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Kultur

es falsch, die Adaptionen schlicht als an- die unterschätzten Eigenarten ihres Cha- KINO gestaubte Salon-Romanzen abzutun. Denn rakters offenbaren. Gerade 20 Jahre alt, ist die romantischen Augenblicke sind das sie auf dem besten Weg, eine alte Jungfer zu Geld oder Leben letzte, worauf die Filmemacher in ihrer werden. Ihr Vater, ein angesehener Arzt, neuen Lesart der Vorlagen hinauswollen. zeigt sich enttäuscht von dem ungeschick- „Washington Square“ steht in Vielmehr wird James als Lieferant von ten, wenig geistreichen Nachwuchs. Den- Frauengeschichten entdeckt, die zwar von noch hat sie durch sein Testament viel Geld einer Reihe bemerkenswerter Hen- Emanzipation und dem Weg zu weiblicher zu erwarten: 30000 Dollar pro Jahr. ry-James-Verfilmungen. Warum Selbstachtung handeln – dies aber nicht Aber nur ein einziger Mann wirbt um erlebt der US-Klassiker eine solche um den Preis psychologischer und morali- die Mauerblume, der ausnehmend attrak- Leinwand-Renaissance? scher Einfalt. Im Gegenteil: Jeder James- tive, narzißtische Nichtstuer Townsend sche Roman webt ein meisterhaftes Ge- (), der im Grunde nur eines ennifer Jason Leigh hätte die Haupt- flecht aus Beziehungen, Motiven, Eigen- will: Catherines Erbe. Ihr Vater (Albert Fin- rolle fast nicht bekommen: Nach all schaften und Erfahrungen, in dem sich alle ney) wehrt sich deshalb von Anfang an ge- Jden Huren, Junkies,Alkoholikerinnen, Charaktere verheddern. Bei James, der mit gen die Verbindung. Er ahnt den Mitgiftjä- Inzestopfern und Psychopathinnen, die sie sarkastischem und moralischem Impuls zu- ger. Er hat recht – und doch setzt er sich ins in ihrer Karriere dargestellt hat, konnte gleich schrieb, ist jede Figur schillernd, jede Unrecht: eine typisch Jamessche Volte. sich die Regisseurin von „Washington Tat vielfach motiviert. Sein Urteil erwächst aus Herzenskälte, aus Square“ nicht recht vorstellen, daß Leigh Auch die Psyche seiner jungen Damen Verachtung (und Fehleinschätzung) seiner ins Korsett einer jungen Dame aus den be- leuchtet er so subtil und präzise aus, daß ih- Tochter und aus einer Ratio, die nur die sten New Yorker Kreisen anno 1850 paßt. nen ihre Abstammung aus dem späten 19. Umstände des Werbens versteht, nicht aber Noch dazu einer Dame, die vom Autor der Jahrhundert kaum anzumerken ist, und das Sehnen Catherines. Sie will geheiratet Romanvorlage als zwar „ausnehmend und selbst ihre Sorgen wirken erschreckend werden von dem Mann, den sie liebt – egal, unbeirrbar gut“, aber auch als „Aller- frisch: die Kommerzialisierung menschli- ob er ihre Leidenschaft erwidert. weltskind“ geschildert wird: träge, ver- cher Beziehungen, die Frage, ob Geld oder Als Catherine einsieht, daß der Vater, huscht, verschüchtert und mausgrau. Leben – das kennen Frauen auch an diesem den sie stets verehrt hat, sie für dumm Dabei gefiel der Extrem-Darstellerin Fin de siècle. Beim „Allerweltskind“ Ca- und wertlos hält und daß ihr Geliebter Leigh, 36, gerade die Schüchternheit, „die therine Sloper dauert es einige Zeit, bis sich nur ihr Erbe will, entscheidet sie sich viel dichter an meinem eigenen bei James als innerlich gereif- Charakter dran ist als alle meine te, passiv-aggressive Rebellin anderen Rollen“. gegen beide. Ohne Liebe fristet Es sind in erster Linie Dar- sie ihre Tage im geerbten Haus. stellerinnen und Regisseurinnen, Der Film hingegen schreibt ihr die derzeit den amerikanischen eine Selbstverwirklichung zu, Klassiker (1843 bis die klar sein Entstehungsda- 1916) auf der Leinwand wieder tum verrät: Die verlassene, ver- zum Leben erwecken – weil sie schmähte Catherine richtet ei- in seinen Geschichten eine er- nen Privatkindergarten ein, in staunliche Aktualität entdecken dem sie Freude und Bestärkung oder weil sie sich, wie Leigh, mit findet. seinen Frauenfiguren identifi- Die aus Polen stammende zieren. Drei von James’ Roma- („Hitlerjun- nen sind innerhalb weniger Jah- ge Salomon“), 49, ist eine ge- re neu verfilmt worden: „Wa- wissenhafte, fast pedantische Fil- shington Square“ von Agniesz- memacherin, weit entfernt von ka Holland startet gerade in den lyrischen Extravaganzen, die Deutschland; „Wings of the sich mit dem Dove“, der seine Hauptdarstel- „Portrait of a Lady“ erlaubt hat- lerin in te. In diesem Fall erweist sich das die Oscar-Auswahl katapultier- als Vorzug, denn Holland zieht te, wird in einigen Monaten fol- die Zuschauer beharrlich in gen; und „Portrait of a Lady“ das Beziehungschaos von Vater, von Jane Campion war 1997 zu Tochter und Verehrer hinein, bis bewundern. die Zuschauer selbst kaum noch Dreimal geht es um junge, un- einen Ausweg sehen aus den erfahrene Erbinnen, die von engen, dunklen, viktorianisch geldgierigen Gewinnlern im überladenen Räumen am Wa- Krieg der Geschlechter umgarnt shington Square. werden. Dreimal schickt James Außerdem hat Holland mit seine verwundbaren Heldinnen Jennifer Jason Leigh (die den durch eine Feuertaufe von Ver- Part schließlich doch bekam) suchung, Ekstase, Enttäuschung, eine Darstellerin gefunden, die Schmerz und Verrat – und drei- Catherine nur zu gut versteht – mal lernen sie dadurch ihren ei- und die ganz genau weiß, warum genen Charakter kennen, Stär- diese stille junge Frau im Kor- ken wie Schwächen. sett das Recht hat, so bitter und Es ist auffällig, daß gerade die- so verzweifelt zu sein wie alle

se Henry-James-Romane derzeit PROKINO PLUS Huren und Junkies von Hol- en vogue sind, und deshalb wäre „Washington Square“-Stars Chaplin, Leigh: Betrogene Erbin lywood. Susanne Weingarten

220 der spiegel 15/1998