünsche äußern und das Programm hat Marcel das Gefängnis als still erlebt und Momente, schöne Stunden.“ Eine weitere inhaltlich mitgestalten. Marcel berichtete

18 dann von seinem Job in der Küche und no geplagt. Ich malte mir aus, was mir an den ersten Tagen wollte Marcel das Semi- erklärte, wie sein Tagesablauf aussah. Die diesem Ort für schlimme Sachen passieren nar am liebsten abbrechen. Die Gedanken aktive Teilnahme an diesem Programm könnten.“ Ein unmittelbarer Ansprech- und die Stille waren unerträglich. Doch er und der Kontakt zu Nicht-Gefangenen partner fehlte. Diese Stille füllte er nach schaffte es, weiterzumachen und dieser ex- waren eine erfreuliche Abwechslung. Die und nach mit seinem Glauben, er schaffte tremen Form der Reflexion standzuhalten. meisten Gefangenen sind darum bemüht, sich imaginäre Personen und machte sich „Das ist das Sinnvollste, was mir nach acht ihrem Gefängnisalltag zu entfliehen und Gedanken über Gott. Er hörte nachts gerne Jahren Haft widerfahren ist“, erklärt er heu- suchen hierfür individuell ihre Wege. Mar- in sich hinein und verspürte immer mehr te. Die Auseinandersetzung mit sich selbst cel kritisiert jedoch, dass die Angebote, die das Bedürfnis, alles zu reflektieren. So kam ist für ihn oft wichtiger, als Gespräche mit geschaffen werden, sehr gering sind. Ein es, dass er im Januar 2015 für eine Woche Sozialarbeitern zu führen. Die Stille hat Projekt wie das des Radiosenders Lein- in die JVA Sehnde ging, um an einem NAI- eine entschleunigende Wirkung. „Sie ver- ehertz 106.5 sei auf keinen Fall die Regel, KAN-Seminar teilzunehmen. NAIKAN schafft dir einen Weitblick. Der normale sondern die Ausnahme. „Selbst das Thera- (NAI - Inneres, KAN – beobachten) ist ein Alltag drückt dir oft eine gewisse Kurzsich- pieangebot ist zu wenig. Man muss lange in Japan weitverbreitetes Meditationsver- tigkeit auf.“ Zudem wurde er sieben Tage darum kämpfen und alle überzeugen, dass fahren, das meditative und psychologische lang immer mit einer Verbeugung begrüßt, man sich ernsthaft verändern will, bevor Aspekte vereint. Es geht darum, sieben und sein Leiter erklärte ihm, dass es ihm man ein psychologisches Programm in An- Tage in Stille zu verbringen, ohne jegliche wichtig sei, vor jedem Menschen Respekt spruch nehmen kann.“ Ablenkung. In dieser Zeit beschäftigt man zu haben. Er fühlte sich nicht mehr nur wie sich mit Personen, die einem sehr wichtig der Abschaum, der Loser, sondern voll- Stille erscheint in den Gesprächen mit sind. Man stellt sich drei Fragen: Was hat wertig. Für Marcel ist dieses Seminar sehr Marcel und Dennis als etwas unfassbar diese Person für mich getan? Was habe ich wertvoll gewesen. Aus Niedersachsen durf- Kostbares im Gefängnis – als eine Art Lu- für diese Person getan? Was habe ich dieser ten insgesamt fünf Häftlinge daran teilneh- xusgut. Lärm, typische Geräusche und ihr Person für Schwierigkeiten bereitet? Zwei men. Versuch, dem Ganzen zu entfliehen, domi- Stunden lang beantwortet man sich diese nieren in ihrer Erinnerung an diese Zeit. Fragen für eine erlebte Zeitspanne von drei Nach seiner Haftentlassung verreiste Doch war die Stille ausschließlich gut? Jahren. Ein NAIKAN-Leiter sucht einen Dennis für zwei Wochen nach Osteuropa. Dennis hat die Stille die meiste Zeit als Ent- nach diesem Prozess auf, und man beant- Er war zelten. „Ich habe die Stille und Ein- spannung empfunden. Doch das war nicht wortet ihm diese drei Fragen in fünf Minu- samkeit genossen. Das erste Mal draußen immer so. An seinem ersten Tag im Ge- ten. Er nimmt die Erzählungen nicht wer- im Wald zu schlafen ist ein tolles Gefühl.“ fängnis überkam ihn eine ande- Heute sagt er, nimmt er die re Art der Stille. Er beschreibt kostbare Stille nicht immer so diesen Tag, als sei es gestern ge- deutlich wahr. Jedoch hat er, wesen, als er mit seiner Tasche wie schlimm es auch im Ge- am Gefängnis klingelte, sich fängnis war, einiges dazuge- noch einmal umdrehte, in die lernt. Bei seiner Arbeit mit be- Ferne sah und dann hineinging. hinderten Menschen nimmt er Wie die Tür hinter ihm zuging, sich für alles noch mehr Zeit als er seine Gefängniskleidung zuvor. „Ich weiß nun, wie es ist, anziehen musste, wie er von A wenn man nicht mehr selbstbe- nach B geschoben wurde, ohne stimmt leben kann, und was das zu wissen, was als Nächstes fol- in einem auslösen kann.“ gen werde, und plötzlich allein in einer Zelle stand. „Dann Für Marcel hat das NAI- sitzt du da auf einem Stuhl und KAN-Seminar dazu beigetra- weißt nicht, wie es weitergehen gen, dass er die Stille heute als soll. Zum ersten Mal in der Zel- guten Freund bezeichnet. „Die- le, war die Stille wie ein schwar- ser Freund kann aber auch ein zes Loch.“ Dennis beschreibt seine damals tend auf und gibt die Anleitung, sich für die Arschloch sein. Denn die aufrichtige Aus- gefühlte Hilflosigkeit. Alles erschien ihm so nächsten drei Jahre dieselben drei Fragen einandersetzung mit sich selbst ist oft auch surreal, und ihm wurde klar, dass er nicht zu dieser Person zu stellen. Diese Übung unangenehm. Es ist nicht immer schön, mehr frei war. In diesem Moment empfand durchläuft man bis in die Gegenwart. Da- was man da sieht. Aber es bringt dich im- er die Stille als Last und Strafe. nach wendet man sich einer neuen Per- mer zum Wesentlichen zurück.“ son zu. Der Leiter versorgt einen darüber Für Marcel war es ähnlich. „Ich lag die hinaus mit Essen und ist die einzige Kon- Jana Rebellato erste Nacht wach und wurde von Kopfki- taktperson in diesen sieben Tagen. Nach

19 THE SOUND OF

THE SIDEWALK

20 Calling Hanover “The city of music” is pro- fact that nobody was there anymore to listen front of a hundred strangers. Especially mu- bably banal. That music is a big part of this and that I was the only spectator of this ama- sic students enjoy using the old town as a place is pretty obvious: from the the philhar- zingly passionate musician’s performance. testing ground for experimenting with new monic orchestra up to the number of great synergies and styles. artists who perform on stage at the TUI Are- I wanted to know more about him, so I na; not to mention the performances of the waited and waited until he stopped to take During Christmas time, the music scene students of the “Hochschule für Musik, The- a breath. “I am a social researcher, a painter becomes even more alive and dynamic. ater und Medien”, or the familiar Irish pubs AND a musician, young lady”, he told me. “I While wandering around the Christmas that occasionally give young talents a chance come here to practice, I don’t care if nobody market, sipping hot spiced wine, I caught to perform and delight those who go to have is listening or if I don’t make money out of myself softly singing an Italian song that I a couple of beers. it. I just love doing it. Do you know the jazz had just heard off in the distance. “Wait. I club? I am a member of it and tomorrow I am still in Germany. Where does this come But that’s not all that grants Hannover its will perform live in a band. I need to practi- from?”, I thought. I instantly started looking artistic fame. I didn’t find the heart of music ce”. He smiled and went back to his music as around as I tried to make it through the on those stages, sitting on the red seats of the I moved to give him more space. crowd, fearing to arrive too late to enjoy a Opera; instead I found it on the sidewalks few more strophes of that familiar melody. of the town, under the colonnade of the city I am still convinced he is one of the most Finally, I made it and was in front of the centre, hiding in the corners of the Markt- eccentric characters I have ever met here. cheerful group. It was a trio composed of kirche. Sometimes music was a homeless Now, when I think about the word “artist” I two boys and a girl. They were playing jazz person playing on an old acoustic guitar, so- cannot help but recall his colorful tie, almost songs belonging to the Italian tradition, and metimes it was a young student performing touching the floor, with his homburg hat they were just stunning. popular pieces, or even a gifted child practi- about to fall off his head, intensely hunched cing in public to overcome his shyness. Mu- over the shiny instrument. The girl, who as a singer was leading the sic never leaves the streets of Hannover. performance, looked so confident while she But one day, while on a stroll around gracefully kept time to the music with her Locals are so used to it that they would “Markthalle”, I got the chance to assist in shoulders. Every now and then she would often just drop some change without really one of the cutest scenes ever. A young boy, use her hands to accompany her scat sin- paying attention to the music, an automa- no older than 6 or 7, was carrying a case that ging, some sort of subtitle to the jazz artists’ tic response to reward those who create the almost made him invisible, leaving only the inexplicable language. soundtrack of the passersby lives. pompon of his beenie visible as he tried to make his way through the crowd. A few me- Later, I discovered that all of them were Of course, this is not always the case: some ters behind him, a man in his fifties, presu- students at the Hochschule für Musik, The- people don’t mind spending a few minutes mably his father, was holding a music lec- ater und Medien Hannover, and that they listening, maybe even improvising a few tern. “Hier ist es gut”, he said out loud. were there to rehearse some pieces. “I love dance steps, especially lovers and toddlers. I singing in the streets: if I had the time, I remember this very old lady, in a huge cana- I stopped and stood for a couple of mi- would do it every day. It always gives me a ry yellow coat, keeping the beat with her feet nutes to see what was going on. As the fa- new feeling and sometimes it even leads to and hands, while a jazz trio played “Miles- ther helped him with the sheet music, the interesting engagements”, she told me. And tone” by Miles Davis. Nonetheless, most of child positioned his violin on his neck, that’s exactly what all of those street artists the time artists don’t seem to care too much took a breath and looked up with big scared share; sure, if you ask them, at some point whether there is someone listening or if they eyes. His dad patted him gently on the head they will admit they are glad to gain a bit of are just playing for themselves, and maybe and took a step back. As the notes spread money (who wouldn’t be, after all?) but sel- that’s exactly what makes their performan- through the streets, everyone’s gaze turned dom is money that which guides their inner ces so intriguing. to the blonde head of the toddler who was desire to express themselves. growing more and more confident with eve- For example, on a cold January evening, ry note. I came closer to the father who was The thing is, if once in a while you just when even the city center was silent, as the happy to share his son’s story with me. “He take the time to stop, you will see that streets emptied and the houses fill up, I heard is studying hard to become a musician, a vi- Hanover’s street music scene is like a collec- the sound of a saxophone. While I followed olinist. But there is this problem with him tion of a million unique stories whose prot- the notes of that melody that sounded like a playing in public. He is too shy”. agonists never get tired of telling it through sweet lullaby meant to soften the dreams of their notes. a dormant Hannover, I saw him. There, just If I learnt something in Germany, it’s that in front of the central station, stood this old people do their best to overcome their limits Elisa Tarabichi man playing jazz. He was totally lost in his and to become stronger. Even if that means ERASMUS student from Italy own world and didn’t seem to care about the pushing your overly shy kid into playing in

21 7 UHR: DUSCHEN UND MUSIK VOM TABLET

Finden wir Stille in unserem Alltag? Suchen wir Orte der Mein durchschnittlicher Tag fühlt sich laut an (was ja teilweise Lautlosigkeit oder meiden wir sie absichtlich? Fehlt uns die gewollt ist). Ich bemerke die Last der Lautstärke aber immer erst Stille überhaupt? Ein Student (konstruktiver Ingenieurbau, abends, wenn ich nach Hause komme. Dann macht es mich sehr 25 Jahre alt) und eine junge Mutter (Lehrerin, 33 Jahre alt) müde, und ich falle ins Bett (neben dem Fernseher). haben sich darauf eingelassen, einen Tag lang für den „Sai- tensprung“ Protokoll zu führen. Beide haben aufgezeichnet, was sie alles an einem ganz normalen Tag hören, und beson- Die Mutter ders darauf geachtet, ob und wann sie Phasen von Stille er- leben. Hier ihre Aufzeichnungen und Erläuterungen: 06:40 – 07:30 Beim Fertigmachen im Bad Musik hören mit dem Handy (YouTube). 07:30 – 08:00 Musik hören während der Fahrt zur Schule (Ar- Der Student beit) mit dem Handy (meine Playlist). 08:00 – 10:05 Musikunterricht: Hören und Singen von Liedern. 06:30 – 07:00 Bett – Aufstehen – Wecker überhört, Freundin 10:05 – 11:25 Vertretungsunterricht: Die Schüler unterhalten weckt mich 30 Minuten lang. sich, singen und hören mit ihren Handys Musik. 07:00 – 07:15 Bad – Duschen – Musik vom Tablet. Ich lasse sie machen, was sie wollen, da es die 07:15 – 07:35 Küche – Frühstücken – Gespräch mit Freundin. letzte Stunde vor den Ferien ist. 07:40 – 08:00 Fahrradweg zur Uni – Verkehrslärm und Fahrt - 11:25 – 12:00 Fahrt mit der Bahn: Leute unterhalten sich oder wind. telefonieren mit ihren Handys. 08:00 – 13:00 Uni – Vorlesungen hören. 12:00 – 13:00 Termin beim Studienseminar: Gespräch mit dem 13:10 – 13:50 Mensa – Essen gehen – viel Lärm von anderen Seminarleiter. Menschen. 13:00 – 13:45 Kurzes Treffen mit meinem Freund: Unterhaltung. 14:00 – 14:30 Weg zur Arbeit – unterwegs in der Bahn – Reden, 13:45 – 15:45 Uni Seminar: Zuvor Treffen mit einer Freundin und Husten und Niesen von anderen Fahrgästen, gemeinsames Gespräch mit unserer Professorin. Bahngeräusche und Durchsagen. 15:45 – 18:00 Ich gehe meine Tochter abholen: Gespräch und 14:30 – 20:00 Büro – Arbeiten – Gespräche mit Kollegen,Tele- Beschäftigung mit meiner Tochter. Fleur guckt fonate, Tastenanschläge am PC, Radiomusik ein bisschen Fernsehen. und Staumeldungen. 18:00 – 22:00 Kochabend in der Katholischen Hochschul- 20:00 – 20:30 Heimweg – Bahn fahren – noch mehr Husten und gemeinde: Gespräche mit vielen Leuten. Niesen, Durchsagen und Fahrgeräusche, ich tele- Es wird Musik gespielt und auch Musik am foniere auf dem Heimweg immer. Klavier gemacht. Vor dem Essen singen alle 20:30 – 21:10 Küche – Abendessen – Musik vom Tablet, Wasser- zusammen. kocher, Kochgeräusche, Gespräche mit Freun- din, danach Abwaschen. An diesem Tag habe ich wenig Stille gefunden. Ich habe sie aber auch 21:10 – 22:00 Arbeitszimmer – Arbeit am PC, E-Mails etc. – nicht bewusst gesucht oder vermisst. Manchmal fühle ich mich un- nebenbei Netflix. läuft behaglich, wenn es still um mich herum ist. Ich bin Geräusche ge- 22:00 – 23:00 Bett – Netflix am Tablet. wohnt. Ich höre viel und gern Musik. Ich tue dies bei den meisten meiner Aktivitäten. Sogar beim Lernen höre ich Taizé-Lieder, da sie mich beruhigen und ich mich besser konzentrieren kann. Da ich eine Stille im Alltag habe ich sehr wenig. Möglich wäre sie auf dem Weg kleine Tochter habe, ist Stille für mich eher bedrohlich. Wenn kleine zur Arbeit oder zu Hause. Dabei gehe ich der Stille aber aus dem Kinder still sind, schlafen sie oder sie machen Unsinn. Fast alle meine Weg. Sobald ich ins Bad gehe, höre ich Musik. Bin ich in der Küche Tage fühlen sich laut an, da ich Lehrerin bin und, wie gesagt, eine oder dem Arbeitszimmer, schaue ich nebenbei fern. Bin ich unter- kleine Tochter habe. Kinder sind so gut wie nie still; besonders dann wegs, telefoniere ich mit meiner Familie oder Freunden, weil ich nicht, wenn mehrere zusammen sind. Ich meide die Stille nicht, aber dafür endlich Zeit habe. Ich weiß nicht, wieso ich der Stille aus dem es ist oft einfach nicht möglich für mich, Stille zu finden. Weg gehe. Vielleicht ist es Langeweile, vielleicht komme ich nicht mit Stille klar. $XIJH]HLFKQHWYRQ=VµĆD7LP£U

22 „MUSIK NUR WENN SIE LAUT IST“

Katrin Helmerichs-Naujok leitet Tanzgruppen mit gehörlosen Schülerinnen und Schülern

Musik ist die Sprache der Gefühle. In Zei- Projektphase mit einer öffentlichen Auf- geboten“, sagt Katrin. Das liegt ihrer Mei- ten der Stille und Nachdenklichkeit mögen führung abschließt. Dabei handele es sich nung nach nicht nur an fehlenden Geldern, wir sie leise. Sie lässt uns träumen, hoffen, ausdrücklich nicht um eine Therapiemaß- sondern auch daran, dass viele Lehrerin- erinnern. In anderen Momenten mögen nahme, betont sie; es gehe vielmehr darum, nen und Lehrer nur wenig Vertrauen in die wir sie gern laut, und sie bewegt uns zum Jugendlichen „Normalität“ zu ermögli- Fähigkeiten der gehörlosen Jugendlichen Tanzen. Musik ist vielfältig und kann uns chen. „Leider wird den Schülerinnen und hätten. „Das sind junge Teenager mit den so viel geben, auch wenn wir die Grün- Schülern zu wenig in dieser Richtung an- gleichen Problemen: sich verlieben, Justin de nicht immer genau benennen können. Aber was ist mit jenen, denen es verwehrt bleibt, Musik so zu hören, wie wir es tun? Wie gehen sie mit der dauerhaften Stille um? Sehnen sie sich überhaupt nach Musik – etwas, das sie vielleicht nie in seiner gan- zen Fülle und seinen einzelnen Elementen erleben können?

Katrin Helmerichs-Naujok ist Choreo- grafin an der Staatsoper Hannover, gibt Musiker-Coachings und leitet Projektgrup- pen für Kinder und Jugendliche, die gern tanzen lernen möchten. An der Hochschu- le für Musik, Theater und Medien Hanno- ver hat sie ein Studium der Tanzpädagogik absolviert, das sie derzeit durch ein Studi- um der Sozialen Arbeit ergänzt.

Das Tanzprojekt mit gehörlosen Jugend- lichen kam erstmals zustande, als Lehre- rinnen und Lehrer einer Förderschule für Gehörlose in Hannover mit dem Wunsch nach einem Projekt mit Körpererfahrun- gen – etwas Neues für ihre Schülerinnen und Schüler – auf sie zukamen. Mittlerwei- le ist der Kurs zu einer festen Einrichtung geworden. Ein halbes oder ein ganzes Jahr arbeitet Katrin eineinhalb Stunden pro Woche mit den Jugendlichen, bevor die Bieber als Idol haben. Warum sollten sie signale an das Gehirn zu übertragen). Über Tanzstunden auf den Boden, damit man nicht tanzen und Musik machen können?“ Sprache zu kommunizieren ist ihnen nicht die Bässe und den Rhythmus körperlich Die Jugendlichen hätten ihre Lieblingsgen- möglich. Daher rückt die Kommunikati- wahrnehmen kann. Je lauter die Musik ist, res, sähen sich YouTube-Videos an und on über andere Sinne, insbesondere über desto mehr kann man sie spüren. Das Lied machten Vorschläge, zu welchen Liedern den Blickkontakt, in den Vordergrund: „Musik nur, wenn sie laut ist“ von Herbert sie gerne tanzen wollten. Genau wie Ju- „Man muss sich wirklich bewusst dazu Grönemeyer bringe deshalb ziemlich gut gendliche, die normal hören können. entscheiden, mit jemandem zu ‚reden‘. Du auf den Punkt, was sie nach den Tanzstun- kannst das nicht einfach so mal neben- den mit den gehörlosen Jugendlichen emp- Dennoch muss Katrin natürlich einige bei machen.“ Auch Katrin muss sich das finde, sagt Katrin. pädagogische Besonderheiten und Her- während der Tanzstunden immer wieder ausforderungen beachten, wenn sie mit bewusst machen, denn im Tanz arbeitet Christoph Kastrop Gehörlosen eine Tanz-Choreografie ein- man normalerweise mit dem Rücken zu studieren möchte. Auch für sie war das den Teilnehmern, im „Back-To-Face“, mit zunächst eine ganz besondere Erfahrung, Blickrichtung zum Spiegel. Die Herausfor- da sie zuvor nicht mit Menschen mit Hör- derung sei, nicht in „alte Gewohnheiten“ beschwerden gearbeitet hatte. Aber einen zu fallen und den Blickkontakt zu verlie- grundsätzlichen Unterschied zu ihrer Ar- ren, beispielsweise bei einer Tanzfigur mit beit in anderen Projektgruppen hat sie Blick auf den Boden. dennoch nicht wahrgenommen: „Nur wir ziehen diese imaginäre Grenze. Die tun Aber woran orientiert man sich als Ge- das nicht.“ Die Jugendlichen brächten ihr hörloser in der Musik? Katrin erklärt, dass große Wissbegierde entgegen und seien die Jugendlichen sich in erster Linie auf dankbar für die Normalität, die sie durch den Rhythmus konzentrierten. Was uns die Tanzgruppe erfahren. Katrin wiederum im Alltag häufig gar nicht mehr so auffalle, ist dankbar dafür, dass sie viel von den Ju- sei die Allgegenwart von Rhythmus in un- gendlichen lernen kann. serem Leben. Es gebe den Atemrhythmus, den emotionalen Rhythmus, den Biorhyth- Katrins Schülerinnen und Schüler sind mus und natürlich den Herzrhythmus. In Gehörlose, Schwerhörige sowie Coch- der Musik bilde der Rhythmus Struktur lea-Implantat-Träger (eine elektronische und Wiederholungen. Doch dafür muss Hörprothese, die die Funktion des ausge- man Musik nicht unbedingt hören. So fallenen Innenohrs übernimmt, um Audio- stellt Katrin die Musikanlage während der

24 VERSTAUBTER REGELKATALOG

Zu einem gelungenen Konzert gehören gleich soll der Gang ins klassische Konzert Die Kleiderfrage konnte und kann eben- scheinbar viele Regeln. Wann darf ich für erstmalige Besucher nicht zur Mutprobe falls eine Barriere sein. Aber auch hier zeich- klatschen? Was ziehe ich an? Darf ich werden. net sich allmählich Entspannung ab. Durch- etwas trinken während der Auffüh- aus sympathisch gibt sich das Konzerthaus rung? Doch ein „Konzert-Knigge“ ist Als Daniel Hope vor acht Jahren das Buch Wien und schafft es, pragmatisch und mit heute nur bedingt sinnvoll. „Wann darf ich klatschen?“ veröffentlichte, Witz den Konzertbesuch zu entmythisieren: war der Großteil der Konzerthäuser schein- „Zur Bekleidung im Konzert ist prinzipiell Bei der Suche nach Benimmregeln im bar noch nicht bereit, seinen Verhaltensko- zu sagen: Ja.“ Konzert erweist sich das Internet als gute dex anzupassen. Der Solo-Violinist und Au- Hilfestellung. Sowohl allgemeine Klassik- tor Hope berichtet von strafenden Blicken, Die Konzerthäuser sind also durchaus of- Webseiten als auch die Internetpräsenz von die dem allzu enthusiastisch reagierenden fen für Neues, lockern ihre Strukturen und Konzerthäusern helfen dem unerfahrenen Zuhörer beim Applaus zwischen den Sätzen entwickeln neue Konzepte. Warum sich Konzertgänger dabei, sich eine Vorstellung einer Sinfonie zugeworfen wurden. Mit dem die Abschaffung der starren Regeln bislang von den Regeln zu machen, die für den Kon- Erscheinen dieses Buches sowie weiterer Li- noch nicht herumgesprochen hat, ist frag- zertsaal gelten. Diese reichen von der pas- teratur in ähnlicher Manier muss ein Um- lich. Womöglich braucht es eine offensive- senden Kleidung bis zum angemessenen Ap- denken in den Konzerthäusern eingesetzt re Herangehensweise, um dies den Leuten plaus während der Aufführung. Allerdings haben. näherzubringen, und womöglich könnten sind viele dieser Regeln eher als ungefähre Kontrastprogramme hier helfen. Während Richtlinien formuliert: „Um den Musikfluss Während also in den Konzertsälen die es sogar schon offene Konzerte gibt, die aus voll und ganz genießen zu können, empfiehlt Regelkataloge unter den Sitzreihen hervor- dem Saal hinaus und auf eine Wiese zum es sich, eher am Ende einer geschlossenen geholt und von einer dicken Staubschicht Sonntagspicknick verlegt werden, könnte Musiknummer zu klatschen. Wer aber so befreit werden, müssten sich die Mitarbei- eine Veranstaltungsreihe begonnen werden, begeistert ist, dass er es einfach nicht mehr ter der Konzerthäuser nun aber auch daran die eine Inszenierung des traditionellen Re- aushält, bis zum Schluss zu warten – der soll machen, den Ursprung des Konzert-Knigges gelkatalogs vorsieht. Also eine Veranstaltung seinem Jubel freien Lauf lassen“, schreibt die in verständlicher Sprache zu erklären. Denn für die Hardliner unter den Operngängern. Komische Oper Berlin auf ihrer Webseite. eine etwaige Unattraktivität des Konzertbe- Die Mobiltelefone müssen am Eingang ab- suchs für Neulinge wird auch von dem Bild gegeben werden, die Damen erscheinen im Damit relativieren die Konzerthäuser ihr genährt, eine unverständliche, fremde Welt Abendkleid, die Herren geben den Pinguin, Verhältnis zur Tradition – verwehren ihr zu betreten. Dass beispielsweise zwischen und mit einem zwinkernden Auge (oder aber nicht vollends die Bühne. Es ist ein mehreren Sätzen nicht geklatscht wird, geht auch nicht) lassen sie ganz sittsam die Tradi- Kompromiss, der hier von den Verantwort- auf den Gedanken zurück, dass die Summe tion hochleben. Für die „Generation Smart- lichen der Öffentlichkeitsarbeit eingegangen aller Teile mehr sei als jeder Teil für sich. phone“ würde ein solches Konzept übrigens wird. Er soll die langjährigen Abonnenten Demnach entfaltet das Musikstück erst in auch funktionieren. Der Titel der Veranstal- nicht aus ihrer vertrauten Kulturstätte ver- seiner ungestörten Gesamtheit die komplet- tung: „Detox in der Oper“. schrecken, die sich mit allzu legerem Auf- te Wirkung – das Klatschen würde also zwi- treten der Jüngeren konfrontiert sähen. Zu- schendurch stören. Sarah Wahnelt

25 AUSGESTRICHEN26 27 EINMAL STUMM BITTE!

„Klar kann ich einen Horrorfilm gucken! Horrorfilme stoßen allgemein auf viel noch nach dem Weg gefragt hat, zu bear- Mit voller Beleuchtung. Bewaffnet. Und Zuspruch. Gern geht man mal wieder mit beiten. Die Filmindustrie investiert auch ohne Ton.“ Jeder hat es schon einmal getan. seinen Jungs ins Kino, um einen „richtig in diesem Sektor in aufwendige Produk- Bei einer furchtbar angsteinflößenden Sze- heftigen Schocker“ zu gucken. Gern hält tionen, um das Ergebnis noch besser und ne eines Horrorfilms einfach die Soundspur man die Liebste im Arm, während auf dem schockierender zu gestalten. Besondere deaktiviert – und schon ist das Übel erträg- Bildschirm gerade ein Kerl anfängt, mit Aufmerksamkeit gilt dabei dem Ton. Denn licher geworden. einer Motorsäge die Studentin, die gerade auch wenn die Bilder allein schon bedroh-

28 lich genug sind – erst das Zusammenspiel Nehmen wir eine filmische Szene, in der lysiert, behauptet: Angst sei eine Gefahren- mit der Musik und diversen Soundeffekten ein Spielplatz zu sehen ist und die Schaukel vermeidungsstrategie. Wenn intakte har- lässt uns erschaudern und trifft uns mitten sich leicht nach vorne und hinten bewegt. monische Musik zerstört werde, löse das ins Mark. Aber warum ist das überhaupt so? Die erste Variante einer musikalischen bei uns Menschen automatisch das Gefühl Untermalung ist ein freundlicher und har- der Angst aus. Dissonanzen, Cluster sowie Das Kunstphänomen „Horror“, das uns monischer Orchesterklang und eine unbe- nicht erkennbare musikalische Zusammen- in vielen unterschiedlichen historisch-kul- schwerte Melodie. Wir als Zuschauer sehen hänge haben eine aufreibende Wirkung. turellen Kontexten begegnet, findet seinen einfach einen Spielplatz, zu dem eventuell Genauso gehen schrille Töne und unpas- Ursprung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. gleich einige Kinder tapsen, um zu schau- sende melodische Phrasen direkt unter die Diverse Theater, wie zum Beispiel das Lon- keln, sich auszutauschen. Haut. Hentschel fährt fort: Der akustische doner Adelphi Theatre oder das Pariser Sinn sei für die Einordnung von Gefahren Théâtre du Grand Guignol, waren auf Hor- Die zweite Variante der musikalischen am wichtigsten. Das Unheil muss demnach rorstücke spezialisiert, die sich meist an so- Untermalung sind quietschende Geigentö- zu hören sein, damit man ihm aus dem Weg genannten Schauerromanen orientierten. ne, surrende Bässe, bedrohliche Klangclus- gehen kann. Die erste filmische Darstellung, nach dem ter und Stille. Uns wird suggeriert, etwas weltbekannten Roman von Mary Shelley, sei nicht in Ordnung, und wir empfinden Aber letztlich sind wir selbst dafür ver- war im Jahre 1910 der Stummfilm „Fran- Angst. antwortlich, ob wir die Angst an uns her- kenstein“. anlassen. Mitunter setzen wir uns sogar Angst. Ein menschlicher Urinstinkt, der bewusst dem physischen Leiden des Angst- Mit dem allgemeinen technischen Fort- vielerlei auslösen kann. Das Atmen fällt Empfindens aus. Wir brauchen halt manch- schritt wurden auch die Möglichkeiten viel- uns schwer, wir sind angespannt, extrem mal den Kick. seitiger, einen solchen Horrorfilm zu kre- aufmerksam. Unser Puls wird schneller, ieren. Es folgten der Tonfilm, der Farbfilm und ein vermehrter Ausstoß von Adrenalin Clara-Liliane Strutz und bis heute eine riesige Palette an Tools sorgt dafür, dass wir möglichst schnell re- zur Effekthascherei. Aber kein Effekt ist so agieren können. intensiv und ausschlaggebend wie die Mu- sik – sie kann einem Film eine zusätzliche Der Kölner Musikwissenschaftler Frank Ebene verleihen, wodurch eine ganz neue Hentschel, der in seinem Buch „Töne der Stimmung erschaffen wird. Angst“ (2011) Musik in Horrorfilmen ana- 67,//(',(

Wortart: Substantiv, feminin Die Stille (von althochdeutsch stillī: ohne Bewegung, ohne Ge- Worttrennung: Stil|le räusch) bezeichnet die empfundene Lautlosigkeit. Sie ist ein meist Beispiel: in aller Stille wohltuender Zustand, völlig frei von Geräusch und Tönen. Synonyme: Ruhe, Lautlosigkeit Herkunft: mittelhochdeutsch stille, Wenig wird so sehr unterschätzt wie die Stille. Unsere Sinne ver- althochdeutsch stillī langen beständig nach Amüsement und Spektakel, Ruhe scheint Größter Feind: der Lärm (s. „Nicht so laut bitte“, S. 45) kaum von Wert zu sein. Wir agieren und konsumieren, weil unse- Aktueller Status: sehr selten, extrem vom Aussterben re Sinne uns dadurch Glück verheißen. Aber in Wahrheit kann uns bedroht, absolutes Luxusgut nichts so tief berühren wie die Stille. Wenn wir uns selbst näher- Direkt verwandt mit: Andacht, Kontemplation (s. „Ruhig und kommen wollen, ist die Stille Dreh- und Angelpunkt von allem. Um vertraut“, S. 48) sie kennenzulernen, müssen wir nur damit beginnen, Dinge wegzu- Entfernt verwandt mit: Musik, Generalpause, Meditation, lassen, die unnütz sind. Wir lassen einfach das Spektakel und Getue Schweigen, Totenruhe, Nichts, weg, und zum Schluss wird das übrigbleiben, worum es wirklich Universum geht. Stille. Zuletzt gesichtet in: Bibliothek, Kirche, Kloster Wird benötigt zum: Musizieren, Telefonieren, Konzentrieren, Roland Kolb Lernen, Lesen, Entspannen, Erholen, Leben, Schlafen

29 ZWISCHEN DEN OHREN DES ZUHÖRERS

Warum die Arbeit eines Akustikers viel mehr ist als physikalische Berechnung

„Ach, dieses ganze Drama um die Elbphil- oder Umbau von Stadien ausgegeben. Und Dass Szynajowski sich mit dem Problem harmonie, das finde ich einfach nur noch auch der Einsatz von Sicherheitskräften bei der Kosten und der öffentlichen Reaktio- lächerlich“, sagt Vladimir Szynajowski auf den Bundesligaspielen kostet jede Saison nen darauf so engagiert auseinandersetzt, die Frage, was er von Hamburgs neuem mehrere Millionen Euro. Aber wenn eine liegt an seinem Beruf als Akustiker. An der Aushängeschild halte. Meint er damit die Stadt einen dringend benötigten Konzert- Staatsoper Hannover hat er 2015 am Um- ganze Aufregung um die Eröffnung? Be- saal baut, dann regen sich bei 700 Millionen bau des Konzertzimmers und des Orches- zieht er sich auf den Prunkbau an sich? Euro alle auf.“ Die Aussage und der Ver- terproberaums mitgearbeitet. Täglich hat Oder spricht er doch von den enorm gestie- gleich überraschen. Dass er ein Befürwor- er mit Kulturinstitutionen zu tun, deren Fi- genen Investitionen in das Projekt? Nach ei- ter der Elbphilharmonie ist, war zu erwar- nanzhaushalte nach jeder Spielzeit aufs Neue ner kurzen Pause klärt er dann auf: „Wissen ten. Aber aus dieser Perspektive wurde die hinterfragt werden. Wie viel Zuschuss erhal- Sie, in Deutschland wurden ohne jegliches Debatte um Hamburgs neuen Konzertsaal ten Theater- und Opernhäuser noch von der Gemecker Milliarden an Euro für den Neu- bisher noch nicht geführt. Stadt? Wie können die Stätten der Hochkul-

30 tur sich noch rechtfertigen, wenn ihnen doch sei eine der schwierigsten und zugleich Um den Musikern einen optimalen Probe- zugleich das Publikum langsam „wegstirbt“? interessantesten Facetten an seinem Beruf. raum zu bieten, kommt es auf viele Details Sanierungen oder Neubauten von Konzert- „Die herausforderndsten Projekte sind im- an: Bei welchem Fußbodenbelag können sälen sind nicht alltäglich. Schließlich geben mer solche, bei denen mehrere Parteien an sich Cellisten und Kontrabassisten am bes- die Häuser bereits viel Geld für erstklassige der Planung beteiligt sind. Als ich im Jahr ten selbst hören? Wie optimal sind LEDs, Orchester und Solisten aus – wie soll da noch 2015 bei der Neugestaltung der Christus- wenn sie nicht das komplette Farbspektrum ein Akustiker bezahlt werden? kirche in Hannover mitgearbeitet habe, gab abdecken und deshalb für ein ungemütli- es neben den üblichen Akteuren noch das ches Ambiente sorgen? Es ist die Aufgabe Szynajowskis Beruf ist aufgrund solcher Denkmalamt, Privatleute, die Stadt und die des Akustikers, diese potentiellen Probleme Entwicklungen in der deutschen Kultur- Landeskirche, die ihre Visionen realisiert schon in der Planung zu berücksichtigen. landschaft nicht leicht. Zudem bleibt sein sehen wollten.“ Werk häufig unentdeckt. Dem Publikum „Leider“, klagt Szynajowsi, „erkennen fällt die Akustik in einem Konzertsaal meist Vor allem die Kooperation mit den Mu- viele Betreiber von großen Hallen oder Sä- erst dann auf, wenn das Klangerlebnis nicht sikern im Orchester ist für den Akustiker len erst viel zu spät die Bedeutung meines seinen Erwartungen entspricht. Ansonsten spannend. Für die Neugestaltung des Or- Berufs an. Ich werde häufig erst dann hin- ist eine gelungene Saalakustik quasi nicht chesterproberaums der Staatsoper hat Szy- zugebeten, wenn der Bau abgeschlossen ist hörbar. Genauso wie das neue Paar Schuhe najowski eng mit den Orchestermusikern und sich nach dem ersten Jahr im Betrieb nach einem Tag Stadtbummel nicht spürbar zusammengearbeitet. Die einzelnen Regis- die Klagen häufen. Das zieht natürlich hö- sein sollte. ter hatten während des gesamten Prozesses here Kosten nach sich, als wenn ich von An- die Möglichkeit, sich mit Vorschlägen ein- fang an beteiligt gewesen wäre.“ Mit der Berichterstattung über die Elb- zubringen. Nachdem etwa 80 Prozent des philharmonie und den japanischen Star- Umbaus abgeschlossen waren, stand ein Ein Konzertsaal, wie er vor dreihundert Akustiker Yasuhisa Toyota ist das Schaf- erstes Probespiel an. Während der Probe Jahren gebaut wurde, würde heute übri- fen von Szynajowski und seinen Kollegen wurden Messungen gemacht, die im An- gens überhaupt nicht mehr funktionieren, gleichwohl ins Bewusstsein der deutschen schluss mit dem Eindruck der Musiker ver- ergänzt der Akustiker. „Das liegt zum Teil Konzertgänger gelangt. Die große Frage, glichen wurden. an den wesentlich lauteren Hintergrund- die Akustiker bei jedem Projekt beschäftigt: geräuschen. Die durchschnittliche Um- Wird der Klang denn auch wirklich so sein, gebungslautstärke ist seit den römischen wie er geplant war? Eine sichere Antwort Amphitheatern deutlich angestiegen. Aber gibt es darauf nicht. Es gibt zwar Formeln, auch die Orchester sind größer und lauter um die wichtigen akustischen Kenngrö- geworden. Als die Musik aus den königli- ßen zu errechnen und darauf aufbauend Vladimir Szynajowski: „Leider chen Musikzimmern in eigene Säle geholt den Raum zu gestalten. Aber wie sich ein erkennen viele Betreiber von wurde, war mehr Platz für mehr Musiker solch innovatives akustisches Design wie großen Hallen oder Sälen erst da. Die Komponisten reagierten auf diese das der Elbphilharmonie schließlich im voll viel zu spät die Bedeutung Veränderung, und die Besetzung für die besetzten Saal anhört, ist kaum zu berech- meines Berufs an.“ Stücke wurde vergrößert. Dadurch änder- nen. Es ist zwar durchaus üblich, ein Mo- ten sich schließlich auch die Ansprüche an dell des Konzertsaals im Maßstab 1:10 zur einen Konzertsaal.“ Klangsimulation anzufertigen. Doch auch dies entspricht noch nicht vollkommen der Und wo ist der beste Sitzplatz im Kon- Realität. Das Warten kann den Akustikern zert? Szynajowski schmunzelt und zieht also noch nicht abgenommen werden. Ein- ein A4-Blatt zur Veranschaulichung heran: zig die Erfahrung bleibe dann als Referenz, „Stellen Sie sich vor, die Bühne befindet sagt Szynajowski. sich am langen Rand des Blattes. Teilen Sie die Sitzplätze in drei Drittel: rechts, links Die Arbeit eines Akustikers beschränkt und mittig. Am besten hören Sie, wenn Sie sich allerdings nicht auf bloßes Berechnen. einen der Plätze wählen, der genau auf den Einen großen Teil seiner Arbeit an einem beiden Linien zur Unterteilung liegt. Also Projekt verbringt Szynajowski in der Rol- im rechten oder linken Drittel. Dort ist der le des Diplomaten. Zu einem gelungenen Abstand zu den Reflektoren an den Seiten Neu- oder Umbau gehöre die Auseinander- genau richtig. In der Mitte sitzen Sie bereits setzung und Kommunikation sowohl mit zu weit davon entfernt, sodass Sie fast aus- dem Innenarchitekten als auch mit den Mu- schließlich den Direktschall hören.“ sikern des Orchesters. Diese unterschiedli- chen Disziplinen aufeinander abzustimmen Sarah Wahnelt

31 M A N C H M A L H A T

M A N G L Ü C

32 K Musik kann laut sein und den Mitmenschen CWHFKG0GTXGPIGJGP#DGTIGGKIPGVGȍDGTȓWOG\WƓPFGP ist für Musikstudierende gar nicht so leicht.

Dienstagmorgen, fünf Uhr. Am Emmich- statt in die Schule zu gehen, habe ich zu habe ein Praktikum an meiner alten Schu- platz begrüßen sich bereits die ersten Stu- Hause Klavier geübt. Irgendwann aber rief le absolviert. In der freien Zeit wurde mir dierenden – obwohl die Hochschule erst eine Frau an und schrie wie die Königin der der Zugang zu Musikräumen gestattet, um um sieben öffnet. Was sie dort noch zwei Nacht: Ich dürfe in diesem Mietshaus nicht Geige oder Klavier zu üben. Aber an einem Stunden machen? Sie warten. mehr als eine Stunde üben und müsse sofort Vormittag fühlten sich Lehrer und Schüler aufhören! Ich war echt am Boden zerstört. im benachbarten Klassenraum gestört. Da Für Musikstudentinnen und -studenten Diese Nachbarin wohnte unter uns. Mein man beim Üben häufig einzelne Takte aus- der Hochschule für Musik, Theater und Vater sagte zu mir: ,Lass dich von so einer einandernimmt und wiederholt, begegnete Medien Hannover (HMTMH) ist nicht Frau nicht fertig machen.‘ Er zog sich sei- mir die Lehrkraft des Nachbarraums mit der Montagmorgen der stressigste Tag der ne holländischen Holzschuhe an, lief den den Worten: ,Entschuldigung, Sie spielen Woche. Für ihren Übeplan gilt eine andere ganzen Tag damit herum und machte so die ja ganz schön, aber könnten Sie nicht viel- Zeitrechnung. Die neue Woche beginnt für Nachbarin verrückt. Nach einer Woche kam leicht mal weiterspielen oder etwas anderes alle, die in der „Schnecke“ üben möchten, sie hoch und entschuldigte sich bei mir. Und anfangen?‘“ am Dienstag um sieben Uhr. Dann kön- mein Vater hat die Schuhe ausgezogen.“ nen die Studierenden die Räume bis zum So bleibt also doch die Hochschule der nächsten Montag für sich buchen, pro Tag Auch Theresa hat Schwierigkeiten mit beste Ort zum Üben, wenn man die War- maximal vier Stunden. Die Eifrigsten ste- dem Üben zu Hause. Allerdings nicht unbe- tezeit in Kauf nimmt. Der Preis des Übens hen schon um fünf beim Pförtner am Em- dingt mit dem „Wie viel“, sondern mit dem war nicht immer so hoch wie heute. Als michplatz – selbst bei Regen und Schnee. „Wo“. „Ich bin Sängerin, aber neulich habe die Musikhochschule 1973 aus dem „Lis- Es zählt nämlich auch die Ankunftszeit. Die ich angefangen, Saxophon zu lernen. Ich ter Turm“ in das ohrförmige neue Gebäu- ersten zehn Personen sind also im Vorteil. wollte wie gewohnt zu Hause üben. Dabei de am Emmichplatz zog, lag die Zahl der Wenn man Dienstagfrüh allerdings ver- stellte sich heraus, dass es sogar meiner Fa- Studierenden noch bei 600, heute aber sind schlafen hat oder die vier Stunden am Tag milie zu viel wurde. Zuerst bat mein Mann es über 1.500. Und viele Räume sind für nicht ausreichen, bleibt nichts anderes üb- mich darum, in ein anderes Zimmer zu ge- die heutigen Bedürfnisse zu klein. Dazu rig, als sich vor die Übezellen im Z-Gang zu hen. Ich ging ins Schlafzimmer. Das liegt ne- kommt: Die Musiker spielen lauter als vor setzen und zu warten. Und zu warten und ben dem Zimmer meiner Mutter. Auch sie einigen Jahrzehnten. Besonders für Blech- zu warten … sagte, ich sei zu laut, ich solle in die Küche bläser sind die Übezellen am Emmichplatz gehen. Ich ging in die Küche. In der Küche mittlerweile ungeeignet geworden. Zwar Auch wenn sie ein eigenes Instrument und war es aber für beide zu laut, also landete hat die Hochschule in den vergangenen eigenes Zimmer zu Hause haben, müs- ich im Badezimmer. Seitdem übe ich immer Jahren etliche weitere Übemöglichkeiten in sen die meisten trotzdem zur Hochschule dort. Allerdings hört man im Badezimmer anderen Gebäuden geschaffen. Die Bedürf- fahren, um dort zu üben. Ein Musiker ist Geräusche aus dem ganzen Haus. Ein Nach- nisse der Studierenden, die immer mehr nämlich nie allein, wenn er spielt. Die Men- bar spielt, wie ich, Saxophon, der andere und lauter üben, scheinen aber immer noch schen in seiner Nähe hören ihn. Das führt Querflöte …“ nicht befriedigt worden zu sein. manchmal zu neuen Freundschaften, häufig aber zu Konflikten – auf jeden Fall hält es Öffentliche Einrichtungen könnten eine Deshalb müssen sie auf dem Z-Gang sit- die sozialen Beziehungen eines jeden leben- Alternative bieten. Z.B. die alte Schule, de- zen und warten. Allein oder im Gespräch mit dig. Fast jeder, den ich an der Hochschule ren Räume man mit der Hilfe seiner ehe- Kommilitonen; mit anderen Aufgaben be- ansprach, hatte dazu etwas zu erzählen. Als maligen Lehrer nutzen könnte. Dort wäre schäftigt oder gelangweilt. Ihre Meinungen Erster begegnete mir Matthias* im Flur. Er man endlich sicher und ungestört. Aber für zur Übesituation sind unterschiedlich, wie erzählte mir eine kleine Anekdote: „Einmal, Andreas ist auch dieser Traum geplatzt: „Ich ihre Studiengänge, die nicht alle gleich viel

33 praktische Übung erfordern. Ausnahmslos nare hat, reicht die Zeit nicht, zwischen den ches Volumen. „Wir haben nicht zu wenig jeder aber findet es schwer, im Hauptgebäu- Kursen hin- und herzufahren“, ergänzt sie. Überäume, wir haben zu wenig Überäume de einen Raum zu ergattern. „Ich übe so viel Auch ein Pianist ist der Ansicht, dass es im zwischen 10 und 18 Uhr“, fügt der Vizeprä- wie möglich außerhalb der Hochschule, weil Verhältnis zur Studierendenzahl im Haupt- sident hinzu. ich es stressig finde, mir hier einen Raum gebäude nicht genug Räume gebe. „Au- suchen zu müssen. Wenn ich in der Hoch- ßerhalb der Vorlesungszeit ist es wirklich Gleichwohl beschweren sich Studieren- schule übe, dann eher morgens um 7 oder schwierig, am Emmichplatz zu üben. Man de ständig beim AStA. Und in letzter Zeit, 8 Uhr, weil es um diese Uhrzeit leerer ist. muss schon viel Geduld mitbringen und hat so heißt es dort, viel mehr als noch vor ein Da ich dann aber ziemlich früh aufstehen dann meistens nur zwei Stunden Übezeit.“ paar Jahren. Eine eindeutige Erklärung gibt muss, bin ich meistens für den Rest des Ta- Ein Kommilitone erwähnt zusätzlich die es dafür nicht. Sind die Neuen motivierter ges müde“, sagt eine Studentin aus dem ers- Qualität der Überäume. „Ich finde, es gibt und üben mehr? Studieren mehr Pianisten ten Semester. Eine andere schließt sich dem vor allem zu wenig gute Überäume. Wenn an der Hochschule als früher? Wegen der Gespräch an: „Ich finde, dass man morgens zum Beispiel die Klaviere in der Bismarck- vielen unzufriedenen Kommilitonen hat und abends schon einen Raum finden kann, straße besser wären, wäre das ein attraktiver der AStA eine Rundmail verschickt mit dem ohne lange warten zu müssen. Ab 13 Uhr ist Übeort, und das Hauptgebäude würde ent- Aufruf, Vorschläge zur Verbesserung der es aber kaum möglich, weil viele Räume we- lastet.“ Ein Jazzbassist erzählt schließlich. Situation zu machen. Ein Online-System sei gen Unterricht besetzt sind. Manchmal hat dass es am Weidendamm, wo die Fach- selbstverständlich in den letzten Jahren öf- man Glück und kriegt einen Schlüssel beim richtung Jazz untergebracht ist, bereits ein ters diskutiert worden. Der AStA könne das Pförtner. Aber oft wird man dann nach 30 internes Onlinesystem gebe. Er meint, die allerdings selbst nicht organisieren. Er sei Minuten wieder rausgeschmissen.“ Studierenden seien damit zufrieden. angewiesen auf die Techniker und Geldge- ber, die auch mitspielen müssten. Eine Fagottistin erzählt, dass die Fagottis- Wie sieht die Hochschulleitung das ten einen eigenen Raum in der Uhlemeyer- Problem? Jann Bruns, Vizepräsident der Es gibt Hochschulen in Deutschland, die straße haben. Darüber ist sie sehr glücklich, HMTMH, ist der Meinung, die Hochschule ein komplettes Online-Buchungssystem für da sie die Situation im Hauptgebäude katas- biete genug Alternativen. Im Gespräch listet ihre Räume haben. Jann Bruns ist jedoch trophal findet. „Von dem Raumverteilungs- er Möglichkeiten auf, wo überall die Studie- überzeugt, so transparent wie das jetzige system am Dienstagmorgen können nur we- renden üben können, wenn sie im Haupt- könne kein anderes System sein. Bei der nige profitieren. Eine gute Alternative wäre gebäude keinen Platz finden: Es gebe Häu- Online-Buchung würden die Leute anfan- die Bismarckstraße, aber wenn man Semi- ser am Weidendamm (für Jazz-Rock-Pop), gen, auf Verdacht zu buchen, und am Ende in der Bismarckstraße (für komme es für die Hochschule zu nicht ein- Blechbläser), in der Uhle- sehbaren Abläufen. Man müsse in einem meyerstraße (für Streicher solchen System auch strenge Regeln ein- und Holzbläser) und in der führen: Wie viele Stunden dürfen Studen- Plathnerstraße (für Alte Mu- ten unterschiedlicher Instrumente buchen? sik). Alles in allem seien das Wie kurzfristig kann man noch buchen? mehr als 100 Räume. Bruns Trotzdem kämen dann die Ausnahmean- überschlägt rasch die damit träge: Wer warum und wo Vorzug haben zur Verfügung stehende zu- sollte. Das seien eben die Grenzen des viel- sätzliche Übezeit: 17 Stun- leicht moderneren, aber bei weitem nicht so den am Tag Zugang zu den transparenten Systems. Am Dienstagmor- Übezellen, mal fünf Tage gen um sieben Uhr sei dagegen alles trans- von Montag bis Freitag, plus parent: Die Reihenfolge der Terminvergabe, zweimal 12 Stunden Zu- die Echtheit der Personen, die Summe der gang am Wochenende, das gebuchten Stunden. gilt für 100 Räume – macht mehr als 10.000 Stunden pro Die hannoverschen Musikstudierenden Woche. Das sei ein beachtli- müssen sich also weiterhin mit dem Spruch trösten: „Morgenstund hat Gold im Mund.“ Zumindest einmal in der Woche.

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Heiß begehrt: Die Übezellen * Die Namen wurden von der Redaktion in der „Schnecke“ an der geändert. HMTMH.

34 MODERATE MANIE VON DER STILLE ZUR NEUGEBURT Ein Besuch beim Geigenbaumeister

„Wenn ich die Saiten aufziehe, bekommt das Instrument eine Seele“

Konzentriert und in sich gekehrt sitzt Zvi Dori auf einem Hocker Die Werkstatt sieht aus, als wäre sie einem Bilderbuch entsprun- vor seiner Werkbank. Den Lichtkegel der Tischlampe hat er auf ein gen: Reste von Holzspänen liegen auf dem Boden verteilt, notdürf- Bündel Rosshaare gerichtet, mit denen er später den Geigenbogen tig in der Ecke zusammengekehrt. Auf den Werkbänken und in den neu bespannen wird. Neben dem Bau von Instrumenten gehören Schränken liegen Instrumente in den verschiedensten Baustadien. nämlich auch Reparaturen und Restaurationen zu seinem Hand- Spielbar sind sie jedoch noch lange nicht. „Bis eine Geige ihren ers- werk. Vor 20 Jahren hat sich der Geigenbaumeister dem Instrumen- ten Ton von sich gibt, vergeht ein halbes Jahr“, sagt Zvi Dori. „So- tenbau verschrieben; seitdem widmet er sich Streichinstrumenten lange ist sie stumm“, ergänzt er. wie der Geige, der Bratsche und dem Cello. Seit 2004 betreibt er seine eigene kleine Werkstatt im Herzen von Hannover, in der er die Instrumente im feinen und altitalienischen Stil nachbaut.

Der Bau eines Streichinstruments ist ein komplexer und langwie- zieht sich. Für den Geigenbau verwendet Dori typische Klanghöl- riger Prozess. Bevor der Geigenbauer die ersten Bauteile aus einem zer. Traditionell werden Hals, Zargen und Boden aus Ahorn ge- Holzstück herausarbeiten kann, muss es mindestens fünf Jahre lang fertigt. Die Decke wird aus Fichte gearbeitet, da diese Holzart eine ruhen, damit es einen gewissen Grad an Holzfeuchtigkeit erlangt. geringe Dichte besitzt und sich der Klang dadurch beim Spielen Andernfalls lässt sich das Material nicht gut verarbeiten und ver- schneller entfalten kann.

35 „Am Geigenbau fasziniert mich das Zusammenspiel zwischen le- Gehör. „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, ein Instrument zu bau- bendigem Material und handwerklichem Geschick“, erzählt der en, das im Nachhinein eine Seele bekommt“, sagt er, während er Geigenbauer. Die Ausbildung dauert drei Jahre und erfordert ne- den Geigenbogen bespannt. ben Geschick auch viel Verstand, Flexibilität und ein sehr gutes

„In dem Moment, in dem ich die Saiten aufziehe, bekommt das Die Saiten werden am Ende des Bauprozesses über die Decke Instrument eine Seele, und der Klang erwacht zum Leben“, betont und das Griffbrett gespannt und am oberen Ende des Geigenhalses er lächelnd. „Es ist fortan nicht mehr stumm, sondern erfüllt den an den Wirbeln befestigt. Das Griffbrett selbst wird separat auf den Raum mit Klang und Leben.“ Hals geleimt.

36 Pro Jahr baut Zvi Dori in seiner Werkstatt zehn bis zwölf Instru- besonders emotional beschreibt der Geigenbauer den Moment, mente. Die Nachfrage nach den handgemachten Streichinstrumen- in dem er das Instrument zum ersten Mal anspielt. „Wenn ich ein ten ist hoch. Schüler, Studenten, Berufs- und Hobbymusiker sowie Instrument fertiggestellt habe, dann ist das für mich wie eine Neu- Sammler gehören zu Doris treuer Kundschaft. „Der Klang des In- geburt eines meiner Kinder“, sagt er stolz, während er eines seiner struments entwickelt sich im Lauf der Jahre, in denen es gespielt Meisterstücke in den Händen hält. wird. Es ist nicht nur ein Werkzeug von Musikern, sondern ein Partner fürs Leben“, erklärt er. Seine Instrumente sind für ihn wie seine eigenen Kinder. Als

Eine Foto-Reportage von Lara Sagen

37 DIE STILLE ZWISCHEN DEN TÖNEN

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+XCP4GRWʂKȲFKTKIKGTV8GTFKU4GSWKGO in der Staatsoper Hannover

Ein Rascheln in der zweiten Reihe, jemand beim Konzertpublikum führt. Und jene quetscht Papiertaschentücher in eine zu Ruhe nicht einkehren lässt, auf die der Diri- enge Handtasche. Ein leises Hüsteln von gent und Generalmusikdirektor der Staats- hinten links, ein lautes Husten eine Reihe oper Hannover Ivan Repušić seit einigen weiter vorne. Jemand niest mit zugehalte- Sekunden wartet. ner Nase, als wäre das typisch quiekende Geräusch nicht auch deutlich zu hören. Es Denn die „Messa da Requiem“ von Giu- ist die Komposition der Stille vor dem ers- seppe Verdi soll in wenigen Momenten ten Orchesterton. Genau genommen eine ertönen, eine Herzensangelegenheit des gemeinsame Bearbeitung der „Stille“ durch Dirigenten, wie er in der Einführung vor den schneidend kalten Winterwind vor der Vorstellung betont hat. Es wartet ein dem Opernhaus in Kombination mit der gewaltiges Konzert, mit vier Solisten, von warmen und trockenen Luft im Zuschau- denen drei internationale Gäste sind, dem ersaal, was zu vermehrtem Schleimausfluss Chor sowie dem Extrachor der Staatsoper

38 Hannover und dem Niedersächsischen warten. Die erste vollkommene Stille zeigt losen Aufführung mitgenommen, zumin- Staatsorchester, die alle aufgebaut und kon- sich schon in der Mitte des „Introitus“ nach dest ich bin gerührt, wenn nicht sogar be- zentriert dem Publikum gegenüberstehen dem fast gehauchtem „Requiem aeternam“ troffen. Und auch in den Minen der Solisten und nur auf ein Startzeichen des Dirigen- des Chores, das von den sanften Streichern ist die emotionale Kraft der Komposition zu ten warten. Auch wenn für die meisten of- des Orchesters begleitet wird. Hier ist die lesen. Doch als der letzte Ton verklingt, hält fensichtlich die Musik den Mittelpunkt des Stille unumstritten ein Teil der Partitur. Sie Ivan Repušić die Hände oben. Eine gefühl- Konzertbesuchs bildet, habe ich mir vorge- ist die musikalische Pause, die sich streng te Ewigkeit ist der Zuschauersaal totenstill. nommen, an diesem Abend ein Ohr für die genommen nur in ihrer Funktion von der Kein Husten ist mehr zu hören, kein Ra- Stille zu öffnen. Stille unterscheidet. Aber auch inhaltlich scheln eines Taschentuchs, bis der Dirigent eröffnet der Einsatz der Stille hier eine neue mit ernstem Blick seine Hände sinken lässt Die Spannung steigt, aber der Geräusch- Ebene. In ihrer Symbolik kann sie ausdrü- und tosender Applaus die Stille bricht. Ivan pegel hält an. Wenn man von der Drama- cken, was Töne nicht fähig sind zu erzählen: Repušić hat es getan: Er dirigierte die Stille, turgie eines musikalischen Stückes spricht, Was kann den Tod besser beschreiben als als größten Effekt am Ende eines aufwüh- scheint die Stille vor der Aufführung schon die Stille zwischen den Tönen? lenden Konzerts. dazuzugehören. Ist das Husten und Keu- chen vielleicht schon Musik? Klar ist, dass Das Konzert lebt neben seinem unty- Bruno Schubert die Stille vor dem Konzert keine Geräusch- pisch opernhaften Charakter durch seine losigkeit ist. Und logisch betrachtet setzt brachiale Dynamik. Der Wechsel zwischen der erste Taktstrich einer Partitur das Vor- Spannung und Entspannung, Harmonie handensein vorheriger Stille voraus, womit und Dissonanz ist besonders greifbar. Ver- sie doch irgendwie auch ein Teil der Parti- dis Requiem schreit seine Zuhörer an – um tur wird. Wie auch immer, das musikalische sie daraufhin wieder mit dem Klang wei- Konzert beginnt. cher Streichinstrumente zu besänftigen. In diesen Übergängen ist die Stille das drama- Es eröffnen die Celli mit kaum hörba- tischste Element, denn sie sitzt am Ende der ren langgestrichenen Tönen das Requiem. lautesten und disharmonischen Stellen und Dabei brechen sie die Stille nicht, sondern hält deren Spannung, bis sie von den leisen spielen mit ihr, erheben sich aus ihr. Wer Klängen des einsetzenden Ensembles abge- hätte gedacht, dass Musik so leise sein kann? löst wird. Zusammen mit dem Chor und den anderen Orchestermusikern hebt das Ensemble je- Der stille Höhepunkt des Konzerts liegt doch schnell die Lautstärke. Es ist ja Verdi, am Ende des Requiems. Das Publikum ist da lässt Dynamik nicht gerade lange auf sich von der musikalischen Gewalt der pausen-

39 PLÖTZLICH

STILLE

Vor ihrem Erfolg bei The Voice of Ger- In Berlin-Friedrichshain sitzt Charley angefühlt auf Deutsch, das passt besser zu many wusste Charley Ann Schmutzler oft in ihrer Zweier-WG und bemüht sich mir“, erklärt Charley. wenig vom Musikbusiness. Heute ist um Stille in ihrem Kopf, um neue Songs sie froh, dass es ruhiger um sie gewor- zu komponieren. Sie lebt in einem Durch- Stille, um sich sammeln zu können, ist den ist, und arbeitet an ihrem eigenen gangszimmer und vermisst es, ab und an für Charley ein entscheidender Faktor, um PXVLNDOLVFKHQ3URĆO für sich zu sein. „Ich brauche Stille, um zur Kunst zu schaffen. Nicht nur beim Kom- Musik zu finden, um komponieren zu kön- ponieren benötigt sie Stille, sondern auch Charley Ann Schmutzler ist bekannt als nen“, erzählt sie. Vor The Voice of Germany vor einem Auftritt. Charley beschreibt zwei The Voice of Germany 2014. Sie ist eine von hatte Charley nichts mit Musik zu tun. Seit verschiedene Stille-Momente vor einem sechs Gewinnern der Musikcastingshow, der Castingshow arbeitet sie musikalisch Konzert. die seit 2011 in Deutschland zu sehen ist. viel an sich. Sie nimmt Klavierunterricht, Charley kommt aus einer künstlerischen versucht eigene Songs zu schreiben und Zum einen ist da dieser Moment, wenn Familie und hat sich seit der Kindheit mit steckt sich ehrgeizige Ziele, um besser zu sie hinter der Bühne steht. Am liebsten der Schauspielerei befasst. Sie besuchte die werden. „Mindestens ein Song pro Woche“, sucht sich Charley einen stillen Ort, um he- Schule für Schauspiel in Hamburg, bis sie zu sagt sie. Das hat sie sich als Ziel gesetzt. Die runterzukommen. Mit Atemübungen, die The Voice of Germany ging. In der vierten Schauspielerei ist nach wie vor ein Teil ih- sie schon aus ihrer Zeit als Schauspielerin Staffel gewann sie im Team von Michi Beck res Lebens, doch die meiste Zeit bemüht kennt, konzentriert sie sich auf ihren Kör- und Smudo von den Fantastischen Vier das sie sich um neue Songs. Deutsch sollen sie per und kontrolliert somit ihre Nervosität. Finale und widmet sich seitdem der Musik. sein. Seit The Voice of Germany hat sie an- Mit ihren 23 Jahren steht sie noch am An- gefangen, Dinge zu verändern – so auch die Zum anderen gibt es für sie diesen Stille- fang ihrer Karriere. Sprache, in der sie singt. „Es hat sich gut Moment auf der Bühne, bevor es richtig

40 losgeht. „Der Moment ist sehr wichtig, ich Musiker ein ganz falsches Bild des Musik- einer Bühne zu stehen und zu wissen, da sammle mich, stelle den Kontakt zu den business verkauft wird. In der Show wird sind gerade fünf Millionen Zuschauer vor Musikern her und gehe sicher, dass alles man als Star vermarktet und mit etablierten dem Fernseher, die das sehen“, erzählt sie. passt“, so Charley. Höchste Konzentrati- Künstlern wie Jazzy J oder Gregory Porter Viele Gefühle, die sie bei The Voice of Ger- on auf das, was gleich kommen wird, ist auf eine Bühne gestellt. Es wird einem eine many erlebt hat, waren für sie neu. Vor al- angesagt. Diese Stille-Momente verspürt Welt aufgezeigt, die in der Musikbranche lem das Gefühl, sich trotz des Trubels auf Charley unabhängig davon, ob sie nun auf nur den wenigsten Musikern vergönnt ist. der Bühne fallen lassen zu können und in einer sehr großen Bühne singt oder in einer Mit der realen Welt einer jungen Sängerin, einem Song aufzugehen. Das hat sie sehr Bar in Wohnzimmergröße. Daran hat sich die das erste Mal auf einer Bühne steht, hat beeindruckt und dazu geführt, dass sie seit- nichts geändert. Jedoch hat sich alles ande- das Ganze nicht viel zu tun. „Wenn du bei dem hauptberuflich Musik machen möchte. re um sie herum seit The Voice of Germany so einer Castingshow gewinnst, bist du kein stark verändert. Star, kein Promi, kein reicher Musiker. Du Mit ihrer Band aus Leipzig und Unter- bist ein Newcomer, und du musst deine stützung durch Musikerfreunde tut sie das Die ersten drei Monate nach ihrem Sieg Musik und deine Vermarktung behandeln, auch. Sie lernt noch immer viel Neues dazu, in der Musikcastingshow liefen für Char- wie die von einem Newcomer. Das Problem was ihr auf der großen Showbühne keiner ley wie gewohnt ab. Viel Pressetrubel, viele ist, du wirst leider nicht so behandelt“, be- beigebracht hat. „Ich musste mich danach Auftritte, schlaflose Nächte voller Arbeit. tont sie. Denn das erfolgreiche Geschäfts- erst mal nach unten orientieren“, so die Mu- Danach folgte die plötzliche Stille, mit der modell der Majorlabels basiert auf den sikerin. Mittlerweile ist ihr das gut gelun- die meisten Gewinner von Musikcasting- laufenden Musikcastingshows und ist nicht gen, und sie genießt ihre Auftritte mit der shows zu kämpfen haben. „Mir war das vom großen Durchbruch der Gewinner ab- Band, egal ob sie vor 30 oder 300 Leuten vorher auch schon klar. Ich habe versucht, hängig. „Die haben kein Konzept für dich singen darf. mich mental darauf vorzubereiten“, erzählt im Kopf. Die wollen noch schnell mitneh- die Gewinnerin. Doch dass mit der glei- men, was geht, aber mehr dann auch nicht“, Heute ist Charley froh, dass es erst mal chen Geschwindigkeit, mit der ihr Erfolg ergänzt sie. etwas ruhiger um sie geworden ist. Denn so gekommen war, auch die Stille über sie hatte sie Zeit darüber nachzudenken, was hereinbrechen würde, damit hatte Charley Für Charley bedeutet Erfolg mit Musik für Musik sie machen möchte und wie sie nicht gerechnet. zu haben, wenn man Auftritte haben darf, sich selbst als Musikerin sieht. Sie ist davon egal, vor wie viel Publikum, und dabei so überzeugt, dass sie das zu einer besseren Vor ihrer Teilnahme bei The Voice of viel Geld verdient, dass man seine Miete Musikerin machen wird. Sie arbeitet an ih- Germany hatte sie nichts mit Musik am Hut davon bezahlen kann. Das war es, was sie rem Künstlerprofil und entwickelt sich wei- und wusste daher wenig über das Business. sich nach The Voice of Germany gewünscht ter. Ganz in Ruhe und mit der Stille, die es Sie verstand erst nach und nach, dass der hatte. Aber niemand war bereit, das mit ihr manchmal braucht, damit sich Musik erst Vertrag mit Universal, den sie als Gewinne- umzusetzen. Trotz dieser Enttäuschung be- entfalten kann. rin von The Voice of Germany 2014 bekam, schreibt Charley die Zeit dort als lehrreich. sie eher fesselte und weniger dazu beitrug, „Das ist halt eine große Erfahrung, auf so Jana Rebellato sie als Musikerin im deutschen Musikge- schäft zu etablieren. Ihr war bewusst, dass sie weniger Konzerte spielen und kleine- re Hallen füllen würde. Jedoch nahm sie selbstverständlich an, dass ihr damaliges Plattenlabel sie in die Musikwelt einführen würde und interessiert daran sei, mit ihr zu arbeiten. „Dass dann nichts mehr gekom- men ist, also wirklich nichts mehr, darauf war ich nicht eingestellt“, gibt Charley zu. Nach der Produktion von einem Album war Universal nicht mehr an einer Zusam- menarbeit interessiert, und so wurde Char- ley ein Jahr nach ihrem Sieg bei The Voice of Germany fallen gelassen.

Diese Stille, trotz mentaler Vorbereitung, Charley Ann Schmutzler war erst mal ein harter Schlag für Charley. gewann die Casting- Im Nachhinein sieht sie das Problem von show „The Voice of Musikcastingshows darin, dass einem als Germany“ 2014

41 Das Saitensprung-Feuilleton FRAU STILLE

42 Halt! Stopp! Bitte warten Sie doch! Bitte halb des Kubus in einer bepflanzten, über- Staunen wirst du später genug Zeit haben!“ gewähren Sie mir einen kurzen Moment. dimensionalen Dachterrasse endete. Ich Nach gefühlten 20 Minuten im Eiltempo Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksam- war völlig verblüfft und traute mich kaum, durch sämtliche vorstellbare Themenwel- keit – dürfte ich mich kurz vorstellen? Ach, einen Schritt weiter zu gehen. ten erreichten wir die Bibliothek. Noch nie Sie können mich nicht hören? Aber ich bin zuvor hatte ich eine so überfüllte und un- doch immer da. Na ja, meistens zumindest. Das Geräusch von quietschenden Reifen ordentliche Bibliothek gesehen. Man wurde riss mich aus meiner Fassungslosigkeit. Vor von Büchern förmlich erschlagen, denn als Man nennt mich Frau Stille. Sie können mir bog ein hellgelber Ford Mustang Shelby ich über die Türschwelle schritt, knallten mich immer noch nicht hören? Das wäre gt 500 zackig um die Kurve und hielt direkt mir direkt Tolstois gesammelte Werke vor auch urkomisch. Ich bin in Ihnen, um Sie vor meiner Nase. Ein fluchender, kleiner, die Füße. herum. Ich bin leise und wohltuend, kann dicker alter Mann in einem babyblauen, viel aber auch laut und unerträglich sein, ich zu großen Anzug knallte mit einem ‚Rums‘ Alfons reichte mir einen Helm, wie ihn trete nirgends in Erscheinung und bin die Fahrertür zu und kam auf mich zugewa- die Männer auf Baustellen tragen. Er zwin- trotzdem immer da. ckelt. „Da bist du ja endlich. Ging das nicht kerte mir zu und sagte: „Sicher ist sicher ein bisschen schneller? Ich habe dich schon besser!“ Dann kämpften wir uns durch das Ich möchte Ihnen heute eine Geschichte herbeigesehnt.“ Ich verstand nur Bahnhof. sich zu allen Seiten auftürmende und über erzählen – von der Stille, also von mir, und Etwas eingeschüchtert hielt ich einfach zwanzig Regalbretter in die Höhe verteil- wie ich dazu kam. Wie Sie sich vielleicht meine Hand hin und sagte ganz leise: „Hal- te Bücherchaos und erreichten kurze Zeit vorstellen können, war ich nicht immer lo, hier bin ich!“ Der kleine Mann, der übri- später eine wunderschöne Bücherlichtung. in dieser besonderen Position, man könn- gens Alfons hieß und der Buchfigur „Alfons Ich sage ganz bewusst Bücherlichtung, da te fast sagen, in dieser Berufssparte, tätig. Zitterbacke“ irgendwie ähnlich war, forder- es sich um eine komplett bücherfreie Zone Eigentlich war ich damals völlig durch- te mich auf, ihm zu folgen, und führte mich handelte, in der ein runder weißer Tisch schnittlich und normal. Ich ging zur Schu- über eine breite Treppe in eine atemberau- mit fünf weißen Stühlen stand. Über dem le, machte mein Abitur und wusste dann bende Eingangshalle. Sie war aus blauem Tisch war ein rundes Glasmosaik-Fenster, wie unzählige andere Jugendliche nicht, Glas geformt und brach das Sonnenlicht und durch das hereinscheinende Licht was ich mit meinem Leben anfangen sollte. auf eine ganz wundersame Art und Weise, war die Tischplatte mit unterschiedlichen Mir erschien wirklich nichts logisch. Eine so dass es aussah, als wenn lauter kleine Blautönen versehen. Ausbildung: laut meinen Eltern unter mei- Lichttänzer den Raum erfüllten. Alfons bat nem akademischen Niveau. Ein Studium: mich, mein Gepäck vor Ort zu lassen und Alfons deutete auf einen der Stühle und viel zu anstrengend, mir fehlte es einfach ihm in die Bibliothek zu folgen. bat mich Platz zu nehmen. Er verschwand an organisatorischem Geschick und Selbst- kurz um die Ecke und kam mit einem iPad disziplin. Auf den Punkt gebracht, war ich Für einen so kleinen Menschen hatte er in der Hand und einem dicken Ordner un- faul und lustlos und hatte überhaupt keinen ein extrem hohes Schritttempo, und ich ter dem Arm zurück. Er setzte sich zu mir, Bock, mich in irgendeiner Art und Weise hatte Mühe, nicht den Anschluss zu verlie- holte ein Walkie-Talkie aus der Hosenta- anzustrengen –nachdem mein Abitur und ren. Wir eilten durch unterschiedliche Räu- sche und sprach mit einer Henriette über das damit verbundene „Lernen auf den me, die alle einen anderen thematischen Kaffee und Gebäck, was er jetzt gerne in die letzten Drücker“ sämtliche Energie ver- Schwerpunkt zu haben schienen. Am bes- Bibliothek gebracht hätte. Nachdem er sich schlungen hatten. ten gefiel mir das „Blumenzimmer“ mit der mit einem „Du bist ein Schatz, Henni!“ ver- hübschen Tapete, die mich ein wenig an die abschiedet hatte, legte er sein Walkie-Talkie Irgendwer organisierte mir letztlich ir- meiner Oma erinnerte ... auf den Tisch und musterte mich ausgiebig. gendwie, vermutlich aus Mitleid für die Er hörte gar nicht auf, mich so eindringlich „ziellosen Jugendlichen“, einen 12-wöchi- „Husch, husch“, rief Alfons, der schon anzuschauen, und ich wurde zunehmend gen Aufenthalt in einem „Kloster“. Du wirst weitergegangen war. „Nicht trödeln, zum nervös. Mir lagen so viele Fragen auf der Zeit haben, um zu dir selbst zu finden – ha- ben sie gesagt. Es wird dir gut tun – haben sie gesagt. Und ich dachte nur: Was zum Teufel soll ich in einem Kloster?

Ich erinnere mich, als wäre es gestern ge- wesen, wie ich an diesem besonderen Ort Auf den Punkt gebracht, war ich irgendwo in den Schweizer Alpen ankam. Dieses Gebäude sah überhaupt nicht aus faul und lustlos und hatte über- wie ein Kloster. Vor mir lag ein riesiger, ge- haupt keinen Bock, mich in irgend- kippter blauer Kubus mit einer ringsherum führenden weißen Treppe, die dann ober- einer Art und Weise anzustrengen.

43 Dieses Gebäude sah überhaupt nicht aus wie ein Kloster. Vor mir lag ein riesiger, gekippter blauer Kubus mit einer ringsherum füh- renden weißen Treppe.

Zunge, wie zum Beispiel „Warum hängt schaute irritiert abwechselnd zu Henriette Die Frau, die nach einem Streit mit ihrem hier nirgends ein Kreuz oder irgendetwas, und Alfons. „Ich bin die was?“, fragte ich et- Partner verlassen und einsam zurückbleibt: das auf ein Kloster hindeutet?“ Aber ich was ungläubig. „Die Stille“, entgegnete Al- Um sie ist es still. Der Lehrer, kurz vorm brachte kein Wort heraus. fons. „Weißt du, wir werden schon so gebo- Burnout stehend: Er sehnt sich nach Stille. ren. Man nennt uns die Traumtänzer. Ohne Der Konzertpianist spielt Tschaikowskis Nach einer gefühlten Ewigkeit brach Al- uns wären die Menschen nur Maschinen – Klavierkonzert mit einem leidenschaftli- fons das Schweigen und sprach mit sanft- sie hätten keinerlei Gefühle. Sie wären nicht chen Ausdruck und bedient sich der Stille mütiger Stimme: „Ariana, ich freue mich in der Lage, irgendetwas zu empfinden, was als Stilmittel. so sehr, dich zu sehen. Vermutlich wun- nicht mit den Urinstinkten zu tun hat.“ Ich derst du dich bereits, warum du überhaupt war immer noch verwirrt und fragte: „An- Ich bin in Ihnen, um Sie herum, ich bin hier bist. Ich erkläre es dir ... Wir sind kein genommen, das stimmt, was ihr sagt, war- leise und wohltuend, kann aber auch laut Kloster, dies zu allererst!“ „Hab ich mir um ich? Und vor allem, warum die Stille?“ und unerträglich sein. Ich trete nirgends in doch gedacht!“, sagte ich etwas forsch. „Ja!“, Erscheinung und bin trotzdem immer da. entgegnete Alfons. „Wir sind kein Kloster, Das war der Anfang, ich sagte ja bereits wir sind viel wichtiger. Ariana, wir sind – ich bin da so reingerutscht. Mit der Zeit PS: Das Blumenzimmer ist mir der liebs- die Stimmung der Menschen, wir sind ihre lernte ich alles Weitere dazu, lebte mich te der unzähligen Stimmungsräume ... Gedanken, ihre Emotionen, ihre Wünsche, richtig gut ein, und inzwischen würde ich Hoffnungen und Träume. Wir kommen, mich als Profi auf meinem Gebiet bezeich- wenn sie uns rufen.“ nen. Es gibt unwahrscheinlich viele von uns Clara-Liliane Strutz Traumtänzern. Auf der ganzen Welt sind Das Klappern von Geschirr war zu hö- wir verteilt und haben ganz verschiedene ren, und eine große, sehr schlanke Frau, ein Einsatzgebiete. Wir verlassen unser altes Tablett balancierend, steuerte direkt auf uns Ich, um den Menschen auf Erden zu dienen zu. Ihren Kopf zierte eine krause rothaarige und die Welt bunter und lauter oder, wie ich Mähne, und ihre grünen Augen funkelten. in diesem Fall, leiser zu machen. „Ahhhhh... Henni! Schön! Ich danke dir. Das ist sie!“, sagte Alfons und zeigte auf Sie fragen sich bestimmt, was jetzt genau mich. Henriette stellte das Tablett ab, kam meine Aufgabe ist: Alle Geräusche, jegli- näher und musterte mich genauso, wie es ches Sein ist umgeben von Stille. Ich trete in Alfons zuvor getan hatte. „Wie schön sie jeder denkbaren Situation in Erscheinung. ist“, murmelte Henriette. Und ich hob mal wieder nur die Hand und brachte ein leises „Hey“ hervor. Alfons schüttete eine Tonne Zucker in seinen Kaffeebecher, reichte mir die Kanne und eine weitere Tasse. Zu Hen- riette sagte er: „Komm, setz dich. Ich erklä- re es ihr gerade!“ Ich verstand zu dem Zeit- punkt gar nichts mehr und klopfte leicht Ich verstand zu dem Zeitpunkt gar an meinen Kopf, um festzustellen, ob ich nichts mehr und klopfte leicht an inzwischen verrückt geworden war. meinen Kopf, um festzustellen, ob ich „Ariana, du bist die Stille! Ich bin die Genugtuung, und Henni ist die Wut...“ Ich inzwischen verrückt geworden war.

44 NICHT SO LAUT BITTE

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Sie stehen an einer verkehrsreichen Stra- neben Ihnen fällt dagegen kaum noch auf. strahlt. Er kann lästig, bedrohlich, nervend, ßenkreuzung, irgendwo in Hannover. Die Eine fast schon alltägliche Szene. Dann unerträglich, schädigend und sogar tödlich Fußgängerampel zeigt Rot. Die Geräusch- endlich Grün, schnell nichts wie weg. Doch sein. Lärm ist unser moderner Stress- und kulisse ist unerträglich: aufheulende Mo- nur wohin? Störfaktor schlechthin und die von uns toren, donnernde Auspuffe, kleine Ex- Menschen am stärksten wahrgenommene plosionen, ein Brummen, Kreischen und Lärm ist heute überall, ein fester Bestand- Umweltbelastung. Man kann ihn nicht se- Pfeifen, Drehzahlspielchen von Motorrä- teil unseres Alltags. Er liegt auf der Straße, hen und nur schwer messen, gleichzeitig ist dern, Autohupen, Musik aus Autos mit sammelt sich in Hinterhöfen und besetzt er das von uns am stärksten unterschätzte runtergelassenen Scheiben, dazwischen die permanent den öffentlichen Raum. Lärm Umweltthema unserer Zeit. schrille Sirene eines Krankenwagens, am ist unkontrollierter Schall, Verlustenergie Straßenrand Bauarbeiten, Presslufthäm- von unzähligen Maschinen, die in Form Lärm kann aber auch faszinierend sein, mer zertrümmern den Asphalt mit Getöse. von Schallwellen mit hoher Geschwin- denn er ist so unbarmherzig unmittelbar. Das blechern plärrende Handy des Teenies digkeit in alle Richtungen gleichzeitig ab- Unser menschliches Ohr ist immer emp-

45 kann man nun denken. Dennoch darf man Man kann ihn nicht auch den alltäglichen Stadtlärm nicht un- terschätzen. Luft-, Straßen- und Schienen- sehen und nur schwer verkehr bilden die größten Lärmquellen, denen wir ausgesetzt sind. Hinzu kommen messen, gleichzei- der Umwelt- und der Freizeitlärm. Dem Umweltbundesamt zufolge sind nahezu tig ist er das von uns 80 Prozent aller Deutschen in irgendeiner am stärksten unter- Weise ungewollt von Lärm betroffen und fühlen sich dadurch in ihrem Wohlbefin- schätzte Umweltthe- den erheblich beeinträchtigt. Am meisten von allgemeinem Verkehrslärm, an zweiter ma unserer Zeit. Stelle steht die Belästigung von Nachbarn. Ist Lärm also immer etwas von den anderen und etwas, das uns stört?

Was ist Lärm eigentlich? Diese Frage ist fangsbereit und offen, extrem sensibel, und tenspieler, Trommler und Lärmmacher sol- durchaus berechtigt und gar nicht so ein- wir können es kaum künstlich verschlie- len ihm ohne Pause so lange vorspielen, bis fach zu beantworten. Von Natur aus gibt ßen. Dadurch sind wir Schall unentrinnbar er tot zu Boden sinkt. Denn das ist der qual- es nämlich keinen Lärm. Er entsteht erst ausgeliefert, ob es uns gefällt oder nicht. Er vollste Tod, den ein Mensch erleiden kann.“ in unserem Kopf. „Als Lärm empfinden wirkt fast schon wie eine Art Berührung; Und den teuflischen Höllenlärm in Dantes wir Geräusche, die nicht in eine Situation eine körperliche, aber auch seelische und „Göttlicher Komödie“ könne man sich so hineinpassen, wenn sie nicht zu dem ge- manchmal sogar spirituelle. Entsprechend vorstellen, dass die Opfer an einer „unge- hören, was wir gerade tun möchten. Wenn kann Lärm uns heftig schmerzen, krank heuren, grässlich tönenden Glocke“, die Tag man z. B. lesen möchte, haben Geräusche machen und geistig orientierungslos wer- und Nacht läutet, festgeschnallt sind. „Die jeglicher Art eine ganz bestimmte Wirkung den lassen. Uns zerspringt förmlich der Schläge der Glocke treffen unaufhörlich das und sind Störfaktor“, weiß Prof. Dr. Brigit- Kopf, wenn es zu laut wird, selbst wenn wir Ohr, so dass der ganze Körper mitbeben te Schulte-Fortkamp aus dem Fachbereich uns die Ohren zuhalten. Es ist, als würden muss, bis schließlich der Wahnsinn dem Psychoakustik und Lärmwirkung an der sie durch die Handrücken hindurchwach- Gemarterten Erlösung bringt.“ Die druck- Technischen Universität Berlin. Bei der sen, so wie es der französische Künstler vollen Schallwellen durchdringen dabei Erklärung von Lärm geht es also um Er- Roland Topor in seiner Illustration zu Felix die Haut, ja den ganzen Körper des Opfers, wünschtes und Unerwünschtes. Dies muss Fénéons „Nouvelles en trois lignes“ darge- bringen das Blut zum Vibrieren und wer- nicht einmal unbedingt laut sein oder klar stellt hat. den von Knochen und Nerven im ganzen definiert. Lärm ist ein komplexes Phäno- Körper verteilt ... men aus einer Vielzahl psychologischer Dass sogar Musik zur Qual werden kann, Bewertungsprozesse. Viel mehr also als nur vor allem, wenn sie in Lärm übergeht be- Verglichen damit scheint die Straßen- das bisschen Ohrensausen an der Straßen- ziehungsweise als solcher empfunden wird kreuzung ja noch das Paradies zu sein, kreuzung. oder wenn sie uns in der Fußgängerzone dauerbeschallt, dass sie gesundheitsschädi- gend sein und im Extremfall zum Tode füh- ren kann, dass sie ein Mittel der Folter sein kann, dass sie in der Lage ist, Gefühle nach- haltig zu manipulieren, und den Tatbestand der Körperverletzung und seelischen Grau- samkeit erfüllen kann, wurde in unserer Von Natur aus gibt es Geschichte schon sehr frühzeitig erkannt. keinen Lärm. Der verstorbene Professor für Forensi- Er entsteht erst in sche Psychiatrie Gerhart Harrer berichte- te von einem chinesischen Polizeimeister unserem Kopf. Ming Ti, der bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. angeblich folgendes Gesetz erlassen haben soll: „Wer den Höchsten schmäht, der soll nicht gehängt werden, sondern Flö-

46 Lärm ist immer auch abhängig von der ei- genen Sozialisation. Wer auf dem ruhigen Seit der industriel- Land aufgewachsen ist, verbindet die klin- genden Kirchturmglocken mit Kindheits- len Revolution hat erinnerung und Heimat, während sich ein ruhebedürftiger Stadtmensch davon ziem- sich der Hörsturz im lich gestört fühlen kann. Im Italienurlaub nehmen wir die Geräuschkulisse eines Re- stressgeprägten 20. staurants ganz anders wahr als zu Hause. Jahrhundert zu einer Sie ist dann eben kein Lärm, sondern Teil des Lebens und Ausdruck von Spaß und Zivilisationskrankheit Lebensfreude. ausgeweitet. Eine manchmal auch positive Haltung gegenüber Lärm von Maschinen und Ro- botern ist in unseren Köpfen psychoakus- tisch verankert und geht zurück auf die Anfänge der Alltagsmechanisierung. Da- Wenn der eine laut sein will oder muss und litische Agenda geschafft. 2002 wurde die mals herrschte die Meinung, Lärm bedeute der andere Ruhe möchte? Wie kann man „Umgebungsrichtlinie“ eingeführt, ein Leistung, und Leistung wurde mit Produk- sich wehren gegen etwas, das nicht greifbar gemeinsamer Ansatz aller EU-Länder, die tivität und Prosperität gleichgesetzt. Erst ist? Lärmbelastung zu senken. In den letzten heute, nachdem Ärzte, Psychologen und Jahrzehnten veröffentlichten Wissenschaft- Wissenschaftler vermehrt hellhörig wer- Eine der ersten aufgezeichneten Lärm- ler dazu immer mehr Lärmstudien. Heute den, betrachtet man Lärm kritisch. Nicht initiativen überhaupt gab es im London gibt es hochspezialisierte Hörschutzfilter nur, ob ein Geräusch in eine Situation passt der 1860er Jahre. Einige Intellektuelle, für Musiker, Geräte zu aktiver Schallbe- oder nicht passt, entscheidet also darüber, darunter Bekanntheiten wie Charles Di- kämpfung und schallschutzoptimierte Kin- ob wir etwas als Lärm empfinden, sondern ckens, wollten ein Gesetz initiieren, das dergärten. Das Bewusstsein der Menschen auch der Zeitgeist, das Fühlen und Denken die Drehorgelspieler und deutsche Blaska- dafür steigt, obwohl man die Folgen der einer Epoche. Während der frühen Indus- pellen auf Londons Straßen verbieten soll- Belastungen meist erst merkt, wenn es zu trialisierung entstanden Geräusche, die te. In Deutschland gründete sich der erste spät ist. Und der Lärm an sich wird ständig zuvor im wahrsten Sinne des Wortes uner- Antilärm-Verein erst 1908 (s. „Unerhört“, mehr. hört waren. Gigantische Maschinen, deren S. 5). Interessanterweise störten sich des- Rattern und Stampfen Fabrikhallen und sen Mitglieder auch schon am zunehmen- Lärm ist nicht nur stetes Hintergrundrau- ganze Stadtviertel erfüllten. Was heute als den Verkehrslärm (es wurde langsam von schen, sondern entwickelt eine eigenstän- extremer Lärm empfunden würde, z. B. das Pferdeverkehr auf elektrische Straßenbah- dige, großräumige Dynamik. Flutwellen unaufhörliche Rattern der Riesenwebstüh- nen und Automobile umgestellt). Vor al- gleich strömt Lärm durch den Stadtraum. le, wurde damals eben nicht als besonders lem aber ging es den Mitgliedern um den Flutmaxima am Tag und Ebbe in der Nacht. störend empfunden, sondern als positiver Kampf gegen die Geräusche ihrer Mitmen- Gerade dann sollten wir unseren Ohren Klang des Fortschritts, als etwas, das die schen. Ein immer wieder aufkommendes möglichst viel Ruhe gönnen. Lärm ist ein Gesellschaft voranbrachte und sich dabei Thema war das Klavierspiel im Mietshaus Thema, das an Wichtigkeit nicht verlieren deutlich Gehör verschaffte. der Nachbarn oder das Musizieren ganz ge- darf. Denn für die meisten (nicht nur jun- nerell. In ihrer witzig betitelten Vereinszeit- gen) Menschen, ist gutes Gehör eine Selbst- Seit der industriellen Revolution als schrift „Der Antirüpel“ wurde auch heftig verständlichkeit – bis sie es verlieren. Kesselmacherkrankheit bekannt, hat sich gewettert gegen den Milchmann mit seinen der Hörsturz als Folge von Überlastung im Kannen. Mit Beginn des Ersten Weltkrie- Roland Kolb stressgeprägten 20. Jahrhundert zu einer ges endete die Arbeit des ersten Deutschen Zivilisationskrankheit ausgeweitet. In der Antilärm-Vereins dann aber abrupt. Es gab damaligen Arbeiter- und Unterschicht war schlimmere Klänge als das Klavierspiel und Lärm nicht nur eine notwendige Begleit- Gestöhne des Nachbarn, denn Kanonen- erscheinung des Fortschritts. Die Unemp- schläge und Maschinengewehrfeuer über- findlichkeit gegenüber lauten und vielleicht deckten jede Form von Diskussion. störenden Klängen war auch ein Beweis von Männlichkeit und Kraft. Was aber tun, Obwohl Lärm seit jeher viele Menschen wenn sich der Zeitgeist ändert? Wenn In- bewegt, plagt und stresst, hat er es in Eu- teressen und Kulturen aufeinanderprallen? ropa erst Mitte der 90er Jahre auf die po-

47 RUHE

IM KIRCHLICHEN RAUM

48 Die Kirche ist ein Ort der Stille. Oder etwa doch nicht? Wie ruhig ist es dort wirklich? Wir haben drei Mitglieder unterschiedlicher christlicher Ge- meinden befragt, welche Rolle die Ruhe in ihren Kirchen spielt – und wel- che die Musik.

Ihr seid alle drei in unterschiedlichen eigene Lieder der Kirche, die aus dem Eng- und sind eine kreative Antwort auf Gottes Ausprägungen des Christentums zuhau- lischen ins Deutsche übersetzt wurden. Die Liebe zu uns Menschen. se, daher erst einmal eine grundlegende Band spielt dabei in voller Besetzung, also Frage: In welcher Gemeinde seid ihr Mit- mit Drums, Bass, E-Gitarre, Keys, manch- ,QZHOFKHP5DXPĆQGHQGHQQHXUH*RW- glied, und was für Lieder werden bei euch mal Geige, oft – vor allem abends – auch tesdienste statt, und was bedeutet er wie gesungen? mit Tracks. Bei uns wird generell viel ge- euch? Singt ihr die Kirchenlieder auch Katharina Meyer: Ich bin Mitglied in der sungen, für eine Kirche ist es daher deutlich zuhause? Adventgemeinde Verden. Bis vor Kurzem lauter, als man es wohl erwarten würde. K.M.: Wir haben meistens keine klassischen hatten wir dort das Gesangbuch „Wir loben Kirchen, wie man sie kennt. Die meisten Gott“, aber jetzt haben wir in unserer Ge- Wie ihr welche Lieder singt, scheint also adventistischen Gemeinden treffen sich meinde ein eigenes Gesangbuch. Zusätzlich tatsächlich ziemlich unterschiedlich zu in großen Gemeindesälen. Dort grenzen benutzen wir Liedermappen, in denen die sein. Was bedeuten euch denn diese Lie- oft noch weitere, kleinere Räume an, weil Liedauswahl immer mal wieder verändert der und die Art, wie sie gesungen werden? es vor unseren Gottesdiensten auch „Ge- wird. Da sind auch Lieder drin, die von der K.M.: Mir macht es einfach Spaß, diese sprächsteile“ gibt, in denen z.B. alle Jugend- Wortwahl und der Melodieführung her et- Lieder mit allen zusammen zu singen – im lichen eine Gesprächsrunde bilden und die was moderner sind, sodass für Jung und Alt Gottesdienst oder auch im Chor der Ge- Erwachsenen eine andere. Jede Gruppe ist etwas dabei ist. Begleitet wird die Musik in meinde. Was sie mir geben, ist also Freude dann in einem anderen Raum, und der Ab- unserer kleinen Gemeinde nur durch Orgel und, naja, Hoffnung wäre zu viel gesagt, lauf wird entsprechend angepasst, sodass und Klavier, weil uns einfach die Mittel und aber es geht schon so in diese Richtung. die Kinder eben z.B. Kinderlieder singen. der Platz für etwas Größeres fehlen. Aber in Im Allgemeinen geht es mir dabei aber Das ist dann noch etwas ruhiger und ver- größeren Gemeinden wie z.B. in Hannover vor allem um die Aussage, die in den Tex- trauter als der große Gottesdienst. Der Ge- ist es nicht unüblich, dass eine eigene Band ten steckt. Da ist es egal, ob man laut oder meindesaal an sich bedeutet mir nicht wirk- spielt. Dort gibt es auch sogenannte Lob- leise, mit großer Band oder nur mit Klavier lich etwas, außer dass er eine gute Akustik preisteile in den Gottesdiensten, in denen singt. Aber die Musik sollte zum Text pas- hat und die Musik dadurch einfach besser noch modernere Lieder gesungen werden. sen. Wenn ein Text z.B. eher provokativ ist, klingt. Und dass man mit so vielen Leuten Da wir eine relativ starke Gemeinschaft spricht ja auch nichts gegen eine modernere zusammen singt. Aber ich singe die Lieder haben, kennt auch jeder die Lieder, sodass Vertonung, die sogar in Richtung Popmu- auch zuhause. wirklich alle mitsingen. Bei uns ist es daher sik gehen kann. Aber man muss eben im- A.N.: Unsere Gottesdienste finden in einer vielleicht etwas lauter als in Landeskirchen. mer bedenken, dass auch ältere Menschen klassischen Kirche statt. Die Kirchenlieder Wir schreien jetzt auch nicht, aber die Bot- der Gemeinde angehören. Die könnten mit singe ich zuhause eigentlich nicht, einfach schaft kommt schon an. (lacht) so einer modernen, lauten „Happy Church“ weil ich sie nicht auswendig kann. Und ich Anke Neemeyer: Ich bin in der evange- vielleicht nicht so viel anfangen. hole auch nicht extra das Gesangbuch raus, lisch-lutherischen Kirchengemeinde St. A.N.: Mir geht es bei vielen Liedern auch nur um zu singen. Die einzelnen Strophen, Pankratius in Burgdorf. Wir benutzen das um den Text, wobei ich finde, dass die Lie- die ich im Kopf habe, können mir auch evangelische Gesangbuch und dazu die „Le- der auch einfach so guttun, weil sie einem mal außerhalb der Kirche über die Lippen bensweisen“. Das ist ein Liederheft, in dem schon sehr lange, in meinem Fall seit der kommen, aber nur, wenn ich gerade allein ein wenig modernere Lieder stehen. Beglei- Konfirmandenzeit, vertraut sind. Da kann und z.B. besonders glücklich oder dankbar tet werden wir meistens von der Orgel oder man beim Mitsingen einfach die Gedanken bin und Gott diese Dankbarkeit mitteilen manchmal auch von Klavier oder Gitarre. schweifen lassen und zur Ruhe kommen. möchte. Es kommt aber doch eher selten Es gibt aber auch einen Posaunenchor und Die neueren Lieder aus den „Lebenswei- vor, dass ich Dank mit Gesang ausdrücke. eine Kantorei. Pro Gottesdienst singen wir sen“ gefallen mir aber auch. Die sind etwas M.D.: Unser Auditorium gleicht einem ungefähr fünf Lieder, die Gemeinde singt schwungvoller, das ist mal etwas anderes. Konzertsaal, in dem mehrere hundert Men- sitzend mit. Bei uns geht es also eher etwas M.D.: Für mich persönlich sind die Lieder schen Platz finden. Es ist ein Raum, wo die ruhiger zu. ein moderner Ausdruck der Anbetung. Ich ganze Gemeinde zusammenkommt und in Mara Duisenberg: Ich bin Mitglied einer singe sie gern, und man kennt und versteht dem man sich zuhause fühlen und in ge- freien Pfingstgemeinde. Wir singen dort die Texte. Sie beziehen sich auf die Bibel wisser Weise auch zur Ruhe kommen kann.

49 Kreatives Licht und ein voller Sound füllen M.D.: Gebet ist nicht örtlich gebunden oder anderes Gefühl als zuhause. Aber in wel- die Halle, und so entsteht einfach eine coole begrenzt. Die Lieder sind ebenso wie das chem Raum man das hat, ist mir letztlich Atmosphäre. Die Songs singe ich auch zu- Gebet eine Form der Kommunikation mit egal. Ich komme zur Ruhe, wenn ich mit hause. Das ist auch ziemlich einfach, weil es Gott. Wenn ich allein singe, suche ich mir meiner Gemeinde singen und beten kann. all unsere Lieder auf CD gibt. wahrscheinlich automatisch einen ruhigen Egal, wo. Ort, also z.B. mein Zimmer. Ich singe sie A.N.: Für mich passen alte Choräle mit Or- Betet ihr denn auch zuhause, oder aber auch gerne auf dem Fahrrad. (lacht) gelbegleitung schon am besten in eine tra- braucht ihr dafür zwingend den kirchli- Da ich mir die Songs überall anhören kann, ditionelle Kirche. Aber andere christliche chen Raum, um zur Ruhe zu kommen? brauche ich dafür nicht zwingend einen Lieder, z.B. mit Gitarrenbegleitung, gehen K.M.: Ja, ich bete und singe zuhause, aller- festen Raum. Allerdings birgt er eine große für mich auch in anderen Räumen oder am dings nur ganz allein für mich. Kraft, und es bringt auch einfach Spaß, zu- Lagerfeuer. Wichtig ist, dass ich sie mit an- A.N.: Ich bete auf jeden Fall auch zuhause. sammen in der Gemeinde zu singen und zu deren Christen zusammen singe, dass man Für ein Gebet brauche ich Ruhe, und die Gott zu beten. zusammen Gott lobt und eine Gemein- finde ich sowohl in den stillen Phasen im schaft erlebt. Ich käme definitiv nicht auf Gottesdienst als auch zuhause. Zum Beten Geht es euch denn beim Singen nur da- die Idee, mir allein zuhause eine CD mit braucht es für mich also nicht zwingend rum, überhaupt einen Raum zu haben, Orgelmusik aufzulegen. Für mich ist die einen kirchlichen Raum, zum Singen aber oder muss es genau so einer sein? Kirche auf jeden Fall ein Ort der Stille. Hier schon. Beten kann ich auch allein, singen K.M.: Mir ist das echt egal. Ich finde einfach kann ich abschalten, beten, singen und zur eher nicht, weil ich nicht wirklich musika- das Zusammenkommen und die Akustik Ruhe kommen. lisch bin. (lacht) toll. Das verleiht einem nochmal ein ganz M.D.: In unseren Gottesdiensten wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass man sich in dem Raum wohlfühlen kann. Das erleich- tert es den Menschen, Ruhe zu finden und sich ganz auf den Gottesdienst zu konzen- trieren. Außerdem werden unsere Gottes- dienste gefilmt und u.a. in das Nebenzim- mer gestreamt, in dem Eltern mit kleinen Babys sitzen können, denen es drinnen zu laut ist. Durch Licht, kreative Backgrounds und gute Kameraführung und Sound ist das technische Niveau sehr hoch und der Raum sehr besonders. Die Technik ist aller- GGennosseenscchafftliche dings gut in den Raum eingebettet, sodass BBeraatunng isst es nicht plötzlich komisch aussieht, sobald das Licht hell wird. Auf alles wird geachtet, Beratung auf und das macht es wiederum sehr spannend, weshalb ich genau so einen Raum nicht Augenhöhe. missen möchte. Das ist wohl etwas, was uns alle drei verbindet. Wir können in unseren Räumen Ruhe finden, Gemeinschaft erle- ben, singen und uns einfach fallen lassen. Eine klassische Kirche oder eben so ein spe- ziell designter Raum, wie bei uns, trägt dazu natürlich in hohem Maße bei, weshalb es nicht das Gleiche wäre, alles in einen „nor- malen“ Raum zu verlegen. Der kirchliche Raum ist nun einmal etwas Besonderes.

Das Gespräch führte Sara Kuhlgatz

BILDNACHWEIS Titel: Christoph Kastrop / Lara Sagen S. 4: Maike Helbig 6 /DUD6DJHQ 6 =VµĆD7LP£U S. 10-13: Sara Kuhlgatz S. 14: lizenzfrei 6 lizenzfrei 6 .DWKDULQD%RFN 6 'DQLHO+HUUPDQQ 3KRWRYLVLRQ 6 OL]HQ]IUHL 6 OL]HQ]IUHL Verständlich, glaubwürdig, ehrlich – 6 OL]HQ]IUHL S. 30-31: Vladimir Szynajowski die Finanzberatung, die erst zuhört 6 KWWSVSL[DED\FRPGH S. 38: Katharina Bock und dann berät. 6 3UHVVHIRWR www.hannoversche-volksbank.de S. 40-41: Sandra Ludewig 6 OL]HQ]IUHL S. 45-47: lizenzfrei S. 48: lizenzfrei Eine Institution der Gefördert durch Landeshauptstadt -WTV5EJYKVVGTU2NCV\ś*CPPQXGTśYYYURTGPIGNOWUGWOFG &KGPUVCIŤ7JTś/KVVYQEJDKU5QPPVCIŤ7JTś/QPVCIIGUEJNQUUGP 51

ABB.: Niki de Saint Phalle, Last night I had a Dream, 1968 Sprengel Museum Hannover, Schenkung Niki de Saint Phalle © N.C.A.F. – Donation Niki de SAINT PHALLE – Sprengel Museum Hannover ©VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Michael Herling/Aline Gwose, Sprengel Museum Hannover MUSIC IS OUR PASSION 52