Plenarprotokoll 5/4

Sächsischer

4. Sitzung 5. Wahlperiode

Beginn: 10:00 Uhr Donnerstag, 12. November 2009, Plenarsaal Schluss: 17:24 Uhr

Inhaltsverzeichnis

0 Eröffnung 143 2. Aktuelle Debatte 20 Jahre nach dem Fall der Geburtstagsglückwünsche für die Abg. Mauer – Sachsens erfolgreicher Cornelia Falken und Dr. Volker Külow, Weg in die Freiheit Linksfraktion 143 Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP 155 Änderung der Tagesordnung 143 Klaus Tischendorf, Linksfraktion 143 Rolf Seidel, CDU 155 Torsten Herbst, FDP 156 Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, 1 Aktuelle Stunde Linksfraktion 157 1. Aktuelle Debatte Thomas Jurk, SPD 158 Die finanziellen Auswirkungen des Gisela Kallenbach, GRÜNE 159 Koalitionsvertrages von CDU/FDP Jürgen Gansel, NPD 160 im Bund für den Freistaat Sachsen Frank Heidan, CDU 161 und seine Städte und Gemeinden Rico Gebhardt, Linksfraktion 162 Antrag der Fraktion der SPD 144 Steffen Flath, CDU 163 Rico Gebhardt, Linksfraktion 163 Mario Pecher, SPD 144 Steffen Flath, CDU 163 Lars Rohwer, CDU 145 Rico Gebhardt, Linksfraktion 163 Sebastian Scheel, Linksfraktion 146 Thomas Jurk, SPD 163 Holger Zastrow, FDP 147 Hannelore Dietzschold, CDU 164 Antje Hermenau, GRÜNE 148 Stephan Meyer, CDU 165 Arne Schimmer, NPD 149 Julia Bonk, Linksfraktion 166 Prof. Dr. Georg Unland, Staatsminister der Finanzen 149 Petra Köpping, SPD 151 2 1. Lesung des Entwurfs Lars Rohwer, CDU 151 Dreizehntes Gesetz zur Änderung Martin Dulig, SPD 152 des Abgeordnetengesetzes Lars Rohwer, CDU 152 Drucksache 5/298, Gesetzentwurf Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion 153 der Fraktionen BÜNDNIS 90/ Holger Zastrow, FDP 153 DIE GRÜNEN, DIE LINKE und Dr. Eva-Maria Stange, SPD 154 der SPD 167 Holger Zastrow, FDP 154 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 154 Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 167 Holger Zastrow, FDP 154 Überweisung an den Ausschuss 168

Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

3 1. Lesung des Entwurfs Änderungsantrag der Fraktion Gesetz über die Sächsische der NPD, Drucksache 5/355 180 Härtefallkommission (Sächsisches Holger Apfel, NPD 180 Härtefallkommissionsgesetz – Prof. Dr. Günther Schneider, CDU 180 SächsHFKG) Abstimmung und Ablehnung 180 Drucksache 5/308, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/ Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN 168 DIE LINKE, Drucksache 5/391 180 Annekatrin Klepsch, Linksfraktion 180 Elke Herrmann, GRÜNE 168 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 180 Überweisung an den Ausschuss 169 Abstimmung und Ablehnung 181

Änderungsantrag der Fraktion 4 1. Lesung des Entwurfs BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sächsisches Gesetz über Versamm- Drucksache 5/400 181 lungen und Demonstrationen (Ver- Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 181 sammlungsgesetz – SächsVersG) Prof. Dr. Günther Schneider, CDU 181 Drucksache 5/314, Gesetzentwurf Abstimmung und Ablehnung 181 der Fraktion der NPD 170 Abstimmung und Zustimmung Winfried Petzold, NPD 170 Drucksache 5/295 181 Überweisung an den Ausschuss 171 7 Ja zur Versammlungsfreiheit – Nein zu einem „Sächsischen 5 Wahl von Mitgliedern des Sächsi- Versammlungsrecht“! schen für den Kultursenat Drucksache 5/299, Antrag (gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes der Fraktion DIE LINKE 182 über die Errichtung des Sächsischen Kultursenats) 171 Klaus Bartl, Linksfraktion 182 Marko Schiemann, CDU 184 Klaus Tischendorf, Linksfraktion 171 Sabine Friedel, SPD 186 Carsten Biesok, FDP 187 6 Freier Eintritt für Kinder und Klaus Bartl, Linksfraktion 187 Jugendliche in staatliche Museen Carsten Biesok, FDP 187 Drucksache 5/295, Antrag der Eva Jähnigen, GRÜNE 188 Fraktionen der CDU und der FDP 172 Carsten Biesok, FDP 188 Johannes Lichdi, GRÜNE 188 Prof. Dr. Günther Schneider, CDU 172 Holger Apfel, NPD 190 Nico Tippelt, FDP 173 Julia Bonk, Linksfraktion 191 Annekatrin Klepsch, Linksfraktion 174 Dr. Jürgen Martens, Staatsminister Dr. Eva-Maria Stange, SPD 175 der Justiz 192 Tino Günther, FDP 175 Johannes Lichdi, GRÜNE 194 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 175 Dr. Jürgen Martens, Staatsminister Tino Günther, FDP 175 der Justiz 194 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 175 Klaus Bartl, Linksfraktion 195 Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 176 Johannes Lichdi, GRÜNE 195 Winfried Petzold, NPD 177 Klaus Bartl, Linksfraktion 195 Aline Fiedler, CDU 178 Carsten Biesok, FDP 195 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 178 Klaus Bartl, Linksfraktion 195 Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, Änderungsantrag der Fraktion Staatsministerin für Wissenschaft und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kunst 179 Drucksache 5/402 196 Prof. Dr. Günther Schneider, CDU 179 Johannes Lichdi, GRÜNE 196 Abstimmungen und Änderungsanträge 180 Julia Bonk, Linksfraktion 197 Abstimmung und Ablehnung 197

Abstimmung und Ablehnung Drucksache 5/299 197 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

8 „Weltoffenes Sachsen“ – – Zukunft der Gemeinschaftsschule Evaluation des Landesprogramms (Frage Nr. 2) veröffentlichen Annekathrin Giegengack, GRÜNE 212 Drucksache 5/291, Antrag der Frak- Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 198 für Kultus und Sport 212 Annekathrin Giegengack, GRÜNE 212 Miro Jennerjahn, GRÜNE 198 Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister Lars Rohwer, CDU 199 für Kultus und Sport 212 Freya-Maria Klinger, Linksfraktion 200 – Grenzüberschreitender Verkehr Henning Homann, SPD 201 Carsten Biesok, FDP 202 (Frage Nr. 6) Andreas Storr, NPD 202 Dr. Johannes Müller, NPD 212 Johannes Lichdi, GRÜNE 203 Sven Morlok, Staatsminister für Andreas Storr, NPD 203 Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 213 Johannes Lichdi, GRÜNE 203 – Förderung des Ausbaus der Königs- Andreas Storr, NPD 203 brücker Straße in Dresden durch den Johannes Lichdi, GRÜNE 204 Freistaat Sachsen (Frage Nr. 5) Andreas Storr, NPD 204 Eva Jähnigen, GRÜNE 213 Markus Ulbig, Staatsminister des Sven Morlok, Staatsminister für Innern 204 Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 213 Miro Jennerjahn, GRÜNE 205 Eva Jähnigen, GRÜNE 214 Änderungsantrag der Fraktion der Sven Morlok, Staatsminister für NPD, Drucksache 5/376 206 Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 214 Eva Jähnigen, GRÜNE 214 Andreas Storr, NPD 206 Miro Jennerjahn, GRÜNE 206 Sven Morlok, Staatsminister für Abstimmung und Ablehnung 207 Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 214 Sabine Friedel, SPD 214 Sven Morlok, Staatsminister für Abstimmung und Ablehnung Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 214 Drucksache 5/291 207 Sabine Friedel, SPD 214 Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 214 9 Härtere Maßnahmen gegen Patrick Schreiber, CDU 214 Sexualstraftäter – Chemische Sven Morlok, Staatsminister für Kastration einführen Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 215 Drucksache 5/288, Antrag der Fraktion der NPD 207 – Mögliche Verdrängung von Investiti- onen bzw. Instandsetzungen im Sächsi- Holger Apfel, NPD 207 schen ÖPNV durch explodierende Sabine Friedel, SPD 208 Kosten beim Leipziger City-Tunnel Anja Jonas, FDP 209 (Frage Nr. 12) Jürgen Gansel, NPD 210 Arne Schimmer, NPD 215 Sven Morlok, Staatsminister für Abstimmung und Ablehnung 211 Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 215 – Verkauf des Hochspannungsnetzes 10 Fragestunde von Vattenfall an Finanzinvestoren Drucksache 5/317 211 (Goldman Sachs, Deutsche Bank und Allianz) (Frage Nr. 4) Dr. Monika Runge, Linksfraktion 215 – Außerkrafttreten der „Verordnung der Sven Morlok, Staatsminister für Sächsischen Staatsregierung zur Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 215 Einrichtung einer Härtefallkommission Dr. Monika Runge, Linksfraktion 215 nach dem Aufenthaltsgesetz Sven Morlok, Staatsminister für (SächsHFKVO)“ zum 31. Dezember Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 215 2009 (Frage Nr. 1) Freya-Maria Klinger, Linksfraktion 211 – Aktivitäten der extremen Rechten am Markus Ulbig, Staatsminister des Volkstrauertag 2009 (Frage Nr. 9) 215 Innern 211 Miro Jennerjahn, GRÜNE 215 Freya-Maria Klinger, Linksfraktion 211 Markus Ulbig, Staatsminister des Markus Ulbig, Staatsminister des Innern 216 Innern 211 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Miro Jennerjahn, GRÜNE 216 Markus Ulbig, Staatsminister des Innern 216 – Gehaltszahlungen bzw. andere Zuwendungen an die früheren Vorstän- de Michael Weiß und Andrea Braun (Frage Nr. 13) Arne Schimmer, NPD 216 Prof. Dr. Georg Unland, Staatsminister der Finanzen 216 – Förderung grenzüberschreitender Zusammenarbeit (Frage Nr. 7) Heiko Kosel, Linksfraktion 216 Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 217 Heiko Kosel, Linksfraktion 217 Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 217 Heiko Kosel, Linksfraktion 217 Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 217 – Transporte radioaktiver Abfälle nach Sachsen (Frage Nr. 10) Miro Jennerjahn, GRÜNE 217 Frank Kupfer, Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft 217 – Sicherheit der Gäste des Lausitzer Seenlandes (Frage Nr. 8) Heiko Kosel, Linksfraktion 218 Markus Ulbig, Staatsminister des Innern 218 – Sächsische Härtefallkommission (Frage Nr. 11) Elke Herrmann, GRÜNE 219 Markus Ulbig, Staatsminister des Innern 219 Elke Herrmann, GRÜNE 219 Markus Ulbig, Staatsminister des Innern 219

Nächste Landtagssitzung 219

Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Eröffnung (Beginn der Sitzung: 10:00 Uhr) Ich bitte den Herrn Kollegen, das Wort zu nehmen.

Präsident Dr. Matthias Rößler: Meine sehr verehrten Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Danke. – Herr Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Präsident! Unsere Fraktion beantragt, als neuen Tagesord- Ich eröffne die 4. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages. nungspunkt 5 die Wiederholungswahl zum Sächsischen Zuerst darf ich Frau Falken und Herrn Dr. Külow ganz Kultursenat vorzunehmen. Die weiteren Wahlen wollen herzlich zum Geburtstag gratulieren. wir heute nicht auf die Tagesordnung setzen. (Beifall – Dr. André Hahn, Präsident Dr. Matthias Rößler: Es geht um den zweiten Linksfraktion, überreicht Blumen.) Wahlgang zum Kultursenat? Folgende Kollegen haben sich für die heutige Sitzung Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Nach den entschuldigt: Herr Dr. Schuster, Herr Krauß, Frau 1. Lesungen. Strempel, Herr Tillich und Herr Colditz. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn ich vor allem Kollegen Präsident Dr. Matthias Rößler: Den Wahlgang würden Colditz, der gestern ins Krankenhaus musste, gute Besse- Sie gern nach den 1. Lesungen als neuen Punkt 5 auf die rung wünsche. Tagesordnung gesetzt wissen? (Beifall) Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Ja. Vorher findet die Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung liegt Ihnen Verständigung entsprechend Geschäftsordnung statt. vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 5 bis Präsident Dr. Matthias Rößler: Richtig. – Ich darf jetzt 8 folgende Redezeiten festgelegt: CDU bis zu 60 Minu- einfach so in die Runde fragen: Erhebt sich dagegen ten, DIE LINKE bis zu 40 Minuten, SPD bis zu Widerspruch? – Ich sehe keinen Widerspruch. Damit 24 Minuten, FDP bis zu 24 Minuten, GRÜNE bis zu haben wir diesen Tagesordnungspunkt, wie von Kollegen 20 Minuten, NPD bis zu 20 Minuten und die Staatsregie- Tischendorf für die Fraktion DIE LINKE begehrt, an der rung, wenn gewünscht, bis zu 40 Minuten. Die Redezei- entsprechenden Stelle in die Tagesordnung eingeordnet. ten der Fraktionen und der Staatsregierung können, wie gewohnt, je nach Bedarf auf die Tagesordnungspunkte Ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge oder verteilt werden. Widerspruch gegen die nunmehr erweiterte Tagesord- nung. Die Tagesordnung der 4. Sitzung ist damit bestätigt. Zur Tagesordnung! Der Tagesordnungspunkt 10, Kleine Anfragen, ist zu streichen. Meine Damen und Herren! Ich rufe auf Meine Damen und Herren! Vor uns liegen noch Punkte von gestern, die wir aufarbeiten müssen.

Tagesordnungspunkt 1 Aktuelle Stunde 1. Aktuelle Debatte: Die finanziellen Auswirkungen des Koalitionsvertrages von CDU/FDP im Bund für den Freistaat Sachsen und seine Städte und Gemeinden Antrag der Fraktion der SPD 2. Aktuelle Debatte: 20 Jahre nach dem Fall der Mauer – Sachsens erfolgreicher Weg in die Freiheit Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen und der mit unserer neuen Geschäftsordnung viel vorgenommen Staatsregierung hat das Präsidium wie folgt vorgenom- haben. Insbesondere in der Aktuellen Debatte sind die men: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 20 Minuten, SPD Beiträge in freier Rede zu halten. Man kann einen Stich- 17 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 10 Minuten, NPD wortzettel verwenden. Es sollen keine ausgearbeiteten 10 Minuten; Staatsregierung, wenn gewünscht, 20 Minu- Wortbeiträge vorgetragen oder gar vorgelesen werden. In ten. Richtung der Staatsregierung möchte ich sagen: Nach Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und unserer juristischen Auffassung gilt das auch für die Kollegen! Ich weise nochmals darauf hin, dass wir uns beteiligten Mitglieder der Staatsregierung.

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(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion, Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu der SPD und der FDP)

1. Aktuelle Debatte Die finanziellen Auswirkungen des Koalitionsvertrages von CDU/FDP im Bund für den Freistaat Sachsen und seine Städte und Gemeinden Antrag der Fraktion der SPD

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der SPD das Kommunen keine Förderprogramme, an denen sich der Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, Freistaat beteiligt, zur Verfügung stellen können. DIE LINKE, FDP, GRÜNE und, wenn gewünscht, die Hinzu kommen weitere Unwägbarkeiten: Neben den Staatsregierung. Steuerausfällen aufgrund der wirtschaftlichen Situation Ich bitte den ersten Redner nach vorn; Kollege Pecher. spielt das Thema Landesbank eine Rolle. Aber auch der City-Tunnel verschlingt zunehmend Regionalisierungs- (Mario Pecher, SPD, zeigt dem Präsidenten vor mittel. Redebeginn seine schriftlichen Aufzeichnungen.) Der Koalitionsvertrag enthält nur kurze Aussagen zu – Ganz vorbildlich, Herr Kollege. wesentlichen, für Sachsen entscheidenden Bereichen. So (Heiterkeit) konzentriert man sich im Rahmen der Städtebauförderung ganz auf die privaten Hauseigentümer. Die Sportförde- Mario Pecher, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine rung ist der Koalition ganze 7,5 Zeilen wert. Es fehlen Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aussagen zur weiteren Finanzierung. Für den demografi- Schwarz-Gelb ist bekanntermaßen ein Farbcode, der uns schen Wandel, der insbesondere in den ostdeutschen zeigt: Vorsicht! Risiko! Unfallgefahr! Gefährlich! Ab- Bundesländern gravierende Auswirkungen auf die Infra- sturzgefahr! struktur hat, sind ganze achteinhalb Zeilen vorgesehen. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion Auch das Thema ÖPNV konzentriert sich mehr auf die und den GRÜNEN) unternehmerische und wettbewerbliche Ausrichtung und natürlich auf den kommerziellen Vorrang, von dem Genau in diesen Farben kann man die Koalitionsvereinba- Angriff auf die Gewerbesteuer einmal ganz abgesehen. rung zwischen CDU und FDP im Bund durchaus ein- Was heißt denn in diesem Bereich mehr Netto vom schlagen. Die Vereinbarung ist genauso, wie der Farbcode Brutto? Was heißt denn das, wenn die Kommunen kein es signalisiert. Geld mehr haben und über Gebührenerhöhung letztlich (Dr. Martin Gillo, CDU: Bei Rot geht dieses „mehr Netto“ verringern müssen? Das bedeutet gar nichts mehr! – Heiterkeit und nichts anderes als eine Entlastung bei einem Prozent von Beifall bei der CDU und der FDP) 10 000 Euro gleich 100 Euro und bei 1 000 Euro gleich 10 Euro. Das ist die Umverteilung, die in diesem Koaliti- Was haben wir nun von dieser Koalitionsvereinbarung zu onsvertrag stattfindet, nämlich die Umverteilung von Arm erwarten? Wir haben aufgrund des sogenannten Wachs- nach Reich. Das ist eine Sache, die es ganz schwer macht, tumsbeschleunigungsprogramms, das aus meiner Sicht hier gemeinsam ein Land zu gestalten, vor allem in mehr oder weniger ein Schuldenbeschleunigungspro- Sachsen und in den Kommunen. gramm darstellt, im Jahr 2010 rund 2,3 Milliarden Euro Einnahmeausfälle für die Länder zu erwarten; für Sachsen (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion liegt die Zahl irgendwo um 200 Millionen Euro. Die und den GRÜNEN) Einnahmeausfälle werden ab 2012 wahrscheinlich – so Wie verhält sich nun unser Ministerpräsident? Wie verhält sagen es alle Institute voraus – sage und schreibe sich die CDU? Wie verhält sich die FDP in Sachsen? Hier 12 Milliarden Euro betragen. wird jetzt praktisch janusköpfig umhergegangen und Die Auswirkungen für den Freistaat sind dramatisch. Wir gesagt, es ist alles schwer und es muss keine Neuver- kommen in eine Situation, in der einige Kommunen jetzt schuldung betrieben werden. Hallo, ist da irgendetwas an schon stecken: Sie können keine neuen Kredite aufneh- uns vorbeigegangen? Wer hat denn im Bund, in Parteien men, weil dann die Rechtsaufsicht einschreitet, und damit und Fraktionen einstimmig diesem Thema zugestimmt? notwendige Kofinanzierungen nicht mehr sicherstellen. Jetzt im Land umherzugehen und zu sagen, wir dürfen Genauso wird es dem Land gehen. Wir haben uns selbst hier nicht in eine Verschuldung getrieben werden, das ist verpflichtet, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, unter Kumpeln, also Bergleuten, gesagt, einfach Verar- kommen aber in die Situation, dass uns zukünftig auf- sche. Das ist Verarsche in Richtung unserer Bürger, denn grund mangelnder Einnahmen die Kofinanzierungsmittel es bedeutet weniger Handlungsspielraum für die Zukunft für Bundesprogramme verloren gehen bzw. wir den im Freistaat Sachsen.

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(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD! Gürtel enger schnallen – das wäre vielleicht auch mal bei Man kann es natürlich auch so festmachen: dass der Ihnen angesagt. Ministerpräsident, aber auch die Koalitionsfraktionen wie ein Landschaftsgärtner handeln, der die eigene Wasserlei- Nun zu den Regelungen im Koalitionsvertrag auf Bun- tung sabotiert; denn diese Einnahmeausfälle, die auf uns desebene, denn das ist ja das Thema. Herr Pecher hat eben zukommen, sind verstetigt, sie sind bleibend und sie all die Dinge angesprochen, die aus seiner Sicht negativ kommen noch zu dem Rückgang aus den Solidarmitteln sind. Ich spreche jetzt einmal die Dinge an, die aus und den Ausfällen aufgrund der Wirtschaftskrise hinzu. unserer Sicht positiv sind. Das Erste ist das Bekenntnis zum Solidarpakt 2019. Da haben wir in der bundesdeut- Ich denke manchmal, dass die FDP wirklich daran glaubt, schen Debatte auch schon anderes gehört. dass durch mehr Waschstraßen und längere Öffnungszei- ten bei Videotheken so viel Gewerbesteuer eingenommen (Beifall bei der CDU und der FDP) wird, dass man diese Ausfälle damit kompensieren Herr Pecher und Herr Jurk, Sie wissen aus der Regie- könnte. rungserfahrung im Freistaat ganz genau, wie wichtig es Ich bleibe dabei: Dieses Programm ist ungerecht. Es ist ist, dass der Solidarpakt 2009 bis zum Schluss läuft. teuer und es ist auf Pump aufgebaut und dient nicht dem Insofern ist das etwas Positives im Koalitionsvertrag des Wohl des Freistaates Sachsen. Bundes. Danke schön. Das zweite Positive ist, dass wir die Familien in diesem (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion Land entlasten wollen. Da sollte eher die SPD Beifall klatschen, als dass sie es kritisiert. Anhebung Kinderfrei- und den GRÜNEN) betrag, Erhöhung Kindergeld – das alles sind Dinge, die, Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr wie Sie wissen, wichtig sind, damit die Familien, die von Kollege Pecher. – Für die CDU spricht jetzt Herr Kollege der Krise am meisten belastet werden, auch ein Stück Rohwer. Entlastung bekommen.

Lars Rohwer, CDU: Herr Präsident! Meine sehr geehrten (Zuruf von der SPD) Damen und Herren! Als ich dieses Thema der Aktuellen Das Nächste ist, dass Sie völlig vergessen, was im Koali- Debatte gelesen habe, dachte ich: Was will die SPD? Will tionsvertrag zum Beispiel zur Verkehrsanbindung des sie uns zeigen, dass sie ganz schnell das Regierungsmän- Freistaates Sachsen geschrieben ist, etwas, was Ihre SPD- telchen mit dem Oppositionsmäntelchen gewechselt hat, Verkehrsminister ständig negiert haben. Es ist nichts oder will sie vielleicht jetzt in Vorbereitung ihres Bundes- passiert. parteitages in Dresden eine Begleitmusik in der Presse (Beifall bei der CDU und der FDP) schaffen? Sie wollen sich ja ab morgen erneuern, meine sehr geehr- Präsident Dr. Matthias Rößler: Herr Rohwer, gestatten ten Damen und Herren von der SPD. Zur Erneuerung Sie eine Zwischenfrage? gehört auch ein bisschen Pressewirbel. Aber das, was ich gerade gehört habe, ist keine Erneuerung. Herr Pecher hat Lars Rohwer, CDU: Ich würde gerne die Rede zu Ende gerade von Beitragserhöhungen gesprochen. Vielleicht führen. Frau Dr. Stange kann sicher im Rahmen der sollten Sie aber einmal darüber nachdenken, Ausgaben zu Debatte eingreifen. Die SPD hat genügend Redezeit. senken. (Oh-Rufe bei der SPD) (Beifall bei der CDU und der FDP) Deutsche Einheit, dazu gibt es mehrere Projekte, die im Das wäre ja etwas Neues von der SPD gewesen, dass sie Koalitionsvertrag festgehalten sind. Ich höre nicht ein Vorschläge auf den Tisch legt, mit denen etwas eingespart Wort der Freude aus der SPD darüber, dass sich die neue werden kann, damit den Bürgern das Geld nicht über Regierung vornimmt, eine bessere Schienenverkehrsver- Steuern wieder aus der Tasche gezogen wird. Aber das bindung von der Ostsee über , Dresden und Prag haben wir seit Jahren von der SPD nicht gehört. Ich nach Südosteuropa zu schaffen; denn Ihre Verkehrsminis- denke, wir werden es auch nicht auf diesem Parteitag ter haben es nicht erreicht. Wahrscheinlich sind Sie hören. Wo soll denn die Erneuerung mit Herrn Gabriel, deswegen nicht so erfreut. Herrn Heil, Herrn Scholz herkommen, die ja auch alle mit (Beifall bei der CDU und der FDP) der Vergangenheit der SPD intensiv zu tun haben?! Es gibt also keine Ideen für das Land, sondern die SPD Wissen Sie, liebe Damen und Herren von der SPD, ich stolpert von Ausgabenvorschlag zu Ausgabenvorschlag, habe vor Kurzem einen Satz in der Zeitung von einem aber wie man Einnahmerückgänge kompensieren kann, deutschen Geschäftsmann gelesen, von dem ich glaube, dazu hört man nichts. dass er an dieser Stelle durchaus gut passt – die SPD sollte auf ihrem Parteitag darüber diskutieren –: Das Steuern ist wichtiger als die Steuern. Vielen Dank.

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(Beifall bei der CDU und der FDP) dem Titel „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ 8,5 Milli- arden Euro weitere Steuermittel dem Staat entzogen Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr werden. Das heißt für Sachsen, wenn ich der „Sächsi- Rohwer. – Als Nächster spricht für DIE LINKE Kollege schen Zeitung“ glauben kann, 156 Millionen Euro, Scheel. 156 Millionen Euro zusätzlich zu der einen Milliarde Euro, die uns sowieso schon fehlt, denn diese war noch Sebastian Scheel, Linksfraktion: Herr Präsident! Meine nicht eingepreist. Damen und Herren! Herr Rohwer, langsam wird es ein bisschen langweilig. Wir hören immer nur: Gürtel enger In Ihrem Koalitionsvertrag heißt es, dass Erben entlastet schnallen, wir müssen die Steuern senken und es geht um werden, indem Sie die Unternehmenserben von sieben die starke Belastung der Bürger. Mittlerweile ist Deutsch- Jahre auf fünf Jahre bei durchschnittlicher Mitarbeiterzahl land in Europa und weltweit eines der Länder mit der verpflichten. Ich glaube, das ist jetzt schon Fachchine- geringsten Steuer- und Abgabenquote. Wir müssen uns sisch. Für Sie ist es nur die Erbengeschichte, am Ende tun aber auch vor Augen führen, was die Leistungsfähigkeit Sie wieder etwas für Ihre Klientel – nichts anderes ist es – eines Staates ausmacht. und entlasten wieder einmal Unternehmen. Was kann man anderes erwarten?! (Oh-Rufe von der FDP) Sie rühmen sich, das Kindergeld und die Kinderfreibeträ- Ich weiß natürlich, dass das „Oh“ von der FDP kommen ge zu erhöhen. Das ist eigentlich eine schöne Sache. Ich muss. Es ist ja jetzt gerade Ihre Politik, die im Bund persönlich freue mich auch darüber. Ich weiß nur nicht, betrieben wird. Die CDU macht ja ganz klar neoliberale ob ich der Maßstab bin, wenn es um konjunkturelle Politik. Sie sind sicher hocherfreut, dass ein kleiner Entwicklung geht. Es muss doch darum gehen, den Koalitionspartner so viel Macht in einer solchen Koalition Leuten Geld zu geben, die das in Konsum stecken und hat. damit wieder für mehr Nachfrage in diesem Land sorgen. Kommen wir zum eigentlichen Thema. Es ist offensicht- (Beifall bei der Linksfraktion) lich, dass wir in einer Situation sind, in der Welle um Welle auf Bund, Länder und Kommunen zukommt und Sie geben den Leuten, die sowieso schon genug Geld diese von Finanzkürzungen und weniger Einnahmen haben und gar nicht mehr wissen, wie sie das Geld am betroffen sind. Wir befinden uns noch immer in der Ende ausgeben sollen, noch eine Schippe oben drauf. Wirtschafts- und Finanzkrise. Ich zitiere hier Herrn (Widerspruch bei der FDP und Zastrow, der uns vor geraumer Zeit Krisenfetischismus vereinzelt bei der CDU) unterstellt hat. Mittlerweile sind Sie selbst dabei, Kon- junkturpakete aufzulegen. Das ist eine interessante Ent- Das, meine lieben Damen und Herren von der FDP- wicklung, die Sie da genommen haben. Fraktion, ist keine Konjunkturpolitik. Für 2010 rechnen wir jetzt schon mit 21 Milliarden Euro Überhaupt nicht verstehen kann ich, worin der konjunktu- Mindereinnahmen für Gesamtdeutschland. Daran ist relle Impuls besteht, wenn man jetzt eine Übernachtung allerdings auch die Große Koalition nicht ganz unschul- im Hotel nicht mehr mit 19, sondern mit 7 % besteuert. dig. Herr Pecher, wenn Sie sich hier hinstellen, bedenken Das geht bei mir einfach nicht rein. Das verstehe ich Sie bitte: Das Konjunkturpaket I umfasst immerhin nicht. Vielleicht können Sie es mir noch im Laufe der 14 Milliarden Euro von diesen 21 Milliarden Euro. Das Debatte erklären. Diese konjunkturelle Wirkung kann ich bedeutet für Sachsen eine halbe Milliarde Euro weniger nicht verstehen. Dass Sie das Ganze der Öffentlichkeit Einnahmen allein aus dem Konjunkturpaket I, wie aus auch noch als Konjunkturpaket III verkaufen, kann kein einer Kleinen Anfrage meines hochverehrten Kollegen Finanzwissenschaftler verstehen. Vielleicht haben Sie Dr. Friedrich hervorgeht – Drucksache 4/15249; für eine andere Logik. Meines Erachtens ist das keine Kon- diejenigen, die es gern noch einmal nachlesen wollen. junkturpolitik, das ist reine Klientelpolitik. Dort ist alles schön aufgeschlüsselt worden. (Beifall bei der Linksfraktion) Wir haben eine Situation, die einmalig in Deutschland ist. Wir stehen vor einem riesigen Problem. Der SSG sagt, Wir hatten schon immer einmal eine Finanzkrise oder dass ab 2011 keine Kommune in Sachsen ihren Haus- eine problematische Situation, was zum Beispiel die haltsausgleich hinbekommt. Insofern würde ich mich Zahlungen der Sozialversicherung angeht. Wir hatten freuen, wenn Herr Flath, der sich gestern mit einer Pres- immer schon einmal ein Problem bei den Kommunen, seerklärung zitieren ließ, heute selbst zum Offenbarungs- nämlich 2002 bis 2005. Aber dass gleichzeitig Bund, eid schreitet und sagt, was er damit meint. Heißt das für Länder, Kommunen und Sozialversicherung riesige die Kommunen radikaler Abbau oder finanzielle Hilfe des Defizite ausweisen, ist einmalig in Deutschland. Im Freistaates? Moment sehe ich noch nicht, wie wir dieses Problem wirklich in den Griff bekommen können. Vielen Dank, meine Damen und Herren. Nun haben wir einen Koalitionsvertrag vorliegen und mit (Beifall bei der Linksfraktion) Staunen schaue auch ich nach Berlin, was sich dort tut. Mit großem Erstaunen stellen wir fest, dass dort unter

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Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr ganz, ganz Neues. Wer hat denn die Schuldenpolitik Kollege Scheel. – Als Nächstes rufe ich die FDP-Fraktion erfunden? Sie sind es gewesen, niemand anderes hat es mit Herrn Kollegen Zastrow. erfunden! Der oberste Schuldenmacher in den letzten Jahren war Peer Steinbrück. (Karl Nolle, SPD: Wahrheit!) (Widerspruch bei der SPD) Holger Zastrow, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gegen Ihr „Blutrot“ ist Sie hatten Rekordsteuereinnahmen auf allen Ebenen. unser „Schwarz-Gelb“ ja geradezu lieblich, wenn ich da Unter Schwarz-Rot hat der Bund bis zum 31.12.2008 an die hübsche Tigerente denke, die im Landtag schon 48,5 Milliarden Euro mehr eingenommen. Was haben Sie einmal eine Rolle spielte. Ich kann nur den Zwischenruf gemacht? Sie haben trotzdem immer neue Schulden von Herrn Gillo wiederholen, falls er nicht gehört wurde: gemacht. Für die Abwrackprämie geht es plötzlich! Da „Bei Rot geht dann überhaupt nichts mehr.“ Genau das haben Sie die Frage nach der Sinnhaftigkeit überhaupt bringt es auf den Punkt. nicht gestellt. (Beifall bei der FDP und der CDU) (Widerspruch der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD) Ansonsten empfehle ich Ihnen allen im Hohen Hause – und das passt auch ganz gut zur Farbe – ein bisschen 5 Milliarden Euro mehr Schulden waren für Sie, Frau ruhig Blut. Sie haben in Berlin erst angefangen zu arbei- Dr. Stange, überhaupt kein Problem. Völlig sinnlos! Für ten. Dieser Koalitionsvertrag enthält, wie Sie alle bemerkt die Entlastung der berufstätigen Mitte haben Sie über- haben, viel Visionäres. haupt kein Geld. Wenn Sie so weiter Politik machen, dann Gute Nacht! Das Wahlergebnis von Sachsen wird das (Lachen bei der Linksfraktion) Beispiel für Ihre zukünftigen Wahlergebnisse in ganz Er zeigt ganz, ganz weit nach vorn. Jetzt geben Sie uns Deutschland sein, verrate ich Ihnen. doch die Zeit in Dresden und Berlin, vielleicht wenigstens (Lebhafter Beifall bei der FDP – die 100 Tage. Diesen politischen Stil hätte ich gern Beifall bei der CDU) gehabt, den bekommen wir aber nicht. Es steht überhaupt noch nicht fest, wie all das, was im Koalitionsvertrag Selbst in Krisenzeiten hatten wir in Sachsen Geld für das steht, am Ende finanziert wird. Das wissen Sie. Da gibt es eine oder andere Wahlgeschenk. Das als kleiner Vorwurf große Diskussionen. Ich gehe natürlich davon aus, dass es vom kleinen Koalitionspartner. Für die Beamtenbesol- gerade für ein Land wie Sachsen, das im Unterschied zu dung, die wir gerade im Frühjahr mitten in der Krise vielen anderen Bundesländern für eine solide Finanzpoli- erhöht haben, waren 142 Millionen Euro, Herr Scheel, tik bekannt ist, faire Lösungsvorschläge des Bundes – für möglich. Wir haben das damals nicht verstanden und uns unser Land und für die Kommunen – gibt. dafür prügeln lassen. Das ist eine verlogene Politik. Kommen Sie zurück auf die Wahrheit. Das, Herr Nolle, Lieber Kollege Scheel, da Sie gerade von Logik gespro- verstehe ich übrigens unter Worthalten. chen haben – ich kann der Logik nicht folgen, die ich von vielen Ländern und Kommunen höre. Mir geht dieses (Widerspruch bei der SPD) ganze Gejammer ziemlich auf den Geist. Das sage ich Wir haben in Deutschland eine klare Aufgabe. Wir müs- Ihnen ganz ehrlich. sen die berufstätige Mitte unserer Gesellschaft entlasten, (Widerspruch bei der Linksfraktion) vor allem die kleinen Einkommen, die ganz normalen Einkommen, die ganz normale Familie. Genau das tut – Jetzt hören Sie doch einmal zu. Ich verstehe nicht, dass Schwarz-Gelb in Berlin mit der Politik, die jetzt vorgelegt jetzt die Bürgerinnen und Bürger überall in Deutschland wurde. Das ist der richtige Weg – Steuersenkungen sind die Zeche dafür bezahlen sollen und keine Steuersenkung notwendig, Steuersenkungen sind möglich. Ich empfehle bekommen, weil die Kommunen und viele Länder über allen anderen Ländern, die gerade die Steuersenkungen ihre Verhältnisse gelebt und es in guten Zeiten nicht auf kritisieren, einen Blick in den sächsischen Koalitionsver- die Reihe gebracht haben, ihre Haushalte in Ordnung zu trag. Wir haben gesagt, was wir machen wollen: Ausga- bringen. Wo leben wir denn?! In guten Zeiten gab es ben reduzieren. Sie haben es gestern erst wieder kritisiert. keine Steuersenkungsspielräume und in schlechten Zeiten gibt es auch keine. Am Ende zahlt nach Ihrer Logik einzig Der Ministerpräsident hat es vorgemacht. Wir nennen das und allein der Bürger die Zeche. Staatsreform, Staatsmodernisierung. Wir wollen in zehn Jahren zu einem schlankeren Staat kommen. Wir sagen Dagegen bin ich. Ich fordere dazu auf, dass unsere Kom- auch, dass es dafür Personalabbau geben muss. munen endlich die Ausgaben senken, was sie hätten schon längst machen müssen. Herr Rohwer hat es gesagt: Gürtel So viel zur Ehrlichkeit in der Politik. Das ist unser Weg, enger schnallen, das ist das Gebot der Stunde. das werden wir machen. Wir gehen in Sachsen selbst mit gutem Beispiel voran und kürzen als Freistaat unsere (Beifall bei der FDP und der CDU) Ausgaben. Dadurch werden wir Spielräume für die Dass Sie von der SPD-Fraktion sich hier hinstellen und Entlastung der berufstätigen Mitte unserer Gesellschaft frech von Schuldenpolitik sprechen, ist wirklich etwas

147 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 haben. Darauf kommt es an. Wir lassen uns da nicht noch, aber es hat niemand mehr wirklich etwas davon. beirren, auch nicht von Ihnen. Die Belastungen der Umwelt, des Klimas und der Danke. Verbraucher der natürlichen Ressourcen werden in der Wachstumsbilanz nicht berücksichtigt.“ Das heißt, Sie (Lebhafter Beifall bei der FDP – folgen einem ganz altertümlichen Wachstumsbegriff, und Beifall bei der CDU) wenn das das Ziel der Berliner Koalition ist, dieses falsche Wachstum noch zu mehren, dann werden Sie das Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Kollege strukturelle Defizit des Landes vergrößern und damit erst Zastrow. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Hermenau, recht Probleme schaffen. GRÜNE. (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Antje Hermenau, GRÜNE: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist doch ziemlich ein- Sie betreiben eine chronische Unterfinanzierung des deutig, was Sie mit dem Wachstumsbeschleunigungsge- Staates und versuchen die Bürger darüber hinwegzutrös- setz und ähnlichen Steuerfragen in den nächsten Jahren ten, indem Sie ihnen ein kleines Taschengeld in die Hand wollen: Schwarz-Gelb, egal ob in Dresden oder in Berlin, drücken. Ja, merken Sie es denn noch? Die niedrigen kauft sich Wohlwollen beim Volk. Und Sie kaufen sich Steuern werden das strukturelle Defizit des Staates erhö- Zeit, weil Sie nicht wissen, wie wir aus der Krise heraus- hen, sie machen das Land auf lange Sicht unregierbar. kommen sollen. Das machen Sie auf Pump. Sie verschie- Herr Weber, Bundesbankpräsident, sagt, das wichtigste ben die Verantwortung auf die nächste Generation. So Ziel dieser Legislatur sei nicht, dieses verfehlte Wachstum leicht ist zu erklären, was Sie machen. Sie regieren auf weiter zu betreiben, sondern eine Konsolidierung. Ich Kredit! Sie regieren auf Kredit. 12 Milliarden Euro 2010 denke, dass diese verfehlte Steuerpolitik, die Ausdruck an Steuerausfällen, auf Pump finanziert. 24 Milliar- dieses verfehlten Wachstumsbegriffes ist, aus der Angst den Euro 2011 Steuerausfälle, auf Pump finanziert. Ich geboren wurde. sagte gestern schon, die Bundesschulden sind auch die CDU/CSU und FDP saßen auf den Oppositionsbänken, sächsischen Schulden. Machen Sie sich keine Illusionen! als bereits zum ersten Mal diese alten Denkarten und - Wer hat denn die Tränen von Hermann-Otto Solms auf schulen des 20. Jahrhunderts damals Rot-Grün in die dem Parteitag der FDP gesehen, als die Realität wenigs- Probleme getrieben haben. Wir haben mörderisch gespart tens ihn einholte, auch wenn Sie sich der Erkenntnis noch und es war trotzdem schwer; und ich sage Ihnen: Ihnen verschließen? passiert dasselbe. Es ist im Prinzip eine neue Blase, die da entstanden ist, eine Blase aus Staatsschulden; und wer (Holger Zastrow, FDP: sich nicht wehrt, macht sich mitschuldig. Das ist so. Es Das haben Sie missverstanden!) gibt eine Verantwortungsachse Brüssel–Berlin–Dresden– – Ja, ja. Sie haben sich so lächerlich gemacht, Herr Panschwitz-Kuckau, das können Sie mir glauben. Zastrow, so lächerlich. Albern haben Sie von der FDP (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN) behauptet, Sie hätten nicht gewusst, wie schlimm der Staat verschuldet sei, dabei war Herr Fricke von der FDP Wer glaubt, dass die Welt nach diesem Zusammenbruch der Chef des Haushaltsausschusses im . Des und dieser Krise genau wieder da anknüpfen wird, wo sie Weiteren haben Sie behauptet, Wachstum ist alles. Ich 2007 war, der hat es nicht begriffen. Das tut mir leid, es kann gern mit einem Zitat von gegenhal- ist so. „Die Industrieländer folgen“, ich zitiere wieder ten, vielleicht ist das Autoritätsbeweis genug hier im Biedenkopf, „seit mindestens drei Jahrzehnten diesem Haus: „1979 hat der damalige Wirtschaftsminister verfehlten Wachstumsbegriff. Ja, Wachstum ist ein Fe- Lambsdorff noch 4 % Wachstum für notwendig gehalten. tisch geworden – mit all seinen irrationalen Konsequen- Inzwischen jammern wir, wenn wir nur 1,5 % Wachstum zen.“ Sie sollten zurzeit ein wenig mehr Biedenkopf erzielen. Dabei entspricht der Zuwachs pro Kopf in lesen. Ich glaube, das wäre gut. absoluten Zahlen durchaus dem Zuwachs von damals. Der (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN Fehler liegt darin, dass wir uns mit dem Rechnen in und der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD) Prozenten einer exponentiellen Entwicklung anvertrauen. Die ist weder stabil noch zukunftsfähig.“ So hat es der Wenn diese Politik, die Sie hier androhen, so eintrifft, Club of Rome vor 40 Jahren auch schon analysiert. Die dann werden wir auch europäisch versagen. Jean- Frage vom „Spiegel“ lautete, ob wir jetzt jene Grenzen Claude Juncker, von dessen Meinung ich viel halte – er ist des Wachstums erreicht hätten, auf die der Club of Rome immerhin Vorsitzender der Euro-Gruppe und 16. EU- immer hingewiesen hat. Die Antwort war: „Wenn wir so Finanzminister –, hat gesagt, im Koalitionsvertrag von weitermachen wie bisher, ja. Wir müssen unseren Lebens- Deutschland seien „die Konsolidierungsinstrumente stil ändern. Und ein immer größerer Teil unseres Wachs- unterbelichtet und die expansiven Elemente überpointiert tums entsteht als Folge von Schadensbekämpfung, Repa- formuliert.“ Sie sind nicht gegenfinanziert – Vereinbarun- raturen, Beseitigung von Fehlentwicklungen.“ gen zulasten Dritter. Wenn Berlin 2011 nicht zu einer soliden Finanzpolitik zurückkehrt, gerät der europäische – Das ist die Frage mit dem Klimawandel. – „Trotz Stabilitätspakt insgesamt in Gefahr, denn die Franzosen größerer Anstrengungen wachsen die Bruttoeinkünfte wollen nämlich auch nicht mehr sparen. Wie Sie dann 148 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 anderen Ländern der Europäischen Union erzählen Bundesebene von der neuen Koalition beschlossen wollen, dass man die Euros zusammenhalten muss, weiß worden ist, sehr riskant ist und dass es eine Wette auf eine ich nicht; und dann haben wir veritable Probleme – noch vage Aufschwunghoffnung ist, die erst einmal eintreffen jenseits der Klimakrise. muss. Nur Herr Zastrow scheint noch nicht in der Wirk- Überlegen Sie sich gut, was Sie tun, Sie haben Verantwor- lichkeit angekommen zu sein; denn er sagte eben: nur tung! mehr Netto vom Brutto, alles andere wären abstrakte haushaltspolitische Diskussionen. Dazu muss man natür- (Beifall bei den GRÜNEN, lich ganz klar sagen: Das ist glatte liberale Wohlfühlrheto- der Linksfraktion und der SPD) rik, Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Kollegin (Beifall bei der NPD) Hermenau. – Für die Fraktion der NPD spricht Herr und gerade in einer Staatskrise brauchen wir keine haus- Schimmer. haltspolitischen Leichtmatrosen auf dem Staatsschiff. Das Arne Schimmer, NPD: Herr Präsident! Meine sehr kann sehr gefährlich werden, weil die Lage nämlich völlig geehrten Damen und Herren! Die Zeichen stehen auf falsch eingeschätzt wird. Wir Nationaldemokraten sehen Sturm. Die Lage der kommunalen Haushalte und des hierbei zwei Möglichkeiten: Landeshaushaltes ist so dramatisch wie seit dem Fall der Als Erstes sind wir dafür, dass das Land Sachsen durch- Mauer nicht mehr. Die Oberbürgermeisterin von Riesa, aus eine Verfassungsklage erwägen sollte, da unserer Gerti Töpfer, hatte nach dem Interview mit den „Dresdner Auffassung nach die Bundesländer durch die Steuersen- Neuesten Nachrichten“ gesagt, dass den kommunalen kungspläne der Koalition in Berlin viel zu stark belastet Haushalten vermutlich eine Katastrophe bevorsteht, für werden. Der zweite Punkt, den wir sehen, ist der, dass der die das Haushaltsrecht vielleicht nicht ausreichen wird. Beirat für den kommunalen Finanzausgleich, der immer Vor welcher Lage stehen wir? Wir haben es mit einer noch die Finanzausgleichsmasse zwischen Land und Doppelkrise des Landeshaushaltes und der kommunalen Kommunen festlegt, angewiesen werden sollte, diesen Haushalte zu tun. Ausgleich neu zu regeln; denn unserer Auffassung nach Zuerst zum Landeshaushalt. Das Steuersenkungspro- sind die Kommunen in einer großen finanziellen Krise. gramm der neuen schwarz-gelben Koalition sieht insge- Diese Krise hat strukturelle, langfristige Ursachen. Die samt Steuersenkungen in Höhe von 24 Milliarden Euro Kommunen haben größere sozialpolitische Ausgaben, und vor, 14 Milliarden Euro sollen die Länder tragen. Das ist deshalb brauchen sie auch mehr Geld. auf jeden Fall schon einmal eine große Belastung für Es ist unserer Auffassung nach auch nicht tragbar, dass Sachsen, und nach vorläufigen Schätzungen werden ein Beirat dieses sehr wichtige Aufteilungsverhältnis Sachsen so pro Jahr 700 Millionen Euro Steuerausfälle zwischen Land und Kommunen festlegt und nicht das entstehen. Dazu kommt das Desaster der Landesbank, und Parlament; denn es ist eigentlich das Königsrecht des meine Fraktion, die NPD-Fraktion, geht weiterhin davon Parlaments, die Ausgaben zu kontrollieren. Dieses wichti- aus, dass die Bürgschaft in voller Höhe fällig werden ge Aufteilungsverhältnis sollte daher auch Sache des wird, nämlich in Höhe von 2,75 Milliarden Euro. Das Parlaments sein. Das haben wir Nationaldemokraten heißt, in den nächsten Jahren werden erhebliche Teile des schon immer gefordert, und dabei bleiben wir und wollen Landeshaushaltes für diese Bürgschaft fällig werden. entsprechende Initiativen einbringen. Nun zu den kommunalen Haushalten. Auch da stehen alle Ich danke für die Aufmerksamkeit. Zeichen auf Sturm, auch da sind alle Alarmlampen auf (Beifall bei der NPD) Rot geschaltet. Wenn man den Gemeindefinanzbericht des Sächsischen Städte- und Gemeindetages gelesen hat, dann Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank. – Das konnte man daraus entnehmen, dass im Jahr 2011 bereits Wort hat nun die Staatsregierung; bitte, Herr Staatsminis- rund 600 Millionen Euro wegen weniger Mitteln im ter Prof. Unland. kommunalen Finanzausgleich fehlen werden. Dazu kommen 150 Millionen Euro, die uns wegen fehlender Prof. Dr. Georg Unland, Staatsminister der Finanzen: Steuereinnahmen verloren gehen. Dies alles soll sich auf Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns mehr als eine Milliarde Euro summieren. Außerdem die heutige Situation deutschlandweit anschauen, dann kommt hinzu, dass die Kommunen immer weniger stehen wir wahrscheinlich vor drei größeren Problemen. Zuschüsse für die Kosten für Unterkunft und Heizung von Erstens, wir haben eine Finanzkrise. Seit vielen Wochen Hartz-IV-Beziehern bekommen. Noch die alte schwarz- halte ich viele Vorträge im Land und versuche den Bür- rote Koalition hat beschlossen, dass der Bundeszuschuss gern zu erklären, was dort gerade passiert. Nur so viel: für die Kosten für Unterkunft und Heizung auf 23 % Die Finanzkrise ist nicht vorbei, obwohl sie zurzeit sinkt. publizistisch nicht im Vordergrund steht; wenn wir die All das wird zu dramatischen Einnahmenkürzungen auch Zahlen nüchtern beurteilen, dann haben wir noch nicht bei den kommunalen Haushalten führen. Herr einmal die Hälfte der Finanzkrise abgearbeitet. Das heißt, Prof. Unland hat bereits gesagt, dass all das, was auf in den nächsten Monaten wird – je nachdem, wie die

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Öffentlichkeit reagieren wird – die Finanzkrise zumindest te, die wir hier in Sachsen berücksichtigen und die bei den unterschwellig weiterlaufen und abgearbeitet werden Bundeszahlen nicht berücksichtigt sind. Erwähnen möch- müssen. Dieser Prozess wird uns noch lange beschäftigen. te ich beispielsweise den Einfluss der Demografie, den Das zweite Problem, das wir haben, ist – das wissen wir wir hier traditionell immer berücksichtigen. auch alle –: Die Finanzkrise hat sich inzwischen zu einer Das Zweite ist, dass unsere Schätzungen nie so optimis- Wirtschaftskrise ausgewachsen. Wir sehen das täglich im tisch wie anderenorts sind. Bisher sind wir damit gut Land, ich sehe es täglich im Finanzministerium. Zum gefahren, und wir sollten auch immer versuchen, den Beispiel ist die Nachfrage nach Bürgschaften gegenüber Blick für die Realitäten offenzuhalten. Vergleichszeiträumen deutlich erhöht. Das heißt, jeden Kommen wir nun zu diesem Gesetzentwurf zurück. Hier Tag werden wir mit der Wirtschaftskrise konfrontiert. sind die Steuermindereinnahmen der Ländergesamtheit Wir haben gerade in der letzten Woche die neuesten kalkuliert worden. Die Zahlen sind öffentlich, deshalb Schätzungen erhalten. Hier sieht die Wirtschaftskrise kann ich sie hier auch in aller Deutlichkeit formulieren. etwas optimistischer aus. Anstelle von ursprünglich 6 % Wir gehen davon aus, dass die Ländergesamtheit durch Schrumpfung unseres Bruttoinlandsproduktes gehen wir dieses Gesetz rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr weniger inzwischen für dieses Jahr von „nur noch“ 5 % Schrump- haben wird, und die Kommunen müssen mit Minderein- fung aus. Für das nächste Jahr war ursprünglich ein nahmen von rund 1,6 Milliarden Euro rechnen. Ich sage 0,5%iges Wirtschaftswachstum prognostiziert; inzwischen hier ganz offen, dass diese Mindereinnahmen schmerzhaft sagen wir, es könnten auch 1,2 % sein. Aber – wir müssen sind. es ganz klar sehen – den Level haben wir in diesem Jahr Auf der einen Seite – das habe ich vorhin versucht deut- deutlich nach unten gesetzt. Um aus diesem Loch wieder lich zu machen – müssen wir sehen, welche Auswirkun- herauszukommen, wird es noch einige Zeit benötigen. gen das jetzt auf Sachsen hat. Es kann ja sein, dass wir Das dritte Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen das eine oder andere schon berücksichtigt haben. Das – neben vielen anderen –, ist auch eine nachhaltige und müssen wir natürlich jetzt prüfen, wenn wir unsere generationengerechte Finanzpolitik. Ich will es noch Novemberschätzung aktualisieren und Bezug nehmen auf einmal deutlich sagen, wie die Auffassung hier in Sachsen unser Land. Es gibt auch noch einen zweiten – das will ist. Wir möchten keine Verschuldung auf Kosten der ich auch nicht verhehlen –, nämlich einen positiven nachwachsenden Generation haben. Effekt. Wenn man Steuern erleichtert und Unternehmen die Nachfolgeregelung vereinfacht, dann hat das auch (Beifall bei der CDU und der FDP) positive Effekte, die zu bewerten sind. Ich gestehe zu, dass wir hier einen Spagat machen müs- Ich möchte hier noch auf den Zeitablauf eingehen, mit sen: auf der einen Seite Finanzkrise, Wirtschaftskrise und dem wir in den nächsten Wochen rechnen können. Ich auf der anderen Seite keine Neuverschuldung und die möchte am 24. November im Kabinett die November- Bedürfnisse unserer jungen Generation im Auge zu Steuerschätzung, aber auch die Auswirkung der Gesetz- behalten. Man kann unterschiedliche Strategien verfolgen. entwürfe, die zurzeit in Berlin verhandelt werden, veröf- Eine Strategie wird unter anderem im Koalitionsvertrag in fentlichen, zunächst im Kabinett besprechen, am Folgetag Berlin aufgenommen, nämlich die Bürger und die Unter- dem HFA zur Verfügung stellen und dann auch in der nehmen zu entlasten. Welche Auswirkungen das auf die Öffentlichkeit diskutieren lassen. Ich möchte allerdings Länderhaushalte haben wird, wissen wir nur global. Ich hier schon betonen, dass wir bemüht sein werden, weiter- werde gleich noch auf die Zahlen zurückkommen. Welche hin den sächsischen Haushalt zusammenzuhalten, um hier Auswirkung das allerdings hier in Sachsen haben wird, dem Land, aber auch den Kommunen eine vernünftige kann ich Ihnen heute noch nicht hundertprozentig sagen. Finanzierung nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in Auch das werde ich gleich noch einmal ausführen. Wir den Folgejahren zu gewährleisten. müssen abwarten, wie die Gesetzentwürfe im Bund aussehen werden. Ich glaube, es ist nicht angebracht, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung heute schon abschließend zu beurteilen, Ein erster Gesetzentwurf liegt nun seit Beginn der Woche denn die Gesetzentwürfe werden zurzeit erst beraten. Wir vor. Sie kennen diesen alle, das sogenannte Wachstums- sind auch dort in einen intensiven Diskussionsprozess beschleunigungsgesetz. Die Kernelemente kennen Sie eingebunden. Die Gespräche laufen auf den verschiedens- auch: Erhöhung der Kinderfreibeträge, Erhöhung des ten Ebenen. Sie sind noch nicht abgeschlossen, und erst, Kindergeldes, Erleichterung und Verbesserung bei der wenn sie abgeschlossen sind, ist es an der Zeit, die Ergeb- Unternehmensbesteuerung usw. nisse zu bewerten. Die Auswirkungen müssen wir in zweierlei Hinsicht Danke schön. wichten. (Beifall bei der CDU und der FDP) Das Erste ist, dass wir uns die Auswirkung der Novem- ber-Steuerschätzung erst einmal genau anschauen müssen. Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr Die globalen Zahlen sind veröffentlicht worden. Für Staatsminister. – Wir schließen jetzt eine weitere Runde Sachsen werden die Zahlen zurzeit berechnet; denn eines an. Ich weise darauf hin, Herr Staatsminister, dass Sie möchte ich deutlich machen: Es gibt verschiedene Aspek- 150 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 sogar innerhalb Ihrer Rede, wenn Sie noch einmal erwi- zur Reform bei 260 Euro gestanden. Das kann die SPD dern wollen, noch fast 12 Minuten Zeit haben. auch. Ich komme jetzt zur zweiten Runde und blicke auf die Es ist gefragt worden, ob wir Lösungsvorschläge bringen. weiteren Wortmeldungen: Frau Köpping, bitte, für die Herr Zastrow, sehr gerne. SPD. Was ich in diesem Landtag noch lernen muss, ist, dass Petra Köpping, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! wahrscheinlich Vorschläge der Opposition keine Vor- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es um die schläge sind, egal, ob sie gut sind oder schlecht. Lassen Auswirkung von Koalitionsverträgen geht und damit um Sie uns doch überlegen, ob die Doppik-Umsetzung für die die Rolle der Städte, Gemeinden und Landkreise in Landkreise wirklich jetzt die dringendste Aufgabe ist. Sachsen, hält es mich nicht am Platz. Gestatten Sie mir, Lassen Sie uns doch überlegen, wo wir mit unserem dass ich hier doch ein paar Worte sage, da ich zumindest Förderprogramm hinwollen. Das ist ja gestern gesagt in der Vergangenheit immer da oben gesessen, die Debat- worden: zu umständlich, zu aufwendig, Entbürokratisie- ten des Landtages von der Besuchertribüne aus verfolgt rungsprogramme. Sehr gern! Es gibt von der kommunalen und manchmal gedacht habe: Wovon reden die eigentlich? Ebene 2 300 Vorschläge zur Entbürokratisierung. Ich war Wissen die eigentlich, was die beschließen? – Entschuldi- 14 Jahre Kommunalpolitikerin, und ich kenne keinen, der gung, wenn ich das so sage. davon umgesetzt worden ist. Umso aufmerksamer habe ich gestern die Regierungser- Ich arbeite sehr, sehr gerne daran mit, dass wir jetzt zu klärung von Herrn Ministerpräsident Tillich gehört, weil Vorschlägen kommen und gemeinsam als Familie die ich schon neugierig war, was er die nächsten fünf Jahre Probleme des Landes Sachsen und damit die Probleme vorhat. Außer einer Bestandsaufnahme – es tut mir leid – der Bürger lösen; denn diejenigen, die wirklich vor dem habe ich nicht viel gehört. Ich war nie in der komfortablen Bürger stehen, das sind die Bürgermeister und die Landrä- Situation, dass ich als Landrätin oder als Bürgermeisterin te. Diese haben niemanden mehr, dem sie sagen können: einen Gemeinderat oder einen Kreistag hatte, der von Geht doch einmal dahin! Insofern biete ich zumindest Mehrheiten bestimmt war. meine Zusammenarbeit an, um an neuen Lösungsvor- schlägen für dieses Land zu arbeiten. Wenn ich im Landkreis Leipzig das erzählt hätte, was ich gestern gehört habe, hätte mein Kreistag mich ausgepfif- Vielen Dank. fen. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN) und den GRÜNEN) Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Frau Keine Lösungsansätze, keine Perspektive, Gürtel enger Kollegin Köpping. – Die nächste Wortmeldung kommt schnallen. Wir sind zwar eine – ich möchte fast sagen – vom Kollegen Rohwer für die CDU-Fraktion. Truppe; ich sage das deswegen, weil ich das Wort Familie (Dr. André Hahn, Linksfraktion: nicht gehört habe, und ich bin immer davon ausgegangen, Es bleibt uns nichts erspart!) dass Bund, Land und Kommunen zusammenarbeiten müssen, dass sie gemeinsam Probleme lösen müssen. Das Lars Rohwer, CDU: Herr Präsident! Meine sehr geehrten vermisse ich. Damen und Herren! Wir haben gerade gehört, dass in der Herr Flath, Sie haben das gestern so herrlich gesagt. Wenn vergangenen Legislaturperiode viele Ankündigungen wir einen Apfel in der Schule anbieten wollen, sollen ihn nicht umgesetzt worden sind. die Eltern mitbringen. Sie haben auch gestern so herrlich Ich kann mich erinnern, dass wir in diesem Hohen Hause gesagt, wenn wir erhöhte Schlüssel in den Kindertages- eine Verwaltungs- und Funktionalreform und eine Land- stätten wollen, sollen es doch die Eltern bezahlen. kreisreform diskutiert und beschlossen haben. Frau (Steffen Flath, CDU: Mit!) Köpping, ich glaube, Sie waren Landrätin eines Landkrei- ses, der zusammengelegt worden ist. Also es ist etwas Ich saß als Landrätin vor einem Kreistag, und ich hatte umgesetzt worden; so viel zu diesem Teil Ihrer Rede. die Forderung immer vor mir. Aber ich habe keinen Abgeordneten gehört, auch nicht von der CDU, der das Frau Hermenau hat gesagt, wir sollten mehr bei den Eltern gesagt hat. Prof. Biedenkopf nachlesen. Das tun wir, Frau Hermenau. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion (Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE) und den GRÜNEN) Ich will Ihnen gleich ein Zitat von ihm vortragen. Ich wünsche mir an dieser Stelle Ehrlichkeit. Ich bin auch Kurt Biedenkopf hat gesagt: „In der Gesellschaft hat sich dafür. Sie wissen das aus unserem Landkreis, dass ich eine fatale Arbeitsteilung entwickelt. Für die Reformen ist sehr oft unpopuläre Maßnahmen durchsetzen musste, weil die Rhetorik zuständig und für die Wirklichkeit sind es wir uns nämlich, lieber Herr Zastrow, an eine Entschul- die beharrenden Kräfte.“ Und die beharrenden Kräfte dung des Landkreises gehalten haben. Ich habe einmal sitzen nach meiner Überzeugung eben bei PDS und SPD. mit 400 Euro angefangen. Der Landkreis Leipzig hat bis (Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD) 151 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Jetzt kommen wir noch einmal zu dem Thema Steuern. haben ganz klar im Koalitionsvertrag vereinbart, dass es Ich hatte vorhin bereits gesagt, dass wir uns dem Thema beim Gleichmäßigkeitsgrundsatz im Finanzausgleichsge- Steuern auch einmal in seiner zweiten Bedeutung nähern setz bleibt. Das heißt, der Freistaat steht an der Seite der sollten. Kommunen und umgekehrt.

Präsident Dr. Matthias Rößler: Kollege Rohwer, (Beifall bei der CDU) gestatten Sie eine Zwischenfrage? Präsident Dr. Matthias Rößler: Kollege Rohwer, lassen Lars Rohwer, CDU: Ich weiß nicht, ob der Herr Dulig Sie eine weitere Zwischenfrage zu? Diese geht Ihnen jetzt etwas zum Thema Steuern sagen will oder … selbstverständlich nicht von der Redezeit ab. (Dr. Monika Runge, Linksfraktion, Präsident Dr. Matthias Rößler: Gestatten Sie die steht am Mikrofon.) Zwischenfrage? Lars Rohwer, CDU: Das ist eine süße Versuchung. Lars Rohwer, CDU: Ja. (Heiterkeit) Präsident Dr. Matthias Rößler: Bitte, Kollege Dulig. Aber ich glaube, die Debatte sollte dann auch zum Ende Martin Dulig, SPD: Ist Ihnen bekannt, dass Kurt kommen und ich würde gern die Unterschiede weiter Biedenkopf sich zum Beispiel gestern Abend deutlich vortragen. gegen dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz ausge- (Sebastian Scheel, Linksfraktion, steht am sprochen hat, das von Schwarz-Gelb vorgeschlagen Mikrofon. – Lachen und Heiterkeit) wurde? Das, was im Bund geregelt ist, meine Damen und Herren, Lars Rohwer, CDU: Erstens ist mir das bekannt. Zwei- – – tens kann ich das gut nachvollziehen. Und drittens ist der Begriff Wachstumsbeschleunigungsgesetz eher etwas für – Herr Scheel, ich meinte mit süßer Versuchung, dass die die Kabarettisten. Redezeit länger wird, nicht Sie oder Mitglieder Ihrer Fraktion. (Beifall und Heiterkeit bei der Linksfraktion und der SPD) (Heiterkeit) Kommen wir aber zum eigentlichen Thema zurück, Deswegen würde ich jetzt keine weiteren Zwischenfragen nämlich zum Thema Steuern, das Sie auf die Tagesord- gestatten und möchte meine Redezeit nutzen, um den in nung gehoben haben. meinen Augen entscheidenden Unterschied zum Bund, zum dortigen Koalitionsvertrag, noch einmal hervorzuhe- Sie haben gesagt: Wir wollen einmal wissen, wie das für ben. den Freistaat Sachsen und für die Kommunen aussieht. Deswegen haben Sie die Aktuelle Debatte beantragt. Sie Dort steht zur Frage „Wie steuere ich mit dem Haushalt wundern sich, dass die FDP mit der CDU sowohl im Politik“ lediglich: Alle Maßnahmen des Koalitionsvertra- Bund als auch in Sachsen problemlos eine Koalitionsver- ges stehen unter Finanzierungsvorbehalt. einbarung treffen konnte. Wir haben drei, vier konkrete Untersetzungen im sächsi- Jetzt schauen wir uns einmal die Unterschiede in den schen Koalitionsvertrag, im Bund nur eine. Deswegen Koalitionsvereinbarungen an. Bei uns ist es dabei geblie- haben wir mit der FDP im Land auch kein Problem, ben, dass wir im Grundsatz einen ausgeglichenen Haus- sondern sie unterstützt diesen Kurs. halt wollen. Das gibt es, glaube ich, im Bund schon länger Damit komme ich zur Position in Sachsen. Es bleibt nicht. Aber in Sachsen ist es im Koalitionsvertrag mit der dabei: Wir wollen keine Steuersenkung auf Pump, schon FDP vereinbart. gar nicht wenn es um Schulden geht und wenn diese Bei uns ist vereinbart, dass Mehrausgaben oder neue Schulden uns aufgebürdet werden. Wir wollen eine Dinge, die laut Koalitionsvertrag getan werden sollen, konstante Pro-Kopf-Verschuldung. Das haben wir in der durch Minderausgaben im Haushalt, im laufenden Haus- letzten Legislaturperiode verabredet. Dabei bleibt es auch halt zu erbringen sind. Auch das ist im Bund seit Jahren in Sachsen. nicht Beschlusslage. Also haben wir in Sachsen in einem (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD) zweiten Punkt einen wesentlich besseren Koalitionsver- trag. Deswegen würde ich mir von der Opposition wünschen, dass sie nicht versucht, hier die Koalition auseinanderzu- In Sachsen haben wir beschlossen, wir wollen die Verwal- nehmen, sondern staatsmännisch handelt. An dieser tungsausgaben senken. Gestern ist das deutlich geworden: Stelle, denke ich, ist staatsmännisches Handeln angesagt Personal im Durchschnitt der westdeutschen Länder und dass Sie den sächsischen Ministerpräsidenten gegen- wollen wir uns nur noch leisten. über dem Bund unterstützen. Es kann keine Zustimmung Nun zum Thema Kommunen, denn ich finde es unredlich, im Bundesrat ohne eine finanzielle Kompensation geben. hier Sorge in die kommunale Familie zu tragen. Wir Denn zuerst kommt das Land und dann die Partei. 152 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. jetzt nicht durchsetzen können. Wir werden im nächsten Jahr in Verhandlungen alles versuchen, um diese Geißel (Beifall bei der CDU und der FDP) von den Kommunen zumindest künftig abzuwenden. Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Kolle- Wenn ich heute das Resultat sehe, weiß ich nicht einmal, ge Rohwer. – Jetzt Kollege Dr. Pellmann für DIE LINKE. ob es den Versuch gegeben hat. Zumindest werden wir eines deutlich feststellen müssen: Die Kommunen in Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Herr Präsident! Sachsen werden, wenn das durchkommt, um 100 Millio- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bekenne nen Euro weiter zusätzlich belastet. Ich komme aus einer mich als jemand, der kein Finanzpolitiker ist oder sich Kommune, die weit mehr als 10 Millionen Euro wird auch nicht dafür hält, wie vielleicht einige, die hier zuzahlen müssen, wenn es nicht gelingt, dieses unsägliche gesprochen haben, sondern ich spreche ausdrücklich als Konstrukt, was auf die Kommunen herabprasselt, zu langjähriger Kommunalpolitiker und als Sozialpolitiker verhindern. meiner Fraktion. Insofern fordere ich die Staatsregierung auf, über den Herr Zastrow, ich bin Ihnen dankbar. Sie waren der Bundesrat dringend diese Regelung abzuwenden. Einzige von der Koalition, der hier Klartext gesprochen hat. Sie haben deutlich gesagt: Kommunen und Bürgerin- (Beifall bei der Linksfraktion) nen und Bürger des Freistaates Sachsen, ihr müsst den Verbünden Sie sich von mir aus mit anderen Bundeslän- Gürtel enger schnallen! dern. Beschreiten Sie von mir aus den Klageweg, um (Zuruf von der Linksfraktion: Richtig!) deutlich zu machen: Das lassen wir nicht zu, wie der Bund mit den Kommunen umspringt! Das haben wir deutlich gehört. Sie haben das doch ge- sagt?! (Beifall bei der Linksfraktion) (Zustimmendes Nicken des Zum Zweiten: Wir werden alles unternehmen müssen, um Abg. Holger Zastrow, FDP) den Zuschuss für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu erhöhen; alles werden wir unter- – Okay. Sie haben dann mit Fingerzeig vornehmlich auf nehmen müssen. Denn das ist genau der Weg, der anstei- die Opposition um Nachsicht gebeten. Sie waren der gende Altersarmut zum Ausdruck bringt. Wenn, was wir Auffassung: Lasst uns doch in Berlin und in Dresden als verhindern sollten, die Altersarmut ansteigt, sollten wir schwarz-gelbe Koalition erst einmal arbeiten! das nicht allein auf die Schultern der Kommunen abwäl- Das war eine Drohung, Herr Zastrow. zen, sondern dann müssen alle dafür eintreten. (Holger Zastrow, FDP: Es war Hoffnung!) Eine abschließende Bemerkung: Herr Rohwer, das Einzi- ge, was ich aus Ihrem Beitrag herausgehört habe, war die – Das war Ihre Hoffnung, Ihre Klientelhoffnung, aber für Kritik an uns, wir seien die beharrenden Kräfte. Dazu uns ist es eine Drohung. Wir haben in der DDR gelernt – sage ich Ihnen Folgendes: Ja, Herr Rohwer, wenn Sie es Sie noch nicht –, zwischen den Zeilen zu lesen. Und was auch nicht glauben, wenn es Sie auch verwirrt, es ist doch man im Koalitionsvertrag zwischen den Zeilen lesen so: Wir sind gern beharrende Kräfte, wenn es um soziale kann, das lässt einen nicht erstaunen, sondern das macht Gerechtigkeit und darum geht, dass die Kommunen nicht einem Angst, was hier auf uns zukommt. länger von Bund und Land im Regen stehen gelassen Wenn Sie denn schon arbeiten wollen – da haben wir ja werden. nichts dagegen –, dann machen Sie das bitte auf zwei (Beifall bei der Linksfraktion Ebenen, die ich Ihnen hier einmal kurz darstellen möchte und vereinzelt bei der SPD) und die mit dem heutigen Thema sehr viel zu tun haben. Ich meine zum Ersten die zusätzlichen Belastungen, die Präsident Dr. Matthias Rößler: Meine Damen und die Kommunen in Sachsen zu tragen haben, was die Herren, es gibt eine weitere Wortmeldung der FDP. Kosten für Unterkunft und Heizung für Hartz-IV- Kollege Zastrow, bitte. Betroffene anbelangt. Holger Zastrow, FDP: Wenn wir heute hier schon so Ich meine zum Zweiten die erheblich angestiegenen und eine knisternde Stimmung haben, wie ich das vorhin beim zu erwartenden steigenden Kosten, die die Kommunen für Beitrag von Herrn Rohwer gemerkt habe, möchte ich Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu noch ein bisschen mitmachen. tragen haben. So richtig glauben kann ich das nicht, was ich hier von Dazu haben wir schon mehrfach in diesem Haus – und ich der Opposition höre. Sie bemängeln, dass die Haushalte selbst vor einem knappen Jahr – gesprochen. Wir hatten nicht in den Griff zu bekommen seien, machen aber damals einen entsprechenden Antrag gestellt, nämlich die keinen einzigen Vorschlag zur Ausgabensenkung, was die Kosten der Unterkunft zumindest beim damaligen Ni- öffentlichen Haushalte betrifft. veau, ich meine 2008, zu belassen. Vornehmlich die CDU hat diesen Antrag abgelehnt mit dem Versprechen: Ja, Sie (Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des haben eigentlich recht, Herr Pellmann, aber wir haben uns Abg. Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion) 153 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Sie plädieren dafür, dass wir in Deutschland höhere – Den „Waigel-Buckel? Steuern brauchen. Sind Sie, liebe Kollegen von der SPD, tatsächlich für höhere Steuern? Anders kann ich es mir Präsident Dr. Matthias Rößler: Aber bleiben wir beim überhaupt nicht vorstellen; denn wir hatten bis 2008 geordneten Verfahren. Es gibt eine weitere Zwischenfrage Rekordsteuereinnahmen auf allen Ebenen, in den Kom- von Frau Kollegin Stange. Wollen Sie es noch einmal? munen, in den Ländern und auch im Bund, und trotzdem Holger Zastrow, FDP: Ja, ich möchte es immer wieder. haben wir das nicht in den Griff bekommen. So Politik zu machen halte ich, meine Damen und Herren, für verant- Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Auch wenn Sie die erste wortungslos. Frage nicht beantwortet haben, stelle ich noch eine zweite (Beifall bei der FDP und der CDU – zum Thema Symbolpolitik: Können Sie mir erklären, wie Zurufe von der Linksfraktion und der SPD) 20 Euro Anhebung des Kindergeldes zu einer Wirt- schaftsbelebung beitragen können? Ich bitte Sie alle sehr herzlich: Kommen Sie herunter von Ihrem hohen Ross! Holger Zastrow, FDP: Ich glaube, dass gerade für Menschen, die ein niedriges Einkommen haben, 20 Euro (Lachen bei der Linksfraktion und der SPD) mehr am Ende des Monats in der Tasche eine Menge Geld Wenn Sie nur über Besitzstandswahrung sprechen und sind. nicht bereit sind, auch nur einen einzigen echten Reform- (Beifall bei der FDP) schritt zu machen, wird sich dieses Land ruinieren. Wir leben als Staat über unsere Verhältnisse. Das wissen wir Meine Damen und Herren, wie schwierig das mit Re- alle. Jeder, der schon einmal Regierungsverantwortung formansätzen ist, haben wir bei der Verwaltungsreform getragen hat, wird das kennengelernt haben. Wir leben gesehen. Ich will sie nicht komplett kritisieren, aber ich über unsere Verhältnisse. Wenn wir unser System nicht will auf einen Effekt hinweisen, um zu zeigen, dass wir langsam wieder vom Kopf auf die Füße stellen, endet das genau das in Zukunft nicht mehr machen dürfen: Wissen im Drama. Deswegen lade ich Sie herzlich ein: Seien Sie Sie, wann der Personalkosteneinsparungseffekt dieser reformbereit! großen Reform, der übrigens auch nach langen Diskussi- onen mit den Landkreisen und den Kommunen erreicht (Beifall bei der FDP) worden ist, wieder weg ist? Schon dieses Jahr! Ab Präsident Dr. Matthias Rößler: Kollege Zastrow, lassen 1. Januar 2010 sind die Personalkosten in diesem Land Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Stange zu? schon wieder höher als vor der Reform. Das ist genau das, was ich kritisiere. Wenn wir in diesem Holger Zastrow, FDP: Sehr, sehr gern. Land vorwärts kommen wollen, müssen wir bereit sein, Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Sonst muss ich immer auch härtere Einschnitte vorzunehmen, weil wir es uns dazwischenrufen! auf Dauer nicht mehr leisten können. Beim besten Willen können Sie dieser Regierung und dieser Koalition eines Herr Zastrow, ist Ihnen bekannt, dass es einen Reform- nicht vorwerfen: Wir haben klar gesagt, wohin das Schiff vorschlag gegeben hat – und ich würde gern wissen, wie fährt. Das ist unpopulär. Es ist unpopulär, von Sie dazu stehen –, den Spitzensteuersatz deutlich anzuhe- 70 000 Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung zu ben, um genau die Situation bei den Steuereinnahmen und sprechen. Wir kommen aber darum nicht herum. bei den Ausgaben besser in den Griff zu bekommen? Deswegen lade ich Sie herzlich ein: Seien Sie nicht die Holger Zastrow, FDP: Sie sind tatsächlich der Auffas- Besitzstandswahrer, sondern seien Sie reformbereit, sung, liebe Frau Kollegin Dr. Stange, dass die Anhebung machen Sie mit bei der Erneuerung unseres Staates! In des Spitzensteuersatzes unsere Haushalte konsolidiert? unserem Koalitionsvertrag steht das unter dem Stichpunkt Das ist nichts anderes als Symbolpolitik und bringt „Staatsmodernisierung“ auch ganz deutlich drin. überhaupt nichts. Wir leisten uns in Deutschland – das nur als Hinweis – (Beifall bei der FDP – Lachen viele, viele Liebhabereien, bei denen man auf allen bei der Linksfraktion und der SPD) Ebenen darüber nachdenken muss, ob das so bleiben kann. Wir leisten uns nach wie vor – und das kostet einen Damit kommen Sie nicht weiter. Ich habe das gestern in dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr – zwei Regierungs- der Aussprache zur Regierungserklärung schon gesagt. sitze. Wir leisten uns nach wie vor die fast gleiche Anzahl Gewöhnen Sie sich bitte daran, vielleicht haben Sie es von Mitarbeitern in Berlin und in Bonn. Darüber denkt nicht zur Kenntnis genommen: Es gibt in diesem Land niemand nach. Wir leisten uns in Europa dasselbe. Jeden nicht nur ganz Reiche und ganz Arme. Die Hauptsteuer- Monat fahren 30 Sattelschlepper von Brüssel nach Straß- last trägt die Mitte, der ganz einfache Arbeitnehmer. Ihn burg, damit wir dort tagen können. Ist das vernünftig? Es zu entlasten, darum geht es. ist nicht vernünftig. (Beifall bei der FDP – Thomas Kind, Wir leisten uns in Sachsen einen dreistufigen Verwal- Linksfraktion: Herr Waigel war es, tungsaufbau, obwohl ich ganz sicher bin, das ein zweistu- der den „Waigel-Buckel“ eingeführt hat!) 154 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 figer reichen würde. Wir müssen umdenken in diesem Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Kollege Land, wenn wir unser Land in den Griff bekommen Zastrow. – Gibt es jetzt weitere Wortmeldungen aus den wollen. Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Will die Staatsregie- Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie rung noch einmal das Wort nehmen? – Auch nicht. Damit bereit sind, daran mitzuarbeiten, weil das eine Aufgabe ist die 1. Aktuelle Debatte geschlossen. Ich bedanke mich des gesamten Parlaments sein wird. Wir als Koalition sind ganz ausdrücklich bei den Kollegen für diese muntere dazu bereit, und ich hoffe, dass Sie mitmachen. Diskussion. Danke. Wir kommen zu (Beifall bei der FDP und der CDU)

2. Aktuelle Debatte 20 Jahre nach dem Fall der Mauer – Sachsens erfolgreicher Weg in die Freiheit Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen der CDU Das Leben an den Schulen ging weiter. Die Freiheit und der FDP das Wort. Bitte, Kollege Seidel. wurde ausgelebt. Am 3. Oktober 1990 hat sich der Frei- staat auf der Albrechtsburg in Meißen neu konstituiert. Rolf Seidel, CDU: Meine sehr verehrten Damen und Zwei Wochen später hat sich der erste Landtag konstitu- Herren! Am Ende dieser Woche können wir zurückschau- iert. Das war eine neue Erfahrung in unserem Land. en auf das, was Anfang dieser Woche gewesen ist. Wir Bereits am 30. November legte die neue Regierung unter haben den 9. November erlebt. Wir haben in Presse, Funk Ministerpräsident Kurt Biedenkopf einen Referentenent- und Fernsehen die Rückschau auf das gesehen, was vor wurf für ein neues Schulgesetz vor. Eine neue Schule 20 Jahren an diesem historischen Datum für Deutschland brauchte das Land. in unserem Land passiert ist. Wir sind damals auf dem Weg in ein freiheitlich-demokratisches Land, in eine Der damalige Staatssekretär Husemann sprach davon, freiheitlich-demokratische Gesellschaft gewesen, und wir dass wir eine parteiübergreifende Solidarität bei der Sachsen waren erfreut, dass wir das in unserem Leben Gestaltung dieses Schulgesetzes hatten. Lehrerverbände, überhaupt noch erleben durften. Eltern, die Lehrerkollegen an den Schulen haben eifrig diskutiert, wie denn die neue Schule in unserem Land (Beifall bei der CDU und der FDP) aussehen sollte. Der Kultusminister Matthias Rößler hat In allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens 1998 zurückblickend und zusammenfassend Folgendes bahnte sich ein Umbruch, ein Aufbruch in die neue festgestellt – ich darf dich an dieser Stelle einmal zitieren Gesellschaft an – so auch in unseren Schulen, meine –: „In Sachsen war ein Schulsystem zu schaffen, das die Damen und Herren. Von diesem Bereich möchte ich jetzt Erfahrungen von 40 Jahren sozialistischer Einheitsschule ein wenig erzählen. in der DDR und 40 Jahren verschiedener Schultypen und Schulversuchen in der Bundesrepublik Deutschland Wir hatten damals zum 10. November mit einem Schlag berücksichtigt. Ein großer Vorteil war dabei, dass wir die Diktatur der SED-Parteisekretäre und der SED- etwas Neues schaffen konnten, ohne durch verkrustete Direktoren los. Die Kollegen in den Kollegien, die in der Schulstrukturen oder eine Lobby in eine Richtung ge- SED waren und die uns einen Monat zuvor noch davor zwungen zu werden.“ gewarnt hatten, in Leipzig an der Demonstration teilzu- nehmen, weil dort geschossen werden würde – „mit Natürlich war es ein Neuaufbruch. Wir haben die Berater diesem Spuk machen wir ein Ende!“, haben sie gesagt –, aus Baden-Württemberg und Bayern hier gehabt. Die saßen in der Ecke, waren verschämt und traurig und wollten eine bestimmte Richtung. Es gab Berater aus warfen ihre Parteibücher in den Papierkorb. Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die wollten eine andere Richtung. Es war immer die Richtung, die sie in (Beifall bei der CDU und der FDP) ihren Ländern für richtig befunden hatten. Wir haben mit Das war am 10. November 1989 an meiner Schule. dem Schulgesetz einen neuen Weg eingeschlagen. Wir Wehrkunde, GST, die Zwangsverpflichtung der Lehrlinge haben in Sachsen eine neue Mittelschule kreiert. Diese zur NVA, die Verpflichtung zu DSF und FDJ – alles war Mittelschule, die damals sehr skeptisch angesehen wurde, auf einmal Makulatur, und die ideologische Indoktrination ist ein Erfolgsmodell geworden. der Kinder und Jugendlichen hörte mit einem Schlag auf. Wir haben in der Kultusministerkonferenz für das zwölf- Das war ein wunderschönes Gefühl. jährige Gymnasium gekämpft. Es wäre fast verhindert (Beifall bei der CDU und der FDP) worden, aber die hohe Wochenstundenzahl von 265

155 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 wurde von allen Kultusministern festgeschrieben und wir An dieser Stelle möchte ich denen danken, die ihren haben das Gymnasium erfolgreich eingeführt. Jetzt ist Beitrag geleistet haben, dass die Mauer gefallen ist. Ich unser Modell ein Modellversuch für ganz Deutschland. möchte ganz besonders denen danken, die große Opfer Demgegenüber gab es in Deutschland mittlerweile eine dafür gebracht haben, dass dieses Ereignis zustande kam. 30-jährige Erfahrung mit einer Schule für alle, einer (Beifall bei der FDP, der CDU, des Abg. Gesamtschule, nur dass diese Erfahrung durchweg Thomas Jurk, SPD, und der Staatsregierung) schlecht war, und dies sowohl bei den Leistungsergebnis- sen als auch bei der Schaffung von sozialer Integration Wir sollten nicht vergessen, dass es viele gab, die den und beim Erwerb sozialer Kompetenzen. Kampf für die Freiheit mit ihrem eigenen Leben bezahlt haben. Es gab andere, die haben Haftstrafen verbüßt. Es Meine Damen und Herren! Die jüngste Forsa-Umfrage, gab auch viele, deren berufliche Karriere zu Ende war. Es die uns vorliegt, zeigt, dass zwei Drittel der Deutschen ein hat schon einen bitteren Beigeschmack, dass einige der gegliedertes Schulsystem wollen, und das nicht nur in den Täter heute höhere Renten beziehen als einige der Opfer, neuen Ländern, sondern auch in den alten Bundesländern. meine Damen und Herren. Eine klare Mehrheit ist gegen diese Einheitsschule, gegen die Gesamtschule. Selbst SPD-Anhänger sprechen sich (Beifall bei der FDP, der CDU, den GRÜNEN laut der genannten Studie für unser Schulsystem aus. und der Staatsregierung – Karl Nolle, SPD: Es gab auch noch Reservekader!) Präsident Dr. Matthias Rößler: Kollege Seidel, die – Herr Nolle, ich weiß nicht, wie Sie sich zu DDR-Zeiten Redezeit ist abgelaufen! verhalten hätten! Rolf Seidel, CDU: Wir haben also einen guten Grund, (Zurufe von der CDU: Ja, ja! – den erfolgreichen Aufbau unseres sächsischen Schulsys- Beifall bei der CDU) tems auch in den kommenden Jahren weiter voranzubrin- gen und noch vorhandene Defizite auszubauen. Es erforderte nämlich ein großes Maß an Zivilcourage, gegen das System aufzustehen und all das in Kauf zu Ich will abschließend die Gelegenheit nutzen, den Kolle- nehmen, was viele DDR-Bürger am eigenen Leib und an ginnen und Kollegen, die vor Ort jeden Tag an den Schu- ihrer Familie gespürt haben. len das bewältigen müssen, was wir von ihnen verlangen – nämlich die Sächsinnen und Sachsen zu einem guten (Beifall bei der FDP, der CDU und der Leistungsniveau zu führen, unsere Kinder gut auszubilden Staatsregierung – Volker Bandmann, CDU: –, von dieser Stelle aus recht herzlich zu danken. Für Herrn Nolle sind wir nicht auf die Straße gegangen! – Zurufe von der CDU) (Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung) Ich möchte denen danken, die die Wende hier möglich gemacht haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank. – Als Nachbarn in Polen mit der Solidarność-Bewegung , dass Nächster in der Runde spricht Kollege Herbst von der die Ungarn die Voraussetzungen geschaffen haben, dass FDP; bitte. auch die DDR ein demokratisches Land werden konnte.

Torsten Herbst, FDP: Herr Präsident! Meine sehr (Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt bei geehrten Damen und Herren! 20 Jahre Mauerfall, 20 Jahre der Linksfraktion – Beifall bei der Staatsregierung) Leben in Freiheit – das ist ein Jubiläum, auf das wir mit Wenn man sich heute mit Ungarn und Polen unterhält, die Recht stolz sein können. nicht das Glück hatten, einen reichen Nachbarn zu haben, (Beifall bei der FDP und der CDU) so sind sie trotzdem stolz, dass wir es gemeinsam ge- schafft haben, die Teilung Europas zu überwinden. Wir können stolz sein, weil der Fall der Mauer, weil die Wende auch hier von Sachsen ausgegangen ist, weil Meine Damen und Herren! In den vergangenen 20 Jahren Bürger in Dresden, in Plauen, in Leipzig und in vielen hat sich in Sachsen unheimlich viel getan. Wenn man hier anderen Orten dafür gesorgt haben, dass sich das Regime zum Fenster hinausschaut und die Elbe sieht, denkt man nicht länger halten konnte, dass sich ein Gesellschaftssys- daran, wie zu DDR-Zeiten die Flüsse aussahen, wie die tem verändert hat und dass Grundrechte, die in der DDR Luftverschmutzung war. Dann stellt man fest, dass wir nicht gegolten haben, in allen neuen Ländern in Ost- trotz aller Probleme einen Riesenschritt nach vorn ge- deutschland wieder eingeführt wurden. macht haben, und darauf können wir sehr stolz sein. Das Gesicht Sachsens hat sich in den letzten Jahren (Beifall bei der FDP und der CDU) erheblich gewandelt. Wenn wir ehrlich sind – ohne die Wir hatten Innenstädte mit verfallenen Fassaden. Ganze Wende gäbe es keinen Freistaat, gäbe es keinen Landtag Stadtviertel wären vermutlich abgerissen worden, wenn und wir würden heute nicht hier sitzen. Die Bürger die Wende nicht gekommen wäre. Wir hatten eine Situati- Sachsens haben heute alle Rechte, die die DDR ihnen on in Krankenhäusern und Pflegeheimen – jeder, der dort verwehrt hat. Angehörige besucht hat, wird sich daran erinnern –, die mit Menschenwürde wenig zu tun hatte. Das lag nicht an 156 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 den Menschen, die dort gearbeitet haben, sondern einfach (Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU) an den baulichen Voraussetzungen. Auch das ist eine Aber der Wahlkampf liegt doch hinter uns. Veränderung, auf die wir sehr, sehr stolz sein können. Die legitime, errungene Majorität sichert Ihnen für fünf (Beifall bei der FDP, der CDU Jahre die Macht. und der Staatsregierung) (Peter Schowtka, CDU: Das war auch die freie Nicht zuletzt haben wir heute Meinungsfreiheit. Wir Gewissensentscheidung! – Christian Piwarz, CDU: haben Reise- und Pressefreiheit. Menschenrechte werden Reden Sie doch mal zum Thema!) geachtet. Es gibt keine staatliche Willkür mehr. Der Drang zur Freiheit hat 1989 nicht nur eine Regierung hinwegge- – Warten Sie doch ab! – Es ist die Mehrheitsfraktion, die fegt, sondern er hat ein Gesellschaftssystem ins Ge- wie keine andere die Freude über die vor 20 Jahren schichtsbuch verbannt. Allen DDR-Nostalgikern sage ich: errungene Freiheit zelebriert. In den Genuss dieser Frei- Es ist gut so, dass dies nur noch im Geschichtsbuch heit sind aber alle gekommen: die Opfer wie die Scher- vorkommt. gen. Alle wollen heute an dieser Freiheit teilhaben, auch jene, die sie vor 20 Jahren noch als Niederlage erlebt (Beifall bei der FDP, der CDU haben. So sind Menschen. Im selben Atemzug, in dem sie und vereinzelt bei der Linksfraktion) nun dieses Fest der Freiheit begehen, wollen sie jedoch Natürlich hatte die Wende für viele auch eine persönliche den ehemaligen Stützen des Regimes die Freiheit streitig Dimension. Nicht alle Bevölkerungsschichten, nicht alle machen, Generationen konnten gleichermaßen profitieren. Wir (Uta Windisch, CDU: Das ist unerhört!) wissen, dass diejenigen, die damals Ende 40/Anfang 50 waren, natürlich nicht mehr dieselben Chancen hatten. die Freiheit, andere geworden zu sein, und das, obwohl Aber es gab viele, die in hohem Maße davon profitiert sie sie kennen und in der vergangenen Legislaturperiode haben. Ich selbst hatte die Gelegenheit, mein zu in Ausschüssen zusammengearbeitet haben. Sie wissen machen. Ich konnte im Ausland studieren. Das wäre genau, dass diese Leute längst in dem neuen Gesell- früher nicht möglich gewesen. Das sind heute alles schaftssystem angekommen sind, auf dem Boden unserer Selbstverständlichkeiten, meine Damen und Herren. freiheitlichen Verfassung stehen und ihren Sinneswandel in den vergangenen 20 Jahren mit ihrem Leben dokumen- Präsident Dr. Matthias Rößler: Kollege Herbst, denken tiert haben. Diese 20 Jahre sind für Sie anscheinend Sie an die Redezeit. nichts. Sie aber möchten – jedenfalls in bestimmten Situationen wie dieser – jene 20 Jahre ungeschehen Torsten Herbst, FDP: Auch wenn die Wende für einige machen. Sie möchten den Augenblick der Revolution schwierig war, so hat sie doch für die allermeisten Vortei- festhalten, gewissermaßen für immer konservieren und le gebracht. Einen Unterschied gibt es aber: Diejenigen, die Feindbilder von damals noch einmal auskosten. die heute von einer freien Gesellschaft profitieren, sind deutlich mehr als der kleine Kader, der zu DDR-Zeiten (Christian Piwarz, CDU: Frechheit!) dazugehört hat. Daraus entsteht der Kalte Krieg der Erinnerungen. Wie (Beifall bei der FDP, der CDU sollen sich denn die Geläuterten verhalten? Sie haben sich und der Staatsregierung) längst zu ihrem Tun bekannt und sich entschuldigt.

Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Kollege (Oh-Rufe bei der CDU) Herbst. – Das ist doch der Fall. Lassen Sie uns doch nicht über Damit haben die Antragsteller das Wort ergriffen. Die Dinge reden, die selbstverständlich sind! weitere Reihenfolge in der ersten Runde: DIE LINKE, (Uta Windisch, CDU: SPD, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn Keine Ahnung hat dieser Mensch!) gewünscht. Aber ich habe schon das Signal erhalten, dass die Staatsregierung nicht das Wort ergreifen wird. Bitte, Sollen sie nun den Liebhabern der ewigen Revolution die Herr Prof. Besier für DIE LINKE. unbelehrbaren Kommunisten vorspielen, nur damit die alte Schlachtordnung stimmt? Sollen sie sich an den Rand Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, Linksfraktion: Herr der Gesellschaft zurückziehen und an politischen Wil- Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stehe noch ganz lensbildungsprozessen nicht mehr teilhaben dürfen? Die unter dem Eindruck des gestrigen Tages. Ich meine nicht Partei DIE LINKE hat in unserer Übergangsgesellschaft die Abstimmungen über Anträge, ich meine die über längst eine transitorische Funktion – eine Brückenfunkti- Personen, Personen, die als Vertreter des Sächsischen on – übernommen, die der Konsolidierung der demokrati- Landtages in die Stiftungen und Kommissionen entsandt schen Gesellschaft im östlichen Deutschland dienlich ist. werden sollen. (Beifall bei der Linksfraktion) Stünde uns der Wahlkampf bevor, hätte ich das Verhalten der Mehrheit vielleicht noch nachvollziehen können. Wohlgemerkt, wir reden hier über die Situation von heute, nicht über die von vor 20 Jahren. Das spontane Entsetzen

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über das Ausmaß an Verrat und Schmerz, über Enttäu- medien genau diese Zeit reflektieren und deutlich ma- schungen und das Leid über verlorenes Leben standen chen, worum es damals gegangen ist. zwischen Tätern und Opfern. Das ist doch gar keine Doch es ist gerade nicht nur wichtig für diejenigen, die Frage. Aber wird Freiheit nicht zu politischen Zwecken sich immer wieder daran erinnern sollten, sondern auch instrumentalisiert, wird sie nicht entwürdigt, wenn man für junge Menschen, die das damals nicht erleben konnten sie auch noch nach 20 Jahren gegen die wendet, die oder nicht so bewusst erlebt haben; denn es macht deut- zunächst gegen ihren Willen befreit wurden und dann lich, warum es diesen Herbst ’89 gegeben hat. einen Lernprozess durchlaufen mussten? Ich finde es bemerkenswert, dass in der öffentlichen In der Fraktion DIE LINKE ist die Notwendigkeit einer Wahrnehmung sehr deutlich wird, dass es doch in erster restlichen Aufarbeitung der Vergangenheit völlig unstrit- Linie die ostdeutschen Menschen gewesen sind, die die tig. Versöhnung ohne Wahrheit ist verlogen. Aber was ist Mauer zum Einsturz gebracht haben. Übrigens, selbst der Wahrheit ohne Versöhnung? Der brandenburgische Schabowski-Versprecher wurde erst mit Nachdruck durch Ministerpräsident, Matthias Platzeck, hatte den Mut, vor die Leute, die an der Mauer standen, quasi in die Realität etwa zehn Tagen dieses immer noch heikle Thema offen umgesetzt und die Mauer fiel. Auch das gehört zur Ehr- anzusprechen. Er hätte die Koalition mit der Linken lichkeit. einfach so, aus pragmatischen Gründen, schließen kön- nen, wie ihm Richard Schröder im Nachhinein empfohlen Ich denke aber auch, dass wir in einer Zeit leben, in der hatte. Aber er ging den schwierigeren Weg. Ich zitiere wir die Ost-West-Debatten einfach beiseitelassen sollten. Platzeck: „Alle postdiktatorischen Gesellschaften stehen Ich sah das ein wenig kritisch, als der Ministerpräsident vor demselben Grundproblem.“ Wie weit sollen belastete im Wahlkampf mit dem Titel „Der Sachse“ geworben hat. Gruppen von Menschen in die neue demokratische Es ist klar, dass es in Sachsen Menschen gibt, die sagen: Gesellschaft integriert werden? Die Macht der Vergan- Schön, dass einer von uns regiert. Ich finde das per se genheit will uns nicht loslassen und die Profiteure der auch nicht schlecht. Aber das einfach so herauszukehren schrecklichen Bilder tun alles, um sie lebendig zu halten. wird dem nicht gerecht, was wir an Unterstützung gerade aus dem Westen erhalten haben. Meine Damen und Herren, soweit Sie aus Bürgerrechts- kreisen kommen: Sie sind mit Recht stolz auf Ihre friedli- (Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU) che Revolution. Dabei geht es mir nicht nur um Solidarbeiträge und um Präsident Dr. Matthias Rößler: Herr Kollege, denken Geld, sondern auch um die ehrliche Bereitschaft zur Sie an Ihre Redezeit! Unterstützung, die uns hier im Osten geholfen hat. Aber es ist richtig, dass sehr viele Väter die Einheit vorbereitet Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, Linksfraktion: Ja, ich bin haben. Als Sozialdemokrat denke ich dabei gern an den gleich am Ende. – Aber die friedliche Revolution ist erst Kniefall von in Warschau – von den Kon- vollendet, wenn Sie sich auch der selbstüberwindenden servativen im Westen damals arg bekämpft. Ich denke Anstrengung der Integration unterzogen haben. Das habe auch an die Leistungen von Kohl und Genscher zurück, ich schon vor fünf Jahren einmal sagen müssen. Hättet ihr die meiner Ansicht nach zur richtigen Zeit richtige Ent- alle Gegner an den Laternenpfosten aufgehängt, dann scheidungen getroffen haben. müsstet ihr euch heute nicht mehr mit ihnen versöhnen. (Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und Aber dann könntet ihr auch keine friedliche Revolution des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller) feiern. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke Danke schön. zurück an jene Demonstrationen in Leipzig, Dresden, (Beifall bei der Linksfraktion) Plauen, ja, in ganz Sachsen und ganz Ostdeutschland. Ich denke zurück an jene Großdemonstration am Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr Prof. 4. November 1989 in Berlin, als beispielsweise Christoph Besier. – Ich weise darauf hin, dass das ein vorgetragener Hein die Heldenstadt Leipzig ausgerufen hat – völlig zu Wortbeitrag war. Ich erinnere nochmals an den Stichwort- Recht, wie ich meine. zettel und die freie Rede entsprechend unserer Geschäfts- ordnung. Ich denke aber auch zurück an jene Fantasie, an jenes unbefangene Herangehen an gesellschaftliche Verände- Als Nächster spricht Herr Kollege Jurk für die SPD- rungen, was ich mir heute gern wieder zurückwünschen Fraktion; bitte. würde. Ich denke daran, dass wir unverkrampft waren und dass wir einfach die Gesellschaft so angenommen haben, Thomas Jurk, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine wie sie war. Es war eine befreiende Zeit. Um an dieser sehr verehrten Damen und Herren! Die Tage des Novem- Stelle mit Stefan Heyms Worten zu sprechen: Es war, als ber 2009 sind gespickt mit Erinnerungen an jene Zeit vor ob auf einmal die Fenster und Türen aufgegangen sind 20 Jahren. Wir erleben im Fernsehen Bilder, die unter die und der ganze Mief entweichen konnte. Haut gehen und die uns noch immer zutiefst bewegen. Ich denke, es ist richtig, dass Funk, Fernsehen und die Print- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es waren klare Forderungen, die die Menschen in der DDR hatten: freie

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Wahlen, Reisefreiheit. Sie wollten eine Verbesserung der Thomas Jurk, SPD: Herr Präsident! Da ich in der katastrophalen Umweltsituation. Wer unsere Städte und zweiten Runde noch Redezeit habe, freue ich mich darauf, Gemeinden angeschaut hat, der weiß auch, wenn er sich dann fortsetzen zu können. heute umschaut, dass sehr viel erreicht worden ist. Vielen Dank. In jener Zeit bekam ich übrigens Kenntnis von einem Aufruf. Herr Präsident, gestatten Sie bitte, dass ich das Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Kollege zitiere; denn es macht deutlich, wofür wir damals einge- Jurk. – Als Nächstes folgt der Redebeitrag der GRÜNEN. standen sind. In dem Aufruf stand unter anderem, wie Bitte schön, Frau Kollegin Kallenbach. man eben jene Ziele der demokratischen Veränderungen Gisela Kallenbach, GRÜNE: Herr Präsident! Liebe im Land erreichen konnte: „Rechtsstaat und strikte Kolleginnen und Kollegen! Das Jubiläumsgedenken ist Gewaltenteilung, parlamentarische Demokratie und auch im Sächsischen Landtag angekommen. Das ist gut Parteienpluralität, Sozialstaat mit ökologischer Orientie- so. Wir haben allen Grund zur Freude und uns zu erin- rung, relative Selbstständigkeit der Regionen (Länder, nern. Ich persönlich bin froh über 20 Jahre Leben in Kreise, Städte und Kommunen), soziale Marktwirtschaft einem demokratischen Rechtsstaat, in dem nicht mehr mit striktem Monopolverbot zur Verhinderung undemo- staatliche Institutionen oder die Doktrin einer Einheitspar- kratischer Konzentration und unökonomischer Macht, tei und ihrer Alliierten über meine Biografie oder die Demokratisierung der Struktur des Wirtschaftslebens, meiner Kinder bestimmt haben. unter anderem durch betriebliche Mitbestimmung, Förde- rung von Gemeinwirtschaft und Genossenschaften, (Beifall bei den GRÜNEN, Freiheit der Gewerkschaften und Streikrecht, strikte der Linksfraktion und der SPD) Religions- und Gewissensfreiheit, Gleichberechtigung Aber es reicht nicht, aller Jubeljahre wohlfeine Reden zu und Förderung von Frauen, Vereinigungs- und Versamm- halten und ansonsten den Mantel des Schweigens darüber lungsfreiheit für alle demokratischen Organisationen, zu legen oder gar das Erbe der friedlichen Revolution in freie Presse und Zugang zu den elektronischen Medien für Glasvitrinen zu konservieren. Ich bin häufig mit Schüle- alle demokratischen Organisationen und Gewährung von rinnen und Schülern im Gespräch. Sie werden es selbst Asyl für politische Flüchtlinge.“ wissen: Der Kenntnisstand über die Vergangenheit ist Ich will es sehr deutlich sagen: Das ist eine Forderung, erschreckend. Das ist sicherlich auch eine Bringschuld der die man gerade im Lichte der damaligen Ereignisse Elternhäuser, aber für mich ein klares Versagen schuli- besonders würdigen sollte; denn es waren ja wohl die scher Lehrpläne. Es ist einfach unverantwortlich, zur Polen, Tschechen und Ungarn, die uns geholfen haben, Tagesordnung überzugehen. die innerstaatliche Einheit realisieren zu können. Was wissen die heute Zwanzigjährigen über die Unfrei- (Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP) heit in der DDR, über die Ideologisierung des Alltags, über das zweizüngige Bildungssystem, über die Unterdrü- Wenn man das alles reflektiert, kann man mit der Bilanz ckung der eigenen Meinung und die erwartete Anpas- nach 20 Jahren sagen: Es ist vieles geglückt, wir haben sung? Warum verklären Eltern und Großeltern ihr Leben vieles erreicht. Ich will das ausdrücklich auch für Sachsen in der DDR? Warum beschönigen Menschen das Agieren, sagen, weil ich fünf Jahre Mitglied der Regierung war: auch das Versagen, die Resignation und die Mutlosigkeit? Auch die Regierenden haben ihren Beitrag dazu geleistet. Ich denke, das sollte man würdigen. (Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, vereinzelt bei der Linksfraktion und der SPD) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch daran denken, was nicht gelang. Diesbezüg- Schaffen wir es als demokratisch legitimiertes Gremium, lich bin ich, Herr Seidel, anderer Meinung als Sie, zumal die Voraussetzungen für die nötigen gesellschaftlichen ich ein anderes Schulmodell favorisiere. Ich halte es für Prozesse zu schaffen? Für mich sind der Mut und die falsch, dass man relativ eintönig ein Schulsystem über- Zivilcourage von Tausenden, die mit ihrem Freiheitswil- nommen hat, das aus der Wilhelminischen Zeit stammt. len im Jahre 1989 ein ganzes System zum Einsturz Selbst wenn Sie mir heute Forsa-Umfragen vorhalten: Die gebracht haben, zu wertvoll, als dass wir es in den Nebel- wirkliche Leistungsfähigkeit des DDR-Schulsystems schwaden der Milchstraße verschwinden lassen oder gar bestand nun wirklich nicht in der ideologischen Verklärt- in Selbstgefälligkeit verharren. heit, sondern sie bestand darin, dass wir gute brauchbare (Beifall bei den GRÜNEN) Abschlüsse erzielt haben. Es sind Leute in den Westen gegangen, weil sie hier viel Fachkompetenz erworben Wer die Vergangenheit leugnet oder sie überspringen will, haben. Das sollten wir an dieser Stelle nicht vergessen. läuft Gefahr, sie zu wiederholen. Das, meine lieben (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei den GRÜNEN und der CDU) Präsident Dr. Matthias Rößler: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit! Bei allen Lobeshymnen auf den Freistaat Sachsen – die Umfragen und die Fakten belegen es: Die deutsche Einheit ist bei Weitem noch nicht vollendet. Ich nenne 159 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Stichworte: Arbeitslosigkeit, Wegzug, die auch daraus (Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, entstehende demografische Entwicklung. Es muss uns der Linksfraktion, der SPD, vereinzelt nachdenklich machen, wenn das gesellschaftliche Interes- bei der FDP und der Staatsregierung) se rapide abnimmt; Stichwort Wahlbeteiligung. Ist es Resignation? Zählt die Stimme nicht mehr? Machen „die Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Frau da oben“ doch nur, was sie wollen? Wie steht es im Kollegin Kallenbach. – Als Nächster spricht für die NPD- Jahre 20 „danach“ mit den Beteiligungsrechten, mit den Fraktion Herr Gansel. Bürgerrechten versus sogenannte Sicherheitspolitik, mit Jürgen Gansel, NPD: Sehr geehrter Herr Präsident! dem vermeintlichen Gegensatz von Ökonomie und Meine Damen und Herren! Als am 9. November 1989 die Ökologie? Grenzen nach Westberlin unter dem Andrang der Volks- (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) massen geöffnet wurden, brachen sie entzwei, die Ketten der Teilung, in die das Vaterland über 40 Jahre gelegt war. Es würde unserem neuen Sächsischen Landtag gut zu Bald darauf wurde der Todesstreifen von der Ostsee bis Gesicht stehen, wenn wir Demokratie und Partizipation nach Bayern durchlässig, und die Deutschen lagen sich wesentlich ernster nähmen. überglücklich in den Armen. Für die NPD, die sich im (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) Gegensatz zu den Altparteien niemals mit der Teilung der Nation abgefunden hatte, war dies das Vereinigungsfest Das hat Solidarność erstritten, das war Inhalt der Char- einer zerrissenen Familie. ta 77. Dafür haben die Menschen in Plauen, in Leipzig – in der gesamten DDR demonstriert. (Volker Bandmann, CDU: So ein dummes Zeug! – Gestatten Sie mir noch einen Blick auf Europa. In der Zuruf der Abg. Karl Nolle, SPD, Zeit, als wir in Ostdeutschland, in Mittel- und Osteuropa und Christian Piwarz, CDU) die Freiheit errungen haben, gab es eine Region, das In diesen frohen Tagen vor 20 Jahren lag eine nationale ehemalige Jugoslawien, in dem blutige Kriege stattgefun- Tendenzwende in der Luft, lag die Chance einer geistigen den haben. Westeuropa hatte kein gemeinsames Konzept, und politischen Neugeburt der Deutschen auf der Straße. dem zu begegnen. Ich finde, es hat sich damit an diesen Diese Neugeburt hätte die Deutschen damals seelisch Menschen schuldig gemacht. gesunden lassen und mit ihrer Nationalgeschichte versöh- Ich appelliere an Sie als Meinungsbildner in Ihren Partei- nen können, und sie hätte die Deutschen erstmals nach en: Stimmen Sie für einen baldmöglichsten Beitritt dieser Kriegsende dazu befähigt, wieder selbstbewusst ihre Länder in die Europäische Union, weil nur dieser Staa- nationalen Interessen zu vertreten. tenverbund eine demokratische, friedliche und rechtsstaat- Wenigstens das aber wollten die Negativeliten in der BRD liche Entwicklung auf Dauer ermöglicht. und in der DDR verhindern, wenn sie schon nicht die An Sie, Herr Innenminister Ulbig, möchte ich die Bitte Einheit selbst verhindern konnten. Die Herrschenden in richten: Lassen Sie humanitäre Grundsätze gelten, wenn Ost und West hatten sich nämlich dem Wiedervereini- es um die Zwangsrückführung der Migranten aus diesen gungsgebot genauso entfremdet wie ihrem Volk und Ländern geht. seiner Geschichte. (Jürgen Gansel, NPD: Das ist wirklich Für diese antideutsche Geisteshaltung, die vor 20 Jahren waltete, steht beispielhaft der damalige Chefredakteur des das wichtigste Thema am 20. Jahrestag! – „Spiegel“, Erich Böhme, der zu Protokoll gab: „Ich Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD) möchte nicht wiedervereinigt werden!“ – Vor 20 Jahren Gewähren Sie ihnen schon heute das Recht auf freie wollten auch viele andere gesellschaftlich relevante Wohnungswahl, ein EU-Recht, das auch die Menschen Kreise nicht wiedervereinigt werden. Da waren natürlich aus der DDR in den Achtzigerjahren als Folge des KSZE- die SED-/PDS-Genossen, die um ihre rote Bonzenherr- Prozesses bereits für sich in Anspruch genommen haben. schaft und den „antifaschistischen Schutzwall“ trauerten. (Beifall bei den GRÜNEN, Da waren Sozialdemokraten wie Willy Brandt, Gerhard Schröder und insbesondere , der noch der Linksfraktion und der SPD) Ende 1989 an der unnatürlichen Zweiteilung Deutsch- Präsident Dr. Matthias Rößler: Frau Kollegin, denken lands festhalten und die Mitteldeutschen von den damals Sie bitte an Ihre Redezeit! noch bestehenden Leistungen des westdeutschen Sozial- staats fernhalten wollte. Gisela Kallenbach, GRÜNE: Ein Fazit meiner Fraktion Da waren die GRÜNEN, deren Spitzenpersonal vor aus der friedlichen Revolution: Nichts muss so bleiben, 20 Jahren noch an einer Berliner Großdemonstration unter wie es ist! – Fassen Sie das bitte nicht als Drohung auf, dem Motto „Nie wieder Deutschland!“ teilnahm und sondern als Angebot für eine neue politische Kultur. Diese damit gegen die Einheit demonstrierte. Und da war ist dringend nötig. Hildegard Hammbrücher, die große linksliberale Dame Danke. der FDP, die sich im Wendeherbst vor 20 Jahren für den

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Fortbestand der Teilung aussprach, weil sie meinte, das Präsident Dr. Matthias Rößler: Ihre Redezeit ist abge- würde dem europäischen Frieden dienen. laufen.

Man kann natürlich auch auf eine Reihe hochkarätiger Jürgen Gansel, NPD: Ja, mein letzter Satz. – Nach der CDU-Politiker verweisen, die damals bis zuletzt versucht DDR hat auch die BRD wahrlich ihren 9. November 1989 haben, den Zug zur Wende abzubremsen. Ich denke dabei verdient. an den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler oder den CDU-Multifunktionär Friedbert Pflüger. Danke. Letzterer äußerte sich noch im Herbst 1989 voller Ekel (Beifall bei der NPD) über die Perspektive eines wiedervereinigten Deutsch- lands. Er erklärte damals gegenüber der Presse in Abkehr Präsident Dr. Matthias Rößler: Herr Gansel, ich weise von der Wiedervereinigungsidee: „Mein Vaterland ist die Sie noch einmal auf unsere Geschäftsordnung hin. Sie Bonner Demokratie!“ – Na, herzlichen Glückwunsch! hatten einen ausgearbeiteten Wortbeitrag. Die Herrschenden in Bonn hatten damals das Ziel der (Jürgen Gansel, NPD: Den hatte Einheit längst verraten, als ihnen die Einheit durch den ich nicht! Ich habe frei gesprochen!) Freiheitswillen der Mitteldeutschen wie eine reife Frucht – Aber Sie hatten einen ausgearbeiteten Wortbeitrag. – in den Schoß fiel. Die Demonstranten in Mitteldeutsch- Diesen Hinweis geben wir immer, auch an Sie: Wir land wollten aber nicht einfach nur wiedervereinigt erwarten, dass Sie in Zukunft mit einem Stichwortzettel werden, sondern sie wünschten sich eine Wiedervereini- sprechen. gung auf Augenhöhe, in die Mitteldeutsche und Westdeut- sche gleichberechtigt ihre Lebenserfahrungen, ihre Tradi- (Jürgen Gansel, NPD: Können wir einrichten!) tionen und ihre Gerechtigkeitsvorstellungen in das neue, – Vielen Dank. größere Deutschland einbringen können. Meine Damen und Herren! Wir treten in eine zweite Doch die herrschende Klasse tat alles, um den Strom Runde ein. Bitte, Herr Kollege Heidan. Sie sprechen für nationaler Begeisterung wieder auszutrocknen und das die Fraktion der CDU. verbliebene Rinnsal in die Bahnen des überlebten bundes- republikanischen Status quo zu lenken. Statt eines wirk- (Holger Apfel, NPD: Der Redebeitrag lich gesamtdeutschen Staates gab es nur den technokrati- ist aber auch ausgefertigt!) schen Anschluss der DDR an die BRD zu einem als Frank Heidan, CDU: Herr Präsident! Meine Damen und Großwestdeutschland zu bezeichnenden Staat. Damit Herren! Herr Prof. Besier, gestatten Sie mir noch einige missachtete die politische Klasse der Bundesrepublik das Bemerkungen zu dem von Ihnen hier vorgetragenen von ihr selbst in Sonntagsreden immer wieder beschwo- Referat. Beim Zuhören habe ich gedacht, Sie seien in der rene Grundgesetz. In dessen Artikel 146 steht nämlich bis falschen Partei. Mir ist bekannt, dass DIE LINKE die zum heutigen Tage, dass das Grundgesetz dann seine Nachfolgepartei der SED ist. Gültigkeit verliert. Wenn die Einheit hergestellt ist und sich das deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfas- (Klaus Bartl, Linksfraktion: Wie die CDU die sung gegeben hat. Aber wir wissen ja, dass Sie das Grund- Nachfolgepartei der CDU ist! – Dr. André Hahn, gesetz biegen und deuten, wie Sie es wollen. Linksfraktion: Und der Bauernpartei!)

Präsident Dr. Matthias Rößler: Kommen Sie jetzt bitte Bisher habe ich von Ihrer Partei in der Form keine Ent- zum Schluss, Herr Gansel. Ihre Redezeit ist abgelaufen. schuldigung für die Mauertoten gehört, keine Entschuldi- gung für das, was die SED in 40 Jahren, bis 1989, ange- Jürgen Gansel, NPD: Ich habe noch eine halbe Minute, richtet hatte. Herr Präsident. (Beifall bei der CDU und der FDP – Präsident Dr. Matthias Rößler: Gut, die können Sie Stefan Brangs, SPD: Da gibt es auch ausfüllen. Gemeinsamkeiten mit der CDU!) Ich habe von Ihnen auch noch nicht gehört, dass Sie sich Jürgen Gansel, NPD: Die etablierten Parteien hatten also klar zur sozialen Marktwirtschaft positioniert hätten. überhaupt kein Interesse an einer demokratischen Erneue- rung des größeren Deutschlands. Sie wollten keine Ver- (Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Was? fassungsdebatte und ließen sie deswegen auch nicht zu. Was ist das denn überhaupt? Definiere, komm! – Der Grund war schon damals die Angst der Herrschenden Gegenruf des Abg. Robert Clemen, CDU: vor dem eigenen Volk. Ludwig Erhard lesen!) Ich kann versichern, dass wir Nationaldemokraten gern Wer war denn letztendlich verantwortlich für das Schei- die Freiheitsimpulse des 9. November 1989 zur Herstel- tern dieser Planwirtschaft, gegen die die Menschen in lung einer wirklichen Volksherrschaft aufnehmen. Dafür ihrer Not auf die Straße gegangen sind? brauchen wir auch 20 Jahre nach der Wende eine neue, friedliche Volkserhebung.

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(Karl Nolle, SPD: Herr Kollege, das der Wirtschaft die Unternehmen marktfähig aufgestellt war doch „Handel und Versorgung“, wenn haben. ich mich nicht irre! Reservekader aus Kamenz!) Es ist wichtig, darauf hinzuweisen: Wir haben in Sachsen Wir sind doch nicht nur deshalb auf die Straße gegangen, ein ausgeprägtes Unternehmertum. Die Unternehmer weil wir keine Reisefreiheit und keine Pressefreiheit haben gleich in den Anfangsjahren die Ärmel hochge- hatten; wir haben uns auch im wirtschaftlichen Bereich krempelt und damit dafür gesorgt, dass Arbeitsplätze die Freiheit erkämpft. Das System Planwirtschaft ist doch gesichert, umgewandelt und sogar neue geschaffen in den Jahren bis 1989 jämmerlich zusammengebrochen. werden konnten. (Zuruf von der NPD: Dein System Präsident Dr. Matthias Rößler: Die Redezeit, Kollege wird noch zusammenbrechen!) Heidan.

Wir haben die Folgen auch der wirtschaftlichen Unfreiheit Frank Heidan, CDU: Ich denke, das ist einen großen erfahren, insbesondere die absolute Materialknappheit in Dank wert. Gott sei Dank haben wir diese Freiheit 1989 allen Bereichen. Die Fleischerfachgeschäfte mutierten errungen. Sie hat es uns ermöglicht, dass wir heute eine letztlich zu Fliesengroßhandlungen. Wohlstandsgesellschaft sind, (Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: (Jürgen Gansel, NPD: So ein Quatsch!) In welcher Welt leben Sie denn?) Die Motivation im Arbeitsbereich war doch bis 1989 auch die sich in ganz Europa sehen lassen kann. eine ganz andere. Herzlichen Dank. (Vereinzelt Beifall bei der CDU) (Beifall bei der CDU und der FDP – Karl Nolle, Ich meine, das alles sind Zeichen von Unfreiheit in allen SPD: Bei manchen Rednern müsste man die Lebensbereichen, hauptsächlich im wirtschaftlichen Redezeit verlängern, weil es so spaßig ist!) Bereich. Was haben wir denn nach 1989 erlebt, nachdem wir alle Präsident Dr. Matthias Rößler: Wird von dem Mitan- in die Freiheit gegangen sind? Sicherlich mussten wir in tragsteller FDP das Wort gewünscht? – Nein. den Anfangsjahren auch einiges probieren und wir waren Dann folgt gemäß der Rednerreihenfolge die Fraktion zaghaft. Wir haben uns 1989/90 die Freiheit genommen, DIE LINKE. Bitte, Herr Kollege Gebhardt. auch die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. Wir konnten die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen. Rico Gebhardt, Linksfraktion: Herr Präsident! Meine Ich habe das am eigenen Leib praktiziert, indem ich Damen und Herren! Herr Heidan, wenn Sie Reden halten, gesagt habe: Wir versuchen, das Ruder herumzureißen, sollten Sie sich vielleicht vorher erkundigen, worüber Sie und gründen eine Unternehmung. – Diese wirtschaftliche reden. Am 8./9. Dezember und am 16./17. Dezem- Freiheit hat uns zum Erfolg geführt, dorthin, wo wir ber 1989 fand ein Sonderparteitag der SED statt, auf dem heute, nach 20 Jahren, hier in Sachsen stehen. sich meine damalige Partei von dem stalinistischen System distanziert hat. Sie können zwar ständig die (Beifall bei der CDU und der FDP) Behauptung wiederholen, dass wir uns unserer Vergan- Denken Sie einmal daran, wie einfach es nach 1989 war, genheit nicht gestellt hätten; das haben wir aber, wie die Wohnraumsituation zu verbessern. Ihre SED hatte gesagt, bereits am 8./9. und am 16./17. Dezember 1989 jahrelang darum gekämpft. getan. (Karl Nolle, SPD: Das war auch „Handel und (Beifall bei der Linksfraktion – Versorgung“! – Gegenruf des Staatsministers Volker Bandmann, CDU: Aber das Frank Kupfer: Keine Ahnung!) Vermögen haben Sie nicht zurückgegeben!) Wir haben im Ergebnis der Freiheit erreicht, dass das – Herr Bandmann, bis jetzt waren Sie relativ friedlich. Wohnungsproblem innerhalb kürzester Zeit geklärt Das habe ich sehr geschätzt. Sie brauchen nicht wieder in werden konnte. Wir haben erreicht, dass jeder sein Auto Ihren alten Stil zu verfallen. kaufen kann, ohne zehn Jahre auf diesen fahrbaren Unter- Ich habe heute früh in der „Sächsischen Zeitung“ die satz warten zu müssen; von „Auto“ konnte man sicherlich Aussage einer Bürgerin gelesen: „Mir graut schon vor nicht reden, wenn man „Trabant“ oder „Wartburg“ mein- dem nächsten Mauerjubiläum!“ Liebe Kolleginnen und te. Kollegen! Ich will mich diesem Teil anschließen, vor (Stefan Brangs, SPD: Das hörte allem, wenn ich mir überlege, wie wir Politikerinnen und sich früher noch ganz anders an!) Politiker – – Wir haben erreicht, dass etliche tausend Arbeitsplätze Präsident Dr. Matthias Rößler: Herr Kollege Gebhardt, gesichert wurden, weil sich im Ergebnis der Freiheit in lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

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Rico Gebhardt, Linksfraktion: Von meinem Kollegen diese Menschen heute die richtigen Lehren daraus gezo- aus dem Erzgebirge? Ja. gen haben. Es gibt ein Recht für jeden Menschen für einen Neuanfang, wie Gerhard Besier vorhin sagte. Steffen Flath, CDU: Herr Kollege Gebhardt, Sie haben angeführt, dass im Dezember ein SED-Parteitag stattge- (Beifall bei der Linksfraktion) funden hat, auf dem es eine Entschuldigung gegeben Wenn in verschiedenen Veranstaltungen heutzutage, vor hätte. Herr Gebhardt, hat die SED oder ihre Nachfolger allen Dingen in Talkshows uns das Gefühl vermittelt wird, auch auf das Vermögen verzichtet? man habe am Checkpoint/Charly gestanden, dann finde ich das unehrlich und nicht angemessen den Bürgerinnen Rico Gebhardt, Linksfraktion: Genau, wie die CDU und Bürgern der DDR gegenüber, die tatsächlich dazu nicht auf ihr Vermögen verzichtet hat, haben wir nur auf beigetragen haben, dass die Mauer 1989 eingestürzt ist. Teile des Vermögens verzichtet, aber auf das Vermögen Ich hoffe, dass wir, wenn wir in zehn Jahren über ein im Ausland haben wir mehrfach keinen Anspruch erho- Mauerjubiläum reden, tatsächlich die Bürgerinnen und ben. Herr Flath, das wissen Sie auch. Bei der Aufteilung Bürger in den Mittelpunkt stellen oder zumindest die hat auch der Freistaat Sachsen etwas von diesem Vermö- Vereinigung, die dazu beigetragen hat, nämlich das Neue gen abbekommen. Forum. Präsident Dr. Matthias Rößler: Lassen Sie eine weitere Danke schön. Zwischenfrage zu? (Beifall bei der Linksfraktion) Steffen Flath, CDU: Herr Kollege Gebhardt, ist Ihnen bekannt, dass die CDU Deutschlands auf das Vermögen Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank. – Herr der DDR-CDU verzichtet hat? Ist Ihnen das bekannt? Jurk spricht noch einmal für die SPD-Fraktion. (Zurufe von der SPD) Thomas Jurk, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte wird Rico Gebhardt, Linksfraktion: Ich bin für meine Partei langsam ein bisschen spannender. Es geht um die Vergan- verantwortlich. Wir haben auf das gesamte Auslandsver- genheitsbewältigung. mögen verzichtet. Es gab in der deutschen Geschichte selten eine Zeit, in der Ich komme zu meinen Ausführungen zurück. Was mir in so intensiv die Vergangenheit aufgearbeitet wurde, aller- den letzten Tagen aufgefallen ist und was ich eigenartig dings in unterschiedlichem Grade. Ich fand es richtig, finde, ist die realitätsferne Wahrnehmung von dem, was dass die Strukturen der SED und des MfS untersucht im Herbst ’89 stattgefunden hat. Es haben sich Politike- wurden. Sicherlich behauptet niemand, dass sich die rinnen und Politiker feiern lassen, die mit diesem Blockparteien keine Gedanken über ihre eigene Vergan- Herbst ’89 und dem Mauerfall gar nichts zu tun hatten. Es genheit gemacht haben. Vielleicht kann ich die Frage, die waren nämlich die Bürgerinnen und Bürger, die die hier im Raum stand, Herr Flath, beantworten, was mit Geschicke in die Hand genommen und die Mauer zum dem Vermögen der Blockparteien geschehen ist. Das ist Einstürzen gebracht haben. Viele Bürgerinnen und Bürger unter anderem nachzulesen in dem Bericht der damaligen wissen überhaupt nicht, dass das die Bürgerinnen und unabhängigen Kommission über das Vermögen der Bürger der DDR waren. Mancher in Köln glaubt, dass das Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR. Herr Kohl, Herr Schabowski oder Herr Krenz waren. Es ist tatsächlich so, dass das Barvermögen der CDU Ost Tatsächlich aber waren es die Bürgerinnen und Bürger der plus DBD in der gesamtdeutschen CDU untergekommen DDR, die das Korsett abgelegt haben und sich in die ist. Was sie nicht bekommen haben, sind die Immobilien. Freiheit begaben, wie das vorhin beschrieben worden ist. Die übergab die Kommission an die Treuhand. Aber der Aufbruch des Herbstes 89 und die Basisdemo- kratie mit den „Runden Tischen“ waren leider im Frühjahr Bei der FDP war es ein bisschen schwieriger. Die Ver- des Jahres 1990 bereits wieder vorbei. schmelzung von NDPD und LDPD zum Bund freier Demokraten wurde nicht anerkannt. Am Ende stand sie Die Menschen, die damals auf die Straße gegangen sind, ohne Geld da. Ich will das nicht weiter kommentieren. votierten tatsächlich für einen sozialen Wohlstand. Der Aufbau in Sachsen steht gleichzeitig für die Euphorie, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie aber auch für die Enttäuschung, für Aufschwung und mich über die Vergangenheit nachdenken, nämlich was Abstieg, für Gelingen und für Scheitern. Ein freies Land als erhaltenswert aus der ehemaligen DDR hätte bewahrt ist in meinen Augen ein Land, in dem nicht einige, son- werden können. Was waren das für Lösungen? Damit ich dern möglichst alle frei sind. nicht in die falsche Ecke gestellt werde, will ich auch noch über die Gesamtschulen reden. Herr Zastrow, Sie Auch meine Partei hat sich dieser Verantwortung gestellt. werden vielleicht zum Totengräber der Gemeinschafts- Für meine Partei war der Herbst ’89 ein Aufbruch aus schulen. Längeres gemeinsames Lernen wird von der FDP verkrusteten Strukturen. Meine Mitglieder und viele, die gerade kaputt gemacht. auch hier sitzen, haben damals Verantwortung gezeigt, manchen zum Teufel gejagt und Verantwortung für dieses (Beifall bei der SPD, Land übernommen. Ich halte es auch für richtig, dass der Linksfraktion und den GRÜNEN) 163 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Viele Handwerksmeister haben mich auf den ehemaligen Fraktion der CDU, nämlich 13 Minuten. Ich bitte jetzt polytechnischen Unterricht angesprochen. Nun wissen Frau Dietzschold, für die CDU-Fraktion zu sprechen. wir, dass die jungen Leute auch in der Produktion ge- braucht wurden, um Waren herzustellen. Aber die Mög- Hannelore Dietzschold, CDU: Sehr geehrter Herr lichkeit, sich praktische Fertigkeiten anzueignen, war Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als damit verbunden, durchaus ein Wettbewerbsvorteil. Mitglied des Sozialausschusses des Hohen Hauses will ich Ihnen heute meine Gedanken zu dem Antrag „20 Jahre Zur Ärzteversorgung: Dort gab es die guten altbewährten nach dem Fall der Mauer – Sachsens erfolgreicher Weg in Polikliniken. Das gehört alles zu Dingen, die man abge- die Freiheit“ für den Bereich Gesundheitspolitik des schafft hat, aber noch einmal überlegen sollte, ob es nicht Freistaates Sachsen darlegen. Gerade in diesem Bereich besser wäre, sie wieder ins Leben zu rufen. Es ist zwar herrschen immer noch vielfältige Missverständnisse und spät, aber nicht zu spät. vielen Bürgerinnen und Bürgern ist nicht mehr bewusst Über die Kinderbetreuung muss ich nicht reden. Da und sie haben es verdrängt, welche Zustände vor der verfügen wir über einen relativ hohen Standard. Wir friedlichen Revolution herrschten. haben durch Investitionen viel getan und damit die Be- Bereits am 11. August 1989 hatte die SED-Führung in dingungen verbessert. einer internen Analyse festgestellt, dass die medizinische Jetzt komme ich zu den aktuellen Aufgaben. Es kann und soziale Betreuung wichtige Defizite hatte. Arbeits- nicht das Ziel aktueller Politik sein, dass die Eltern mehr kräftemangel in Krankenhäusern, ungenügende Kapazität Geld zahlen, wenn sich der Betreuungsschlüssel verän- in Feierabend- und Pflegeheimen, der katastrophale dert. Es ist eine Aufgabe aktueller Politik, die richtigen Zustand von Bausubstanz in den Einrichtungen gefährdete Rahmenbedingungen zu setzen und vor allen Dingen die die Funktionsfähigkeit der Arbeit. Erinnern möchte ich finanziellen Prioritäten einzugehen, meine sehr verehrten daran, dass die Krankenhäuser über 60 Jahre alt waren Damen und Herren. und aus der Substanz gewirtschaftet wurde. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der CDU) Wenn wir die letzten 20 Jahre an uns vorüberziehen Zimmer mit Acht-Personen-Belegung, Waschraum und lassen, muss es uns heute auch klar sein, dass wir uns Dusche über den Gang sind mir noch sehr gut in Erinne- Gedanken über die Wahlbeteiligung machen müssen. Wir rung. Gehen Sie heute in ein Krankenhaus, erwartet Sie müssen überlegen, wie weit nehmen wir unsere Bürger eine qualitativ hochwertige Einrichtung mit einer profes- mit. Das kann für uns auch keine Einbahnstraße sein. sionellen Versorgungsstruktur. Patientenzimmer sind hell Wenn wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, und freundlich ausgestaltet, Dusche und WC im Zimmer. müssen die Bürger diese auch annehmen. Das veranlasst Telefon- und Fernsehanschluss gehören oftmals dazu. mich zu dem Hinweis: Herr Gansel, es ist ja unglaublich, Verändert haben sich aber nicht nur die Strukturen in den wie Sie die Geschichte hier verdrehen. Die Zweistaatlich- Krankenhäusern, sondern auch die dahinterstehende keit war doch ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges Trägerlandschaft. So liegt in Sachsen knapp die Hälfte der gewesen, angezettelt von den Nationalsozialisten. Das Häuser in kommunaler Trägerschaft, ein Drittel in priva- gehört doch zur Wahrheit! ten und 21 % in gemeinnützigen Händen. Diese Vielfalt (Starker Beifall) der Krankenhausträger verbessert die Wahlmöglichkeiten der Patienten und unterstützt den Wettbewerb unter- Präsident Dr. Matthias Rößler: Herr Jurk, die Redezeit! schiedlicher Konzeptionen. Zudem entspricht es dem Grundsatz der Subsidiarität. Thomas Jurk, SPD: Herr Präsident, Herr Nolle wollte schon für mich mehr Redezeit erbitten. (Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Freie Rede!) Ich will auf eines zurückkommen. 1989 war eine lebendi- ge Debattenkultur. Ich habe übrigens auch eine gute Zeit Des Weiteren darf man nicht die Fortschreibung des mit einigen wenigen Verbliebenen der 1. Legislatur des sächsischen Krankenhausplanes vergessen. Mit der Sächsischen Landtages von 1990 bis 1994 erleben dürfen. Einführung dieses Planes wurde frühzeitig die Grundlage Erinnern wir uns an das, was wir 1989 mit freiem Geist für eine bedarfsgerechte zukunfts- und leistungsfähige und freier Zunge geäußert und wir damals auch im Säch- Versorgung in den Krankenhäusern gelegt. sischen Landtag diskutiert haben, dann wären wir auf (Stefan Brangs, SPD: Freie Rede!) gutem Weg und es hilft auch der Regierung, die gerade so schlicht im Tiefschlaf weilt, auf die Sprünge. Meine Damen und Herren! Die umfangreichen Baumaß- nahmen und Strukturveränderungen haben die sächsi- Herzlichen Dank, dass Sie zugehört haben. schen Krankenhäuser nicht nur mit westlichen Standards (Beifall bei der SPD, gleichziehen lassen, sondern sie haben ihnen auch das der Linksfraktion und den GRÜNEN) Rüstzeug verschafft, angesichts neuer gesundheitspoliti- scher Herausforderungen zu bestehen. Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr Kollege Jurk. – Über Redezeit verfügt nur noch die 164 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

(Beifall bei der CDU – Unruhe bei der nächste Mal noch intensiver vertreten und durchsetzen Linksfraktion und der SPD) müssen. Erinnern wir uns weiter: Hatten die Alten- und Pflege- Meine Damen und Herren! – Gibt es eine Wortmeldung, heime ihren Namen zu DDR-Zeiten zu Recht? Ich denke, Frau Kollegin? nein. Sie waren oft nur Aufbewahrungsanstalten. Aus (Julia Bonk, Linksfraktion: Erst meiner Sicht nahmen solche Einrichtungen mehr oder zum Ende des Tagesordnungspunktes!) weniger nur auf den Hochglanzseiten der Parteipresse Platz. Wie sieht es heute aus? Herr Herbst hat es schon Die CDU-Fraktion hat noch Redezeit. Herr Kollege gesagt: Die Ausstattung der heutigen Pflegeheime ist Meyer, bitte, für die CDU-Fraktion. komfortabel. Die damit verbundenen Pflegeleistungen verdienen den Namen Pflege zu Recht. Stephan Meyer, CDU: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin zugegebenermaßen (Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP) der jüngste Redner, der heute dazu spricht, aber ich Für viele Pflegebedürftige sind seitdem nicht nur qualita- denke, es ist angebracht, dass auch meine Generation zu tiv verbesserte Möglichkeiten, professionelle ambulante diesem Thema Stellung nimmt. und stationäre Einrichtungen entstanden, sondern es ist (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) auch durch die Einführung der Pflegeversicherung mög- lich geworden, dass Pflegebedürftige einen finanziellen Es ist kaum zu glauben, aber die DDR war auch in gewis- Beitrag erhalten. ser Weise mal Vorreiter. Man muss nämlich wissen, dass bis 1968 die DDR das erste Land war, welches den Denken wir weiter an die geistig behinderten Menschen. Naturschutz in der Verfassung festgeschrieben hatte. 1971 Diese wurden bis 1990 unter menschenunwürdigen hatte sie sogar ein eigenes Umweltministerium. Das war Verhältnissen betreut. Gehen Sie heute in eine Behinder- 15 Jahre, bevor die BRD das gemacht hat. tenwerkstatt, und Sie können sich vom Gegenteil über- zeugen. Die Behindertenwerkstätten sind anerkannte Orte, Das war aber auch schon alles, was an Umweltpolitik in die sich am Markt etabliert haben. Heute wird in ein- der DDR stattgefunden hat, weil sie die ressourcenverzeh- drucksvoller Weise sichtbar, dass Menschen mit Behinde- rende Planwirtschaft mit den Umweltbelangen einfach rung 20 Jahre nach dem Fall der Mauer in unserer Gesell- nicht in Einklang bringen konnte. Die Folge war, dass die schaft ein würdiger Platz zusteht. SED-Führung zum Thema Umwelt vertuscht und gelogen und die Bürger betrogen hat. Diejenigen, die Westfernse- (Beifall bei der CDU und der FDP) hen empfangen konnten, haben von Waldsterben, Smog Sehr geehrte Damen und Herren! Diese wenigen Beispie- oder saurem Regen erfahren. Man brauchte kein Wissen- le machen deutlich, welche maroden Verhältnisse 1989 schaftler zu sein, um festzustellen, wie es tatsächlich um geherrscht haben und welche immensen Anstrengungen die Umweltsituation in der DDR bestellt war. Da genügte seitdem unternommen wurden, um positive Veränderun- auch ein Blick vor die Haustür oder eine Wanderung im gen herbeizuführen. Das lässt sich allein schon daran Erzgebirge oder im Zittauer Gebirge, um zu sehen, wie festmachen, dass seit der friedlichen Revolution die die Wälder und die Gewässer ausgesehen haben. Lebenserwartung gestiegen ist – – (Beifall bei der CDU und des Abg. Tino Günther, FDP) Präsident Dr. Matthias Rößler: Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin. Ich bin deswegen gerade auch der christlichen Umwelt- bewegung sehr dankbar, dass sie maßgeblich dazu beige- Hannelore Dietzschold, CDU: – und dass wir heute über tragen hat, die friedliche Revolution von 1989 mit in die Fragen diskutieren, die wir uns vor 20 Jahren hätten Wege zu leiten. Es ist ganz wesentlich gewesen, dass wir schier nicht vorstellen können, ganz einfach, weil damals so eine Umweltbewegung gehabt haben. – – (Beifall bei der CDU und der Abg. Präsident Dr. Matthias Rößler: Kommen Sie bitte zum Stefan Brangs, SPD, und Tino Günther, FDP) Schluss, Frau Kollegin. Schauen wir uns das Ganze etwas in der Tiefe an. Wenn Hannelore Dietzschold, CDU: – gar nicht die Vorausset- ich allein das Thema Boden betrachte, ist festzustellen, zungen dafür da waren. dass zu DDR-Zeiten ungefähr die doppelte Menge an Pflanzenschutzmitteln durch die Landwirtschaft einge- Danke. bracht wurde, wie das heute der Fall ist. Die Folgen waren (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) eine Verarmung der Böden und eine Verunreinigung der Gewässer. Man muss dazu auch wissen, dass durch die Präsident Dr. Matthias Rößler: Frau Kollegin Dietz- Schadstoffeinträge die Bevölkerung damit in Berührung schold, auch an Sie noch einmal die Bitte: Das nächste kam, weil die angebauten Lebensmittel, wie Getreide, Mal Stichwortzettel und freie Rede. Stichwortzettel und Früchte oder Gemüse, von der Bevölkerung konsumiert freie Rede an alle! Das werden wir wahrscheinlich das

165 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 wurden. Die Folge sind Gesundheitsschäden. Ich brauche NPD in der nächsten Legislaturperiode aus diesem Land- das an der Stelle nicht weiter auszuführen. tag zu verbannen. Was die Gewässer angeht, ist es schon bezeichnend, wenn (Andreas Storr, NPD: Das man zu DDR-Zeiten gerade mal 3 % der Flüsse und 1 % war jetzt aber sehr originell!) der Seen als ökologisch intakt bezeichnen konnte. Ein Großteil der Gewässer war nicht einmal so intakt, dass Danke schön. man sie zur Trinkwasseraufbereitung verwenden konnte. (Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, Das Trinkwasser wurde durch ein Leitungsnetz geleitet, der SPD und der FDP) das zu großen Teilen marode und veraltet war. Die Lei- tungen waren teilweise 100 Jahre alt und mit Rost- oder 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und Bleirückständen belastet. In dem Punkt haben wir heute Herren! Es gibt nun keinen Redebedarf mehr. – Frau eine ganz deutliche Verbesserung. Bonk, ich frage Sie, in welcher Angelegenheit Sie ans Mikrofon treten. Die Abwasserentsorgung ist auch ein großes Stichwort. Allein 89 % der Kläranlagen mussten seit der Wende neu Julia Bonk, Linksfraktion: Ja. Frau Präsidentin! errichtet, saniert oder durch moderne Anlagen ersetzt werden. Das Ganze hat 6 Milliarden Euro gekostet. In 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich möchte zuerst Anbetracht der Debatte, die wir vorhin gerade hatten, ist gern wissen, was Sie vorhaben, denn ich habe im Moment das Geld, das wir heute gut gebrauchen könnten. kein Mittel – – Wenn ich die Luftverschmutzung nenne, weiß jeder, dass Julia Bonk, Linksfraktion: Zur Geschäftsordnung. gerade in den Industrieregionen und Ballungszentren um Leipzig, oder auch Merseburg eine enorme 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Okay, ein Ord- Verschmutzung durch Kraftwerke, aber auch durch nungsantrag. private Heizungsanlagen stattgefunden hat. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, dass der Ausstoß von Julia Bonk, Linksfraktion: Zum Inhalt der eben stattge- Schwefeldioxid in der gesamten DDR eines Tages ausge- fundenen Debatte möchte ich Sie bitten, den Redebeitrag reicht hätte, um die Menschheit zu vergiften. Der Ausstoß des Abg. Gansel in Bezug auf seine Verwendung der des Kraftwerkes Jänschwalde in einem Jahr betrug mehr, Begriffe „Mitteldeutsche“ und „Westdeutsche“ im Ver- als Dänemark und Norwegen zusammen in einem Jahr zu hältnis zueinander zu prüfen. diesem Zeitpunkt ausgestoßen haben. Diese Dimension (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) hatte die Umweltverschmutzung im Luftbereich zu DDR- Zeiten. Es macht den Eindruck, als lägen dort Annahmen zugrun- de, die unserer demokratischen Geschichtsauffassung Wir haben jetzt positive Entwicklungen zu verzeichnen. widersprechen, und ich bitte Sie, das Präsidium über das Ich denke an den Naturschutz. Die Zahl der Naturschutz- Ergebnis Ihrer Prüfung zu informieren. gebiete ist mittlerweile auf 214 von vorher 163 in Sachsen angestiegen. Im Flächenvergleich haben wir in Sachsen Danke. damit 140 Hektar mehr als der Bundesdurchschnitt. (Beifall bei der Linksfraktion – Also, dazu kann ich durchaus sagen: Wir sind ein natur- Andreas Storr, NPD: Man höre, man höre! freundliches Land, ein grünes Land, und das alles ist in Das ist ja etwas ganz Neues!) verantwortlicher CDU-Umweltpolitik geschehen. Dafür brauchen wir keine GRÜNEN, das haben wir alles selbst 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Okay. Deshalb gekonnt, und das sollte man vielleicht auch einmal be- hatte ich Sie gefragt; denn das, was Sie gerade getan rücksichtigen. haben, ist nicht zulässig. Ich hätte es überhaupt nicht erlauben dürfen, es tut mir leid. Deshalb kann ich Ihnen (Beifall bei der CDU, der FDP den Wunsch auch nicht erfüllen, und ich möchte noch und der Staatsregierung) einmal darauf hinweisen, dass die Ordnungsmaßnahmen Was mir gerade in der heutigen Zeit noch wichtig ist: dass durch uns erteilt werden und nicht aus dem Plenum das Thema Umweltbildung bei unseren jungen Menschen kommen können. wieder stärker in den Vordergrund gerückt wird und (Beifall bei der CDU und der FDP) gerade die Umweltbildung dazu beitragen kann, die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass das, was damals Meine Damen und Herren! Damit ist die Debatte abge- auch häufig von Ihnen aus der Linksfraktion verklärt schlossen. Oder gibt es noch Redebedarf? – Dies ist nicht wird, so gar nicht stattgefunden hat. Deshalb, denke ich, der Fall. Damit kommen wir nun zum nächsten Tagesord- wäre es gut, den Film „Aufbruch in den Umweltschutz“, nungspunkt. Dies wären normalerweise die Wahlen, und den das sächsische Umweltministerium herausgegeben es wurde mir signalisiert, dass die Linksfraktion ein hat, in allen Schulen zu zeigen und möglichst Zeitzeugen Anliegen habe. Herr Tischendorf, Sie hatten ein Anliegen einzubeziehen. Die letzte Umweltverschmutzung, die wir zu den Wahlen? als Demokraten noch angehen sollten, ist, die Fraktion der

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(Klaus Tischendorf, Linksfraktion: – Erst danach. – Also beginnen wir nun mit den 1. Lesun- Nein, erst danach!) gen. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2 1. Lesung des Entwurfs Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Drucksache 5/298, Gesetzentwurf der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und der SPD

Es gibt keine Aussprache dazu. Wer möchte den Antrag (Robert Clemen, CDU: Freie Rede! – einbringen? – Herr Dr. Gerstenberg; 8 Minuten, bitte. Antje Hermenau, GRÜNE: Nein! – Johannes Lichdi, GRÜNE: Guten Morgen!) Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit befinden wir uns in der schwersten Finanz- und Gemeinsam bringen heute die Linksfraktion, die SPD- Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Experten erwarten Fraktion und die Fraktion GRÜNE ein Gesetz zur Ände- einen weiteren Rückgang des Wirtschaftswachstums von rung des Abgeordnetengesetzes ein, welches einzig das bis zu 6 %. Es gibt Zeichen der Hoffnung, aber die Aus- Ziel hat, die bevorstehende Erhöhung der Grundentschä- wirkungen der Krise werden noch länger anhalten. digung auszusetzen. Debatten über Abgeordnetendiäten Allein in Sachsen stehen infolge der Krise sind immer ein höchstsensibles Thema, da wir in ihnen 60 000 Menschen in Kurzarbeit, viele sind von Entlas- Entscheidungen in eigener Sache zu treffen haben. Diese sung bedroht. Ich kann Ministerpräsident Tillich in Entscheidungen kann uns aber niemand abnehmen. diesem Punkt nur zustimmen, wenn er in seiner gestrigen Aufgrund unserer verfassungsrechtlichen Stellung müssen Regierungserklärung sagte, die Kurzarbeit sei wie ein wir sie selbst treffen. Damoklesschwert. Die Krise hat auch massive Auswir- Leitlinien dazu hat uns das Bundesverfassungsgericht kungen auf die öffentlichen Kassen. Auch hier zitiere ich gegeben. Es hat in seinem Diätenurteil festgestellt, dass nochmals Herrn Tillich in seiner gestrigen Erklärung: für Abgeordnete Anspruch auf eine angemessene Ent- „2010 brechen uns rund eine Milliarde Euro weg. Auch schädigung besteht, die ihre Unabhängigkeit sichern die Kommunen werden mittelfristig deutlich weniger muss. Diese Entschädigung muss zudem der Bedeutung Geld in den Kassen haben. Zugleich steigen die Kosten des Mandates im Verfassungsgefüge, einschließlich der im Sozialbereich.“ damit verbundenen Belastungen, Rechnung tragen. Was Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Tatsache, diese nun aber „Angemessenheit“ bedeutet, welche Höhe die Worte des gestrigen Tages dürfen heute nicht bereits Entschädigung haben soll, wie sie sich entwickeln soll, Schall und Rauch sein. In einer solchen Krisensituation das wird immer wieder neu Gegenstand öffentlicher sehen die Einbringerinnen des Gesetzentwurfes die Diskussionen sein. Diese kritische Öffentlichkeit ist für Abgeordneten des Sächsischen Landtages in der Pflicht, uns deshalb so wichtig, weil sie Transparenz und Kontrol- ein Zeichen zu setzen und die Erhöhung ihrer Bezüge zu le herstellt und dem Vorwurf der Selbstbedienung entge- verschieben. genwirkt. (Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, In der 4. Legislaturperiode hat der Sächsische Landtag der Linksfraktion und der SPD) eine Expertenkommission eingesetzt und auf der Grund- lage ihres Berichtes das System der Abgeordnetenent- Unsere Arbeitsplätze hier im Parlament sind sicher, schädigung und der Altersversorgung umfassend refor- während viele Menschen in diesen Tagen unverschuldet miert. Bestandteil der im November 2007 verabschiedeten um ihre Jobs bangen müssen. In einer Zeit, in der ein aktuellen Fassung des Abgeordnetengesetzes ist eine großer Teil der Bevölkerung effektiv mit geringerem Erhöhung der Grundentschädigung, die zum 1. Janu- Einkommen wirtschaften muss, in einer Zeit, in der sich ar 2010 automatisch in Kraft tritt. Die parlamentarischen die öffentlichen Kassen leeren, sollten sich die Abgeord- Rollen der drei einbringenden Fraktionen und ihre Hal- netenbezüge zumindest nicht erhöhen. Auf diesen ge- tung zum Inhalt des geltenden Gesetzes waren damals meinsamen Nenner sollten wir uns doch hier im Parla- sehr verschieden. Gemeinsam ist uns aber – ich denke, ment verständigen können. Deshalb schlagen die einbrin- uns allen hier im Landtag –, dass wir nicht voraussehen genden Fraktionen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf konnten, welche wirtschaftliche und finanzielle Situation Änderungen des Abgeordnetengesetzes in zwei Punkten wir zum Ende des Jahres 2009 erleben. vor: Erstens. Die bereits mit Gesetz vom 15.11.2007 beschlos- sene automatische Erhöhung der Grundentschädigung um 167 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

354 Euro zum 1. Januar 2010 wird um zwei Jahre ver- besten sind die, die im Haushalt des Freistaates verblei- schoben. ben. Zweitens. Das im Gesetz vorgesehene Verfahren der (Beifall bei den GRÜNEN – Anpassung der Grundentschädigung an das Gehalt eines Antje Hermenau, GRÜNE: Ja!) Richters am Landgericht wird für die 5. Periode ausge- setzt und findet erstmals nach Konstituierung des Nach der Ankündigung dieser Gesetzesinitiative war von 6. Sächsischen Landtages Anwendung. Kritikern zu hören, es würde sich um einen Schnellschuss handeln. Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis: Die Diä- Diese vorgeschlagenen Änderungen sind einfach, über- tenerhöhung tritt zum 1. Januar 2010 in Kraft. Wenn wir sichtlich und der Situation angemessen, und ich betone an sie verschieben wollen, dann ist jetzt der späteste Zeit- dieser Stelle nochmals, dass wir mit dem Ihnen vorlie- punkt zum Handeln. Ich hoffe deshalb, dass insbesondere genden Gesetzentwurf nicht die 2007 nach ausführlicher die CDU-Fraktion über ihren – bekannten – Schatten Diskussion beschlossene Systematik des Abgeordneten- springen kann und diesen Gesetzentwurf nicht nur des- gesetzes infrage stellen, sondern lediglich eine Verschie- halb ablehnt, weil er aus der Opposition kommt. bung der Diätenerhöhung erreichen wollen. Meine Damen und Herren! Sie haben doch die Mehrheit. Mit den zu erwartenden Einsparungen von mindestens Sie haben damit alle Möglichkeiten in der Hand. Sie 1,1 Millionen Euro in den Jahren 2009 und 2010 können können den Gesetzentwurf im Ausschuss modifizieren. wir naturgemäß nicht die Steuereinnahmenverluste des Sie können mit der Direktüberweisung an den Ausschuss Freistaates ausgleichen. Aber dieser Betrag ist doch auch einen eigenen Gesetzentwurf einbringen. Das alles wahrlich nicht zu vernachlässigen in einer Situation, in können Sie tun. Nur eines sollten Sie bitte angesichts der der die Streichung freiwilliger Leistungen auf sozialem aktuellen Krise nicht tun – sich zurücklehnen nach dem oder kulturellem Gebiet droht. Eine Reihe wichtiger Motto: Nichts sehen, nichts hören, nicht handeln. kleiner Projekte könnte damit gesichert werden. Ich gestehe ganz offen, dass wir selbstverständlich die Zu- (Beifall bei den GRÜNEN, stimmung der FDP zum Gesetzentwurf erwarten. der Linksfraktion und der SPD) (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und des Abg. Alexander Delle, NPD) Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetenge- Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben jahre- setzes an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss lang sehr laut und oft sehr undifferenziert Diätenerhöhun- zu überweisen. Wer seine Zustimmung geben möchte, den gen kritisiert. bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? (Beifall bei den GRÜNEN) – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Überwei- sung beschlossen und der Tagesordnungspunkt ist been- Nun sind Sie Teil der Mehrheitskoalition, nun können Sie det. „Wort halten“, und nebenbei gesagt: Nicht die Diätenein- sparungen sind die besten, die unter dem Motto „FDP Ich rufe auf hilft“ im Wahlkampf wirksam verschenkt werden. Die

Tageordnungspunkt 3 1. Lesung des Entwurfs Gesetz über die Sächsische Härtefallkommission (Sächsisches Härtefallkommissionsgesetz – SächsHFKG) Drucksache 5/308, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auch hier wird nur Einbringung gewünscht. Bitte, Frau eines Gesetzes weiterzuführen und damit auch Einfluss Abg. Herrmann. auf die Gestaltung dieser Grundlage zu nehmen.

Elke Herrmann, GRÜNE: Frau Präsidentin! Liebe Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesgesetzgeber Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass für unseren hat den entsprechenden Paragrafen im Aufenthaltsgesetz, Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorlegen, ist die der die Einrichtung der Härtefallkommission in den Tatsache, dass die Verordnung, die die Sächsische Härte- Ländern ermöglicht, schon vor einiger Zeit entfristet. In fallkommission regelt, zum Ende des Jahres ausläuft. Sachsen ist dies bisher nicht geschehen. Um die Arbeit Damit ist die Grundlage für die Härtefallkommission der Härtefallkommission auch in Zukunft zu sichern, legt nicht mehr gegeben. Wir geben dem Hohen Haus die Ihnen unsere Fraktion deshalb diesen Gesetzentwurf vor. Gelegenheit, die Härtefallkommission auf der Grundlage Ich möchte einiges zu den Kernpunkten des Entwurfs sagen.

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Erstens geht es uns dabei um den Abbau von Hürden. Die Wir wollen aber auch die staatlichen Institutionen in den jetzt noch aktuelle Verordnung in Sachsen benennt eine Ministerien in die Härtefallkommission einbeziehen. Am lange Reihe von Vorbedingungen, die erfüllt sein müssen, Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidet das damit ein Fall überhaupt in der Härtefallkommission Innenministerium über die Gewährung der Aufenthaltser- besprochen werden kann. Aus unserer Sicht widerspricht laubnis. Deshalb ist es sinnvoll, dass das Innenministeri- das dem humanitären Auftrag der Kommission, der um genauso wie das für die Integrationspolitik zuständige gerade auch vom Bundesgesetzgeber so gewollt ist. Sozialministerium von Anfang an aktiv in die Arbeit der Bedingungen wie die selbstständige Sicherung des Le- Kommission einbezogen werden. Gleiches gilt auch für bensunterhaltes sind für viele Menschen mit Duldung eine die Kommunen. viel zu hohe Hürde, gerade wenn man weiß, dass Asylbe- Wir wollen darüber hinaus auch die Ausländerbeauftragte, werber generell vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden die bisher in der Härtefallkommission war, vertreten oder nur solche Jobs bekommen, in denen wenig zu wissen. Ihre Aufgabe ist es, die Interessen aller hier verdienen ist, zu wenig jedenfalls, um damit den Lebens- lebenden Menschen, aller Migrantinnen und Migranten zu unterhalt einer Familie sichern zu können. In wirtschaft- vertreten. Dazu gehören auch abgelehnte Asylbewerbe- lich schwierigen Zeiten wie in diesen sind Asylbewerber rinnen und -bewerber. Darüber hinaus ist die oder der und Menschen mit Duldung obendrein die Ersten, die Ausländerbeauftragte als Abgeordnete oder Abgeordneter keine Jobs mehr erhalten oder entlassen werden. ein Repräsentant dieses Landtages in dieser Kommission. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die selbstständige Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz ver- Sicherung des Lebensunterhaltes bedeutet gerade auch für binden wir die Hoffnung, dass das Innenministerium dem junge Menschen, dass sie nicht studieren können oder ihre Härtefallersuchen stattgibt, wenn die Kommission zu Ausbildung abbrechen, um zum Familieneinkommen einer positiven Entscheidung gekommen ist. Wir haben beizutragen. Deshalb ist es unsinnig, auch unter volks- den Weg, der zu einem positiven Votum führt, nicht leicht wirtschaftlichen Gesichtspunkten, junge Männer und gemacht. Die Härtefallkommission muss mit Zweidrittel- Frauen abzuschieben, die seit Jahren hier leben, junge mehrheit der anwesenden Mitglieder entscheiden. Die Männer und Frauen, die Deutsch besser sprechen als die Ministerien sind am gesamten Prozess der Entscheidungs- Sprache ihres Herkunftslandes und die in vielen Fällen findung und auch an der Abstimmung beteiligt. Dann erfolgreich das deutsche Schul- bzw. Ausbildungssystem kann es aber nicht sein, dass, wie es in der Vergangenheit durchlaufen haben. Es ist unsinnig, diese jungen Men- immer wieder vorgekommen ist, von der Härtefallkom- schen von Ausbildung und Studium fernzuhalten, bloß mission positiv beschiedene Fälle vom Innenministerium weil die Familie mit einer Duldung in Deutschland lebt abgelehnt werden. Das ist zum einen für die Betroffenen und nur deshalb nicht dauerhaft bleiben kann, weil sie in eine Katastrophe, für die Mitglieder der Kommission ist der derzeitigen Situation – davon müssen wir ausgehen – das frustrierend, und nach außen ist es schwer zu vermit- auf soziale Transfers angewiesen ist. Wir brauchen mehr teln. Fachkräfte, und deshalb müssen wir auch jungen Men- schen, die als Migranten in dieses Land kommen, eine Sie wissen, dass es auch immer wieder Proteste aus der Ausbildung ermöglichen. Bevölkerung gegen die Entscheidung des Innenministers gab. Dieser Druck hat ja auch dazu geführt, dass der (Beifall bei den GRÜNEN – Innenminister in manchen Fällen sein Votum geändert hat. Gitta Schüßler, NPD: Müssen wir gar nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mitglieder der Der Wegfall eines Teils der Vorbedingungen heißt nicht, Härtefallkommission haben in den vergangenen Jahren dass nun alle Personen, die von Abschiebung bedroht eine engagierte Arbeit geleistet. Um diese nicht zu ge- sind, eine Aufenthaltserlaubnis durch die Härtefallkom- fährden, bitten wir um die Behandlung unseres Gesetz- mission erhalten. Die Kommission erhält aber ihrem entwurfs im Ausschuss. Auftrag gemäß die Möglichkeit, tatsächlich aus humanitä- ren Gründen zu entscheiden. Herzlichen Dank. Der zweite Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) Zusammensetzung der Kommission. Darüber gibt es 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Das Präsidium verschiedene Ideen, wer Mitglied in der Härtefallkommis- schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Gesetzent- sion sein sollte. Klar ist aber, dass Expertinnen und wurf an den Innenausschuss zu überweisen. Experten aus der Flüchtlingsarbeit bei diesem Thema mit am Tisch sitzen müssen. Daher sollen sowohl der Sächsi- Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sche Flüchtlingsrat als auch KOBRAnet, eine Initiative das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, vertreten enthält sich der Stimme? – Damit ist die Überweisung sein. Die Liga der Spitzenverbände, die Kirchen, deren einstimmig beschlossen, und ich schließe den Tagesord- Beratungsstellen mit Flüchtlingen, Asylbewerberinnen nungspunkt. und Asylbewerbern arbeiten, gehören mit an den Tisch. Ich rufe auf

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Tagesordnungspunkt 4 1. Lesung des Entwurfs Sächsisches Gesetz über Versammlungen und Demonstrationen (Versammlungsgesetz – SächsVersG) Drucksache 5/314, Gesetzentwurf der Fraktion der NPD

Es spricht nur die einreichende Fraktion. Herr Abg. Machthaber weniger Angst vor dem Volk zu haben als bei Petzold, bitte. Versammlungen, da doch das Wahlrecht sogar für patrio- tische Deutsche noch nicht abgeschafft wurde. Bekannt- Winfried Petzold, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen lich lassen sich ja Wahlen durch millionenschwere Propa- und Herren! Jede Inquisition hat ihre Maxime. Die in ganda und andere Tricks leicht manipulieren, öffentliche Goethes Faust aufgeworfene Gretchenfrage – „Wie hältst Versammlungen hingegen nicht. du es mit der Religion?“ – findet in der gegenwärtigen Verfolgung Andersdenkender im Freistaat Sachsen ihre Genau das schreit in der Logik der Etablierten dringend Entsprechung, nämlich in der Frage: Wie hältst du es mit nach dem wichtigsten Instrument ihres Machterhaltes, dem Grundgesetz? dem Verbot. Da passt es wie die schwarze Faust aufs gelbe Auge, dass sich auch bei den selbsternannten Die alleinige Deutungshoheit hat bekanntlich immer das Liberalen im Freistaat kein Widerstand regt, wenn das Inquisitionsgericht selbst. Zu einem solchen Inquisitions- Versammlungsrecht, wie geplant, durch eine sächsische gericht sollen nach dem Willen der Staatsregierung die Lex Antigermania beseitigt werden soll. sächsischen Versammlungsbehörden oder, treffender, Verbotsbehörden werden, die in Zukunft alle Zusammen- Ebenso erklärbar wie absolut typisch ist das Gebaren der künfte friedlicher Menschen unterbinden können, auch Staatsregierung, statt eines ausgewogenen und in sich wenn das Grundgesetz zumindest redaktionell noch stimmigen Gesetzes, wie es die NPD-Fraktion heute Versammlungsfreiheit verspricht. vorlegt, in aller Eile einen Schnellschuss zu produzieren, der allein darauf abzielt, ein würdiges Gedenken an die Die NPD-Fraktion hat daher einen eigenen Entwurf eines Hunderttausenden deutschen Opfer zu verhindern, die Versammlungsgesetzes erarbeitet, der Ihnen vorliegt, durch anglo-amerikanischen Vernichtungsexzess von einen Entwurf, der an den berechtigten Stolz des ehemali- ihrem Leben und von ihrem Hab und Gut befreit worden gen Bundesverfassungsrichters Wolfgang Hoffmann- sind. Riem anknüpft, als dieser vor anderthalb Jahren äußerte, er sei ein bisschen stolz, nicht auf die Rechtsprechung Sie haben Angst vor dem eindrucksvollen Gedenkmarsch seines Gerichtes zur Terrorismusbekämpfung, sondern auf der jungen Landsmannschaft „Ostdeutschland“, die wie jene zur Demonstrationsfreiheit, mit dem das Bundesver- alle Jahre – so auch am kommenden 13. Februar in fassungsgericht ein Grundrecht gerettet habe. Dresden – dieses stille Gedenken veranstaltet. Aus ihrer Angst und Ohnmacht heraus wissen sie sich nicht anderes In der Tat: Es ist immer wieder das Bundesverfassungsge- zu helfen als durch ein Verbotsgesetz. Dass ein solches richt, das den verfassungsfeindlichen Teilen der etablier- Verhalten so primitiv wie perfide ist, scheint sie dabei ten Blockparteien Einhalt gebietet. So ist es diesem nicht zu stören. höchsten Gericht zu danken, dass das erste Versamm- lungsgesetz eines Bundeslandes, kaum dass die Kompe- Wie ausgewogen und grundgesetztreu ist dagegen der tenz vom Bund auf die Länder überging, sofort wegen heute vorgelegte NPD-Entwurf des Sächsischen Ver- Verstoßes gegen das Grundgesetz gestoppt wurde. Die sammlungsgesetzes. Denn uns geht es gerade nicht Rede ist vom Freistaat Bayern und dessen untauglichem darum, Andersdenkende, Andersmeinende und Anders- Versuch, den Kampf gegen Rechts über ein Versamm- glaubende zu diskriminieren, sondern die Durchführung lungsverbotsgesetz sogar zum Staatsprinzip zu erheben. friedlicher Demonstrationen und damit das Grundrecht Dabei hat dieser Schritt, die faktische Abschaffung des der Versammlungsfreiheit vor dem Zugriff gewalttätiger Versammlungsgrundrechtes, jedenfalls uns als NPD- Randalierer in Dresden und anderenorts, zumeist links- Fraktion mitnichten überrascht. krimineller Antifaschisten, zu schützen. Denn bereits das Grundgesetz selbst relativiert dieses für (Beifall des Abg. Andreas Storr, NPD) Machthaber vermutlich unliebsame Recht, indem Arti- Das ist in Wahrheit menschenverachtend und unwürdig, kel 8 Abs. 2 ausdrücklich Einschränkungen für Versamm- die Opfer des Kommunismus und die Opfer der Kriege zu lungen unter freiem Himmel zulässt. Instrumenten zu degradieren, um ihrem Einzelfallgesetz In der Sache selbst ist jedenfalls festzustellen, dass Volkes den juristischen Schein eines allgemeinen Gesetzes zu Stimme kaum jemals so ausdrucksvoll zur Geltung verleihen. Dieses Vorgehen ist absolut durchsichtig und kommt wie bei öffentlichen Versammlungen und De- sollte diejenigen, die sich jetzt womöglich in Vorfreude monstrationen. Selbst bei Wahlen scheinen etablierte die Hände reiben, sich schämen lassen.

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Die NPD-Fraktion kündigt bereits jetzt an, alle rechtli- verdient und nicht Spielball politischer Tagelöhner ist. chen Schritte auf dem Gang vor die Verfassungsgerichte Die NPD-Fraktion hat sich mit diesem Entwurf ganz der auszuschöpfen, um das neuerliche Machwerk der Staats- Versammlungsfreiheit nach dem Grundgesetz verschrie- regierung als das zu enttarnen, was es ist, ein willkürli- ben und beweist einmal mehr, dass sie es ist, die in cher Ausschluss von Grundrechten, ein Pogrom gegen die Wahrheit die Interessen der deutschen Wählerinnen und deutschen Rechte und die Offenbarung einer Selbstherr- Wähler vertritt. lichkeit, die sich niedrigsten Niveaus zu bedienen bereit Abschließend bleibt es mir, das Bekenntnis der NPD zu ist. echter Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit mit der Da sich die NPD-Fraktion jedoch nicht auf bloße Kritik großen Vision von Goethes Faust zusammenzufassen: „… an Regierung und Scheinopposition beschränkt, haben wir auf freiem Grund mit freiem Volke steh’n“. ein eigenes Versammlungsgesetz vorgelegt, das auch den Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. juristischen Diskussionen der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte seit dem Brokdorf-Urteil des Bundesverfas- (Beifall bei der NPD) sungsgerichtes im Jahre 1985 Rechnung trägt. Im Gegen- satz zum Heckenschuss der Staatsregierung trägt unser 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Petzold, ich Gesetzentwurf dem Umstand Rechnung, dass das Bun- habe eine Frage an Sie. Haben Sie vorhin „anglo- desverfassungsgericht zwischen öffentlicher Ordnung und amerikanischer Vernichtungsexzess“ gesagt? öffentlicher Sicherheit vehement zu unterscheiden auffor- Winfried Petzold, NPD: Habe ich gesagt. dert. Denn während die öffentliche Ordnung als Gesamt- heit der ungeschriebenen Anstandsregeln ein Versamm- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Dafür bekommen lungsverbot gerade nicht zu begründen vermag, lässt die Sie einen Ordnungsruf von mir. Staatsregierung für ein Verbot bereits ein bestimmtes Datum genügen. Durchsichtiger, meine Damen und (Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, Herren auf der Regierungsbank, geht es nimmer. der SPD, der FDP und den GRÜNEN) (Beifall bei der NPD) Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Sächsisches Gesetz über Versammlun- Während also der Koalitionsentwurf auf den Grundrech- gen und Demonstrationen an den Verfassungs-, Rechts- ten der Deutschen primitiv herumtrampelt, erfüllt unser und Europaausschuss zu überweisen. Wer gibt die Zu- NPD-Entwurf diese Grundrechte nicht nur mit Leben, stimmung? – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? sondern schützt das Grundgesetz vor seinen Gegnern in – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und wenigen den Reihen der gegenwärtigen Blockparteien. Jastimmen ist die Überweisung dennoch erfolgt und ich Was wir als volkstreue Abgeordnete der NPD wollen, ist beende diesen Tagesordnungspunkt. die tatsächliche Umsetzung dessen, was das Grundgesetz Wir kommen jetzt zum an zentralen Grundrechten beinhaltet: echte Meinungs- freiheit für alle friedlichen politischen Akteure und ein Versammlungsrecht, das seinen Namen auch wirklich

Tagesordnungspunkt 5 Wahl von Mitgliedern des Sächsischen Landtags für den Kultursenat (gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Errichtung des Sächsischen Kultursenats) Herr Tischendorf, bitte. Erklärung der Linksfraktion, wie es weitergehen soll. Bitte, Herr Tischendorf. Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Frau Präsidentin! Unsere Fraktion beantragt eine 30-minütige Überlegungs- Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Danke, Frau Präsi- pause entsprechend § 107 GO. dentin! Ich bin erst mit der zweiten Fahrt des Aufzugs heruntergekommen. Sonst wäre ich pünktlich gewesen. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gut. Damit gibt es 30 Minuten Überlegungspause. Wir treffen uns dann (Zuruf von der CDU: Laufen!) 13:06 oder 13:07 Uhr wieder. – Okay, laufen wäre bei meiner Kondition auch nicht (Unterbrechung von 12:36 bis 13:09 Uhr) mehr ganz so gut. Meine Damen und Herren, wir sind bereits zwei Minuten Frau Präsidentin, wir haben uns in der Überlegungspause über die Zeit. Aber ich sehe jetzt Herrn Tischendorf. Ich innerhalb der Fraktion zum weiteren Verfahren verstän- bitte Sie, die Plätze einzunehmen. Wir hören jetzt die digt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir heute keinen weiteren Vorschlag einbringen werden, sondern uns noch weiter in der Fraktion beraten wollen. 171 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Also können wir Meine Damen und Herren! Wir kommen zum jetzt normal in der Tagesordnung fortfahren.

Tagesordnungspunkt 6 Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche in staatliche Museen Drucksache 5/295, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die 16 Jahren natürlich sachgerecht. Es geht um diejenigen Reihenfolge in der ersten Runde lautet CDU, FDP, Links- Kinder, um die Schülerinnen und Schüler, die typischer- fraktion, SPD, GRÜNE, NPD und Staatsregierung, wenn weise nach Abschluss der 10. Klasse die Schule verlassen, sie dies denn wünscht. und wir wollen unter diesem Blickwinkel Kindern und Ich erteile nun den Fraktionen der CDU und der FDP als Jugendlichen den Eintritt in die staatlichen Museen frei Einreicherinnen das Wort. Herr Prof. Schneider, bitte. gestatten. (Beifall bei der CDU und der FDP) Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Meine Damen und Herren, für die Museen, für die das Das Grassi-Museum zu Leipzig ist ein Museum für SMWK zuständig ist, wird das bereits zum 1. Dezem- Völkerkunde und ein besonders beeindruckendes Haus, ber 2009 gelten. Ich nenne beispielsweise das Grüne wie ich meine. Gewölbe und die Gemäldegalerie „Alte Meister“ in Dresden, das Völkerkundemuseum in Herrnhut, selbstver- (Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD) ständlich das Grassi-Museum und den Mathematisch- Es blickt auf eine 130-jährige Geschichte zurück, wurde Physikalischen Salon. Wir erfüllen damit auch eines mit bürgerschaftlichem Engagement von Leipziger unserer zentralen Wahlversprechen im kulturpolitischen Bürgern gegründet und gefördert und ist heute mit etwa Bereich. Das ist uns wichtig, und das ist auch das Signal, 200 000 Sammlungsobjekten und einem sehr umfangrei- das mit unserem heutigen Antrag verbunden ist. chen Bestand von Fotos und Dokumenten aus den ver- Meine Damen und Herren, Kulturförderung ist für die schiedenen wissenschaftlichen Archiven zu einer der Koalition wesentlich, und sie ist für die sächsische Union führenden und größten Einrichtungen dieser Art in Kern der politischen Arbeit. Ich möchte daran erinnern – Deutschland herangewachsen. Die Einrichtung der Staat- und in diesem Zusammenhang möchte ich mich auch kurz lichen Ethnografischen Sammlungen Sachsens – sie zu den Änderungsanträgen äußern, die von der Opposition untersteht dem SMWK – eröffnete am 26. Novem- vorgelegt worden sind –, dass die Erfindung des bundes- ber 2005 den ersten Teil der Dauerausstellung in dem weit einmaligen Kulturraumgesetzes und die Verstetigung damals neuen Domizil am Leipziger Johannesplatz. der finanziellen Förderung der Kulturschaffenden in den Wenn Sie sich einmal in dieses schöne Haus begeben oder vergangenen Legislaturperioden eines bestätigen: Nir- auch nur die Homepage anschauen, werden Sie sehen, gends sonst als hier im Freistaat Sachsen wird der Kultur dass dort ein ganz breites Spektrum der verschiedensten in der Fläche im Land eine derartig großzügige Finanzie- Bildungsangebote vorgehalten wird. Familiennachmitta- rung per Gesetz garantiert. ge, Veranstaltungen mit Kindern in der Reihe „Kinder im (Beifall bei der CDU und der FDP) Museum“ sind da zu nennen. Hieran wird schon deutlich, dass es nicht nur um ein touristisches, sondern wirklich Meine Damen und Herren! Gerade in Zeiten wie diesen um ein bildungspolitisches Thema geht, das wir mit ist dies ein besonderes Plus. unserem Antrag erschließen wollen. Wir werden die Änderungsanträge, die die Opposition Meine Damen und Herren, allein an diesem Beispiel hier vorgelegt hat, ablehnen. Sie versprechen etwas, was Grassi-Museum zu Leipzig wird deutlich: Sachsen ist in sie nicht halten können. Wir reizen jedenfalls den Rah- der Tat, wie der Ministerpräsident das gestern ausgeführt men, der ausreizbar ist, in vollem Umfang aus. Das ist gut hat, eine Marke von Wert. Sachsen ist attraktiv als Ziel und richtig so. von Investoren, aber gerade auch als Kulturland. Sachsen In einer Zeit, in der staatliche Finanzmittel durch die ist attraktiv als Bildungs- und Wissenschaftsland. Einbußen aus der Weltwirtschaftskrise extrem knapp sind, Meine Damen und Herren, in unserem Koalitionsvertrag wollen wir mit unserem Antrag innerhalb des Möglichen haben wir als Koalition vereinbart, den Eintritt in alle ein deutliches Zeichen setzen. Wir setzen ein Zeichen, wie staatlichen Museen des Freistaates Sachsen für Kinder wichtig uns das kulturelle Erbe Sachsens ist, und zwar als und Jugendliche bis einschließlich 16 Jahre grundsätzlich Quelle für historische Identität, für sächsische Identität kostenneutral zu gestalten. Anders als die Linksfraktion und für kulturelle Bildung. Dies liegt uns am Herzen. mit ihrem Änderungsantrag – den wir ablehnen werden – Meine Damen und Herren! Soweit in den Änderungsan- meint, ist die Anknüpfung an das Lebensalter von trägen kommunale Träger angesprochen sind, wollen wir 172 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 diesen gerade eben nicht hineinregieren. Wir begrenzen Dank des reichhaltigen kulturellen Erbes Sachsens locken uns auf unsere Zuständigkeiten. Das ist die Zusammenar- wir jährlich viele Tausend Besucher an. Als kulturpoliti- beit zur Staatsregierung hin bezogen auf diejenigen scher Sprecher der FDP-Fraktion freut es mich umso Häuser, die sozusagen unter staatlicher Anleitung und mehr, dass ich heute hier für diesen Antrag sprechen darf. Hilfe stehen. Er ist Ausdruck für eine schnelle und handlungsfähige Meine Damen und Herren! Den kommunalen Trägern neue Regierung. Die Koalition setzt damit bereits drei mögen Anreize gesetzt werden. Aber lassen Sie sie doch Monate nach der Landtagswahl in Sachsen ein wichtiges in eigener Kompetenz agieren. Signal für Familien, Bildung und Kultur gleichermaßen. (Beifall bei der CDU und der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU) Muss man denn unbedingt alles regeln? Muss man denn, Wir setzen zügig erste Punkte des sächsischen Koalitions- wie das die Bündnisgrünen wollen, hier noch einen vertrages zwischen CDU und FDP um. besonderen Fonds aufsetzen? Was ist denn mit dem Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wollen, dass der Kulturraumgesetz? Museumsbesuch von Familien nicht vom Geldbeutel Lassen Sie doch die Zuständigkeiten, so wie sie sind, abhängt. Wir werden daher den Eintritt für Kinder und bestehen und wenden Sie sich denjenigen Einrichtungen Jugendliche in allen staatlichen Museen des Freistaates zu, die dem Freistaat unterstehen! Sachsen grundsätzlich kostenfrei gestalten. Damit werden wir das Angebot zur kulturellen Bildung weiter ausbauen. Wir gehen davon aus, dass, soweit Museen außerhalb des Bereits in drei Wochen, also ab dem 1. Dezember 2009, Hauses des SMWK betroffen sind, die Staatsregierung zu werden Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, ohne Eintritt gegebener Zeit schnellstmöglich tätig wird. zu zahlen, bedeutende sächsische Museen besuchen Meine Damen und Herren! Die moderne Bildungsfor- dürfen. Dies betrifft in einem ersten Schritt die Museen schung bestätigt, dass Bildungschancen von Kindern und der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Jugendlichen in ganz erheblichem Maße von ihrer kultu- Staatlichen Ethnografischen Sammlungen Sachsen. Damit rellen Prägung abhängen. Sie hängen ab von dem Um- öffnen wir für die nachrückende Generation die Tore zu gang mit Kulturgütern, eigener kultureller Aktivität und zahlreichen Ausstellungen vom Mathematisch- natürlich auch vom Besuch kultureller Einrichtungen wie Physikalischen Salon über Rüstkammer, Puppentheater- Museen. sammlung bis hin zu den Völkerkundemuseen in Leipzig, Klar ist: Die sächsischen Kulturgüter sind ein äußerst Dresden und Herrnhut. attraktiver, international herausragender Anziehungspunkt In Leipzig läuft bereits seit dem Sommer ein Test. Im für Touristen. Das ist gut so und soll auch so bleiben. GRASSI Museum für Völkerkunde heißt es: Kostenloser Aber unsere sächsischen Kulturgüter müssen auch ein Eintritt für alle Besucher bis 16 Jahre. Nach erfolgreich erschwinglicher Magnet sein für junge sächsische Famili- abgeschlossener Testphase soll dieses Angebot ausgewei- en und Schülerinnen und Schüler. Das wollen wir mit tet werden. unserem Antrag erreichen. Unsere Kinder sollen wissen, woher sie kommen, wer sie sind und wo ihre Wurzeln Selbstverständlich kann der kostenfreie Eintritt nur ein liegen. erster Schritt sein, um die positiven Effekte von Kunst und Kultur bei Kindern und Jugendlichen zu verstärken. Meine Damen und Herren! Selbstverständlich ist es jetzt Wir wissen sehr wohl, dass allein der kostenlose Muse- auch an der Zeit, die Schnittstelle zwischen Kultur und umsbesuch noch kein anhaltendes Interesse für Geschich- Bildung noch besser auszubauen. Wir gehen jetzt den te und Kultur weckt. Dazu gilt es genauso, das museums- ersten Schritt auf diesem Weg. Aber, meine Damen und pädagogische Angebot weiterzuentwickeln. Herren, alles zur rechten Zeit, alles in der rechten Art und Darüber hinaus haben wir Liberale uns für die Konzeption Weise. eines Nationalmuseums als ein Haus der Geschichte und Ich bitte Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen. Wissensvermittlung in den Koalitionsverhandlungen stark Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gemacht. Wir wollen ein Museum mit großer Anzie- hungskraft, dessen Besuch später einmal für jede Schule (Beifall bei der CDU und der FDP) zum Selbstverständnis gehören soll. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die FDP-Fraktion, Verehrte Damen und Herren! Ich bitte Sie freundlichst um bitte; Herr Abg. Tippelt. Zustimmung zum Antrag, dessen Ziel es ist, Kindern und Jugendlichen Kunst und Kultur näherzubringen, ihre Nico Tippelt, FDP: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr Neugier zu wecken und sie an sächsischer Kultur und geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Kultur muss Tradition teilhaben zu lassen. gelebt werden. Sie stiftet Identität und trägt wesentlich zur Attraktivität eines Landes bei. Der Freistaat Sachsen, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. meine Damen und Herren, ist ein Kulturland. Als solches (Beifall bei der FDP und der CDU) ist es unsere Aufgabe, Kultur an die nächste Generation weiterzugeben. 173 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Fraktion DIE Museumskonzeption des Staatsministeriums für Wissen- LINKE bitte, Frau Klepsch. schaft und Kunst verweisen. Ich lese es Ihnen gern vor. Dort heißt es: „Kulturelle Bildung meint die aktive Annekatrin Klepsch, Linksfraktion: Sehr geehrte Frau Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, unterstützt Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordne- Menschen in ihrer Persönlichkeitsbildung und stärkt deren te! Noch im Juni dieses Jahres ließ die Staatsregierung auf soziale, kommunikative und kreative Fähigkeiten.“ einen Antrag der Fraktion DIE LINKE zum kostenfreien Besuch staatlicher Museen in Sachsen durch Kinder und Die vom Bundestag eingesetzte Enquetekommission Jugendliche erklären – ich zitiere aus der Antwort der „Kultur in Deutschland“ hat 2007 in ihrem Schlussbericht Staatsregierung –: „Die Staatsregierung erachtet zentrale der kulturellen Bildung Priorität eingeräumt und diese als Vorgaben zur Eintrittspreisgestaltung für die staatlichen gesellschaftlichen Auftrag formuliert. Museen verfügen Museen als nicht sachgerecht.“ laut der sächsischen Museumskonzeption über die „ein- zigartigen Möglichkeiten, eben nicht nur Historisches Nun liegt ein Antrag der Regierungskoalition vor, das abzubilden“ – so viel zum kulturellen Erbe –, „sondern Versprechen aus dem Koalitionsvertrag in die Tat umzu- durch neue Inhalte und differenzierte Vermittlungsformen setzen. Wir freuen uns übrigens auch, dass wir heute unterschiedlich sozialisierte Bevölkerungsschichten kulturpolitisch zuerst über kulturelle Bildung für junge kulturell in die Gesellschaft zu integrieren“. Menschen sprechen und nicht über die Einrichtung von Luftschlössern wie Nationalmuseum oder Porzellanmuse- Damit sind wir beim nächsten Kritikpunkt. Wir sollen um. heute beschließen, dass Kinder und Jugendliche staatliche Museen kostenfrei besuchen können. Doch die Be- (Zuruf: He, he!) schlussvorlage verrät uns nicht, wie die Museen für den Die Fraktion DIE LINKE begrüßt die Initiative, Kindern erhofften Zuwachs jugendlicher Besucherinnen und und Jugendlichen bis zum Alter von 16 Jahren den kos- Besucher ausgestattet werden sollen, um die damit an- tenfreien Besuch in die staatlichen Museen zu gewährleis- spruchsvolle museumspädagogische Arbeit qualitativ ten, um – ich zitiere aus dem Antrag – „sie besonders am wertvoll ausführen zu können. Stattdessen ist der Perso- kulturellen Erbe des Landes teilhaben zu lassen“. nalabbau auch im Bereich der staatlichen Museen des Freistaates Sachsen bereits beschlossene Sache. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass Kindheit und Jugend nicht an einer Altersgrenze von 16 Jahren endet. Darüber hinaus ist nicht geklärt, wie die betroffenen Doch darüber wird später noch zu reden sein. Ein Ände- Einrichtungen das Einnahmendefizit durch die Kosten- rungsantrag liegt vor. Sie wissen es. freiheit für Kinder und Jugendliche ausgleichen sollen. In Ihrem Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen So positiv die Tatsache ist, dass dieses bereits in der von CDU und FDP, heißt es nämlich: „Wir werden die Museumskonzeption 2020 formulierte Ziel heute in die großen Kultureinrichtungen dabei unterstützen, verstärkt Tat umgesetzt wird, bleiben noch einige Fragen und eigene Erträge und einen höheren Kostendeckungsgrad zu Kritikpunkte offen. Warum schafft es die CDU-Fraktion erwirtschaften.“ Die Ausstattung der Museen ist das eine, erst jetzt mit dem neuen Koalitionspartner FDP, das die Erreichbarkeit das andere. Von dem zu fassenden Vorhaben umzusetzen, ein halbes Jahr nach Erscheinen Beschluss sind vorrangig Museen in den Großstädten der Museumskonzeption des SMWK, die, liebe Kollegen betroffen. Sie wissen es: Dresden, Chemnitz, Leipzig und von der CDU, noch unter Ihrem damaligen Koalitions- Görlitz. Herrnhut bildet dabei schon eine Ausnahme. partner SPD und der Kunstministerin Frau Dr. Stange erarbeitet wurde? Musste dieses konkrete Ziel für die Zeit Kulturelle Bildung, wie sie von der Staatsregierung im nach der Landtagswahl aufgespart werden, damit wenigs- Dritten Sächsischen Kinder- und Jugendbericht gefordert tens eine konkrete Aussage zur Kulturpolitik jenseits der wird, kann nicht nur an kulturellen Leuchttürmen stattfin- beiden Museen im Koalitionsvertrag zu finden ist? den, sondern muss tatsächlich flächendeckend, auch im ländlichen Raum, ermöglicht werden. Wenn es wirklich (Tino Günther, FDP: Bösartige Unterstellung!) gewollt ist, dass junge Menschen aus Weißwasser, Rei- Im Hinblick auf das bildungspolitische Ziel des Antrages chenbach im Vogtland oder Jonsdorf in der Lausitz in die ergeben sich weitere Fragen: Wie zukunftsorientiert ist es, großen Museen kommen, müssen wir auch über Fahrtkos- Kinder und Jugendliche ins Museum zu schicken, um – tenerstattung reden. Die Fahrtkosten für den Weg tragen ich zitiere aus dem Antrag – „sie am kulturellen Erbe jedoch nach Ihrem Entwurf wiederum Kinder und Ju- teilhaben zu lassen“? gendliche oder ihre Familien, womit wir zum sozialpoliti- schen Kritikpunkt kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kulturelle Bildung ist mehr als das Bewundern goldener Teller im Grünen Der wachsende Druck auf die staatlichen Museen, Eigen- Gewölbe und das Betrachten ausrangierter Industrieanla- einnahmen zu erwirtschaften, darf bei dem Vorhaben, gen in Chemnitz. Kinder und Jugendliche kostenfrei in die Museen zu lassen, nicht zuungunsten anderer, einkommensschwacher Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Gruppen wie Arbeitsuchender, SeniorInnen oder Gering- CDU und der FDP – die ja neu in der Regierung ist –, auf verdienerInnen gehen. das Verständnis des Begriffs kulturelle Bildung in der

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Ich komme zum Schluss. DIE LINKE unterstützt das Tino Günther, FDP: Frau Kollegin Stange, Sie sprachen Vorhaben des kostenfreien Museumsbesuches, wird dazu davon, indem Sie Holger Zastrow zitierten, dass wir dann jedoch einen Änderungsantrag – er liegt Ihnen vor – zwar einen soliden Haushalt haben, aber die Bevölkerung einbringen, um wenigstens Kinder und Jugendliche bis dumm und kulturlos bleibt. Finden Sie, dass die Sachsen 18 Jahre am kostenfreien Besuch teilhaben zu lassen. dumm und kulturlos sind? Vielen Dank. (Einzelbeifall bei der CDU)

(Beifall bei der Linksfraktion) Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das habe ich nicht gesagt. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die SPD- Sie haben mich schon richtig zitiert. Wenn man plant, Fraktion spricht Frau Dr. Stange, bitte. unter dem Stichwort „Verwaltungsausgaben senken“ einen schlanken Staat zu organisieren, dann muss man Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Sehr geehrte Frau Präsi- genau hinschauen, worüber man spricht. Zum Beispiel dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue sprechen wir über das Personal in den Staatlichen Kunst- mich sehr über den heute vorliegenden Antrag. Damit sammlungen. Wir sprechen über das Personal in der erübrigt sich ein eigener Antrag, den wir gestellt hatten. Landesbibliothek. Wir reden über die Schulen und die Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass er ein wenig Hochschulen. Das sind Verwaltungsausgaben, die Herr weitergeht. Ich komme gleich in meinen Ausführungen Zastrow offenbar gemeint hat. Da er es nicht weiter darauf zu sprechen. ausgeführt hat und wir gestern nur die Summe von 18 000 abzubauenden Stellen gehört haben, vermute ich, dass das Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal zum dahintersteckt. Das meine ich für die Zukunft. Man muss Kern kommen, warum es so wichtig ist, dass wir Kindern gut abwägen, wie weit man mit der Kürzungspolitik geht. und Jugendlichen die Möglichkeit geben, kostenfrei und Letztendlich geht es darum, die Staatlichen Kunstsamm- ohne Hürden in die Museen, eigentlich in alle Kulturein- lungen und die Sächsische Landesbibliothek so auszustat- richtungen, hineinzukommen; denn die Museen sind ja ten, dass nicht nur die zukünftige Generation, sondern nur ein Teil davon. Kultur ist ein öffentliches Gut. Kultur auch die heutige Generation davon profitieren kann. und kulturelle Bildung für alle darf nicht nur in Sonntags- reden oder Koalitionsverträgen stehen, sondern muss auch 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie noch am Montag bzw. heute, am Donnerstag, umgesetzt wer- eine Zwischenfrage von Herrn Günther? den. Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Ja, wenn Sie zur sachdien- Ich war sehr erstaunt, dass Herr Neumann, CDU, in dieser lichen Klärung hilft. Woche im Zusammenhang mit der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor einer Kürzungspolitik im Be- Tino Günther, FDP: Selbstverständlich. reich der Kultur gewarnt hat. Diese Warnung möchte ich gern nach Sachsen weitertragen. Wenn ich heute früh (Heiterkeit des Staatsminister Sven Morlok) Herrn Zastrow richtig zugehört habe, dann werden wir Da Sie auf meine Frage nicht geantwortet haben, – – zwar unseren künftigen Generationen einen soliden Haushalt hinterlassen, der keine Neuverschuldung vor- Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Doch, das habe ich. sieht und in dessen Sockel eine geringe Verschuldung ist, aber die Bevölkerung wird eventuell dumm und kulturlos Tino Günther, FDP: Nein. bleiben. Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Ich habe auf Ihre Frage Ich sage das bewusst etwas zugespitzt, da die Abwägung, klar Nein gesagt. wie weit wir in der Verschuldung gehen, wie weit wir in der Lastenteilung zwischen den Generationen gehen, auch Tino Günther, FDP: Kann ich davon ausgehen, dass Sie immer die Seite mitnehmen muss, was die heutige Gene- sich versprochen haben? ration angeht und was die heutige Generation zur Bewäl- Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Würden Sie Ihre Frage tigung der Probleme in der Zukunft, aber auch der großen Probleme wie Generationswechsel, Klimawandel etc. zu noch einmal stellen, dann können Sie auch meine Antwort lösen hat. hören. (Tino Günther, FDP, steht am Mikrofon.) Tino Günther, FDP: Ist es richtig, dass ich davon ausge- hen kann, dass Sie sich mit Ihrer Aussage versprochen 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine haben? Zwischenfrage? (Heiterkeit bei der FDP, der CDU Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Bitte. und des Staatsminister Sven Morlok)

1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte, Herr Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Ich möchte Ihre ursprüng- Günther. liche Frage noch einmal hören, wenn Sie sie noch wissen. (Heiterkeit im Saal)

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Tino Günther, FDP: Selbstverständlich. Ich stelle meine wollen erst einmal prüfen und evaluieren, wie hoch die ursprüngliche Frage. Sie hatten die Aussage von Holger Einnahmenrückgänge durch den kostenfreien Eintritt in Zastrow angefügt. Wenn es so ist, dann würden die die Museen sind. Sachsen dumm und kulturlos bleiben. Meine Bitte an die Regierung und an die Koalitionsfrakti- Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Nein, das habe ich nicht onen wäre, dass sie ihren Antrag dahin gehend ergänzen, gesagt. dass die Einnahmenverluste, die den staatlichen Museen dadurch entstehen, kompensiert werden. Keinesfalls darf Tino Günther, FDP: Doch. es zu einer Erhöhung der Eintrittspreise zulasten anderer Gruppen kommen, zum Beispiel – diesbezüglich kann ich Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das habe ich nicht gesagt. die Ausführungen von Frau Klepsch unterstreichen – von Arbeitslosen, und es dürfen auch keine Kürzungen beim Tino Günther, FDP: Wir lesen es nach. Personal erfolgen; denn ansonsten werden museumspäda- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Sie hat jetzt eine gogische Angebote, Begleitprogramme und kinder- und Antwort gegeben und jetzt ist es gut. jugendgerechte Präsentationsformen in den Museen nicht mehr möglich. Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Ich gebe die Antwort noch Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einmal, Herr Günther. Ich denke, wir sind auch nicht im etwas zu dem Nationalmuseum sagen. Herr Günther, Kabarett, und ich habe es auch ernst gemeint. Ich habe dieses Geld kann man sich sparen, denn es gibt ein Herrn Zastrow heute früh sehr genau zugehört und habe einzigartiges Nationalmuseum in Sachsen. Das sind die mich über dessen Aussagen ausreichend sachkundig Staatlichen Kunstsammlungen. Sie haben all das, was die gemacht, was er damit meint. Ich sage es noch einmal, sächsische Nation in den letzten Jahrhunderten ausge- Herr Günther: Ich meine nicht, dass das zum Kabarett macht und gesammelt hat und somit präsentiert wird. Das gehört. kann man gut ergänzen durch das Haus der Archäologie (Zuruf von der CDU: Viel Spaß!) und Geschichte in Chemnitz. Es ist kein Wert an sich, Personal- und Verwaltungskosten Meine Damen und Herren! Man braucht kein neues zu senken. Ich weiß, wovon man spricht. Nationalmuseum. Dieses Geld können Sie in die vorhan- denen Museen stecken. Das können Sie in die kulturelle (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und des Bildung für Kinder und Jugendliche stecken. Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE) Vielen Dank. Zurück zum Thema. Es ist sehr gut und richtig, dass Kinder und Jugendliche mindestens bis zum 16. Lebens- (Beifall bei der SPD, jahr in die Museen kostenfreien Eintritt haben, aber es ist der Linksfraktion und den GRÜNEN) überhaupt kein Wert der Staatsregierung, die Museen 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die Fraktion anzuweisen, diese Kostenfreiheit umzusetzen, ohne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Dr. Gerstenberg, bitte. gleichzeitig zu sehen, dass die Museen damit weniger Einnahmen haben. In der Koalitionsvereinbarung – Herr Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Sehr geehrte Günther, vielleicht hören Sie noch einmal zu – steht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eindeutig: Wir werden die großen Kultureinrichtungen kann mich heute kurzfassen. Meine Vorredner haben dabei unterstützen, verstärkt eigene Erträge und einen bereits geschildert, welche Bedeutung der freie Eintritt in höheren Kostendeckungsgrad zu erwirtschaften. Museen für die kulturelle Bildung hat. Es ist ein erster Die Staatlichen Kunstsammlungen haben bereits einen und wichtiger Schritt, um unsere Kinder und Jugendlichen eigenen Kostendeckungsgrad von über 30 % mit am kulturellen Reichtum unseres Landes zu beteiligen. 10,2 Millionen Euro Erlösen im jetzigen Wirtschaftsplan Mir scheint manchmal, dass dies das einzige kulturpoliti- stehen. Was passiert mit den Zuwendungen des Freistaa- sche Problem wäre, das wir in Sachsen zu lösen haben, tes Sachsen, wenn diese Erlöse aufgrund des kostenfreien denn wir hatten bereits in der letzten Plenarwoche der Eintrittes sinken? Diese Frage wird mit dem vorliegenden vergangenen Legislaturperiode eine Debatte auf Antrag Antrag nicht beantwortet. Das ist die eigentliche politi- der Linksfraktion. Wir haben heute die Debatte auf Antrag sche Aufgabe, die die Staatsregierung und auch die der Koalitionsfraktionen. Wir wissen spätestens seit letz- Koalitionsfraktionen zu erfüllen haben. ter Woche durch das Interview von Frau von Schorlemer, (Beifall des Abg. Martin Dulig, SPD, dass die Dinge bereits am Laufen sind und etwas getan und bei den GRÜNEN) wird. Ich habe aber nichts gegen Schaufensteranträge, wenn es darum geht, wichtige kulturpolitische Fragen Das war der Grund, warum der kostenfreie Eintritt in die wiederholt im Landtag zu erörtern. Museen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden konnte. Das ist der Grund, warum heute zum Beispiel Wir werden diesem Antrag zustimmen, so wie wir auch Städte wie Chemnitz und Leipzig – der Grassi-Komplex im Juni dem Antrag der Linksfraktion zugestimmt haben, ist erwähnt worden – sehr vorsichtig damit umgehen: Sie als die CDU noch meinte: Über dieses Stöckchen sprin- gen wir nicht. 176 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Wir haben aber dazugelernt. Wir sind heute der Meinung, Winfried Petzold, NPD: Frau Präsidentin! Mit diesem es darf nur ein erster Schritt in Sachen kulturelle Bildung Antrag übernehmen die Fraktionen der CDU und der FDP sein, wenn wir diesen freien Eintritt beschließen. Es ist einen bereits einmal von einer Oppositionsfraktion in ein erster Schritt in die Museen hinein. Kulturelle Bildung diesem Haus eingebrachten Antrag. Gerade erst zum Ende muss aber auch im Auge haben, was in den Museen der letzten Legislaturperiode wurden zentrale Vorgaben passiert. Wie steht es mit der Museumspädagogik? Wel- zur Eintrittspreisgestaltung der staatlichen Museen durch che finanziellen Mittel stehen dafür zur Verfügung? Wir die Staatsregierung als nicht sachgerecht abgelehnt. sind uns sicherlich darüber einig, dass kulturelle Bildung An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, dass ich nicht bei den Museen endet, sondern lassen Sie uns bitte bereits in der vergangenen Legislaturperiode die Vorbe- auch an die Musik, die Literatur usw. denken. halte und die Zustimmung der NPD-Fraktion zu einer Wir haben aber auch in anderen Punkten weiter als im entsprechenden Regelung zum Ausdruck gebracht habe. Juni gedacht. Hierzu kann ich direkt an die Ausführungen Diese Haltung möchte ich hier noch einmal bekräftigen. von Frau Staatsministerin Stange, Es sollte fraktionsübergreifend ein Herzensanliegen sein, (Dr. Volker Külow, Linksfraktion: die selbstverständliche Forderung nach einem wesentlich Ex-Staatsministerin!) erleichterten Zugang zu den kulturellen Einrichtungen auch und gerade für Kinder aus finanziell schlechter – Frau Ex-Staatsministerin Stange anknüpfen, die richti- gestellten, deutlicher gesagt, armen Familien mit einer gerweise aus ihrer Erfahrung als Staatsministerin gesagt breiten Mehrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Zumin- hat, dass es natürlich eine politische Aufgabe ist zu dest müsste er mit dem vorliegenden Antrag gegen jedes klären, was mit den Einnahmen passieren soll. Kostenargument durchsetzbar sein. Mit diesem Schritt Üblicherweise wird bei den Museen zuerst bei den Hono- gewinnen Sie Kinder und Jugendliche, die unter Umstän- raren gekürzt, vielleicht an den Honoraren für die Muse- den sonst in einem eher bildungs- und kulturfernen umspädagogen. Dann würde sich dieser Antrag selbst Umfeld aufwachsen, für unsere staatlichen Museen als konterkarieren. Wir sind der Auffassung, es ist eine Kunden. gewollte und kulturpolitisch wünschenswerte politische Aus dieser Sicht erscheint mittel- bis langfristig der Entscheidung, dass dieser freie Eintritt gewährt wird. derzeitige finanzielle Aufwand als durchaus gerechtfer- Dadurch sind aber auch der Freistaat und damit die tigt. Wir sollten aber nicht nur und schon gar nicht in Staatsregierung in der politischen Verantwortung, für erster Linie in diesen kommerziellen Kategorien denken, einen Ausgleich in den Museen zu sorgen. sondern darüber hinaus bereit sein, einige echte Investiti- Wir haben bezüglich der nicht staatlichen Museen mit onen in die Zukunft des einstigen Landes der Dichter und Leuten gesprochen. Auch diese vermitteln unser kulturel- Denker zu tätigen, denn wer nicht weiß, wo er herkommt, les Erbe. Für die Museen, die nahe den staatlichen Muse- der wird bekanntlich auch nicht wissen, wohin er gehen umsmetropolen wie Dresden und Leipzig liegen, poten- soll. zieren sich die Probleme. Sie befürchten – ich glaube, mit Gemeinsam sollten wir alles dafür tun, dass die Jugend Recht –, dass Schulklassen aufgrund des kostenlosen unseres Volkes an die Traditionen und die Geschichte Eintritts künftig nach Dresden fahren und ihre eigenen ihres Heimatlandes Sachsen herangeführt wird. Heute sehenswerten Angebote nicht mehr beachten werden, bietet sich die Gelegenheit zu zeigen, dass nicht der denn die Kommunen können es sich aufgrund ihrer Mensch als reiner Kostenfaktor im Mittelpunkt unseres finanziellen Situation in der Regel nicht leisten, kostenlo- Strebens steht, sondern der Mensch als geschichtlich sen Eintritt zu gewähren. geprägtes Kulturwesen. Wenn es gelingt, durch den Zum Einnahmenausfall auf der kommunalen Ebene kostenfreien Eintritt in Institutionen wie Museen, Schlös- kommt eventuell noch, dass sich der Rückgang der ser und Burgen junge Menschen an die Literatur und Besucherzahlen auf Zuschüsse aus dem Kulturraum Architektur, an Theater und Musik, an Geschichte und auswirkt. Das alles gilt es zu bedenken. Ich glaube, daran Tradition Sachsens und Deutschlands stärker heranzufüh- kann auch der Sächsische Landtag nicht so einfach ren, dann haben wir sehr viel auf dem Weg hin zu einer vorbeigehen. Wir haben aus diesem Grund einen Ände- nationalen Solidargemeinschaft aller Deutschen erreicht. rungsantrag gestellt, um den guten Antrag der Koalition, Solidarität wächst aus der Gewissheit heraus, Teil einer dieses gute Anliegen nicht nur zu unterstützen, sondern Gemeinschaft zu sein, die mehr ist als die Summe ihrer auch in den Punkten, in denen es noch Defizite gibt, Teile. aufzuwerten. – Weiteres dazu im Änderungsantrag. Doch dazu ist das Bewusstsein einer kulturellen Identität (Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN, erforderlich. Meine Fraktion, die NPD, wird dem vorlie- der Linksfraktion und der SPD) genden Antrag vorbehaltlos zustimmen, bittet Sie jedoch, zuvor auch unseren Änderungsvorschlägen aufgeschlos- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die NPD- sen zu begegnen. Fraktion, bitte. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der NPD)

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1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Nun wieder die (Beifall bei der CDU und der FDP) CDU-Fraktion; Frau Abg. Fiedler, bitte. Unser Antrag liegt sicherlich im Interesse nicht nur der Aline Fiedler, CDU: Frau Präsidentin! Meine sehr Kinder und ihrer Eltern, sondern auch der Museen; denn geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es freut mich für sie bietet sich eine gute Gelegenheit, sich mit interes- sehr, dass wir bereits in der 4. Sitzung des neuen Landta- santen Inhalten ihre zahlenden Besucher von morgen zu ges diesen Antrag diskutieren und sicherlich auch be- organisieren und so eine Publikumsbindung von frühen schließen können. Das ist nicht nur im Sinne der Kinder Jahren an herzustellen. und Eltern, die ab 1. Dezember die Museen kostenlos Dies beschreibt – das wissen wir ganz genau –, welche genießen können, sondern dieser Antrag zu Beginn der Chancen, aber auch welche Herausforderungen der Legislaturperiode macht auch deutlich, welchen hohen Antrag für die Museen bedeutet. Die Faszination eines Stellenwert Kunst und Kultur für die CDU und die FDP in Museumsbesuchs geht ein, zwei Mal von einem kostenlo- diesem Haus haben. sen Eintritt aus; damit junge Leute wiederkommen, (Beifall bei der CDU und der FDP) müssen auch die Inhalte stimmen. Freier Eintritt ist ein gutes Argument, in das Museum hineinzugehen; um darin Während es noch vor einem halben Jahr in der Museums- zu bleiben und diese Welt für sich zu entdecken, reicht konzeption des SMWK – damals unter SPD-Führung – das nicht aus. Dafür braucht es und gibt es in den Museen hieß, „mittelfristig wird für Jugendliche unter 16 Jahren bereits attraktive altersspezifische Angebote. ein freier Eintritt angestrebt“, liegt Ihnen heute der Antrag Wir haben es gehört: Es gibt bereits erste Stimmen und vor, dass dies ab 1. Dezember bereits umgesetzt werden mehrere Anträge, unseren Antrag auszuweiten. Meine soll – und das trotz angespannter Haushaltslage. sehr geehrten Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, (Beifall bei der CDU und der FDP – den Weg zwischen dem Wünschenswerten und dem Zurufe der Abg. Stefan Brangs und Machbaren zu finden. Es tut auch der Kultur nicht gut, Dr. Eva-Maria Stange, SPD) den Blick auf den Haushalt zu verlieren. Noch weniger liegt es im Interesse der jungen Generation, heute Dinge Das zeigt mehr als deutlich, welchen Stellenwert kulturel- einzuführen, die wir mit Schulden finanzieren müssten le Bildung für die CDU und die FDP hat. Das ist wichtig, und die damit von dieser Generation selbst später bezahlt weil es bei der Vermittlung von Kunst und Kultur an würden. Das kann nicht die Lösung sein. junge Menschen um die Weitergabe unserer Geschichte, unser Tradition und unseres Werteverständnisses geht, (Beifall bei der CDU und der FDP) weil Kultur Halt und Orientierung gibt. Das alles sind Der CDU/FDP-Antrag beschreibt das Mögliche und zeigt: wichtige Grundlagen für das Zusammenleben in einer Wir können auch in Zukunft nicht alles zusagen, aber das, Gesellschaft und damit Dinge, die wir unbedingt an die was wir versprechen, halten wir auch. nächste Generation weitergeben müssen. (Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.) (Beifall bei der CDU und der FDP) Kulturelle Bildung ist so ein Instrument. Das hat die CDU 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine übrigens bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit Zwischenfrage, Frau Fiedler? der Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ unter Beweis Aline Fiedler, CDU: Nein, ich würde zunächst gern gestellt. Das ist ein Beispiel dafür, wie sich eine gute Idee, die auf Landesebene initiiert wird, auf kommunaler Ebene meine Ausführungen beenden. – Unsere Museen können in Eigenregie fortführt. Vielleicht gelingt uns das mit das. Sie sind ganz besondere Bildungseinrichtungen. Hier diesem Antrag auch. können Kinder auf spielerische Art und Weise Kreativität, Toleranz und Eigenverantwortung erlernen, das Gespür Die Enquetekommission Kultur des Deutschen Bundesta- für Kunst und Kultur entwickeln und sich die Fähigkeiten ges hat in ihrem Bericht eindringlich beschrieben, welche für das notwendige lebenslange Lernen aneignen. Das Voraussetzungen für kulturelle Bildung wichtig sind: gute allein zeigt, welche Bedeutung und Wichtigkeit kulturelle Angebote, Breitenwirksamkeit und Kontinuität. Der Bildung hat, aber auch, wie unglaublich lohnenswert sie vorliegende Antrag erfüllt alle diese Bedingungen, wes- ist und welch sinnvolle Investition in die Zukunft. halb sein Inhalt heute nicht zerredet oder überfrachtet, Doch wir müssen akzeptieren, dass sich unsere wunderba- sondern einfach beschlossen werden sollte. re Kultur nicht von selbst vermittelt. Es muss Anreize und (Beifall bei der CDU und der FDP) Angebote geben, die diesen Gedanken unterstützen. Das tut der vorliegende Antrag. Mit dem kostenfreien Eintritt 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Dr. Stange, wollen wir für Kinder die Hürde für den Besuch eines möchten Sie für die Fraktion noch im Rahmen der Rede- Museums herabsetzen. Den Reichtum, die Schönheit und zeit sprechen? die Einzigartigkeit unserer Schatzkammern sollen junge Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Nein, ich würde gern von Leute unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund für sich entdecken können. der Möglichkeit der Kurzintervention Gebrauch machen, damit nichts Falsches im Raum stehen bleibt.

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1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Okay. erfahrungen im kulturellen Bereich umfassend zu ermög- lichen. Dies trifft für die Schulzeit in ganz besonderer Dr. Eva-Maria Stange, SPD: In der Museumskonzeption Weise zu. heißt es tatsächlich, dass mittelfristig die Kostenfreiheit zu realisieren ist. Dazu muss aber gesagt werden, dass die Wir sind deshalb entschlossen, hier anzusetzen und mit Museumskonzeption im Rahmen einer laufenden Haus- der Gewährung freien Eintritts in die staatlichen Museen haltsperiode beschlossen wurde. Vor dem Hintergrund, für Kinder und Jugendliche bis einschließlich 16 Jahre die dass Kostenfreiheit für den Besuch von Museen nur Zugangsbarriere des Eintrittsgeldes zu beseitigen. Damit gewährleistet werden kann, wenn entsprechende Mit- fällt auf dem Weg zu kultureller Bildung eine Schranke telausfälle durch Zuschüsse kompensiert werden, ist es im weg, die für manche Kinder eben doch eine negative, Rahmen einer laufenden Haushaltsperiode nicht möglich hemmende Wirkung hat. gewesen, die Kostenfreiheit umzusetzen. Das scheiterte Wir setzen damit auch ein positives internationales auch an den finanziellen Gegebenheiten. Das wollte ich Zeichen; denn wir folgen dem guten Beispiel anderer ergänzt wissen, damit nichts Falsches im Raum stehen Länder in Europa. Der freie Eintritt für Kinder und bleibt. Jugendliche ist aber zugleich eine Einladung an die (Beifall bei der SPD und des Familien, zusammen mit ihren Kindern zu deutlich günstigeren Konditionen als in der Vergangenheit kultu- Abg. Horst Wehner, Linksfraktion) relle Bildung gemeinsam zu erleben. In dieser Überzeu- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Mir liegt vonseiten gung haben wir uns in der Koalition darauf geeinigt, der Fraktionen kein Redewunsch mehr vor. diesen Schritt zu gehen, auch wenn – ich hebe das hervor – finanzielle Mindereinnahmen der staatlichen Museen Ich frage die Staatsregierung, ob sie das Wort wünscht. – eine Folge davon sind. Weniger als hundert Tage nach Frau Ministerin, bitte. dem Amtsantritt der neuen Regierung wird mit diesem Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, Staatsministerin kulturpolitischen Akzent in der Koalitionsvereinbarung für Wissenschaft und Kunst: Sehr geehrte Frau Präsi- aber unser Versprechen zügig, eindeutig und wirksam dentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der freie Eintritt umgesetzt. Ich lade schon jetzt die Kinder, die Jugendli- für Kinder und Jugendliche in staatliche Museen ist eine chen und die Familien ganz herzlich ein, von den neuen der ersten konkreten kulturpolitischen Maßnahmen der Möglichkeiten, die ihnen in unseren wunderbaren staatli- neuen Regierung, die in meinem Haus umgesetzt werden. chen Museen eröffnet werden, regen Gebrauch zu ma- Der gemeinsame Antrag der Koalitionsfraktionen unter- chen. streicht, auf welch breite Zustimmung dieses Vorhaben Vielen Dank. trifft. Kultureinrichtungen, die neben spezifischen fachli- (Beifall bei der CDU und der FDP) chen auch kreative und soziale Kompetenzen in bedeu- tendem Umfang vermitteln, haben in der Diskussion um 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wir kommen zum Lernen und Bildung in den vergangenen Jahren verstärkt Schlusswort. Herr Prof. Schneider, bitte. Aufmerksamkeit erfahren. Kulturelle Bildung stärkt und festigt die Haltung, die Identität, aber auch den Charakter Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Frau Präsidentin! junger Menschen. Sie ist eine Schlüsselkompetenz. Wenn Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte na- sie frühzeitig vermittelt wird, wird sie für das ganze mens der Koalition um Zustimmung zu unserem Antrag. Leben eine positive Wirkung entfalten. Ich will nur noch eine Bemerkung zu den Ausführungen (Beifall bei der CDU und der FDP) von Frau Kollegin Klepsch machen: Bleiben wir doch im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten! Versprechen wir Der Freistaat Sachsen als Kulturland verfügt über eine doch den Menschen nicht das Blaue vom Himmel herun- besondere, außergewöhnlich reiche Museumslandschaft ter, nicht in diesen Zeiten! von Bedeutung, ja von Weltrang. Dieses reichhaltige und (Beifall bei der CDU und der FDP) besondere kulturelle Erbe kann aber nur dann dauerhaft eine lebendige Wirkung entfalten, wenn es von den Unser Antrag bewegt sich im Rahmen des finanziell nächsten Generationen geachtet, angenommen und auch Möglichen. Alles kostenlos zu ermöglichen ist gewiss gepflegt wird. Kulturelle Bildung ist die Grundlage für auch nicht der richtige Weg. Qualität erfordert ein gewis- die Annahme dieses Erbes, für den verantwortlichen ses Geld. Wir wollen unsere Entscheidung auch unter Umgang mit diesem Erbe. Zugleich ist sie die Grundlage einem sozialpolitischen und einem bildungspolitischen für eine offene Welterfahrung im Bewusstsein kultureller Aspekt verstanden wissen und kulturelle Bildung all Werte und Überlieferungen. unseren Kindern und Jugendlichen zugute kommen (Beifall bei der CDU und der FDP) lassen. Frau Stange, versuchen Sie bitte nicht, von einem guten Es kommt uns deshalb ganz besonders darauf an, in jenen Thema abzulenken und es zu zerreden. Das ist der Sache Altersgruppen, in denen Neugier, Wissensdrang und meines Erachtens nicht angemessen. Ich glaube vor allen Bildungshunger noch ebenso groß sind wie die Möglich- Dingen eines: dass mit dem Antrag, wie wir ihn heute keiten zu lebensprägenden Weichenstellungen, Bildungs-

179 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 beschließen werden, ein erheblicher Werbeaspekt einher- einer knappen Woche in der „Sächsischen Zeitung“ geht, der in Richtung auf Familien und auf Sachsen verlauten ließ, dass er sich durchaus für eine Anhebung insgesamt zielt. der Altersgruppen auf 18 Jahre für den kostenfreien Eintritt in Museen ausspricht. Einem Museumsfachmann 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine können wir an dieser Stelle alle Glauben schenken. Er Zwischenfrage? wird wissen, was er da gesagt hat, weil eben die Alters- grenze für Jugendliche nicht mit 16 Jahren endet. Wenn Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Ich bin mit meinem die Kollegen der CDU-Fraktion gestern durch den Minis- Satz zu Ende gekommen. – Es geht hier um bürgerschaft- terpräsidenten betont haben, dass wir in Sachsen die liches Engagement, was man ebenfalls bedenken sollte. Abiturquote erhöhen wollen, dass wir mehr junge Men- Davon müssen Sie in diesem Zusammenhang auch einmal schen zu höheren Bildungsabschlüssen führen wollen, sprechen. heißt das, dass junge Menschen die Schule länger besu- Vielen Dank. chen. Ein Großteil der 17- und 18-jährigen Jugendlichen (Beifall bei der CDU und der FDP) befindet sich in der Berufsschule und in Gymnasien. Wenn sie keine Berufsausbildung bekommen haben, 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und absolvieren sie das Berufsvorbereitungsjahr. Diese Ju- Herren! Wir kommen zur Abstimmung. Mir liegen drei gendlichen, die aus anderen Gründen schon benachteiligt Änderungsanträge vor. Wir beginnen mit dem Ände- sind, sollten die Möglichkeit haben, auch mit 17 und rungsantrag der NPD-Fraktion, Drucksache 5/355. Ich 18 Jahren die Museen kostenfrei zu besuchen. bitte um Einbringung. Herr Apfel. (Beifall bei der Linksfraktion) Holger Apfel, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herr Prof. Schneider, wenn Sie meinen, dass wir irgend- Herren! Die NPD-Fraktion ist der Auffassung, dass nicht jemandem das Blaue vom Himmel herunter versprechen, nur freier Eintritt in landeseigene Museen gewährt werden dann erinnere ich Sie daran, dass der Ministerpräsident sollte, sondern darüber hinaus auch in Museen in kom- gestern in seiner Rede davon gesprochen hat, wir müssten munaler Trägerschaft, so zum Beispiel in Heimatmuseen. hier und da noch ein paar Straßen und Umgehungsstraßen Deshalb stellen wir unseren Änderungsantrag dahin bauen, um das Verkehrsnetz in Sachsen zu verbessern. gehend, dass der Landtag den finanziellen Mehraufwand Dafür scheinen noch ein paar Millionen vorhanden zu entsprechend analysieren möge, um diesen im Doppel- sein. Vielleicht können wir etwas davon an die Museen haushalt 2011/2012 zu berücksichtigen. geben. Daraus folgt, dass wir einen Änderungsantrag in Vielen Dank. zwei Teilen einbringen. Im ersten Punkt möchten wir die Anhebung der Alters- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es dazu grenze auf 18 Jahre erreichen und damit verbunden auch Redebedarf? – Herr Prof. Schneider, bitte. die Ausstattung der Museen verbessern, vor allem, was Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Vielen Dank, Frau die museumspädagogische Ausstattung betrifft. Präsidentin. – Wir werden diesen wie auch die weiteren Der zweite Punkt ist: Wir sind uns durchaus bewusst, dass Änderungsanträge aus den bereits genannten Gründen, die kommunalen Museen Teil der kommunalen Selbst- auf die wir – Frau Kollegin Fiedler, Herr Kollege Tippelt verwaltung sind. Aber uns geht es an dieser Stelle um ein und ich – eingegangen sind, ablehnen. politisches Signal. Bildungsaufgabe ist Sache der Landes- regierung. Wenn wir immer wieder das Ziel kultureller 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es weitere Bildung als Notwendigkeit formulieren, ist die Landesre- Wortmeldungen zum Änderungsantrag? – Das ist nicht gierung auch an dieser Stelle in der Pflicht, die Kommu- der Fall. Dann lasse ich über den Änderungsantrag in der nen finanziell besser auszustatten, um ihnen zu ermögli- Drucksache 5/355 abstimmen. Wer ist dafür? – Die chen, kulturelle Bildung durchzuführen. Gegenstimmen, bitte? – Die Stimmenthaltungen? – Bei wenigen Stimmen dafür ist dieser Antrag mit großer Es war gestern davon die Rede, dass Kultur in Sachsen Mehrheit abgelehnt worden. das Schaufenster zur Welt ist. Ich würde mir wünschen, dass Sie ernsthaft auch mit der Untersetzung der Museen Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion DIE in finanzieller Hinsicht folgen, damit es nicht nur kultu- LINKE in der Drucksache 5/391 auf und bitte um Ein- relle Schaufensterpolitik bleibt. bringung. Vielen Dank. Annekatrin Klepsch, Linksfraktion: Sehr geehrte Frau (Beifall bei der Linksfraktion) Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir im Rahmen der Einbringung des Ände- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Zum Antrag Frau rungsantrages noch ein paar Bemerkungen zu den Kolle- Dr. Stange, bitte. gen. Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Zum Antrag der Fraktion Zuerst verweise ich darauf, dass der Direktor der Staatli- DIE LINKE beantrage ich getrennte Abstimmung zu den chen Kunstsammlungen Dresden, Dr. Martin Roth, vor

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Punkten 1 und 2. Der Punkt 2 greift in die kommunale Jugendliche kostenfreien Eintritt bekommen, dann werden Selbstverwaltung ein. Wir haben ein Kulturrahmengesetz, die jungen Leute im ländlichen Raum nicht benachteiligt dass den Kommunen und Landkreisen die Möglichkeit werden. Wir schlagen einen Weg vor für den Eintritt von gibt, die Kostenfreiheit umzusetzen. Deswegen würden Schulklassen und von Kindertagesstättengruppen. Es ist wir gern getrennt abstimmen. ein Fonds, der im Kultusministerium anzusiedeln wäre, aus dem dieser Eintritt finanziert wird. Das ist ein Vor- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es weiteren schlag, der schon länger diskutiert und gerade von Muse- Redebedarf zum Antrag der Fraktion DIE LINKE? – Das umsleuten präferiert wird. Es ist jetzt die Gelegenheit, ist nicht der Fall. Dann kommen wir jetzt zur Abstim- wenn wir freien Eintritt in die staatlichen Museen einfüh- mung über die Drucksache 5/391, Punkt 1. Wer möchte ren, auch diesen Weg für nicht staatliche Museen und die Zustimmung geben? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gruppenbesuche zu öffnen. Die Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist Punkt 1 dennoch mit Mehrheit Der dritte Punkt ist schließlich ein Prüfauftrag. Es wäre abgelehnt worden. zumindest in dieser Situation zu prüfen, wie wir den Kindern, die nicht mit ihrer Kita oder Schule organisiert Ich rufe vom gleichen Antrag den Punkt 2 auf. Wer ins Museum gehen können oder wollen, den freien Eintritt möchte die Zustimmung geben? – Die Gegenstimmen? – auch in nicht staatliche Museen ermöglichen können. Ob Die Stimmenthaltungen? – Bei einer Anzahl von Stimmen das über die Träger oder die Kulturraumförderung erfolgt, dafür ist Punkt 2 dennoch mit Mehrheit abgelehnt wor- wäre in diesem Fall zu klären. Aber zumindest ist der den. Damit erübrigt sich eine Gesamtabstimmung. Zeitpunkt für eine solche Prüfung gekommen. Ich rufe jetzt den Änderungsantrag von BÜND- Ich bitte um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. NIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/400 auf und bitte um Einbringung, wenn das gewünscht wird. Herr (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) Dr. Gerstenberg, bitte. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Zum Änderungs- Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Frau Präsiden- antrag Herr Prof. Schneider, bitte. tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern auf Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Vielen Dank, Frau die drei Punkte noch einmal kurz eingehen. Präsidentin. – Herr Gerstenberg, zu Ihrem Punkt 2: Zum ersten hatte ich schon gesprochen. Wenn ich die Unrichtiges wird dadurch, dass es hier wiederholt wird, Äußerungen aus den Fraktionen von CDU und FDP höre, nicht richtiger. Wir sind auf die Kosten und die Einnah- dann gehen sie nach dem Motto vor: Wir machen das jetzt menseite eingegangen und haben Ausreichendes von der einfach und die Museen müssen sehen, wie sie mit den Staatsregierung gehört. Daraus ergeben sich keinerlei Mindereinnahmen zurechtkommen. Das ist bei staatlichen Abänderungen gegenüber unserem Antrag. Wir werden Museen, wo es eine staatliche Verantwortung gibt, eine Ihren Antrag ablehnen. unverantwortliche Haltung. Wir sind der Überzeugung, dass die Mindereinnahmen ausgeglichen werden müssen. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es weiteren Wir brauchen ein Gesamtpaket, wenn wir diesen wichti- Redebedarf zum Änderungsantrag? – Das ist nicht der gen kulturpolitischen Schritt gehen wollen. Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Druck- sache 5/400, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei den GRÜNEN) GRÜNEN. Ich bitte bei Zustimmung um Ihr Handzei- Der zweite Punkt: Wir dürfen nicht bei den staatlichen chen. – Die Gegenstimmen, bitte? – Stimmenthaltungen? Museen stehen bleiben. Auch die nicht staatlichen Muse- – Bei einer ganzen Reihe von Stimmen dafür ist der en bieten Hervorragendes bei der Vermittlung unseres Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt. kulturellen Erbes. Wir haben hier wirklich ein Metropo- Ich lasse jetzt über den Ursprungsantrag von CDU- und lenproblem. Die staatlichen Museen liegen in Leipzig und FDP-Fraktion in der Drucksache 5/295 abstimmen. Wer Dresden. Herrnhut hat Sonderprobleme, die lasse ich jetzt stimmt zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltun- einmal aus. Aber die meisten der 400 nicht staatlichen gen? – Dieser Antrag wurde einstimmig beschlossen. Museen liegen im ländlichen Raum, also in einem Gebiet, Damit ist der Tagesordnungspunkt beendet. das wir nicht abhängen wollen. Wenn wir jetzt nach Wegen suchen, dass auch in diesen Museen Kinder und Ich rufe auf den

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Tagesordnungspunkt 7 Ja zur Versammlungsfreiheit – Nein zu einem „Sächsischen Versammlungsrecht“! Drucksache 5/299, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die sen, mit der Erarbeitung und Verabschiedung dessen Reihenfolge in der ersten Runde lautet: Linksfraktion, Verfassung, als quasi ehern verabredet, dass das aktive CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, Statusrecht der Versammlungs- und Demonstrationsfrei- wenn gewünscht. Herr Abg. Bartl, Sie haben für Ihre heit, welches für Bürgerinnen und Bürger wesentliche Fraktion das Wort. Möglichkeiten zur Teilnahme am komplexen Prozess politischer Willensbildung schafft, hochzuhalten ist. Klaus Bartl, Linksfraktion: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ohne Zweifel Versammlungsfreiheit macht Demokratie sichtbar und ungewöhnlich, dass eine Fraktion dieses Hauses einen im glaubwürdig. Sie macht Volkssouveränität praktizierbar. Geschäftsordnungsgang befindlichen Antrag zur Behand- Sie beseitigt das Gefühl, namentlichen oder anonymen lung im Landtag aufruft und zur gleichen Thematik zwei Mächten ausgeliefert zu sein, auf die Einfluss zu nehmen Gesetzentwürfe vorliegen, die zudem noch – erzwungen unmöglich ist. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes von den Koalitionsfraktionen CDU und FDP – quasi im bzw. alle, die es später kommentiert haben, betonten stets, Schweinsgalopp bereits am 25.11.2009 einer Expertenan- dass das Versammlungs- und Demonstrationsrecht im hörung im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss Sinne der allgemeinen Freiheitsvermutung, die das unterzogen werden sollen. Grundgesetz beherrscht, interpretiert werden muss. (Christian Piwarz, CDU: Das sieht Was damit gemeint ist, hat das Bundesverfassungsgericht unsere Geschäftsordnung so vor!) höchst prägnant in einem schon 1969 gesprochenen und in Band 69 veröffentlichten Urteil mit den Worten be- Dass wir dies dennoch tun, hat zunächst seinen Grund im schrieben, dass die Versammlungsfreiheit „ein Stück Stellenwert dessen, worum es der CDU- und der FDP- ursprünglicher, ungebändigter, unmittelbarer Demokratie“ Fraktion mit ihrem Gesetzentwurf geht, der zuerst inner- ist und dass sie gewährleistet, dass diese Ungebändigtheit, halb der Staatsregierung kommuniziert wurde und eh ein diese Ursprünglichkeit der Meinungsbildung in der verkappter Entwurf der Staatsregierung ist. Meine Damen Öffentlichkeit ihren Durchbruch erhält. Das sei umso und Herren Christdemokraten und Liberale, Sie wollen wichtiger, als andere Formen der direkten Demokratie Hand anlegen an ein verfassungsrechtliches Terrain, das vom Grundgesetz kaum vorgesehen sind. nun wahrlich zu den essenziellsten und schützenswertes- Artikel 8 Grundgesetz, so das Bundesverfassungsgericht ten Statusrechten einer freiheitlich-demokratischen später in weiteren Entscheidungen, besitzt einen besonde- Verfassungsordnung zählt: an das Versammlungsrecht. Sie ren Rang und enthält sowohl ein subjektives Abwehrrecht wollen das in Artikel 8 des Grundgesetzes bzw. in Arti- als auch eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung. kel 23 unserer Sächsischen Verfassung verankerte Recht Sie lautete in den 60 Jahren der Entwicklung der Bundes- aller, wie es im Wortlaut der Verfassungsbestimmungen republik Deutschland – wiederholt auch betont vom heißt, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und Bundesverfassungsgericht – „im Zweifel zugunsten der ohne Waffen zu versammeln, ein ganz wesentliches Stück Versammlungsfreiheit und des Demonstrationsrechts“. weiter aushöhlen, weiter suspendieren. Das ist deshalb so, weil eine lebendige Demokratie auf Es ist völlig unbestritten, dass das Versammlungsrecht Kommunikation zwischen der im Staat organisierten wie das mit ihm korrespondierende Grundrecht auf Gesellschaft, ihren Gruppen und Repräsentanten der Meinungsfreiheit Verfassungsgüter sind, deren Fehlen öffentlichen Gewalt – sei es nun Regierung oder Opposi- oder Einschränkung einen Staat demokratiearm und, tion – angewiesen ist. Eine Möglichkeit des Anrufs der wenn man es zuspitzen will, schon deshalb undemokra- Verantwortlichen ist die Demonstration, sagen die maß- tisch macht. Es war deshalb auch kein Zufall, dass zu den geblichsten Grundgesetzkommentatoren. Sie sagen, ersten inhaltlichen Forderungen, die im Herbst 1989 von Versammlungen und Demonstrationen sind Zeichen einer den Haupt- und Mitakteuren der Wende gefordert wurden, demokratischen Gesellschaft, sind ihr dynamisches die Verwirklichung des Inhalts der Artikel 27 und 28 der Element. Verfassung der DDR betreffend das Grundrecht auf Weil es um derart herausragende verfassungsrechtliche Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gehört Schutzgüter geht, ist es zumindest politisch höchst unsen- haben. Diese Forderung war unter anderem das Leitthema sibel und mit der Funktion eines Parlaments als Stätte der teilnehmerstärksten Demonstration in dieser Zeit am öffentlicher Willens- und Meinungsbildung, als Ort, wo 4. November 1989 in Berlin und der Teilnahme von weit res publica – Öffentlichkeit – Grundprinzip sein muss, mehr als einer halben Million Bürgerinnen und Bürgern. unvereinbar, einen derart gravierende Materie betreffen- Auch und aufgrund der diesbezüglich gravierenden den Gesetzentwurf wie den des Gesetzes über landes- Defizite galt mit der Neugründung des Freistaates Sach-

182 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 rechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und monstrationen von Linksextremisten aus der Welt zu Aufzüge vom 29. Oktober 2009 an der Öffentlichkeit schaffen. Denken Sie nur einen Moment nach, meine vorbei, ohne 1. Lesung im Parlament, ohne öffentliche Damen und Herren von der CDU-Fraktion und der FDP- Vorstellung seiner Grundzüge und seiner beabsichtigten Fraktion oder meinethalben auch im Konkreten Herr Wirkungen so mir nichts dir nichts über den Präsidenten Staatsminister der Justiz: Selbst in den größten Span- in aller Stille an die Ausschüsse verweisen zu lassen. nungsperioden in der alten Bundesrepublik – siehe Acht- undsechziger-Umbrüche, Studentenbewegung, Antiatom- (Beifall bei der Linksfraktion kraftbewegung – wäre es dem Bundestag nie im Traum und vereinzelt bei der NPD) eingefallen, Hand ans Versammlungsrecht zu legen, um Es ist im Übrigen noch dreister, dass es dem Verfassungs-, die Dinge zu beherrschen. Rechts- und Europaausschuss nicht einmal möglich war, Das hat sich die Bundesrepublik Deutschland in all den eine annähernd angemessene Zeit bis zum Termin der Jahren – erst in 40, 50 Jahren – nie angetan. Dazu brauch- Anhörung zu verhandeln, sodass es fast ausgeschlossen te es erst der deutschen Einheit und des Aufbruches in scheint, für die Anhörung tatsächlich herausragende dieser Zeit. Das begreife ich nicht. Ich begreife es erst Verfassungsrechtsexperten als Sachverständige heranzu- recht nicht im 20. Jahr nach der Wende. ziehen, weil diese selbstverständlich nicht in ihren Uni- versitäten oder im Arbeitsalltag sitzen und darauf warten, (Beifall bei der Linksfraktion und der SPD) dass der Sächsische Landtag innerhalb von zwei Wochen Drittens benenne ich an dieser Stelle, dass Sie den Bun- nach Dresden ruft. Wir haben bislang acht namhafte desgesetzgeber mit dessen bisherigem, unter Verfassungs- Verfassungsrechtsexperten angefragt und haben von und Bürgerrechtlern ohnehin höchst umstrittenen Text des sieben mit dem Blick in den Kalender Bescheid erhalten, § 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz des Bundes, der mögli- dass sie den Termin nicht annehmen können. che Versammlungsverbote und Auflagenerteilungen auf (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) den Versuch rechtsextremistischer Parteien und Organisa- tionen beschränkt, gerade an Orten für ihre Ideologie zu – Genau so. demonstrieren, die in besonderer Weise dem Gedenken an Ich will die Namen jetzt nicht ausdrücklich nennen, aber die Opfer nationalsozialistischer Gewalt und Willkürherr- sie haben innerhalb von zwei Wochen keinen freien schaft gewidmet sind, deutlich übertreffen. Termin. Ich behaupte, dass Sie unter Missbrauch Ihrer Mit Ihrem quasi zum Verfassungsgut erhobenen Totalita- Mehrheit, meine Damen und Herren von der CDU- und rismuskonzept, das Sie letztendlich mit Ihrem Gesetzent- von der FDP-Fraktion, diesen so unsäglich nahen Anhö- wurf „ver-versammlungsrechtlichen“, überholen Sie den rungstermin bewusst so gesetzt haben – was ich nur vom Ansatz des Bundesgesetzes wie auch den Ansatz, den Rundfunkstaatsvertrag so kenne –, weil Sie kalkuliert zwei oder drei Länder inzwischen gewählt haben – zum haben, dass die Masse der großköpfigen Experten in der Beispiel Bayern und Niedersachsen – in puncto Ein- Zeit nicht kann, und dass Sie sie deshalb nicht auf dem schränkung des grundrechtlich geschützten Versamm- Balg haben, damit sie Ihnen nicht sagen können, dass das lungsrechtes um Längen. Sie sind damit um Längen Schrott ist. restriktiver als Bayern und als der Bund ohnehin. (Karl Nolle, SPD: Das würden Ich hebe als Viertes hervor, dass damit künftig an be- die doch nie machen!) stimmten Tagen und Orten im Freistaat Sachsen – einige Was ist nun in aller Kürze zu den Hauptschwierigkeiten Orte zählen Sie im Gesetz leitbildgebend bzw. als ent- dieses Gesetzentwurfes zu sagen? Da ist erstens die sprechende Maßstäbe auf: das Völkerschlachtdenkmal in unsägliche und unseres Erachtens unzulässige Vermi- Leipzig, die Frauenkirche mit dem Neumarkt in Dresden schung von Versammlungsfreiheit und Erinnerungskultur. am 13./14. Februar, die gesamte nördliche Altstadt und die südliche innere Neustadt in Dresden – das Versamm- (Zuruf des Abg. Geert Mackenroth, CDU) lungsrecht für diese Orte bzw. Tage quasi prophylaktisch So gut wie das gemeint sein mag – das geht nicht. Ich außer Kraft gesetzt wird. Sie setzen das Versammlungs- kann nicht Versammlungsrecht mit Erinnerungskultur recht an diesen Orten bzw. zu diesen Zeiten prophylak- vermischen. Ich kann das Versammlungsrecht undenkbar- tisch außer Kraft. Sie rufen dazu auf, dass jeder Kreis erweise unter Bezugnahme und mit der Rechtfertigung prüfen möge, ob er Ihren Redefallbeispielen noch weitere, des Verweises auf die Erinnerungskultur in seinem Kern die diesen Maßstab rechtfertigen, hinzufügt. beschränken. Das halten wir für den Ansatz, wie er im (Johannes Lichdi, GRÜNE: Grundgesetz war, nicht für hinnehmbar. Jedem seinen herausragenden Ort!) Zweitens. Sie setzen schon im Vorspruch die Meinungs- – Jedem seinen herausragenden Ort und seine herausra- und Versammlungsfreiheit in Relation zum Würdeschutz gende Zeit – je nachdem, was ich lokal für mich für bzw. konstruieren einen solchen Gegensatz, um Ihr besonders bedeutend halte. Bestreben, die unleidlichen – wie Sie es sagen – Störun- gen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Darüber hinaus legen Sie es fünftens allein in die Hand – Versammlungen von Rechtsextremisten und Gegende- das steht damit im Zusammenhang – lokaler Versamm-

183 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 lungsbehörden – und damit der sächsischen Kreise und 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr Kommunen –, nach ihrem Ermessen zu handeln. Nach Bartl. – Meine Damen und Herren! Aus den Reihen der welchem Weg und welchem Verfahren und welcher Fraktionen liegen weitere Wortmeldungen vor. Zunächst Bekanntmachungsform sie dies tun sollen, regeln Sie spricht für die CDU-Fraktion Herr Schiemann. nicht: einfach Orte von historisch herausragender Bedeu- tung in ihrem Gebiet zu bestimmen, an denen nach dem in Marko Schiemann, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! Ihrem Gesetzentwurf angelegten Totalitarismuskonzept Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst Versammlungen ohne Weiteres oder mit leichter Hand möchte ich Folgendes feststellen: Nicht alles, was hier mit beschränkt oder verboten werden können. Überzeugung vorgetragen wird, muss der Wahrheit entsprechen. Dabei beginne ich natürlich bei meinem Dazu sage ich als Chemnitzer: Wieso sollen die Chemnit- Vorredner. Ich habe nicht feststellen können, dass er zu zer nichts machen, wenn es sich die Dresdner gestatten, dem von den Linken eingebrachten Antrag gesprochen am 13./14. Februar Demonstrationen nicht zuzulassen hat. oder nur unter dem Vorbehalt, dass es die Regierung gutheißt? Warum sollen es die Chemnitzer nicht am (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) 5. März tun? Das ist der Tag, an dem in Chemnitz die Er hat zu einem Antrag gesprochen, einem Gesetzentwurf, Bombardierung des Zentrums, das zu 85 % in Schutt und der nach unserer Geschäftsordnung direkt an den Verfas- Asche gelegt wurde, begangen wird. Nähme jede Kom- sungs-, Rechts- und Europaausschuss überwiesen worden mune in Sachsen diese Ermächtigung wahr, käme dies ist und bei dem wir uns – nicht im Schweinsgalopp – einem landesweiten Verbot von Versammlungen gleich. verabredet haben, eine zügige Beratung durchzuführen. Es entstünde jedenfalls ein versammlungsrechtlicher Diese zügige Beratung ist die Grundlage für das, wofür Flickenteppich. Über dessen durchgreifende Verfas- wir in dieses Hohe Haus gewählt worden sind. sungswidrigkeit darf spätestens seit dem Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes überhaupt kein Zweifel (Beifall bei der CDU – Klaus Bartl, Linksfraktion, mehr bestehen. meldet sich zu einer Zwischenfrage.) (Beifall bei der Linksfraktion und 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Schiemann, vereinzelt bei der NPD) gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– Der Redner kann sich die Beifallgebenden nicht aussu- Marko Schiemann, CDU: Nein. – Deshalb bitte ich Sie, chen. Ich hätte mir von Ihnen, Kollege Piwarz, Beifall meine Damen und Herren, dass ich die Gelegenheit erhofft, da Sie das Urteil kennen. wahrnehmen kann, die Position der CDU-Fraktion zu dem (Beifall und Heiterkeit bei der Linksfraktion von den Linken eingebrachten Antrag zumindest in und der Abg. Sabine Friedel, SPD) Nuancen anzusprechen und das, was nicht der Wahrheit entsprechend dargelegt worden ist und auch in der Öffent- Dass Sie damit Folgenlast und Prozessrisiko der von lichkeit dargelegt wird, für meine Fraktion klarzustellen. Gesetzes wegen vorprogrammierten verwaltungsrechtli- chen Auseinandersetzungen um künftige Versammlungs- (Thomas Kind, Linksfraktion: Niemals!) beschränkungen oder Verbote allein auf die Kommunen Sehr geehrter Herr Präsident! Mit der friedlichen Revolu- abwälzen, sei abschließend nur der Vollständigkeit halber tion des Jahres 1989 haben viele von uns Versammlungs- erwähnt. Das ist ein letzter guter Dienst, Herr Staatsminis- und Meinungsfreiheit als wichtige Rechtsgüter eingefor- ter Dr. Martens, gegenüber dem früheren Berufsstand. Die dert und für sich in Anspruch genommen. Die friedliche Anwälte, jedenfalls die Verwaltungsrechtler, werden Revolution hat gerade nach den Friedensgebeten in den heftig zu tun bekommen. Kirchen diese Rechtsgüter als Menschenrechte ins Land Wenn die Vernunft und der Sachverstand nicht mit dem getragen. Nur deshalb können wir uns hier und jetzt im Erringen der Mehrheit im Parlament und der Partizipation Freistaat Sachsen versammeln. Das dürfen wir niemals an Koalition bzw. Regierungsämtern enden, dann nehmen vergessen. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen Wenn es nach der SED-Dikatatur gegangen wäre, die ja und Kollegen von der CDU und der FDP – wobei ich auch eine Verfassung und in deren Artikeln 27 und 28 insbesondere an Letztere und im Besonderen an meinen nachlesbar Freiheit der Versammlung sowie das freie hoch geschätzten und nun zum Justizminister geadelten Wort zugelassen und außerdem hineingeschrieben hat, Kollegen Dr. Martens appelliere –, diesen Gesetzentwurf unter welchen Grundsätzen man sich versammeln kann ... einfach zurück. Dies würde dem Landtag sinnlose Arbeit, jeder von uns weiß, welche Farce das gewesen ist und dem Freistaat Sachsen Geld- und Ansehensverlust und der dass sich niemals mehr wiederholen darf, was in dieser Koalition die aus unserer Sicht sichere Blamage des Zeit geschehen ist. Scheiterns vor dem Verfassungsgerichtshof in Leipzig ersparen. (Beifall bei der CDU und des Abg. Tino Günther, FDP) Vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Motto (Beifall bei der Linksfraktion und der NPD) „Keine Gewalt!“ war der wichtigste Begleiter bei den

184 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 friedlichen Demonstrationen. Bei der Erarbeitung der der Versammlungsfreiheit sind unter den in § 15 des Sächsischen Verfassung waren die Fragen der Versamm- Versammlungsgesetzes genannten Voraussetzungen mit lungs- und Meinungsfreiheit nie strittig. Deshalb bleibt Artikel 8 des Grundgesetzes vereinbar. Der dort genannte für die CDU das Grundrecht auf Versammlungs- und Rechtfertigungsgrund für Versammlungen beschränkende Meinungsfreiheit eine entscheidende Grundlage der Maßnahmen hat sich auch in der verfassungskonformen Demokratie. Seit 1990 haben wir immer die Frage einer Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht vorge- Bannmeile um den Sächsischen Landtag abgelehnt, Herr nommen hat, als hinreichend erwiesen. Insbesondere Lichdi. erlaubt er schon jetzt Versammlungsbeschränkungen, wenn eine Versammlung, ohne selbst gewalttätig zu (Johannes Lichdi, GRÜNE: Das ist auch gut so!) werden, ihre Gewaltbereitschaft zur Durchsetzung der Es wird auch mit dieser Koalition keine Bannmeile um eigenen Meinung oder zur Unterdrückung ihrer Gegner den Sächsischen Landtag geben – damit auch diejenigen, durch die Begleitumstände, unter denen sie stattfindet, die die Unwahrheit sagen, dies jetzt nicht mehr behaupten erkennbar Ausdruck findet. können. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Zum Versammlungsgesetz selbst. Nach Artikel 8 haben Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes und nach Freiheit, Ehre, Eigentum, Vermögen des Einzelnen sowie Artikel 23 Sächsische Verfassung das Recht, sich ohne Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Anmeldung und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu Einrichtungen. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicher- versammeln. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit heit wird in der Regel angenommen, wenn eine strafbare ist sowohl für die Entfaltung der Persönlichkeit als auch Verletzung der Schutzgüter droht. Ich bin bei dem Antrag für die Aufrechterhaltung der Demokratie von fundamen- der Linksfraktion. taler Bedeutung. Allerdings können von dem Gebrauch (Klaus Bartl, Linksfraktion, steht am Mikrofon.) des Grundrechtes auch Gefahren für individuelle Rechts- träger und für die demokratische Ordnung ausgehen. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Schiemann, Deshalb lassen das Grundgesetz und die Sächsische gestatten Sie eine Zwischenfrage? Verfassung Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zu. Sie müssen aber eine gesetzliche Grundlage haben Marko Schiemann, CDU: Ich gestatte keine Zwischen- und dem hohen Rang der Versammlungsfreiheit Rech- frage, Herr Präsident. Die einreichende Fraktion hat nung tragen. Die Versammlungsfreiheit darf deshalb nicht genügend Zeit, ihre Position hier darzulegen. unverhältnismäßig beschränkt werden. (Beifall bei der CDU) Der Grundrechtsschutz umfasst Inhalt, Ort, Zeit und Art der Versammlung. Inhaltsbezogene Beschränkungen der Für die Koalitionsfraktionen ist es auch wichtig, dass die Versammlungsfreiheit kommen nur insoweit in Betracht, Frage Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit in als sie den strengen Anforderungen genügen, die sich aus einem Spannungsverhältnis mit anderen Grundrechten dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 steht. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht so Grundgesetz ergeben. gesehen. Die Menschenwürde ist das oberste Prinzip der Verfassung. Grundrechte, Rechts- und Sozialstaat fließen (Eva Jähnigen, GRÜNE, steht am Mikrofon.) aus ihr. Da gibt es für die gesetzliche Ausgestaltung – Herr Bartl, jetzt hören Sie zu! – beim Versammlungsge- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Schiemann, setz enge Maßstäbe und Grenzen, die sich aus einer klaren gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage? Verfassungslage und über gesicherte Grenzen durch das Bundesverfassungsgericht gezogen herleiten lassen. Marko Schiemann, CDU: Nein, eigentlich nicht. Deshalb ist das, was uns von den Linken hier im Hohen 2. Vizepräsident Horst Wehner: Eigentlich nicht. Hause, aber auch in der Öffentlichkeit suggeriert wird, dass Sachsen zu einem Bananenstaat mutieren soll, die (Dr. Johannes Müller, NPD: Und uneigentlich?) Unwahrheit. Marko Schiemann, CDU: Meinungsäußerungen, die im (Beifall bei der CDU) Einklang mit Artikel 5 nicht gesetzlich verboten sind, dürfen auf Versammlungen kundgegeben werden. Selbst Im Kern des Gesetzentwurfs geht es um den Schutz der Meinungen, die sich gegen die Grundprinzipien der Würde der Opfer, die unter nationalsozialistischer Ge- Verfassung richten, werden vom Grundgesetz um der waltherrschaft oder kommunistischer Gewaltherrschaft Freiheit – Herr Bartl, jetzt hören Sie zu! – der politischen gelitten haben oder Opfer eines Krieges wurden. Wir Kommunikation willen hingenommen. Die Abwehrme- wollen nicht länger zusehen, dass Versammlungsrecht chanismen der streitbaren Demokratie greifen erst dann durch Extremisten missbraucht wird. ein, wenn die Schwelle der Bekämpfung der Grundord- (Beifall bei der CDU) nung überschritten ist. Wir wollen die Würde der Opfer deutlicher schützen. Um bei der Unwahrheit zu bleiben, was Sie uns zu unse- Insbesondere die wiedererstandene Landeshauptstadt und rem Gesetzentwurf alles unterschieben: Beschränkungen

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Residenzstadt Dresden hat ein Recht, der Opfer friedlich sich damit verhält. Den Standpunkt der CDU haben wir ja und in Würde zu gedenken. jetzt ausreichend zur Kenntnis genommen. (Beifall bei der CDU und der FDP) Ihr Kollege Herr Zastrow, der im Moment nicht da ist – wahrscheinlich muss er seinem Hauptberuf nachgehen Hass und Gewalt, egal ob von Links oder von Rechts, und bei der Striezelmarkt-Pressekonferenz anwesend sein (Zuruf von der NPD: Oder aus der Mitte!) –, erklärte im Februar 2009, die FDP wird sich einer Diskussion über Neuregelungen im sächsischen Ver- werden wir nicht mehr akzeptieren. Jede Form von Hass sammlungsrecht nicht verschließen. Das halte ich für eine und Gewalt lehnen wir im Zusammenhang mit dem sehr vernünftige Erklärung. Es ist ein vernünftiger Stand- Demonstrationsrecht ab. punkt, dass man in der Diskussion erst einmal keine (Beifall bei der CDU und der FDP – Tabus hat. Genauso haben wir das auch gesehen und uns Zuruf von der NPD: Nicht nur du, wir auch!) deswegen gedacht, dass wir uns den alten Gesetzentwurf erst einmal anschauen und offen in eine solche Diskussion Anknüpfend an ein mögliches Versammlungsgeschehen hineingehen. Schauen wir auch einmal, was bei den an Orten von besonderer Bedeutung sollen – jetzt komme Anhörungen herauskommt. ich noch einmal zu unserem Entwurf – Versammlungen verboten oder mit Auflagen versehen werden können, Im Ergebnis der Anhörung, die dazu durchgeführt worden wenn diese die Würde von Personen beeinträchtigen, die ist, und auch im Ergebnis der Diskussionen, die wir im unter nationalsozialistischer oder kommunistischer Nachhinein oft und viel geführt haben, sind wir dazu Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behand- gekommen zu sehen, dass dieser Eingriff in ein wirklich lung waren, dagegen Widerstand geleistet haben oder wesentliches Grundrecht – Kollege Bartl hat es ja schon Opfer eines Krieges geworden sind. gesagt – nicht nur sehr heikel ist, sondern eben zu heikel. Friedliches Gedenken, meine sehr verehrten Damen und Was die Gründe dafür sind, darüber werden wir, wenn es Herren, bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil unserer an die Diskussion des Gesetzentwurfes geht, noch sehr Demokratie. Der Gesetzentwurf, von uns in einem Ver- viel genauer sprechen. Ich will zwei, drei nur ganz kurz fahren eingebracht, das völlig korrekt ist, mit einer Anhö- benennen. rung, die anberaumt ist, mit einer offenen Entscheidung Wir haben es im Grunde mit einer Lex Dresden zu tun. für den Gesetzentwurf, liegt Ihnen vor. Der Gesetzentwurf Das wird auch in der Begründung des Antrages offen- unterstützt den Wunsch der Dresdnerinnen und Dresdner sichtlich, wenn aus dem Koalitionsvertrag zitiert wird: nach einem friedlichen Gedenken und das geplante „Wir werden alle verfassungsrechtlichen Möglichkeiten Vorhaben auch der hiesigen Oberbürgermeisterin mit nutzen und bis zum 13. Februar 2010 das Versammlungs- allen demokratischen Akteuren, auch gegen den Miss- recht ändern.“ brauch des Tages durch Extremisten, Flagge zu zeigen. Zum Zweiten haben wir Schwierigkeiten, weil eben (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) wirklich sehr vage und sehr unbestimmt ist, was denn nun Aus diesem Grund geht Ihr Antrag, auf Bundesebene die genauen Grundlagen für eine Einschätzung sein aktiv zu werden, an der Sache vorbei. Uns ist derzeit nicht sollen, dass eine Demonstration auf einmal nicht stattfin- bekannt, dass es Initiativen auf Bundesebene gibt, eine den darf. Veränderung vorzunehmen, und der Versuch, der Staats- Drittens. Wenn man sich das Stadtgebiet anschaut, was regierung zu untersagen, Gesetzesinitiativen in den allein in Dresden zu einer grundrechtsfreien Zone erklärt Landtag einzubringen, läuft ins Leere, weil es derzeit werden soll, dann ist das sehr problematisch. keine Gesetzesinitiative der Staatsregierung gibt. Deshalb Ich hoffe, die FDP wird genauso vernünftig sein und im ist Ihr Antrag übrig und sollte auch abgelehnt werden. Ergebnis der neuerlichen Anhörung dann auch zu ihren Vielen herzlichen Dank. liberalen Grundsätzen zurückfinden. (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

2. Vizepräsident Horst Wehner: Das war Herr Herr Zastrow hat im Februar 2009 nicht nur erklärt, dass Schiemann für die Fraktion der CDU. Für die Fraktion der er sich einer Diskussion nicht verschließen will, sondern SPD spricht nun Frau Friedel. er hat später dann auch gesagt – ich zitiere wörtlich –: „Jetzt geht es nicht mehr um Versammlungsfreiheit, Sabine Friedel, SPD: Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe sondern um die Verhinderung von Gewalt.“ Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion wird dem So ähnlich haben Sie, Kollege Schiemann, auch gerade Antrag, der uns hier vorliegt, zustimmen. Dazu wird argumentiert. Nur das ist ein sehr instrumentelles Grund- vielleicht gerade die FDP sagen, oh, nun stimmen sie zu, rechtsverständnis. Sie gehen offensichtlich davon aus, wenn sie in der Opposition sind. Damals waren sie in der dass zumindest an den bezeichneten Tagen an den heraus- Regierung, da haben sie selbst einen solchen Gesetzent- ragenden Orten jede Demonstration ein Quell von Gewalt wurf mit eingebracht. Das sagen Sie ja erst einmal zu ist. Recht, und deswegen will ich Ihnen kurz erklären, wie es

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(Marko Schiemann, CDU: Nein, Carsten Biesok, FDP: Herr Präsident! Meine sehr nein, habe ich nicht gesagt! – verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben Zuruf von der Linksfraktion: Doch!) uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, bis zum 13. Februar 2010 einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, Das ist sehr problematisch. So funktioniert der Kampf der das Versammlungsrecht dahin gehend verändert, dass gegen Rechtsextremismus eben nicht. Wir sind uns, Extremisten in Sachsen eine deutliche Grenze gesetzt glaube ich, sehr einig, dass Gewalt auf Demonstrationen wird. nichts zu suchen hat. Dazu haben wir über die Fraktionen hinweg große Einigkeit. Deswegen ist es richtig, dass der Genau das machen wir mit dem Gesetzentwurf, den wir Staat in Form der Polizei in solchen Situationen entschie- demnächst hier in diesem Plenum zu beraten haben. Alle den eingreift. Deswegen gehört unser Respekt auch allen juristischen Bedenken, die gegen diesen Gesetzentwurf Frauen und Männern in der Bereitschaftspolizei, die einen vorgebracht werden sollen, können wir in der Gesetzesbe- wirklich schweren Job haben, genau diese Abwägung zu ratung noch ausführlich erörtern. Sehr geehrter Herr treffen. Kollege Bartl, die Anhörung gibt uns sicherlich genügend Gelegenheit. Ich habe bislang die Liste der Fachleute (Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – gesehen, die kommen werden; die ist beachtlich. Da Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN) werden wir die Möglichkeit haben, uns entsprechend mit Die Wahrung von Angemessenheit und Verhältnismäßig- einzubringen. keit ist der Grat, auf dem man wandelt. Diese gravierende (Beifall bei der FDP und der CDU – Grundrechtseinschränkung, wie sie der Gesetzentwurf Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) jetzt vorsieht, halten wir weder für angemessen noch für verhältnismäßig, sondern sie erweckt in der Tat den 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Biesok, gestatten Eindruck, dass man die Demokratie teilweise abschaffen Sie eine Zwischenfrage? will, wo wir sie doch eigentlich verteidigen müssten. Das ist so etwas wie der Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Carsten Biesok, FDP: Ja, ich gestatte. Den Kampf gegen Rechtsextremismus müssen wir immer 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Bartl, bitte. wieder neu und eben anders führen. Dazu ist schon viel gesagt worden, auch in der gestrigen Debatte, wenn es um Klaus Bartl, Linksfraktion: Herr Kollege, würden Sie die Anständigen und um die Zuständigen geht. uns, dem Plenum, offenbaren, woher Sie eine Liste der Gerade in Dresden ist – das muss man wirklich zugeste- Experten kennen? Es ist immer so, dass die Fraktionen hen – mit der neuen Oberbürgermeisterin Frau Orosz ihre Experten melden, und wir haben noch keine Meldung mehr Zug in die Debatte gekommen. Wir haben erst abgegeben. vergangenen Freitag in einer Runde zusammengesessen, Carsten Biesok, FDP: Also, mir sind Namen genannt zu der die Oberbürgermeisterin dankenswerterweise sehr worden und ich vermute, dass diese auch kommen wer- breit eingeladen hatte vom Ausländerrat bis zur IHK, um den. Das ist meine Information. – Sie wissen, dass ich gemeinsam zu beraten, mit welcher Aktion – nicht mit heute meinen zweiten Tag hier im Parlament habe. – Ich welchem rechtlichen Konstrukt – man in Dresden am gehe davon aus, dass entsprechende Fachkompetenz 13. Februar Initiative zeigen kann. vorhanden ist. Ich freue mich – oder lassen Sie es mich einmal so formu- (Beifall bei der FDP und der CDU) lieren: ich würde mich freuen –, wenn künftig die Stühle zweier Stadtratsfraktionen nicht wie bisher leer blieben, Was mich an diesem Antrag der Fraktion DIE LINKE sondern wenn alle Demokratinnen und Demokraten stört, ist, dass geradezu apodiktisch verboten wird, über gemeinsam stehen würden. Veränderungen im Versammlungsrecht nachzudenken. Wir haben in den letzten Jahren gerade hier in Dresden, Der neue Gesetzentwurf entbindet vor allem Sie, die besonders am 13. und 14. Februar 2009, Situationen Koalitionsfraktionen, nicht von der Pflicht, konkret etwas gesehen, die uns die Grenzen des bisher geltenden Ver- gegen Rechtsextremismus zu tun. Auch das ist ein Grund sammlungsrechtes deutlich aufgezeigt haben. für uns, dem Antrag zuzustimmen. Es braucht den Einsatz – lassen Sie es mich so formulieren – auf der Straße. Deshalb möchte die Regierungskoalition die Möglichkeit nutzen, ihre Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene Danke schön. auszuüben und hierauf zu reagieren. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion Das Versammlungsrecht ist ein hohes Verfassungsgut, und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE) aber es wird nicht schrankenlos gewährt. Auch das 2. Vizepräsident Horst Wehner: Ich danke Ihnen, Frau Grundgesetz und die Sächsische Verfassung geben die Friedel, und erteile nun das Wort der FDP-Fraktion, Möglichkeit, hier entsprechend einzugreifen. Es muss Herrn Biesok. verhältnismäßig sein. Meine Damen und Herren! Unsere Verfassung in Sachsen und das Grundgesetz schützen friedliche Demonstranten.

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Was wir am 13. Februar 2009 hier in Dresden gesehen Ordnung und Sicherheit. Damit konkretisieren wir das haben, waren eben gerade keine friedlichen Demonstran- entsprechende Versammlungsrecht. ten bei Teilen der links- und rechtsextremistischen Szene. (Beifall bei der FDP und der CDU) Die Ausschreitungen, die damit einhergingen, haben es friedlichen Versammlungsteilnehmern kaum ermöglicht, Durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfas- ihrem stillen Gedenken hier in Dresden nachzugehen. sungsgerichtes ist auch gewährleistet, dass ein Verbot Deshalb ist unser Auftrag, die Versammlungsfreiheit für oder eine Auflage im Versammlungsrecht lediglich die die friedlichen Demokraten in unserer Stadt wieder Ultima Ratio sein kann, das heißt, wenn keine anderen herzustellen. Möglichkeiten greifen, um die Versammlungen in einen friedlichen Verlauf zu bekommen. Auch das setzen wir (Beifall bei der FDP und der CDU) mit unserem Gesetzentwurf nicht außer Kraft. Ich denke da insbesondere an ältere Menschen, die die Ein zweiter Punkt aus dem Antrag ist ebenso überflüssig Bombenangriffe selbst miterlebt haben, oder an Bürger, wie dieser Antrag insgesamt. Selbstverständlich werden die ihrer bei den Angriffen getöteten Angehörigen geden- wir auch künftig den Kernbereich des Grundrechts achten. ken wollen. Diese Menschen verdienen unseren Schutz. Deshalb ist es unnötig, dass der Landtag hierüber noch Diese Menschen stehen auch unter dem Schutz unserer einmal beschließt. Verfassung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend (Beifall bei der FDP und der CDU) noch einmal zusammenfassen: Mit dem Gesetzentwurf Wir geben mit dem neuen Versammlungsrecht den Ord- reagieren wir maßvoll und verhältnismäßig auf die neue nungsbehörden die Möglichkeit, gegen Demonstranten Qualität von Aufzügen, wie wir sie jedes Jahr in Leipzig vorzugehen, die sich gegen andere, ebenfalls verfassungs- am 1. Mai und in Dresden am 13. und 14. Februar erle- rechtlich geschützte Rechtsgüter wenden. Diese Möglich- ben. Mit der Gesetzesinitiative stellen wir insbesondere keit, sehr geehrter Herr Kollege Bartl, hat das Bundesver- die Freiheit der Dresdner wieder her, am 13. Februar still fassungsgericht in seiner Brokdorf-Entscheidung aus- und in Ruhe und ohne Angst vor gewaltbereiten Demonst- drücklich zugelassen. Sie steht sogar im Leitsatz unter ranten rechtsextremistischer und linksextremistischer Ziffer 2b. Couleur der Opfer der Bombenangriffe zu gedenken. Mit unserem Gesetzentwurf konkretisieren wir lediglich Vielen Dank. die Gefahrenprognose, die die Ordnungsbehörden anzu- (Beifall bei der FDP und der CDU) stellen haben. Wir schaffen, sehr geehrter Herr Kolle- ge Bartl und sehr geehrte Kollegin Friedel, eben gerade 2. Vizepräsident Horst Wehner: Für die Fraktion keinen demonstrationsfreien Raum, wie es noch im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Herr ursprünglichen Gesetzentwurf, den auch die SPD- Abg. Lichdi. Fraktion in der vorangegangenen Legislaturperiode (Unruhe) mitgetragen hat, steht.

2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Biesok, gestatten Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- Sie noch eine Zwischenfrage? dent! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass Sie sich freuen, wenn ich hier nach vorn trete. Ich freue mich Carsten Biesok, FDP: Ja. auch, dass ich jetzt ein paar Dinge sagen kann. (Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Frau Jähnigen, bitte. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eva Jähnigen, GRÜNE: Sie haben gerade gesagt, dass Der Antrag der Linksfraktion erzwingt hier im Hohen Sie die Gefahrenprognose konkretisieren und der Polizei Hause eine Debatte, die die schwarz-gelbe Koalition eine Handlungsgrundlage geben wollen. Mit der Ein- durch eine Änderung der Geschäftsordnung vermeiden schränkung der Versammlungen in der Dresdner Stadt, wollte. also sozusagen mehreren Bannmeilen in der Innenstadt, erschweren Sie meiner Meinung nach das Polizeihandeln. (Beifall des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion) Wie sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Die Koalition hat sich eine Ermächtigung geschaffen, Polizei das überhaupt zweckmäßig einsetzen und dieser Gesetzentwürfe nicht ins Plenum einbringen zu müssen, Entwurf in irgendeiner Art zur Verfolgung Ihrer Ziele sondern gleich an die Ausschüsse verweisen zu lassen. geeignet sein kann? Schwarz-Gelb enthebt sich so der Pflicht, den Gesetzent- Carsten Biesok, FDP: Sehr geehrte Frau Kolle- wurf vor dem Landtag und der Öffentlichkeit zu begrün- gin Jähnigen! Im Gesetzentwurf sind sehr klar und deut- den. lich die Eingriffsvoraussetzungen benannt. Sie werden (Beifall bei den GRÜNEN, dadurch konkretisiert, dass wir eine Anlage anfügen, der Linksfraktion, der SPD und der NPD) welche Bereiche damit geschützt sind. Dadurch ist es sehr viel konkreter als der bisherige Begriff der öffentlichen

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Die Koalition hat am letzten Mittwoch die Anhörung zum Dieser Gesetzentwurf möchte aber die Grundlage schaf- Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Opposition auf den fen, entsprechende Versammlungen zu verbieten. 25. November, also in zwei Wochen, festgelegt, also sage Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Was soll denn und schreibe keine vier Wochen nach Einbringung. das? Mir ist noch keine Kundgebung ehemaliger Stasi- (Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU) Angehöriger vor dem Stasiknast in Bautzen bekannt geworden. Offensichtlich haben sich hier die Ideologen In dieser Zeit ist es der Opposition schlicht und ergreifend der Extremismusthese durchgesetzt, die es eben nicht nicht möglich, kompetente Sachverständige zu gewinnen. ertragen können, nur ein Gesetz gegen extrem rechte (Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU) Meinungen machen zu sollen. Was als Beschleunigung des Verfahrens daherkommt, (Beifall bei den GRÜNEN, der meine Damen und Herren, ist die bewusste Verschleie- Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD) rung eines Anschlags auf die Freiheitlichkeit unserer Meine Damen und Herren, damit wir uns richtig verste- Verfassung. Dass die vorgebliche Rechtsstaatspartei dazu hen: Ich würde eine solche Versammlung ebenso wie ihre Hand reicht, zeigt, dass ihr Macht und Pöstchen Nazi-Demos politisch aufs Schärfste verurteilen und ihr wichtiger sind als ihre angeblichen Werte. Und ich füge entgegentreten, aber in einer freiheitlichen Demokratie eines hinzu, Herr Dr. Martens: Die Unterstützung dieses müssen wir eben schamlose und provokative Versamm- Gesetzes beschmutzt Ihren Ruf, den Ruf eines Mannes, lungen ertragen, wenn wir nicht den Ast absägen wollen, der noch in diesem Jahr in diesem Hause Absichten zur auf dem wir selbst sitzen. Einschränkung des Versammlungsgrundrechts zu Recht gegeißelt hat. (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD) (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD) Ich frage Sie: Was soll denn das Verbot einer Verharmlo- sung – wie Sie formulieren – der „Folgen des Zweiten Der Gesetzentwurf gibt vor, die Menschenwürde insbe- Weltkrieges“? Was ist damit gemeint? Soll etwa eine sondere der Opfer des Nationalsozialismus und der Verharmlosung der Vertreibung der Deutschen aus dem kommunistischen Gewaltherrschaft schützen zu wollen. Osten oder der Teilung Deutschlands, sicher Folgen des Und, meine Damen und Herren, wer wollte die Men- Zweiten Weltkrieges, verboten werden, oder möchte sich schenwürde in diesem Haus denn nicht schützen – außer die Staatsregierung etwa der Ansicht einiger unverbesser- natürlich der NPD? Aber die Vorantragung der Men- licher Altstalinisten anschließen, die den Mauerbau als schenwürde als Gesetzeszweck ist die alte verlogene Folge der Teilung Europas in zwei Blöcke rechtfertigen? Kommunikationsstrategie zur Abschaffung der Freiheit, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen. Man nehme einen Diese Beispiele mögen genügen, um zu illustrieren, in unbestrittenen Wert wie etwa die Menschenwürde und welche Sinnlosigkeiten sich der Gesetzentwurf aufgrund male eine besonders abscheuliche Gefahr wie Terrorismus seiner extremismusideologischen Prägungen und unbe- oder Kinderpornografie mehr oder weniger berechtigt an stimmten Voraussetzungen verstrickt. die Wand und verspreche Abhilfe mit der Einführung (Beifall bei den GRÜNEN, neuer Verbote und Überwachungsmethoden. Die Schäub- der Linksfraktion und der SPD) les dieser Welt hoffen so die Aufmerksamkeit des besorg- ten Publikums zu täuschen. Genau das versuchen Sie hier, Aber kommen wir doch auf des Pudels Kern: Bringt das meine sauberen Damen und Herren von der schwarz- Gesetz etwas für ein Versammlungsverbot gegen die gelben Koalition. Denn auch der Gesetzentwurf von Nazidemos rund um den 13. Februar in Dresden? Ich Schwarz-Gelb leidet unter offensichtlichen verfassungs- meine nein. Zunächst muss daran erinnert werden, dass rechtlichen Mängeln. die Stadt Dresden seit Jahren eine großflächige Demonst- rationsverbotszone in der Dresdner Innenstadt mit Allge- Was mich aber besonders empört, Herr Dr. Martens, ist meinverfügung durchsetzt. Leider – das sage ich ganz der offene Ungehorsam gegenüber der Rechtsprechung bewusst und auch öffentlich hier – haben die sächsischen des Bundesverfassungsgerichts. Verwaltungsgerichte nicht gewagt, diese pauschalen (Beifall bei den GRÜNEN, Innenstadtverbote, diese Grundrechtsexklaven im Lichte der Linksfraktion und der SPD) des Artikels 8 des Grundgesetzes infrage zu stellen, sondern sie haben stets, wie leider auch dieses Jahr, die Denn Karlsruhe hat seit Jahren klargestellt, zuletzt in der polizeilichen Gefahrenprognosen abgesegnet. Entscheidung aus dem Jahre 2001 in der Auseinanderset- zung mit dem OVG Münster – Ihnen dürfte das bekannt Ihr jahrelanger politischer Druck hat schon ausgereicht, sein –, dass Versammlungen nicht wegen Meinungsäuße- um die Versammlungsfreiheit in Dresden erheblich zu rungen, die strafrechtlich erlaubt sind, verboten werden beschränken. Das neue Versammlungsgesetz kann schon dürfen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Kennen nicht mehr mehr Schaden erreichen, als bisher schon Sie eine Strafvorschrift, die die Befürwortung des SED- angerichtet worden ist. Denn selbst Sie können das Unrechtsregimes unter Strafe stellt? Ich kenne keine. Grundrecht der Versammlungsfreiheit in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz aushebeln.

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Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass es so ist, und im Gedenken an die Vernichtung Dresdens auszudrücken, das ist auch gut so. ein Gesetz, das nationale Deutsche am 13. und Dieses Gesetz bedeutet eine Grenzüberschreitung. Die 14. Februar in der Innenstadt von Dresden zu uner- Koalition möchte die Bedeutung eines Symbols, nämlich wünschten Personen erklärt, ein Gesetz, das Patrioten das, wofür die Rekonstruktion der Frauenkirche stehen zwar noch keinen Stern am Mantel vorschreibt, aber soll, gesetzlich festschreiben und alle anderen Deutungen ihnen verbieten soll, sich im friedlichen Gelände zu repressiv unterdrücken. Ein Erinnerungsort lässt sich in versammeln, wie es alljährlich der Fall war. Es genügt seiner Bedeutung, in seinem Symbolgehalt aber weder Ihnen nicht mehr, die Zahl der Bombenopfer zu verschlei- aktuell noch für die Zukunft eindeutig festlegen. Der Staat ern und auf Bruchteile herunterzurechnen, nein, Sie mischt sich also so mit repressiven Mitteln in den öffent- instrumentalisieren das hunderttausendfache Leid der lichen Meinungskampf ein, der grundsätzlich frei von 1945 ermordeten Menschen für Ihren Kampf gegen staatlicher Einflussnahme zu sein hat. Rechts. Diese Grenzüberschreitung des Staates – Herr 65 Jahre nach diesem organisierten Verbrechen am deut- Dr. Martens, das wissen Sie ganz genau – ist kennzeich- schen Volk sind die Herrschenden so tief gesunken, dass nend für ideologische Staatssysteme, die vorschreiben Sie Trauer per Gesetz verbieten wollen. Meine Damen und kontrollieren wollen, was ihre Bürgerinnen und und Herren, Sie sollten sich schämen. Bürger zu denken und zu fühlen haben. Sie ist angesichts (Beifall bei der NPD) der Flüchtigkeit von Symbolgehalten nutzlos und einer freiheitlichen Demokratie unwürdig. Natürlich begrüßt es die NPD, dass auch DIE LINKE die Aushöhlung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit Nein, meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist eine kategorisch ablehnt. Im Unterschied zu anderen Fraktio- schädliche symbolische Gesetzgebung, die nicht erreicht, nen geht es uns nicht um den Absender eines Antrags, was sie vorgibt, aber Tür und Tor für willkürliche Verbote sondern um die Inhalte, und zumindest der Tenor, grund- öffnet. Sie ist ein Zeugnis dafür, dass diese Koalition gesetzliche Freiheiten vor den tatsächlichen Feinden der abweichende Meinungen nicht ertragen möchte, sondern Freiheit zu schützen, ist unterstützenswert. sie lieber kriminalisiert. Es verwundert natürlich nicht, dass DIE LINKE ihren (Beifall bei den GRÜNEN) Antrag vornehmlich damit begründet, dass der Regie- rungsentwurf auch Einschnitte für die Grundrechte Sie ist ein Zeugnis für die schwache Verankerung demo- gewaltbereiter linksradikaler Gegendemonstranten brin- kratischer Grundwerte 20 Jahre nach der friedlichen gen könnte. Damit bedient man natürlich die eigene Revolution. Ich sage Ihnen: Akzeptieren Sie die Recht- Wählerklientel. sprechung des Bundesverfassungsgerichts, akzeptieren Sie endlich die Risiken der Freiheit und beerdigen Sie Tatsache ist: Wenn es Gruppen gibt, die das Versamm- möglichst schnell diesen schädlichen Gesetzentwurf! lungsgrundrecht missbrauchen und die öffentliche Sicher- heit und Ordnung gefährden, dann sind es linkskriminelle (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion, Anarchisten und pubertierende Antifaschisten, die in ihrer der SPD und des Abg. Dr. Johannes Müller, NPD) argumentativen Ohnmacht immer häufiger zu Steinen und 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr Brandsätzen greifen, und nicht etwa deutsche Patrioten Lichdi. – Es spricht nun Herr Apfel für die NPD-Fraktion. und Nationalisten! Nicht von ungefähr musste selbst Innensenator Holger Apfel, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und Körting gerade erst gestern einräumen, dass es in Berlin Herren! Die NPD unterstützt natürlich durchaus die als Hauptstadt der Gewalt deutlich mehr linke als soge- Aufforderung der Linken an die Staatsregierung, keine nannte rechte Gewalt gebe. Der Verfassungsschutz warf landesrechtlichen Vorschriften zur Einschränkung der der Linken vor, dass sie sich nicht nur nicht genug von Versammlungsfreiheit zu entwickeln. Wenn es in der linker Gewalt distanziert, sondern diese sogar rechtfertigt. Regierungspolitik der letzten Jahre irgendwo Kontinuität gab, dann wohl im Kampf gegen Rechts. Als letztes Meine Damen und Herren! Wenn aber der Pöbel die Aufgebot der Regierung sollen nun auch noch Schritt für Straße regiert, kann das nicht zulasten friedlicher Schritt die Grundrechte demontiert werden. Nicht die volkstreuer Deutscher gehen, die in stiller Trauer der gravierende Massenarbeitslosigkeit, nicht die Verelen- Zerstörung Dresdens gedenken wollen. dung immer größerer Volksschichten, nicht die fortschrei- (Zuruf von den GRÜNEN: Ekelhaft!) tende Abwanderung sind für Sie ein Problem, sondern der Kampf gegen Andersdenkende, die sich erlauben, zum Das geltende Versammlungsrecht des Bundes, meine Beispiel trotz einseitiger Befreiungshysterie auch die Damen und Herren, würde genügend Möglichkeiten Kriegsverbrechen der Alliierten beim Namen zu nennen. bieten, den kriminellen Mob in die Schranken zu weisen und trotzdem das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Im Beitrag der CDU und der FDP ist deutlich geworden, zu gewährleisten. Kaum dass aber das Versammlungsge- dass ein Gesetz geschaffen werden soll, das nicht nur setz mit der Föderalismusreform in die Obhut der Länder bewusst Deutschen verbieten soll, am 13. Februar Trauer gegeben wurde, zeigt sich die undemokratische Gesin-

190 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 nung der Union. Sie freuen sich über den Rückzug des demokratischer Willensbildung von der politischen Bundes und wollen die neu gewonnene Freiheit nutzen, Teilhabe aus. Zum Beispiel steht in Ihrem Gesetzentwurf um die Freiheit anderer zu beschneiden. Sie wollen die geschrieben, dass die Möglichkeit bestehen soll, Ver- kollektive Kundgabe von Meinungen Andersdenkender sammlungen zu versagen, wenn ein ähnliches Thema von im Ansatz ersticken. einem ähnlichen Anmelder an einem ähnlichen Datum – Ein solches Gesetz, meine Damen und Herren, wurde und davon ist eines dieser Kriterien ausreichend – schon nicht etwa von Rot-Grün auf den Weg gebracht, sondern einmal angezeigt worden ist und da schon einmal sicher- von einer Regierung, die neben der Union auch von der heitspolitische Bedenken bestanden. Das würde bedeuten: FDP getragen wird, jenen also, die so gern das Wort Die Anti-AKW-Bewegung, der Protest zum Erhalt des Freiheit im Munde führen, eine Liberalität, die nicht für Welterbes, Organisationen mit dem Schwerpunkt auf das Freiheit, sondern für Feigheit steht, Feigheit gegenüber Engagement gegen Nazis – alle, die Mittel des zivilen Volk und Vaterland, Feigheit gegenüber Andersdenken- Ungehorsams als Protestform jemals in Erwägung gezo- den, Feigheit gegenüber jeder wirklichen Form von gen haben, können durch Ihren Gesetzentwurf marginali- Freiheit! siert und von der Wahrnahme ihrer Grundrechte ausge- schlossen werden. Das ist ein Skandal, würde ich sagen. Die NPD-Fraktion wird sich beim vorliegenden Antrag enthalten, da wir anders als die Linken nicht nur Ja zur Das Versammlungsrecht ist nämlich ein Grundrecht. Es ist Versammlungsfreiheit, sondern auch Ja zu einem eigenen so gedacht, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Ver- sächsischen Versammlungsgesetz sagen, allerdings einem sammlungen anzeigen, damit eine Verwaltung den ent- wirklich freiheitlichen Versammlungsgesetz; einem sprechenden organisatorischen Rahmen bereitstellen Versammlungsgesetz, das sich an den zentralen Grund- kann. Lange Voranmeldefristen waren da zum Beispiel rechten des Grundgesetzes orientiert, so wie wir es in etwas, mit dem mancherorts von Ämtern versucht wurde, unserem eigenen Gesetzentwurf formuliert haben. Wir Einfluss zu nehmen, da dieses Recht auch spontan genutzt wollen echte Meinungsfreiheit für alle friedlichen Akteu- werden kann. re, ein Versammlungsrecht, das seinen Namen auch Zur Wahrheit über die Bannmeile des Landtages, Herr verdient und nicht Spielball politischer Tagelöhner ist! Schiemann, gehört auch, dass es zwar keine gibt, dass aber im Gefolge bestimmter Ereignisse auch das Ver- Meine Damen und Herren! Lassen Sie nicht zu, dass das sammlungsrecht dort schon eingeschränkt worden ist, Versammlungsgesetz als eines der höchsten Güter des indem es auf die Wahrnahme zu bestimmten Anlässen im Rechtsstaates der politischen Willkür geopfert wird! Zusammenhang mit der Tagesordnung beschränkt worden Herzlichen Dank. ist. Auch das ist eine Einschränkung, die eher zulasten der (Beifall bei der NPD) Demokratie geht. Die Behörden sollen nach Ihrem Gesetzentwurf – Kollege 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und Bartl ist schon darauf eingegangen, welchen Flickentep- Herren! Die erste Runde ist beendet. Gibt es weitere pich das bringen würde – darüber entscheiden können, ob Wortmeldungen? – Für die Fraktion DIE LINKE Frau dem Bürger das Recht, das ihm ja eigentlich zusteht, auch Abg. Bonk. zu gewähren ist. Julia Bonk, Linksfraktion: Herr Präsident! Meine Ordnung und Sicherheit werden zu Beginn Ihres Gesetz- Damen und Herren! Es ist ja gerade die traurige Ironie, entwurfes schon begrifflich über Freiheit, Demokratie und Herr Schiemann, dass 20 Jahre nach den Demonstratio- die Wahrnahme dieses Grundrechtes gestellt. Diese nen, derer wir uns heute Morgen erinnerten und die die Umdrehung ist ein weiterer Angriff auf das grundgesetz- Welt veränderten, weil die Menschen ihr verfassungsmä- lich geschützte Verhältnis zwischen Staat und Bürger, von ßiges Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnahmen, denen wir dieser Tage viele verzeichnen mussten, aber dieses Recht auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt den die öffentliche Debatte in den nächsten Tagen und werden soll. sicherlich auch die Verfassungsrichter nicht durchgehen Es war zwar keine Überraschung, dass ein sächsisches lassen werden. Versammlungsgesetz kurz nach der Regierungsbildung Es ist erstaunlich, dass dieser Gesetzentwurf, der unter auf unsere Tische flatterte. Das war angekündigt und ist Sonstiges im Ausschuss eingebracht wurde, drei Wochen trotzdem durch nichts zu rechtfertigen. Sogar dass die später schon zur Anhörung gestellt wird. Die Opposition FDP, die sich eifrig bemüht, die bürgerrechtliche Kolorie- hat da natürlich Schwierigkeiten, Sachverständige zu rung in ihrem Profil schnell zu verlieren, dabei sein finden. Dass Sie als regierungstragende Fraktion die würde, war im Vorfeld klar. Kollegin Friedel ist auf die Möglichkeit hatten, vorher jemanden einzuladen, wird Reihenfolge der Stellungnahmen eingegangen. Aber klar noch zu bewerten sein. ist auch: Sie lösen mit diesem Gesetz kein einziges Insgesamt kann man sagen: Geschluder ist das, Verfah- Problem; stattdessen beschneiden Sie die Demokratie, wo rensbeugung. Sie sie zu schützen vorgeben. Sie wollten sich nicht den Vorwurf machen lassen, dass es Die Regelungstiefe – darauf ist noch nicht eingegangen sich um eine Lex Dresden handelt. Deswegen ist der worden – soll enorm sein und schlösse ganze Spektren 191 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Ausschuss an keiner Stelle angesprochen worden, warum gehören. In Dresden hat auch die Oberbürgermeisterin es überhaupt so schnell gehen muss. Der Koalitionsver- eine Initiative ergriffen, die entsprechenden Aktivitäten trag sagt darüber mehr. Im Zusammenhang mit dem zusammenzuführen. Sie wird künftig auch dazugehören. Gesetz versuchen Sie es zu vermeiden, aber für Koalition Die von ihr mitvertretene Kundgebung an jenem Tag zu und Staatsregierung geht es ganz klar darum, dieses verbieten würde ebenfalls Anliegen Ihres Gesetzentwurfes Gesetz bis zum 13. Februar durchzupeitschen, auch wenn sein. das die Probleme um die größte verbliebene europaweite Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Wochen und Nazidemonstration nicht lösen wird. Sie werden keine Monaten noch in einer Diskussion zu dem Thema sein einzige Neonazidemonstration aufgrund dieses Gesetzes werden und dass die Öffentlichkeit und vor allem Initiati- verhindern. Verbote lösen keine Probleme. Da wird auf ven der verschiedensten Spektren das so nicht hinnehmen andere Daten ausgewichen werden können. Man ändert werden. Es war unser Anliegen, dieses Thema schon jetzt die Anmelder und schon steht das Problem noch immer. in die öffentliche Diskussion zu tragen; deswegen bitte Stattdessen ist eine Stärkung demokratischer Kultur ich um Zustimmung zu unserem Antrag. gefordert, und zwar unter Teilnahme aller Fraktionen, Danke. worauf Kollegin Friedel schon hingewiesen hat. Bürge- rinnen und Bürger müssen die Möglichkeit haben, in (Beifall bei der Linksfraktion) Sicht- und Rufweite ihre Ablehnung gegenüber braunen Brandstiftern ausdrücken zu können. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Frau Bonk. – Meine Damen und Herren, die zweite Runde ist (Beifall bei der Linksfraktion und eröffnet. Möchte noch jemand das Wort ergreifen? – Das vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN) kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung, Sie dürfen nicht durch eine verfehlte Sicherheitsplanung ob sie das Wort wünscht. – Herr Staatsminister ans andere Ende der Innenstadt verfrachtet werden, Dr. Martens, Sie haben das Wort. wodurch der unbeeinträchtige Marsch der Nazis erst Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz: Sehr richtig ermöglicht wird, während die Bürgerinnen und geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Bürger sich nicht direkt artikulieren können. wenn der Antrag zum Versammlungsrecht nicht in den (Vereinzelt Beifall bei der originären Zuständigkeitsbereich des Sächsischen Staats- Linksfraktion und den GRÜNEN) ministeriums der Justiz und für Europa fällt, ich aber gleichwohl hier persönlich angesprochen bin, nehme ich Wer gegen Nazis auf die Straße geht, will auch zeigen, mir auch die Freiheit, zu diesem Antrag Stellung zu dass er gegen Nazis steht. Dieser Diskussionsstand wurde nehmen. in vielen Städten in Deutschland erreicht, ist auch in Dresden seit einigen Jahren eine Forderung der Bürger- Ich komme zum Antrag selbst – und da sollten wir bleiben schaft und wird vom Versammlungsgesetz der Koalition und nicht ins Ungefähre, in wolkige Beteuerungen und untergraben anstatt aufgegriffen. Beschwörungen von Grundrechten ausweichen, sondern wir sollten zunächst beim Antrag bleiben; denn das hilft Natürlich muss die Sicherheit bei solchen Veranstaltungen in der Diskussion wesentlich weiter. Hier wird die Staats- für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und insgesamt regierung aufgefordert, sich jeglicher Gesetzesinitiativen für die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt gewährleistet zu enthalten, die auf die Regelung oder die Beschränkung sein. Bekanntlich gehört auch die An- und Abreise dazu. der Versammlungsfreiheit gerichtet sind. Die Staatsregie- Herr Biesok, die Teilnehmerinnen der Geh-denken- rung soll gegenüber dem Bund darauf hinwirken, dass Demonstration und alle Teilnehmer weiterer Demonstrati- Änderungen des Bundesrechtes unterbleiben und dass onen hatten natürlich das Interesse, friedlich und direkt insbesondere keine Straftatbestände eingeführt oder gegen Nazis zu demonstrieren. erweitert werden, die solche Bürger sanktionieren, die (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) sich friedlich und ohne Waffen versammeln. Ein solcher Überfall wie auf den Gewerkschaftsbus im Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann diesem vergangenen Jahr hätte zum Beispiel nicht passieren Hohen Hause versichern, dass die Staatsregierung mit dürfen, wenn man Leib, Leben und das Recht auf Teil- Sicherheit nichts in der genannten Art und Weise plant nahme an den Demonstrationen schützen will. Aber dazu oder vorhat. müssen die bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft (Beifall bei der FDP, der CDU und des werden, statt den demokratischen Horizont mit weiteren Staatsministers Sven Morlok – Klaus Bartl, Verboten einzuschränken. Linksfraktion: Das hat damit nichts zu tun!) Statt für die Gemeinschaft bedeutende Ereignisse und Sie ist auch nicht bereit, die genannten Punkte auch nur Daten von der öffentlichen Debatte auszunehmen und ins Auge zu fassen, Herr Kollege Bartl. Nebenbei muss damit eine gewisse Deutung gesetzlich festzuschreiben ich darauf hinweisen, dass es nicht nur daran liegt, dass und Versammlungsverbote zu verhängen, muss die die Staatsregierung den von Ihnen angesprochenen Diskussionskultur eine Aufwertung durch die Teilnahme Gesetzentwurf gar nicht vorgelegt hat, sondern dass es ein aller erfahren, die zur demokratischen Gemeinschaft

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Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP war. (Klaus Bartl, Linksfraktion: Nein, es geht auch inhaltlich darum, dass Sie hier Dinge Er erweitert Schranken!) beschwören, die jemand auch nur im Entferntesten in den Es werden weder neue Schranken eingeführt, noch wer- Raum zur Diskussion gestellt hätte. den Schrankenbereiche erweitert. (Beifall bei der FDP, der CDU und (Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion) des Staatsministers Sven Morlok) Es geht hier insbesondere um die Konkretisierung des Auch die von Ihnen angesprochenen Änderungen des altbekannten Schrankenbegriffes „Störung der öffentli- Bundesrechtes kann es so gar nicht geben; denn aufgrund chen Sicherheit und Ordnung“. Sie werden nicht bestrei- der Föderalismusreform – lassen Sie mich das anmerken – ten, dass es sich hierbei um eine anerkannte und seit ist der Gegenstand des Versammlungsrechtes in die Langem gebräuchliche Schrankenbestimmung handelt. Ländergesetzgebungshoheit übergegangen. Der Bund Wenn Sie das tun wollten – ich will es Ihnen nicht un- kann hier gar nicht mehr handeln. terstellen –, dann wäre das unredlich. (Beifall bei der FDP und des Mit dem Gesetzentwurf zum sächsischen Versammlungs- Abg. Dr. Martin Gillo, CDU) gesetz wird das im Bund bereits bestehende und vom Eine erste Bewertung des Antrages ergibt damit: Es ist Bundesverfassungsgericht mehrfach als zulässig angese- schlicht nicht nachvollziehbar, wie die Antragstellerin hene Bundesversammlungsgesetz DIE LINKE zu den hier so lauthals geäußerten Befürch- (Klaus Bartl, Linksfraktion: tungen gelangt. …. extensiv erweitert!) Zur Antragsbegründung. Dort verweisen Sie auf den von in Landesrecht überführt und in seinen Regelungen, den Regierungsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf und § 15 Abs. 1 und 2, entsprechend den Vorgaben der Recht- teilen dem überraschten Leser mit, dass nach diesem sprechung konkretisiert. Das verkennen Sie bewusst im Gesetzentwurf jede örtliche Verwaltung nach Belieben Interesse einer politischen Auseinandersetzung, die Sie entscheiden könnte, an welchen Tagen bzw. Orten sie mit unredlichen Mitteln führen wollen. Versammlungsfreiheit außer Kraft setzen will. Es folgt dann ein Hinweis auf eine prophylaktische Aufhebung der (Beifall bei der FDP, der CDU und Versammlungsfreiheit, die Sie wortreich an die Wand des Staatsministers Sven Morlok) gemalt haben. Als ob das in irgendeiner Weise in diesem Zur Handlungsnotwendigkeit: Auch hier dürften unter Gesetzentwurf stehen würde! Das stimmt einfach nicht. Demokraten im Wesentlichen keine Verständigungs- (Klaus Bartl, Linksfraktion: Selbstverständlich!) schwierigkeiten bestehen. Immer wieder kommt es in Sachsen zu Aufmärschen von mehr oder minder gewalt- Es gibt keine prophylaktische Aufhebung von Versamm- bereiten Rechtsextremisten, bei denen, wie in Dresden, lungsfreiheit, schon gar nicht durch jede örtliche Behörde. angeblich der Opfer des Krieges gedacht werden soll, Eine Kleinigkeit nebenbei – als Jurist werden Sie dafür allerdings nur der deutschen Opfer. Verständnis haben –: Die Kommunen sind gar keine Versammlungsbehörden, außer drei von 500 Kommunen (Zurufe von der NPD: Ja! – Johannes Lichdi, im ganzen Land. Ja, das ist eine Petitesse, Herr Kollege. GRÜNE, steht am Mikrofon.) Bei anderen Sachen sind Sie nicht so großzügig, sondern da wird genau gesucht, bis Sie endlich den Grund finden, 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Staatsminister, um hier eine hysterische Angstattacke zu präsentieren. gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Beifall bei der FDP und der CDU) Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz: Nach- her, bitte. – Und dies in einer Weise, die klarmacht, dass Der Gesetzentwurf selbst berührt nicht das Grundrecht hier zunächst Opferkategorien gebildet und dann gegen- auf Versammlungsfreiheit. einander zur Aufrechnung gebracht werden sollen. (Klaus Bartl, Linksfraktion: Keinerlei!) (Beifall bei der FDP und der CDU) Er wird auch nicht in der Weise genutzt, um etwa die Der Zweck dieser Veranstaltung ist kein Gedenken an Versammlungsfreiheit unter Verwaltungsvorbehalt zu Opfer, sondern in Wirklichkeit der Versuch, nationalsozia- stellen, wie Sie den Eindruck erwecken. Dies würde listischen Geschichtsrevisionismus auf der Straße zu übrigens allenfalls der Gesetzeswirklichkeit in der DDR etablieren. entsprechen, aber nicht jener unter Geltung des Versamm- lungsrechtes. (Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN – Andreas Storr, NPD: (Beifall bei der FDP und der CDU – Klaus Bartl, Reden Sie nicht solch einen Blödsinn!) Linksfraktion: Er geht wesentlich weiter!) Dies dient letztendlich der von den rechten Feinden der Der Gesetzentwurf schränkt Versammlungsfreiheit eben Demokratie stets gewünschten Delegitimierung des nicht ein, sondern er konkretisiert die bereits vorhandenen Schranken der Grundrechtsausübung. 193 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 demokratischen Staates und damit auch der von ihm Johannes Lichdi, GRÜNE: Danke. gewährleisteten Grundfreiheiten. Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz: Wie (Beifall bei der FDP und der CDU) gesagt, wir haben es nicht nur mit dem Phänomen der Wenn Sie sich hier lauthals bekennen, die rechte und rechtsextremistischen Demonstrationen zu tun, die unter nationale Opposition sei so friedlich, lassen Sie mich dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit daherkom- eines anmerken: Gestern wurde im Landgericht Dresden men, sondern dort treten dann auch jeweils Gegende- ein Täter verurteilt, der aus reinem Ausländerhass und monstranten auf, die zumindest in Teilen nicht von einem Islam-Phobie – die er zugegeben und eingeräumt hat – demokratischen Widerwillen gegen rechte Geschichtsklit- terung getrieben werden, sondern wohl eher vom Wunsch (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) nach einer möglichst aktiven Auseinandersetzung mit eine junge Mutter vor den Augen ihres eigenen Kindes im Rechtsextemisten oder – so dies nicht zu haben ist – mit Gerichtssaal erstochen hat und der sich als NPD-Wähler den eingesetzten Polizeikräften. Hier kommt es regelmä- bekannt und nur bedauert hat, dass Sie nicht mehr zu ßig zu massiven Gewalttätigkeiten gegen Polizisten und sagen haben. zu anderen Straftaten. Die Teilnehmer der rechtsextremen Demonstrationen fallen dafür dann während der An- oder (Andreas Storr, NPD: Und wie Abreise durch schwere Gewalttaten auf. Weder die einen viele Mörder wählen die FDP?) noch die anderen Gewalttaten wollen wir hinnehmen. Wie viele Tote brauchen Sie noch, um zuzugeben, dass (Beifall bei der FDP, der CDU das, was Sie betreiben, tödliche Folgen haben kann? und der Staatsregierung) (Beifall bei der FDP, der CDU, Auf der Strecke, jedenfalls im Februar in Dresden, bleibt der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN) ansonsten das stille Gedenken und die würdige Erinne- Lassen Sie mich wieder zum Antrag zurückkommen, zu rung an die Opfer der Zerstörung im Februar 1945 wie den Handlungsbedürfnissen im Bereich des Versamm- auch an alle zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges. lungsrechtes. Mit dem genannten Gesetzentwurf soll dieses Gedenken geschützt und nicht die Versammlungsfreiheit einge- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Gestatten Sie die schränkt werden. Dies verkennt der Antrag. Zwischenfrage? Die Versammlungsfreiheit – das ist immer gesagt worden Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz: Wenn – ist ein hohes Gut. Darüber besteht hier Einigkeit zwi- der Kollege Lichdi so nett ausharrt, ja. schen der Staatsregierung und wahrscheinlich fast allen (Heiterkeit im Saal) Fraktionen im Haus. Das Recht des Bürgers, durch Aus- übung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Lichdi, bitte. Meinungs- und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines Johannes Lichdi, GRÜNE: Hochverehrter Herr Kollege demokratischen Gemeinwesens. Das hat das Bundesver- Dr. Martens! Natürlich harre ich aus, um die Gelegenheit fassungsgericht im sogenannten Brokdorf-Beschluss im zu nutzen, hier eine Frage zu stellen. Jahre 1985 festgestellt. Für die Sächsische Staatsregie- (Jürgen Gansel, NPD: Große Schleimspur!) rung gilt dies uneingeschränkt. Meine Damen und Herren! Es gilt aber auch, dass das Inwiefern halten Sie es für notwendig, den Gesetzentwurf, Selbstbestimmungsrecht der Träger des Grundrechts der den Sie offenbar auch als Mitglied der FDP-Fraktion Versammlungsfreiheit hinsichtlich Ziel und Gegenstand unterstützen – auch wenn Sie hier als Justizminister sowie über Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung nicht sprechen –, mit der Rechtsprechung des Bundesverfas- auch die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigun- sungsgerichtes in Übereinstimmung zu bringen, nämlich gen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen bezüglich des nicht ganz unwesentlichen Details, dass das haben. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht in Bundesverfassungsgericht die Grenzen der zulässigen einem Urteil vom 24.10.2001, Bundesverfassungsge- Meinungsäußerungen mit denen zulässiger Versammlun- richtsentscheidung 104, 92 festgestellt. Das blenden die gen für identisch erklärt hat? Sicher hatten Sie meinem Antragssteller aus. Die Frage kollidierender Rechtsgüter Redebeitrag unschwer entnommen, dass ich dort einen und die Frage, eine tatsächliche Konkordanz zwischen Hauptkritikpunkt sehe. Können Sie bitte darauf eingehen? kollidierenden Rechtsgütern herzustellen, ist eine Aufga- Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz: Darauf be, der man sich vielleicht auf der politischen Bühne noch kann ich sehr gern eingehen. Ich habe im weiteren Teil entziehen kann, nicht aber in der praktischen Politik, meiner Rede genau diese Punkte vorgesehen, diese wenn man Verantwortung für den Schutz der Grundrechte Einwände, die bereits bekannt sind. Im Zuge meiner Rede in diesem Land trägt. werde ich sie weiter beantworten. Sie dürfen dann auch (Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU) nachfragen, wenn es Ihnen nicht reichen sollte.

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Die Sächsische Staatsregierung – lassen Sie mich das so Lichdi – ich bin noch bei der Beantwortung der Frage, deutlich sagen – tritt entschieden für den Schutz der wegen der Redezeit – einfach ausgebüchst. verfassungsgemäßen Ordnung und aller Grundrechte – Warum geht mit dem jetzigen Versammlungsrecht nicht dies vorbehaltlos und uneingeschränkt – ein. Dies gilt das, was Sie vorgeben zu bezwecken? Die Bekämpfung auch für das Recht auf Versammlungsfreiheit. Das möchte von Gewalt können Sie auch mit dem derzeitigen Ver- ich für mich persönlich auch als Liberaler ausdrücklich sammlungsrecht bezwecken. Die Bundesrepublik betonen. Deutschland ist zu keiner Zeit ohne diese Einschränkung Wer den Versuch macht, dieses ohne Grund hier streitig des Versammlungsrechts, die Sie jetzt wollen, in irgendei- zu machen, der muss sich Unredlichkeit vorwerfen lassen. ner Form in Gefahr geraten, untergegangen oder in Einen wirklich ernst zu nehmenden Grund, dies zu sonstiger Weise in Misskredit geraten. Nein, sie brauchte bestreiten, sieht die Staatsregierung nicht. es nie. Sie wollen jetzt, wie man so schön sagt, Ruhe, Vielen Dank. Ordnung und Stille schaffen, wie der verehrte Kollege von der FDP sagte. Das ist im Verhältnis zur Meinungs- (Beifall bei der FDP, der CDU freiheit und zum Versammlungsrecht ausgesprochen und der Staatsregierung) bedenklich.

2. Vizepräsident Horst Wehner: Damit ist die Ausspra- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Die Zwischenfrage ist che beendet. Wir kommen zum Schlusswort. Herr Abg. beantwortet? Bartl, bitte. Klaus Bartl, Linksfraktion: Die Zwischenfrage ist Klaus Bartl, Linksfraktion: Herr Präsident! Meine sehr beantwortet. – Kollege Schiemann, ich habe gedacht, dass verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht annähernd Sie den Antrag gelesen haben und ich ihn nicht im Detail die Chance, in den drei Minuten, die ich für das Schluss- erläutern muss. Ich denke aber, dass Sie noch nicht einmal wort habe, darauf einzugehen. Wir haben aber im Aus- den Gesetzentwurf gelesen haben. Sie haben bezüglich schuss dazu Gelegenheit. des Verfassungsgerichts immer wieder davon gesprochen, Ich will vorab eines sagen: Sie sagen, der Bund sei nicht dass Schranken gesetzt werden, wenn eine unmittelbare mehr zuständig. Wenn die Entscheidung im Rahmen der Gefährdung für die Sicherheit eintrete. Richtig. In Ihrem Föderalismusreform, den Ländern die Zuständigkeit für Gesetzentwurf steht aber auch, dass dem so ist, wenn eine das Versammlungsrecht zu geben, dazu führt, dass wir in unmittelbare Gefährdung für die Ordnung eintritt. Die Zukunft in , in Bayern, in Sachsen, in Thüringen Ordnung ist für Sie das Merkmal, um Versammlungsrecht und in Sachsen-Anhalt ein unterschiedliches Versamm- suspendieren zu können. Im Gesetzentwurf steht: Sicher- lungsrecht haben, dieses Grundrecht gewissermaßen heit und Ordnung – obwohl im Brokdorf-Urteil steht: lokalspezifisch ist, dann muss es schnellstens wieder in Ordnung kann in aller Regel nie Grund sein, Versamm- die Zuständigkeit des Bundes zurückgeführt werden. lungsrecht einzuschränken. (Beifall bei der Linksfraktion und der NPD) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Gestatten Sie eine Zwischenfrage? 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Bartl, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Klaus Bartl, Linksfraktion: Ja, ich gestatte eine weitere Zwischenfrage. Klaus Bartl, Linksfraktion: Selbstverständlich. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Abg. Biesok, bitte. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Lichdi, bitte. Carsten Biesok, FDP: Herr Kollege Bartl, haben Sie Johannes Lichdi, GRÜNE: Herr Kollege Bartl, stimmen mich richtig verstanden, als ich gesagt habe: Ich möchte Sie mit mir überein, dass Staatsminister Dr. Martens für die Dresdner gern wieder die Möglichkeit schaffen, entgegen seiner Zusage mir gegenüber nicht auf meine still und in Ruhe zu gedenken, und nicht, Stille und Ruhe Frage eingegangen ist, in Dresden am 13. Februar herzustellen.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN) Klaus Bartl, Linksfraktion: Kollege Biesok, ich bin ob der Gesetzentwurf mit der rechtsstaatlichen Position ausgesprochen angenehm überrascht, dass Sie in Ihrer zur Meinungsfreiheit als Grenze der Versammlungsfrei- ersten Rede Fragen beantworten. heit – – Carsten Biesok, FDP: Danke. Klaus Bartl, Linksfraktion: Ich stimme Ihnen zu. Wenn er dazu ernsthaft und nachprüfbar hätte Fakten nennen Klaus Bartl, Linksfraktion: Es ist in diesem Haus wollen, hätte er gut und gern 15 Minuten Redezeit benö- inzwischen eine Unsitte geworden, dass dies Abgeordne- tigt, denn diesen Gesetzentwurf kann man nicht wegre- te, die inzwischen seit fünf Wahlperioden hier sind, nicht den. Es ist das Gegenteil von dem, was im Grunde ge- mehr tun – auch Minister nicht. Es gehört im Parlament nommen Ihre Frage war. – Sie, Herr Staatsminister, sind dazu, dass man Fragen stellt und dass Fragen beantwortet vor Beantwortung der entscheidenden Frage des Kollegen 195 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 werden. Ansonsten ist es kein lebendiges Parlament. Weg, wenn ich sage: ... insbesondere. Dann bringe ich Meine Referenz, dass Sie es tun. betreffs des Anlasses, des Ortes und der Zeit Regelfallbei- spiele und lasse zu, dass das jede Behörde nach ihrem (Beifall bei der Linksfraktion, der SPD, Ermessen auffüllt. Damit Ruhe, Ordnung und Stille bei der FDP und den GRÜNEN) Gedenkveranstaltungen ist, wird gnadenlos aufgefüllt In dieser Frage haben wir aber sehr gravierende Differen- werden. Das wird ein Flickenteppich werden. Deshalb zen. Das Versammlungsrecht ist unter anderem konstitutiv werden wir die absolute Suspendierung von Versamm- auch dahin gehend ausgerichtet, dass, wenn eine De- lungsrecht in der bisherigen traditionellen Handhabung in monstration angemeldet ist und einem Teil der Bevölke- der Bundesrepublik Deutschland in Sachsen befürchten rung das bekannt wird, dann der andere Teil sagen kann: müssen. Dazu will ich mich, indem ich präsent bin, und zwar in Wort und Reichweite, genau mit dieser öffentlichen 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Bartl, Ihre Rede- Meinungsäußerung positionieren. zeit ist abgelaufen! (Tino Günther, FDP: Klaus Bartl, Linksfraktion: Ich habe noch 3 Sekunden, Vergessen Sie die Frage nicht!) aber ich will es damit bewenden lassen.

2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Bartl, Sie antwor- (Heiterkeit) ten auf die Zwischenfrage? Herr Präsident, ich bedanke mich für die Geduld betreffs der Überziehung meiner Redezeit um 10 Sekunden. Klaus Bartl, Linksfraktion: Dass das still und ruhig geht – – Danke schön. (Tino Günther, FDP: Die Frage (Beifall bei der Linksfraktion) nicht vergessen, die er gestellt hat!) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr Dass das nicht still und ruhig geht und dass Erinnerungs- Bartl. – Meine Damen und Herren! Wir kommen zu dem kultur – das habe ich eingangs gesagt – nicht das Verfas- Antrag, vorliegend in Drucksache 5/402. Hierbei handelt sungsgut sein kann, welches ich gegen das Versamm- es sich um einen Änderungsantrag der Fraktion BÜND- lungsrecht setze, geht nicht. NIS 90/DIE GRÜNEN. Ich bitte um Einbringung. Herr (Beifall bei der Linksfraktion) Lichdi, bitte. Ich kann nicht Erinnerungskultur als Verfassungswert Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit setzen. dent! Meine Damen und Herren! Ich glaube, jeder in Das halte ich als Ansatz für nicht statthaft. Wir werden diesem Haus, der sich die Ohren und das Hirn nicht ganz sehen, ob es die Verfassungsgerichtsexperten so sehen wie fest mit Ideologie zugestopft hat, konnte bemerken, mit wir oder ob sie es so sehen wie Sie. welcher geistigen und rhetorischen Brillanz – das möchte ich ihm zugestehen – unser neuer Justizminister hier einen (Carsten Biesok, FDP, steht am Mikrofon.) Popanz aufgebaut hat. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Die Zwischenfrage ist Ich bin schon in der Zwischenfrage darauf eingegangen, beantwortet? dass er auf die entscheidende Frage, nämlich die Frage der Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Klaus Bartl, Linksfraktion: Die Zwischenfrage ist dem Versammlungsrecht, nicht eingegangen ist. Sie, Herr beantwortet. Dr. Martens, sind ein zu kluger Jurist, als dass Sie nicht (Carsten Biesok, FDP, geht wieder zu seinem wüssten, warum Sie genau das unterlassen haben. Platz. – Heiterkeit bei der CDU und der FDP) Ich nehme Ihnen darüber hinaus übel – darauf richtet sich Herr Staatsminister, worüber Sie in einem fort reden: In unser Änderungsantrag –, dass Sie hier in Ihrem Redebei- Ihrem Gesetzentwurf wimmelt es nur so von unbestimm- trag so getan haben – das war eine bewusste Irreführung ten Rechtsbegriffen. Es ist ein Gesetzentwurf, in dem der Öffentlichkeit –, als ob das bisherige Versammlungs- steht: ... insbesondere, ... insbesondere, ... insbesondere. recht nicht ausreiche, um Gewalt von Rechts, von Links Sie sagen zunächst in § 15 Abs. 1 Satz 2: Eine Versamm- oder von wem auch immer zu unterbinden. Das nehme ich lung, ein Aufzug kann insbesondere verboten werden oder Ihnen persönlich übel, denn Sie müssten es besser wissen; von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, ich weiß, Sie wissen es besser. wenn ... Dann zählen Sie auf: wenn die Versammlung an Wir wollen mit unserem Änderungsantrag genau wissen, dem Ort und der Zeit stattfindet ... welches die Rechtsgründe sind, die es jetzt verbieten, am Was heißt das? Was darf ich noch hinzufügen? Welche 13. und 14. Februar räumliche und zeitliche Beschrän- Anlässe gibt es denn noch, bei denen Plauen, Chemnitz kungen in Dresden, beispielsweise an der Synagoge oder oder Görlitz sagen kann, dass diese das so ähnlich sehen? in der Umgebung der Frauenkirche, anzuordnen. Ich bin Was ist denn das? Was ist das im Zusammenhang mit in meinem Redebeitrag darauf eingegangen. Seit über „Schranken setzen“ für das Versammlungsrecht für ein zehn Jahren gibt es die Allgemeinverfügung – leider von 196 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 den Gerichten gehalten. Ich möchte von Ihnen bzw. von Meine Damen und Herren! Ich lasse darüber abstimmen der Staatsregierung wissen, inwieweit die bisherige und bitte um die Dafürstimmen. Rechtslage nicht ausreicht, die Menschenwürde zu schüt- (Julia Bonk, Linksfraktion, zen. In der Begründung habe ich davon nichts gelesen. signalisiert Redebedarf.) (Beifall bei den GRÜNEN und – Entschuldigung! Es gibt noch Wortmeldungen dazu; des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion) Frau Bonk. Es ist ja wohl offensichtlich, dass § 15 Abs. 1 Satz 2, in dem auf „vergleichbare Versammlungen oder Aufzüge“ in Julia Bonk, Linksfraktion: Danke, Herr Präsident. – der Vergangenheit Bezug genommen wird, aufgrund der Zuerst zu dem Änderungsantrag der Fraktion BÜND- aktuellen Ereignisse in Leipzig hereingerutscht ist. Die NIS 90/DIE GRÜNEN! Diesem möchten wir gern zu- dortigen Übergriffe der Nazis sind natürlich zu verurteilen stimmen. Wir finden es gut, dass von der Fraktion die und zu bekämpfen. Solch ein Umstand kann bei der Konkretisierung kommt, dass die Veränderung der gelten- Beurteilung, ob Auflagen bezüglich künftiger Nazide- den Rechtslage zur Erreichung der erklärten Ziele im monstrationen anzuordnen sind, herangezogen werden. Prinzip nicht nötig ist. Wir sind in der Debatte auch Aber sagen Sie uns doch bitte, warum Sie dafür ein neues darauf eingegangen, dass wir Ihre Auffassung vielleicht Gesetz brauchen. Die geltende Rechtslage ist insoweit nicht teilen, wonach in den dort genannten Städten immer ausreichend. schon die entsprechenden Sicherheitsbereiche nach Polizeigesetz, das heißt Kontrollbereiche, eingerichtet Herr Dr. Martens, Sie widersprechen sich auch selbst. Sie worden seien, und dass deshalb schon in der Vergangen- haben hier ausgeführt, das sei alles nichts Neues, sondern heit das Versammlungsgesetz immer ausgehebelt wurde. nur eine Konkretisierung der bisherigen Schranken. Was Aber das ist der Fall. Das ist ein weiterer Grund, warum denn nun? Wenn es eine Konkretisierung der bisherigen wir nicht sehen, dass es eine solche Neufassung des Schranken ist, dann ist es eine schädliche symbolische Versammlungsgesetzes geben muss. Deshalb stimmen wir Gesetzgebung. Ich erinnere mich, wie sich der verflossene dem Änderungsantrag zu. Ich denke, er komplettiert den Justizminister Mackenroth hier in seiner unnachahmli- ursprünglichen Antrag in günstiger Weise. chen Art hinstellte und sagte: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen, ist es nötig, kein Gesetz zu machen.“ Danke. (Beifall bei der Linksfraktion) (Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)) Was Sie hier tun, ist Symbolgesetzgebung. Sie befriedi- gen Ihren Koalitionspartner in seinem schädlichen Tun. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Frau Bonk. – Gibt es weitere Wortmeldungen zu dem Ände- (Geert Mackenroth, CDU: rungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? Dieses Gesetz ist nötig!) – Ich kann keine feststellen. Ich wiederhole: Mit einer freiheitlichen, liberalen, grund- Wir können zur Abstimmung kommen. Ich bitte um die rechtsorientierten Politik hat das überhaupt nichts zu tun. Dafür-Stimmen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Deswegen bitte ich Sie, unserem Gesetzentwurf zuzu- Stimme? – Bei zahlreichen Stimmen dafür und Stimment- stimmen. Tun Sie das nicht, werden wir uns in Leipzig haltungen ist der Änderungsantrag dennoch mit Mehrheit und Karlsruhe wiedersehen. Dort werden wir Erfolg abgelehnt worden. haben. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag in der Danke. Drucksache 5/299. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Gleiches Stimmverhalten: Bei zahlreichen Stimmen dafür 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Lichdi, Sie mein- und Stimmenthaltungen ist der Antrag mit Mehrheit ten bestimmt den Änderungsantrag mit der Drucksachen- abgelehnt worden. nummer 5/402. Damit ist Tagesordnungspunkt 7 beendet. (Johannes Lichdi, GRÜNE: Ja! – Ich rufe auf Lachen bei der CDU)

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Tagesordnungspunkt 8 „Weltoffenes Sachsen“ – Evaluation des Landesprogramms veröffentlichen Drucksache 5/291, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Fraktionen können hierzu in folgender Reihenfolge Ich könnte an dieser Stelle Nebenschauplätze aufmachen Stellung nehmen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, und darauf hinweisen, dass allein die realen Zahlen solch DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, ein völlig undifferenziertes Nebeneinanderstellen von wenn gewünscht. Links- und Rechtsextremismus verbieten. Dazu genügt ein kurzer Blick in den Verfassungsschutzbericht des Es beginnt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Freistaat Sachsen. Ich nenne nur zwei Zahlen: Wir lesen Herr Abg. Jennerjahn, Sie haben nun das Wort. von 2425 Delikten in dem Phänomenbereich „Politisch Miro Jennerjahn, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- motivierte Kriminalität ‚rechts’“ im Jahr 2008. Schauen dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde wir in den Phänomenbereich „Politisch motivierte Krimi- erwähnt: Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir die nalität ‚links’“, so finden wir dort 487 Delikte. Sie sehen: Diskussion über die Zukunft des Landesprogramms ein deutlicher Unterschied. „Weltoffenes Sachsen – Für Demokratie und Toleranz“ (Jürgen Gansel, NPD: Meinungsdelikte! eröffnen. Ich habe gestern mit einiger Freude zur Kennt- Dann kriegen Sie die Statistik auch bereinigt!) nis genommen, dass das Innenministerium kurzfristig noch eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der ein – Herr Gansel, wir kommen noch auf die Kriminalität Internet-Link veröffentlicht wurde, unter dem zumindest Ihrer Klientel zu sprechen. Immer mit der Ruhe! ein Teil der Ergebnisse der Evaluierung des Programms (Beifall bei den GRÜNEN) „Weltoffenes Sachsen“ zu finden ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die jüngst Erstaunlich ist allerdings, dass selbst Mitglieder des veröffentlichte Erklärung von zehn Wissenschaftlern Beirates des Landesprogramms bislang nicht wussten, verweisen, die – das muss man dazusagen – mit Bezug dass diese Ergebnisse schon irgendwo veröffentlicht auf den Bund davor warnen, die Extremismen in einen waren. Wie gesagt, ich werte das zunächst einmal als Topf zu werfen und gegeneinander auszuspielen. freudige Überraschung. Offensichtlich ist dem Innenmi- nisterium Transparenz deutlich wichtiger als der Staats- (Alexander Delle, NPD: kanzlei in der Vergangenheit, die zuvor für das Landes- Die haben bloß Angst um ihr Geld!) programm zuständig war. Das Kernproblem ist ein anderes. Statt Probleme und Auch wenn es sich um einen Fortschritt handelt: Unter Gefahren konkret beim Namen zu nennen, arbeiten Sie diesem Link sind noch nicht alle Ergebnisse aus der mit dem durch und durch schwammigen, inhaltlich nicht gesamten Zeit des Landesprogramms veröffentlicht ernsthaft untersetzten Begriff „Extremismus“. Mehr noch, worden. Wir möchten die Gelegenheit nutzen – das ist der Sie blenden den größten Teil des Problems aus und tun so, Anlass für die Debatte –, um über die zukünftige Gestal- als gäbe es eine an sich intakte, demokratisch gefestigte tung des Landesprogramms zu diskutieren. Gesellschaft, die lediglich von ihren Rändern her bedroht werde. Der Koalitionsvertrag enthält einen positiven Aspekt. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass die Fortführung des Dass menschenfeindliche und damit im Grunde antide- Programms vorgesehen ist. Das ist für mich aber kein mokratische Einstellungen bis weit in die Mitte der Grund, mich beruhigt zurückzulehnen; denn in dem Gesellschaft reichen, ist aus wissenschaftlicher Sicht Koalitionsvertrag stolpert man auch über eine sehr un- längst ein Gemeinplatz. Ich musste kürzlich – trotz des glückliche Formulierung; sie ist gestern von einem FDP- ernsten Themas – ein wenig schmunzeln, als verschiedene Kollegen positiv ausgelegt worden. Ich zitiere den ent- sächsische Zeitungen erschrocken die weite Verbreitung sprechenden Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Wir vertei- fremdenfeindlicher Einstellungen in der sächsischen digen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung Bevölkerung thematisierten. Sie haben sich dabei aller- gegen die Extremisten von links und rechts.“ dings auf eine Studie aus dem Jahr 2006 bezogen. Aus Das ist aus meiner Sicht nicht ermutigend, denn es wirft meiner Sicht ist es durchaus bedauerlich, dass es drei uns in der inhaltlichen Auseinandersetzung um Jahre Jahre dauert, bis solche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zurück. Wir waren, was die Problemanalyse betrifft, gelangen. Nach der Debatte gestern und der bisherigen schon einmal deutlich weiter. Ich finde es sehr bedauer- Diskussion heute habe ich allerdings das Gefühl, meine lich, dass Sie diesen inhaltlichen Schritt zurück gemacht Damen und Herren von CDU und FDP: Bei Ihnen dauert haben. das noch beträchtlich länger. (Beifall bei den GRÜNEN und (Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion) vereinzelt bei der Linksfraktion)

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Ich habe bereits in der gestrigen Aktuellen Debatte zu gegen rechtes Gedankengut müssen wir ständig alle neonazistischer Gewalt in Sachsen darauf verwiesen, dass Maßnahmen auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls die eigentliche Frage lautet, wie wir eine demokratische, Korrekturen vornehmen.“ an den Menschenrechten orientierte Alltagskultur stärken Eine kritische Überprüfung der zurückliegenden Arbeit ist können. Wer in diesem Sinne arbeiten möchte, muss sicherlich erforderlich. Aber gerade deshalb ist es auch selbstverständlich wissen, was an demokratiegefährden- notwendig, sich an der Evaluierung des Landespro- den Potenzialen vorhanden ist, seien es Antisemitismus, gramms zu orientieren. Rassismus, Ihr Spezialgebiet, meine Damen und Herren von der NPD – Verherrlichung des Nationalsozialismus –, Meine Damen und Herren! Es ist an der Zeit, die Erfolge oder auch andere menschenverachtende Ideologien. der im Rahmen des Landesprogramms geförderten Pro- jekte zur Kenntnis zu nehmen und das erfolgreiche Wenn es Autonome gibt, die sich als „links“ verstehen Engagement der Initiativen zu würdigen. und die Gewalt als Mittel der politischen Interessendurch- setzung rechtfertigen, ist natürlich auch dagegen vorzuge- Danke schön. hen. Das steht völlig außer Frage. Es darf aber nicht dazu (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) führen, dass so getan wird, als sei im Grunde alles das Gleiche, jede Gefahr sei gleich groß. Das hat dann nichts 2. Vizepräsident Horst Wehner: Danke, Herr Jenner- mehr mit einer Analyse der Realität und dem Ausrichten jahn. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt Herr Abg. des eigenen politischen Handelns an dieser Realität zu Rohwer. tun. Es erinnert vielmehr daran, die Realität krampfhaft an die Prämissen der eigenen Ideologie anpassen zu wollen. Lars Rohwer, CDU: Herr Präsident! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn etwas (Beifall bei den GRÜNEN) grundsätzlicher werden. Worte sind nichts als Schall und Statt eine diffuse Extremismusbekämpfung zu propagie- Rauch, wenn man sie nicht mit Inhalten füllt. Das gilt ren, wäre es also wichtig, wenn sich die Koalitionspartei- gerade für die Worte „Weltoffenheit, Demokratie und en zur Unterstützung ortsangemessener Strategien und Toleranz“. Häufig muten sie eben als Worthülsen an. Sie Demokratieförderung bekennen würden, denn ihr eigent- scheinen für alle wichtig zu sein, sind aber kaum wirklich liches Problem ist die mangelnde Verankerung der Demo- sichtbar. kratie und ihrer Werte. Viele Bürgerinnen und Bürger Uns Abgeordneten, die wir monatlich im Plenum zusam- akzeptieren die Demokratie nicht in ausreichendem Maße men tagen und über die Geschicke unseres Freistaates als die ihre. Das Stichwort „Wahlbeteiligung“ ist gestern entscheiden, fällt es manchmal gar nicht mehr so ins mehrfach genannt worden. Das ist ein Indikator dafür. Auge. Die Stimmung der Bürger drückt aber oft das Die Hauptherausforderung liegt somit nicht in der staatli- Gegenteil aus. Nur gut, dass sich deswegen der Freistaat chen Bekämpfung irgendwelcher politischen Gruppen, Sachsen seit 2004 auf die Fahne geschrieben hat, Weltof- sondern in der Stärkung unserer Demokratie, und das ist fenheit, Demokratie und Toleranz für alle noch sichtbarer die eigentliche Aufgabe des Landesprogramms „Weltof- zu machen. fenes Sachsen“. In diesem Sinne haben die vielen Projek- (Beifall bei der CDU und der FDP) te, Vereine und Initiativen in den letzten Jahren überwie- gend erfolgreich gewirkt. Mit dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ haben wir ein Programm geschaffen, das Maßnahmen gegen Extremis- Nichtsdestotrotz wäre es genauso ein Fehler, am Beste- mus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus von henden festzuhalten, denn jedes Förderprogramm und „unten“, aus der Bevölkerung, mit der Förderung von jede Arbeit muss logischerweise kontinuierlich weiter- „oben“ verbindet. entwickelt werden. Wir brauchen also dringend eine Qualitätsdebatte, wohin das Landesprogramm „Weltoffe- (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) nes Sachsen“ entwickelt werden soll. Das weltoffene Sachsen bleibt deshalb auch in Zukunft (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion) wichtiger Eckpfeiler des Koalitionsvertrages zwischen CDU und FDP. Diese Debatte möchten wir gerne mit den anderen demo- kratischen Parteien und Fraktionen und selbstverständlich (Beifall bei der CDU und der FDP) den zivilgesellschaftlichen Akteuren führen. Eine solche Machen wir uns aber nichts vor: Antidemokratische, Debatte kann allerdings nicht im luftleeren Raum und vor intolerante und extremistische Strömungen sind immer allem nicht spekulativ geführt werden, sondern sie noch sehr umtriebig in unseren sächsischen Gefilden. braucht eine solide Basis. Diese Basis bilden aus der Sicht Leider mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass wieder, meiner Fraktion die Ergebnisse der Evaluierung des am 8. November 2009, ein Anschlag auf die Dresdner Landesprogramms, die in den letzten Jahren durchgeführt Synagoge vollzogen worden ist. Wir mussten das mit wurde. Erschrecken zur Kenntnis nehmen. Wie ich finde, eine Der Kollege Zastrow ist erfreulicherweise anwesend. Sie feige und zu verachtende Tat. haben noch im August gesagt: „In der politischen Bildung

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Erschrocken und beinahe gelähmt waren wir, als wir im sen“ im Sächsischen Staatsministerium des Innern. Da Juli von dem grausamen Mord an der Muslimin Marwa wird uns der Staatsminister des Innern noch einige Infor- im Dresdner Landgericht erfahren haben. Nicht nur die mationen während der Debatte geben können, wie die Tat hat uns alle schockiert, auch das Motiv der Fremden- Ausrichtung aussehen wird. feindlichkeit hat uns vor Augen geführt, wie pervers die Worum geht es uns? Wir wollen bei der Neuausrichtung Ideologie des Rechtsextremismus ist und zu welchen eine Marke etablieren, die für eine Marke einer gelebten Ausmaßen sie führen kann. Das geht ganz klar an die Weltoffenheit, gelebten Demokratie und gelebten Tole- Adresse der NPD, ist es doch ihre perfide Ideologie, die ranz steht, die über den Freistaat Sachsen hinausgeht. sie mit dem Mörder Marwas teilen. Wenn ich von Marke spreche, spreche ich nicht über (Beifall bei der CDU und der FDP – Währung, sondern darüber, dass die Botschaft aus Sach- Jürgen Gansel, NPD: Das hat sen sein muss, dass trotz einer NPD, trotz solcher Vor- er aus Russland mitgebracht!) kommnisse wie im Landgericht Dresden dieser Freistaat weltoffen, tolerant und ein Hingeh-Land ist. In diesem Aber glauben Sie nicht, meine Damen und Herren von der Sinne hoffe ich, dass wir diese Debatte relativ sachlich zu NPD, die bürgerlichen Parteien würden Ihrem blinden Ende bringen können. Ich habe Ihnen ja schon begründet, Aktionismus tatenlos zusehen. Es wird Ihnen nicht warum wir diesen Antrag heute ablehnen werden, näm- gelingen, unsere Demokratie zu unterwandern oder auf lich, weil das Ziel des Antrages der Fraktion GRÜNE wacklige Füße zu stellen. bereits erfüllt ist. Steigen wir ein in die Diskussion zur (Zuruf von der NPD: Ihr macht Neuausrichtung des Programms „Weltoffenes Sachsen“! euch doch selber kaputt!) Vielen Dank. Unsere Demokratie ist fest verankert, und zu ihr gehört (Beifall bei der CDU und der FDP) es, an die Pogromnacht vom 9. November 1938 zu erin- nern. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Von der Fraktion DIE Angesichts solcher Ereignisse ist es das richtige Signal, LINKE liegt mir eine Wortmeldung vor. Frau Abg. das Programm „Weltoffenes Sachsen“ fortzuführen, aber Klinger, Sie haben das Wort. nicht nur deswegen, sondern gerade weil es seit 2004 eine Freya-Maria Klinger, Linksfraktion: Sehr geehrter Herr Erfolgsgeschichte geworden ist. Dazu haben neben der Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich Politik vor allem viele Initiativen und Projekte beigetra- finde es gut, dass der Antrag hier debattiert wird, auch gen. Sie versuchen täglich und kreativ, Menschen mit wenn er etwas dünn gestrickt ist und das geforderte Ideen zur demokratischen Teilnahme zu begeistern, sie für Ergebnis bereits vorliegt. Ich freue mich, dass Herr Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz zu aktivieren. Rohwer erkannt hat, dass es wichtig ist, über eine Neu- Wir dürfen aber nicht blindlings unsere Augen verschlie- ausrichtung zu sprechen. ßen. Nicht jedes Projekt ist mit seinem Programmansatz Wir hatten gestern die Aktuelle Debatte zum Thema und mit seiner Umsetzung auch erfolgreich und ein „Neonazistische Gewalt und Fremdenfeindlichkeit in Beitrag für die Gesellschaft. Deshalb hat die Staatskanzlei Sachsen“. In dieser haben wir gehört, wie hoch die Zahlen das Förderprogramm evaluiert. Die Investitionen in dieses von Opfern rechter Gewalt sind und wie viele Verletzte es Programm müssen sich lohnen. Die Projekte sollen allein in diesem Jahr gegeben hat. Herr Jennerjahn hat das zielgerichtet arbeiten. Darüber sind wir uns sicher hier im auch noch einmal in seinem Beitrag angeführt. Hohen Haus einig, meine Damen und Herren. Auch Herr Innenminister Ulbig hat gestern auf die Dring- Nun dienen Evaluationen nicht nur dazu, Dinge genau lichkeit und Notwendigkeit, das Problem anzugehen, unter die Lupe zu nehmen und kritisch zu bewerten, sie hingewiesen. Die Ergebnisse der U-18-Wahlen sprechen sind eben auch wichtiges Informationsmedium für die ebenso für sich wie verschiedene Studien, die belegen, Öffentlichkeit. wie weit Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitis- Der Evaluationsbericht ist bereits seit August im Netz. Ich mus, Homophopie, Antiziganismus und Weiteres in der glaube, da haben Sie als Fraktion den Antrag noch gar Gesellschaft verbreitet sind, und zwar bis in deren Mitte. nicht schreiben können. Ein bisschen eher nachschauen Vor fünf Jahren legte die Staatsregierung das Programm wäre auch gut gewesen. Dann hätten wir diesen Antrag „Weltoffenes Sachsen“ auf, ein grundsätzlicher und heute nicht auf der Tagesordnung, denn die Frage für notwendiger Schritt, den auch die damalige PDS-Fraktion mich ist in der Tat: Worüber entscheiden wir jetzt? Sie lange eingefordert hatte. Ich finde es schon etwas schein- wollen den Evaluationsbericht. Er steht im Netz. Also hat heilig, wenn sich die CDU-Fraktion hier feiert und be- sich Ihr Antrag eigentlich erledigt. Trotzdem gibt uns der klatscht. Machen Sie sich doch nichts vor: Ohne die SPD Antrag die Möglichkeit, heute darüber zu sprechen, wie in der Regierung und ohne den Einzug der NPD ins wir die Neuausrichtung gestalten werden. Sie wissen, im Parlament wäre dies nicht geschehen. Koalitionsvertrag gibt es eine Aussage, dass es mehr in Richtung Prävention gehen soll. Seit Anfang dieses Heute fordern die GRÜNEN in ihrem Antrag die Veröf- Monats ressortiert dieses Programm „Weltoffenes Sach- fentlichung der Ergebnisse der Evaluation des Pro- gramms. Eine Evaluation ist natürlich nur dann sinnvoll, 200 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden. Darauf einmal, Herr Rohwer. Was wir brauchen, ist eine Gesell- weisen Sie in der Begründung Ihres Antrages hin. Damit schaft von Menschen mit Zivilcourage, die sich aktiv und wäre alles zum Antrag gesagt. Ich möchte aber die Gele- aus Eigeninitiative in ihr Gemeinwesen einbringen und genheit nutzen, um aus Sicht der Fraktion DIE LINKE ein die achtsam sind, wenn Grundwerte der Demokratie durch paar grundlegende Dinge zum Programm anzusprechen. Reden und Handeln verletzt werden. An erster Stelle fordern wir die Sicherstellung der Finan- Herr Rohwer, Sie haben angeführt, dass unsere Demokra- zierung der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt und tie fest verankert ist. Hierzu möchte ich noch einmal auf des Kulturbüros Sachsen, an das die mobilen Beratungs- das Beispiel 13. Februar zurückkommen. Wie kann es teams angebunden sind. Wir fordern hier eine institutio- denn sein, dass Menschen aus dem gesamten Bundesge- nelle Förderung. Unter der Maßgabe der Debatte, die biet anreisen, um zu protestieren und einen Naziauf- gerade auf Bundesebene geführt wird, werten wir es als marsch zu verhindern, aber die Anzahl der Dresdnerinnen verantwortungslos, diese etablierten und wichtigen und Dresdner, die sich daran beteiligen, an einer Hand Akteure in der Arbeit gegen Neonazismus nicht weiter abzählbar ist? Da ist es doch mit der Zivilcourage der gefördert zu sehen – im Gegenteil, hier bedarf es sogar hiesigen Bevölkerung nicht weit her. Hier sind auch Sie einer Aufstockung der Mittel. Eigentlich bräuchte jeder gefordert, meine Damen und Herren von den Koalitions- Landkreis sein mobiles Beratungsteam. Die Ausweitung fraktionen und von der Staatsregierung, Voraussetzungen der Bundesprogramme gegen Rechts auf Linksextremis- zu schaffen, damit couragiertes Handeln eine Selbstver- mus und Ausländerextremismus ist angesichts der derzei- ständlichkeit wird. Mit Verboten, wie Sie sie planen, tigen Lage nicht nur politisch fragwürdig, sie kommt auch werden Sie das nicht erreichen. einer faktischen Kürzung der Mittel im Kampf gegen (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion) Nazis und deren Ideologie gleich. Nicht umsonst warnt ein Expertengremium von Wissenschaftlern vor einer Couragiertes Handeln lässt sich auch nicht mit ein paar „Rückkehr in die Denkschablonen wie im Kalten Krieg“. Euro erkaufen. Ein Fördermittelprogramm kann hier nur Die Summe der im Programm eingestellten Mittel beträgt ein Baustein sein, wenn auch ein notwendiger. Wir brau- insgesamt 2 Millionen Euro. Davon sind in den letzten chen ein gesamtgesellschaftliches Konzept, ich denke Jahren allerdings nur knapp drei Viertel tatsächlich bei dabei zum Beispiel an „Tolerantes “, was ein den Vereinen, Verbänden und Trägern angekommen. Das sehr gutes Konzept ist. ist deutlich zu wenig. Bis zum letzten Jahr hat sich die (Sebastian Fischer, CDU: Staatsregierung kräftig aus diesem Topf bedient, um Das Ergebnis sehen wir ja!) Öffentlichkeitsarbeit für sich selbst zu betreiben. Damit muss endlich Schluss sein. Die Intention des Antrages ist richtig, seine Ausführung ist etwas halbherzig, das wird sich klären, aber als Grund- (Beifall des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion) lage einer Weiterentwicklung des Programms „Weltoffe- 2 Millionen Euro eingestellte Mittel heißt auch 2 Millio- nes Sachsen“ sicherlich notwendig. Deshalb können wir nen Euro, die der konkreten Arbeit gegen Rechts zur dem Antrag, wenn er zur Abstimmung gestellt werden Verfügung stehen müssen. sollte, zustimmen. Ich möchte noch eine Frage an die neue Staatsregierung (Beifall bei der Linksfraktion) richten: Wie wollen Sie in Zukunft die Praxis der Vergabe 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Frau regeln? Wir als Linke fordern klare, nachvollziehbare Klinger. – Ich bitte nun Herrn Homann von der SPD- Kriterien, die die Grundlage für die Entscheidung der Fraktion, das Wort zu nehmen. Mittelvergabe bilden. Wir wollen keine bloße Behörden- willkür, wir wollen keine Zufälligkeit. Wir fordern einer- Henning Homann, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! seits eine regionale Ausgewogenheit der Angebote, die Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr sich an alle Altersgruppen richten, andererseits ist die Minister, mit großem Interesse und durchaus positiv habe inhaltliche Ausrichtung und Qualität der beantragten ich gestern Ihre Worte verfolgt, und nicht nur ich, sondern Projekte wesentlich für die Vergabe der Fördermittel. auch viele Initiativen aus der Zivilgesellschaft schauen in Hierzu ist es notwendig, die Förderung des Programms zu diesem Moment sehr genau hin, was sich bei der neuen evaluieren bzw. die Evaluierung zu veröffentlichen. In Koalition tut. Sie haben als Oberbürgermeister der Stadt Zukunft ist verstärkt darauf zu achten, inwieweit Projekte Pirna den Kampf aufgenommen. Sie werden heute in der sich wirklich gegen Auswüchse rechter Ideologie, Frem- „Zeit“ mit dem Satz zitiert: „Das war damals überhaupt denfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus usw. wen- nicht schick.“ Und Sie haben recht, das war damals nicht den. Ich befürchte, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine schick, und deshalb mein Respekt für die Courage, die Sie relevanten Aussagen zur Nachhaltigkeit getroffen werden schon damals gezeigt haben. Weil es nicht schick war und können. weil es vielen konservativen Politikern schwerfällt, das Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen Thema Rechtsextremismus in den Kommunen klar zu aber nicht nur ein Förderprogramm und nicht unbedingt benennen, gibt es auch ein gewisses Misstrauen gegen- eine Marke, oder Sie erklären mir Ihr Konzept noch über dem, was die neue Koalition mit dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ macht. 201 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Das Programm „Weltoffenes Sachsen“ hat in den letzten ich bin hier für vollständige Transparenz. Es geht darum, Jahren ohne Frage viel erreicht und Initiativen und Pro- dass öffentliche Mittel dazu verwendet werden, um ein jekte vor Ort gefördert, die in den Schulen und Jugendein- weltoffenes Sachsen zu schaffen. Dazu sollten wir schon richtungen Überzeugungsarbeit leisten mussten. Es gehört genau wissen, welche Gruppen diese Mittel bekommen auch zur Wahrheit, dass es nicht immer mit der Unterstüt- haben, was sie damit gemacht haben und was daraus zung der Bürgermeister passiert ist, sondern leider oft geworden ist. genug eher dagegen. Die Landesregierung möchte das (Beifall bei der FDP, des Abg. Dr. Martin Gillo, Programm „Weltoffenes Sachsen“ fortsetzen und neu CDU, und des Staatsministers Sven Morlok) ausrichten. Ihre gestrige Ankündigung, die Netzwerke und Projekte fortzusetzen, begrüße ich. Sie haben gesagt, dass CDU und FDP haben sich im Koalitionsvertrag darauf Sie auch gegen Linksextremismus vorgehen wollen. Auch verständigt, das Programm „Weltoffenes Sachsen für das ist notwendig. Aber das in einem Projekt zu tun, wirft Demokratie und Toleranz“ fortzuführen. Das möchte ich Fragen auf, die der Kollege Jennerjahn auch gestellt hat. für unsere Fraktion ausdrücklich bestätigen. Für die einzelnen Projekte und Initiativen soll ein Mehr Aus den Schlussfolgerungen, die aus dem Abschlussbe- an Arbeit bei gleichem Budget geleistet werden. Woher richt zu ziehen sind, bleibt für mich festzuhalten, dass also das Geld nehmen?, fragen sich die Mitarbeiter der durchweg an allen gesellschaftlichen Problemlagen Projekte, sicher auch in Pirna. angesetzt wurde und man dabei mit differenzierten Wir werden eine Debatte darüber bekommen, wie dieses Ursachenanalysen weitergekommen ist. Man muss bei Programm neu ausgerichtet wird und wo Geld eingespart einer Fortführung des Programms darauf achten, dass das wird, um den neuen Ansprüchen gerecht zu werden. Dafür Programm auch weiterhin rechtsextremistischen Entwick- brauchen wir ohne Frage diese Evaluation in der von den lungen im Land entgegenwirkt und noch zielgenauer GRÜNEN geforderten Form. Die Projekte müssen vor eingesetzt wird. Deshalb müssen wir zukünftig mehr als Kritik geschützt werden; denn wir wissen alle, dass die bisher konkrete Wirkungsziele definieren, um diese Leute, die vor Ort den Finger in die Wunde legen, die anschließend besser kontrollieren zu können. Daher soll Missstände aufzeigen, oft genug als Nestbeschmutzer eine Wirkungsanalyse für Projekte insgesamt durchge- wahrgenommen werden, die das Image der Kommune führt werden, die als Vorbild für andere Projekte, unter bedrohen. Deshalb geben wir die Zustimmung zu diesem Umständen in anderen Regionen oder mit einer etwas Antrag. anderen Zielstellung, dienen können. Letztlich soll die Vielen Dank. Weiterentwicklung der Projekte zu einer Schwerpunktbil- dung verpflichten. Die Projekte können so besser gesteu- (Beifall bei der SPD) ert werden, und es ist eine bessere Förderungsmöglichkeit aus den verschiedenen Förderprojekten möglich. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Ich danke Ihnen, Herr Homann, und bitte nun Herrn Biesok, für die FDP- Ich bin mir sicher, wenn wir alle Vorgaben der Regierung Fraktion zu sprechen. beachten, dann wird das Programm „Weltoffenes Sach- sen“ zukünftig noch erfolgreicher. Carsten Biesok, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! (Beifall bei der FDP und des Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als neues Abg. Dr. Martin Gillo, CDU) Mitglied dieses Hauses war ich etwas überrascht, wie hier bestimmte parlamentarische Initiativen vorbereitet wer- Da die Ergebnisse bereits vollständig vorliegen, wird den. Der Antrag geht meines Erachtens ins Leere, weil die meine Fraktion diesen Antrag ablehnen. geforderte Offenlegung der Evaluation bereits im Internet (Beifall bei der FDP und der CDU) erfolgt ist. Die Kollegen haben bereits darauf verwiesen. Es ist nicht so, wie hier ursprünglich gesagt wurde, dass 2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun spricht Herr Storr nur ein Teil veröffentlicht wurde. Der Abschlussbericht ist für die NPD-Fraktion. vollständig ausgedruckt. Sehr geehrter Kollege Jenner- jahn, ich stelle Ihnen das gern zur Verfügung, dafür Andreas Storr, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und brauchen Sie keinen Strom, der in Dresden aus fossilen Herren! Die NPD-Fraktion nutzt gern diesen Antrag der Brennstoffen gewonnen wird, um das noch einmal nach- GRÜNEN, auch wenn er sich sicher inhaltlich schon zuschauen. Hier steht alles drin, was Sie wissen möchten. erledigt hat, weil wir dazu Stellung nehmen wollen, wie wir dieses Programm einordnen und bewerten. (Beifall bei der FDP und des Staatsministers Sven Morlok) Herr Rohwer, der im Moment nicht im Saal ist, hatte ursprünglich einige Hoffnungen bei mir geweckt, da er Ebenfalls kann ich nicht verstehen, warum man bei dieser festgestellt hat, dass man diese Leerbegriffe von Weltof- Initiative mit bestimmten Informationen zurückhaltend fenheit, Demokratie und Toleranz vielleicht auch einmal umgehen soll. Hier wird ausdrücklich geschrieben, dass mit Bedeutungsinhalten füllt, um deutlich zu machen, was eine vollständige Veröffentlichung der Projektevaluation sich tatsächlich hinter diesem Programm „Weltoffenes nicht sinnvoll ist, da bestimmte vertrauenswürdige Daten Sachsen“ verbirgt. Ich habe aber im Beitrag des darin enthalten sein können. Meine Damen und Herren, Abg. Rohwer nicht feststellen können, dass er diese

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Begriffe mit Inhalt gefüllt hat. Im Gegenteil, er hat neue Rechts-Kämpfer hervorgetreten und sollen nun ihren inhaltsarme Begriffe hinzugefügt: Fremdenfeindlichkeit, Kollegen in Sachsen Noten für die Bekämpfung des Antisemitismus, Extremismus – auch dies sind letztend- sogenannten Rechtsextremismus erteilen. Das ist das, was lich nur Leerbegriffe, und wer sich einmal die Entwick- Herr Jennerjahn als „politikwissenschaftlich“ bewertet. lung der öffentlichen Meinung in den letzten Jahrzehnten Wir sehen das so, dass hier eindeutig Klientelpolitik vor Augen führt – das ist das Ergebnis, zu dem meine betrieben wird. Aber immerhin sind hier und da in den Fraktion kommt –, muss feststellen, dass der Linksextre- bereits veröffentlichten Studien zur Evaluierung – zumin- mismus von gestern die Mitte von heute ist. dest zwischen den Zeilen – Kritikpunkte deutlich gewor- den, die für die Diskussion über die Fragwürdigkeit des (Beifall bei der NPD) Gesamtprogramms nützlich sein könnten, zum Beispiel Genau dafür steht inhaltlich das Programm „Weltoffenes was die häufig geringe Zahl freiwilliger Teilnehmer an Sachsen“. Die NPD-Fraktion lehnt die Alimentierung der Veranstaltungen betrifft, die aus dem Topf des „Weltoffe- linksextremistischen Polit-Mafia in diesem Lande ab. nen Sachsens“ finanziert werden. Außerdem spricht auch die bisherige Evaluation Bände über das Weltbild und die (Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD) Geisteshaltung jener Konfliktforscher und sollte deshalb Wir sind der Meinung – insofern unterstützen wir sogar der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden. das Anliegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Johannes Lichdi, GRÜNE, –, dass der sächsische Steuerzahler einen Anspruch darauf meldet sich zu einer Zwischenfrage.) hat zu erfahren, was mit den immerhin 5 793 672 Euro Steuergeldern passiert ist, die in den letzten Jahren – von 2. Vizepräsident Horst Wehner: Gestatten Sie eine 2005 bis 2008 – für jenes Programm ausgegeben wurden, weitere Zwischenfrage? das den sinnverdrehenden Titel „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ trägt. Es handelt sich bei der Andreas Storr, NPD: Die Ernsthaftigkeit der ersten Programmevaluation ohnehin nur um die Ergebnisse jener Frage, Herr Lichdi, würde ich in Abrede stellen. Deshalb Gutachten, die die Sächsische Staatsregierung für die würde ich Ihre zusätzliche Frage nicht beantworten Bewertung des Programms selbst eingesetzt hat und die wollen. nach Auffassung der NPD-Fraktion nun gar nicht geeignet Dazu in der Kürze der Zeit nur einige Kostproben aus der sind, die Arbeit des Programms kritisch unter die Lupe zu Expertise „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in nehmen. Sachsen 2002 bis 2005“ von Dr. Anja Stichs vom bereits 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Storr, gestatten erwähnten IKG-Institut von Prof. Heitmeyer in Bielefeld, Sie eine Zwischenfrage? die im Rahmen der Evaluation des Programms „Weltoffe- nes Sachsen“ im April 2006 vorgelegt wurden. Aus der Andreas Storr, NPD: Wenn Herr Lichdi eine wirkliche Studie ergibt sich, dass man nicht nur die NPD und andere Frage hat, gestatte ich diese gern. nationale Gruppen bekämpfen will, sondern dass es darum geht, die Sachsen politisch umzuerziehen. Als 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Lichdi, bitte. Indiz für Fremdenfeindlichkeit gilt dort zum Beispiel, dass 65,4 % der Sachsen der Aussage zustimmen, es leben Johannes Lichdi, GRÜNE: Sie haben gerade ausgeführt, zu viele Ausländer in Deutschland. 45,1 % sagen Ja zu der dass Sie den Inhalt des Begriffs „Antisemitismus“ nicht Aussage „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man kennen würden. Unabhängig davon, ob ich Ihnen das in Deutschland lebende Ausländer wieder in ihre Heimat glaube oder nicht: Wie würden Sie die Beschmierung der zurückschicken.“ 62,8 % stimmen der Meinung zu: „Wer Dresdner Synagoge am 8. November 2009 mit einem irgendwo neu ist, sollte sich zuerst einmal mit weniger Hakenkreuz bewerten? Ist das für Sie Antisemitismus? zufrieden geben.“ Letzteres ist angeblich eine Betonung Andreas Storr, NPD: Als antizionistisch. Das ist eine von etablierten Vorrechten und ebenfalls ein Indiz für antizionistische Aktion. Menschenfeindlichkeit. Was aber schlicht das gesunde Volksempfinden ist, wird als Menschenfeindlichkeit (Christian Piwarz, CDU: Gut trainiert!) umgedeutet. Johannes Lichdi, GRÜNE: Vielen Dank. – Ich glaube, (Beifall bei der NPD) die Antwort spricht für sich. Derartigen Unsinn sollen die Sachsen durchaus erfahren, (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) und wir sagen denen, die hier im Hohen Hause zuge- stimmt haben, gern dazu: Wie unser Fraktionsvorsitzender Andreas Storr, NPD: Gut. – Ich setze meine Rede fort. Holger Apfel gestern in seiner Antwort auf die Regie- Die Damen und Herren vom Institut für Interdisziplinäre rungserklärung des Ministerpräsidenten bereits angekün- Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld digt hat, werden wir Nationaldemokraten in dieser Wahl- und von Proval, Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche periode das dubiose Landesprogramm und seine Profiteu- Analyse, Beratung und Evaluation in Hannover, sind re noch genauer unter die Lupe nehmen und auch die selbst seit vielen Jahren als wackere publizistische Anti- Öffentlichkeit darüber aufklären. Mein Fraktionskollege Arne Schimmer und ich haben bereits vor Kurzem einige 203 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Kleine Anfragen zum Thema gestellt. Ich verspreche 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine Ihnen: Es werden nicht die letzten zu diesem Thema sein. Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen in der Nun soll die Zuständigkeit für das Programm ins Innen- zweiten Runde? – Herr Abg. Lichdi, bitte. ministerium wechseln. Offenbar glaubt man, dass es dort Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- bei Staatsminister Ulbig in guten Händen sei. Aus Ihrer dent! Ich möchte eine Kurzintervention auf den vorheri- Sicht mag das sogar sein, schließlich hat er es als ehema- gen Redebeitrag anbringen und feststellen, dass Herr Storr liger CDU-Oberbürgermeister von Pirna fertiggebracht, die Schändung der Dresdner Synagoge am 8. November, einen roten Antifa-Aktivisten als Koordinator gegen was eindeutig eine antisemitische Tat ist, als angeblich Extremismus – gemeint ist offensichtlich Rechtsextre- antizionistische Tat verharmlost hat. Ich möchte weiterhin mismus – einzustellen. Ich bin gespannt, wen Sie im feststellen, dass er Umfragen in einer zustimmenden Art Innenministerium mit der Koordinierung betrauen wer- und Weise zitiert hat, die ich persönlich nur als ausländer- den. Wie wäre es zum Beispiel mit einem orthodoxen feindlich und rassistisch bezeichnen kann. Drittens Kommunisten aus den Reihen der DKP? Was zunächst möchte ich feststellen, dass der Herr Abg. Storr hier absurd klingt, ist längst nicht mehr so absurd, wenn man Begrifflichkeiten aus dem Dritten Reich bewusst gewählt sich vor Augen hält, dass die CDU in der Landeshaupt- hat, wie „gesundes Volksempfinden“ und ähnliche Dinge. stadt Dresden im sogenannten Bündnis Dresden für Demokratie mit folgenden Organisationen zusammenar- (Holger Apfel, NPD: Dass Sie beitet: – – das nicht haben, ist klar!) (Christian Piwarz, CDU: Ich verurteile diese Wortwahl und diese Ideologie, die Das wurde alles schon gesagt!) dahintersteht, aufs Schärfste. – Ja, es wurde schon gesagt, aber man muss es wiederho- (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der FDP) len, weil es Ihren politischen Ungeist offen zutage treten lässt. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Möchte jemand darauf antworten? – Die NPD-Fraktion mit einer (Heiterkeit bei der CDU) Entgegnung auf die Kurzintervention.

– zum Beispiel mit der Kommunistischen Partei Deutsch- Andreas Storr, NPD: Ich möchte das, was Herr Lichdi lands (B), wobei natürlich das B für das fortschrittliche hier vorgetragen hat, aufs Schärfste zurückweisen. Im „Bolschewiki“ steht, mit der Kommunistischen Partei, Übrigen ist der Zionismus, wie Sie vielleicht wissen, auch dem Revolutionären Freundschaftsbund der Marxistisch- eine Ideologie der Juden selbst. Dass natürlich hier ein Leninistischen Partei Deutschlands, dem Kommunisti- Zusammenhang besteht, lässt sich auch an der Symbolik schen Aktionsbündnis Dresden und dem Kommunisti- deutlich machen, wie sie dort angebracht worden ist. schen Jugendverband Deutschlands – die übrigens alle- Natürlich handelt es sich um eine Sachbeschädigung. samt vom sogenannten Landesamt für Verfassungsschutz Diese haben wir nicht zu rechtfertigen und rechtfertigen beobachtet werden. sie auch nicht. (Christian Piwarz, CDU: So, jetzt Aber bitte schön, gesundes Volksempfinden ist eine haben Sie es uns aber gegeben!) Sache, die nicht der Nationalsozialismus geprägt hat, Die NPD wird die Sachsen aufklären, welche angeblich sondern ein gesundes Volksempfinden ist eine Tatsache, sauberen Volksvertreter mit Steuergeldern die einzige nämlich dort, wo man sich nicht an Denkverbote hält und echte Opposition in diesem Hause bekämpfen. Dazu ist es wo man sich nicht einer Kultur des Verdachtes aussetzt, sinnvoll, dass die Evaluation des Landesprogramms sondern wo man offen, ehrlich und frei seine Meinung vollständig offengelegt wird. Eine Teiloffenlegung, wie äußert, ist wirkliche Demokratie, und wir betrachten das sie den GRÜNEN in der Begründung des Antrages Volksempfinden durchaus als Teil einer gelebten, lebendi- vorschwebt, reicht allerdings nicht aus. Schon gar nicht gen und freiheitlichen Demokratie. teilen wir ihre Auffassung, dass eine vollständige Offen- (Beifall bei der NPD) legung eine „Gefährdung beteiligter Personen durch rechtsextremistische Straftäter befürchten lasse“. Wer von 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Möchte den Steuergeldern aus dem weltoffenen Sachsen profitiert die Staatsregierung das Wort ergreifen? – Herr Staatsmi- und daraus sein Einkommen bezieht, der muss auch den nister, bitte. Mut haben, in der Öffentlichkeit dazu zu stehen. Aus diesem Grunde hat die NPD-Fraktion einen Änderungsan- Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Sehr geehrter trag formuliert, mit dem eine vollständige Veröffentli- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren chung erreicht werden soll, den ich später einbringen Abgeordneten! Dass das Programm für Weltoffenheit, werde. Demokratie und Toleranz erfolgreich gewesen ist, haben wir jetzt aus den meisten Redebeiträgen gehört. (Beifall bei der NPD) (Beifall bei der CDU)

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Dass es aber auch notwendig ist, es weiter fortzuführen, aus meiner Sicht ganz wichtig. Wir müssen eine Vernet- hat sich durch den Beitrag von Herrn Storr in einer Art zung vor Ort hinbekommen. Es gilt für mich der ganzheit- und Weise deutlich gemacht, dass ich nur sagen kann: Es liche Ansatz unter Beachtung der regionalen Erfordernis- ist unglaublich, welche menschenverachtende Grundein- se. stellung und welche Geisteshaltung von Ihnen hier in Dabei möchte ich das Hauptaugenmerk im Bereich der diesem Hohen Hause zum Ausdruck gebracht wird. Demokratieerziehung auf die Befähigung zum toleranten (Andreas Storr, NPD: Das weltoffene und gewaltfreien Umgang, zur couragierten Handlungsfä- Sachsen ist keine Demokratie, Herr Ulbig!) higkeit bei Konfrontationen und zur Stärkung demokrati- scher Potenziale bei jungen Menschen legen. Das Geld Diese verbale Entgleisung ist schon kommentiert worden. soll dort ankommen, wo die besten Projekte sind, die Aus meiner Sicht macht es deshalb deutlich, dass das diese Kriterien erfüllen. Ich habe es gestern schon einmal Wort natürlich in der Koalitionsvereinbarung stand. Aber angesprochen und möchte es an dieser Stelle wiederholen: es ist für mich wichtig, dass wir klar und deutlich sagen, Wir werden in der nächsten Zeit Regionalkonferenzen dass wir es in unserem Lande mit politisch motivierter abhalten, also zu den Menschen vor Ort, zu den Projekt- Kriminalität von Rechts zu tun haben. trägern vor Ort gehen. Und es ist schon mehrfach in der Ich möchte es noch einmal klar und deutlich aussprechen, Diskussion deutlich geworden: Unter Einbeziehung der damit Sie die Zahlen vor Augen haben. Diese ist in Landräte und Bürgermeister, aber auch durch Initiativen, Sachsen mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt die vor Ort diese Arbeit leisten und sich auskennen wird aller Bundesländer. Das gehört zur Ehrlichkeit, und aus dieses Programm erfolgreich weitergeführt. diesem Grunde ist auch klar, wo die Prioritätensetzung Besten Dank. künftig in diesem Programm erfolgen wird, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU, der Linksfraktion und der FDP) (Beifall bei der CDU, der FDP, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN) 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Möchte Was die Reputation und Anerkennung von Herrn Prof. noch ein Abgeordneter in der Aussprache das Wort Heitmeier anbetrifft, dazu brauche ich aus meiner Sicht ergreifen? – Wenn das nicht der Fall ist, dann bitte das nichts zu sagen. Er ist ein deutschlandweit anerkannter Schlusswort von Herrn Abg. Jennerjahn. Professor auf diesem Gebiet. Miro Jennerjahn, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- Ich möchte noch ein paar Dinge aufgreifen. Das Thema dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag Veröffentlichung ist mittlerweile klar geworden. Es gehört hat sich nicht erledigt, und er ist auch nicht zurückgezo- zur Ehrlichkeit dazu, dass das nichts mit meiner Anwe- gen worden. Das erkläre ich gleich. senheit in der Regierung zu tun hat, sondern es stand Herr Storr, was Sie als gesundes Volksempfinden be- tatsächlich schon längere Zeit im Netz. Das ist vielleicht zeichnen, bezeichnet man anderenorts schlichtweg als nicht bemerkt worden und macht deutlich, dass die Hass. Das ist der zutreffende Begriff dafür, und das Staatsregierung insgesamt das Thema mit Offenheit möchte ich an dieser Stelle klarstellen. angehen will. Vor diesem Hintergrund möchte ich das noch einmal klar und deutlich erklären. (Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und der FDP) Herr Jennerjahn, Sie haben die Studie angesprochen, mit der sich zehn Professoren befasst haben. Dort sind zwei Herr Ulbig, wir brauchen jetzt überhaupt keine große Dinge angesprochen worden. Einerseits hat sie sich auf inhaltliche Debatte darüber zu führen. Neben der finan- die Problematik des Bundes ausgerichtet, und zweitens ist ziellen Situation sind da auch inhaltliche Aspekte genannt dort ganz besonders die degressive Finanzierung zum worden. Ich glaube, wir würden uns an dieser Stelle in Ausdruck gebracht worden. Ich möchte für den Freistaat eine Nebendebatte verlieren, wenn wir das weiterführen. Sachsen deutlich machen, dass es schon andere Zeiten Ich möchte auf zwei Punkte von Herrn Rohwer und Herrn gegeben hat. Aber die Koalition hat sich klar dazu ver- Biesok eingehen. Herr Rohwer hat sehr sachlich argumen- ständigt, dieses Programm zu verstetigen und fortzufüh- tiert. Herr Biesok war da etwas schärfer im Tonfall nach ren. Das ist eine gute und solide Basis, um die Probleme, dem Motto „Schadenfreude ist die schönste Freude“. Dem die angesprochen worden sind, zu bewältigen. setze ich das Sprichwort entgegen: Wer zuletzt lacht, lacht Weiterhin bin ich froh und dankbar, dass zwei Stichworte am besten. fielen: einerseits die Verankerung vor Ort und dass die Ihre Ablehnung des Antrages, Herr Rohwer und Herr Demokratie gestärkt werden soll. Genau das ist das Biesok, beruht auf einer nicht ausreichenden Kenntnis der Anliegen, das in der nächsten Zeit verfolgt wird mit dem Faktenlage. Das überrascht mich bei Herrn Rohwer Programm „Weltoffenes Sachsen“ unter dem Dach des insofern, als Herr Rohwer Mitglied des Beirates des Innenministeriums. Es sollen zukünftig maßstäbliche und Landesprogramms war. Sie müssten eigentlich wissen, nachvollziehbare Kriterien gefunden werden, die auch dass nicht eine Evaluation stattgefunden hat, sondern dass den einzelnen Beitrag vor Ort deutlich machen. Das ist es mehrere Evaluationswellen gab. Veröffentlicht ist

205 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 momentan das Ergebnis aus dem Jahr 2008. Auch dort nicht um Geheimgesellschaften, die dort tätig sind, finde ich es schon etwas fragwürdig, dass es mehr als ein sondern letztendlich handelt es sich um Projekte und Jahr dauert, bis es überhaupt ins Internet gestellt wird. Initiativen im öffentlichen Raum, die dazu noch öffentlich Das ist die eine Geschichte. finanziert sind. Insofern sage ich mal: Ich sehe nicht ein, Das Zweite ist, dass die Evaluation 2008 eben nicht alle welches Sicherheitsinteresse bestehen soll. Projekte benennt. Es hat 2006 schon eine Evaluationswel- Ich sage mal, wir, die NPD, gehen auch nicht gegen diese le gegeben. Diese Evaluationsergebnisse sind eben nicht Akteure in irgendeiner Form – zumindest nicht gewalttä- verfügbar. tig – vor. Politisch bekämpfen wir dieses Programm. Das Da damit ein wenig die Grundlage Ihrer Ablehnungsbe- habe ich auch deutlich gemacht. Aber auch ich als NPD- gründung weggebrochen ist, gehe ich jetzt schlichtweg Abgeordneter – das sollte man vielleicht einmal sagen – davon aus, dass Sie dem Antrag zustimmen können und trage ja ebenfalls meine Haut zu Markte und werde zustimmen werden. Angriffsziel von Linksextremisten und Antifa. Auch diese Realität sollte man, bitte schön, zur Kenntnis nehmen. Es Wie gesagt, es gibt die Übersicht über aktuelle Evaluati- ist nun eben mal so, man muss als politischer Akteur auch onsergebnisse im Internet. Der Innenminister hat es in damit leben, dass man Widerspruch erntet. Ich sehe nicht einer Pressemitteilung angekündigt. Trotzdem, der Antrag dieses Sicherheitsbedürfnis, das hier behauptet wird. Ich geht dahin, dass die Evaluationsergebnisse dem Landtag sehe auch nicht, dass es in der Vergangenheit ernsthafte in geeigneter Weise zur Kenntnis gegeben werden. Das Vorfälle gegeben hat, die jetzt diese Behauptung bestäti- halte ich für ganz wichtig. Denn wir sind der Ort, der sich gen könnten. deutlich inhaltlich mit dem Thema auseinandersetzen Deshalb sind wir dafür, dass – bitte vollständig – alle wird. Das erwarten die Projekte draußen vor Ort. Insofern Ergebnisse offengelegt werden. Das scheint mir eigentlich halte ich den Antrag nach wie vor für gerechtfertigt. Es ganz selbstverständlich zu sein. Insofern bitte ich um die muss der gesamte Zeitraum des Landesprogramms be- Annahme unseres Änderungsantrages. leuchtet werden, damit die Bewertung aller geförderten Projekte vorliegt. Danke schön. Herr Biesok, zu Ihnen noch ein Wort: Sie haben für die (Beifall bei der NPD) vollständige Veröffentlichung der Ergebnisse plädiert. Ich nehme an, Sie sind nicht so erfahren in der Projektarbeit 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: gegen Rechtsextremismus vor Ort. Es gibt ein massives Wünscht eine Fraktion noch das Wort zum Änderungsan- Sicherheitsrisiko für Leute, die sich in dieser Form trag der NPD-Fraktion? – Der Abg. Jennerjahn, bitte. engagieren und tagtäglich ihr Gesicht in die Außenwelt Miro Jennerjahn, GRÜNE: Also, gegen eine vollständi- halten. Es kann durchaus sein, dass in solchen Evaluati- onsberichten Informationen stehen, – – ge Veröffentlichung könnte unter anderem sprechen, dass dort datenschutzrechtlich relevante Dinge drinstehen. Ich 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ich bitte weiß, mit solchen Sachen haben Sie es nicht so. Das ist Sie, langsam zum Schluss zu kommen. mir durchaus bewusst. Vielleicht noch einmal kurz zum Thema Sicherheitsaspek- Miro Jennerjahn, GRÜNE: – die der extremen rechten te. Es ist allgemein bekannt, dass es eine massive Zu- Szene eine Vielzahl an Informationen zuspielen könnten, sammenarbeit der NPD mit Freien Kameradschaften gibt, die ein weiteres Gefährdungspotenzial bedeuten. die durchaus zur Gewalt neigen und äußerst militant sind. Danke schön. Und ich bitte um Zustimmung. Die NPD hat genug verurteilte Straftäter in den eigenen (Beifall bei den GRÜNEN und Reihen. vereinzelt bei der Linksfraktion) Ich präsentiere ein paar Beispiele. In Colditz haben Sie zur Kommunalwahl in diesem Jahr einen Kandidaten 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine aufgestellt, der wegen Landfriedensbruch verurteilt Damen und Herren! Bevor wir zur Abstimmung über den worden war. Das war im Vorfeld bekannt. Das ist ein- vorliegenden Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE schlägig bekannt und spricht für sich. GRÜNEN kommen, liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der NPD vor. Ich frage, ob eine mündliche In Machern gab es im September einen Übergriff auf die Begründung gewünscht wird. – Der Abg. Storr. Highland Games bzw. Randale am Rande der High- land Games. Es ist mittlerweile bekannt, dass bei diesen Andreas Storr, NPD: Herr Jennerjahn, ich habe es vorhin Randalen jemand beteiligt war, der im Juni bei den schon gesagt: Wir unterstützen durchaus die vollständige Kommunalwahlen für die NPD kandidiert hat. Oh Wun- Veröffentlichung des Evaluationsberichtes. der, oh Wunder! Nun muss ich natürlich sagen, wenn Sie in einer Formu- Wir können diese Liste fortsetzen. In den Parteigremien lierung – Sie haben es ja eben selber ausgeführt – „in und Strukturen der NPD, zum Beispiel dem Bundesvor- geeigneter Form“ sagen und das einschränkend fordern, stand oder anderen Strukturen, gibt es viele einschlägig dann ist das für mich nicht einsichtig. Es handelt sich ja vorbestrafte Menschen, die sind verurteilt wegen Gewalt-

206 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 taten, wegen Landfriedensbruch, wegen illegalen Waffen- Meine Damen und Herren! Ich stelle Ihnen nun die besitzes. Drucksache 5/376 zur Abstimmung und bitte bei Zustim- Wir können die Liste endlos weiter fortführen. Ich erwäh- mung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstim- ne vielleicht noch einmal ein Erlebnis, an das sich Ihr men? – Danke schön. Stimmenthaltungen? – Keine. Kollege Herr Gansel sicherlich nicht allzu gern erinnern Damit ist die Drucksache 5/376 bei einigen Jastimmen wird. Ihr eigener Fraktionsmitarbeiter Naumann – übri- mehrheitlich abgelehnt worden. gens verurteilt wegen Sprengstoffanschlägen – hat dem Damit kommen wir zur Schlussabstimmung über den Kollegen Gansel in der vergangenen Legislaturperiode – Antrag „’Weltoffenes Sachsen’ – Evaluation des Landes- ich sage es jetzt mal flapsig – eine vor den Latz geknallt programms veröffentlichen“. Meine Damen und Herren! und ist daraufhin von ihm gekündigt worden. – So viel zu Ich stelle die Drucksache 5/291 zur Abstimmung und bitte Ihrer Friedfertigkeit. bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Der Antrag ist abzulehnen. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Danke schön. Damit ist die Drucksache 5/291 bei zahlreichen Danke. Jastimmen und einigen Stimmenthaltungen mehrheitlich (Beifall bei den GRÜNEN und nicht beschlossen worden. Damit ist dieser Tagesord- vereinzelt bei der Linksfraktion) nungspunkt beendet. Meine Damen und Herren! Ich rufe auf 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Gibt es weitere Wortmeldungen zum Änderungsantrag? – Das ist nicht der Fall.

Tagesordnungspunkt 9 Härtere Maßnahmen gegen Sexualstraftäter – Chemische Kastration einführen Drucksache 5/288, Antrag der Fraktion der NPD

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Reihen- Wer erinnert sich nicht an Ihre heuchlerischen Betroffen- folge in der ersten Runde: NPD, CDU, DIE LINKE, SPD, heitsnoten als erst Mitja und Michelle in Leipzig und FDP, GRÜNE, Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich dann auch noch Corinna in Eilenburg Sexualverbrechern erteile der Fraktion NPD als Einreicherin das Wort. Herr zum Opfer fielen, weil den etablierten Blockparteien eben Abg. Apfel. andere Dinge wichtiger sind, als mit aller Macht endlich gegen Triebtäter und Schwerverbrecher vorzugehen. (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD) Wer sich aber selbst geradezu triebhaft in Multi-Kulti- Holger Apfel, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und Wahn und Globalisierungsextremismus hineinsteigert, der Herren! Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Nolle, bekomme ich verliert die Kinder seines Volkes schnell aus den Augen. vielleicht noch das eine oder andere Kind. Er macht sie nicht nur identitäts- und heimatlos, nein, er Es kommt sicher nicht so oft vor, dass man in Polen einen überlässt sie und ihre Eltern machtlos dem kriminellen Schritt weiter ist als in Deutschland. Umso mehr hat vor Mob. Kurzem ein Beschluss des polnischen Senats für Beach- Wir fordern Sie einmal mehr auf: Besinnen Sie sich Ihrer tung gesorgt, der genau das umsetzt, was die NPD seit Aufgaben, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren und Jahren fordert: härtere Strafen gegen Sexualstraftäter. Schaden von ihm zu wenden, so wie es im Artikel 56 des In Polen wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach alle Grundgesetzes normiert ist! Sexualstraftäter zwangsweise kastriert werden, die Min- Sie selbst, die Sie uns immer gern Verfassungsfeinde derjährige unter 15 Jahren vergewaltigt oder Inzest mit schelten, verstoßen gegen das Grundgesetz, indem Sie Kindern begangen haben. Das Parlament erhöhte zudem zentrale Aussagen mit Füßen treten und unser Volk im unter anderem das Strafmaß für Kindervergewaltiger. Rausch Ihrer parteipolitischen Profilierung auf den Ihnen drohen jetzt bis zu 15 Jahre Haft. Opfertisch binden. Unser Nachbarland macht Ihnen, meine Damen und Wie wenig bei einem Sexualverbrechen gegen Kinder Herren Kämpfer gegen Rechts, eindrucksvoll vor, wie Raum für parteipolitische Unterschiede bleibt, zeigt entschlossenes Handeln aussieht, ein Handeln, das nicht abermals Polen. Denn über alle Fraktionen hinweg wurde darauf aus ist, den politischen Gegner mundtot zu ma- das dortige Kastrationsgesetz – – chen, sondern ein Handeln, das parteiübergreifend das Wohl des eigenen Volkes im Auge hat. (Henning Homann, SPD, steht am Mikrofon.)

207 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben weiter Apfel, gestatten Sie eine Zwischenfrage? die Möglichkeit, an der Aussprache teilzunehmen. Die CDU-Fraktion ist gemeldet. – Die CDU-Fraktion möchte Holger Apfel, NPD: Ich gestatte keine Zwischenfrage! nicht dazu sprechen. Die Fraktion DIE LINKE möchte – mit nur einer einzigen Stimmenthaltung beschlossen. auch nicht dazu sprechen. Die Fraktion der SPD? – Frau Mit anderen Worten: Ebenso deutlich, wie Sie unseren Friedel, bitte. Antrag in Ihrer Arroganz der Macht mit großer Mehrheit Sabine Friedel, SPD: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen ablehnen werden, hat Polen mit überwältigender Mehrheit einer Initiative zum Kinderschutz zugestimmt. Was Sie in und Kollegen! Sie haben eben schon gehört, was das Ihrer blindwütigen Gegnerschaft zum deutschen Volk eint, Anliegen des Antrags der NPD-Fraktion ist. Der Antrag – – verlangt vom Landtag, sich dafür einzusetzen, dass Sexualstraftäter künftig einer Zwangskastration unterzo- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr gen werden sollen. Sie fordern damit, die bereits jetzt Apfel, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. bestehenden Strafen deutlich zu verschärfen. Wir wollen einmal schauen, was das konkret bedeutet. Holger Apfel, NPD: – das verbindet polnische Volksver- So eine Strafverschärfung kann mehrere Zielrichtungen treter in ihrer fürsorgenden Gemeinschaft für Polen. Aber haben, und zwar zuerst einmal gegenüber dem Täter das ist der Unterschied zwischen dem bundesrepublikani- selbst. Man will den zu Bestrafenden möglicherweise schen Gegenwartschaos, das Sie und Ihresgleichen noch erfolgreicher, als es bisher geht, zum Besseren angerichtet haben, und einem Heimat stiftenden Vater- verändern. Hier müssen Sie bitte die Wirklichkeit zur land, – – Kenntnis nehmen. Rund 80 % der Täter werden nach ihrer (Unruhe) Entlassung nicht rückfällig. Hier erfüllen die bestehenden Strafen also bereits ihre Funktion. Es bleiben die anderen 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ihre 20 %. Und hier haben wir bereits seit 1969 in der Bundes- Redezeit ist leider beendet. republik die Möglichkeit, dass sich Sexualstraftäter freiwillig einer solchen Behandlung unterziehen. Holger Apfel, NPD: – für das die NPD gegen allen Widerstand von angeblichen Gutmenschen kämpfen und Beabsichtigt werden könnte auch, dass andere vor dem weiterkämpfen wird. Verlassen Sie Ihre Fraktionszwänge! konkreten Täter geschützt werden sollen, damit es zu Machen Sie Politik für Sachsen und Deutschland! keiner Wiederholungstat kommt. Auch das ist bereits jetzt gegeben. Es besteht die Möglichkeit, Täter mit negativer 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ich bitte Prognose in Sicherungsverwahrung unterzubringen. Sie, jetzt zum Schluss zu kommen! Ihre Redezeit ist vorbei! Eine weitere Zielrichtung einer solchen Strafverschärfung ist möglicherweise die gegenüber der Gesellschaft. Hier Holger Apfel, NPD: Schützen Sie das wertvollste Gut, sollen höhere Strafen vielleicht zur besseren Abschre- das jedem Volk anvertraut ist, schützen Sie unsere Kinder! ckung dienen. Diese Funktion von Strafe ist einerseits recht umstritten. Es gibt zahlreiche Studien, die zu dem Herzlichen Dank. Ergebnis kommen, dass es überhaupt keinen Zusammen- (Beifall bei der NPD) hang zwischen Strafverschärfung und Tathäufigkeit gibt. Mir vor Ablauf der Redezeit ins Wort zu fallen ist eine Doch selbst wenn man für das Argument eine solche Unverschämtheit! Abschreckungswirkung einmal unterstellen wollte – so funktioniert das natürlich nur dann, wenn ein Täter eine (Lebhafter Widerspruch bei der CDU, rationale Wahl zwischen Begehen und Unterlassen der der Linksfraktion, der SPD, Straftat hat, also in der Lage ist, eine Kosten-Nutzen- der FDP und den GRÜNEN) Abwägung vorzunehmen. Das mag in Fällen von Betrug, Ich hatte noch 45 Sekunden Zeit, und da sind Sie mir ins von Körperverletzung oder von Volksverhetzung so sein, Wort gefallen! Erteilen Sie mir doch einen Ordnungsruf! doch das ist eben gerade bei Sexualstraftaten oft nicht der Von Ihnen eine Ehre! Fall. Deswegen ist ja umgangssprachlich auch von Trieb- taten die Rede. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Was bleibt also unterm Strich? Ihr Vorschlag ist weder Kollege Apfel, das war ein Hinweis des amtierenden geeignet, Straftäter zur Besserung zur bringen, noch ist er Präsidenten. Vielleicht hätten Sie eine Zwischenfrage notwendig, um vor Wiederholungstaten zu schützen. Er zugelassen und somit mehr Redezeit gehabt. Das ist kann auch eine Abschreckungswirkung nicht entfalten. meine Entscheidung als amtierender Präsident. Mit anderen Worten: Ihr Antrag ist fachlich rundum (Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, nutzlos. der FDP und den GRÜNEN – Holger Apfel, NPD: Was bleibt also? Da bleibt schon noch eine Motivation: Ich werde das im Protokoll nachlesen!) Strafe kann auch dazu dienen, in einer Gesellschaft ein diffuses Gerechtigkeitsgefühl zu bedienen, und genau

208 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 darauf scheint mir der Antrag abzustellen. Und das – das entschieden abzulehnen ist für uns demokratische Frakti- kann man ruhig ehrlich zugeben – macht die Angelegen- onen deshalb nicht nur eine Frage der fachlichen Ver- heit nicht ganz einfach; denn es ist schon so, dass es nunft, sondern auch eine Frage der Ehre. einige Leute gibt, die dieser NPD-Forderung spontan Vielen Dank. zustimmen würden. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der FDP, Gerade deshalb ist es so wichtig, genau hinzuschauen, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU) was Sie da eigentlich fordern. Sie wollen Sexualstraftäter zusätzlich zum Freiheitsentzug mit einer Zwangskastrati- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Als on bestrafen. Ein solcher Eingriff in die körperliche nächste Rednerin ist Frau Jonas von der FDP-Fraktion Unversehrtheit soll also ohne Einwilligung des Betroffe- gemeldet. nen stattfinden, im Notfall gegen dessen Willen. Meine Damen und Herren, das erfüllt das Delikt eine schweren Anja Jonas, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr Körperverletzung. Das ist ein Verbrechenstatbestand. Und geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was uns gerade damit nicht genug! Sie fordern, dass daraus geplantes von der NPD geboten wurde, ist einfach nur populistisch staatliches Handeln werden soll. und ekelhaft. (Zurufe von der NPD) (Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN) Ich bin ganz sicher, dass die NPD-Fraktion das deutsche Grundgesetz kennt. Ich bin sicher, Sie kennen auch die Sie missbrauchen ein Thema, das jeden Einzelnen tief Sächsische Verfassung sehr genau. Kenne deinen Feind! bewegt, einmal mehr, um Grund- und Menschenrechte Natürlich kennen sich Verfassungsfeinde mit der Verfas- generell infrage zu stellen. Aber das überrascht uns nicht sung aus. Und deshalb wissen Sie ganz genau, dass unsere wirklich; denn Ihr Anliegen knüpft, wie gerade schon Verfassung sagt: Jeder Mensch – und zwar jeder Mensch! angedeutet und geschildert, nahtlos an Euthanasieprakti- – hat das Recht auf den Schutz seiner Würde und auf ken eines von Ihnen verherrlichten Dritten Reiches an. körperliche Unversehrtheit. (Beifall bei der FDP und der CDU – (Zuruf des Abg. Holger Apfel, NPD) Zurufe von der NPD) Das sind individuelle Abwehrrechte gegenüber dem Staat, Sexualdelikte sind schrecklich für die Betroffenen und und deshalb wissen Sie ganz genau, was Sie von diesem polarisieren unsere Gesellschaft, gerade wenn es die demokratischen Parlament verlangen. Sie verlangen von Schwächsten betrifft. Unabhängig davon, ob Kind, Frau diesem demokratischen Parlament, es solle sich dafür oder Mann, sind die Reaktionen sehr emotional. Ich bin einsetzen, dass ein Verbrechenstatbestand künftig staatli- selbst Mutter, und natürlich machen mich Fälle wie ches Handeln wird. unlängst in dem Kindergarten in Annaberg betroffen. Dass das gerade Ihrer Fraktion einfällt, ist natürlich kein Solche Fälle fordern die sofortige Reaktion der Gesell- Zufall; denn Sie zeigen damit sehr genau, in welcher schaft. Aber das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, ist geistigen Nachfolge Sie stehen: in der Nachfolge derer, billiger Stammtischpopulismus. Die von Ihnen vorge- die einen ganzen Staat zu einer einzigen Vernichtungsma- schlagenen Lösungen entbehren jeglicher demokratischer schinerie gemacht haben, Prinzipien. (Beifall bei der FDP, der CDU und vereinzelt (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) bei der Linksfraktion, der SPD und die mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach- den GRÜNEN – Zuruf von der NPD: wuchses“ eine menschenverachtende Eugenik in staatli- Das ist kein demokratisches System!) ches Handeln erhoben haben, die mit der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, dem „Gesetz über Sie haben die polnischen Gesetzesänderungen als Be- Maßnahmen der Staatsnotwehr“ oder auch dem „Gesetz gründung in Ihrem Antrag angeführt. Das wundert mich zur Behebung der Not von Volk und Reich“ eine totalitäre schon, da gerade Sie doch zu Wahlzeiten ganz klar plaka- und menschenverachtende Diktatur errichtet haben. tierten „Poleninvasion stoppen!“. Jetzt aber wollen Sie gewisse Gesetze – – (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) (Holger Apfel, NPD: Ich habe Menschenrechte, Grundrechte sind unveräußerlich. Sie doch gar nichts gegen Polen in Polen!) stehen jedem zu, Männern wie Frauen, Deutschen wie Ausländern, Opfern wie Tätern, sogar Sexualstraftätern, – Na, das ist doch fantastisch! sogar dem Kameraden Paul und sogar Ihnen von der (Zurufe von der NPD) NPD-Fraktion, so weh mir das als Demokratin auch tun mag. Die chemische Kastration verstößt gegen die Grund- und Menschenrechte und damit gegen das Grundgesetz. In Mit diesem Antrag haben Sie gezeigt, dass Sie auf Artikel 2 Satz 1 unseres Grundgesetzes steht: „Jeder hat Rechtsstaatlichkeit, auf Grundrechte und auf die Würde das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ des einzelnen Menschen pfeifen. Einen solchen Antrag Jeder, auch Straftäter. 209 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Eine chemische Kastration steht diesem Grundrecht Jürgen Gansel, NPD: Sehr geehrter Herr Präsident! entgegen. Deshalb ist die Forderung Ihres Antrages kein Meine Damen und Herren! Um die Position meiner Beitrag, dieses ernste Thema anzugehen. Sie benutzen es, Vorrednerinnen kurz zusammenzufassen: um ausschließlich zu polarisieren. Erstens. Täterschutz geht grundsätzlich vor Opferschutz. Unser Ziel ist es, den Schutz von Kindern und Jugendli- Zweitens. Im Nachbarstaat Polen regieren finstere Nazis. chen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung kontinuierlich zu verbessern. Das ist nämlich die Quintessenz Ihrer verqueren Logik. Dass Sie selbst unseren polnischen Nachbarn, den „Kol- (Alexander Delle, NPD: legen Abgeordneten“ im polnischen Senat, jetzt noch die Das klappt ja hervorragend!) Nazikeule um die Ohren hauen, Dort müssen wir ansetzen. Dazu werden wir das Vorhaben (Lachen bei der FDP und der CDU) der Bundesregierung unterstützen, den Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller um diesen Antrag von uns inhaltlich abzuwürgen, ist an Gewalt und Ausbeutung gezielt weiterzuentwickeln und Erbärmlichkeit nicht zu überbieten. hier für Sachsen anzupassen. (Beifall bei der NPD) (Jürgen Gansel, NPD: Papiertiger!) Am 22. Oktober dieses Jahres beschloss der polnische Wir wollen zusammen mit Kindern, Jugendlichen und Senat mit gerade einmal einer Gegenstimme eine chemi- Erwachsenen in Kooperation mit Internetanbietern, sche Zwangsbehandlung von Sexualstraftätern, die sich Medien und Verbänden und Institutionen des Kinder- und an Minderjährigen vergangen haben. Neben einer allge- Jugendschutzes mehr Mediensicherheit vermitteln meinen Strafrechtsverschärfung für Sexualstraftäter müssen sich Kinderschänder in Polen zukünftig nach dem (Jürgen Gansel, NPD: Das schreckt alle ab!) Verbüßen ihrer Strafe einer chemischen Kastration unter- und damit die Risiken für diese Personengruppe minimie- ziehen. Damit wird der abstoßende Sexualtrieb von ren. Wir werden die Internetkriminalität vor allen Dingen Pädophilen zwar nicht vollständig zerstört, aber nach- zum Schutz von Kindern und Jugendlichen wirksam weisbar unterdrückt. Damit verhindert man abscheuliche bekämpfen und die notwendigen Grundlagen für Polizei Wiederholungstaten. und Justiz schaffen. Wir müssen den Opferschutz stärken In Polen reichten bereits zwei tragische Fälle von Kin- und die Vernetzung der Hilfs- und Beratungsangebote desmissbrauch aus, um den Gesetzgeber aufzurütteln und ausbauen. wirksame Maßnahmen zum Kinderschutz ergreifen zu Sehr geehrte Damen und Herren! Bitte lassen Sie mich lassen. In Sachsen hingegen hat selbst eine ganze Serie den wichtigsten Aspekt der Prävention am Beispiel der schlimmster Sexualdelikte keinerlei gesetzgeberische Mediennutzung nur kurz herausheben. Prävention sollte Aktivität ausgelöst. Auf die Fälle Stephanie in Dresden, gerade bei der Nutzung der neuen Medien eine größere Mitja und Michelle in Leipzig und Corinna in Eilenburg Rolle spielen. Hier müssen Eltern, Lehrer und Erzieher reagierte die Staatsregierung mit der bekannten Ankündi- gemeinsam auf Kinder einwirken und die Sensibilisierung gungsrhetorik, der allerdings keine einzige Tat folgte. für dieses schwierige Themas angehen. Das ist präventiv Ganz anders war das in Polen, wo eine Regierung, die und kann einen Beitrag zur Vorbeugung leisten. sich selbst als liberal bezeichnet, nun den Kampf gegen Sexualstraftäter ebenso einfallsreich wie entschlossen (Beifall bei der FDP und der CDU) aufgenommen hat. Auf die wenigen Stimmen von Beden- Wir müssen Eltern, Erziehern, allen gemeinsam, in kenträgern in Polen, die sich in bundesdeutscher Manier Präventions- und Schulungsmaßnahmen zeigen, wie um besonders viel Täterverständnis bemühen, reagierte schwierig das Thema ist, um die noch viel zu hohe Dun- der polnische Ministerpräsident Donald Tusk mit der kelziffer im Bereich des sexuellen Missbrauchs kontinu- Aussage: „Derartige Kriminelle können nicht als Men- ierlich zu verringern. Aus diesem Grund wird sich die schen bezeichnet werden.“ Das ist eine markige Aussage Koalition auch weiterhin sehr intensiv mit dem Thema aus dem Mund des polnischen Regierungschefs; eine beschäftigen, aber mit einer anderen Ausrichtung, als Sie Aussage, die wahrscheinlich zu neuen Forderungen nach das in Ihrer menschenverachtenden Art tun. einem NPD-Verbotsverfahren führen würde, wenn Holger Apfel Kinderschändern das Menschsein abgesprochen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. hätte. (Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, Dieses Messen mit zweierlei Maß – was in Polen gesagt der SPD und den GRÜNEN) werden darf, darf in Deutschland nicht gesagt werden, ansonsten gehen wieder die braunen Gespenster um – 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die zeigt, dass nicht nur Kinderschänder krank sind, sondern Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist kein Redner auch das ganze politische Wertesystem dieser Bundesre- gemeldet. Es möchte auch niemand das Wort ergreifen. publik, Die Staatsregierung? – Die Staatsregierung möchte auch nicht das Wort ergreifen. Das Schlusswort hat jetzt Herr (Beifall bei der NPD) Gansel von der NPD-Fraktion. 210 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 das viele Forderungen der Vernunft – in diesem Fall des Jürgen Gansel, NPD: Sie können es meinetwegen auch Kinderschutzes – unter Extremismusverdacht stellt und als Beitrag zur Völker – – damit moralisch ächtet. (Der Präsident schaltet das Mikrofon ab. – 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Beifall bei der NPD) Gansel, ich bitte Sie, langsam zum Schluss zu kommen. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine Jürgen Gansel, NPD: Ja, ich komme zum Ende. Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 5/288 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Hand- Dessen ungeachtet hat die NPD diesen Antrag einge- zeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Vielen Dank. bracht, mit dem der Freistaat Sachsen im Falle seiner Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Drucksa- Annahme zeigen könnte, dass er es mit dem Schutz che 5/288 mehrheitlich nicht beschlossen. Es gab einige unserer Kinder vor gefährlichen Perversen ernst nimmt. Dafürstimmen, keine Stimmenthaltungen. Es waren fast Stimmen Sie unserem Antrag zu und zeigen Sie auch auf alles Gegenstimmen. Damit ist dieser Tagesordnungs- diese Art und Weise Ihre Verbundenheit mit unserem punkt beendet. demokratischen Nachbarland Polen. Meine Damen und Herren! Ich rufe auf (Lachen bei den Fraktionen)

3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ihre Redezeit ist jetzt beendet.

Tagesordnungspunkt 10 Fragestunde Drucksache 5/317

Ihnen liegen die eingereichten Fragen der Mitglieder des 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die Landtages vor. Diese Fragen wurden auch der Staatsregie- Staatsregierung, bitte. rung übermittelt. Gleichzeitig ist Ihnen die Reihenfolge der Behandlung der eingereichten Fragen bekannt ge- Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Zur Frage 1: macht worden. Ich habe als zuständiger Innenminister, soweit es durch Wir kommen zur ersten Frage. Diese stellt Frau Freya- Ablauf der Amtszeit notwendig war, die Mitglieder der Maria Klinger, Fraktion DIE LINKE. Härtefallkommission ernannt. Ich werde dafür sorgen, dass rechtzeitig durch Verlängerung der Geltungsdauer Freya-Maria Klinger, Linksfraktion: Sehr geehrter Herr der Sächsischen Härtefallkommissionsverordnung die Präsident! Meine Fragen betreffen das Außerkrafttreten Fortführung über den Jahreswechsel hinaus sichergestellt der „Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur wird. Einrichtung einer Härtefallkommission nach dem Aufent- Zur Frage 2: Auch da gibt es eine klare Aussage. Die haltsgesetz (SächsHFKVO)“ zum 31. Dezember 2009. Härtefallkommission hat sich bewährt. Aber die Um- Ich frage die Staatsregierung: wandlung in ein behördenunabhängiges Gremium, wie Sie es bezeichnet haben, geht deshalb fehl, weil die 1. Welche Maßnahmen gedenkt die Staatsregierung zu Mitglieder der Kommission von den Berechtigten benannt ergreifen, um die Tätigkeit der auf der Ermächtigungs- werden. Diese werden in der Verordnung abschließend grundlage des § 23a Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes aufgezählt. Die Mitglieder sind weisungsfrei und agieren (AufenthG) eingerichteten Härtefallkommission im in dieser Kommission als Privatpersonen. Freistaat Sachsen über den 31. Dezember 2009 fortzufüh- ren? Freya-Maria Klinger, Linksfraktion: Ich möchte gern 2. Inwieweit sieht die Staatsregierung es vor, die Härte- die Möglichkeit der Nachfrage nutzen. fallkommission nach § 23a (AufenthG) künftig als eine Erstens. Bis wann gilt die Verlängerung, die Sie gerade behördenunabhängiges Gremium einzurichten, welches angesprochen haben? sich insbesondere aus Vertreterinnen und Vertretern der Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen, der Kir- Zweitens. Können Sie bitte eine konkretere Aussage zur chen, der Wohlfahrtsverbände, der Kommunen und Zusammensetzung der Härtefallkommission treffen? der/des Sächsischen Ausländerbeauftragten zusammen- Bleibt dies so wie bisher? setzt und dem Vertreterinnen und Vertreter des für Inneres Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Zur ersten zuständigen Staatsministeriums als beratende Mitglieder Nachfrage: Die Verlängerung wird mindestens für ein angehören? halbes Jahr durchgeführt werden, damit sie über den

211 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

31.12. hinaus funktioniert. In der Zwischenzeit werden Zu diesem Zweck hat das Sächsische Staatsministerium gegebenenfalls Änderungen eingebracht werden. für Kultus und Sport in einem Schreiben vom 2. Novem- Zur zweiten Nachfrage: Wenn ich es nicht vortragen ber dieses Jahres Gespräche mit den Schulträgern und brauche, sondern mich darauf beschränken kann, dass sie Schulleitern angekündigt. wie bisher besteht, dann möchte ich es mit Ja beantwor- Zweitens. Die sieben Schulversuchsschulen, die in der ten. letzten Wahlperiode gestartet wurden, können noch im nächsten Schuljahr 2010/2011 neue Schülerinnen und 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die Schüler in die Eingangsklassen zu den Schulversuchsbe- nächste Frage stellt Frau Giegengack von der Fraktion dingungen aufnehmen. Die Schüler können ihre Schul- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frage Nr. 2. ausbildung selbstverständlich an der jeweiligen Schule abschließen. Grundsätzlich können diese sieben Schulen Annekathrin Giegengack, GRÜNE: In meiner Frage auch nach dem Schuljahr 2010/2011 unter den regulären geht es um die Zukunft der Gemeinschaftsschule. Bedingungen Schüler in die Eingangsklassen aufnehmen Fragen an die Staatsregierung: sowie ihre pädagogischen Konzepte, sofern sie sich als 1. Die in den Leitlinien des SMK festgelegte Laufzeit für erfolgreich herausgestellt haben, in die Weiterentwicklung Schulversuche zur Gemeinschaftsschule beträgt sechs des sächsischen Schulwesens einbringen. Jahre. Welche Konsequenzen hat der im Koalitionsvertrag 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Gestat- vereinbarte „Abschluss der Schulversuche“ für den ten Sie noch eine Nachfrage, Herr Staatsminister? weiteren Betrieb der neun Gemeinschaftsschulen in Sachsen? Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister für Kultus und 2. In welchem Schuljahr dürfen an den neun Gemein- Sport: Ja, bitte. schaftsschulen in Sachsen letztmalig Schülerinnen und Annekathrin Giegengack, GRÜNE: Weshalb ist es nicht Schüler aufgenommen werden? möglich, die Schulversuche erst zu evaluieren und im 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die Nachhinein zu entscheiden, ob man diese Schulversuche Staatsregierung, Herr Staatsminister Prof. Dr. Wöller; weiterlaufen lässt oder nicht? Warum schlagen Sie vor, sie bitte. erst auslaufen zu lassen und danach zu evaluieren?

Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister für Kultus und Prof. Dr. Roland Wöller, Staatsminister für Kultus und Sport: Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Ihre Frage Sport: Die Schulversuche laufen ja weiter. Sie werden beantworte ich wie folgt: auch bei den Schulen so lange verlängert, wie es notwen- dig ist, einen kompletten Jahrgang zu haben. Dann haben Erstens. Schulversuche erproben neue pädagogische und wir eine hinreichende Evaluationsgrundlage und können organisatorische Konzeptionen und sind somit naturge- nach einer Evaluation entscheiden – das ist ja Sinn und mäß zeitlich befristet. Sie destillieren heraus, welche Zweck des Schulversuches –, welche pädagogischen neuen pädagogischen und organisatorischen Ansätze gut Ansätze der neuen organisatorischen Modelle wir auf alle sind und welche nicht. Die Laufzeit von mindestens sechs Schulen übertragen können. Jahren erklärt sich daraus, dass die sieben Schulversuchs- schulen, die erst in der letzten Legislaturperiode gestartet 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Der wurden, von der Klassenstufe 5 bis zur Klassenstufe 10 nächste Fragesteller ist Herr Dr. Müller, NDP-Fraktion; laufen. Für die beiden Schulversuchsschulen, die auf- Frage Nr. 6. grund ihrer Historie einen anderen Ansatz verfolgen, gelten andere Regelungen zur Laufzeit und zur Aufnahme Dr. Johannes Müller, NPD: Herr Präsident! Meine von Schülern. Das heißt, sie können auf der Grundlage Damen und Herren! Ich habe folgende Fragen, nebst ihres Modells Schüler über 2010/2011 hinaus aufnehmen. Vorwort, zum Thema Grenzüberschreitender Verkehr, in diesem Fall Eisenbahngrenzverkehr, an die Staatsregie- Alle Schüler, die eine Schule besuchen, die am Schulver- rung eingereicht: such „Schule mit besonderem pädagogischem Profil – Gemeinschaftsschule“ teilnimmt, können ihre Ausbildung Sowohl in Form einer Kleinen Anfrage (Drucksache zu den Konditionen abschließen, unter denen sie diese 4/2638 vom 23.07.2005) als auch in Mündlichen Anfra- begonnen haben. Dabei wird berücksichtigt, dass der gen (04.03.2005, 28.09.2007) habe ich bereits in der Vertrauensschutz bei den Eltern in den bestehenden vergangenen Legislaturperiode das Thema der Wiederer- Klassen des Schulversuchs gewahrt bleibt. Nach der öffnung des Eisenbahngrenzübergangs Sebnitz–Nieder- Auswertung des Schulversuchs werden Entscheidungen einsiedel/Dolní Poustevna thematisiert. Im Jahre 2005 darüber getroffen, ob Ergebnisse, insbesondere zur erklärte mir der damals zuständige Staatsminister für individuellen Förderung der Schüler, in das Regelschul- Wirtschaft und Arbeit, Herr Jurk, (SPD), dass mit der wesen übernommen werden. So können bewährte Kon- Wiedereröffnung dieses Eisenbahngrenzüberganges im zeptionen der Schulversuche allen Schulen zugute kom- Jahre 2006 gerechnet werden kann. men.

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Im November 2009 ist der Sachstand, dass die tschechi- Dr. Johannes Müller, NPD: Danke. sche Seite sowohl die Eisenbahnstrecke Rumburg/Rum- burk–Niedereinsiedel/Dolní Poustevna bauseitig ertüch- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die tigt als auch den Abschnitt Bahnhof Niedereinsie- nächste Fragestellerin, Frau Köditz, Linksfraktion, hat um del/nádraží Dolní Poustevna–Staatsgrenze erneuert hat. schriftliche Beantwortung ihrer Frage Nr. 3 gebeten. Auf sächsischer Seite sind außer regelmäßiger Statements Damit kommen wir zur nächsten Fragestellerin, Frau regionaler Politiker mit dem Bekenntnis zur Wiedereröff- Jähnigen, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frage nung und entsprechender medialer Berichterstattung keine Nr. 5. Aktivitäten sichtbar, was zu deutlichem Unmut in der Eva Jähnigen, GRÜNE: Meine Frage richtet sich auf die Region führt, da bevölkerungsseitig beiderseits der Königsbrücker Straße in Dresden, ein Vorhaben, das seit Staatsgrenze die baldige Wiedereröffnung des grenzüber- 15 Jahren leider erfolglos geplant wird. Der Dresdner schreitenden Eisenbahnverkehrs erwartet wird. Stadtrat hat im letzten Jahr eine Kompromissplanung mit Fragen an die Staatsregierung: drei Spuren beschlossen, der alle Fraktionen – außer der 1. Wie ist der aktuelle Sachstand (Planung, Finanzierung, FDP, aber einschließlich der CDU – zugestimmt haben. künftige Betreibung etc.)? Diese beschlossene Planung ist jetzt zum Planfeststel- lungsverfahren ausgelegt worden. Es wird von der Presse 2. Wann kann mit dem Baubeginn und der Wiederauf- und durch Äußerungen der Oberbürgermeisterin kolpor- nahme des Eisenbahnverkehrs gerechnet werden? tiert. Dieses Planfeststellungsverfahren sollte nicht fortgesetzt werden, weil die Staatsregierung eine Förde- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die rung nur zugesagt habe, wenn der Ausbau vierspurig Staatsregierung antwortet Herr Staatsminister Morlok; erfolgen würde, also breiter, als vom Stadtrat beschlossen. bitte. Deshalb meine Fragen an die Staatsregierung: Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit 1. Warum besteht die Staatsregierung darauf, dass nur der und Verkehr: Herr Kollege Dr. Müller! Gestatten Sie vierspurige Ausbau der Königsbrücker Straße in Dresden mir, dass ich zu Beginn allgemeine Ausführungen über förderfähig sei? die Zuständigkeit mache, wie sie in Deutschland, hier in 2. Welche Kriterien muss der Ausbau der genannten Sachsen, gegeben ist. Für den Bau ist die Straße mindestens erfüllen, um eine Förderung durch den DB Netz AG und für den Betrieb der entsprechende Freistaat Sachsen zu erhalten? Zweckverband zuständig. Eine Zuständigkeit des Frei- staates Sachsen in dieser Frage ergibt sich nicht. Auch die 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Presseberichte, die Sie angesprochen haben, habe ich zum Staatsminister Morlok; bitte. Anlass genommen, mich über diesen Sachverhalt sach- kundig zu machen. Dazu kann ich Ihnen Folgendes Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit mitteilen: und Verkehr: Herr Präsident! Frau Abg. Jähnigen, mir ist Zum Punkt Planung. Die DB Netz AG hat die entspre- dieser Sachverhalt seit vielen Jahren bekannt. Ich kenne chenden Planunterlagen beim zuständigen Eisenbahnbun- ihn noch aus meiner Tätigkeit im Ortsbeirat der Dresdner desamt eingereicht. Meiner Meinung nach ist damit, Neustadt. Auch dort wurde das Thema bereits vor 15 sofern die Pläne vollständig sind, zeitnah mit einer ent- Jahren diskutiert. sprechenden Entscheidung zu rechnen. Die entsprechen- Aus Sicht der Staatsregierung nehme ich wie folgt Stel- den Finanzmittel stehen zur Verfügung, sodass, wenn lung: Ich beginne mit Ihrer zweiten Frage. Voraussetzung Baurecht bestehen würde, mit dem Bau begonnen werden für die Förderfähigkeit ist eine Verbesserung der Ver- kann. kehrsverhältnisse. Entscheidend ist natürlich, wie man Für die Betreibung ist, wie bereits gesagt, der Zweckver- Verbesserungen der Verkehrsverhältnisse beurteilt und die band zuständig. Ich weiß, dass sich der Zweckverband in Tatsache, mit welcher Verkehrslast wir tatsächlich rech- Gesprächen mit den tschechischen Aufgabenträgern nen. Das heißt, die Frage, ob ein zwei-, drei- oder vierspu- befindet, um eine Lösung hinsichtlich des Betriebes zu riger Ausbau im Sinne der Verbesserung der Verkehrsver- bekommen. Aber das ist die Zuständigkeit des Zweckver- hältnisse sinnvoll ist, hängt natürlich von der Verkehrs- bandes. Gegebenenfalls können Sie im Kreistag noch prognose ab. Da uns entsprechende Verkehrsprognosen einmal nachfragen. Das ist bei uns in Sachsen eine Ange- aktuell nicht vorliegen – die Stadt Dresden will diese im legenheit, die in der Verantwortung der kommunalen Frühjahr nächsten Jahres gemeinsam mit den Planunterla- Gliederungen steht. gen einreichen –, können wir kein abschließendes Votum darüber abgeben, welcher Ausbau zur Verbesserung der Hinsichtlich des Termins kann ich Ihnen aus Sicht des Verkehrsverhältnisse sinnvoll und angezeigt und damit Freistaates Sachsen keine Erkenntnis mitteilen. Ich kann förderfähig ist. Ihnen aber sagen, dass sowohl die DB Netz AG als auch der Zweckverband davon ausgehen, dass im Jahr 2010 Ich denke, Sie erkennen an der Antwort auf Ihre zweite Baurecht bestehen wird. Frage, dass sich eigentlich die erste Frage erübrigt hat, da Sie ja in Ihrer Fragestellung unterstellen, dass wir auf

213 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 einer bestimmten Ausbauvariante bestehen würden. Dem (Christian Piwarz, CDU: Konjunktiv hoch zwei!) ist nicht so. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Gestat- Friedel, Sie stehen am Mikrofon 1. Was ist Ihr Begehren? ten Sie eine Nachfrage, Herr Staatsminister? Sabine Friedel, SPD: Herr Präsident! Ich lese in Anla- Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit ge 5 unserer Geschäftsordnung, Punkt 10: „Der Präsident und Verkehr: Gerne. kann weitere Zusatzfragen durch andere Mitglieder des Hauses zulassen.“ – Ich bitte um Zulassung einer Zusatz- Eva Jähnigen, GRÜNE: Ich möchte gern von meinem frage. Nachfragerecht Gebrauch machen. – Sie wissen aus der Vergangenheit, dass ein Planfeststellungsverfahren für 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Das eine vierspurige Planung gescheitert ist und der Dresdner werde ich tun, wenn der Staatsminister Ihre Frage beant- Stadtrat sich deshalb auf eine vierspurige Variante nicht worten möchte. geeinigt hat. Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit (Zuruf von der CDU: Die Frage!) und Verkehr: Ich möchte die Frage gern beantworten, – Ich komme zur Frage, aber ich muss sie erklären kön- die Frage ist aber, ob ich sie aus dem Stegreif beantworten nen. – Der Ministerpräsident hat gestern gesagt, die Zeit kann. der Füllhörner sei vorbei. Wir haben derzeit die Situation, Sabine Friedel, SPD: Ich habe Sie eben in der Antwort dass die Stadt Dresden möglicherweise mehr Fördermittel auf die erste Frage so verstanden, dass Sie zum jetzigen bekommen soll, als sie eigentlich will. Deshalb meine Zeitpunkt noch nicht sagen können, ob eine zweispurige Frage: Teilen Sie meine Auffassung, dass es sowohl oder eine vierspurige Variante förderfähig ist, das heißt, fördermittelseitig als auch für den dringenden Sanie- Sie schließen nicht aus, dass die zweispurige Variante rungsbedarf der Königsbrücker Straße günstig wäre, wenn förderfähig ist. Habe ich Sie richtig verstanden? man sich schnell auf einen maßvollen und förderfähigen Ausbau einigen würde, und könnte man deshalb die Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit vorhandenen Prognosen benutzen? und Verkehr: Ich kann es nicht gänzlich ausschließen, weil das keine Frage der Verkehrsprognose ist. Die derzeit Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit vorliegenden Zahlen deuten darauf hin, dass es wohl ein und Verkehr: Ich denke, diejenigen, die in Dresden über vierspuriger Ausbau sein müsste. Allerdings kann ich die Königsbrücker Straße fahren, sind sich einig, dass nicht ermessen, ob aufgrund anderer Verkehrsmaßnahmen man dort dringend etwas tun sollte. in Dresden unter Umständen eine Änderung herbeigeführt (Vereinzelt Beifall bei der CDU) wird. Das wäre Kaffeesatzleserei. Von daher müssen wir das besprechen und darüber entscheiden, wenn die Daten Insofern stimme ich Ihnen zu. Aber es ist Sache der Stadt, vorliegen. entsprechende Planungen voranzutreiben, Entscheidungen herbeizuführen und diese dem Freistaat vorzulegen. Das Sabine Friedel, SPD: Vielen Dank. müssen Sie bitte mit den für Kommunalpolitik Verant- wortlichen in den entsprechenden Parlamenten bespre- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Der chen. Das ist nicht Sache des Freistaates. Wenn ein Antrag Abg. Schreiber hat sicherlich auch eine Zusatzfrage, wenn beim Freistaat eingehen würde, sichere ich zu, dass wir ich das richtig interpretiere. Herr Staatsminister, möchten uns so schnell wie möglich mit diesem Thema befassen Sie die Frage beantworten? und entscheiden. Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Eva Jähnigen, GRÜNE: Jetzt muss ich doch die zweite und Verkehr: Aber gern. Ich möchte in der Fragestunde Nachfrage stellen. Sie sagten vorhin, eine neue Prognose aber nicht unbedingt den Alleinunterhalter spielen. Viel- sei erforderlich. Jetzt haben Sie gesagt, wenn der Antrag leicht haben noch andere Abgeordnete wichtige Fragen, komme, der sich bereits im Planfeststellungsverfahren die beantwortet werden sollen. befinde, könne man sich verständigen, ob die vorhandene Prognose ausreiche. Ist der Antrag nun aus der Sicht der 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Staatsregierung behandlungsfähig, oder ist er es nicht? Schreiber, bitte Ihre Frage.

Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Patrick Schreiber, CDU: Sehr geehrter Herr Staatsminis- und Verkehr: Frau Kollegin Jähnigen, es gibt keinen ter, ich beteilige mich gern an der Dresdner Stadtratssit- Antrag. Deswegen kann ich auch nicht sagen, ob er zung in diesem Haus. behandlungsfähig ist. Wenn ein entsprechender Förderan- Herr Staatsminister, geben Sie mir recht, dass die geschei- trag vorläge, könnte ich Ihnen sagen, ob er ordnungsge- terte Planfeststellung aus dem Jahre 2000 nicht daran mäß und ausreichend ist und den Anforderungen genügt. gescheitert ist, dass es eine vierspurige Planung war, Da er aber nicht vorliegt, kann ich nicht ermessen, ob er denn, wenn er vorläge, ausreichend wäre. 214 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 sondern sie schlicht und einfach daran gescheitert ist, dass können. Die Zuständigkeit für die Prüfung dieses Sach- in dieser Planung Radwege fehlten? verhalts liegt bei der Bundesnetzagentur bzw. bei dem Bundesland, in dem das Unternehmen seinen Firmensitz Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit hat. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich für den Freistaat und Verkehr: Hierzu muss ich leider passen. Ich bitte um Sachsen keine Zuständigkeit. Verständnis. Da ich den Vorgang aus dem Jahre 2000 nicht kenne, kann ich nicht ermessen, was der Grund für Nach den mir vorliegenden Informationen hält der Bieter das Scheitern gewesen ist. die Verpflichtungen nach dem Energiewirtschaftsgesetz ein. Da er diese einhält, ist der Vorgang nicht zu bean- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ich standen. Da er nicht zu beanstanden ist und die Sächsi- erkenne keine weiteren Zusatzfragen. Damit kommen wir sche Staatsregierung nicht zuständig ist, wird sie dagegen zur Frage Nr. 12. Sie wird gestellt vom Abg. Schimmer nichts unternehmen. von der NPD-Fraktion. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Gestat- Arne Schimmer, NPD: Es geht um die mögliche Ver- ten Sie noch eine Nachfrage, Herr Staatsminister? drängung von Investitionen bzw. Instandsetzungen im Sächsischen ÖPNV durch explodierende Kosten beim Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Leipziger City-Tunnel. und Verkehr: Gerne. Frage an die Staatsregierung: 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau Sind der Staatsregierung Fälle bekannt, in denen durch Dr. Runge, bitte. die hohen Kosten für den Leipziger City-Tunnel in Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Ihnen ist doch diesem Jahr ursprünglich geplante Investitionen bzw. sicherlich bekannt, dass im Koalitionsvertrag der Bundes- notwendige Instandsetzungen im Bereich des sächsischen regierung als Zielvorgabe in dieser Legislaturperiode ÖPNV verdrängt wurden? festgeschrieben worden ist, eine bundeseinheitliche, 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Es unabhängige deutsche Netzgesellschaft zu gründen. Nun antwortet Staatsminister Morlok. ist meine Frage: Wie wollen Sie diese bundeseinheitliche unabhängige Netzgesellschaft herbeiführen, wenn die Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Politiker zusehen, wenn, wie bei E.ON geschehen, diese und Verkehr: Herr Präsident! Sehr verehrter Abg. ihr Netz verkauft hat und Vattenfall dies noch vor Weih- Schimmer, ich kann es relativ kurz machen. Ich habe im nachten beabsichtigt zu tun? Haus nachgefragt, ob solche Fälle vorgekommen sind. Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Die Antwort lautete: nein. Solche Fälle hat es nicht gegeben. und Verkehr: Frau Dr. Runge, was wir politisch wollen, Sie und ich, wird sich sicherlich in vielen Punkten unter- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die scheiden. Die Staatsregierung ist aber in ihrem Handeln nächste Fragestellerin ist Frau Dr. Runge; Frage Nr. 4. an die Gesetze gebunden. Sie hat in dem vorliegenden Fall keine Zuständigkeit und kann deshalb nichts tun, Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Sehr geehrter Herr wenn auch parteipolitisch andere Wünsche geäußert Präsident! Meine Frage betrifft den beabsichtigten Ver- werden. kauf des Hochspannungsnetzes von Vattenfall an Finanz- Da in Brandenburg ein Regierungswechsel stattgefunden investoren (Goldman Sachs, Deutsche Bank und Allianz). hat – Frau Dr. Runge, ich weiß nicht, ob der Wirtschafts- Ich frage die Staatsregierung: minister dort auch für das Verkehrsressort zuständig ist –, 1. Wie bewertet die Staatsregierung diesen Vorgang? wäre es einer Ihrer Parteifreunde. Vielleicht haben Sie die Möglichkeit, über diese Schiene Einfluss zu nehmen bzw. 2. Was will die Staatsregierung dagegen tun und welche nehmen zu lassen und zu prüfen, ob eine Zuständigkeit politische Alternative bietet sie hierzu an? besteht.

3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Vielen Staatsminister Morlok, bitte. Dank, Herr Staatsminister. – Der nächste Fragesteller ist (Zuruf von der Linksfraktion: der Abg. Jennerjahn von der Fraktion BÜND- Er kann gleich stehen bleiben!) NIS 90/DIE GRÜNEN. Er stellt die Frage Nr. 9.

Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Miro Jennerjahn, GRÜNE: Herr Präsident! Ich habe und Verkehr: Herr Präsident! Frau Kollegin Dr. Runge, eine Frage bezüglich der Aktivitäten der extremen Rech- zu Ihrer ersten Frage. Es ist so, dass sich die Regelungen, ten anlässlich des bevorstehenden Volkstrauertages am die eingehalten werden müssen, aufgrund des Energie- kommenden Sonntag. wirtschaftsgesetzes ergeben. Demnach muss ein Privater In den letzten Jahren ist es immer wieder zu zum Teil ein zuverlässiges, leistungsfähiges Netz diskriminierungs- nicht angemeldeten Spontandemonstrationen in zahlrei- frei betreiben, warten und bedarfsgerecht ausbauen chen Städten und Gemeinden Sachsens gekommen. 215 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

Deshalb meine Fragen an die Staatsregierung: 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Nächs- 1. In welchen Städten und Gemeinden sind der Sächsi- ter Fragesteller ist der Abg. Schimmer, Fraktion der NPD; schen Staatsregierung für dieses Jahr Aufmärsche der Frage Nr. 13. extremen Rechten mit jeweils wie vielen Teilnehmern Arne Schimmer, NPD: Ich habe eine Frage zu dem heute anlässlich des Volkstrauertages bekannt? Mir reicht in Zypern ansässigen früheren Vorstandsvorsitzenden der logischerweise eine Schätzung der Teilnehmerzahl. Sächsischen Landesbank, Michael Weiß, und zu der 2. Wie schätzt die Sächsische Staatsregierung das jeweils früheren Vorstandsvorsitzenden der Mitteldeutschen davon ausgehende Gefährdungspotenzial ein, zum einen Leasing AG, Andrea Braun. Ich würde gern wissen, ob die allgemein für den Freistaat Sachsen, zum anderen diffe- beiden noch ein Gehalt bzw. andere Zuwendungen aus renziert für die großen Städte und den ländlichen Raum? ihrer früheren Tätigkeit für die Sächsische Landesbank bzw. die MDL erhalten. Danke. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die Staatsregierung Herr Staatsminister Unland, bitte. Staatsregierung, bitte. Prof. Dr. Georg Unland, Staatsminister der Finanzen: Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Sehr geehrter Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abge- Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Frage 1 ordneter! Die Landesbank Baden-Württemberg ist möchte ich wie folgt beantworten: Der Sächsischen Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Landesbank Sachsen. Staatsregierung ist bisher die Anmeldung einer Versamm- Entsprechend dem eigenen Internetauftritt ist die MDL – lung der „Jungen Nationaldemokraten“ für den 15. No- Mitteldeutsche Leasing GmbH – eine 100%ige Tochter- vember 2009 in Wurzen am Kriegerdenkmal unter dem gesellschaft der Landesbank Baden-Württemberg Leasing Motto „Gegen Krieg und Vertreibung – Zum Gedenken an GmbH. Personalangelegenheiten der Landesbank Baden- die Opfer der Weltkriege“ bekannt geworden. Der Veran- Württemberg und der MDL GmbH liegen nicht in dem stalter gab bei seiner Anmeldung an, circa 200 Versamm- Zuständigkeitsbereich der Staatsregierung. lungsteilnehmer zu erwarten. Die Versammlung wird von 18 bis 20 Uhr durchgeführt. Bisher sind uns weitere Arne Schimmer, NPD: Danke. Versammlungen nicht bekannt geworden. (Holger Apfel, NPD: Dafür brauchst (Holger Apfel, NPD: Da kannst du du dich nicht zu bedanken!) ja deine Antifa-Truppen organisieren!) 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Nächs- Zu Frage 2: Alle Polizeidirektionen des Freistaates Sach- ter Fragesteller ist der Abg. Kosel, Fraktion DIE LINKE. sen bereiten der Lage angemessene polizeiliche Maßnah- Bitte, Herr Kosel; Frage Nr. 7. men vor, um anlässlich des diesjährigen Volkstrauertrages – wie zu jedem anderen Zeitpunkt auch – die öffentliche Heiko Kosel, Linksfraktion: Sehr geehrter Herr Präsi- Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Bei den Pla- dent! Meine Damen und Herren! Meine Frage bezieht nungen hierzu werden auch die Erfahrungen der Vorjahre sich auf die Förderung grenzüberschreitender Zusammen- im Hinblick auf das Versammlungsgeschehen anlässlich arbeit. des Volkstrauertages berücksichtigt. Es wird sicherge- stellt, dass sowohl die zuständigen Polizeidirektionen als Der Freistaat Sachsen hat Programme zur Förderung der auch die Versammlungsbehörden des Freistaates Sachsen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen dem ihre Maßnahmen abgestimmt ergreifen und die Behörden Freistaat Sachsen und der Tschechischen Republik – auch koordiniert zusammenarbeiten. bekannt als „Ziel-3-Programm“ – sowie dem Freistaat Sachsen und der Republik Polen aufgelegt. Dem Verneh- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Gestat- men nach erfolgt die Förderung ausschließlich nach dem ten Sie eine Nachfrage, Herr Staatsminister? Erstattungsprinzip, das heißt, die Auszahlung der Förder- mittel basiert auf der nachträglichen Abrechnung tatsäch- Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Ja, gern. lich getätigter Ausgaben. Die Projektbeteiligten sind verpflichtet, die Vorfinanzierung selbst zu sichern. Miro Jennerjahn, GRÜNE: Ich würde gern von meinem Recht auf Nachfrage Gebrauch machen. – Können Sie mir Ich frage daher die Staatsregierung: noch kurz nachreichen, wann die Versammlung durch die 1. Ist die Absicherung von Vorfinanzierungen seitens „Jungen Nationaldemokraten“ in Wurzen angemeldet kleiner und kleinster Projektträger in der Staatsregierung wurde? als Problem erkannt, und welche zukünftigen Hilfen zur Unterstützung dieser Projektträger plant die Staatsregie- Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Das müsste rung? ich schriftlich machen; ich habe es nicht vorliegen. 2. Ist es möglich, das Erstattungsprinzip aufzuheben, um Miro Jennerjahn, GRÜNE: Ich bitte darum. – Danke. so eine bessere Nutzung der oben angeführten Fördermit- Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Gern.

216 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009 tel, insbesondere durch kleine und kleinste Projektträger, die entsprechenden Vereine die Gelder auch dann behal- zu ermöglichen? ten können, wenn sie sie nicht entsprechend der Förder- richtlinie eingesetzt haben. Das kann nicht in Ihrem Sinne 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr sein, und es ist auch nicht in Ihrem Sinne. Von daher sehe Staatsminister Morlok. ich keine Möglichkeit, durch eine Initiative gegenüber der EU eine Verbesserung herbeizuführen. Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr: Herr Präsident! Herr Abg. Kosel, ich 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr möchte Ihre Fragen gern im Zusammenhang beantworten. Kosel, noch eine Zwischenfrage? Das Problem ist uns sehr wohl bekannt und in vielen Fällen schon an uns herangetragen worden. Allerdings Heiko Kosel, Linksfraktion: Meine Frage bezog sich auf kann ich Ihnen keine Lösung des Problems anbieten. zukünftige Änderungen, was die Projektförderung betrifft. Zum Grundverständnis ist vielleicht Folgendes wichtig: Es geht mir nicht um das laufende Verfahren. Wir schließen sowohl mit den sächsischen als auch mit Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit den polnischen und den tschechischen Projektträgern und Verkehr: Wir kommen nicht an dem grundsätzlichen zivilrechtliche Vereinbarungen ab. Wir befinden uns also Problem vorbei, dass wir uns im Zivilrechtskreis befin- nicht im hoheitlichen, sondern im zivilrechtlichen Be- den. Wir alle wollen schließlich, dass die Gelder entspre- reich. Sie wissen genau, dass wir entsprechend den chend den Förderrichtlinien eingesetzt werden. Geschieht Vorgaben der EU die richtlinienkonforme Verwendung das nicht, müssen wir sie zurückfordern; wir wollen sie dieser Ziel-3-Mittel sicherstellen müssen. Falls die Si- auch zurückfordern. Wir haben die Situation, dass die cherstellung nicht möglich ist, müssen wir die Gelder Dienststellen bei uns, aber auch die Kollegen in anderen zurückfordern. Wenn wir dazu den zivilrechtlichen Weg Bundesländern auf dem Zivilrechtswege versuchen, beschreiten würden, hätte das erhebliche Probleme, entsprechende Gelder einzutreiben. Ich denke, Sie wissen insbesondere einen hohen Verwaltungsaufwand, zur selbst, wie kompliziert das ist. Diesen Verwaltungsauf- Folge. Deshalb haben wir trotz der Probleme, die die wand scheuen wir alle zusammen, damit sind wir nicht Vereine vor Ort haben, von einer Vorauszahlung bisher die Einzigen in Sachsen. Ich gehe davon aus, dass wir abgesehen. auch für zukünftige Programme – wie in diesem speziel- Wir sind übrigens nicht die Einzigen mit dieser Verfah- len Fall, in dem wir uns im Zivilrechtsbereich bewegen – rensweise. Die anderen Länder entlang der deutschen keine Alternativen haben werden. Ostgrenze – Mecklenburg-Vorpommern und Branden- burg, aber auch Bayern – haben die gleiche Praxis wie bei Heiko Kosel, Linksfraktion: Danke schön. uns in Sachsen. Eine Nachfrage meines Hauses ergab, Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit dass auch Polen und Tschechien, die in ähnlicher Weise und Verkehr: Bitte. an diesem Programm beteiligt sind, so verfahren. Ich weiß, dass das für die Vereine im Einzelfall problematisch 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Nächs- ist, kann aber leider keine bessere Auskunft geben. ter Fragesteller ist Herr Abg. Jennerjahn, Fraktion GRÜ- NE; Frage Nr. 10. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Kosel, Sie haben noch eine Nachfrage? Miro Jennerjahn, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- dent! Meine Anfrage betrifft mögliche Transporte radio- Heiko Kosel, Linksfraktion: Ja. Wenn Sie gestatten, aktiver Abfälle nach Sachsen. würde ich eine Nachfrage stellen. Das Nachrichtenmagazin „Spiegel online“ hat am 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Bitte. 24. Oktober 2009 gemeldet, dass es aufgrund einer Änderung im europäischen Atomrecht keiner Genehmi- Heiko Kosel, Linksfraktion: Herr Staatsminister, Sie gung mehr bedarf, um radioaktiv belastete Rückstände haben dargelegt, dass Sie das Problem erkannt haben. aus der Öl- und Gasindustrie nach Deutschland zu brin- Mich interessiert, inwieweit die Staatsregierung auf ihren gen. Nach Angaben des „Spiegel“ nutzt die niederländi- Kommunikationswegen, die sie durchaus hat, bei der sche Shell- und Exxon-Tochter NAM eine Firma in Europäischen Union bzw. deren Gremien schon einmal Leipzig zur Lagerung solcher Abfälle. vorstellig geworden ist, damit sich an der als Problem erkannten Situation etwas ändert. Fragen an die Staatsregierung: 1. Welche Firmen in Sachsen haben in den letzten drei Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Jahren welche Mengen radioaktiver Abfälle zur Verwer- und Verkehr: Herr Abgeordneter, wir können das nicht tung oder Deponierung angenommen? Ich bitte um so einfach auf die EU schieben. Wenn wir Fördermittel Angabe der Firma, der Menge, der genauen Bezeichnung der EU richtlinienkonform einsetzen wollen, dann kom- und der Herkunft der Abfälle. men wir an einer Rückforderung bei nichtkonformem Einsatz nicht vorbei. Wenn man Ihren Gedanken zu Ende führt, dann sollen wir uns bei der EU dafür einsetzen, dass

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2. Auf welche Deponien oder in welche Abfallbehand- des Lausitzer Seenlandes ernste Sicherheitsbedenken. lungsanlagen wurden die unter Punkt 1 genannten Abfälle „Gerade in den ersten Jahren besteht die Gefahr unkalku- gebracht? lierbarer Begleiterscheinungen wie Bodenabsenkungen Danke. oder Uferabrutschungen“, sagt der Vizepräsident des DLRG-Landesverbandes, Eike Gläser. Unvergessen sind 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die die Bilder von Nachterstedt (Sachsen-Anhalt), wo im Juli Staatsregierung antwortet Herr Staatsminister Kupfer. Erdmassen in einen Tagebausee gerutscht waren. Drei Menschen starben. Laut Gläser könnte es möglicherweise Frank Kupfer, Staatsminister für Umwelt und Land- für Schwimmer riskant sein, sich in die Fluten der neu wirtschaft: Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Zur entstehenden Seen zu stürzen. „Die fehlende Begrünung Frage 1: In dem Artikel von „Spiegel online“ werden an den Ufern, die noch nicht stabilisierten Uferhänge keine radioaktiven Abfälle, sondern Schlämme und sowie große Wassertiefen von bis zu 70 Metern könnten Ablagerungen zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas, die gefährlich werden.“ Deshalb gehöre die Organisation der natürlich vorkommende Radionuklide enthalten, ange- Wasserrettung in Regierungshand. sprochen. Diese und weitere solche überwachungsbedürf- Fragen an die Staatsregierung: tigen Rückstände, die bei einer Verarbeitung von Materia- lien mit natürlichen Radionukliden anfallen, sind in einer 1. Welche Haltung nimmt die Staatsregierung zu oben abschließenden Liste der Strahlenschutzverordnung genannter Problemstellung ein? aufgeführt. Sie können unter bestimmten Bedingungen 2. Gibt es ein gemeinsames diesbezügliches Sicherungs- zur Verwertung oder Beseitigung aus der strahlenschutz- konzept der verantwortlichen Institutionen Sachsens und rechtlichen Überwachung entlassen werden. Sie unterlie- ? gen danach den Anforderungen des Abfallrechts. In den Jahren 2007, 2008 und 2009 haben nach Kenntnis Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die Staatsregierung der Staatsregierung folgende Firmen im Freistaat Sachsen Herr Staatsminister Ulbig. solche Abfälle angenommen: die Gesellschaft für Metall- Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Sehr geehrter recycling mbH eine Menge von 373,36 Tonnen quecksil- Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abg. Kosel! Die berhaltige Abfälle aus Deutschland und den Niederlanden; Fragen und die Ausführungen des DLRG lassen durchaus die Firma Preiss-Daimler Industrie AG einmal eine den Eindruck entstehen, dass es in Sachsen Defizite in der Menge von 2 925,92 Tonnen Boden und Steine, die Wasserrettung und Sicherheitsbedenken hinsichtlich der gefährliche Stoffe enthalten, aus Österreich, des Weiteren geotechnischen Sicherheit der sanierten Braunkohletage- 63,18 Tonnen Boden und Steine, die gefährliche Stoffe baue gäbe. Insbesondere wird die Sorge geäußert, dass enthalten, aus Hannover und zum Dritten 365,22 Tonnen durch Bodensenkungen oder Rutschungen die Badestellen Boden und Steine, die gefährliche Stoffe enthalten, aus eine hervorgehobene Gefahrenquelle darstellen. Schlema. Ich möchte im Namen der Staatsregierung erklären: Dem Die westsächsische Entsorgungs- und Verwertungsgesell- ist nicht so. Die Gewässernutzung wird durch die Behör- schaft mbH hat 442,88 Tonnen aufbereitete und mit den nur zugelassen, wenn in Abstimmung mit dem Säch- Geopolymerzement gebundene Abfälle mit der Abfallbe- sischen Oberbergamt davon ausgegangen werden kann, zeichnung Boden und Steine, die gefährliche Stoffe dass an diesen Stellen keine Gefahren hinsichtlich der enthalten, von der Gesellschaft für Metallrecycling Uferabrutschungen bestehen. Das bedeutet allerdings angenommen. auch, dass die Bürger nur dann an solchen offiziell ge- Zur Frage 2: Die unter Punkt 1 genannten Abfälle wurden nehmigten Stellen baden sollten. So ist fortwährend auf den Deponien Wetro der Preiss-Daimler Industrie AG darauf hinzuweisen, dass im eigenen Interesse die ange- und Cröbern der Westsächsischen Entsorgungs- und brachten Absperrungen und Hinweisschilder beachtet Verwertungsgesellschaft mbH abgelagert. werden. Unter dieser Voraussetzung ist eine gefahrlose Die quecksilberhaltigen Abfälle wurden vorher zur Ab- Nutzung der Tagebauseen möglich. trennung des Quecksilbers in der geschlossenen Vakuum- Verantwortlich für die Nutzung der freigegebenen Bade- anlage der Gesellschaft für Metallrecycling GmbH be- stellen sind die jeweiligen Eigentümer des Gewässers handelt. bzw. die Betreiber einer Badestelle. Eigentümer sind in der Regel die Gemeinden. Bäder und Badestellen können 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Als aber auch durch private Dritte betrieben werden. Die nächster Fragesteller Herr Kosel von der Fraktion DIE Betreiber haben dabei die erforderlichen Sicherheitsvor- LINKE; Frage Nr. 8. kehrungen zu treffen. Hierzu zählt dann auch die Einrich- tung und die Besetzung von Wasserrettungswachen, wozu Heiko Kosel, Linksfraktion: Sehr geehrter Herr Präsi- sich die Betreiber regelmäßig der Hilfsorganisationen, dent! Meine Damen und Herren! Meine Frage hat die zum Beispiel DRK oder DLRG, bedienen. Sicherheit der Gäste des Lausitzer Seenlandes als Thema. Wie der Presse, unter anderem der „Lausitzer Rundschau“ vom 13.10.2009, zu entnehmen war, bestehen bezüglich 218 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 4. Sitzung 12. November 2009

3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Bitte Fragerunde beschließt die Abg. Herrmann, Fraktion schön, Frau Herrmann. GRÜNE; Frage Nr. 11. Elke Herrmann, GRÜNE: Sie hatten ja vorhin ausge- Elke Herrmann, GRÜNE: Hierbei geht es um die führt, dass eine Verlängerung für ein halbes Jahr beab- sächsische Härtefallkommission. sichtigt ist und Sie dann eine veränderte Verordnung Die Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur erlassen werden. Meine Frage bezieht sich darauf, ob Sie Einrichtung einer Härtefallkommission nach dem Aufent- uns sagen können, an welchen Stellen Sie die bisherige haltsgesetz (SächsHFKVO) vom 11. Juli 2005 tritt am Verordnung hinsichtlich Organisation, Besetzung bzw. 31.12.2009 außer Kraft. Aufgaben zu ändern beabsichtigen. Frage an die Staatsregierung: Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Das kann ich an dieser Stelle noch nicht abschließend beantworten. Inwieweit hält die Staatsregierung an ihrem bisherigen Deshalb habe ich auch die Verlängerung für ein halbes Konzept bezüglich der sächsischen Härtefallkommission, Jahr vorgesehen, damit ich in dieser Zeit Gelegenheit deren Organisation, Besetzung und Aufgaben über das habe, Kontakte mit der Härtefallkommission zu bekom- Jahresende hinaus fest? men und auf der Grundlage der bestehenden Härtefallver- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die ordnung zu arbeiten sowie auf dieser Grundlage über die Staatsregierung, bitte. entsprechenden Veränderungen nachzudenken.

Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Herr Präsi- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine dent! Sehr geehrte Frau Abg. Herrmann! Ich habe vorhin Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 10 schon ausgeführt, die Härtefallkommission hat sich beendet. bewährt und ihre Fortführung wird durch die Verlänge- Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Tagesord- rung der Geltungsdauer der Sächsischen Härtefallverord- nung der 4. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages ist nung über den 31.12.2009 hinaus sichergestellt. abgearbeitet. Das Präsidium hat den Termin für die 5. Sitzung auf Mittwoch, den 9. Dezember 2009, Elke Herrmann, GRÜNE: Mir war durchaus bewusst, 10:00 Uhr, festgelegt. Die Einladung und die Tagesord- dass Sie diese Frage schon zum Teil beantwortet haben. nung gehen Ihnen noch zu. Ich wollte sie dennoch stellen, um mir die Möglichkeit der Nachfrage zu eröffnen. Ich bitte den Präsidenten, eine Die 4. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages ist geschlos- Nachfrage zu gestatten. sen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. (Schluss der Sitzung: 17:24 Uhr)

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