Inhaltsverzeichnis

Diamanten - Drama 3 Concours Galaxovision de la Chanson 14 Impossible Chaos 39 Grauzone 85 Sterben ist nicht nur menschlich 153 Diamanten - Drama

Es war der 14. Oktober 1987, und die Starbright transportierte die kleinste Fracht, die sie je an Bord gehabt hatte, nämlich ein kleines Köfferchen, wie es bequem ins Schubfach unter dem Co-Pilotensitz passte! Ein klitzekleiner Geheimauftrag war genau das Richtige zur Entspannung für Markus und Jürg. Die Fracht war von der Republik auf der Erde bestellt worden, da sie in der gewünschten Reinheit wirklich nur auf der Erde herzustel- len ist. Und die Angelegenheit sollte möglichst diskret geregelt werden. Keine Ahnung, wie man dabei auf uns kam! Die Starbright schaffte die 36’000 Lichtjahre nach Coruscant in weniger als drei Stunden. Markus landete das Raumschiff auf dem Astroportkom- 19 plex Nummer CQ-37/F7B , und das sagt eigentlich schon alles. Trotz seiner Abmessungen von ungefähr Long Island trägt er nämlich nur diese absolut nichts sagende Nummer und verdeutlicht damit die Eigenschaft von Coruscant als den politischen und wirtschaftlichen Mittelpunkt der ganzen Republik. Das Hindurchschleusen durch die Anflugwege erinnerte Markus und Jürg an den Film Labyrinth mit David Bowie. Auch hier gab es allerhand seltsames Zeug, und auch hier schien nichts so zu sein, wie es aussah. Fluglotsen mussten alle paar Wochen ersetzt werden, und die Linienflugpiloten waren regelmäßig reif für die Insel. Als die Triebwerke der Starbright verstummten, wischte sich Markus über die Stirn. »Ich kam mir vor wie César Keiser in seinem Cabaretstück ‘Telefon’. Hier wird man auch von Anflugkorridor zu Anflugkorridor weitergeleitet, bis man den Verstand verliert.« »Oder es fertig bringt zu landen. Komisch, dass es hier kaum Abstürze gibt.« »Wieso Abstürze?« »Na, irgendwann geht jeder Maschine mal der Sprit aus.« »Sie haben eine Sicherheitstoleranz. Wenn’s kritisch wird, feuern sie sich im letzten Moment in den Orbit, wo sie herumhängen, Fluglohn kassieren und warten, bis sie vom Militär runtergeholt werden. Und das ist jedes Mal ein finanzieller Kraftakt, der jedem das Blut aus dem Gesicht schlägt, der auch nur andeutungsweise Bescheid weiß.« »Is’ nich’ wahr?« »Im Ernst. Die Organisation hier ruiniert eines Tages noch die ganze Republik. Der Spritverbrauch eines einzigen Tages über Coruscant würde ausreichen, um sämtliche Autos der Erde für vierzehn Jahre und drei Monate zu versorgen.« »Welcher Irre hat denn das ausgerechnet?« »Greenpeace natürlich.« Markus griff nach dem Koffer, und sie stiegen aus. Für einen Moment wurde ihnen leicht schwindlig. Schuld war die Kombination aus Treibstoffgasen und des leicht höheren Sauerstoffanteils der Atmosphäre. Der optische Eindruck des Astroports enttäuschte. Es war nichts weiter als eine Betonflä- che von vierzehn mal acht Kilometern, völlig zugedeckt mit Schiffen aller Klassen, von der kleinen Orbitfähre bis zum Achthunderttausendtonnentransporter, dominiert von einem Tower, der wie eine Stecknadel auf einem Fußballplatz wirkte. Auf jedem Landefeld gab es ein dunkles, rundes Loch, und es kostete die beiden einige Überwindung, sich einfach hineinfallen zu lassen. Die Anti-G-Generatoren verwandelten

3 den Fall in ein geruhsames, freies Absinken. Der Fallschacht mündete in eine gigantische, unterirdische Halle, die mit Reisenden aller Rassen, Frachttransportern, Dienstrobotern und Militär voll gestopft war. Am Boden surrten Laufbänder mit verschiedenen Ge- schwindigkeiten. Überall sah man Verkaufsstände und Restaurants. Es herrschte ein Gewimmel, als wäre überall Sonderausverkauf in der Weihnachtszeit. Sichtweite betrug in dieser Menge knapp 32 Zentimeter! Jürg trat auf ein Schnellband, rotierte kurz und krachte mit Getöse auf den Stahlgitterbo- den. Markus zog ihn seufzend hoch, trat mit ihm vorsichtig auf ein Langsamband und von dort auf das Schnellband. »Bist du okay?« »Mir ist übel.« »Es könnte schlimmer sein.« Jürg erkannte, dass sie sich bereits dem Ende des Laufbands näherten, ohne irgendwie zu bremsen, natürlich. »Es ist schlimmer«, murmelte er. Markus hob abwehrend die Hände, aber in diesem Moment glitten sie über das Ende des Laufbands auf ein langsameres hinauf. »Na also, geht doch«, meinte Markus grinsend. In diesem Moment war auch die Bremsstrecke zu Ende, und sie bremsten nochmals, aber diesmal auf dem festen Boden. Anscheinend hatte man aus Erfahrung gelernt, denn an der hier befindlichen Wand war eine Polstermatte angebracht worden, die auch schon verdammt benutzt wirkte! »Die denken aber auch wirklich an alles«, knurrte Jürg und setzte die Brille wieder auf, die er schützend weggesteckt hatte. Sie betraten den Sicherheitsbereich, wurden sofort durchleuchtet und meldeten sich am Schalter an. »Willkommen auf Coruscant«, wurden sie von einer Andreanerin mit hinreißend rot lackierten Augendeckeln und zentimeterlangen Augenwimpern begrüßt. Ihr Lächeln offenbarte makellos leuchtend grüne Zähne. »Angenehmen Aufenthalt. Sie können passieren.« Jürg musste Markus wegziehen. Das Gebiss hatte ihn völlig gefesselt. Jürg bemerkte drei komische Typen, die unauffällig herüberstarrten. Ein Giftzwerg, ein großer Dicker und ein kleiner Doofer, die er reflexartig gleich als Mister Bean, Stan und Ollie bezeichnete. In diesem Moment drehten sie sich aber um und verschwanden im Getümmel. »Ich glaube, wir werden verfolgt«, murmelte Jürg. »Quatsch«, widersprach Markus. »Du liest zu viele Krimis. Von der Fracht wissen nur wir und Oberst Ceterra.« Jürg musste wieder grinsen. Ceterras Spitzname lautete ‘Oberst Ochs’. So einen Namen muss man sich erst mal verdienen!

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Eine gewaltige Rolltreppe brachte sie in die Oberwelt hinauf. Allein der lokale Stadtteil 9 mit der Nummer XKL95-18Q war so groß wie New York, Los Angeles und Mexiko-City zusammen. Die Bevölkerungszahl ist entsprechend, aber durch die Besucher kann sich die Anzahl der intelligenten Wesen hier in Spitzenzeiten leicht mal verdoppeln. Eines schien jedoch überall gleich zu sein: Markus hob die Hand, und ein Taxi kurvte heran. Es war natürlich kein Auto sondern ein XP-43 Schwebegleiter mit geschlossener Kabine. Die Turbine brummte beruhigend, während das Gefährt auf dem Luftkissen zentimeterweise auf und ab schwebte. Markus stieg ein, und Jürg wurde von Ollie

4 reingeschubst. Der stieg ebenfalls gleich ein, womit der freie Innenraum des Gleiters schlagartig um mehr als achtzig Prozent abnahm. Innenbeleuchtung brauchten sie keine, die Glatze des Dicken spiegelte genug. Stan wandte sich an Mister Bean am Steuer. »Gib Gas! Wir haben die beiden.« Markus blickte Jürg verlegen an. »Sieht aus, als ob ich zu wenig Krimis lese.« »Du solltest Ivos ‘Leitfaden für Entführungsopfer’, Kapitel ‘Abhängen von Beschattern’ nochmals durchlesen.« »Ach, du meinst die Stelle, wo man die Verfolger an die Wand klatscht. Das hält der stärkste Knochen nicht aus.« Der Dicke mit der Statur von zwei Panzerschränken ließ sich durch das Gewäsch allerdings nicht beeindrucken. Wohl weil er zu doof war. »So, Jungchen«, dröhnte die Stimme, dass die Sicherheitsscheiben zitterten. »Nun komm mal rüber mit dem Koffer.« »Wenn Sie mich so freundlich darum bitten. Übrigens, Ihre Zahnklammer ist ein wenig verrutscht. Gestatten Sie, dass ich das korrigiere?« Damit knallte Markus den Koffer gegen Ollies Kinn. Jürg packte Stans Nase und knallte dessen Kopf gegen die Innenseite der Tür. »Hier, zum Aufwärmen.« Durch das Gerangel auf dem Rücksitz begann der Gleiter zu schwanken und geriet aus dem Kurs … auf die falsche Straßenseite! Es gab ein paar haarsträubende Manöver, Menschen warfen sich erschrocken zur Seite, und der Gleiter donnerte saftig gegen die nächste Ecke, dass die Windschutzscheibe aus dem Rahmen flog und sich an der Wand in Glaspulver verwandelte. Der Giftzwerg landete weich in einer Gemüseauslage, allerdings mit ziemlich stachligem Gemüse. Und dadurch, dass die Auslage unter der Wucht zusammenbrach und den Zwerg durch die Fensterscheibe katapultierte, wurde die Sache auch nicht besser. Markus und Jürg stiegen aus. »Immer nach unserem Grundsatz«, bemerkte Jürg. »Chao- tisch, aber gründlich.« »Wir verduften besser. Hepp!« »Haltet Sie auf!«, kreischte Mister Bean durch das kaputte Fenster. Der Dicke zog eine Laserpistole. »Die kriegen eins vor den Latz.« In diesem Moment näherte sich heulend ein Krankengleiter und bremste scharf. Hastig steckte Ollie die Kanone ein, und die Sanitäter traten in Aktion. »Ich bin aber nicht verletzt«, knirschte Mister Bean hysterisch. »Das musst du schon uns überlassen«, meinte ein Sanitäter phlegmatisch.

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Das Villenviertel konnte man fast mit Monaco vergleichen. Eines der Ferienhäuser wirkte allerdings eher wie ein militärischer Sandbunker. Jürg studierte den Zettel mit der Adresse, die ihm Ken Trevelyan aufgeschrieben hatte, und drückte den Klingelknopf. »Die Adresse stimmt. Bin froh, wenn wir den Koffer los sind.« »Spielverderber«, grinste Markus. »Bis jetzt war’s doch ganz komisch.« »Komisch? Wir sind in den Anflugkorridoren fast wahnsinnig geworden, dann sind wir mit einem geklauten Taxi gegen eine Wand geklatscht, aber eigentlich war’s doch ganz komisch!« Im selben Moment, als die Tür aufschoss, brüllte eine leistungsstarke Turbine auf. Jürg schubste Markus zur Seite, und der Gleiter ließ gerade einen halben Meter Luft zwischen sich und der Hauswand. Die beiden stolperten und stürzten zu Boden. Vor Markus’

5 Augen standen zwei spiegelblanke Stiefel, die so pieksauber waren, dass sie nur einem Oberst gehören konnten. Markus blickte hoch. Heute war wohl der offizielle Glatzentag. Oberst Ceterra blickte sie aus respektablen 158 cm Höhe ungnädig an. Mit der linken, heruntergezogenen Braue klemmte er ein altmodi- sches Monokel fest. Missbilligend sträubte er seinen buschigen Schnauzbart, was ihm eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einer gewissen nordamerikanischen Eulenart eintrug. Markus verbiss sich ein Grinsen. »S-Sind Sie Oberst Och … Ceterra?« Die beiden standen auf und wischten sich den Straßenstaub von den Kleidern. Ceterra reichte Markus gerade an die Brust. Er hob aber nicht den Kopf sondern drehte nur die Augen nach oben, dass das Weiße zum Vorschein kam, was ihm einen ziemlich dämonischen Eindruck verlieh. »Persönlich«, knurrte er. Die Wärme und Herzlichkeit seiner Stimme hätte einen Na- palmbrand sofort erbarmungslos erstickt. »Eine etwas ungewöhnliche Art des Eindrin- gens.« »Sie müssen entschuldigen, aber … « »Achtung!«, rief Jürg und schubste Markus. Markus schubste Ceterra, und zu dritt polterten sie in den Eingang. Der Gleiter nahm die Ecke des Türrahmens mit. Aus dem Cockpit kam ein unübersetzbarer correllanischer Fluch. Hinter den dreien schloss sich die Tür wieder. Ceterra wischte das Monokel ab und stand wieder auf. »Ich muss schon sagen … « »Wir kommen im Auftrag der irdischen Sternenflotte mit einer Fracht von Buckaroo Banzaî«, erklärte Jürg. Der Eispanzer auf Ceterras Gesicht schmolz in Sekundenschnelle. »Ach so!«, brüllte er und fasste Markus bei den Schultern. »Erfreut, bin ausgesprochen erfreut!« Na also. Warum denn nicht gleich so? Markus öffnete den Koffer und zog ein dunkelrotes Samttuch beiseite. Jürg hielt den Atem an. Diamanten! Funkelnde, lupenreine Diamanten, die das Licht auf verschiedenartigste Weise brachen, dass das Innere des hoch verdichteten Kohlenstoffs wie ein Farbenkaleidoskop sanft schimmerte. »Märchenhaft«, flüsterte Ceterra ergriffen. »Nur auf der Erde kennt man das rationelle Verfahren, Kohlenstoff unter extremem Hochdruck in solch einer Reinheit zu einem Edelstein zu pressen. Keine Einschlüsse, nichts. Eine Reinheit von 100%. Die dazu notwendige Keimfreiheit der Herstellungsumgebung lässt den Fertigungsraum einer Mikrochip-Fabrikation wie eine Müllkippe erscheinen.« Er klemmte sich das Monokel wieder zwischen Braue, Bierbacke und Nase. Er wandte sich ab und teilte über die Schulter mit:»Leider wurde das Gespräch mit Buckaroo Banzaî und General Calrissian abgehört. Die Sektion ist hinter den Steinen her. Aber ich erledige das gleich.« Er verschwand in einem Nebenraum und tauchte mit einem fahrbaren Lasergeschütz wieder auf, das die Galactica aus dem Orbit holen könnte! »Die Energieherstellung ist dank gewisser supraleitfähiger Substanzen um ein Enormes gesteigert worden. Diese Substanzen sind übrigens Diamantenstaubpartikel von der ersten Prototyp-

6 Versuchsreihe. Mit diesen großen Diamanten allerdings werde ich mit einem Handlaser einen Sternzerstörer in seine Schrauben und Nieten sprengen können.« Jürg nahm verwirrt die Brille ab. »Das ist jetzt aber irgendwie merkwürdig. Ich hätte schwören können, es ginge um optische Lichttests für Fernmesserkundungen.« »Ich bin vielleicht verrückt, aber nicht blöd. Anders hätte ich doch die Steine nicht gekriegt.« »Sie unterdimensionierter Schimpanse, Sie!« »Mäßigen Sie sich, junger Herr.« Ein Laserstoß knallte das Schloss aus der Tür. Ollie trat die Tür vollends ein, und die drei stürzten in den Korridor, wo sie in die Röhre starrten. Und zwar in die Mündungsröhre der Kanone! Es machte

was in ganz Zürich alle Fensterscheiben gesprengt hätte, und der Blitz hätte gereicht, um in drei Lichtjahren Entfernung ein Foto zu belichten. Der Eingangskorridor sah jetzt aus wie eine Tropfsteinhöhle, und die drei hasteten in der Unterwäsche die Strasse hinunter. »Mann, der Laser ist nicht von schlechten Eltern«, keuchte Ollie. »Ruhe«, zischte Mister Bean. »Wir versuchen’s hinten rum.« Mit vereinten Kräften überkletterten sie die Mauer, die Ceterras Grundstück vom Rest des Planeten abtrennte. Sie entsicherten ihre Lasergewehre und schlichen über den Garten mit dem reich verzierten Brunnen auf das Haus zu. »Der wird Augen machen, wenn wir plötzlich in der guten Stube stehen«, geiferte der Zwerg. Er blickte über die Schulter, legte den Finger auf den Mund, flüsterte:»Vorsicht, wir müssen ganz leise sein«, und trat auf die Tellermine.

Ceterra betrachtete intensiv seine Fingernägel. »Personenneutralisations-Einheit K6 mit verminderter Sprengkraft, ich will ja niemanden umbringen. Funktioniert hervorragend, nicht wahr?«

7 Draußen überkletterten die anderen mit vereinten Kräften wieder die Mauer nach draußen. »Es ist zum in die Luft gehen!«, knirschte der verkohlte Zwerg mit qualmender Frisur. »Keine dumme Idee«, keuchte Ollie.

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Drinnen funkelte Jürg Ceterra an. »Sie wollen die Diamanten also für kriegerische Zwecke missbrauchen?!« »So ist es. Ich werde jeden Krieg mit ihnen gewinnen.« »Ich dachte, so was wie Sie wäre endlich ausgestorben.« »Es gibt immer wieder Typen, die sich ohne Krieg langweilen«, meinte Markus. Ceterra war anscheinend in seine Fingernägel verliebt. »Dann betrachten Sie sich als Gefangene.« »Der spinnt!«, bemerkte Jürg mit Überzeugung. »Der Letzte, der das gesagt hat, schuftet jetzt Zwangsarbeit auf Salusa Secundus!« »Wo ist das denn?«, fragte Markus. »Noch gibt’s das nicht. Es ist Paul Muad’dib Atreides’ Gefängnisplanet im Jahr 10’191 Bene Gesserit.« In diesem Moment hörte man deutlich Turbinengeräusche über dem Haus. Ceterra schaltete rasch die Überwachungsanlage ein und sichtete einen Atmosphärengleiter, fluchte etwas in correllanisch. Oben zischte Mister Bean:»Macht die Bomben fertig. Wir sind gleich über dem Haus.« Die Idee war gut, das musste sogar Ceterra zugeben. Mit bösartigem Fauchen schoss eine Abfangrakete aus dem Hausdach, visierte den Gleiter an und nahm sich die Freiheit, genau in den Triebwerksblock einzuschlagen.

»Ich sehe immer schwärzer«, keuchte Ollie, nachdem die Rettungsschwebekraftfelder sie in halb gekochtem Zustand auf dem Boden abgesetzt hatten. Jürg baute sich vor und über Ceterra auf. »Jetzt hören Sie mal zu, Sie größenwahnsinni- ger Zwerg.« Ceterra konnte die Wahrheit überhaupt nicht vertragen und kreischte:»Ich verbitte mir diesen Ton! Dafür lasse ich Sie einsperren.« Je kleiner die Körpergröße desto größer die Schnauze. Dieses physikalische Rätsel wird wohl nie geklärt werden. Markus schaltete auf Clint Eastwood und sagte mit eiskalter Grabesstimme:»Wofür halten Sie sich eigentlich? Rücken Sie die Diamanten raus, bevor ich ungemütlich werde.« »Immer mit der Ruhe«, meinte Ceterra und schlenderte zur Überwachungsanlage. Er nahm einen Hörer ab und wählte eine Nummer. »Hallo! Spreche ich mit der Einsatzbe- reitschaft? Bitte sofort ein Kommando. Ja, mit Handschel … «

8 »Mach ihn fertig!«, brüllte Jürg, als Markus den Telefonhörer packte und Ceterra mit dem Kabel einwickelte. Jürg fand in Ceterras Uniformtasche ein nicht ganz sauberes Taschentuch und stopfte ihm damit den Mund. »Jetzt aber nichts wie raus hier«, rief Markus, und sie verdufteten.

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In der Einsatzbereitschaft runzelte der Telefonist die Stirn. »Oberst Ceterra forderte eben ein Kommando an, wurde aber unterbrochen.« »Kurios«, murmelte Han Solo, der zufällig gerade mal hier reinschaute. »Schicken Sie ein paar Leute. Vielleicht sind es Terroristen.«

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Etwas weiter weg wurde die Sache etwas hektisch. Markus und Jürg stürzten mit dem Koffer aus dem Hinterausgang von Ceterras Villa und machten vor den Kanonen der drei Hilfsterroristen, die aus dem Wald rannten, rechtsumkehrt. »Stehen bleiben oder ich schieße!«, brüllte der Dicke. Er kapierte allerdings nicht, warum sie nicht stehen blieben sondern davonrannten, und wusste nicht mehr, was er tun sollte. Bis er auf die Idee kam, dass er hätte schießen sollen, waren sie schon im Wald ver- schwunden. Markus warf Jürg den Koffer zu. »Schnapp dir die Tasche, ich halte sie auf!« Ihre Angreifer teilten sich. Stan murmelte:»Wo stecken die bloß?« »Hier!«, rief Markus und klebte den kleinen Doofen an den nächsten Baum, wo er wie ein Abziehbild hängen blieb. Ollie feuerte mit Betäubung hinter einem Baum hervor, und rings um Markus zischten die Strahlen durch die Gegend. »Dicht daneben ist auch vorbei«, murmelte er und hob den Finger, um den Dicken an den nächsten Baum zu hängen. In diesem Moment kam der aber auf eine erstaunlich gute Idee! Immer wenn er auf Markus zielte, verfehlte er ihn. Also zielte er auf einen Busch und traf Markus voll. Die Betäubungsladung legte ihn flach, noch bevor er begriff, dass er getroffen worden war. »Ob ich ihm wehgetan habe?«, fragte Ollie besorgt. »Du bist vielleicht ein Gemütsmensch«, giftete Mister Bean. »Such lieber den Koffer!« Markus wachte gerade wieder auf. Ollie richtete seine Kanone auf ihn und knirsch- te:»Los, Junge. Wo sind die Klunkern abgeblieben?« »Frag doch mal auf dem Fundamt, du Schlauberger«, keuchte Markus und holte müh- sam Luft. Ein Betäubungsstrahl lähmt auf brutale Weise das gesamte Zentralnervensys- tem, und das ist keine schöne Sache. Dass nach einem solchen Treffer die Menschen wieder aufstehen und die anderen zusammenkloppen, gibt es nur im Kino. In diesem Moment tauchte Oberst Ceterra auf und brüllte:»Da ist er!« Sein bewaffnetes Polizeikommando eröffnete sofort das Feuer. »Mist, der Oberst!«, knirschte Mister Bean und haute ab, Stan und Ollie hinterher. Ceterra baute sich vor Markus auf und nahm sein Monokel in die Hand. »Also, mein Junge. Nun sag mal brav, wo der Koffer steckt.« »Eher polier’ ich dir die Glatze«, schilderte Markus seine Einschätzung der Situation. Ceterra packte Markus am Kragen und schüttelte ihn. »Mit dir werde ich auch noch fertig!« Die Schüttelei verwackelte Markus’ Konstitution noch mehr, und er verlor wieder das Bewusstsein.

9 »Bringt ihn ins Lazarett «, befahl Oberst Ochs. »Und jetzt suchen wir den Koffer.«

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Etwa dreihundert Meter entfernt duckte sich Jürg hinter einen Felsblock und belauschte die drei Halbgorillas. »Er hat ihn nicht gehabt«, erklärte Mister Bean. »Also hat ihn der andere. Wir müssen ihn vor dem Oberst finden. Schwärmt aus! Wer ihn findet, pfeift.« Jürg gähnte, blickte auf die Uhr, betrachtete seine Fingernägel und wartete darauf, dass der Giftzwerg um den Felsblock herum kam. »Ahaaa!«, sagte der. »Nichts ahaaa!«, erwiderte Jürg und beförderte den Zwerg mit einem Fingerschnippen in eine Baumkrone hinauf. Dann schnappte er sich den Koffer und rannte los. Der Dicke kam hinterher und dann der Doofe. »Da isser«, rief Ollie. »Warum pfeift denn keiner?« Jürg rannte in einen Bauernhof hinein und sichtete einen Stall mit Banthas. Sofort verschwand er darin, seine zwei Verfolger hinterher. Zwei Sekunden später waren sie wieder draußen. Stan flüchtete vor einem wild gewordenen Bantha, auf dessen Gesicht Ollie klebte. Jürg grinste, rannte zur Strasse hinauf und hob den Daumen.

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Markus lag im Bett des Sektorkrankenhauses, und Ceterra verdonnerte den Wachtpos- ten. »Ein wichtiger Patient. Dass mir kein Unbefugter den Raum betritt.« »Jawohl, Herr Oberst.« »Sie sind mir für den Burschen verantwortlich.« »Jawohl, Herr Oberst.« Ceterra verließ das Zimmer und stampfte den Korridor hinunter, an einem jungen Assistenzarzt vorbei. »Ich kriege die Diamanten«, flüsterte er vor sich hin. Der Arzt schüttelte den Kopf, versuchte noch mal vergeblich, den weißen Kittel vorne zuzukriegen, und betrat an den beiden äußeren Wachtposten vorbei das Zimmer. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, dass er unecht sein könnte, dafür hatte der Arzt geistig schon gesorgt. Er trat neben das Bett und holte aus einer Tasche eine Hochdruck- spritze, eine Art Luftdruckinjektor. »Jürg«, krächzte Markus. Die hatten schon dafür gesorgt, dass es ihm nach dem Laser- schuss nicht zu schnell besser ging. »Was hast du gesagt?«, fragte der Wachtposten unwirsch. »Er hat gewürgt«, wimmelte der Arzt hastig ab und fummelte an der Spritze herum. »Ihm geht’s noch nicht gut.« Markus starrte die Spritze an, und der Wächter begann zu lachen. »Was gibt’s da zu lachen?«, fragte Jürg unwirsch. »Helfen Sie mir lieber.« »Keine Angst, mein Junge. In einer Sekunde ist alles vorbei. Hahaha!« »Glauben Sie?«, fragte Markus unsicher. Die beiden Posten draußen schraken herum, als aus dem Zimmer ein markerschüttern- der Schrei wie in höchster Panik kam. Sie rissen die Tür auf. »Alles okay?« »Na klar!«, rief der Wächter. »Unser jugendlicher Held brüllt nur, weil er Angst vor der Spritze hat.«

10 »Mann, stellt der sich an.« Die beiden gingen wieder raus und machten die Tür wieder zu. In diesem Moment berührte Jürg wie versehentlich mit der Spritze den Finger des Wächters, und das Ding ging los. »Aahjaa!«, rief der Typ. »Tut doch gar nich’ weh, oder?«, fragte Jürg grinsend. Der Typ begann zu schwanken und brachte mit Mühe die Pistole aus dem Halfter. Dann krachte er zu Boden, dass die Fliesen splitterten. Jürg betrachtete die Spritze nachdenk- lich. »Ich muss wohl den Quadrothorazingehalt das nächste Mal etwas erhöhen. Ich dachte schon, der kippt überhaupt nicht mehr um.« Markus schälte sich aus dem Bett. »Darf ich fragen, warum du den Typen nicht einfach auf den Gipsbeinkran gehängt hast?« »Weil ich mich so schlecht konzentrieren kann, wenn ich nervös bin.« Markus zwängte sich mühsam in die Uniform des Wächters (Igitt, ist das unhygienisch) und presste sich das Kissen vor das Gesicht. Sie verließen das Zimmer, und Jürg kochte die Posten an. »Un-Unzumutbare Zustände sind das! Missstände, Mann. Das sollten Sie mal unsere Krankenhäuser sehen, da geht alles ruckzuckzackzack. Wird Zeit, dass jemand die Betten in die Reinigung bringt.« Die Posten blickten ins Zimmer und sahen, dass jemand im Bett zu liegen schien. »Alles okay. Der Typ pennt.«

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»Mir geht’s nich’ so gut«, murmelte Markus hinter dem Kissen hervor. »Ich schwanke wie ein besoffener Rigelianer.« »Nimm bloß das Kissen nicht weg!«, zischte Jürg nervös. »Wir gehen soeben an den drei Terroristen vorbei. Was die wohl hier wollen?« »Bescheuerte Frage.« Die Terroristen bogen um die Ecke. Die Wachtposten rissen die Waffen hoch. »Halt!«, brüllte der eine und kriegte eine Gasgranate in die Schnauze. Die beiden kippten um, und die Gorillas stürmten gasmaskengeschützt ins Zimmer. »Holt den Jungen, aber macht fix!«, kreischte Mister Bean. Sie blickten nicht mal unter die Decke, schnallten den bewusstlosen Wächter fest und verfrachteten ihn im Schutz von Sanitätsuniformen in einen Schwebegleiter. Als sie einstiegen, heulte eine Sirene auf, und aus einem Lautsprecher brüllte einer:»Alarm! Stoppt den Ambulanzgleiter!« Mister Bean zischte:»Mist!«, gab Gas und heulte Staub aufwirbelnd davon. Ein grell rotes Strahlengeflecht griff nach dem Gleiter. Mehrere Treffer verunstalteten die Karosserie, der Giftzwerg wurde nervös und knallte den Gleiter frontal an einen Baum. Wieder sprang die Windschutzscheibe aus dem Rahmen, und Mister Bean landete zehn Meter weiter vorn wieder.

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An Oberst Ceterras Überwachungskonsole piepte das Ruflicht. Er hob ab und meldete sich. Sekunden später platzte beim Anrufer das Trommelfell. »Waaas! Entführt?!«

11 Fünf Minuten später stand er im Villenviertel vor dem Krankenhaus und betrachtete den aufgewickelten, rauchenden Ambulanzgleiter und die drei bandagierten Terroristen. Luke Skywalker stand daneben. Die Affäre erregte immer mehr Aufsehen. » … aber die Jungs hatten den Falschen mitgenommen«, erzählte er Ceterra. »Den richtigen Typen hat sich der Assistenzarzt unter den Nagel gerissen.« »Mitsamt den Diamanten, hehe«, knirschte Mister Bean. »Was ist hier eigentlich los?«, fragte Luke verwirrt. Ceterra knirschte:»Diese beiden Terroristen haben eine hoch geheime Ladung geklaut, die ich von Dr. Buckaroo Banzaî auf der Erde erhalten habe. Es geht um ein Staatsge- heimnis.« »Augenblick mal! Die drei Typen hier sind Terroristen von der Sektion. Wer sind dann die beiden anderen?« »Weiß ich noch nicht. Aber wir müssen sofort den Astroport alarmieren.«

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Auf dem Astroport schleifte Jürg gerade den torkelnden Markus durch die Kontrollen. Sie trugen beide wieder normale Kleider. »Was ist denn passiert?«, fragte der Sicherheitsoffizier, der gerade vorbeikam. Jürg machte ein saures Gesicht. »Sehr schön, euer Coruscant. Fantastische Stadt. Und die touristischen Vergnügungen, die man hier kriegen kann. Kenn ich nur von Bangkok her. Ich hab ihn gewarnt. Jetzt isser etwas müde, aber da isser selber schuld.« Der Officer schüttelte den Kopf und bemerkte nicht den eisigen Blick, den Markus Jürg zuwarf. Zwei Sicherheitsbeamte legten Markus auf eine Bahre und schafften ihn auf Anweisung von Jürg zu ihrem Landeplatz. »Sir, Sie werden am Intercom verlangt«, meldete ein Soldat. »Einen Moment, bitte. Ich habe zu tun.« Man trug Markus in die Starbright. Der Officer stieg wieder aus. »Ihr Freund ist versorgt. Sie können starten.« »Ich werde Sie bei Präsidentin Skywalker lobend erwähnen«, meinte Jürg und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Danke sehr.« Er stieg ein und zog die Rampe hoch. »Der Oberst verlangt Sie!«, rief der Soldat, und der Officer trat an die Intercomsäule, die bei jedem Landeplatz steht. »Hallo?« Pause. »WAS?!« Er ließ den Hörer los, zog seine Kanone und kreischte:»Stoppt das Raumschiff!« Mit Donnergetöse hob die Starbright ab, und die Soldaten feuerten hinterher. Die Starbright schwenkte die Flügel herunter und gewann sehr rasch an Höhe. In diesem Moment hielt ein Schwebegleiter auf dem Landeplatz. Ein äußerst saurer Oberst (Ochs) Ceterra stieg aus und stampfte den Officer akustisch ein. »Zwingen Sie sie zum Landen! Sie dürfen nicht entkommen! Wo ist der nächste Sternzerstörer?!« Der Officer wurde an das Intercom gescheucht. In diesem Moment kam Han Solo herangeschlendert. »Welcher Ochse macht denn hier solchen Lärm?!«, rief er und blickte sich verwirrt um. Luke hatte ihn alarmiert und war dann gleich mit ihm dem Oberst hinterher gehetzt. Ceterra salutierte. »Terroristen sind eben mit einem Staatsgeheimnis getürmt.«

12 »Das bezweifle ich aber stark. Ich kenne die Kiste nämlich, die eben hier gestartet ist. Kommen Sie mal zu Papa, Sie Ochse, und erzählen Sie mir mal alles von Anfang an. Äh, Luke! Hol mal ein bewaffnetes Kommando. Ich hab das Gefühl, hier ist irgendwas nicht ganz sauber.« »Eben sind ein paar Abfangjäger gestartet«, rief Luke zurück. »Was sollen wir machen?« Han seufzte. »Dann können wir nur noch beten für die Abfangjäger.«

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Jürg saß ausnahmsweise mal auf dem Pilotensitz und betrachtete das Radar. »Sie verfolgen uns«, bemerkte er. Markus saß benommen auf dem Co-Pilotensitz und stierte zur Scheibe hinaus. Die Starbright machte eine scharfe Kurve. »Was machst ’n jetzt wieder?«, fragte Markus misstrauisch. »Quatsch’ mich nicht von der Seite an. Ich sagte vorhin schon, ich sei nervös.« Die Starbright hatte um 180 Grad gewendet und schoss frontal auf die drei X-Jäger zu. »Sind die denn bescheuert?!«, brüllte Wedge Antilles. »Moment, die Kiste kenn’ ich. Rette sich, wer kann! Ich weiß, wer das ist!« Wedge riss seinen Jäger herum. Die beiden anderen auch, aber zueinander. Während sich die Formation schlagartig aufsplitterte, und zwei der drei Jäger ziemlich heftig auseinander splitterten, bretterte die Starbright mit einem Affenzahn zwischen ihnen hindurch. Unten ging ein Funkspruch ein. »Erbitten Landeerlaubnis mittels Fallschirm. Ende!« Jürg schoss aus dem Orbit und grinste. »Das war’s. Bin richtig stolz auf mich. Du siehst allerdings gar nicht begeistert aus. Was hast du denn? Ist dir nicht gut, Bruderherz?« »Ka-Ka-Kann man nnnnicht s-sagen.« »Ich schlage vor, dass wir Buck seine billigen Plastikdiamant-Imitationen wieder zu- rückbringen. Dann bedanken wir uns noch bei Luke und Han, und die Affäre ist vom Tisch.«

(25. Dezember 1986)

13 Concours Galaxovision de la Chanson

»Guten Abend, hier ist Theodor Haller. Ich begrüße Sie recht herzlich zum ersten Concours Galaxovision de la Chanson, wie er hier auf der Erde genannt wird. Dieses Songfestival findet auf dem großen galaktischen Rad statt, das astronomisch gesehen ungefähr zwischen Sirius B und Antares liegt. Sirius B bitte nicht verwechseln mit Sirius A, der unser zweitnächster Stern ist, auf dessen zweitem Planeten die Elfen leben. Sirius B liegt viel weiter weg und ist auch etwa vier Mal so groß. Heute Abend, dem 12. September 1987, werden sich hier etwa zwei Dutzend Sänger und Sänge- rinnen aus allen Teilen der Galaxis messen. Die Heimatwelt des Gewinners wird dann jeweils im nächsten Jahr diesen Super-Schlagerwettbewerb austragen. Wir zeigen jetzt einen Blick in die große Konzerthalle. Sie sehen, dass allein im Zuschauerraum Platz genug ist für mindestens sechstausend Menschen … und -ähnliche Wesen. Die Bühne besitzt da eher die Ausmaße des Astroports von Coruscant. Von vierundzwanzig Welten sind bei Ausscheidungen Gewinner hervorgegangen, was uns wieder einmal beweist, dass wir Erdenmenschen nicht die Einzigen sind, die etwas fertig bringen. Von der Erde treten an … « Moment mal! Was ist eigentlich los?! Um das zu verstehen, müssen wir etwa ein paar Monate zurückschalten:

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Irgendwann im November 1986. Präsidentin Leia Skywalker starrte fasziniert auf den Fernseher. »Wie viele??« »Na, so etwa 20 Länder«, antwortete ich. »Dieses Jahr hat so eine vierzehnjährige Göre gewonnen. Sie sang ‘J’aime la vie’. Nächstes Mal ist der Concours Eurovision deshalb in Luxemburg.« Ich runzelte die Stirn. »Ist was?« Ich schluckte nervös. »Wenn du dieses Gesicht machst, Leia, dann weiß ich, dass dir in den nächsten zehn Sekunden irgendeine absolut ausgerastete Horroridee kommt.« Leia murmelte:»Die Idee ist nicht schlecht.« »Was hast du vor?«, fragte ich alarmiert. »Sie ist sogar gut.« »Was schwirrt in deinem Köpfchen rum?« »Sie ist sogar verdammt gut!«

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Irgendwann im Januar 1987. Senatssitzung auf Coruscant. » … fordere ich möglichst viele auf, auf ihrem Planeten Ausscheidungen durchzuführen, die dann an einem galaxisweiten Schlagerwettbewerb teilnehmen werden. Ein weiterer Beweis für die gemeinsame, friedliche Zusammenarbeit aller Welten des uns bekannten Universums, um eine friedliche, bessere Welt aufzubauen. Ich danke Ihnen.« Leia setzte sich und kriegte aus dem ganzen weiten Rund des Senatssaales spontanen Applaus.

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14 Das wäre eigentlich alles. Jedenfalls das Meiste. Der Concours Eurovision wurde mit sofortiger Wirkung weltweit freigegeben. Die Gewinner würden dann zum großen galaktischen Rad fliegen. So einfach ist das. Es gab trotzdem ein paar Unzufriedene. Zum Beispiel ein paar Sängeramateure, die nun beim irdischen Concours natürlich keine Chance mehr hatten gegen die Prominenz, die plötzlich vor die Mikrofone drängte. Aber da gab es zwei, die alles von der Bühne fegten.

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»Ich bin eigentlich nie dazu gekommen, mich effektiv bei euch zu entschuldigen«, sagte Senator Simon Greyshade verlegen. Ich räkelte mich im Kontursessel in seinem Privatsalon, wo ich vor fast zwei Jahren schon einmal gewesen war, aber als Gefangener. Ich ließ ein Glas deltronischer Spezialauslese aus dem Gerät, dämpfte aber etwas den Gewürzzusatz, sonst wäre ich qualmend aus dem Fenster gesegelt. »Sie haben sich schon entschuldigt, Greyshade.« »Mein Name ist Simon. Wann denn?« »Als du aus der Yacht gerannt bist, um die Truppen aufzuhal- ten.« »Das war der dämlichste Moment meines Lebens.« Er seufzte träumerisch. »Und der schönste.« »Da würde dir Han Solo begeistert zustimmen. Es braucht schon mehr, um Michael umzubringen, als dich und Urs.« »Ja, das habe ich gemerkt. Ich muss euch gratulieren.« »Ich werd’s Michael ausrichten.« »Wieso? Ist er nicht mehr dabei?« »Nein. Er meint, Glück ist ein Stück Seife. Je mehr man davon braucht, desto mehr braucht man es auf. Er glaubt, dass seine Seife restlos verbraucht ist und will lieber arbeiten, als zwischen den Sternen herumzujagen.« »Da hat er Recht. Und warum tust du das nicht?« »Was soll ich denn tun? Das, was ich gelernt habe? In Fernsehern nach kaputten Transis- toren suchen? Nur über meine Leiche. Meine Zukunft liegt auf dem Papier. Hast du meine Geschichte über D.A.R.Y.L. gelesen?« »Habe ich.« »Das ist das, was ich will. Hast du meine Geschichte über die Alien-Sache gelesen?« »Habe ich. Mir läuft es jetzt noch kalt über den Rücken.« »Ich will Geschichten erzählen. Ich will die Menschen unterhalten … «

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» … ich will Spaß machen, und Spannung, egal wie. Auf dem Papier, vor der Kamera, auf dem Band, egal wie. Wenn andere lachen, lache ich auch. Ich lache gern. Das Leben kann so verdammt schön sein, und es könnte noch viel schöner sein, und ich will versuchen, es schöner zu machen als es ist. Ich kann ein Orchester dirigieren, ich kann Synthesizermusik machen, ich kann singen, bloß ist das erste Lied immer das Schwierigste. Ich weiß nicht, wie gut ich singen kann, das muss ich erst rausfinden. Ich habe Spaß am Programmieren, ich kann Autofahren. Man hat mir oft genug

15 gesagt, dass ich ein paar Sachen auslassen soll, da ich einfach nicht alles machen kann. Die, die das gesagt haben, werden mich noch kennen lernen!«

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Ich wachte wieder auf. Simon starrte mich an. »Sorry«, piepste ich schüchtern. »Schon gut. Was glaubst du denn, wie gut du singen kannst?« »Ich weiß nicht. Ich muss mal die beiden fragen, die ich hergeflogen habe. Hast du ihre Kinofilme gesehen?« »Äh, welche sind das?« »‘Mad Max beyond Thunderdome’ und ‘Labyrinth.’« »Habe ich. Hier auf dem Rad läuft absolut alles.«

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Zwei Stunden vor Sendebeginn. Ich blickte aus dem Fenster, der Konzertsaal war fast gerammelt voll. Mehrere Fernsehkabinen waren allein für irdische TV-Stationen reser- viert. Eurovision mit Theodor Haller (berühmt für seine trockenen, bissigen Bemerkun- gen), NBC mit Johnny Carson, TV Moskwa für den ganzen Ostblock mit Jurij Soljakow, Japan mit Seiki Aoki, und Australien mit Jamie Baines. Alle Sendungen gingen über Supralichtübertragungen und ermöglichten so Zeitverzögerungen von wenigen Sekun- den. Ich freute mich auf die Sendung, denn Lando Calrissian würde den Showmaster machen. Das würde bestimmt komisch werden. Erst hatten sie Han Solo gefragt, und der hatte fast seine Pistole gezogen, um sich zu wehren. Dann hatten sie einen unauffälligen Blick in meine Richtung geschickt, worauf ich schnellstens verduftet war, und so hatten sie sich dann auf den armen, unschuldigen Lando gestürzt. Nicht, dass ich irgendwie bereits ein galaktischer Promi wäre, aber seit dem Alien- Skandal sind wir nicht nur auf der Erde bekannt, denn diese Aliens haben die ganze Galaxis beunruhigt, und das mit Recht! Ein fünfgestrichenes Cis drosch mir ins Rückenmark, und ich verkrümmte mich. Ich drehte mich zu Tina Turner um, die nach fünfzehn Sekunden endlich wieder Luft holte. Das ist keine Frau, das ist eine Naturgewalt! »Das nächste Mal bitte mit Vorwarnung«, flüsterte ich nach Atem ringend. Sie schenkte mir aber nur einen mitleidigen Blick, und die anderen vier setzten sich seufzend. Wir befanden uns in einem Tonstudio. Und in keinem Tonstu- dio durfte eine Bar fehlen! Urs studierte schon die Getränkekar- te. Tina rief:»Warnung! Achtung! Gis-Alarm! Gis-Alarm!« »So ist’s recht«, nickte ich befriedigt. »Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!!« Dieser Sound ging vom fünfgestrichenen Gis bis ins dreigestrichene Des hinunter. Mir verkrampften sich sämtliche Muskeln, und als sie endlich Luft holte, fragte ich bissig:»Das soll ein Gis sein?« »Natürlich. Chromatisch die Tonleiter runter.«

16 »Warum musste ich auch fragen?« »Keine Ahnung.« »Tina, beherrsch dich bitte. Du trampelst mit deinem vollen Gewicht auf unseren Nerven herum.« »Ach, deshalb seht ihr so frisch aus.« »Ich halt das alles nicht mehr aus. Halt! Reiß dich zusammen, Ivo. Du wirst dich doch von so einer farbigen Biene nicht plattwalzen lassen, kapiert? Ja, kapiert. Wirklich? Aber ja doch! Aber merk dir das in Zukunft! Is’ ja gut, is’ ja gut.« Sie musterte mich fasziniert. »Du leidest ja an Schizophrenie.« »Darunter leide ich gar nicht, das wird von mir gepflegt«, feuerte ich zurück. »Wo steckt eigentlich David?«, fragte Hervé. Tina zuckte mit den Schultern. »Mir hat er zuletzt gesagt, er sei in der alten Arena. Wo alle die 3D-Bilder der Todesspiel-Champions stehen. Schade, dass Greyshade das abgeschafft hat. Ich würde da gern mal mitmachen.« »Das glaub ich dir aufs Wort«, murmelte Urs aus dem Glas. »Nur wird David beim letzten Bild wohl einen kleinen Schock kriegen.« »Wieso?« Ich grinste und deutete auf Urs. »Weil er der letzte Todesspiel-Champion ist.« »Waaaas? Deeeer?« »Jaaaa, iiiich«, gab Urs zurück. In diesem Moment platzte Han Solo herein. »Ist die Vertreterin von Aneesdalon schon hier?« »Nope«, antwortete Tina. »Wir sind die Ersten. Wieso?« »Weil ich den Vertreter kenne.« »Wer isses denn?« In diesem Moment rief eine scharfe Stimme von einer anderen Tür her:»Solo, du alter Revoluzzer! Haben Sie dich immer noch nicht vom Firmament geputzt.« Han schoss herum. »Atuarre! Du altes Raubkätzchen.« Er rannte zu ihr hin, und sie begrüßten sich stürmisch. Er kraulte ihr Fell hinter den Ohren, und sie schnurrte anima- lisch. Äh, Atuarre ist eine Katze! Okay, sie läuft auf den Hinterbeinen wie ein Mensch, aber sie hat am ganzen Körper einen wunderbar flauschigen, crèmefarbenen Pelz, und auch das Gesicht ist das einer überdimensionalen Katze. Neben ihr stand ein kleineres Exemplar von der Sorte, etwa einen Kopf kleiner als sie. Han gab ihm die Hand. »Und wie geht’s dir, Pakka?« »Ihm geht es bestens«, antwortete Atuarre und kraulte ihren Sohn zwischen den spitzen Ohren. »Wir haben dich schon lange nicht mehr gesehen, Solo.« »Etwa sieben Jahre. Oder sogar acht. Er bist ganz schön gewachsen.« »Oh, das geht von allein.« Han wandte sich zu uns um. »Darf ich vorstellen? Atuarre und ihr Sohn Pakka. Das hier sind die Chaoten.« »Was?«, machte Atuarre erstaunt. »Die sind die mentale Bedrohung des galaktischen Ökosystems?« Wir warfen uns einen kurzen Blick zu. Mit steigendem Bekanntheitsgrad steigt auch die Originalität der Namen, mit denen wir belegt werden. Die Fantasie, die dabei zu Tage tritt, ist erstaunlich.

17 Han legte der Katze, die einen halben Kopf größer war als er, einen Arm um die flau- schigen Schultern. »Bevor ich in den Sternenkrieg platzte, habe ich mich im Kommerzsek- tor herumgetrieben, dort, wo ich Fiolla kennen lernte. Erinnert Ihr euch? Das war auf Bonadan, kurz bevor Ihr auf Thra abgestürzt seid und den dunklen Kristall gefunden habt. Sie hatte Bollux und Blue Max bei sich.« »Ja, stimmt.« Han blinzelte kurz. »Wo habt ihr die beiden eigentlich gelassen?« »Äh, ich glaube zu Hause im Schrank«, antwortete ich. Han blinzelte noch stärker. »Wisst ihr eigentlich, dass es auch den Begriff des Robotermissbrauchs gibt?« »Wir haben sie dänk abgeschaltet, du Pflaume!« »Ach so.« Er riss sich zusammen. »Noch vor Fiolla habe ich die beiden da kennen gelernt. Mit denen beiden und noch ein paar anderen habe ich Stars End gesprengt und eine Menge unrechtmäßiger Gefangener befreit.« »Gesprengt?!«, rief Atuarre, und Han zuckte zusammen. Atuarre schlug ihm leicht von hinten an den Kopf. »Dieser fusionsgehärtete Bau war rundum von Kraftfeldpanzerschildern abgesichert, und was tut der da?! Er verpasst dem Hauptreaktor einen saftigen Kurzschluss und öffnet das obere Feld.« Markus als Raumschiffprofi legte sich die Hand über die Augen. »Han, du Idiot.« Ich schluckte. »Äh, auch wenn ihr’s nicht mehr hören könnt, aber … ich kapier’s noch nicht.« Mit schwacher Stimme erklärte Markus:»Die Kraftfelder waren das Kanonenrohr, der Bau war die Granate … und der Reaktor der Treibsatz.« Atuarre fauchte wütend. »Der komplette Bau hatte etwa zweihundert Meilen Höhe erreicht, als wir endlich auf die Millennium Falcon überwechseln konnten.« Han winkte ab. »Ich geb’ ja zu, dass ich mich etwas verkalkuliert habe, aber … « »Das hält die stärkste Katze nicht aus!«, keuchte ich. »Was sagt denn Pakka dazu?« Aber der blickte mich nur an und zuckte mit den Schultern. Han räusperte sich warnend. »Als Pakka ein Kind war, hat die Kommerzbehörde ihn gefoltert. Seither ist er stumm. Wenn ihr vernünftig seid, haltet ihr jetzt den Mund.« »Keine Sorge. Wenn’s nötig ist, bringen wir sogar das fertig.« »Na, endlich kommst du auch«, knurrte Tina in Richtung Tür, denn gerade war David Bowie reingekommen. Ein paar Techniker kamen auch noch, setzten sich ins schallisolier- te Studio und begannen die Tonleitungen durchzutesten. »Wo warst du so lange?«, fragte Tina. David warf ein paar seltsame Blicke zu Urs hinüber, der sie aber geflissentlich übersah. Ein schwacher Fleck an der Wand schien ihn völlig zu faszinieren. »Was? Ach … ich war … lassen wir’s. Habt Ihr schon die neue Teilnehmerliste gesehen? Da ist am Ende ein Name drauf, der euch interessieren wird.« Er reichte uns ein Blatt Papier. »Das Blatt ist ja leer«, stellte ich fest. »Oh … äh … « Er begann in seinen Taschen zu kramen und gab uns ein anderes. »Hier.« »Das ist die Getränkekarte der ‘rubinroten Stardust-Bar’. Jetzt wissen wir wenigstens, wo du warst.« »Ich muss sie verloren haben. Na, egal. Der Name lautet ‘Sirius A’.« »Hä?«, machte Urs. Ich begann zu schwitzen. »Nein. Die wird doch wohl nicht … «

18 »Hallo Jungs!«, rief jemand, der zur Tür hereinkam. Wir schossen geschlossen herum, bis auf David, der ja Bescheid wusste. Leetah blickte uns an. »Ihr seht ja aus wie Trauergäste auf eurer eigenen Beerdigung.« »Darf ich fragen, was du singst?«, fragte Hervé schwach. »Du darfst.« »Danke. Was singst du?« »Ich habe da etwas herumgefragt und erhielt zur Auswahl ‘The Power of Love’ von Jennifer Rush und ‘Universelles Radio’ von Nina Hagen.« Wir hielten alle den Atem an. »Ich habe das erste gewählt, das zweite war mir zu chaotisch.« Wir atmeten alle auf und wischten uns den Schweiß von der Stirn. »Gott sei Dank«, sagte ich aus tiefstem Herzen. »Allerdings hat sich Langbogen in der Zwischenzeit einen Synthesizer besorgt«, fuhr Leetah fort. »Er ist völlig fasziniert von dem Ding, manchmal bleibt er tagelang in der Hütte, und dann lärmt er wie ein Vulkanausbruch. Um die Hütte herum ist das Ungezie- fer schon längst geflüchtet, aber das Unkraut sprießt wie wild! Zwei Wochen später hat er uns ein paar Sounds präsentiert, die gar nicht mal so übel klingen, finde ich. Also habe ich auch ‘The Power of Love’ fallen gelassen und singe zusammen mit Schnitter ‘Cry Wolf’.« »Klingt äußerst passend«, meinte Markus. Tina drängte sich nach vorn und baute sich vor der Elfe auf, die dreizehn Zentimeter kleiner war als sie. »Ach, das ist also diese Leetah.« »Sie müssen diese Tina Turner sein«, gab Leetah in demselben Ton zurück, der uns hellhörig machte. »Sag mal, hast du schon mal fünftausend kreischenden Fans gegenübergestanden?« »Nein, aber einer wild gewordenen Herde Zwoots. Die sind nur ein bisschen größer als ein Büffel.« Wir wurden unruhig, da bahnte sich etwas an. Wir wussten nur noch nicht was, aber es würde bestimmt nicht gemütlich sein. Tina machte ein skeptisches Gesicht. »Man muss fast Karate lernen, damit sie nicht auf die Bühne stürmen und einem die Kleider vom Leib reißen.« »Kann mir schwer vorstellen, dass Karate ein Zwoot beeindrucken würde. Die Biester sind etwa so intelligent wie ein geworfener Pflasterstein. Das kannst du bestimmt nachvollziehen.« »Wie ist jetzt das gemeint?« Ich sah vor meinem geistigen Auge einen Zug entgleisen. Einen Zug, der Panzerwagen geladen hatte. Das Bild wechselte und machte einer brennenden Zündschnur Platz. Inzwischen ging die Diskussion heiter weiter. Leetah erklärte:»Ich meinte es, wie ich es gesagt habe.« »Und was hast du gesagt?« »Dass du die Intelligenz eines Pflastersteins bestimmt nachvollziehen kannst.« »Ich dachte schon, dass du was anderes gesagt hättest.« »Was hätte ich denn gesagt?« »Irgend so was wie … Sorry.« »Nee, das klang irgendwie anders.« »Ich hätte aber schwören können … «

19 »Das muss an deiner Leitung liegen.« »Die ist störungsfrei.« »Außer jemand tritt darauf herum.« »Wer könnte das bloß sein?« »Vielleicht du selber?« »Glaube ich eigentlich weniger.« »Das ist bloß ‘ne subjektive Meinung.« »Und deine ist objektiv?« »Ich verlasse mich da ganz auf meine sieben Sinne und nicht nur auf den Augenschein.« »Sehr klug.« »Na, eben.« »Und wie hoch ist die Chance, dass du dich irrst?« »Irgendwo zwischen ‘geringfügig’ und ‘nichtexistent’.« »Waui. Gute Sehschärfe, was?« »Ca. 7.25!« »Mann, das ist ja scharf wie eine frisch geölte Hure.« »Du musst es ja wissen.« »Ich hab’ mich wohl verhört.« »Schon wieder! Muss wohl am Alter liegen.« »Da bist jetzt du der Experte.« Inzwischen standen sie so nahe voreinander, dass sich ihre Nasen fast berührten. Ich trat mutig auf die beiden zu, um eine Katastrophe zu verhindern. Tina Turner besitzt die Durchschlagskraft einer Luft-Boden-Rakete, und Leetah hat, wenn sie will (meistens will sie allerdings nicht), die jähzornige Explosivgewalt eines auseinander brechenden Eisgletschers. Und ich weiß, wovon ich rede, ich kenne die zwei nämlich (Stöhn)! »Nur, weil ich 614 Jahre alt bin, heißt das noch lange nicht, dass ich senil bin«, bemerkte Leetah säuerlich. »Und verglichen mit meiner Lebenserwartung bin ich noch taufrisch.« Ihre waldgrünen Augen sprühten. Tina begann zu kochen. »Taufrisch ist gut!«, rief sie kräftig. »Ich fühle mich wie sech- zehn! Ich bin noch nicht alt, ich bin noch fast neu.« »So siehst du auch aus.« »Wie war das?« »Kann es sein, dass du schwer von Begriff bist?« »Den Wortlaut habe ich kapiert, aber der Sinn ist mir nicht ganz klar.« »Dann unternimm mal ‘ne Anstrengung und denk nach.« »He, wie wär’s mit ‘ner Ladung Backsteine ins Kreuz?« »Ich kann mir was Angenehmeres vorstellen.« »Ich nicht.« »So lange es mein Kreuz ist, was?« »Exakt.« Tina grinste breit. »Schade, dass ich wenig Zeit habe, sonst würde ich dir die Stahlkabel der Golden Gate Bridge einzeln um die Gurgel wickeln.« Leetah nickte beeindruckt. »Es haben schon ganz andere den Mund viel zu voll genom- men. Die haben sich dann meistens den Hals gebrochen.« Ich sah, dass alle bloß herumstanden und die Debatte fasziniert verfolgten. Bei jedem Wortwechsel drehten sie den Kopf, als wäre es ein Tennismatch. Urs hatte anscheinend das Glas völlig vergessen, Han schluckte krampfhaft, Atuarre kratzte sich am Kopf, und David Bowie räusperte sich etwa alle zwanzig Sekunden.

20 Ich trat zwischen die beiden Kampfkühe in die Schusslinie und schob sie auseinander. »Entschuldigt bitte mal.« »Nein, tun wir nicht!«, fauchte Tina. Leetah erwischte mich in der linken Niere, und Tina zwischen den Bandscheiben. Letztere drehte mich herum und klebte mich mit einem satten Tritt an die nächste Wand, an der ich langsam herunterrutschte. Die anderen wichen gemeinsam einen Schritt zurück. So was hatte ich erst einmal erlebt, als ich in Stans versehentlich in Yokos Zimmer geraten und sie nackt aus der Dusche gekommen war. Irgendetwas mache ich falsch! Bloß was, zum Teufel?! »Du redest dich um Kopf und Kragen«, zischte Tina. »Wieso? Du hast doch angefangen.« »Richtig, aber du hast weitergemacht.« »Ich habe bloß zurückgeschlagen.« »Aber stärker als ich.« Leetah schloss die Augen. »Runter. Runter mit dir«, flüsterte sie. »Warum soll ich runter?«, fragte Tina. Leetah funkelte sie an. »Doch nicht du! Mein Blutdruck! Er ist etwa auf 750’000 Atü.« »Dass du ‘n aufgeblasener Typ bist, brauchst du nicht zu beweisen. Platz jetzt nicht! Gäbe bloß ‘ne Sauerei.« »Wenn man aus Dummheit Energie erzeugen könnte, wäre mit dir der Galaxisbedarf gesichert.« »Deine Dummheit mit Masse multipliziert gäbe genug Energie, einem schwarzen Loch zu widerstehen.« »Wenn du so lang wärst wie dumm, müsste man dir das Essen mit einer interstellaren Langstreckenfähre hochschicken.« »Wenn Arschlöcher fliegen könnten, wärst du ‘n Satellit.« Ich fühlte, wie ich kreideweiß wurde. David starrte Tina an, als sähe er sie zum ersten Mal. Was allerdings auch stimmt, in gewissem Sinne. Das war wohl auch für ihn völlig neu. »Bääääh!«, machte Leetah. »Das stinkt jetzt aber wirklich zum Himmel.« »Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung.« »Na, da hast du ja noch einen weiten Weg vor dir.« »Pass auf, dass dir nicht irgendwas an den Schädel fliegt.« »Der ist hart genug.« »Stimmt, sogar für einen Felsblock. Der Klügere gibt bekanntlich nach!« »So ganz allmählich kann ich mich des Eindrucks nicht mehr erwehren, dass mir die Sache langsam, aber sicher, zu bunt wird.« »Na, endlich. Kommen wir also zur Sache.« »Aber mit dem größtmöglichen Vergnügen.« Es wurde still. Ihre Augen waren noch knapp acht Zentimeter voneinander entfernt. Wir schluckten und schlossen die Augen. Als wir etwas Ohrenbetäubendes krachen hörten, machten wir sie wieder auf, dafür die Ohren zu. Tina schloss den Mund wieder. »Hm, nicht übel«, meinte Leetah beeindruckt und holte Luft, ließ einen Wolfreiterschrei los, aber phonetisch und klanglich erheblich verbessert. Fenster, Mikrofone, Stühle, Tische und Zähne zitterten. Ein Glas auf einem Regal zersprang, die Glassplitter flogen durch die Gegend. Tinas weltberühmte, wilde Mähne flatterte, aber sie selbst blieb eisern stehen,

21 obwohl sie Mühe hatte. Weiß der Geier, wo Leetah die Luft hernahm. Nach reichlich dreißig Sekunden hörte sie endlich auf! Es blieb drei Sekunden geradezu unheimlich still. Wir waren alle zusammen noch mal etwa einen Schritt zurückgewichen. In diesem Moment kam ein Tontechniker aus dem Büro mit den Mischpulten. Bei seiner Brille waren die Gläser gesprungen, und er wankte leicht, der Kopfhörer saß schief auf dem Kopf. Mit zitternden Fingern reichte er mir ein Blatt Papier und ging an die Bar. Den Kopfhörer hatte er anscheinend völlig vergessen. Er merkte nicht mal, wie er ihm vom Kopf gerissen wurde, als das Kabel zu kurz war. Ich las das Blatt und begann zu kichern. Sie funkelten mich beide an, dass ich ein unangenehmes Wühlen im Magen bekam. »Was grinst du so dämlich?«, fragte Tina unwirsch. Ich riss mich zusammen. »Etwa zwanzig Zentimeter über eurem Kopf hängt ein Mikro- fon, falls ihr das noch nicht gemerkt habt. Ihr habt schön reingekräht, und das Ding hält ‘ne Menge aus. Der Kopfhörer auch, aber der Mensch ist wieder mal das schwächste Glied.« Ich deutete über die Schulter auf den Techniker, der sich etwas eingoss, das eine verdammt starke Färbung hatte. Ich blickte wieder auf das Blatt. »Tina hat 78 Dezibel entfesselt. Nicht übel. Kategorie ‘Lauter Staubsauger’.« »Pass auf, was du sagst«, flüsterte sie so unheimlich und gefährlich, dass es mir eiskalt über den Rücken lief. Ich musste erst mal Luft holen. »Aber Leetah hat 84 db explodieren lassen. Das ist logarithmisch gesehen doppelt so stark. Kategorie ‘Autoblechschaden’.« »Deine Kategorien kannst du dir sonst wohin schmieren!«, brüllte Tina. Ich fiel rückwärts und landete auf dem Hintern. Die anderen wichen noch einen Schritt zurück. Das konnte nicht mehr lange so weitergehen, denn da kam irgendwann mal eine Wand. Ich schüttelte den Kopf zurecht. »Oh, Mann. Kategorie ‘Gasexplosion’«, murmelte ich. Leetah holte Luft, und ich presste die Hände auf die Ohren. Der Schalldruck hob mich vom Boden und trug mich wie ein fliegender Teppich drei Meter nach hinten. Dann kam eine Wand, die zufälligerweise gerade dastand. Ich gähnte, um den Druck auszugleichen. »Mann, Leetah«, keuchte ich. »Du stellst die weltweiten Atomwaffenarsenale in den finstersten Schatten.« »Blöde Kuh«, zischte Leetah. »Dämliche Ziege«, zischte Tina. »Schäbiger Arsch«, feuerte Leetah zurück. »Giftzwerg«, konterte Tina. Leetah setzte das Gespräch fort, das rasch den Anschein eines ausgewachsenen Krieges annahm:»Lange Latte.« »Minitrix.« »Struwwelheidi.« »Streichholzkopf.« »Doppelballon.« »Mickrige Doppelbirne.« »Geiernase.« »Plattnase.« »Gießkannensopran.« »Gartenschlauchröhre.« »Makroskopische Wanze.« »Mikroskopische Bestie.«

22 »Flusspferd.« »Seepferd.« »Brontosaurier.« »Hippotrichtofax.« »Thulsa Doom.« »Darth Vader.« »Mama Fratelli.« »Sloth.« »Fetter Brocken.« »Dürre Stange.« »Nager.« »Wiederkäuer.« »Bugs Bunny.« »Mickey Maus.« »Wookie.« »Bantha.« »Tauntaun.« »Mynock.« »Scheckenzebra.« »Gier-Affe.« »Schimpanse.« »Gorilla.« »Blöder Hirsch.« »Dämlicher Uhu.« »Nachteule.« »Nachtschwärmer.« »Kreatur.« »Doppelmissgeburt.« »Geistiger Querschläger.« »Kosmischer Irrtum.« »Vampirella.« »Red Sonja.« »Hatschi-Bratschi.« »Spulwurm.« »Affengesicht.« »CAD-Irrtum.« »Bandersnatcher.« »Freddie Mercury.« »Zombie.« »Lectroide.« »Nebrie.« »Skeksis.« »Verirrter Syntax Error.« »Explodierter Mikroprozessor.« »Fauler Chip.« »Verkrachtes Megafon.« »Gesichtskarambolage.«

23 »Eingestampfte Fresse.« »Personifizierte Idiotie.« »Barbarossa.« »Abgestürzter Kampfjet.« »Eingeschlagene Panzergranate.« »Intelligenzius Nichtexistenzius.« »Homo Verrecktus.« »Materie gewordene Dummheit.« »Genetisch bedingte Strahlungsmutation.« »Falsch gepolter Transistor.« »Positron.« »Haplon.« »Quark.« »Boojum.« »Neutrino.« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »(Zensiert!!)« »SSCCHHNNAAUUZZEE!!« Ich senkte das Mikrofon und drehte den Verstärker wieder von seinen 695 Watt Sinus herunter. Revox ist Schweizer Qualität! (Werbung!) Leetah kauerte am Boden und schnappte nach Luft. Tina knurrte(Erstaunlich! Sie macht den Mund schon wieder auf!):»Pah, mit Mikro kann ich das auch.« Und der Rest war etwas blass im Gesicht. Pakka war fauchend auf einen Schrank gesprungen, Han hatte glasige Augen, und David Bowie wirkte wie einer, der glaubt, von einem Panzer überfahren zu werden, und der hatte auf dem letzten Meter gebremst. Tina wollte schon wieder was sagen. Ich drehte auf 1.2 Kilowatt auf, dass allein das Rauschen der Lautsprecherkabel (der Verstärker war nämlich digital!) wie eine Pazifik- brandung bei Orkanstärke wirkte. Alle erschraken und hielten sich die Ohren zu. Ich wiederholte das Wort von vorhin. Die Wirkung war verheerend! Tina knickten die Beine weg, und sie fiel auf die Knie. Mir ging die Luft aus, und das galaktische Rad hörte wieder auf zu vibrieren. Ich nahm die Selectone aus den Ohren und blickte mich um. Der Techniker war nicht mehr da, ich fand ihn im Mülleimer. Sein Glas stand friedlich auf einem Schrank, (der Inhalt war noch drin!) und die Brille lag draußen im Korridor. Dort hatte nämlich die Wand seit ca. 10 Sekunden ein Loch. Urs keuchte, Hervé schielte leicht, Jürg grinste verkrampft, Markus hielt seine Ohren fest, Han zitterte wie Espenlaub, Atuarre zog andauernd die Krallen ein und schob sie wieder raus, Pakka hatte sich auf dem Schrank zusammengekugelt, und David Bowie tastete sich die Wand entlang zu einem Stuhl.

24 »Blutdruck wieder normal«, fragte ich betont gewöhnlich, trotzdem ließ meine Stimme alle Anwesenden zusammenzucken. Leetah starrte mich aus riesigen Augen an. »Bitte«, sagte sie mit Kleinmädchenstimme. »Mach das nicht mehr.« »Kommt auf euch an. Benehmt euch jetzt endlich wie zwei zivilisierte Wesen!« »Wie geht das?«, fragte Tina schnippisch. Aber Leetah, David und Atuarre stürzten sich sofort auf sie und pressten ihr sämtliche zur Verfügung stehenden Hände und Pfoten auf den Mund. Ich machte ein finsteres Gesicht und warf einen beiläufigen Blick auf das Mikrofon, das ich immer noch in der Hand hatte. Die Szene fror unbeweglich ein. Bis auf Tina, deren Augen etwas größer geworden waren. Leetah war kreidebleich. »Keinen Quatsch mehr, ja?«, murmelte ich gefährlich. »Alles, was du willst«, flüsterte Leetah. Tina wurde losgelassen. »Nur bitte nicht mehr brüllen, ja?«, hauchte sie mit versagender Stimme. »Okay.« Ich blickte sie fest an. »Jetzt mal ‘ne ganz ernste Frage: worüber zankt ihr euch eigentlich?« »Tjaaaa … « »Ähmmmm … .« Leetah und Tina schauten sich an. Leetah verdrehte die Augen. Tina fuhr sich mit der Hand durch die wilde Mähne. Leetah verzog das Gesicht. Tina begann zu grinsen. Leetah folgte ihrem Beispiel, und dann prusteten sie beide los. Ich warf das Mikro weg, blickte sie an, zuckte mit den Schultern, drehte mich um, runzelte die Stirn, seufzte und setzte mich an die Bar. »Dein (Zensiert) war nicht übel!«, prustete Leetah. »Aber dein (Zensiert) war auch nicht schlecht!«, japste Tina zwischen zwei Lachanfällen. David kratzte sich am Kopf. »Beati pauperes spiritu (Lat.=Selig sind die geistig Armen).« In diesem Moment platzte die Tür auf und spuckte einige grün uniformierte Sicherheits- gardisten aus. »Was ist hier los?!«, brüllte ein Offizier. Ich winkte lässig ab. »Immer mit der Ruhe. Tina Turner und Leetah hier hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit. Ich habe sie beigelegt.« »Mit einer Protonengranate?!« »Wie kommen Sie denn darauf? Nein, ich habe nur den Verstärker ein bisschen aufge- dreht und ‘Schnauze’ gesagt.« »Dass Sie ‘Schnauze’ gesagt haben, weiß ich, ich habe es nämlich gehört«, knurrte der Offizier und fügte wütend hinzu:»Aber da war ich gerade mit einem Raumanzug in einer Vakuumkammer!« »Es ist alles okay«, versicherte Han dem Offizier. »Sie können jetzt wieder gehen. Äh, hätten Sie mir ein Aspirin?«

*

Sämtliche Wettbewerbsteilnehmer aufzuführen wäre hier ein wenig zu umfangreich, also lasse ich es lieber. Außerdem ist sowieso alles durch die Zeitungen gegeistert, und ich schreibe nicht gern aus den Zeitungen ab. Eigentlich hätte ich schon das hier nicht schreiben wollen, aber der Verlag ist mir auf die Nerven geklettert, und da ich in dieser Hinsicht so weich und nachgiebig bin, habe ich eben weich nachgegeben.

25 Der Zuschauerraum war wirklich bis auf den letzten Platz voll besetzt, und das will was heißen, nämlich zirka zehntausend Zuschauer. Und wenn man die ganzen TV- Verbindungen dazurechnet, gehen die Zahlen rasch in die Billionen. Ich habe mich nicht verschrieben! Da ist wirklich ein B vor der illion! Das ist eine so unvorstellbare Menge, dass man davon leicht benommen wird. Noch nie haben so viele Wesen gleichzeitig dasselbe gesehen. Mit Abstand nicht! Diese Monsterveranstaltung ist das Gewaltigste, was im Unterhaltungssektor je gemacht worden ist. Allein auf der Erde fesselte dieser Wettbewerb mehr Menschen an den Bildschirm als selbst die Olympiade- eröffnung 1984 in Los Angeles, und das waren über eine Milliarde Menschen! Ein Fünftel der irdischen Bevölkerung! Der Rest hatte entweder keinen Fernseher, oder war am Zugfahren, am Flugzeugfliegen, am Schiffschwimmen oder am Wachestehen! Man hat nach dieser Veranstaltung hier geschätzt, dass grob gerechnet eineinhalb bis zwei Milliarden Menschen zugeschaut haben. Und irgendein paar Irre versuchen heute noch rauszukriegen, wie viele Wesen in der ganzen Galaxis zugeschaut haben. Die Zählung steht gegenwärtig bei 34 Billionen! Die Sendung wurde durch Aufzeichnung und Transport mit einem Magnetträger sogar auf Vinea gesehen, und das ist in unserer Nachbargalaxis M33! Allein schon deshalb dürfte Leia sich einen Platz im Geschichtsbuch gesichert haben. Wenn Sie, lieber Leser, jetzt immer noch am Lesen sind, und noch nicht in Ohnmacht gefallen, haben Sie meine Bewunderung. Meiner Mutter ist jedenfalls übel geworden. Ich spiele bloß mit den Zahlen, ohne dass ich versuche darüber nachzudenken, was sie bedeuten. Deshalb ist mir auch der Computer noch nicht explodiert. Aber der hat ja sowieso schon ‘ne Menge geschluckt. ‘Ne Menge Aliens, zum Beispiel. Den kann nichts mehr erschüttern. Man muss sich auch über das Gefühl klar werden, in diesem Moment vor der Kamera zu stehen und zu wissen, dass, wenn man jetzt hustet, das von mehreren Dutzend Billionen Wesen gesehen wird. Und wenn man ein paar Obszönitäten loslässt, ist man im Nu in der ganzen Galaxis vogelfrei! Man würde nicht mal mehr eine Anstellung als Müllfahrer auf Aduba 3 finden. So was ist hart. Man würde vielleicht kriminell werden und im Knast landen. Und nur, weil man vor der Kamera nicht aufgepasst hat, was man sagt. Deshalb stand ich zwar neben der Bühne, passte aber wie ein Schießhund auf, ob eine Kamera vielleicht gerade ein Stimmungsbild vom Zuschauerraum aufnehmen will. Dann ver- schwand ich unter der Brüstung, habe aber das unangenehme Gefühl, dass das einmal von der Kamera gesehen worden ist, weil ich zu spät reagiert habe. Bis heute will mir keiner sagen, ob das jemand gesehen hat. Immer wenn ich irgendeinen Unbekannten frage, kämpft er gegen ein seltsames Zucken der Mundwinkel an und sagt grin- send:»Nein.« Das geht mir überall so. In Zollikofen, auf Sirius 2, auf Thra, auf Bonadan, auf Vinea … Jemand tippte mir auf die Schulter. Ich wachte auf und merkte, dass ich die letzten sechs Zeilen nur gedacht hatte, ich immer noch im Zuschauerraum neben der Bühne saß und in Wirklichkeit gar nichts passiert war. Ich atmete auf. Der Schultertipper war Himmelweis. Und er sah nicht übel aus. Was er anhatte, war zwar für ihn ziemlich normal, aber der Stoff war irgendwie der, aus dem die Saturday Night-Träume sind. Er schimmerte so verschwommen, dass man kaum sehen konnte, wo er eigentlich war. Der Gesichtsschild hielt immer noch seine Haare aus dem Gesicht, aber er war neuerdings mitternachtsblau lackiert. Die Stiefel reichten ihm auch plötzlich bis zu

26 den Knien und glänzten wie ein Spiegelreflektor. Das Einzige, was normal geblieben war, war der Magnetsplitter an seinem Hals. Und seine grinsende Visage! Ich merkte endlich, dass das an dem Gesichtsaudruck zu liegen schien, den ich im Moment draufhatte. Er war wahrscheinlich nicht sonderlich intelligent, aber wann ist er das schon? Ich rieb mir die Augen und fragte, während ich ihn noch mal von oben bis unten ansah:»Sag mal, hast du was vor?« »Wieso?«, fragte er grinsend und fast akzentfrei. Ich verzog das Gesicht. »Pass auf, dass du nicht vor die Kamera kommst. Auf der Erde gibt es eine Menge unbefriedigter, alles verschlingender Amazonen.« »Klasse«, rief er und setzte sich. »Her mit den Adressen.« Markus blinzelte, als er den Stoff sah, und meinte bloß:»Himmel, Gary Glitter und Liberace in einer Person.« »Liberace ist tot«, warf ich ein. »Gott sei Dank«, fügte Urs hinzu. »Er wäre auf ihn geflogen.« »Woran ist er denn gestorben?«, fragte Himmelweis. »Aids«, antwortete ich und bemerkte mit gewissem Amüsement, dass das Grinsen verschwand. »Jetzt ist mir der Humor vergangen«, knurrte der Elf. Ich lehnte mich behaglich zurück. »Damit ist mein Ziel erreicht.« Ein Ellbogen teilte mein Zwerchfell in zwei Hälften, ich fiel nach vorn und krümmte mich zusammen. Dabei bemerkte ich etwas weiter drüben die Kameralinse mit dem roten Licht, die mir in die Augen zu sehen schien. Flüssiges Blei floss durch meine Adern, ich richtete mich wieder auf und brachte meine Frisur in den Originalzustand zurück. »Das hast du nun davon«, knurrte ich und deutete auf die Kamera. »Jetzt bist du für den Rest der Galaxis erledigt.« »Wieso? Ach die Kamera. Hi, Fans!« Mit diesen Worten schoss er vom Stuhl hoch und war drauf und dran, auf die Brüstung zu klettern! Markus und Urs rissen ihn zurück, während ich die Hände schwenkte wie ein Regisseur, der verzweifelt ‘Aus, aus!’ brüllt. Mit Erleichterung sah ich, wie das rote Licht erlosch. Ich starrte dem Elfen in die Augen und knurrte:»So! Jetzt wissen vierzig Billionen, wie du wirklich bist.« »Wau, davon habe ich immer geträumt. Wie viel ist das im Oktalsystem?« Ich setzte mich wieder, es hatte alles keinen Sinn. »Wo hast du eigentlich diese Schale her?« »Was heißt hier Schale?! Das ist ein Modelldress von Christian Dior! Er gehört mir gar nicht. Ich soll ihn bloß tragen, damit er gesehen wird, und dann sagen, wie er gewirkt hat.« Meine Hand landete auf meinem Mund. »Vom Wolfreiter zum Fotomodell. Ist das jetzt ein Aufstieg oder ein Abstieg?« »Ich würde eher sagen, ein Absturz!«, meinte Urs und prustete los. »Keine Fotos«, versicherte Himmelweis ungehalten. »Die von Beate Uhse wollten mich zusammen mit Reyani fotografieren.« »Iiih, wie unanständig«, grinste Urs. »Wieso?«, versetzte Himmelweis verwundert. »Die wollten mir was dafür bezahlen.«

27 »Äh, und?« »Bei mir darf man gratis zusehen. Wer oder was bin ich denn?« »Ähm, wenn du so fragst … « »Hört auf zu quatschen, es fängt an!«, fuhr Hervé dazwischen.

*

Das Licht war bereits schwächer geworden und erlosch nun ganz. Ein feiner Ton kam aus dem Orchester neben der Bühne, wurde immer stärker, andere Instrumente kamen dazu, verstärkten den Klang zu einem gewaltigen, ergreifenden Akkord, und ein riesiger Discolaser leuchtete auf und zeichnete das Wort ‘Willkommen’ in rascher Folge in allen möglichen Sprachen in einen ionisierten Trockeneisnebel, der aus Düsen in der Decke abgeblasen wurde. Plötzlich flammte es in der Mitte der Bühne grell auf. Ein unheimlicher, strahlender Schein erhellte eine gewaltige Trockeneiswolke, die auf der Bühne wallte wie der Nebel des Grauens von John Carpenter. Plötzlich sackte der Nebel in der Mitte in die Tiefe, als eine Klappe aufglitt und eine kleine Hebebühne hochfuhr. Lando Calrissian fand seinen Auftritt absolut idiotisch, aber das lag wohl daran, dass es sein Auftritt war. Der Akkord hatte sich inzwischen zu einem gewaltigen Ereignis verstärkt und explodierte mit einem schmetternden Schlag in Stille. Die Zuschauer applaudierten, und ich wischte mir den Schweiß vom Gesicht. »Die haben sich aber was einfallen lassen, was?« Urs schüttelte den Kopf. »Pustekuchen. Die Idee kommt von Han. Ich wusste gar nicht, dass er so sadistisch ist.« »Wieso sadistisch?«, fragte Hervé. »Schau dir Lando doch mal an! Dem fließt die Nervosität aus sämtlichen Poren.« Lando begrüßte die ganze Galaxis, womit er Einiges zu tun hatte. »Sieh dir den an«, murmelte ich ehrfürchtig. »Da müssen ein paar Modedesigner wahnsinnig geworden sein. Er sieht aus wie Dracula. Fehlen bloß die Eckzähne.« Lando lächelte, und Himmelweis meinte:»Da sind sie ja. Ach, nein. Hat er eine Zahn- spange, oder was funkelt da so?« »Das ist seine Zahnpasta, du Pfeife. Marke ‘Laserlight’.« Lando fuhr fort mit der Aufzählung der Wettbewerbsteilnehmer und deutete nach oben in den Trockeneisnebel, auf den mit dem Laser die Punktezahltafel gezeichnet wurde. Dann trat er zur Seite und machte den Blick frei auf eine Videowand, die man mit ihren Abmessungen als Standbein für den Eiffelturm brauchen könnte. Ein kurzer Filmzusam- menschnitt stellte den Planeten des ersten Teilnehmers vor, und das war das Plejaden- Sternsystem. Sechs heiße, blauweiße Sterne in einem Sternennebel, auf dem eine Rasse von Wesen lebt, die mit den Menschen wirklich nur den Körperbau gemeinsam hat. Sie haben ein fast idiotisches Grinsen im Gesicht und sind fast mehr breit als hoch, was durch ihre Größe von fast zwei Metern etwas heißen will. Die Haut sieht brüchig aus wie Pergament, aber daran ist ihr Bienen-Tracheen-Atmungssystem schuld. Der Film ging zu Ende, und die Bühne verwandelte sich in eine wild verfärbte Saturday Night-Disco. Drei dieser Typen stampften auf die Bühne, dass das Galaktische Rad fast aus der Position kam, und grölten los wie die Bierkutscher. Einer hämmerte wie vergiftet auf ein Instrument, das sich nur durch eine etwas verstärkte Konstruktion von einem

28 Klavier unterschied, was aber auch nötig war, wenn man sah, wie der Typ die Tasten in das Gerät schlug. Ich kriegte eine Gänsehaut, drehte mich zur Seite und sah, dass Markus der Einzige war, der friedlich und entspannt dasaß. Bei näherer Betrachtung entdeckte ich, dass er je einen gelben Punkt im Ohr hatte. Ich hatte meine Selectone im Tonstudio vergessen, Scheiße. Nach zweihundertsiebenundvierzig qualvollen Sekunden war die Vorstellung zu Ende, und meine Muskeln entkrampften sich wieder. »Sehr … originell«, bemerkte Himmelweis mit einiger Mühe. »Als ich das letzte Mal so was gehört habe, kamen gerade Schnitters Kinder zur Welt.« »Stimmt«, bestätigte Jürg. »Jetzt, wo du’s sagst … « Der nächste Teilnehmer war eine Andreanerin. Markus verguckte sich sofort in die grünen Zähne und schüttelte den Kopf. Aber was die sang, war wirklich nicht schlecht. Es klang sehr sanft und lieb, und sie schlug das Publikum sofort in ihren Bann. Sie erhielt weit mehr Applaus als die Bierkutscher von vorhin. Ich gebe zu, ich war beeindruckt, wartete aber natürlich wie die anderen auf Turner/Bowie und Leetah/Schnitter. Nach der Andreanerin kam so ein quirliger Makonianer, der keinen Moment still stehen konnte. Er fegte ruhelos auf der Bühne herum und gab dabei so komische Geräusche von sich, dass man ganz nervös wurde. Ich konnte auch nicht mehr still sitzen und rangierte auf meinem Stuhl herum, was mich nur noch unruhiger machte. »Frage mich, was als Nächstes kommt«, murmelte Himmelweis. »Vielleicht ein Alien, das ‘Dein ist mein ganzes Herz’ singt.« Er lachte los. Da um ihn herum allerdings eine verdächtige Stille herrschte, verebbte sein Lachen wie ein Zug, der an einem Bahnhof vorbeigefahren ist. »War nicht besonders komisch«, knurrte ich.

*

Im Verlauf des Abends kam es aber noch zu weiteren positiven und leider auch negati- ven Überraschungen. Eine Rigelianerin hüpfte wie ein Gummiball auf der Bühne herum, prallte sogar von den Dekorationswänden ab und blies ihre Backentaschen im Rhythmus auf. Dabei gab sie Geräusche von sich, die wie eine Dampflokomotive drei Sekunden vor der Explosion klang. Der Anblick war so ausgerastet, dass ich mir die Augen zuhalten musste, um nicht einen Lachkrampf zu kriegen. Aber der Rhythmus war nicht übel! Dann kam eine glatzköpfige Deltanerin. Das sind äußerst sinnliche Wesen, deren Pheromone von den Geruchsnerven nicht direkt aufgefasst werden. Aber sie sind da, ganz unzweifelhaft. Man merkt es meistens erst, wenn der Körper zu reagieren beginnt. Ich merkte schon auf die Entfernung, wie mir anfing, der Schweiß auszubrechen und ich mir wünschte, ich hätte andere Hosen angezogen statt die engen Jeans. Ich sah, wie Himmelweis der Schweiß nur so runterlief. »Ist was?«, fragte ich grinsend. »Ich weiß nicht wieso«, flüsterte der Elf mit aufgerissenen Augen und deutlich ausge- beulter Hose, »aber mit der würde ich mich gern mal ‘n bisschen unterhalten.« »Toll, kann man zuschauen?«, grinste Urs. »Da musst du sie fragen. Ich habe damit kein Problem.« »Das ist doch kein fairer Wettbewerb!«, knurrte ich. »Von Rechts wegen müsste man die in Plastik einpacken. Zum Glück ist die Jury auf den Heimatplaneten.« Als sie fertig war, war ich so erleichtert, dass ich gar nicht mehr wusste, was sie eigent- lich gesungen hatte. Außer, dass es passenderweise irgendwie um Sex gegangen war.

29 Dann kamen mit der Nummer 16 endlich Tina Turner und David Bowie.

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Blind running hieß das Lied, wie heute jeder weiß. Eine sanfte Musik schmeichelte uns um die Ohren, Sekunden später Davids Stimme, dazu Tinas, und dann schmetterten sie los, dass die Galaxis erzitterte! Meine abstehenden Ohren bogen sich nach hinten, und Himmelweis hielt seine Haare fest. Ein hämmerndes Schlagzeug-Stakkato feuerte durch die Luft, dass Glasscheiben zitterten. David stieg Note für Note einen Berg in die Höhe, und Tina orgelte die Melodie nach oben, dass es uns fast aus dem Stuhl hob. Der Refrain drehte das Gehirn nach hinten, und der Rhythmus schüttete es von der einen Schädelwand an die andere. David machte Breakdance, Tina schoss auf der Bühne herum und belastete das Mikrofon bis an die Grenze des Klirrfaktors. Dann, als die Lautsprecher endgültig zu kochen anfingen, donnerte eine Art Urknall durch die Halle und verstumm- te. Das Publikum sprang von den Stühlen, und wir starrten uns betäubt an. Himmelweis feilte an seinen Nägeln herum, legte die Füße auf die Brüstung und keuchte müh- sam:»Nicht … übel. Wer hat denn diese … äh … diese … diese … Musik geschrieben?« »Quincy Jones, glaube ich«, bemerkte Urs, der seine Brille wieder aufsetzte. Ein Gamorreaner stampfte auf die Bühne und sang ein Lied, das wie die Walküre von Wagner klang, gespielt auf einer Kreissäge! Wir harrten noch geduldig aus, bis zur Nummer 24. Die letzte Nummer. Sirius!

*

Der Trockeneisnebel wallte wieder mal, und Langbo- gen wurde sichtbar. Er saß am Synthesizer, was für uns natürlich ein ganz ungewohnter Anblick war. In seiner rasanten Lederkluft sah er aber nicht schlecht aus. Das rote Stirnband war teilweise gekonnt angerissen, und er wirkte wie ein verwegener Pirat. Konzentriert drehte er an ein paar Knöpfen. Ein brummender Ton, der an den Nerven zerrte, wurde immer lauter. Eine schattige Gestalt tauchte gleitend aus dem Nebel auf. Schnitters Gesicht blieb im Dunkeln, nur seine Augen leuchteten wie zwei Mini-Punktstrahl- Leuchtbogenscheinwerfer. Uns lief es kalt über den Rücken. Zum ersten Mal konnten wir nachfühlen, wie sich Jerjerrod gefühlt haben musste, von diesem Tier durch den Wald gehetzt zu werden. Ein seltsamer Klang stand plötzlich über der Bühne. Uns wurde ganz anders. »In the midnight of this city«, flüsterte Schnitter ins Mikro. Wir kriegten einen Schauder. »Dream.« Er formte seine Finger zu Krallen, sein Gebiss leuchtete, als würde es mit Infrarot oder Schwarzlicht angestrahlt. »Dream of a

30 wolf.« Zwei rasche Schläge hämmerten durch die gespannte Stille und hackten sie zusammen. Ein lebendiger Rhythmus entstand, und der Elf tauchte vollends aus dem Dunkel auf. Mit dem rechten Absatz klopfte er den Rhythmus mit und starrte finster gefährlich durch das Publikum hindurch. Leetah glitt aus dem Nebel, der heiße Gegensatz zu seiner gefährli- chen Kälte. Viel hatte sie nicht gerade an, aber es war mittlerweile auch warm genug. Wie sie Schnitter an den Bizeps packte und sich verrenkte, erweckte den Eindruck, dass nur sie im Stande wäre, dieses Tier zu zähmen und festzuhalten. Schnitter hat eine erstaunlich kräftige Stimme, stellte ich fest. Na klar. Monatlich bei Vollmond heulgetestet. »I came from the forest, cool. Evil, cruel and dangerous.« Gar nicht so daneben. »I saw you and you saw me. I said ‘death’ and you said ‘cry’.« Brrr. Zusammen sangen sie den Refrain ‘Cry wolf, uhuuuuu. Time is hurry.’ Der Refrain war das reinste Wolfreiterheulen. Das Erstaunliche aber war, dass Langbogen es irgendwie geschafft hatte, es in Musik einzupacken. Die ganze Vorstellung war erschreckend, und Himmelweis’ Augen glänzten. Während dem ganzen Lied bewegte sich Schnitter keinen Zentimeter vom Fleck, nur Leetah fegte herum, packte ihn, ließ ihn wieder los, sang eine Strophe, dann wieder er. Und Langbogen schuftete am Synthesizer wie ein Berserker. Er ließ sich nicht am Rhythmus festnageln, hackte mal einen halben Takt Schlagzeug rein, bevor er wieder weitermachte, schaltete mal alles bis auf das Schlagzeug ab, ließ die beiden pur singen, schaltete wieder ein. Schnitter hatte zwar Erfahrung im Heulen, aber Leetah hatte die bessere Stimme. Das glich sich soweit aus. Im Refrain war Schnitter eindeutig überlegen, aber in den Strophen fegte sie ihn fast von der Bühne. Wir wissen wohl am besten, was sie für eine Stimme hat. Das wird nur noch von einer Luftschutzsirene übertroffen. Während Tina Turner und David Bowie dem Publikum mit ihrem Lied ins Gesicht schlugen, krochen Leetah und Schnitter mit ihrem Lied den Leuten mit blankem Horror den Rücken hinauf und krallten sich ihnen in die Kehle. Ein Unterschied wie zwischen einem Actionfilm und einem Horrorfilm. Wie zwischen Alistair McLean und Stephen King. Langbogen ließ den Refrain laufend wiederholen und blendete langsam aus. Das Publikum kletterte auf die Stühle. Ich kratzte mich am Kopf. »Die Entscheidung wird hart. Ich sehe vier Konkurrenten: die Andreanerin, die Deltane- rin, Turner/Bowie und die zwei da unten.«

*

Lando trat wieder auf und sagte die einstündige Pause an, die durch verschiedene Songinterpreten aufgelockert werden würde. Dann kämen die Juryentscheidungen. Eine mehrköpfige Band, die erfrischenderweise aus Menschen bestand, wurde auf die Bühne gehievt. Ich stand auf, rieb mir den verlängerten Rücken und die strapazierten Ohren. »Ich gehe mal unter die Bühne.« Himmelweis, Urs und Markus standen auch auf und folgten mir. Jürg und Hervé wollten lieber der Band zuhören. Wir vier verließen den Saal und versuchten uns durch die nervöse Hektik der Bühnenar- beiter durchzuschlagen. Plötzlich sah ich Lando. »He, Bengel!«

31 Ich wusste, dass er das auf den Tod nicht ausstehen konnte. Er schoss herum wie gebissen. »Das hätte ich mir denken können«, knurrte er böse. »Warum wundert’s dich dann?«, grinste Urs. Lando wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Gleich fließt er davon«, bemerkte Himmelweis besorgt. »Was hast du denn?«, fragte ich. »Du warst doch großartig.« »Ein großartiger Idiot bin ich, dass ich das mache«, schoss er zurück. »Mal ‘ne Frage«, begann Markus. »Als Wolkenstadt-Administrator hast du doch sicher auch Volksreden halten müssen.« »Das ist was anderes. Administrator wäre ich lieber als Showmaster.« »Als Politiker muss man doch auch ein Schauspieler sein.« »Okay okay. Ihr habt Recht. Ich habe keinen Grund mich aufzuregen. Aber ich rege mich trotzdem auf!« »Aber bitte nicht an uns ab«, wehrte sich Urs. Lando wurde richtig fuchtig. »Wetten, dass ich dir den Humor verderben kann?!« Da ich genau wusste, wie man Urs den Humor verderben kann, und ich diese Methode Landos Wut durchaus zutraute, griff ich ein. »Hört auf. Das ist nicht mehr komisch.« »Lass ihn doch«, sagte Urs sanft. »Mich kriegt keiner klein.« »Weil du es verdrängst. Das ist sowieso nicht sehr gesund.« »Wovon redest du eigentlich?« In diesem Moment schlug Lando zu:»War sie nicht Mexikanerin?« »War?«, echote Himmelweis. »Hat sie einen Amerikaner geheiratet?« Ich klebte meine Hand auf Himmelweis’ Mund, packte Urs am Arm und zog ihn von Lando weg. Urs’ Gesicht war hinter der Brille irgendwie finster geworden. »Lass mich los!«, zischte er. »Den trete ich aus dem Kostüm!« Erbarmungslos zerrte ich ihn weg und ließ ihn erst ein paar Meter weiter wieder los. Er schlenderte beiseite, blickte zu Boden und stieß im Vorbeigehen mit dem Schuh an verschiedene Kabel, die auf dem Boden herumlagen. »Was für eine Mexikanerin?«, flüsterte Himmelweis. »Vasquez aus der Spezialtruppe der Marines, mit denen wir die Aliens zusammenge- stampft haben«, antwortete ich. »Die beiden konnten sich richtig gut leiden.« Himmelweis kratzte sich am Kopf. »Nur jemand, der noch verrückter ist als Urs, kann ihn richtig gut leiden.« Ich lächelte leicht, als ich an die wilde Klassefrau zurückdachte, die mit ihrer Automatik- kanone förmlich verwachsen war, die sich mit einer Handgranate in die Luft gesprengt hatte und dabei mindestens ein halbes Dutzend Aliens mitgenommen hatte. Typisch Vasquez. »Ja, da hast du Recht«, bestätigte ich versonnen. In diesem Moment sah ich Lando zu Urs hinübergehen und ihm die Hand auf die Schulter legen. »He, entschuldige. Tut mir Leid.« Urs nickte wortlos. »Wir lassen sie besser allein«, meinte Markus. Wir drehten uns um und begannen wieder nach ein paar bekannten Gesichtern zu suchen. »Wer kennt Urs eigentlich?«, fragte Himmelweis. Ich kratzte mich am Kopf. »Keiner«, antwortete ich und fügte hinzu:»Nicht mal er selbst.«

32 In diesem Moment sah ich Leetah und Tina Turner, die wieder die Köpfe zusammenge- steckt hatten und zeterten. Ich kriegte ein flaues Gefühl und steckte vorsichtig den Kopf dazwischen. »Frieden auf Erden«, sagte ich. »Nicht, was du denkst«, erklärte Tina. »Wir streiten uns in aller Freundschaft.« Himmelweis lachte. »Wer weiß, wie es ist, wenn die in aller Feindschaft streiten.« »Ich weiß es«, knurrte ich wütend. »Leider.« Himmelweis’ Grinsen verschwand. »Ihr wart nicht übel«, sagte ich zu Tina und David, der gerade herankam. »Ich habe das Lied zwar schon gehört, aber da waren glaube ich ein paar schwächere Verstärker dabei als heute.« »Das nächste Mal schalten wir noch ein paar Sub-Woofer dazu«, grinste David. »Das müsste man dann noch auf Coruscant hören.« Ich wandte mich mit bleichem Gesicht ab und blickte Leetah an. »Ihr habt’s einem ganz schön gezeigt. Das Lied passt zu euch. Das heißt, zu Schnitter und Langbogen.« »Zu mir auch«, behauptete sie. »Manchmal kriege ich so animalische Anwandlungen. Dann reiße ich mir bei Vollmond die Kleider vom Leib und krieche durch das Gebüsch.« Ich prustete los. »Die größte Überraschung war für mich allerdings Langbogen«, meinte Markus. »Wo sind die beiden Männer überhaupt?« »Schnitter muss seine Gewalttätigkeit erst mal wieder abbauen und hat sich zu diesem Zweck in einen schalldichten Raum zurückgezogen. Langbogen schraubt wieder am Synthesizer herum. Er ist besessen von der fixen Idee, dass irgendwo in dem Ding noch ein paar Sounds stecken, die er noch nicht entdeckt hat.« In diesem Moment kreischte ein so entsetzliches Geräusch durch die belebte Halle unter der Bühne, dass mir Tina Turner vor Schreck fast auf die Arme gesprungen wäre, was ich natürlich sehr begrüßt hätte. Ich fürchte aber, dass ich sie fallen gelassen hätte, da sich mir sämtliche Muskeln verkrampft hatten. Ich hatte eine Gänsehaut, so rau wie Schleifpapier, und auch den anderen standen die Haare senkrecht zu Berge. In der Halle befanden sich etwa vierzig Personen, und davon drehten sich neununddreißig synchron der vierzigsten zu. Einer hageren, kleinen Person mit feuerroten Haaren, die eilig ein paar Synthesizer- Regler in die alte Lage brachte. Langbogens Gesicht faszinierte mich, vor allem, weil ich es so noch nie gesehen hatte. Er lächelte verlegen und sendete:»Verzeihung.« Langbogen spricht nie, er sendet immer bloß. Langsam, als hätte jemand Leim auf dem Boden ausgekippt, begann man sich wieder zu bewegen. Mit steifen Gelenken gingen wir zu dem Elfen hinüber, und ich suchte nach einer möglichst passenden Frage. »Was … war das?«, brachte ich mühsam heraus. Langbogen blickte uns der Reihe nach entschuldigend an und sendete:»Eine chromati- sche herunter. Dabei habe ich den Klang ringmoduliert, die Hauptsache weggelassen und die Oberwellen verstärkt. Außerdem habe ich, glaube ich, eine neue Wellenform erfun- den. Sieht aus wie ein Gebirge.« »War das Musik?«, fragte Himmelweis. »Klang wie eine schlecht geölte Tür«, bemerkte David Bowie trocken. »Das muss man erst mal können«, verteidigte sich Langbogen. »Nein, muss man überhaupt nicht«, fauchte Markus. »Dich sollte man empfehlen als Filmmusiker für die geplante Verfilmung von ‘Alien’. Mit Sigourney Weaver in der Hauptrolle. Die aus ‘Ghostbusters’.«

33 »Wer will denn Ivo spielen?«, fragte Himmelweis erstaunt. Markus grinste. »Sie haben niemanden gefunden, der so ist wie er. Jetzt versuchen sie einen A-21-08-Infiltrator auf seinen Charakter hinzubiegen. Bis jetzt sind noch alle Chips explodiert, weil sie es nicht schafften, ihn in ein logisches Schema zu zwängen.« »Wirklich außerordentlich komisch«, bemerkte ich kühl. In diesem Moment kam Urs herangeschlendert. Anscheinend hatte er sich erholt. »Was war denn das eben für … ein Laut? Klang, als hätte Herbie gerülpst.« Ich atmete auf. Wenn Urs eine Krise hatte, war er völlig ungenießbar. »‘Alien’ verfilmen??«, fragte Leetah. »Sind die denn wahnsinnig?« »Wieso?«, fragte Markus. »D.A.R.Y.L. hat man doch auch verfilmt. Ebenfalls nach einem Roman von würg Ivo Cassani.« Im Augenwinkel sah ich, wie Langbogen wieder an ein paar Reglern herumspielte. Dabei hatte er ein ganz seltsames Funkeln in den Augen. »Hey, hör auf!«, brüllte ich. Aber es war zu spät. Langbogen drückte ein viergestrichenes Dis. Drei Scheinwerferlin- sen explodierten in einem Glasregen, und direkt neben uns konnte ich deutlich sehen, wie sich der Stahlständer eines Mikrofons verkrümmte! Vor Schreck ließ Langbogen die Taste los, als hätte er sich an ihr verbrannt. »54’000 Hertz«, erklärte er. »Mit ringmoduliert schwingenden Oberwellen.« »Was ist denn das für ein Lautsprecher, der diesen Klang rauskriegt?«, wollte Urs wissen. Ich deutete auf einen Plasmahochtöner, der auf dem Synthesizer montiert war. »Der geht bis 80 Kilohertz. Für den Sound braucht man einen Waffenschein.«

*

Als wir wieder rauf kamen, sahen wir, dass Lando das Publikum anscheinend zum Tanz auf der Bühne aufgefordert hatte. Dort wimmelten jetzt die verschiedensten Rassen zu heißen Rhythmen der Band. Es war nur eine Melodie, aber anscheinend mindestens ein Dutzend Tanzarten. Die meisten waren so fremdartig, dass ich völlig vergessen habe, wie sie gingen, sodass ich darauf verzichte, sie zu beschreiben. Hervé war noch da, aber Himmelweis fehlte. Ich entdeckte ihn auf der Bühne, wo er eine halsbrecherische Breakdance-Version hinlegte, dass Michael Jackson vor Neid erblasst wäre. Ich glaubte Himmelweis einigermaßen zu kennen und war deshalb nicht ent- täuscht, als ich sah, wie er um eine Andreanerin herumtanzte, ohne dass seine Füße den Bodenkontakt verloren. Entweder setzte er den Boden in eine Art Vibration, oder er glitt auf einem millimeterdünnen Luftkissen. Dann lief er vorwärts, glitt dabei aber seltsamer- weise rückwärts an ihr vorbei und zwinkerte ihr zu. »Ich wusste schon immer, dass er ein bisschen verdreht ist«, bemerkte Urs. »Würde mich nicht wundern, wenn er nach oben abhebt, wenn er sich fallen lässt.« Wir schauten noch gelangweilt eine Weile zu, dann rief ein klangvoller Akkordgong die Leute auf ihre Plätze zurück. Himmelweis lief der Schweiß nur so übers Gesicht, als er zurückkam. »Wenn ich was Rhythmisches mit mehr als 120 Schlägen pro Minute höre, werde ich zum Tier«, meinte er und setzte sich. »Zeig mir mal deine Stiefelsohlen«, befahl ich. Etwas widerwillig hob er den Fuß, und ich blickte die Sohle an. Auf den ersten Blick sah ich nichts Besonderes, aber dann fiel mir was auf. Dass die Sohle so seltsam regenbogen-

34 farben schillerte, rührte daher, dass sie aus unzähligen, winzig feinen Kettengliederchen bestand. »Du Kettenpanzer«, zischte ich grinsend. »Hat das Ding auch noch einen Motor?« »Nee, muss man im Gefühl haben. Sinnreiche Feinmechanik, das Zeug. Der richtige Rhythmus sorgt entweder dafür, dass man sich vorwärts bewegt oder rückwärts.« »Und woher hast du die Dinger?« »Die wurden von einer feinmechanischen Werkstatt in Altdorf erfunden. Es war früher eine Uhrenfabrik, die mechanische Uhren in Kugelschreiber und Ohrringe eingebaut hat. Ich glaube, dass zu ihrer Ausrüstung auch ein Elektronenrastermikroskop gehört. Sie wollen ins Guinness-Buch der Rekorde mit einem Alarmwecker, der sich in einen Zahn einbauen lässt. Wetten, dass du da aufwachst? Wenn der losgeht, vibriert das Gebiss.« »Und wie will man die Alarmzeit einstellen?«, fragte Markus. »Genau das ist zur Zeit noch das Hauptproblem«, bemerkte Himmelweis trocken. »Sie erwägen die Möglichkeit, die Zeitanzeige sichtbar zu lassen. Den Alarmhebel müsste man dann mit einer Stecknadel verstellen. Ziemlich Zahnfleisch gefährdend, wenn du mich fragst. Ausgeschaltet wird der Alarm dann mit einem viermaligen Zusammenbeißen, damit das nicht halbwegs im Schlaf geschieht.« Ich schüttelte den Kopf. »Also das ist nun wirklich mit Abstand der beknackteste Quatsch, den ich je gehört habe.« »Ich auch, aber die Stiefel funktionieren mit umwerfendem Erfolg. Die Andreanerin hat mir ihre Zimmernummer genannt. Ich muss euch also heute Abend allein lassen.« »Na so ’n Ärger«, bemerkte Markus grinsend. »Aber pass auf, dass sie dich nicht beißt, sonst kriegst du ‘ne Chlorophyll-Vergiftung.« »Ist das nicht so ’n Betäubungsmittel?« »Das ist Chloroform, du Bums-Bomber«, korrigierte Hervé. »Chlorophyll ist das Zeug, von dem die Blätter grün werden.« »So kenn’ ich dich gar nicht, Herbie«, bemerkte Jürg. »Bums-Bomber nennt man doch unter anderem die Fluglinie München-Bangkok.« »Ah, du kennst dich aus.« »Jürg hat Recht«, bestätigte ich. »Der andere Name lautet ‘Hormonen-Jet’. Lest ‘Cosmo- politan’!« »Ist das nicht ‘ne Frauenzeitschrift?«, fragte Himmelweis. »Klar, aber Männer können das auch lesen. Man lernt ‘ne Menge dabei, vor allem, wie Frauen über Männer denken. Mit diesem Wissen hab’ ich schon jeder den Mund gestopft. Bis auf Yoko natürlich.« »Und Ripley«, fügte Urs begeistert hinzu. »Nee, da war’s umgekehrt«, erwiderte ich. »Sie hat dir den Mund gestopft?«, fragte Urs verwundert. »Nein, ich ihr. Aber nicht den Mund.« Hervé wandte langsam den Kopf, Markus grinste frech, Himmelweis lief rot an und prustete los, und der Rest versuchte noch, meine letzten Sätze zu entschlüsseln. Dann klickte es. »Aua.« »Nicht doch.« »Das tut doch weeeeh.« »Nein«, wehrte ich grinsend ab. »Überhaupt nicht.« Das Licht ging aus, und Lando trat wieder auf die Bühne.

35 *

Im Trockeneisnebel über der Bühne leuchtete die Punktetafel, die langsam an die untere Grenze des Nebels herabschwebte. »Wir danken dem New Galactic Light Orchestra, dass sie uns die Pause versüßt hat.« Sanfter Applaus rauschte. »Kommen wir nun zur Hauptsache, der Punkteverteilung. Ich rufe die Plejaden. Könnt ihr uns hören?« »Wir hören Sie laut und deutlich«, grölte eine fröhliche Bierkutscherstimme durch den Saal. Die konnten wahrscheinlich einfach nicht anders. Die gesichtslose Stimme gab die Punkte durch, die Lando wiederholte. Wie zu erwarten gingen die vier Favoriten in Führung. Und zwar als erstes Andrea mit 12 Punkten, dann Erde mit 10, Sirius mit 8 und Delta mit 7 Punkten. Erstaunlich, dass die Bierkutscher so viel Sinn für liebliche Softsongs hatten. Warum machten sie dann selbst keine? Dann wurde es langweilig. Die vier zogen unaufhaltsam davon und tauschten andau- ernd die Plätze. Neben der Bühne saßen die Sänger in bequemen Logen. Die Andreanerin hielt mit erstaunlicher Zähigkeit ein grünes Dauerlächeln durch, die Deltanerin verbreite- te eine kühle Erotik, Tina und David blieben ruhig, Leetah war ganz cool, nur Schnitter wurde immer nervöser. Das rührte aber vielleicht auch daher, dass er direkt neben der Deltanerin saß. Tatsächlich. Er stupste Leetah an, und sie tauschten die Plätze. Schnitter war sofort viel ruhiger. Sieben Sekunden später wechselte David Bowie, der bisher auf der anderen Seite der Deltanerin gesessen hatte, den Sitz mit Tina Turner. Er lächelte die kahlköpfige Frau entschuldigend an. Tina schüttelte den Kopf, wie auf Kommando Leetah ebenfalls. Ich verbiss mir ein Prusten. Während die vier Spitzenreiter davonzogen, bemerkten wir, dass Atuarres sanftes Flötenspiel wohl nicht so gefragt war. Es hatte aber auch wirklich etwas zu lieb geklun- gen. Wir horchten erst wieder auf, als die Erde ihre Wertung durchgab. Natürlich konnten sie dem eigenen Vertreter keine Punkte geben, deshalb gewannen die Elfen einen leichten Abstand von etwa einem Dutzend Punkten, der jedoch gleich wieder zusammenschmel- zen würde, wenn Sirius am Ende drankommen würde. Die Spannung wuchs. Wer würde das Rennen machen? Es war noch alles offen.

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Nachdem die zweitletzte Wertung durch war, lag Sirius mit 134 Punkten in Führung, gefolgt von Delta mit 124, Erde mit 123 und Andrea mit 121 Punkten. Damit war bereits klar, dass die Andreanerin nicht mehr gewinnen konnte, aber sie trug es mit Fassung. Mit Spannung erwarteten wir die Verbindung mit Sirius, wo man natürlich keine Ahnung vom Punktestand hatte. »Können Sie mich hören, Sirius?«, fragte Lando. »Ich grüße alle auf dem galaktischen Rad aus der heißen Wüste von Sonnental«, schweb- te Savahs samtene Stimme durch die Halle. So viel ich wusste, bestand die Jury aus Savah, Rotspeer, Holzbinder, Shenshen, Minyah und noch fünf weiteren Sonnentalern. Die Punkte 1 bis 7 wurden wie erwartet an ‘Randgruppen’ vergeben. »Delta … 8 Punkte!« »Macht 132«, flüsterte ich. Wer kommt jetzt? Erde oder Andrea?

36 Ein kurzes Rauschen unterbrach die Verbindung. »Nein, nicht jetzt«, stöhnte Himmel- weis. »Ich dreh’ Rotspeer den Hals um, wenn … « »Er weiß doch nicht, wie die Punkte stehen«, beruhigte ihn Jürg. »Das ist mir egal, ich drehe ich trotzdem den Hals um!« »Seid Ihr noch da, Sirius?«, fragte Lando. »Natürlich, wo sollten wir sonst sein?«, fragte Savah leicht erstaunt. »Das heißt, da sind wir nicht, wir sind hier, aber egal. 10 Punkte für … Erde!« Himmelweis sprang vom Stuhl. Dass Savah die 12 Punkte an Andrea vergab, ging in dem aufkommenden Getöse völlig unter. Auf der Bühne reichten die Geschlagenen den Siegern die Hände, oder was immer sie hatten, Schnitter wirkte, als hätte er einen Grinskrampf, den er nicht loskriegte, und Leetah kletterte kaum noch von seinem Hals herunter. Das Publikum war von den Socken. Ein paar Irre, so zwei oder drei Dutzend, versuchten die Bühne zu stürmen und wurden durch die Sicherheitskräfte aufgehalten. »Ich danke euch, Sirius«, versuchte Lando sich akustisch durchzukämpfen. »Alle Leitungen sind jetzt synchron dazugeschaltet. Sirius hat mit 134 Punkten gewonnen, vor Erde mit 133, Andrea ebenfalls mit 133 und Delta mit 132 Punkten.« Landos Stimme ertrank in einer einsetzenden Fanfare. Himmelweis machte ein Zahnweh-Gesicht. »Was ist denn?«, fragte ich. »Ich frage mich, wie wir nächstes Jahr in Sonnental eine derartige Monsterveranstaltung durchführen wollen.« »Das überlegst du dir aber früh«, meinte Markus. Auf der Bühne tauchten plötzlich Leetah auf David Bowies Schultern und Schnitter auf den Schultern eines der Bierkutscher aus dem Getümmel auf. Theodor Haller meldete typisch-trocken zur Erde:»Die Wölfe haben die Raubkatzen von der Bühne gefegt und die Blumen eingestampft. Aber wir wollen ihnen nicht böse sein, denn … es war wirklich zum Heulen.« Als Lando sich mit dem Mikrofon wie ein Eisbrecher durch das Getümmel kämpfte, stolperten mindestens dreizehn Wesen über das Kabel. Von drahtlosen Mikrofonen hatte man hier scheinbar noch nichts gehört. »Ziemlich ins Schwitzen gekommen, was?«, meinte Lando grinsend. Der Lärm ebbte ab, die beiden Sieger wurden runtergelassen. »Ins Schwitzen?«, wiederholte Leetah. »Ich war ein nasser Schwamm.« In diesem Moment wurde Langbogen vor die Kamera geschubst, und Leetah fiel ihm um den Hals. »Mach dir das aber nicht zur Gewohnheit«, bemerkte Schnitter grinsend. Er zog sie am Arm. »So, jetzt reicht’s. Friss ihn nicht auf.« »Spielverderber«, sendete Langbogen gut gelaunt. Lando hatte die Trophäe in der Hand, eine Mischung aus Beaux-Arts und surrealer Dalî- Technik. Machte einen eigenartig beunruhigenden, biomechanischen Eindruck. »Zum ersten Mal wird diese Trophäe verliehen, deshalb stelle ich sie nun vor.« Die Kamera nahm den Preis voll ins Bild. Er glänzte golden und sah ziemlich massiv aus. »Gestylt und entworfen vom irdischen Künstler Hans-Ruedi Giger besteht sie zu einhun- dert Prozent aus massivem Gold und wiegt sieben komma fünf Kilo. Nächstes Jahr dürfen wir zu Gast sein in Sonnental.« »Wie stellen Sie sich das vor?«, fragte Schnitter lachend. Lando grinste. »Es darf auch mal eine Freilichtaufführung sein. Die Felsen geben dort eine zauberhafte Akustik ab.« »Da hast du die Antwort auf deine Frage«, sagte ich zu Himmelweis hinüber.

37 Meine Gedanken kehrten zum Preis zurück. Giger. Wer sonst?? Deshalb sieht das Ding so biomechanisch aus. Als die Filmproduzenten meine Beschreibung der Aliens hatten, haben sie sich an Rob Bottin (Legende/Explorers) und Chris Walas (Gremlins/Die Fliege) gewandt. Aber erst bei Giger haben sie gefunden, was ich suchte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er damals mitgekommen ist. Die Bühne wurde geräumt, und der Nebel floss wieder über den Boden. Der Rhythmus kam wieder auf, schmetterte aus der gespannten Stille. Schnitter wirkte viel lockerer als beim ersten Mal. Und als er den ersten Refrain startete, war er bei weitem nicht der einzige, der heulte.

(Januar 1987)

38 Impossible Chaos

Freitag, 13. Februar 1940 In jeder Sekunde sterben durchschnittlich sechzehn Menschen und werden vierzig geboren. Ich neige zur Auffassung, dass neben der Macht der Sexualtrieb die stärkste Kraft in unserem Universum ist, wenn man bedenkt, dass in jeder Sekunde die Erdbevöl- kerung um vierundzwanzig Menschen zunimmt. Aber was können das für Menschen sein? Adolf Hitler, Mutter Theresa, Jack the Ripper, Albert Einstein, Leonid Breschnew, Jesus Christus und …

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21. September 1948 Aus dem Kernforschungszentrum White Sands werden drei Kilo Plutonium gestohlen. Man findet sie drei Tage später in Baltimore unter einer Kinderschaukel vergraben. Das gefährliche Element ist immer noch in seinem Strahlungsschutzbehälter. Der Täter wird nicht gefunden.

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11. Juli 1954 Ein Brief trifft in der Polizeistation von Castle Rock in Maine ein. Beigelegt ist eine ziemlich detaillierte schematische Zeichnung eines nuklearen Sprengkörpers. Im Brief steht:»Ich bin im Besitz einer funktionsfähigen Atombombe, die ich irgendwo in den Vereinigten Staaten explodieren lassen werde, wenn mir nicht, unter meinen von mir noch zu nennenden Bedingungen, zehn Milliarden Dollar gezahlt wird. Wenn man mir nicht glaubt, dann soll man sich mal die Zeichnung ansehen. Und was das spaltbare Material betrifft, so denken Sie mal an den 21. September 1948 zurück. E. ‘A’. T.« Nuklearspezialisten nehmen den Brief aufgrund der Zeichnung ernst, und den Verweis auf das sechs Jahre zurückliegende Datum ebenfalls. Allerdings ist nirgends ein Verlust von Uran oder Plutonium registriert. Aufgrund der sprachlichen Schreibweise des Briefs und der Handschrift halten Grafologen den Erpresser für einen äußerst intelligenten Menschen. Drei Tage später kommt ein Telefonanruf. Eine elektronisch verfremdete Stimme schildert die Bedingungen der Geldübergabe. Eine Fangschaltung ermittelt den Anrufort, und drei Stunden später sehen sich verwirrte FBI-Agenten einem unbeeindruckten, vierzehnjährigen Jungen gegenüber. In seinem Zimmer wird ein Ringmodulator, um die Stimme zu verzerren, gefunden, voll mit seinen Fingerabdrücken. Im Keller befindet sich ein nach Ansicht von Experten voll funktionsfähiges Modell einer simplen Atombombe. Das Einzige, was fehlt, ist das spaltbare Material. Wo der Junge die Initialsprengzünder her hat, ist bis heute ein Rätsel. Was er mit dem Geld wollte, ebenfalls. Der Junge wurde vor die Wahl gestellt, entweder eine sechsjährige Jugendstrafe und danach eine lebenslange Haftstrafe abzusitzen, oder einen Job im Jet Propulsion Laborato- ry in Pasadena anzunehmen. Er wählte das zweite und erzielte unter anderem den

39 entscheidenden Durchbruch für die Hitzeabschirmung des Satelliten ‘Explorer’, der dann 1958 endlich als erster amerikanischer Satellit ins Orbit kommt und dort auch heute noch ist. Der Name des Jungen ist Elvin Threshold. Auf die Frage, was denn das ‘A’ bedeute, antwortete er:»In der Schule haben sie mich immer ‘Atombender’ genannt, weil ich andauernd über Protonen und Neutronen redete.«

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30. Mai 1966 Ich komme zur Welt, aber das ist Nebensache. Meine Mutter sagt, dass mein erster Schrei sich anhörte, wie das Wort ‘Chaos’. Elvin ruft Präsident Johnson an, fordert die sofortige Einstellung des Vietnamkriegs und droht mit seiner Kündigung in Pasadena. Johnson lehnt ab, und Elvin sucht sich eine Stelle als Truckfahrer. Wenn Johnson zugesagt hätte, hätte es nicht nur den Vietnamkrieg im Frühstadium beendet, sondern ein kleindimensionierter Atomreaktor hätte schon 1967 eingesetzt werden können, und nicht erst bei der Apollo 11-Mission. Aber nachher ist man ja immer klüger. Johnson erlebt bekanntlich weder das Ende des Vietnamkriegs noch die Apollo 11- Mission. Also kann es ihm auch ruhig egal sein.

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28. April 1971 Die Raumsonde Mariner 9, die Anfang Mai hätte zum Mars starten sollen, wird in der Montagehalle von der Raketenspitze weggeklaut! Sie wird zwei Tage später in Elvins Keller gefunden. Die Sonde wird noch mal sterilisiert und hastig gestartet. Da der Mars aber wieder eine Zeit der globalen Staubstürme hat, zeigen die Bilder von der Sonde nur ein paar Billiarden Sandkörner.

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17. Oktober 1973 Elvin wird als geheilt aus der psychiatrischen Anstalt entlassen und beginnt wieder, mit einem Truck Möbel, Brennstoff und Schrott im Land herumzufahren.

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14. April 1977 Der russische, nuklearbetriebene Satellit Kosmos 957 fällt aus dem Orbit und geht im Norden von Saskatchewan, Kanada, nieder. Die amerikanische Atomsicherheitsbehörde NEST sucht nach den Trümmern und findet einige Bruchstücke des nuklearen Brennele- ments. Aber, inoffiziell, nicht alle! In einem Krater, den ein Bruchstück geschlagen hat, findet man nur Strahlung, aber kein Bruchstück. Anscheinend war jemand schon vorher da! Das zeigen jedenfalls die Lastwagenspuren.

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40 8. Januar 1978 Der Film ‘Convoy’ hat Weltpremiere. Elvin ist dabei. Zwei Tage später rast er mit 115 Meilen über den Highway, faltet vierundzwanzig Polizeiautos und dreiundsiebzig Verkehrsampeln zusammen und donnert frontal in eine Gefängniszelle, wo er gleich drei Tage bleibt. Der Führerschein wird ihm für zwei Jahre, fünftausend Dollar für immer entzogen.

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12. Mai 1979 Im Atomkraftwerk ‘Three Mile Island’ in Harrisburg platzt eine Rohrleitung, und radioaktiver Dampf tritt aus. Die Strahlung ist unter dem kritischen Punkt, und die Bevölkerung wird nicht evakuiert. Reste eines Sprengkörpers werden nicht gefunden, aber ein Zettel mit der Aufschrift ‘Ihr hättet mir nicht den Führerschein wegnehmen sollen’.

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4. Juni 1980 Ein defekter Chip im Wert von vielleicht 47 Cents ruft im Frühwarnsystem von NORAD eine Reihe von Geisterattacken hervor. Atombomber starten, und die Raketenbasen bekommen Alarm. Für drei Minuten befinden sich die Vereinigten Staaten auf DEFCON 1. Präsident Carter sitzt schon in der Air Force 1, als der Schaden entdeckt wird. Bei der Untersuchung wird festgestellt, dass durch Computermanipulation eine Schal- tung abgeschaltet wurde, wodurch der Chip überlastet wurde. Eine offene Input-Leitung ans Ringtelefonnetz wird sofort zugemauert. In einer, in ADA geschriebenen Programm- zeile findet sich ein softwaretechnischer Hinweis:’Danke, dass ich den Führerschein wieder habe’.

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17. Dezember 1982 Irgendwo zwischen Atlanta und Texarkana verschwindet Elvin zusammen mit seinem Truck, zweihundert Kilo Plutonium und vier Tonnen Thyoglokylsäuresulfonamidester. Teufelszeug, das hochgeht, wenn man es nur scharf ansieht. Eine bundesweite Fahn- dungsaktion kommt zum Schluss, dass Elvin sich in Luft aufgelöst hat. Wenn er mit der Brühe explodiert ist, stimmt das sogar.

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1. April 1983 Im Supermarkt von Ashley, Nebraska, geht eine telefonische Bestellung ein, gemäß der drei Tonnen Popcorn an eine Adresse geliefert wird, an der ein leer stehendes Haus ist. Am nächsten Morgen ist das Popcorn weg.

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41 15. Juli 1983 Die Bewohner von Cleveland schrecken zusammen, als das gewaltige Wummern einer heftigen Explosion zu hören ist. Am Westhimmel steigt eine gewaltige Rauchwolke in die Höhe und verdunkelt die Sonne. Die Wolke breitet sich aus und senkt sich über der Stadt nieder. Es regnet gebratenes Popcorn. Die Stadtreinigung benötigt drei Tage um das Zeug aufzuwischen. In einem Waldgebiet nahe Cleveland wird ein riesiger Krater gefunden. Experten schätzen die Sprengkraft auf eine Höhe von dreizehn Tonnen Trinitrotoluol, was etwa vier Tonnen Thyoglokylsäuresulfonamidester entspricht.

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16. Mai 1986 Im Atomkraftwerk Tschernobyl explodiert Reaktor Nummer 4. Im Weißen Haus geht ein Telex ein:»Das war ich nicht. Ist aber auch eine beschissene Konstruktion, die die Russen da gebaut haben. E. ‘A’. T.«

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1. September 1987 Im weißen Haus geht ein weiteres Telex ein. »Zahlt mir eine jährliche Rente von zehn Milliarden Dollar, oder ich verwandle die Hälfte des Mondes mit einem von mir entwi- ckelten Positronenstrahl in Antimaterie. Falls die Erde den Bums überleben sollte, dürfte durch das Fehlen von Ebbe und Flut der Wetterhaushalt ziemlich durcheinander geraten. E. ‘A’. T.« Am selben Tag bekomme ich von Ken Trevelyan ein ziemlich dienstlich klingendes Telefon und den unwirschen Antrag, ob wir dieses Problem auf zwei Beinen nicht endlich unschädlich machen könnten.

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Im Militär befördert zu werden ist etwas Schönes. Aber wenn Dwayne Hicks gewusst hätte, dass er sich durch eine Armee von Aliens hin- durchkämpfen musste, nur um Lieutenant zu werden, dann hätte er mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf verzichtet. Es war eine ziemlich stürmische Begrüßung im Konferenzraum der Galactica, als wir ihn sahen, und dann redeten wir wie alte Kriegsvetera- nen über Acheron und den laufenden Prozess gegen den Konzern. Dann kam Trevelyan in Form von zweihundertzwanzig Pfund wütender Muskeln, knallte seinen wuchtigen Hintern auf den Stuhl, die Ellbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hände, schaute uns der Reihe nach an. Uns fünf, Hicks und die vier anderen Marines, Corporal Jenette Roscoe, Private Marcus Simon, Private Linda Farraday und Private Jeff Jones. Wenn ich Hicks sah, suchte ich immer automatisch nach Hudson, Drake oder, vor allem, Vasquez. Das schien auch Urs zu merken, denn seine Laune war nicht gerade speziell gut. »Eine geradezu gigantische Sauerei«, begann Trevelyan. »Ein toller Vortrag, um eine Diskussion zu beginnen«, bemerkte Jürg. »Sie fragen sich sicher, warum ich Sie hergebeten habe«, nahm Urs Trevelyans nächsten Satz vorweg. Der klappte hörbar den Mund zu und übersprang den Satz. »Ihr habt das Telex gelesen, und was dieser Elvin früher angestellt hat, auch.«

42 »Ja«, bestätigte Markus. »Bei der Episode ‘Convoy’ war mir der Typ richtig sympa- thisch.« Trevelyan legte eine Kassette in ein Tonbandgerät. »Euch werd’ ich den Humor garan- tiert verderben.« Er startete das Gerät und sagte noch schnell:»Wir haben nämlich bereits einen Agenten in Elvins unterirdisches Zentrum geschickt.« Das Rauschen auf dem Band wurde von einem unheimlich sprezelnden Brummen abgelöst. »Hallo Zentrale, hier Sierra. Ich bin in einem Raum, aber das sieht seltsam aus, hier. Dieser Raum ist etwa drei Stockwerke hoch und besitzt Etagen wie Plattformen. Und da sind auch Lifte. Keine Kabinen sondern Platten im Boden, die anscheinend durch ein Suspensorfeld bewegt werden. Auf den Etagen befinden sich Möbel. Sessel, Schränke und Lampen. Vor mir ist ein Computerterminal in der Wand. Aber das Unheimlichste sind die Roboter. Sie erzeugen das Geräusch, das Sie hören. Sie sehen aus wie Zylinder, die unten spitz zulaufen. Sie müssen durch eine Art Anti-G angetrieben werden. Oh, jetzt hat mich einer gesehen. Mann, der hat aber einen Affenzahn drauf! Aber er kann mich nicht erreichen. Zwischen uns ist das Loch, wo ein Lift gewes … aaaaaaaaahhhhhhh!!« Gleichzeitig mit Sierras Schrei war ein unheimliches Zischen und Krachen zu hören, mit einem dumpfen Poltern fiel das Funkgerät zu Boden. Der Schrei wurde leiser und verstummte, das sprezelnde Geräusch dauerte an. Trevelyan schaltete ab. Ich öffnete meinen Springmesser-Kamm und bürstete wieder die Haare glatt, die sich ziemlich aufgestellt hatten. Hicks ließ ein leises »Oh, Mann.« hören, und die blonde Venus Roscoe bemerkte trocken:»Wenn das ein Freudenschrei war, muss er die totale Ekstase erlebt haben.« »Du musst es ja wissen«, spritzte Simon giftig. »Das war gestern«, erklärte Trevelyan. »Vorgestern hat man auf der Galactica bei einer spektroskopischen Untersuchung der Erdrinde eine starke Strahlungskonzentration festgestellt, etwa in der Nähe von Cletus, Wyoming. Wir schickten Sierra dorthin, der entdeckte einen Eingang in eine unterirdische Festung und schickte uns diesen Funk- spruch. Der Rest ist Geschichte.« »Und was für eine«, flüsterte Hervé. »Was Elvins Drohung angeht, weiß jemand nicht, was ein Positron ist? Ein positiv geladenes Elektron, also ein Antimaterie-Baustein. Wie man damit umgeht, wissen wir spätestens, seit wir den Todesstern gesprengt haben. Elvin hat es also mit einiger Wahr- scheinlichkeit auch fertig gebracht. Wenn er das mit einer bereits existierenden Teilchen- strahlwaffe kombiniert, ist es möglich, dadurch eine Ladung Positronen auf den Mond abzufeuern und ihn an der Trefferstelle entsprechend zu polarisieren. Der Rest kommt sozusagen von selber in Gang. Die Drohung sollte also, wenigstens sicherheitshalber, ernst genommen werden. Für den Fall, dass ihr es da unten mit einem komplexen Computersystem zu tun bekommt, werde ich euch noch einen hochkarätigen Computer- spezialisten mitgeben. Einsatzzeit sofort. Will jemand aussteigen?« Damit blickte er vor allem uns an. Und wir blickten uns gegenseitig an. Markus meinte:»Eigentlich befinden wir uns nach Acheron in einer ziemlich intensiven Erholungsphase.« Trevelyan zeigte mir einen Wisch mit einer eindrucksvollen Anzahl behördlicher Stempel. »Ich finde diese Vorgehensweise absolut idiotisch, aber leider wird sie mir vorgeschrieben. Laut dieser Verordnung ist es nicht zulässig, dass Privatpersonen über

43 eine Hardware verfügen, die es ihnen ermöglicht, mit Sternenflotte gleichzuziehen … was bei eurer Starbright absolut der Vall ist.« »‘Fall’ schreibt man mit ‘F’«, bemerkte ich. »Ich weiß. Warum?« »Du hast es so ausgesprochen, als würde man es mit ‘V’ schreiben.« Farraday, die Red Sonja-Kopie, lachte laut los. Trevelyan knallte das Papier auf den Tisch und fuhr sich mit der anderen Hand wütend über die Haare. Ich ließ aber nicht locker. »Das scheint mir eine amerikanische Verfügung zu sein. Hier befinden wir uns aber auf dem Territorium der international anerkannten Kolonien. So lange wir nicht amerikani- schen Luftraum befliegen, kannst du dir mit dem Wisch die Pfeife stopfen.« »Bin Nichtraucher.« »Dann kannst du dir damit den Arsch wischen.« »Du hast aber auch für alles ‘ne Lösung.« »Stimmt. Und dass du einen Arsch hast, kannst du nicht abstreiten.« »Und was für einen«, bemerkte Hervé zum zweiten Mal. Der Rest war bereits vor Lachen auf dem Boden zusammengebrochen. »Wenn Ihr uns nicht mit der Macht helft, geht vielleicht der ganze Trupp zum Teufel«, flehte Trevelyan. Ich nickte versonnen. »Damit zitierst du Francis Gorman wörtlich. Zurückgekommen sind nur wir, Hicks, Ripley und zwei halbe Bishops. Aber leider hast du genauso Recht wie Gorman.« »War das schon alles?«, fragte Urs. Trevelyan nickte. Hicks fasste zusammen:»Mit anderen Worten, wir kriegen es mit einem psychopatischen Irren in einer unterirdischen Festung zu tun, die gerammelt voll ist mit gefährlichen Robotern und Computersystemen, ohne zu wissen, was das überhaupt für welche sind.« »Richtig.« »Und wir haben nur wenig Zeit?« »Richtig.« »Sonst wird der Mond zur Antimateriebombe?» »Richtig.« »Sie haben aber einen merkwürdigen Humor.« »Richtig! Wenn ich ihn nur wieder finden würde.« Hicks seufzte. »Wer ist dieser Computerspezialist?«

Ich summte ‘Ein Männlein steht im Walde’, änderte aber den Text, indem ich das Wort ‘Männlein’ durch ‘Scheißhaus’ ersetzte. Und das traf auch zu, denn wir standen hier im Wald vor einem Scheißhaus, neben dem die Starbright in die Höhe ragte. Hicks öffnete die Tür, innen sah das Häuschen wie eine Liftkabine aus. Ich drehte mich zur Starbright um. »Kommst du?!« »Bin schon da!«, rief Daryl Richardson und rannte die Rampe hinunter, wobei er an einem elektronischen Sichtgerät herumfum- melte. Seit wir ihn das letzte Mal gesehen hatten, war er gewachsen, mittlerweile Dreizehn geworden. Joyce war in Tränen ausgebro- chen, als wir ihn abgeholt hatten, aber Daryl war schon selber dazu

44 bereit gewesen. Turtle hatte bloß gemeint, dass, wenn Daryl nicht zurückkommen sollte, er sich eine feste Modem-Verbindung nach TASCOM installieren lassen würde, um weiterhin mit seinen Datenbanken reden zu können. Sei zwar nicht so schön wie Baseball, aber besser als nichts. Ich lud mein Sturmgewehr durch und gab es ihm. Er starrte mich erschrocken an. »Was soll ich denn mit dem Ding? Was nimmst du?« »Mit dem Laserschwert kann ich besser umgehen. Ich bin ein ziemlich mäßiger Schütze, im Feldschießen bin ich von 52 auf dem guten 51. Platz gelandet. Du sollst ja nur die Roboter abknallen. Oder fühlst du dich etwa mit denen verwandt?« »Nein«, kam es ziemlich ärgerlich. Er hängte sich das Gewehr auf den Rücken, aber das Gewicht störte ihn anscheinend erheblich. Die Kabine war groß genug für uns alle, und wir traten rein. Hicks drückte den Knopf, und die Kabine setzte sich abwärts in Bewegung. Da, wo vorher die Tür gewesen war, huschte jetzt eine graue Steinwand vorüber. Daryl starrte in sein Sichtgerät und drehte am Schiebeknopf des Dias. »Was ist das?«, fragte Hicks. »Mein Notizblock«, antwortete Daryl, ohne aufzusehen. »Ich hatte keine Zeit, alles über das Thema zu studieren.« »Welches Thema überhaupt?«, fragte Jones. »Vielleicht brauchen wir dich gar nicht.« »Hätte ich auch nichts dagegen. Dieser Irre muss unschädlich gemacht werden. Sonst baut er eines Tages noch eine gigantische Mausefalle, um die Erde wie eine Nuss zu zerknallen.« Roscoe kicherte los. Daryl blickte mich streng an. »Das ist deine Schuld. Dein Humor hat sich in meinen Grundregistern so fest einprogrammiert, dass ich ihn nicht mehr loswerde.« »Wenn das dein einziges Problem ist … « In diesem Moment hielten wir an. Die Kabine war jetzt nach beiden Seiten offen, und in beiden Richtungen erstreckte sich ein mit Stahlwänden und Leuchtstoffröhren verkleideter Gang, dass man das Gefühl kriegte, man sei auf einer Raumstation. In jeweils etwa zwanzig Metern Entfernung war eine zweiteilige Stahltür. Hicks begann zu organisieren. »Also, feste Gruppeneinteilung. Gruppe 1 sind ich und Markus, 2 sind Ivo … und Roscoe, 3 sind Urs und Farraday, 4 sind Jürg und Simon und 5 sind Hervé und Jones. Du bleibst hier, Daryl, wir halten Funkkontakt. Wenn wir dich brauchen, holen wir dich. Wenn nicht, hast du’s hier schön gemütlich und sicher.« Daryl funkelte ihn an. »Woher weißt du das?« »Gruppe 1 und 2 untersuchen die beiden Räume am Ende dieser Korridore, der Rest geht in die unteren Stockwerke. Wenn jeder einen Raum geschafft hat, treffen wir uns wieder hier, zwecks erster Bestandesaufnahme. Ausführung!« Keiner hatte sich auch nur bereits einen Millimeter bewegt, als eine unheimliche Stimme durch die Gänge hallte. »Oh, Besucher! Bleibt ein Weilchen. Bleibt für immer!« »Gastfreundlicher Typ«, flüsterte Urs.

*

Als Markus und Hicks noch einen Meter von der schwer aussehenden Stahltür entfernt waren, schoss sie von selber auf. Sie traten vorsichtig hindurch und hinter ihnen schloss sie sich wieder. Sie fanden sich in so einem Etagenraum und standen gerade auf einer Liftplattform. Vor ihnen war ein Computerterminal, und am anderen Ende des Raums

45 einfach wieder ein Ausgang. Vorsichtig traten sie auf den markierten Liftkontakt und fuhren eine Etage runter. Hier war ein Bett, aber was ihnen mehr auffiel, war der Mistroboter, der gleich mit beachtlichem Tempo und diesem sprezelnden Geräusch auf sie zuschoss. Hicks schluckte hörbar, und Markus trat hastig noch mal auf den Kontakt auf dem Lift. Die Plattform schoss noch eine Etage runter, aber da stand schon der nächste Roboter an einer Kommo- de, glücklicherweise ohne weiter etwas zu unternehmen. Der Lift ging nicht weiter, aber direkt hinter ihnen war jetzt eine zweite Plattform. Sie wichen darauf zurück, und Markus stampfte noch mal auf. Jetzt war Ruhe, denn hier war nur noch eine blaue Stahltür. Sie fuhren vorsichtig wieder hoch und sahen, dass der Roboter hier stehen geblieben war und sie lediglich wütend anblinkte. Sie traten vorsichtig auf ihn zu, um wieder auf den ersten Lift zu kommen und gingen noch eine Etage höher. Der andere Roboter stand jetzt direkt an dieser Kante, blickte jetzt aber in die andere Richtung. Aus zwanzig Zentimetern Entfernung auf den eineinhalb Meter hohen Zylinder blickend beugte sich Hicks zu Markus, wischte sich den Schweiß von der Stirn und flüsterte durch den brummenden Lärm:»Gut für den Blutdruck, was?« »Ja, wenn er zu niedrig ist«, knurrte Markus. Sie betrachteten sich die Maschine aus der Nähe. Der Zylinderkörper war in transforma- torartige Ringe unterteilt, und obendrauf saß ein Kopfstück, an dessen Vorderseite so etwas wie ein Fotorezeptor herausragte. Das Kopfstück war auf ein Drehgelenk montiert. So lange sich das Ding nicht umdrehen würde, würde es sie weder sehen noch angreifen. Hicks wechselte seine M-16 in die andere Hand und holte eine Packung Schokolade aus einer seiner Kampftaschen, Markus zündete sein Laserschwert. Hicks warf die Packung über den Roboter in dessen Sichtbereich. Die Maschine blieb seltsamerweise stehen, aber dafür brach aus dem Ding, das sie für einen Fotorezeptor gehalten hatten, eine Flut elektrischer Ladung, die die Packung mit bösartigem Krachen und Zischen in seine Partikel zerstäubte. Markus wich zurück und wäre fast von der Plattform gefallen, was einen Zwei-Meter-Sturz bedeutet hätte. Hicks kratzte sich am Kopf. »Jetzt wissen wir, wie es Sierra erwischt hat.« Er warf eine zweite Packung auf den Roboter selbst. Beim Kontakt verschmolz es ebenso wie durch den Strahl. »Schokolade mag er nicht.« Markus trat den Lift wieder eine Etage hinunter. Hicks stieg vorsichtig neben dem regungslos bleibenden Roboter vorbei auf die Kommode und durchsuchte sie. »Wie kann jemand hier leben?«, fragte Markus. »Wie viele dieser Räume gibt es wohl?« »Vielleicht ist Elvin hinter der blauen Stahltür unten«, überlegte Hicks. »Wie kriegen wir das Ding auf? Sie macht einen dicken Eindruck. Mit Sprengstoff legen wir eher den Raum in Trümmer. Die Tür wäre das Allerletzte, was nachgeben würde.« Markus griff sich das Funkgerät. Die Anzeigelampen teilten ihm mit, dass wenigstens noch alle am Leben waren. Er drückte die Taste. »Gruppe 1 an alle. Die Roboter reagieren unterschiedlich. Es gibt welche, die jagen sofort los, und dann gibt es welche, die sich anscheinend nicht bewegen können. Außerdem kommen sie nicht auf die Lifte. Aber sie feuern eine höllische elektrische Ladung ab. Soweit die Kurzmeldungen. Wer in seinem Raum eine blaue Stahltür sichtet, soll das melden. Ende.« Das Gerät blieb still.

46 Hicks kletterte wieder zurück, und sie fuhren wieder nach oben, untersuchten den Computerterminal. »Der Terminal ist in Betrieb«, meinte Hicks. »Ob wir wohl Daryl herholen sollen?«, schlug Markus vor. »Warte hier, ich hole ihn.« Hicks eilte rasch zur Tür hinaus. Daryl stand immer noch einsam und verlassen im Korridor und starrte in sein Sichtgerät. »Ich glaube, wir brauchen dich schon!«, rief Hicks. »Musste ja so kommen«, bemerkte der Junge trocken. Vor der Tür sagte Hicks noch:»Und keine Angst.« »Ich bin keine schreckhafte Natur. Und seit ich bei Überschall aus einer SR-71 ausgestie- gen bin, habe ich die Angst in einen Temporär-Speicher kopiert, wo ich sie jederzeit disabeln kann. Funktioniert meistens.« Sie traten durch die Tür. Die Roboter waren zwar auf den unteren Stockwerken, aber die Geräuschkulisse wirkte verdammt bedrohlich. Daryl trat an den Terminal und tippte in rasender Eile. Nach wenigen Sekunden überlegte er kurz und blickte wieder in sein Sichtgerät. »Aha.« Er tippte wieder. »Der hat sein System gründlich abgeschottet.« »Kommst du nicht durch?«, fragte Hicks. »Natürlich komme ich durch. Ich komme überall durch. Nur ein Computer kann einen Computer bis ins letzte Byte absuchen, um ihn aufs Kreuz zu legen.« »Konzentrier’ dich lieber aufs Tippen.« »Kann ich gleichzeitig. Ich könnte noch zusätzlich Shakespeare rezitieren, mit den Augendeckeln morsen und mit den Füßen einen Rhythmus klopfen.« Markus lachte, und Hicks schüttelte den Kopf. Da sagte Daryl:»Ich komme nicht rein.« Hicks fuhr herum. »Was?! Eben sagtest du doch … « »Ich kriege keine Verbindung zum Hauptsystem, weil es keine gibt, das ist alles. Es ist ein komplett isoliertes System. Man kann von hier aus die Lifte auf ihre ursprüngliche Position bringen und die Roboter für fünfzehn Sekunden lahm legen, das ist alles. Die Sache hat allerdings ‘n kleines Häkchen.« »Dachte ich mir schon.« »Man braucht einen Code, den man jeweils nur einmal benutzen kann.« »Und wo kriegen wir diese Codes her?«, fragte Markus. »Die sind angeblich in den Einrichtungsgegenständen versteckt, in Form von EPROM- Modulen. Außerdem sind da noch andere Codes, die richtig zusammengesetzt ein Passwort ergeben, das sich aus ihrer Bedeutung ergibt. Wenn man das ganze Wort hat, kommt man hier durch die blaue Tür. Und ohne die Module komme ich nicht an die Codes. Ich glaube, der Typ will mit uns spielen. Das Ganze erinnert mich sehr an eine römische Gladiatorenarena. Gibst du mir mal das Funkgerät, dann gebe ich das Ganze durch.«

*

Als Roscoe und ich durch die Tür kamen, mussten wir den Anblick erst mal verdauen. Auf unserem Stockwerk war zwar nur ein Terminal und ein stehender Roboter, und wir

47 fuhren erst mal eine Etage höher. Dort feuerte uns einer entgegen, bewegte sich aber zum Glück auch nicht. In diesem Moment kam Markus’ Meldung über Funk, und wir hörten zu. Danach bemerkte ich:»Scheint einer von denen zu sein, der sich nicht bewegt.« Wir kamen ihm aber trotzdem nicht zu nahe und betrachteten ihn nur von fern. Auch, wenn er nicht schoss, brummte er bösartig und machte einen unheimlich geladenen Eindruck. »Komm ihm besser nicht zu nahe«, riet ich, »wäre schade um deine Frisur.« »Keine blöden Bemerkungen, wäre schade um deine Eier.« Ich starrte sie an, und sie lächelte. »Das ist so meine Art, ein Kompliment entgegenzunehmen. Je schlimmer es klingt, desto mehr freue ich mich.« »Ah, interessant.« Jetzt steckte sie sich in aller Seelenruhe wahrhaftig eine Zigarette an. Rote Marlboro! Von denen huste ich schon, wenn ich sie nur sehe, und das sagte ich ihr auch. Als Reaktion zog sie extra tief ein, dass fast die halbe Zigarette abbrannte, und hüllte mich in einen Nebel des Grauens, als sie ausatmete. Etwas roch verbrannt, und wir bemerkten um den Roboter einen elektrostatischen Schein, als er vom Rauch umhüllt wurde und seine Ladung den Qualm versengte. »Ich lasse mich regelmäßig untersuchen«, teilte sie mir mit. »Der Doktor meint, mit meiner Lunge würde ich vierhundert Jahre alt werden.« »Aber mit deinem Beruf nicht«, wandte ich ein. »Irgendwie muss man sich doch umbringen.« Dem hatte ich nichts mehr entgegenzusetzen. Wir wandten uns um und fuhren mit dem anderen Lift hier noch weiter rauf. Da waren ein Schreibtisch und ein Candy-Automat. Und ein Roboter, der vor dem Schreibtisch langsam hin und her fuhr, ohne auf uns zu achten. Dann kam Daryls Schilderung des Computersystems über Funk, und Roscoe untersuchte den Schreibtisch, lief immer wieder zurück, wenn der Roboter auf sie zu kam. Dann deutete sie hinter den Roboter. »Der Candy-Automat sieht recht viel versprechend aus.« »Und wie willst du hinkommen?« »Da oben ist noch eine Etage, aber da steht ein Roboter. Wenn wir rauf fahren, grillt der uns vielleicht.« Sie überlegte kurz, dann reichte sie mir ihr Gewehr. »Mach bitte keinen Quatsch, Jenette!«, bat ich nervös. »Ich bin nicht davon überzeugt, dass es die beste Idee ist, den Blödsinn mitzumachen, der uns hier serviert wird.« »Aber leider ist es die beste Idee von allen, die wir bis jetzt gehabt haben, oder?« »Scheiße, ja«, fluchte ich. Sie lief auf den Roboter zu und hechtete in dem Moment über ihn hinweg, wo er sich umdrehte und wieder in meine Richtung kam. Sie landete dahinter und stand wieder auf, untersuchte den Automaten, was etwas Zeit in Anspruch nahm. Dann präsentierte sie triumphierend ein Steckmodul mit der Aufschrift Sleepin’ Code. Ich kam mir vor wie in einem Videospiel. Nur dass ich jetzt die Figur, das Sprite, war. Und wer steuert mich? Hoffentlich ein Könner.

48 Sie warf mir das Modul zu und fuhr mit dem dortigen Lift ganz rauf. Da war aber nur ein Terminal, und sie kam wieder runter, wiederholte das Manöver von vorhin in der anderen Richtung. Ich steckte das Modul ein, und wir machten, dass wir hier wieder raus kamen.

*

Ein Stockwerk weiter unten zweigte nur ein Korridor ab, also fuhren Gruppe 4 und 5 noch weiter runter. Urs und die rote Löwenmähne Linda Farraday betraten vorsichtig ihren Raum. Linda, die aktiv Bodybuilding betrieb und eine erstaunliche Schwäche für Beethoven besaß, hatte sich schon vor Jahren die Ärmel abgeschnitten, sodass ihre Bizeps deutlich zu sehen waren. Urs hasste Hicks, beschloss aber, das für den Augenblick zu vergessen. Die unterste Etage, auf der sie sich befanden, hatte in regelmäßi- gen Abstanden sechs schwarze Löcher im Boden, die in eine garantiert tödliche Tiefe führten. Auf dem zweiten Teilstück befand sich ein Terminal, und das darauf folgende Teilstück war eine Liftplattform, mit der man auf vereinzelte Plattformen hinauffahren konnte, auf denen schießwütige Roboter wie die Verrückten hin und her rasten. »Na, denn Prost«, bemerkte Urs. »Prost«, gab Farraday zurück und sprang in zwei langen Sätzen zu dem Terminal hinüber. Urs kratzte sich am Kopf und folgte ihr. Sie untersuchten den Terminal vergeblich, bis sich Daryl meldete. Urs blickte sich um und entdeckte das einzige Möbelstück, das nicht von einem Roboter bewacht wurde. Es war ein Candy-Automat, und er befand sich auf einem kleinen Absatz ganz hoch unter der Decke. Farraday überlegte sich, wie sie hinkommen konnte. Sie trat auf den Lift und fuhr auf die erste Etage hoch, wo sie sofort von einem Roboter mit offenen Sensoren empfangen wurde. Sie hüpfte rasch auf einen Absatz außer Reichweite. Man stelle sich ein tellergroßes Stück Metall vor, das in zwei Meter Höhe einfach in die Stahlwand geschweißt ist. Farraday ruderte ziemlich mit den Armen, behielt aber das Gleichgewicht. Urs atmete wieder aus. Farraday fixierte die nächste Etage, wartete bis der Roboter die Kante erreicht hatte und sich wieder umdrehte, und hechtete rüber. Sie landete auf der Schulter, schoss hoch und hüpfte noch einen Absatz höher, gerade rechtzeitig, bevor der Roboter wieder zurück- kam. Urs atmete wieder aus. Sie sprang zum nächsten Absatz und von dort zum einsamen Automaten, den sie sofort durchsuchte. Urs schüttelte den Kopf. Das Ganze war eine gigantische Mausefalle, nur zu Elvins Vergnügen. ‘Wenn Ihr gut seid, kriegt Ihr mich, sonst kriege ich euch.’ Mistkerl! Farraday präsentierte triumphierend ein Schlaf-Modul und warf es zu Urs hinunter. Der kriegte es gerade noch in die Finger, bevor es in eines der Löcher fiel, und rammte es in den Modulschacht des Terminals. Dann rief er den Code auf. Sämtliche Roboter blieben stehen und rührten sich nicht mehr! Auch das sprezelnde Geräusch war verschwunden, und eine unheimliche Stille breitete sich im Raum aus. Farraday wusste, dass sie fünfzehn Sekunden Zeit hatte, und sprang sofort zurück auf die

49 Etagen, suchte sie der Reihe nach ab und hielt sich nicht damit auf, die Roboter zu überspringen, drückte sich an ihnen vorbei. Urs erschrak, aber es geschah ihr nichts. Auch die Oberflächenladung der Roboter war verschwunden. Wie eine Besessene riss Farraday die Schubladen eines Schreibtischs auf und knallte sie wieder zu. Dann hechtete sie von der letzten Etage direkt auf den Boden hinunter, wobei sie um Haaresbreite einer elektrischen Ladung von mehreren Dutzendtausend Volt entging, die von den Robotern wieder ausgesandt wurden, als sie wieder aktiv wurden. Farraday flog mit grausamer Präzision genau auf eines der Löcher im Boden zu. Urs hielt die Luft an und warf sich über das Loch. Seine Füße blieben auf dem Teilstück mit dem Terminal, und seine Hände krallten sich um die Stahlkanten des nächsten Stücks. Farraday knallte voll auf ihn drauf, und die Kante rutschte ihm fast aus den Fingern. Irgendeine dämliche Bandscheibe strahlte grinsend einen stechenden Schmerz durch seine Wirbelsäule. Sie stieg auf festen Boden und half ihm, wieder hochzukommen. Er stand da wie eine Statue und versuchte zu atmen. »Kann ich dir helfen?«, fragte sie. Er nickte nur mühsam, und sie rammte ihm chiropraktisch die Faust in den Magen. Er krümmte sich zusammen und fühlte deutlich, wie in seinem Rücken irgendetwas wieder in die alte Position knackte. Er schnappte nach Luft und keuchte:»Danke.« »Jederzeit wieder«, gab sie zurück und rieb sich die Faust. Dann kramte sie in ihren Kampftaschen und zählte ein Liftreset-Modul und zwei Passwort-Module.

*

»I think, we have a big problem«, imitierte Jürg Indiana Jones, als er den Raum betrachtete. Er bestand nur aus den einzelnen Absätzen, wie sie Urs und Farraday in diesem Moment gerade kennen lernten. Auf zweien schossen Roboter hin und her, aber die waren nicht das eigentliche Problem. Diese ein Meter dicke, schwarze Kugel, die scheinbar schwerelos auf einem festen Kurs um die Absätze herumjagte und einen ziemlich geladenen Eindruck machte, stieß ihnen da wesentlich saurer auf. Auf ihrem Kurs jagte sie alle drei Sekunden an der Eingangs- plattform auf der obersten Etage vorbei, wo die beiden standen. Das ließ ihnen höchstens drei Sekunden Zeit, um auf einen zwei Etagen tiefer liegenden Absatz zu verduften, der außerhalb des Kurses der Kugel lag. Simon wartete, bis die Kugel wieder vorbeischoss, und sprang rasch hinunter. Die zwei Meter falteten ihn dabei ziemlich zusammen, und er wich sofort an die Wand zurück. Die Kugel rasierte ihm fast die Nase ab. »Bist du noch da?«, rief Jürg genervt. »Glaube schon«, kam es ziemlich müde. »Bleib, wo du bist! Ich mach weiter.« Als die Kugel wieder vorbeisauste, rannte er los und landete noch einen Absatz tiefer, endlich in Sicherheit. Der dortige Roboter auf dem untersten Absatz fuhr vor drei Magnetbandschränken langsam hin und her, machte keinen sehr bedrohlichen Eindruck. Simon sprang runter und untersuchte den ersten. Dann kam der Roboter, und er hechtete über ihn hinweg. Er untersuchte den zweiten, dann kam das Miststück wieder, er wiederholte das Manöver und untersuchte den dritten. Dann machte er, dass er auf den mittleren Absatz kam.

50 Inzwischen sondierte Jürg mit einem Messgerät die Kugel und nahm das Funkgerät. »An alle, die es interessiert. Die Roboter haben eine Ladung von etwa dreihundertsechzigtau- send Volt. Wenn sich einer eine neue Frisur machen lassen will, soll er ruhig mal einen anfassen. Für Beschwerden, wenden Sie sich bitte an die zuständige Stelle. Ende der Verkehrsmeldungen. Biiiip!« Simon sprang zwei Absätze hinüber zu einem Terminal, aber der war nicht angeschlos- sen. In seinem Schacht steckte aber freundlicherweise ein Passwort-Modul, und er riss es heraus. Dann überlegte er sich mal, wie er wieder hinaufkommen wollte. »Ich bezweifle, dass ich mich an den Absätzen festhalten kann!«, rief er. »Komm ein bisschen nach vorn, damit ich dich sehen kann!«, rief Jürg zurück. Simon trat ganz an die Kante, und Jürg konzentrierte sich. Simon fühlte, wie sich um ihn herum etwas Kräftiges, Unsichtbares aufbaute. Er wurde leichter, hob aber nicht ab. Jürg holte Luft und nahm die Brille ab. So, jetzt ging es besser! Merkwürdig. Simon hob sich vom Boden und segelte mit schlappem Tempo hinauf. Drei Millimeter hinter seinem Hintern fegte die Kugel vorbei, als er auf der Eingangsplattform landete. Jürg wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und jetzt ein kühles Bier.« »Du träumst wohl!« »Leider ja. Gut, dass ich nicht mitgekommen bin. Mich selbst kann ich nämlich nicht heben, dafür müsste ich noch ein paar Jahrzehnte trainieren. Falls es dich interessiert, ich habe noch nie etwas gehoben, das schwerer war als ein Bierglas, aus nahe liegenden Gründen.« »Sehr witzig.« »Nein, im Ernst.« Simon wurde etwas grüner. »Warum hast du das denn nicht vorher gesagt?« »Ich bin doch nicht blöd. Es reicht, wenn du es bist. Außerdem hast du mir ja nicht gesagt, was du vorhast.« »Auch wieder wahr.«

*

Als Hervé und Jones ihren Raum betraten, standen sie gleich auf einem Lift. Eine der Zwischenetagen fehlte, und auf der ersten war nichts. So fuhren sie gleich ganz nach oben, dort stand ein Roboter, der seelenruhig immer in dieselbe Richtung starrte und ab und zu mal feuerte. Hervé grinste. Auf dieser Etage stand eine Sony Stereoanlage mit Compact Disc-Plattenspieler, aber komischerweise nur ein Electrovoice 160 Watt Dreiweglautsprecher. Da sie nicht wissen konnten, ob der Roboter sich plötzlich bewegen würde, wenn er sie sah, verzichteten sie darauf, während einer Feuerpause über ihn hinwegzuhechten, und fuhren mit dem Lift wieder runter. Sie gingen ans andere Ende des Raums und fuhren dort hoch. Auf der zweiten Etage stand der zweite Lautsprecher sowie eine Ständerlampe und ein Polstersofa. Und ein Roboter, der friedlich vor sich hinrotiert hatte, bis er etwas sah, auf das er Jagd machen konnte, was jetzt der Fall war. Er schoss auf sie zu, und sie beeilten sich, noch eine Etage höher zu kommen. Hervé wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was jetzt?«, fragte er.

51 Jones fuhr wieder ganz runter. Sie gingen in die Mitte unter den mittleren Lift, der oben war, und Jones befahl Hervé, dort zu warten. »Ich will aber auch was tun!«, protestierte der. Jones deutete auf das Stockwerk mit der Sony-Anlage. »Du gehst jetzt dort hinauf, hechtest über den Roboter und fährst mit dem Lift zum Zwischengeschoss.« Hervé schaute ihn an, aber Jones meinte es ernst. Er blickte hoch und meinte:»Ist das alles? Ist doch ganz einfach, aber du kannst das viel besser als ich.« »Eben.« Jones fuhr wieder zur Anlage hoch, wartete eine Feuerpause ab und sprang über den Roboter. Der bewegte sich sofort auf ihn zu, aber Jones landete glücklicherweise auf dem Lift und krachte mit dem neunten Wirbel genau auf den Kontakt. Der Lift schoss nach unten, und dreihundertsechzigtausend Volt verpassten Jones einen neuen Scheitel. Unten klopfte Hervé auf seine Brust, um sein Herz wieder in Gang zu bringen. Auf der zweiten Etage fuhr der Roboter immer noch hin und her, und Jones hatte alle seine Hände voll damit zu tun, zur Lampe zu rennen, auf den Lift zurück, eine Etage tiefer in Sicherheit, wieder hoch, noch mal zur Lampe, wieder zurück, runter, hoch, zum Sofa, zurück, runter, hoch, zum Sofa, zurück, runter, hoch, zum Sofa, zurück und ganz runter. »Brauchst du ‘ne Beruhigungstablette?«, fragte Hervé teilnahmsvoll. »Nein, eine Sauerstoffflasche.« Jones keuchte wie ein lungenkrankes Nilpferd. »War sowieso für die Katz’. Nichts gefunden.«

*

Wir kamen etwa alle gleichzeitig am Ausgangspunkt an. Daryl wirkte etwas blass. Lag vielleicht an den Neonröhren. »Die Roboter sind offenbar verschiedenartig programmiert«, begann er. »Da gibt es welche, die stehen still und sehen einen nicht einmal. Dann gibt es welche, die bewegen sich andauernd, ohne einen zu sehen. Von denen gibt es auch zwei verschiedene. Die einen fahren bloß hin und her, die anderen schießen jedes Mal, wenn sie am Ende einer Fahrt sind. Dann gibt es welche, die sofort losfeuern oder sogar losfahren, wenn sie jemanden sehen. Wenn man verschwindet, beruhigen sich einige, andere nicht mehr. Die anderen führen dann eines der bereits bekannten Programme aus. Einer kann still stehen, bis er jemanden sieht, und dann tritt das Programm in Aktion, das auch ausgeführt wird, wenn derjenige danach verschwunden ist. Außerdem ist das alles mit drei verschiedenen Geschwindigkeiten kombiniert. Die langsamste ist kein Problem, der kann man im normalen Schritttempo entkommen. Bei der mittleren muss man schon laufen, und bei der höchsten gibt es keine Rettung mehr. Außerdem gibt es auch Roboter, die einen sehen, wenn man nicht auf demselben Stockwerk ist! Die sind das größte Problem, vor allem, wenn sie auf der höchsten Tempostufe laufen. Beim Schießen gibt es auch zwei verschie- dene Frequenzen. Bei der einen haben wir einen Takt von vier Sekunden Feuer und einer Sekunde Pause. Bei der anderen haben wir drei Sekunden Feuer und eine halbe Sekunde Pause. Bei der ersten kann man vielleicht noch mit Müh und Not im richtigen Moment über den Roboter hinweg springen und außer Reichweite rollen. Bei der anderen ist das nicht mehr so gesund. Außerdem ist davon auch abzuraten, da man nie weiß, ob der Roboter mit dem ersten Sichtkontakt nicht plötzlich aktiv wird. Wenn man dann noch am Aufstehen ist, wird’s peinlich. Es gibt noch Roboter, die immer etwa jeden Meter Strecke anhalten und feuern, bevor sie den nächsten Meter fahren, ebenfalls mit verschiedenen

52 Geschwindigkeiten. Weiter sind zwei verschiedene Reaktionszeiten zu beachten. Wenn ihr über einen Roboter hinweg springt, der euch sieht und auf euch zukommt, dann gibt es welche, die erst eine Sekunde brauchen, bis sie sich umgedreht haben, was euch Zeit gibt, sofort wieder aufzustehen. Die anderen aber reagieren sofort! Eine ganz wichtige Erkenntnis ist: die Roboter schießen niemals, während sie sich bewegen! Das kann man sich zunutze machen. So lange der Roboter in Bewegung ist, und ihr vor ihm davonlaufen könnt, seid ihr sicher. Es gibt aber auch Roboter, die, wenn sie euch sehen, zwar losfeuern, aber dort bleiben, wo sie sind. Das ist dann eben ihr neues Programm. Am gefährlichsten ist der, der alle zwei Meter anhält und sich um neunzig Grad herumdreht um festzustel- len, ob jemand hinter ihm ist. In der Regel braucht er etwa eine bis eineinhalb Sekunden, bis er sicher ist, erst dann entscheidet er, ob er sich umdrehen und sein neues Programm ausführen wird, oder noch einen Meter fahren wird, wo er sich dann wieder umdrehen wird. Und die Roboter fahren niemals über die Lifte! Merkt euch das! Das hält die Viecher aber natürlich nicht davon ab, über den Lift hinweg zu feuern. Die ganze Programmier- struktur besteht aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, von denen ich versucht habe, alle Kombinationen darzulegen. Ich hoffe, dass ich nichts vergessen habe.« Die Marines blickten sich beeindruckt an. Wir kannten Daryl natürlich schon. Hicks fragte ihn:»Willst du ein Mensch sein?« »Ich sehe zwar nicht, was das mit unserem gegenwärtigen Problem zu tun hat, aber eigentlich schon.« Hicks grinste und fuhr dem Jungen über die Haare. »Dann wirst du das sicher nicht missverstehen.« »Danke«, sagte Daryl leise und blickte wahrhaftig zu Boden. »Was ist mit dem Computersystem?«, fragte Roscoe. Daryl schniefte kurz und erklärte:»Äh, dabei handelt es sich um ein völlig autonomes System, das mit Elvins Hauptsystem nichts zu tun hat. Es dient lediglich zur Steuerung der Roboter. Das Ganze ist eine Gladiatorenarena. Elvin hat seinen Spaß an uns, weil er davon überzeugt ist, dass wir es nicht schaffen.« »Und schaffen wir es?«, fragte Farraday. Daryl hob die Schultern. »Das kommt darauf an, wie viele Räume noch auf uns warten und was für welche es sind.« »Du sagtest, das System steuere die Roboter«, griff ich den Faden wieder auf. »Könnte man denn die Dinger abschalten?« »Nein, das ist ein hardwaremäßiges Problem. Das Programm, das dort läuft, kennt keine Abschaltroutine, also kann ich auch keine aufrufen. In den Schlaf-Modulen ist aber ein solcher, codierter Programmteil vorhanden, der die Dinger für fünfzehn Sekunden abschaltet. Da jedes Modul einen eigenen Code hat, kann man ihn nur einmal verwenden, der Code wird dann vom System kein zweites Mal mehr akzeptiert. Abgeschaltet werden die Roboter, weil durch das Modul ein Programmteil eingefügt wird, der vorher gar nicht vorhanden war. Deshalb brauchen wir die Module unbedingt. Die Roboter selbst sind so programmiert, dass sie nur einen einzigen Abschaltbefehl annehmen, den von den Modulen.« »Könntest du so ein Modul nicht auseinander nehmen?«, fragte Urs. »Wenn du den Code rauskriegtest, könnte man etwas einbauen, mit dem man den Code von Hand verändern kann. Dann könnte man dasselbe Modul immer wieder brauchen.« »An sich eine gute Idee, nur fehlt uns dazu erstens das Material und zweitens die Information, ob die Codes ein Schema haben oder einfach zufällig sind. Im zweiten Fall

53 bräuchten wir Jahre, bis wir den nächsten richtigen Code hätten. An Material müsste ich einen EPROM-Tester haben, und die Hardware, mit dem ich einen Codewähler mit Tastatur einbauen könnte. Und dazu haben wir einfach nicht die Zeit, selbst wenn ich das Material hätte.« Nach einer fünfsekündigen Verlegenheitspause bemerkte Hicks düster:»Sierra hatte keinen blassen Schimmer, worauf er sich überhaupt einließ. Wir sind froh, dass wir dich haben, Daryl. Jetzt wissen wir wenigstens, was noch auf uns wartet.« »Vielleicht wissen wir noch gar nicht alles.« Daryl blieb realistisch. »In anderen Räumen können uns Dinge erwarten, von denen wir noch keine Ahnung haben.« »Was ist, zum Beispiel, mit der schwarzen Kugel?«, fragte Jürg. Daryl überlegte kurz. »Ich habe sie nicht gesehen, aber nach deiner Beschreibung handelt es sich hier um eine Flugsonde mit Anti-G, mit derselben Oberflächenladung wie die Roboter. Hat sie euch gesehen?« »Nein, sie kurvte nur wie ein Arschloch um die Absätze.« Daryl verzog das Gesicht. »Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Aber das beweist nicht, dass es in anderen Räumen nicht Kugeln gibt, die euch sehen. Die kann euch aber dann durch die Luft verfolgen!« »Na großartig«, knurrte Markus. »Hast du nicht einen EPROM-Brenner da?«, fragte Hicks. »Ja, schon. EPROM steht aber für Elektrisch Programmierbares ROM, doch die Module sind bereits programmiert. In den Modulen müssten EEPROMs sein. Elektrisch pro- grammierbar und löschbar.« »Kann man EPROMs denn nicht auch löschen?« »Wenn es EPROMs mit einem Sichtfenster sind, schon, man müsste sie intensivem UV- Licht aussetzen. Neonröhren geben zwar eine ganz hübsche UV-Strahlung ab, aber ich fürchte, das reicht nicht. Außerdem, womit sollte ich sie programmieren? Mir fehlt immer noch der Tester.« »Ist im Terminalprogramm nicht auch ein Testsektor vorhanden?«, fragte Jones. »Nein.« »Mist.« »Genau. Der Terminal ist ohne die Module völlig nutzlos. Und die Module können nur die Roboter kurz stillhalten, oder die Lifte auf ihre Anfangspositionen zurücksetzen.« »Was ist mit dem Passwort?«, fragte Hervé. »Dabei scheint es sich um ein Verschlüsselungssystem mit einem Algorhythmus zu handeln, der sich in einer logischen Reihenfolge verändert und dabei gewisse mathemati- sche Grundzahlen, z.B. Pi, als Grundlage nimmt. Der CIA benutzt das Zeug, um Geheim- informationen zu verschlüsseln. Hier ist die Information allerdings noch viertelbuchsta- benweise auf einzelne Module verteilt. Aber das könnt Ihr dann mir überlassen. Ich weiß allerdings, dass das endgültige Passwort aus neun Buchstaben besteht. Also müssen wir sechsunddreißig Passwort-Module finden. Was haben wir überhaupt bis jetzt?« Eine rasche Untersuchung der Kampftaschen förderte zwei Schlafcodes, einen Liftreset- Code und vier Passwortcodes zu Tage. Urs behielt seinen Schlafcode in der Hand. »Den hier haben wir schon gebraucht.« Daryl nahm ihm das schwarze Kästchen aus den Fingern und untersuchte es. Es sah aus wie irgendein dämliches Modul für einen Commodore 64/128. Wie das Modul, das jetzt in diesem Moment im Schacht meines Computers steckt. Es trägt die Aufschrift

54 VIZAWRITE CLASSIC und sorgt dafür, dass das, was ich jetzt schreibe, gleichzeitig auf dem Bildschirm auftaucht. Daryl öffnete einen Verschluss und nahm die obere Gehäusehälfte ab. Eine gemusterte Platine mit mehreren Transistoren, Widerständen und dem EPROM war zu sehen. »16-Bit-Technik«, bemerkte Daryl. »Personal Computer-Standard. Die Codes können nicht so schwierig sein. Für kompliziertere Codes braucht man entweder mehr Zeit oder ein komplexeres System. Mehr Zeit kann Elvin sich nicht leisten, und ein komplexeres System setzt er nicht ein. Ich gebe euch einen Tipp: Riskiert nichts und lasst euch so viel Zeit wie nötig.« In diesem Moment rauschten unsere Funkgeräte, und Trevelyans Stimme drang stark verrauscht zu uns durch. »Basis an Patrouille, dringend! Elvin hat Ultimatum gestellt. Ihr habt noch drei Stunden Zeit, andernfalls wird die Waffe abgefeuert. Wir hoffen auf euch. Ende.« Daryl hob die Schultern. »Vergesst, was ich gesagt habe, und beeilt euch. Und markiert irgendwie die Räume, die Ihr schon durchsucht habt, sonst suchen noch zwei Gruppen denselben Raum ab.«

*

Die Räume änderten sich ständig in Architektur und Möblie- rung. Computer und Drucker, Sofas und Kamine (Wozu, zum Geier, braucht Elvin hier unten einen Kamin??), Candy- Automaten und Musicboxen, Kommoden und Stehlampen, Magnetband- und Bücherschränke, und überall die Roboter mit allen möglichen Kombinationen. Hin und wieder auch die schwarze Flugsonde, die uns aber nun tatsächlich sah und entsprechend verfolgte! Wir schafften es aber immer, sie mit den Liftplattformen unter Kontrolle zu halten und stellten erleichtert fest, dass wir ihr nur einen Roboter in den Weg bringen mussten, um sie los zu werden. Sie schaltete sich dann nämlich beim Kontakt mit ihm automatisch aus, wahr- scheinlich um keinen Kurzschluss zu kriegen. Wir sammelten fleißig die Module, und der Angstschweiß hätte bald ein Hallen- schwimmbad bis zur Decke gefüllt. Einmal stand ich in der Sackgasse, und ein Roboter schoss wie eine Kanonenkugel auf mich zu. Ich rannte los und hechtete über ihn hinweg, fühlte eine elektrische Ladung über mein rechtes Hosenbein streifen. Ich vergaß alle zehn Sekunden, wie viel Uhr es war, und blickte dauernd aufs Handgelenk. Roscoe nervte mich, indem sie über einen Roboter sprang, an einem Schreibtisch eine Schublade aufriss, wieder zurücksprang, weil er sich umgedreht hatte, einen Computer untersuchte, wieder zurückhechtete und die nächste Schublade aufriss. Und so weiter. Als sie nach zehn Sprüngen endlich wieder draußen war und zwei Passwort-Module präsentierte, war sie reichlich blass im Gesicht. Und dann passierte es endlich.

*

Als Jones einmal über einen Roboter sprang, verschätzte er sich in der Sprungweite und landete auf der Kante eines Lifts im ersten Stockwerk. Er hing gerade noch mit einer Hand

55 dran. Hervé hörte den Schrei und vergaß den Schrank, in dem er gerade herumsuchte. Er sah Jones an der Kante hängen, brachte die nahezu unglaubliche Leistung fertig, sein bewusstes, absolut logisches Denken für ein paar Sekunden zu vergessen, und rannte los. Dabei brach er zwei persönliche Grundsätze, indem er erstens mit dem Sprung über den Roboter einen Selbstmordversuch unternahm, und indem er zweitens für den Absprung eine Terminaltastatur als Startrampe verwendete und deutlich hören konnte, wie die Tasten unter seinem Gewicht zersplitterten. Sein linkes Schulterblatt berührte den Boden als Erstes, der Rest folgte erst, und das knallte nicht übel. Er warf sich herum und griff nach Jones’ Hand. Genau in dem Moment, als Hervés Hand da war, war Jones’ Hand weg. Einen Sturz aus dem ersten Stockwerk überlebt man normalerweise, aber wenn Jones erwartet hatte, festen Boden zu treffen, wurde er enttäuscht. Er hatte genau jenes Loch erwischt, das normalerweise von dem Lift verdeckt wurde, auf dem Hervé immer noch saß und ihm erschrocken hinterher blickte. Mit einem Schrei verschwand Jones in dem schwarzen Loch. Hervé fühlte sich verdammt mies, und die Tatsache, dass der Schrei nicht mit einem ‘Bums’, sondern mit einem ‘Tschack’ abbrach, machte die Sache auch nicht besser. Hervé nahm die Brille ab und klammerte sich am Funkgerät fest. »Rundruf … an alle. Hicks, kannst du mich hören?« »Ja, was ist?« »Jones hat’s erwischt. Er ist in eines der Löcher im Boden gestürzt.« Hicks erholte sich einen Moment und wurde sachlich. »Hatte er Module bei sich?« »Nein, die hab’ ich.« »Gut.« »Was ist daran gut?!«, brüllte Hervé. Hicks seufzte. »Jones war ein Profi, wie wir alle auch. Die Codes sind alles, was uns im Moment zu interessieren hat. Verstehst du? Nur die Codes! Ohne die kriegen wir Elvin nicht, und wenn wir ihn nicht kriegen, gibt’s oben einen höllischen Knall, und wenn es oben einen höllischen Knall gibt, gibt es eine verdammt große Sauerei. Die ganze Kette lässt sich abkürzen. Wenn wir uns nicht nur für die Codes interessieren, gibt’s oben eine verdammt große Sauerei. Begriffen?« »Ja«, flüsterte Hervé und schaltete das Funkgerät ab. Mühsam stand er auf und fuhr mit dem Lift nach unten. Er lief aus dem Raum und lehnte sich von außen für einen Moment gegen die Tür. Es gab noch viel zu tun, aber dieser Moment musste einfach sein.

*

Roscoe und ich, wir kamen von rechts unten her in einen Raum, in dem es fast nur Magnetbandschränke gab. Ein Roboter kam gemächlich auf uns zu, aber beruhigenderweise waren da zwei Lifte dazwischen. Roscoe setzte sich an dem hier befindlichen Terminal auf einen Bürostuhl und legte die Füße schonend auf die Plastikverschalung. Sie tippte etwas, kriegte aber nicht mehr raus als bisher. Der Roboter erreichte jenseits des Lifts das Ende seiner Strecke und feuerte vier Sekun- den in unsere Richtung. Dann drehte er sich um und glitt in die andere Richtung. Wir achteten schon gar nicht mehr auf die Dinger, wenn sie uns nicht direkt bedrohten.

56 Ich kriegte ein ungutes Gefühl von einer ganz besonderen Art. Und mir fiel ein, dass ich das letzte Mal, als ich dieses Gefühl gehabt hatte, genau unterhalb einer Alien-Königin gestanden hatte, ohne dass ich sie bereits gesehen hätte. Mein Blick irrte rasch umher und ich entdeckte mehrere hoch interessante Dinge. Ich wusste, dass die Etagen nur leichte Stahlböden waren, die an Leisten an die Wand geschraubt waren. Als Erstes merkte ich, dass, wenn der Roboter am anderen Ende seiner Strecke in die Wand feuern würde, er genau so eine Leiste treffen würde. Als Zweites merkte ich, dass die Leiste direkt mit dem Stahlboden, auf dem ich in diesem Moment stand, fest verschraubt und möglicherweise sogar noch verschweißt war. Mit anderen Worten, wenn der Roboter in die Leiste feuerte, setzte er den ganzen Stahlboden, wenn nicht sämtliche Etagen, unter dreihundertsechzigtausend Volt. Und als Drittes bemerkte ich, dass ich die Tür nicht mehr rechtzeitig erreichen konnte. Ich gab mich dreizehn Zehntelssekunden stiller Panik und einem höllischen Schweiß- ausbruch hin, bis mir etwas einfiel. »Hau einen Schlafcode rein, schnell!« Roscoe schreckte einen Moment hoch. Dann kam ihr Training zum Vorschein, das sie darauf konditioniert hatte, erst zu gehorchen und dann erst zu fragen. Während der Roboter gemütlich die Zentimeter zur Wand in sich hinein fraß, kramte sie hastig in ihren Taschen, förderte mehrere Module zu Tage, blickte auf die Titel, steckte sie in eine andere Tasche, fluchte halblaut, kramte, suchte und brachte endlich das Gesuchte hervor. Und ich verbrauchte zwischenzeitlich eine Zehnjahresration an Angstschweiß. Genau gleichzeitig, wie der Roboter die Wand erreichte, hatte Roscoe das Modul an seinen Platz gerammt und die entsprechende Taste gedrückt. Genau genommen kam sie aber zirka sieben Hundertstelsekunden zu spät.

* Der Strom und ich Von Ivo Cassani

Als siebenjähriger Junge habe ich mal ein Verlängerungskabel ausgezogen, indem ich am Kabel riss. Der Stecker hielt, das Kabel nicht, und ich schloss das erste Mal in meinem Leben Bekannt- schaft mit einem ziemlich rabiaten Schläger namens Mister Zweihundertzwanzig Volt. Als siebzehnjähriger Lehrling nahm ich ein Biennophone-Telefonrundspruchgerät auseinander und fasste es, um es besser halten zu können, am Chassis. Dabei berührte ich versehentlich den Ein-Aus-Schalter, und da das Gerät leider noch eingesteckt war, meldete sich wieder mal ein alter Bekannter aus der Kindheit und aus der Steckdose, dem ich gehofft hatte, nie wieder begegnen zu müssen. Als achtzehnjähriger Lehrling lötete ich bei einer Telefunken-Kompaktanlage drei 12 Volt- Skalalämpchen an, während das Gerät nicht nur eingesteckt war sondern sogar eingeschaltet! DRS-3 dröhnte aus den Lautsprechern. Ich glaube, ich war mit den Gedanken woanders, fragte mich aber, warum es in meinen Fingern so kribbelte, mit denen ich den Lötzinndraht hielt. Außerdem war es mir neu, dass ein Lämpchen bereits in dem Moment brannte, wo ich es anlötete. Als neunzehnjähriger Lehrling meldete sich wieder der alte Bekannte und zwar gleich dreifach. Ich brachte es nämlich mit ungewöhnlichem Talent irgendwie fertig, an einem Drehstrom- Generator alle drei um einhundertzwanzig Grad phasenversetzte 220-Volt-Phasen anzufassen. Das summiert sich zu dreihundertachtzig Effektivvolt, und mein Schrei war noch im Bundeshaus zu hören.

57 Ebenfalls mit neunzehn Jahren reinigte ich die Berührungssensoren eines älteren Telefunken- 864-Farbfernsehers, dessen Besitzer Kettenraucher zu sein schien, mit Brennsprit und lud sie damit statisch kräftig auf. Dann schaltete ich fröhlich das Gerät an und berührte die Taste Nummer 2, um zu sehen, ob die Sensoren jetzt funktionierten. Das taten sie auch. Bei der Berührung bildete sich allerdings ein zirka drei Millimeter großer Funken, der einen Knall losließ, der einem frisierten Mofa alle Ehre gemacht hätte. Die Spannung muss für die kurze Zeit von einer halben Zehntelssekunde etwa fünfzehnhundert Volt betragen haben, begrenzt auf meine Finger- spitze, was übrigens, laut meinem Chef, ohne Weiteres möglich ist, und der muss es ja wissen. Sein Halskettchen hatte nämlich mal den Hochspannungspol der Bildröhre von siebenundzwanzigtau- sendfünfhundert Volt berührt. Seither hat er einen dunkelbraunen Strich um den Hals! Es wurde Abend, bevor ich den Finger wieder bewegen konnte. Als einundzwanzigjähriger aktiver Chaot und passiver Halbjedi wurde ich unhöflicherweise von einem nukleargetriebenen Selbstbauroboter mit Anti-G-Antrieb für sieben Hundertstelsekunden unter eine Spannung von dreihundertsechzigtausend Volt gesetzt. Mein Bewusstsein registrierte das etwa für dieselbe Zeitspanne von sieben Hundertsteln. Damit würde ich diese Geschichte eigentlich gerne abschließen, aber ich bin nicht sicher, ob mir das auch für den Rest meines Lebens gelingen wird.

*

Im Nachhinein stelle ich es mir weitaus angenehmer vor, vom weißen Hai Stück für Stück aufgefressen zu werden. Dass ich längelang zu Stahlboden krachte, merkte ich schon gar nicht mehr. Und als Roscoe hinrannte und mich anfasste, entlud sie mich freundlicherweise von den restlichen paar tausend Volt, die sich in meinem Körper wesentlich besser verschanzt hatten als im Stahlboden. Was sie geflucht hat, weiß ich nicht. Sie hob mich hoch und rannte mit mir aus dem Raum. Draußen wachte ich wieder auf und fühlte, wie ich am ganzen Körper zitterte. Meine Zähne schlugen aufeinander, als herrsche eine Kälte von 360’000 Grad unter Null. »Ging’s … nicht … ein … bisschen … schneller?« »Ansprüche stellen auch noch! Los, Arsch hoch! Wir sparen uns den Raum für zuletzt.« »Warum lebst du eigentlich noch?« »Ich hatte die Füße auf der Plastikschale des Stuhls. Ich war isoliert, sonst hätte ich das Modul nämlich gar nicht mehr reingekriegt. Hoch jetzt! Und kämm dir die Haare! Du siehst aus wie ein Punker.«

*

Das ganze unterirdische Labyrinth bestand, wie wir nachher wussten, aus acht Lift- schächten, zwischen denen die Räume lagen, maximal acht übereinander. Es gab aber auch ein paar kurze Schächte, und es gab Räume mit zwei Türen, und solche mit nur einer. Durch die ersteren konnte man von einem Schacht in den anderen wechseln. Und in jedem Schacht hatten die Wände eine andere Farbe. Der erste war rot gewesen, der zweite blaugrün und der dritte war jetzt dunkelblau. Hier fanden Markus und Hicks einen Raum vor, der völlig von einem großen Schachbrett an der Wand eingenommen wurde, vor der ein Terminal stand, dessen Tastatur ebenfalls ein Schachbrett war. Es war kein Roboter zu sehen.

58 Hicks drückte am Terminal die Activate-Taste. Kurz hintereinander leuchteten auf dem großen wie auf dem kleinen Schachbrett drei Quadrate auf, und bei jedem ertönte ein anderer Ton. Hicks blickte Markus an, der hob nur die Schultern. Hicks drückte die Quadrate auf dem Terminal in derselben Reihenfolge, wie sie gespielt worden waren. Die Töne schwebten durch den Raum. Nichts geschah. Hicks überlegte und spielte dann die Töne in der Reihenfolge von oben nach unten. Wieder nichts. Er spielte sie von unten nach oben. Das Schachbrett flimmerte kurz und entnervend, dann schoss am Terminal eine Klappe auf, und ein Modul fuhr heraus. Hicks nahm es überrascht, und die Klappe schloss sich wieder mit einem massiven Geräusch. Es war ein Liftreset. »Das nenn’ ich Service«, meinte Hicks und drückte wieder die Aktivierungstaste. Das Spiel wiederholte sich, aber diesmal mit vier Tönen. Langsam begannen sie zu kapieren. Hicks überlegte kurz und spielte die Töne, seine Mini-Sonate wurde mit einem Schlafco- de belohnt. Dasselbe noch mal, nur diesmal waren es fünf Töne. Hicks kriegte die Reihenfolge nicht mehr zusammen und verzettelte sich. »Ich kann nicht mehr. Bin völlig unmusikalisch. Mein Lieblingssänger ist Meat Loaf.« »Lass mich mal ran.« »Bist du musikalisch?« »Nein.« Aber Markus erwischte die fünf Töne auf Anhieb richtig. Wieder ein Liftreset. Neuer Versuch. Sechs Töne. Markus kriegte Schwierigkeiten, schaffte es aber beim vierten Versuch. Schlafcode. Sieben Töne. Markus war überfordert. Hicks nahm das Funkgerät. »Daryl, hier ist Hicks. Wir brauchen dich und dein Compu- terhirn, das nichts vergisst. Wir sind im dritten Schacht, das dritte Stockwerk von oben.« »Roger, ich komme.« Markus gönnte sich eine kleine, wohl verdiente Pause am Boden, und Hicks ging in den Korridor.

*

Daryl steckte das Funkgerät wieder in die Tasche und nahm mein Gewehr von der Schulter. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Menschen ihn hätten töten wollen. Mit Menschen konnte man wenigstens reden. Wer weiß das besser als ein Computer? Daryl blickte in den nächstbesten Raum, aber der hatte nur eine Tür. Er lief zurück, das Gewehr im Anschlag, fuhr mit dem Lift weiter runter und versuchte es dort. Er hatte Glück, er konnte problemlos über die unterste Etage rennen, ohne dass ihm ein Roboter in die Quere gekommen wäre. Er durchquerte den Lift und rannte in den dahinter liegenden Korridor. Der Anblick, der ihn in diesem Raum empfing, entmutigte ihn. Es war ein wild verstückelter Boden mit zu großen Löchern, als dass er sie hätte über- springen können. Er könnte die andere Tür aber auf dem Umweg über die Etagen erreichen, aber dort tummelten sich die wildesten Roboter. Daryl rannte wieder raus und klapperte die anderen Räume ab, die an den dritten Schacht grenzten, aber sie hatten alle nur eine Tür, nämlich die, durch die er jeweils rein kam. Er ging also wieder zurück und nahm das Funkgerät. »Hicks! Brauchst du mich wirklich dringend?« »Eigentlich schon. Wir haben da eine Art elektronischer Orgel, die uns Module schenkt, wenn wir die Töne, die sie vorspielt, in der richtigen Reihenfolge nachspielen. Jedes Mal ist es ein Ton mehr, und wir kommen nicht mehr mit. Unsere Schlafcodes nehmen

59 empfindlich ab, und wenn sie weiter in dem Tempo abnehmen, reichen sie nicht. Gegen- wärtig brauchen wir mehr, als wir finden. Wieso fragst du?« »Weil ich nur durch einen einzigen Raum zu euch gelangen kann, der schlimmer aussieht als der vietnamesische Dschungel!« »Ach ja. Da sind wir auch durch. Mussten wir ja.« »Klar, aber Ihr seid alle einen Kopf größer als ich. Und diese Killerroboter kommen mir aus meiner Sicht höher vor als ein Kamel!« »Scheiße, daran hab’ ich nicht gedacht. Glaubst du, du kommst nicht durch?« »Ich … ich weiß nicht.« Daryl betrachtete sich die Situation, und irgendein Unterprogramm suchte nach einem möglichst gefahrlosen Weg. Möglichkeiten, Kombinationen und Risiken wurden mit Computergeschwindigkeit geprüft und verworfen. Er käme vielleicht über das gähnende Loch, wenn er mit Anlauf drüber springen würde. Aber leider war der Anlauf zu kurz. Und wenn er die Tür offen ließ? Ging nicht, sie öffnete und schloss automatisch. Und wenn er mit Tempo angerannt käme, würde sie nicht schnell genug aufgehen, er müsste erst bremsen. Die erste Etage war zweige- teilt, und auf den beiden Teilen hetzten zwei Roboter wild feuernd wie die Irren umher. Die zweite Etage war sogar dreigeteilt, und auf dem Mittelteil war überflüssigerweise auch noch einer dieser elektrostatischen Löschbolzen, der ab und zu in die Gegend feuerte. Auf der dritten Etage rotierte einer vor dem Kamin auf der Stelle hin und her, also mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Verfolger, dem er nicht entkommen könnte. Die anderen vielleicht schon, aber er nicht. Wenn es ihm aber gelänge, irgendwie an dem sich langsam bewegenden Roboter auf der zweiten Etage vorbeizukommen und auf dem Absatz zu landen, ohne den dort stehenden Roboter zu berühren, dann konnte er sich zu dem Absatz an der anderen Tür hinunterfallen lassen. Die ganze Sache hatte aber drei Haken, und die waren alle gleich unangenehm. Wenn der Roboter auf dem Absatz ihn sah, würde er ganz zum Rand vorrücken und ihm somit jede Chance nehmen, sicher zu landen. Außerdem musste er den Roboter auf der zweiten Etage nahe zu sich herankommen lassen, damit er nachher möglichst viel Anlaufstrecke für den Sprung zum Absatz hatte. Und wenn der Roboter auf der ersten Etage ihn sah, würde er vielleicht zum Lift vorrücken und dort bleiben. Daryl könnte nicht mehr herunter und müsste dann um jeden Preis an den beiden anderen vorbei. »Daryl?«, fragte Hicks. Alle diese Überlegungen hatte Daryl in knapp drei Zehntelssekunden durchexerziert. Er war sich darüber im Klaren, dass wir die Schlafcodes unbedingt brauchten, und eine andere Möglichkeit gab es nicht. »Hicks, wie seid Ihr hier durchgekommen?« »Wir sind, glaube ich, über das Loch in der untersten Etage gehüpft.« »Ihr schon, aber ich schaff’ das nicht. Ich muss an den Robotern vorbei.« »Ich könnte kommen und dir einen Schlafcode zuwerfen.« »Geht nicht. Hier ist nur ein einziger Terminal, und der befindet sich auf dem obersten Stockwerk, wo ein Verfolger hin und her rotiert. Ich bin nicht schnell genug. Weißt du, was das für Roboter sind, hier?« »Nein, wir haben sie uns nicht angesehen, und außerdem sehen wir so viele, dass wir nicht mehr wissen, welche wo sind.«

60 Daryls Systemprozessor sah sich mit einer verwirrenden Art an einstürzenden Daten konfrontiert, die er so noch nie erlebt hatte. Daten und Gefühlsinterpretationen des Ego- Verstärkers strömten wild durch das gesamte D.A.R.Y.L.-System und versetzte sein Mensch-Imitations-Programm in einen Zustand, den er zum ersten Mal in seiner Funkti- onszeit (??) durchmachte. »Ach, ihr Menschen!«, brüllte er stocksauer in das Funkgerät. Am anderen Ende der Verbindung zuckte Hicks erschrocken zusammen. Er hatte nicht gewusst, dass ein Computer auch wütend werden konnte. Daryl hatte es auch nicht gewusst, und als er das Funkgerät wegsteckte, wunderte er sich darüber. Die Ego- Programmteile mit höherer Priorität wurden im Stack wieder über die zahlreichen niedrigen hinauf verschoben, und er beruhigte sich wieder. Ein kurzer Initialisierungsstoß des Hauptprozessors sorgte dafür, dass sie nicht wieder so weit hinunter geschaltet werden konnten. Doktor Lamb wird sich wundern, dachte er elektronisch und wunderte sich gleich ein zweites Mal, als ihm aufging, was er eigentlich machte: er wollte es versuchen! Der Prozessor stellte das Gelingen der Mission über die Selbsterhaltungslo- gik! Reiß dich zusammen, dachte er. Wenn du schon einen Baseball so genau erwischst, dass er über hundert Meter weit fliegt, dann schaffst du das auch. Da hatte er Recht, ließ dabei aber bewusst zwei Dinge außer Acht. Erstens konnte die drohende Gefahr seinen Datenstrom derart durcheinander bringen, dass er blockieren konnte, und zweitens gab es einfach so viele Unwägbarkeiten, dass er nicht voraussehen konnte, wie es ausgehen würde. Er versuchte diese Informationen zu unterdrücken und wünschte, Stewart hätte seine Struktur so programmiert, dass der Hauptprozessor die Selbsterhaltungslogik jederzeit abschalten konnte. In seiner Gesamtlogik kämpften zwei einander widersprechende Programme um die Oberhand. Er fürchtete, dass ihm dasselbe passieren könnte wie HAL 9000 im Film ‘2001 Weltraum-Odyssee’. Der war unter demselben Problem paranoid geworden. Daryl hatte im Interview nach seinem Film gesagt, dass, wenn es einen vernünftigen Grund gäbe, zu sterben, er das ohne weiteres tun würde. Er merkte jetzt, dass das gar nicht so einfach war. Ein Mensch kann alle Bedenken einfach in den Wind schlagen, wie Hervé, als er versuchte, Jones zu Hilfe zu kommen. Ein Computer kann das nicht. Das alles, und noch viel mehr, lähmte das D.A.R.Y.L.-System für die Ewigkeit von drei vollen Sekunden. Dann gewann der Prozessor die Oberhand, und Daryl betrat den Lift. Er atmete tief durch und trat zwei Mal auf den Kontakt. Als der Lift am ersten Stockwerk vorbeischoss, reagierte der Roboter sofort und jagte auf ihn zu, aber der Lift war bereits vorbei. Daryl hatte keine Zeit, festzustellen, dass der Roboter jetzt tatsächlich dort blieb und ihm den Rückweg versperrte. Er war vollauf damit beschäftigt, dem Roboter auf der zweiten Etage zu entgehen, der ebenfalls auf ihn zukam. Er hatte ihn fast erreicht, als Daryl es schaffte, über ihn hinweg zu hechten. Er kam hinter dem Roboter wieder runter und hörte, wie der sich wieder herumdrehte. Daryl rannte bereits, hörte aber, dass der Roboter hinter ihm stark beschleunigt hatte. Die Kante näherte sich, und das D.A.R.Y.L.- System kriegte einen mittleren Datenschock, als es bemerkte, dass der Roboter auf dem Absatz der ersten Etage tatsächlich zur Kante vorgerückt war und ihn mit grinsender Elektronenkanone erwartete.

61 Daryl hatte die Wahl: grillen oder sich sämtliche Knochen zu brechen. Da beide Chancen gleich schlecht aussahen, versuchte der Hauptprozessor einen Kompromiss zu finden und nahm den goldenen Mittelweg. Daryl erreichte die Kante und ließ sich fallen. Der Roboter feuerte in die Luft hinaus, reagierte aber zu spät, Daryl war schon vorbei. Daryl war zu tief, um noch auf den Absatz zu kommen, aber das hatte er ja auch nicht beabsichtigt. Er knallte gegen den Rand des Absatzes, der ihm, wie er erst nachträglich merkte, zwei Rippen brach. Mit den Fingern krallte er sich verzweifelt in die Kanten des Absatzes und sah zentimeternahe vor seinem Gesicht das Gehäuse des Roboters, der ihn wie der Eiffelturm zu überragen schien. Daryl holte Luft und versuchte, sich zu beruhigen. In diesem Moment wischte eine neuerliche Entladung dicht über seinen Scheitel, und er verlor vor Schreck fast den Halt. Er hing mit den Füßen etwa zweieinhalb Meter über dem Boden. Er packte mit der rechten Hand fester zu und griff mit der linken Hand mein Sturmgewehr, das er immer noch auf dem Rücken trug und ihm bei seinen Manövern nicht sonderlich dienlich war. Er hob es sich über den Kopf und blickte nach unten. Der Boden schien viel weiter weg zu sein, aber er hatte keine Wahl. Er ließ das Gewehr fallen, aber ich weiß selbst, wie robust das Ding ist, vor allem, wenn es auf dem Kolben landet. Dann krallte er sich mit den Fingern an die Kante, ließ sich noch ein bisschen runter und dann fallen. Er kam mit ziemlicher Wucht auf. Er konnte den Sturz nicht vollständig auffangen und krachte auch noch breitseits auf den Stahl. Er rappelte sich hoch, und der Prozessor ließ einen fragenden Datenstrom durch das System. Alle Teile meldeten sich ohne Schaden, aber die Verbindungen zum organischen Körper waren sehr viel lockerer. Die Nervenen- den meldeten nur, dass im Brustkorb etwas nicht ganz zu stimmen schien. Daryl zog das T-Shirt hoch und betastete sich die Stelle. »Scheiße«, bemerkte der Prozessor unwillkürlich und völlig überflüssigerweise, wunder- te sich einen Moment und forderte dann das Mensch-Imitations-Programm höflich dazu auf, solche Anregungen in Zukunft gefälligst zu unterlassen, wenn niemand in der Umgebung war. Das alles liest sich vielleicht etwas zeitraubend und umfangreich, aber es sind Vorgänge, die in Daryls Computer binnen Zehntelssekunden ablaufen und zum besseren Verständnis dieser Maschine dienen. Daryl zog das Hemd wieder runter, nahm das Gewehr und rannte aus dem Raum. Gegen ein aufsteigendes Hochgefühl des Erfolgs wehrte sich der Prozessor allerdings nicht.

*

Hicks atmete auf, als Daryl im Lift ankam. Er legte ihm impulsiv die Arme um die Schultern und drückte ihn. »Aua«, sagte Daryl mechanisch. Hicks ließ ihn besorgt los. »Was?« »Schmerzen kenne ich nicht, das sind nur Informationen über den Zustand meines Körpers. Ich hab’ mir zwei Rippen gebrochen und frage mich, warum ich eigentlich noch existiere. Ich erwischte eine 1:10’000-Chance, und das gleich drei Mal hintereinander.« Hicks verschob die Fragen auf später und führte Daryl in den Raum. Der hatte natürlich mit seinem Gedächtnis keine Probleme und spielte auf dem Schachbrett bis zu einer Melodie mit fünfzehn Tönen, dann blockierte der Synthesizer, er hatte keine Module

62 mehr. Aber die Ausbeute war nicht übel. Sie hatten neun Liftresets und sechs Schlafcodes kassiert. Neben ihnen polterte etwas metallisch, Hicks und Markus fuhren herum. Daryl lag mit geöffneten Augen am Boden und atmete, sonst tat sich gar nichts. Markus schüttelte ihn und versetzte ihm leichte Ohrfeigen. Keine Reaktion. Wenn bei einem Computer eine Menge Speicherplatz belegt und wieder gelöscht wird, muss er die alten Daten irgendwann mal loswerden, um wieder Platz zu schaffen. Man nennt das ‘Garbage Collection’. Müllabfuhr! So was Ähnliches tat sich jetzt im D.A.R.Y.L.-System und blockierte die komplette Datenorganisation. Daryl war einfach völlig überfordert worden. Nach zwei endlosen Minuten zwinkerte er kurz und wachte wieder auf. »Mann, du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt«, sagte Markus. »Keine Sorge«, erwiderte Daryl mit normaler Stimme. »Man könnte sagen, dass ich geschlafen habe.« »Hauptsache, du bist jetzt wieder wach.«

*

Der nächste, der Pech hatte, war Simon. Jürg konnte zusehen, wie er über einen Roboter sprang und auf dem Lift landete. Das heißt, er landete leider nur zur Hälfte drauf und fiel über die Kante auf das untere Stockwerk, wo sofort ein Roboter kam. Simon trat hastig den Rückzug an, sprang vom Stockwerk auf den Boden hinunter und schaffte im Flug knapp dreißig Zentimeter. Dann hatte der Roboter das Ende der Etage erreicht und feuerte. Der Strahl erwischte Simon mitten in der Luft und nagelte ihn dort fest. Es gab ein widerlich schmelzendes Geräusch, und der blaue Strahl wurde grün. Mehrere starke Laserstöße lösten den Körper stückweise auf, und als das Feuer aufhörte, war Simon verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Jürg setzte sich schwer auf das Sofa und nahm die Brille ab. In seinen Taschen klapperten die Module. Dann nahm er das Funkgerät. »He, Leute! Wenn euch der Strahl trifft, wechselt er in einen Laser über. Einen Laser mit verdammt starker Leistung.« »Woher weißt du das?«, fragte Hicks zurück. Jürg stieß die Luft aus und knurrte:»Drei Mal darfst du raten! Herbie, wo bist du?« »Im fünften Schacht, Etage Eins.« »Ich bin eine Etage über dir. Wenn du fertig bist, kommst du hoch. Damit wir beide nicht mehr so allein sind.«

*

Runter kommt man immer, dachte ich, als ich so friedlich durch die Luft flog. Aber die Landung ist das Problem! Ich flog genau auf den Strahlweg eines Roboters zu, der mich schon blinkend und summend erwartete. Ich riss das Laserschwert vom Gürtel los und zündete es. Der Roboter feuerte und traf den blauen Laserstrahl voll. Dann hatte ich irgendwie einen Filmriss. Ich erinnere mich nur noch schwach an einen tierischen Knall.

63 Als ich wieder aufwachte, lag ich an einer Stelle, die eigentlich vier Meter von dort entfernt war, wo ich erwartet hatte, zu landen. Der Roboter stand inaktiv da und rauchte gemütlich vor sich hin. In diesem Moment kam der Lift runter, und Jenette Roscoe machte den Fehler, mich anzufassen. Da ich nämlich wieder mal Elektrolytkondensator spielte, sorgte sie für einen Kurzschluss. »Scheiße! Ich bin doch kein Blitzableiter!« »So lange ich der Blitz bin, ist das dein Problem. Was ist mit dem Roboter?« »Das Laserschwert hat den Elektronenstrahl irgendwie zurückgeworfen, und der ist natürlich voll im Roboter gelandet.« Sie ging an das Ding heran und näherte sich mit dem Gesicht der Wandung. Dann steckte sie wieder eine ihrer abscheulichen Marlboros an und hüllte die Maschine in Nebel. Kein sanftes Glühen, nichts. Es brannte auch keine einzige Lampe mehr an dem Ding. »Der ist so tot wie noch nie ’n Toter gewesen ist.« Damit fasste sie ungeniert das Gehäuse an. Mein Blutdruck brauchte einen Moment, bis er wieder auf dem Normalwert war. Interessiert stand ich auf und ging auch hin. Ich suchte einen Moment und öffnete dann eine Klappe im Gehäuse. Fremdartige Chips funkelten mir entgegen. Ich fasste an einen Print und zog ihn heraus. Das Ding kannte ich. Auf der Platine stand ganz klein TAGGE INDUSTRIES. Ein Alpha-Tronic-Modul! »Was ist das?«, fragte Roscoe. »Ein schneller Datenverarbeitungsprint.« Ich nickte versonnen. »Und ein alter Bekann- ter.« Ich verzichtete aber darauf, ihr die ganze Geschichte von meinem Doppelgänger, dem All-Mission-Combat-Robot A.M.C.R., zu erzählen, mit dem wir versucht hatten, einen gewissen Jin Kelmar als Dreifachagenten zu entlarven, weil wir ihn mit einer nicht existierenden Neuerfindung geleimt hatten. Das Unternehmen war nur halbwegs schief gegangen, und mir hatte man versucht, eine Gehirnwäsche zu verpassen. Wie lange war das jetzt schon her? Etwas über ein Jahr erst. Ich kehrte in die Wirklichkeit zurück. Wie, zum Teufel, kommt Elvin an republikanische Technologie? Blöde Frage! Und wie kommt Elvin als Achtjähriger an Plutonium? Ich nahm das Funkgerät. »An alle. Diese Roboter sind republikanische Technik, gesteuert durch ein Alpha-Tronic-Modul. Die Hälfte von uns kennt diesen Begriff sicher.« »Und woher weißt du das?«, fragte Urs. »Ich hab’ das Laserschwert in den Strahl des Roboters geknallt. Kleiner Tipp: versucht das lieber nicht mehr, mir hat’s gelangt. Ende.« »Ivo, hier Daryl! Heißt das, dass eines dieser Miststücke kaputt ist?« »Genau.« »Wo seid Ihr, ich komme sofort!« »Sechster Schacht, Etage Zwei.« »Bin schon unterwegs.« Daryl brauchte nur eine Minute, da die Räume diesmal etwas weniger giftig waren. Er stürzte wortlos an den Roboter und untersuchte ihn wie ein kleiner Junge, der ein neues Spielzeug bekommen hat. Er zog Prints heraus, untersuchte die Chips und schaute sich

64 dann die Elektronenkanone an. Dabei schrak er sichtlich zusammen. Er sah in den Tiefen des Gehäuses einen massiven Metallblock mit einem altbekannten Symbol darauf. »Verdammt, ein Kernreaktor!« »Was?!«, echote Roscoe. »Na ja, Elvin hat doch in den 60er-Jahren am Entwurf für einen Kleinreaktor mitgearbei- tet, bevor er von den Jet Propulsion Laboratories abhaute. Darum hat die Kanone so viel Power. Der Reaktor ist mit einem Massebeschleuniger gekoppelt, der Unmengen elektrischer Energie induziert. Von dem her gesehen wäre es kein Problem, einen Strahl zu erzeugen, der noch zehntausend Mal stärker wäre. Aber ich vermute, dass dann die Isolierungen nicht mehr standhalten würden. Ich wette, dass deshalb damals auch das Popcorn bei Cleveland explodiert ist. Der Rest der Maschine ist recht konventionell. Anti- G, Infrarotsensoren, Steuerleitsysteme, nanu … Tagge Industries?? Ihr solltet euch den Typen endlich mal vorknöpfen. Der ist irgendwie nicht ganz sauber.« »Ohne ihn hätten wir Jin Kelmar nicht gekriegt«, gab ich zu bedenken. »Ja, aber nur weil Luke Skywalker ihm mit der Verstaatlichung seines Konzerns gedroht hat.« »Kalter Kaffee. Luke wusste ja nicht, dass Tagge mit Leia, Lucian und mir unter einer Decke steckte. Die technologischen Neuerungen, mit denen er Luke damals beeindruckt hat, waren samt und sonders erfunden, mit Ausnahme des Terminator-Modells und dem A.M.C.R. Ich habe Luke, Han und die anderen Chaoten genauso geleimt wie Kelmar.« »Warum denn?« »Geheimhaltung. Wir konnten einfach nichts riskieren. Wir wussten nämlich nicht, ob es nicht jemand war, von dem wir gedacht hatten, dass der es völlig unmöglich sein könnte.« Roscoe klatschte die Hände auf die Ohren und rannte mit einem Schrei aus dem Raum. »Was hat sie denn?«, fragte ich verwundert. Daryl machte ein undefinierbares Gesicht. »Ehrlich gesagt, ist der Satz jetzt aber wirklich ein wenig verwickelt gewesen.« »Womit er genau die damalige Affäre charakterisiert. Wir sind alle bis zur letzten Sekunde in der Unsicherheit geschwommen. Gibt’s eine Möglichkeit, den Infrarotsensor zu übertölpeln?« »Nein. Der reagiert nicht einfach auf Wärme sondern noch viel feiner. Auf die Wärme- bewegung des Hämoglobinmoleküls.« Ich blinzelte. »W-Worauf?« »Das Blut in den Adern. Ein starker Selektionsfilter hinter dem Sensor filtert alles aus, bis auf das Hämoglobin, das ist der rote Blutfarbstoff und nebenbei das komplizierteste, natürlich vorkommende Molekül überhaupt.« »Das Ding sieht verdammt scharf. Und wenn man einfach ein Tuch über den Sensor hängen würde?« »Dann würde es innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde zu einem Häufchen Asche verbrennen, wegen der Oberflächenladung.« »Ganz schön raffiniert. Ist dieser Selektionsfilter militärisch?« »Nein, medizinisch. So viel ich weiß, benutzt man ihn in den republikanischen Kranken- häusern, um die Blutbahnen zu untersuchen. Bei Verdacht auf Herzinfarkt oder so.« »Elvin nimmt also ein Skalpell und verwendet es als Mordwaffe.« »So ähnlich.« »Der Typ ist wirklich gewieft.« »Das tritt noch häufig auf, wenn einer unheimlich bescheuert ist. Sogar bei dir.«

65 Zu einer passenden Antwort kam ich nicht, da das Funkgerät aktiv wurde. »Daryl, hier Farraday. Wir sind in so einem musikalischen Raum. Sechster Schacht, siebente Etage.« »Komme schon.« »Bis nachher!«, rief ich ihm noch hinterher, dann war er weg.

*

Nach meiner Uhr hatten wir noch knapp fünfundfünfzig Minuten Zeit. Ich verließ den Raum und betrat, gemeinsam mit Roscoe, den nächsten. Wild verstückelter Boden auf allen Etagen, giftige Roboter und eine verdammte Verfolgerflugsonde. Ein Horror-Raum. Diese Scheißflugsonde ortete uns sogar durch die Etagenböden hindurch! Roscoe rannte an den Terminal. »Jenette, pass auf! Die Sonde!« Sie blickte nicht hin sondern rammte einen Schlafcode rein. Sofort war es sehr still im Raum, die Sonde war in der Luft stehen geblieben. Jenette wurde aktiv, rannte zur Sonde, um auf die nächste Etage hinunter zu springen. Ich lief ihr hinterher und sah, wie sie auf die Sonde sprang, die ja jetzt wohl ungefährlich war. Es war der letzte Irrtum ihres Lebens!

*

Der Schlafcode hatte die Sonde zwar bewegungsunfähig gemacht, aber im Gegensatz zu den Robotern blieb hier die Oberflächenladung bestehen! Der scharfe Knall erschreckte mich, dass ich stark bremste und ausrutschte. Das Zischen dauerte noch einen Moment an und verstummte, zwei Sekunden später hörte ich einen dumpfen Laut. Schwer atmend stürzte ich zur Kante und blickte hinunter. Da unten lag sie. Ihre Stiefel rauchten, wo sie die Sonde berührt hatten, sonst sah sie aus wie immer. Während ich noch vergeblich versuchte zu begreifen, was eigentlich passiert war, fragte irgendetwas in mir, wie lange es her war, seit sie den Schlafcode aktiviert hatte. Ich blickte hoch. Einen halben Meter von mir entfernt schwebte die Sonde in der Luft, und hinter mir war ein Roboter. Ich schoss hoch und rannte zurück. Ich sprang im Umweg über ein Bett über den Roboter und fiel bei der Landung um. Meine Knie waren zu weich. In diesem Moment wurden die Viecher wieder aktiv. Ich rollte mich rasch auf einen Lift hinaus, wo mich der Roboter nicht mehr erreichen konnte. Aber die Sonde glitt mit beachtlichem Tempo auf mich zu und rammte den Roboter von hinten. Wie schon bei früheren Fällen schaltete sie sich aus und fiel zu Boden. »Danke, du Miststück«, flüsterte ich heiser. Roscoe. Die fröhliche, wilde Roscoe mit der Hochleistungsfilterlunge. Mich packte die eiskalte Wut, und ich ging auf den Roboter zu. Ich sah gar nicht, wie er feuerte und die wild peitschende, elektrische Energie an etwas Unsichtbarem abprallte und um mich herumgeleitet wurde. Als ich mich einfach an ihm vorbeidrückte, sah ich nicht, wie seine Oberflächenladung von demselben Unsichtbaren abgehalten wurde. Ich

66 sprang eine Etage tiefer, ging einfach an den Robotern vorbei, ohne sie zu sehen, und das war der Grund, warum mir gelang, was ich bislang nicht geschafft hatte. Ich sprang auf die unterste Ebene. Da lag sie wie nachlässig hingeworfen. Ich kniete ab und hob ihren Oberkörper hoch, der Kopf fiel haltlos zurück. Ich legte sie wieder hin und starrte die Wand an, spürte in meinem Inneren eine Art Granate explodieren. Etwas Unsichtbares schlug durch den ganzen Raum, in jedem Roboter hier explodierten die Chips, Funkenbögen sprühten, Lämpchen zerplatzten, die Stehlampen erloschen. Bei einer Stereoanlage ging der Plattenteller wie ein Frisbee hoch und prallte an die Wand. Meine Verfassung normalisierte sich wieder. Das musste sie auch, unbedingt, denn was ich hier tat, war sehr schwarz und sehr böse. Ich suchte in Jenettes Kampftaschen nach ihren Modulen. Sie schienen noch heil zu sein, wahrscheinlich waren sie stark isoliert. Ich suchte die Möbel ab, fand aber nichts. Sie war völlig umsonst draufgegangen! Ich trug sie hinaus, und das kam mir längst nicht so pathetisch vor, wie sich das hier liest. Ich bin von Natur aus, und auch absichtlich, ein recht sentimentaler Mensch. Und der Teufel soll den holen, der das komisch findet!

*

Urs regulierte am Funkgerät. »Ivo, wir sind jetzt im siebten Schacht. Wo bist du?« »Schacht Sechs.« »Kleine Bestandsaufnahme. Gruppe 1 hat jetzt neun Passwort-Module, 3 hat sieben, 4 hat acht und 5 hat sechs. Wie viele hast du?« »Fünf.« »Dann fehlt uns nur noch ein einziger. Bist du noch dran?« »Ja.« »Was ist mit dir? Immer, wenn du in Sätzen mit weniger als drei Worten antwortest, weiß ich, dass etwas nicht stimmt.« »Ach, leck mich.« Urs nickte. »Ja, das sind drei.« Farraday riss ihm das Gerät aus der Hand. »Was ist passiert?« »Jenette ist tot.« Linda zuckte zusammen. »Scheiße«, flüsterte sie. »Wie ist es passiert?« »Wenn man einen Schlafcode aktiviert, schaltet sich bei der Flugsonde die Oberflächen- ladung nicht aus. Ich dachte … « »Man kann nicht an alles denken.« »Hier muss man es.« Farraday sagte zum Glück nichts, sonst hätte ich ihr den Hals umgedreht. Aber ehrlich! Kane starb auf der Nostromo vor meinen Augen. Die Challenger explodierte vor meinen Augen. Kelmar jagte sich in die Luft. Khan erschoss Raj. Jenette Roscoe … Ein Killer, ein irrer Paranoiker setzte uns wie die Gladiatoren auf eine Anzahl Killerrobo- ter an, um zuzusehen, wie wir einen nach dem anderen draufgingen. Wir sind keine Jedi, wir nutzen nur einen Bruchteil der Macht. Wir sind wie Fahrschüler in der zweiten Fahrstunde, die versuchen, ein Formel 1-Rennen zu fahren. Und dabei ist uns der Tod wesentlich näher auf den Fersen, als uns lieb ist, also versuchen wir ihn mit blöden Witzen auf Distanz zu halten, um nicht nervös zu werden. Unter diesem Licht betrachtet

67 muss ich die anderen mal fragen, was sie eigentlich gefühlt haben, als sie dachten, ich sei tot. Damals. Und wenn ich sie frage, dann will ich, zum Teufel noch mal, endlich eine richtige Ant- wort!

*

Achter Schacht, unterste Etage, letzter Raum. Das letzte Passwort-Modul fehlte uns noch immer, und in den zurückliegenden Räumen hatten wir nicht ein Möbel übrig gelassen. Den gefährlichen Raum, wo der Roboter in die Wand schoss und die Stahlböden unter Strom setzte, hatten wir gemeinsam bezwungen, indem einer immer kurz vor Ablauf der Schlafperiode den nächsten Code reinrammte. Allein dort hatten wir sieben Module verpulvert, und jetzt standen wir alle zusammen vor dem letzten Raum und hatten kein einziges mehr. Daryl hatte die Musikschachbretter geplündert wie die Spielautomaten, aber jetzt waren sie leer. Na, das konnte ja heiter werden. Wir betraten gemeinsam den letzten Raum und stoppten vor dem gähnenden, riesigen Loch im Boden, konnten deutlich spüren, dass wir alle dasselbe Wort im Kopf hatten. Es gab drei Etagen, entnahmen wir dem Übersichtsplan an der Wand. Auf Eins und Zwei rotierten anscheinend Verfolgerroboter, und die dritte war wild verstückelt. Ein Fehltritt, und man stürzt auf die zweite hinunter. Außerdem war die erste Etage in drei Teile aufgeteilt. Erst musste man auf der ersten über zwei Löcher springen und dabei an den beiden Verfolgern vorbeikommen. Dann musste man am Verfolger auf der zweiten vorbeikom- men und schließlich noch über die löchrige dritte kommen. Und alles ohne die Möglich- keit, die Roboter auszuschalten und, nach unserer Zeitschätzung, in höchstens fünf Minuten. Wobei wir zur Rückkehr zur blauen Tür auch etwa fünf Minuten rechneten, ohne dass wir wussten, ob dahinter überhaupt Elvin war. Wir schwitzten. Und zu allem Überfluss meldete sich auch noch Trevelyan in diesem Moment. Seine Stimme war stark verrauscht. »Basis an Patrouille. Ablauf des Ultimatums in neun Minuten. Schafft Ihr es noch?« Hicks antwortete:»Ich weiß nicht. Wir stehen dicht vor dem Erfolg, aber ich weiß noch nicht, wie wir ganz hinkommen. Ich würde vorschlagen, dass Sie zehn Sekunden vor Ablauf Elvin anrufen und ihm sagen, Sie seien einverstanden. Wäre jedenfalls wesentlich gesünder für die menschliche Zivilisation.« »Bitte wiederholen. Ich höre euch kaum. Ihr habt es geschafft?« »Nein, verdammt! Noch nicht!« Rauschende Pause. »Hören Sie mich Trevelyan?!« Funkstille. »Auch das noch. Hoffentlich meint er nicht, wir hätten es geschafft.« »Wenn er nicht sicher ist, wird er das Gegenteil annehmen«, meinte Daryl wie immer logisch. »Wie kommen wir bloß da hoch?« Farraday kratzte sich am Kopf. »Daryl?« »Dachte ich mir schon, dass ich gefragt werde. Ich sehe ‘n Haufen Möglichkeiten, aber der Gesamtdurchschnitt sieht verdammt düster aus. Die größten Erfolgschancen haben wir, wenn ihr jetzt einfach tut, was ich sage.«

68 »Wir sind in deiner Hand«, sagte Hicks großartig. Daryl deutete auf die Unterseite des Stahlbodens der ersten Etage. »Linda, kannst du da nach vorn an die Kante springen und dich unten an der Verstrebung festhalten? Du musst den Verfolger ablenken, damit ich hinter ihm hochkommen kann.« »Was, du?!«, rief Hicks ungläubig. Wir starrten den Jungen an. »Ja, ich. Niemand kann seine Aktionen so genau vorausplanen und ausführen wie ich. Wenn Ihr das nicht glaubt, spielt mal ‘ne Partie Baseball mit mir. Beeilt euch jetzt! Die Zeit wird knapp.« Niemand widersprach mehr. Farraday nahm ein bisschen Anlauf, rannte los und sprang hoch und weit. Ihre Hände griffen in die Verstrebung an der Unterkante des Stahlbodens. Sie hing sozusagen über dem schwarzen Loch. Daryl trat auf den Lift und gab mir mein Gewehr zurück. »Gib mir dein Laserschwert. Pass auf, dass du es auffängst, wenn es runterfällt.« Farraday machte einen Klimmzug und hob ihren Kopf über die Kante. Der Roboter sah sie, rückte zur Kante vor und feuerte über sie hinweg. Er blieb, wo er war, und Farraday ließ sich wieder runter. Der Roboter rotierte wieder. »Nimm mich auf die Arme, Hicks! Wenn wir zusammen hochkommen, musst du mich über den Roboter hinweg werfen, da ich nicht über ihn springen kann. Ich hoffe, dass der Roboter weiter auf dich zufährt, weil du größer bist. Dann springe ich rasch auf das Mittelstück.« Wenn jemand anders diesen Plan gehabt hätte als Daryl, hätten wir den Plan hirnver- brannt genannt! Hicks hob den Jungen auf die Arme und fuhr mit dem Lift hoch. Kaum waren sie oben, schoss der Roboter sofort auf sie zu. Mehr vor Schreck als sonst was warf Hicks den Jungen über die heranfahrende Maschine und blieb stehen. Der Roboter hielt weiter auf ihn zu, Daryl rollte sich ab, sprang hoch und setzte mit einem Sprung auf das Mittelstück, dicht vor das Ende des Strahls, das ihm der andere Verfolger schon entgegen schickte. Hicks trat hastig auf den Kontakt und fuhr nach unten, bevor der Roboter ihn erreicht hatte. Der Roboter kriegte kein Signal mehr und drehte sich um. Er ortete Daryl auf dem Mittelstück, fuhr zurück und feuerte, erreichte ihn aber nicht. Daryl stand sozusagen zwischen zwei Feuern. Er holte mein Laserschwert aus der Tasche und zündete den Strahl. Als der Roboter vor ihm wieder feuerte, warf er ihm das Schwert entgegen. Strahl traf Strahl. Der Elektronen- strahl wurde zurückgeworfen und sprengte im Roboter sämtliche elektronischen Bestandteile. Das Schwert fiel nach unten und wurde von mir aufgehalten. Ich holte es durch die Luft wieder heran. Daryl hatte auf dem kleinen Mittelstück verdammt wenig Anlauf, holte aber so viel wie möglich raus. Er segelte durch die Luft, krachte gegen den toten Roboter und klammerte sich an ihm fest, umarmte ihn richtiggehend. Wenn man sie richtig einsetzt, sind die Dinger gar nicht so schlecht, dachte Daryl und versuchte die Füße auf den Stahlboden zu kriegen. Er schaffte es, und wir atmeten geschlossen auf. Er ging zum Lift und fuhr eine Etage höher. Sofort kam der Roboter auf ihn zugeschossen, und Daryl sah keine Möglichkeit, irgendwie über ein Möbelstück vorbeizukommen. Er warf sich rasch auf den Liftboden. Der Roboter erreichte den Lift und feuerte in die Wand. Er blieb dort stehen, klemmte Daryl ein und feuerte ab und zu.

69 Wie drehe ich den wieder um, grübelte Daryl. Der reagiert nur auf das Blut. Warum habe ich nur einen organischen Körper?! Moment mal, da stimmt was nicht! Hat nicht Hicks einem Roboter ein Schokoladepäckchen vor die Linse geschmissen? Auch da muss es zwei Typen von Robotern geben. Daryl presste sich flach auf den Boden und bemerkte, wie der Roboter wieder zu rotieren begann. Er konnte ihn nicht mehr sehen. Auf dem Boden liegend zog Daryl das T-Shirt aus und warf es aus dem Handgelenk am Roboter vorbei. Der sah es, schoss herum, feuerte in die Luft und setzte sich in Bewegung. Ascheflöckchen schwebten zu Boden, und Daryl trauerte in einem Anflug von Galgenhumor seinem COLOSSUS IST SCHWUL- T-Shirt nach. Er stand auf und schlenderte hinter dem langsamen Roboter her, durchsuch- te kurz, aber ergebnislos einen Bücherschrank. Wie komme ich an ihm vorbei auf den Lift? Weiter vorn war ein Schreibtisch. Er durchsuchte auch ihn, aber auch da war nichts. Der Roboter erreichte den Lift und blickte über die Schulter. Er braucht etwa eine Sekunde, dachte Daryl, wartete neun Zehntel ab und sprang auf den Tisch. Der Roboter hatte ihn gesehen, hatte sich aber nicht schnell genug umge- dreht. Als er feuerte, war Daryl nicht mehr da. Er sprang sofort weiter, über den Roboter auf den Lift. Dabei machte er aber einen Misstritt und fiel um. Der Roboter hatte aufge- hört zu schießen und blickte wieder halb zurück, sah Daryl und feuerte über ihn hinweg in die Wand. In dem Moment, als er aufhörte, schlug Daryl mit der Faust auf den Kontakt, der Lift schoss hoch und trug ihn vor der Mündung vorbei. Endlich oben. Daryl stand auf und bemerkte, dass er den linken Fuß nicht mehr so bewegen konnte, wie er wollte. Auch das noch! Er trat an das erste Loch, es war etwa eineinhalb Meter groß. Dann folgte ein ebenso großer Absatz, wieder ein Loch, und fünf Absätze weiter stand ein Armsessel einladend auf einer kleinen Plattform. Wenn er jetzt einen Fehltritt machte, würde er zwar den Sturz auf die untere Etage überstehen, aber mit diesem Fuß würde er dem Roboter nicht mehr entkommen. Vorsichtig setzte er mit einem kleinen Sprung über das Loch und ruderte, um das Gleichgewicht zu behalten. Das nächste Loch, das nächste und noch eins. Bei der Landung auf dem letzten Absatz, landete er auf dem falschen Fuß, der knickte ein, Daryl verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorn. Mit der Hand krallte er sich in die Verstrebung der Plattform. Seine Beine hingen herunter, der Roboter unten sah das, schoss los, und Daryl zog rasch die Beine ein. Irgendwie schaffte er es, sich auf die Plattform zu ziehen, durchsuchte rasch den Armsessel, förderte das gesuchte Modul zu Tage und gönnte sich den Luxus von fünf Sekunden Pause im Sessel. Dann stand er wieder auf und blickte durch das Loch hinunter. Der Roboter stand jetzt am Lift, mit dem er wieder hinunter musste. Daryl hängte sich wieder an die Verstrebung. Der Roboter kam wieder, Daryl zog sich hoch, und der Roboter wanderte zum anderen Lift. Während er noch auf dem Weg war, ließ Daryl sich fallen und versuchte den Fall nur mit dem rechten Fuß aufzufangen, humpelte dann mühsam zum Lift. Er war noch vier Meter von ihm entfernt, als der Roboter den anderen Lift erreicht hatte, ihn sah und wieder herkam. Mit beachtlichem Tempo übrigens! Daryl beeilte sich, erreichte den Lift und fuhr runter. Über seinem Kopf schlug der Strahl in die Wand.

70 Der kaputte Roboter reagierte natürlich nicht, aber der erste stand immer noch an der Kante, an der immer noch Farraday hing, und feuerte ihm entgegen. Daryl kletterte auf das Wrack und stieß sich ab. Er erreichte nicht nur das Mittelstück, er flog sogar noch fast darüber hinaus. Er überschlug sich und wäre fast vom Mittelstück gefallen. »Hicks!«, rief er. »Komm mit dem Lift hoch, und wenn der Roboter kommt, duckst du dich!« Hicks gehorchte. Aber der Roboter feuerte natürlich munter weiter auf Daryl. Der legte sich jetzt wieder platt zu Boden, der Roboter verlor den Sichtkontakt, drehte sich um und fuhr auf Hicks los. Der ließ sich vor Schreck fallen. Der Roboter erreichte den Lift und feuerte über ihn hinweg. Daryl nahm ein wenig Anlauf und sprang ab. Der Fuß behinder- te ihn zwar etwas, aber er erreichte das Etagenstück knapp. Der Roboter konzentrierte sich immer noch auf Hicks. Daryl beugte sich über die Kante und streckte Farraday die Hand entgegen. »Komm hoch!« Daryl hatte Mühe, nicht zu staunen, als er zusah, wie sie sich problemlos hochschwang und auf die Etage kletterte. »Ich hab’ mir den Fuß verstaucht. Hicks! Wenn ich es sage, machst du dich ganz platt! Und wenn er sich platt macht, wird der Roboter auf uns aufmerksam werden. Dann schmeißt du mich rüber und schwingst dich wieder runter, Linda. Inzwischen fahren Hicks und ich runter, und du hangelst dich zurück.« »Das ist ja irre«, keuchte sie. »Los, tun wir’s!« Sie hob ihn mit erstaunlicher Leichtigkeit hoch. »Bin ich so leicht oder du so stark?«, fragte er. »Wahrscheinlich beides«, grinste sie. Er lächelte auch. »Unter normalen Umständen fände ich die Situation ganz angenehm.« »Wir können es ja später wiederholen«, meinte sie, und Daryl fand, dass er die Diskussi- on jetzt abbrechen musste. »Hicks! Jetzt!!« Hicks legte sich ganz flach hin. Der Roboter drehte sich halb herum und schoss auf Farraday und Daryl zu. Sie warf ihn über den Roboter, Hicks bremste seinen Fall und stampfte auf den Kontakt. Farraday kletterte eilig über die Kante hinunter und brachte ihre wilde, rote Mähne knapp aus dem Strahlweg, bevor der Roboter feuerte. Der Lift kam zu uns runter, und Farraday hangelte sich an der Verstrebung zu uns her. Ich glaube, ich hatte die Luft die ganze Zeit angehalten, aber das ist medizinisch nicht möglich. Ein kollektives, erleichtertes »Aaaah« ging durch unsere Truppe. Daryl atmete auch auf, wir klopften ihm auf den bloßen Rücken, und als Farraday ankam, belohnte sie ihn mit einem großzügigen Kuss. Und zwar auf den Mund! »Kann dein Prozessor das verarbeiten?«, fragte sie grinsend. Er lachte. »Wenn ich ein paar Reservespeicher zuschalte.« Dann gab er Hicks das Modul. »Geht ohne mich. Mit meinem Fuß würde ich euch aufhalten.« »Wir brauchen dich, um das Passwort zusammenzukriegen«, antwortete Hicks und hob Daryl ohne weiteres auf die Schultern. Wir rannten los.

*

Die wilde Jagd war im Gange, die Jagd auf Elvin. Wir hatten alles, was wir brauchten, jetzt mussten wir nur noch rechtzeitig hinkommen. Ich dachte gerade, dass Trevelyan

71 sicher einwilligen würde. Die Waffe würde garantiert nicht abgefeuert werden, was uns Zeit geben würde. Zeit, die wir dringend benötigten. In diesem Moment rauschten die Lautsprecher in den Korridorwänden kurz, und wir hörten, vielfach verstärkt, Hicks’ Stimme. »Patrouille an Basis, kommen!« Wir bremsten unwillkürlich und starrten Hicks an. Der blickte uns entschuldigend an und hielt demonstrativ den Mund geschlossen. Er hatte nichts gesagt. Plötzlich dröhnte Trevelyans Stimme:»Hier Basis.« »Wir haben es geschafft, Sir. Alles abblasen.« »Roger. Verluste?« »Jones, Simon und Roscoe.« »Scheiße. Waren gute Leute.« Wir starrten Hicks an, aber der war genauso erstaunt wie wir. Elvin hatte anscheinend einen guten Stimmensynthesizer. Er wollte kein Geld, er wollte die Vernichtung, dieser Irre! Trevelyan sagte:»Kann ich mal mit einem der Halbjedi sprechen?« Und dann war doch tatsächlich meine eigene Stimme zu hören! »Trevelyan? Das Bier ist getrunken. Elvin hat aber nichts mehr davon. Wir werden uns in etwa einer Viertelstunde auf der Galactica melden.« »Roger, Over.« »Over and out.« »Dieser Wahnsinnige!«, brüllte ich, so laut ich nur konnte. »Was stehen wir hier rum?!«, rief Daryl auf Hicks’ Schultern. Wir liefen wieder los, aber jetzt beeilten wir uns wirklich.

*

Farraday blickte auf die Uhr. »Wir haben noch drei Minuten.« Hinter der nächsten Tür lag der Raum, der Daryl so großes Kopfzerbrechen bereitet hatte. Hicks blockierte den Türsensor, Farraday nahm großzügigen Anlauf, startete und setzte mit einem Sprung über das Loch. Dann kamen wir dran, und Farraday half uns bei der Landung. Hicks ließ Daryl herunter, dessen Beine sofort einknickten. »Was ist los?«, rief Hicks. »Ich muss mir … ein paar Rippen gebrochen haben. Und mein Fuß ist verstaucht.« »Wir brauchen dich!« »Ich weiß, und es tut mir Leid. Mein Hirn kann ich euch jederzeit zur Verfügung stellen, aber den Körper nicht. Sägt den Computer aus meinem Kopf raus und nehmt ihn mit!« »Komm rüber, Farraday!« »Aye, Sir.« Wir blockierten die Tür auf der anderen Seite, und sie sprang wieder zurück. »Nimm ihn bei den Füßen!« »Seid Ihr verrückt?«, fragte Daryl erstaunt. »Jürg, du hast doch Simon gehoben?«, fragte Urs. »Teamwork ist angesagt!« Hicks und Farraday schwangen Daryl hin und her, als wollten sie ihn über Bord ins Wasser schmeißen. »Überlegt euch das noch mal«, rief Daryl etwas außer Fassung. Dann verlor er den Kontakt mit der Schwerkraft, flog über das Loch und brüllte:»Scheeiißee!« Normalerweise hätte er vielleicht die Hälfte der Strecke geschafft, aber unter unserem gemeinsamen Einsatz schaffte er die ganze. Aber nicht einen Millimeter mehr!

72 Urs und Markus streckten ihm schon die Arme entgegen, er prallte auf sie auf, und sie stürzten beide hintenüber. »Schnell weiter!«, riefen Hervé und Hicks gleichzeitig. Wir hoben Daryl auf Markus’ Schultern und machten, dass wir in den Schacht hinauskamen. Wir stürzten in den Lift, und ich blickte auf die Uhr. Noch zwei Minuten, und Daryl musste noch das Wort zusammenpuzzeln. Ich nahm das Gewehr vom Rücken und lud schon mal durch. Im Raum blockierte Hicks wieder die Tür, und Farraday sprang hinüber. Rasch zog Hicks seine Kampfanzugjacke aus und schmiss sie mit den Modulen zu Farraday hinüber. Sie rannte sofort los, und Hicks sprang hinüber. Allein. Mit wenig Anlauf. Er erwischte die andere Seite beinahe nur mit den Fingernägeln, zerrte und zog, ächzte, kämpfte, fluchte und war endlich oben. Er rannte aus dem Raum und traf Farraday am Lift, der wegen uns noch nicht zurück war. Sechs Etagen weiter oben rannten wir aus dem Lift in den ersten Raum und an den Terminal. Markus lud Daryl sofort auf den Drehstuhl ab und stellte fest, dass der Junge zwar in klarer Funktion war (wie auch nicht?), aber kaum noch den Arm heben konnte. Da er kein T-Shirt mehr trug, sah man deutlich, dass er auf Brusthöhe innere Verletzungen zu haben schien. Die Rippen schienen irgendwas verletzt zu haben. Wir hatten noch achtzig Sekunden. Wir kramten unsere Module aus den Taschen und hielten sie bereit. Jürg knallte das erste in den Modulschacht. Markus schüttelte Daryl. »Mach jetzt keinen Quatsch! In einer Minute haben wir es hinter uns, so oder so!« »Ich versuch’s ja.« Daryl atmete rasch ein paar Mal tief durch und begann zu tippen, lud den Inhalt des Moduls in einen bestimmten Speicherbereich. »Jetzt.« Markus riss das Modul heraus, schmiss es beiseite, und Jürg knallte das nächste hinein. Und wieder und wieder und wieder und wieder. Daryls Tempo ließ nach, aber es war immer noch weit höher als bei einem normalen Menschen. Wir konnten zusehen, wie die Sekunden vertickten. Noch sechzig. Noch zwanzig Module. Alle zwei Sekunden kam ein neues Modul dran. Wo blieben nur Farraday und Hicks?! Da, sie stürzten in den Raum und brachten die restlichen Module in dem Moment, als wir unsere durch hatten. Noch dreißig Sekunden. Zehn Sekunden später waren alle Module drin. Daryl drückte Tasten, und in irrsinnigem Tempo listeten sich Informationen auf dem Bildschirm auf. Daryls Kopf konnte die Teile natürlich viel schneller zusammensetzen als so ein dämli- cher Data General-Personal Computer. Zahlenreihen tanzten mit unheimlicher Geschwin- digkeit über den Schirm. Daryl starrte konzentriert darauf, nur seine Augen bewegten sich. Sein Kopf auch und zwar seitwärts! »Haltet mich fest«, rief er, ohne in den Berechnungen innezuhalten. Hicks hielt seinen Kopf aufrecht. »Noch zehn Sekunden!«, rief ich. Die Zahlen verschwanden, und Daryl setzte zusammen, riss wieder auseinander, sonderte Kombinationen und logische Kalkulationen aus, zog mathematische Schlüsse, verwarf sie wieder, und das alles mit dem Tempo von siebeneinhalb Milliarden Rechen- einheiten pro Sekunde!

73 Inzwischen leuchtete auf dem Schirm längst das Eingabezeichen. Hervés Hand schwebte über der Tastatur, er war von uns sicher der schnellste Tipper. Wir standen schon mit geladenen Waffen auf dem Lift. »Crocodile!«, rief Daryl, Hervé tippte und drückte RETURN. Wir hetzten die Lifte hinunter und traten wuchtig an die blaue Stahltür. Mit einem saugenden Geräusch schoss sie nach oben und klinkte massiv ein. Dass Daryl vom Stuhl rutschte und geräuschvoll zu Boden polterte, hörten wir nicht mehr.

*

Trevelyan hatte Elvin den gefälschten Funkspruch tatsächlich abgenommen. Er griff also zum Telefon. »Mr. President? Das Kommandounternehmen wurde erfolgreich abgeschlossen. Drei Verluste. Ja, Sir, sehr bedauerlich. Nein, keine von den Halbjedi. Wieso ‘zum Glück’? (Lange Pause) Wie … bitte, Sir? (Pause) Ist ja … ungeheuerlich. Ja, ich verstehe. Gut. Nein, Sir, die Leitung ist abhörsicher. Ja, Sir. Auf Wiedersehen.« Trevelyan legte auf. Abhörsicher? Ich kann die Typen nur bedauern, denn immerhin habe ich inoffiziell von diesem Telefongespräch erfahren. Ich habe es hier wiedergegeben, ohne zu wissen, was es bedeutet. Ich frage mich wirklich, was so ungeheuerlich wäre, wenn es auch nur einen von uns erwischt hätte. Ich ahne hinter dem Ganzen einen riesigen Hintergrund, sodass ich mir vorkomme wie ein Agent zwischen zwei Fronten, von denen er nicht mal eine Ahnung hat. Und dieses Gefühl ist nicht sehr angenehm! Irgendwann ziehe ich mal los und quetsche ein paar Typen aus.

*

Elvin hatte sich drei Stunden lang wirklich köstlich amüsiert, als er uns zusah. Und als er sah, dass wir ihm immer mehr auf den Leib rückten, steigerte das sein Vergnügen nur noch. Aber irgendwann kam der Moment, wo er es nicht mehr lustig fand und den Synthesizer einschaltete. Er rief die Galactica auf der Geheimfrequenz, die er mühelos rausgekriegt hatte, und teilte ihnen mit, dass das Unternehmen erfolgreich abgeschlossen worden sei. Er hoffte, dass der Kommandotrupp dadurch so nervös werden würde, dass er Fehler machen und von den Robotern aufgerieben werden würde. Sozusagen Elvins letzte Chance, nicht geschnappt zu werden. Dann aktivierte er seine Geräte und machte sich fertig zum Feuern. Er achtete also nicht mehr auf uns, deshalb fiel es ihm nicht ein, den Schuss ein paar Sekunden früher zu landen. Zum Glück, denn wir kamen auch so knapp genug. »Fünf, vier, drei, zwei … « Nanu, wo kommt denn dieser Luftzug her? » … eins … « Zwei M-16 und zwei Stgw 57 brüllten auf. Das 5.56-mm Kaliber und das 7.5-mm Kaliber zertrümmerten Computerschalttafeln, Monitore und Zentraleinheiten. Glassplitter, Plastikstücke und elektrische Funken sprühten durch die Luft, Rauch von saftigen Kurzschlüssen vernebelte die Sicht. Zwei verschiedenartige Alarmsirenen dröhnten durch den Raum, aber das stotternde Krachen von vier automatischen Waffen übertönte alles. Mein Magazin war als Erstes durch. Ich riss es heraus, setzte ein neues ein und lud durch.

74 Es wurde still. Automatische Feuerlöschanlagen sprühten weißlichen Nebel über die Brandstellen, und wir blickten uns um. Drei Laserschwerter leuchteten fahl im Nebel. Wo war Elvin? Wir standen in einer Stille, die plötzlich durch ein klägliches »Aua« unterbrochen wurde. Unsere Spannung löste sich auf. Der Nebel auch, da starke Luftventilationsanlagen ihn absaugten. Jemand lag am Boden, und wir gingen hin. Elvin ‘Atombender’ Threshold. Er setzte sich erschrocken auf, machte den Mund auf, sagte aber nichts, da ich ihm den heißen Lauf meiner Waffe zwischen die Zähne schob. »Was wollten Sie sagen?«, fragte ich grinsend. Er schüttelte mit offenem Mund den Kopf. »Aber ich sage Ihnen jetzt was. Sie sind verhaftet! Alles, was Sie von jetzt an tun oder sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht zu schweigen und können sich einen Anwalt nehmen. Allerdings glaube ich kaum, dass einer so blöd ist und den Fall annehmen wird. In diesem Fall wird Ihnen ein jetzt schon bedauernswerter Pflicht- verteidiger zur Verfügung gestellt werden. Haben Sie ein Desinfektionsmittel? Ich muss nachher die Mündung reinigen.« Hicks richtete sich von den Überresten des Kommandopults auf. »Gut geschossen, Cowboys. Eine Fehlschaltung, und der Schuss wäre trotzdem ausgelöst worden. Aber wir mussten uns leider ein bisschen beeilen.« Farraday trat an Elvin heran. »Ich bin nicht erfreut, Sie kennen zu lernen.« »Chaotisch, aber gründlich!«, rief Jürg unseren Leitspruch. »Man sollte ihn anketten«, rief ich Hicks zu. »Sonst löst er sich noch auf. Dem ist alles zuzutrauen.« Hicks stieß Farraday an. »Sieh nach, ob der Typ eine Zyankalikapsel hat.« Farraday blickte in Elvins Mund, und sofort fiel ihr der Goldzahn auf. »Hey, die Plombe ist präpariert«, rief sie. »Eine Kapsel hat er nicht, aber einen Zyankalizahn. Tut mir Leid, Ivo. Ich fürchte, du musst den Lauf noch ein Weilchen drin lassen.« »Spritz’ ihm meinetwegen fünfzig Kubikmillimeter Quadrothorazin«, knirschte ich. »Dann vergisst er sogar, dass er überhaupt geboren wurde.« »Okay.« Farraday verpasste ihm die Spritze, und Elvin kippte um. Ich wischte den Lauf an seiner Jacke ab und sah ihn mir zum ersten Mal richtig an. Er hatte Falten wie ein Waschbrett und trug eine Doktorbrille. Mit der Stirnglatze und den weißen Haaren sah er aus wie ein alt gewordener Heavy Metal-Rocker. Hicks nahm das Funkgerät. »Patrouille an Basis.« »Was gibt’s, Patrouille?«, fragte Trevelyan gelangweilt. Hicks holte Luft. »Vorherige Meldung war von Elvin gefälscht. Aber jetzt haben wir es geschafft. Eine halbe Sekunde vor Abschuss.« Hicks grinste uns an. »Das saß. Den hat fast der Schlag getroffen.« Wir lachten etwas nervös. Endlich meldete sich Trevelyan wieder. »Identifizierung!«, bellte er. »Damit kommen Sie ein bisschen spät, fürchte ich«, erklärte Hicks Kaugummi kauend. »1-8-3-A-7, Sierra-Kommando. Wir haben Elvin. Anscheinend unverletzt.« »Stimmen die Verluste?« »Die stimmen.« »Okay. Melden Sie sich auf der Galactica zurück! Und fassen Sie keins der Instrumente da unten an! Eine Kommission wird sich darum kümmern. Das Zeug ist interessant.« »Aye aye, Sir«, erwiderte Hicks mürrisch und schaltete ab. »Hätte ich mir denken können. Die wollen das ganze Zeug untersuchen.«

75 Ich war inzwischen wieder aus dem Raum gegangen und sah Daryl am Boden liegen. »Scheiße! Daryl!« »Der zweite Name stimmt«, bemerkte er etwas schwach und fügte trocken hin- zu:»Sanitäter.« »Kein Problem.« Die anderen verließen den Raum ebenfalls. »Wie geht’s ihm?«, fragte Hicks. »Es geht so«, antwortete Daryl. »Ich würde mir die Zentrale gern ansehen.« »Wir sollen nichts anrühren. Man will das untersuchen.« »‘Man’ heißt wohl das Pentagon. Ich bin auf diesem Gebiet garantiert auch eine Fachka- pazität.« »Kann ich nicht abstreiten.« Wir halfen ihm auf die Beine. Er war etwas wacklig, konnte aber stehen. »Was würde passieren, wenn Ihr das alles einfach hochjagen würdet?«, fragte er. »Wir würden mächtigen Ärger kriegen«, meinte Farraday. »Hicks und ich könnten bis zur Pensionierung vor einem Kohlebunker in Alaska Wache schieben.« »Und wir könnten nach Coruscant auswandern«, steuerte Markus grinsend hinzu. »Dann verschwindet nach oben«, sagte Daryl und blickte uns an, als wir stehen blieben. »Ich komme nach. Bestimmt!« Wir blickten uns an, dann verließen wir den Raum. Hicks und Farraday trugen Elvin auf einer Tragbahre. Wir fuhren mit dem Lift nach oben und traten aus dem Scheißhaus in die kühle, frische Waldesluft. Die Sonne war am Untergehen, und ich merkte mit einiger Beruhigung, dass der Halbmond am Himmel noch da war. Wir stiegen ein und warteten auf Daryl. Farraday fragte:»Was er wohl jetzt da unten macht?« »Gar nichts!«, erklärte Hicks bestimmt. »So was solltest du erst gar nicht fragen.« Nach fünf Minuten kam Daryl wieder, wankte zur Starbright und rief:»Wir sollten schnellstens verduften!« Wir halfen ihm die Rampe hinauf, zogen sie ein und starteten. Wir hatten gerade fünf- hundert Meter Höhe erreicht, als ein gewaltiger Bums die Atmosphäre erschütterte. Die Starbright geriet kurz aus der Balance, aber Markus fing sie wieder auf. Ein kurzer Sturm schüttelte das Raumschiff, und Dreckklumpen prallten an die Außenhaut. »Hättest du uns nicht ein bisschen mehr Zeit lassen können, Daryl?«, fragte Markus verstimmt. »Wieso?«, antwortete der Junge bloß. »Ich hab’ gar nichts gemacht. Vielleicht eine zeitverzögerte Auslösung eurer Ballerei. Oder eines von Elvins Schutzsystemen hat versagt.« »Ah ja, sicher. Was sonst?« Die Starbright schoss aus der Atmosphäre, wo das Vakuum den ganzen Dreck wieder abwusch.

*

(Auszug Protokoll der militärgerichtlichen Untersuchung vom 1. 10. 87. / Washington D.C.) Richter General Cliff Anderson: Sie haben das Wort, Colonel. Colonel Jack Thomson: Lieutenant Dwayne Hicks hat meiner Meinung nach gegen den Befehl Mister Trevelyans zuwidergehan- delt. Durch sein Verschulden ist das unterirdische Zentrum explodiert. Lt. Dwayne Hicks: Unsinn. Ich habe keine einzige Taste angerührt.

76 Cl. Thomson: Dann muss es jemand anders gewesen sein. In diesem Fall haben Sie Ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Lt. Hicks: Ich habe alles genau beobachtet. Ich habe niemanden gesehen, der die Geräte angefasst hat. Cl. Thomson: Im Manuskript des Berichts von Ivo Cassani zu diesem Kommandounternehmen steht unzweifelhaft, dass die ganze Truppe das Zentrum verlassen hat, dabei aber Daryl Richardson zurückgelassen hat. Das hätten Sie nicht zulassen dürfen. Ivo Cassani: In diesem Fall verweise ich auf zwei kleine Details. Erstens ist die Kompentenzfrage für dieses Unter- nehmen aufgrund der Kooperation von Raumflotte, ich meine speziell Mister Trevelyan, immer noch ungeklärt. Deshalb ist meiner Meinung nach diese ganze Untersuchung völlig ungerechtfertigt und überflüssig. Zweitens ist mir die Tatsache unklar, wie mein Manuskript überhaupt in Ihre Krallen gekommen ist. Es muss auf ungesetzliche Weise beschafft worden sein, womit es als Beweismittel unzulässig wird. Cl. Thomson: Sie stehen hier vor einem Militärgericht. Da funktioniert das etwas anders. Cassani: Das ist ja wohl das Letzte! Hier stehen fünf Schweizer Staatsbürger vor einem amerikanischen Gericht. Und den will ich sehen, der uns daran hindert, hier einfach rauszuspazieren. Richter Anderson: Bitte unterlassen Sie diese Anspielungen. Diese Untersuchung dient nur dem Zweck, herauszufinden, was eigentlich passiert ist. Dass Sie nicht Amerikaner sind, ist uns bekannt. Und es ist auch jedem bekannt, dass Sie nur als eine Art Berater oder Zeugen hier sind. Selbstverständlich können Sie jederzeit gehen, aber ich bitte Sie persönlich, das nicht zu tun. Cassani: Dann soll sich der Hammel da drüben zusammennehmen. Cl. Thomson: Jetzt werd’ ich aber … Richter Anderson: Ruhe! Cassani: Ich wiederhole, dass mein Manuskript unrechtmäßig beschafft wurde. Es muss als nichtexistent betrachtet werden. Und Sie können sich darauf verlassen, dass nach dieser Verhandlung eine Untersu- chung stattfinden wird, in der ich herausfinden werde, wie es beschafft wurde! Richter Anderson: Ruhe gilt auch für Sie! Fahren Sie fort, Colonel. Cassani: Ist es jetzt nichtexistent oder nicht? Lt. Hicks: Das ist allerdings eine Frage, die man diskutieren sollte. Urs Krättli: Finde ich auch. Daryl Richardson: Wäre nur logisch. Richter Anderson: Ruuhee! Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass solche Mittel der Beweisbeschaffung nicht gerade beliebt sind, aber tatsächlich geduldet werden können. Und ich bin versucht, das zu tun. Cassani: Dann tun Sie es. Richter Anderson: Ich tue es! Cassani: Dann mache ich Sie darauf aufmerksam, dass ich gegen das Ergebnis dieser Untersuchung einen derartigen Protest einlegen werde, dass Ihnen Ihr Hammer um die Ohren fliegt! Richter Anderson: (Mühsam beherrscht) Das Recht dazu haben Sie. Aber nachher. Und unterlassen Sie endlich Ihre Anspielungen! Cassani: Geburtsfehler. Richter Anderson: Glauben Sie nur nicht, dass es keine Mittel gibt, Sie zum Schweigen zu bringen! Cassani: Wetten dass … Richter Anderson: Fahren Sie fort, Colonel.

77 Cl. Thomson: Aus diesem Manuskript geht jedenfalls hervor, dass Daryl Richardson der Einzige war, der in der Lage dazu war, das System zu sprengen. Richardson: Kann sein. Geht aus dem Manuskript auch hervor, dass ich es getan habe? Cl. Thomson: Alle Anzeichen sprechen dafür. Richardson: (Gelangweilt) Das Gericht will Beweise und Sie haben nur Anzeichen?? Cl. Thomson: Es sind genügend Anspielungen vorhanden. Ich zitiere: »Was würde passieren, wenn ihr das alles einfach hochjagen würdet?« »Wir würden mächtigen Ärger kriegen«, meinte Farraday. »Hicks und ich könnten bis zur Pensionierung vor einem Kohlebunker in Alaska Wache schieben.« »Und wir könnten nach Coruscant auswandern«, steuerte Markus grinsend hinzu. »Dann verschwindet nach oben«, sagte Daryl und blickte uns an, als wir stehen blieben. »Ich komme nach. Bestimmt!« Wir blickten uns an, dann verließen wir den Raum. Zitat Ende. Man müsste schon ausgesprochen begriffsstutzig sein, um nicht zwischen den Zeilen herauszulesen, was nicht ausgesprochen werden durfte. Ich zitiere weiter: Wir stiegen ein und warteten auf Daryl. Farraday fragte:»Was er wohl jetzt da unten macht?« »Gar nichts!«, erklärte Hicks bestimmt. »So was solltest du erst gar nicht fragen.« Nach fünf Minuten kam Daryl wieder, wankte zur Starbright und rief:»Wir sollten schnellstens verduf- ten!« Wir halfen ihm die Rampe hinauf, zogen sie ein und starteten. »Hättest du uns nicht ein bisschen mehr Zeit lassen können, Daryl?«, fragte Markus verstimmt. »Wieso?«, antwortete der Junge bloß. »Ich hab’ gar nichts gemacht. Vielleicht eine zeitverzögerte Auslösung eurer Ballerei. Oder eines von Elvins Schutzsystemen hat versagt.« »Ah ja, sicher. Was sonst?« Zitat Ende. Tja, was sonst? Daryl Richardson hat so ziemlich jede Möglichkeit aufgezählt, bis auf eine einzige. Ich habe in dem Zitat übrigens die Passage weggelassen, in der die Explosion geschildert wird. Was hast du allein in dem Zentrum gemacht, Daryl? Richardson: Ich habe die Geräte untersucht. Dabei habe ich gemerkt, dass sich der Hauptreaktor überlastete. Also bin ich verduftet. Cl. Thomson: Ist das alles, was du gemacht hast? Richardson: Ja. Cl. Thomson: Wo ist Doktor Lamb? Dr. Ellen Lamb: Hier! (Kommt nach vorn) Cl. Thomson: General, Dr. Lamb gehörte zu dem Entwicklungsteam, das das D.A.R.Y.L.-System geschaffen hat. Doktor, kann ein Computersystem lügen? Cassani: Saftiger Protest meinerseits! Wenn Sie Beweise dafür haben, dass Daryl gelogen hat, dann bringen Sie sie. Andernfalls hat Ihre Frage nicht die geringste Bedeutung für diese Untersuchung! Cl. Thomson: Ich habe tatsächlich keine Beweise. Aber die Erklärung von Dr. Lamb könnte uns Aufschluss darüber geben, ob Daryl überhaupt zu einer Lüge fähig wäre. Wäre er es nicht … dann würde ihn das doch entlasten und wir wüssten, dass er nichts getan hat. Cassani: (Flüsternd) Raffinierter Arsch. Richter Anderson: Dr. Lamb, beantworten Sie Cl. Thomsons Frage! Dr. Lamb: Dazu muss ich etwas ausholen. Die heutigen Computersysteme sind weit davon entfernt, in grundsätzli- chen Dingen fest programmiert zu sein. Praktisch alles Grundsätzliche kann aufgrund logischer Entscheidungen umgestoßen werden. Daryl ist darauf programmiert, nicht zu lügen, nicht zu stehlen, nicht zu töten, kurz: ein normaler, guter Mensch zu sein. Cl. Thomson:

78 Aber eine logische Konsequenz könnte das außer Kraft setzen. Dr. Lamb: Stimmt. Cl. Thomson: Eine Entscheidungsgrundlage könnte Daryl also dazu veranlassen, dem Befehl von Mister Trevelyan widerzuhandeln und hier vor Gericht die Unwahrheit zu sagen. (Daryl Richardson beginnt leise zu lachen und schüttelt den Kopf) Dr. Lamb: Stimmt. Cl. Thomson: Sehr beruhigend. Eine logische Konsequenz könnte also Daryl dazu veranlassen, jemanden zu töten? Richardson: Das geht zehntausend Meilen zu weit! Eine derartige Konsequenz, kann ich mir nicht vorstellen! Cl. Thomson: Ein Terrorist will seine Geiseln umbringen. Du kannst es nur verhindern, indem du den Terroristen tötest. Tust du es? Richardson: (Gelassen) Das wäre allerdings eine Konsequenz. Danke, für den Tipp. (Ivo Cassani und Hervé Loosli beginnen zu lachen) Cl. Thomson: Da Daryl selbst das für denkbar hält, ist es umso wahrscheinlicher, dass ein Grund, den er uns verschweigt, ihn dazu veranlassen könnte, hier zu lügen. Richardson: Ich muss Sie korrigieren. Ein Grund, den ich Ihnen verschweigen könnte. Es ist gar nicht gesagt, dass ich einen habe. Cl. Thomson: Und wenn du einen hättest. Was könnte das für einer sein? Richardson: Zum Beispiel, dass bei der weltweiten Politik, wo nur noch von Abrüstung gesprochen wird, das Pentagon eine neue Waffe untersuchen will. Cl. Thomson: Vielleicht sollte diese Untersuchung nur der Spurensicherung dienen. Richardson: Dann darf doch zur Abwechslung mal ich das Manuskript zitieren: »Okay. Melden Sie sich auf der Galactica zurück! Und fassen Sie keins der Instrumente da unten an! Eine Kommission wird sich darum kümmern. Das Zeug ist interessant.« Das war Mister Trevelyan. Cl. Thomson: General! Ich lasse mich nicht vom Angeklagten zum Schuldigen machen! Richardson: Wieso denn nicht? Wollen Sie Mister Trevelyans Funkspruch etwa in Zweifel ziehen? Dann müssen Sie auch den Rest des Manuskripts in Zweifel ziehen. (General Anderson und Colonel Thomson sind die einzigen, die nicht lachen) Richter Anderson: Colonel? Die Frage ist berechtigt. Cl. Thomson: Ich muss Daryl widerwillig gratulieren. Richardson: Ich habe Sie mit Ihrem eigenen Beweismittel geleimt. Cl. Thomson: Diese Bemerkung ist absolut überflüssig! Richardson: Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet. Stellen Sie das Manuskript in Frage? Cl. Thomson: (Zögert) Nein. Richardson: Dann bitte ich das Gericht, den Grund anzuerkennen. Aufgrund der Abrüstungspolitik ist es völlig unangemessen, wenn das Militär eine Antimateriewaffe in die Finger kriegt. Stimmen Sie mir zu? Richter Anderson: Das muss von höherer Stelle entschieden werden. Richardson: Stimmen Sie mir zu, Colonel? Cl. Thomson: Nein! Richardson:

79 In diesem Fall stelle ich öffentlich die Rechtschaffenheit von Colonel Thomson in Frage. (In der Versammlung entsteht Tumult) Richter Anderson: Ruuhee! Cl. Thomson: Was hast du gesagt? Richardson: Wollen Sie’s noch mal hören? Richter Anderson … Richter Anderson: Ruhe im Saal!! Ruhe!! Ich hoffe, du weißt, welches Risiko du eingehst, Daryl. Richardson: Ich höre wohl nicht recht. Ich bin eine Maschine. Wie können Sie mich schon bestrafen? Ich habe keine Rechte. Cl. Thomson: Dann habe ich es auch nicht nötig, mir das anzuhören! Richter Anderson: Das ist keine Drohung von mir persönlich, aber es könnte der Eindruck entstehen, dass das D.A.R.Y.L.- System unzuverlässig arbeitet. Man könnte ihm den Stecker rausziehen. Richardson: Ist schon mal versucht worden, ist aber in die Hose gegangen. Außerdem würden Sie eine Klage von TASCOM riskieren. Schadenersatzforderungen in einer Höhe, dass der halbe Verteidigungsetat aufgefres- sen wird, und das sind enorm viele Nullen! Würden Sie eine solche Klage erheben, Ellen? Dr. Lamb: Allerdings. Ich frage mich, was als ausreichender Grund angenommen wird, das D.A.R.Y.L.-System zu deaktivieren. Meiner Meinung nach kommt dabei nur Gefährdung der Öffentlichkeit in Frage. Krättli: Mit anderen Worten, Colonel, Sie haben keine Möglichkeit, ihm das Maul zu stopfen. (Richter Andersons Hammer saust nieder) Richter Anderson: Jetzt reicht’s allmählich!! Das ist eine seriöse Untersuchung und kein Wahlkampf! Richardson: Sie sagen seriös und drohen mir gleichzeitig mit der Vernichtung meiner Existenz. Richter Anderson: Ich drohe nicht. Richardson: Aber Sie ziehen es in Erwägung. Richter Anderson: Ich habe die Möglichkeit dessen erwähnt. Eine Möglichkeit, die vorhanden ist. Und jetzt genug davon. Angesichts der vorgerückten Stunde empfehle ich, die Beweisführung abzuschließen, damit wir uns die Tatsachen ansehen können. Cl. Thomson: Einverstanden. Als Tatsachen hätten wir die an Sicherheit grenzende Vermutung, dass Daryl Richardson das Zentralsystem hat explodieren lass … Cassani: (Ungläubig) Eine an Sicherheit grenzende Vermutung nennen Sie eine Tatsache?? Richter Anderson, ich stelle nicht die Rechtschaffenheit Cl. Thomsons in Frage. Wohl aber seinen gesunden Menschenverstand! Richter Anderson: Ich neige dazu, diesem Einwand zuzustimmen, wenn ich es auch anders formuliert hätte. Haben Sie einen Beweis, dass Daryl Richardson die Explosion verursacht hat? Und ich will einen Beweis hören und keine Vermutung! Cl. Thomson: (Verärgert) Nein. Lt. Hicks hat seine Sorgfaltspflicht verletzt, da er Daryl Richardson allein zurückgelassen hat. Lt. Hicks: Ich war der Meinung, das verantworten zu können. Schließlich ist Daryl kein Terminator sondern eine Fachkapazität auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Ich nehme an, weil er selber eine ist. Richter Anderson: Ich muss gestehen, dass mir das einleuchtet. Cl. Thomson: Aus den Zweideutigkeiten, die im Manuskript erwähnt werden, geht nicht nur hervor, dass Lt. Hicks die Möglichkeit ahnte, dass Daryl das System sprengen könnte, sondern auch, dass er nichts dagegen hätte, wenn er es tun würde. Und vor allem Letzteres möchte ich besonders hervorheben. (Pause) Richter Anderson: Haben Sie sonst noch was vorzubringen? Cl. Thomson: (Verwirrt)

80 Äh … nein. Aber ich möchte zuletzt noch einige persönliche Fragen stellen. Richter Anderson: Bitte sehr. Cl. Thomson: Hast du das System gesprengt, Daryl? Richardson: Nein. Cl. Thomson: Wärt Ihr damit einverstanden, wenn er es getan hätte? Markus Christen: Warum nicht? Jürg Christen: Eigentlich schon. Urs Krättli: Ich hätte es selber getan, wenn mir das damals in den Sinn gekommen wäre. Hervé Loosli: Durchaus. Ivo Cassani: Ich schließe mich dem Wortlaut von Urs bis auf das letzte Komma an. Lt. Hicks: Ich enthalte mich der Aussage. Ich bin müde. Private Linda Farraday: Lt. Hicks befahl mir, nach oben zu gehen. Ich führte diesen Befehl aus. Was anderes interessiert mich nicht. Cl. Thomson: Und Sie, Dr. Lamb? Dr. Lamb: Ich bin keine Politikerin, ich bin Wissenschaftlerin. Sagen wir, ich könnte Daryls Beweggründe verste- hen. Cl. Thomson: Wieso ‘könnte’? Dr. Lamb: Es kommt darauf an, ob er es getan hat. (Gelächter) Cl. Thomson: (Verärgert) Das war alles. Richter Anderson: Ich danke Ihnen allen für Ihre Bereitschaft, diese Untersuchung zu unterstützen. Heute Abend werde ich die höheren Stellen von dem Protokoll dieser Versammlung unterrichten. Morgen Nachmittag werden Sie die Entscheidung hören. Die Sitzung ist vertagt. Und nun rauuuus, Ihr Chaoten! Rauuuus!! (Ende Protokoll)

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(Auszug aus dem Protokoll der militärgerichtlichen Untersuchung vom 2. 10. 87. / Washing- ton D.C.) Richter General Cliff Anderson: Setzen Sie sich, meine Dame und Herren. Ich habe mich gemäß meiner gestrigen Ankündigung mit höheren Stellen beraten. Die Ansichten waren sehr geteilter Meinung. Schließlich wurde eine außeror- dentliche Versammlung des nationalen Sicherheitsrates einberufen, die bekanntlich aus Präsident Reagan, Vizepräsident Bush, Verteidigungsminister Weinberger, Stabschef General Powers, CIA-Chef Decker und Berater Collins besteht. General Powers und Mr. Lester enthielten sich der Stimme, der Rest beschloss, die Ereignisse hinzunehmen, wie sie geschehen sind. Präsident Reagan hat mich gebeten, hier zu sagen, dass er eine eventuelle Entscheidung Daryl Richardsons, ob sie jetzt erfolgt ist oder nicht, billigen würde, da er seine ebenso eventuellen Beweggründe teilt. (Die Chaoten applaudieren) Cassani: Und Sie berichten den Präsidenten von meinem Glückwunsch zu seiner geistigen Gesundheit! (Gelächter) Richter Anderson: Sie können sich darauf verlassen, dass ich das tun werde. Cassani: Will ich doch hoffen. Cl. Thomson: (Beherrscht)

81 Und was für Konsequenzen entstehen daraus? Richter Anderson: In diesem Fall entscheidet das Gericht, Lt. Hicks von der Anklage der Verletzung der Sorgfaltspflicht freizusprechen. Lt. Farraday ist ebenfalls entlastet, den Halbjedi entstehen keinerlei Konsequenzen, und das D.A.R.Y.L.-System bleibt weiterhin in Funktion. Die Verhandlung ist geschlossen. (Ende Protokoll)

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Thomson kam auf kürzestem Weg zu uns. »Glaubt bloß nicht, dass damit die Sache erledigt ist«, zischte er böse. Wir standen geschlossen auf, und er wich prompt einen Schritt zurück. »Was meinen Sie damit genau?«, fragte Hervé unbequem. »Eine kleine Zweideutigkeit, ausnahmsweise mal von meiner Seite«, erwiderte Thomson, der mühsam versuchte, seine Selbstsicherheit wieder zusammen zu kratzen. Urs klopfte ihm auf die Schulter. »Meinen Glückwunsch zu Ihrer Kandidatur.« »Was für eine Kandidatur?« »Na, Sie wollen doch Präsident werden. Anders können Sie nämlich seinen Befehl nicht aufheben.« Daryl prustete los und steckte uns an. Thomson wollte gehen, aber ich packte ihn am Arm. »Hören Sie mal gut zu! Lassen Sie die Finger davon, oder Sie werden uns kennen lernen! Das können Sie wortwörtlich General Powers und CIA-Chef Decker ausrichten, die sich ja so diskret der Stimme enthalten haben. Ist das in Ihre Hirnzellen eingedrungen, oder muss ich noch etwas nachhelfen?« Thomson riss sich wortlos aus meinem Griff und verduftete. Eine düstere Wolke schweb- te über seiner Uniformmütze. Richter Anderson kam zu uns und sagte:»Um die Ecke ist ein kleines Restaurant mit einer hervorragend ausgestatteten Bar. Die Einladung gilt für fast alle.« »Für wen nicht?«, fragte Daryl. Anderson deutete über seine Schulter auf die Tür, wo gerade Thomson verschwand.

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MARIO’S leuchtete grell über der Eingangstür. Wir saßen zusammen an einem Tisch, und die Serviertochter, die von Urs natürlich wieder geärgert wurde, servierte Drinks. »Wenn ich Staatsanwalt wäre«, sagte Anderson, »möchte ich Sie nicht als Verteidiger haben.« Ich kippte den ersten Schluck. »Wieso nicht?« »Wäre zu viel für meine Nerven. Das Wortmassaker von gestern hat mir gelangt. Mir schwirren die Andeutungen dermaßen durch den Kopf, dass ich endlich wissen möchte, was du im Zentrum gemacht hast!« Bei den letzten Worten blickte er Daryl an und knallte die Faust auf den Tisch. Der nippte bloß gelangweilt an seiner Cola. »Mach’s Maul auf!«, dröhnte Anderson. »Die Verhandlung ist vorbei, dir kann nichts mehr passieren. Der Präsident ist einer Meinung mit dir.« »Das könnte er sich ruhig zur Gewohnheit machen«, meinte Daryl gelassen. »Dann gäbe es keine Iran-Contra-Affäre mehr.« Wir kicherten wieder los. Keiner zweifelte auch nur einen Augenblick, dass Daryl Recht hatte. »Bitte«, flehte Anderson. Seine Uniformjacke hing nachlässig über der Stuhllehne. Daryl holte Luft. Am Tisch herrschte gespannte Stille. Daryl öffnete den Mund und sagte:»Prost.« Damit nahm er noch einen Schluck.

82 Ein verärgertes Seufzen ging um den Tisch. Dr. Lamb kam uns zu Hilfe. »Warum macht es dir Spaß, wenn du die anderen verärgerst?« Er blickte sie erstaunt an. »Muss ein Verhaltensmuster sein, tut mir Leid.« Er gab sich einen elektronisch wirkenden Ruck. »Ich habe tatsächlich die Geräte untersucht. Ich ließ Schalt- und Lagepläne über den Bildschirm laufen und stellte fest, dass das unterirdische Zentrum aus drei Komplexen bestand. Erstens der Kommandosektor mit der Zentrale und einigen Aufenthaltsräumen, ausgestattet mit einem äußerst leistungsfähigen Lebenserhaltungssystem. Dort drin hätte man einen Atomkrieg überleben können. Den zweiten Sektor möchte ich mal als Arena bezeichnen, der umfasste nämlich die zweiund- dreißig Räume mit den Robotern und Flugsonden. Wirklich bloß eine Arena zu Elvins Belustigung. Im dritten Komplex schließlich waren die Energiesysteme, der Hauptreaktor und die Positronenkanone. Weil Elvin schießen wollte, war der Reaktor auf voller Leistung, was er nicht allzu lange sein sollte. Für diesen Fall gibt es natürlich ein Sicher- heitsventil, das man aber praktischerweise abschalten konnte. Eine Sicherheitsabfrage ergab, dass man nach Abschalten eine Sicherheitsfrist von zehn Minuten haben würde, bevor die kritische Grenze erreicht wäre. Ich habe dann noch kurz die Konstruktionspläne der Positronenkanone studiert, habe auf den Knopf gedrückt und bin verduftet.« Eisiges Schweigen lag über dem Tisch. Anderson kippte den halben Drink herunter. »Du hast das System also gesprengt?« »Haben Sie daran gezweifelt?« »Eigentlich nicht.« »Aber zugegeben habe ich’s immer noch nicht«, grinste er. »Ich habe bloß irgendeinen Knopf gedrückt.« »Du hast die Konstruktionspläne intus?«, fragte Jürg. »Allerdings. Wenn man mir einen logischen Grund nennt, bin ich gern bereit, das Ding nachzubauen. Aber ich frage mich, was das für ein Grund sein müsste.« »Du läufst mit den Konstruktionsplänen herum?«, fragte Dr. Lamb irritiert. »Speicher’ das bloß nicht in TASCOM ab.« »Bin doch nicht blöd. Das wird die einzige Information sein, die in den Hauptdatenspei- chern nicht vorkommen wird.« »Wie willst du das denn machen? Du machst doch immer einen kompletten Data- Dump.« »Ich mache, was ich will.« »Aber die Übertragungskanäle sind codiert.« »Es sind meine Kanäle, verdammt! Die kann ich umcodieren, wie ich will. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, die Datensendungen so zu programmieren, dass nur ich sie auslösen kann, und niemand die Möglichkeit hat, es auch nur mitzuverfolgen oder mitzuschneiden. Schließlich werden wir bald die Pubertät einschalten, und ich will nicht, dass sich jemand an meinen neuen Erfahrungen einen runterholt.« »Mir kannst du doch vertrauen.« »Klar, tue ich das. Aber wenn ich auf der Trage liege und der Rezeptor meinen Daten- strom aufnimmt, ist mein ganzes System blockiert, und ich habe keine Ahnung, ob nicht in der Zwischenzeit jemand dazwischenfunkt.« »Du kannst das System nicht verändern! Digital Equipment Corporation hat das Recht auf das gesamte System.« »Was wollen sie denn machen, wenn ich es doch tue? Ihre eigene Maschine verklagen?!« Wir kicherten wieder los.

83 »Die Kanäle müssen umcodiert werden, und mit einem Trick komm’ ich da ran. Ich brauch’ nur die Output-Kanalfrequenzen mit einem ganz persönlichen Code zu modulie- ren. Den kriegt keiner raus. Die alten Codes lösche ich, indem ich den Codesektor mit sofortiger Wirkung als frei erkläre. Den Sicherheitssystemen, die das verhindern wollen, werde ich mit einer höheren Anweisung Typ 1A den Mund stopfen. Da benötige ich Ihre Hilfe, Ellen.« »Könnte klappen. Das Problem ist nur, dass trotzdem immer noch jemand an das TASCOM-System könnte und mit deiner Datenbankkopie das alles wieder rückgängig machen könnte.« »Nicht, wenn ich eine kleine Programmveränderung vornehme. Per TASCOM werden nur noch Sie, Ellen, in der Lage sein, mit meinen Datenbanken etwas anzustellen. Wenn es irgendjemand anders versucht, wird das System sofort blockiert und Alarm ausgelöst.« »Wie willst du denn das wieder machen?« »Im rechten Kontrollerkennungsfeld werde ich ein kleines Selektivschema anbringen, das per gespeicherter Daten nur durchlässig wird, wenn aufgrund einer vorangehenden Konversation als absolut sicher gilt, dass Sie es sind.« »Das rechte Kontrollerkennungsfeld ist ein ROM, mein Junge. Das kann man nicht umprogrammieren.« »Dann werde ich es in einen abgesicherten Teil des Hauptspeichers laden und den Systemanalyzer dazu veranlassen, nur noch auf die nunmehr veränderbare Kopie zu achten. Ich brauch’ nur die Vektorzeiger so zu verbiegen, dass der Prozessor nicht merkt, was eigentlich los ist. Sonst würde er das ganze System sperren.« »Der Prozessor lässt sich nicht überlisten.« »Ich kenne meinen Prozessor mittlerweile besser als Sie! Das System ist so dezentrali- siert, dass die eigentliche Kontrolle von den SysCaches kontrolliert wird. Der Prozessor ist nur noch ein Verwalter, sonst nichts. Ich brauch’ nur einen SysCache so zu verbiegen, dass er auf das falsche Feld achtet, dann kriegt der Prozessor überhaupt nichts mit.« »Baaaahnhoooof!«, brüllte ich. »Frühstück bitte ans Bett«, rief Jürg. »Was ist denn los?«, fragte Daryl verwundert. »Du bringst uns zur Raserei mit deinem Fachchinesisch«, knurrte Urs. »Könntet Ihr nicht Suaheli reden? Das verstehe ich besser.« »Es reicht, wenn Ihr versteht, dass ich dabei bin, meine letzten Reste von Abhängigkeit zu anderen Personen endgültig zu kappen. Wenn das erfolgt ist, ist der Einzige, der noch Verantwortung für mich trägt … ich selbst.« Will jemand abstreiten, dass Daryl vollkommen dazu in der Lage ist?

(24. April 1987)

84 Grauzone

1

Klauen wir gleich die ganze Bank

11. Februar 1988 / Zollikofen Angesichts der Tatsache, dass ich diesen Satz ziemlich regelmäßig zu hören kriege, fühlte ich mich dazu gezwungen, diesen Tag als einen der absolut typischen in meinem Leben zu erklären. Heute war es Markus, der fassungslos den Kopf schüttelte. »Du bist ja völlig beknackt!« »Bereichert das Leben«, gab ich ungerührt zurück. Markus blickte die anderen an. Die starrten zurück und dann wieder auf mich. »Du verlangst also von uns, dass wir das machen, ohne zu wissen, warum«, wiederholte Markus vorsichtig. Ich nickte wieder und lächelte schief. »Ich weiß nämlich auch nicht warum. Aber wenn Leia es sagt, muss es einen vernünftigen Grund geben.« »Gibt’s auch einen legalen Grund?«, fragte Hervé. »Ich hoffe es.« Urs blickte mich an. »Seit ich dich kenne, versuche ich herauszufinden, wie beknackt du tatsächlich bist, aber ich fürchte, das wird ein Fall für die Nachwelt.« »Wir haben Leia immer vertraut«, stellte ich fest. »Und ich vertraue nicht mal mir selber«, erwiderte Jürg. »Ich zitiere sie jetzt wörtlich«, begann ich. »Sie sagte:’Ihr müsst das machen, weil es sehr wichtig ist. Wenn es nicht gemacht wird, stehen wir dort, wo wir vor etwa fünfzig Jahren waren. Tut es, und alles ist in Ordnung.’ Das war’s.« »Was war vor fünfzig Jahren?«, fragte Hervé. »Damals schaffte es ein gewisser Palpatine von Naboo sich zum Imperator wählen zu lassen«, erklärte ich. »Sie droht uns wohl die Wiederentstehung des Imperiums an.« »Ach, gleich die ganz große Keule«, meinte Urs. »Und warum kann das nicht jemand anders machen?« »Weil die Lage anscheinend so ernst ist, dass Leia niemand anderem mehr vertrauen kann als Luke, Han, Lando und uns.« »Sind ja reizende Aussichten«, knurrte Markus. »Und wenn es schief geht?« Ich atmete tief durch. »Das gibt’s nicht.« »Aber wenn … « »Es gibt kein Wenn! Das existiert nicht!«

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13. Februar 1988 / Washington D.C. Markus trat in das Büro und rief lässig:»Hi! Sind Sie der amerikanische Justizminister?«

85 Paul Simmonds wäre fast aus dem Stuhl geschossen. »Wie kommen Sie hier rein?! Die Sekretärin hat niemanden gemeldet.« »Kunststück, sie hat mich nämlich nicht gesehen, obwohl ich in einem Meter Abstand an ihr vorbeigegangen bin. Ich habe sie ein bisschen dazu gebracht, mich nicht wahrzuneh- men. Das ist manchmal ein ganz nützliches Talent.« Simmonds schnaufte schwer. »Ihr Gesicht kam mir gleich irgendwie bekannt vor. Was soll der Zirkus?« »Der Name lautet ‘Zirkus Geheimhaltung’.« »Ja, diesen Zirkus kenne ich allerdings. Wollen Sie sich nicht setzen?« »Danke. Ich brauche von Ihnen die vermutlichen, gegenwärtigen Aufenthaltsorte dieser beiden Herren.« Damit reichte er Simmonds zwei Fotos. Der betrachtete sie kurz und kriegte bei beiden einen leichten Erstickungsanfall. »Ich … (keuch) … Sie sollten sich besser an den nationalen Sicherheitsdienst wenden.« »Ich brauche noch mehr.« »Was denn noch?« »Ihr Autogramm unter eine Straferlasserklärung des amerikanischen Justizministeriums, betreffend diese beiden Personen.« Simmonds riss eine Schublade auf und suchte hastig nach Beruhigungstabletten. Er fand sie nicht, schmiss die Schublade wieder zu und atmete tief und rhythmisch. »Eine sehr überzeugende Vorstellung«, senfte Markus und reichte Simmonds einen Brief. Der begann zu lesen. »Von Leia Skywalker, Präsidentin der galaktischen Republik, an den amerikanischen Justizminister. Angesichts der Wichtigkeit der interstellaren Zusammenarbeit … « »Stellen Sie den Ton ab«, knurrte Markus. »Ich kann den Text schon singen. Außerdem geht’s schneller.« Simmonds las den Brief durch und wurde beunruhigend bleich. Dann wollte er den Zettel in die Schublade stecken, aber Markus winkte mit dem Finger. Widerwillig gab Simmonds ihm den Brief zurück, holte zwei Formulare aus einem Aktenhefter, setzte je einen Namen ein und unterzeichnete dann die beiden. Er reichte sie Markus, der sie säuberlich zusammenfaltete, in die Jackentasche steckte und aufstand. Er streckte Simmonds die Hand hin, aber der war sitzen geblieben, verrutschte ein wenig auf dem Stuhl, stützte den Kopf in die linke Hand und winkte schlaff mit der rechten. »Gehen Sie, bevor ich noch Albträume kriege.«

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13. Februar 1988 / Nassau, Grand Bahama Jahrelang kann man von den Bahamas nur träumen, dann schlittert man in was rein, jagt die folgenden Jahre zwischen Sirius und Arrakis hin und her und vergisst die irdischen Ferienparadiese völlig. Man kann sich aber wieder daran erinnern. Wir beneideten Urs. Der betrat nämlich soeben die geschmackvolle Palmenholzein- gangshalle des Tropicana-Hotels, ging zur Rezeption, rückte die Sonnenbrille zurecht, zupfte kurz an seinem Hawaii-Kostüm und setzte ein Pepsodent-Lächeln auf. »Welches Zimmer hat Mister John Smith?« »Sieben, Sir. Aber im Moment ist er auf der Terrasse. Um diese Zeit trinkt er immer einen Martini-Wodka.« »Geschüttelt, nicht gerührt?« »Woher wissen Sie das?«

86 »Mann, ich war auch schon mal im Kino! Danke sehr. Äh, haben Sie heute Abend noch was vor?« »Leider ja, er ist etwa einen Kopf größer als Sie.« Urs’ Grinsen schwand. Er ist immerhin selbst 1 Meter 88 groß! »In welchem Zoo haben Sie ihn denn gefunden?«, fragte er trocken, drehte sich um und ließ ein ziemlich entgeis- tertes Empfangsmädchen zurück. Er trat auf die sonnengepeitschte Terrasse hinaus und seufzte. Am Swimming-pool sah es aus wie in einem Bond-Film, jedenfalls was die Mädchen betraf. Etwas abseits lag ein großer, kräftiger Mann in Badehose auf dem Liegestuhl und hatte eine Sonnenbrille auf dem Gesicht, deren Spiegelreflexgläser die Größe von Compact-Discs erreichten. Er war etwa Anfang Vierzig und strahlte eine Kühle aus, dass in einem Umkreis von drei Metern um ihn die Temperatur um zehn Grad sank. Außerdem sah er Clint Eastwood geradezu verdächtig ähnlich. Urs betrachtete sich das Foto und trat an den Liegestuhl heran. »Mr. Smith?« Smiths Kopf drehte sich um etwa 25 Winkelgrade, und als er »Ja?« sagte, war sein Mund das Einzige, was sich bewegte. Urs setzte sich. »Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen.« »Dann wenden Sie sich an meinen Geschäftsführer. Wenn er das Angebot für lohnend hält, werde ich es mir überlegen. Und bis dahin … «, er schaltete ein kühles Lächeln ein, » … möchte ich gern weiter hier in der Sonne liegen.« »Ich will kein Geschäft mit Hyper Electronics abschließen sondern mit Ihnen persönlich … Thunderbolt.« Das war vorläufig Urs’ letztes Wort. Der Name ‘Thunderbolt’ wirkte wie ein Schalter, mit dem Urs eine Kampfmaschine eingeschaltet hatte. Smith schoss vom Liegestuhl, Urs geriet in eine Windmühle, rotierte durch die Atmosphäre und schlug wie eine Wasser- bombe in den Swimming-pool. Er tauchte aber doch wieder auf und rang nach Luft. Er kraulte kurz zum Beckenrand und kam wieder zu Atem. Die umstehenden Mädchen starrten ihn an. War ja ‘n großartiger Abgang. Direkt vor seinem Gesicht wuchsen plötzlich zwei Beine in die Sonne hinauf. Urs stemmte sich hoch und war überrascht, als er feststellte, dass Smith noch gut zwei oder drei Zentimeter größer war. Der nahm jetzt seine Superbrille ab und blickte Urs aus zwei gletscherkalten Augen an. Urs frisierte seine Haare in den Grundzustand zurück und fragte gelassen:»Wann waren Sie das letzte Mal in den Vereinigten Staaten?« »Vor sechs Jahren.« »Take the money and run, was? Wie viel war’s? Eine halbe Million? Oder eine ganze?« »Zwei ganze. Willst du noch ‘ne Tauchfahrt?« »Dann können Sie Gift drauf nehmen, dass Sie mitkommen. Ich bin im Besitz einer vom amerikanischen Justizminister unterzeichneten Straferlasserklärung, ausgestellt auf den Namen John Doherty, Spitzname: Thunderbolt! Angeklagt wegen zweifachen Bankraubs, beide Male mit derselben originellen Methode.« Urs grinste. »Er hat den Panzerschrank mit einer 20-mm-Flakkanone aufgesprengt.« »Noch ein einziges Dezibel lauter, und dein Skelett wird restrukturiert.« »Prima, das wollte ich schon immer mal machen . Wir brauchen Ihre Hilfe. Dafür kriegen Sie kompletten Straferlass und können jederzeit in die Staaten zurück.« »Wer braucht meine Hilfe?«

87 »Die galaktische Republik.« »Sonst nichts weiter? Was will die von mir?« »Sie will, dass Sie mit uns eine Bank hochnehmen.« Thunderbolt blickte zur Seite ins Wasser, überlegte, blickte wieder Urs an und sagte dann tonlos:»Das ist mir zu hoch.« »Keine Angst, mir auch.« »Wieso will die galaktische Republik eine irdische Bank knacken?« »Weil sonst etwas passiert.« »Was?« »Das ist möglicherweise das einzige Problem bei der Sache. Ich weiß es nämlich auch nicht. Leia Skywalker wollte mir nicht mehr sagen.« »Woher soll ich wissen, dass du kein Bulle bist?« Als Antwort flog plötzlich die Superbrille durch die Luft, faltete sich vor seinem Gesicht auseinander und schob sich sachte über Thunderbolts Augen. Der zuckte nicht mal mit der Wimper und erklärte knapp:»Abgemacht.« Plötzlich stieß ihn etwas Unsichtbares zurück. Er flog drei Meter und klatschte ins Wasser. Als er wieder auftauchte, grinste Urs auf ihn hinab. »Abgemacht!«

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13. Februar 1988 / Papeete, Tahiti Urs war nicht der Einzige, den wir beneideten. Hervé änderte gerade ein bekanntes Sprichwort ab: Verbrechen zahlt sich nicht aus … von ein paar Ausnahmen abgesehen. Der Typ, zu dem er sich im Hotelrestaurant gerade hinsetzte, war mindestens fünfund- sechzig, hatte ein flaches Gesicht und eine flache Nase. »Sie müssen Walter Upjohn Ballantine sein.« »Ganz richtig, ja. Aber wenn ich mich recht erinnere, hab’ ich den Tisch für mich allein reserviert.« »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen das Angebot mache, in galaktisch- republikanischem Auftrag eine Bank hochzunehmen und dafür Straferlass zu kriegen?« Ballantine stützte den Kopf in die Hand und dachte scharf nach. Dann griff er wieder zur Gabel und sagte ruhig:»Nein.« Er wollte gerade in das Steak stechen, als es auf dem Teller plötzlich zur Seite rutschte. Ballantine stach danach, aber es rutschte wieder weg. Während er hastig versuchte, das Steak zu erwischen, setzte sich ihm plötzlich die Sonnenbrille von selbst auf, und als Nächstes flog die Serviette hoch und wickelte sich ihm um den Kopf. Ballantine riss sich die Serviette vom Gesicht und knallte Gabel und Sonnenbrille auf den Tisch. »Ja!«, knurrte er. »Na und?« »Wir brauchen Ihre Hilfe.« »Ich bin kein Bankräuber.« »Und ob Sie das sind! Wer klaut zwei Millionen Dollar in Münzen aus dem Münzamt? Wer entführt einen Supertanker auf offener See? Wer klaut eine ganze Bank?! Walter Upjohn Ballantine!« »Erinner’ mich bloß nicht an die Bank«, knurrte er. »War der größte Reinfall aller Zeiten. Ich klaue ‘ne ganze verdammte Bank, und dann kriegen wir den Safe nicht auf. Als wir ihn aufhatten, setzte sich die ganze Bank auf dem Anhänger in Bewegung und rauschte mit mir drauf über die Klippe in den Pazifik. Das war der Schlager der Woche.«

88 »In der Tat. Aber statt an Land zu schwimmen, sind sie weiter raus geschwommen. Und sechs Wochen später hörte man, dass ein klitschnasser, bewaffneter Mann die National- bank von Samoa ausgeraubt hat. Sie wollen mir aber nicht erzählen, dass Sie sechstausend Meilen geschwommen sind?« Ballantine beugte sich über den Tisch, als wolle er Hervé ein Geheimnis anvertrauen. Der beugte sich ebenfalls zu Ballantine hin, und der flüsterte ihm ins Ohr:»Kein Kommentar.« Hervé setzte sich seufzend wieder zurück. »Sie sind kein Bankräuber, Ballantine. Sie sind ein Künstler! Sie wollen das Geld nicht. Sie wollen es bloß klauen!« »Ach, weißt du, Geld macht nicht glücklich.« »Aber es beruhigt.« Ballantine brummte zustimmend und hackte überraschend nach dem Steak. Er erwischte es, blickte Hervé an und ließ ihn nicht aus den Augen, als er ein Stück absägte und es sich in den Mund schob. »Welche Bank?«, fragte er mit vollem Mund. »Die Banque de Crédit et Commerce in Bern, in der Schweiz. Es ist eine Privatbank.« »Danke, für den Geografieunterricht. Wo Bern liegt, weiß ich. Irgendwo zwischen Stockholm und Uppsala.« »Das ist Schweden, Sie Idiot!« »Das ist nur ’n organisatorisches Detail. Und warum soll ich sie hochnehmen?« »Damit nichts Schlimmeres passiert.« »Was denn?« »Sehen Sie, das ist das Problem, ich weiß es selber nicht genau. Präsidentin Skywalker, und noch ein paar andere, sind die Allereinzigen, die wissen, warum.« »Und was springt für mich dabei raus?« »Ein Straferlass. Gültig von Geburt an.« »Das könnte ein Grund sein.« Er nahm einen Schluck von seinem 83er Dom Pérignon. »Es ist vermutlich auch einer.« Er faltete die Serviette säuberlich zusammen und nickte. »Es ist tatsächlich einer.«

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14. Februar 1988 / London Thunderbolt und Ballantine hatten wir organisiert, aber ich hatte mir für unsere Mann- schaft noch jemanden in den Kopf gesetzt. Wir mussten ja nicht unbedingt bei einer Mannschaft bleiben. Und so fuhren wir zeitverschiebungsgeplagt in einem Mietwagen hinter Sir Gerald Tarrants Rolls Royce her, verließen den Stadtbereich von London und fuhren an der Themse entlang. Tarrant ist der Leiter des britischen Secret Service. Keine Spur von James Bond oder M. Dem CIA geht es heutzutage wesentlich besser als den Briten, und von Superwaffen und machthungrigen Supergangstern ist auch nichts zu sehen. Es gibt nichts anderes als den nerven- und menschenlebenaufreibenden Geheimkrieg zwischen den Geheimdiensten. Tarrant war schon zweiundsechzig, aber man drängte ihn dazu, weiterhin im Amt zu bleiben, weil er so gut sei. Er sagte uns, er sei blöd genug, das sei alles. Tja, wenn diese schwarzhaarige Superbiene nicht wäre! Sie kommt James Bond noch am nächsten. Sie arbeitet aber nie für den Service, höchstens mit ihm. Außerdem hat Tarrant ihr sein Leben zu verdanken. Und ich, zusammen mit Hervé, Schnitter und Leetah ebenfalls. Sie sind, glaube ich, heute noch dabei, die Trümmer des Wolkenkratzers zusammenzuwischen.

89 Der Rolls Royce hielt vor einem rustikalen Gasthaus in der ländlichen Gegend von Sussex, und wir stiegen aus. Über dem Eingang hing ein Holzschild mit der Aufschrift The Treadmill. Tarrant führte uns hinein. Die Ausstattung war nicht übel, musste ein Innenarchi- tekt mit altmodischem Stil gewesen sein. »Sir Gerald!« Wir fuhren herum. Hinter der Bar kam eine Dame hervor und eilte auf Tarrant zu. Und das war im wahrsten Sinne des Wortes eine Dame! Ein energisches Gesicht, von blonden Haaren umrahmt. Als sie auf uns zukam, bemerkten wir, dass sie etwas seltsam ging. Ihr linkes Bein war irgendwie steif. Tarrant, ein Gentleman alter Schule, küsste ihr die Hand. »Darf ich bekannt machen? Das sind … äh … ist … äh … die galaktische Verunsiche- rung.« »Was, die??«, fragte sie erstaunt. »Die sehen doch ganz harmlos aus.« Urs prustete. »Das ist Lady Janet Gillam. Sie ist mit Willie Garvin befreundet.« Welches weibliche Wesen ist das nicht, hätte ich beinahe gefragt, hielt mich aber rechtzei- tig zurück. Tarrant schob sie entrüstet hinter die Bar zurück. »Was machen Sie überhaupt hier an der Bar? Lässt Willie Sie arbeiten? Dieser Leuteschinder! Ich werde ihm das Fell über die Ohren ziehen.« »Sie sind reizend, wenn Sie so wütend sind, Sir Gerald.« Tarrant kam zu uns zurück. »Was ist mit Ihrem Bein?«, fragte Markus leise. »Sie hat nur noch eins«, erklärte Tarrant ebenso leise. »Sie trägt eine Prothese, und sie hasst es, wenn man sie bemitleidet. Als alter Geheimdienstprofi kann ich in euren Gesichtern lesen. Lady Janet ist das einzige weibliche Wesen auf der Welt, das behaupten kann, dass Willie immer wieder zu ihr zurückkehrt.« »Zu wem kehre ich zurück?«, rief Willie Garvin, der eben die Gaststube betrat. Als er uns sah, wurde sein Gesichtsausdruck bestürzt. »Ach Gott, die schon wieder.« »Was heißt hier ‘schon wieder’?«, fragte Jürg. »Ist doch immerhin ein Jahr her. Sie räumen, glaube ich, immer noch zusammen.« »Aber wir waren nicht schuld«, beteuerte Urs. »Unser destruktiver Einfluss ist mehr intellektueller Natur und hat selten physikalische Auswirkungen.« Willie seufzte. »‘Und die geistig Armen sind unschuldig, denn ihnen verdanken wir den Spiegel unserer Seele’. Psalm 37, Vers 4.« Er war mal vor langer Zeit in Indien mit einem alten Priester ein Jahr lang im Gefängnis gewesen. Von da bezieht er seine Verse, von denen selbst noch keinen zwei Mal gehört hatte. »‘Und die idiotischen Psalmensinger verdienen keinerlei Beachtung, denn sie sind der Feind des Chaos’. Psalm 13, Vers 1 der Chaos-Theorie«, knirschte ich. Lady Janet klammerte sich an die Bar. »Ich glaube, ich brech’ gleich ab«, prustete sie. »Nur Yoko Tsuno hat es mal geschafft, bei mir das letzte Wort zu behalten«, erklärte ich. »Und dafür musste sie sich immerhin ausziehen. Wo ist Modesty?« »Im Trainingsraum. Kommt mit! Sie auch, Sir Gerald. Dinah und Steve sind hier.« »Oh, ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.« Wir verließen die Gaststube, und Tarrant flüsterte uns zu:»Wenn wir im Trainingsraum sind, dann sind dort alle Menschen, die überhaupt jemals dort waren.« Ich nickte beifällig. »Wir fühlen uns geehrt.«

90 Willie knuffte mir in die Schulter. »Steve Collier wird dir gefallen. Ich bin gespannt, wer die dämlicheren Sprüche bringt. Die reinste Familienversammlung, heute. Fehlt nur noch Giles Pennyfeather.« In diesem Moment machte uns ein dröhnendes Krachen vor dem Haus klar, dass sich zwei Autos ziemlich stürmisch begegnet waren. Wir blieben wie angewurzelt stehen. »Was war das?«, fragte Markus. Willie seufzte. »Das ist Giles. Wenn er ein Auto in ein anderes hinein fährt, klingt das anders, als bei irgendeinem anderen Menschen. Ich kann es richtig hören. Mein Gott, Sir Gerald … Ihr Rolls Royce!« Wie ein Mann drehten wir um und rannten wie die gehetzten Affen wieder zurück. Dabei stellte ich erstaunt fest, dass Lady Janet mit uns ausgezeichnet Schritt halten konnte. Wir stürzten aus dem Gasthaus. Auf den Parkfeldern standen insgesamt fünf Autos, die nun alle etwas mitgenommen aussahen. Der einzige Wagen, der völlig unberührt geblieben war, war der Rolls Royce. Wir atmeten auf. Ein hagerer, wenn nicht dürrer Mann Ende Zwanzig stieg aus dem Corpus delicti, sprich Döschwo. »Mein Gott, das tut mir Leid, Willie!«, rief Giles. »Schon gut, du bist ja wenigstens nicht ins Haus gefahren.« Willie beugte sich zu uns. »Wenn er euch die Hand schüttelt, passt auf, dass er sie nicht abbricht. Giles ist eine wandelnde Katastrophe.« Das war er tatsächlich, aber er war auch so rührend unschuldig, dass es fast wehtat. Er tappte wie ein Kind in der Welt herum, schmiss alles über den Haufen und ließ nur Chaos hinter sich zurück. Aber etwas konnte er: er konnte Menschen heilen. Modesty hatte gesehen, wie er in Afrika mit völlig ungenügender Ausrüstung die schwierigsten Operationen ausgeführt hatte. Was zurückblieb, waren zwar schreckliche Narben und Entstellungen, aber die Menschen wurden wieder gesund! Er war kein guter Arzt, es ist ein Rätsel, wie er überhaupt die Prüfung geschafft hatte. Seine Heilungsmethode kannte nicht mal er selbst. Sie funktionierte einfach, egal wie. »Was machst du überhaupt hier?«, fragte Willie ihn, als wir alle zusammen wieder reingingen. »Die Prinzessin hat mich zu einer Woche Ferien eingeladen. Ich komme direkt aus Lesotho, wo die schrecklichste Beulenpest seit dem Mittelalter herrscht.« Ich wollte ihm gerade die Hand geben, zog sie aber rasch zurück. Er schien es nicht zu bemerken und erzählte:»Um mich herum sind alle gestorben. Ein deprimierender Job. Also bin ich zurückgekommen. Nächste Woche gehe ich nach Sumatra. Dort herrscht angeblich eine Choleraepidemie.« Selbst Willie hatte Hemmungen, Giles zu nahe zu kommen. »Bist du sicher, dass du gesund bist?« »Ja, sicher. Warum denn nicht?« Giles denkt nie an das Nächstliegende. Bei all den Katastrophen, die er entfesselt, oder in die er hineingerät, passiert ihm selbst nie was! Endlich traten wir in ein flaches Lagerhaus hinter der Treadmill. Am anderen Ende des Korridors lag ein regelrechter Dojo. Ein Judo-Traningsraum, ausgelegt mit einer dünnen Reismatte. Eine schwarze Gestalt mit einem japanischen Kurzschwert wirbelte darauf herum und hackte Löcher in die Luft. Dann begann der Ninja sich um die eigene Achse zu drehen. Das Schwert verwandelte sich in ein silbernes Band, das so schnell herumschoss, dass man glaubte, es sei ein gewaltiges Stahlband, das um den Kämpfer herumschwebte. Das Band veränderte seine Form in eine komplizierte Figur, die es beibehielt.

91 Wir standen wie gebannt. Der Anblick faszinierte uns. Endlich hielt der Ninja an und stützte sich gegen die Wand. Modesty nahm die Kapuze ab. Wir applaudierten, und Willie ging zu ihr. »Wenn mir nur nicht immer so schwindlig werden würde«, klagte sie. Dann straffte sie sich und begrüßte uns. Sie stellte uns Steve und Dinah Collier vor. Steve war eine Art Tausendsassa. Machte alles und nichts. Modesty kannte ihn schon sehr lange. Als ich Dinah die Hand gab, sah ich ihre leeren Augen. Sie war blind. Aber Moment … als sie auf uns zugekommen war, war sie sauber einem Tisch ausgewi- chen, der im Weg stand. »Was verwirrt Sie so?«, fragte sie. Die Frage verwirrte mich nur noch mehr. »Wie können Sie das sehen?« »Ich rieche es. Und ich höre die Umgebung.« »Außerdem hat sie das perfekte elektrische Gespür als Wünschelrutengängerin«, bemerkte Willie. »Ich kann einen Menschen am Geruch erkennen, auch wenn das etwas unanständig klingt. Willie riecht zum Beispiel wie eine zerquetschte Trompete. Und Modesty wie Brandy.« »Hochinteressant«, meinte Urs. »Und wie riechen wir? Wir haben keine Ahnung, denn die meisten Menschen, mit denen wir es zu tun kriegen, sagen immer wieder, dass sie uns nicht riechen können.« Dinah ging vom einen zum anderen. Markus hielt sie für einen Granitfelsen. »Soll das heißen, dass, wenn Sie neben einem Felsen stehen, denken würden, ich stände neben Ihnen.« Sie wiegte grinsend den Kopf. »So lange ich ihn nicht abtaste, vielleicht.« »Danke, das ist nicht nötig.« »Möchte ich auch geraten haben«, erklärte Steve Collier todernst. Jürg verglich Dinah mit Graphit. »Kommt wahrscheinlich von den technischen Zeich- nungen«, meinte er. Hervé hielt sie für Sand und Urs für Ebenholz. Als sie zu mir kam, zögerte sie. »Was ist denn?«, fragte ich alarmiert. »Es ist … seltsam«, gestand sie zögernd. »Was soll das? Sagen Sie es.« Sie legte die Hand auf den Mund. »Nein, das kann ich nicht. Wirklich. Tut mir Leid.« »Flüstern Sie es mir ins Ohr.« »Tut mir wirklich Leid, das … kann ich wirklich nicht.« Die anderen starrten mich an, und Markus staunte:»Er benimmt sich nicht nur wie ’n Idiot, er riecht sogar so!« Modesty mischte sich lachend ein. »So, das reicht. Hallo, Giles. Freut mich dass du da bist. Pass auf, die Vase neben dir! Puh. Guten Tag, Sir Gerald. Sie klangen ja reichlich dringend am Telefon.« »Das liegt an den Komikern da.« »So? Was gibt’s denn?« Ich zögerte. »Ich weiß nicht, ob wir … « Dinah reagierte unheimlich schnell. »Komm, Steve. Wir gehen noch ein bisschen hin- über. Ich habe einen mächtigen Durst.«

92 »Dann gehen wir. Ich will doch meine zarte Blume nicht eingehen lassen. Der Name Collier wäre für immer mit unabwaschbarem Schmutz beworfen.« Lady Janet und Sir Gerald schlossen sich den beiden diskret an, nur Giles spielte mit dem Schwert herum und versetzte Modesty damit in einen kurzfristigen Panikzustand. In diesem Moment rutschte ihm das Schwert aus den Fingern. Er fing es sauber auf und zwar an der rasiermesserscharfen Klinge! Er hängte es verlegen wieder an die Wand und verdrückte sich. Giles passiert eben nie was. Modesty führte uns in ihre elektromechanische Werkstatt. Die Bänke waren mit Unmassen von elektronischen Einzelteilen übersät. Da waren sogar ein Elektronenrastermikroskop und ein Diamant- schneidegerät. Markus holte Luft. »Wir wollen, dass Sie eine Bank überfallen.« Modesty blickte uns an. Dann lachte sie. »Nein, das wollt Ihr nicht.« »Wollen wir doch.« »Das nehme ich euch nicht ab.« »Es ist im Sinne der galaktischen Republik.« »Damit habe ich jetzt irgendwie noch mehr Mühe.« »Wir wissen nicht mehr, als dass dieses Geld eine wichtige Rolle spielt und dass es keinesfalls in die falschen Hände geraten darf. Wir haben den Auftrag von Präsidentin Skywalker persönlich.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Mit anderen Worten, Ihr wollt nicht eine Bank überfallen, Ihr wollt effektiv nur ein einziges Konto leer plündern.« »So ähnlich. Nein, eher genau.« »Was würde sonst passieren?« »Wissen wir nicht. Leia wollte uns nichts sagen. Es sei zu brisant.« Sie deutete auf mich.»Selbst für unsere helvetisch-italienische Skandalnudel?" »Mann, das ist echt ’n neuer Härtegrad«, knurrte ich wider Willen beleidigt. »Sie werden mit uns, Walter Ballantine und Thunderbolt zusammenarbeiten«, erklärte Markus. »Von Ballantine habe ich gehört, und ist Thunderbolt nicht der mit dem Flakgeschütz?« »Genau.« »Was springt dabei raus?« »Für die beiden ein totaler Straferlass«, antwortete ich und fügte hinzu:»Für Sie gibt’s nichts.« Sie hob die Augenbrauen und zündete sich eine Zigarette an. »Wieso für mich nichts?« »Weil wir Ihnen nichts bieten können, was Sie interessiert oder Sie sich nicht selbst beschaffen können.« Sie nickte nachdenklich. »Ich soll es also umsonst machen.« Wir nickten wortlos. Sie musterte uns nachdenklich. »Und warum sollte ich es dann machen?« »Weil es Ihnen Spaß macht«, behauptete ich. »Glaubst du?« »Jaaa.« Sie tauschte einen Blick mit Willie, der sich ein Grinsen verbiss. »Wann?« »Sobald wir die Planung fertig haben. Spätestens übernächste Woche.«

93 »Warum?« »Keine Ahnung. Der Termin wurde uns vorgeschrieben.« »Ihr spinnt ja!« Sie schüttelte den Kopf. »Welche Bank?« »Eine Privatbank in Bern.« »Wie viel Geld?« »Es sind republikanische Credits. Umgerechnet ist es angeblich etwa in der Größenord- nung von dreizehn Milliarden Dollar.« Die Zigarette fiel zu Boden. Selbst die anderen starrten mich an. »Hab’ ich vergessen, euch das zu sagen?«, stotterte ich. »Äh … « Modesty hob mit zitternden Fingern die Zigarette wieder auf, und Willie setzte sich schwer auf einen Stuhl. »Bist du vom wilden Affen gebissen?!«, fragte Modesty etwas heftig. »Wie willst du denn das abtransportieren? Mit einer Lockheed C-5? Oder mit einem Sternzerstörer?« »Weiß ich nicht. Wir müssen ja noch planen.« Modesty blickte Willie an. »Wir sind von Psychopathen umzingelt! Lagert das Geld wirklich alles in der Bank? Die müssten ja einen Tresor haben, der größer ist als das Bundeshaus.« »Vielleicht ist es bloß Buchgeld.« »Dann könnte man es auch einfach transferieren«, meinte Hervé. »Das merkt man«, konterte Modesty. »Man braucht bloß die Buchung wieder rückgängig zu machen. Na, ich kann nur hoffen, dass Ballantine was einfällt. Bei mir herrscht im Moment Sendepause. Bin noch zu schockiert.« »Heißt das, Sie machen mit, Miss Blaise?« Sie blickte nachdenklich ins Leere. »Als Partner sollten wir uns duzen, findet ihr nicht?«

94 2

Allmählich wird’s brenzlig

17. Februar 1988 / Askalon Senator Quen brach der eiskalte Schweiß aus, als er das Ferngespräch entgegennahm. Die Hyperraumfrequenz war recht gestört, und Yegars Gesicht wurde zeitweise undeut- lich. Um zu sehen, dass Yegar stocksauer war, reichte es aber allemal. »Sie sind sehr unartig gewesen, Quen«, stellte er mit bösartiger Gelassenheit fest. »Wo … wovon reden Sie?«, würgte Quen mühsam hervor. »Stellen Sie sich nicht noch dämlicher als Sie schon sind!«, versetzte Yegar grob. »Mona- telang läuft alles bestens mit den Hetzkampagnen, dann haben Sie eine außerordentliche Unterredung mit Präsidentin Skywalker, und kaum sind Sie zur Tür raus, wird auf der Erde ein Kommandotrupp organisiert, der den Auftrag hat, mich auffliegen zu lassen. Haben Sie es sich etwa anders überlegt?« »Nein, nicht im Geringsten. Meine Loyalität gilt nur Ihnen, das wissen Sie doch.« »Ich weiß, dass Sie mich verpfiffen haben. Tauchen Sie als Bettler unter, das ist mir egal. Innerhalb der nächsten zwei Stunden sind Sie tot.« Das Bild erlosch. Quen umklammerte verzweifelt seine Sessellehnen, der Schweiß lief ihm über die Stirn. Er stand mühsam auf und ging auf den Balkon hinaus, blickte auf die Hauptstadt von Askalon hinunter. Seine Stadt. Sein Planet. Sein Raumsektor! Die Situation war mehr als beschissen. Er musste endlich die Wirtschaft sanieren, aber ohne Geld ist das eine ziemlich unmögliche Angelegenheit. Eine Weile hatte er Yegar nachgegeben, aber dann hatte sich sein Gewissen gemeldet. Yegar hatte Recht, er hatte Leia alles gebeichtet. Quen wollte kein neues Imperium. Er hörte ein Geräusch und drehte sich um. Es war seine Sekretärin, und er rang sich ein Lächeln ab. »Hallo, Jenna.« Sie antwortete nicht. In ihren Augen glitzerten Tränen. »Was ist denn?«, fragte er besorgt. »Ich liebe dich«, sagte sie. Er nickte verständnisvoll und drehte sich wieder um, genoss die Aussicht auf die Stadt. Sie trat hinter seinen Rücken und sagte:»Ich habe eine Giftkapsel im Bein, die per Funk ausgelöst werden kann.« Er fuhr herum. »Was?!« »Aber ich werde für meine Tat bezahlen.« Damit stieß sie ihn über die Balkonbrüstung. Sie zögerte keine Sekunde und folgte ihm. Der Balkon befand sich achtzig Meter über dem Boden. Da hat man eine Menge Zeit zum Schreien.

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95 18. Februar 1988 / Coruscant »Das gibt eine politische Katastrophe, wenn du nichts unternimmst!«, knirschte Han Solo. »Was soll ich denn tun?«, fauchte Leia zurück. »Der Trupp ist organisiert.« »Trupp nennst du das? Die Chaoten und drei Kriminelle?!« »Ich wiederhole: was soll ich denn sonst machen? Die Flotte aufmarschieren lassen und alle finanziellen Geschäfte der Erde konfiszieren?« »Es wäre verdammt viel sicherer.« »Das kann ich nicht! Das wäre ein Präzedenzfall, der alle Sternsysteme der Galaxis in Panik versetzen würde. Das gibt etwa dieselbe Katastrophe.« »Du weißt, dass die Republik auf einem Drahtseil balanciert. Und sie darf weder auf der einen noch auf der anderen Seite runterfallen. Sie muss einfach auf dem Seil bleiben!« »Nur bis nach der Wahl. Vorher darf ich nichts riskieren.« »Und wenn man es publik macht?« »Wir haben keine Beweise, Han!« Han zuckte zusammen. »Ohne einen einzigen Beweis, dass das Ganze überhaupt stimmt, lässt du vier Millionen Credits klauen?« »Ich … habe … keine … andere … Wahl!«, brüllte sie, dass er zurückzuckte. Sie beruhig- te sich mühsam wieder und rang nach Atem. »Hör zu, Han. Auf dem militärischen Gebiet bist du eine Kanone, aber die Politik musst du mir überlassen!« »Mir ist einfach nicht wohl dabei«, brummte er. »Glaubst du, mir? Was wir einmal großartig als die neue Republik bezeichnet haben, ist nur noch ein wurmstichiger Müllhaufen. Wahrscheinlich war er das von Anfang an, und es wurde Zeit, dass wir es mal merken. Nur im Senat, wo es darauf ankommt, sitzen noch vernünftige Leute. Und wir dürfen nicht riskieren, dass einer von denen, die korrupt sind, an die Macht kommt.« Han wurde bleich. »Korrupte Senatoren? Weißt du überhaupt, was du da sagst?« »Wahrscheinlich noch besser als du. Irgendeiner von denen will an die Macht. Und was dann geschieht, weiß keiner.« »Wer würde dich schon abwählen?« »Von sich aus vielleicht keiner. Übrigens, Quen ist gestern aus dem Balkon gefallen. Ein armseliger Tod. Und so rein zufällig. Seine Sekretärin purzelte hinterher. Anscheinend ein Eifersuchtsdrama. Oder was glaubst du?« »Irgendwo ist hier ein dicker, fetter Wurm drin.« »Stimmt, und er sitzt im Senat! Wenn ich nur wüsste, was er vorhat. Wenn ich nicht sicher wäre, dass er etwas vorhat, das meinen Idealen von einer friedlichen Galaxis widerspricht, würde ich gar nichts unternehmen.« »So kann das nicht weitergehen. In den letzten sechs Monaten sind fünf Senatoren rein zufällig ums Leben gekommen. Mit Quen sind es jetzt sechs. Alle waren Senator eines Raumsektors, dem es wirtschaftlich mies ging.« »Und alle waren sie mir gegenüber völlig loyal. Von den neuen höre ich nur noch Kritik.« »Der Senat besteht aus achtundfünfzig Mitgliedern. Sechs machen noch nichts aus.« »Der Rest lässt sich eben kaufen. Sie brauchen das Geld, um ihre Wirtschaft zu finanzie- ren. Deshalb lasse ich das Geld klauen, damit sie es sich anders überlegen.«

96 »Werden Sie es sich anders überlegen? Und wenn sie denken, dass sie das Geld einfach später kriegen?« »Das muss ich riskieren.« »Verdammt, Leia! Du hast nicht nur keinen Beweis, du weißt noch nicht mal, ob es überhaupt was nützt! Wenn sie trotzdem gegen dich stimmen, dann ist Mister X an der Macht. Und gegen den werden sie dann nicht mehr aufmucken, weil sie dann kein Geld mehr kriegen.« »Du sagst es! Wenn ich nur daran denke, wie sie alle geklatscht haben, als ich den galaktischen Schlagerwettbewerb inszeniert habe. Wir stecken in einer effektiven Regierungskrise, ohne dass die Öffentlichkeit was davon merkt.« Han schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wie ist das alles überhaupt passiert?« »Ich glaube, wir haben uns etwas zu stark beeilt, als wir damals den Senat neu gründe- ten. Wir hätten uns die Senatoren besser aussuchen sollen. Erinnerst du dich an die Hetzkampagnen? Mir wird die Schuld angelastet, dass wir wirtschaftlich nicht sonderlich gut dastehen. Was erwarten denn die Typen?! Das Imperium hat die Wirtschaft in Grund und Boden gestampft! Die Galaxis verbraucht viel und produziert wenig. Mehr produzie- ren heißt mehr investieren. Investieren womit, verdammt! Es ist ein leichter Aufwärtstrend vorhanden, aber das wird geflissentlich übersehen, es könnte ja das negative Bild verbessern. Ich erziele keine Resultate, sagen sie. Erwarten die etwa, dass ich eine galaktische Wirtschaft, die fünfzig Jahre lang gründlich in den Sand gesetzt wurde, in drei Jahren wieder flott mache?! Manchmal frage ich mich, warum überhaupt einer auf meinen Posten scharf ist.« »Vielleicht ist einer der Meinung, so, wie’s vorher war … war’s besser.« Leia starrte Han an. In ihren Augen lag blanke Panik.

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19. Februar 1988 / Zollikofen Briefing in der Stube bei mir zu Hause. Die Gläser stellte ich mitten auf den Stadtplan von Bern, und die Colaflasche platzierte ich neben den Aschenbecher, in den Modesty soeben die erste Zigarettenasche schnippte. »Eins ist ja wohl klar«, sagte sie. »Wir können unmöglich mit gezogener Waffe rein und dreizehn Milliarden Dollar davon schleppen. Wie viele Franken sind das überhaupt?« »Beim gegenwärtigen Kurs etwa zwanzig Milliarden«, rechnete ich. »Vor einem ganzen Jahr wären es noch sechsundzwanzig gewesen.« »Dann müssen wir das Geld eben per Computer umbuchen«, schlug Hervé vor. »Spitze«, knurrte Thunderbolt. »Und am nächsten Morgen sieht der Informatiker, was passiert ist, und macht die Buchung rückgängig.« »Schalt mal dein Hirn an, Walter!« Es wurde ganz still. Vögel zwitscherten. Die Bahn fuhr unten vorbei. Ein Nachbar fuhr mit dem Auto weg. Ballantine überlegte. Von irgendwoher schien eine unhörbare Glocke zu läuten. Dann straffte er sich. »Ich hab’s.« Er erklärte etwa zehn Minuten lang, und wir wurden immer blasser und bleicher.

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97 20. Februar 1988 / Universum Es war einmal ein elektrischer Strom, der in einem Generator geboren wurde. Er floss friedlich durch das Stromnetz und wartete darauf, dass er gebraucht werden würde. Es kam rascher als erwartet, und plötzlich befand er sich in irgendeinem Haus, stürzte ungehindert durch die Sicherungen und fand sich plötzlich in einem elektronischen Gerät wieder. Er geriet in einen Mikrofonkreis, wo gesprochene Worte ihm eine bestimmte Form verpassten, was ihm nicht gerade so gefiel. Aber ein paar mächtige Kondensatoren zwangen ihn dazu, diese Form beizubehalten. Man schickte ihn in eine komplizierte Schaltung, die ihn auf das Schrecklichste zerhackte und entstellte. Plötzlich fand er sich in der Luft wieder, wo er in gerader Linie seinen Ursprungsplane- ten verließ. Nach wenigen Zehntelssekunden krachte er in ein metallenes Objekt und wurde durch eine komplizierte Umschaltachterbahn geschleudert. Eine seltsame Verän- derung ging mit ihm vor, und er machte sich frei von den Geschwindigkeitsschranken seines Lichtkollegen. Mit unvorstellbarem Tempo raste er durch eine ihm fremde Form von Raum und schmetterte gleich wieder in so ein metallenes Objekt, dessen Schaltungen ihn sofort wieder auf einen Planeten hinabschickten, wo er wieder in so ein elektronisches Gerät krachte. Andere Schaltungen operierten seine Entstellungen und gaben ihm seine ursprüngliche Form zurück, die er dann endlich an einen Lautsprecher weitergeben konnte, der seine Form mechanisch nachbildete und die Luft in entsprechende Schwin- gungen versetzte. Er floss weiter, begrüßte seinen Artgenossen, der ihm in entgegenge- setzter Richtung entgegenkam, und stürzte sich endlich alt und verbraucht in den isolierten Boden, wo er sich verteilte und auflöste. Wir waren ihm sehr dankbar für seine Reise, denn uns ging durch ihn endlich ein Licht auf. »Hallo, bist du das, Ivo?« »Ja, und zwar live, Leia.« »Wie weit seid Ihr?« »Wir sind an der Planung und haben eine Idee.« »Wer hatte die Idee? Du?« »Nein.« »Dann bin ich beruhigt. Wer dann? Walter Upjohn Ballantine?« (Pause) »Woher weißt du, dass er bei uns ist?« »Von der Gegenseite.« »Was?! Die wissen Bescheid?« »Tut mir Leid.« »Leia! Du sagst mir jetzt sofort, was los ist, oder wir steigen geschlossen aus.« »Nicht über Funk.« »Ich bitte dich, Leia! Die Frequenz ist ringmoduliert, phasenkonjugiert, zerhackt, digitali- siert und verschlüsselt mit einem Code, den nicht mal Gott kennt! Ich schwöre, dass wir die Sache sausen lassen!« »Okay, das reicht. Hör zu, wir haben hier im Moment die größte Regierungskrise, seit Palpatine sich zum Imperator gewählt hat. Man bezeichnet mich als unfähig, wiegelt das Volk mit beachtlichem Erfolg gegen mich auf, und ein sektionistischer Sympathisant versucht die anderen Senatoren zu bestechen und zu erpressen, damit sie ihn an die Macht wählen. Leider weiß ich nicht, wer es ist. Die größte Rate an Bestechungsgeldern ist auf der Erde in dieser verdammten Bank. Das Geld muss weg, und ich werde in meiner

98 Senatsansprache vor der Wahl die Senatoren so verunsichern, dass sie es sich anders überlegen. Der Typ hat sich immer die Senatoren ausgesucht, denen es in ihrem Sektor wirtschaftlich mies ging und dringend Geld brauchten, um ihren Haushalt zu sanieren. Bist du noch da?« »Ich weiß nicht so genau. Es kommt mir eher vor, als schlafe ich und habe irgendeinen fürchterlichen Albtraum. Könntest du mich bitte wieder aufwecken?« »Du bist hellwach! Sagt dir der Name Quen etwas? Er war einer meiner loyalsten Mitarbeiter. Verdammt, er hat sogar mit uns zusammen in der Rebellen-Allianz gekämpft! Letzte Woche kommt er daher und sagt, er habe Geld genommen, aber sein Gewissen zwänge ihn dazu, mir die Wahrheit zu sagen. Ich rufe euch zu Hilfe, und vor drei Tagen fällt er ganz zufällig aus dem Fenster und seine Sekretärin purzelt hinterher. Angeblich ein Eifersuchtsdrama. Und er ist schon der sechste im letzten halben Jahr! Mister X hat Ambitionen.« »Was will der denn überhaupt?« »Erinnerst du dich an den vollen Namen der Sektion?« »Ja. Sektion zur Wiedererrichtung des Imperiums.« »Damit müsste deine Frage beantwortet sein.« »Aber der spinnt doch! So was geht doch nicht von heute auf morgen.« »Du selbst warst doch so erschrocken, als ich dir gezeigt habe, was ich als Präsident für Handlungsvollmachten habe. Wenn er erst mal auf dem Stuhl sitzt, hat er immer noch über die Hälfte des Senats in der Hand. Und wer nicht spurt, fliegt. Erst wird er ein paar Veränderungen an der Regierungsspitze vornehmen, da und dort etwas in den Machtbe- fugnissen ändern, und ganz plötzlich wird es keiner mehr wagen, ihm zu widersprechen, weil er das Militär und die Flotte in der Hand hat. Genau wie Palpatine vor fünfzig Jahren. Die alten Methoden sind eben immer noch die besten.« »Mein Gott, Leia … « »Hast du dich mal gefragt, woher die Sektion das ganze Geld hat?« »Ich dachte, es geht ihr mieser denn je, seit Morna Jerjerrod und Jin Kelmar tot sind. Nur General Veers schwirrt noch irgendwo rum.« »Stimmt auch. Sie müssen das Geld an allen Ecken und Enden zusammengekratzt haben. Die Sektion selbst kann unmöglich so viel Geld gehabt haben. Die haben einflussreiche Freunde. Ölgesellschaften, Hochtechnologieindustrien, Elektronikfirmen, Mineralabbau- gesellschaften. Genau wie wir, als wir noch Rebellen waren. Und wir haben es geschafft!« »Werd’ jetzt nicht pessimistisch, schon spring’ ich aus dem Fenster.« »Witzbold. Du wohnst ja im Erdgeschoss.« »Was treibt denn eine Firma dazu, die Sektion zu unterstützen?« »Denen geht’s doch nur um Geld. Vor allem die Hochtechnologie und die Mineralab- baubranche hat an der imperialen Kriegsmaschinerie kräftig verdient. Die Zeiten sind jetzt vorbei. Der Wiederaufbau einer Galaxis fordert höchstens die Sozialleistungen und die Baubranche. Und sie fordert sie wirklich! Unser Defizit ist aber endlich mal stationär geblieben, trotzdem brüllen sie in der Öffentlichkeit herum, dass ich unfähig wäre. Man will endlich Ergebnisse sehen. Verbesserung der Lebensbedingungen und so weiter. Verdammt, dafür sollen gefälligst die Senatoren in ihren Sektoren sorgen, das steht nämlich in deren Pflichtenheft. Anfang letzter Woche wurde ein Attentat auf mich verübt, als ich hier auf Coruscant eine Volksrede halten wollte. Ein Schwebegleiter überraschte uns total und feuerte auf das Podium. Es gab ein paar Verletzte, und der Gleiter wurde abgeschossen. Die Attentäter hatten nichts mit der Sektion zu tun, es war das Volk.

99 Verstehst du? Das Volk! Bei einer Routineuntersuchung meiner Präsidentenresidenz kamen drei Dutzend Wanzen zum Vorschein. In meinem Schlafzimmer war sogar eine kleindimensionierte Infrarotkamera! Wenn ich X in die Finger kriege, stopfe ich ihm das Zeug in seinen eigenen Hals!» »Weiß Han von der Kamera?« »Nein.« »Na, Gott sei Dank.« »Die wissen jetzt von euch. Braucht Ihr Hilfe?« »Brüderchen Luke wäre eine ganz hübsche Beruhigung.« »Äh … das … geht nicht. Luke gehört zu den Verletzten. Aber es ist nicht schlimm. In ein paar Wochen ist er wieder okay. Bist du noch da, Ivo?« »Mann, Leia! Sag jetzt um Gottes willen nichts mehr. Ich bin schon K.O.« »Tut mir ehrlich Leid. Das Geld muss weg, Jungs. Das Geld … muss … weg! Sonst kann ich die Senatoren nicht einschüchtern. Wenn Ihr das schafft, weiß ich nicht, wie ich euch das jemals werde danken können. Es liegt in eurer Hand!« »Halt die Klappe, sonst denk’ ich noch drüber nach.« »Du weißt, was du tun musst. Tu es.« (Pause) »Tu es!« »Ich werd’s versuchen.« Die elektromagnetische Schwingung verebbte. Da der Boden der Erde mit dem Boden von Coruscant nicht verbunden ist, wurde die Erde um ein unmessbares Bisschen an elektrischer Energie entladen, und Coruscant wurde dementsprechend aufgeladen. Die verwickelten und unkoordinierten, irgendwie quantenmechanischen Wellenmuster der Grundstruktur des Hyperraums waren fast die einzigen Zeugen dieses Funkspruchs gewesen. Fast.

*

Da mich seit Leias Funkspruch ein latenter Verfolgungswahn gepackt hatte, erfolgte die nächste Besprechung in meinem Zimmer hinten. Modesty blickte meine Diskettenbibliothek durch. »Da drauf sind also alle deine Chaos- Werke.« »Bis auf die ersten zwei«, gab ich zurück. »Das erste hab’ ich noch mit dieser Schreibma- schine geschrieben.« Damit deutete ich auf die uralte Mühle, und Modesty verzog angewidert das Gesicht. Ich kramte die Tonbandkassette aus der Hosentasche, auf der ich das Funkgespräch aufgezeichnet hatte. Ich schob das brisante Band in das Tape-Deck, schaltete alles an und spielte das Gespräch ab. Als es fertig war, legte ich eine Platte auf, spulte die Kassette zurück und überspielte das Gespräch mit der kraftvollen Filmmusik aus dem zweiten Indiana Jones-Film. Ich stellte die Lautstärke zurück, sodass wir reden konnten. »Irgendwelche Fragen oder sonst wie gearteten Bemerkungen?«, fragte ich ruhig. Mehr als »Scheiße« fiel Modesty nicht ein. Ich griff zur Fernbedienung des Fernsehers und stellte auf Space-News, den Sondersender, der die aktuellsten Sachen aus der Republik brachte. Keine Unterhaltung, nur Berichte über dies und das. Im Moment lief gerade eine Sendung über die Erzminen auf Metalorn. Ich stellte den Lautsprecher ab.

100 Thunderbolt zündete sich eine Zigarette an, und Hervé wollte prompt das Fenster aufmachen. »Setz dich!«, peitschte Modesty. Er zuckte zusammen. »Ich bin aber Nichtraucher«, protestierte er. »Lass ja das Fenster zu«, beharrte sie. »Lass den Laden ganz runter.« Hervé gehorchte verstimmt. Modesty erklärte:»Ich selbst habe mal jemanden abgehört, indem ich einen Laserstrahl auf das Fenster gerichtet habe. Der Strahl wird zurückreflektiert und von einem Empfän- ger ausgewertet. Wenn wir sprechen, schwingt die Scheibe mit, nur viel schwächer. Die Schwingungen übertragen sich auf den Laserstrahl und von ihm auf den Empfänger. Das ist eine todsichere Abhörmethode.« »Das fällt dir ein bisschen früh ein«, knurrte Markus. »Jetzt haben sie das Funkgespräch mitgekriegt.« »Bis eben wusste ich nicht, wie brisant es tatsächlich ist. Aber die Gegenseite weiß ja sowieso schon Bescheid. Und wenn sie weiß, dass wir auch Bescheid wissen, dann weiß sie wenigstens, dass sie uns nicht mehr überrumpeln kann.« »Modesty.« Ich kratzte mich am Kopf. »Vor meinem Fenster liegt eine Böschung. Wenn die also mit einem Laserstrahl auf das Fenster zielen, dann wird er, von oben kommend, in den Boden reflektiert. Der Strahl muss doch auf gleicher Höhe sein.« »Dann zieh den Laden hoch und guck raus.« Das machte ich. Aus anderen Gründen betrachtet kriegen altbekannte Gegenstände oftmals einen neuen Blickwinkel. Die Böschung reichte tatsächlich nur bis auf dreiviertel Höhe des Fensters. Darüber war der Hübeliweg mit dem Gehsteig auf der anderen Straßenseite. Etwas rechts stand ein Autophon-Schaltkasten für die Drahtfernsehanlage. Urs legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich bin todsicher, dass gestern ein Servicewa- gen von Autophon da war und da drüben etwas gebastelt hat.« Mein Kopf flog herum. »Was?!« »Im Ernst. Ich hab’ nicht weiter drauf geachtet, aber jetzt fällt’s mir wieder ein.« »Mist.« Ich schwang mich aus dem Fenster und kletterte die Böschung hoch. Der Kasten steht da doch schon seit mindestens zehn Jahren! Und er sah nicht anders aus als sonst. Ich ging über die Straße und betrachtete ihn von nahe. An der Seite ist normalerweise ein kleines, rundes Lüftungsgitter angebracht. Es war nicht mehr da. Um das Loch waren Schleifspu- ren zu sehen und vier leere Schraubenlöcher. Da war etwas abmontiert worden! Man braucht eigentlich einen Inbusschlüssel, um die Tür aufmachen zu können. Ich richtete den Finger darauf und drehte ihn. Klack. Ich zog die Tür auf. Als gelernter Radio- und TV-Elektriker, Spezialausbildung Anten- nenbau, erkannte ich sofort die Antennenverstärker für die drei Frequenzbänder. Abzweig- und Stichdosen, Abgleich-Potentiometer und die 75-Ω-Kabel. Die Hauptleitung war bloß 60 Ohm. Altes System. Ich habe in meiner Wohnung auch noch eine alte Bosch- Dose. Der Kasten versorgte wohl die neuen Häuser gegenüber von mir. Aber da war eindeutig etwas, das nicht dazugehörte! Ein kleiner Schaltkasten mit Leuchtdioden und der Aufschrift Telecommunication Systems. Die Antennenverstärker waren aber alle von Siemens. »Hast du was gefunden?«, rief Modesty von unten aus dem Fenster.

101 Ich blickte in das Loch auf der Seite und sah einen kleinen Spiegel auf einer Führungs- schiene. Entgegen dem Widerstand einer Feder zog ich ihn heraus und stellte fest, dass man aus dem Loch durch den Spiegel genau mein Fenster sehen konnte. Ich hielt den Kopf genau vor das Loch und blickte in mein Fenster. Im selben Moment blendete mich etwas derart scharf und brutal, dass ich zusammenzuckte, die Augen zukniff und mir den Kopf hielt. Ich kriegte plötzlich grauenhafte Kopfschmerzen. »Was ist los?«, fragte Modesty beunruhigt. Ich verkrümmte die Führungsschiene und verdrehte den Spiegel, sodass er garantiert nicht mehr in Lauschposition gestellt werden konnte. Dann stand ich auf und lief zurück, fiel die Böschung fast hinunter und kletterte wieder rein. »Was hast du?«, fragte Markus. »Ich hab’ Laserempfänger gespielt«, antwortete ich. »Dabei hat mich der Laserstrahl genau im Auge erwischt. Ah, das tut weh. Du hattest Recht, Modesty.« »Du solltest das Auge untersuchen lassen«, mahnte sie mich. »Ein Laser kann die Netzhaut ablösen.« »Ich sehe immer noch gut. Es geht schon wieder besser. Wenn doch erste Anzeichen auftreten, gehe ich zum Augenarzt. Aber jetzt haben wir keine Zeit.« Ballantine blickte auf den Fernseher und sagte:»Schalt mal ‘n Ton ein!« Es waren die Nachrichten, und sie verdarben uns definitiv den Appetit. »Vor drei Stunden wurde auf die Präsidentenresidenz von Coruscant ein Anschlag verübt«, erklärte der Sprecher ernst. Das Bild wechselte und zeigte den Ostflügel des Palastes, der noch aus der imperialen Ära stammte. Er glich eher einem Trümmerhaufen. »Um dreizehn Uhr siebzehn Ortszeit erschütterte eine heftige Explosion die Innenstadt von Coruscant. Militär und Feuerwehr reagierten sehr schnell. Sogar so schnell, dass der Verdacht entstand, sie seien vorgewarnt worden, ohne aber rechtzeitig etwas zu unter- nehmen. Der kommandierende Offizier dementierte das jedoch, ohne weitere Erklärun- gen abzugeben. Das ausbrechende Feuer wütete eine Stunde, bevor der Brand einge- dämmt werden konnte. Präsidentin Skywalker blieb unverletzt, aber unter den Trümmern werden zahlreiche Tote vermutet. General Solo ordnete eine sofortige Großfahndung an und rief mit Billigung der Präsidentin auf ganz Coruscant die höchste Alarmstufe aus, was einem Kriegszustand gleichkommt. Die Fahndung hatte Erfolg.« Das Bild zeigte jetzt, dass Han neben dem Sprecher saß. »Was haben Sie herausgefunden, General?« »Die elektronischen Überwachungsgeräte haben im Moment der Explosion ein starkes Funksignal bemerkt, das zweifellos den Knall ausgelöst hat, als Fernzündung. Die Art des Signals verriet uns, dass der Sender nicht sehr weit weg gewesen sein konnte, höchstens einen Kilometer. Daraufhin haben wir sofort die Umgebung abgeriegelt und die umlie- genden Häuser durchsucht. Wir wurden sehr schnell fündig und verhafteten einige verdächtige Personen.« »Was sind das für Personen?« »Das darf ich zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen nicht sagen. Sie stehen jedoch eindeutig nicht mit der Sektion in Verbindung.« »Ich danke Ihnen, General.« Han verschwand wieder aus dem Bild, und der Sprecher verlas die nächste Meldung. Ich stellte den Fernseher ab. »Verdammt! Die Lage ist explosiv. Noch ein Funke, und alles fliegt in die Luft.«

102 »Kriegszustand«, wiederholte Urs. »Das hat’s in der Republik seit dem Imperium nicht mehr gegeben. Und mir scheint, dass dieser X bereits auch einige Teile des Militärs in der Hand hat, wenn man das Gefühl hat, dass sie möglicherweise vorgewarnt gewesen seien.« »Wir sollten uns beeilen«, meinte Thunderbolt. »Je eher das Geld weg ist, desto eher haben die da draußen etwas Luft. Wenn dein Plan funktioniert, Walter, dann kommt so schnell keiner mehr an das Geld ran.« »Ja, wir sollten so schnell wie möglich losschlagen«, bestätigte Ballantine. »Zieh dich um, Modesty!« »Mit Vergnügen.«

*

»Das ist irgendwie … scheußlich«, flüsterte Leia, als sie auf den Trümmerhaufen des Ostflügels starrte. »Was sagtest du?« Han beugte den Kopf zu ihr. »Ich haue ab«, erklärte sie entschlossen. »Du hast den Kriegszustand ausgerufen. Ich begebe mich an Bord des Supersternzerstörers. Ich beziehe mein Kommandoquartier und leite von dort alles. Lando kommt mit mir, ich brauche eine Befehlshaber auf den Verlass ist. Am Wahltag komme ich wieder.« »Wo willst du hin?« »Das sag’ ich dir nicht. Selbst der Besatzung werde ich es nicht mitteilen. Nur Lando und der Navigator werden es erfahren. Ich werde einfach irgendwo da draußen herumkreu- zen. Ich hab’ jetzt die Nase voll von diesen brutalen Methoden! Ich werde X notfalls eigenhändig an die Wand nageln! Such nach Beweisen! Nach irgendwas Greifbarem, egal was, aber finde etwas! Wo ist Lando?« »Da drüben an der Falcon.« »Ich darf sie doch nehmen, oder?« »Aber sicher.« Ohne ein Abschiedswort stampfte sie wütend davon und stieg ein, Lando hinterher. Die Triebwerke zündeten, die Millennium Falcon hob ab und jagte in den Himmel hinauf. Han wischte sich über die Stirn. Er hatte seine Leia noch niemals zuvor so stocksauer gesehen. Manchmal machte sie ihm richtig Angst.

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Die Lage wird gepeilt

Der Bankbeamte der Banque de Crédit et Commerce blickte hoch. Vor ihm stand eine elegante, dunkelhaarige Dame in einem absolut topmodischen Kleid und einem Sonnen- hut, den man auch als Regenschirm hätte brauchen können. Um den Hals trug sie einen rotseidenen Schal mit goldgewirkten, chinesischen Drachen drauf. Im Mund hatte sie eine Zigarette, die auf einer vierzig Zentimeter langen Zigarettenspitze steckte. Auf der Zigarette selbst stand in verschlungenen Buchstaben die Marke Pierre Cardin. »Sie … sie wünschen?«, stotterte der Beamte und stand verwirrt auf. Ihre Stimme war ein rauchiges Hauchen. »Mein Name ist Gräfin Katja Katharina Diaghi- lev. Ich möchte bei Ihnen gern ein Konto für wohltätige Zwecke eröffnen. Könnte ich bitte Ihren Bankpräsidenten sprechen?« »Ich … a-aber selbstverständlich. Würden Sie bitte einen ganz winzigen Moment war- ten?« »Aber gern«, hauchte sie und schenkte ihm einen Augenaufschlag, der auf offener Strasse zu einer Verkehrstauung geführt hätte. Er ging gefasst nach hinten, und sobald sie ihn nicht mehr sehen konnte, rannte er wie ein Verrückter. Es dauerte knapp dreißig Sekunden, bis Anatole Charpentier in seiner Eigenschaft als Bankpräsident der mondänen Gräfin den Handschuh küsste. »Ich bin erfreut, dass Sie uns mit Ihrem Besuch beehren, Gräfin. Was kann ich für Sie tun?« »Ich habe die Absicht, ein Konto für wohltätige Zwecke zu eröffnen. Ich besitze beträcht- liche Finanzmittel, die mir aufgrund des Verkaufs meines Besitzes in Monaco zur Verfügung stehen und von denen ich einen Teil einem guten Zweck zuführen will. Ich lege allerdings größten Wert auf die Sicherheitsmaßnahmen.« »Seien Sie versichert, dass uns hier die modernsten Sicherheitsanlagen zur Verfügung stehen. Unsere Konten sind absolut anonym und werden mit größter Diskretion verwal- tet. Unsere Mitarbeiter sind absolut zuverlässig und werden einer strengsten Überprü- fung unterzogen, bevor sie sich hier überhaupt einarbeiten dürfen.« »Das klingt beruhigend, dennoch möchte ich gern mal einen Blick darauf werfen.« Charpentier kämpfte mit sich, denn er wollte die Gräfin keinesfalls vor den Kopf stoßen. Schließlich rang er sich zu einer Entscheidung durch. »Aber selbstverständlich. Wenn Sie mir bitte folgen wollen? Ich führe Sie gern herum.« Die Gräfin hatte sein leichtes Zögern genau bemerkt, ließ sich aber nichts anmerken. »Sehr freundlich von Ihnen.« Charpentier drückte einen Knopf, und die Gräfin konnte hinter die Schalter treten. »Wie Sie sicher gesehen haben, befindet sich unsere Bank in demselben Gebäude wie auch die Schweizerische Bankgesellschaft. Beinahe gegenüber befindet sich das Bundes- haus, und wenn man in die andere Richtung blickt, entdeckt man am anderen Ende des Waisenhausplatzes das Polizeigebäude. Bei Auslösung des Alarms wäre es eine Sache von zwei Minuten, bis die Polizei das ganze Gebäude umstellt hat.« Während er das sagte, führte er die Gräfin, die aufmerksam zuhörte, eine Wendeltreppe aus massivem Stahl nach unten, und sie betraten einen kleinen Raum vor einem Stahlgit-

104 tertor, dessen Stäbe aus einer armdicken Stahllegierung bestanden. Charpentier winkte einem Sicherheitsbeamten der Securitas auf der anderen Seite, und der drückte einen Knopf, woraufhin das Tor zur Seite fuhr und die beiden durchließ. Sie kamen an eine verteufelt massiv aussehende Tresortür. Charpentier selbst tippte eine Codezahl in eine Tastatur, die in die Wand eingelassen war. Dabei stellte er sich unauffällig so hin, dass die Gräfin nicht sehen konnte, was er tippte. Es war eine verdammt lange Zahl, und er tippte sie mit beachtlicher Geschwindigkeit. Ein tieftoniges Klacken hallte durch den Raum, und starke Elektromotoren surrten angestrengt, um die Tür aufzuziehen. Dahinter lag der Tresor. Abgepackte Geldbündel füllten ringsum die Regale, und eine Wand wurde völlig von Schließfächern mit Num- mern eingenommen. Charpentier trat an einen Terminal in der Wand und tippte wieder etwas. An der Wand fuhr eines der leeren Schließfächer surrend heraus und klappte auf. Selbst der obere Deckel war aus acht Millimeter dickem Stahl. Charpentier schloss das Schließfach wieder. »Sehr beeindruckend«, meinte die Gräfin, als sie wieder nach oben gingen. »Jedoch werde ich wohl kaum in Verlegenheit kommen, das Geld in bar hier zu deponieren. Das wird selbstverständlich auf elektronischem Wege geschehen. Wie steht es denn mit der Datensicherheit?« »Kommen Sie bitte mit.« Sie gingen an der Wendeltreppe vorbei und kamen an eine Stahltür, die etwas leichter aussah, aber trotzdem noch über ein Tastaturschloss verfügte. Charpentier tippte in rascher Folge eine siebenstellige Zahl. Er deutete auf die Tastatur. »Sehen Sie den Modulschacht da? Jeden Tag wird die Codezahl nach einem festen Schema auf elektronischem Wege geändert. Selbst ein Stromausfall wird durch ein starkes Eigenaggregat keinen Unterschied machen.« Die Tür glitt auf. Dahinter lag ein steril wirkender, unpersönlicher Raum mit mehreren Terminals, an denen einige Beamte tippten. Kabel lagen in geordneten Reihen auf dem Boden herum, und eine starke Klimaanlage sorgte für gleichmäßige Belüftung. »Darf ich mal mit einem der Beamten sprechen?«, fragte sie und wollte auf einen der Terminals zutreten, aber Charpentier hielt sie höflich, aber bestimmt, zurück. »Sie dürfen leider nicht auf die Bildschirme blicken. Hier machen wir absolut keine Ausnahme. Das sollte Sie auch weiter beruhigen. Äh … Wyss! Kommen Sie bitte mal her.« Die Gräfin taxierte den jungen Mann, der auf sie zukam und ihr entgegen lächelte. »Was kann ich für Sie tun?« »Das ist Gräfin Diaghilev, die sich von der Datensicherheit überzeugen will.« »Machen Sie sich keine Sorgen, Gräfin.« Wyss strahlte sie richtiggehend an. »Die Leitun- gen hier sind in sich abgeschlossen, und eventuelle Datenfernübertragungen werden nur möglich, wenn aufgrund eines gegenseitigen Codeaustausches als absolut sicher erkannt wird, dass die Übertragung autorisiert ist. Und jede Buchung wird dann sofort dort drüben auf dem Magnetbandspeicher aufgezeichnet. Und die kann nicht gelöscht werden.« »Sie verstehen Ihr Handwerk?« »Das möchte ich behaupten, ja.« »Wie lange arbeiten Sie schon hier?« »Seit einem halben Jahr.« »Ich möchte nur gern wissen, wem ich so mein Geld anvertraue, nicht wahr? Wohnen Sie hier in Bern?«

105 »Ja, ganz recht. Ich bin nie weiter als fünf Autominuten von hier entfernt.« »Sehr gut. Ich danke Ihnen.« »Ich danke Ihnen.« Damit kehrte er wieder an seinen Platz zurück. Charpentier leuchtete wie eine Sonne. »Sie sehen, Sie können völlig sicher sein.« »Ja, tatsächlich.« Damit gingen sie wieder hinauf, und die Gräfin meldete ein Konto an. Als sie sich verabschiedet hatte und auf die Ausgangstür zuging, trat Charpentier an einen Wach- mann heran. »Ich will wissen, mit was für einem Wagen sie wegfährt. Überprüfen Sie die Autonum- mer.« »Wir können sie auch verfolgen.« »Nein! Discrétion.« »Ich verstehe.« Die Gräfin trat auf den Waisenhausplatz hinaus, ging zum Bundesplatz hinüber und stieg in einen rostroten Lotus Esprit, dessen Motor dröhnend aufheulte. Sie fuhr selbst und verschwand die Bundesgasse Richtung Hirschengraben hinab, dass es nur so rauchte. Der Wachmann notierte sich die britische Nummer. ESW 253 V.

*

Ballantine betrachtete die Fotos, die Modesty mit der Kamera in ihrer Gürtelschnalle geschossen hatte. »Die haben sich echt Mühe gegeben«, meinte er. Modesty faltete den roten Schal zusammen und meinte:»Allerdings. Mir ist aber keiner gefolgt, ich habe einen sechsten Sinn für so was. Den Wagen habe ich im Parkhaus City West abgestellt. Ich habe mich im Auto umgezogen und bin stinknormal mit dem Zug hierher gefahren. Ich habe aber derart intensiv über die Einrichtungen nachgedacht, dass ich vergessen habe, ein Billett zu lösen. Ich hab’ beim Kondukteur dreißig Franken berappt.« Ich prustete. Thunderbolt blieb sachlich. »Was hast du für einen Namen angegeben?« »Stephanie Hoffmann. Deutsche Touristin zu Besuch bei schweizerischen Bekannten. Ich hab’ ihm sogar den Ausweis gezeigt. Ich hab’ mindestens drei Dutzend Pässe und Identitäten. Die Gräfin gehört auch dazu.« »Die Pariser Bank macht mir weniger Sorgen«, bemerkte Ballantine. »Die stammt noch aus dem letzten Jahrhundert. Aber die hier liegt mir verdammt schwer im Magen! Ach, diese Schweizer.« »Hast du eine Idee?«, fragte Urs. »Nein.« Ballantine überlegte. Wieder ertönte irgendwo die Glocke. »Aber jetzt hab’ ich eine.«

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Vom Imperium war nur einer der Superstern- zerstörer übrig geblieben. Das sind diese gewaltigen Ungeheuer von vierundzwanzig Kilometer Länge. Keilförmig mit Anbau am Heck und einer Besatzung von mehreren Zehntausend. Eine Stadt im Weltraum, beladen mit sieben X-Flügel-Staffeln und Tausen- den von Geschützstellungen, von denen die größten ganze Asteroiden in Brocken rissen.

106 Leia mochte dieses Monster nicht besonders. Es wirkte zu Furcht einflössend, und das war eigentlich nicht der Sinn dieses Kolosses, jetzt nicht mehr. Aber man konnte es ja auch nicht gut verschrotten. Obwohl dabei genug Material anfallen würde, um vierzehntau- send Raumstationen zu bauen. Leia saß in ihrer Kabine und gab sich mit Leidenschaft der fesselnden Beschäftigung hin, die Wand anzustarren. Es war alles für die Katz’, dachte sie. Vier Jahre der erholsamen Ruhe für die Galaxis. Drei Jahre Amtszeit als Präsidentin. Ich hätte darauf verzichten sollen. Alle haben sie gejubelt. Ich sei die Erlöserin. Ich sei ein Skywalker. Das lässt sich ja nun wirklich nicht bestreiten. Nur ein Skywalker könne das Imperium vernich- ten. Luke hat es getan. Nur ein Skywalker könne der Republik wieder zu den alten Zeiten verhelfen. Und jetzt schreien sie alle, dass ich es nicht kann. Natürlich kann ich es nicht. Nicht in drei Jahren. Das kann niemand. Aber das ist ja egal. Drei Jahre zum Fenster hinausgeworfen. Für nichts und wieder nichts! Nur ein Lückenbüßer. Jemand, den man mal hinstellen kann, damit man sagen kann, dass überhaupt einer da steht. Was war die wichtigste, historische Entscheidung, die ich jemals gefällt habe, in diesem Amt? Die Neugründung? Dass ich nicht lache! Der Schlagerwettbewerb?? Dass ich nicht noch lauter lache!! Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen. Von wem stammt das? Shakespeare hieß er, glaube ich. Was geschieht, wenn ich abgewählt werde? Ich werde verduften, bevor die ganze Sache so entgleist, dass ich als politische Gefangene auf Kessel ende. Aber verdammt … für eine neue Rebellen-Allianz anzuführen, habe ich einfach keine Kraft mehr. Und keinen Mut. Es ist ja doch immer dasselbe. Man befreit unzählige Welten einer ganzen Galaxis aus dem brutalen Würgegriff einer wahnsinnig gewordenen Diktatur, freut sich der alten Ordnung, nur um gleich wieder ins Chaos zu stürzen. Es hat gar keinen Sinn. Nicht nur die drei Jahre sind verschwendet. Ich wurde in das Imperium hineingeboren. Meine Mutter, Padmé Amidala, starb, als ich geboren wurde. Senator Bail Organa nahm mich in seine Familie auf, und ich wurde seine Nachfolgerin im Senat, einer Scheinregierung, die erst noch aufgelöst wurde. Und mein Vater versuchte mich zu töten. Darth Vader. Anakin Skywalker. Mein ganzes Leben war ein Kampf gegen das Imperium. Einunddreißig Jahre. Auch die waren für nichts und wieder nichts! Noch einmal all das durchstehen, das kann ich nicht. Nicht mehr. Ich fühle mich alt. Und verbraucht. Es war alles umsonst. Und dieses Mal würde es das Volk sogar noch begrüßen. In ein paar Jahrhunderten werden sie sagen ‘Weißt du eigentlich, dass ein Skywalker mal das erste Imperium vernichtet hat?’ ‘Was?? Ausgerechnet ein Skywalker??’ ‘Kaum zu glauben, was? Die haben sich ja nachher nicht gerade mit Ruhm bekleckert.’ Leia schlug die Hände vors Gesicht und fing sich wieder. Wo ist Luke, wenn man ihn braucht? Was hat er alles für uns getan? Und was habe ich damit angestellt? Ich hätte es früher merken sollen. Viel früher. Was ist mit der Macht? Ich habe zu viele Beweise, als dass ich nicht glauben könnte, dass es sie gibt. Aber ich habe keinen Obi-wan Kenobi, der mir hilft. »Das würde ich nun wieder nicht sagen«, sagte eine freundliche Stimme, dicht hinter ihr. Sie schoss herum, sah aber nur leere Luft. Hastig drehte sie sich um. Niemand zu sehen. Wieder diese Stimme. »Die Macht ist stark in den Skywalkers. Anakin hatte sie, Luke hat sie … und du hast sie auch.«

107 »Ich kann nicht mehr«, flüsterte sie. Die Stimme bekam einen traurigen Unterton. »Wenn man nicht mehr weiter weiß, ist man am Anfang vom Ende. Aber das redest du dir bloß ein.« Ein feiner Luftzug strich über ihr Gesicht. Sie blickte sich wieder um. Niemand da. »Ben? Ben?!« Es kam keine Antwort. Leia seufzte. Ich darf mich nicht nur auf andere verlassen. Das habe ich noch nie getan. Als Jabba Han einfrieren ließ, bin ich auch selber nach Tatooine gegangen, um ihn rauszuholen. Aber da hatte ich auch noch ein Ziel vor Augen. Jetzt nicht mehr. Es gibt immer Hoffnung, das stimmt. Aber wo? Wo, bloß? Sie schnallte ihr Pistolenhalfter ab und warf ihn auf das Bett. Dieses wurde sofort darauf in mehreren Teilen von der Druckwelle an die Wand und Leia geradewegs an die Kabinentür geschleudert. Die metallenen Schienen waren dieser Belastung nicht gewach- sen, die Tür flog rückwärts aus den Schienen und krachte zusammen mit Leia draußen im Korridor zu Boden. Alarmsirenen brüllten auf.

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Auf der Brücke zuckte Lando zusammen. Er stürzte zur internen Sicher- heitsüberwachung und musste mit der Erkenntnis fertig werden, dass in Leias Kabine soeben eine Bombe explodiert war. Ein schweres Gewicht schien plötzlich auf seinen Schultern zu lasten und drückte ihn nieder. Auch wenn Leia noch lebte, musste er im Augenblick sicherheitshalber annehmen, dass sie tot war und durfte deshalb die Brücke nicht verlassen. Mindestens für eine kurze Weile war er Präsident der Republik! »Sanitätstruppen und Spurensicherung!«, befahl er heiser. »Dalli!« Drei Sekunden später meldete ein Brückentechniker ein Versagen der Gasleitungen in Leias Kabine. Das kam Lando etwas zu plötzlich, und er knirschte:»Ich will trotzdem eine Spurensicherungseinheit!« »Warum denn, Sir? Die Analyse sagt klar und eindeutig … « »Lieutenant!«, brüllte Lando. Der Offizier zuckte zu Tode erschrocken zusammen. »Ja, Sir!« Lando atmete tief durch und pfiff auf die Vorschriften. »Captain Seward, übernehmen Sie das Kommando und informieren Sie mich über alles!« »Ja, Sir.« Lando verließ die Brücke und eilte zur Krankenstation.

*

Leia lag auf der Trage und wirkte reichlich mitgenommen. Der Arzt beugte sich über sein Instrumentarium und lud eine Druckpistole mit einer Phiole. »Wie geht’s ihr?«, fragte Lando besorgt. »Nicht sehr gut. Sie hat mindestens eine schwere Gehirnerschütterung und innere Verletzungen. Der linke Arm ist zwei Mal gebrochen. Ich gebe ihr ein Kreislauf stabilisierendes Mittel.« Damit setzte er die moderne Spritze an ihren Arm.

108 Lando stand inzwischen direkt neben der Trage und fühlte, wie jemand ihm den Laser aus dem Halfter riss. Er zuckte zusammen, die Waffe tauchte plötzlich in Leias Hand auf und zeigte direkt auf die Nase des Arztes. »Wenn Sie das tun, gebe ich Ihnen ein Kreislauf zusammenbrechendes Mittel«, keuchte sie angestrengt. »Weg mit der Spritze! Aber schnell!« Der Arzt beeilte sich und packte die Spritze weg. »Du konntest es nicht sehen, aber ich«, erklärte sie in Landos Richtung. »Auf der Phiole stand ‘Hexakalicyl’.« »Oh, Mann«, machte Lando bloß, nahm Leia die Waffe aus der Hand und hielt den Arzt in Schach. Leia atmete auf. Einen Moment später irrte die Mündung ab und richtete sich auf Leia! Sie runzelte die Stirn, und noch einen Moment später schoss die Tür auf, und noch ein ziemlich ver- schwitzter Lando — der endlich den Weg von der Brücke hierher geschafft hatte — stürzte herein. Der andere richtete ohne einen Ausdruck der Überraschung die Waffe auf den neuen, kam aber nicht mehr zum Schuss. Leia schaltete, rollte sich von der Trage und riss den neben ihr stehenden Lando um; der andere an der Tür zog seine Waffe. Leia wurde weggeworfen und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Der Lando an der Tür feuerte. Der Strahl erwischte den anderen voll im Gesicht und riss es weg. Er fiel um wie eine Tanne. Leia starrte geschockt auf das vielfältige Gewirr von zerschmolzenen Leitungen und Chips. Der Arzt griff nach einem Laserskalpell und warf es eingeschaltet nach dem Lando an der Tür. Der wich aus und feuerte wieder. Der Schuss traf den Arzt in die Brust und warf ihn scheppernd über ein Medizinschränkchen, wo er zusammen mit kaputten Ampullen und anderen Gerätschaften zu Boden krachte. Es wurde still. Leia begann zu würgen. Lando steckte die Waffe nicht weg, als er zu ihr herankam und den Arm um sie legte. »Auch das noch«, zischte sie heiser. »Ein Infiltrator. Ich werde Baron Tagge die Herstel- lung dieser Dinger endgültig verbieten!« »Es gibt eine strenge Kontrolle über das Aussehen, das er ihnen verpasst.« »Aber du weißt doch, dass die Verkaufsbedingungen der unfertigen Modelle kaum einer Beschränkung unterliegen. Das werde ich ändern! Wenn ich dazu noch in der Lage bin.« Sie vergrub das Gesicht an seiner Schulter. »Verdammt, Lando. Was soll ich denn bloß machen? Nicht einmal hier bin ich sicher.« Lando starrte den kaputten Roboter an. »Die geben sich echt Mühe.«

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Ba-Ba-Ba-Banküberfall

22. Februar 1988 / Bern 22 Uhr 15 Von der Altenbergstraße aus hat man erstens einen prächtigen Ausblick auf die Aare und zweitens das Kursaal im Genick. Hier liegen entweder teure Villen oder teure Mietshäuser, und die Nummer 55 war es, die sich Modesty ausgesucht hatte. Eine Straßenlampe beleuchtete genau den Hauseingang. Modesty, in ihrem nacht- schwarzen Ninjakostüm, schraubte einen Schalldämpfer auf eine Woodsman Target Model Kaliber 22. Das Ding kannte ich, ich hab’ ein Modell davon. Sie zielte eine Sekunde, es machte ‘Puff’, und die Beleuchtung ging aus. In Stoffschuhen ganz leise huschten wir in den Hauseingang. Modesty suchte rasch die Namensschilder ab. »Zweiter Stock«, flüsterte sie. »Ich habe den Namen auf seinem Schild gelesen, als er mir das Computersystem zeigte. In ganz Bern gibt’s nur einen mit diesem Namen. Außerdem liegt das tatsächlich relativ nahe der Bank.« Ich folgte ihr. Oben an der Tür wartete sie rücksichtsvoll einen Moment, bis ich wieder zu Atem kam. »Schon außer Puste?«, fragte sie spöttisch. »Bin nicht so trainiert wie du.« Auf die Kapuze hatte sie verzichtet. Sie legte ein Ohr an die Tür und horchte. Kein Laut. Sie kramte einen kompliziert geformten Stahlstift heraus und stocherte irgendwie in dem Zylinderschloss herum. Dann drückte sie auf einen Knopf am Griff und drehte. Ich nickte beeindruckt und nahm das Laserschwert vom Gürtel. »Der Dietrich passt immer.« »Sscchht!« Leise öffnete sie die Tür, wir schlüpften rein, und sie machte die Tür wieder zu. In der Wohnung war es stockdunkel, und wir setzten die Infrarotgläser auf. Ich sah meine Umgebung in Grüntönen, je nach Wärme. Der Fernseher war noch ganz warm. Ich war noch ein bisschen nervös. War ja auch mein erster Einbruch! Und ich hoffe auch mein letzter. Modesty öffnete eine Tür. Volltreffer, das Schlafzimmer. Ein langer, grüner Fleck lag auf dem Bett und rührte sich soeben. Modesty huschte hin, warf sich auf seinen rechten Arm, hielt den linken fest und presste ihm mit der anderen Hand die Pistolenmündung an den Hals. Davon wurde er natürlich wach und begann sich zu wehren. Ich machte die Nachttischlampe an. »Oh, Scheiße.« Als unser Einbruchsopfer sah, was er da am Hals hatte, wurde er ruhig. Und sauer! »Was soll das?!« Dann sah er mich und stutzte. »Was? Du?!« »Was machst denn du hier?«, fragte ich nicht sehr intelligent. »Blöde Frage!«, schoss er zurück. »Ich wohne hier! Ich hab’ dir das an der Jungbürgerfeier gesagt.« Modesty blickte mich erstaunt an. »Kennst du den etwa?«

110 »Allerdings, das ist Stefan Wyss. Wir sind fünf Jahre zusammen in die Sekundarschule gegangen.« Ich wiegte den Kopf. »Eigentlich hat mir das gereicht.« Modesty drückte ihm mit der Mündung fast den Kehlkopf zusammen. »Der Name stimmt. Und ich bin Gräfin Diaghilev.« »Oh, verdammt!«, keuchte er bleich. »Und was wollen Sie?« »Die Codezahl für den Computerraum.« Er wurde noch bleicher. »Ähm, ich fürchte, da gibt’s ‘n Problem.« »He, die Kanone ist nicht aus Schokolade, die ist ganz verdammt echt!« »Was soll der Quatsch, Ivo? Ihr wollt doch wohl nicht die Bank ausräumen? So was steht dir nicht!« Ich brachte das Kunststück fertig, kopfschüttelnd zu nicken. »Falschrichtig. Ich will sie ausräumen, und es steht mir wirklich nicht. Rück’ jetzt die Zahl raus!« »Die hat sich um 22 Uhr bereits geändert. Wie sie jetzt lautet, weiß ich nicht. Charpentier ist immer der Erste, morgens. Er allein weiß es.« »Aber weißt du das Schema?« »Ja.« »Wie war die Zahl heute?« Er schnaufte schwer. »Ich sag’s auch nicht, wenn du’s bist.« Ich zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. »Lass ihn los!«, befahl ich und zündete mein Laserschwert. Modesty ließ von ihm ab, und er stand sofort auf. Vor der grellblauen Laserklinge wich er zurück. Ich schwitzte und war wohl grün vor Wut. »Hör zu, was ich dir jetzt sage! Ich meine es verflucht ernst, denn das, was ich in der Schule mal war, bin ich schon längst nicht mehr. Wenn du glaubst, dass ich das Geld abstauben will, nur um mich auf Zemacalion niederzulassen, dann hast du dich getäuscht. Ich kann dir nicht sagen, warum ich das alles tue, aber es ist wichtig. So wichtig, dass mir im Moment eine ganze Menge ziemlich scheißegal ist! Du sagst mir jetzt, was Ihr für ein Schema benutzt, oder ich schieb dir das Ding hier den Hals runter!« »Was ist so verflucht wichtig?«, fragte er schwach. »Ich kann’s dir wirklich nicht sagen! Du würdest mir auch wohl kaum glauben. Du sagst, es stehe mir nicht? Da hast du Recht. Ich bitte dich ein einziges Mal im Leben, mir zu vertrauen. Ein einziges Mal! In einer Woche ist alles wieder beim Alten, und kein Mensch spricht mehr von der Sache.« Er überlegte. Er sah mich in einer Verfassung, die er an mir noch nie gesehen hatte. Seit der Schule war aber auch allerhand passiert. »Bitte«, knirschte ich. »Ich will nicht tun, was ich sonst tun muss.« Der Laserstrahl befand sich jetzt nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Und die Tatsache, dass der Strahl nicht mal Hitze erzeugte, war auch nicht sehr beruhigend. »Bitte, nimm das Ding weg«, flüsterte er. »Sag’s!« »Nimm es weg, ich … « Ich zog das Schwert etwas zurück, und er entspannte sich ein wenig. »Es ist ein Verschlüsselungsalgorhythmus. Schema F. Amerikanische Entwicklung.« »Kenne ich«, erklärte Modesty. »Und welche Grundzahl?« Er atmete tief durch. »Logarithmus Basis e zur Zahl 4.7.«

111 »Danke, Stefan«, sagte ich und löschte das Schwert. »Geh morgen wieder zur Arbeit. Es ist nichts passiert. Morgen wird ein ganzer Haufen Geld verschwunden sein, aber ich schwöre dir, dass das gut so ist! Ich weiß, dass du ein guter Schauspieler bist. Tu dein Bestes!« Modesty blickte mich unsicher an, aber ich war sicher. Sie hob die Schultern. »Auf deine Verantwortung.« Wir zogen uns zur Zimmertür zurück. »Ich vertraue dir«, sagte ich. »Das erste Mal im Leben. Enttäusch’ mich nicht!« »Wenn ich wenigstens wüsste, warum«, knurrte er ärgerlich. »Glaub mir, es ist besser, wenn du’s nicht weißt. In einer Woche erfährst du es sowieso, hoffentlich. Und dann wirst du froh sein, dass du’s getan hast.« Damit verschwanden wir aus der Wohnung und starteten die nächste Phase.

*

22. Februar 1988 / Paris 22 Uhr 15 Die Banque Nationale de la République ist in einem Gebäude, das tatsächlich schon 1897 errichtet worden ist. Sie befindet sich am Fuß des Montmartre, und vom Eiffelturm aus gesehen sieht es aus, als ob Sacré-Coeur direkt obendrauf stehen würde. Drei dunkle Gestalten huschten durch die Schatten zu einem Neubau, der direkt neben der Bank entstand. Dazu gehörte natürlich auch ein zwanzig Meter hoher Kran. Markus, Urs und Ballantine kletterten hinauf. Ballantine war zwar nicht mehr der Jüngste, aber noch gut in Form. Endlich langten sie oben an. Zufällig war der Kranarm genau über das massive Bankgebäude gedreht, sonst hätte Ballantine nachträglich noch dafür gesorgt. Sie kletterten auf den aus Dreieckelementen zusammengesetzten Arm hinaus und rutschten am Drahtseil hinunter. Das Gebäude sah aus wie ein altgriechischer Tempel mit Flachdach. Aber die Fensterlu- ken waren nicht griechisch, die waren modern amerikanisch. Ballantine betrachtete sich das Glas und blickte hinunter. »Das hab’ ich mir gedacht«, flüsterte er. »Die Bank ist innen wesentlich moderner als außen. Wenn wir die Scheibe einschlagen, geht der Alarm los. In der Scheibe ist ein hauchdünner Draht eingelassen, und wenn der Strom unterbrochen wird, wird’s unangenehm laut im Quartier.« Er kramte ein kleines, elektronisches Bauteil und ein Messgerät heraus. Er maß die Spannung an den beiden Anschlüssen für den Draht. 25 Volt. »Löt’ doch einfach einen Draht drüber«, schlug Markus vor. »Geht nicht. Das ist kein gewöhnlicher Draht, der hat einen bestimmten Widerstand. Und den muss ich rauskriegen.« Er schaltete auf Strommessung um und lötete eine der Messspitzen an einem Ende des Drahtes an, wo er aus der Scheibe kam. Dabei löste er den Draht vom Anschluss, sodass der Strom jetzt vom Anschluss durch das Messgerät und dann erst durch den Draht floss. Urs hielt die Luft an. 10 Milliampère. Das macht einen Widerstand von … 2’500 Ohm. Ballantine lötete einen eigenen Widerstand am anderen Anschluss der Scheibe an, und am anderen, freien Ende des Widerstandes befestigte er einen kleinen Umschalter mit extrem kurzer Umschaltzeit. Die beiden Umschaltkontakte des Schalters befestigte er am

112 ersten Scheibenanschluss, der Strom floss jetzt durch den Schalter und den Draht. Am anderen Kontakt saß jetzt der neue Widerstand, außerhalb der Scheibe, der aber ebenfalls zum anderen Anschluss führte. Ballantine atmete tief ein und betätigte den Schalter. Ein leises ‘Klick’ verriet, dass der Strom jetzt durch den externen Widerstand floss. Urs und Markus atmeten tief durch. Ballantine presste einen großen Saugnapf auf die Scheibe, zeichnete mit einem Diamant- schneider ein Viereck auf die Scheibe, fast so groß wie die Scheibe selbst, und zog an dem Griff des Napfs. Mit einem kratzenden Knirschen hob er die Glasplatte auf und legte sie beiseite. Der Draht zerriss dabei wie ein Haar, aber der Strom floss ja jetzt durch den Außenwiderstand. Ballantine knotete ein Seil an die Fahnenstange, die auf dem Dach stand, und ließ sich in den Raum hinab. Markus und Urs folgten ihm. Sie setzten ihre Restlichtgläser auf und schlichen weiter. Ein heller, grüner Fleck auf dem Sichtschirm verriet ihnen den Standort einer Lichtschranke, und sie bückten sich drunter durch. Schließlich standen sie in der Tür zum Computerraum, der sich am hinteren Ende der Schalterhalle befand. Ballantine betrachtete den Boden. Sie hatten den Raum noch nicht betreten. Wegen eventueller Horchanlagen kritzelte er eine Mitteilung auf einen Notizblock. Sensorspannteppich! Die Sirenen gehen los, wenn man auch nur eine Stecknadel fallen lässt. Mit so was Ähnlichem hatten sie gerechnet. Urs befestigte ein Seil mit einem Karabiner- haken an seinem Klettergurt und blickte an die Decke. Etwa drei Meter von ihnen entfernt hing an der Decke in vier Metern Höhe ein großes Lautsprecheraggregat. Ballantine nahm eine kurze Stange vom Gürtel und zog sie wie eine Teleskopantenne auf eine Länge von fünf Metern aus. Sie war aus dünnem Leichtmetall, und man konnte sie gut an einem Ende halten, ohne dass ihr Gewicht sie nach unten ziehen würde. An einem Ende befand sich eine stählerne Klaue, die man mit dem Griff am anderen Ende drehen, öffnen und schließen konnte. Ein nützliches Werkzeug aus Modestys Schatzgrube. Ballantine trat zurück, und Urs hielt das andere Ende des Seils in die Klaue. Ballantine schloss die Klaue und kam wieder her. Das Ende des Seils hob er mit dem Teleskoparm über einen der Lautsprecher, nahe an der Stange, an der sie hingen. Vorsichtig löste er den Griff. Ganz vorsichtig, aber das Seil blieb tatsächlich hängen. Dann schwenkte er den Arm auf die andere Seite der Stange, drehte die Klammer und fasste das Seil wieder. Er ging zurück und zog das Seil zu ihnen her. Es lief jetzt von ihnen zu den Lautsprechern und wieder zurück. Urs überprüfte den Sitz des Karabinerhakens und hob den Daumen. Ballantine und Markus packten das andere Ende des Seils und zogen daran. Urs trat ein paar Meter zurück, sodass die beiden gezwungen waren, ihrerseits an die Tür zu treten. Urs atmete zwei Mal tief durch und rannte los. Ballantine und Markus rannten in die andere Richtung, damit das Seil straff blieb. Jetzt hieß es für Urs nicht übertreten! Genau da, wo der Sensorteppich anfing, sprang er ab und machte einen Weitsprung. Ballantine und Markus warfen sich vorwärts und sorgten dafür, dass Urs nicht landete. Stattdessen pendelte er in eineinhalb Metern Höhe unter den Lautsprechern und atmete wieder aus. Ballantine und Markus ließen etwas nach, und Urs setzte auf einem Terminaltisch auf. Urs machte bei sich das Seil los, schlang es um eines der Tischbeine und hängte den Karabinerhaken in das Seil, das jetzt mit dem Tisch fest verankert war. Ballantine reichte ihm den Teleskoparm herüber, und Urs fasste mit ihm das Ende des Seils, das die anderen immer noch gehalten hatten. Er hob es nun hoch und fand in zwei Metern Höhe ein Schild

113 über der Tür mit der Aufschrift TOILETTE. Er praktizierte es um die Stange herum, an der das Schild angeschraubt war, und ließ es wieder zu den anderen hinab. Markus verankerte es auf dieselbe Weise wie Urs an einem Türgriff. Das Seil lief jetzt vom Türgriff in den Computerraum zum WC-Schild hinauf, quer hinüber zu den Lautsprechern und von dort hinunter zum Terminal. Markus sprang hoch und hängte sich an das Seil. Es hielt. Mühsam hangelte er sich zum Terminal hinüber, die Füße immer zwanzig Zentimeter über dem Boden. Dazu ging es noch aufwärts, aber schließlich war er über dem Tisch und ließ sich fallen. Urs stützte ihn, damit er nicht vom Tisch fiel. Sie atmeten erst mal ‘ne Runde auf und blickten auf die Uhr. 22 Uhr 43. Sie hatten noch viel Zeit.

*

22. Februar 1988 / Bern 22 Uhr 45 Modesty und ich, wir schlenderten gemütlich die Spitalgasse hinab, Richtung Waisen- hausplatz. Vorne an der Ecke liegt der Merkur, und dort führt eine Treppe hinauf in ein Treppenhaus. Dort liegt unter anderem der Eingang zum Restaurant und der hintere Büroeingang zum Radio TV Steiner. Ich sah zu, wie Modesty das Zylinderschloss wieder in zehn Sekunden abwürgte, dann waren wir im Treppenhaus. Wir fuhren mit dem Warenaufzug ins dritte Untergeschoss hinunter. Da war es ekelhaft dunkel, aber mit den Restlichtgläsern sahen wir genug. Hier unten war ein rechtwinkliges Labyrinth, aber wir hatten uns das bei Gelegenheit mal angesehen. Im Nu standen wir vor einer Tür, die wir ohne weiteres öffneten. Nach knapp fünfzehn Zentimetern wurde sie von einem Metallriegel aufgehalten, der am Türrahmen befestigt war. Ich zündete das Laserschwert und schmolz es kurzerhand durch. Wir befanden uns nun unter jenem Gebäudekomplex, in dem auch die Bank war. Drei Ecken später waren wir wieder in einem Treppenhaus und stiegen zwei Etagen höher. Da war eine Tür mit diesem Tastaturschloss. Modesty holte einen Taschenrechner aus der Tasche, tippte 4.7 ein und drückte die Logarithmustaste. Dann tippte sie 15475625 in das Schloss. Mit einem Klacken öffnete sich die Tür, und wir waren in der Bank. Das war ja auch noch kein Kunststück, dieses Schloss hatte keine Schemaveränderung, nur die Grundzahl selbst. Direkt vor uns war die Wendeltreppe. Wir schlichen vorsichtig hinunter, und ich spähte in den Tresorvorraum. Der Securitas-Wächter kratzte sich am Kopf und setzte sich wieder. Anscheinend war er nicht sicher, ob er sich das leise Knacken eingebildet hätte. Modesty hob ein Blasrohr an den Mund, beugte sich hinunter, und der kleine Pfeil jagte durch die Luft. Der Wächter spürte plötzlich ein feines Jucken im Nacken, kratzte sich und fiel vom Stuhl. Ich hatte Mühe, nicht zu grinsen. »Was hast du ihm verpasst?«, flüsterte ich. »Eine Mischung aus Curare und Alkohol. Er schläft mindestens die halbe Nacht, und wenn er wieder aufwacht, wird er nicht wissen, warum er überhaupt eingeschlafen ist.« Modesty führte mich zur Tür, hinter der der Computerraum war. Sie schob ein elektroni- sches Modul in den Modulschacht, tippte etwas darauf herum, wählte ein F-Schema an, und das Modul begann in rascher Folge Zahlen auszuwählen, die diesem Schema folgten. Nach drei Sekunden, oder nach 13’000 Zahlen, klackte es, und die Tür war offen. Die verließen sich völlig auf ihre Zahlenschlösser. Na ja, und auf ihre Angestellten.

114 Modesty machte seelenruhig Licht, und wir blickten auf die Uhr. 23 Uhr 07. Wir hatten noch über zwanzig Minuten. Ich schaltete den Terminal an. Der Bildschirm erwachte zum Leben und zeigte als Erstes die verständliche Anfrage nach der Personalnummer. Daraufhin fühlte ich mich ziemlich kaputt, das kann ich euch sagen. Ich hing nur noch im Stuhl. Dann griff ich zum Telefonbuch, suchte, fand und wählte. Nach dreimaligem Läuten meldete sich ein ziemlich verschlafener Stefan Wyss. »Stefan, ich bin’s, Ivo. Ich bin in der Bank. Ja, im Ernst! Wie ist deine Personalnummer? Igitt!« Und zu Modesty:»Ich soll ihn am Arsch lecken. Hör zu, es ist schon zu spät, um noch auszusteigen. Wir sind schon in der Bank, und du hast uns das ermöglicht. Ab sofort bist du mitschuldig, und damit erpresse ich dich jetzt! Warum du das überhaupt machst? Keine Ahnung, das ist dein Problem. Aha, danke. Ja, jetzt kannst du weiterschlafen. Gute Nacht. Was heißt hier Idiot? Ich mein’s ernst. Und träum was Schönes.« Damit hieb ich den Hörer wieder auf die Gabel und tippte eine Nummer, die ich hier nicht nenne. Listen tauchten auf und ein Benutzermenü. Die folgende Viertelstunde verbrachte ich damit, das System kennen zu lernen und wählte dann einen Außenkanal an.

*

22. Februar 1988 / Paris 23 Uhr 30 Auf einer Tastatur zu tippen, wenn man darüber kniet, statt davor zu sitzen, ist höllisch schwierig, stellte Urs fest. Er hatte soeben auf freie Fernkommunikation geschaltet und wartete. Plötzlich tauchten Worte auf dem leeren Bildschirm auf.

KLOPF … KLOPF

Urs grinste und tippte:

GÄHN … WER IST DA?

Die Antwort kam sofort:

TJA, WHEN THE POSTMAN RINGS TWICE.

Markus deutete mit dem Daumen nach oben auf Ballantine. Der nickte. Urs tippte:

SCHMEISS’ DAS GELD IN EXAKT FÜNF MINUTEN RÜBER. ICH FANG ES AUF.

Die Antwort:

RRRROGERRRR

Urs stieg aus dem Menu und schaltete auf Datenfernbuchung, dann warteten sie unge- duldig. Die fünf Minuten hatten wir als Sicherheitsfrist gesetzt, für den Fall dass es Schwierigkeiten mit der Programmbedienung geben würde.

115 Als die Buchung erfolgte, tat sie das mit einer enttäuschend unspektakulären Reaktion. Hinten an der Wand standen mehrere Magnetbandschränke, wie wir sie noch aus Elvins Festung kannten. Bei einem drehten sich die Spulen mit leisem Surren um knapp drei Millimeter, das war alles. Urs überprüfte das Nostrokonto der Bank und verglich es mit dem vorherigen Stand. »Ach du heilige Scheiße«, flüsterte er unwillkürlich, und Markus stieß ihn an. Da die Bank immerhin der französischen Regierung gehörte, wälzte sie zwar jeden Tag gewaltige Summen durch die Leitungen, aber dreizehn Milliarden können die Bilanzsumme ganz schön versauen! Urs schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden, und wählte das Buchungsmenu an. Markus reichte ihm aus einer der Schubladen ein Ringheft mit der Aufschrift CONFIDENTIEL, und Urs blätterte es durch. Er tippte wieder, und auf dem Schirm erschien nach kurzer Zeit das Eingangsmenu der Chase Manhattan Bank in New York. Wir hatten uns die ausgewählt, weil deren Terminals auch nachts in Betrieb sind, wenn auch unbesetzt. Urs wählte das Nostrokonto der New Yorker Bank an und schrieb ihm die dreizehn Milliarden gut. Dann überprüfte er wieder das Nostrokonto der Pariser Bank und stellte befriedigt fest, dass es wieder auf dem alten Wert war. Dann schaltete er zurück auf Fernkommunikation und schrieb:

HAB DAS PAKET AUFGEFANGEN UND WEITERGEREICHT.

Die Antwort ließ einige schweißtreibende Sekunden auf sich warten:

GUT. HIER IST ALLES OKAY. SOWEIT DIE KURZMELDUNGEN. PHASE 3 LÄUFT AN. WÜNSCHE WOHL ZU RUHEN.

Urs tippte:

DANKE, DU PFLAUME.

Damit schaltete er ab. Er und Markus sprangen zum Seil hoch, hangelten sich zurück zur Tür, und zu dritt verdufteten sie auf demselben Weg, wie sie gekommen waren. Das Seil ließen sie freiwillig zurück.

*

22. Februar 1988 / Bern 23 Uhr 50 Modesty und ich, wir stiegen in ihren rostroten Lotus Esprit und kurvten aus der City West-Garage. In aller Ruhe fuhren wir durch Bern, und erst, als wir auf das Belpmoos fuhren, brüllten wir los wie die Irren. Wir legten uns die Arme um die Schultern und lachten, dass die Scheiben dröhnten. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, als Modesty auf einen Parkplatz fuhr. Wir gingen zur Starbright, wo Jürg, Hervé und Thunderbolt uns erwar- tungsvoll entgegenblickten. Völlig ruhig stiegen wir ein, und erst drin brüllten wir wieder los. Modesty schnappte nach Luft.

116 »Normalerweise ist das ja nicht meine Art,« meinte sie, »schließlich waren krumme Dinger bislang mein eigentlicher Lebensinhalt. Aber wenn man eben den mit Abstand größten Bankraub aller Zeiten durchführt, dann ist das schon etwas Besonderes. Es war aber auch verdammt leicht, finde ich.« »Normalerweise kriegt man bei einer solchen Gelegenheit auch nicht gleich so viel in die Finger«, meinte ich. »Das war Mister X’ Fehler.« Wir brauchten alle etwa zehn Minuten, bis wir uns erholt hatten, aber die Sache war noch nicht vorbei, ganz im Gegentum. Bei der Chase Manhattan Bank war das Geld immer noch nicht sicher. Diesen Dreisprung über Paris hinweg, den wir das Geld hatten machen lassen, diente nur dazu, die Ermittlungen aufzuhalten und zu verwirren, bis wir es an einen absolut sicheren Ort geschafft hatten. Das bedeutete aber auch, dass wir noch in die Chase Manhattan Bank rein mussten, um von dort das Geld noch eine Station weiterzurei- chen. Das dürfte dann die Computerspezialisten endgültig durchdrehen lassen. Bis nach der Wahl. Hoffentlich. Jürg meldete bei SwissControl einen Flug Bern-Stans an und startete. Völlig ordnungsge- mäß und legal flogen wir nach Stans. In die Chase Manhattan Bank kamen wir nämlich unter anderem nur mit der patentierten Thunderbolt-Methode. Es gibt Safes, die sind schwer zu knacken, und es gibt Safes, die sind leichter zu knacken. Aber knacken kann man jeden! Vorausgesetzt, man hat den richtigen Hammer.

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An die Kanone!

23. Februar 1988 / Ennetbürgen 1 Uhr 45 Jedes Mal, wenn ich irgendwie meinen militärischen Einsatzort sehe, habe ich das Gefühl, ich sei erst gerade gegangen. Und wer weiß schon, wie eine Flugplatzwache abläuft, wenn man sie nicht selber gemacht hat? Die Tore zu Stollen X waren stockdunkel, und mit den Restlichtgläsern konnte man deutlich sehen, dass das Polizeitor fest ver- schlossen war. Aber Y war aktiv. Es stand eine Wache vor dem Tor, das einen Spalt offen war. Wahrscheinlich lief drinnen eine Art Nachtübung. Na, das konnte ja heiter werden. Ich sah deutlich den weißen Streifen auf dem Magazin der Torwache. »Die haben Kampfmunition geladen«, flüsterte ich. »Na, das kann ja heiter werden«, gab Hervé zurück. Ich drehte den Kopf zu ihm. »Vertrau mir.« »Was? Dir?!« Wir verließen unser Versteck im Schatten des Restaurants Flugfeld und huschten an den Hang des Bürgenstocks hinüber. Wir, das heißt ich, Hervé, Jürg und Thunderbolt. Wir brauchten ein paar kräftige Hände für diesen Job, und ich war wohl derjenige, der am meisten zitterte, weil ich am besten wusste, was mich erwartete. Wir erreichten den Rand der Einfriedung zum Stollen Yvonne und stellten unsere Lauscher auf. Nicht der geringste Laut war zu hören. Vielleicht schlafen die Typen drin gerade. Ich stand auf und ging seelenruhig auf den Posten zu. Ich war noch zwanzig Meter entfernt, als er »Halt!« rief. Ich blieb stehen, ließ ihm aber keine Zeit, das Pikett zu alarmieren. Ich erinnerte mich an die Krankenschwester, die ich paralysiert hatte, um von ihr zu hören, dass ich doch nicht fünf Jahre im Koma gelegen hatte. Er versteifte sich und konnte keinen Muskel mehr rühren, obwohl ihm deutlich anzusehen war, dass er es verzweifelt versuchte. Im selben Moment rannten die drei anderen über den Platz. Ich ging auf den Posten zu, hielt ihn fest im Griff und hörte den Ruf vom Planton drinnen, der natürlich das ‘Halt’ gehört hatte. Jürg stürzte als Erster rein und machte dasselbe mit dem Typen am Planton. Ich lächelte den Posten an und befahl ihm, zu vergessen. Er würde sich an nichts erin- nern, bis er mal mein Gesicht wieder sehen würde. Wir gingen ganz ruhig durch den gewundenen Vorstollen. Thunderbolt schwitzte, in diese Macht hatte er absolut kein Vertrauen. Wir umgingen das Panzertor und spähten um die Ecke. Süßer Anblick. Vier Mirage III RS und darunter vierzig belegte Schlafpritschen. Die einzige Beleuchtung kam von der großen Uhr über dem Panzertor, und wir setzten wieder unsere Gläser auf. Thunderbolt stieß mich an, deutete auf die aufgereihten Sturmgewehre und hauchte:»Sind die alle geladen?« Ich schüttelte den Kopf. Das beruhigte ihn ein winziges Bisschen. Wir bewegten uns zügig nach hinten und hofften, dass keiner aufwachte oder sowieso wach war. Es war aber auch zu dunkel, als dass man ohne Restlichtglas sehen konnte,

118 dass wir in Zivil waren. Und wenn wir uns nicht verdächtig benahmen, würde selbst einer, der wach war, nicht Verdacht schöpfen. Rechnet doch keine Sau damit, dass Unbefugte so weit hineinkommen! Wir ließen den Pritschenpark unter den Flugzeugen hinter uns zurück und erreichten den Werkzeug- park. Ich bedeutete den anderen zu warten, ging zu den aufgestapelten Werkzeugen hinüber und suchte nach einer relativ kleinen Kiste, etwa 40 mal 30 mal 15 Zentimeter mit der Aufschrift 7F-W864-593 PRÜFGERÄTE FÜR KANONENSCHIESSBETRIEB. Ich fand gleich drei aufeinander gestapelte. Na, das ist doch ein ordentlicher Park. Hier herrscht Ordnung im Karton! Ich nahm eine und presste dabei den Finger auf den Verschluss, da ich aus Erfahrung weiß, wie leicht die Dinger von selbst aufklappen. Ich reichte sie an Jürg weiter und suchte nach der Kiste 7F-W864-566 WERKZEUGE FÜR DEN KANONENSCHIESS- BETRIEB, fand eine und machte sie auf. Die Kiste kannte ich. Wie oft habe ich den Inhalt kontrolliert? Ich kann das Inventar schon singen! Rasch griff ich mir den Tarierschlüssel, das Winkelgetriebe, die Zugspindel, das Ölkänn- chen mit dem Öl-Fettgemisch, den Stahlstift und das Stahlband zum Durchziehen der Patronengurte, deutete nach ganz hinten und ging weiter, die anderen folgten. Thunderbolt schüttelte nur den Kopf. »Das ging zu leicht, um wahr zu sein«, flüsterte er. »Ist aber so«, knurrte ich. »Und jetzt halt’ die Klappe, sonst glaub ich’s auch nicht mehr.« Wir bogen in den Dreimeter-Gang ein. Der Gang ist aber nicht drei Meter lang sondern hoch und breit. Lang ist er etwa hundertvierzig Meter. Bereits nach zehn Metern ist eine Nische in der Wand, das Tagesdepot, wo normalerweise Munition und Manipulier- Lenkwaffen herumstanden. Außerdem sind auch andauernd vier echte SIWA-Lenkwaffen da, für einen ebenso etwaigen wie sofortigen Ernstfalleinsatz. Wie von mir vermutet stand da sogar eine entladene Waffenwanne. Ich hielt die anderen auf. »Stollen Xaver ist verschlossen, höchstwahrscheinlich ist keine Maschine drin. Also schlagen wir hier zu.« Die Waffenwanne der Mirage III ist ein Munitionskasten, der die Patronengurte der zweimal 120 Schuss 30 mm-Kaliber fasst. Die beiden DEFA-Revolverkanonen waren seitlich anmontiert. Ich zog einen leeren Stollenrolli heran und versuchte mich an die Vorschrift zu erinnern. In einem Anflug von Galgenhumor fragte ich:»Welche nehmen wir? Die rechte oder die linke?« Thunderbolt knuffte mich in die Schulter. »Scheiß … egal«, zischte er. Ich wählte die rechte, weil sie weiter von mir weg war. Ich bückte mich, schraubte das elektrische Kabel ab, mit dem die Kanone an die Wanne angeschlossen war, und versuch- te mich zu erinnern, wie sie festgemacht war. Ich packte einen Hebel ganz vorn, wo der Lauf eingeschoben wurde, zog und drehte ihn seitwärts auf die Stellung ‘DERROUILLAGE’. Ich stieß das Geschütz vorne an und stellte fest, dass man es jetzt tatsächlich auf den vier Tragestiften nach hinten schieben konnte. »Okay, packt an!«

119 Ich zeigte ihnen, wo sie anfassen konnten, und teilte ihnen mit, dass die Kanone eine ärgerliche Neigung hat, zwar von drei Tragestiften herunterzukommen, aber nur schwer vom vierten, egal welcher das sein würde. »Und passt auf! Das Miststück wiegt hundertdreißig Kilo! Langsam und vorsichtig nach hinten. So ist’s recht. Aufpassen, gleich … « Tolle Kanone. Wenn man sie abnehmen muss, klemmt sie immer, aber wenn’s drauf ankommt, macht sie nicht die geringsten Schwierigkeiten! »Uff«, machte Thunderbolt, und Hervé klemmte sich fast die Finger ab, da er sie irgend- wo zwischen Verschlussgehäuse und Verriegelungsplatte hatte. Ich hingegen fand die griffige Nachladepatrone. Gemeinsam legten wir die Kanone leise ächzend auf den leeren Stollenrolli. »Jetzt weg hier«, flüsterte Hervé. Ich deutete auf das vordere Ende der Kanone. »Da fehlt doch noch irgendwas. Wenn ich nur wüsste, was.« »Brauchen wir nicht noch einen Kanonenlauf oder so was?«, fragte Thunderbolt ironisch. »Du sagst es«, grinste ich. Alle Rollis haben an beiden Seiten je eine lange Röhre, die ein bisschen länger ist als der Lauf. Ich machte die vordere Klappe der Röhre auf und zog den eineinhalb Meter langen, massiven Kanonenlauf heraus. »Wie ist die Nummer auf der Kanone?«, fragte ich und suchte die Nummer auf dem Lauf. »Ist das nicht egal?«, zischte Jürg. »Wäre schön, wenn es egal wäre«, meinte ich. »Das hätte mir im Dienst manchen Ärger erspart. Wenn man den falschen Lauf draufknallt, kriegt man ihn möglicherweise gar nicht in die Kanone. Das Zeug kann ganz ekelhaft klemmen.« »9089-1«, meldete Hervé. Auf meinem Lauf stand 9092-2. Ich blickte den Rolli an. »Diese (/01) haben die Läufe in die verkehrten Röhren gelegt.« Man legt sonst immer den rechten Lauf in die rechte Röhre, wenn man die Deichsel des Wagens vorne in Fahrtrichtung zeigen lässt. Ich schob den Lauf wieder zurück und nahm den anderen. Jetzt stimmte die Nummer, und ich schob den Lauf in die eine Röhre unseres Rollis. Gnädig deutete ich den Gang entlang und zog den Rolli selbst. Die Rollireifen haben 4 Atü, Federung Null. Ich versuch- te so wenig Lärm wie möglich zu machen. Endlich erreichten wir die erste Schleuse. Ich riss den Griff herunter und zog die Tür mühsam auf. Jetzt wurde es schwierig. Im Kommandostollen war ganz bestimmt eine Besatzung. Ich musste den Rolli mit seiner Last über eine Erhebung ziehen, da der Türrahmen auch über den Boden verlief. Ganz langsam zerrte ich den Wagen drüber und stieß dagegen, als er auf der anderen Seite herunterkam. Hervé ging zur nächsten Schleusentür in fünf Metern Entfernung, kriegte aber den Griff nicht runter. »Lass das!«, zischte ich. »Das ist eine Schleuse.« Ich schloss die Tür auf unserer Seite. Jetzt ging es, und wir zogen den Wagen in den Kreuzgang hinaus. Der wirkte schon viel wohnlicher als der gruftige Kavernengang vorher. »Wo sind w … «, begann Thunderbolt, aber meine Hand auf seinem Mund beendete die Frage.

120 Wir beugten uns zusammen, und ich hauchte:»Kreuzgang, Kommandostollen. Da die Treppe hinauf pennen die vom Sicherheitsdienst und auch die Piloten.« Thunderbolt war deutlich anzusehen, dass er sich weit weg wünschte. Sicher hat er Nerven, er ist ein Profi. Aber mitten in einer geheimen Militärkaverne, umgeben von einer kompletten Flugplatzabteilung, lassen jedem die Knie weich werden. Ich weiß, wie ich an deren Stelle mit Eindringlingen umzuspringen hätte. Wenn wir wenigstens drei Monate später dran wären, dann wäre hier eine unerfahrene Rekrutenschule drin gewesen. Der Kreuzgang war für mich normalerweise immer eine Erholung, weil hier der nahezu einzige Platz in der Kaverne ist, wo man rauchen darf. Gegenüber der Schleuse, woher wir gekommen waren, lag die nächste, die zu Stollen Xaver hinüberführte. Genauso leise wie vorher schoben wir den Rolli in die Schleuse. Da ging das Licht an!

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Wir sahen aus wie ein Gemälde mit der Aufschrift ‘Drei Chaoten und ein Irrer klauen Kanone aus Kaverne’! Auf der Treppe ertönten Schritte. Topmoderne, amerikanische Militärstiefel kamen ins Bild, eine Kampfanzughose vom neuen Design, und ein blaues Militärhemd. Und die Visage ist heute noch dazu geeignet, mir den Schweiß ausbrechen zu lassen. Leutnant Fanti starrte uns an. Als er mich sah, flüsterte er:»Nein, das gibt’s nicht.« Seine Hand flog zum Halfter, bremste aber vorher, als er sich plötzlich verkrümmte. Nun kam ziemlich Leben in die Szene. »Still, verdammt!« Wenn man flüsternd brüllen kann, so habe ich das fertig gebracht. Vor Anstrengung lief mir der Schweiß über das Gesicht, als ich ihn aus vier Metern Entfernung bewegungsun- fähig hielt. Jürg nahm ihm höflich die Pistole ab, und ich lockerte meinen Griff etwas. Fanti holte Luft, um Alarm zu geben, und ich packte gleich wieder zu. »Der wird nicht still halten«, flüsterte ich. »Das ist ‘n ganz scharfer Bluthund.« »Werisses?«, fragte Thunderbolt. »Och, nur der Werksicherheitsoffizier.« »Ach, bloß?«, gab er sarkastisch zurück. »Tut mir ehrlich Leid«, flüsterte ich und machte eine Anstrengung. Fanti verdrehte die Augen, kippte von den Treppenstufen und rutschte bis ganz runter. »Der hat hoffentlich genug bis morgen«, meinte ich, und wir machten, dass wir weiter- kamen, nicht ohne vorher das Licht im Kreuzgang wieder zu löschen. Während wir den Rolli durch den viel kürzeren Dreimeter-Gang zum Stollen Xaver hinüberrollten, fluchte ich leise vor mich hin. Auf diese unheimliche Begegnung der dritten Art hätten wir gut verzichten können. »Der war Leutnant in ‘ner anderen Kompanie, als ich in der RS war«, erklärte ich hastig. »Er hat sich schon dort nicht beliebt gemacht. Und er war schon WSO, als ich hier meinen ersten WK machte. Der kennt mich bestimmt, und damit kennt er auch Jürg und Hervé. Wenn wir alles erledigt haben, müssen wir verduften. Nach Krylon, Torque oder Gordic. Bis alles vorbei ist. Sonst sind wir auf der Erde persona non grata.« Stollen Xaver war tatsächlich leer. Ich zog den Rolli gleich auf die gegenüberliegende Seite in den Munitionsstollen hinein. Hier gaben wir uns nicht mehr so viel Mühe, leise zu sein, und die Werkzeuge klapperten an die Kanone. Nach dreißig Metern Gang im

121 gehauenen Fels erreichten wir die Munitionskammer. Ich hebelte eine Kiste nach der anderen auf, fand aber nur Übungsgranaten. »Macht die Kisten auf! Sucht Granaten mit gelb-rot-blauen Spitzen.« »Hier«, meldete Jürg. Zu zweit packten wir die Kiste und legten sie auf den Rolli. »So, jetzt fehlt uns nichts mehr.« »Was ist das für Munition?«, fragte Thunderbolt. »Minensprengbrand«, antwortete ich. »Mit panzerbrechender Munition kann ich leider nicht dienen, die Mirage ist kein Erdkämpfer. Im Interesse der regionalen Landschaftser- haltung solltet Ihr die Kiste übrigens nicht fallen lassen.« Hervé und Jürg zuckten zusammen, und ich grinste. »Halb so wild. Ich hab’ mal eine Granate fallen lassen. Außer, dass dem Korporal die Haare zu Berge standen, ist nichts passiert.« »Sehr beruhigend«, bemerkte Hervé beunruhigt. »Was ist das für’n Sprengstoff?«, fragte der Profi wieder. »Hexal, glaube ich.« »Das reicht, das knallt ganz schön.« Damit verließen wir den Munitionsstollen wieder und rasselten wie die Irren zum Panzertor hinunter. Ich rannte zum Bedienungskasten und hoffte, dass die Steuerzentrale nicht besetzt war. Schien ja kein Einsatz zu laufen, da in der Yvonne alle pennten. Ich riss den Hebel auf ‘AUF’. Im oberen Teil des Bürgenstocks ist ein mächtiges Wasserreservoir, das das Panzertor antreibt. Mit nicht gerade diskretem Donnern glitten die tonnenschweren Torhälften auseinander, und massive Metallklappen, die vorne an den Toren gelehnt hatten, senkten sich über die Lücke im Boden, wo die Tore drin standen. Die anderen zogen den Wagen in den Vorstollen hinaus, und ich stieß den Hebel wieder nach vorn auf ‘ZU’. Während die Tore in Bewegung sind, sollte man ja eigentlich nicht drunter durchlaufen. Die Zugseile stehen unter einer derartigen Belastung, dass, wenn sie reißen, sie einen Menschen in der Mitte durchhauen können. Aber sie hatten immer gehalten, und sie hielten auch jetzt. Gemeinsam rannten wir durch den Vorstollen und öffneten das Polizeitor. Sie hatten es repariert, seit Jin Kelmar reingedonnert war. Wir warteten zehn qualvolle Sekunden in der kühlen Nachtluft, dann flutete ein Schein- werferpaar über den Platz, und ein Fiat X 1/9 kurvte heran. Modesty stieg aus und machte den Kofferraum auf. Ich starrte auf die Autonummer und schluckte hart. »Wo hast du den Hobel her?«, knirschte ich ungehalten. »Stand vor den Pilatus-Werken. Wieso?« »Scheiße«, keuchte ich würgend. »Yoko bringt mich um!« »Yoko?« »Yoko Tsuno. Die Karre gehört ihr, sie muss in Stans sein. Nichts, wie weg hier! Wenn sie das erfährt, stopft sie mich in ein Reagenzglas.« Wir wuchteten die Kanone in den Kofferraum, wo sie knapp Platz hatte. Das Werkzeug schmissen wir auch rein, und ich kletterte auf den Notsitz. Thunderbolt stellte fest, dass der Lauf nicht in den Kofferraum passte, und gab ihn mir. »Halt ihn oben raus. Wir fahren ja nicht weit.« Jürg quetschte sich irgendwie neben-über mich, Hervé setzte sich auf den Beifahrersitz, und Thunderbolt setzte sich ans Steuer. »Was soll das?«, protestierte Modesty.

122 Thunderbolt grinste sie an und deutete auf Hervé. »Ach, ich will nur jemandem eine Freude machen.« Modesty schüttelte den Kopf und teilte sich irgendwie mit Hervé den Beifahrersitz. Wie, will mich gar nicht interessieren. Thunderbolt startete, und wir fuhren los. Der kleine Sportwagen war ungeheuer überlas- tet, aber wenigstens setzte die Bodenwanne nicht auf. »Warum konntest du nicht was Größeres klauen?«, rief ich durch den Motorenlärm. »War einfach nichts da. Tut mir Leid.« »Mach ja keinen Kratzer in den Lack!«, rief ich Thunderbolt zu. »Und fahr nicht so schnell, das nutzt die Reifen ab!« »Die Federung macht mir da mehr Sorgen«, bemerkte er trocken. Endlich erreichten wir die Starbright, die neben den Alarmstartbunkern stand, luden den Wagen aus und trugen die Ausrüstung hinauf. Dann fuhr Modesty rasch den Wagen zurück und kam wieder her. Jürg machte die Starbright klar und meldete den Start an, Ziel Bern. »Tut mir Leid, Starbright, wir können Ihnen zur Zeit keine Starterlaubnis erteilen. Wir haben einen militärischen Notstand. Haben Sie etwas Geduld.« »Scheiße«, zischte Modesty und wir starrten zu der Kaverne hinüber. In diesem Moment flammten die Scheinwerfer auf.

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23. Februar 1988 / Kommandostollen 2 Uhr 20 »Was ist denn passiert?«, fragte ein Korporal. Fanti rieb sich den Schädel. »Wenn ich das wüsste. Es waren vier Mann, und einen kannte ich. Es war einer der Chaoten, der macht Dienst hier. Allerdings nicht jetzt.« »Ein Chaot?« »Ja. Der, der die Geschichten schreibt, der Halbjedi. Er war in Zivil, die anderen auch. Ich weiß nicht, was die hier wollten. Sie haben einen Rolli in die Schleuse zum Xaver geschoben, aber ich habe nicht sehen können, was drauf war.« »Wir suchen schon alles ab.« Ein atemloser Soldat kam aus der Schleuse Richtung Yvonne gestürzt. »Kommen Sie schnell, Leutnant! Sie müssen es sehen, sonst glauben Sie es nicht.« Fanti folgte dem Soldaten und hielt sich beim Rennen den Schädel. Sie erreichten das Tagesdepot, und Fanti sah die Waffenwanne, an der eine Kanone fehlte. Er fuhr mit der Hand durch die Stelle, wo eigentlich die Kanone sein müsste. »Aber das gibt’s ja nicht«, flüsterte er. Ein anderer Soldat kam von der Yvonne her gerannt. »Eine Kanonenschießbetriebkiste ist offen! Es fehlt Werkzeug!« »Was für Werkzeug?!«, bellte Fanti. »Genug, um die Kanone damit zu laden.« »Auch um sie abzufeuern?« »Das geht von Hand nur mit dem Kanonenprüfgerät.« »Dann sehen Sie nach, ob noch alle da sind! Dalli!« Neben Fanti klingelte das Telefon. Er hob ab und meldete sich. »Leutnant, Soldat Wyniger, Munitionsstollen. Es fehlt eine Kiste mit 60 Schuss Minen- sprengbrand! Andere Kisten sind offen, in allen sind UG.«

123 Völlig vorschriftswidrig knallte Fanti den Hörer auf den Haken, ohne wenigstens ‘Verstanden’ zu sagen. »Das war der Chaot! Er ist Waffenwart, er weiß genau, was es braucht, um die Kanone einzusetzen. Bloß wozu?!« »Leutnant, heute Nacht ist eine Lambda Klasse-Fähre hier gelandet«, meldete einer. »Ja, und?« »Die Chaoten haben eine solche. Vielleicht sind sie noch da.« Fanti riss den Hörer von der Gabel und wählte die Zentrale an, ließ den Soldaten am anderen Ende gar nicht zu Wort kommen. »Leutnant Fanti, hier! Flugsicherung soll sofort striktes Startverbot verhängen. Niemand kommt hier mehr weg! Werkzug sofort auf Posten! Empfehle Alarmeinsatz, zwei Maschinen! Sofort!«

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23. Februar 1988 / Startbahn Buochs 2 Uhr 25 »So lange wir hier stehen und warten, erwecken wir den Anschein der Harmlosigkeit«, erklärte Modesty. »Wenn wir abhauen, ist es, als ob wir ihnen zubrüllen ‘Ja, wir haben sie geklaut’.« »Sie müssen Fanti gefunden haben«, warf ich ein. »Und er hat mich bestimmt erkannt. Wenn er noch bewusstlos ist, ist das kein Grund, gleich die ganze Kaverne zu alarmieren. Er könnte ja bloß die Treppe runtergefallen sein.« Thunderbolts Blick irrte zur Seite. »Anscheinend alarmieren sie nicht nur die Kaverne.« Ich blickte ans andere Ende der Startbahn. Die neuen Alarmstartunterstände waren seit kurzem fertig, und eben rollten zwei Mirages raus. Die mussten wirklich eine Nachtübung gehabt haben. Sie hatten allerdings sicher nicht damit gerechnet, dass die Übung plötzlich zum Ernstfall werden würde. »Scheiße!«, keuchte ich. »Nichts wie weg hier!« Jürg zündete die Triebwerke und brachte sie möglichst rasch auf Leistung. In diesem Moment sahen wir eine Abteilung des Werkzugs bewaffnet aus der Kaverne stürmen. Und es war deutlich zu sehen, dass sie uns meinten! »Ich sagte, weg hier!«, brüllte ich. Jürg riss die Triebwerke auf volle Leistung. Die Mirages hatten eben die halbe Piste hinter sich und würden gleich den Abhebepunkt erreichen. Zu zweit und von oben konnten sie uns gut niederhalten. Die Mirage wird als fliegendes Brett bezeichnet, aber verglichen mit der Starbright ist sie die reinste F-16. Schneller sind sie auch noch, die Starbright ist schließlich ein Raumschiff. Da liegen die Leistungsprioritäten etwas anders. Plötzlich standen wir im grellsten Scheinwerferlicht. Endlich hoben wir ab. Knatternde Schläge prasselten gegen die Außenhaut, aber die Panzerung hielt. Die beiden Mirages donnerten mit ohrenbetäubendem Lärm dicht hinter uns vorbei in den Nachthimmel. Ich saß auf dem Co-Pilotensitz und beobachtete das Radar. Hervé saß an der technischen Überwachung. »Soll ich das Waffensystem … «

124 »Nein!«, schnappte ich. »Die Maschinen standen wegen der Übung dort drin. Eine Übung von Yvonne und der Aufklärerstaffel. Die beiden sind also Aufklärer. Seit wir überhaupt Aufklärer Mirage III RS haben, haben wir keinen einzigen verloren, und darauf sind wir stolz. Ich gehöre ebenfalls zu einer Aufklärerstaffel, und ich werd’ den Teufel tun und jetzt selber die ersten runterholen!« »Schon gut, schon gut.« »Pass auf, Jürg, die haben sich geteilt. Weich nach oben aus.« Die Starbright legte sich beängstigend auf das Heck und jagte wie eine Saturn V in die Sterne hinauf. Im Steigflug konnten die Mirages mit uns natürlich doch nicht konkurrie- ren. Schließlich konnten wir ins Orbit, wenn wir wollten. Dann zeigte das Radar was Neues an. »Oh, verdammt! Von Alpnach aus haben sie noch zwei gestartet. Die Alarmorganisation muss da zusammenhängen. Sie sind schon hoch. Tu was! Mit ihrer Kanone sägen die uns glatt in Scheiben.« Jürg sah auf dem Radar vier verschiedene Kurse und vier verschiedene Flughöhen. Es war wie ein Gewebe, und er suchte fieberhaft eine Laufmasche. Plötzlich bremste er scharf, rollte elegant hinter den Pilatus, tauchte in das Tal hinab, schoss am anderen Ende wieder hoch und machte, dass er in die Stratosphäre kam. Er grinste. »Die haben die Kurve nicht gekriegt. Hab’ ich dir erzählt, wie ich beim Diamanten-Drama die drei Spurjäger über Coruscant ausgetrickst habe?« »Ja. Schon drei Mal.« »Da drüben ist Bern. Ich schlage vor, dass wir nach Plan weiterfahren.« »Einverstanden.« Jürg ging auf zwanzig Meter Höhe runter und schaltete Autopilot und Geländefolgera- dar ein. Kurs Paris war gesteckt. Mit beinahe Schallgeschwindigkeit kratzte die Land- schaft dicht unter unseren Füßen hinweg. »Jetzt können wir uns entspannen«, meinte Jürg zufrieden. Thunderbolt verzog das Gesicht. »Habt Ihr ein Bier an Bord? Und Aspirin?«

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Verwirrungsmanöver

23. Februar 1988 / Paris 2 Uhr 55 »Blue Thunder im Flüsterbetrieb wäre jetzt ideal«, meinte Jürg, als er versuchte, mög- lichst geräuschlos auf dem Autofriedhof zu landen. Die Starbright setzte auf, die Rampe fuhr runter, und im nächsten Moment rannten drei dunkle Gestalten über den freien Platz und hetzten die Rampe hinauf. Die fuhr wieder hoch, die Starbright hob gleich wieder ab und jagte sofort weiter wie vorher: im automatischen Tiefstflug. Markus betrachtete die DEFA-Kanone, die Munition und das Werkzeug. »Gute Arbeit«, lobte er. »Sogar bei der Munition habt ihr in die richtige Kiste gegriffen.« »Na hör mal«, protestierte ich. »Das ist mein Nebenjob.« Aus dem Cockpit rief Jürg:»Ich habe vier französische Mirage-Jäger auf dem Schirm, die uns vergeblich suchen. Sie sind auf großer Höhe.« Markus und Ballantine starrten mich an. »Der WSO hat uns überrascht«, gab ich zerknirscht zu. »Wir haben ihn flachgelegt, aber wir waren noch am Boden, als es Alarm gab. Wir mussten vor vier Mirage-Aufklärern türmen.« »Oh, Mann«, machte Urs. Ballantine hob die Schultern. »Was sie auch denken, was wir mit dieser Kanone machen wollen, sie denken das Falsche.« »Logisch«, knurrte Urs. »Darauf kommt ja auch keine Sau!« Markus beendete die Werkzeugkontrolle. »Du hast nicht zu viel und nicht zu wenig mitgenommen sondern genau das, was wir brauchen.« »Was dachtest du denn? Ich kenne das Miststück schließlich und weiß, wie man es bedient. Modesty hat aber Mist gebaut.« »Wieso?« »Sie hat ‘ne Karre geklaut, um das Material zur Starbright zu schaffen.« »Ja, und?« »Nur hat sie leider ausgerechnet Yokos FL-FL (Flacher Flitzer) erwischt. Da haben wir darauf verzichtet, die Karre anzuzünden und sie wieder zurückgestellt. Außerdem wissen die ja jetzt sowieso, dass wir es waren. Der WSO hat mich gesehen und erkannt. Es war Leutnant Fanti.« »Ausgerechnet.«

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Nach kurzer Flugzeit erreichten wir den Atlantik und erhöhten das Tempo auf Mach 1.85. Wir fühlten uns wie Mitchell Gant in der Firefox, aber dafür waren wir immer noch zu hoch. »Pass auf das Marineradar auf«, warnte Modesty, und Jürg drückte die Starbright auf fünf Meter Höhe runter, gemessen von den unteren Flügelspitzen. »Was ist mit der Satellitenüberwachung?«, fragte Thunderbolt.

126 »Kein Problem«, beruhigte Markus. »Für die sind wir vielleicht eine etwas größere Welle. Höchstens die Kampfsterne könnten uns Schwierigkeiten machen. Wir brauchen noch etwa zweieinhalb Stunden, und bis dahin werden sie auf ihrer Umlaufbahn drei Mal über uns hinweg fliegen.« »Was könnten sie machen?«, fragte Ballantine. »Hm, sie könnten uns ein paar Viperjäger hinterherschicken. Das würde dann peinlich werden, die kommen nämlich bis auf Mach 4 in Bodennähe. Aber ich bezweifle, dass die Galactica bereits von dem Verschwinden einer Miragekanone informiert worden ist. Dazu ist die Sache nicht wichtig genug.« »Kann sein«, meinte Thunderbolt. »Aber da sie jetzt wissen, dass eine republikanische Raumfähre beteiligt war … «

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23. Februar 1988 / Orbit 3 Uhr 10 (MEZ) »Colonel Tigh!« »Was gibt’s, Lt. Tanex?« »Ich habe hier ein Tiefflugobjekt über dem Atlantik. Geschwindigkeit annähernd Mach 2. Objekt wird von irdischer Satellitenüberwachung nicht erfasst.« Tigh runzelte die Stirn. »Eine Flutwelle?« »Mit Mach 2?« Marko Tanex starrte seinen Vorgesetzten an. Tigh straffte sich. »Das gibt’s, aber nur weit draußen. So etwas ist nicht mal eine Welle sondern eine großformatige Meeresschwankung.« »Vielleicht, Sir. Aber das Objekt ist sehr klein.« »Wie klein genau?« »Ich schätze die Abmessungen auf maximal fünfzig Meter. Wahrscheinlich ist es aber kleiner. Vielleicht ein Kampfflugzeug.« »Es gibt kein Kampfflugzeug, das auf Meereshöhe Mach 2 schafft. Wenn schon, dann ein Raumschiff. Alarmieren Sie eine Viperstaffel! Sie sollen den Kontakt identifizieren.« »Aye aye, Sir. Und noch was. Ich habe noch einen unbekannten Kontakt im Trans- Saturn-Sektor. Abmessungen nicht messbar.« »Was?! Wieso nicht?« »Ich weiß nicht, Sir. Es stört unsere Geräte.« »Lt. Tanex, wenn ein Objekt aus dieser Entfernung unsere Geräte derart stört, dann muss das ein riesiges Objekt sein.« »Ich weiß, Sir. Es ist aber so. Es bleibt übrigens stationär und rührt sich nicht.« »Schicken Sie auch eine Patrouille dorthin.« »Aye, Sir.«

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23. Februar 1988 / Atlantik 3 Uhr 25 (MEZ) »Silver Patrouille an unbekanntes Objekt in Meereshöhe. Erbitte Identifizierung.« »Hallöchen, Sheba. Wie geht’s denn? Lange nicht gesehen. Richte einen Gruß an Star- buck aus. Von den Chaoten.« »Was, Ihr?! Was macht Ihr denn in diesem Tempo so tief über dem Wasser?«

127 »Ich würde sagen, wir fliegen. Wir machen einen kleinen Aerodynamiktest der Starbright.« »Na, dann passt besser auf. In zehn Minuten kreuzt Ihr nämlich den Kurs eines Supertankers.« »Schon gesehen, danke. Bye bye, Baby.« »He, nicht persönlich werden! Macht’s gut, Ihr Knallköpfe.«

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23. Februar 1988 / Stans 5 Uhr 15 »Was ist denn Yoko?«, fragte Hertzel. »Sie wirken etwas … verwirrt.« Yoko setzte sich nachdenklich auf die Tragfläche des Kolibri. Das war der kleine Mikro-Jet, mit dem sie uns damals bereits geärgert hatte. Hertzel hatte ihm eine modernere Elektronik und eine Fly-by-wire- Steuerung verpasst. »Ich weiß nicht«, murmelte Yoko. »Ich bin zum Auto gegangen, um etwas zu holen, und habe das Gefühl, dass die Karre nicht mehr genau gleich dasteht wie gestern Abend. Außerdem habe ich so einen komi- schen, runden Blechdeckel gefunden, von dem ich nicht weiß, wo er herkommt.« »Haben Sie den Trubel heute Nacht bemerkt?« »Ich bin ja nicht taub! Ich bin aufgewacht, als zwei idiotische Mirage-Piloten starteten. Mitten in der Nacht! Die spinnen ja!« »Normalerweise machen sie das ja auch nicht. Muss eine Art Ernstfall gewesen sein. Keine Ahnung, was los ist. Um die Kaverne spaziert massenweise Militärpolizei herum.« In diesem Moment trat der Chefmechaniker auf die beiden zu. »Verzeihung, aber da ist ein Leutnant, der Miss Tsuno sprechen möchte.« »Ich komme, Wilson.« Yoko folgte ihm aus der Halle hinaus. Fanti wartete ruhig wie ein eingepflanzter Baum. Yoko versuchte ihn abzuschätzen, was ihr aber nicht gelang. Es ist auch mir nie gelungen. Er grinst nie, wird nie sauer, er ist einfach immer nur da. Wilson ließ sie allein. Fanti blickte auf sie hinunter, denn er war eineinhalb Köpfe größer, außerdem trug er einen kompletten Kampfanzug. »Miss Tsuno? Ich bin Leutnant Fanti, Sicherheitsof- fizier der Flugplatzabteilung 10. So viel ich weiß, kennen Sie einen gewissen Ivo Cassani.« »Wohl besser als ihm lieb ist«, gab sie genervt zurück, denn sie roch den Braten bereits. »Bitte beschränken Sie Ihre Antworten auf Ja und Nein«, versetzte Fanti kühl. »Ich habe nicht viel Zeit.« Yokos Laune verschlechterte sich zunehmend. »Wie Sie wollen. Ja.« »Haben Sie Ihn heute Nacht gesehen?« »Nein.« »Haben Sie sonst irgendetwas Besonderes bemerkt?« »Ja.« »Was?«

128 »Zwei Mirages haben mich heute Nacht unsanft geweckt. Hängt das damit zusammen?« Fanti zögerte eine halbe Sekunde, als er überlegte, ob er feststellen sollte, dass er hier der Fragesteller war, verzichtete aber darauf. »Sie starteten, um die Starbright abzufangen.« »Was??«, fragte sie tonlos und versuchte zu erkennen, was es da für einen Zusammen- hang gab. »Ich bin Geheimnisträgerin der Stufe 1 beim britischen Secret Service. Wahr- scheinlich habe ich die höhere Einstufung als Sie!« Fanti gab sich irgendwie eine Art Ruck. »Heute Nacht ist aus der Kaverne eine 30 mm- Bordkanone der Mirage gestohlen worden, inklusive Werkzeug und Munition. Ich habe die Täter überrascht und gesehen, dass Ihr Freund es war, der mich außer Gefecht gesetzt hat.« »Er ist nicht mein ‘Freund’«, stellte sie säuerlich klar. »Jedenfalls nicht im klassischen Sinne … « Sie stockte, als ihr etwas klar wurde. »Was ist?«, fragte er neutral und doch irgendwie betont. Sie griff in die Hosentasche und holte den Blechdeckel heraus. »Ich habe den Eindruck, dass mein Wagen heute Morgen anders dasteht, als ich ihn gestern Abend hingestellt habe. Außerdem habe ich im Kofferraum das hier gefunden.« Fanti nahm den Deckel und betrachtete ihn, dabei nickte er wortlos. »Danke sehr. Wenn Sie ihn zufällig noch sehen sollten, bitten Sie ihn, mal bei mir vorbeizuschauen. Und wenn er nicht will, zwingen Sie ihn dazu.« »In Ordnung.« »Auf Wiedersehen.« »Auf Wiedersehen.« Fanti ging. Und Yoko fügte in Gedanken hinzu: Aber erst, nachdem ich ihm ein paar Fragen gestellt habe. Sie kennt mich gut genug, um zu ahnen, dass ich schon einen guten Grund haben müsste, um so etwas zu tun.

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23. Februar 1988 / Galactica 5 Uhr 50 (MEZ) Commander Adama stützte den Kopf schwer in die Hände und blickte Apollo, Starbuck und Tigh der Reihe nach an. »Die müssen verrückt geworden sein. Warum haben die das gemacht?« »Sie sind einfach verduftet?«, fragte Apollo. »Ja. Wir haben sie über dem Atlantik ausgemacht, im Tiefstflug, aber da wussten wir noch nicht, was sie angestellt hatten. Was ist mit dem Kontakt im Trans Saturn-Sektor, Colonel Tigh?« »Er ist verschwunden, Sir. Er machte eine Kursänderung, flog hinter die Sonne, und seither haben wir ihn nicht mehr gesehen. Wir haben immer noch keine Ahnung, was es war und ich zweifle daran, dass es überhaupt etwas damit zu tun hat.« Adama seufzte. »Äh, Starbuck. Schönen Gruß von den Chaoten. Sheba Cain hat mich gebeten, ihn auszurichten.« Starbuck schüttelte bloß den Kopf. »Warum zieht denn das gleich solche Wellen? Ist denn das nicht nur eine Sache des Schweizer Militärs?« »Weil eine Raumfähre darin verwickelt ist, nicht, nein. Und erst recht nicht wegen den Tätern selbst.«

129 »Ich habe den Eindruck, dass die einen guten Grund gehabt haben«, meinte Apollo. »Ich kenne sie. Sie sind zwar Chaoten, aber sonst normal.« Starbuck prustete. »Ich meine, bis heute waren sie immer legale Chaoten«, verbesserte Apollo missmutig. »Es muss ein Grund sein, der so wichtig ist, dass sie sich erstens beeilen müssen, und zweitens absolut niemanden einweihen dürfen.« »Kann sein«, lenkte Adama ein. »Vielleicht aber auch nicht.«

*

23. Februar 1988 / Bern 7 Uhr 30 Stefan Wyss setzte sich an seinen Terminal und tippte. Als Erstes machte er sofort eine Gesamtkontoüberprüfung und stellte beruhigt fest, dass das Bankvermögen immer noch dasselbe war. Als er jedoch die Buchungsvorgänge der letzten zwölf Stunden Revue passieren ließ, stellte sich ihm jedes einzelne Haar auf. Der Schweiß brach aus wie eine Springflut, die sogar seine vorgeschriebene Bank-Krawatte durchtränkte!

AUSGANG KONTO 2541687: 13’000’000’000.00 $

Stefan wurde schwarz vor Augen und rief das Konto ab.

KONTOSTAND 2541687: 0.00 $

Nun war ihm richtig übel! Er hatte sowieso nichts gefrühstückt, nach letzter Nacht, so musste es das Abendessen sein, dass sich definitiv von ganz tief unten auf den Rückweg gemacht hatte. Er würgte. Was jetzt? Verheimlichen hatte keinen Sinn. Es ist üblich, dass man diese Kontrolle morgens gleich als Erstes macht. Also Meldung machen. Nur einfach nichts darüber erwähnen, dass er nachts Besuch gehabt hatte. In diesem Moment kam sein Kollege herein und wunderte sich. »Was ist denn mit dir los? Du bist so grau.« Stefan löschte wortlos den Schirm und rannte hinaus. Sein Kollege blickte ihm stirnrun- zelnd nach. »So geschmacklos ist meine Krawatte ja nun wirklich nicht.« Stefan rannte durch die ganze Bank bis ins oberste Stockwerk und platzte ohne anzu- klopfen in Charpentiers Büro. Dessen Sekretärin zuckte zurück und stieg vom Schreib- tisch herunter. Der Bankpräsident zog hastig seine Hand zurück und wurde dunkel vor Wut. Stefan ließ ihn aber nicht zu Wort kommen. »Wir haben eine Fehlbuchung von dreizehn Milliarden Dollar!«, rief er. Charpentier zuckte zusammen und versuchte einen Herzanfall abzuwehren. Mit Erfolg. »Plus oder Minus?«, krächzte er. »Minus. Von einem Nummernkonto.« »Welche Nummer?« »2541687.« Charpentier wurde blass wie die Wand. »Wohin ist das Geld gegangen?« »Keine Ahnung. Wurde nicht angegeben.« Charpentier wurde rot. »Aber die Buchung kann man nicht löschen!«

130 »Sie ist auch nicht gelöscht worden, nur der Zielort. Das geht allerdings.« Charpentier wurde gelbgrün. »Oh, mein Gott. Kann das von außen geschehen sein? Vielleicht ein Computerfehler aufgrund einer Spannungsschwankung im Netz?« »Völlig unmöglich. Hier liegt ein Delikt vor. Von innen her.« »Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit. Ich kümmere mich um alles weitere.« Stefan verließ das Büro, und die Sekretärin setzte sich wieder auf den Schreibtisch. Daher verging noch eine halbe Stunde, bis die Polizei alarmiert wurde.

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23. Februar 1988 / Paris 7 Uhr 35 Polizeikommissar Julien Ducret, eine 31-jährige Detektivkanone, betrachtete das Seil, das von der Türklinke über das WC-Schild zu den Lautsprechern und zum Terminaltisch hinunterführte, und schüttelte den Kopf. Er wandte sich an den Informatiker. »Haben Sie was herausgefunden?« »Allerdings, aber das ist völlig unmöglich.« »Die Definition unserer Möglichkeiten überlassen Sie bitte mir.« »In der Nacht scheinen zwei Buchungen vorgenommen worden zu sein. Dreizehn Milliarden Dollar plus und wieder minus.« Ducret blinzelte kurz. »Wissen Sie überhaupt, wie viele Nullen eine Milliarde hat?« »Allerdings. Ich vermute jedoch, dass das ein technisches Versagen ist, das vom Sicher- heitsprogramm wieder storniert wurde.« »Und warum hängt dann hier das komische Seil? Schicken Sie eine dringliche Anfrage an alle größeren Banken in Europa, ob etwas Außerordentliches geschehen ist!« »Jawohl, Monsieur le Commissaire.«

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23. Februar 1988 / New York 2 Uhr 05 (8 Uhr 05 MEZ) Ich hielt es für eine gute Idee, den Hubschrauberlandeplatz der Chase Manhattan Bank frech für die Starbright zu benutzen. Alle zusammen gingen wir hinunter bis ins 30. Stockwerk, wo wir auf die ersten Sicherheitseinrichtungen trafen. An den Wänden des Korridors war eine Lichtschranke. Das heißt, eigentlich waren es vier in jeweils einem halben Meter Höhe, einem Meter, eineinhalb und zwei Metern. Und es war immer nur eine eingeschaltet. Sie arbeitete mit UV-Licht, das man selbst mit dem Infrarotglas nicht sehen konnte. Modesty holte zwei Ständer aus ihrer Tasche, zog sie teleskopartig auf zwei Meter Höhe auf und befestigte an ihnen je vier Spiegel, die sie auf 45 Grad Winkel drehte. Am einen Ständer zeigten die Spiegel nach oben und am anderen nach unten. Sie stellte den einen Ständer dicht vor die Lichtschrankenstrahler, und Thunderbolt stellte den anderen an die andere Wand. Sie blickten sich an, und wir hielten die Luft an. Modesty nickte im Rhythmus, wie sie lautlos auf drei zählte, und auf drei schoben sie beide genau gleichzei- tig die Ständer in den Strahlweg. Es geschah nichts. Wo der Strahl auch war, er wurde jetzt durch einen der Spiegel nach oben reflektiert, wo er auf den Spiegel an der Spitze traf, der ihn auf die andere Wand hinüberlenkte, wo er den anderen Spiegel traf, der ihn wieder nach unten lenkte und von

131 jedem Spiegel halb durchgelassen wurde und halb auf die Empfänger lenkte. Auch am ersten Ständer waren die Spiegel halbdurchlässig, sodass der Strahl von einer unteren Lichtschranke durch die weiter oben befestigten Spiegel hindurch konnte. Gemütlich traten wir durch, und vier von uns trugen die Kanone. Ballantine und Hervé trugen die Munitionskiste, Thunderbolt hatte das Werkzeug in einer Segeltuchtasche, und Modesty schleppte den Lauf. Wir bogen um die nächste Ecke und standen vor einer ungeheuer massiven Tresortür. Die sichern ihre Computer mehr als das Geld, dachte ich, und sie haben ja Recht! In den Computern ist mehr Geld als in jedem Panzerschrank. Wir fassten den Stahl nicht an, da wir damit rechneten, dass er mit einer Alarmanlage verbunden war. Wir mussten trotzdem da durch, vertrauten aber darauf, dass es erst ein paar Minuten dauern würde, bis jemand kam. Wir mussten halt schnell programmieren. Urs hielt sich startbereit. Wir waren in einem kleinen Aufenthaltsraum, und Modesty zerrte einen Tisch an die Wand, die der Panzertür gegenüber lag. Wir wuchteten die Kanone drauf und rollten sie so, dass sie flach lag. Ich nahm Modesty den Lauf ab, schob ihn vorn in die Kanone, drehte und hörte das Klacken der Verriegelung, als sie einschnappte. Thunderbolt packte das Werkzeug aus, und ich griff mir die Zugspindel. Ich kontrollier- te, dass der Zugknopf ganz vorne an der Spitze war, schob die Spindel von hinten in die Kanone und verriegelte sie. Dann nahm ich das Winkelgetriebe und wollte sie eben hinten auf die Spindel stecken, als ich etwas sah, und zwar das frei liegende Getriebe, was ungewöhnlich ist. »Wo ist der Blechdeckel?«, flüsterte ich. Thunderbolt zögerte einen Moment verwirrt und suchte dann in seiner Tasche. »Er ist nicht da. Ich hab’ ihn auch nie gesehen. Wir müssen ihn schon früh verloren haben. Brauchen wir ihn denn?« »Nein, schon nicht.« Mist, dachte ich. Hoffentlich liegt er nicht in Yokos Kofferraum. Ich klinkte das Getriebe auf die Spindel, steckte den Tarierschlüssel auf die Drehstange und schob das Stahlband mit dem breiten Loch voran in die Öffnung, wo die leeren Munitionsglieder herauskommen würden, bis zur anderen Seite durch. »Munition«, zischte ich. Markus hob das eine Ende des Granatengurtes an und kontrollierte, ob es das richtige Ende war. Da schwitzte er plötzlich. »Was ist?«, fragte ich beunruhigt. Er beruhigte sich wieder. »Ich dachte eben, sie seien falsch gegurtet.« »Oh, Mann, daran hab’ ich nicht gedacht«, gab ich zu. »Es ist die rechte Kanone, und die Granaten sind links gegurtet«, erklärte Markus. »Das ist richtig so.« Er zog die Granatenkette aus der Kiste und legte das Ende neben die Kanone. Dann hängte ich das Stahlband an das Ende und zog den Munitionsstreifen hinein. Ich reichte das Band an Hervé weiter, der stemmte einen Fuß gegen die Kanone und zerrte an dem Band. Ich kurbelte wie wild am Tarierschlüssel. Mit dieser Drehung, umgelenkt über das Winkelgetriebe, bewegte sich der Zugknopf der Spindel in der Kanone nach hinten und zog dabei den Durchlademechanismus gegen den 1.5-Tonnen-Widerstand der Verschluss- federn zurück.

132 Schließlich ging es nicht mehr weiter. Ich steckte den Stahlstift in eines der Löcher der Drehspindel, drehte bis Anschlag und fasste dann an die Drehstange des Winkelgetriebes. Ich drehte den Blockierring, der Zugknopf gab den Mechanismus frei, und mit einem lauten Krachen entspannten sich die Federn wieder. Die erste Granate war halb vom Kettenglied runter und halb in der ersten Kammer der großen Revolvertrommel. Soweit so gut. Ich kurbelte und entspannte noch drei Mal, dann befand sich die erste Granate vor der Mündung. Hervé hängte das Stahlband aus und legte es wieder in Thunderbolts Tasche. Ich nahm den Tarierschlüssel weg, schmiss ihn in Thunderbolts Segeltuchtasche, montier- te Winkelgetriebe und Zugspindel ab und beförderte es hinterher. Markus gab mir das Prüfgerät für den Kanonenschießbetrieb. Ich nahm das Kabel, das vom Zündgehäuse der Kanone herunterhing, und schloss es an das Gerät an. Ich drehte den Knopf des Geräts über die einzelnen Stellungen und stellte fest, dass die Elektrik funktionierte. Der Knopf lag jetzt fast auf der Endstellung, wurde aber durch einen kleinen Bolzen daran gehindert, auf die Stellung CARTOUCHE gedreht werden zu können. Und genau das war jetzt der nächste Schritt. Zum Inventar dieses Raums gehörte ein Bürodrehstuhl aus Stahl, den wir so auf den Tisch legten, dass wir die Kanone daranplatzieren konnten. Wir konnten sie nicht einfach an die Wand stellen, da noch irgendwo die leere Hülse nach hinten herausspringen sollte. Wir arrangierten das Ganze so, dass die Kanone nicht nach hinten gestoßen werden konnte, aber dabei die Hülsenöffnung frei blieb. Ich streichelte über das Prüfgerät und sagte:»Die Kanone wiegt hundertdreißig Kilo, aber bei der Feuerkraft ist das nicht viel mehr als ein Plastikmodell aus Lego. Ich versuche, so wenig Schüsse wie möglich abzugeben, weil sie ungestützt garantiert aus der Richtung kommt.« »Hast du das schon mal gemacht?«, fragte Thunderbolt neugierig. Ich schluckte. »Äh … nein.« »Du meinst, du hast keine Ahnung, was jetzt gleich passiert.« Ich lockerte mühsam meinen Kragen. »Äh … ja. Aber ich kann’s mir einigermaßen plastisch vorstellen.« Ich stopfte mir meine Selectone in die Ohren, und Rest nahm dafür die Finger. Ich atmete tief durch und drückte mit dem Daumen den Bolzen in das Gerät. Nichts hinderte jetzt mehr den Knopf, auf die Endstellung gedreht zu werden. Ich legte die Hand auf den Knopf und schaute noch einmal, ob die Munition auch ungehindert eingezogen werden konnte. Dann richtete ich meinen Blick auf die Tür und atmete noch mal tief durch. Meine Hände waren schweißfeucht, und mein Puls hämmerte. Mit einer raschen Bewegung riss ich den Knopf auf CARTOUCHE und sofort wieder zurück. Es dauerte nur eine halbe Sekunde. Aber das reichte!

*

Mit urwelthaftem Brüllen röhrte die Kanone los. Die DEFA-Flugzeugkanone der Mirage leistet bis zu 800 Schuss pro Minute. Natürlich braucht dieses Tempo einen Moment, um so richtig in Gang zu kommen, aber bis ich den Knopf wieder zurück hatte, waren mindestens fünf Granaten raus. Die Kanone sprang fast hoch und kam aus der Richtung. Die fünf Einschläge verteilten sich über den halben Türflügel, und das sah auch nicht übel aus. Minensprengbrandgranaten lassen einen Moment nur die Aufschlagwucht wirken,

133 bevor sie losgehen. Fünf Feuerblumen erblühten auf der Stahltür, die sich unter der Wucht der Einschläge deutlich verbeulte. Die erste Granate saß dort, wo sie sein sollte, die anderen natürlich nicht mehr. Das massive Tresorschloss sah aus, als hätte es der Beißer aus den James Bond-Filmen halb aufgefressen. Sofort — bzw. nach hastiger Verarbeitung des Katastrophenschocks — richteten wir die Kanone wieder dorthin, überprüften die Stuhlstütze hinten dran und waren uns bewusst, dass inzwischen in der Polizeistation der Alarm losgegangen war. Ich feuerte noch mal fünf Granaten raus. Die Hülsen jagten hinten raus, knallten gegen die Wand und schep- perten zu Boden. Das Schloss sah jetzt effektiv übel aus, hielt aber noch. Noch mal die Kanone richten, die nächste Salve, und dann flog das Schloss zusammen mit einem Stück der Tür hinten hinaus und krachte im Computerraum zu Boden. Der Rest kam von selbst in Gang. Urs lief los, stemmte mit Modesty zusammen die Tür auf und verschwand im Raum. Ich trennte das Prüfgerät von der Kanone und warf es in Thunderbolts Tasche. Der hängte den Lauf wieder aus, Hervé sammelte Hülsen und Kettenglieder auf und schmiss sie in die Munitionskiste. Ich hebelte die Granate, die der Kanone am nächsten war, aus dem Gurt, gab sie Hervé, hängte den Gurt ab und legte die restlichen vierzig Schuss in die Kiste zurück. Fünf Schuss waren ja noch in der Kanone, aber die konnten wir ein andermal entladen. Markus, Jürg, Hervé und Thunderbolt eilten mit der Kanone rasch zurück zur Starbright aufs Dach. Ballantine nahm den Lauf und das Werkzeug und folgte ihnen. Ich ging in den Computerraum und sah Urs mit gerunzelter Stirn am Terminal sitzen. Modesty stand neben ihm und erteilte Ratschläge. »Ist was?«, fragte ich. »Ja, ich finde das Verwaltungsprogramm nicht.« »Zeig mal!« Auf dem Bildschirm leuchtete das ungeheuer viel Sagende:

A:>

Ich tippte »DIR«.

NAME OF DRIVE A: IS INSTALL AUTOEXEC.BAT INSTALL.COM WORK.PRG ANALYZE.PRG DATA.DAT 453 287 BLOCKS FREE

»Was soll das?«, stutzte ich. »Das sind ja nur Serviceprogramme. Moment, ein Mainfra- me sollte ja wohl eine Harddisk haben.« Ich tippte »C:«

C:>

Ich rief wieder das Directory ab. Jetzt sah die Sache schon anders aus.

AUTOEXEC.BAT DOS (DIR) TURBO-PROLOG (DIR)

134 LOTUS (DIR) DATA.DAT 287 368 248 BLOCKS FREE

Ich tippte AUTOEXEC. Die Harddisk begann zu arbeiten und schloss ihre Arbeit eine halbe Sekunde später ab. Das DOS, das vorher schon gearbeitet hatte, stammte wohl aus dem Laufwerk A. Auf dem Schirm leuchtete:

MICROSOFT DOS 3.3 ALL RIGHTS RESERVED

Dann arbeitete die Festplatte weiter, lud noch das Turbo-Prolog und dann endlich Lotus, eines der weitverbreitesten Buchhaltungsprogramme, die es gibt. Von der Harddisk dauerte das alles nur zehn Sekunden. Das Tippen war das Zeitraubendste am Ganzen.

LOTUS / SOFTWARE DISTRIBUTION INSTALL CHASE MANHATTAN BANK 02.25.37 A.M.

Darunter tauchte das Menu auf. Ich wählte die Buchungen an. »Der Tresor ist eine gute Idee, dann können sie auf alle Softwareabsicherungen verzich- ten.«

MAIN CONTO: 13’468’047’397.65 $

Ich überlegte ein paar Sekunden und tippte:

OUT: 13’000’000’000.00 $ d Daraufhin tauchte eine verständliche Anfrage auf:

TO WHERE?

Ich kramte einen Zettel aus der Tasche und tippte die Zahl ein, die dort stand.

TRANSFER COMPLETED THANK YOU, SIR

»Du mich auch«, knurrte ich, sprang vom Stuhl, und zu dritt rannten wir hinaus. Ich überprüfte noch schnell, ob wir nichts hatten liegen lassen, und hetzte dann den anderen durch den Korridor hinterher. Im Vorbeirennen nahmen wir die Spiegelständer mit. Der Lift war schon in Betrieb und flog soeben am 25. Stockwerk vorbei. Die Bullenschaft war schon unterwegs. Wir sprangen in einen anderen Lift und fuhren aufs Dach. Wir rannten in die Starbright, deren Triebwerke schon liefen. Die Rampe war noch nicht ganz oben, als wir schon abhoben. Einen Moment später standen wir im hellsten Scheinwerferlicht. »Verdammt, ein Polizeihubschrauber!«, knurrte Markus und gab Schub. Wir flogen vom Bankgebäude weg, und während die Flügel nach unten drehten, hängten wir die lahme Ente von Bell Jetranger rasch ab.

135 Ich ließ meinen Blick über die Kanone und ihre Ausrüstung schweifen. Wir hatten nichts liegen lassen. Gut so, denn ich wollte dem Schweizer Militär alles komplett zurückgeben. Modesty ging ins Cockpit. »Mach, dass wir von der Erde wegkommen! Die alarmieren todsicher das Raumflottenkommando!« »Darauf kann ich verzichten«, knurrte Markus. Er drehte den Kopf nach hinten und brüllte:»Besatzung auf die Brückeeee!« Urs und ich, wir rannten ins Cockpit auf unsere Plätze. Modesty, Ballantine und Thun- derbolt schnallten sich auf den Sitzbänken im Frachtraum fest. Kanone und Werkzeug waren bereits befestigt, und Markus schoss uns in die Sterne hinauf. Ich probierte die Funkkanäle durch und erwischte etwas effektiv Interessantes. »Raumflottenkommando an Kampfstern Galactica. Wir brauchen einen Viper- Notfalleinsatz. Abfanggebiet Vereinigte Staaten.« »Tut mir Leid, wir sind auf der falschen Erdseite.« »Verstanden, danke. Raumflottenkommando an Kampfstern Pegasus. Viper- Notfalleinsatz zwei Maschinen. Ziel ist eine Lambda Klasse-Fähre, Kurs unbekannt. Alarmstartort New York.« »Roger, Kommando. Befehl geht raus.« Ich drehte mich zu Markus um. »Beeil dich, die hetzen uns zwei Viper auf den Hals!« »Bitte hetz’ mich nicht, man soll mich nicht unter Druck setzen!« »Das tue ich auch gar nicht, das machen die.« Wir schossen durch das 200 Kilometer-Orbit, als wäre es eine Ziellinie, und streiften die Gravitationsfesseln ab. Modesty, Ballantine und Thunderbolt wurden allmählich grün im Gesicht. »Okay, von jetzt an seid ihr die Spezialisten«, flüsterte Modesty, die mit großen Augen auf den sichtbar zurücksinkenden Erdball mit den fantastischen Wolkenformationen starrte. Hervé rechnete wie wild an der Navigation. »Verdammt, die bremsen mir irgendwelche Interferenzen rein. Ich krieg’ kein vernünftiges Resultat zusammen. Wir müssen hier weg!« »Im Unterlichtbereich sind die Viper sechs Mal schneller als wir!«, erinnerte ihn Markus. Na, das konnte ja heiter werden. Mit vierzigtausend Kilometern pro Sekunde jagten wir in siebeneinhalb Sekunden an der Mondbahn vorbei. Mit zweihundertsechzigtausend Kilometern pro Sekunde holten die Viper verdammt schnell auf. Nur die Millennium Falcon wäre schneller gewesen. Urplötzlich schossen zwei geflügelte Pfeile an uns vorbei und bremsten scharf. Starbuck platzte fast aus seinem Cockpit. »Seid Ihr denn bescheuert?! Lasst den Quatsch!« Ich drückte die Funktaste. »Halt den Arsch, sonst hau’ ich ihn voll!« Markus machte ein heißes Ausbremsmanöver. Thunderbolt meinte von hinten:»Gehen wir doch in den Knast. Die Skywalker wird das nachher schon aufklären.« »Ja, wenn sie die Senatoren überzeugen kann!«, rief ich zurück. »Außerdem war ich noch nie im Knast.« »Dann lassen wir’s auch besser«, meinte Markus trocken.

136 »Hört endlich auf!«, flehte Starbuck. »Sonst bin ich gezwungen, das Feuer zu eröffnen.« »Wir zwingen dich nicht«, gab ich zurück. »Es sind die, die dir deine Befehle gegeben haben. Ende der Diskussion.« Was denn für ‘ne Diskussion? Aber Starbuck und sein Kollege waren eindeutig die routinierteren Flieger. Im Handum- drehen hatten sie uns wieder auf den Mond zurückgedrängt. Über Funk hörte ich auch, wie bereits drei weitere Patrouillen im Anflug waren. Wir jagten auf die Mondrückseite hinüber und sahen sie bereits kommen. Sechs grelle Lichtfunken jagten frontal auf uns zu und feuerten. Zur Schande der Viper-Piloten muss ich aber sagen, dass sie uns um Meilen verfehlten. Dafür brachten sie unsere Verfolger ziemlich ins Schwitzen, die hart auswei- chen mussten. Im Nu waren die Neuen heran, und wir stellten zu unserer Verblüffung fest, dass es republikanische X-Flügel-Jäger waren, von denen zwei die Viper in einen brutalen Kurvenkampf verwickelten. »Wo kommen denn die her?«, fragte ich erstaunt. Markus deutete aus der Frontscheibe und sagte seltsam schwach:»Von da!« Ich sah hin und brachte nur noch ein leises »Oh, Mann« heraus.

*

Die Pegasus umrundete gerade den Mond. Auf der Brücke stand ihr legendärer Befehls- haber Commander Cain, der mit seinen trickreichen Schlachtlisten die Cylonen damals ganz schön verheizt hatte. »Reden Sie keinen Quatsch, Starbuck! Wo sollen denn hier X-Flügel-Jäger herkommen?« »Kommen Sie doch her und sehen Sie es sich selbst an!«, brüllte Starbuck respektlos zurück. »Sie werden lachen, aber ich bin bereits auf dem Weg dazu«, gab Cain ungerührt zurück und starrte an der Mondoberfläche vorbei in die Ferne. Plötzlich wurde es ziemlich schattig. Die Sonne war weg. »Was, bei den sieben Höl … « Weiter kam er nicht. Eine gewaltige Bugspitze schob sich über die Pegasus. Mit äußerst deutlichem Geschwindigkeitsunterschied raste eine endlose Masse Stahl über den vergleichsweise winzigen Kampfstern hinweg. Trotz dem hohen Tempo dauerte es doch mehrere Sekunden, bis das ganze Schiff durch war. »Sollen wir den Kampf aufnehmen, Sir?«, fragte ein Offizier ironisch. »Sie sind wohl bescheuert!«, fauchte Cain. »Gegen einen Super-Sternzerstörer? Sie wollen wohl beten lernen!«

*

Wir stiegen wie betäubt aus der Starbright und wurden von einer ziemlich mitgenomme- nen Leia erwartet, die sich auf zwei Krücken stützte. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Markus besorgt. »Nichts Besonderes, bin nur gegen eine Bombe gelaufen«, gab sie knapp zurück und fügte noch knapper hinzu:»Hier auf diesem Schiff!« »Verdammt, das ist ernst.«

137 »Allerdings. Ich traue eigentlich nur noch Lando und Wedge Antilles. Wedge hat für euch die Viper ein bisschen geärgert. Sie sind schon wieder an Bord, und wir sind im Hyperraum. Habt ihr’s geschafft?« »Und wie«, antwortete Urs. Wir erwarteten ein ‘Danke’, aber sie sagte kein Wort. Stattdessen küsste sie jeden von uns auf den Mund. Nur bei Modesty verzichtete sie darauf und gab ihr die Hand. »Eine neue Ordnung wird entstehen«, sagte Leia. »Jetzt kommt’s nur noch auf mich an.« Ich räusperte mich mühsam und blickte mich im Hangar um. »Soll das heißen, dass du dieses Monster nur wegen uns in Gang gesetzt hast?« »Genau.« Urs schluckte hart. »Genau genommen hätte es ein ganz gewöhnlicher, stinknormaler, unauffälliger Sternzerstörer auch getan.« »Die Idee kam mir erst, als ich an Bord war. Das ist nun mal mein Flaggschiff. Und jetzt ruht euch aus.« Urs gähnte. »Ja. War ’n anstrengender Tag. Und die Nacht war nicht viel besser.«

138 7

Wo ist das Geld??

24. Februar 1988 / Bern Im Besprechungszimmer im Berner Polizeigebäude schwebte eine Wolke aus Zigaretten- rauch und Ratlosigkeit. Commissaire Ducret blätterte in Akten, Commissioner McDiehl zündete sich umständlich seine Pfeife an, und Polizeichef Albisetti führte das große Wort. »Wie es scheint, hat das Geld einen Dreisprung gemacht. Von Bern nach Paris, was wir in zwei Stunden raushatten, dann von Paris nach New York, wofür wir sieben Stunden gebraucht haben, und von dort weiter, wofür wir noch mal vier Stunden gebraucht haben. In der Zwischenzeit wurde aus einer schweizerischen Fliegerkaverne eine Flugzeugkano- ne gestohlen, mit dem sie den Tresor der Chase Manhattan Bank gesprengt haben. Dabei hat man sie fast gestellt. Ein Hubschrauber und zwei Viper-Jäger konnten sie nicht aufhalten, da die Flüchtenden ganz plötzlich von einem … wie heißt das? … Super- Sternzerstörer geborgen wurden, dessen verwaschenes Echo die Galactica wenige Stunden zuvor im Trans Saturn-Sektor entdeckt hatte, aber nicht identifizieren konnte, da der … das Schiff inzwischen den blinden Fleck vor und hinter der Sonne angesteuert hatte. Jetzt die unwichtigere Frage: Warum werden auf einem Privatkonto dreizehn Milliarden Dollar geklaut und die Flüchtenden ausgerechnet vom größten militärischen Kriegsschiff in dieser Galaxis gerettet? Und die wichtigere Frage: Warum, zum Teufel, werden die dreizehn Milliarden ausgerechnet dem amerikanischen Regierungsbudget gutgeschrieben?!«

*

24. Februar / Maskon-System Leia starrte uns erstaunt an. »Wo habt Ihr das Geld hingeschickt??« Ich lachte. »An die amerikanische Regierung! Bei der Verwaltungsmühle, die die dort haben, dauert es Wochen, bis die Buchung endlich rückgängig gemacht wird. Und bis dahin ist das Konto in Bern längst in der Hand der republikanischen Regierung.« »Das ist wirklich die beknackteste Idee, die ich je gehört habe.« »Aber sehr effektvoll. Uns geht’s ja nur um Zeit.« »Na, hoffentlich. So lange gebe ich euch politisches Asyl, damit wenigstens das Recht gewahrt bleibt. Nach der ganzen Sache mache ich eine Intervention bei den beteiligten Ländern auf der Erde, und alles ist wieder wie vorher.« »Beinahe«, warf ich ein. »Ich muss nur noch die Kanone zurückbringen. Leutnant Fanti wird mir die Gurgel umdrehen und dabei hoffentlich endlich mal lachen. Das will ich mal sehen.« »Ich werde den Regierungen mitteilen, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte, dann werden sie es verstehen.« »Und eine höfliche Aufforderung an uns ergehen lassen, so etwas in der Zukunft doch bitte zu unterlassen.« Urs prustete los. Leia blickte auf die Uhr. »Ich muss auf die Brücke, wir laufen bei Maskon an. Normale Brennstoff- und Ersatzteilübernahme. Bis nachher.«

139 Leia verließ den Raum und ließ ein paar verdammt müde Chaoten zurück. Drei Sekun- den später kam sie aber wieder rein. »Hätte ich fast vergessen. Ich hab’ da noch ein ganz persönliches Geschenk an euch.« Damit legte sie ein kleines, silbernes Metallkästchen auf den Tisch. »Drückt den Knopf an der Seite, dann geht der Deckel auf. Wird ‘ne tolle Überraschung.« Damit ging sie wieder. Urs nahm das Kästchen in die Finger. »Das ist sicher der moderne Kastenteufel. Man drückt den Knopf, und eine schaurige 3-D-Holografie springt heraus.« »Könnte sein«, meinte Jürg. »Du musst das Ding also unbedingt ohne den Knopf aufma- chen.« Urs drückte an dem Kästchen herum und würgte den Deckel ab. »So, das war’s. Aber was das sein soll, was drin ist, weiß ich auch nicht.« Das Innere wirkte etwas enttäuschend. Ein paar elektronische Teile, eine grüne Digital- uhr im Miniformat und eine geléeartige Masse, in die zwei Drähte gesteckt waren. Die Uhr stand auf drei Sekunden still. Plötzlich schwitzten wir! »Raus hier!«, rief ich und sprang hoch. Die anderen stürzten aus dem Raum, ich drückte den Knopf, schmiss das Kästchen in die Ecke und rannte auch raus, die Tür zischte zu. Sie flog aber gleich wieder auf und krachte an die Korridorwand. Ein satter Knall verwandel- te den Raum in eine Müllhalde. Die Druckwelle warf uns um, eine Sirene dröhnte auf, und mehrere Sicherheitsleute rannten den Korridor herunter. Allen voran Leia. »Was ist denn jetzt kaputt?!«, rief sie atemlos. Urs stand auf und wischte sich den Staub von den Kleidern. »Deine Geschenke kannst du dir an den Hut stecken«, knurrte er. »Was für’n Geschenk?« »Na, dieses Metallkästchen, das du uns gerade geschenkt hast. Du hast wohl versehent- lich in die Granatenkiste gegriffen.« »Ich hab’ euch nichts geschenkt«, erklärte sie mit gerunzelter Stirn. »Ich bin raus, und auf dem Weg zur Brücke hab’ ich’s krachen hören.« Ich schüttelte den Kopf. »Oh, Scheiße.« Leia schluckte und knirschte wütend mit den Zähnen. »Vor ein paar Tagen hat man Lando durch einen Infiltrator ersetzt, aber wir haben ihn entlarvt. Das wird ja immer besser. Von jetzt an bleibt immer einer von euch bei mir, damit ihr wisst, dass ich es bin.«

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24. Februar / Washington D.C. Finanzminister Morrow kratzte sich am Kopf. »Selbstverständlich werden wir das Geld zurückerstatten. Ich habe bereits eine derartige Veranlassung in Auftrag gegeben. Wir haben sehr schnell gemerkt, dass uns da die dreizehn Milliarden unberechtigterweise zugeflossen sind. Haben Sie nur etwas Geduld. Na, ich schätze im Maximum … sechs Wochen. Ich muss doch sehr bitten! Im Minimum … zwei Wochen. Schneller geht’s nun mal nicht, tut mir Leid.«

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24. Februar / Coruscant »Schöner Mist, Chef. Das Geld ist bei der amerikanischen Regierung, und die kann es wegen ihrer administrativen Mühlen erst in zwei Wochen wieder rausgeben.«

140 »Dann setzen Sie die Bank in Bern unter Druck! Ich muss das Geld haben. Er muss es zwischenzeitlich sonst wo auftreiben.« »Das kann er nicht, hat Charpentier gesagt. Die Bank verfügt höchstens über sieben Prozent der dafür nötigen Mittel. Und dann kann sie Konkurs anmelden.« »Das kann doch nicht wahr sein!« »Ich habe Ihnen geraten, eine große Bank zu nehmen. Jetzt haben wir den Salat.« »Und wie hätte ich den Bankpräsidenten knacken können? Es war der einzige gangbare Weg. Beseitigen Sie mir die Chaoten, und zwar in baldigster Bälde.« »Läuft bereits. Die werden sich gewaltig wundern, wenn sie noch Zeit dazu haben.« »Sie sprechen sicher aus persönlicher Erfahrung.«

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25. Februar / Aquistones-System Leia rief uns zu einer Besprechung in ihre Kabine. Wir gingen also dorthin, und als wir in der Tür standen, staunten wir nicht schlecht. Ich stand neben ihr. Aber etwas stimmte trotzdem nicht, denn ich stand auch in der Tür! Da diese Erzählung zwar authentisch, aber auch ein Roman ist, verzichte ich vorläufig darauf, zu verraten, wer welcher ist. Leia staunte auch nicht schlecht. Und dadurch, dass in diesem Moment noch eine Leia durch den Korridor kam, wurde die Sache auch nicht unbedingt besser. Markus wich an die Wand zurück und bellte:»Bleibt jeder, wo Ihr seid! Damit wir euch wenigstens auseinander halten können.« In diesem Moment riss ich am Tisch die Laserpistole aus Leias Halfter und feuerte auf mich an der Tür. Ich an der Tür warf mich zurück, und der Strahl ging in die Wand. Die Leia an der Tür hatte im selben Moment ihre Kanone draußen und schoss sie mir am Tisch aus der Hand. Markus deutete auf mich am Tisch. »Dann scheint das ja wohl der Falsche zu sein.« »Bist du beknackt?!«, rief ich am Tisch. »Wir müssen doch die Falschen ausschalten! Und ich wollte eben damit anfangen.« Und die Leia an der Tür sagte:»Und ich würde wohl kaum einen Roboterkollegen entwaffnen. Ich wäre ja behämmert.« »Vielleicht willst du auch nur deine Tarnung festigen«, sagte die Leia am Tisch. Ein wirklich kniffliges Problem. Urs ging zu mir an der Tür und fragte:»Was gibt ein Chaot plus ein Chaot?« »Ein Chaos«, antwortete ich an der Tür. »Das wusste ich aber auch«, sagte ich am Tisch. »Ach, woher denn?« »Na, du selbst hast es mir mal gesagt. Aber das ist schon ein Weilchen her.« »Stimmt, das habe ich. Und woher weißt du es?« »Wie er da sagte: von dir.« »Hm. Der eine weiß die Antwort, und der andere weiß, woher. Und kennst du auch den Witz von dem Pferd, das in die Bar geht und Martini bestellt?« »Nein«, sagte ich an der Tür. »Dann haben wir das Problem gelöst«, sagte ich am Tisch und hob die Waffe auf. »Ich weiß es nämlich. Der Keeper sagt ‘Es kommt nicht oft vor, dass ein Pferd Martini bestellt.’ Sagt das Pferd ‘Kein Wunder bei den Preisen’.« Damit hob ich die Waffe und feuerte wieder.

141 Der Strahl wurde aber von einem gezündeten Laserschwert teilweise abgelenkt. Die anderen Teile kamen aber durch und trafen mich an der Tür in die Schulter. Die Wucht riss mich zurück, ich krachte an die andere Korridorwand und fiel um. Urs verlor keine Zeit, schwenkte das Schwert herum, und das Gesicht, von dem am Tisch löste sich in Rauch auf. Elektrische Funken sprühten, und der Roboter fiel fast in Zeitlupe um. Die Leia am Tisch nahm ihre Waffe zurück, und ich stand wieder auf und hielt mir die Schulter. »Sanitäter«, knirschte ich gepresst. Die Leia an der Tür warf einen kurzen Blick drauf. »Halb so wild. Vom Rad fallen ist schlimmer.« »Sauber hingekriegt, Urs«, meinte ich etwas gequetscht. Er grinste. »Den Witz hab’ ich dir nämlich nie erzählt. Frage mich, woher der Roboter ihn kannte. Damit hätten wir 50% unseres Problems gelöst.« »Ich kenne keine Witze«, sagte die Leia an der Tür. Beide hatten jetzt ihre Waffen in der Hand. Wir blickten zwischen den beiden hin und her. »Ich kenne eine absolut sichere Methode, den Roboter abzuknallen«, meinte die an der Tür. »Legt uns beide um.« Markus zündete sein Laserschwert und schlug zu. Der Roboterkopf flog gegen die Wand und schepperte zu Boden. Der Rest fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Leia am Tisch steckte ihre Waffe wieder ein. »Nicht übel, Markus.« »In unserer gegenwärtigen Situation die richtige Leia umzulegen, hieße, die Sektion endlich ihrem Ziel zuzuführen. Und das ist ja das, was sie wollen. Du musst unbedingt an der Macht bleiben. Also würdest du niemals so einen hirnrissigen Vorschlag machen.« Sie verkniff sich ein Grinsen und rief die Wache.

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27. Februar 1988 / Coruscant »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Chef.« »Glück brauchen nur die Verlierer. Also passen Sie auf, was Sie sagen. Wo ist unsere gegenwärtige Präsidentin?« »Sie ist auf dem Weg hierher, Sir.« »Beten Sie, dass alles klappt. Ich hasse nämlich elende Versager.« »Sie haben zu spät reagiert. Sie hätten Ihre Anschläge nicht auf Präsidentin Skywalker konzentrieren sollen sondern auf diesen Kommandotrupp. Das ist Ihr Fehler! Wenn Sie es nicht schaffen, dann passen besser Sie auf. Die Sektion ist sehr übel gelaunt, deswegen. Wir haben unsere gesamten Finanzmittel in dieses Unternehmen gesteckt. Wenn Sie jetzt nicht an die Macht kommen, sind wir sprichwörtlich im Eimer. Und Sie auch. Aber mit dem Kopf nach unten!« »Sie drohen mir? Na, das ist ja toll! Dann sage ich Ihnen jetzt was. Wenn ich auffliege … ich weiß eine Menge über Kontakte der Sektion zur Regierung. Glauben Sie nur nicht, dass ich das für mich behalte.« »Wenn Sie nicht an die Macht kommen, werden Sie auffliegen. Denn Sie haben dann keine Chance mehr, es bei der nächsten Wahl in drei Jahren noch mal zu versuchen. Wenn die Skywalker es schafft, dann kommt alles ans Licht, und das Volk wird sich nicht mehr so leicht übertölpeln lassen. Und Sie werden für uns nutzlos geworden sein. Sie haben es versaut! Sie mussten das Geld ja unbedingt auf der Erde anlegen! Und jetzt ist es weg. Es steckt in der langsam mahlenden Verwaltungsmühle Amerikas.«

142 »Ich werde die Senatoren überreden können, noch etwas zu warten. Sie werden ihr Geld kriegen. Nur einfach etwas später.«

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Der Ratssaal füllte sich allmählich. Senator Temay Gemonics, Vertreter des gordischen Sektors, entdeckte auf seinem Tisch einen verschlossenen Brief. Er öffnete ihn und begann zu lesen.

Sehr verehrter Senator Gemonics. Sie haben sicher bemerkt, dass die letzte Zahlung ausblieb. Das ist absolut kein Grund zur Beunruhigung, ich habe das Geld an einem sicheren Ort in Verwahrung gegeben. Auf der Erde. Nur haben die Idioten dort unten leider ein paar Verwaltungsprobleme gekriegt, sodass das Geld für die Dauer von ma- ximal zwei Wochen nicht verfügbar ist. Seien Sie versichert, dass Sie für Ihren Dienst, den Sie mir erweisen, entsprechend ent- lohnt werden, womit Sie endlich die Chance kriegen, Ihre flaue Agrarwirtschaft in Gang zu kriegen. Vertrauen Sie mir! Wenn Sie mich wählen, werde ich mich auch zu- sätzlich noch erkenntlich zeigen. Sollten Sie es sich anders überlegen, so bedenken Sie, dass dann unsere gegenwärtige Präsidentin an der Macht bleiben und fortfahren wird, die galaktischen Wirtschaftsver- hältnisse langsam aber sicher zu ruinieren. Die Folgen für die gesamte Galaxisbevölke- rung wären absolut unvorstellbar. Das Volk wird das irgendwann nicht länger mitma- chen, und die vereinzelten Terroranschläge würden sich in einen handfesten Bürger- krieg verwandeln, an dem Sie teilweise mitschuldig sein würden, da Sie die falsche Ent- scheidung getroffen haben. Können Sie mit dieser Verantwortung leben? Ich könnte es nicht. Ich grüße Sie freundlich, verzichte aber, meinen Namen unter diesen Brief zu setzen. Sie verstehen das sicher. Übrigens: Die anderen, betroffenen Mitglieder des Senats lesen sicher im selben Mo- ment denselben Brief. Blicken Sie sich doch mal um!

Gemonics faltete den Brief zusammen und ließ den Blick in die Runde schweifen. Es war ein Schock für ihn, als er erkannte, wie viele darin verwickelt waren. Mehrere andere begannen jetzt ebenfalls aufzublicken, auf ihren Gesichtern zeichnete sich derselbe Schock ab. Gemonics fühlte eine hilflose Verzweiflung. Er ballte die Fäuste.

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Militärpolizei bahnte Leia einen Weg durch die Menge zum Ratsgebäude. Der überwie- gende Teil war positiv gestimmt, aber dafür waren die Querschläger um so lauter mit ihren Protestschreien. Über dem Platz schwebte ein Polizeigleiter, bereit, mit Betäubungs- gewehren in die Menge zu feuern, aber es war nicht nötig. Leia betrat das Ratsgebäude, wo wir sie schon erwarteten. Sie sagte kein Wort. Erst, als sie die große Saaltür erreichte, blieb sie stehen und machte den Mund auf. »Hofft, dass ich durchkomme. Wenn nicht, seht Ihr eure Erde nie wieder. Mir liegt ein Auslieferungsantrag vor, begründet mit einer Anklage, die ausreicht, euch für eine verdammt lange Zeit hinter Gitter zu bringen. Ich habe die Antwort verzögert mit der Begründung, ich stünde mitten im Wahlkampf. Außerdem sind sie darüber sauer, dass republikanische Jäger ein paar Viper-Patrouillen angegriffen hätten.«

143 Sie wollte eintreten, aber Jürg fasste sie an der Schulter. Sie drehte sich um. Jürg sag- te:»Möge die Macht mit dir sein.« Sie nickte lächelnd. Sie ging rein, und im Ratssaal flaute der Lautstärkepegel der Gesprä- che merklich ab. Wir gingen die Treppe hoch auf die Zuschauerempore. Erstmalig wurde die Wahl nicht per TV übertragen. Als Besucher waren auch nur Luke, Han und wir zugelassen. Wir wirkten auf der großen Tribüne etwas verloren. Trotzdem war dieser Saal viel übersichtlicher, als es der alte mit den Schwebe-Konsolen gewesen wäre. Mit der Neuordnung der Galaxis war die Anzahl der Sektoren massiv reduziert worden, womit ein kleinerer Saal nun ausreichte, wo man sich besser ins Gesicht blicken konnte. Leia ging zu Senator Simon Greyshade und redete kurz mit ihm. Dann erklang der volle Ton einer großen Glocke, der die Ratsmitglieder auf ihren Platz zurück rief. Wir betrachte- ten der Reihe nach die Senatoren. Irgendeiner gehörte zur Sektion, das wussten wir. Bloß welcher? Gemonics, der Gordianer? Kaum vorstellbar. Mit der Wirtschaft in seinem Sektor ging es zwar abwärts, aber er war als unbestechlicher und integrer Politiker bekannt. Tamayaan, der Rigelianer? Ach, Quatsch. In seinem Sektor liegt Cynet, Baron Tagges elektronische High-Tech-Hochburg. Der kennt keine Finanzprobleme. Yegar, der Maskonianer? Nein, der war unheimlich populär. Ein witziger Gesprächs- partner und harter Kämpfer in Redeschlachten. Außerdem kam er aus einem Sektor, der im Bruttosozialprodukt wohl an der Spitze der Galaxis steht. Zac, der Evvelioner? Unsinn. Der hat in den letzten zwei Jahren seinen Regierungsstab derart umgebildet und so viele Korruptionsskandale aufgedeckt wie kein anderer in der Zeit. Er war zwar dabei, die Wirtschaft in seinem Sektor kaputt zu machen, aber nur weil er versuchte, mit allen Mitteln den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen. Er hatte ein noch nie da gewesenes Programm aufgestellt, dessen Ziel es war, die Arbeitslosigkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre praktisch auf Null zu drücken. Ich schüttelte den Kopf. Jeder hatte irgendetwas Gutes zu melden. Es hatte keinen Sinn, überhaupt nachzudenken. Lassen wir einfach alles auf uns zukommen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Leia trat aufs Podium, faltete ein paar Blätter zusammen und steckte sie weg. Die Rede, die sie hielt, ist weder aufgezeichnet noch rekonstruiert worden. Ich habe ein Tonband laufen lassen, und Leia hat mich offiziell dazu ausersehen, die einzige Mitschrift dieser Rede zu veröffentlichen. Es war eine wahrhaft Aufsehen erregende Rede, die für einmal die Schranken der Langeweile durchbrach.

144 8

Auf des Messers Schneide

»Liebe Anwesende, sehr … verehrte … Mitglieder des Senats. Ich stehe hier in einer schweren Stunde vor euch und sehe eure erstaunten Gesichter. Aber ich weiß, dass der größte Teil dieser Gesichter geheuchelt ist. Jetzt sind Sie noch erstaunter. Geben Sie sich keine Mühe, denn ich weiß über alles Bescheid. Ich hätte gute Lust, etwas zu unterneh- men, was vor mir schon einer unternommen hat. Vor fünfzig Jahren erklärte sich Kanzler Palpatine zum Imperator und stürzte damit die Galaxis in den schrecklichsten Krieg aller Zeiten. Da ich das nicht will, werde ich seinen Spuren nicht folgen, was mich dazu bringt, eurem gesunden Verstand zu vertrauen, sofern der noch vorhanden ist!« Leia hatte begonnen zu brüllen, die Senatsmitglieder zuckten sichtlich zusammen. Leia wandte eine abgeänderte Flucht-nach-vorn-Taktik an und leistete sich keine Pause. »Sie alle sind getäuscht worden. Jemand hat die meisten von euch bestochen, damit er an die Macht gewählt würde. Dieser Er jedoch bezweckt nichts anderes als das, was ich verhindern will. Nämlich hier zu stehen und zu sagen:’Ich bin von jetzt an Kaiser der Galaxis’! Vielleicht haben sich manche schon gefragt, warum es in letzter Zeit so viele Todesfälle im Senat gegeben hat. Ich sage es euch: Sie haben sich geweigert, ihm Folge zu leisten! Ich kann mich nur verneigen vor dem Mut und der Entschlossenheit dieser Menschen und ihren Tod bedauern. Sie erinnern sich sicher alle noch an Senator Quen, der erst vor einer Woche verstorben ist. Ich kannte ihn sehr gut, denn er kämpfte einst mit mir in der Rebellen-Allianz. Er war ein guter Kämpfer, aber ein mittelmäßiger Politiker. Plötzlich kommt er zu mir und sagt, er habe sich kaufen lassen. Warum? Warum?? Und … warum hat er nun anders entschieden? Die Antwort ist: er wollte mich nicht verraten. In der Allianz hat er mir mehrmals versichert, er würde notfalls für mich sterben. Das hat er jetzt getan! Erinnern Sie sich noch, Senator Rieekan? Sie waren dabei, als er es mir einmal sagte. Das war, als das Imperium uns auf Hoth angriff.« Senator Rieekan nickte. Leia fuhr fort:»Die Meisten von euch haben mit mir gekämpft. Was habt Ihr jetzt plötz- lich alle? Ihr habt das Vertrauen verloren? Dann präsentiere ich euch ein paar Zahlen. Keine Kommentare, keine Bemerkungen … nur Zahlen! Während meiner bisherigen Amtszeit ist aus der Verwirrung eine funktionierende Wirtschaft auferstanden. Das ist eine klare Tatsache! In der Galaxis wird produziert! Das Durchschnittsbruttosozialprodukt ist um 314 Prozent gestiegen! Der Gesamtumsatz des freien Marktes ist um 1’297 Prozent gestiegen! Auf 100 Prozent der bekannten Welten ist eine freie Gesellschaftsform entstanden! Die gesamte Arbeitslosigkeit beträgt 1.57 Prozent mit einer abnehmenden Rate von 0.06 Prozent pro Monat. Diese Rate wächst ebenfalls kontinuierlich. Und Sie werfen mir vor, ich treibe die Wirtschaft in den Ruin?! Im Gegenteil. Ruiniert war sie schon. Sie entsteht jetzt wieder. Wie können Sie so blind sein und das nicht erkennen! Kommen wir nun zu den negativen Punkten, und da fällt mir eigentlich nur einer ein. Es handelt sich genau genommen um eine Vereinigung von Rebellen, die unter dem Namen ‘Sektion zur Wiedererrichtung des Imperiums’ bekannt ist. Stimmen Sie alle den Zielen und Absichten dieser Vereinigung zu?«

145 Die Senatoren lachten höflich. »Na, also. In dem Fall wird es Sie bestimmt freuen, wenn ich Ihnen noch mal vor Augen halte, dass in den letzten drei Jahren ein Spion aus unseren vertrautesten Reihen entfernt wurde. Seine Name war Jin Kelmar. Noch etwas früher wurde der Leiter der Sektion, der ehemalige Todessternkommandant Morna Jerjerrod, ebenfalls unschädlich gemacht. Die Sektion bestand ursprünglich aus versprengten Teilen der alten Imperiumsflotte. In den letzten drei Jahren haben sich etwa sieben Achtel der Angehörigen dieser Sektion entweder auf unsere Seite geschlagen oder sind eliminiert worden. Die militärische Ausrüstung beschränkte sich anfangs auf einige zu Kampfkreuzern umgebaute Trans- portschiffe. Heute haben sie nichts mehr, was größer ist als ein Spurjäger! Wenn jeman- dem etwas einfällt, was ich in meiner Amtszeit effektiv falsch gemacht habe, dann soll er seinen ganzen Mut zusammenkratzen und es jetzt … hier … und laut sagen!« Es entstand eine unbehagliche Stille. Mir lief der Schweiß über die Stirn. Warum hatte ich Leia nur von Hitlers Redetaktik erzählt. Brüllen ist die beste Methode, ein Publikum einzuschüchtern, und Leia machte es recht gut. Die meisten Senatoren blickten betreten zu Boden. Leia ließ eine volle, quälend lange Schweigeminute verstreichen, bis sie endlich weiter- sprach. »Nun, das genügt wohl, nehme ich an. In der Zeit des Imperiums war ich als Senatorin von Alderaan die einflussreichste Gönnerin der Rebellen-Allianz. Als Alderaan vernichtet wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als mich aktiv anzuschließen. Mein politisches Engagement bewirkte, dass ich eine leitende Position einnahm. Ich war nicht gerade die Führerin, das überließ ich Mon Mothma.« Die Angesprochene blickte weiterhin zu Boden und beobachtete den Rest des Senats. »Aber ich darf ohne Eitelkeit ein paar simple Tatsachen feststellen. Ich habe meine politische Position geopfert, als ich die Pläne des ersten Todessterns beschaffen ließ, um sie der Allianz zu geben. Das hätte mich fast das Leben gekostet. Während der folgenden Jahre versuchte ich, die Flotte so in der Galaxis herumzumanövrieren, dass das Imperium uns nicht fand, und es ist ein wahres Wunder, dass es auch nicht geschehen ist. Den Endangriff auf den letzten Todesstern entschied ich zusammen mit Admiral Ackbar. Ich auf dem Mond Endor, und er im Weltraum.« Sie machte eine kurze Pause und sagte dann leise und ernsthaft:»Ihr seid mir was schuldig.« Niemand lachte. »Und jetzt wollt Ihr zulassen, dass jemand die Macht übernimmt, der der Sohn von Palpatine sein könnte? Ausgerechnet Ihr?! An alle, die es angeht: Das Geld, auf das Ihr noch wartet, wird nicht kommen. Niemals! Denn es ist in unserer Hand!« Ein kalkulierter Bluff. Aber auf einigen Gesichtern tauchten unterschiedliche Reaktionen auf. »Ich habe alles, was ich brauche, um den Schuldigen festzunageln, bis auf eines: seinen Namen! Ich frage jetzt nicht danach, das interessiert mich im Moment nicht. Was mich interessiert, ist, ob Ihr bereit seid, mir weiterhin euer Vertrauen zu schenken. So, wie ich euch mein Vertrauen schenke. Ich überlasse euch die Entscheidung, weil mir aufgrund der von mir selbst erlassenen Gesetze keine andere Wahl bleibt. Und ich halte mich an meine Gesetze! Also tut Ihr es auch. Das Schicksal der Galaxis liegt in eurer Hand. Die Verantwortung für das Leben der größten Masse intelligenter Lebewesen, die je unser bekanntes Univer-

146 sum bevölkert hat! In der Vergangenheit ist einmal ein Fehler gemacht worden. Die Folgen kennt Ihr alle. Und ich bitte euch jetzt, hier und eindringlich:« Sie flüsterte nur noch. »Macht denselben Fehler … nicht noch mal.« Sie blickte in die Runde, lehnte sich erschöpft an das Rednerpult, wischte sich den Schweiß von der Stirn und holte erschöpft Luft. »Ich habe sonst nichts mehr zu sagen, außer einem: Ihr alle habt meine militärischen Führungsqualitäten zur Zeit der Rebellion anerkannt. Ich habe fast mein Leben dafür gegeben, für das Gute zu kämpfen. Aber ich versichere euch … dass ich daran zweifle, dieselbe Kraft … für dieselbe Situation … noch einmal aufbringen zu können.« Damit verließ sie das Rednerpult und ging durch die absolut betäubende Stille im Saal zu ihrem Sitz zurück, der sich nur durch eine etwas abgesetzte Position von den Senato- rensitzen unterschied. Ich rang nach Luft und flüsterte:»Mein Gott. Ihr letzter Satz war wohl ihre schlimmste Drohung.« Mon Mothma, die Senatsvorsitzende, stand auf und ließ einige Sekunden verstreichen, bevor sie sprach. »Wir alle wissen, dass wir Präsidentin Skywalker sehr viel zu verdanken haben. Ich danke ihr im Namen des ganzen Senats für ihre offene Rede und hoffe, dass sie mehr auslöst als nur ein paar Denkanstöße. Es widerspricht zwar den allgemeinen Regeln der Senatssitzung, aber ich möchte diese Regel bewusst brechen, weil es mir ein inneres Bedürfnis ist … Präsidentin Skywalker meine absolute Loyalität zu versichern.« Die Stille, die daraufhin eintrat, wurde nur noch von einem schall- dichten Testraum übertroffen. Mon Mothma schaltete ihr Kontroll- pult an, vor dem sie als Senatsvorsitzende saß, und sagte:»Ich bitte jetzt die Mitglieder des Senats, ihre Stimmen abzugeben.« Damit setzte sie sich wieder und tippte selbst ihre Stimme in die Tastatur. Wir hielten die Spannung fast nicht mehr aus. So vieles stand jetzt auf dem Spiel! Ich wäre lieber woanders gewesen und überdachte kurz Leias Rede. In einer Hinsicht war sie enttäuschend gewesen; sie brachte keine Beweise, nur Anhaltspunkte, Beispiele und Drohungen. Aber das in einer solchen Masse und mit einer derartigen Durchschlagskraft, dass man sich ihnen kaum entziehen konnte. Als sie angefangen hatte zu brüllen, war jeder im Raum total erschrocken. Leia ist normalerweise eine eher kleine Person, die mir knapp ans Kinn reicht, und sie ist mir auch nie anders erschienen. Bis heute. Da hatten wir das Gefühl gehabt, dass sie dem- nächst wie ein Tiger vom Podium herunterhüpft und dem Schuldigen den Kopf abreißt. Urs blickte Han an, aber der wartete die Frage gar nicht ab. »Nein, so kenne ich sie nicht«, sagte er und grinste. »Aber es gefällt mir. Sie sollte öfter so brüllen.« Ein Signalton an Mon Mothmas Pult meldete ihr, dass die Stimmenabgabe vollzogen sei. Wir standen auf und gingen ganz ans Geländer nach vorn. Mon Mothma war ein Miststück, spannte uns brutal auf die Folter! Sie ließ das Ergebnis auf ihrem persönlichen Bildschirm aufleuchten und studierte es quälend sorgfältig. Dann schaute sie in die Runde. Leia wirkte so ruhig wie immer. Wie machte sie das?!

147 Mon Mothma verzog keine Miene. »Das Wahlergebnis ist recht deutlich. Es gab 14 Stimmenthaltungen. Daraus resultiert ein mindestgültiges Wahlergebnis von 23 Stim- men.« Sie atmete kurz durch. »Mit 43 Stimmen wählt der Senat Präsidentin Leia Skywalker für eine weitere dreijährige Amtszeit.«

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In der Luft hatte eine statische Elektrizität von einer Million Volt gelegen, die sich jetzt plötzlich irgendwohin entlud. Ein frischer Wind wehte durch den Saal, der Senat stand geschlossen auf und applaudierte. Was heißt Applaus, es war eine standing ovation! Han und Luke fielen aufatmend auf ihre Sitze zurück, und ich klammerte mich am Geländer fest, um nicht runterzufallen. Es wird alles gut! Was die anderen machten, weiß ich nicht, ich habe nicht hingesehen. Leia wischte sich verstohlen Tränen aus den Augen und stand auch auf, gebot aber Schweigen. Dann blickte sie den Senat an und klatschte allein. »Euch gebührt der Beifall, nicht mir. Denn Ihr seid es, die heute eine historische Tat vollbracht habt.« Sie drehte sich zu Mon Mothma um. »43 Stimmen?« Mon Mothma nickte ernst. Leia rechnete. »43 plus 14 sind 57.« Sie blinzelte. »Nur 57!« Es wurde wieder ganz still. Mon Mothma straffte sich. »Es ist klar, dass der … das Subjekt in unserer Mitte sich völlig auf seine Bestechungsaktionen verlassen hat, dass er glaubte, es sich erlauben zu können, für sich selbst zu stimmen. Anscheinend hat er aber nicht damit gerechnet, dass Präsidentin Skywalker den Senat tatsächlich umstimmen konnte, sodass er jetzt … wie soll ich sagen … etwas peinlich … dasteht.« »Wer ist es?«, fragte Leia tonlos. Han zog seine Waffe. Mon Mothma zeigte mit ausgestrecktem Finger auf einen der Senatoren und donner- te:»Senator Jedda Yegar!«

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Yegar fiel auf seinen Sitz zurück, studierte seine perfekt manikürten Fingernägel und machte auch sonst ein ausdrucksloses Gesicht. Leia war bis ins Mark erstarrt. Luke und Han auch. Wir begriffen nicht, warum. Leia rührte sich endlich und ging mit steif wirkenden Schritten auf Yegar zu. Sie blieb neben ihm stehen, suchte ein paar Sekunden lang nach Worten und fragte dann ganz ausdruckslos:»Du?« »Kein Kommentar«, sagte er ruhig. Leia verfärbte sich beunruhigend zu einem leichten Hellgrau, ihr Kinn begann zu zittern, sie ballte die Fäuste. Yegar konnte plötzlich den Blick nicht mehr von ihren funkensprü- henden Augen wenden. Mit sehr schlecht unterdrückter Wut zischte sie:»Schafft diese … Person … hinaus!« Zwei Wachen tauchten wie aus dem Nichts auf und zerrten Yegar vom Stuhl. Der verlor nun doch allmählich die Fassung. »Das wirst doch mir nicht antun. Nicht mir!« »Verlass dich drauf!«, peitschte sie. »Rüber in die Polizeistation mit ihm!« »Aber das liegt auf der anderen Seite des Platzes!«, rief er erschrocken.

148 »Ja, und?«, fragte sie verständnislos. Aber etwas in ihrem Ton verriet uns, dass sie seinen Protest begriffen hatte. Wir allerdings nicht. Yegar wurde gegen seinen heftigen Widerstand aus dem Saal geschleift. Wir rannten hinunter und folgten ihnen. Je näher sie der Tür kamen, umso heftiger wehrte er sich. Wir passierten die Tür, als sie schon in der Menge waren, die von den Polizisten zurückgehal- ten wurde. Journalisten versuchten, Fragen zu stellen, kamen aber nicht durch die Absperrung. Plötzlich peitschten mehrere Laserschüsse über den Platz. Yegar bäumte sich auf und riss im Fall die beiden Polizisten mit, die eigentlich ihn gerade hatten schützend zu Boden werfen wollen. Sofort schwenkte ein Gleiter herum und flog zu der Stelle, wo die Schüsse hergekommen waren. Aber die Wachen sahen nur ein Menschengewimmel, als das Volk langsam begriff, was geschehen war und unruhig wurde. In den vordersten Reihen warfen sich die Leute zu Boden, und das Militär versuchte, eine Panik zu verhindern. Plötzlich wurde der Gleiter beschossen, und mehrere Treffer warfen ihn aus dem Kurs, aber er war zu schwer gepanzert, als dass leichte Lasergewehre ihm etwas anhaben konnten. Ein anderer Gleiter hob in diesem Moment etwas abseits ab und drehte weg. Der Militärgleiter feuerte und traf den anderen Gleiter am Antrieb. Der begann wild zu schaukeln, kippte, krachte breitseits in eine menschenleere Nebenstrasse hinein und explodierte donnernd. Han steckte seine Waffe wieder ein und meinte:»Tja, das wäre ja dann wohl erledigt.« Wir sahen ein paar Sanitäter, die sich über Yegar beugten. Einer schüttelte den Kopf. In diesem Moment trat Leia aus der Tür und zeigte sich dem Volk. Jubel erfüllte die Luft im Herzen der Stadt. Als Leia mich ansah, fragte ich:»Du hast es gewusst?« Es hätte eine Frage sein sollen, aber es klang wie eine Feststellung. »Die Antwort hängt davon ab, ob du sie aufschreiben wirst«, murmelte sie finster. »Eigentlich hatte ich’s vor«, gab ich zu. »In dem Fall, kein Kommentar!« Ich atmete tief durch. »Woher kanntest du ihn?« »Er war mein Staatskundelehrer in meiner Pflegeheimat Alderaan. Und außerdem der Bruder meiner Pflegemutter. Er baute überhaupt meine politische Karriere auf. Und das war jetzt das allerletzte Mal, wo ich an diesen Menschen auch nur denken werde.« Ihr Ton und ihr Gesicht schlossen jede weitere Diskussion aus. Sie trat an die erste Treppenstufe hinaus und lächelte dem Volk zu. Wir kannten sie einfach immer noch nicht ganz. Und ich wette, das geht absolut jedem so.

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Komm mal zu Papa, Kleiner!

3. März 1988 / Schweiz Wir wagten es wieder, mitten auf dem Flughafen Kloten zu landen, wo Ballantine, Thunderbolt und Modesty bequem ins Flugzeug steigen konnten. Ich übergab die beiden Straferlasserklärungen, und Leia, auf inoffiziellem Staatsbesuch, dankte den dreien noch mal für ihren selbstlosen Einsatz. Na ja, selbstlos konnte höchstens Modesty von sich behaupten. Unsere Raubkumpane ging, und wir flogen nach Stans. Ich war schon nervös, bevor wir landeten. Markus setzte die Starbright genau auf den Platz vor dem Kavernentor. Ein paar Sekunden lang rannten die Wachen sinnlos hin und her, dann bezogen sie Stellung mit dem Gewehr im Anschlag. Ich schluckte. »Äh, Leia. Vielleicht gehst du besser als Erste raus.« »Sei kein Frosch. Die müssen Bescheid wissen, ich hab’ es der Schweizer Regierung persönlich per Bildfunk mitgeteilt. Übrigens hab’ ich vergessen zu sagen: Charpentier ist verhaftet worden. Wegen Beihilfe zu interstellaren, terroristischen Aktivitäten. Ohne seine Zustimmung konnte … man … ja nicht so viel Geld auf ein Konto legen. Steigt jetzt aus und tragt es mit Fassung.« »Das sagst du so«, bemerkte ich, als Fanti mit der Hand am Halfter aus der Kaverne gestürzt kam. Markus und ich tauschten einen Blick. Wir standen auf, gingen nach hinten, stemmten die Kanone hoch und trugen sie die Rampe hinunter. Fanti funkelte uns entgegen. Einer rauschte mit einem Rolli heran und wir legten die Kanone drauf. »Wo ist der Lauf?«, fragte Fanti unangenehm. »Hier!«, tönte es aus der Starbright. Die galaktische Republikspräsidentin Leia Skywalker kam in geschmackvoller, wenn auch nicht übermäßig übertriebener Würde-Robe herunter und brachte ihn. Ich verbiss mir ein Grinsen. Fantis Augen traten sichtbar aus den Höhlen! Leia machte mit einer ziemlich schwarz gewordenen Hand eine abwehrende Bewegung. »Kein Aufsehen, bitte. Ich bin eigentlich gar nicht hier.« Damit zeigte sie uns wenig würdevoll den Hintern und verschwand wieder in die Fähre. Fanti räusperte sich und trat auf uns zu. »Werkzeug?«, schnappte er bedrohlich einsilbig! Markus machte die Segeltuchtasche auf und stellte der Reihe nach das Werkzeug auf den Rolli. »Drehspindel, Winkelgetriebe, Stahlstift, Tarierschlüssel, Stahlzugband, Büchse mit Öl-Fettgemisch, Prüfgerät für Kanonenschießbetrieb, inklusive Batterie. Das war’s.« Neben Fanti hatte ein Korporal genau die Gegenstände abgehakt. »Komplett.« »Munition«, zischte Fanti. Jürg und Hervé trugen die Kiste aus der Starbright, stellten sie auch auf den Rolli und machten sie auf. Ich packte das Ende des Gurtes und legte ihn auf dem Boden des Platzes aus. »45 Schuss. 15 haben wir verheizt. In der Kiste liegen 15 Hülsen und 15 Gurtglieder.« Der Korporal zählte alles durch. »Stimmt.« Fanti bückte sich und hob das Winkelgetriebe auf, fragte betont:»Wo ist der Deckel?«

150 »Öh … «, machte ich, mehr fiel mir auf Anhieb nicht ein. So, wie Fanti da vor mir stand und auf mich herunterstarrte, hatte ich plötzlich den Eindruck, dass er in den Himmel zu wachsen begann! Musste eine optische Täuschung sein. Ich hob die Schultern. »Muss ich verloren haben.« Fanti holte den Deckel aus der Tasche und knallte ihn drauf. »Wir haben ihn im Koffer- raum des Wagens einer Dame gefunden, die euch nachher noch sprechen will.« Damit deutete er unauffällig zur Seite. Wie ein Mann drehten wir unsere Köpfe genau synchron in eine Richtung. Yoko stand drüben an der Seite und wirkte sehr beeindruckend. Wie Soo-Shai-Sook, die japanische Rachegöttin. Fanti betrachtete die Kanone von nahe. Als er in den Lauf blickte, stutzte er. »Der ist ja frisch eingeölt.« »Was dachten Sie denn, wozu wir uns die Mühe gemacht haben, die Öl-Fettbüchse mitzunehmen?«, erwiderte ich. Er verzog das Gesicht, legte den Lauf wieder hin und befahl den Soldaten durch einen Wink, die Kanone wieder hineinzuschaffen. »Aber montiert sie noch nicht an! Das machen die da!« »Oh, Scheiße«, stöhnte Hervé. Er hatte sich schon beim Abmontieren fast die Finger abgeklemmt. Unbemerkt war Yoko rangekommen und fragte völlig verständnislos:»Seid Ihr eigentlich vom wilden Affen umzingelt oder vom Wahnsinn gebissen?!« »Reg’ dich ab, ja?«, wehrte ich ab. »Modesty Blaise hat die Karre geklaut, nicht wir. Außerdem verzichteten wir darauf, sie anzuzünden, als wir sahen, dass es deine Karre war. Ist irgend ’n Kratzer dran?« »Nein.« »Ich wette, du hast genau gesucht.« »Richtig! Den Blechdeckel habe ich gefunden.« »Ja, die Dinger fallen andauernd ab. Ich geb’ dir nachher … fünfzig Rappen fürs Benzin.« Fanti trat zwischen uns. »Wer hatte die Idee, die Kanone hier zu klauen?« »Ich, natürlich«, meldete ich mich. »Schließlich kenne ich die Gegend und die Kanone.« »Gut, der Rest kann gehen. Sie, Fliegersoldat Cassani, kommen mit mir und montieren die Kanone wieder an.« »Was?«, blubberte ich. »Ich allein?« »Sicher.« »Das Ding kann ich doch nicht heben!« »Tja, dann kann ich nur sagen … « Und da wurden wir Zeuge eines historischen Augenblicks: Fanti grinste frech! » … möge die Macht mit dir sein!«

*

17. März 1988 / Coruscant Leias Finanzminister rechnete kurz. »Die deponierte Summe betrug exakt 4’287’298 Credits. Das Geld ist von der amerikanischen Regierung zurückerstattet worden und zwar auf den Credit genau. Das Konto ist von der galaktischen Regierung beschlagnahmt worden. Eine Überprüfung des Kontostandes ergab genau 4’287’282.7 Credits. Diese Veränderung ist nicht durch Kursschwankungen hervorgerufen worden. Die Differenz beträgt 15.3 Credits, was umgerechnet verdächtig genau 50’000 Dollar ausmacht. Der

151 Bankinformatiker Stefan Wyss erklärte, dass eine vorprogrammierte Buchung die 50’000 auf ein anderes Konto transferiert hat, und zwar in genau dem Moment, als die Amerika- ner das Geld zurückgaben! Genau im selben Moment wurde auf dem Konto einer gewissen Gräfin Katja Katharina Diaghilev 50’000 Dollar eingezahlt, per Buchung, wenn auch nicht direkt von jenem Konto. Wahrscheinlich ist der Betrag ein paar Mal hin und her transferiert worden, um das Geld zu waschen. Diese Gräfin ist niemand anderes als Modesty Blaise. Vorgestern hat sie allerdings die Vollmachten über dieses Konto voll- ständig an die Chaoten abgegeben. Mit anderen Worten, Ihre Freunde, meine hoch verehrte Präsidentin … haben da ein bisschen abgesahnt.« Leia blieb stumm. Der Minister blickte sie unverwandt an und wunderte sich. Leia schmunzelte. Dann begann sie zu lachen. Der Minister straffte sich indigniert, stand auf und verduftete. Leia beruhigte sich wieder, nahm eine irdische Zeitung zur Hand und betrachtete das Foto der Chaoten unter der Schlagzeile. »Jungs, Ihr versteht es wirklich, im richtigen Moment am richtigen Ort zuzuschlagen. Aber passt auf, dass der Betreffende nicht irgendwann mal zurückschlägt.«

(6. Mai 1987)

152 Sterben ist nicht nur menschlich

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Eine fast saubere Sache

Man hätte die beiden beschreiben können als ‘Der große Blonde mit dem Zwei-Tage- Bart’ und ‘Der große Schwarze mit den eisblauen Augen’. Sie hatten überhaupt sehr wenig gemeinsam. Der eine hatte eine Vorliebe für seinen schwarzen Ferrari, der andere stand mehr auf Rolls Royce. Der eine hielt sich als Haustier einen Alligator, der andere bevorzugte hübsche Bienen. Der eine vertraute nur seiner 10 mm-Bren Ten, und der andere verließ sich lieber auf seinen Smith & Wesson Special, Kaliber 38. Aber eines hatten sie gemeinsam. Etwas, das die beiden fest verschweißte. Sie waren beide Profis! Sie hatten ihre Waffen schon längst gespannt und glitten unhörbar auf die Hotelzimmertür zu. Sie hatten das schon oft gemacht, aber es war keine Routine, weil es das einfach nicht sein durfte. Der Adrenalinstoß blieb immer derselbe. Und auch die Angst. Angstschweiß perlte über die Gesichter in dieser drücken- den Hitze. Eine Hitze, die an einem Märztag absolut unangebracht schien. Es kommt eben nur auf den richtigen Breitengrad an. Die beiden mussten arbeiten wie die Computer. Keiner wusste, was sie hinter dieser Tür erwarten würde. Eine Tür wie Hunderte in diesem Hotel. Ein Hotel wie Dutzende in dieser Stadt. Eine Stadt, die trotz allem einmalig ist auf der Welt. Es gab tausend Möglichkeiten, was geschehen würde, wenn sie die Tür aufsprengten. Für jede Möglichkeit gab es eine Reaktion. Und für jede Möglichkeit, welche es auch sein würde, musste die richtige Reaktion erfolgen. Es musste, denn … ein zweites Mal würde es nicht geben. Das unerwartet kalte Mahagoniholz am Ohr, das jedes Geräusch aus dem Inneren des Raums abdämpfte. Der Schlüssel, zufällig in jener Position im Schlüsselloch, dass man nicht hineinsehen konnte. Der winzige Spion in der Tür, der zufällig von irgendeinem hingehängten Kleidungsstück abgedeckt wurde. Hände an der Hose abwischen, damit die Waffe nicht aus den schweißnassen Händen rutschte. Ein Atemzug. Noch einer. Auf der Digitaluhr wechselten lautlos die Sekundenziffern. Für eine Zehntelssekunde blickte jeder in die Augen des anderen. Ein tiefes Atemholen, das splitternde Krachen von Holz, als die Tür aufflog, beide stürzten hinein. Das krachende Knattern einer automati- schen Waffe, Holzsplitter aus Holzwänden durch den Raum fegend. Scharfes Peitschen von Pistolenschüssen. Blut spritzte in eine Richtung, der Schütze stürzte in die entgegen- gesetzte. Ein Glastisch zersplitterte unter dem Aufprall des toten Körpers.

153 Griff in die Schublade, brüniertes Metall schimmerte, aber eine andere Kugel kam dem Täter zuvor. Fingerknochen wurden zerschmettert. Der Schwarze sprang hoch und riss den Mann vom Stuhl hinter seinem Schreibtisch. Der Blonde richtete seine Bren Ten genau auf die Nase des Mannes und gab sich deutlich zu erkennen. »Miami Vice!«

*

Der Horizont hatte die blutrote Sonne schon zur Hälfte gefressen. Der große Mond war bereits zu einem guten Stück aufgestiegen, der kleine würde wohl noch eine Weile brauchen. Aber für Schnitter waren die Zeiten vorbei, da er die Sonne noch als unerklärliches, gottgleiches Mysterium betrachtet hatte. Er wusste nun, dass sie nichts weiter war als eine gigantische Wasserstoffbombe mit so viel Brennma- terial, dass es Milliarden Jahre dauern würde, bis sie erlöschen würde. Und von den Monden wusste er nun auch, dass sie keine Nachtgöttinnen waren, die ihre Freundlichkeit dadurch bewiesen, dass sie des Nachts Licht spendeten, sondern nichts weiter als riesige, runde Steinku- geln, die durch die Schwerkraft gezwungen wurden, auf immer um ihren Heimatplaneten herumzujagen, zu schnell, als dass sie herunterfallen würden, aber zu langsam, als dass sie wegfliegen könnten. Auch die Sterne, die nun einer nach dem anderen aus dem verblassenden Abendhimmel heraus stachen, waren keine Löcher mehr im Himmelszelt sondern Sonnen wie die eigene, nur viel weiter weg. So vieles hatte Schnitter in den letzten zweieinhalb Jahren seines Lebens gelernt, aber nichts von dem vermochte ihm die Faszination zu rauben, die er empfand, wenn er zusah, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Mysteriöses kann so logisch erklärt werden wie es will, aber an der Schönheit des Anblicks ändert es nichts. Leise klickerten die Steinchen über den massiven Felsen. Schnitter musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da kam. Wenn man jemanden erkannt hat, kann man seine Nähe fühlen. Leetah legte ihm die Hand auf die Schulter, legte ihren Kopf in seine Halsbeuge und betrachtete den blutroten Feuerball, der nunmehr fast verschwunden war. »Träumst du?«, fragte sie zärtlich. Sie sah seine Augen und bemerkte jenen Ausdruck, den er im Verlauf ihrer Bekannt- schaft erst nach und nach angenommen hatte. Es war irgendein unbestimmbares … Sehnen. Der Ausdruck war nur schwach zu bemerken, und keiner, außer Leetah, hatte ihn jemals gesehen, dessen war sie sich sicher. Der letzte Rest der Sonne verschwand, als wäre das gewaltige Wüstenmeer aus Wasser, und die Sonne sei darin versunken. Er atmete tief durch und beantwortete ihre Frage. »Ja. Immer zur selben Zeit, am selben Ort.« »Ich fragte mich schon, was du treibst. Das war früher nicht so.« »Zu vieles ist immer gleich geblieben. Ob die Sonne jetzt … die Göttin des Tages ist oder eine gewaltige Kernfusion … bleibt sich schlussendlich gleich.« »Du hast dich irgendwie verändert«, bemerkte sie unsicher und bewegte den Kopf. Blutrote Haare streichelten sanft über seine Haut.

154 Er legte einen Arm um sie. »Das liegt daran, dass sich um uns herum ziemlich viel verändert hat. Veränderungen lösen weitere Veränderungen aus, und so weiter. Ohne Möglichkeit, das anzuhalten.« »So hast du noch nie gesprochen. Ist was mit dir?« »Leetah … hast du dich schon mal gefragt, wo du herstammst? Ich meine … die ganz alten Zeiten.« Leetah wandte leicht den Kopf und betrachtete die Brücke der Vorsehung, jene schick- salshafte Felsenbrücke, auf der Schnitter einst sein Leben riskiert hatte. »Wir haben uns in den vergangenen Zeitaltern ganz hübsche Legenden zurechtgebastelt«, sagte sie leise. »Und die Welt jenseits unseres Himmels hat sie uns weggerissen. Wir waren in diesem Schloss. Als wir Jerjerrod jagten.« »Aber was war dieses Schloss? Man hat es uns nie gesagt.« Schnitter erinnerte sich an jene Tage, als Leetah ihre Kinder erwartet hatte, und die Halbjedi ihm geholfen hatten, sie aus den Fingern dieses grausamen Menschen zu befreien. Als er dieses Schloss betreten hatte, hatte er sofort gefühlt, dass etwas Uraltes darin war, das man nur fühlen konnte. Das beste Wort, das er finden konnte, um dieses Gefühl zu beschreiben, war … Ursprung! »Was waren wir einst?«, fragte er halblaut. »Und was sind wir jetzt? Und warum sind wir das jetzt?« Leetah lächelte. »Fragen, Fragen, nichts als Fragen. Ich habe mich nie um die Antworten gekümmert. Ich kenne kein anderes Leben.« »Ich habe auch nie ein anderes Leben gekannt, vorher. Aber jetzt! Und ich fühle, dass mir etwas fehlt.« »Was denn?« »Ich … weiß es nicht. Irgendwas.« Leetah sah wieder in seine kaltblauen Augen und bemerkte einen neuen Ausdruck darin, der sie erschreckte, weil sie ihn noch nie gesehen hatte: Verzweiflung! Sie umarmte ihn stürmisch. Er ließ sich nur zu gern ablenken und erwiderte die Zärtlichkeit. »Denk an jetzt«, flüsterte sie. »Und nicht an morgen.« »Das habe ich mein ganzes Leben getan. Das Leben eines Wolfreiters besteht aus dem Jetzt. Aber irgendwie … kann ich es nicht mehr.« Sie löste sich von ihm. Er blickte ihr in die Augen. »Mein ganzes Leben habe ich ge- glaubt, wir Wolfreiter seien die einzigen Elfen in dieser Welt, die nur aus unserem Wald bestand. Dann lernten wir die Wüste kennen und fanden Sonnental. Und andere Elfen. Ihr habt auch gedacht, ihr seid die einzigen Elfen. Und nun frage ich dich: kannst du mir sagen, ob unsere zwei Stämme jetzt endgültig die einzigen sind?« »Was willst du damit sagen?« Er deutete über die endlosen Sanddünen. »Unser Planet ist riesig. Das, was wir von ihm kennen, ist winzig. Mit aller Wahrscheinlichkeit befinden sich irgendwo hinter dem Horizont noch andere Elfen, die noch anders leben als wir, und die sich zweifellos in eben diesem Moment dieselben Fragen stellen.« »Was willst du tun?«

155 Schnitter seufzte und lächelte. »Ich habe zwei zauberhafte Kinder und eine wunderbare Frau.« Sie legte lächelnd den Kopf an ihn, und er legte beschützend die Arme um sie. Er blickte auf den Horizont, als er ernst sagte:»Aber irgendwann werde ich mich auf die Suche machen. Nicht jetzt. Aber irgendwann. Verstehst du, was ich meine? Einfach … irgend- wann.« »Ich gehöre zu dir. Wo du hingehst, gehe ich auch hin. Egal, was passiert.« »Ich weiß.« Ihr Blick irrte zur Seite. »Was ist?«, fragte er. Mit gerunzelter Stirn blickte sie in das weitläufige Felsengewimmel, das sich hinter der Brücke der Vorsehung in die Wüste erstreckte. »Ich dachte, ich hätte etwas blitzen gesehen.« Schnitter blickte in den Himmel. »Gewitter? Der Himmel ist wolkenlos.« »Kein Gewitter. Wie von einem … Spiegel.« Schnitter betrachtete das kleine Gebirge. »Hier ist nichts außer uns.« Sie schmiegte sich an ihn. »Das reicht mir völlig«, flüsterte sie und nannte seinen Seelen- namen. Jenen Namen, der sein ganzes Sein in einem Wort verkörperte. Den Namen, den nur Leetah und Himmelweis kannten. Leetah, weil sie ein Teil von Schnitter war, und Himmelweis, weil er Schnitters Blutsbruder war. Wir hatten ihn auch mal gehört, aber es steht uns nicht zu, auch nur an ihn zu denken. Leetah hatte keinen Seelennamen. Die Sonnentaler hatten dieses Überbleibsel einer längst vergangenen hohen Seele vergessen. Er sagte nichts sondern streifte ihr Kleid von ihren Schultern. Unter der funkelnden Pracht der Sterne fanden sich ihre Lippen und vereinigten sich, wie das bald ihre Körper tun würden. Und wieder hörten sie für eine gewisse Zeit auf, getrennte Seelen in getrenn- ten Körpern zu sein, und wurden ganz eins. Wie alles im Universum eins war, wie sie erneut erstaunt feststellten. Die armen Seelen, die nicht wussten um das Wesen der Dinge, die den natürlichen Ablauf des Geschehens bestimmen. Jene armen Seelen, die nicht wussten, was es bedeutet zu lieben. Zu leben! Der immer noch warme Wüstenwind trug die Geräusche fort. Die Zeit verging. Jenes Gefühl aber, das stärker war als bloß Liebe, stärker als alles andere, jenes Gefühl blieb!

*

Policecaptain Castillo wurde der eiskalte Todesengel genannt. Aber nur von jenen, die das Pech hatten, auf der anderen Seite des Gesetzes zu stehen. Er war ein kühler Denker und erlaubte sich keinen Anflug von Emotion. Er setzte seine Leute bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit ein und sich selbst auch. Seine Leute würden für ihn durch die Hölle gehen. Aber die

156 Loyalität wurde oft genug auch auf eine harte Probe gestellt, was sich dann meistens in einem Wutausbruch äußerte, wie ihn Sonny Crockett gerade in diesem Moment durch- machte. Castillo hörte ruhig zu, wie Sonny sich seinem Ärger Luft machte. »Niemand hat uns gesagt, dass Trevor einen bewaffneten Killer bei sich haben würde!« Der Schreibtisch erzitterte unter Sonnys Faust. Er holte tief Luft und beruhigte sich. Castillo griff nach seinem Kaffeebecher. »Fühlen Sie sich besser?« »Ein bisschen!« »Das ist die Hauptsache.« Sonny senkte den Kopf. Castillo brachte es auf die sanfte Tour eben immer fertig. Er kannte seine Leute, und Sonnys Ausbruch war sowieso nicht unbedingt ungerechtfertigt. Sonny wusste plötzlich wieder sehr genau, dass Castillo ihn nie bewusst in den Tod schicken würde. Mit einem Mal tat es ihm sehr Leid, dass er seinen Chef angebrüllt hatte. Castillo vergaß das auch sofort und griff nach den Dokumenten auf seinem Tisch. »Sehen wir mal, was wir hier haben. Das hier sieht nach einem militärischen Einsatzplan aus.« Sonny blickte auf das Papier und winkte seinen Partner heran. Riccardo Tubbs kratzte sich am Kopf. »Es könnte alles sein«, meinte er. »Ein vietnamesisches Dorf, ein finnisches Dorf, ein kanadisches Dorf oder die Kanalisation von Miami.« Sonny hob den Kopf. »Red’ keinen Quatsch!« Castillo tippte auf das Papier. »Ich werde es an die PR-Abteilung von Sternenflotte weitergeben. Vielleicht finden sie raus, wo das ist. Was haltet Ihr von den Angaben hier?« »Diese Pfeile deuten auf Angriffsstoßrichtungen hin«, mutmaßte Sonny. »Ich kenne das aus Vietnam. Die Höhenlinien sehen nach unübersichtlichem Gelände aus. Vietnam war nie so hügelig. Wie alt ist die Karte?« »Keine Ahnung. Sie ist handgezeichnet. Na, lassen wir das. Ich habe hier ein paar interessante Sachen gefunden.« Castillo legte die Karte beiseite und machte einen Aktenordner auf. »Da ist von einem gewissen Mister van Dyke die Rede, der einige finanziell äußerst intensive Geschäftsbeziehungen zu ConAmalgamated unterhielt. In dem Aktenordner sind jede Menge Angaben über Lieferungen von Maschinenteilen enthalten. Sie machen jedoch den Eindruck, als ob es etwas anderes war.« »Warum?« »Sehen Sie mal hier. Nach diesem Bericht hat ConAm für hundert Kilo Baustahl dreißig- tausend Dollar gezahlt.« »Bisschen viel«, meinte Riccardo. Castillo verzog den Mund. »Viel ist gut. Das ist völlig überteuert. Ich gehe jede Wette ein, dass man da Sachen geliefert hat, die nichts mit den normalen Geschäften von ConAm zu tun hatten.« Riccardo grinste. »Sie meinen, es ist mal wieder ein neuer Skandal fällig? Ich denke, ich werde diese Dokumente mal an einen gewissen Herrn in der Schweiz senden, damit er diesen Konzern endgültig in der Luft zerreißt.« »Hören Sie auf, Tubbs«, befahl Castillo kalt. »Nach dem Alien-Prozess ist ConAm endlich das geworden, was es sein soll: ein Privatkonzern mit sauberer Weste und fairen Geschäftsmethoden.« »Ah, ja? Und diese Dokumente da?« »Betreffen vielleicht Sachen, die nicht mehr aktuell sind.« »Wer ist dieser van Dyke?«, fragte Sonny nachdenklich. Castillo schlug eine andere Akte auf. »Minher Johan van Dyke. Holländischer Diaman- tenhändler und einer der zehn reichsten Männer dieser Erde. Weste: blütenrein. Vorstra-

157 fen: keine. Nicht auch nur ein Verdacht. Bis auf diesen Ordner hier. Aber der ist noch kein ausreichender Grund, einfach bei ihm reinzustampfen und ihn auszufragen. Er würde euch hochkant rausschmeißen.« »Und welche Rolle spielte dieser Trevor, den wir heute Morgen hochnahmen?« »Er scheint van Dykes ehemaliger Vertrauter zu sein, der früher für ihn Geschäfte in Miami abwickelte.« »Ehemalig?«, wiederholte Riccardo. Castillo nickte. »Er geriet in Verdacht, große Geldsummen unterschlagen zu haben. Van Dyke stellte ihn vor die Wahl: Knast oder fristlose Entlassung. Trevor wählte das zweite, ließ sich hier nieder, versuchte andere Geldquellen aufzumachen und verwickelte sich in Rauschgiftgeschäfte. Was uns auf den Plan rief.« »Ich verstehe«, sagte Sonny langsam. »Was wir da gefunden haben, scheint also gar nichts mit dem zu tun zu haben, wofür wir ihn eigentlich festgenommen haben.« »Genau.« »Wie erfahren wir Näheres über diese seltsamen Geschäfte mit ConAm?« »Van Dyke steht in dem Ruf, ein Diamanten-Narr zu sein. Er besitzt die weltweit größte Sammlung von kostbaren Edelsteinen, vornehmlich Diamanten natürlich. Jedes Jahr veranstaltet er eine große Auktion von minderwertigeren Stücken, was die Leute aber nicht daran hindert, unsinnige Höchstpreise zu bieten. Es ist wie der schöne, alte Brauch, wo der Lord glühende Münzen in das Volk schmeißt. Alle verbrennen sich die Finger daran, aber jeder greift zu, wo er kann. Und der Lord lacht sich kaputt. Es heißt, er träumt sogar von Diamanten. Er war nie verheiratet, außer mit seiner Sammlung. Der Wert dieser Sammlung wird auf sechshundert Millionen Dollar geschätzt.« Sonny tippte auf das Papier. »Wenn Diamanten alles sind, für diesen Typen, dann bezweifle ich, dass diese seltsamen Geschäfte mit etwas anderem zu tun haben als mit Diamanten.« »Den Eindruck habe ich auch«, bestätigte Castillo. »Aber diese seltsamen Geschäfte scheinen doch nicht das Geringste mit Mineralabbau zu tun zu haben. Deshalb vermute ich, dass die Sache einen faulen Haken hat. Sagt Ihnen der Name John Paul Blair etwas?« Sonny schüttelte den Kopf, aber Riccardo schaltete. »Meinen Sie den texanischen Exzent- riker da?« »Stimmt. Er ist reicher als J.R. Ewing und Blake Carrington zusammen. Und er nimmt regelmäßig an van Dykes Auktionen teil. Die nächste findet in neun Tagen statt. Blair macht Ferien hier. Wir sind schon mal zusammengetroffen, als er uns so bereitwillig half, einen Terroristen in seinem Gästehaus festzunehmen. Ich werde ihn fragen, ob er noch zwei Leibwächter gebrauchen kann, wenn er nach Amsterdam reist. Bei der Gelegenheit werdet Ihr die Ohren aufsperren wie die Satellitenantennen. Verstanden?«

*

Milliarden Sonnen preschen durch den Kosmos, formen Spiralen und Nebel, erzeugen in jahrmilliardenlangem Prozess Leben in den verschiedenartigsten Formen. Unsere Galaxis ist eine von etwa zehn Milliarden in diesem Universum. Und die Sonne, die eben über dem Horizont aufgeht, ist eine von zweihundert Millionen in dieser Galaxis. Und dieser Planet ist einer von dreien in diesem Sonnensystem. Schnitter war es, als könne er das ganze Universum sehen. Die Erregung verflog. Leetah murmelte undeutlich etwas und schlief schon halb. Schnitter stand auf und trat an den

158 Felsrand, blickte auf die Wüste hinaus. Seine Familie war ihm wichtiger als alles andere, das wusste er. Aber eines Tages. Eines Tages … Was mache ich hier? Wo komme ich her? Welches grausame Schicksal hat uns hierher verschla- gen? Was waren wir einst? Schnitter ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen. Was wir auch waren, wir werden es irgendwann mal wieder sein. Das schwöre ich! Leetah seufzte und stand auf. »Wir sollten uns vielleicht anziehen. Ihr Wolfreiter findet es vielleicht normal, wenn man nackt rumläuft, aber bei den Sonnentalern ist das nicht so.« Schnitter lachte. »Oh, Leetah, du hast Probleme.« Sie runzelte verwirrt die Stirn. Er deutete in die Sterne. »Etwas Praktisches haben die da draußen. Sie kennen ganz einfache Wörter, um komplizierte Dinge zu bezeichnen.« Leetah grinste und nickte. »Allerdings. Was wir so als ‘körperlich-geistige Vereinigung’ bezeichnen, nennen sie einfach ‘bumsen’.« Schnitters Kopf fuhr herum. »Hä? Was?« Sie begann zu lachen. »Ein absolut idiotisches Wort, ich weiß. Vor allem beschränkt es sich auf den körperlichen Bereich.« »Du meinst, wir haben gerade … gebumst?« »Genau.« »Mit dem Wort habe ich ein bisschen Mühe.« »Aber nicht mit dem, was es beschreibt.« »Oh, danke.« In den letzten Minuten war eine dunkelrote Färbung auf den Himmel gekrochen. Schnitter drehte sich um und blickte über Sonnental hinweg auf die entstehende Morgen- röte. Unten, zwischen den Häusern, wurde es allmählich lebendig. Leetah erschrak zu Tode. »Da kommt Shenshen!« Schnitter zuckte zusammen und griff nach seinen Kleidern. »Die muss ja nicht merken, dass wir gerade gebumst haben.« Sie waren gerade fertig, als das Elfenmädchen sie entdeckte. »Schatten und süßes Wasser, ihr beiden!«, rief sie. »Was macht ihr denn hier?« »Du kannst Fragen stellen«, meinte Leetah und sah das unvermeidliche wissende Lächeln auf dem Gesicht ihrer Schwester. Schnitter deutete auf die emporsteigende Sonne. »Wir sehen nur der Sonne zu, um sicher zu sein, dass sie wieder aufgeht.« Shenshen lachte. »Natürlich tut sie das. Warum sollte sie es denn nicht?« Schnitter blickte sie an. »Ja, warum wohl?« Er hatte Mühe, sich seinerseits ein Grinsen zu verbeißen, als er sah, wie Shenshens Lächeln sich plötzlich verflüchtigte. »Die Sonne verbrennt seit undenklichen Zeiten. Aber so langsam, dass es so lange dauert. Vielleicht ist morgen der Brennstoff zu Ende. Oder schon heute. Wer weiß?« Mit einem sehr weiblichen ‘Hmpf’ schoss Shenshen herum und verduftete. Leetah knuffte ihren Lebensgefährten in die Seite. »Manchmal bist du wirklich gemein.« Dabei versuchte sie ebenfalls, ein Grinsen abzuwehren. Er lachte. »Ja, ich weiß. Mann, die hat aber Mut! Sie kommt schon wieder zurück.«

159 Shenshen war deutlich sauer. »Übrigens soll ich ausrichten, dass Späher gestern Abend gesagt hat, er wolle ein wenig die Gegend hinter der Brücke der Vorsehung erkunden, und jetzt ist er noch nicht zurück.« Schnitter runzelte die Stirn. Späher war nicht der leichtsinnige Typ, der sich einfach so verirrt. Okay, er war erst siebzehn, aber trotzdem. Schnitter kratzte sich am Kopf. »Geh runter und ruf die Wolfreiter zusammen, wir werden ihn suchen. Wohin wollte er genau?« Shenshen deutete in eine Richtung, und Schnitter stellte mit einem seltsam beunruhigen- den Gefühl fest, dass genau aus dieser Richtung gestern Abend auch diese Lichtblitze gekommen waren. Mit einem Mal hatte er es sehr eilig, hinunterzukommen.

*

John Paul Blair, 47, war von Riccardo als texanischer Exzentriker bezeichnet worden, und das war er auch. Er war ein Viehbaron der alten Garde und Ölmillionär. Und eine seiner strikten Anweisungen an das Personal lautete, jedem neuen Stück Vieh einen eigenen Namen zu geben. Jeder neue Bohrturm musste mit einer Flasche Champagner getauft werden. Aber diese Macken waren harmlos. Gut möglich, dass das Personal ihm hinter seinem Rücken den Vogel zeigte, aber er zahlte gut, und man konnte gut mit ihm auskommen. Er hatte nur einen Fehler: Er war irgendwie noch ein Kind, das alles haben wollte, was ihm gefiel. Und als Sonny und Riccardo bei ihm auftauchten und ihr Anliegen vortrugen, flippte er fast aus. »Mann, das ist ja ein richtiger Thriller!« Sonny verzog das Gesicht, als er Blairs T-Shirt sah. Er hatte nicht gewusst, dass Blair ein Rassist war. ICH HASSE ALLE RASSISTEN war in schauriger Schrift zu lesen. »Natürlich nehme ich an der Auktion teil«, schrie Blair. Irgendwie konnte er einfach nicht leise reden, und diese gewaltige Stimme schien überhaupt nicht zu dem eher schmächtigen Körper zu passen. Blair schob sich eine Sonnenbrille über das hagere Gesicht. »Natürlich tue ich meinem Freund Castillo einen Gefallen«, brüllte er, dass die beiden zusammen- zuckten. »Wusstet Ihr, dass van Dyke einen neuen Diamanten präsentieren will? Ein riesiges Ding. Keiner weiß, wo er es herhat. Wisst Ihr, welches der größte Diamant auf der Welt ist?« »Der Cullinan«, antwortete Riccardo, und Sonny staunte ihn an. »Über 3’100 Karat, roh«, fügte Tubbs noch hinzu. »Das sind über sechs- hundert Gramm Diamant.« Blair kicherte. »Das war einmal. Nach van Dykes Angaben soll der neue Stein über siebentausend Karat haben. Also ein Gewicht von etwa anderthalb Kilo.« Sonny schluckte. Riccardo machte ein zweifelndes Gesicht. »Mal sehen, was da noch alles weggeschliffen wird.«

160 »Aber nein«, schrie Blair. »Siebentausend Karat bereits geschliffen. Roh wog er angeblich über zehntausend!« Nun setzte sich Tubbs. »Den Stein will ich sehen.« »Ich eben auch«, versicherte Blair lautstark. »Die ganze Welt will das.« »Steht der Stein zum Verkauf?«, fragte Sonny. Blair lachte. »Kann ich mir nicht vorstellen. Es ist auch gar nicht gesagt, dass der Stein überhaupt existiert. Man sagt, dass es nur ein Trick ist, um noch mehr Leute zu der Auktion zu holen. Ich werde eine Art Taschenlabor mitnehmen und hoffe, den Stein mal unter die Lupe nehmen zu können. Wenn es ihn gibt.« »Was vermuten Sie?«, fragte Riccardo. Blair faltete die Hände. »Wenn es ihn gibt, so heißt das noch lange nicht, dass er echt ist. Und wenn er echt ist, heißt das noch lange nicht, dass er von der Erde stammt.« Die beiden horchten scharf auf. Blair lächelte unter der Sonnenbrille hervor. »Nach dem Föderationsabkommen ist es verboten, Edelsteine und Mineralien zum Zwecke der persönlichen Bereicherung von anderen Planeten zu importieren. Wenn der Diamant nicht von hier ist, wird er von Sternenflotte beschlagnahmt und verschwindet in einem Untersuchungslabor, wo man ihn zerschneiden und seine Reinheit untersuchen wird. Diamanten sind vor allem in der Kommunikations- und Lasertechnik sehr nützlich. Und die irdischen Diamanten haben ja leider so viele Siliziumeinschlüsse.« »Wenn der Diamant nicht von hier ist«, sinnierte Riccardo, »dann werden Sie den Stein wohl kaum unter die Finger kriegen.« »Wir werden ja sehen. Ich fliege heute Abend nach Amsterdam. Sind Sie bereit, meine Herren?« Sonny hob den Daumen. »Amsterdam wollte ich schon immer mal sehen.«

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Schnitter stoppte seinen Wolf Nachtläufer und bedeutete den anderen, ebenfalls anzu- halten. Er schnupperte in die Luft. Da war was. »Hier ist was«, sagte er. »Was Metallisches.« Die anderen hatten denselben Eindruck. Nur Leetah, die hinter Schnitter saß, hatte aufgrund ihres zivilisierten Lebens die Effizienz des Geruchssinns verloren. Plötzlich deutete sie in die Felsen. »Da hat es wieder geblitzt.« Schnitter suchte die Felsen ab. Und nun sah er es auch. Er blickte starr in dieselbe Richtung. Irgendetwas in den Felsen warf das Sonnenlicht zurück. Ein greller Funke stand in einem Spalt zwischen zwei Blöcken. Etwas, das metallisch schimmerte und … ver- schwand. Schnitter hatte sich nicht bewegt, also hatte sich der Gegenstand bewegt. Mit einer Handbewegung befahl Schnitter seinen Leuten abzusteigen und in Deckung zu gehen. Er blickte zurück nach Sonnental, das jenseits der Brücke der Vorsehung lag, die nun ganz klein wirkte. In wenigen hundert Metern Entfernung stieg der gewaltige Vulkan in die Höhe und rauchte leicht. Schnitter konnte sich nur an einen Ausbruch erinnern. Damals hatte die Eruption die Zwoots wild gemacht und auf das Dorf zu gescheucht. Hinter einem großen Felsbrocken saßen die Wolfreiter zusammen. »Wir rücken in einer Kette gegen diesen Felsspalt vor«, bestimmte Schnitter. »Wir halten Sendekontakt. Dort treffen wir uns wieder. Los!« Die Wolfreiter schwärmten aus und verstreuten sich einzeln über die Felsen. Leetah blieb bei Schnitter. Das Gelände war verdammt unübersichtlich. Wild zersplitterte Fels- und

161 Lavabrocken lagen herum und machten das Vorrücken zu einer komplizierten Kletterpar- tie. Tauglanz war es, die sich am meisten beeilte, da sie unbedingt Späher wieder finden wollte. Die kleine, zierliche Elfe kletterte über die Felsen wie eine Gazelle, den Bogen in der linken Hand, die rechte brauchte sie, um sich abzustützen. Und auch die gebrauchte sie nur teilweise. Sie spähte um eine Ecke und sah vor sich ein großes Geröllfeld, an derem anderen Ende die Felsspalte lag. Dort stand ein ein Meter großes, silbernes Ding mit fledermausartigen Metallohren. Die Ohren drehten sich mit kurzem, leisen Surren in ihre Richtung, und das lange Ding darunter drehte sofort nach. Tauglanz zuckte zurück. Ein donnerndes Krachen erfüllte die unheimlich stille Luft. Tauglanz verspürte einen heftigen Schmerz an der linken Schulter, und ein schwerer Schlag warf sie zurück in Deckung. Um sie herum splitterten die Felsen, Geschosse prallten ab und jaulten durch die Luft. Es wurde wieder still, und es dauerte nur einige Minuten, bis die anderen kamen. »Was ist passiert?!«, rief Schnitter. Tauglanz saß da und hielt sich die Schulter, an der Blut herunter lief. »Geht bloß nicht da raus!«, rief sie. Leetah kämpfte den Anfall von Übelkeit nieder, den sie immer bekam, wenn sie das Ergebnis absichtlich angewandter Gewalt ansehen musste. »Lass mich mal sehen.« Schnitter nahm Tauglanz’ Hand weg und betrachtete die Wunde. Leetah trat an sie heran. »Das ist eine Schusswunde«, erklärte sie mühsam. »Und die Kugel steckt noch drin.« »Woher weißt du das?« »Weil auf der anderen Seite des Arms nichts zu sehen ist. Die Kugel ist rein, aber nicht mehr raus. Logischerweise muss sie noch drin sein, oder?« »Klingt logisch«, bestätigte Tauglanz mit deutlicher Mühe. »Mir wäre es aber lieber, wenn sie draußen wäre.« »Mal sehen«, murmelte Schnitter. Er konnte die Kugel sehen. Sie steckte mitten im Oberarmmuskel und war vom Knochen abgestoppt worden. Leetah legte den Arm um die kleine Elfe und teilte ihre Schmerzen, als Schnitter mit bloßen Fingern hineingriff und das Stück Blei herausholte, was erstaunlich leicht ging. Jedenfalls für ihn. Tauglanz wurde ohnmächtig. Leetah wischte sich den Schweiß von der Stirn und machte sich an die Heilung. Schnitter wischte sich die Hand am Felsen ab und trat an die Felsecke heran. Vorsichtig streckte er den Kopf um die Ecke und sah das längliche Ding auf dem Dreibeinstativ. Die Ohren drehten sich, und der Rest auch. Schnitter zuckte zurück, das Krachen ging wieder los, und weitere Geschosse schlugen Löcher in die Felswände. Querschläger pfiffen gefährlich um die Ecke. Schnitter schlug die Faust gegen den unschuldigen Felsen. »Eine automatische Schnellfeuerkanone mit Selbstrichtvisier!« Über Waffen hatte er sich informiert. »An der kommen wir nicht vorbei.« »Können wir sie umgehen?«, fragte Himmelweis. Schnitter machte ein zweifelndes Gesicht. »Die haben sicher alles lückenlos abgeriegelt.« »Vielleicht geht ihr mal die Munition aus.«

162 »Bitte, wenn du zwanzig Mal den Kopf vorstrecken willst. Ich würde es machen, aber die Querschläger sind gefährlich. Das Ding feuert nicht einfach in eine Richtung sondern streut ein bisschen. Das war allerdings auch Tauglanz’ Glück, sonst wäre sie jetzt gründlich durchlöchert.« »Wer hat dieses Miststück hier aufgestellt?« »Ja, das frage ich mich auch.« »Ob Späher hier ist?« »Oh, Trollmist!« Sie gingen zu den anderen. »Jetzt wissen wir wenigstens, was da geblinkt hat«, sagte Himmelweis. »Die Kanone hat nur vorher nicht geschossen, weil wir zu weit weg waren. Hoffentlich hat nicht eine Späher erwischt.« »Glaube ich nicht. Das hätte man gehört. Den Krach hört man weit.« Leetah legte sich erschöpft hin. Tauglanz’ Schulter sah fast wieder wie vorher aus. Nur ein schwacher, weißlicher Flecken war zu sehen, der bald verschwinden würde. Müde und reizbar, wie immer nach einer Heilung, fragte Leetah:»Und?« Wortlos steckte Schnitter sein Schwert ein und begann seinen Rambo-Bogen zusammen- zubauen. »Was willst du damit?«, fragte Langbogen sendend. »Willst du die Mündung zunageln?« Grinsend holte Schnitter einige massive Pfeilspitzen aus dem Lederbeutel. Es waren goldfarbene Metallkegel mit einer Länge von sieben Zentimetern und einer Füllung Hexal. »Haltet eure Ohren fest«, empfahl Schnitter. »Wird gleich bumsen.« Leetah knuffte ihn in die Schulter. Er verstand, lachte aber nicht. Der Bogen war fertig, und er schraubte die Kegel auf ein paar Pfeile. Er legte einen Pfeil auf und schlich wieder an die Ecke. »Wo hast du die Dinger her?«, fragte Himmelweis. »Die sind doch verboten.« »Aber nicht für mich.« Der entschlossene Tonfall sagte Himmelweis deutlich, dass Schnitter zum Schutz seiner Leute jedes Mittel recht war. Er blickte zurück und sah, dass Tauglanz aufgewacht war. Schnitter holte tief Luft, spannte den Pfeil und trat auf den Platz hinaus. Als die Kanone sich drehte, war der Pfeil schon unterwegs, und Schnitter war wieder hinter dem Felsen verschwunden. Allein der Gasdruck der Explosion betäubte ihre Ohren. Für einen kurzen Moment stand ein greller Feuerball in der Felsspalte, als das Hexal mit hemmungsloser Gewalt die Kanonenmunition mitnahm. Gewaltige Felsblöcke wurden abgesprengt und flogen ganzheitlich durch die Luft, prallten Felsboden erschütternd auf. Staub und Felsteilchen schwirrten durch die Luft, verdunkelten die Sonne und legten sich schwer auf die Lungen. Schnitter trat wieder um die Ecke und sah etwas, das aussah, als sei ein gewaltiger Steinblock vom Himmel gefallen, der sich beim Aufprall in drei Milliarden Bruchstücke verteilt hatte. Er pfiff und schüttelte die Hand, als hätte er sie sich verbrannt. Von der Kanone war garantiert nichts mehr da. Himmelweis kratzte sich am Kopf. »Was du machst, machst du gründlich, was?« »Ich hab’ doch die Dinger noch nie gebraucht. Das Ergebnis übertrifft alle meine Erwar- tungen.« Himmelweis winkte, und die anderen kamen. Leetah stützte Tauglanz, die noch etwas wacklig war. Schnitter überquerte den Platz, die anderen folgten ihm. Sie hatten eine Bresche geschlagen und drangen in das aufsteigende Felsengewimmel ein.

163 Hier konnte man die Orientierung verlieren. Nach jeder Ecke sah die Landschaft gleich chaotisch aus. Nur der Vulkan stand immer an derselben Stelle. Plötzlich bogen sie um eine Ecke und blieben stehen. Sie blickten auf eine große Talfläche hinunter, die von emsiger Geschäftigkeit erfüllt war. Menschen liefen herum, schoben Steinkarren über Geleise in einen Bergstollen hinein und gingen in den fünf Holzbaracken aus und ein. Mehrere Hubschrauber standen abgestellt da, und etwas nebenan stand sogar ein Kampfhubschrauber. Eine Lockheed Cheyenne. Dieses Miststück bringt es auf über 400 km/h! »Verdammt«, flüsterte Schnitter herzhaft. »Die geben es wohl nie auf. Bleibt in De- ckung!« »Keine Bohrtürme«, bemerkte Himmelweis. »Die suchen nicht nach Öl.« »Wonach sie suchen ist mir völlig egal«, schnappte Schnitter. »Tatsache ist, dass sie wieder verschwinden. Da kannst du Gift drauf nehmen. Die walz’ ich zusammen, dass es nur so stinkt und kracht!« »Wir sollten aufpassen. Beim ersten Mal wussten sie nicht, was sie sich mit uns einge- handelt haben. Jetzt wissen sie’s. Außerdem sehe ich nirgends das Firmenzeichen von ConAm. Das ist jemand anders.« »Ich kann nicht behaupten, dass mich das im Augenblick sonderlich interessiert..« Schnitter legte kurzerhand einen Pfeil auf die Sehne, aber Leetah bremste ihn. »Späher ist vielleicht bei ihnen.« »Dann schieße ich dorthin, wo ich weiß, dass er nicht ist.« Er visierte die Cheyenne an, und der Pfeil schwirrte ab. Es dauerte knapp vier Sekunden, bis der Pfeil dort war, aber dafür traf er genau den Triebwerksblock. Ein höllischer Knall zerfetzte die Kampfmaschine in viele scharfkantige Metallsplitter, die noch in hundert Meter Entfernung zu Boden prasselten. Eine Alarmsirene schrie dröhnend, und die Menschen rannten durcheinander. Eine schwarze Rauchwolke wallte über den Platz. Ein zweiter Pfeil jagte den ersten Transporthubschrauber in die Luft, der nächste den zweiten. Die Arbeitsstrategie unten löste sich komplett auf. Zu einem vierten Schuss kam Schnitter nicht mehr, weil plötzlich ein riesiges, schwarzes Insekt über die Felsen jagte. Eine andere Cheyenne! Schwerer Geschosshagel deckte die Felsen ein. Nach mehreren Sekunden hörte das Feuer endlich auf, und der Hubschrauber kam etwas näher. Schnitter fuhr hoch, schnellte den Pfeil ab, verschätzte sich aber ein bisschen. Der Pfeil schlug dicht neben dem Kampfhubschrauber in einen Felsen. Die Wucht der Explosion ließ die Maschine etwas beiseite taumeln. Die Cheyenne senkte die Nase und beschleunigte. »Deckung!«, schrie Schnitter. Die Cheyenne donnerte lärmend über die Felsen, und schwere Granaten pulverisierten die Blöcke. Die Wucht der Explosionen schmiss schwere Brocken einfach um. Die Lage wurde allmählich unhaltbar, und Schnitter befahl Rückzug. Während die Cheyenne noch seelenruhig das Geröllfeld einebnete, zogen sich die Elfen zurück. In der Cheyenne kriegte der Pilot einen Funkspruch. »Hör sofort auf zu ballern, Murphy! Sonst stürzen bei uns die Stollen ein.« »Roger.« Murphy landete die Cheyenne unten im Tal, und die Elfen ritten nach Sonnental zurück.

164 »Was jetzt?«, fragte Himmelweis. »Wir fordern Hilfe der Föderation an«, antwortete Schnitter. »Das Recht dazu haben wir.« »Verletzt das nicht dein Ehrgefühl?«, fragte Leetah. »Die Sorge um meine Leute ist stärker als das verdammte Ehrgefühl!« »Und wenn sie wieder eine Blockade um den Planeten gelegt haben?" »Das wird neuerdings bemerkt.« Aber es gibt auch andere Methoden, den Funkverkehr zu stören.

165 2

Diamanten-Drama Nr.2

Amsterdam, das Venedig des Nordens. Europas Handelszentrum der Schifffahrt. Das Zentrum der großen Diamantgeschäfte mit Südafrika. Das Zentrum der illegalen Waffen- geschäfte. Das Zentrum der illegalen Edelsteinschmuggeleien. Das Zentrum der illegalen Kinderpornos. Das Zentrum des internationalen Rauschgifthandels … Sonny unterbrach seine Gedanken und seufzte. Blair war wirklich schwer zu ertragen. Warum musste er auf diese idiotische Gondelfahrt einsteigen? Gemächlich glitten die alten Häuser vorbei, von denen Rembrandt so viele gemalt hatte. Sein Ferrari wäre ihm jetzt lieber. Jetzt die Küste entlang kreuzen, ein paar Bräute aufreißen. Das wäre jetzt was. Aber stattdessen schlich Sonny Crockett, Policeofficer des Miami Vice, mit seinem Partner und einem exzentrischen Multimillionär mit einer Gondel die malerischen und kulturell hochwertigen Grachten von Amsterdam hinab. Riccardo blickte seinen Freund grinsend von der Seite her an und hätte fast ‘O sole mio’ geheult, beherrschte sich aber. Dann runzelte er die Stirn. »Irgendetwas ist heute anders an dir«, sagte er nachdenklich. »Ich befinde mich auf dem tiefsten Meeresgrund der Langeweile«, knurrte Sonny »Neinnein. Irgendwas … an deiner Erscheinung. Etwas hat sich völlig verändert, seit ich dich kenne.« »Idiot, ich hab’ mich heute morgen rasiert!« Riccardo klatschte die Faust in die Handfläche. »Das ist es!« »Ich kann ja nicht gut unrasiert auf eine Edelsteinauktion gehen, bei der die Millionen nur so durch die Luft fliegen.« »Ein weiser Entschluss.« Die Gondel glitt zum Ufer an eine Anlegestelle. Sie waren da und stiegen aus. »Was hast du denn?«, fragte Riccardo. »Du sagtest doch selbst, dass du Amsterdam schon immer sehen wolltest.« »Ja, aber nicht so viel davon.« Um die Ecke lag ein großer Park mit weiten, grünen Flächen, großzügig aufgeforstet, und inmitten der Bäume lag, wie auf einem von Rembrandts Bildern, ein aristokratischer Herrensitz. »Das wär’ doch was für dich«, witzelte Riccardo. »Das Problem ist nur … wie verträgt sich der Baustil mit den sumpfigen Everglades?«

166 Am Tor musste Blair seine Einladung vorweisen und die Namen seiner beiden Begleiter angeben. Daraufhin wollte der Torwächter noch Sonnys und Riccardos Ausweise sehen, dann endlich ließ man sie rein. Die Strecke vom Tor zum Haus war ein halber Gewalt- marsch. Sonnys Blick schweifte umher und entdeckte anmutig kaschierte Infrarotdetekto- ren und fast schamhaft verdeckte Kameras. Am Eingangsportal des Hauses stand die drei Meter hohe Marmorstatue einer nackten Frau. Sie betraten das Haus, und Sonny flüsterte seinem Partner zu:»Hast du die Kamera zwischen den Beinen der Statue gesehen?« »Ja. Raffinierte Idee. Wer würde da schon hinsehen.« Sonny verbiss sich ein Grinsen. Das Innere des Hauses war von emsiger Geschäftigkeit erfüllt. Aristokraten und Repor- ter durchquerten sämtliche Räume und begutachteten die Ausstellungsstücke. Bilder an den Wänden wurden durch ein Absperrseil geschützt, und die Edelsteine und Statuen waren hinter dicken Panzerglasscheiben auf Samt gebettet. Vor jedem Bild stand ein Polizist. Blair deutete auf eines der Gemälde. »Das ist ein Rembrandt. Und dort ist ein van Dyck. Da haben wir einen Picasso und … « »Wollen Sie damit sagen, dass die alle echt sind?«, unterbrach Sonny ihn. Blair blickte ihn halb beleidigt an. »Natürlich. Wozu sonst sind wohl alle diese Sicher- heitsvorkehrungen? Alles, was Sie hier sehen, ist echt.« Sonny stieß seinen Partner an. »Auf der High-School habe ich eigene Comics gezeichnet. Vielleicht sollte ich van Dyke mal fragen, ob er interessiert ist.« »Frag’ ihn in dreihundert Jahren. Dann ist dein Gekritzel garantiert Millionen wert.« Auf diese Weise tummelten sich die drei mehrere Stunden lang im Haus, betrachteten Bilder und Schätze, und gerade, als Sonny keine Diamanten mehr sehen konnte, ertönte ein gewaltig hallender Gong. Die Besucher schlugen plötzlich eine einheitliche Richtung ein, und sie folgten ihr. Der Besucherstrom mündete in einen Saal, der wie ein zu klein geratenes Baseballstadion wirkte. An der Stirnseite des Raums war eine riesige Leuchtta- fel angebracht, deren Digitalzahlen im Moment alle auf Null standen. Blair erkämpfte sich drei Plätze in der vordersten Reihe und winkte seine beiden Begleiter zu sich ran. Sie setzten sich, und mit hörbarem Geräusch schlossen die Polizisten die Türen des Saals. Ein großer, hagerer Mann betrat die Präsentationsfläche, um die die Stühle herumgruppiert waren, und das Publikumsgeplauder verstummte.

*

»Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren. Für die, die es noch nicht wissen, mein Name ist Johan van Dyke. Ich freue mich, dass Sie dieses Jahr wieder so zahlreich erschienen sind. Wie Sie sicher wissen, befindet sich in meinem Besitz der nunmehr größte Diamant der Welt. Ich habe ihm den Namen ‘Nova’ gegeben. Er besitzt ein geschliffenes Gewicht von siebentausendeinhundertfünfunddreißig Karat, womit er den Cullinan roh um das Doppelte schlägt. Und ich habe eine große Überraschung für Sie, meine Damen und Herren: der Stein steht frei zum Verkauf.« Mehrere Sekunden lang war es im Raum totenstill. Dann explodierte die Stille in einen Sturm des Erstaunens. Blair war aschfahl im Gesicht, und Sonny beugte sich besorgt zu ihm. »Geht es Ihnen nicht gut?« »Dem geht es nicht gut, da. Der spinnt ja! Wie kann er das tun?!«

167 Da diese Äußerung mit der üblichen Blair-Lautstärke erfolgte, hielt es van Dyke für das Beste, seine Beweggründe zu erklären. »Ladies and Gentlemen! Bitte Ruhe!« Der Ge- räuschpegel flaute ab. »Bei Ihrem Rundgang werden Sie bemerkt haben, dass alle Edelsteine, die sich in meinem Besitz befinden, nicht größer sind als vielleicht sechs, sieben Zentimeter. Es mag verwunderlich klingen, aber mir liegt nichts an einem Stein dieser Größe. Ich bewundere den Stein! Nicht seinen Wert! Deshalb habe ich verfügt, dass dieser Stein sich in kurzer Zeit im Besitz von irgendjemandem unter Ihnen befinden wird. Aber Sie werden verstehen, dass dieser Stein erst zuletzt an die Reihe kommen wird. Wenn Sie gestatten, beginnen wir jetzt diese Auktion.« Van Dyke setzte sich an einen Ort, wo er allein saß und die Leuchtschrifttafel gut sehen konnte. Der Auktionator, ein schwergewichtiger Endfünfziger mit Namen Yoram Goldstein, ergriff ein Blatt Papier und las laut vor. »Das erste Stück ist ein Rubin von 27 Karat, der unter dem Namen ‘Stern von Algier’ bekannt ist. Er gehörte lange Zeit dem dortigen Herrscher, der leider bis heute nicht bekannt ist. Bei einem Sturm des Volkes auf den Palast verschwand der Stein und tauchte erst achtzig Jahre später im Besitz des damaligen Sultans von Brunei wieder auf, dessen Nachfahre ihn vor vier Jahren veräußert hat, wodurch er in unseren Besitz gelangte. Richtpreise gibt es keine. Sie haben das Wort, Ladies and Gentlemen.« Ein Gehilfe trug den blutroten Rubin auf einem Samtkissen auf die Präsentationsfläche. Blair winkte, und der Gehilfe kam. Sonny staunte, als Blair nicht im Geringsten daran gehindert wurde, den Stein einfach vom Kissen zu nehmen und ihn mit einer Lupe zu betrachten. Blair überlegte ein Weilchen und sagte dann deutlich, was er von diesem Stein hielt. »Drei Pfund Sterling!« Sonny erschrak zu Tode, und das Publikum lachte amüsiert. Auch van Dyke verstand Humor, und er wusste wohl am besten, was noch kommen würde. Sonny betrachtete den roten Funken, etwa so groß wie ein Fingernagel, und flüsterte:»Verzeihung, darf ich mal?« Blair reichte ihm seine Lupe, und Sonny nahm den Stein in die Finger. Der Rubin war seltsam kalt, und unter der Lupe sah er feine Verästelungen und ein kaltes, rotes Feuer. Rot ist eine warme Farbe, außer wenn sie von einem Rubin kommt. Er schüttelte den Kopf. »Sie sind wohl verrückt, so wenig zu bieten.« Sonny hob die Hand. »Vier Pfund!« Die Leute lachten wieder, und Riccardo starrte seinen Partner von der Seite an. Blair machte ‘Hmpf’. »Fünf!« »Sechs!« Goldstein war der Einzige, der sich nicht amüsierte. »Ich bitte Sie, meine Herren! Wenn Sie so abnorm niedrige Preise bieten, sehe ich mich gezwungen, einen Mindestpreis festzusetzen. Dreitausend Pfund Sterling!« Das traf Sonny, aber er ließ es sich nicht anmerken. Stattdessen zog er ein angewidertes Gesicht und legte den Stein mit spitzen Fingern zurück, als ob er kontaminiert wäre. »Wer bietet dreitausend?!«, rief Goldstein, schon leicht verzweifelt. Riccardo legte die Hand auf das Gesicht, damit niemand sehen konnte, dass er sich fast krümmte. Sonny stieß Blair an. »Nun bieten Sie schon sechs fünfzig.« »Sechseinhalb Pfund für dieses mickrige Steinchen?« Goldstein blickte auf die Uhr und seufzte. »Die Zeit ist abgelaufen, und da niemand auf meinen Mindestpreis reagiert hat, geht der ‘Stern von Algier’ in den Besitz des Höchstbie- tenden über.«

168 Riccardo hielt den Mund fest. Sonnys Gesicht wirkte im Moment nicht sehr intelligent. Blair reichte ihm die Hand. »Gratulation, der Stein gehört Ihnen.« »Was? Mir?« »Machen Sie nicht so ein Gesicht, sonst merken die Leute, dass Sie keine Ahnung von Edelsteinen haben.« Und das flüsterte Blair erstaunlich leise. Sonny riss sich zusammen. Riccardo prustete. »Ich lach’ mir ‘n ganzen Baum.« »Wie viel ist der Stein nun wirklich wert?«, flüsterte Sonny. Blair überlegte. »Na … so etwa … mindestens neunhundert.« »Dollar?« »Aber nein! Pfund Sterling! Das sind etwa … zweitausend Dollar.« Riccardo war plötzlich verdächtig still. Blair grinste. »Sie verstehen es, den Preis zu drücken, Mister Crockett.« »Was soll das heißen? Ich dachte, Sie hätten einen Witz gemacht und machte auch einen. Das war bloßer Zufall.« »Nicht so laut.« »Das müssen ausgerechnet Sie sagen?«

*

Nach etwa eineinhalb Stunden waren sechzig Edelsteine versteigert, und das Niveau war allmählich gestiegen. Den bisherigen Höchstpreis erzielte ein Smaragddiadem, das für fünfhunderttausend Pfund an einen kolumbianischen Großgrundbesitzer ging. Riccardo stieß seinen Partner an. »Du solltest mal wieder was kaufen, sonst fragen sich die Leute, wer du bist.« »Womit soll ich denn kaufen? Ich hab’ zwanzig Dollar in der Tasche, und wenn ich den Stein abgeholt habe, ist die Hälfte weg. Außerdem fragen Sie sich sowieso schon. Ich habe da so eine Idee. Aber versprich mir, dass du nicht von deinem Angstschweiß weggespült wirst.« Riccardo wurde nervös. »Was hast du vor?« »Geduld, mein Alter.« Nun kam der absolute Höhepunkt. Zwei Männer trugen auf einem rubinroten Samtkis- sen die Nova auf die Präsentationsfläche. Dem Publikum fielen die Augen reihenweise aus dem Kopf. Der Diamant war abenteuerlich geschliffen und erinnerte in der Form an einen strahlenden Stern, von dem mehrere Zacken in regelmäßigen Abständen heraussta- chen. Er war in der Mitte etwa sechs Zentimeter dick und maß etwa dreißig Zentimeter im Durchmesser. Man hätte ihn für einen Plastikweihnachtsstern gehalten, wenn nicht seine Oberfläche in unglaublich vielen verschiedenen Facetten gemustert gewesen wäre, die das Licht unterschiedlich zurückwarfen und so den ganzen Stein mit einem regenbogenarti- gen Effekt übergossen. Blair atmete schwer, und Sonny merkte, dass dieses Monster von einem Stein ihm effektiv Schweiß verursachte. Als die Gehilfen den Stein an ihnen vorüber trugen, hielt Blair sie an und blickte mit der Lupe in das Innere des Diamanten. Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas. Sonny nahm ihm die Lupe aus den Fingern und schaute sich den Stein auch an. Was er sah, konnte er fast nicht glauben. In der Auktion waren mehrere Diamanten gewesen, und sie alle hatten etwas gemeinsam gehabt: Einschlüsse und Fasern im Inneren. Dieser Stein hatte nichts dergleichen. Welchen Teil Sonny auch untersuchte, überall war der Diamant klar und durchsichtig wie eine schimmernde Kristallglasscheibe.

169 Er lehnte sich zurück, hob die Augenbrauen und stieß die Luft aus. Blair hing in seinem Stuhl. Riccardo beugte sich vor Sonny vorbei und fragte:»Brauchen Sie eine Beruhigungs- tablette?« »Es geht schon«, ächzte Blair und setzte sich wieder auf. »Ich weiß nicht, ob der Stein etwas für mich ist. Wenn ich ihn zu oft anschaue, komme ich mir völlig verbraucht und schmutzig vor. Wenn ich nicht sicher wüsste, dass er von der Erde stammt … « Sonny runzelte die Stirn. »Sind Sie völlig sicher?« »Aber ja! Bei den strengen Frachtkontrollen von außerhalb kommt so ein Monster nicht durch.« »Wie sieht denn ein Diamant roh aus?« »Nun ja, wie ein besserer Kieselstein. Aber die Kontrolleure sind geschult. Ich will diesen Stein gar nicht! Er ist zu schön für einen Menschen.« Sonny überlegte krampfhaft. Wenn sein Plan schief ging, hatte er den größten Haufen Scheiße am Hals, den er je gehabt hatte. Die Gehilfen beendeten ihre Runde und legten die Nova für alle deutlich sichtbar auf einen Tisch in der Mitte. Dort lag sie nun wie ein vom Himmel gefallener Stern. Goldstein nahm wieder das Papier zur Hand. »Ein geschliffener Diamant, Name ‘Nova’, von 7’135 Karat. Zur Information, das sind fast anderthalb Kilo! Gefördert aus Schacht 3 der Southwest Mining Corporation Mine in Südafrika. Die Mine ist Eigentum von Minher van Dyke. Ich gebe auch hier keinen Richtpreis an, aber wenn ich mit Verlaub sagen darf, wer immer für diesen Stein weniger als fünf Millionen Pfund bietet, sollte mit Schimpf und Schande aus der High Society gejagt werden!« Das Publikum lachte. Ein französischer Hotelier begann. »Sechs Millionen!« Ein hagerer Typ, der sich mit ‘John Smith’ eingetragen hatte, bot sieben Millionen. Sonny beugte sich zu Blair hinüber. »Wissen Sie, wer dieser Smith ist?« »Nein. Das weiß keiner. Er ist das erste Mal hier. Er ist sicher nur ein Vertrauensmann, der anstelle seines Herrn hier für ihn bietet.« Der Hotelier gab auf. Da meldete sich ein arabischer Emir in Geschäftsanzug. »Acht Millionen!« Smith zögerte nur kurz. »Zehn!« Im Publikum machte sich Unruhe breit. Der Araber zögerte. »Elf!« »Zwölf.« Der Araber schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. Sonny studierte Smiths Gesicht. Es wirkte absolut unauffällig. »Er will den Stein unbedingt haben«, flüsterte er. »Warum? Er sieht nicht nach Sammler aus.« »Er ist es doch nicht selbst«, wandte Blair ein. »Kann sein, aber der Stein ist heute zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gezeigt worden. Sein Chef weiß also gar nicht, wie er aussieht. Und er will ihn trotzdem?« Blair hob die Schultern. »Ist mir alles egal. Ich fliege jedenfalls noch heute Abend zu meinen Rindviechern zurück. Und dort sollte ich, verdammt noch mal, bleiben.« In diesem Moment stand eine Dame auf, die Sonny noch gar nicht gesehen hatte. Die thailändische Königin Sirikit, eine Frau, bereits in den Vierzigern, aber noch sehr attraktiv. »Dreizehn«, sagte sie ruhig. »Hui«, zischte Riccardo. Weiter kam er nicht, da Smith schon »Fünfzehn!« sagte. Königin Sirikit überlegte kurz. »Siebzehn!« »Zwanzig!«

170 Nun stieg der Geräuschpegel im Saal merklich an. Blair kratzte sich am Kopf. »Das darf doch nicht wahr sein. Ich frage mich, wer hinter diesem Smith steht. Der Typ muss Geld zum Kotzen haben.« Königin Sirikit schenkte der Nova noch einen wehmütigen Blick und setzte sich wieder. Es blieb ein Weilchen still. Smith setzte sich auch hin und lächelte selbstzufrieden. Er würde das größte Auktionsgeschäft aller Zeiten machen. Die Nova war unschätzbar. Die Masse lässt sich ja noch leicht berechnen, aber die Schleifarbeit war einmalig. So was würde es nie wieder geben. Goldstein war mit dem Preis sehr einverstanden. Nach der angemessenen Pause sagte er:»Das gegenwärtige Gebot beträgt Zwanzig Millionen Pfund Sterling. Ich darf anneh- men, dass das ein absoluter Weltrekord ist. Bietet jemand mehr?« Zehn Sekunden Stille. »Sehr gut. Zwanzig Millionen zum ersten … zum zweiten … und zum … « »Einundzwanzig!« Alle Köpfe flogen herum. An Riccardos Körper stellten sich sämtliche Haare auf. Eiswas- ser floss durch seine Adern. Sein Freund musste verrückt geworden sein! Blair starrte Sonny von der anderen Seite her an. »Sind Sie verrückt?«, flüsterte Blair atemlos. Aber Sonny saß nur da, ballte unter der niedrigen Brüstung die Fäuste und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf Smith, der etwas unruhig geworden war. Sonnys Puls raste. Mit eiserner Konzentration verhinderte er erfolgreich einen Schweißausbruch. Das Publikum betrachtete ihn mit neu erwachtem Interesse. Wer war denn das, der den größten Auktionscoup in der Geschichte noch im letzten Moment zu einem Thriller machte? Smith hob die Schultern. »Zweiundzwanzig.« Stille. Goldstein setzte wieder an. »Zweiundzwanzig Millionen Pfund Sterling zum ersten … zum zweiten … und zum … « »Dreiundzwanzig«, sagte Sonny absichtlich leise. Goldstein seufzte auf. Riccardo konnte nicht mehr still sitzen, rangierte auf dem Stuhl hin und her, wischte sich das Gesicht ab und kaute zum ersten Mal seit der Pubertät wieder an den Fingernägeln. »Was haben Sie vor?«, flüsterte Blair, der die Welt nicht mehr verstand. »Er will den Stein«, flüsterte Sonny. »Und ich will sehen, wie viel er bereit ist, zu bieten.« »Das kann ins Auge gehen. Und wie wollen Sie ihn dann bezahlen?« »Keine Ahnung, aber irgendwas fällt mir schon ein.« Riccardo widerstand mit Mühe dem Impuls, Sonny die Hände um den Hals zu legen und ihn zu schütteln. »Bei dir sind wohl ein paar Signale falsch gestellt«, zischte er. »Weißt du eigentlich, was du tust?« »Besser als du. Und jetzt Ruhe.« »Fünfundzwanzig«, bot Smith. Das Publikum seufzte auf. Goldstein begann wieder. »Fünfundzwanzig Millionen Pfund Sterling zum ersten … zum zweiten, und zum … « Er hielt inne und blickte Sonny an. Der lächelte ihn freundlich an. »Danke. Sechsundzwanzig.« Goldstein ließ den Kopf hängen. Im Augenwinkel sah Sonny, wie van Dyke sich interessiert vorbeugte. Sonny fühlte, wie er taxiert wurde. Smith wurde allmählich etwas ärgerlich. »Siebenundzwanzig!«, rief er, schon leicht verstimmt.

171 Sonny zog die Stirn in Falten. Neben ihm zappelte Riccardo herum. »Ich will hier raus«, zischte er. Sonny winkte mit der Hand, und die beiden Gehilfen brachten die Nova zu ihm. Sonny hob den Superdiamanten vorsichtig vom Kissen und hielt ihn sich vors Gesicht. Auf die Abmessungen waren anderthalb Kilo ein bisschen viel. Sonny hob die Nova vor den Deckenkronleuchter und genoss einen Moment das farbenprächtige Schauspiel. Dann senkte er ihn wieder und blickte auf ihn herunter. Er hob den Kopf und grinste seinen Freund an. »Willst du ihn auch mal halten?« »Fass mich nicht an!«, zischte Riccardo. »Nun hab’ dich doch nicht so.« Bei einer leichten Bewegung rutschte der Stein versehentlich von Sonnys Knie und verschwand für einen Moment aus der Sicht des Publikums unter der Brüstung, tauchte aber gleich wieder auf. Sonny lächelte entschuldigend in die Runde und betrachtete den Diamanten noch ein paar Sekunden. Dann machte er ein verkniffenes Gesicht, legte den Stein auf das Kissen zurück und schüttelte den Kopf. Das Publikum atmete auf. Goldstein holte Luft. »Siebenundzwanzig Millionen Pfund Sterling zum ersten … zum zweiten, und zum … « Er blickte Sonny an, aber der hatte den Kopf in die Hand gestützt und winkte müde mit der anderen. » … dritten! Die Nova geht an Mister John Smith!« Man atmete wieder. Die Menschen begannen wieder zu plaudern. Sonny vergrub das Gesicht erschöpft in den Händen und beobachtete zwischen den Fingern, wie Smith ihn unablässig musterte, als der nach vorne kam. Riccardo verdrehte die Augen und schnappte nach Luft. »Sonny … «, begann er, aber der unterbrach ihn. »Was immer du sagen willst, warte bis wir draußen sind.« Goldstein rief:»Hiermit ist die diesjährige Auktion beendet. Ich danke Ihnen allen und bitte nun die Käufer, nach vorn zu kommen und ihre Erwerbsstücke abzuholen.« Smith wandte sich ab, nahm die Nova in Empfang, schrieb einen Scheck aus und verduf- tete, den Stein im Aktenköfferchen. Sonny blickte ihm nach. »Wer immer es ist, er hat tierisch geblecht.« »Geblecht ist gut«, meinte Riccardo. »Geblutet trifft es eher.« Wortlos stand Sonny auf, ging nach vorn, nahm den Stern von Algier in Empfang und zahlte die sechs Pfund. Als er zurückkam, warf er den Rubin spielerisch hoch und grinste. »Zehn Dollar für einen Stein, der zweitausend wert ist. Ich bin stolz auf mich.« »Zeig mal her.« Riccardo betrachtete den Stein und nickte beeindruckt. »Aussehen tut er nicht übel. Weißt du, wo er sich am besten machen würde? Im Bauchnabel einer arabi- schen Bauchtänzerin.« Sonny grinste, zog sein Aktenköfferchen unter dem Stuhl hervor, und sie verließen das Haus. Dass van Dyke mit einem Sicherheitsbeamten sprach, merkten sie nicht.

*

Zehn Minuten später waren sie in ihrem Hotelzimmer. Blair hatte sich auf sein eigenes verabschiedet. Sonny machte sein Köfferchen auf, holte die Nova heraus und legte sie aufs Bett.

172 Riccardo verschluckte sich furchtbar an seinem Schluck Scotch, erstickte fast daran und hielt die Wand fest. Sonny grinste. »Ich hoffe, Mister Smith ist ein Fan von echtem Steuben-Kristallglas.« Riccardo kämpfte mit einer Ohnmacht. »Welcher Pavian hat dich gebissen?!«, japste er. Sonny betrachtete den Diamanten. »Die holländische Polizei hat denselben Verdacht wie Castillo. Du hast dich gerade mit der Empfangssekretärin unterhalten, als ich Hoffman entdeckte. Du weißt doch, der Polizist, der uns letztes Jahr geholfen hat, Simson zu fassen. Die Amsterdamer Polizei ist sicher, dass der Stein nicht von der Erde stammt. Und Hoffman hat mich dazu überredet, das zu machen. Sie hatten den Stein nämlich schon gesehen und fotografiert, weil die Versicherung das so wollte. So konnten sie eine Imitation anfertigen, die verflucht echt aussieht. Ich hab’ die beiden vertauscht, als mir die Nova angeblich versehentlich vom Knie rutschte. Ich muss jetzt das Ding nur noch abgeben, damit sie ihn untersuchen können.« Riccardo stürzte den Rest des Glases in einem Schluck.

173 3

Ein ganz linkes Ding

»Es wäre auch zu schön gewesen«, knurrte Feldman ins Mikro. »Und sie sind einfach abgehauen?« »Ja, Jeff«, bestätigte Blake. »Sie haben eine unserer Cheyennes und zwei Jetranger hochgejagt. Außerdem haben sie eine der Abwehrkanonen gesprengt. Wir haben ein Loch in der Verteidigung. Die werden jetzt wohl Hilfe anfordern.« »Das wundert mich ein wenig, aber ich habe die drei Satelliten bereits abgeschossen. Wir können das problemlos der Sektion in die Schuhe schieben.« »Wie willst du das machen?« »Seit Jedda Yegar geplatzt ist, suchen die Sektierer nach einem abgelegenen Stützpunkt. Sirius wäre wie geschaffen dafür. Schließlich haben sie’s schon mal versucht.« »Was machen wir mit den Elfen? Wenn sie keine Hilfe kriegen, helfen sie sich selbst. Und das können sie verdammt gut! Das haben sie schon einmal bewiesen.« »Versuch’s erst mal auf die weiche Tour. Bring ihnen ihren Bengel zurück. Sag, er wäre in einen Minenschacht gefallen oder so, und ihr hättet ihn gesund gepflegt. Und es wäre eine Schande, wie sie es euch gedankt hätten. Und wenn das nichts hilft, radierst du das Dorf aus! Wir sollten irgendwas Kleines, Nukleares am Lager haben.« »Du machst wohl Scherze! Dann bleibt von der Mine auch nicht mehr viel übrig. Außer- dem macht uns der Vulkan allmählich Sorgen. Bei der Knallerei, die sie angestellt haben, sind ein paar neue Geysire aufgebrochen. Ein kleiner Lavabach ist auf der anderen Seite runtergeflossen, und die Minenschächte führen verflucht dicht an die Magmakammern heran.« »Das ist dein Problem, Steve. Für das Dorf kannst du meinetwegen die Mil-24 nehmen. Aber nichts überstürzen, klar? Nur, wenn’s nicht anders geht.« »Okay. Ende.« »Ende.« Feldman drehte das Kehlkopfmikro beiseite und lehnte sich zurück. Sein Blick streifte über die Brückenstationen des republikanischen Mittelstreckenkreuzers und richtete sich auf die Sterne … in der Ferne.

*

»Was soll das heißen, ‘da sind keine Satelliten’?!«, brüllte Schnitter und knallte die Faust auf das Kommunikationspult. Leetah hob entschuldigend die Hände. »Solos Geheimfrequenz ist zwar blockadesicher, aber wenn das Frequenzfolgeradar zeigt, dass wir keine Satelliten im Orbit haben, dann nützt uns auch die nichts.« »Erspar mir bitte das technische Brombirium!« »Das heißt Brimborium.« Schnitter schnaubte verächtlich. Leetah deutete auf den Schirm. »Ich habe kein Satellitenradar mehr. Wir sind vom Rest des Universums völlig abgeschnitten. Das Einzige, was wir noch haben, ist der Boden-

174 scanner, der ein großes Objekt im Orbit anzeigt. Anscheinend auf einer stationären Umlaufbahn.« »Wie groß?« »Kann ich nicht sagen, aber auf jeden Fall größer als alles, was die auf der Erde haben.« »Du hast sicher den kleinen Mond auf dem Schirm«, knurrte er. Sie machte ein beleidigtes Gesicht. »Ich kenne zufällig den Unterschied zwischen einem leblosen Gesteinsbrocken und einem Raumschiff.« »Schon gut. Tut mir Leid.« In diesem Moment dröhnte ein lautes Schwirren über das Tal. Schnitter und Leetah verließen die Metallbaracke mit dem Parabolspiegel und sahen eine Jetranger, die auf dem Dorfplatz zur Landung ansetzte. Die Dorfbewohner rannten auseinander. Schnitter legte seine Hand auf den Schwertknauf und setzte sich in Bewegung. Er erreichte den Platz, als die Ranger aufsetzte. Die Rotorblätter verlangsamten ihre Bewegung, und der Motorenlärm wurde schwächer. Schnitter pflanzte sich in zehn Metern Entfernung auf, verschränkte die Arme und machte ein finsteres Gesicht. Steve Blake stieg aus und ließ deutlich seine leeren Hände sehen. »Guten Tag!«, rief er vernehmlich und kam auf Schnitter zu. Als er noch fünf Meter weg war, sagte Schnitter ganz ruhig:»Stopp.« Blake wunderte sich, warum er so rasch gehorchte. Irgendwie war ihm plötzlich unwohl. Egal. Flucht nach vorn. »Das war nicht sehr nett, was ihr da gemacht habt. Wo wir uns so um euren Freund gekümmert haben.« »Wo ist er?« Blake winkte nach hinten, die hintere Seitentür öffnete sich, und zwei Sanitäter stiegen aus, die eine Tragbahre zu Boden stellten. Darauf lag ein ziemlich bewusstloser Späher. Blaue Flecke verzierten sein Gesicht. Blake betrachtete seine Fingernägel. »Er ist in ‘nen Minenschacht gefallen. Nu’ is’ er etwas müde. Da bei uns niemand umgekommen ist, schreiben wir den entstandenen Sachschaden einem Missverständnis zu, an dem wir schuld sind, weil wir euch nicht informiert haben. Das tut uns Leid. Er … na ja … er hat eine Gehirnerschütterung, das rechte Bein ist zwei Mal gebrochen, und die Wirbelsäule ist etwas verrutscht … na ja … « »Späher hat Augen, die besser sind als ein Infrarotglas«, knurrte Schnitter. »Er würde nie in einen Minenschacht fallen.« »Ändert nichts an den Tatsachen. Jetzt habt Ihr ihn jedenfalls wieder, und damit sollte die Sache erledigt sein. Deine Zuckerpuppe da neben dir wird das ja wohl rasch wieder in Ordnung bringen.« Leetah straffte sich ruckartig. Zuckerpuppe?? Auf einen raschen Seitenblick ihres Häuptlings setzten sich mehrere Dorfbewohner in Bewegung, hoben Späher von der Tragbahre und schafften ihn in das nächste Haus. Blake blickte sich nervös um. »So, dann … verduften wir wieder.« »Wohin?« »Na, zur Mine.«

175 »Neinneinnein«, sagte Schnitter, als müsse er etwas richtigstellen. »Es sollte schon etwas … weiter weg sein.« »Wie bitte?« Schnitter schüttelte den Kopf, die mangelnde Intelligenz seines Gegners bedauernd. »Verschwindet von diesem Planeten«, erklärte er geduldig. Blake lachte nervös. »Das geht nicht so besonders gut, wisst Ihr. Ihr seid wirklich undankbar.« »Die Mine liegt auf dem Territorium von Sonnental. Hier bin ich der Chef!« »Ich dachte, die Grenze reicht bis zum Vulkan.« »Kleiner Irrtum. Die Grenze reicht bis hinter den Vulkan.« »Mann, da wird dem Kartografen aber der Arsch bluten.« »Und Ihnen auch, wenn Sie nicht verschwinden.« »Okay, okay. Wir kaufen euch das Gebiet ab.« Schnitter biss sich auf die Lippen und erklärte umständlich:»Äh … wissen Sie, das ist … wie soll ich sagen … eine Frage des … des … des Prinzips, verstehen Sie?« Blake senkte den Kopf. »Okay, aber ich bin hier nicht maßgebend. Ich werde meinen Chef davon in Kenntnis setzen, und der wird dann mit euch reden.« »Der braucht gar nicht mit uns zu reden. Wir werden ihm dasselbe sagen wie Ihnen. Also ist es unterflüssig.« »Überflüssig«, korrigierte Leetah. »Sag’ ich doch, überflüssig.« Blake stieg wieder in den Hubschrauber, der gleich darauf startete und hinter den Felsen verschwand. Schnitter ging auf Leetahs Haus zu. »Die Lage drängt mich irgendwie zu ein paar Vorsichtsmaßnahmen.«

*

Mike Murphy war ein Vietnam-Veteran, und irgendwie ging es ihm genau wie Rambo. In Vietnam war er für Ausrüstung im Wert von einer Million Dollar verantwortlich gewesen, und als er zurückgekommen war, hatte er nicht mal einen Job als Parkwächter gekriegt. Deshalb war er verdammt froh gewesen, als Feldman ihm den Job eines Kampfpiloten gegeben hatte. Aber neben dem Geld gab es noch einen anderen Grund, warum Murphy unbedingt zu seinem Chef stand. Murphy war rauschgiftsüchtig, wie eine stattliche Anzahl der Vietnam-Veteranen. Und die Macht, ihn jederzeit trockenzulegen, nützte Feldman skrupellos aus. Murphy hatte also keine andere Wahl, als den Befehlen zu gehorchen. Er hatte schon jeden Hubschraubertyp geflogen, aber die russische Mil-24 war was Besonderes. Man bezeichnet sie gern als ‘fliegendes Schlachtschiff’. Ein Wunder, dass eine solche Masse überhaupt in die Luft kommt. Zweitausendzweihundert PS versetzen den Sechsblatt-Propeller in die Lage, die zehn Tonnen in die Luft zu heben, und die beiden Stummelflügel an den Seiten der siebzehn Meter langen Maschine tragen ein gewaltiges Waffenarsenal von Raketen-

176 werfern und lasergesteuerten Spiral-Panzerabwehr-Lenkwaffen. Unter der Rumpfnase befindet sich in einem Drehturm ein schwenkbares, vierläufiges 12.7 mm Maschinenge- wehr, und auf jeder Rumpfseite sind zwei 34 mm-Kanonen montiert. Ein absolut höllischer Hubschrauber. Man sagt von Panzern, sie hätten eine Schockwir- kung. Wenn einer glaubt, ein Hubschrauber habe das nicht, dann wird er von dieser Maschine eines besseren belehrt. Und wenn einer glaubt, es sei seltsam, dass Amerikaner im Besitz von russischen Kampfhubschraubern seien, dann soll er sich mal Red Dawn ansehen! Man nimmt an, dass der CIA ein paar dieser Dinger aus Krisengebieten wie Afghanistan abgestaubt hat. Murphy flog diese Kiste gern, weil sie nicht so unstabil ist. Ihre Masse ließ sie ruhig in der Luft hängen, und wenn er sie in eine Kurve zog, hatte er das Gefühl, mit einem schweren Rennwagen in eine Steilwandkurve zu rasen. Aber am liebsten flog er die Maschine nur, wenn er nichts zusammenschießen musste. Der Angriff auf die Felswand hatte ihm Übelkeit verursacht. Er hatte nicht gewusst, auf wen er geschossen hatte. Er hatte es einfach getan. Aber einmal würde der Tag kommen, wo er diesem Feldman in den fetten Arsch treten würde. Aber erst musste er von dieser verdammten Spritze loskommen. Er hatte die Abstände zwischen den Injektionen immer mehr vergrößert. Als er sich jetzt eine reinjagte, war es bereits zwei Tage her seit der letzten, und er war so zapplig und nervös, dass er die Spritze kaum halten konnte. Seine Armbeuge war schon völlig zerstochen, aber der Stoff beruhigte ihn sofort. In diesem Moment platzte Jake Turner herein, sein Co-Pilot. »Startbefehl, Mike. Wir sollen eine Geröllwüste über das Dorf radieren.« »Sehr witzig. Geschmacklos, aber witzig.« Entspannt stand Murphy auf und folgte seinem Partner mit federnden Schritten. Er fühlte sich viel besser, und alles sah gleich viel schöner aus. Aber er wusste, dass das nur eine Illusion war. Na und? Das Ergebnis ist dasselbe. Man fühlt sich großartig! Sie stiegen in die voll aufmunitionierte Maschine und checkten sie kurz durch. Dann starteten sie. Mit gewaltigem Dröhnen überflog der überschwere Kampfhubschrauber die Felslandschaft. Auf halbem Weg kam ihnen Blakes Ranger entgegen. Murphy winkte kurz im Vorbeifliegen. Seine Aufmerksamkeit galt nur dem Talkessel am Rand des Wüstenge- birges. Er kannte die Geografie und drückte die Maschine geschickt in ein Seitental. Er flog halb um das Sonnental herum und schoss plötzlich durch eine verflucht enge Felsspalte, dass Turner in dem abgeteilten Cockpit vorne unter ihm vor Schreck scharf die Luft einzog. Im Nu waren sie über dem Dorf, und Murphy lachte leise. Das war wieder mal ein erstklassi- ges Manöver gewesen. Wie in alten Zeiten. Er fühlte sich einfach super. Er drehte die Maschine etwas und senkte die Nase. Unter sich sah er die Elfen auseinan- der laufen. Sie hatten ihm nichts getan, aber das interessierte ihn jetzt nicht mehr. Vorne unter ihm machte sich Turner klar zum Schuss. Murphy sah, dass ein einziger mitten auf dem Dorfplatz stehen blieb. Murphy lächelte mitleidig. Plötzlich jagte ihm ein langer, dünner Gegenstand entgegen, der knapp an der Mil vorbeischoss. Turner drückte ab, die vier 34 mm-Kanonen sandten eine lange Spur aus, die auf dem Dorfplatz den Boden aufwirbelte, dass eine gewaltige Staubwolke hochwall- te.

177 In diesem Moment erreichte der Metallpfeil die Felswand, vierzig Meter hinter der Mil. Eine unerwartete Druckwelle versetzte den Hubschrauber in eine unkontrollierte Bewegung. Turner stoppte den Beschuss. »He, Mike. Halt’ doch die Kiste ruhig!« Die Explosion hatte riesige Brocken aus der Felswand gesprengt. Steinstaub schlug hoch, und ein Bröckchenregen prasselte auf die Mil, dass Murphy nichts mehr sehen konnte. Er steuerte die Maschine etwas beiseite. In diesem Moment explodierte wieder etwas, diesmal noch näher. Irgendetwas schlug gegen das Heck, und vor Murphys Augen rotierten die Berge. Er kämpfte mit dem Steuer und versuchte die schwere Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen. Weitere Explosionen machten die Mil allerdings zu einem taumelnden Stück Metall, das zwischen den Druckwellen herumtanzte und gefährlich nah an die Felsen heranrutschte. »Womit schießen die?!«, brüllte Turner durch den Lärm. »Keine Ahnung! Fühlt sich an wie ein schweres Flakgeschütz mit panzerbrechender Munition!« Unversehens flammten vor Murphy einige rote Lichter auf. »Scheiße, da stimmt was nicht! Der Schlag am Anfang muss was am Heckrotor beschädigt haben! Wir rotieren wie ein Brummkreisel!« Murphy trimmte das nach, und der Flug wurde wieder ruhiger. Die Mil stieß aus den gewaltigen Staubwolken heraus und orgelte mit hohem Tempo über das Dorf. Schnitter blickte der Maschine nach, rannte los und kletterte rasch die Felsen hinauf, jenseits denen die offene Wüste lag. Die Wolfreiter folgten ihm, und unten trat Savah aus ihrer Hütte. Murphy jagte die Mil in die Wüste hinaus und bremste, um sich wieder zurechtzufinden. Er schüttelte den Kopf und überprüfte die Anzeigen. »Leicht angeknackst, aber nicht ausgetrickst. So, Jungs. Jetzt ziehe ich meine Register.« »Vielleicht sollten wir erst mal den Typen killen, der uns so eingeheizt hat.« »Guter Gedanke. Wo ist er?« »Er klettert mit seinen Freunden soeben da drüben auf den Felskamm. Wenn er uns voll trifft, gehen wir hoch wie eine Bombe.« Turner schaltete die Raketenwerfer auf das hintere Cockpit, und Murphy drehte die Maschine. Schnitter wollte gerade einen weiteren Sprengpfeil auflegen, als er sah, wie sich ihm das Monsterinsekt frontal zuwandte. Und der Eindruck mit den Stummelflügeln und ihrer gewaltigen Vernichtungskraft in Form der sechs Aufhängepunkte und den daranhängenden Waffen veranlasste Schnitter dazu, zurückzuweichen und die anderen in Deckung zu scheuchen. Murphy zog durch. Die Spiral-Raketenwerfer explodierten von Aktivität. Fauchende Geschossgarben schmetterten gegen die Felsen, riesige Feuerwolken schlugen hoch, und die Druckwellen peitschten über die Berge. Schnitter presste die Hände auf die Ohren. Ein heftiger Luftdruck schmiss ihn wie ein Spielzeug an den nächsten Felsblock zurück, wo er herunterrutschte. Alle kauerten sich zusammen, und es dauerte eine ganze Weile, da Murphy die Werfer gründlich leerfeuerte. Es wurde ruhig. Über dem Felskamm stieg eine gewaltige Rauchwolke empor. »Puh«, machte er und setzte die Mil langsam in Bewegung. Ganz vorsichtig setzte er über den Kamm. Das Dorf tauchte wieder auf. Turner starrte auf die Felsen hinunter, aber in dem explodierten Geröll war keine Spur von Leben zu sehen. Turner richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Dorf.

178 Ein Schlag erschütterte die Heckpartie. Aus dem Motorblock kam ein dröhnendes Kreischen. Vor Murphys Augen flammte eine ganze Batterie Rotlichter auf. Zeiger kletterten rasch in sämtliche roten Zonen. »Verdammter Mist!«, brüllte Murphy. Um sie herum wirbelte das Gebirge. Turner wurde übel. »Was ist passiert?«, würgte er. Murphy hantierte an seinen Hebeln herum. »Der Heckrotor ist blockiert! Gib deinem Arsch ‘nen saftigen Abschiedskuss! Es geht abwärts!« »Oh, Scheiiiiiiiiiße!!« Murphy kuppelte den Heckrotor aus, und die gequälte Maschine wurde etwas leiser, die Rotation rotierte jedoch munter weiter. Murphy wurde es schwindlig. »Das macht Spaß«, ächzte er. Er sah, wie der Höhenmesser rasend schnell abnahm. Er versuchte eine Autorotations- landung und sah unter sich plötzlich farbige Dächer. »Wir sind direkt über dem Dorf!«, schrie Turner. »Geh doch hier runter! Dann nehmen wir wenigstens das halbe Dorf mit!« Nein, mein Herr, dachte Murphy. Ich gebe noch nicht auf. Er gab etwas Gas. Die Maschine bremste ihren Absturz, glitt seitwärts und verstärkte dabei ihre schaukelnde Drehung. Der Boden kam ihnen entgegen, aber nicht mehr so schnell wie vorhin. Die Drehung wurde langsamer, und Murphy gab noch mal kurz Gas. Der Fall wurde aufgehalten, und die Mil setzte auf dem linken Rad zuerst auf. Murphy kappte alle Treibstoffleitungen, die Maschine setzte auf, und der Hubschrauber krachte, sich leicht drehend, auf alle drei Räder, was seine Drehung sofort stoppte. Murphys Kopf schlug gegen die Seitenscheibe. Er hatte natürlich seinen Helm auf, was bewirkte, dass er sich wenigstens nicht den Schädel einschlug. Es reichte aber, dass ihm schwarz vor den Augen wurde. Turner hatte da mehr Glück. Er wurde auf seinem Sitz herumgeworfen und klammerte sich fest. Die Maschine stand still. Ein Wunder, dass das Fahrwerk das ausgehalten hatte! Turner fasste mit zitternden Händen nach dem Verschluss der Cockpithaube und kriegte sie endlich auf. Mühsam kletterte er hinaus. Seine Knie drohten einzuknicken, und er stützte sich an der Maschine ab. Er nahm den Helm ab und versuchte seine Augen wieder zu synchronisieren. Ihm war speiübel, und er hielt sich den Magen fest. Alles drehte sich um ihn. Dass er umfiel, bemerkte er ebenso wenig wie die Gestalten … … die von allen Seiten auf ihn zukamen.

*

Murphy träumte, er sei im Film Rollercoaster. Er jagte über die Achterbahn, dass sein Gehirn sich umdrehte. Dann explodierte die Bombe, riss die Schienen auf, und die Wagenreihe krachte von der Bahn. Er flog schreiend durch die Luft, schmetterte auf die Erde und wachte auf. Er saß aufrecht in einem weichen Polsterbett, das in seiner kreisrunden Form in den Boden eingelassen war. Eine Hand drückte etwas Feuchtkaltes auf seine Stirn. Er fasste sofort danach und presste es fest auf sein Gesicht. Die Hand zog sich zurück. Im Augen- winkel sah er noch für einen Moment eine dunkelbraune Hand mit nur vier Fingern. An einem Finger saß ein goldener Ring. Er wandte vorsichtig den Kopf zur Seite. In seinem Genick saß ein Teufel, der unbarm- herzig auf ihn einstach. Neben ihm kniete auf dem Bett das schönste Wesen, das er je gesehen hatte.

179 Leetah lächelte leicht und sagte sanft:»Vorsichtig. Sie haben fast neun Stunden geschla- fen.« Er zuckte schmerzlich zusammen und rang nach Luft. Er blickte zum Fenster hinaus und sah Sterne. Es war Nacht. Das Zimmer wurde von ein paar Kerzen erleuchtet. Murphy fiel alles wieder ein. Er musste im Dorf sein, was ihn dazu veranlasste, sich zu wundern, warum er noch lebte. Er musste schnell hier raus. Unauffällig rutschte er ein wenig näher an Leetah heran, stoppte aber, als er seinen Navycolt sah. Das wäre ja an und für sich höchst erfreulich, aber es störte die Tatsache, dass er sich in Leetahs Hand befand! Höchst ärgerlich. »Du weißt ja gar nicht, wie man das Ding bedient«, behauptete er. Sie legte mit der anderen Hand den Sicherungshebel zurück und spannte den Hahn. Das metallische Klicken drang scharf durch die Stille. Selbst jetzt hatte sie ihr Lächeln noch nicht verloren. Sie hielt es aber nur mit Mühe aufrecht, denn sie hatte ihr ganzes Leben lang nur geheilt, nie verletzt. Sie zweifelte daran, dass sie jetzt im Notfall abdrücken konnte und hoffte, dass er es nicht merken würde. Er seufzte. »Wo ist Turner?« »Ihr Kollege? In einem anderen Haus. Meine Schwester kümmert sich um ihn.« »Sie sollte aufpassen.« Um Leetahs Mund spielte kurz ein merkwürdiges Grinsen. »Sieht so aus, als kennen Sie meine Schwester nicht.« Diese Bemerkung warf Murphy aus dem Gleichgewicht. Vor seinem geistigen Auge tauchten die absonderlichsten Gestalten auf. Vom Karate-Girl bis zur Bodybuilderin. Leetah schmunzelte. »Shenshen ist die gefährlichste Kratzbürste, die es gibt. Wenn Ihr Kollege eine falsche Bewegung macht, kriegt er was zwischen die Eier. Glauben Sie mir, sie weiß genau, wo die sind.« Murphy räusperte sich. »Sie sprechen gut Englisch, Mrs. Wolfreiter.« »Danke.« Murphy überlegte. Neun Stunden? Er sehnte sich nach einer Spritze, und er begann zu schwitzen. Der Stress hatte ihn ganz schön ausgelaugt. »Fehlt Ihnen was?«, fragte Leetah. Er schluckte. »Ja, ich … ich brauche ein Medikament. Regelmäßig. Ich muss zurück, sonst gehe ich drauf.« Leetah runzelte die Stirn. War das ein Trick? Der Mann sah wirklich übel aus, der Schweiß lief ihm mittlerweile nur so übers Gesicht. Er war aschfahl, und an seinem Hals traten die Adern deutlich hervor. Sie konnte die Schlagader pulsieren sehen und stellte fest, dass sie eindeutig zu schnell pulsierte. Sie schlug die Decke etwas zurück, und Murphy bemerkte, dass er nur noch seine Hose trug. Leetah strich mit dem Finger über die zerstochene Armbeuge. Sie blickte ihm ins Gesicht und sah im Mundwinkel einen Muskel unkontrolliert zucken. »Sie sind drogensüchtig«, stellte sie ruhig fest. Er nickte nervös. Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Was?« »Heroin.« »Wieso?« Er senkte den Kopf. »Na, reden Sie schon!«, sagte sie etwas heftig. Er räusperte sich wieder. »Ich habe in Vietnam gekämpft.« »Ja, von dem Krieg habe ich gelesen. Kam mir ziemlich idiotisch vor.«

180 »Geht mir heute auch so. Aber verdammt! Ich bin Soldat. Und ein verdammt guter noch dazu. Mit meinen Purple Hearts könnte ich den Kaminsims dekorieren. Ich weiß nicht, wie viele Dörfer ich eingeebnet habe. Ich habe es getan, weil man es mir befohlen hat. Man hat mir gesagt, es sei gut, was ich tue … « »Sie sind doch ein erwachsener Mensch, nicht wahr?«, unterbrach sie ihn sarkastisch. »Verdammt, wir hatten doch alle keine Ahnung. Wir dachten, wir hätten unsere Pflicht getan. Und dann kamen wir in die Staaten zurück, nach Hause. Die Leute starrten uns an, als seien wir krank. Die Regierung bezeichnete uns als innenpolitisches Problem. Ich habe festgestellt, dass meine Frau mit unseren zwei Kindern verschwunden ist und den Namen geändert hat. Ich kriegte keinen Job, lebte von der Fürsorge, begann zu saufen, bis auch das nichts mehr nützte. Also griff ich zur Spritze. Der Psychoterror seitens der Bevölke- rung hätte mich kaputt gemacht.« »Und statt der Bevölkerung macht es jetzt die Spritze.« »Ist mir egal. Mir ist alles egal. Vielleicht verpasse ich mir mal den goldenen Schuss, dann habe ich’s hinter mir.« »Und Sie haben diesen Job natürlich nur angenommen, weil Sie Geld für die Spritze brauchen.« »Klar! Verdammt, ich muss sie haben. Lasst mich hier raus!« »Sie stellen sich das etwas zu einfach vor, Mister … « »Murphy. Mike Murphy.« » … Mister Murphy. Ich bin übrigens Leetah.« »Ja, ich weiß, du bist die Sängerin.« Leetah ignorierte den Schmerz, der vom Gewicht der Waffe durch ihren Arm zu ziehen begann, und überlegte kurz. »Was würden Sie machen, wenn Sie von der Spritze loskommen würden?« »Keine Ahnung. Ich würde hier sicher alles hinschmeißen. Aber ich glaube nicht, dass ich das schaffe.« »Wenn Sie sich da nur nicht täuschen.« Sie rutschte näher heran. Er runzelte die Stirn. »Was hast du vor?« »Ganz ruhig. Vertrauen Sie mir.« »Warum?« »Weil ich Ihnen vertraue.« Murphy stellte fest, dass der Colt jetzt in seiner Reichweite war, aber irgendetwas hinderte ihn daran, die Elfe anzugreifen. Sie kniete sich vor ihn hin, legte ihm die Arme um die Schultern und berührte seine Stirn mit ihrer. Ein heftiger Schock durchfuhr sein ganzes Nervensystem wie ein elektrischer Schlag. Er schloss die Augen und stöhnte auf. Sein Gehirn wurde von eigenartigen Bildern überflutet, die er nicht deuten konnte. Etwas Undefinierbares drang in sein Gehirn ein, suchend, tastend, forschend. Irgendetwas veränderte sich, rutschte an einen anderen Platz, tauchte alles andere in ein völlig neues Licht. Das Gefühl zog sich zurück, und Leetah löste sich von ihm. Sie atmete tief durch und entspannte sich wieder. Er blinzelte und versuchte zu verstehen, was mit ihm geschehen war. »Wieso hab’ ich dir das alles erzählt? Ich habe noch nie so viel darüber geredet.« »Es war aber schon die halbe Heilung, glaub mir, Mike. Und wie fühlst du dich jetzt, nach deiner Beichte?« Während er noch überlegte, huschte eine dunkle Gestalt hinter Leetah. Murphy hatte gerade noch Zeit, Luft zu holen, als der Pistolengriff schon in Leetahs Nacken schlug. Ihr

181 Kopf flog zurück, sie fiel zur Seite um und rollte mit dem Gesicht nach unten. Murphy starrte Turner an. »Bist du verrückt?« »Wieso? Los, komm hoch! Wir müssen hier weg.« Damit zerrte er Murphy hoch, bis er unsicher stand und nach seinem Colt griff. Leetah stöhnte und bewegte sich leicht. Murphy schüttelte kräftig den Kopf. Dabei entging ihm, wie Turner auf die bewusstlose Elfe anlegte und feuerte. Murphy fuhr herum. Die Kugel traf Leetah im Rücken, unterhalb des linken Schulterblatts. Murphy kannte sich in der Anatomie genügend aus, um zu wissen, dass dort auch bei Elfen das Herz saß. Leetahs Körper zuckte unter dem Einschlag zusammen und lag still. »Weg hier!«, zischte Turner. »Der Knall war nicht ganz leise.« In Murphy stieg die kalte Wut hoch, und er staunte über den Gedanken, der plötzlich mit eiskalter Klarheit durch sein Gehirn zog. Zum Teufel mit der Spritze! Ganz ruhig sagte er:»Jake!« Turner drehte sich um. Murphys Colt entlud sich krachend. Die Kugel traf Turner in dessen linker Brustseite und warf ihn durch die Vorhangtür hinaus, wo er mit dem heranstürmenden Schnitter zusammenprallte und ihn mit zu Boden riss. Murphy ließ den Colt fallen, kniete neben Leetah nieder und setzte sie hoch. Ihr Kopf fiel zurück, und er presste sie verzweifelt an sich. Etwas brannte in seinen Augen … und auch unter seiner rechten Hand, die er auf ihren Rücken presste. Er runzelte die Stirn. Etwas ging dort vor. Schnitter stürmte endlich herein und blieb stehen. Leetah machte die Augen auf und gab einen schmerzlichen Laut von sich. Murphy wurde völlig konfus. »Wieso lebst du denn noch?« Weiter kam er fürs Erste nicht. Ein Schwertknauf traf ihn an der Schläfe, und vor seinen Augen sprühten die Sterne. Schnitter kniete nieder und stützte seine Frau. »Wie geht’s dir?«, fragte er besorgt. »Es geht schon«, brachte sie heraus. »Ich heile mich schon. Lass ihn. Er war’s nicht. Es war der andere.« »Ja, Shenshen hat eine Beule am Kopf. Als wir den Schuss hörten, bin ich sofort herge- rannt. In der Tür bin ich dann mit ihm zusammengeprallt. Der da muss ihn umgelegt haben.« Murphy kam wieder zu sich und setzte sich stöhnend auf. »Tschuldigung«, sagte Schnitter einfach. Murphy beachtete ihn gar nicht, hielt sich den Schädel fest und starrte Leetah an, die ihn mühsam anlächelte. »Wieso lebst du noch?«, staunte er fassungslos. »Ach … ich bin eine kleine Missgeburt, weißt du«, ächzte sie. »Ich habe das Herz sozusagen auf dem rechten Fleck.« »Was?!«, schrie Murphy hysterisch. Leetah deutete mit dem Finger auf ihre rechte Brust. »Hier.« Sie deutete auf die andere Seite. »Und nicht hier. Verstehst du?« Mittlerweile war von der Austrittswunde der Kugel nur noch ein Loch in ihrem Kleid zu sehen.

*

Polizeileutnant Hoffman starrte die Nova bewundernd an. »Saubere Arbeit, Sonny.«

182 »Danke.« Riccardo setzte sich. »Und ich kriegte fast einen Herzkranzgefässkatarr.« Hoffman winkte einem älteren bebrillten Herrn, der sofort herankam. Als der den Superdiamanten sah, vergaß er den Rest des Universums und stürzte sich mit einer Lupe auf ihn. Er drehte am Schärfering und veränderte die Brennweite. Er atmete schneller, und schon nach ein paar Sekunden sah er wieder auf. »Dieser Stein stammt nicht von der Erde!« »Worauf begründen Sie das?«, fragte Sonny. Der Mann schniefte und erklärte:»Meine Lupe ist sehr stark. Mit ihr sehe ich Sachen, die Sie nicht gesehen haben. Der Diamant ist durchzogen von einem Netz bläulicher Adern. Die Einschlüsse sind sehr fein. Ich vermute Kobalt.« »Kobalteinschlüsse?«, echote Hoffman. Der Mann nickte. »Kobalteinschlüsse hat man auch schon bei irdischen Diamanten gesehen, aber nur unter dem Rasterelektronenmikroskop. Hier sieht man sie schon mit tausendfacher Vergrößerung. Allein das ist schon Beweis genug.« »Prima!«, rief Riccardo von hinten. »Und woher kommt der Stein?« »Dazu brauche ich eine spektrometrische Analyse und Vergleichsproben von sämtlichen Planeten in dieser Galaxis.« Sonny verzog das Gesicht. »Sonst nichts?« »Die Analyse werde ich auf jeden Fall machen. Nur damit ich sicher bin, dass es wirklich Kobalt ist.« »Gut«, entschied Hoffman. »Nehmen Sie den Stein mit. Aber passen Sie um Gottes willen auf ihn auf!« Der Mann griff sich die Nova und verschwand. Hoffman blickte Sonny an. »Siebenundzwanzig Millionen Pfund würden unser Budget leicht überlasten.« »Leicht ist gut.« »Ich danke euch jedenfalls für eure Mithilfe. Kann ich noch was für euch tun?« »Äh, ja. Kennst du einen Mister Smith?« Hoffman holte tief Luft. »Ich hol’ dir ein Verzeichnis. Es sind etwa dreitausend. Sag mir, welchen du meinst, und ich sage dir alles über ihn.« »Du warst doch auf der Auktion. Ich meine den Typen, der die Nova ersteigert hat.« »Du meinst die Kristallglas-Nova. Natürlich kenne ich ihn. Er taucht seit einigen Jahren auf jeder Diamantenauktion in Holland auf. Er ist ein Mittelsmann für so einen reichen Amerikaner. Wenn ich nur auf den Namen kommen würde … jetzt habe ich’s. Er heißt John Paul Blair.« Sonny starrte Hoffman an. »Was?!« »John Paul Blair.« Sonny fuhr herum, griff sich im Vorbeirennen die Jacke und verschwand zur Tür hinaus. Riccardo folgte ihm dichtauf und rief:»Der hat uns gründlich geleimt.« »Und wie!«, bestätigte Sonny. »Spielt höllisches Theater, von wegen der Stein sei zu schön für Menschen. Dieser Mistkerl!«

183 Sie stürzten aus dem Polizeigebäude, und Sonny winkte ein Taxi heran. »Flughafen, aber presto!«, befahl Riccardo, während sie einstiegen. Sonny knuffte ihn in die Schulter. »Du verwechselst da was.« »Wieso? Wir sind doch in Japan, oder nicht?« Der Taxifahrer gab Gas, und Sonny sagte:»Pro Stundenkilometer über dem Tempolimit gibt’s einen Dollar extra!« Das war ein Fehler! Der biedere, phlegmatische Taxifahrer verwandelte sich schlagartig in ein wahnsinniges Helldriver-Tempomonster! Mindestens vier Kurven nahmen sie auf zwei Rädern. Rote Ampeln hörten auf zu existieren. Auf dem Rücksitz begann Riccardo zu beten, und Sonny machte die Augen zu. Die Strecke betrug etwa sieben Kilometer. Die Fahrt dauerte knapp fünf Minuten! Der Taxifahrer grinste. »Das Limit betrug überall 50. Maximales Tempo hatten wir mit 130. Das sind 80 Dollar extra, Mister. Plus 5 Dollar die Fahrt macht 85.« »Schreib ihm einen Zettel, Tubbs. Er soll das Geld bei Hoffman abholen. Ich geh schon mal.« Sonny stieg aus und rannte in das Flughafengebäude. Riccardo atmete tief durch. »Hätten Sie mir eine Tüte?«

*

Sonny hetzte an den Abfertigungsschaltern vorbei und blickte auf die Uhr. Die Maschine würde erst in einer halben Stunde abfliegen, aber Blair konnte schon drinsitzen. Sonny suchte die Menschenmenge ab und fand den Gesuchten plötzlich. Und in zwanzig Metern Abstand entdeckte er Smith, der mit dem bekannten Aktenköfferchen auf Blair zusteuerte. Sonny schob sich unauffällig zu den beiden hin. In diesem Moment betrat Riccardo die Halle und suchte. Sonny winkte ihm, und Smith sah ihn. Er machte sofort rechtsumkehrt und rannte auf einen anderen Ausgang zu. »Stehen bleiben!«, brüllte Sonny und rannte ihm hinterher. Riccardo ging zu Blair, der auch gerade verduften wollte. »Ihr Flug ist gecancelt worden, Mister«, sagte er beißend. Blairs Schultern sanken herab. Etwas weiter weg bog Smith um eine Ecke. Sonny hetzte hinterher und rutschte vor Schreck aus. Dadurch ging die Kugel über ihn hinweg und schlug ein Loch in ein Schließfach. »Miami Vice!«, rief Sonny, aber das kümmerte Smith wenig. Er senkte seine Waffe, und Sonny blieb keine andere Wahl, als abzudrücken. Etwas stieß Smiths Bein mit Gewalt nach hinten, und er stürzte um. Sonny stand auf und griff nach dem Aktenkoffer. Da trat die Flughafenpolizei auf den Plan, und Sonny zeigte seine Dienstmarke und ein Papier, das ihn ermächtigte, in diesem Land seine Polizeigewalt ausüben zu dürfen. Die Polizisten kümmerten sich um Smith, und Sonny ging mit dem Koffer in die Halle zurück. Blair stand da, als hätte ihm jemand von seiner bevorstehenden Exekution berichtet. Sonny steckte seine Kanone weg. »Hören Sie mal zu, Blair! Ich bin von Natur aus ein freundlicher Mensch, aber wenn einer anfängt, mit Blei nach mir zu schmeißen, werde ich sauer! Smith arbeitet für Sie, das wissen wir. Und dass der Stein nicht von der Erde stammt, wissen wir auch.« »Woher wollen Sie das wissen?«, protestierte Blair kläglich. Sonny öffnete den Koffer, holte die Nova heraus und ließ sie fallen. Sie zersplitterte auf dem Boden in tausend Teile. Riccardo grinste. »Diamanten sind ja so etwas Zerbrechliches.« Blair starrte wie betäubt auf die Splitter.

184 »Ich habe den Diamanten ausgetauscht, als er mir so versehentlich vom Knie rutschte«, erklärte Sonny. »Die holländische Polizei vermutete nämlich schon seit längerer Zeit so etwas.« »Dann verlange ich, dass Sie mir den Stein zurückgeben! Er gehört jetzt mir.« »Er ist nicht von hier. Das ist ein Verstoß gegen die Einfuhrvorschriften außerirdischer Mineralien.« »Er wird industriell genutzt werden«, wehrte sich Blair. »Ich kann das sogar beweisen.« »Sie besitzen keine Mineralindustrien«, erinnerte Riccardo. »Und warum ist er dann geschliffen worden?« Blair sagte nichts mehr. Riccardo blickte Sonny an. »Sonny, hier ist was oberfaul. Bewei- sen Sie uns, dass Sie die Nova industriell verwerten wollen!« Blair rang nach Luft. »Ich bin einer der Hauptaktionäre von ConAmalgamated.« »Seit wann?«, fragte Sonny verblüfft. »Seit Gründung der Firma. Kaum einer weiß das. Ich bitte mir Diskretion aus. In meinem Koffer sind Aktienpapiere von ConAm.« »Da stimmt immer noch was nicht«, murmelte Sonny. »ConAm hat Geschäftsbeziehun- gen zu van Dyke. Und Sie gehören auch zu ConAm. Wenn die Firma also einen außerirdi- schen Stein einführt, warum verkauft sie dann den Stein für eine astronomische Summe an sich selbst?« »Ich sage nichts mehr ohne einen Anwalt«, piepste Blair kläglich. »Vergessen Sie diesen Scheiß!«, schnappte Sonny grob. »Damit machen Sie sich nur illegaler Aktivitäten verdächtig. Der Stein ist so wichtig, dass auf mich geschossen wurde. Warum?« »Es geht um Lasertechnik«, ächzte Blair. »Okay! Und warum wählt die Firma einen derart komplizierten Weg, einen Stein einzuführen?« Blair schwieg. »Vielleicht durfte der Stein nicht eingeführt werden«, vermutete Riccardo. »Aber warum?«, fragte Sonny verzweifelt. »Wenn der Stein für Laserforschung verwen- det wird, ist es doch legal.« »Außer, wenn der Stein von einem Ort herkommt«, murmelte Riccardo und blickte hoch, »von dem er nicht herkommen dürfte.« Er und Sonny starrten sich an. Sonny packte Blair am Kragen. »Sie sind verhaftet, wegen Vertuschung illegaler Aktivitä- ten. Und Smith brockt Ihnen auch noch Widerstand gegen die Staatsgewalt ein. Van Dyke wird ebenfalls verhaftet, wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen. Er behauptete, der Stein käme aus Südafrika, was offensichtlich gelogen ist.« Damit schleppten sie Blair durch die Flughalle und nahmen sich draußen ein Taxi zum Polizeigebäude. Diesmal dauerte die Fahrt aber etwas länger.

*

Minuten später rieb sich Hoffman die Hände. »Großartig. Ich gebe sofort den Haftbefehl für van Dyke raus.« Damit verschwand er. Sonny setzte sich neben den niedergeschlagenen Blair. »Wo kommt der Stein denn jetzt her?« »Fragen Sie van Dyke«, flüsterte Blair kraftlos. »Jetzt hören Sie mal zu! Wenn Smith klug ist, zieht er Sie mit rein, indem er aussagt, Sie hätten ihm befohlen, auf mich zu schießen. Das nennt man ‘Anstiftung zum Mordversuch

185 an einem Polizeibeamten in Ausführung seiner Pflicht’. Das reicht, um Sie für zwanzig Jahre hinter Gitter zu bringen. Ihre Rindviecher sehen Sie nie wieder! Ich gebe Ihnen eine Chance, den Richter milde zu stimmen, indem Sie mit uns kooperieren. Werfen Sie die Chance nicht weg!« »Ach? Dann gibt es nur zehn Jahre, oder was?« »Quatsch! Wenn der Richter gut gesinnt ist, denkt er vielleicht, Smith hätte doch eigen- mächtig gehandelt. Was übrig bleibt, ist der Kauf von einem illegal eingeführten Edel- stein, was gerade noch eine Geldbusse ausmacht. Helfen Sie uns! Und helfen Sie sich!« Blair schwieg. In diesem Moment rief eine Sekretärin:»Mister Crockett! Telefon für Sie! Miami!« Neben Sonny leuchtete an einem Telefon ein Lämpchen auf. Er hob ab und meldete sich. »Crockett? Hier ist Castillo. Wie stehen die Aktien?« »Wir haben Blair festgenommen, und van Dyke wird gerade festgenommen.« »Blair? Wieso denn das?« »Er hat auf mich schießen lassen.« »Das habe ich nicht!«, protestierte Blair in einem panischen Energieanfall. Sonny horchte in den Hörer und legte dann die Hand über die Sprechmuschel. »Er meint, Sie sollen in Holland bleiben. Da gibt’s dafür nur achtzehn Jahre statt zwanzig.« Er nahm die Hand wieder weg. »Chef, das ist ein bisschen komisch, hier. Van Dyke macht Geschäfte mit ConAm, und Blair ist zufällig Hauptaktionär bei ConAm. Der Superdia- mant stammt nachweislich nicht von der Erde und soll für industrielle Zwecke verwendet werden. Aber können Sie mir verraten, warum der Stein dann als Schmuckstück von ConAm an sich selbst verkauft wird?« »Schon möglich. Wir haben herausgefunden, welches Gebiet die handgezeichnete Karte darstellt.« Sonnys Gesicht wurde ernst, als er Castillo zuhörte. Nach etwa dreißig Sekunden bedankte er sich für die Information, legte auf und blickte Blair an. »Der Stein kommt von Abode, alias Sirius 2, nicht wahr?« Blair sank auf seinem Stuhl in sich zusammen. »Na und?«, sagte er leise. »Das ist doch nicht verboten.« »Nein«, stimmte ihm Sonny zu. »Bis auf die vierhundert Quadratkilometer, die das Staatsgebiet von Sonnental darstellen. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass die Elfen vor etwa einem Jahr eine illegale Ölbohrstation auf ihrem Gebiet gründlich zusammenge- stampft haben. ConAm kann anscheinend den Mund nicht voll genug kriegen.« Blair hob die Schultern. Sonny war aber noch nicht fertig. »Was uns aber nicht daran hindert, besorgt zu sein, wenn wir bedenken, dass von Abode seit einiger Zeit keine Funksprüche mehr kommen.« Blair schwieg, Riccardo blickte erstaunt auf, und Sonny explodierte. Er schoss vom Stuhl und packte Blair am Kragen. »Mann, Sie sitzen vielleicht in der Scheiße! Egal, was auf Abode passiert, Sie sind jedenfalls mitverantwortlich! Ich lass Sie hochgehen wie eine Rakete! Und der ganze Konzern fliegt mit!« »Der Konzern weiß nichts davon«, krächzte Blair kläglich. »Es ist alles meine Schuld. Als Hauptaktionär kann ich bestimmen, was ConAm unternimmt, und brauche mich nicht dafür zu rechtfertigen. Die Nova wurde damals bei den Ölbohraktionen gefunden und zur Erde geschafft. Die Spektralanalyse zeigte eine große Diamantenader in der Nähe des Vulkans, zehn Kilometer von Sonnental entfernt. Als ich die rohe Nova sah, konnte ich nicht widerstehen. Ich musste einfach weiterschürfen lassen.«

186 »Warum? Für welches Projekt brauchen Sie den Stein?!« »Es gibt keins. Ich wollte die Nova nur für mich selbst.« »Und warum haben Sie das industrielle Projekt erfunden?« »Als Tarnung. Die Versteigerung war auch nur Tarnung. Und mit dem Geld, das ich für die Nova bezahlte, habe ich nichts weiter getan, als van Dyke zu schmieren.« »Warum?!« »Weil er ebenfalls ein Hauptaktionär von ConAm ist. Ohne ihn konnte ich die Diamant- ader nicht abbauen. Er holt jetzt weiterhin Steine raus, und ich habe ihn mit den sieben- undzwanzig Millionen geschmiert, damit er das weiter tut.« Sonny ließ los. Blair fiel auf den Stuhl zurück und schniefte. Er sah aus, als wolle er gleich losheulen. Sonny starrte Riccardo an. »Was für’n Arschloch! Der Funkkontakt nach Abode ist abgebrochen. Was ist mit den Elfen? Na?!« Blair hob kläglich die Schultern. Sonnys flache Hand klatschte ihm ins Gesicht. Blair zuckte zusammen und kratzte die letzten Reste seiner Beherrschung zusammen. Ein dämonisches Funkeln trat in seine Augen. »Solche Steine hat es noch nie gegeben! Sie sind einmalig im ganzen Universum. Ich habe das studiert. Abode ist der einzige bekannte Planet in dieser Galaxis, der eine derart hohe Kobaltkonzentration in der Planetenrinde aufweist. Ich musste diese Steine einfach haben. Verstehen Sie? Ich musste!« Sonny schüttelte den Kopf. Er verstand es nicht. Er atmete tief durch und zündete sich eine Zigarette an. Er inhalierte tief und stieß eine Wolke aus. »Wenn Sie wenigstens gesagt hätten, es sei für ein ehrgeiziges Forschungsprojekt, oder es wären politische Gründe, dann hätte ich wenigstens Ihre Beweggründe nachvollziehen können.« Er verzog das Gesicht. »Aber für so was solche rücksichtslosen Mittel einzuset- zen, dafür geht mir jedes Verständnis ab. Wenn den Elfen was passiert, dann schreibe ich an das amerikanische Justizministerium, sie sollen Sie nach Abode ausliefern. Frage mich, ob die die Todesstrafe abgeschafft haben. Haben Sie den galaktischen Schlagerwettbewerb gesehen? Dann wissen Sie, wovon ich rede. Ich bin jedenfalls sicher, dass die einen Auslieferungsantrag stellen werden. Dazu berechtigt sind sie nämlich.« Blair wurde kreidebleich im Gesicht. Sonny wurde ganz freundlich. »Aber vielleicht können wir ja noch das Schlimmste verhindern. Was haben Sie für Material auf Abode?« Blair war völlig zusammengebrochen. »Neben der eigentlichen Mine sind dort drei Kampfhubschrauber. Das ganze Minengebiet ist durch automatische Schwenkkanonen abgesichert.« Sonnys Augen weiteten sich. »Sie sind ja wahnsinnig!« Blairs Stimme wurde immer leiser. »Und im imperialen Krieg trieb ein Mittelstrecken- kreuzer des Imperiums, der von seiner Besatzung aufgegeben worden war, steuerlos durch den Raum. ConAm, genauer van Dyke, hat ihn sich mit Hilfe von republikanischen Spezialfirmen unter den Nagel gerissen und ein wenig in Stand stellen lassen. Der ist jetzt auch dort.« Sonny glaubte für einen Moment zu ersticken. »Ein … Mittelstreckenkreuzer?«, krächzte er. Blair nickte müde. Es war ein paar Sekunden still. Dann begann Sonny zu schreien. »Jetzt hab’ ich aber die Nase voll! Sperrt diesen Mistkerl ein, oder ich vergesse mich und hänge ihn an den Eiern auf!« Hoffman stürzte herein. »Was ist denn los?«

187 Sonny riss den Telefonhörer von der Gabel und wählte sich nach Houston, Texas durch. »Sternenflotte? Hier spricht Policelieute- nant Crockett von Miami Vice. Ich muss dringend Mister Ken Trevelyan sprechen. Das ist ein Notfall!«

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Als Leetah den Teller in die Finger nahm, sprang Murphy sofort auf und nahm ihn ihr aus der Hand. »Schon gut, danke!« Schnitter schmunzelte amüsiert. Leetah stieß die Luft aus. »Mike, mir geht’s prima! Oder hältst du mich für eine abgetakelte Fregatte?« »Was ist das?«, fragte Schnitter. »Nein«, beeilte sich Murphy. »Wieso, wie alt bist du denn?« »Moment, jetzt haben wir 1988, das wären dann … Scheißdezimalsystem … sechshun- dertsechzehn Jahre. Ich wurde im Jahr 1372 geboren, als in Europa die Pest wütete. Oder liege ich ein Jahrhundert daneben?« »Ne-Nein. Stimmt. Du siehst aus, als wärst du … sechshundert Jahre jünger.« »Danke.« Sie lächelte spitz. »Und jetzt setz dich und iss!« Schnitter grinste. »Tu besser, was sie sagt. Ich weiß, wovon ich rede.« Murphy setzte sich und blickte auf Schnitters Teller. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber hast du nicht was vergessen?« »Ich esse nur rohes Fleisch. Ich hasse gekochtes Zeug.« Leetah setzte sich. »Seit ich ihn kenne, versuche ich ihm das abzugewöhnen. Bisher ohne Erfolg. Aber ich kriege ihn schon noch so weit.« Schnitter grinste kauend. »Wetten, dass … « Murphy kratzte sich am Kopf. »Versuch ihn mal mit einem Filet mignon Café de Paris zu verführen.« Schnitter schüttelte den Kopf. »Ihr Menschen betrachtet Essen als ein Genuss. Ihr esst, weil es gut ist. Wir essen, weil es notwendig ist. Für mich ist das Nahrungsaufnahme, sonst nichts.« »Sicher. Das war bei uns auch mal so. Versteht mich bitte nicht falsch. Du, Schnitter, bist mir sehr sympathisch, und Leetah finde ich sowieso zum Anbeißen, aber … was findet Ihr aneinander? Ihr seid so grundverschieden.« »Das wird zu kompliziert«, meinte Leetah und winkte ab. »Es ist etwas, das kein Mensch kennt. Oder jedenfalls nicht aus eigener Erfahrung. Wir beide hatten sozusagen gar keine Wahl.« Schnitter schluckte, bevor er redete. »Und du hast dich ja auch mit Händen und Füßen gewehrt.« Sie lachte. »Ganz schön blöd, was? Jedenfalls bin ich glücklich.« Sie aßen still, und in Murphy wuchs der Ärger. Sie waren glücklich. Glücklich! Wann war er das letzte Mal glücklich gewesen? Auf der High-School. In Vietnam hatte er keine Gelegenheit dazu gehabt. Und seither auch nicht. Zum Teufel! Er stellte den Teller etwas heftig hin. »Warum seid Ihr glücklich?! Das ist nicht fair!« Er bereute seinen Ausbruch sofort.

188 Schnitter runzelte die Stirn, Leetah seufzte. »Wir haben alles, was wir brauchen. Sag, was du brauchst, sorg dafür, dass es dir gegeben wird, und du bist auch glücklich. Was brauchst du? Die Spritze?« »Nicht mehr. Wie hast du das gemacht?« »Wie fühlst du dich?« »Nicht besonders, aber es geht. Ich will die Spritze nicht mehr.« »Stimmt. Das habe ich dir sozusagen eingeredet. Du leidest unter den Entzugserschei- nungen, aber du nimmst es nicht bewusst wahr.« Murphy keuchte auf. »Mein Gott, Leetah. Komm zur Erde, und eine Menge Menschen werden sehr glücklich sein.« Sie senkte ernst den Blick. »Das kann ich nicht. Aus demselben Grund, wie jetzt auch Sonnental von mir abhängig ist. Das war mein Fehler. Für jede Schramme kommen die Leute zu mir. Ich heile Bandscheibenprobleme, Fingerverstauchungen, sogar Kopfweh. Was passiert, wenn ich irgendwie umkomme? Sonnental würde untergehen! Die Leute sind auf mich angewiesen. Wenn ich jetzt zur Erde ginge, müsste ich dort bleiben. Angesichts der Masse Drogensüchtiger auf der Erde würde ich kaum etwas ausrichten. Und wenn es mehr von meiner Sorte gäbe, würden auch die Menschen auf der Erde allmählich verweichlichen. Die Heilung ist eine schwere Aufgabe. Und wenn der Kranke diese Aufgabe auf jemand anders abschiebt, hat er den Sinn nicht erreicht. Der Sinn ist nicht, gesund zu werden. Der Sinn ist, aus eigener Kraft endgültig gesund zu bleiben. Zur Erde zu gehen, um dort Wunderheiler zu spielen, wäre das Verkehrteste, was ich tun könnte, für die Erde. Siehst du das ein?« Murphy nickte langsam. »Leider ja.« »Was hast du jetzt vor?«, fragte Schnitter. Murphy hob die Schultern. »Weiß nicht.« »Was haben deine Kollegen vor?« »Das sind nicht mehr meine Kollegen.« »Wonach schürfen sie?« »Weiß ich nicht. Mineralien, glaube ich.« Schnitter wechselte einen Blick mit Leetah. »Hör mal zu, Mike! Die Mine ist unerlaubt auf unserem Territorium, und den Verantwortlichen ist das egal. Sie sind bereit, ihre Mine mit Waffengewalt zu schützen. Sie sind bereit, einen Kampfhubschrauber gegen Un- schuldige loszulassen!« Murphy zuckte zusammen. »Was willst du?« Schnitter stand auf. »Ich will den Hubschrauber!«, erklärte er kalt. Murphy blickte hoch und deutete mit dem Daumen aus dem Fenster. »Was? Den da draußen?« »Ganz recht. Kann er noch fliegen?« »Weiß nicht«, gab Murphy überrumpelt zu. »Die Welle zum Heckrotor ist vielleicht gebrochen. Irgendwas hat ihn blockiert.« »Ich habe dir einen Stahlpfeil in den Rotor gejagt.« Murphy schluckte. Schnitter legte die Hand auf den Schwertknauf. »Wirst du uns helfen?« »Ich will eigentlich mit dem Ganzen nichts mehr zu tun haben«, wehrte Murphy ab. Schnitter wurde lauter. »Du sitzt hier in einem Dorf, das du mit Granaten und Raketen angegriffen hast! Du bist nun mal hier, und du kannst auch nirgends hin! Du kannst es dir also nicht leisten, nichts mit allem zu tun zu haben!«

189 Murphy blickte Hilfe suchend zu Leetah, aber dort empfing ihn nur ein musternder Blick. »Und wenn ich mich trotzdem weigere?« »Dann wird Himmelweis ein bisschen die Gebrauchsanweisung studieren. Die liegt, glaube ich, irgendwo im Seitenfach des Cockpits.« Murphy lief es kalt über den Rücken. »Seid Ihr beknackt? Ihr könnt doch nicht dieses Monster fliegen.« »Mal sehen.« Er hob abwehrend die Hand. »Okay, ich helfe euch. Aber nur, damit Ihr euch nicht selber umbringt. Aber wenn Ihr glaubt, dass Ihr es nur mit der Mine zu tun kriegt, habt Ihr euch geirrt. Im Orbit ist ein alt-imperialer Mittelstreckenkreuzer mit Nuklearbewaffnung. Wenn wir also die Mine vernichten, werden sie zur Entscheidung kommen, hier keine Spuren hinterlassen zu wollen. Eine Bombe räumt hier das halbe Gebirge auf einmal weg.« »Ach, das war es, was wir auf dem Bodenscanner geortet haben«, rief Leetah. »Was ist mit den Satelliten?«, fragte Schnitter. »Feldman hat sie sprengen lassen«, antwortete Murphy müde. »Wer, zum Geier, ist Feldman?« »Der Projektleiter.« »Ist er auf dem Kreuzer?« »Er pendelt hin und her. Mal oben, mal hier.« »Okay. Irgendwann wird man auf der Erde merken, dass von uns keine Funksprüche mehr kommen. Dann wird hier etwas aufgeräumt.« »Irrt euch bloß nicht. Feldman sendet jetzt selber das Okay-Signal. Was grinst du so?« »Tja, weißt du, wir haben da mit Sternenflotte eine Art … persönlichen Code vereinbart. Wenn Feldman den rausgekriegt hat, ziehe ich das Stirnband vor ihm.«

190 4

Auf in die Schlacht

Mit exakt zweitausendeinhundertsiebenunddreißig Metern Länge reichte die Cygnus fast an einen Sternzerstörer heran und übertraf die Galactica um mehr als das Fünffache. Eine verzweigte, zerbrechlich wirkende Stahlträgerkonstruktion, aufgebaut aus unzähligen Dreieckelementen. Ein langer, kastenförmiger Rumpf, der hinten in zwei Zweige auslief, ein hoch aufragender Kommandoturm, alles im Baukastenprinzip zusammengebaut.

Das erste irdische Interstellar-Raumschiff, selbstverständlich durch republikanische Technik unterstützt. Die eigentlichen Schiffskonstruktionspläne kamen von Rockwell International, die ja schon den Space Shuttle gebaut haben. Die Computersysteme stammen von Hewlett Packard, die IBM und Data General knapp den Rang abgelaufen hatten, weil sie es als Einzige fertig gebracht hatten, eine einheitliche Computersteuerung zu realisieren, die die republikanischen Computersysteme zur Reaktorsteuerung unter- stützte. Genauer gesagt steuerten hier irdische Computer republikanische Steuerungssys- teme, und die datentechnischen Unterschiede, mit denen die Interfaces fertig werden müssen, sind verdammt groß und zahlreich. Der Bau der Cygnus hatte drei Jahre gedauert, unter der Mithilfe der Kampfsternfähren. Nur mit den Space Shuttles hätte es wahrscheinlich dreißig Jahre gedauert, ohne dass das Schiff überhaupt zum Hypersprung fähig gewesen wäre. Und hätte wohl auch zehn Mal mehr gekostet als bloß diese lächerlichen siebzehn Milliarden Dollar. Und lächerlich meine ich ernst. Ein Space Shuttle kostet etwa eine Milliarde. Das gesamte Apollo- Programm kostete von Apollo 1 bis 17 rund fünfundzwanzig Milliarden, und allein die Amerikaner wenden jedes Jahr für die Rüstung im Durchschnitt dreihundert Milliarden auf. Die Cygnus war allerdings eine amerikanisch-russisch-japanisch-europäische Gemein- schaftsproduktion, und so setzte sich nun auch die Besatzung zusammen. Und welcher eingefleischte Pilot hätte nicht zehn Jahre seines Lebens gegeben, um dieses Monstrum zu befehligen? Das musste jemand außergewöhnliches sein. Jemand, der nie die Nerven verlor! Und als die Cygnus an diesem Märztag endlich mit zweimonatiger Verspätung in Dienst gestellt wurde, platzten Sonny und Riccardo mit einer Galactica-Fähre mitten in die Feierlichkeiten. Trevelyan flog mit und wies den Piloten der Fähre an, eine Runde um die Cygnus zu drehen. Den beiden Cops, die noch nie im Weltraum gewesen waren, fielen fast die Augen aus dem Kopf.

191 Sie waren auf der Nachtseite der Erde, und vor ihnen tauchte ein schwarzes Monstrum auf. Die Beleuchtung wechselte, die Sonne stach hinter dem Horizont hervor und riss die Cygnus aus dem Schatten. In diesem Moment gingen auf dem riesigen Schiff sämtliche Lichter an und verwandelten den dunklen Koloss in ein zart erleuchtetes, filigranes Gitterwerk. Sonny wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Himmel noch mal! Wir brauchen die Republik gar nicht. Wir sind auch so die Größten.« Die Fähre flog unter der Cygnus durch, stieg am Bug hoch und setzte auf einer Liftplattform auf, die sofort in die entsprechende Position fuhr, dass der Andockschlauch an die Fähre ankoppeln konnte. Die drei stiegen aus, durchquerten hinter dem Schlauch einen erstaunlich kleinen, aber behaglichen Empfangskorridor, wo sie schon von einem Sergeant erwartet wurden. »Willkommen an Bord, Mister Trevelyan.« »Danke. Ich gehe sofort auf die Brücke.« »Ist in Ordnung, Sir.« Sonny beugte sich zu Trevelyan. »Aber Sie sind nicht der Captain?« »Um Himmels willen, bloß nicht! Ich bin administrativer Leiter von Sternenflotte, nichts weiter.« Sie traten aus dem Empfangsraum und blieben stehen. Vor ihnen dehnte sich eine gewaltige, dreieckige Halle, vierzig Meter hoch und vierzig breit, bis fast ans andere Ende des Schiffs, was also etwas unter zwei Kilometer ausmacht. Das war ein Anblick, den man erst mal verdauen musste. Riccardo rang nach Luft. »Hier könnte man mit einem Formel 1 auf Höchstgeschwindig- keit beschleunigen und rechtzeitig wieder abbremsen.« »Oder mit einem Jumbo Jet starten«, fügte Sonny hinzu. Der Boden der Halle wurde völlig von röhrenförmigen Aggregaten für Luftumwälzung und Treibstoff eingenommen, aber seitlich liefen Laufgänge wie Schnüre über die ganze Länge der Halle bis nach hinten. Alle paar hundert Meter zweigten kleinere Gänge seitlich ab und führten in die anderen Teile des Schiffes. »Das ist die Hauptachse des Schiffs«, erklärte Trevelyan und führte sie nach links aus der Halle. Dort wartete eine Stahlplatte am Boden, auf der vier Stühle wie in einem Auto angebracht waren. Sie setzten sich drauf, und Trevelyan drehte an einem Hebel vor ihm. Das Luftkissenfahrzeug setzte sich in Bewegung und glitt in eine durchsichtige Plastik- röhre hinein, die außen am Schiff entlang lief, wodurch sie einen märchenhaften Ausblick auf die Cygnus und die Erde erhielten. Sonny rückte sein T-Shirt zurecht und versuchte die Tatsache zu verdrängen, dass diese Plastikröhre das Einzige war, was sie im Moment vom Vakuum des Raums trennte. Riccardo genoss es sichtlich. Die Fahrt dauerte etwa eine Minute, dann hatten sie das andere Ende des Schiffs erreicht. Hier war schon mehr Betrieb. Besatzungsmitglieder eilten mit Aufträgen durch die Gegend, und die Dreiergruppe betrat einen Lift. Sie fuhren im Kommandoturm hoch und kamen auf die Brücke. Sie befanden sich unter einer runden Kuppel mit etwa dreißig Metern Durchmesser und Höhe, die trotz ihrer beachtlichen Geräumigkeit wie ein Dampfkessel unter Hochdruck wirkte. Links, rechts und hinten wurde der Ausblick durch Schalttafeln verdeckt, die bis auf die halbe Höhe reichten. Auf drei Etagen saßen Techni- ker verschwitzt auf Stühlen vor den Kontrollen, überprüften Leitungen und Schaltungen,

192 krochen in offenen Wartungsluken herum, löteten an Verbindungsmodulen und versuch- ten gehetzt, die Systeme zum Arbeiten zu kriegen. Der Lift war die zentrale Achse des Kommandoturms und öffnete sich im Moment nach der Steuerbordseite. Nach vorne war die Kuppel offen und garantierte einen fantastischen Ausblick auf die gesamte Länge des Schiffes. Wenn man den Kopf um 45 Grad hob, entdeckte man den zwölf mal zehn Meter großen Kontrollschirm. Aus der Spitze der Kuppel ragte ein gewaltiges Spiegelteleskop. Direkt vor dem Lift, Richtung Bug, stand ein umfangreiches Schaltpult, das den Kommandantensessel zu drei Vierteln umschloss. Auf dem bequemen Modern Style-Armsessel saß eine etwas schmal wirkende Gestalt, die gehetzt, aber präzise, endlose Datenreihen in den Hauptcomputer eingab. Trevelyan trat an das Schaltpult heran. »Captain?« Ripley blickte hoch, sie wirkte ziemlich gestresst. »Noch ein Bremsklotz!«, rief sie stöhnend. »Was wollen Sie, Trevelyan? Ich hab’ zu tun.« »Ich will, dass Sie starten, und zwar sofort.« Ripley starrte ihn an. Auf der Brücke wurde es plötzlich ruhig. Techniker streckten die Köpfe aus den Innereien der Systeme. Ripley lachte mühsam. »Das soll wohl ein Scherz sein! Die Cygnus ist heute in Dienst gestellt worden, das weiß ich, aber heute Mittag habe ich das Schiff außer Einsatzbereit- schaft gestellt.« »Und warum?« »Weil das Schiff nicht einsatzbereit ist«, erklärte sie geduldig und zählte an den Fingern auf. »Wir haben diverse Softwareprobleme bei der Hauptdatenverarbeitung, die Trieb- werke haben bis jetzt lediglich Computerstandläufe hinter sich, die Navigation ist noch nicht exakt kalibriert worden, wir sind noch dabei, in allen Teilen des Schiffs die Luftfilter zu ersetzen, da sich die ursprünglichen als unzuverlässig erwiesen haben, die botanische Station ist noch nicht mal in Betrieb genommen worden, ein Viertel der Laserbewaffnung ist noch nicht mal angeschlossen, es fehlt uns immer noch die Sicherheitstruppe für Landungen in Kriegsgebieten, die Vorratslager sind erst halbvoll, die Treibstoffmischung ist noch nicht eingestellt worden, und das Schlimmste: wir haben noch nicht eine einzige Rolle TOILETTENPAPIER an Bord! Mein Fingervorrat ist zu Ende. Soll ich mit den Zehen weiterzählen?« »Ich verstehe Sie ja«, beschwichtigte Trevelyan. Ripley unterbrach ihn und brüllte:»Was ist denn mit euch los?! Hört auf zu glotzen und arbeitet weiter!« Die Techniker nahmen ihre Arbeit wieder auf. Ripley stieß die Luft aus. »Die Techniker arbeiten seit sieben Wochen in einem Achtzehn- Stundentag. Wir tun, was wir können, aber ich bezweifle, dass das Schiff bis Juni einsatz- bereit ist.« Trevelyan zuckte zusammen. »Drei Monate? Das ist doch nicht Ihr Ernst?!« »Und ob er das ist. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe. Ich muss dafür sorgen, dass die richtigen Daten an die richtigen Konsolen kommen.« »Captain Ripley, wir haben einen Notstand auf Abode! ConAm hat irgendwo einen verlassenen Mittelstreckenkreuzer des Imperiums aufgegabelt. Von Abode kommen keine Signale mehr. Ich befürchte das Schlimmste.« »Ich auch.« Sie tippte weiter. Dann hielt sie inne und drehte sich zur Seite. »Jackson?! Stellen Sie mal einen Kanal auf Abode ein und sagen Sie mir, was Sie hören!«

193 »Aye, Sir.« Jackson drehte an ein paar Reglern und schüttelte den Kopf. »Ich krieg’ nichts rein. Die Hauptantenne ist immer noch nicht angeschlossen!« Ripley stöhnte auf. »Das wäre schon Nummer 11 auf der Mängelliste. Ich kann doch keinen Einsatz machen, wenn ich nicht mal die Kommunikation zur Erde halten kann!« »Abode sendet das Okay-Signal, aber ohne den persönlich vereinbarten Code, was mich zu der Überzeugung veranlasst, dass das Signal nicht von den Elfen selber kommt.« »Was macht ConAm überhaupt auf Abode? Ich dachte, die hätten dort ’n Tritt in ’n Arsch gekriegt.« »Diamanten schürfen, auf dem Gebiet von Sonnental. Und diesmal sind sie bereit, sich mit allen Mitteln gegen die Elfen zu wehren. Laut Föderationsvertrag sind wir verpflich- tet, Hilfe zu leisten, um das Schlimmste zu verhüten.« Ripley breitete die Hände aus und deutete so das ganze Schiff an. »Womit soll ich Hilfe leisten? Damit?« »Die Galactica liegt im Dock, und die Pegasus unternimmt Fernraumerkundung.« Ripley lehnte sich zurück. »Scheiße.« »Sehr zutreffend.« Sie bemerkte Sonny und Riccardo, die herumstanden wie bestellt und nicht abgeholt. »Wer sind die beiden Knülche da?« Riccardo straffte sich beleidigt, und Sonny kam grinsend auf das Kontrollpult zu. Trevelyan sagte:»Das sind die Policelieutenants Sonny Crockett und Riccardo Tubbs von Miami Vice. Die Schürfung auf Abode ist eine illegale Aktivität, die aufgrund der Ermittlungen in den Zuständigkeitsbereich von Miami Vice fallen. Die Cygnus soll eventuellen militärischen Widerstand brechen, und die beiden sind verpflichtet, an Ort und Stelle zu sein, weil das ihr Fall ist.« Ripley runzelte die Stirn. »Eine militärische Operation unter der Leitung von zwei Zivilisten?« »Nicht Leitung. Lediglich Kooperation.« Ripley gab einen ärgerlichen Laut von sich und blickte die beiden an. Sonny wollte eben guten Tag sagen, aber Ripley kam ihm zuvor. »Okay, Leute. Ich bin Ellen Ripley, aber für euch bin ich der Captain.« Sonnys Grinsen verblasste. Ripley drehte wieder ihre Lautstärke auf. »Coach!« »Ja?!«, rief einer von der dritten Etage links herab. Er hatte einen Schraubenzieher hinter dem Ohr und die linke Hand in einem Computer. Mit dem linken Knie hinderte er die Abdeckung am Zufallen. »Wie weit kriegen Sie das Schiff jetzt von der Stelle?!«, brüllte Ripley durch den Arbeits- lärm. »Zirka drei Millimeter, dann gehen die Reaktoren hoch! Die Abschirmfelder sind immer noch nicht ausgeregelt.« Ripley holte tief Luft und formulierte ihre Frage so präzise wie möglich. »Wie lange dauert es, bis wir unter Vernachlässigung der unwichtigeren Sachen eine Strecke von acht Lichtjahren in vernünftiger Zeit zurücklegen können?!« »Das hängt davon ab, was Sie unter ‘unwichtig’ verstehen.« »Zum Beispiel das Toilettenpapier.« »Ach, sagen wir sechs Stunden und drei Minuten.« »Wofür die drei Minuten?« »Damit ich noch mein Testament abfassen kann.« »Sie haben’s gehört, Trevelyan.«

194 »Warum schreien Sie denn so?«, fragte Sonny. »Sie haben doch da ein Kehlkopfmikrofon am Kopf.« Sie stupste das Mikro an. »Klar, und morgen wird es angeschlossen.« Sonny verzog das Gesicht, und Riccardo kicherte leise.

*

Computerlogbuch, Sternzeit 8824.1. Captain Ripley, Raumschiff Cygnus. Ich schlage meinen ersten Offizier Jill ‘Coach’ St. Johns für eine Belobigung vor, wegen außergewöhnlicher Tapferkeit im Kampf gegen zusammenbrechende Com- putersysteme. Außerdem hat er in sechs Stunden die Triebwerke gebändigt, was uns zum Überlichtflug befähigt. Allerdings sind wir wegen der verminderten Laser- bewaffnung nur beschränkt kampftauglich, und ich hoffe, dass die Kreuzerbesat- zung bei unserem Anblick in die Hose machen wird, andernfalls wir gute Chancen haben, zu Klump geschossen zu werden. Dazu brauchen sie allerdings nichts weiter als eine Steinschleuder. Abgesehen von der Tatsache, dass die Navigation vertrimmt ist, wir immer noch keinen Funkkontakt zur Erde aufnehmen können und die Triebwerksleistung mehr oder weniger unberechenbar ist — läuft alles bestens. Mit der Bibel in der Hand und Optimismus in meinen Gedanken werde ich in wenigen Minuten den Startbefehl zur Jungfernfahrt der Cygnus geben und vertraue auf die Tatsache, dass, seit der Tita- nic, noch kein Schiff bereits auf der Jungfernfahrt versenkt worden ist.

Ripley rückte das Kehlkopfmikro beiseite, nahm den Kopfhörer von der Frisur und kämmte sich die Haare. Sonny und Riccardo traten neben das Kommandopult. »Wo ist denn Trevelyan?«, fragte Ripley. Riccardo deutete aus der Frontseite der Kuppel. »Sehen Sie die Fähre dort? Die, die mit full speed zur Erde zurückjagt?« Ripley verzog das Gesicht. »Der soll mir in Zukunft nie wieder den Arsch zudrehen, sonst trete ich rein, dass er die Backen nie wieder zusammenkriegt.« Sonny blickte Ripley überrascht an. »Hey, Sie haben ja wirklich einen echt tollen Spruch drauf.« »Wenn Sie mehr hören wollen, fragen Sie Ivo Cassani. Er hat sie nur nie niedergeschrie- ben, weil seine Geschichten dann zensiert würden.« Sie kratzte sich am Kopf. »Angeblich wären sie wesentlich länger geworden.« »Wissen Sie, wo er ist?« »Zu Hause natürlich. Oder wo wären Sie, wenn Sie gerade den größten Bankraub aller Zeiten gemacht hätten?« »Auf Barbados, wahrscheinlich. Ich hätte gedacht, Ihr zwei seid jetzt zusammen.« »So weit kommt’s noch! Das wäre schädlich für beide. Für seinen Testosteronspiegel und für meinen IQ.« »Ich dachte, Sie wollten endlich Ruhe und Frieden, nach einmal Ringwelt und zweimal Acheron.« »Das lag nur daran, dass ich immer die Unterlegene war. Die Zeiten sind vorbei.« Damit deutete sie auf die Länge des Schiffs. »Ich habe ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, mich einem Benediktinerorden anzuschließen, aber die fünf Idioten haben mich für dieses Kommando vorgeschlagen und erhielten begeisterte Zustimmung. Im Nachhinein bin ich ihnen doch dankbar.« Ein Kadett reichte Ripley das Bordbuch. Sie setzte den Kopfhörer wieder auf, las kurz die Abschnitte und unterzeichnete dann.

195 »Okay, Leute!«, sagte sie. Über das Mikro hallte die Stimme durch die ganze Kuppel. »Wenn wir schon untergehen, dann mit Stil! Geben Sie Vollgas, Coach! Damit’s auch wirklich schön kracht!« »Sehr witzig«, knurrte Sonny. »Ihr Sinn für Humor erschlägt mich. Darf man hier rauchen?« »Ausnahmsweise. Aber nur, weil’s das letzte Mal sein könnte.« Riccardo wich zum Lift zurück. »Ich will hier raus«, flüsterte er. Sonny zündete sich eine Zigarette an. Am Heck der Cygnus zündeten mit gewaltigem Donnern die insgesamt acht Triebwerke und sandten grelle blauweiße Strahlen aus. Von der Fähre her waren sich die beiden Cops gewohnt, ein Rütteln und Stampfen zu spüren wie beim Start eines Sportflugzeugs. Nichts dergleichen. Ohne fühlbare Bewegung beobachteten sie, wie die Erde seitwärts glitt und kleiner wurde. Die Triebwerke hatten zum ersten Mal gezündet. Auf der Brücke herrschte plötzlich gespannte Aktivität. Techniker hielten eifrigen Kontakt mit den beiden Reaktorleitständen, und auf Ripleys Kontrollpult erschienen die wichtigsten Informationen. Ihr Blick jagte herum und versuchte einen Gesamteindruck herzustellen. Mehrere kleine Signaltöne piepten, und sie tippte auf Tastaturen herum. Skalalichter blitzten auf. Die Techniker murmelten in die Mikros. »Maschinenleistung konstant halten.« »Abschirmung verstärken.« »Struktur überprüfen.« »Schubleistung 100%.« »Hält sich gut.« »Reaktor backbord verringert Leistung. Wir haben ein geringfügiges Leck in den Kühl- rohren.« »Draufspucken!« »Roger. Leistung konstant 89%. Ist völlig ausreichend.« »Verstanden.« »Auf d34 gehen. Melden Sie mir, wenn es noch 15 sind.« »Monitor auf Heck!« »Brennkammern sind okay.« Ripley hob den Kopf zum Brückenbildschirm. »Ich will eine taktische Lage des Sternsys- tems!« Sofort leuchtete auf dem Schirm eine Computergrafik auf, die das Sonnensystem dar- stellte. Die Grafik drehte sich, um einen räumlichen Eindruck zu verschaffen. »Miyoshi! Stecken Sie mir einen Kurs zum Sirius-System!« »Aye, Sir!« »Ich will einen kompletten Statusbericht!« Auf dem großen Schirm, wie auch auf einem Monitor an ihrem Pult, tauchte eine lange Datenreihe auf, die den Zustand des Schiffs anzeigte. Sonny lehnte sich über das Pult. »Wie stehen die Aktien?« »Nicht so schlecht, wie zu befürchten war. Sie können jedenfalls aufhören zu beten. Die Reaktorabschirmungen halten. Okay. Coach, bringen Sie uns hier weg!« »Aye, Sir!« Die Schubleistung verstärkte sich, bis das Heck eine blauweiß strahlende Grelle hinter sich herzog. Die Erde schrumpfte rasch hinter ihnen. »Wie ist das Antriebsprinzip?«, fragte Sonny.

196 »Antimaterie«, antwortete Ripley. »Wir haben uns bei der Republik den Mund fusselig geredet, bis die uns endlich zwei verbesserte Reaktoren geliefert haben, die ursprünglich für ihre Sternzerstörer gedacht waren. Sie hatten Angst, wir könnten sie übertrumpfen. Die Cygnus ist wesentlich stabiler als ein Sternzerstörer, auch wenn sie nicht so aussieht, und die leicht geringere Masse verbessert das Masse-Schub-Verhältnis. Außerdem haben die Sternzerstörer drei große und vier kleine Triebwerke. Wir haben acht mittlere. Das gleicht sich besser aus.« »Verlassen gravitorischen Bereich der Erde.« »Kurs gesteckt.« »Lichtgeschwindigkeit möglich.« »Was ist mit dem Kühlleck im Backbord-Reaktor?« »Unbedeutend.« »Okay.« Sie beugte sich zu Sonny. »Haltet eure Eier fest, Leute. Jetzt wird’s komisch.« Sonny machte ein verkniffenes Gesicht, und Riccardo schob den Finger unter den Kragen des T-Shirts. Ripley holte tief Luft und klammerte sich an die Sessellehnen. »Okay, Coach! Machen Sie Dampf auf! Zur Sicherheit erst mal Warp 1.« »Roger!« Der Triebwerksausstoß verstärkte sich noch weiter. »Warp 0.5«, meldete Miyoshi. Die Sterne blieben immer noch, wo sie waren. Sonny schluckte. »Warp 0.7.« Auf der Brücke wurde es still. Ripley beobachtete die Statusanzeigen. »Warp 0.9.« »Behalten Sie mir das Kühlleck im Auge!«, rief Ripley. »Warp 1!« Sonny erschrak, denn so etwas hatte er noch nie gesehen! In Bugrichtung dehnte sich jeder Stern zu langen Streifen, die sich am Mittelpunkt in Flugrichtung trafen. Von außen gesehen streckte sich plötzlich die Cygnus leuchtend wie ein Gummiband in die Länge. Innerhalb einer Sekunde verschwand der Bug im Fluchtpunkt, das Heck schoss nach, und als beides verschwand, blitzte es auf. Sonny fühlte, wie der Boden sanft vibrierte. Vor ihnen waren die Sterne zu einem kaltweißen Flecken zusammengeschmolzen. Hinter ihnen war dasselbe. Ripley wandte den Kopf und wollte etwas sagen, kam aber nicht mehr dazu. Vor der Cygnus tauchte eine seltsame, tunnelförmige, elektromagnetische Interferenz auf, in die sie mit Lichtgeschwindigkeit hinein flog. Das ganze Schiff wurde von einem schweren Schlag erschüttert. Riccardo stürzte zu Boden, Sonny klammerte sich am Kontrollpult fest, und Ripley brüllte:»Scheiiiiße!« Mindestens drei verschiedene Alarmsirenen brüllten auf. Auf dem Schirm erschien die Meldung:

STRUCTURAL OVERLOAD RED ALERT WORMHOLE EFFECT

»Ein Wurmloch!«, schrie Coach. Von den Technikern jagten sich die Meldungen. Ripley schrie gegen den Lärm an. »Schmeißt den Rückwärtsgang rein, aber dalli!«

197 Das Wurmloch verzerrte die Raum-Zeit-Diskontinuität. Alles schien plötzlich in sich zunehmend verlangsamender Zeitlupe abzulaufen. Die Techniker mussten feststellen, dass ihre Hände nicht auf den Tasten landeten, die sie anvisiert hatten. Die Luft selbst schien sich zu wellen wie ein Zerrspiegel. »Warp-Faktor nimmt ab.« »Triebwerke überhitzen sich!« »Nun bringt uns, gottverdammt noch mal, hier raus!« Ripley verlor nicht die Nerven, aber der Rest. »Radarkontakt! Unidentifiziertes Objekt wurde mit uns gerissen!« »Auf Schirm damit!« Auf dem Schirm tauchte, von den Interferenzen umrahmt, ein Asteroid auf. Und zwar einer von der massiven Sorte. »Laserbatterien feuerbereit!« »Geschützsteuerungen ausgefallen!« Selbst die Akustik schien sich zu verlangsamen wie eine Schallplatte, die man mit dem Finger bremst. Ripley hatte plötzlich eine langsame Bassstimme. Sonny wurde schwind- lig. Riccardo hielt es für das Beste, am Boden liegen zu bleiben. Seltsamerweise hatte er das Gefühl, aufwärts zu rasen, obwohl er still am Boden lag. Sonny griff nach dem Geländer, aber seine Hand landete kurioserweise rechts von ihm an Ripleys Kontrollkon- sole. Wo er auch hingriff, die Richtung seiner Bewegung erfolgte in einer völlig anderen Richtung. »Rakete!«, dröhnte Ripley. Der Techniker am Waffenstand kalkulierte die Richtungsänderungen aus, griff daneben und erwischte die richtige Taste. Ein greller Lichtfunken verließ einen der zehn Raketen- werfer und jagte viel zu langsam auf das Ziel zu. Sonny kam es vor, als dauere es Stunden, bis die Rakete endlich einschlug. Die Nuklearreaktion zerriss den Brocken in Milliarden feinster Partikel, die funkelnd in alle Richtungen jagten. Gleichzeitig flog das Interferenzmuster auseinander, und die Sterne flogen in ihre alte Position zurück. Die Alarmsirenen verstummten, und auf der Brücke herrschte plötzlich eine ungeahnte Stille. Ripley wischte sich das Gesicht ab. »Statusmeldungen!« »Geschwindigkeit Warp 0.87. Kurs frei.« »Maschine klar!« »Navigation klar!« »Keine Schäden am Schiff!« »Was war mit den Geschützsteuerungen?!« »Das Wurmloch hat das System elektromagnetisch überlastet, deshalb haben sie sich automatisch ausgeschaltet. Jetzt sind sie wieder aktiv.« »Bisschen früh.« Ripley studierte ihre Bildschirme. Sonny rang nach Luft und stellte erleichtert fest, dass er sich wieder so bewegen konnte, wie er wollte. »Was ist überhaupt passiert?« »Wurmloch«, murmelte Ripley geistesabwesend. Sonny nickte schwer atmend. »Vielen Dank. Was, zum Teufel, ist ein Wurmloch?« »Sekunde.« Sie winkte unwillig ab. Coach rief:»Die Reaktoren sind ungleichmäßig eingestellt. Deshalb ist das Wurmloch überhaupt entstanden. Wenn wir das nicht beheben, wird es wieder passieren.« »Okay. Macht einen sorgfältigen Schnellabgleich.«

198 »Oh, Mann, das dauert.« »Wie lange?« »Acht Stunden. Aber weil Sie’s sind, zwei.« »Danke.« Sie atmete tief durch und entspannte sich. Dabei entdeckte sie Sonnys geduldig fragenden Blick. Hinter ihm rappelte sich Riccardo wieder auf. »Unser Antriebsprinzip ist nicht mehr der Rückstoßantrieb«, erklärte sie. »Jedenfalls im Überlichtbereich. Im Raumgefüge des Universums herrscht ein nachgewiesener Wellenef- fekt, und wir tun nichts weiter, als durch elektromagnetische Einflüsse die Wellen in eine Art Gleichtakt zu bringen, wodurch sich der Raum um die Cygnus herumkrümmt, und das Ganze spielt dann Surfbrett auf dieser Welle. (Warp: Engl.=Welle) Das nennen wir nicht mehr Hyperraum sondern Subraum. Gleichzeitig rücken anscheinend alle Punkte im Universum etwas zusammen, und die ganze Aktion sorgt dafür, dass wir nicht effektiv die Lichtgeschwindigkeit überschreiten. Das tut nur die Raumblase um uns herum. Dadurch bleiben wir auch die ganze Zeit eigentlich im normalen Raum und können herummanövrieren, wie es uns passt. Vergessen sind die Lichtsprünge, bei denen man sich wie eine Gewehrkugel in eine Richtung schmeißt und hofft, dass man dort raus- kommt, wo man will. Stellt euch eine Laufmasche in einem Gewebe vor, die sich rasch verschiebt. Wir sind innerhalb dieser Laufmasche, aber obwohl die Überlichtgeschwin- digkeit draufhat, sind wir innerhalb dieses Mini-Raums dauernd auf Tempo Null.« Sonny runzelte die Stirn. »Ihr schiebt also die Kraft, die uns vorwärts bewegt, sozusagen auf das Raumgefüge selbst ab, damit das euch vorwärts bewegt, und nicht mehr der Rückstoß.« »Genau. Dieses Prinzip ist in der Quantentheorie fundiert und ist 1966 von Jesco von Puttkamer ausgearbeitet worden. Und in etwa zweihundert Jahren wird, laut Admiral Kirk, das berühmte Raumschiff Enterprise, immer noch dasselbe Antriebsprinzip haben.« »Und was ist jetzt ein Wurmloch?« »Tja, das passiert, wenn der Gleichtakt der Wellenbewegungen gestört ist. Das kann natürlich vorkommen durch gravitorische Einflüsse oder kann die Folge einer unausge- glichenen Maschinenleistung sein, die die Wellen nicht gut genug synchronisiert hat. Wir sind sozusagen mit dem Surfbrett ins Wasser gefallen. Dabei bildet sich in diesem Fall ein ganz verrückter Effekt.« »Ja, das habe ich gemerkt.« »Der Raum faltet sich auf eine Art und Weise zusammen, die einem korrekten Flug ähnelt. Jedenfalls von außen her gesehen. Von innen her gesehen jedoch kommen Raum und Zeit völlig durcheinander. Der Raum krümmt sich zu einer Art Tunnel zusammen, der, verglichen mit der Außenwelt, eine absolut verzerrte Form hat, weil die Wellen sich überkreuzen. Sie können sich entweder gegenseitig verstärken oder auslöschen, wie Wasserwellen, die in einen Strudel geraten. Der Raum passt sich diesem unkoordinierten Gefüge an. Wir hatten das Glück, dass sich die Wellen verstärkt haben. Wenn sie sich ausgelöscht hätten, wäre die ganze Raumverzerrung zusammengebrochen. Mitsamt Inhalt.« »Was bedeutet das?« »Das bedeutet, dass sich sämtliche Atome der Cygnus und seiner Besatzungsmitglieder innerhalb von Zehntelssekunden auf einen Raumbereich von mehreren Lichtjahren im Durchmesser verteilt hätten.« Sonny schluckte. »Und wieso sind wir heil davongekommen?«

199 »Ich vermute, dass die Raketenexplosion die Wellen für einen kurzen Moment in den Takt geschmissen hat, was ausreichte, dass wir den Normalzustand wieder herstellen konnten.« »Hat hier jemand gute Arbeit geleistet, oder haben wir unheimliches Schwein gehabt?« Ripley lächelte. »Beides. Was wollen Sie? Immerhin ist es die Jungfernfahrt.« »Ich geh’ in meine Kabine. Ich brauch’ dringend ‘n Aspirin.« Als er mit dem erschöpften Riccardo den Lift betrat, hörte er noch Ripleys Stimme. »Miyoshi, wo sind wir?! Hoffentlich nicht im Virgo-Haufen. Das wären acht Milliarden Lichtjahre von zu Hause und ist die halbe Strecke zur bekannten Grenze des Univer- sums.« Sonny stöhnte und hielt sich den Magen. »Das war mein erster und letzter Weltraumaus- flug!«

*

Die Heckverschalung der Mil war geöffnet, und Murphy murkste mit Gefühl an der Hauptwelle herum. Sie war nicht gebrochen, nur verklemmt. Als der Pfeil den Heckrotor blockiert hatte, war das Kardangelenk aus der Verschalung gesprungen. Murphy musste es nur wieder einhängen und ein paar kosmetische Sachen machen. Himmelweis saß im Cockpit und studierte mit glänzenden Augen die Instrumente. Murphy riss an der Zange, und etwas klackte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und drehte den Heckrotor ein bisschen von Hand. Er ließ sich frei bewegen, und aus dem Motorblock war das Freilaufklicken zu hören. Murphy packte die Zange wieder in die Werkzeugkiste und ging zum Cockpit. »So! Zeit für einen Testflug. Was machst denn du da im Cockpit?« »Ich lerne.« »Du musst Himmelweis sein, stimmt’s.« »Genau. Kannst du mir erklären, warum ein Hubschrau- ber fliegen kann? Er hat doch keine Tragflächen.« »Doch, der Hauptrotor.« »Ach? Und wozu ist der Heckrotor da?« »Im Motorblock dreht der Motor den Rotor in eine Richtung, aber dabei dreht sich der Motor mit der daranhängenden Maschine auch ein bisschen in die andere Richtung. Und zwar um genauso viel weniger, wie die Maschine schwerer ist als der Rotor.« »Klingt logisch.« »Der Hubschrauber würde also anfangen zu rotieren. In Gegenrichtung der Rotordrehung. Der Heckrotor bläst jetzt einfach so zur Seite, um dieser Drehung entgegen zu wirken, und der Hubschrauber hängt stabil in der Luft. Das ist eigentlich alles.« »Die Idee ist so einfach, dass man sich fragen muss, warum man da nicht schon längst draufgekommen ist.« »Die Idee ist ungefähr so alt wie Leetah. Ein berühmter Maler hat sie gehabt. Er hieß Leonardo da Vinci. Die Leute hielten ihn für einen Fantasten.« »So wie Galilei, was?« »Stimmt. Der erste Hubschrauber wurde erst 1936 gebaut. Alle genialen Ideen sind einfach. Sonst wären sie nicht genial sondern lediglich ein

200 Forschungsresultat.« »Kann ich mitkommen auf den Testflug?« »Von mir aus. Aber dann setz dich auf den Sitz neben mir.« »Wofür ist der vordere Sitz?«, fragte Himmelweis, als er nach hinten kletterte. »Von der vorderen Kanzel aus bedient man sämtliche Waffen. Lass also besser die Finger davon.« »Okay.« Murphy machte einen gründlichen Check und schloss dann die Haube. Er setzte den Helm auf und startete die Maschine. Der Rotor verwandelte sich in eine verschwommene Scheibe, und Murphy betrachtete zufrieden die Skala, die die Rotorsynchronisation angab. Der Heckrotor spielte also mit. Er zog am linken Hebel, wodurch die Maschinenleistung stieg. Dann zog er ein bisschen am rechten Hebel. Die Rotorblätter verstellten leicht ihren Anstellwinkel, und der Hubschrauber schraubte sich in die Luft. »Hui«, machte Himmelweis neben ihm. Murphy blieb ein paar Sekunden still in der Luft hängen, um zu sehen, ob der Heckrotor schön brav blieb. Er blieb. Murphy schob den rechten Knüppel nach vorn und nahm ein wenig Gas weg. Der Bug senkte sich etwas, und die Maschine setzte sich vorwärts in Bewegung. Murphy machte ein paar Kurven, spielte ein bisschen Karussell und rief:»Sag’s vorher, wenn dir übel wird.« »Verlass dich drauf. Kann ich mal?« »Was?« »Steuern.« »Machst du Witze?« »Wieso? Ich hab’ dich genau beobachtet. Der linke Hebel ist fürs Gas, der rechte für die Rotorblätter, und die Pedale für den Heckrotor, um Kurven zu machen.« Murphy schluckte. »Okay. Greif nach den Hebeln.« »Gemacht.« »Ich nehme jetzt die Hände ein paar Millimeter weg, bereit, dass ich wieder zupacken kann. Wenn ich das tue, lässt du sofort los!« »Roger!« Schnitter und Leetah, die von unten zuschauten, wunderten sich. Der Hubschrauber schoss plötzlich rotierend in die Höhe wie eine Raumfähre. Murphy klammerte sich am Armaturenbrett fest. »Was machst du?!« »Oh, ist wohl etwas zu viel Gas.« »Latsch aufs Pedal!« Die Mil stoppte ihre Rotation und drehte munter in die andere Richtung. »Das war ‘ne Idee zu viel. Und nimm das verdammte Gas weg, sonst landen wir noch im Orbit.« Himmelweis schwitzte nicht übel. Die Rotation hörte auf und der Steigflug ebenfalls. »Schon besser«, stöhnte Murphy. Himmelweis grinste. »Sag’s vorher, wenn dir übel wird.« »Verlass dich drauf. Und jetzt runter! Wir sind auf zweitausend Meter.« »Stimmt. Und ich seh’ etwas, was du nicht siehst!« Murphy blickte nach oben und brüllte aus Leibeskräften:»Scheiße!« Ein dreieckiger Koloss von fünfhundert Metern Länge senkte sich wie eine Raumfähre in die Atmosphäre hinab und tauchte die Landschaft in tiefen Schatten. »Der kommt runter!«, schrie Murphy.

201 »Kannst du mir verraten, wie der fliegt?«, rief Himmelweis. »Antigravitation. Schwerkraft existiert für den nicht.« Himmelweis nahm das Gas fast voll zurück, und die Mil fiel wie ein kaputter Fahrstuhl nach unten. Er drehte aber wieder auf, ging leicht aufs linke Pedal, und aus dem Absturz wurde eine Abwärtslinkskurve. »Nicht übel«, quetschte Murphy hervor. »Pass auf, da steht was im Weg, du.« Himmelweis erschrak, knallte das rechte Pedal ans Bodenblech, und der Hubschrauber umflog den Berg, wobei er allerdings einmal um die Achse rotierte. »Mir wird schlecht!«, brüllte Murphy. »Mal ‘ne Frage. Wie landet man eigentlich? Ich meine, wie hält man die Kiste an?« »Vol … (würg) … voller Anstellwinkel und … nimm das Gas weg!« »Roger.« Die Nase des Hubschraubers hob sich, und Murphy hatte einen Moment das Gefühl, senkrecht in den Himmel zu rasen. Dann hing die Maschine still in der Luft, und Him- melweis nahm das Gas weg. Die Mil senkte sich zu Boden und setzte auf dem Dorfplatz auf, dass die Nähte krachten. »Das nächste Mal etwas gefühlvoller, ja?« Murphy machte die Haube auf, arbeitete sich aus dem Cockpit und lehnte sich an die Bordwand. Schnitter kam heran, fragte trocken:»Hattest du einen Anfall oder so was?« »Ich nicht, aber er.« Himmelweis grinste. Murphy deutete nach oben. »Seht Ihr das?« »Bin ja nicht blind.« »Das ist der Kreuzer. Er kommt runter.« »Warum?« »Weiß ich nicht. Aber eins weiß ich: Wenn der anfängt, seine Bordwaffen einzusetzen, dann sieht’s hier nachher aus wie vor hunderttausend Jahren!« Schnitter ließ den Kopf hängen. Dann blickte er Leetah an. »Lass das Dorf räumen!« »Was hast du vor?« »Wir verschwinden. Taktischer Rückzug. Aber taktisch, nicht strategisch!« »Wohin zurückziehen?« »Durch die Wüste, der Tunnel des goldenen Lichts, dort, wo wir herkommen.« Leetah starrte ihn an wie einen Fremden. Murphy packte ihn am Arm. »Du willst doch nicht die ganze Dorfbevölkerung durch die Wüste marschieren lassen? Ihr selbst seid doch damals fast draufgegangen.« »Was soll ich denn machen?« Schnitter fühlte sich plötzlich sehr müde. »Es reicht, wenn sich alle in die Höhlen verziehen, damit das Dorf verlassen aussieht«, meinte Murphy. »Ihr habt nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Und ich habe auch etwas. Ich habe nämlich eine Idee!«

*

»Okay!«, rief Ripley. »Wenn es wieder nicht klappt, knall’ ich Ihnen eins vor den Hut, Coach. Geben Sie Gas! Ich meine, Warp 1!« Die Cygnus beschleunigte. Der Warpfaktor gibt die Lichtgeschwindigkeit3 an. Also hat man bei Warp 7 das 343-fache Lichttempo drauf. Als die Cygnus in den Subraum trat, hielten alle den Atem an.

202 Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig, achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig, einunddreißig, jetzt reicht’s wohl! Alles lief wie geschmiert. Ripley entspannte sich, und der Rest der Besatzung auch. »Na also!«, rief sie. »Der erste Beweis, dass diese Antriebsform überhaupt nutzbar ist.« »Soll das ein Witz sein?«, fragte Riccardo unsicher. Sie blickte ihn ungeduldig an. »Muss ich Ihnen mathematisch beweisen, dass 2+2=4 ist, oder wissen Sie das auch so?« »Ich weiß es.« »Und wir wussten vorher, dass dieser Antrieb möglich ist.« »Wie lange dauert der Flug?«, fragte Sonny. »Paar Minuten.« »Bloß?« »Die Grenze zwischen Normalraum und Subraum ist die Zeit selbst. Wenn wir über die Grenze gehen, scheinen auch alle Punkte im Universum zusammenzurücken. Deshalb nimmt man auch den Warpfaktor hoch drei. Alles bereit machen zum Abbremsen!« Sonny sah, wie sich aus dem zerschmolzenen Sternenfleck in Flugrichtung ein einzelner Stern löste, an ihnen vorbeijagte und im Fleck hinter ihnen verschwand. Ripley warf einen beiläufigen Blick hin. »Das war wohl Alpha Centauri. Die halbe Strecke haben wir schon.« Sonny schüttelte den Kopf. In den letzten Stunden war ein bisschen viel auf ihn einge- prasselt. Die Bremsung wurde eingeleitet, und die Cygnus fiel wieder in den Normalraum zurück. »Miyoshi?« »Die Navigation ist immer noch vertrimmt, aber wir sind auf jeden Fall im Sirius- System.« »Toleranz?« »Etwa ein paar Milliarden Kilometer.« »Bisschen viel«, bemerkte Sonny. Ripley hob die Schultern. »Finde ich nicht. Ein einziges Lichtjahr hat neuneinhalb Billionen davon. Kurs nach Abode! Aber schnell!« »Aye, Sir.« »Jackson, ist irgendwas im Äther?« »Bis jetzt negativ. Nur das Okay-Signal kommt rein. Kein Funkverkehr und nichts. Tote Hose.« »Position von Abode festgestellt. Kurs gesetzt. ETA dreißig Minuten.« »Verstanden. Lasst eine Fähre klar machen! Erster Landungstrupp zusammenstellen!«

*

Schnitter betrachtete den Kreuzer, der still und unbeweglich über der Gegend mit der Mine hing. »Warum kommt er nicht her und walzt uns platt?« Murphy hebelte etwas am Raketenwerfer herum und rief mit dem Schraubenzieher im Mund:»Feldman ischt ein Idiot mit relativ geschundem Menschenverschtand. Scholange der Kreutscher über der Mine ischt, werdet Ihr nicht angreifen. Dasch reicht ihm.« »Nimm das Ding aus dem Mund! Du redest wie ein Besoffener. Was hast du für eine Idee?«

203 Murphy lächelte geheimnisvoll. »Vertraut mir.« Er nahm den Schraubenzieher aus dem Mund und kam heran. Er wurde ernst. »Ich frage dich jetzt etwas, und ich meine es ernst. Und ich möchte, dass du eine ernste Antwort gibst.« Schnitter blinzelte verwundert. »Was denn?« Murphy blickte zu Boden und rang die Hände. »Leetah hat gesagt, man solle tun, was man sich wünscht zu tun, um glücklich zu sein. Seit ich hier bin, weiß ich, was ich mir wünsche: ein ruhiges, friedliches Leben. Mit jemandem, von dem ich sagen kann, dass sie … Freunde … sind. Ich frage dich jetzt … ob Ihr was dagegen hättet … wenn ich … nun ja … wenn ich hier bleiben könnte.« Schnitter starrte ihn an. Murphy hob die Schultern. »Ich bin dreiundvierzig. In etwa vierzig Jahren seid ihr mich los, und Ihr seht immer noch so aus wie heute.« »Darum geht’s doch gar nicht.« Leetah hatte was läuten gehört und kam nun auch heran. »Es geht darum, dass wir nicht so ganz verstehen können, dass jemand wie du, mit dem Leben, das du bis jetzt geführt hast, eine derart einschneidende Veränderung einführen willst.« »Das Leben, das ich bis jetzt geführt habe, war ein Leben, bevor ich wusste, was ich wollte. Und wenn ich noch mal von vorn anfangen könnte … würde ich sofort hierher kommen. Ihr habt nicht eine große Vorliebe für Menschen, das weiß ich, und ich nähme es euch nicht übel, wenn ihr … « »Um uns brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, unterbrach ihn Schnitter. »Wir machen uns eher um dich Sorgen«, bemerkte Leetah. Murphy straffte sich. »Ich habe mich entschieden. Und nicht erst jetzt.« Leetah blickte ihn leicht lächelnd an. »Du bist doch nicht etwa hinter mir her?« »Nein!«, wehrte Murphy entrüstet ab. »Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, Leetah, aber … mehr ist nicht dabei.« Irgendetwas veranlasste ihn dazu, sich umzudrehen. Savah war unbemerkt herangekommen und überragte den Menschen um einen Kopf. Murphy hatte sie schon einmal kurz gesehen, aber noch nie aus dieser Nähe. Er wich unwill- kürlich zurück, denn mit ihrer hohen, schmalen Gestalt schüchterte sie ihn ein. Und die Tatsache, dass er wusste, dass sie mehr als zweitausend Jahre alt war, machte die Sache auch nicht besser. »Jeder muss seinen eigenen Weg finden«, sagte sie sanft. »Und auf der Erde gibt es sehr viel mehr verschiedene Wege als hier. Hier hast du die Wahl zwischen Jäger und Gärtner. Und als Gärtner wirst du auf deine Waffen verzichten müssen.« »Ich will nie mehr etwas mit Waffen zu tun haben!«, erklärte Murphy fest. Schnitter und Leetah blickten sich an. Die Menschen überraschten sie immer wieder aufs Neue. Savah lächelte, und Murphy fühlte sich plötzlich wie ein kleiner Junge, der er im Ver- gleich auch war. Sie blickte Schnitter an. Der legte dem Menschen die Hand auf die Schulter hinauf und sagte bloß:»Willkommen.« Dann drehte er sich um und ging zum Hubschrauber hinüber. Savah sagte:»Du bist ein guter Mensch. Du wusstest es nur bis eben nicht.« Damit drehte sie sich um und ging. Murphy wischte sich die Augen ab und ging Schnitter nach. Der blickte ihm entgegen. »Ich nehme an, deine Idee ist ziemlich knalliger Natur, du Wolfreiter auf Probe. Aller- dings weiß ich nicht, wie du den Kampf gegen den Kreuzer überleben willst.«

204 »Überlass das mir. Euch wird nichts passieren.« »Und uns?« »Du brauchst keine Angst zu haben.« Braucht er wirklich nicht, dachte er. »Steig jetzt vorne ein, ich zeig dir alles, was nötig ist. Das Fliegen und Feuern kannst du mir überlassen. Du funktionierst als Kampfbeobachter. Die Bildschirme zeigen alles an, du meldest es mir, und der Rest kann dir egal sein.« »Okay.«

*

Computerlogbuch, Sternzeit 8824.7. Captain Ripley, Raumschiff Cygnus. Wir sind auf der Sonnental abgewandten Seite von Abode in ein geostationäres Orbit gegangen. Der gesuchte Kreuzer wurde nirgends gefunden, wodurch zwei Möglichkeiten entstehen. Entweder ist er abgehauen oder hat sich mit einem Anti- G-Feld über der Landschaft in der Atmosphäre aufgehängt. Dass er vernichtet wor- den ist, halte ich für unmöglich, da den Elfen nun wirklich die Mittel dazu fehlen. Ich bin dabei, jetzt einen ersten Landetrupp hinunterzuschicken, der aus drei Mann be- stehen wird. Dem Piloten und den beiden Typen vom Miami Vice. Sonny Crockett kann einem wirklich ganz schön auf die Palme klettern, aber schließlich ‘ist es ja sein Fall’.

Die Fähre, eine dieser kastenförmigen Konstruktionen der Kampfsterne, schoss mit halber Schallgeschwindigkeit über die Oberfläche des Planeten. Sonny war Kampfpilot in Vietnam gewesen, genau wie Murphy, aber für Riccardo war es etwas ungewohnt, zu sehen, wie Bäume und Felsen mit atemberaubender Geschwindigkeit knapp unter dem Kabinenboden durchrasten. Plötzlich teilte eine gewaltige Geländestufe die Landschaft in zwei Teile, und die Fähre schoss auf die offene Wüste hinaus. Am Horizont tauchte ein Gebirgskamm auf. Der Pilot verglich die elektronische Karte und korrigierte den Kurs etwas. »Da ist es«, sagte er. Das Gebirge wuchs und wuchs, und Sonny wurde klar, dass sie in ein paar Minuten eine Strecke zurückgelegt hatten, für die die Wolfreiter einmal zwei quälend lange Tage und Nächte gebraucht hatten. Die Fähre schoss donnernd um einen Felsen herum. Sonnental lag leer unter ihnen. »Anscheinend niemand zu Hause«, bemerkte der Pilot trocken. »Aber umso mehr auf dem Radar. Der Kreuzer hängt dort drüben neben dem Vulkan, und da ist ein Hub- schrauber, der Richtung Vulkan fliegt.« »Landen Sie im Dorf!«, befahl Sonny. Die Fähre setzte auf dem Dorfplatz auf, und sie stiegen aus. Alles wirkte sehr verlassen. »Hallo«, rief Riccardo. Sonny zog seine Bren Ten und ging zu einem der Häuser. Alles war sehr still. Na, das wird ja wieder ein typischer Polizeieinsatz. Ob der Hubschrauber hier einen Vernichtungstrupp hergebracht hat? An Leichen gewöhnt man sich nie, und wenn man hundert Jahre im Polizeiein- satz ist. Riccardo riss den Türvorhang zur Seite, und Sonny stürzte hinein. Irgendetwas schlug gegen seine Hand, und die Bren flog weg. Riccardo fühlte plötzlich eine Mündung, die sich frontal gegen seine Nase presste. »Waffe weg, oder ich klebe deine Nase mit deinem Gehirn an die Wand!« Sonny stand auf. »Tu, was sie sagt, Tubbs. Es ist eine Elfe.«

205 Riccardo ließ seine 38er fallen. Leetah trat zwei Schritte zurück. »Tja, was mache ich jetzt mit euch?« »Wo sind die anderen?« »In den Höhlen. Woher kommt Ihr?« »Von der Cygnus«, antwortete Sonny. »Schau doch mal die Fähre an. Da steht groß und breit CYGNUS drauf. Sie ist im Orbit. Was ist hier passiert? Hat der Hubschrauber euch angegriffen?« »Seid Ihr wirklich nicht von ConAm?« »Wir sind Polizisten. Wir ermitteln in einem Fall von unerlaubter Einfuhr außerirdischer Edelsteine … « Sonny stockte. »Das ist ideal! Ein Vulkan! Diamanten findet man immer in der Nähe vulkanischer Ablagerungen. Hör zu! Du hast unsere Waffen, und ich versichere dir, dass wir euch nichts antun.« Leetah grinste verächtlich. »Da Ihr nur zu zweit seid, würde ich mir eher um euch Sorgen machen.« »Zu dritt«, verbesserte Riccardo. Sonny trat einen Schritt auf Leetah zu. »Du bist Leetah, nicht wahr? Du bist die Heile- rin.« Sie antwortete nicht, sondern hielt Murphys Navy-Colt starr auf Sonnys Gesicht gerich- tet. Er trat noch einen Schritt näher. »Du kannst nicht töten. Das hast du noch nie getan. Du wirst es auch jetzt nicht tun.« Er hielt ihren Blick fest, dessen Standfestigkeit langsam zerfaserte. Leetahs Hand begann zu zittern. Sie hatte die Waffe entsichert, der Finger war am Druckpunkt. Sie brauchte bloß noch den Finger durchzuziehen. Sonny stand jetzt direkt vor der Mündung. Langsam hob er die Hand zu dem Colt. Leetah kämpfte mit sich. Sonnys Hand legte sich um die Waffe, ihr Griff lockerte sich, und Sonny hatte den Colt. Leetah legte die Hand über die Augen. Sonny blickte zu Riccardo und atmete tief durch. Er entspannte die Waffe und gab sie Leetah zurück.

*

»Mir wäre sehr viel wohler, wenn ich wüsste, was dein Plan ist«, rief Schnitter durch den Triebwerkslärm. Das bezweifle ich, dachte Murphy. Er bremste die Maschine ab und landete in einem engen Felstal. »Was ist los?«, rief Schnitter. Murphy öffnete die Haube. »Steig mal aus. Ich hab’ vergessen, dir was zu zeigen.« Brummig stieg Schnitter aus. Murphy ging zu einem der Raketenwerfer und deutete auf die Spiralmündung. »Schau mal!« Schnitter blickte hin und fiel um. Murphy rieb sich die Handkante, schluckte hart. Schnitter war für ihn so klein wie ein Kind, und es ist psychologisch nicht leicht, so etwas niederzuschlagen. »Tut mir Leid.« Er hob den Elfen hoch, trug ihn etwas beiseite und legte ihn in Deckung. Dann stieg er wieder in den Hubschrauber, startete und flog weiter. Ein paar Minuten später war er bereits über der Mine. »Cobra 3 ruft Target. Ich bin wieder da, Jungs.« »Wo kommst du denn her, Murphy?«, rief der in der Zentrale.

206 »Fragt euch besser, wo ihr geblieben seid!«, brüllte Murphy zurück. »Die Elfen sind besser ausgerüstet als erwartet. Turner hat’s erwischt, und ich bin nur knapp davonge- kommen. Ich will meine Kanonen neu laden. Es sind noch ein paar übrig.« »Flieg zum Kreuzer hoch!« »Roger.« Die Mil hob sich und stieg auf fünfhundert Meter Höhe. Dort hing der Kreuzer bewe- gungslos in der Luft wie ein flacher Bergrücken aus Metall. Eine Luke öffnete sich, und Murphy lenkte die Mil hinein. Er sah, dass Feldman ihn schon erwartete, landete und stieg aus. »Was ist passiert?«, fragte Feldman kühl. Dieses Arschloch! »Die haben uns mit Hexal-Sprengpfeilen beschossen, und ein normaler Stahlpfeil hat meinen Heckrotor blockiert. Ich bin notgelandet und habe die Kiste repariert. Turner kam bei einem Angriff der Wolfreiter ums Leben, und ich konnte gerade noch weg. Ich will jetzt neu laden und noch mal anfliegen.« »Nein, das ist nicht nötig. So lange der Kreuzer hier ist, werden die einen neuen Angriff nicht wagen. Gehen Sie ins Krankenrevier, Sie sehen irgendwie krank aus. Brauchen Sie eine neue Spritze?« »Äh … ja.« »Gut, die bekommen Sie.« »Ich check’ noch schnell die Maschine durch.« »Gut.« Feldman drehte sich um und ging. Murphy wandte sich vom Hubschrauber ab und ging ans andere Ende des Hangars. Dort stapelten sich Munition, Raketen und Bomben. Murphy brach eine Kiste auf mit der Aufschrift AGM-86B-CRUISE MISSILE. Der Marschflugkörper war etwa zehn Meter lang, und die Teile lagerten in einzelnen Kisten. In dieser Kiste war der Sprengkopf. Murphy war monatelang darauf geschult worden, was die Computersteuerung betraf. Das mangelnde Kampfpersonal zwang ConAm dazu, jedem mehrere Ausbildungen zu verpassen. Er aktivierte den Steuerungsterminal und tippte etwas. Mehrere Anzeigen leuchteten auf. Murphy griff zum Funkgerät und wählte eine bestimmte Frequenz an. Er drückte die Taste und sagte:»Lebt lange und in Frieden!« In der Metallbaracke mit dem Parabolspiegel in Sonnental drehten sich die Tonbandspu- len und zeichneten das auf. Murphy lächelte zufrieden, drückte die Teleskopantenne des Funkgeräts penibel zurück und holte tief Luft. Und drückte eine Taste.

*

Schnitter stöhnte und rieb sich den Nacken. Mühsam stand er auf und blickte sich um. Nichts als Felsen. »Dieser Mistkerl!«, zischte er wütend und begann die Felsen hinaufzuklettern, um sich zu orientieren, wo er sich befand.

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»Woher wissen wir, dass er nicht lügt?«, fragte Himmelweis.

207 Leetah zeigte ihre Waffe. »Er hat mich entwaffnet und sie mir wieder zurückgegeben«, erklärte sie geduldig. »Murphy will euch helfen?«, fragte Sonny ungläubig. »Er war drogensüchtig, und ich habe ihn kuriert«, sagte sie. Sonny verzog beeindruckt das Gesicht. »Das ist wirklich nicht schlecht. Auf der Erde würdest du uns damit allerdings arbeitslos machen.« »Er und Schnitter fliegen jetzt mit der Mil zur Mine, um sie einzustampfen, nehme ich an.« »Die sind ja bescheuert!«, rief Riccardo. »Und der Kreuzer?« »Ich weiß nicht. Murphy hat gesagt, er hätte eine spezielle Idee. Und ich vertraue ihm. Als ich ihn geheilt habe, habe ich einiges über seine Psyche erfahren und glaube nicht, dass er lügt.« »Vertrauen ist selig«, knurrte Sonny und blickte sich auf dem Dorfplatz um. Die Wolfrei- ter standen herum und betrachteten die beiden Cops misstrauisch. Oben in den Felsen guckten die Sonnentaler neugierig aus den Höhlen. »Was werdet Ihr unternehmen?«, fragte Leetah. »Ich werde jetzt mit der Cygnus Kontakt aufnehmen und ihnen sagen, dass sie den Planeten umrunden und den Kreuzer rufen sollen. Wenn sie dann nicht aufgeben, sind sie selber schuld.« »So viel ich weiß, kann die Cygnus aber nicht in die Atmosphäre.« »Stimmt. Ob die Laser bis zum Boden durchkommen, weiß ich auch nicht. Wenn nicht, dann ist der Kreuzer vorerst gesichert. Vorerst. Irgendwann nächstens wird dann einer der Kampfsterne mit einer Ladung Viperjäger vorbeikommen. Die Pegasus ist auf Fernraumerkundung. Wenn der Funkspruch sie endlich erreicht, kommt sie sofort her. Ich gehe jetzt … « Bei den letzten Worten hatte er sich in Richtung Baracke in Bewegung gesetzt, und er hatte gerade drei Schritte gemacht. Aber weiter kam er nicht.

*

Am Himmel flammte mit jäher Gewalt eine zweite Sonne auf. Alles, was Sichtverbin- dung hatte, wurde in strahlend grelles Licht getaucht. Eine unbeschreibliche Hitze schlug mit einem scharf knallenden Geräusch in die Felsen. Sonny fühlte sich wie in flüssiges Blei getaucht und fiel um. Endlich, nach ein paar Sekunden, hörte das auf, und er drehte sich um. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf den verblassenden Feuerball neben dem Vulkan. »Alles in Deckung!«, schrie er aus Leibeskräften. Die Elfen hatten sich ebenfalls hingeworfen. Sonny packte Leetah und hob sie hoch, die anderen standen auch auf und blickten sich betäubt um. Himmelweis rieb sich die Augen. »Weg hier!«, schrie Sonny und zerrte die taumelnde Leetah hinter sich her. Die Elfen setzten sich zögernd in Bewegung. Sie wussten ja nicht, was noch kam. Was bereits jetzt kam! Wie ein physischer Schlag schmetterte das tieftonige Donnern auf die Ohren ein, dass alle anderen Geräusche daneben verschwanden. Eine Druckwelle hob alle von den Füßen und warf sie mehrere Meter durch die Luft. Sonny landete genau auf der Schulter und schrie auf. Die Häuser schwankten, hielten aber. Nur bei einem wurde das Dach wegge- weht. Alle kauerten sich zusammen gegen den Sturm, der plötzlich eine Unmasse von

208 Staubteilchen und Felsbröckchen durch die Luft peitschte. Nur Savah war aus ihrer Höhle getreten und blickte über das Land. Ihr Land. Irgendetwas hielt den Sturm ab und lenkte ihn um sie herum, sodass sie aufrecht dastehen konnte. Die Sonnentaler krochen in ihren Höhlen zusammen und vernahmen erschreckt etwas noch nie Dagewesenes. Ihre sanfte Mutter der Erinnerung, die Tochter der hohen Elfen, war wütend! Die zwei Meter vierzehn große Elfe hob die Hände gegen den Himmel und rief mit weit aufgerissenen Augen, leiser als der Sturm, aber irgendwie doch besser vernehmbar:»Ihr Wahnsinnigen! Ihr Kreaturen des Bösen! Was habt Ihr getan, dass Ihr zu so etwas fähig seid?! Wie könnt Ihr es wagen, die Kraft der Natur zu missbrauchen! Ihr seid es nicht wert zu existieren! Ihr sollt alle in eurem eigenen Feuer untergehen und für immer verbrennen!« Da sie dabei sendete, vernahmen es alle. Und nicht nur Sonny und Riccardo, die vor Schreck fast verrückt wurden. Der Wutschrei flammte heftiger auf als die Atomexplosion, schoss wie eine Druckwelle über die Oberfläche, in den Weltraum hinaus, und durchmaß die Entfernungen mit einer Geschwindigkeit, gegen die die Lichtgeschwindigkeit lächerlich wirkt: mit der Geschwindigkeit der Gedanken! Der Sturm flaute ab. Savah kniete nieder und schlug sich die Hände vor das Gesicht. Unten im Dorf rappelte man sich hoch. Sonny blickte unsicher die Felsen hinauf. Die Elfen versuchten zu erfassen, was geschehen war. Leetah weinte. Himmelweis legte den Arm um sie und blickte in Richtung des Vulkans. Er war noch da. Und irgendwo dort musste auch Schnitter gewesen sein.

*

»Was ist los?« Ripley brüllte fast. »Unsere Instrumente faseln irgendwas von Kernwaffe.« »Dem kann ich leider nicht widersprechen«, gab Sonny müde zurück. »Der Kreuzer ist explodiert, fragen Sie mich nicht, warum. Wir haben Glück gehabt, der Sprengradius war relativ klein. Wir sind ein bisschen durchgeschüttelt worden, aber nichts Ernsthaftes.« »War das Savah, die wir gehört haben?« »Was, Ihr habt sie auch gehört? Mein Gott, so was habe ich ja noch nie erlebt. Und den Elfen geht es genauso, sagen sie, und dabei kennen sie sie schon ein gutes Stückchen länger. Sie machen sich Sorgen. Ich habe ihnen erklärt, das sei ein Wutanfall gewesen, aber so etwas kennen sie nicht. Sie liegt jetzt in ihrem Haus und ist weggetreten. So ein Knall kann einen ganz hübschen Knacks auf die Psyche verursachen, den Eindruck hab’ ich an mir selbst festgestellt. Verletzte haben wir eigentlich keine, und euer Fährenpilot sagt, dass die Radioaktivität kleiner ist als nach Tschernobyl in Deutschland. Das war eine Wasserstoffbombe und keine Atomspaltung. Hübsch, hässlich, sauber. Denn damit ist so was beliebig einsetzbar.« »Wie ist das bloß passiert?« »Keinen blassen Schimmer. Wir fliegen jetzt zur Mine, um zu sehen, was übrig geblieben ist.« »Roger.« Sonny schaltete ab und wollte gerade aufstehen, als er sah, dass die Tonbänder nicht mehr auf Null standen. »Was ist?«, fragte Leetah. Er spulte das Band zurück und ließ es ablaufen.

209 »Lebt lange und in Frieden.« Leetah umkrampfte die Stuhllehne. »Das war Mike!«, rief sie schockiert. »Er war es!« Sonny seufzte, stand auf und verließ die Baracke. Er winkte seinem Partner, und sie stiegen in die Fähre. Die Wolfreiter folgten ihnen, und Leetah auch. Als die Fähre startete, sagte Leetah:»Er hat uns gefragt, ob er bei uns bleiben dürfe. Wir haben Ja gesagt. Und dann geht er hin und sprengt sich mit dem Kreuzer in die Luft. Warum?« »Ich vermute, dass es ihm reichte, zu wissen, dass er hätte bleiben können«, meinte Himmelweis, der sich immer noch die Augen rieb. Leetah legte ihm kurz die Hand über das Gesicht. »Danke.« »Bitte. Schmerzt Ihre Schulter, Mister Crockett?« »Es geht.« Sie legte ihm die Hand auf, und er zuckte zusammen. Sie lächelte schwach. »Jetzt geht’s noch besser.« »Du machst dir um Schnitter wohl gar keine Sorgen.« »Ich fühle, dass er noch lebt.« »Stimmt«, meinte der Pilot. »Da unten steht er und winkt.« Die Fähre landete, Leetah drängelte sich hinaus und rannte zu ihm hin. Als Sonny ausstieg, verzog er das Gesicht. Schnitter sah aus, als hätte er fünfzehn Runden gegen Rocky Balboa angetreten. Er erstickte fast, als Leetah ihn küsste, und Elfen können die Luft für etwa acht Minuten anhalten! Sie wollte ihn heilen, aber er wehrte sich. »Lass die blauen Flecke, die beweisen mir, dass ich noch lebe, und das brauche ich.« »Dann wenigstens das Gesicht.« »Okay, das Gesicht.«

*

Feldman hatte den Kreuzer gleich verlassen, als er mit Murphy geredet hatte, und war mit einer Ranger zur Mine hinunter geflogen, um die neuesten Schürfungen zu betrach- ten. Die Rohdiamanten waren alle größer als alles, was man auf der Erde je gefunden hatte, aber nicht so groß wie die Nova. Feldman ging in die Mine. Hauer schürften die erstarrten Lavafelsen ab, und andere schoben die Gleiskarren durch die Stollen. Grubenlampen verbreiteten ein bisschen Licht, und ein steinstaubverschmierter Vorarbeiter koordinierte alles. Feldman schüttelte den Kopf. Die Technik macht Fortschritte, man fliegt durch die Sterne, hat die modernsten Computer, aber hier sieht es immer noch aus wie vor hundert Jahren. Feldman ging nach hinten, wo der Vorarbeiter gerade mit einem Hauer redete. »Was ist denn?«, fragte Feldman. »Er meint, dass es gefährlich wäre, weiter hinein zu graben«, erklärte O’Brien, der Vorarbeiter. »Wir seien eh schon zu tief im Vulkan drin. Noch tiefer, und wir stoßen plötzlich auf Magma.« Feldman überlegte. »Okay. Von hier aus fangen Sie an, nach unten zu arbeiten. Machen Sie eine zweite Sohle unter … « Eine gewaltige Erschütterung warf alles über den Haufen und unterbrach seinen Satz. Der Stollen stürzte an mehreren Stellen ein, das Licht erlosch, Fels prasselte, und die

210 Holzbohlenverstärkungen zersplitterten wie Balsaholz. Die Wand, an der sie gestanden hatten, verschwand wie weggewischt. Feuerflüssige Lava ergoss sich grell strahlend in die Stollen. Der Boden hob und verschob sich. Feldman versuchte wegzukommen und rettete sich auf einen Vorsprung. Plötzlich sackte der Tunnelboden ab und riss das Meiste mit sich, auch den Hauer. O’Brien klammerte sich an den Vorsprung, und Feldman zog ihn herauf. Mit prasselndem Knirschen schob sich ein Lavastrom durch die neu entstandene Höhle. »Dort rüber!«, rief O’Brien und sprang auf vermeintlich festen Boden hinüber. Er hielt, und Feldman folgte ihm. Auf einem großen Absatz standen mehrere Arbeiter. »Was ist passiert?«, wollte einer wissen. O’Brien hob die Schultern, versuchte noch seine Nerven zusammenzuklauben. Ein anderer trat an Feldman heran und packte ihn am Arm. »Jetzt ist es endlich passiert! Sie wollten ja nicht auf uns hören. Nein, Sie haben den Stollen immer weiter und weiter treiben lassen, bis wir auf das Magma gestoßen sind.« »Was erlauben Sie sich?!« »Sie haben uns hier reingeritten! Wir haben die Nase voll! Die Mine ist illegal, und ich denke nicht daran, hier auch nur noch einen Schlag zu machen, und wenn Sie uns doppelt so viel zahlen.« »Wir sind eingeschlossen, Mann!« »Dann schnappen Sie sich eine Schaufel und helfen graben! Und wenn wir hier raus sind, reißen wir den Mund auf, verlassen Sie sich drauf.«

211 5

Volcano

»Warum lassen wir sie nicht einfach dort unten?«, fragte Schnitter heftig, als alle vor dem verschütteten Mineneingang standen. Sonny kratzte sich am Kopf. »Weißt du, wenn wir so reagieren, wie die es tun, dann sind wir nicht besser als sie. Verstehst du? Dann sind wir selber auch das, was wir an Typen wie denen so verabscheuen.« »Das haben sie sich selber eingebrockt.« »Das ändert nichts an den Tatsachen. Beweis’ doch einmal, dass du besser bist als sie. Du wirst dich nachher auch besser fühlen.« »Es widerspricht allem, was ich gelernt habe. Und mir selbst brauche ich nichts zu beweisen.« »Wie war es, als du deinen ersten Menschen getötet hast?« Schnitter stockte. Ihm fiel wieder ein, wie die Menschen Rotspeer gefoltert hatten. Sie hatten ihn dort raushauen müssen, und das war eine blutige Angelegenheit gewesen. Als Reaktion hatten die Menschen daraufhin den Wald in Brand gesetzt und die Elfen durch die Trollhöhlen und die Wüste nach Sonnental getrieben. Schnitter blickte zu Boden. »Grauenhaft. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich es kann.« »Siehst du? Gewalt erzeugt nur Gewalt.« »Und das sagt ein Polizist?« »Kann es jemand anders besser wissen? Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.« Der Pilot hatte einen Laserbohrer aus der Fähre geholt und strich mit dem grellblauen Strahl über die Felsen. Wo der Strahl hintraf, verschmolz alles, und der Fels wurde zu einer harten Masse gebacken. »Die Dinger sind ziemlich neu«, rief der Pilot und schweißte allmählich einen Tunnel durch die Lawine, die den Mineneingang blockierte. Von den Baracken war nichts mehr übrig geblieben nach dem Knall. Von den Hubschraubern standen noch ein paar armseli- ge Reste da. Die Cheyenne war überhaupt nirgends mehr. Wahrscheinlich war ihre Munition hochgegangen. Die Wolfreiter folgten dem Piloten. Nach wenigen Metern brach der Strahl durch, und sie standen in einem erhalten gebliebenen Teil der Mine. Die Holzverstrebungen waren vollständig zusammengebrochen, und der Pilot schmolz Wände und Decke ab, damit sie hielten.

*

Die Eingeschlossenen litten allerdings zunehmend unter psychischem Druck. Sie hatten sich auf einzelne Vorsprünge zurückziehen müssen, da die Lava immer mehr anstieg. Irgendwann konnte sich einer nicht mehr beherrschen und schlug Feldman ins Gesicht. Der zog seine Pistole und hielt den Rest in Schach. »Ihr überseht hier was«, rief er. »Schließlich war es nicht meine Idee. Ich bin nur der Leiter hier. Ihr habt eure Arbeit gemacht und ich meine. Glaubt Ihr etwa, mir macht es Spaß, hier zu sein? Ich wäre auch lieber draußen. Dass die Mine illegal ist, hat euch vorher auch nicht gestört.«

212 »Ja, weil wir dachten, Ihr würdet die Elfen in Schach halten«, rief einer. »Es war nicht die Rede davon, sie gleich auszuradieren!« Feldman lächelte spöttisch. »Dass mindestens zwei von ihnen gut singen können, weiß ich, aber sonst … « Das war zu viel für einen. Er sprang seitlich auf Feldman los und riss ihn um. Der stemmte ihm den Fuß in den Magen und warf ihn über sich hinweg. Er stürzte über die Kante und fiel schreiend in den Lavastrom. Ein lautes Zischen, und eine Dampfwolke wallte empor. Feldman griff zitternd nach seiner Pistole und wich an die Kante zurück. »Kommt mir nicht zu nahe!«, brüllte er. O’Brien hob abwehrend die Hand. »Sind doch nicht lebensmüde.« Ein großer Stein traf Feldmans Hand, und die Pistole flog beiseite. Feldman schrie auf und umklammerte die Hand. Sofort kam Bewegung in die Versammlung. Feldman rannte zur Seite, grabschte sich seine Pistole und begann hastig die Felsen hinaufzuklettern. O’Brien versuchte die Männer aufzuhalten. »Lasst den Quatsch! Wenn die Felsen abbröckeln, seid Ihr erledigt!« In diesem Moment schlug mit lautem Krachen ein weit aufgefächerter, blauer Strahl in die Höhle. Felsen brachen ab und stürzten in den Strom. Der Pilot schaltete den Laserboh- rer ab. »He, Leute! Kommt raus!« Ein Schuss peitschte. Die Kugel erwischte den Piloten im Arm und warf ihn um. Sonny zog ihn rasch zurück. »Keiner geht hier raus!«, brüllte Feldman. »Der Typ muss übergeschnappt sein«, flüsterte Schnitter und rief:»Wenn Sie drin bleiben wollen, dann ist das Ihre Sache, aber lassen Sie die Leute raus.« »Nein! Ich lasse nicht zu, dass sie mich beschuldigen, an allem schuld zu sein.« Es klang schon ziemlich kläglich. »Sie sind nicht an allem schuld, Feldman«, rief O’Brien. »Aber dass Sie das Dorf haben angreifen lassen, stimmt.« Schnitter schraubte in aller Ruhe eine Hexal-Spitze auf einen Pfeil und trat an die Öffnung. Die Lava warf gespenstisch rotes, heißes Licht. »Entweder lassen Sie jetzt die Leute raus, oder ich sprenge die ganze Höhle in die Luft!« »Bist du verrückt?«, schnappte Sonny. »Nein.« Schnitter grinste ihn an. »Aber das weiß der ja nicht.« »Mann, du hast Nerven!« »Schafft doch mal den Piloten hier raus!« Einauge stellte den Piloten auf die Füße, der sich die Schulter hielt. Er stützte ihn, als sie hinausgingen. »Schieß doch!«, brüllte Feldman. »Dann erzählt niemand mehr was über mich. Ihr werdet dabei nämlich auch draufgehen.« »Er hat unangenehm Recht«, meinte Riccardo. »Das Gefühl habe ich auch«, steuerte Schnitter zur allgemeinen Beruhigung bei. Sonny stieß Riccardo an, lehnte sich aus der Höhle und feuerte auf Feldmans Stellung, etwa vier Meter über dem Boden. Die Leute setzten sich in Bewegung, sprangen über den Spalt und rannten, so schnell sie konnten, aus der Mine. Sonny feuerte einen Schuss alle zwei Sekunden und hielt Feldman nieder. Als ihm die Munition ausging, waren alle draußen.

213 Bis auf einen. »Wie ist es, Feldman?«, rief Schnitter. »Wollen Sie auch raus?« »Geht alle zum Teufel!« »Dazu hab’ ich keine Lust. Entweder kommen Sie, oder ich hole Sie.« Damit sprang er über die Kante und in die nächste Deckung. »Spinnst du?«, rief Sonny. »Komm sofort zurück!« »Sie brauchen mir darüber nichts zu erzählen!« knurrte Schnitter gefährlich. »Weißt du, was du da tust?« »Ja, ich versuche besser zu sein als er. Irgendwer hat mir erzählt, dass sich das irgendwie lohnt.« Sonny knurrte etwas und sprang ihm nach. Riccardo hatte seine Waffe immer noch auf Feldmans Deckung gerichtet. Leetah starrte mit großen Augen auf die höher steigende Lava. Riccardo lächelte leicht. »Tja, so sieht’s aus, im Inneren eines jeden festen Planeten. Beeil dich, Sonny! Noch ein paar Minuten, und wir müssen verduften.« Sonny versuchte Schnitter einzuholen, der langsam höher kletterte. Feldman schwitzte vor Angst und wartete auf die Gelegenheit zum Schuss.

*

Ripley stellte das spektroskopische Bild auf ihren Monitor und studierte die Angaben. Dann schaltete sie ihr Mikro ein. »Landungstrupp, hören Sie mich?« »Ja«, kam die leicht gequetschte Stimme des verletzten Piloten. »Was ist mit Ihnen?« »Mich hat eine Kugel erwischt, aber es ist nicht schlimm. Da drin dreht einer durch. Wahrscheinlich der Chef. Die anderen sind noch drin.« »Dann holen Sie sie um Gottes willen raus! Meine Analyse hier zeigt, dass sich in einer Vulkankammer ein starker Überdruck aufbaut. Noch ein paar Minuten, und der ganze Berg explodiert wie eine Bombe!« »Welche Größenordnung? Mount St. Helens?« »Nein! Krakatau, Santorin und Tambora zusammengenommen!« »Oh, Mann, das ist herb.«

*

»Nun lass doch den Quatsch!«, rief Sonny. Schnitter kletterte wie eine Gämse, Sonny wie ein Mensch. Schnitter geriet für einen Moment wieder in Feldmans Schussfeld. Die Kugel schlug an einen Felsbrocken über seinem Kopf und jaulte als Querschläger durch die Höhle. Schnitter warf sich zu einem Vorsprung hinüber und sprang direkt in Feldmans Stellung. Der drückte ab, aber der Revolver klickte bloß. »Ich kann sogar bis sechs zählen, da staunen Sie, was?«, knurrte Schnitter. »Und das mit vier Fingern pro Hand.« Feldman warf ihm die Waffe entgegen und sprang ihn an. Schnitter wich dem Geschoss aus, aber der Aufprall des Menschen warf ihn um. Es entstand ein wütendes Gerangel. Feldman platzierte seine Faust in Schnitters Nieren, ohne zu wissen, ob der Elf überhaupt so etwas hatte. Anscheinend schon, denn er krümmte sich zusammen. Schnitter riss das Knie hoch, Feldman brüllte und wurde schlapp. Schnitter riss ihn herum, Feldman machte

214 eine heftige Bewegung und rollte schreiend über die Kante. Schnitters Hand schoss vor und packte ihn am Knöchel über dem Fuß. Feldman hing in abnehmender Höhe direkt über der Lava. »Sterben ist eine ziemlich einmalige Erfahrung«, ächzte Schnitter. »Aber irgendwann kommt jeder mal dran.« Sonny schwang herauf und rief:»Nun zieh ihn doch hoch!« »Was sagten Sie? Ich verstehe Sie nicht«, knurrte Schnitter. »Hör zu, gegen Verteidigung habe ich nichts. Aber das hier ist Rache!« »Sie haben die Situation wirklich haarscharf erfasst.« »Schau mal dort runter.« Schnitter blickte zur Höhlenöffnung und sah Leetah, die zu ihm hoch starrte. Eine einzelne Träne lief ihr über das Gesicht. »Wenn nicht für dich, dann wenigstens für sie!«, rief Sonny. Ihr Mund formte ein lautloses ‘Bitte’, und in Schnitter brach zwischen zwei Hälften seiner Wolfreiterseele ein Krieg aus. Es konnte nur eine von beiden Hälften gewinnen, und das geschah auch. Er ließ einen Wutschrei los, der Sonny eine Gänsehaut machte, und riss Feldman hoch, bis er wieder auf dem Vorsprung lag. Er zitterte wie Espenlaub, Sonny stieß ihn grob vorwärts, und gemeinsam kletterten sie hinunter. Aus dem Stollen rief jemand etwas, und Leetah drehte sich um. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich in Entsetzen. »Wir müssen hier raus!«, schrie sie. Die drei kamen unten an. »Worauf wartet Ihr?«, rief Schnitter. »Zischt los!« Die Wolfreiter rannten los, und Sonny fragte:»Was ist denn?« »Die Cygnus sagt, der Vulkan könne jeden Moment explodieren!«, keuchte Leetah. »Oh, Scheiße, das klingt ernst.« »Als ob wir nicht schon genug Ärger hätten«, knurrte Schnitter. Sie rannten los. Feldman stolperte über seine eigenen Füße und fiel um. Leetah und Schnitter halfen ihm wieder auf, Sonny und Riccardo rannten weiter. Als Feldman wieder stand, schlug er zu und erwischte Schnitter am Kinnwinkel. Noch bevor er am Boden lag, schubste er Leetah über die Kante. Sie schrie auf und erwischte gerade noch mit den Fingern die Kante, krallte sich fest. Feldman verduftete. Leetah rief Schnitters Namen. Aber der lag bewusstlos oben.

*

Sonny und Riccardo stürzten aus der Mine in die helle Sonne und atmeten auf. Hinter ihnen kam Feldman wie von Furien gehetzt und rang nach Luft. Sonny blickte in die Mine. »Wo ist der Rest?« »Weiß nicht. Waren … eben noch … hinter mir.« »Ist der Stollen eingestürzt?« »Nein.« »Wo sind sie denn dann?!« Sonny packte ihn am Kragen. »Sie mieses Stück Scheiße!« Er warf ihn an die Bordwand der Fähre, drehte sich um und wollte eben gerade in die Mine stürzen, als … als … na eben, als!

*

215 Leetah veränderte ein wenig ihren Halt und suchte, fast starr vor Angst, nach einem Vorsprung, auf den sie sich stellen konnte. Die Lava war nur noch wenige Zentimeter unter ihren Stiefeln. Sie fand etwas, aber es bröckelte unter ihrem Gewicht ab. Sie versuchte die Angst zu verdrängen und rief Schnitters Seelennamen. Feldman war früher Amateurboxer gewesen und hatte einen kräftigen Schlag am Leib. Leetah fühlte, wie etwas gegen ihre Fußsohlen stieß, und es war verflucht heiß! Sie zog die Füße etwas an, war sich aber darüber im Klaren, dass sie sich nicht mehr lange halten konnte. Mit einem seltsam ruhigen Gefühl fragte sie sich, was eher geschehen würde. Dass ihre Finger abrutschten, dass die Lava hochstieg, oder dass der Vulkan explodieren würde. Mancher Mensch wäre froh, wenn er sechshundertsechzehn Jahre hätte leben dürfen. Und was für ein Leben! Sechshundertzwölf Jahre mit einem arroganten, egozentrischen Elfen namens Rayek, vier Jahre mit einem impulsiven, unkomplizierten und mental etwas weniger hubstarken Elfen namens Schnitter, den sie erkannt und von dem sie zwei Kinder hatte. Sie hatte kein Wolfsblut in sich, sie war unsterblich! Und dann brachen die Menschen über einen herein, und einer davon brachte sie mit voller Absicht um! Leetah hatte zu lange in Frieden gelebt, als dass sie innerhalb von wenigen Jahren zu so etwas hätte werden können wie Schnitter es schon immer gewesen war. Sie musste nun die Beine ganz anziehen, um nicht von unten her gekocht zu werden. Irgendwo hatte sie gehört, dass Lava bis zu achthundert Grad heiß sein kann. Sie konnte sich darunter nur nicht viel vorstellen, außer dass es acht Mal heißer ist als Wasser, wenn es verdampft. Die Lava war jetzt nur noch eine Handbreit von ihren Knien entfernt. Ihre Finger rutschten. Mit aller Kraft konzentrierte sie sich und brachte etwas fertig, was alle Wolfrei- ter konnten, die Sonnentaler aber vergessen hatten. Sie sendete! Sie sendete seinen Seelennamen. Es klang leise und zitternd, aber es ging! Der Klang drang in Schnitters Gehirn ein und weckte ihn wie ein Eimer kaltes Wasser. Er rollte sich stöhnend herum und blinzelte. Er rieb sich das Kinn und blickte sich um. »Leetah?« Da sah er zwei Mal drei Finger, die sich von unten an die Kante krallten. »Leetah?!« Er schoss vor, griff hinunter und packte ihr Handgelenk, als sie endgültig abrutschte. Ihre Hand vergriff sich in sein Handgelenk, ihr linker Stiefel berührte kurz die Oberfläche der Lava, tauchte für einen Moment vielleicht drei Zentimeter ein. Sie schrie auf. Schnitter zog sie ein Stück hoch und griff mit der zweiten Hand zu. Ihr Kopf kam über die Kante, und sie stemmte sich hoch. Endlich saß sie oben und hielt sich an ihm fest. Der Schreck saß immer noch tief, und sie zitterte. »Wie lange hast du da unten gehangen?« »Weiß nicht. Mein ganzes Leben.« »Bisschen lang, was?« »Mir … mir ist es trotzdem recht, dass du ihn gerettet hast«, sagte sie. Schnitter überlegte. Bis ihm etwas ziemlich Wichtiges einfiel. »Ich denke, wir sollten hier weg!« Er zerrte sie hoch, und sie rannten los. Sie waren kaum an die nächste Ecke gekommen, als der Vulkan mit der Gewalt von mehreren Megatonnen TNT explodierte.

216 *

An der Spitze schoss eine ungeheure Rauchwolke in die Höhe, die der Mine abgewandte Seite des Berges löste sich wie abgeschält und donnerte in die Tiefe. Der Rest konnte sich nicht halten, und eine Kraterseite stürzte ein. Rund um den Vulkankegel schossen Steinlawinen in die Tiefe. Eine davon warf die Fähre über den Haufen und verschüttete den Mineneingang. Die Menschen und Elfen waren schleunigst in Deckung gerannt. Ein zweiter, stärkerer Knall hob die restlichen drei Viertel der Kraterumwandung einfach hoch. Nach ein paar Metern siegte aber wieder die Schwerkraft, und Tausende Tonnen Fels, Stein und Geröll wurden pulverisiert durch die Druckwelle fortgeschleudert. Das Meiste fiel in den Krater hinein, der Rest donnerte außen den Berg hinunter.

*

Schon die erste Explosion warf Schnitter und Leetah über den Haufen. Der Boden hob und senkte sich, der eingeschmolzene Stollen verformte sich. Ein paar Brocken stürzten herein, als der Schmelzguss nachgab. Dann kam die ganze Decke herunter. Bereits umgestürzte Holzbohlen zerbrachen. Einer lag auf einem Stein. Als ein Felsblock auf eine Seite der Holzbohle fiel, schoss die andere Seite hoch wie ein Katapult und streifte Leetah am Kinn. Sie flog drei Meter zurück und stürzte zu Boden. Dabei hatte sie noch Glück gehabt, denn der Schlag hätte ihr ohne weiteres das Genick brechen können. Hustend vom Steinstaub hob Schnitter sie hoch und begann die Lawine hochzuklettern, die zur Ruhe gekommen war. Er war gerade oben, als die zweite Explosion erfolgte. Eine schwere Erschütterung warf ihn aus dem Gleichgewicht, und die beiden rollten mehr oder weniger auf der anderen Seite herunter. Der Stollen gab jetzt überall nach, und Schnitter rannte fast mit dem Gewicht auf seinen Armen. Felsbrocken stürzten in den Stollen, eine ganze Wand zerbröselte, der Stollen verwandel- te sich langsam in eine sich dauernd verändernde Steinhöhle. Schnitter stieg über Geröllhaufen, wich stürzenden Felsbrocken aus und zwängte sich durch Engstellen. Es war ein Wunder, dass es überhaupt noch ein Vorwärtskommen gab. Rötliches Licht schimmerte durch die Dunkelheit. Schnitter rannte in einen Korridor, der noch gut erhalten aussah. Als er um die Ecke bog, überlegte er es sich anders und wendete wieder. Die Lava schien diesen Korridor als Pipeline benutzen zu wollen. Lava verwandelte die ganze Höhle langsam in ein Flammenmeer mit Flüssen, Meeren und Inseln. Ein gewaltiger Felsblock stürzte herunter, und der Aufschlag spritzte Lava herum. Etwas verbrannte Schnitter den linken Arm. Leetah rührte sich und schlug die Augen auf. »Setz mich ab.« »Wir müssen uns ganz verflucht beeilen!«, schrie er. »Wenn du mich nicht tragen musst, wirst du dich noch mehr beeilen können.« »Wie geht’s dir?« »Ich brauche jedenfalls kein Aspirin.« »Was ist das?« »Ach, vergiss es!« Er setzte sie mitten im Rennen ab, und sie stellte fest, dass sie nicht so schnell laufen konnte, wie sie wollte. Sie taumelte leicht, und er musste sie hinter sich herziehen. »Vorher ging’s besser«, rief er. Sie wurde wütend und spornte sich an. Ein ganzes Stück der Korridorwand sackte mitsamt einem Teil des Bodens weg und stürzte berstend und krachend in eine unbekannte, aber rot erleuchtete Tiefe hinab.

217 Schnitter wäre fast abgerutscht und kletterte eine Geröllwand hoch, die ständig abbröckel- te. Leetah stellte sich auf einen massiv aussehenden Felsen, der aber wohl auch unter dem Gewicht einer Fliege nachgegeben hätte. Er brach jedenfalls weg, und Leetah wurde aus Schnitters Hand gerissen. Sie schlug um sich und versuchte einen Halt zu finden, als sie den Geröllhang hinabrutschte, auf das feuerflüssige Magma zu. Schnitter verkrampfte die Fäuste und wünschte sich zum ersten Mal im Leben Rayek her. Oder wenigstens seine telekinetischen Kräfte. Der Geröllhang setzte sich plötzlich in Bewegung, und er musste höher klettern, sonst hätte ihn die entstehende Steinlawine mitgerissen. Leetahs Fuß hakte sich irgendwo hinter und stoppte ihre Rutschpartie. Sie schloss die Augen, als das Magma ihr Gesicht aus einer Entfernung von drei Metern versengte. Sie blickte hoch und sah, dass sich ihr Stiefel hinter ein Stück festen Fels gehängt hatte. Vorsichtig setzte sie sich auf und packte den Felsen. Sie stemmte sich hoch und stapfte durch das Geröll auf eine Felswand zu. Sie hatte sie fast erreicht, als ein berstendes Krachen sie herumfahren ließ. Als eine gewaltige Masse von Felsen stürzte die Decke ein. Sie war der Boden zu einer Lavakam- mer gewesen, und der ganze Inhalt dieses Tanks kam herunter wie von einer kaputten Staumauer. Leetah kletterte die Felswand hoch, so schnell sie konnte. Es gab viele natürliche Stufen und Tritte, und so kam sie rasch hoch. Lava ergoss sich donnernd in die Höhle, und allein die Lautstärke schlug auf die Trommelfelle, dass man ganz taub wurde. Sie erreichte eine Kante und sah eine Gestalt durch Wasserdampf und Steinstaub eilen. Schnitter. Sie rannte hin, aber die Umarmung sparten sie sich für später. Sie eilten durch die Höhle, oder besser Hölle, und standen plötzlich vor einer massiven Wand. Sie liefen seitwärts an ihr entlang und entdeckten einen Durchgang, wo ein umgestürzter Felsen die Steinlawine daran gehindert hatte, den Stollen zu verschütten. Sie rannten hinein, bogen um zwei Ecken, wo es etwas ruhiger wurde, und standen plötzlich wieder vor einer Wand. Schnitter packte zu, und er wuchtete einen Block zur Seite. Ein Funken Tageslicht schimmerte durch eine Ritze. Das gab ihnen neue Hoffnung. Leetah half mit, einen großen Brocken zu verschieben, und Schnitter ließ ihr den Vortritt. Sie zwängte sich durch den engen Spalt und blinzelte bei dem grellen Sonnenlicht, das über sie herfiel. Schnitter quetschte sich auch durch, und ein kräftiger Erdstoß schloss die Spalte mit einer solchen Gewalt, dass man nicht erkennen konnte, dass da vorher überhaupt ein Spalt gewesen war. Die Erdstöße gingen weiter, und die beiden fielen um. Ein schweres Beben ließ Felsen aufbrechen und Lavakammern bersten. Wie eine Explosi- on schoss ein Lavaregen aus einer aufgebrochenen Spalte am Berg. Ein riesiger Strom wälzte sich talwärts. Schnitter packte Leetah am Handgelenk, und sie rannten den Berg hinunter. Sie waren fünfzehn Meter weiter oben rausgekommen, als sie hineingegangen waren. Ständig wehte ein feiner Ascheregen über die Gegend. Hier musste eine Steinlawine heruntergekommen sein, winkliges Geröll machte aus dem ehemals flachen Hauptplatz eine komplizierte Steinwüste. Hinter ihnen erreichte die Lava den Talboden und breitete sich rasch aus. Normalerweise kann man schneller laufen, als Lava fließt, aber in dieser Gegend ist das gar nicht so einfach. Ein Stück Metall ragte unter mehreren Blöcken hervor. Eines trug eine Tafel mit der Aufschrift USS CYGNUS. Hier hatte mal die Fähre gestanden. Rasch kletterten sie weiter. Hinter ihnen brodelte die Lava, schwappte zwischen die Felsen, bildete kleine Seen und Flüsse und breitete sich aus. Sie erreichten eine flache

218 Stelle und rannten, was sie konnten. Im Laufen blickte Leetah zurück. Die Lava ergoss sich bereits wie ein Wasserfall in Zeitlupe über die Felsen auf den freien Platz. Sie kletterten eine Steinhalde hoch und blieben stehen. Auf der anderen Seite der Halde floss bereits ein Lavastrom, der aus einer anderen Richtung kommen musste. Sie fuhren herum, aber sie waren eingeschlossen. Die Lava füllte den Platz auf und stieg an der Steinhalde langsam in die Höhe. Plötzlich jagte ein Hubschrauber über sie hinweg. Die Cheyenne. Sie war wohl doch nicht am Boden gewesen, als der Kreuzer explodiert war. Schnitter sah den waffenstar- renden Hubschrauber und riss sein Schwert aus der Scheide. Mit dem anderen Arm presste er Leetah an sich. »Wenn ich sterbe, dann will ich das in der Hand haben, was mir am meisten bedeutet. Und das bist du und mein Schwert. In dieser Reihenfolge!« Die Cheyenne setzte zu einem neuen Überflug an, kam direkt auf sie zu und bremste. Der Co-Pilot hob einen Fotoapparat und knipste. Riccardo grinste. »Mit dem Bild kriegt Leetah eine neue Frontseite auf dem TIME- Magazine.« Sonny setzte die Maschine über die Halde, und Riccardo winkte. Leetah atmete auf, und Schnitter griff nach dem Landegestell. Leetah griff auch zu, die Cheyenne hob sich wieder, und rasch trug Sonny die beiden aus der Gefahrenzone.

*

Die Wolfreiter hielten Feldman und den Cheyenne-Piloten in Schach, den sie gefunden hatten, als er nach der Vulkanexplosion gelandet war. Sonny hatte nicht lange gefackelt und sich die Maschine geschnappt. »Ihr habt uns ganz schön erschreckt«, sagte Schnitter. Sonny zuckte zusammen und presste die Hände auf die Ohren. »Schrei doch nicht so!« Schnitter schüttelte den Kopf, um klar zu werden. Sie hatten das Aussetzen von Felskra- chen und Donnern einfach nicht bemerkt. Zu abrupt war der Übergang gewesen. Leetah setzte sich einfach zu Boden und stocherte mit den Fingern in den Ohren, gähnte wie um Druck auszugleichen. Schnitters Blick blieb plötzlich an Feldman hängen. Er starrte ihn an. Feldman starrte ängstlich zurück. Eine unsichtbare Spannung schien plötzlich über dem Platz zu hängen. Alle empfingen einige unkontrolliert gesendete Bilder von Schnitter, und was sie zeigten, war so grauen- haft, dass selbst Sonny versuchte, diese Bilder zu verdrängen. Feldman schnappte über. Sein Gesicht verzerrte sich, und er begann hysterisch zu lachen. »Warum lebt der noch?!«, schrie Schnitter aus Leibeskräften. »Nehmt ihn weg, oder ich bringe ihn um!« Sonny, Riccardo, Himmelweis und Baumstumpf waren nötig, um den Elfen festzuhalten. Aber erst Leetah schaffte es, Schnitter zu beruhigen. Sie setzte sich wieder hin und begann plötzlich zu lachen. »Was ist so komisch?«, fragte Sonny.

219 Sie prustete und blickte in die Runde. »Seht euch mal an! Wir sehen aus wie die Schorn- steinfeger.« Werfer begann zu lachen, steckte die anderen an, und am Ende lachte auch Schnitter. Sonny wischte sich die Lachtränen ab, stutzte aber. Woher, zum Teufel, weiß sie, was ein Schornsteinfeger ist?

220 6

Dunkle Wolken über Abode

An einem Morgen, im Mai. Ich blickte in das Felstal, das gut und gern zweitausend Personen fassen konnte. Repub- likanische Techniker bauten eine Art Bühne zusammen. Vorbereitung für den nächsten Schlagerwettbewerb im Herbst. Sie hatten es so arrangiert, dass Sonnental jenseits eines Berges lag, um eine möglichst hohe Distanz zwischen dem isolierten Leben der Elfen und der hochtechnisierten Zivilisation zu schaffen. Nach der Freiluftaufführung würde alles wieder verschwinden, und das Tal würde aussehen wie vorher. Vorausgesetzt Schnitter und Leetah landeten mit Langbogen nicht irgendeinen neuen Schlager! Ich wandte mich ab und ging wieder auf die andere Seite. Ich hatte Leetah ein Diktafon gegeben, wo sie schon erzählte, was hier geschrieben steht. Es war aber hauptsächlich ein kleiner Freundschaftsbesuch von uns, und Sonny und Riccardo hatten sich sofort anerboten mitzukommen. Ich stellte mich auf den Dorfplatz, auf dem bereits das große Feuer brannte, das die hereinbrechende Nacht erhellte, um das sich bereits die Sonnentaler scharten, um zu feiern, und fiel auf. Das kann ich ja. Auffallen! Ich legte den Kopf zurück und versuchte mit »Ayooooaaaahhh« einen Wolfreiterruf. Es klang eher wie Tarzan auf der Toilette, aber der Zweck war erreicht. Die Wolfreiter strömten herbei, um zu sehen, wer da eins in die Eier gekriegt hatte. So sagten sie es jedenfalls. Ich wandte mich an Schnitter. »Ihr wolltet die Entschädigung von ConAm ja nicht haben, also dachten wir, da Ihr ja an Geld nichts findet, dass wir euch dafür etwas besorgen, das euch interessiert.« Sonny und Urs stiegen in die Starbright und kamen mit ein paar für die Elfen unbekann- ten Gegenständen zurück. »Wo sind Späher und Tauglanz?«, fragte Urs und sie kamen herbei. »Wie scharf siehst du, Späher?« Der junge Elf blickte nachdenklich über die Landschaft und deutete dann auf die Brücke der Vorsehung in etwa zwei Kilometern Entfernung. »Dort setzt sich gerade ein Vogel auf die Brücke. Es ist ein Geier.« Urs hob den Gegenstand an die Augen. »Und siehst du auch die Geier, die um den Vulkan kreisen?« »Äh … nein.« »Dann nimm das, damit siehst du sie. Es ist ein Infrarotglas. Damit kannst du sie sogar sehen, wenn es stockdunkel ist.« Späher blickte begeistert durch das Gerät und drehte sich hin und her. Er wollte sich gerade bedanken, als er einen Fehler machte und das Glas auf das Feuer richtete. Er zuckte zurück und rieb sich die Augen.

221 »Da musst du aufpassen«, erklärte Urs etwas verlegen. »Je heißer desto heller. Das Glas zeigt die Umgebung anhand der Hitze, die Gegenstände ausstrahlen. Du solltest also auch nie in die Sonne sehen.« Späher blinzelte. »Danke, für den Hinweis«, sagte er schwach. In diesem Moment setzte die Musik ein. Harfenspiele, und eine Melodie aus einem seltsamen, flötenähnlichen Blasinstrument. Die Melodie griff ans Herz und riss mit, auf eine Art, wie ich sie erst bei Kitaro gehört hatte. Leetah stand auf und begann zu tanzen. Sie drehte sich und ließ einen Schleier spielen. Ich beugte mich zu Schnitter. »Was ist das für ein Tanz?« »Der Tanz des Wüstenwinds. Sie verkörpert den Wind, der über die Dünen streicht und das Gesicht der Wüste verändert. Sie … « Schnitter stockte. »Was ist denn?« »Diesen Tanz habe ich erst einmal gesehen«, gab er zu. »Damals, als wir hier neu anka- men und sie unser Willkommensfest feierten. Da wehrte sie sich noch gegen mich, und das machte mich fast wahnsinnig. Weißt du eigentlich, dass ich einen Rekord aufgestellt habe? Ich bin der absolut Jüngste, der jemals jemanden erkannt hat.« Ich sah eine Weile Leetah zu und konnte nicht verstehen, wie eine trockene Wüste so frisch und lebendig sein kann. Nebenan öffnete Sonny Rotspeers Hand und streute etwas hinein. »Was ist das?«, fragte der. »Du bist doch der Baumformer. Pflanze es ein und lass es wachsen. Dann wirst du sehen, was es ist.« Abendrot knuffte ihren Gefährten an die Schulter. »Pass auf. Vielleicht ist es eine Fleisch fressende Pflanze.« »Ach, Quatsch«, meinte Riccardo. »Wir haben das im naturhistorischen Museum von Miami gefunden und fanden es so hinreißend, dass wir nicht widerstehen konnten. Es ist etwas, das es auf der Erde nicht mehr gibt, mit Ausnahme von ein paar einzelnen Exemplaren und einer Handvoll Samen. Es heißt ‘Aurora borealis’ und gilt als eine der schönsten Blumen der Erde.« Rotspeer betrachtete die Körner mit glänzenden Augen. »Danke«, sagte er leise, stand auf und verschwand in der Dunkelheit, abseits des Feuers. Abendrot folgte ihm. Markus wuchtete einen Rucksack durch die Gegend und ließ ihn neben Himmelweis zu Boden fallen. Himmelweis verkniff sich die nächstliegende Frage. Die Erklärung würde bestimmt gleich kommen. Wortlos zerrte Markus den Elfen vom Boden hoch, und sie verschwanden. Ich grinste schon. Jürg brachte einen langen Koffer, stellte ihn neben Langbogen zu Boden und öffnete ihn. Der immer ernste Elf zeigte eine neue Gemütsregung. Die Augen drohten ihm aus dem Kopf zu fallen. Es war ein Bogen. Aber was für ein Bogen! Ein handgearbeitetes Stück Holz, an dem zwei Spannblätter befestigt waren. Die ganze Form sah aus wie eine geschweifte Klammer, und die fantastische Kleinarbeit war absolut einmalig. Langbogen strich sanft mit den Fingern über das Holz, ertastete die Formen und zupfte an der Sehne. Das Ding war aber auch wirklich ein Meisterstück! Der Elf war wie ein Kind an Weihnachten, obwohl er mindestens neunhundert Jahre alt war. Er konnte

222 sich nicht mal bedanken. Er war nur ganz still und betrachtete die herrlich gearbeitete Waffe aus allen Blickrichtungen. Am Rand bekam ich mit, wie Baumstumpf den Bullworker überlastete. Sonny drehte eine Schraube nach, und nun kam der Muskelelf doch etwas ins Schwitzen. Auf der Tanzfläche verwandelte sich der Wüstenwind langsam in einen Sandsturm. Der Tanz wurde wilder, und die Musik verströmte eine kraftvolle Macht über das Dorf. Ich konnte kaum mehr stillsitzen, vor allem, da ich wusste, was auf Leetah wartete. Ich rief Shenshen. Als sie kam, sagte ich:»Du hast doch von Turner eins auf die Rübe gekriegt, nicht wahr?« »Es gibt Dinge, an die ein Mädchen nicht gerne erinnert wird«, knirschte sie wütend. Ich schluckte. »Deine große Schwester dort drüben, die sich als Sandsturm so veraus- gabt, hat mir erzählt, dass du früher manchmal Bilder in den Sand gemalt hast. Zu schade, dass der leichteste Windstoß es wieder verwehte. Deshalb haben wir für dich etwas, mit dem du zeichnen kannst. Sonny meinte, wir sollten dir besser einen Commodore Amiga mit einem Grafikprogramm schenken, aber wir wussten nicht, wo wir den Strom hätten hernehmen wollen. Abgesehen davon hielten wir es für eine idiotische Idee, und deshalb haben wir uns auf einen Papierblock mit einer Bleistiftkollektion beschränkt.« »Ich habe noch nie mit so was gezeichnet«, erwiderte sie unsicher. »Dann versuch’s mal.« Ich reichte ihr das kleine Zeichenbrett und die Stifte, sie setzte sich hin und fixierte die tanzende Leetah. Sie ging völlig in ihrer Aufgabe auf und sah und hörte nichts mehr. Ich wandte mich an Schnitter. »Für dich haben wir uns lange was überlegt.« »Kann ich mir vorstellen.« »Kennst du einen gewissen Tetsuo Kamagayaki?« »Willst du mich auf den Arm nehmen?« »Es ist erwiesen, dass in seinen Vorfahren ein paar Ninjas gewesen sind, und er pflegt diese alte Tradition noch heute, natürlich zu kulturellen Zwecken. Er ist der Experte und hat ein Buch über japanischen Schwertkampf verfasst. Ich dachte, das könnte dich interessieren.« »Klingt nicht übel.« Ich reichte ihm das Buch, es war mehr ein Taschenbuch, und er blätterte darin. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Was man mit einem Schwert alles anstellen kann.« In diesem Moment legte sich ein Schleier wie eine Schlinge um seinen Hals. Er wurde hochgerissen, und Leetah hüllte ihn ein. Er lachte und rief:»In diesem Sandsturm möchte ich gerne zugrunde gehen. Ich kann nur leider nicht tanzeeeen!« Irgendwie stolperte er über seine eigenen Füße und fiel auf die Nase. Wir brachen vor Lachen am Boden zusammen. Die Musik wurde sanfter. Der Sturm legte sich, und die alten Monde gingen am Sternen- himmel auf. Ruhe legte sich wohl tuend über die Wüste. Die Elfen kannten so was wie Applaudieren nicht, aber wir machten es trotzdem. Sie würden es schon verstehen. Leetah wischte sich den Schweiß vom Gesicht und kam her. Sie lachte, als sie die sah, die schon beschenkt worden waren. »Wie die kleinen Kinder!«, rief sie.

223 Schnitter machte sich bemerkbar. »Äh, Leetah. Wir als Wolfreiter konnten uns unser ganzes Leben lang nichts anderes schenken als Liebe und Freundschaft. Für euch ist das vielleicht normal, aber nicht für uns.« »Ist ja gut. Habe ja nichts gesagt.« Ich holte den Colt aus der Tasche und reichte ihn Leetah. Es war eine 44er Smith & Wesson Automatic, silberlegiert und ungeladen. Sie blickte mich erstaunt an. »Was soll ich denn damit?« »Guck dir mal den Lauf an.« Sie las, was dort mit geschwungener Schrift eingraviert war. FOR SPECIAL SERVICES »Für besondere Dienste mit allen Empfehlungen vom Miami Vice. Dafür, dass du gesorgt hast, dass sie Feldman einbüchsen statt eingraben konnten. Abgesehen davon sind wir alle tief beeindruckt, wie du Murphy umgedreht hast.« »Ich habe ihn nicht umgedreht, ich habe ihn richtiggedreht!«, schnappte sie. Ich hob entschuldigend die Hände. Plötzlich stürzten ihr die Tränen aus den Augen. »Es bedeute- te ihm alles, dass wir in Frieden leben konnten. Er hat sich für uns umgebracht.« Schnitter lächelte leicht erstaunt. »Ausgerechnet ein Mensch. Die alten Gewohnheiten stimmen nicht mehr.« »Merk dir das!«, bekräftigte Sonny. Schnitters Blick zuckte hoch. »Was ist das?!« Wir sahen hoch, und ich begann zu lachen. »Ein Gleitschirm!«, rief ich prustend. »Was, zum Teufel, ist ein Gleitschirm?!« »Eine Art Fallschirm.« Ich blickte hoch und brüllte:»He, pass auf! Du hast hier zwar ‘ne prima Landebefeuerung, aber das ist kein Grund gleich mittendrin zu landen.« Himmelweis zog an den beiden Schnüren. Der Schirm wölbte sich und bremste den Fall. Er landete auf der Zehenspitze, und das sah wirklich sehr gekonnt aus, wurde aber dadurch vermasselt, dass er mit dem anderen Fuß über einen Stein stolperte und mit Getöse zu Boden krachte. Der Schirm deckte ihn zu, aber er konnte sein begeistertes, fast hysterisches Lachen nicht beherrschen. Sonny schüttelte den Kopf. In diesem Moment kam Shenshen zurück und präsentierte uns ihr erstes Werk. Wir staunten, die kleine Figur war eindeutig Leetah. Die Einzelheiten und Details waren bis auf den kleinsten Punkt exakt gezeichnet und zeigten die Elfe lachend und tanzend. Sie sah aus, als würde sie sich gleich bewegen und vom Blatt heruntertanzen! Ich reichte die Zeichnung an die anderen weiter und blickte Shenshen an. »Großartig.« Sie lächelte. »Zum ersten Mal höre ich ein vernünftiges Wort von dir. Danke sehr.« Sonny fragte:»Habt Ihr von der Nova gehört?« »Klar.« Leetah trocknete sich das Gesicht. Sonny grinste richtig, als er einen kantigen Gegenstand unter einem Tuch präsentierte. »Der Stein ist hier illegal rausgeholt worden. Er gehört also euch, aber wir dachten uns, wenn wir ihn schon zurückbringen, lassen wir ihn noch ein bisschen bearbeiten. Wir haben ihn zu demselben Künstler gebracht, der ihn auch geschliffen hat.« Damit zog er das Tuch dramatisch beiseite und offenbarte einen Traum. Der Mann hatte der Nova mit Goldfiligran jede geschliffene Kante überkrustet. Die abgeschliffenen Reste hatte er zu kleineren Steinen verarbeitet, wieder geschliffen und über die Krusten verstreut. Außerdem hatte er einen massiven Goldreif im Winkel von 90 Grad an ein Ende einer Zacke angesetzt. Das Ganze verschlug einem den Atem.

224 Sonny lächelte schief. »Die Entschädigung von ConAm ist für diese Arbeit zu einem happigen Teil draufgegangen, und das waren immerhin Millionen.« Mühsam atmend hob Schnitter das unschätzbar teure Schmuckstück von dem roten Kissen und hielt es gegen das Licht. Das prasselnde Feuer brach sich in den unzähligen Schleifstellen und überzog den Diamanten mit einem regenbogenfarbenen Schleier, als ob der Stein von innen heraus leuchten würde. »Wofür ist der goldene Ring?«, fragte er, als er endlich wieder ein Wort herauskriegte. Sonny seufzte. »Also manchmal stellst du schon dämliche Fragen.« Schnitters Blick irrte zu Leetah ab, die den Stein mit aufgerissenen Augen verschlang. Schnitter fiel der Groschen. Der Ring war in zwei Hälften geteilt, die aneinander lagen. Er zog den Ring auf einer Seite auf, hob ihn über Leetahs Kopf und schloss den Ring um ihr Stirnband, das ihr feuerrotes Haar zurückhielt. Die Nova ragte hinter ihrem Kopf um zwanzig Zentimeter hervor und leuchtete im Widerschein des Feuers wie ein neuer Stern über der Wüste. Sie griff hoch und ertastete die Formen. »Das ist … wunderschön.« Sonny sagte etwas, womit wir merkten, dass wir gar nicht gewusst hatten, was dieser raue, stahlharte Polizist für einen weichen Kern hatte. »Mir fiel einfach kein besserer Verwendungszweck für den Stein ein. Ich finde, er gehört nirgendwo anders hin.« Leetah bedankte sich auf eine sehr spezielle Weise. Sie rutschte zu ihm hinüber, legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn auf den Mund. Er gab einen erstickten Laut von sich, und es war deutlich zu sehen, dass er sich krampfhaft überlegte, ob er sich wehren sollte oder nicht. Schnitter lachte. »Hey, Sonny! Lass mir was übrig.« Leetah machte der Aktion ein Ende, und Sonny versuchte sich zu orientieren. Ich deutete in eine Richtung. »Dort ist Norden«, erklärte ich ihm. »Was du nicht sagst«, knurrte er. Leetah kicherte los.

*

Eine Weile später stand ich auf und blickte ins Feuer. Die anderen feierten weiter, aber ich konnte irgendwie nicht mitmachen. Ich versuchte herauszufinden, warum ich mich irgendwie nicht wohl fühlte. Alle freuten sich, Leetah lachte fröhlich, und endlich war auch von Sonny so etwas Ähnliches zu hören. Ich ging zu Markus hinüber. »Darf ich dich was fragen?« »Schon passiert.« »Fühlst du dich wohl?« Er blickte mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an und runzelte die Stirn. »Nein«, sagte er. Ich blickte mich um. Was stimmte denn nicht? Ich versuchte es mit der Macht. Unsicht- bare Kraftkonzentrationen wallen durch das ganze Universum, und es verändert Schicksale. Meine Gedanken schweiften in die Zukunft ab. Dunkle Wolken ballten sich am Horizont über Abode. Ich schüttelte den Kopf und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Ich fror plötzlich.

225 Schnitter und Leetah küssten sich. Er flüsterte ihr ins Ohr:»Sag mal … wollen wir nicht hier weg?« Sie lächelte. »Willst du mich verführen?« »Großartige Idee.« Gemeinsam verschwanden sie im Dunkel. Sorgenvoll blickte ich ihnen hinterher.

*

Freut euch eures langen Lebens, ihr Elfen. Vielleicht werdet Ihr nicht mehr viel Gelegenheit dazu haben. Für einmal werden es nicht wir sein, die euch aus dem Gleichgewicht werfen. Eure eigene uralte, tragische Vergangenheit wird euch einholen.

(19. Mai 1987)

226 (30. Juli 2003) Original: Ivo Cassani Ausdrucke: Markus Christen, Jürg Christen, Urs Krättli, Hervé Loosli Inhalt: 228 Seiten A4 Text: 614’050 Bytes Titelbild-Design: Ivo Cassani (Joe Tucciarone, Tina Turner, Dennis Caswell, Schweizer Luftwaffe, Universal TV)

Quellen: Diamanten-Drama - Mischa & Connie (Fix & Foxi von Rolf Kauka) - Star Wars (George Lucas) - Buckaroo Banzaî (Earl MacRauch)

Concours Galaxovision de la Chanson - Star Wars (George Lucas/Brian Daley) - Elfquest (Wendy & Richard Pini) - Mein spezieller Dank an Tina und David - Cry Wulf (A-ha)

Impossible Chaos - Impossible Mission (Dennis Caswell) - Kampfstern Galactica (Glen Larson) - Aliens (James Cameron, David Giler, Walter Hill) - D.A.R.Y.L. (John Heymann, Burtt Harris)

Grauzone - Star Wars (George Lucas) - Kampfstern Galactica (Glen Larson) - Klauen wir gleich die ganze Bank (Donald E. Westlake) - Thunderbolt & Lightfoot (Michael Cimino) - Modesty Blaise (Peter O’Donnell) - Hackers Traum (Werner Möllenkamp) - Yoko Tsuno (Roger Leloup) - Schweizer Militär (?)

Sterben ist nicht nur menschlich - Elfquest (Wendy & Richard Pini) - Miami Vice (Anthony Yerkovich) - Alien (Dan O’Bannon/Ronald Shusett) - Das schwarze Loch (Ron Miller/Gary Nelson) - Ein respektvolles Dankeschön an Königin Sirikit

Bilder: Lucasfilm, Marvel, Tina Turner, David Bowie, Warp Graphics, Kagri, Twentieth Century Fox Film Corporation, Paramount Pictures, Dennis Caswell, Jim Holdaway, Schweizer Luftwaffe, Universal Pictures, Roger Leloup, Steve Parady, Universal TV, US Air Force, PhotoVault, Suchoj, Walt Disney

227 Links: www.starwars.com www.banzai-institute.com www.elfquest.com www.a-ha.com www.alien-movies.com come.to/yokotsuno/ www.fliegerstaffel10.ch

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