Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2007

Best of British

Sir

Sir Colin Davis – das ist ein Synonym für „Best of British“ im Bereich der klassischen Musik. Mit dem London Symphony Orchestra kehrt der Maestro im Februar wieder in den Musikverein zurück. Im Herbst feiert er seinen 80. Geburtstag. Youthful und gentlemanlike.

„Die Briten haben eine irritierende Einstellung gegenüber heimischem Talent. Zuerst wird der Betreffende in den Himmel gehoben, dann gnadenlos niedergemacht, und wer das übersteht, wird schließlich als Großer Alter Mann, als nationales Monument gefeiert.“ Was Richard Morrison, Musikkritiker des britischen Großformats „The Times“ und ehemaliger Orchestermusiker so treffend auf den Punkt bringt (nur für das Inselreich?), gilt für Sir Colin Davis auf geradezu exemplarische Weise. Der Maestro, als Persönlichkeit Musterbeispiel des diskreten, hochgebildeten English Gentleman hat ein Künstlerleben voll extremer Höhen und Tiefen hinter sich. Im Herbst dieses Jahres wird Sir Colin achtzig.

Das London Symphony Orchestra (LSO), dessen Chefdirigent er seit 1995 war, bevor er zu Beginn dieses Jahres den Baton an Valery Gergiev weiterreichte, hat ihn vor kurzem zum Präsidenten gekürt: eine nicht oft vergebene Ehren- und Liebesbezeugung, blickt man auf große Namen wie Sir , Karl Böhm oder zurück. Und weil er in voller Aktion noch immer jugendlichen Enthusiasmus ausstrahlt, bleibt er in London, aber auch in New York, Paris, Dresden und Tokio begehrt wie eh und je.„Präsident des LSO zu werden bedeutet normalerweise, auf einem hohen Thron zu sitzen“, schmunzelt der Maestro, „denn der Präsident hat gewöhnlich nichts mehr zu tun. Aber mich haben sie eingeladen herunterzukommen und weiterhin viele Konzerte zu dirigieren.“

Karrierestart in Chelsea Rückblende: Als Klarinettist begann Colin Davis seine musikalische Laufbahn. Neben den Kindheitsidolen Wagner und Beethoven wurde bald Mozart sein Lieblingskomponist. „Die ersten bedeutenden Stücke, die ich spielte, waren das Klarinettentrio (KV 498) und das Quintett (KV 581).“ Mozart stand auch am Beginn seiner Dirigentenlaufbahn, als er sich bei der Chelsea Opera Group erste Sporen verdiente, vor allem mit „Don Giovanni“.

Der entscheidende Karrieresprung kam 1959: , der in der Londoner Royal Festival Hall einen konzertanten „Don Giovanni“ dirigieren sollte, erkrankte plötzlich. Walter

1 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2007

Legge, Londons allmächtiger Impresario, brauchte schnell einen Einspringer und schnappte sich Davis. „Ich war zwar ein Neuling, aber ich konnte den ,Don Giovanni‘. Natürlich fürchtete ich mich schrecklich vor den berühmten Namen. Es waren ja nicht nur die Schwarzkopf, sondern auch Eberhard Waechter, , Gottlob Frick! Die haben mich ziemlich verächtlich angeschaut. Sie waren indigniert: Was soll dieser junge Heißsporn hier! Aber Walter Legge liebte das Risiko. Es ging dann alles sehr gut, aber sie haben sich trotzdem geärgert. Komisch, was?“

Stürmische Zeiten, harmonische Jahre Publikum und Presse jubelten jedenfalls, und Davis war sofort eine gefragte Adresse in Konzert und Oper, letzteres vorerst bei der Sadler’s Wells (der heutigen English National Opera). Auch das LSO fragte bald an, zumal er bereits einen Schallplattenvertrag in der Tasche hatte. Als bei diesem Orchester 1965 die Position eines Chefdirigenten neu zu besetzen war, rechneten viele mit einer Einladung an Colin Davis. Dem war aber nicht so. In den folgenden Jahren, gekennzeichnet durch eine berufliche und persönliche Krise, stand er trotzdem im mitunter gnadenlosen Rampenlicht, als Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra mit dem allsommerlichen Ritual der Proms-Konzerte. Danach Covent Garden: Vierzehn keineswegs sturmfreie Jahre lang hielt es ihn dort auf dem heißen Sessel des Musikdirektors.

Als das LSO nach dem Abgang von als Chefdirigent bei Sir Colin Davis mit einer entsprechenden Einladung anklopfte, „war ich sehr überrascht. Ich hatte das nicht erwartet. Ich habe schließlich meinen Stolz überwunden und angenommen, aber unter einer Bedingung: keinerlei Macht, einzig allein Beschäftigung mit Musik! Jetzt waren wir elf Jahre beisammen, die früheren Differenzen sind völlig verschwunden. Es hat in all diesen Jahren keinen einzigen Mißton gegeben. Nicht schlecht, oder?“

Rosen für das LSO Und Sir Colin streut diesem Klangkörper Rosen auf seine Art: „Es ist ein hervorragendes Orchester, besonders die Streicher haben sich gewaltig verbessert, sind voller und weicher geworden. Ich will den Wienern ja nichts vorhalten, aber als man seinerzeit begann, Frauen ins LSO aufzunehmen, hat das sehr zur Verbesserung beigetragen. Jetzt besteht hier eine sehr gute Mischung zwischen Männlich und Weiblich. Die Damen spielen so phantastisch, sie sind so flexibel, so engagiert. Dazu kommt ihr zivilisierender Einfluß auf die männlichen Kollegen. Das hat das Orchester wirklich gebraucht. Die Disziplin hat sich verbessert, das Orchester ist immer virtuoser und damit auch selbstsicherer geworden. Das LSO gilt heute als ein Orchester, mit dem sich besonders leicht arbeiten läßt.“

2 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2007

Der Gott der Musik und ein fantastischer Komponist Obwohl Sir Colin ein umfangreiches Repertoire von Bach bis zu zeitgenössischen britischen Komponisten abdeckt, gibt es darin einige Gravitationspunkte. Da ist einmal, wie schon erwähnt, Mozart, für ihn „immer noch der Gott der Musik“. Wie steht er, ist man geneigt zu fragen, zum abgelaufenen Mozartjahr? „Bei mir hat sich deswegen überhaupt nichts geändert. Ich habe mich nicht exponiert, ein oder zwei Konzerte, eine Oper. Aber was ich so rundherum mitbekommen habe, war einfach zu viel und manchmal auch sehr ärgerlich. Doch Ähnliches haben sie ja auch in Prag mit Dvo®ák gemacht.“

Seit den Anfängen seiner Dirigentenkarriere setzt er sich voll Leidenschaft auch für das Œuvre von Hector Berlioz ein, weswegen er in Frankreich stets offene Arme fand, wenn ihn seine eigenen Landsleute wieder einmal vergraulten. Wie es dazu kam? „Auf einem Sommerkurs hörte ich erstmals den zweiten Teil von ‚L’enfance du Christ‘. Ein wunderschönes Stück! Ich hatte noch nie derartige Melodien gehört und war sofort von Berlioz gefangen. Alles fasziniert mich an ihm, seine Ideen, seine Phantasie, seine Orchestrierung. Denken Sie nur an seine ,Sinfonie Fantastique‘: Er schrieb sie, als Beethoven erst drei Jahre tot war. Berlioz’ Zeitgenossen waren Mendelssohn, Schubert, Brahms. Für mich ist er jedenfalls der originärste Komponist des 19. Jahrhunderts, abgesehen von Beethoven natürlich. Kein Wunder, daß man ihn nicht so mochte.“

Der letzte Romantiker Ob das vielleicht mit einer romantischen Ader im Musiker und Menschen Colin Davis zu tun hat? „Ein Mitglied der Staatskapelle Dresden sagte einmal zu mir: Wissen Sie, Sie sind der letzte Romantiker! – Doch schön, nicht wahr?“ Aber, schränkt der Maestro ein, „mit der Spätromantik habe ich Probleme. Zemlinsky, Schreker, das ist so eine Art Zwielicht. Ich finde da keinen Zugang. Auch mit manchen Spätwerken von kann ich nichts anfangen. Mögen Sie etwa die ‚Ägyptische Helena‘?“

Für die drei Konzerte in Wien hat Sir Colin neben Mozart je einen großen Symphoniker des 19. Jahrhunderts ins Programm genommen, „einfach, weil das alles Meisterwerke sind. Tschaikowskij habe ich zwar kaum dirigiert, aber die Vierte Symphonie, vor allem der erste Satz, ist für mich das beste, was er geschrieben hat: soviel Spannung, Leidenschaft, etwas Wildes! Sibelius liebe ich sehr, er spricht mit einer ganz eigenen Stimme. Und Dvo®ák, well, das ist doch Ihr Nachbar!“

3 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2007

Happy Birthday mit Mozart In die Zukunft, auch was die klassische Musik betrifft, blickt der Maestro mit Optimismus. „Was England betrifft stimmt es natürlich, daß die Musikausbildung in den Schulen nicht mehr das ist, was sie war. Andererseits aber ist das Niveau der jungen Musiker sehr hoch, höher als früher. Schauen Sie nur auf diese phantastischen Jugendorchester! Überall in Europa, die sind unglaublich gut! Interessant ist auch die große Zahl derer, die heute dirigieren wollen, ein Beweis für das Interesse an Klassik.“ Daher lobt er Aktivitäten wie beispielsweise die des LSO, das nebenbei ein aufwendiges Musikerziehungsprogramm für alle, praktisch ab dem Säuglingsalter, betreibt.

Nach den Wiener Konzerten stehen in Sir Colins Terminkalender keine weiteren künftigen Auftritte hier und auch nicht in Salzburg. „Es ist sehr unwahrscheinlich“, kommentiert er knapp. Ansonsten aber tritt er um seinen Achtziger herum kein bißchen leise: Konzerte mit dem LSO, „Così fan tutte“ und „Hänsel und Gretel“ in Covent Garden, Einladungen nach Dresden, New York, Paris und Japan. Als eine Art Geburtstagsfeier empfindet er seine Herbsttermine mit den New Yorker Philharmonikern, wenn und für ihn Mozarts Doppelkonzert und abwechselnd auch die Solokonzerte spielen werden. Ein schöneres Geschenk kann sich Sir Colin nicht vorstellen.

Edith Jachimowicz Dr. Edith Jachimowicz lebt als Musikpublizistin in Salzburg und Moskau, wo sie auch als Regieassistentin tätig ist.

4 / 4

Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)