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Kontext, Arbeit und Funktionen nationaler muslimischer Interessenorganisationen in den USA

Von der Philosophischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie genehmigte Dissertation

vorgelegt von

Mounir Azzaoui

Berichter: Universitätsprofessor Prof. Dr. Emanuel Richter

Universitätsprofessor Prof. Dr. Ralph Rotte

Tag der mündlichen Prüfung: 5. Januar 2016

Diese Dissertation ist auf den Internetseiten der Universitätsbibliothek online verfügbar.

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Gewidmet meinen Eltern

Rachida Arafiai

und

Abdelouahab Azzaoui

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Inhalt 5

INHALT

Inhalt ...... 5

Abkürzungsverzeichnis ...... 7

1. Einleitung ...... 9

2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode ...... 23

2.1 Forschungsstand ...... 23 2.2 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung ...... 29 2.3 Methoden ...... 40 Teil I Kontext ...... 50

3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA ...... 50

3.1 Afroamerikanische Muslime 1500 – 1900 ...... 50 3.2 Der Afroamerikanische Islam des 20. Jahrhunderts ...... 55 3.3 Muslimische Immigranten ab 1875 ...... 59 3.4 Eingewanderte und Afroamerikanische Muslime ...... 68 4. Politische Sozialisation ...... 71

4.1 Afroamerikanische Muslime und Politik ...... 71 4.2 Muslimische Immigranten und Politik...... 77 4.2.1 Der Weg zur Öffnung für politische Partizipation ...... 78 4.2.2 Diskriminierung...... 83 4.2.3 Freiheitserfahrungen und Bildungsinstitutionen ...... 87 4.2.4 Muslimische Intellektuelle ...... 89 4.2.5 Politische und gesellschaftliche Anerkennung ...... 93 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen ...... 96

5.1 Kongregationalismus und politische Partizipation ...... 96 5.2 Trennungssystem und Religionsfreiheit ...... 99 5.3 Politische Inkorporation von Minderheiten ...... 104 5.4 Pluralistisches Interessenorganisationssystem ...... 107 6. Zwischenfazit ...... 111

Teil II Arbeit...... 120

7. Council on American Islamic Relations ...... 120 7.1 Gründunsgeschichte Ziele und Aufbau ...... 120 7.2 Strategien und Adressaten ...... 130 8. Muslim Public Affairs Council ...... 150 6

8.1 Gründungsgeschichte, Ziele und Aufbau ...... 150 8.2 Strategien und Adressaten ...... 162 9. Islamic Society of North America ...... 179 9.1 Gründungsgeschichte, Ziele und Aufbau ...... 179 9.2 Strategien und Adressaten ...... 192 10. Zwischenfazit ...... 209 Teil III. Funktionen ...... 216

11. Repräsentation ...... 216 11.1 Interessenartikulation ...... 218 11.2 Facetten der Repräsentationsleistung ...... 227 11.3 Erfolg und Einflussfaktoren ...... 233 12. Partizipation...... 238 12.1 Gesellschaftlich-politisches Bewusstsein ...... 239 12.2 Politische Bildung und Nachwuchsförderung ...... 245 12.3 Die Präsidentschaftswahlen 2008 ...... 255 13. Integration ...... 270 13.1 Amerikanisch-muslimische Identität ...... 271 13.2 Demokratie und Menschenrechtsverständnis ...... 275 13.3 Patriotismus und amerikanische Zivilreligion ...... 281 14. Resümee und Ausblick ...... 295

15. Liste der Interviewpartner...... 312

16. Literaturverzeichnis ...... 322

Abkürzungsverzeichnis 7

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AAM Afroamerikanische(r) Muslim(e)

ACLU American Civil Liberties Union

ADAMS All Dulles Area Muslim Society

AIPAC American Israel Public Affairs Committee

AMT American Muslim Taskforce

AMA American Muslim Alliance

CAIR Council on American Islamic Relations

CMSA Congressional Muslim Staffers Association

DHS Department of Homeland Security

DOJ Department of Justice

FBI Federal Bureau of Investigation

ISNA Islamic Society of North America

MAS Muslim American Society

MASFF Muslim American Society – Freedom Foundation

MPAC Muslim Public Affairs Council

MPSN Muslim Public Service Network

MSA Muslim Student Association

NMI Nationale Muslimische Interessenorganisationen

NOI Nation of Islam

UCC Unindicted Co-Conspirators

IIIT International Institute of Islamic Thought

Abkürzungsverzeichnis 8

1. Einleitung 9

1. EINLEITUNG

Die Diskussion über den Islam und die Muslime wird seit etwa fünfzehn Jahren in den europäischen Gesellschaften besonders intensiv geführt. Während sich in den Jahrzehnten zuvor die Diskussion auf die ethnische Zugehörigkeit und die soziale und kulturelle Integration von Migranten konzentrierten, ist die Debatte in den letzten Jahren dadurch geprägt, dass Menschen aus muslimisch geprägten Ländern zunehmend mit Blick auf ihre Religionszugehörigkeit eingegrenzt werden und die politische und zivilgesellschaftliche Integration von Muslimen ins Zentrum der Debatte gerückt sind. So gibt es in allen europäischen Ländern Diskussionen über das Tragen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit, den Bau von repräsentativen Moscheen und Minaretten und das Schächten. (Ferrari, Pastorelli, 2012; Cesari, 2013)

In den vergangen Jahren haben europäische Regierungen auf diese Debatten reagiert, indem Fragen der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in den Mittelpunkt gerückt sind. Es entstanden formalisierte Foren zum Austausch mit Religionsgemeinschaften, wie die 2006 ins Leben gerufene Deutsche Islam Konferenz, oder es wurden gar rechtliche Rahmensetzungen verabschiedet, wie 2015 das sog. „Islamgesetz“ in Österreich. (Laurence 2012; Azzaoui 2010)

In den Debatten zeigen sich zwei zentrale Stränge. Zum einen werden soziale Probleme von Menschen mit einem muslimischen Hintergrund oftmals auf ihre Religion zurückgeführt. Besonders prominent wurde dieser Ansatz im Buch „Deutschland schafft sich ab“ des ehemaligen Bundesbankvorstandsmitglieds Thilo Sarrazin vertreten. So wird in dem Buch argumentiert, dass die autochthonen Deutschen demographisch weniger werden. 1. Einleitung 10

Gleichzeitig führe die hohe Geburtenrate etwa unter Türken dazu, dass das Humankapital sich verschlechtere. Probleme von Muslimen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem seien auf ihre Religion zurückzuführen. Thilo Sarrazin war zwar nicht der erste, aber der auflagenstärkste Vertreter solcher Thesen, welche im medialen und politischen Diskurs durchaus anschlussfähig sind. (Sarrazin 2010, Benz 2012, Gebhardt 2010)

Zum anderen zeigt sich in den Diskussionen, dass die öffentliche, religiöse Praxis von Muslimen dabei oft als Angriff auf die säkulare moderne Lebensweise angesehen wird. Hierbei verschmelzen säkularistisch-antireligiöse Kritik mit ausländerfeindlichen Ressentiments, liberal-feministischer Kritik und die Angst vor Terror im Namen des Islam zu einem antimuslimischen Diskurs. Darin wird ein Bild des Islam gezeichnet, welcher als Religion mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht kompatibel ist. Die öffentliche Ausübung der muslimischen Religion wird als Zeichen grundsätzlicher Fremdheit wahrgenommen und als mangelnde Akzeptanz des demokratischen Rechtsstaates. (Casanova 2009, Bahners 2011)

In der Konsequenz gibt es ein großes Misstrauen gegenüber Muslimen, die sich auf Grundlage ihrer Religion organisieren. Diese verstärken die öffentliche Sichtbarkeit des Islam. In der verbreiteten Logik des Misstrauens betrachtet man sie lediglich als islamistische Tarnorganisationen, denen es allein um den Ausbau von Macht geht, um ihre antidemokratische Gesinnung zur Ausbreitung zu verhelfen. Durch 9/11 hat sich für viele das Bild von Muslimen als Fremde oder gar „Feind im Inneren“ verstärkt, und muslimische Verbände werden dafür zur Projektionsfläche und oftmals misstrauisch beäugt. (Cesari 2013, Schiffauer 2010) 1. Einleitung 11

Hier zeigen sich zwei wesentliche Unterschiede zur Diskussion um Muslime in den USA, die dort auch als religiöse Minderheit leben. Nach 9/11 machten viele von ihnen Erfahrungen von Misstrauen, Diskriminierung oder gar Repression. Auch in den USA gibt es in der breiteren Öffentlichkeit bedeutende antimuslimische Diskurse (Ali et al. 2011). Aber die vorhandenen anti-muslimischen Ressentiments speisen vor allem eine geopolitische, weniger eine innenpolitische Auseinandersetzung. In den Vereinigten Staaten gibt es weder eine breite Wahrnehmung des Islam als Fremdkörper oder gar Gefahr für die Demokratie, noch wird er als Hindernis für die politische und sozioökonomische Integration von Muslimen in die dortige Gesellschaft angesehen. (Casanova 2012, Cesari 2013)

Vor diesem Hintergrund ist eine Untersuchung US-amerikanischer Muslime von besonderem Interesse, um die Integration von Muslimen in westliche, liberal-demokratische Gesellschaften besser zu verstehen.

Von den ca. sieben Millionen Muslimen in den USA sind etwa ein Drittel Afroamerikaner. Etwa zwei Drittel sind Immigranten und deren Nachkommen. Der Großteil von ihnen ist ab den 1960er Jahren vor allem aus arabischen und südasiatischen Ländern zum Studium in die USA eingewandert. US-Muslime verfügen vor dem Hintergrund über einen hohen sozioökonomischen Status im Vergleich zu Muslimen aus Europa, welche zu einem großen Teil zum Zweck der Arbeitsaufnahme in geringqualifizierten Bereichen nach Europa eingewandert sind. Muslime gelten vor dem Hintergrund nicht, wie in Europa, als sozialpolitische Problemfälle. Vor 9/11 haben viele US-Amerikaner den Begriff Muslim spontan mit Arzt assoziiert, weil sie in diesem hochqualifizierten Bereich sehr stark vertreten sind. (Pew Research Center 2011; Gallup 2009; Azzaoui 2009) 1. Einleitung 12

Zudem wird in die USA eingewanderten Muslimen nicht nahegelegt, ihre religiöse Praxis nur unauffällig auszuleben oder in die Privatsphäre zu verbannen, wie dies etwa mit den sog. „Hinterhofmoscheen“ und Kopftuchverboten für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen in Deutschland verbunden ist. Man erwartet in den USA vielmehr von Einwanderern, dass sie ihre Religion beibehalten. In den USA haben zahlreiche Gruppen nicht trotz, sondern aufgrund ihrer religiösen Identität und ihrer religiösen Organisationen einen Platz in der Gesellschaft gefunden. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in den USA die religiösen Gemeinschaften traditionell eine starke Tradition der Selbstregierung haben. Es gab dort historisch keinen Widerspruch zwischen Religiosität und basisdemokratischer Politik. In den USA mussten im Gegensatz zu Europa die etablierten christlichen Institutionen nicht als Hindernisse politischer Freiheit überwunden werden. Diese gewachsenen Unterschiede erklären die besondere Bedeutung von Religionsgemeinschaften als „Schulen der Demokratie“ in den USA. (Taylor 2007; Casanova 2009, Ostendorf 2005)

US-Muslime haben sich in den 1960er bis 1980er Jahren auf den Aufbau einer religiösen Infrastruktur, insbesondere Moscheen, konzentriert. Diese dienten der Verrichtung ihrer religiösen Praxis und Weitergabe der Religion an die nachkommende Generation. In dieser Zeit entstanden auch die ersten Berufsverbände von Muslimen, ab den 1990er Jahren auch die ersten muslimischen Interessenorganisationen. (Nimer 2002b)

Dazu gehören der Council on American Islamic Relations (CAIR), der Muslim Public Affairs Council (MPAC) und die Islamic Society of North America (ISNA), welche jeweils ein spezifisches Profil aufweisen und im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. 1. Einleitung 13

Bisher lag noch keine Arbeit vor, die sich systematisch mit den Zielen und Strategien dieser Interessenorganisationen befasst. In der US-amerikanischen Politikwissenschaft steht bisher vor allem die Arbeit von christlichen und jüdischen Interessenorganisationen im Mittelpunkt. In der Migrationsforschung hat man sich vor allem mit kulturellen und sozioökonomischen Funktionen von Migrantenverbänden befasst. Zudem wird in bisherigen Arbeiten kaum eine Verbindung zwischen Interessenorganisationsforschung, Migrationsforschung und Religionssoziologie hergestellt.

Die Bedeutung religiöser Interessenverbände für den Prozess der politischen Inkorporation neuer religiöser Minderheiten ist bisher eine Lücke. Diese Lücke soll die vorliegende Arbeit schließen, indem Ergebnisse und theoretische Ansätze aus Interessenorganisationsforschung, Migrationsforschung und Religionssoziologie zusammengeführt werden, um die Bedeutung von Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen (NMI) für die politische Inkorporation von US-Muslimen zu analysieren.

Mit der vorliegenden Arbeit wird erstmals im deutschsprachigen Raum eine ausführliche Analyse zum Integrationsprozess von (eingewanderten) US-Muslimen geliefert. Bisherige Arbeiten haben sich vor allem mit Afroamerikanischen Muslimen befasst. (Waldschmidt-Nelson 2015; Wohlrab-Sahr 1999) Ihr Beitrag ist wertvoll, hat jedoch zumindest für die Perspektive der Migrationsforschung nur begrenzt Relevanz, da sie eine „einheimische“ Gruppe untersuchen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden über einen Zeitraum von drei Jahren in Washington mit Hilfe verschiedener qualitativer Methoden (vor allem Experteninterviews, zudem teilnehmende Beobachtung sowie Analyse von Publikationen und Online-Angeboten) Daten erhoben und ausgewertet. 1. Einleitung 14

Die vorliegende Untersuchung arbeitet nicht vergleichend. Sie kann damit nicht direkt die Frage beantworten, wie muslimische Organisationen in Europa mit Blick auf die politische Inkorporation ihrer Bezugsgruppe zu bewerten sind bzw. sich entwickeln könnten. Dazu sind die Kontexte zwischen den USA und den (untereinander wiederum sehr vielfältigen) europäischen Nationalstaaten zu unterschiedlich. Diese Arbeit kann jedoch eine Grundlage für die vergleichende Forschung zu Integrationsprozessen in Deutschland und den USA legen.

Mit Blick auf den Integrationsprozess von Muslimen in Europa ist es von gesellschaftspolitischer Relevanz, ein Verständnis für den Einfluss politisch-institutioneller und kultureller Rahmenbedingungen bei der Integration von religiösen Minderheiten zu erlangen. Notwendig ist weiterhin ein Verständnis für die Einordnung von sozioökonomischen Problemen von Zuwanderergruppen und deren Ursachen. Die Rolle von religiösen Interessenorganisationen und ihr Potential bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und ihr demokratiestützendes Potential zu erforschen ist von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz.

Die These dieser Arbeit lautet, dass die hier untersuchten Interessenorganisationen der Council on American Islamic Relations, der Muslim Public Affairs Council und die Islamic Society of North America die politische Inkorporation von US-Muslimen befördern. Sie tragen in ihrer Gesamtheit zur Repräsentation, Partizipation und Integration der Muslime im politischen System der USA bei. Obwohl muslimische Interessenorganisationen noch relativ neue Akteure in der US-amerikanischen Politik auf Bundesebene sind, ist bereits heute deutlich, dass sie in den USA eine demokratiestützende Wirkung haben. Sie bringen spezifische Interessen von Bürgern in den politischen Prozess ein, die auf der 1. Einleitung 15

nationalen Ebene zuvor nicht artikuliert oder übergangen wurden (Repräsentation). Durch die Arbeit der Verbände werden Bürger – vor allem solche mit Migrationshintergrund – befähigt, kompetent am politischen Prozess teilzunehmen (Partizipation), die Organisationen tragen zu einem Gemeinschaftsgefühl als amerikanische Muslime bei und ihre Identifikation mit dem US- amerikanisch politischen System wird gestärkt (Integration).

Die demokratiestützenden Funktionen dieser muslimischen Interessenorganisationen aufzuzeigen ist nicht nur verbandssoziologisch, sondern schlechthin demokratietheoretisch von besonderer Bedeutung. Sie widersprechen der in Europa nach wie vor weit verbreiteten Auffassung, religiös begründete Interessenorganisationen seien als eine Gefahr für die Demokratie anzusehen. Am Beispiel dieser muslimischen Interessenverbände zeigt sich jedoch, wie es Verbänden gerade aufgrund ihrer religiösen Grundlage gelingen kann, über ethnische Zugehörigkeiten, unterschiedliche Herkünfte und Diskriminierungserfahrungen hinweg Gemeinschaft zu stiften, Bündnisse mit anderen Organisationen zu begründen, Toleranz zu befördern, Gesetzgebung zu informieren und kompetente politische Nachwuchskräfte zu rekrutieren.

In einem ersten Schritt wird zunächst der Forschungsstand zu Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen erörtert. Im Anschluss werden der Untersuchungsgegenstand und die Fragestellungen dieser Arbeit näher beleuchtet. Dann werden die in dieser Arbeit eingesetzten Methoden dargestellt (Kapitel 2).

Die Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert. Zunächst wird der Kontext erörtert (Teil I), dann folgen jeweils Untersuchungen zur Arbeit der drei Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen (Teil II) und im Anschluss werden die Funktionen der 1. Einleitung 16

Organisationen für die politische Inkorporation von US-Muslimen analysiert (Teil III).

Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst historische Rahmendaten zu US-Muslimen und ihren soziodemographischen Merkmalen herausgearbeitet. Zudem wird das Verhältnis zwischen Afroamerikanischen Muslimen und den in die USA eingewanderten Muslime analysiert (Kap. 3).

Es kann gezeigt werden, dass beide Gruppen über sehr unterschiedliche Erfahrungshintergründe verfügen und muslimische Immigranten über einen deutlich höheren soziökonomischen Status als ihre afroamerikanischen Glaubensgeschwister verfügen. Vor dem Hintergrund gibt es Spannungen zwischen beiden Gruppen, welche nach 9/11 jedoch abgenommen haben. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Gruppen kann im Wesentlichen auf zwei Entwicklungen zurückgeführt werden. Zum einen haben muslimische Immigranten ein besseres Verständnis davon erlangt was es heißt, in den USA diskriminiert zu werden, nachdem sie lange Zeit dazu tendierten, Beschwerden von Afroamerikanischen Muslimen über soziale Deprivation und Diskriminierung zu ignorieren. Zum anderen sind muslimische Immigranten verstärkt auf Afroamerikanische Muslime angewiesen, die über große Erfahrungen in der politischen Arbeit verfügen und in der politischen Kultur der USA bewandert sind. So zeigt sich an späterer Stelle, dass Afroamerikanische Muslime vermehrt in Führungspositionen muslimischer Organisationen gelangen, welche von muslimischen Immigranten gegründet wurden.

In Kapitel 4 wird die politische Sozialisierung beider Gruppen herausgearbeitet. Hier zeigt sich, dass Afroamerikanische Muslime lange Zeit von den Denkansätzen der Nation of Islam geprägt waren. Deren Maxime lautete, dass Afroamerikaner sich aus der Politik herauszuhalten hätten. Zwar änderte sich diese Einstellung 1. Einleitung 17

im Verlauf der Zeit deutlich. Dennoch hat die lange Abstinenz Afroamerikanischer Muslime von politischer Partizipation dazu geführt, dass sie bis in die Gegenwart hinein keine religiös geprägte Interessenorganisation in Washington DC etabliert haben. Dieses Kapitel macht verständlich, weshalb sich die Institutionen von muslimischen Immigranten und Afroamerikanischen Muslimen weitgehend unabhängig voneinander entwickelt haben. Diese Frage ist von Bedeutung, um im weiteren Verlauf der Arbeit die Repräsentationsleistung der (von muslimischen Immigranten gegründeten) NMI für die Gesamtheit der US-amerikanischen Muslime angemessen einschätzen zu können.

Auch muslimische Immigranten waren zunächst aufgrund der Prägung aus den Heimatländern – insbesondere durch die islamischen Bewegungen – dem politischen Prozess gegenüber zurückhaltend. Die USA wurden als „unislamisches System“ angesehen und man ging davon aus, bald in die Heimat zurückzukehren („Myth of Return“). Die Sichtweise auf die Vereinigten Staaten und ihr politisches System änderte sich ab den 1980er Jahren jedoch erheblich. In der Folge entstanden die Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen. Ein Schwerpunkt dieses Kapitels liegt darin aufzuzeigen, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass sich muslimische Immigranten schwerpunktmäßig innenpolitischen Fragestellungen zugewendet und verstärkt politisch engagiert haben.

In Kapitel 5 werden die politisch-institutionellen und politisch- kulturellen Rahmenbedingungen der USA in den Blick genommen. Es geht darum, die Voraussetzungen aufzuzeigen, unter denen Muslime ihre Religion in den USA leben und unter denen ihre Organisationen operieren. Dabei zeigt sich, dass die Tradition von Religionsgemeinschaften als selbstorganisierte Gemeinschaften in den USA diesen eine wichtige und anerkannte Rolle als Schulen der 1. Einleitung 18

Demokratie verschafft hat. Neu in die USA eingewanderte Religionsgemeinschaften haben diese Form der Selbstorganisation übernommen und nehmen damit eine wichtige Rolle als Integrationsagenturen für neue Zuwanderer ein. Diese demokratiestützende und integrationspolitische Rolle wird durch die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften in den USA unterstützt. Neue Religionsgemeinschaften müssen in den USA nicht erst eine offizielle staatliche Anerkennung erreichen, wie es in Europa vielfach der Fall ist. Der Abschnitt endet mit einem kurzen Zwischenfazit (Kap. 6).

Im zweiten Teil wird die Arbeit der muslimischen Interessenverbände betrachtet. Dazu werden die drei Organisationen CAIR, MPAC und ISNA zunächst anhand ihrer Gründungsgeschichte, ihrer Ziele und internen Strukturen untersucht. Im Anschluss wird herausgearbeitet, welche Strategien die jeweiligen Organisationen schwerpunktmäßig einsetzen.

CAIR ist eine Civil Rights Organization und wurde im Jahr 1994 in Washington DC gegründet. CAIR verfügt inzwischen über 35 Zweigstellen in verschiedenen Bundesstaaten und Städten des Landes, die weitgehend unabhängig von der Mutterorganisation agieren. Hauptziele der Organisation bestehen darin, die Bürgerrechte von Muslimen zu schützen und zu einer Verbesserung des Islambildes in der Gesellschaft beizutragen. Die Öffentlichkeitsarbeit – konkret: das „Outside Lobbying“ - spielt für die Arbeit von CAIR eine zentrale Rolle, etwa durch die Organisation von groß angelegten Informations- und Protestkampagnen. CAIR verfügt dabei über eine große Mobilisierungskraft, die nicht zuletzt auf einer professionellen Medienarbeit, der großen Reichweite ihres Newsletters und ihrem landesweiten Netz von Zweigstellen basiert (Kap. 7). 1. Einleitung 19

MPAC ist eine Policy Advocacy Organization, die 1986 zunächst als lokale Organisation in Los Angeles gegründet wurde. Im Jahr 2000 hat MPAC ein Büro in Washington DC eröffnet, um nationale Reichweite zu erlangen. MPAC hat seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung von Beziehungen zu staatlichen Stellen gelegt. Durch „Inside Lobbying“ versucht man, Einfluss auf die Entwicklung von Maßnahmen in der Ministerialverwaltung zu nehmen. Neben dem Aufbau von Koalitionen ist die Nachwuchsförderung von jungen Muslimen im politischen und zivilgesellschaftlichen Sektor ein weiteres zentrales Tätigkeitsfeld der Organisation (Kap. 8).

ISNA wurde im Jahr 1981 gegründet und kann als ein Religious Body beschrieben werden. ISNA hat im Jahr 2007 mit seinem Interfaith Office in Washington DC eine Außenstelle zur Pflege der Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften und der Regierung eröffnet. Das Interfaith Office arbeitet vor allem in interreligiösen Koalitionen zu einer breiten Palette von sozialen und außenpolitischen Themen. Eine besondere Kooperation pflegt das Büro mit dem Department of Defense, da es Hauptkooperationspartner des Ministeriums bei der Beschäftigung von muslimischen Seelsorgern für Soldaten ist (Kap. 9). Der zweite Teil dieser Arbeit schließt mit einer kurzen Zusammenfassung (Kap. 10).

Der dritte Teil der Arbeit befasst sich mit der Frage, wie die Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen zur politischen Inkorporation von Muslimen beitragen.

In einem ersten Schritt wird die Repräsentationsfunktion der NMI analysiert. Hier zeigt sich, dass sie eine wichtige Rolle für die Interessenartikulation von US-Muslimen einnehmen. Dies wird insbesondere deutlich beim Thema Diskriminierung sowie außenpolitischen Themen, wie dem Nahostkonflikt. Hier zeigt sich 1. Einleitung 20

auch Kritik, etwa dass diese Arbeit bisher zu unsystematisch abläuft oder aber auch, dass die NMI dazu tendieren, kleine Vorfälle zu skandalisieren. Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass die NMI zwar Afroamerikanische Muslime nicht entlang der für sie wichtigen sozialpolitischen Themen repräsentieren, für diese aber entlang ihrer angestammten Themen eine Repräsentationsleistung erbringen.

Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass die NMI sich bisher zu soziomoralischen Themen kaum äußern. Dabei sind diese Themen für ihre Basis, die in diesen Fragen zu konservativen Sichtweisen tendieren, durchaus von Bedeutung. In diesem Teil der Arbeit wird zudem gezeigt, dass die handelnden Akteure in den NMI und politische Beobachter den Einfluss der NMI für sehr gering halten und diese bisher allenfalls symbolische Erfolge erzielen konnten (Kap. 11).

In einem zweiten Schritt wird gezeigt, wie die NMI auf drei Ebenen zur politischen Partizipation beitragen. Zunächst tragen sie zu einem gesellschaftlich-politischen Verantwortungsbewusstsein unter Muslimen bei. Sie bemühen sich um die Verankerung der Idee, dass in den USA lebende Muslime ein Teil der US-Gesellschaft sind und in der (religiös begründeten) Verantwortung stehen, diese Gesellschaft positiv zu verändern. Zudem zeigte sich, dass „muslimische Interessen“ von den NMI zunehmend breiter definiert werden. Dazu gehört ein zivilgesellschaftliches Engagement für sozial schwache unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit.

Auf einer zweiten Ebene tragen die NMI zur politischen Partizipation bei, indem sie politische Bildung, Nachwuchsförderung und Rekrutierung politischen Personals betreiben. So hat sich gezeigt, dass die NMI junge Muslime dazu motivieren, in den public service einzutreten und auch Mitarbeiter der NMI in staatliche Behörden wechseln. Für die dritte Ebene wird am Beispiel der 1. Einleitung 21

Präsidentschaftswahlen 2008 gezeigt, wie die NMI sich bei der Wählerregistrierung, durch Wahlforen und Wahlaufrufen engagierten. Sie spielten damit eine wichtige unterstützende Rolle dabei, US-Muslime zur Wahrnehmung ihres Wahlrechts zu mobilisieren. Im Rahmen dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass weitere Organisationen wie das Muslim Public Service Network, die Congressional Muslim Staffers Association sowie regionale Moscheezusammenschlüsse und größere Islamische Zentren eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Befähigung zur politischen Partizipation spielen sowie als Plattformen, auf denen sich Politiker präsentieren können (Kap. 12).

Der letzte Teil des Abschnitts Funktionen befasst sich mit der Integrationsfunktion der NMI (Kap. 13). Hier wird gezeigt, dass die NMI auf zwei Ebenen zu einer „American Muslim Identity“ beitragen.

Zum einen befördern sie eine gemeinschaftliche Identität von Muslimen in den USA, die Muslime über ethnische Hintergründe hinweg zusammenführt. Zum anderen tragen sie zur Identifikation von US-Muslimen mit dem amerikanisch-politischen System bei. Hier wird dargelegt, wie sich die NMI zu Demokratie, Menschenrechten und Religionsfreiheit positionieren. Sie begründen ihr Bekenntnis zu diesen Werten aus dem Islam heraus. Die Identifikation mit dem politischen System der USA entspringt wesentlich der amerikanischen Zivilreligion. Die NMI bringen ihre Verbundenheit mit den USA zum Ausdruck, indem sie zur Teilnahme an den zivilreligiösen Feiertagen wie Thanksgiving oder dem Independence Day aufrufen oder indem sie Bezug nehmen auf Dokumente wie die Declaration of Independence.

Mit Blick auf die Herkunftsländer haben Vertreter der NMI ein großes Selbstbewusstsein. So will man nicht nur selbst definieren, wie man den Islam in den USA leben kann (und nicht Gelehrten 1. Einleitung 22

aus dem Ausland diese Aufgabe überlassen), sondern die NMI sehen die Muslime in den USA auch als ein „guiding light“ für Muslime weltweit bei der Frage, wie man ein modernes Islamverständnis entwickeln kann. Damit kann in dieser Arbeit gezeigt werden, dass die NMI das Konzept „city upon a hill“ – aus der US-amerikanischen Zivilreligion – adaptieren, um ihrer eigenen Migrationserfahrung einen höheren Sinn zu geben mit Blick auf die Weltgemeinschaft der Muslime.

Der Patriotismus der NMI ist dabei nicht unumstritten. So wird zum Abschluss dieses Kapitels auf das Spannungsverhältnis eingegangen, indem die NMI agieren müssen, wenn die USA Kriegseinsätze in Ländern mit hohem muslimischem Bevölkerungsteil durchführen, etwa im Irak und in Afghanistan.

Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick gegeben (Kap. 14). Die bisherigen Erfolge der NMI wurden vor allem bei symbolpolitischen, weniger bei substantiellen Themen erreicht. Die Schwierigkeiten der Organisationen gehen vor allem auf ihre noch kurze Geschichte sowie ihre vergleichsweise geringe Ressourcenausstattung zurück. Auch Jahre nach 9/11 wirken noch immer Repressionen und Ausgrenzungskampagnen gegen Muslime und ihre Organisationen.

Dennoch wirken die muslimischen Interessenorganisationen weiter auf eine Stärkung der American Muslim Identity hin. In diesem Zusammenhang gelingt es den NMI, selbstbewusst an die Motive der US-amerikanischen Kultur und Zivilreligion sowie die Diskriminierungserfahrungen früherer religiöser Minderheiten anzuknüpfen.

Über den Gegenstand dieser Arbeit hinausblickend wird schließlich erörtert, wie das Beispiel der US-Muslime und der NMI für die Integration muslimischer Bevölkerungsgruppen in Europa 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 23

aufschlussreich sein kann. Wird die (nicht haltbare) Position verabschiedet, wonach der Islam ein Integrationshindernis und religiös begründete Organisationen problematisch seien, kann die Debatte nüchtern geführt und das Augenmerk auf verstärkte politische Einbeziehung der europäischen Muslime gelegt werden. Im Gegenzug wäre es notwendig, dass auch Muslime in Europa sich stärker auf ihre gesellschaftlichen und politischen Kontexte einlassen, um ihr Potential bei der Mitwirkung am Gemeinwohl zu entfalten.

2. FORSCHUNGSSTAND, FRAGESTELLUNG UND METHODE

2.1 FORSCHUNGSSTAND

In der Politikwissenschaft sind seit den 1980er Jahren eine Flut von Arbeiten zum Verhältnis von Religion und Politik in den USA vorgelegt worden, insbesondere als Reaktion auf das Aufkommen der sogenannten religiösen bzw. christlichen Rechten.1

Der Forschungsstrang Religion und Politik ist dabei nur selten mit der politikwissenschaftlichen Interessenorganisationsforschung in Verbindung gebracht worden. (Djupe, Olson 2007b, S. 254, 279)2

Zudem waren nationale religiöse Interessenorganisationen außerhalb der religiösen Rechten lange Zeit unterbelichtet. Bahnbrechend war vor diesem Hintergrund eine von Allen D. Hertzke vorgelegte Studie, welche nicht nur die konfessionelle und ideologische Bandbreite religiöser Interessenorganisationen in Washington DC in den Blick nahm, sondern sie analytisch in die

1 Einen guten Überblick zum Thema Religion und Politik in den USA und den unterschiedlichen Forschungssträngen geben folgende Veröffentlichungen: Wald,

2 In dieser Arbeit werden „Interessenorganisation“ und „Interessenverband“ synonym verwendet. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 24

klassische Interessenorganisationsforschung einordnete. Dabei kam Hertzke zu dem Ergebnis, dass die religiösen Interessenorganisationen in ihrer Gesamtheit die US-amerikanische Politik repräsentativer machen, da sie nichtelitäre Bürger und wenig beachtete Themen in den politischen Prozess einbringen. Außerdem tragen sie durch ihre politische Arbeit zu einer Anerkennung und Legitimation des demokratischen Systems bei. (Hertzke 1988)

Daniel Hofrenning verglich einem ähnlichen Ansatz folgend die Arbeit von religiösen und säkularen Lobbyisten und fand heraus, dass religiöse Lobbyisten sich bei Auswahl ihrer Strategien von säkularen unterscheiden: Sie bevorzugen sog. Outsider-Strategien - wie z.B. Demonstrationen oder Brief-Kampagnen – und verfolgen eine sehr breite Agenda, was ihre Effektivität begrenzt. Durch Partizipation am politischen Prozess werden sie dabei selbst verändert, indem sie etwa die Formulierung von Zielen in einer säkularen Sprache vornehmen. (Hofrenning 1995)

In gewisser Hinsicht kann die vorliegende Arbeit auf diesen Studien aufbauen. Allerdings lag der Fokus in der US-amerikanischen Politikwissenschaft lange Zeit überwiegend auf christlichen sowie jüdischen Interessenorganisationen und Gruppen. Religiöse Organisationen von Migranten und Minderheiten mit anderen religiösen Zugehörigkeiten wurden lange vernachlässigt. Selbst in Grundlagenwerken der Migrationsforschung sind weder das Thema Religion im Allgemeinen noch religiöse Interessenverbände von Migranten im Besonderen erörtert worden. (Portes, Rumbaut 1996; Hirschmann et al. 1999; Foner et al. 2000; Messina, Lahav 2006)

Auf der anderen Seite hat in der Migrationsforschung die Frage nach der Bedeutung von migrantischen politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen für den Prozess der politischen Inkorporation lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. Man 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 25

hat sich vor allem mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten von Migrationsprozessen befasst. (Waters 2008; Bloemraad 2006; Ramakrishnan, Bloemraad 2008)

Dabei hat bereits in den 1950er Jahren der Soziologe Will Herberg in seinem – noch heute einflussreichen – Werk „Protestant- Catholic-Jew“ auf die Bedeutung von Religion und religiösen Organisationen für die Integration von Migranten in den USA hingewiesen. (Herberg 1960) Trotz der starken religiösen Pluralisierung in den USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Herbergs Ansatz jedoch kaum auf weitere Religionsgemeinschaften angewendet. Gründe für die langanhaltende Vernachlässigung religiöser Organisationen werden zum einen im Einfluss des Säkularisierungsparadigmas auf die Sozialwissenschaften gesehen, zum anderen im Fehlen empirischer Daten. Entsprechendes Datenmaterial ist aufgrund geringer Größe und sprachlicher Besonderheiten der fraglichen Gemeinschaften nicht ohne größeren Aufwand zu erheben. (Leonard 2005)

Die Migrationsforschung hat im Zuge der unübersehbaren Diversifizierung der religiösen Landschaft das Thema inzwischen wieder aufgegriffen. (Warner et al. 1998; Leonard et al. 2005; Portes, DeWind 2007a, 2007b; Hirschmann 2007) Man weiß jedoch nach wie vor wenig über die Bedeutung von Religion und die Rolle religiöser Organisationen für das politische und zivilgesellschaftliche Engagement neuer religiöser Minderheiten, insbesondere auf der nationalen Ebene. (Stepick 2005)

Muslimische Immigranten in den USA sind bisher in der deutschsprachigen Forschungslandschaft nicht in den Blick genommen worden. Bisherige Arbeiten konzentrieren sich auf afroamerikanische Muslime. (Wohlrab-Sahr 1999, Waldschmidt- Nelson 2015) 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 26

Die englischsprachige Literatur wird vor allem durch Arbeiten von Anthropologen, Islamwissenschaftlern und Religionssoziologen geprägt.3 Im Mittelpunkt der Forschung stehen dabei Fragen der historischen Migrationserfahrung von US-Muslimen und den Anfängen der Gemeindebildung (Haddad 1991a; Nyang 1999; Smith 1999), die Geschichte und Entwicklung des afroamerikanischen Islams (Haddad, Smith 1993; Diouf 1998; Curtis IV 2002, Curtis IV 2006; McCloud 1995; Dannin 2002; Jackson 2005) oder etwa der Zusammenhang zwischen theologischen Traditionen, religiöser Identität und politischer Identität (Haddad 2004a; Haddad, Smith 2002; Haddad 2000; Haddad et al. 2006; Jamal et al. 2008; Khan 2002).

Einige Arbeiten befassen sich mit den politischen Einstellungen von Muslimen, ihrem Wahlverhalten, ihren politischen Diskursen sowie ihrer Repräsentation in den Parlamenten (Calfano et al. 2006; Djupe, Green 2007; Sinno 2009; Hertzke 2009a). Weitere Forschungen fokussieren die Bedeutung von Moscheen für die politische Partizipation (Jamal 2004), andere vergleichen die Integration von Muslimen in Europa und den USA (Cesari 2004).

In einer neueren Arbeit wird der Frage nachgegangen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen muslimischen Verbänden in den USA und Europa bestehen. (Kortmann, Rosenow, 2013) Der Vergleich zeigt bemerkenswerte Unterschiede. Während die meisten muslimischen Organisationen in Europa sich um eine staatliche Anerkennung bemühen, um dieselben Rechte wie die christlichen Kirchen zu erlangen, verstehen sich muslimische Verbände in den USA eher als Bürgerrechtsorganisationen. (Love 2013) Insgesamt jedoch bleibt die Erforschung von „American

3 Einen guten Überblick über die verschiedenen Forschungsstränge hat Karen Leonard mit „Muslims in the United States – The State of Research” vorgelegt. (Leonard 2003, S. 101) 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 27

Muslim politics“ (Leonard 2003, S. 101), insbesondere die Bedeutung nationaler muslimischer Interessenorganisationen für die politische Inkorporation der US-Muslime, bislang ein noch wenig bearbeitetes Feld.

Aus der Literatur zu den nationalen muslimischen (Interessen-) Verbänden ergibt sich folgendes Bild: Es besteht weitgehend Konsens darüber, dass die nationalen politischen Organisationen Folge der Migration in die USA ab 1965 sind und vor allem von sog. Immigrant Muslims seit Beginn der 1990er Jahre gegründet wurden. Die weltpolitischen Konstellationen nach Ende des Ost- West Konflikts und zunehmende Diskriminierungserfahrungen gelten dabei als ausschlaggebend für die Gründung politischer Verbände von Muslimen in den USA. (Nimer 2002a, S. 172–174; Nyang 1999)

Nach 9/11 ist unter Muslimen in den USA der „Myth of return“ begraben worden. Dieser Mythos besagte, dass Muslime nur vorübergehend in den USA leben und sich deshalb nicht auf einen dauerhaften Aufenthalt einstellen sollten. Politische und zivilgesellschaftliche Partizipation konnte in dieser Vorstellung keine Priorität haben, da man demzufolge in erster Linie zum Geldverdienen in den USA lebte. Bereits vor 9/11 hatte diese Idee an Bedeutung verloren. Die furchtbaren Ereignisse von 9/11 haben Muslime in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussionen gedrängt und den Abschied vom „Myth of return“ endgültig besiegelt. Die Organisationen haben sich nach 9/11 verstärkt innenpolitischen Themen zugewandt und bekennen sich deutlicher zu den USA und seinen demokratischen Werten. Bündnisse mit anderen Organisationen haben zugenommen, insbesondere gibt es mehr interreligiöse Koalitionen und Kooperationen mit 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 28

Bürgerrechtsorganisationen. (Leonard 2003, S. 23; Haddad 2004a, S. 45)4

Die Repräsentativität der Organisationen für die muslimische Community wird dabei sehr unterschiedlich eingeschätzt, ohne dass die konträren Positionen bisher empirisch hinreichend belegt wurden. Jocelyne Cesari etwa vertritt die Auffassung, dass die Organisationen nicht repräsentativ für alle Strömungen innerhalb der US-Muslime sind:

„These Muslim political and religious associations are not representative, however, of all the currents of American Islam. (…) One continuing division in American Islam is between African American Muslims and immigrant Muslims, (…).”(Cesari 2004, S. 85)

Leonard hingegen unterscheidet drei Typen von Verbänden: African American Muslim Organizations, American Islamic Organizations, American Muslim Political Organizations, wobei sie zu letzteren die – nicht näher belegte – Auffassung vertritt:

„These political organizations advocate the participation of Muslims in American electoral politics and are the most broadly based groups: they draw from not only the first two categories but from the ‘unmosqued’.” (Leonard 2003, 17)

Nach Leonard sind diese Organisationen sehr breit aufgestellt, sie spielen eine wichtige Rolle für die Interessenartikulation (ebd., S. 140) und tragen zudem zu einer Vergemeinschaftung von Muslimen bei, indem sie „Islamic and democratic ideals“ miteinander verbinden. (ebd., S. 132)

Erik Love zeigt in einer Fallstudie zu den muslimischen Interessenverbänden Council on American Islamic Relations (CAIR) und Muslim Public Affairs Council (MPAC), dass diese einen Civil

4 Dem US-amerikanischen Sprachgebrauch entsprechend meint „Koalition“ hier ein Bündnis zwischen zwei oder mehr Verbänden. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 29

Liberties-orientierten Ansatz nutzen, indem sie für Muslime die gleichen Rechte als Teil der amerikanischen Gesellschaft einfordern, sie vermeiden einen Civil-Rights-Ansatz und stellen Muslime nicht als eine „racialized minority“ dar. 5 Love führt dies darauf zurück, dass der Civil Rights-Ansatz mit seiner Tendenz zur Forderung nach Sonderrechten in der politischen Kultur der USA an Unterstützung verloren hat. (Love 2013)

In den bisher aufgeführten Publikationen wird nicht umfassend auf die Arbeit der Verbände eingegangen. Kurze Portraits zu muslimischen Interessenorganisationen sind in Handbüchern erschienen. (Nimer 2002b; Cesari 2007) Daher ist festzustellen, dass eine umfassende systematische empirische Bestandsaufnahme der Arbeit von Nationalen muslimischen Interessenorganisationen und eine Einordnung dieser Verbände in einen politikwissenschaftlichen Kontext bislang noch ausstehen. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen. Dabei ist diese Untersuchung an der Schnittstelle von der Interessenorganisations-, Migrationsforschung und Religionssoziologie angesiedelt. Sie verfährt daher interdisziplinär zwischen Politikwissenschaft und Soziologie.

2.2 UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND FRAGESTELLUNG

In der angloamerikanisch geprägten Politikwissenschaft werden die Begriffe „interest groups“ und „lobbies“ bzw. „lobbying“ synonym

5 Mit „civil liberties“ werden in den USA die Rechte bezeichnet, die Individuen gegenüber dem Staat haben. Sie können ideengeschichtlich auf die Magna Carta (1215), die Verfassung der USA (1787) sowie die Bill of Rights (1791) zurückgeführt werden. „Civil Rights“ als Konzept hingegen sind untrennbar mit den Bürgerrechtsbewegungen verbunden, die durch Aktivismus, Lobbying und Verfassungsbeschwerden Schutzrechte gegen Diskriminierung von Angehörigen bestimmter Gruppen (AfroamerikanerInnen, Frauen usw.) durch den Staat und durch Dritte erstritten haben. (Walker 2011) 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 30

verwendet. (Hofrenning 2001, S. 119) In Deutschland haftet dem Begriff des Lobbying ein negatives Image in Presse und Öffentlichkeit an. Erst in den letzten Jahren hat er sich in der Politikwissenschaft wieder als deskriptive Auszeichnung etabliert. (Kleinfeld et al. 2007, S. 12) Bevor auf den Untersuchungsgegenstand und die Fragestellung näher eingegangen wird, soll hier zunächst dargelegt werden, wie die Begriffe Interessenorganisation und religiöse Interessenorganisation im Rahmen dieser Arbeit verstanden werden.

Die erste Voraussetzung zielt auf das Ziel der Verbandsarbeit ab. Interessensorganisationen wollen mit ihren Aktivitäten auf direktem oder indirektem Wege politische Entscheidungsträger im Sinne ihrer Ziele beeinflussen. Dabei sind für sie in liberalen Demokratien je nach Ziel und Strategie ganz unterschiedliche Mittel einsetzbar:

„When an interest groups attempts to influence policymakers, it can be said to be engaging in lobbying. […] Lobbying can be directed at any branch of government - legislative, judicial, or executive. Interest groups can even try to influence those institutions indirectly by attempting to sway public opinion, which they hope in turn will influence government. Lobbying also encompasses many tactics including initiating a lawsuit, starting a letter-writing campaign, filing a formal comment on a proposed regulation, talking face-to-face with a member of Congress or a bureaucrat. Just any legal means used to try to influence government can be called lobbying." (Berry, Wilcox 2007, S. 6)

Im Hinblick auf diese Orientierung und die möglichen Mittel unterscheiden sich religiös basierte Organisationen nicht grundsätzlich von anderen Lobby-Verbänden:

„It is a political activity that religious groups can choose, even if they choose not to lobby government directly, religious interest groups can still engage in other forms of political behavior. They can seek to 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 31

influence the political views of their members, or they can form political committees that provide volunteers to work in election campaigns.” (Hofrenning, 2001, S. 119)

Interessenverbände sind nach diesem Verständnis immer Lobby- Organisationen, auch wenn sie diesen Begriff in der Regel als Selbstbezeichnung ablehnen. In den USA werden ganz selbstverständlich auch religiöse Akteure unter der Formulierung der „religious interest groups“ und „religious lobby groups“ bezeichnet. (Hertzke 1988, S. 7) Folgerichtig definiert Daniel Hofrenning nationale religiöse Interessenorganisationen als

„[…] religious organizations whose primary purpose is to lobby national government and influence national public policies. This definition means that the groups and institutions must show a belief in a power that transcends this world and have a goal of influencing national public policies as their primary purpose.” (Hofrenning 1995, S. 22)

Diese Definition religiös begründeter Interessenverbände wird hier angewendet. Die fraglichen Organisationen haben also einerseits einen Transzendenzbezug, der ihre politische Identität begründet und ihre Ziele kennzeichnet, und andererseits versuchen sie auf der nationalen Ebene konkrete politische Entscheidungen und Prozesse zu beeinflussen.

Ausgehend von diesem Verständnis religiöser Interessenorganisationen werden im Rahmen dieser Arbeit weitere Eingrenzungen des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen.

Die Organisation sollte eine eigene Mitgliedschaft aufweisen (Mitgliederverband), sich primär mit innenpolitischen Themen befassen und zudem über ein Büro im Großraum Washington DC verfügen. Der Fokus auf den Großraum Washington DC ergab sich aus forschungsökonomischen Gründen und ist sachlich angemessen, da sich in und um die Hauptstadt die meisten 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 32

nationalen (religiösen) Interessenverbände angesiedelt haben. (Hertzke 1988; Hofrenning 1995)

Die Fokussierung auf Mitgliederorganisationen und auf Verbände, die sich primär mit innenpolitischen Themen befassen ergab sich aus der Fragestellung, die dem Einfluss von muslimischen Interessenorganisationen auf die politische Inkorporation von Muslimen in den USA nachgeht. 6 Hierbei wurde davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Organisationen mit einem außenpolitischen Fokus für die (noch näher zu definierenden) Funktionen von Partizipation und Integration gering zu veranschlagen ist. Beide Funktionen setzen eine Auseinandersetzung mit den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen in dem Land voraus, in dem die Akteure ihren faktischen Lebensmittelpunkt haben.

Nach Aufstellung einer Liste mit allen im Großraum Washington DC angesiedelten muslimischen Verbände wurden folgende Organisationen identifiziert, die diese Kriterien erfüllen: Council on

6 Durch die hier vorgenommene Eingrenzung werden eine Reihe von Organisationen aus dem Großraum Washington DC als unmittelbarer Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen: A) Nationale Interessenorganisationen außerhalb von Washington DC (American Muslim Alliance), Koalitionen (American Muslim Taskforce); B) Regionale Interessenorganisationen (Coordination Council of Muslim Organizations of the Washington Metropolitan Area); C) Ethnisch basierte Interessenorganisationen (Arab-American Institute, Arab American Antidscrimination Comittee, Pakistani American Leadership Center); D) Auf Außenpolitik fokussierte Organisationen (Center for the Study of Islam and Democracy, American Islamic Congress); E) Think Tanks, Forschungs- und Bildungseinrichtungen (International Institute of Islamic Thought; Islamic Information Center, Minaret of Freedom Insitute). Diese Organisationen bzw. die Mitarbeiter waren jedoch mit Blick auf ihre Expertise für die Arbeit von Bedeutung und so wurden eine Reihe von ihnen im Rahmen der Experteninterviews befragt, etwa zu Kooperationen mit den NMIs, einer Bewertung ihrer Arbeit oder auch allgemein zum politischen Kontext, in dem muslimische Organisationen in der Hauptstadt agieren. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 33

American Islamic Relations (CAIR), Muslim Public Affairs Council (MPAC), Islamic Society of North America (ISNA).7

CAIR, MPAC und ISNA verfügen alle jeweils über ein Büro in Washington DC, jedoch auch über Strukturen außerhalb der Hauptstadt. So gibt es etwa neben dem CAIR-National Office in Washington DC zugleich 35 Untergliederungen (Chapters) der Organisation in den Bundesstaaten und in Großstädten, die jedoch weitgehend selbstständig agieren. MPAC hat seinen Hauptsitz in Los Angeles und ist in Washington mit dem Capitol Hill Department, seiner politischen Abteilung, vertreten. ISNA hat seinen Hauptsitz in Plainfield, Indiana und ein Office for Interfaith and Community Alliances (ISNA-IOICA) in der Hauptstadt.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Arbeit des National Office von CAIR untersucht sowie ein Fokus auf die Abteilungen von MPAC und ISNA, die in Washington DC angesiedelt sind. Im Verlauf der Forschungen zeigte sich die Schwierigkeit, Abgrenzungen zwischen der Arbeit der politischen Abteilungen und der Mutterorganisation zu ziehen. So wurde etwa bei den Portraits von MPAC und ISNA mit Blick auf die Rahmendaten auch auf die Mutterorganisationen eingegangen 8 . Im Hinblick auf die Strategien wurde jedoch ein Fokus auf die Arbeit in Washington gelegt.

7 Die Muslim American Society Freedom Foundation (MASFF) ist zunächst als eine relevante Organisation eingestuft worden und empirische Daten wurden erhoben. Letztlich fiel die Entscheidung dagegen, den Verband in die Analyse einzubeziehen, da er keine substantielle Arbeit in der Hauptstadt vorweisen konnte. MASFF hat keine eigenen Veranstaltungen organisiert. Der Verband wurde in der Hauptstadt fast ausschließlich durch den Executive Director Mahdi Bray repräsentiert, der bei vielen Veranstaltungen als Redner und Teilnehmer auftauchte. Robert Crane, ein langjähriger muslimischer Aktivist, hat diese Beobachtungen mit dem Statement „Mahdi is MAS“ auf den Punkt gebracht. (Crane, S. 5)

8 Im Laufe der Arbeit wird die Bezeichnung der jeweiligen Gesamtorganisation synonym für ihr Washington-Büro verwendet, es sei denn, dass eine andere Bezeichnung ausdrücklich verwendet wird. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 34

Die hier vorgenommene Auswahl an Organisationen wurde durch eine Studie von Gallup bestätigt. In der im August 2011 – nach Abschluss der Interviews und empirischen Erhebungen für diese Arbeit - vorgelegten Studie werden CAIR, MPAC und ISNA als die drei wichtigsten Organisationen für die Repräsentation von Muslimen genannt.9 (Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 25)

CAIR, MPAC und ISNA bilden somit den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit und werden mit dem Arbeitsbegriff Nationale Muslimische Interessenorganisationen (NMI) bezeichnet.10

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, eine umfassende empirische Bestandsaufnahme und Analyse zum Wirken der Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen zu verknüpfen mit einer Analyse der Funktionen, welche sie für die politische Inkorporation der in den USA lebenden Muslimen leisten.

Zur Untersuchung von Interessenorganisationen werden in dieser Arbeit politikwissenschaftliche Ansätze der Interessenorganisationsforschung mit Ansätzen aus der Migrationsforschung zusammengeführt. Es geht um das Verhältnis zwischen Migration, Religion und Interessenorganisationen. Folgende Fragestellungen stehen in dieser Arbeit im Mittelpunkt:

9 Die Frage lautete wie folgt: „Which national Muslim American organization, if any, do you feel most represents your interests?“ Die meisten der Befragten fühlen sich am besten durch CAIR repräsentiert (11,5%). Darauf folgen ISNA (5,5%), MPAC (3,5%). Von den Befragten fühlten sich 2% durch die „Imam Warith Deen Mohammed Group“ als wichtigen afroamerikanisch-muslimischen Zusammenschluss vertreten, dieser verfügt jedoch nicht über ein Büro in Washington DC.

10 In der Literatur werden für diese drei Organisationen bzw. ein Teil von ihnen folgende unterschiedliche Bezeichnungen verwendet: „muslim public affairs groups“ (Nimer, 2002: 169), „lobbying groups“ (Cesari 2004, S. 89), „national public policy organizations” (Findley 2001, S. 199–219), „American muslim political organizations“. (Leonard 2003, S. 17) In einer Unterschung von Allen D. Hertzke werden 17 „religious advocacy groups“ identiftiziert, welche sich als dem Islam zugehörig sehen. (Hertzke 2011, S. 28) 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 35

1. Welche Faktoren beeinflussen den Prozess der politischen Inkorporation von Muslimen in den USA? 2. Wie tragen die Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen zur politischen Inkorporation von Muslimen in den USA bei?

In der Literatur gibt es keinen Konsens darüber, was „politische Inkorporation“ ausmacht. Zumeist wird aber auf zwei Ebenen verwiesen, die für politische Inkorporation eine wesentliche Bedeutung haben. Zum einen auf die formale Staatsbürgerschaft und zum anderen auf das Engagement im politischen System. (Bloemraad 2006, S. 5-6; Reed-Danahay 2008, S. 348)

Mit Blick auf das Engagement im politischen System unterscheidet der Migrationsforscher Gerry Gerstle, einer der führenden Historiker zu Staatsbürgerschaft und nationaler Identität, zwei Dimensionen:

„The political cultural dimension refers to the process through which individuals come to feel as though they belong in and to the United States and can play part in its democratic politics. (…) The political institutional dimension of political incorporation refers to the institutions that immigrants and their offspring join or establish and through which they seek political influence.” (Gerstle 2006, S. 27-28)

Zentral für die politische Inkorporation sind damit einerseits die politisch-kulturelle Dimension, die sich mit der Identifikation von Migranten zu Gesellschaft und Staat befasst, und andererseits die politisch-institutionelle Dimension, die sich auf die Etablierung von Organisationen bezieht, welche sich mit der Repräsentation von Interessen und Partizipation im politischen System befassen. Diese Dimensionen von politischer Inkorporation überschneiden sich mit zentralen Funktionen von Interessenorganisationen, welche von Martin Sebaldt und Alexander Straßner als Repräsentation bzw. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 36

Interessenartikulation, Partizipation und Integration bezeichnet werden. (Sebaldt, Straßner 2004, S. 59)11

Irene Bloemraad hat dabei die Bedeutung von Organisationen unterstrichen, die von Migranten gegründet werden:

„These organizations tend to promote newcomers´ political incorporation by (1) gathering and disseminating information; (2) representing and advocating for a group; (3) mobilizing individuals to participate; and (4) teaching people skills that promote political participation.” (Bloemraad 2006 S. 83)12

In dieser Arbeit geht es darum, die unterschiedlichen Formen herauszuarbeiten, durch welche die NMI diese Funktionen erfüllen: Wie werden die Interessen der Muslime repräsentiert? Wie tragen die NMI zur politischen Partizipation der US-Muslime bei? Wie tragen die NMI dazu bei, dass sich US-Muslime den USA zugehörig fühlen?

11 Sebaldt/Strassner benutzen eine Typologie von sieben Funktionen. Davon werden vier als Grundfunktionen beschrieben, welche Interessengruppen erfüllen müssen: Artikulation, Aggregation, Selektion und Integration. Hinzu kommen drei weitere, „die nicht primär die Aufgaben gegenüber ihrer spezifischen Klientel betreffen, sondern freie Leistungen oder Leistungen im Auftrag des gesamten politischen Systems darstellen.“ (Sebaldt, Strassner 2004, S. 59, Herv. i.O.) Diese sind Partizipation, Legitimation und ökonomische Selbstregulierung. Mit Blick auf die hier untersuchten NMI erscheinen die Funktionen der Artikulation, Aggregation, Selektion, Integration und Partizipation von zentraler Bedeutung, da sie sich mit den Dimensionen des Begriffs Politische Inkorporation überschneiden. Die Sozioökonomische Selbstregulierung ist aufgrund der Natur von religiösen Interessenorganisationen - zumindest kleinen, wie die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten, welche nicht über ein weites Netz von sozialen Institutionen verfügen – im Kontext dieser Arbeit nicht von besonderer Bedeutung. Legitimation ist hingegen eine Generalfunktion, welche sich aus der Erfüllung der anderen Funktionen zwangsläufig ergibt und deshalb nicht gesondert im Mittelpunkt dieser Arbeit steht.

12 Politische Inkorporation ist nach Bloemraad dann erreicht, wenn die Strukturen der Partizipation den Durchschnitt der Gesellschaft erreicht haben: „Incorporation refers to the process of becoming a part of mainstream political debates, practices, and decision making. The end point of the process is difficult to identify, but incorporation is generally achieved when patterns of immigrant participation are comparable to those among the native born, although different individuals and groups might privilege certain forms of participation over others.” (Bloemraad 2006, S.7) 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 37

Die Migrationsforscher Irene Bloemraad und Karthrick Ramakrishnan haben ein Modell entwickelt, um die politische Inkorporation von Minderheiten zu untersuchen. Es beinhaltet drei zentrale Kategorien: Die Bedeutung des Ortes (Place), der Gruppe (Group) und des Organisationstyps (Organizational form) als wichtige Einflussfaktoren für den Prozess der politischen Inkorporation. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008)

Ergänzend zu diesem Modell von Bloemraad, die sich auf lokale Migrantenorganisationen bezieht, wurden Erklärungsansätze des Politikwissenschaftlers Robert B. Fowler aufgegriffen, die sich auf religiöse Interessenorganisationen beziehen. (Fowler et. al, 2004)

Die Bedeutung des „Ortes“ betrifft die politisch-institutionelle und kulturelle Situation in einem Staat. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 23-25) Mit Blick auf Nationale Muslimische Interessenorganisationen wurde hier von mir abgeleitet, dass die institutionellen Arrangements, wie die Stellung von Interessenorganisationen im politischen System, das formale Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften oder auch die Stellung und Bedeutung von (öffentlicher) Religion in der Gesellschaft, von Bedeutung sind. Dazu gehören auch die Erfahrungen des Aufnahmelandes mit bestimmten Migrantengruppen sowie Gewicht und Konzentration der religiösen Gemeinschaft in der Gesamtbevölkerung.

Mit Blick auf die „Gruppe“ sind der sozioökonomische Status, die Länge des Aufenthalts einer Gemeinschaft im Ankunftsland und dem damit zusammenhängenden Stand des Aufbaus politischer Institutionen; mitgebrachte Sprachfertigkeiten aus dem Herkunftsland etwa resultierend aus Kolonialerfahrungen; Überschneidung von Religionszugehörigkeit der Migranten mit bereits etablierten Religionsgemeinschaften im Aufnahmeland bzw. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 38

Wahrnehmung der „fremden“ Religion im Aufnahmeland. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 25-26)

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die politische Sozialisierung in den jeweiligen Herkunftsländern, etwa das Fehlen von Freiheitsrechten und der Grad von Partizipationsmöglichkeiten. Vor dem Hintergrund kann ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen oder Wahlen vorliegen; auch historische Traditionen und theologische Überzeugungen spielen hier rein. (Bloemraad 2006, S. 74–76; Fowler et al. 2004, S. 116)

Die „Arbeit“ der Organisationen wird beeinflusst durch ihre Ziele und Motivation, sich politisch zu engagieren, die Dauer des Bestehens; die Größe, Geschlossenheit und Engagement- Bereitschaft ihrer Mitglieder; die Kompetenz der Führungskräfte mit Blick auf Strategiefragen und die Ressourcen einer Organisation in Bezug auf finanzielle Mittel. (Fowler et al. 2004, S. 117; Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 23)

Weitere Einflussfaktoren sind die Formen zur Rekrutierung neuer Führungskräfte, der effektive Umgang mit innerverbandlischen Oppositionskräften und externen Gegnern und insbesondere die Fähigkeit zum Aufbau von Bündnissen mit einflussreichen Organisationen. Weiterhin ist von Bedeutung, wie gut die Agenda der Organisation mit dem „Zeitgeist“ kompatibel ist bzw. ob es ihr gelingt, ihre Strategie an neu aufkommende Trends anzupassen und effektiv mit Gegnern des Verbands umzugehen. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 27; Fowler et al. 2004, S. 118-119)

Ob eine Organisation Einfluss hat, wird von ihrem Zugang zu politischen Entscheidungsträgern, Mitarbeit in formalen Gremien oder der Besetzung von Mandaten und Schlüsselpositionen durch Verbandsmitglieder bestimmt. Zudem sind der Zugang zu 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 39

(nationalen) Leitmedien, Think Tanks und Stiftungen, die Fähigkeit zur Mobilisierung der eigenen Mitglieder, der Einfluss auf Ressourcenzuteilung und die Durchsetzungsfähigkeit bei Gesetzesänderungen von Bedeutung. (Fowler et al. 2004, S. 118; Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 20–22)

Diesem Analyseschema folgend werden im ersten Abschnitt zunächst die „Gruppe“ (Kap. 3-4) und der „Ort“ (Kap. 5) – zusammengenommen der „Kontext“ - in den Blick genommen und im zweiten Abschnitt dann die „Arbeit“ der Organisationen (Kap. 7- 9). Im dritten Abschnitt werden dann die Funktionen der NMI für die politische Inkorporation analysiert (Kap. 11-13).

Mit Blick auf die Analyse der Arbeit der NMI standen dabei folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie verlief ihre Gründungsgeschichte? Was sind ihre Ziele? Wie ist das Selbstverständnis? Welche Struktur und Mitgliedschaft gibt es? Wie ist die Ressourcenausstattung? Welche Strategien werden verwendet? Wer sind die Adressaten der Arbeit? Welche Themen sind zentral? Wie ist der Zugang zu politischen Entscheidungsträgern? Welche Effekte hat die Arbeit? Welche Traditionen und theologischen Besonderheiten bestehen? Wie werden die NMI von Afroamerikanischen Muslimen wahrgenommen?

Durch die Beantwortung der Fragen soll der Charakter der NMI umfassend herausgearbeitet und ihre Bedeutung für den Prozess der politischen Inkorporation erörtert werden. Damit wird ein Beitrag dazu geleistet, die Bedeutung religiös-politischer Organisationen für die politische Inkorporation von Menschen mit Migrationshintergrund und die Einflussbedingungen ihres Wirkens besser nachvollziehbar zu machen.

2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 40

2.3 METHODEN

Da im Rahmen dieser Arbeit kaum auf bestehende Studien zurückgegriffen werden konnte, musste das Sammeln von Grunddaten über die Verbände, ihre Arbeitsweise und Einschätzungen zu ihrer Bedeutung durch eigene Erhebung von Primärdaten geleistet werden. Mit Blick auf die relativ junge Geschichte der Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen und ihre vielfältigen, schwer quantifizierbaren Ziele sowie unterschiedlichen Strategien, erschien eine vorrangig qualitative Herangehensweise an die Arbeit der Verbände als angemessen.

Zur Erhebung qualitativer Primärdaten war ein längerer Aufenthalt in Washington DC unabdingbar. Über einen Zeitraum von 20 Monaten habe ich in Washington DC die Arbeit der NMI bei Veranstaltungen beobachtet, Daten gesammelt, Gespräche und Interviews mit sehr unterschiedlichen Akteuren geführt.13

Im Zentrum der empirischen Erhebung für diese Arbeit stehen 60 Experteninterviews mit Vertretern der NMI und weiteren Akteuren in Washington DC.14 Diese Methode erschien besonders geeignet,

13 Das Jahr 2009 bildet den Kern des Untersuchungszeitraums. Im Jahr 2009 wurden alle Experteninterviews durchgeführt und der größte Teil der Veranstaltungen besucht. Insgesamt habe mich 20 Monate in Washington DC aufgehalten, darunter ein 18-monatiger Forschungsaufenthalt am Berkeley Center for Religion, Peace and World Affairs an der Georgetown University mit einem ERP-Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes (August 2008- Februar 2010). Die Anbindung an die renommierte Georgetown University hat sich für die Ansprache potentieller Interviewpartner als sehr hilfreich erwiesen. Weitere Aufenthalte gab es im Rahmen der ISNA-Convention im Jahr 2007 in Chicago und durch Einladungen zu Tagungen des American Institute for Contemporary German Studies und dem Woodrow Wilson Center for International Scholars in Washington DC.

14 In der deutschsprachigen Forschungslandschaft wird zumeist der Begriff Experten- und in der anglo-amerikanischen Forschungslandschaft der Begriff Eliteninterview verwendet. Während beim Elitebegriff der hohe soziale Status und die damit verbundenen Privilegien in den Mittelpunkt gestellt werden, wird beim Expertenbegriff das spezifische Kontextwissen über ein Forschungsfeld und/oder sein/ihr organisationsinternes Betriebswissen über Strukturen, Handlungsabläufe und Ereignisse hervorgehoben. In der Literatur werden auf

2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 41

Informationen und Einschätzungen von Personen innerhalb und außerhalb der NMI einzuholen zu den hier aufgeworfenen Fragestellungen. Für die vorliegende Arbeit war es von zentraler Bedeutung, nicht nur Selbsteinschätzungen der NMI, sondern auch deren Wahrnehmung durch andere einzuholen. Ohne die Außenwahrnehmung kann die Bedeutung der NMI für die politische Inkorporation von US-Muslimen nicht angemessen diskutiert werden.

Zur Vorbereitung der Interviews wurden im explorativen Teil der Untersuchung im Jahr 2008 sechs nichtstandardisierte Informationsgespräche (von Alemann, Forndran 2002 [1990], S. 169) mit Organisationsvertretern und Wissenschaftlern geführt. 15 Damit konnte eine erste Einschätzung über die Arbeit von muslimischen Interessenorganisationen und wichtige Themenfelder im Bereich der politischen Inkorporation vorgenommen werden.

In einem zweiten Schritt wurden dann im Jahr 2009 teilstandardisierte Experteninterviews geführt, in denen anhand eines Leitfadens offene Fragen gestellt wurden.16

einer methodisch-praktischen Ebene, wie dem Feldzugang oder der Interviewsituation, dieselben Probleme diskutiert. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff „Experteninterview“ verwendet, da es nach Littig konsequent ist „(…) Interviews mit Eliten, die auf die Generierung expliziten wie impliziten, professionellen oder berufsbezogenen Wissens abzielen, als Experteninterviews anzusehen.“ (Littig 2008)

15 Diese nichtstandardisierten Informationsgespräche fanden alle in Washington DC statt: Zahid H. Bukhari, Director, Project Muslims in the American Public Square (MAPS), 6.03.2008; Yvonne Haddad, Center for Christian-Muslim Understanding, Georgetown University, 7.03.2008; Qamar Al-Huda, Director, United States Institute of Peace, 10.03.2008; Syeed M. Sayyid, National Directoer, ISNA-Interfaith Office, 12.03.2008; Geneive Abdo, Fellow, Center for American Progress, 12.03.2008

16 Eine Liste der Interviewpartner mit Angaben zu Funktionen und Datum/Ort des Interviews findet sich im Anhang. Zitate aus Interviews sind immer mit Namen und Seitenzahl aus dem jeweiligen Transkript angegeben. Alle namentlichen Quellenangaben ohne Jahreszahl, aber mit Seitenangabe verweisen auf ein Interviewtranskript, wenn nicht anders ausgewiesen. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 42

Im Gegensatz zu standardisierten Interviews, bei denen geschlossene Fragen gestellt werden, hat sich der Einsatz von teilstandardisierten Experteninterviews mit offenen Fragen in wenig erforschten Gebieten bewährt, da hierdurch die Antwortmöglichkeiten vorab nicht zu stark eingegrenzt werden. Teilstandardisierte Interviews lassen zudem die vorteilhafte Möglichkeit zu, die genaue Frageform und -reihenfolge an die Gesprächspartner anzupassen. Zudem können bei Bedarf Nachfragen gestellt werden. Insgesamt kann so eine „natürlichere“ Gesprächssituation hergestellt werden. Gesprächssituationen dieser Art kommen dem Bedürfnis von Experten entgegen, Sachverhalte in einem eigenen Bezugsrahmen und eigenen Begriffen darzustellen. (Johnson, Reynolds 2005, S. 271)

Die Teilstandardisierung kann zugleich sicherstellen, dass die relevanten Fragen und das Erkenntnisinteresse nicht aus dem Auge verloren werden und eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den Interviews ermöglicht wird. Der Interviewleitfaden wurde im Laufe des Forschungsprozesses und dem zunehmend besseren Verständnis über den Untersuchungsgegenstand im Zeitverlauf angepasst. (Rubin, Rubin 1995, S. 46–47)

Bevor auf die Inhalte der Interviews eingegangen wird, soll im Folgenden zunächst das Vorgehen bei der Auswahl der Interviewpartner beschrieben werden. Bei Experteninterviews gibt es in der Regel keine quantitativen Repräsentativitätsvorstellungen mit Blick auf die Auswahl, da es keinen klar abgegrenzten Experten-Pool gibt, aus dem man nach bestimmten Vorgaben auswählen könnte. Der Expertenstatus ist eine Zuschreibung des Forschers und vom jeweiligen Forschungsfeld und -interesse abhängig. Im Rahmen dieser Arbeit wurden Experten zum einen gezielt ausgewählt nach ihrer (ehemaligen) Funktion („Purposive or Judgmental Sampling“) und zum anderen wurde auf Empfehlungen 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 43

der Interviewten und von selbst geknüpften und als aussagekräftig eingeschätzten Kontakten zurückgegriffen („Snowball Sampling“). (Babbie 2007, S. 183–186)

Auf diese Weise wurde eine Liste von 140 relevanten Gesprächspartnern bzw. Institutionen erstellt und kontaktiert. Letztlich wurden zwischen März und Juli 2009 60 Interviews für die vorliegende Arbeit durchgeführt.17

Zu den gezielt ausgewählten Interviewpartnern gehörten in erster Linie die Führungspersönlichkeiten (Vorsitzende, Geschäftsführer) und Mitarbeiter (Referenten) der NMI (17). Bei den Mitarbeitern der NMI wurde ein Schwerpunkt auf die für Regierungsbeziehungen und Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Referenten gelegt. Es wurden zudem ehemalige Mitarbeiter interviewt, die in der Regel über ein großes Wissen interner Zusammenhängen verfügen.

Für die vorliegende Arbeit war es von zentraler Bedeutung, nicht nur vom Selbstverständnis der Organisationen auszugehen, sondern auch zu ermitteln, wie die Organisationen von anderen muslimischen Akteuren und relevanten Multiplikatoren wahrgenommen werden. Hier wurden unterschiedliche muslimische Organisationen und Aktivisten – auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene – interviewt. Zudem wurden (ehemalige) Kongress-Abgeordnete, Ministerialbeamte, Mitarbeiter von Think Tanks, Interessenorganisationen und Wissenschaftler befragt. Dabei wurde versucht, möglichst Akteure mit unterschiedlichen

17 Der größte Teil der nichtinterviewten Personen hat auf die Anfrage nicht reagiert. Bei dem restlichen Teil war ein Interview meist aus organisatorischen Gründen nicht möglich oder es wurde aus forschungsökonomischen Gründen Prioritäten auf Personen gesetzt, von denen ein relevanter Beitrag zum Forschungsgegenstand zu erwarten war. Da beim State Department und dem Department of Homeland Security jeweils 3 Personen an den Interviews teilnahmen, beträgt die Gesamtzahl der bei den Interviews involvierten Personen 64. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 44

ethnischen Hintergründen und eine Ausgewogenheit bei Altersgruppen und Geschlecht zu erreichen.18

Organisations- und Akteurstypen Anzahl

NMI (CAIR, MPAC, ISNA und ehemalige Mitarbeiter) 13

Muslimische Organisationen (nationale, regionale, lokale) 17

Legislative (Abgeordneter, ehemalige Abgeordneter, 3 Mitarbeiter)

Exekutive (Department of Justice, Department of 3 Homeland Security, Department of State)

Think Tanks/Interessenorganisationen 10

Politische Aktivisten 8

Wissenschaftler 6

insgesamt 60

Die Interviews wurden in englischer Sprache geführt. Von den 60 Interviews wurden 58 persönlich im Großraum Washington DC und Chicago und zwei mussten aus organisatorischen Gründen telefonisch geführt werden. Eine Befragung musste wegen

18 Weibliche Gesprächspartnerinnen blieben trotzdem insgesamt unterrepräsentiert (9 von 64 Gesprächspartnern waren weiblich), was auf strukturelle Gründe zurückgeführt werden kann. In muslimischen Organisationen sind Frauen bisher, wie man dies auch in anderen nicht religionsspezifischen Bereichen kennt, in Führungspositionen unterrepräsentiert. Dies zeigt sich etwa an der Rednerliste bei der ISNA-Convention 2009, auf der von 101 Rednern nur 13 Frauen waren. (Siehe: Speakers Information, http://www.isna.net/programs/pages/speakers-services.aspx) 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 45

mangelnder Kooperation des Interviewpartners abgebrochen werden.19

Insgesamt konnten 53 Interviews digital aufgezeichnet werden.20 Die Interviewpartner wurden um Einverständnis gebeten, um aus der Transkription zitieren zu dürfen. Die Durchschnittsdauer der Interviews lag bei etwa einer Stunde. Im Anschluss an die Gespräche wurde zeitnah zusätzlich ein Gedächtnisprotokoll verfasst über Besonderheiten der Interviewsituation, etwa Unterbrechungen, besondere Verhaltensweisen und Informationen über die Lage, Größe, Ausstattung der Büros.

In den Interviews mit Vertretern der NMI wurden anhand des Leitfadens folgende Themenkomplexe angesprochen: Persönlicher Hintergrund, Organisationsgeschichte, Selbstverständnis/Ziele,

19 Es handelte sich dabei um das Interview mit Ibrahim Hooper von CAIR. Hooper hat während des kurzen Gesprächs auf seinen PC-Bildschirm geschaut und deutlich sein Desinteresse zum Ausdruck gebracht, u.a. indem er sinngemäß sagte, dass er „keine Lust auf langweilige Ph.D. Interviews“ habe. Er lehnte die Aufzeichnung des Interviews ab, da er nach eigener Aussage vorbeugen wolle. Das Misstrauen von Hooper erschien im Rückblick besser nachvollziehbar, da im Jahr 2010 bekannt wurde, dass sich ein Praktikant in die Organisation eingeschleust hatte und auf der Grundlage dadurch gesammelter Informationen das Buch „Muslim Mafia“ (Gaubatz, Sperry 2009) entstand (siehe unten das Kapitel 7.1.2.4 zur CAIR). Nachdem ich das Gespräch abgebrochen hatte, begleitete mich Hooper zum Geschäftsführer Nihad Awad, dem die Situation offenkundig unangenehm war und der mir direkt anbot, ersatzweise am nächsten Tag ihn zu interviewen, wozu es dann auch kam.

20 Aus meiner Beobachtung wurde durch das Aufnahmegerät die Interviewsituation nicht merklich verzerrt, da die Experten und Organisationsvertreter bereits durch ihre Medienerfahrung über Routine mit Aufnahmesituationen verfügen. Einige Male wurde jedoch darum gebeten, dass Gerät auszuschalten, da der Gesprächspartner etwas mitteilen wollte, das nicht aufgezeichnet werden sollte. Die Beamten im State Department, Department of Justice und Department of Homeland Security lehnten eine Aufnahme ab. Weitere Gründe, weshalb Interviews nicht aufgenommen werden konnten, waren: Als Vorsichtsmaßnahme von Interviewten, die sich bei der Obama- Administration 2008/2009 beworben hatten; laufende Rechtsstreitigkeiten, die inhaltlich Fragestellungen dieser Arbeit berührten; in einem Fall gab es ein technisches Problem mit dem Aufnahmegerät. In diesen Fällen wurde eine Mitschrift auf Deutsch verfasst und einige zentrale Aussagen konnten auf Englisch mitgeschrieben werden. Sinngemäße Zitate in der Arbeit in deutscher Sprache beziehen sich auf diese Mitschriften. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 46

Organisationsstrukturen/Mitgliedschaft, interne Kommunikation, finanzielle/personelle Ressourcen, Strategien/Adressaten, Selbsteinschätzung über Erfolge, Bündnisse und Gegner, Bedeutung theologischer Traditionen, Verhältnis zu Afroamerikanischen Muslimen, Einschätzungen über allgemeine Herausforderungen der politischen Inkorporation von US- Muslimen.21

Bei den nicht NMI-zugehörigen Interviewpartnern wurden im ersten Teil der Interviews Rahmendaten über die jeweilige Organisation abgefragt.22 Im zweiten Teil wurde konkret nach Kooperationen mit den NMI und Einschätzungen zu ihrer Arbeit gefragt. Je nach Gesprächspartner wurden einzelne Fragen zur politischen Inkorporation von Muslimen in den USA vertiefend behandelt.

Die Aufnahmen der Interviews wurden transkribiert und bildeten die Grundlage für eine qualitative Inhaltsanalyse, worauf im Folgenden eingegangen wird. 23 Die qualitative Inhaltsanalyse ist ein Verfahren, bei dem man dem Text – hier der Transkription – Informationen anhand eines Kategoriensystems entnimmt und diese dann in Form von Zusammenfassungen oder Originalzitaten weiterverarbeitet. Die Quellenangaben zum Ursprungsort dabei

21 Bei der Abfrage der Strategien wurde eine Liste erarbeitet auf Grundlage von Nownes (2006, S. 18) Bei den Gesprächen mit mehreren Interviewpartnern aus einer Organisation wurden je nach Zuständigkeit inhaltliche Schwerpunkte gesetzt.

22 Für den Aufbau einer vertraulichen Gesprächsatmosphäre war es wichtig, die Gesprächspartner zunächst von ihrer Arbeit berichten zu lassen. Daher weisen bei den Aufnahmen erhebliche Teile überhaupt keine Relevanz zum Thema der Arbeit auf. Diese Stellen wurden nicht transkribiert, sondern auf Deutsch zusammengefasst mit einer Zeitangabe zur Aufnahmespur, um die betreffende Stelle ggf. wiederfinden zu können. (Gläser, Laudel 2009, S. 210)

23 Der Arbeitsaufwand betrug im Durchschnitt etwa pro Interview: a) Kontaktaufnahme, Vorbereitung, Anfahrt und Durchführung (4 Stunden) b) Transkription (8 Stunden) c) Auswertung und Analyse (8 Stunden). Der tatsächliche Aufwand wurde im Rahmen dieser Arbeit unterschätzt und hat dazu geführt, dass die Fertigstellung der Arbeit sich deutlich verzögert hat. 2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 47

durchgehend mitgeführt, um ggf. im Laufe der Arbeit am Ursprungstext Kontrollen vornehmen zu können.

Das Kategoriensystem wurde anhand der Fragestellungen und theoretischen Vorüberlegungen entwickelt, blieb jedoch während des Extraktionsprozesses offen – im Gegensatz zu einem geschlossenen Kategoriensystem. Das Kategoriensystem konnte so im Laufe der Extraktion erweitert werden, wenn relevante Informationen nicht in die bestehenden Kategorien passten. Das angewendete Verfahren ist damit ein systematisches und regelgeleitetes. (Gläser, Laudel 2009, S. 197–221)24

Ergänzend zu den Experteninterviews wurden auch Publikationen und elektronische Newsletter der NMI, welche mehrmals in der Woche bis täglich per Email versendet werden, zur Analyse herangezogen. 25 Veröffentlichungen dieser Art sind aus zwei Gründen bedeutend. Sie zeigen erstens, wie Organisationen gegenüber ihrer Mitgliedschaft und Spendern kommunizieren, von deren motivationaler bzw. finanzieller Unterstützung sie abhängig sind. Zweitens kommunizieren Verbände mit diesen Mitteln auch nach außen in breitere Öffentlichkeiten. Die Analyse der elektronischen Newsletter wurde mit Blick auf den Untersuchungszeitraum und die Fülle an Informationen auf das Jahr 2009 begrenzt. 26

24 Die Gläser/Laudel Methode basiert auf die von Philip Mayring zu Beginn der achtziger Jahre entwickelten qualitativen Inhaltsanalyse. Während bei Mayring das Kategoriensystem für die Extraktion nach einem Probedurchlauf von 30-50% des Materials geschlossen und dann für das restliche Material mit einem unveränderlichen Kategoriensystem gearbeitet wird, bleibt bei der von Gläser/Laudel entwickelten Methode das Kategoriensystem während des gesamten Extraktionsprozesses offen. (Gläser, Laudel 2009, S. 198–199)

25 Weblinks zu Internetseiten, die in den Fußnoten angegeben sind, wurden zum letzten Mal am 20.10.2012 abgerufen, wenn nicht anders angegeben

26 Hier wird jeweils das Eingangsdatum des Newsletters und der Name der Organisation angegeben. In einigen Fällen sind auch Web-Links aufgenommen,

2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 48

Im Untersuchungszeitraum habe ich an Pressekonferenzen, Anhörungen im Kongress, Tagungen, wissenschaftliche und politische Konferenzen, Spendenbanquets, Demonstrationen, religiöse Feierlichkeiten und Freitagsgebete in Washington DC, Virginia und Maryland teilgenommen. Zudem habe ich die dreitätigen Annual Conventions der Islamic Society of North America in Chicago, Illinois (2007); Columbus, Ohio (2008) und Washington DC (2009) - mit jeweils über 30 000 Teilnehmern die größte Konferenz von Muslimen in den USA – besucht.27

Neben den Experteninterviews und der Analyse von Publikationen wurde im Rahmen dieser Arbeit eine unstrukturierte teilnehmende Beobachtung gewählt, wobei relevante Informationen während bzw. zeitnah nach einer Veranstaltung in Form von Notizen festgehalten wurden. (Alemann, Forndran 2002 [1990], S. 165- 168) Die im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung ermittelten Daten spielen im Rahmen dieser Arbeit eine untergeordnete Rolle und dienten vor allem dazu Aussagen der Interviewpartner einzuordnen und besser bewerten zu können.28

da man vom Newsletter aus auf diese Links verwiesen wird. Die Analyse von Newslettern hat gegenüber der Analyse von Webseiten den Vorteil, dass Webseiten ständigen Veränderungen unterworfen sind und oftmals bestimmte Dokumente online nicht mehr auffindbar sind. Die Newsletter hingegen können über das Email-Postfach gesichert und ohne großen technischen Aufwand jederzeit abgerufen werden. Die Newsletter haben zudem die Besonderheit, dass sie per Email versendet werden und somit z.T. auch „spontane“ Inhalte aufweisen können und Rückschlüsse auf den Absender, etwa mit Blick auf aktuelle Vorkommnisse, zulassen.

27 44. ISNA-Convention, „Upholding Faith, Serving Humanity“, 31.09.-3.09.2007, Rosemont, Illinois; 45. ISNA Convention, 29.08.-1.09.2008, „A Time for Change”, Columbus, Ohio; 46. ISNA-Convention, „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness”, 3.07.-6.07.2009, Washington DC.

28 Es war in der Regel eine passive teilnehmende Beobachtung etwa als Zuhörer bei Pressekonferenzen, Tagungen, Workshops, oder Festbanquets. In den allermeisten Fällen blieb ich als Forscher unerkannt und meine Anwesenheit beeinflusste damit – meiner Wahrnehmung nach - nicht den Verlauf der Veranstaltung. Selten handelte es sich auch um eine aktive teilnehmende Beobachtung, wenn ich im Rahmen von Festgebeten im Großraum Washington

2. Forschungsstand, Fragestellung und Methode 49

Zusammengefasst wurde der Untersuchungsgegenstand der NMI auf dreifache Weise empirisch eingekreist: Erstens mit teilstandardisierten Experteninterviews, die einer qualitativen Inhaltanalyse unterzogen wurden, zweitens durch Analyse von Veröffentlichungen einschließlich digitaler Publikationen sowie drittens durch teilnehmende Beobachtung.

DC oder auch an den Freitagsgebeten im Kapitol, welche von der Congressional Muslim Staffers Association (CMSA) organisiert werden, an den Gottesdiensten teilnahm. Die Teilnahme an diesen Freitagsgebeten hat sich als sehr nützlich erwiesen, da diese von Mitarbeitern im US-Kongress, aus umliegenden Ministerien, Think Tanks und Interessenorganisationen besucht werden. Bei diesen Anlässen konnten Kontakte geknüpft werden und zudem wurde bei diesen auch auf relevante Veranstaltungen hingewiesen. Eine aktive teilnehmende Beobachtung birgt Fehlerquellen, da man eine kritische Haltung gegenüber seinem Untersuchungsgegenstand verlieren kann, doch diese Fehlerquelle kann hier vernachlässigt werden, da die aktive teilnehmende Beobachtung die Ausnahme darstellte und die Daten aus der teilnehmenden Beobachtung insgesamt eine untergeordnete Rolle für die Analyse des empirschen Materials dieser Arbeit spielten. Teil I Kontext 50

TEIL I KONTEXT

3. EINE KURZE GESCHICHTE DER MUSLIME IN DEN USA

3.1 AFROAMERIKANISCHE MUSLIME 1500 – 1900

Muslime sind in Nord- und Südamerika kein neues Phänomen, sondern wurden bereits wenige Jahre nach der Ankunft von Christopher Columbus auf dem Kontinent durch den transatlantischen Sklavenhandel zu einem Teil der amerikanischen Geschichte. 29 Mit dem transatlantischen Sklavenhandel wurden ab dem 16. Jahrhundert über einen Zeitraum von etwa 350 Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen etwa 17 Millionen Afrikaner nach Nordamerika verschifft. Davon haben etwa 15 Millionen Personen die Reise überlebt und wurden versklavt.30

Als der Sklavenhandel begann, war der Islam in Westafrika – im heutigen Senegal, Mali, und Nigeria - bereits schon mehrere Jahrhunderte verbreitet. Laut Sylviane Diouf, die eine bahnbrechende Studie zum muslimischen Leben in Amerika in der Zeit der Sklaverei vorgelegt hat, waren etwa 2,25-3 Millionen Muslime unter den Versklavten, die nach Amerika gebracht wurden. (Diouf 1998, S. 48) 31

29 Dieses Unterkapitel folgt sehr eng der Arbeit von Sylviane Diouf, welches als Referenzwerk auf diesem Gebiet gilt. Das Thema wird hier ausführlich angesprochen, weil es für ein Verständnis des afroamerikanischen Islams – und einer weitgehend unbekannten „muslimischen Geschichte“ - unverzichtbar ist.

30 Zarina Shakir hat mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass Afroamerikaner es heute als verunglimpfend empfinden, wenn man von „Sklaven“ spricht, da dies impliziere, diesen Menschen sei die unmenschliche Unterwerfung unter Zwangsarbeit im Wesen inhärent. Auch in dieser Arbeit wird daher stattdessen von „Versklavten“ gesprochen, um deutlich zu machen, dass die betroffenen Menschen durch bestimmte Handlungen in ihre Situation gebracht wurden.

31 Genauen Zahlen sind weder über die Gesamtheit der Sklaven, welche von Afrika nach Amerika gebracht wurden, verfügbar, noch über den Anteil der Muslime an diesen. Diouf hat folgende Berechnung angestellt: Wenn man von 15 Millionen Sklaven ausgeht und davon 50 Prozent aus Westafrika stammen und

3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 51

Diouf hat Belege dafür gefunden, dass viele der versklavten Muslime in Amerika angekommen trotz schwieriger Lebensbedingungen ihre Religion praktizierten und aktiv Maßnahmen ergriffen, um ihre muslimische Identität zu bewahren. So gibt es Berichte von der Einhaltung des rituellen Gebets, das Muslimen fünfmal am Tag auferlegt ist. Es wird berichtet, dass Frauen an bestimmten Tagen im Jahr Kekse backten und damit die religiöse Pflichtabgabe (Zakah) entrichten wollten. Selbst das Fasten soll trotz Mangel an Lebensmitteln und Unternährung von Versklavten praktiziert worden sein.

Unmöglich war es allerdings, auf Pilgerfahrt nach Mekka und Medina zu gehen. Diese Glaubenssäule soll jeder Muslim vollziehen, wenn er physisch und materiell dazu in der Lage ist. Allerdings gab es in Amerika Muslime, die diesem Gebot bereits vor der Versklavung nachgekommen waren, d.h. von Westafrika ins heutige Saudi-Arabien und wieder zurück reisten und erst im Anschluss als Versklavte nach Amerika gebracht wurden. (ebd., S. 49–71)32

Ein beträchtlicher Teil der muslimischen Versklavten konnte lesen und schreiben, was für die damalige Zeit bemerkenswert war. Neben Arabisch beherrschten sie auch ihre Heimatsprachen wie Hausa, Wolof und Mandingo, jeweils in arabischen Buchstaben. Die Schreibkenntnisse wurden zur Produktion von religiösem Material, zum Verfassen von Autobiographien und zur Kommunikation nach Afrika genutzt, was in einigen Fällen sogar zur Freilassung von Versklavten und ihrer Rückkehr nach Afrika führte.

man davon ausgeht, dass von diesen 7,5 Millionen etwa 30-40 Prozent Muslime waren, dann kommt man auf eine Zahl von 2,25-3 Millionen Muslimen; dies entspricht etwa 15-20 Prozent der nach Amerika gebrachten Versklavten. (Diouf 1998, S. 48)

32 Die erste Glaubenssäule ist das Glaubensbekenntnis, welches keiner rituell- physischen Handlungen bedarf. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 52

Mit ihren Schreibkenntnissen setzten sich die Muslime damit nicht nur von den nichtmuslimischen Versklavten ab, welche aus Kulturen mit oralen Traditionen stammten, sondern es gibt Diouf zufolge Anzeichen dafür, dass die versklavten Muslime auch häufiger lesen und schreiben konnten als ihre Sklavenhalter. Vor dem Hintergrund wurden muslimische Versklavte durch die Sklavenhalter oft mit besonderen Aufgaben beauftragt, wie der Buchführung für die Plantagen. Diese Fähigkeiten der muslimischen Sklaven wurden zugleich als besondere Gefahr betrachtet. Sie widersprachen dem Bild des „dummen Sklaven“ und dies drohte, das Sklavensystem insgesamt in Frage zu stellen.

Muslimische Versklavte galten aufgrund ihrer Bildung und - auf die arabischen Einflüsse zurückgehende – Fähigkeit, Pferde zu reiten, als besonders gefährlich, da sie damit für die Organisation und Durchführung von Aufständen gut gerüstet waren. So ist historisch belegt, dass eine Reihe von Aufständen in Amerika von Muslimen angeführt wurde, etwa die Revolte von 1522 der Wolof auf einer Plantage von Admiral Don Diego Colon, dem Sohn von Christopher Columbus. (ebd., 134-147)

Mit ihrer Arbeit zur Bedeutung des Islam dieser afrikanischen Muslime widerlegte Diouf eine lange Zeit vorherrschende Auffassung in der Wissenschaft zu den Versklavten. Zuvor war angenommen worden, dass der afrikanische Islam in Amerika nur eine Arabisierung darstelle und keine eigenständige religiöse Tradition bilde, sondern die versklavten Muslime sich schnell an ihre christlich geprägte Umwelt anpassten und ihre Religion nicht mehr praktizierten. So werden Diouf zufolge in zentralen Werken zu Afro-Amerikanern und zur Sklavenhaltung die muslimische Religionszugehörigkeit und ihr Beitrag zur afroamerikanischen Kultur übergangen, während die Bedeutung des Christentums überzeichnet wird, obwohl das Christentum erst im 19. Jahrhundert 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 53

unter den Versklavten an Bedeutung gewonnen hat. (ebd., S. 203– 205)

Der Islam konnte unter den Versklavten jedoch langfristig keine Wurzeln schlagen. Zum einen lag dies an den allgemein menschenunwürdigen Lebensbedingungen, denen die Versklavten ausgesetzt waren. Dazu gehörte, dass Kinder mit dem achten Lebensjahr von ihren Eltern getrennt wurden, Familienangehörige oft den Verkauf ihrer Familienmitglieder erlebt haben und Ehepaare auf verschiedenen Plantagen arbeiteten. Unter diesen Umständen konnten Familienstrukturen nicht aufrecht erhalten werden, die Versklavten entwickelten keine Beziehung zu ihrer Vergangenheit und sie konnten keine kollektive Identität herstellen. (Ansari 2004, S. 225-227)

Zum anderen hatten die Sklavenhalter selbst zumeist einen christlichen Hintergrund und betrachteten den Islam als eine fremde Religion:

„(…) Muslim slaves were occasionally forced to renounce their religion and name on pain of death. The result was that many of them sublimated their true religion, and many others gave it up altogether; some even accepted the religion of their masters, whereas some secretly clung to Islamic belief and practice and occasionally played a leading role in revolts and insurrections.” (Ansari 2004, S. 227)

Die Entwicklung eines religiösen Gemeindelebens, etwa der Aufbau von Moscheen oder Schulen, waren unter diesen Bedingungen nicht möglich. Daher nahm die muslimische Religionsausübung nach dem formalen Ende der Sklaverei Mitte des 19. Jahrhundertsimmer weiter ab, denn die Weiterverbreitung und Weitergabe von neuem Wissen über den Islam war zu lange unterbrochen. Diouf zufolge gibt es zwischen den Nachfahren der versklavten Muslime und dem in den 1920er Jahren neu aufkommenden Islam unter Afroamerikanern, auf den noch weiter eingegangen wird, keine 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 54

„documented continuity“. (Diouf 1998, S. 207) Daher konnten Afroamerikaner, die im 20. Jahrhundert zum Islam konvertierten, nicht mit Sicherheit sagen, ob ihre Vorfahren zu den versklavten Muslimen gehörten oder möglicherweise anderen Religionen anhingen.

In den Interviews im Rahmen dieser Arbeit zeigten sich afroamerikanisch-muslimische Gesprächspartner, wie Mauri Salakhan, Hodari Abdul-Ali und selbst die prominente Wissenschaftlerin Amina Beverly McCloud hingegen überzeugt davon, dass es eine Kontinuität in der Geschichte der afro- amerikanischen Muslime gibt, waren jedoch nicht in der Lage, die Verbindung zwischen beiden Epochen herzustellen. So konnten sie keine bestimmten Muslime oder Familien nennen, die für eine Kontinuität der beiden Epochen stehen.33

Insofern ist die Formulierung der deutschen Religionssoziologin Monika Wohlrab-Sahr verständlich, die die Bezugnahme afroamerikanischer Konvertiten im 20. Jahrhundert auf die Geschichte der afrikanischen Muslime als „kollektiven Mythos“ bezeichnet. (Wohlrab-Sahr 1999, S. 34–35) Zugleich ist es unangemessen, wenn in Wohlrab-Sahrs Arbeit die Geschichte der versklavten afrikanischen Muslime völlig außer Acht gelassen wird.

33 Sulayman Nyang berichtete von ähnlichen Erfahrungen. Nach Nyang gibt es in der Geschichte der afroamerikanischen Muslime einen „sixty year gap“, man wisse nicht was in der Zeit zwischen Sklaverei und Gründung der Nation of Islam (NOI) passiert sei. Er hatte mit Akbar Muhammad (Sohn von Elijah Muhammad) eine Debatte darüber, konnte ihn aber nicht vom Gegenteil überzeugen, für eine Kontinuität gibt es keine Belege. Bisweilen wird versucht, die Kontinuität über muslimische Spuren in Georgia zu herzustellen. (Nyang, S. 2) Auch Ansari versucht, eine Verbindung zwischen den versklavten Muslimen und dem im 20. Jahrhundert neu aufkommenden Islam herzustellen, wenn er schreibt, dass „a vague consciousness seems to be a major factor in the contemporary revival of African Americans` interest in Islam.” Nach Ansari ergebe auch die Aussage eines Studenten, welche er zitiert: „I believe that the religion of Islam is part of the genetic memory of African Americans“ aus seiner Sicht “much sense”. (Ansari 2004, S. 229) 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 55

Die Kontinuität zwischen beiden Gruppen mag imaginiert sein. Der historische Kern ist unbestreitbar: Eine große Zahl von afrikanischen Muslimen lebte bereits auf dem Kontinent, konnte aber aufgrund der widrigen Bedingungen der Versklavung die eigene Religion nicht frei leben und diese nicht an die nachkommenden Generationen weiter geben. Es war für Afroamerikanische Muslime durchaus rational, hierauf Bezug zu nehmen, um kollektive Handlungsfähigkeit herzustellen: Die Bezugnahme auf die muslimischen Versklavten beinhaltete, dass der Islam kein Fremdkörper, sondern vielmehr schon Jahrhunderte mit der Geschichte der USA verbunden war.

Die Verbindung zwischen beiden Epochen ist auch auf anderen Ebenen nachweisbar. So haben muslimische Elemente aus der Sklavenzeit bleibende Spuren auf die afrikanisch geprägten Religionen in Amerika und der afroamerikanischen Musik, wie dem Blues, hinterlassen. So konnten gar arabisch-muslimische Muster im Blues nachgewiesen werden, welche von Andalusien über den westafrikanischen Islam mit den versklavten Muslimen nach Amerika kamen. (Kubik 1999)

3.2 DER AFROAMERIKANISCHE ISLAM DES 20. JAHRHUNDERTS

Die Neubelebung des Islam unter Afroamerikanern zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde durch die Folgen verschiedener Migrationsprozesse ausgelöst. Zum einen kehrten weiße Konvertiten wie Alexander Russel Webb oder auch Afroamerikaner, die inzwischen frei reisen konnten, wie Shaykh Dauod Ahmed Faisal, aus Aufenthalten in muslimisch geprägten Ländern zurück und brachten damit erneut Wissen über den Islam nach 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 56

Nordamerika. (McCloud 1995, S. 21–24; Webb 2006) 34 Zum anderen begannen Immigranten aus muslimisch geprägten Ländern in die USA einzureisen und den Islam auf dem nordamerikanischen Kontinent bekannt zu machen. (Nyang, 1999)35

Um zu verstehen, warum die meisten afroamerikanisch- muslimischen Bewegungen, die in den nachfolgenden Jahrzehnten entstanden, einen separatistischen Ansatz verfolgten, muss man die Lebensbedingungen von Afroamerikanern am Anfang des 20. Jahrhunderts näher beleuchten. Auch wenn die Sklaverei in den USA 1865 mit dem 13. Zusatzartikel zur Verfassung abgeschafft wurde und 1868 mit dem 14. Zusatzartikel ein Gleichbehandlungszusatz folgte, dauerte es mindestens ein weiteres Jahrhundert, bis die Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren eine formale Gleichstellung durchsetzen konnte. Reale Benachteiligungen von Afroamerikanern hingegen halten bis heute an.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde weiterhin eine große Zahl rassistischer Morde gegen Schwarze verübt. Eine enorme Diskriminierung in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens wurde auf Basis des vom Supreme Court sanktionierten Grundsatzes „separate but equal“ legal praktiziert, insbesondere im Süden des Landes. Vor diesem Hintergrund kam es 1910 zur ersten „Great

34 Shaykh Dauod Ahmed Faisal (1891-1980) gründete 1924 in New York den Verein „Islamic Mission of America“. Die Gemeinde von Faisal hatte durch Seeleute ein Netzwerk in muslimisch geprägte Länder. McCloud berichtet, dass während Faisals Wirkungszeit 60 000 Personen in der Gemeinde zum Islam konvertiert sind. (McCloud 1995, S. 21–24)

35 Die Ahmadiyyah-Bewegung aus Indien machte als eine der ersten muslimischen Gruppen aktiv Werbung für ihren Glauben und war durch die Bedeutung der englischen Sprache innerhalb der Bewegung damit zunächst sehr erfolgreich, doch ihre Bedeutung unter Afroamerikanischen Muslimen nahm im 20. Jahrhundert immer mehr ab, da die Bewegung viel Wert auf indische Traditionen legte und Afroamerikanische Muslime keine gleichberechtigte Stellung innerhalb der Bewegung einnehmen konnten. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 57

Migration“, der Binnenmigration von Millionen von Afroamerikanern, die aus dem Süden in die Industriegebiete des Nordens abwanderten, dabei auf Arbeit und ein besseres Leben hoffend. Ihre damit verbundenen Hoffnungen auf materielle Wohlfahrt, Freiheiten und Gleichstellung sollten allerdings nicht in Erfüllung gehen.

1915 gründete sich der Ku Klux Klan und neue Spannungen zwischen „Schwarzen“ und „Weißen“ kulminierten 1919 im sog. „Red Summer“, bei dem es in 26 Städten des Nordens zu Rassenausschreitungen mit vielen Toten kam. Die große Depression von 1929 verschärfte die sozialen Spannungen. Diese Entwicklungen führten zusammen mit den Migrations- und Urbanisierungserfahrungen zu einem Gefühl der Entwurzelung vieler Afroamerikaner und prägten die schwierige soziale Lage dieser Gruppe. (Henri 1975)

Unter diesem Eindruck entwickelte sich die New Negro Movement mit Organisationen wie der National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP, gegründet 1909) und die Universal Negro Improvement Association (UNIA, gegründet 1914) von Marcus Garvey. Während sich die NAACP für eine Integration in die amerikanische Gesellschaft einsetzte, legte die Bewegung um Garvey einen besonderen Fokus auf die Identität und kulturelle Selbstbestimmung von Afroamerikanern, ein neues afroamerikanisches Selbstbewusstsein, und propagierte ihre Auswanderung nach Afrika.

Diese Zeit wurde zugleich der Nährboden, auf dem neue religiöse Bewegungen, wie der Moorish Science Tempel of America (1928) entstanden. Dessen Begründer Noble Drew Ali (geb. Timothy Drew) rief seine Anhänger dazu auf, eine eigene „nationality“ zu entwickeln, indem man sich als Moorish identifizierte. Obwohl diese Lehren Haddad zufolge mehr mit östlicher Philosophie als mit 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 58

normativem Islam zu tun hatten, wurde damit die Grundlage für die Entwicklung weiterer Gruppen gelegt, die sich als muslimisch identifizieren und einen separatistischen Ansatz verfolgten. (Haddad, Smith 1993, S. 79–104)

Den nachhaltigsten Einfluss zur Entwicklung eines neuen afroamerikanischen Islam hatte dabei unumstritten der Afroamerikaner Elijah Poole (1897-1975), der später den Namen Elijah Muhammad annehmen sollte. Pool geriet unter den Einfluss eines im Jahr 1930 aufgetauchten mysteriösen Missionars mit dem Namen W.D. Fard. Dieser lehrte seinen Schülern, dass die Weißen böse Menschen (White devils) seien und die Schwarzen gut und die verlorengegangene Religion der Schwarzen der Islam sei. Poole übernahm die Führung der neuen Bewegung, nachdem W.D. Fard unter bis heute ungeklärten Umständen verschwand und gründete unter dem Namen Elijah Muhammad die Nation of Islam (NOI). Die NOI bot ihren Anhängern eine neue Identität, auch als Alternative zum Christentum der Mehrheitsgesellschaft. Als Elijah Muhammad im Jahr 1975 starb, hatte er etwa eine Million Anhänger gewonnen und 76 „Tempels“ im ganzen Land aufgebaut. (McCloud 1995, S. 10–18; Turner 2003, S. 71–108; Curtis IV 2002, S. 45–62)

Die mit der Unterteilung zwischen Schwarzen und Weißen in gute und böse Menschen verbundenen rassistischen Elemente prägten die NOI für Jahrzehnte, doch laut Turner sollte dies mit Rücksicht auf den historischen Kontext gesehen und bewertet werden. Der Rassismus der Nation of Islam war demnach eine Reaktion auf den Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft gegen Afroamerikaner und eine Art ethnische Therapie, ein Instrument zur Dekonstruktion des nordischen Rassenmythos. (Turner 2003, S. 158)

Turner zufolge kann man die Nation of Islam nicht als eine rassistische Bewegung bezeichnen, da die NOI im Gegensatz zu weißen Suprematisten keine Absichten verfolgte, aktiv mit Gewalt 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 59

gegen Weiße vorzugehen. Vielmehr ging es darum, von der weißen Mehrheit in Ruhe gelassen zu werden, um eine geschützte schwarze Gemeinschaft aufbauen zu können. Zugleich sei es unangemessen die Nation of Islam ausschließlich als soziale Protestbewegung zu charakterisieren, da die NOI trotz ihres politischen Charakters einem religiösen Glaubenssystem folgte. Der religiöse Aspekt dieser Bewegung blieb lange Zeit unterbelichtet. (Turner 2003, S. 157-158, 199; Lincoln 1961)36

Auf die Entwicklung des afroamerikanischen Islam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Öffnung der NOI hin zur Gesellschaft und politischer Partizipation wird weiter unten eingegangen. (siehe Kapitel 4.1)

3.3 MUSLIMISCHE IMMIGRANTEN AB 1875

Die Einwanderung von Muslimen im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert kann in zwei große Perioden aufgeteilt werden, einmal die Phase von 1875-1965 und dann die Phase ab 1965. Ab 1875 immigrierten die ersten Araber aus der Levante in die USA ein. Dieses Gebiet umfasst heute die Nationalstaaten Syrien, Libanon, Jordanien sowie Palästina. Nur eine Minderheit dieser Immigranten waren Muslime, die Mehrheit bildeten arabische Christen, die vom osmanischen Wehrdienst-System abgeschreckt wurden und in den USA auf wirtschaftlichen Aufstieg hofften. Diese zumeist ungelernten Immigranten siedelten sich vor allem an der Ostküste und im Mittleren Westen an und arbeiteten teils als Hausierer, die Kleinwaren verkauften, teils als Landarbeiter, oder in der Autoindustrie. Ende des 19. Jahrhunderts wanderten dann auch die ersten Muslime aus Südasien (Punjab) über die Philippinen ein,

36 Neuere Arbeiten, welche die religiöse Dimension der NOI herauszuarbeiten versuchen sind Dannin 2002; Curtis IV 2002; Curtis IV 2006. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 60

siedelten sich hauptsächlich an der Westküste der USA an und arbeiteten vor allem in der Landwirtschaft. Anfang des 20. Jahrhunderts wanderten zudem auch Muslime aus Zentralasien, Bosnien, Albanien und Polen ein, viele davon blieben in New York. So waren es denn auch osteuropäische Muslime, welche 1907 die erste Moschee in New York eröffneten. (Nyang 1999, S. 37–53; Ferris 1994)

Die muslimischen Immigranten aus der arabischen Welt, die vor 1945 in die USA eingewandert waren, richteten sich zunächst nicht auf einen dauerhaften Aufenthalt ein. Nachdem man ausreichend Geld verdient hatte, wollte man wieder in seine Heimat zurückkehren. So kam es in der Anfangsphase nur vereinzelt zur Errichtung von Moscheen oder religiös-kulturellen Gemeinschaftsräumen. (Ahmed 1991, S. 11–13)

Diese „early Muslim immigrants“ sollten sich schnell assimilieren:

„They came to the United States when racism and nativism were paramount, when ‘Anglo conformity’ was promoted as the norm for citizenship and the Protestant establishment determined what is American. Like the millions of immigrants who passed through Ellis Island, they followed the patterns of integration and assimilation that refashioned them into American citizens. Their names were anglicized, Muhammad became Mo, Rashid became Dick, Mojahid became Mark, and Ali was recognized as Al.” (Haddad 2004a, S. 4)37

Die Erwartung seitens der Mehrheitsgesellschaft, nach der Einwanderer sich an die „Anglo conformity“ anzupassen haben, wurden verstärkt durch restriktive Einreisebeschränkungen, die Anfang der 1920er Jahre in Kraft traten und zu einem starken

37 Trotz dieser Assimilationstendenzen gehörten der 1953 gegründeten Federation of Islamic Associations of the United States and Canada (FIA) immerhin 52 Moscheen an, die hauptsächlich syrisch und libanesich gesprägt waren und sich später ISNA anschlossen. (Smith 1999, S. 168) 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 61

Rückgang in der Einwanderung von Muslimen führten. 38 In die gleiche Richtung wirkten die wirtschaftliche Depression in den 1930er Jahren sowie der Zweite Weltkrieg und die dadurch eingeschränkte Kommunikation mit den Herkunftsländern. Die Assimilation an die „Anglo conformity“ bezog sich dabei auch auf die Ausübung der Religion. Man kam zusammen und betete nicht mehr am Freitag, wie es im Islam vorgesehen ist, sondern am christlich geprägten Sonntag. (Haddad 2004a, S. 8–9; Elkholy 1966)

Die zweite Phase der Migration begann ab 1965.39 Eine große Zahl von Muslimen wanderte zu Studien- und Forschungszwecken in die USA ein, auch im Rahmen von gezielten Bildungsprogrammen der amerikanischen Regierung im Kontext des Kalten Krieges. Diesen „children of the Cold War“, wie Nyang sie nennt, folgten weitere Muslime, die aufgrund von politischen Konflikten, Revolutionen und Kriegen in muslimisch geprägten Ländern sich zur Auswanderung in die USA entschieden oder fliehen mussten. (Nyang 1999, S. 16– 18) Zu diesen Konflikten gehörten der Arabisch-Israelische Krieg von 1967, der Fall des Schahs 1979 im Iran sowie die Indo- Pakistanischen Kriege von 1965 und 1971. Weitere Konflikte gab es in Bangladesch, Afghanistan, Libanon, Irak, Somalia und Bosnien. (The Chicago Council on Global Affairs 2007, S. 22–23)

38 Zu diesen Einreisegesetzten gehörte der Emergency Quota Act (1921), und der Immigration Act (1924). Die Beschränkungen wurden 1952 durch den Immigration Act abgeschafft, auch wenn Quoten für bestimmte Ethnien auch aus dem Mittleren Osten blieben. Der Immigration und Nationality Act von 1965 schafften die verbliebenen Quoten ab.

39 Die Hauptgründe für die Migration in die USA waren Bildungschancen (26%), ökonomische Möglichkeiten (24%), Familiengründe (24%) und Fluchtgründe bzw. Konflikte (20%). Der größte Anteil der Muslime kam in den 1990er Jahren in die USA (21%), wogegen 18% zwischen 2000-2007 kamen und 15% in den 1980er Jahren. Nur 11% der Befragten wanderten 1979 oder früher ein. (Pew Research Center 2007, S. 15) 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 62

Diese neuen muslimischen Immigranten nahmen mit Erstaunen zur Kenntnis, dass die vorherigen muslimischen Einwanderer sich so stark assimiliert hatten und kaum noch über eine religiöse Identität verfügten. Die Neuankömmlinge waren Haddad zufolge nicht bereit, sich zu assimilieren und legten Wert auf ihre kollektive Identität und die Ausübung der Religion, indem islamische Traditionen, wie Kleiderordnungen, und religiöse Rituale hochgehalten wurden. (Haddad 2004a, S. 24)

Das Aufkommen dieser neuen islamischen Identität war auch ein Ausdruck politischer Umwälzungen in den jeweiligen Heimatländern. Mit Blick auf die arabischen Muslime zeichnet Haddad folgendes Bild:

„The new immigrants represented a generation that had wearied of Arab nationalism perceived to have failed to deliver on the hopes of Arab people for justice for the Palestinian people, for parity with the west, and for input into the world order. Their identity as a means of resistance to fundamentalist secularism, promoted by a variety of regimes in the Middle East, as well as hegemonic ‘Judeo-Christianity’, experienced as the ‘dominance of expansionist Israel as supported and empowered by Western nations.’ They had come to subscribe to some form of Islamic identity, and included a small minority who favored ‘Islamism’ as the only way to foster unity and strength to combat what is perceived as incessant efforts to undermine Islam and Muslims. (…) These experiences generated a growing consensus that Arab nationalist identity was a colonial construct devised to divide the Muslims and separate them into ethnic, racial, and language groups in order to dominate them. The new understanding was that only an Islamic identity, creating solidarity with other Muslim nations, can provide the necessary resources to fight for Muslim causes.” (Haddad 2004a, S. 19)40

40 Haddad macht keine Angaben zu den in Anführungszeichen gesetzten Texteilen. Es sind wahrscheinlich (sinngemäße) Formulierungen aus ihrer reichen empirischen Arbeit zu amerikanischen Muslimen. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 63

Der Angriff Israels von 1967 und die katastrophale Niederlage (bekannt unter der arabischen Bezeichnung „al-Nakba“), der fehlgeschlagene arabische Gegenangriff 1973, die israelische Invasion des Libanon 1982 und das Massaker von Sabra und Shatila führten zu einer Ablehnung der arabisch-nationalistischen Ideologien. (ebd., S. 18–19)

Angesichts der Assimilationserfahrung vorheriger Generationen von muslimischen Einwanderern und politischen Veränderungen in den Heimatländern setzten die neuen muslimischen Einwanderer darauf, sich über ethnische Grenzen hinweg als Muslime zu organisieren. (Nyang 1999, S. 66)

So kam es zur Gründung muslimischer Studentenvereine, die sich um die religiösen Grundbedürfnisse der Studierenden sorgten, wie etwa die Einrichtung eines Gebetsraums, die Organisation von Feiern oder besonderen Veranstaltungen zum Fastenmonat Ramadan. 1963 fanden sich 13 solcher Studentenvereine zusammen und gründeten die Muslim Students Association of the United States and Canada (MSA-National).

Im Jahr 2009 verzeichnete die MSA 500 Studentenvereine mit Mitgliedern aus 40 Herkunftsländern. Viele dieser muslimischen Studierenden und Forscher traten ihre berufliche Karriere in den USA an und gründeten Familien. Es entstanden berufsständische Organisationen mit religiösem Selbstverständnis, etwa von Medizinern, Ingenieuren oder Sozialwissenschaftlern, wie die Islamic Medical Association (IMA) oder American Muslim Social Scientists (AMSS). (Ahmed 1991, S. 14–16)

In den 1980er und 1990er Jahren entstanden dann hunderte von Moscheen und zunehmend auch Schulen in den USA, um die Kinder im islamischen Glauben zu unterweisen. Daraus entwickelten sich dann neue Zusammenschlüsse von Moscheen und muslimische 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 64

Organisationen, wie der North American Islamic Trust, die Islamic Society of North America oder der Islamic Circle of North America. (Nyang 1999, S. 22–29). Abschließend kann festgehalten werden, dass die Entwicklung muslimischer Institutionen in den USA vor allem ein Ergebnis der Einwanderung von Muslimen nach 1965 ist.

Da ein großer Teil der US-Muslime zu Bildungszwecken in die USA eingewandert ist, verwundert es nicht, dass US-Muslime im Vergleich zu Muslimen in Deutschland einen relativ hohen soziökonomischen Status aufweisen. (Azzaoui 2009) Bei Bildung und Einkommen liegen US-Muslime im Durchschnitt der Gesamtgesellschaft. (Pew Research Center 2011, S. 17–18; Gallup 2009, S. 23)41

Dabei offenbaren sich bei Bildungsabschlüssen und Einkommen eine große Kluft zwischen den in die USA eingewanderten und den einheimischen Afroamerikanischen Muslimen. Afroamerikanische Muslime verfügen deutlich seltener über universitäre Abschlüsse und sind auch weniger im hohen Einkommensspektrum vertreten als Muslime mit Migrationshintergrund. (Pew Research Center 2011, S. 17; Gallup 2009, S. 75)

Die deutlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen können auf ihre unterschiedliche Geschichte zurückgeführt werden. Während Afroamerikanische Muslime – wie auch andere Afroamerikaner – noch immer z.T. mit den Folgewirkungen von Versklavung, Diskriminierung und Deprivation zu kämpfen haben, verfügt ein

41 Während nach der Gallup-Studie etwa 40% der US-Muslime über mindestens einen College-Abschluss verfügt, liegt der Wert für die US-Gesellschaft bei 29%. Damit stehen Muslime in den USA als Religionsgemeinschaft hinsichtlich der Bildungsabschlüsse an zweiter Stelle nach Juden, von denen 61% mindestens einen College-Abschluss haben. Die hohe Bildung wird auch in der Studie vom Pew Forum bestätigt, wobei hier nach Universitätsabschluss gefragt wurde und der Wert hier mit einem Viertel dem US-Durchschnitt entspricht. (Pew Research Center 2007, S. 18) 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 65

großer Anteil der in die USA eingewanderten Muslime über Universitätsabschlüsse und gut bezahlte Anstellungen.

Zum hohen sozioökonomischen Status kommt ein weiterer Aspekt, der US-Muslime von Muslimen in europäischen Ländern unterscheidet. Die in den USA lebenden, aber im Ausland geborenen Muslime stammen aus mindestens 68 verschiedenen Nationen. Wenn man die Staaten zu Herkunftsregionen zusammenfasst ergibt sich folgendes Bild: Die größte Gruppe bilden Herkunftsländer in Südasien (26%) gefolgt von arabischen Muslimen aus dem Nahen Osten und Nordafrika (24%), mit einigem Abstand folgen Muslime aus Europa (5%) und dem restlichen Afrika (4%). Dabei wird die Diversität der Muslime in den USA dadurch unterstrichen, dass es insgesamt eine große Streuung gibt und kein Herkunftsland alleine auf einen Anteil von über 8% an der Gesamtzahl der Muslime kommt. (Pew Research Center 2007, S. 15-16).42

Kein anderes Land der Welt verfügt über eine so ethnisch diverse muslimische Gemeinschaft wie die Vereinigten Staaten. Muqtedar Khan spricht deshalb von ihnen als „global Ummah“, also eine Art Mikrokosmos der Weltgemeinschaft der Muslime. (Khan 2002, S. 77)

Der Anteil der Afroamerikaner an der Gesamtzahl der Muslime liegt nach unterschiedlichen Erhebungen bei 20-35%. Die Afroamerikanischen Muslime bestehen zum einen aus Konvertiten - sie machen mehr als die Hälfte aller Konvertiten zum Islam in den

42 Unter Südasiaten werden vom Pew Forum Muslime aus Pakistan, Indien, Bangladesch und Afghanistan (18%) und Iran (8%) zusammengefasst. Die Defintion von Arabische Welt basiert auf der Klassifikation der UNDP, welche 22 arabische Länder des Nahen Ostens und Nordafrika umfasst. Die in den USA geborenen Nachkommen der Immigraten werden nicht mehr unter der Herkunftsregion ihrer Eltern geführt, sondern einfach als in den USA geborene Amerikaner. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 66

USA aus – oder es handelt sich um Personen, die in einer muslimischen Familie aufgewachsen sind und bei denen in der Regel die Eltern oder Großeltern zum Islam übergetreten waren. Die USA sind damit das einzige westliche Land, das über einen großen Anteil von Einheimischen unter seinen Muslimen verfügt. (Pew Research Center 2007, S. 17, 21-22; Gallup 2009, S. 20– 21)43

Afroamerikanische Muslime sind Träger und Produzenten von kulturellem Kapital etwa in den Bereichen Musik und Politik. Personen wie Malcolm X, Hubert „Rap“ Brown und nicht zuletzt Muhammad Ali haben die politische Kultur der USA stark beeinflusst. (Waldschmidt-Nelson 2015) So haben viele nichtmuslimische Afroamerikaner Muslime in ihrer Verwandtschaft und somit sind ihnen der Islam und Muslime nicht ganz fremd. Zum Islam konvertierte Afroamerikaner kennen sich oftmals auch mit dem Christentum gut aus und verfügen damit über besondere Fähigkeiten im interreligiösen Dialog.44

43 Der große Anteil von Afroamerikanern macht die „Muslim American population”, wie es in einer Gallup-Studie heißt, zur „most racially diverse religious community“ in den USA. Im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften gibt es jeweils große Anteile von Personen, die sich als „White“, „Asian“ und „African American“ verstehen. Bei Protestanten (88%), Mormonen (91%) und Juden (93%) dominieren hingegen Personen, welche sich als „White“ identifizieren. Die größten nichtweißen Gruppen finden sich bei Protestanten mit Afromamerikanern (8%) und bei den Katholiken sind es Hispanics (11%). (Gallup 2009, S. 21)

44 Auch wenn es durchaus auch Spannungen gab, weil die Konversion zum Islam von den etablierten afroamerikanischen christlichen Kirchen mit Mißtrauen beobachtet wurden, berichtete Yussuf Saleem - ein afroamerikanicher Imam in Washington DC – mit einem Lächeln davon, dass er heute sehr positiv in den christlichen Kirchen empfangen wird. Am Rande des Interviews mit ihm sagte er, dass man ihm bei Veranstaltungen in christlichen Kirchen sage „Er ist bei auf uns aufgewachsen. Er raucht nicht, er trinkt nicht und er kennt immer noch seine Bibel.“

3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 67

Der afroamerikanische beeinflusst somit die Wahrnehmung von Muslimen in der Gesellschaft insgesamt und damit auch den Prozess der politischen Inkorporation. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 25-26)

Zur hohen ethnischen Diversität kommt ein weiterer Aspekt, der in den USA zu einer anderen Wahrnehmung von Muslimen führt, als sie in Europa anzutreffen ist. Die US-Muslime machen nur etwa 10% der neuen Einwanderer aus. Die große Mehrheit, etwa 65- 75% der Einwanderer haben einen christlichen Hintergrund. (Casanova 2007, S. 71)

All diese Faktoren führen dazu, dass der Islam - im Gegensatz zu Europa - weder mit einer bestimmten Ethnie noch mit Immigration per se gleichgesetzt wird. Mit Blick auf die europäische Situation wird dies von Jose Casanova, wie folgt, sehr treffend beschrieben:

„ [I]n continental Europe at least, immigration and Islam are almost synonymous. (…) Moreover, despite the symbolic presence of small groups of European converts to Islam, the overwhelming majority of Western European Muslims are immigrants. This identification of immigration and Islam appears even more pronounced in those cases, where the majority of Muslims immigrants tend to come predominantly from a single region of origin (e.g. Turkey in the case of Germany, the Maghreb in the case of France). This entails a superimposition of different dimensions of otherness that exacerbate issues of boundaries, accommodation, and incorporation. The immigrant, the religious, the racial, and the socioeconomic

disprivileged other all tend to coincide.” (Casanova 2007, S. 61)45

Die Überlagerung von verschiedenen Dimensionen des Andersseins, welche den europäischen Kontext prägt, kommt bei US-Muslimen somit nicht zum Tragen.

45 In Deutschland liegt die Zahl der Muslime bei etwa 3,8-4,3 Millionen, was einen Anteil von 4,6-5,2% an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Auch in anderen europäischen Ländern ist der Anteil der Muslime höher als in den USA. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 68

Die Sicht auf Muslime in Europa ist vergleichbar mit dem „American nativism“ der vor allem in den 1840er Jahren aufkam und sich gegen irische Katholiken richtete, die zu dieser Zeit in größerer Zahl in die USA eingewandert sind. Diese Iren, welche aus katholisch geprägten Ländern eingewandert waren, unabhängig davon ob sie religiös waren oder nicht, wurden seitens der „White Anglo-Saxon Protestant“ (WASP)-Kolonisten als Katholiken kategorisiert. Sie galten der US-amerikanischen Kultur gegenüber als „alien and hostile“ sowie als „unassimilable“. (Casanova 2012)

3.4 EINGEWANDERTE UND AFROAMERIKANISCHE MUSLIME

Die religiösen Institutionen in den USA von Afroamerikanischen Muslimen einerseits und diejenigen von im 20. Jahrhundert eingewanderten Muslimen anderseits entwickelten sich weitgehend unabhängig voneinander.46 Die Gründe dafür liegen vor allem in den sehr unterschiedlichen historischen Erfahrungen und den daraus resultierenden sozioökonomischen Unterschieden der beiden Gruppen. Aus Sicht von Abdul-Ali Hodari, einem bekannten afroamerikanisch-muslimischen Aktivisten aus dem Großraum Washington DC, zeichnet sich dabei folgendes Bild:

„What other country could a Muslim immigrate to and then they wanna disregard the Muslims who are already there. That’s not the way it normally works. If I go to Morocco I have to be respectful of the Muslim leadership that’s in Morocco. Maybe I have my own ideas but there is no way that I just come up of an airplane and then say I’m gonna be the leader and many of us felt that Muslims who had come here and they would disregard the Muslims already here. And maybe they felt like: Oh, those Muslims they don’t have too much,

46 Soweit nicht anders ausgewiesen, werden in diesem Kapitel „eingewanderte Muslime“ und „Immigranten“ synonym verwendet, um den Kontrast zu den länger einheimischen (vor allem afroamerikanischen) Muslimen zu betonen. 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 69

look at their Masjid [Moschee, arab., M.A.], it’s just small, we will gonna build a big pretty Masjid.” (Abdul-Ali, S. 5)

Es gab Abdul-Ali zufolge eine Überheblichkeit seitens der Immigranten, die aus ihrer soziökonomisch günstigeren Situation rührte. Hinzu kam, dass sich die Immigranten als Pioniere sahen, welche als erste den „echten“ Islam in den USA bekannt machen sollten, da der afroamerikanische Islam mit Blick auf die Lehren der NOI vor 1975 als Abweichung von der Orthodoxie angesehen wurde. Nach Abdul-Ali gibt es unter Afroamerikanischen Muslimen auch das Gefühl einer Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe durch nicht-schwarze Muslime. So könne man etwa beobachten, dass nicht-schwarze Muslime über ethnische Grenzen hinweg heirateten, doch nicht über Hautfarben hinweg. Zudem würden Afroamerikanische Muslime nicht in Beratungsprozesse der etablierten großen muslimischen Organisationen angemessen einbezogen und seien in den Führungspositionen kaum vertreten. (ebd.)

Iqbal Unus, ein Mitbegründer der MSA, bestätigte, dass die Immigranten die Afroamerikanischen Muslime zunächst nicht als „richtige“ Muslime anerkannten und auf sie herab sahen. Er verwies zudem darauf, dass die Immigranten von den Afroamerikanern als Gruppe mit einer ausländischen Agenda betrachtet wurden. Dies war seines Erachtens zutreffend, denn der Fokus der zugewanderten Muslime war – etwa bei Konferenzen – auf Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern gerichtet. (Unus, S. 3)

Die Ereignisse von 9/11 und die sich anschließenden Entwicklungen haben nach Ansicht von Afroamerikanischen Muslimen zur Veränderung des Verhältnisses zwischen beiden Gruppen beigetragen. Dies beschreibt der Afroamerikaner Mahdi Bray, wie folgt: 3. Eine kurze Geschichte der Muslime in den USA 70

„A lot of times the information that African Americans would present about the harshness of America, the unfairness of America, how American law enforcement could be, were looked by many immigrants [sic!], who were living in the suburbs making six figures incomes and doing quite well, was viewed as something conspiratorial or an unnecessarily kind of victimization. But after 9/11 other members of the Muslim community outside the African American had different perspective, they did realize that. Guess what every Muslim talk now about racial profiling. We have been with racial profiling for over 200 years in this country but it did not become apparent to immigrants with a Ph.D. before that: ‘No problem, I’m a doctor’. Now you can be a doctor and stopped at the airport and asked crazy questions while you come back from the Hadj [arab., Pilgerfahrt nach Mekka, Saudi-Arabien, M.A.]. That (...) was not a reality for many immigrant Muslims until 9/11.” (Bray, S. 13-14)

Während die Afroamerikanischen Muslime vor 9/11 kritisierten, dass es seitens der zugewanderten Muslime kein Verständnis für die Diskriminierungserfahrungen und sozialen Probleme gab, habe sich dies nach 9/11 und den damit verbundenen eigenen Diskriminierungserfahrungen der Immigranten verändert. 47 Dies wird durch Umfrageergebnisse bestätigt, in denen Muslime mit hoher Bildung und Einkommen – wozu insbesondere Immigranten gehören (siehe 3.3) – relativ häufiger davon berichten, dass für sie das Leben nach 9/11 schwieriger geworden sei, als bei Muslimen mit niedriger Bildung und Einkommen. (Pew Research Center 2007, S. 35)48

Aus Sicht Afroamerikanischer Muslime liegt in dieser veränderten Wahrnehmung ihrer soziökonomischen und gesellschaftlichen

47 So soll ein pakistanischer Muslim zwei Monate nach 9/11 in einem offenen Brief geschreiben haben „Now I know what it feels to be a black man in America.“ (vgl. Bokhari 2002, S. 41)

48 Während im Durchschnitt 53% der Muslime davon berichten, dass das Leben als Muslim nach 9/11 schwieriger geworden ist, liegen die Werte für Muslime mit hoher Bildung bei 65% und mit hohem Einkommen bei 68%. (ebd.) 4. Politische Sozialisation 71

Probleme die Chance, dass beide Seiten künftig stärker zusammenarbeiten:

„When the reality is both groups can learn from each other and benefit each other. The Immigrant Muslims can benefit from the African American Muslims because we know this government, we know the country very well, we have experienced already as I mentioned many of the concerns and discomforts that people are experiencing now. We have already gone through it. Of course the African American Muslims can benefit from the scholarship and knowledge [der Immigranten, M.A.]. To the extent that we respect one another everybody can benefit.” (Abdul-Ali, S. 5)49

Auf der einen Seite verfügen die Immigranten über einen höhere Bildung – wobei Abdul-Ali hier höchstwahrscheinlich „knowledge“ auf den religiösen Kontext bezieht, da eine nicht unerhebliche Zahl der Immigranten eine klassische religiöse Ausbildung genossen hat und zudem arabisch spricht, was für den Zugang zu den religiösen Texten des Islam von zentraler Bedeutung ist.

Auf der anderen Seite verfügen Afroamerikanische Muslime über eine Tradition in der politischen Arbeit – nicht zuletzt durch die Bürgerrechtsbewegung ab den 1950er Jahren – die für Immigranten von Nutzen sein kann beim Vorhaben, sich stärker in den politischen Prozess einzubringen.

4. POLITISCHE SOZIALISATION

4.1 AFROAMERIKANISCHE MUSLIME UND POLITIK

Der Busboykott in Montgomery, Alabama im Jahre 1955 gilt als Beginn der Bürgerrechtsbewegung. Höhepunkte dieser Zeit waren

49 Im Interview hat sich auch Imam Akmal Muhammad ähnlich geäußert und die Erfahrung der Afroamerikaner, wie folgt beschrieben: „We know the white man, the american mentality“. (Muhammad, S. 2) 4. Politische Sozialisation 72

der „March on Washington“ (1963) mit der Rede Martin Luther Kings „I have a dream“ am Lincoln Memorial, sowie der Civil Rights Act (1964), der die Rassentrennung aufhob, und der Voting Rights Act (1965), mit einer Stärkung des Wahlrechts für Schwarze. Beide Gesetze wurden unter Präsident Lyndon B. Johnson verabschiedet.

Afroamerikanische Christen, wie der 1968 ermordete Martin Luther King, Jesse Jackson und Organisationen wie die Southern Christian Leadership Conference (SCLC) haben dabei in der Bürgerrechtsbewegung eine zentrale Rolle eingenommen. Im Gegensatz zum afroamerikanischen Islam, der, wie noch gezeigt wird, auf Abstand zum etablierten politischen Prozess blieb, zeichnete sich der afroamerikanische Protestantismus dadurch aus, dass sich lokale Kirchengemeinden in der Bürgerrechtsbewegung engagierten und in den politischen Prozess einbrachten. Die Bürgerrechtsbewegung versuchte, eine Gleichbehandlung von Afroamerikanern in den Bildungsinstitutionen und öffentlichen Einrichtungen zu erzielen. Dabei forderte man den Staat auf, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um die Voraussetzungen für Teilhabe – insbesondere am wirtschaftlichen Leben – überhaupt erst zu ermöglichen.

Zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung bildete sich auch die „Black Power“-Bewegung. Im Gegensatz zur Bürgerrechtsbewegung rief sie nicht zu einer Integration in den Mainstream der US- amerikanischen Gesellschaft auf, sondern propagierte vielmehr eine kulturelle und politische Autonomie von Afroamerikanern. Für die Black Power-Bewegung um Persönlichkeiten wie Stockely Carmichael and Hubert „Rap“ Brown, waren die USA ein rassistisches System. Man könne von den Schwarzen nicht verlangen, sich in dieses System zu integrieren.

Die NOI verfolgte ebenfalls einen separatistischen Ansatz. Sie genoss in dieser Zeit Beliebtheit, eine große Zahl von 4. Politische Sozialisation 73

Afroamerikanern schloss sich ihr damals an. Elijah Muhammad rief seine Anhänger dazu auf, sich aus dem politischen Prozess herauszuhalten und nicht an Wahlen teilzunehmen. Aus dem gleichen Motiv lehnte es Elijah Mohammed im zweiten Weltkrieg ab, im US-Militär zu dienen und musste dafür ins Gefängnis gehen. Einige Jahrzehnte später lehnte es auch der Profiboxer Muhammad Ali, der von der NOI beeinflusst war, ab, sich der Wehrpflicht zu fügen und in den Vietnamkrieg zu ziehen. Seine Kriegsdienstverweigerung führte dazu, dass ihm 1967 sein Weltmeistertitel aberkannt wurde. (McCloud 1995, S. 49–52)

Der rhetorisch gewandte Malcolm X wurde in den 1960er Jahren zum bekanntesten Sprecher der NOI und wurde zu einem Symbol eines afroamerikanischen Selbstbewusstseins, das den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft – auch unter Androhung von Gewalt - anklagte. (Waldschmidt-Nelson, 2015)

Cherif Bassiouni, ein international renommierter Jurist mit ägyptischen Wurzeln, verfolgte die Entwicklung der afroamerikanischen Muslime über einen Zeitraum von 50 Jahren, insbesondere in Chicago. Er merkte im Interview dazu an:

„They [Afroamerikanische Muslime, M.A.] had their multiple battles: They had to fight their own African American community of Christians, who saw them as abandoning Christianity. They had to fight basically the American establishment who saw that becoming Muslim - the Black Muslims had something ominous - threatening. And they had to fight because most of the people who came to their organization were poor people. They were poorer than the other blacks, they were more disaffected than others. So how many battles you can fight at the same time.” (Bassiouni, S. 3)

Afroamerikanische Muslime, die hauptsächlich aus dem Protestantismus übergetreten waren, hatten zum einen Konflikte mit protestantischen Gruppen, zudem standen sie auch unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. So hat das FBI zwischen 4. Politische Sozialisation 74

1940-1980 alle afroamerikanisch-muslimischen Gruppen unter der Bezeichnung „Extremist Muslim Groups and Violence“ beobachtet und ihnen während des 2. Weltkrieges vorgeworfen, mit Japan zu kollaborieren, um die USA zu unterwandern. (Turner 2003, S. 101– 106)

Diese und weitere Faktoren müssen in eine Einordnung der politischen Partizipation von Afroamerikanischen Muslimen einfließen. Der Generalverdacht und die diskriminierenden Maßnahmen seitens der US-Regierung haben nach Auffassung von McCloud die Protesthaltung von Afroamerikanischen Muslimen gegenüber Politik und Gesellschaft begünstigt und über Jahrzehnte die Erziehung in ihren Gemeinden geprägt. (McCloud, S. 2)

Während Afroamerikaner im Allgemeinen aufgrund soziökonomischer Probleme und Diskriminierung ohnehin im politischen Prozess unterrepräsentiert sind, kommen bei Afroamerikanischen Muslimen noch die beschriebenen besonderen Umstände hinzu, was ihre Distanz zum poltischen Prozess verstärkte. (Mazrui 2004, S. 118; Ansari 2004, S. 225–226)

Nach dem Tod von Elijah Muhammad 1975 sollte sich die NOI jedoch einer starken Veränderung unterziehen. Vorboten dieser Entwicklung zeigten sich bereits in den 1960er Jahren. Anschaulich wird dies vor allem anhand der Entwicklung von Malcolm X - auch unter dem Namen Malik El-Shabazz bekannt. Malcolm X verließ 1964 aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit Elijah Muhammad die NOI und machte eine Reise nach Mekka. Dort traf er auf Muslime der unterschiedlichsten Ethnien aus der ganzen Welt und Hautfarben, die alle gemeinsam die Pilgerfahrt vollzogen. Dies machte ihm deutlich, dass der Islam keinen Unterschied zwischen den Hautfarben macht und die Lehren der NOI von den „White devils“ mit dem Islam nicht übereinstimme. Nach seiner 4. Politische Sozialisation 75

Rückkehr in die USA machte er dies unter Afroamerikanischen Muslimen bekannt. (Ansari 2004, S. 244-245)50

Auch Warith Den Muhammad (1933-2008), der nach dem Tod seines Vaters 1975 die Führung der NOI übernehmen sollte, machte bereits während seines Studiums an der Al-Azhar Universität in Kairo die Erfahrung, dass der orthodoxe Islam – zumindest normativ – keinen Unterschied zwischen den Hautfarben mache und zudem die religiöse Praxis der NOI von orthodoxen muslimischen Vorstellungen weit entfernt war. (McCloud 1995, S. 38)

Unter der Führung von Warith Deen Muhammad kam es innerhalb kurzer Zeit in der NOI zu einem radikalen theologischen Entwicklungsprozess hin zum orthodoxen sunnitischen Islam. Die Sichtweise über Weiße als „White devils“ wurde fallen gelassen und auch die Glaubensvorstellungen sowie die religiöse Praxis wurden sehr stark auf den sunnitischen Islam ausgerichtet. 51 Zudem hat Muhammad das Verhältnis zu den USA und die Position zu politischer Partizipation neu definiert. (Ansari 2004, S. 251–256)

50 Ansari zufolge hat auch die von Immigranten gegründete MSA in diesem Proezss eine wichtige Rolle gespielt: „MSA organized Muslim students on the campuses and initiated activities that strove to heighten awareness of Islam in American society as a whole. Thus, the teachings of Islam – the teachings of orthodox Islam – were becoming increasingly known. The result was that an increasing number of people began to feel that the doctrines espoused by the Nation of Islam had scarcely anything to do with the true Islam.” (Ansari, S. 244)

51 Yusuf Saleem berichtete, dass christliche Elemente der NOI durch muslimische ersetzt wurden: Statt „Temple“ für die Gebetsstätten wurde der Begriff „Moschee“ verwendet. Die Gemeinschaftsgottesdienste fanden nicht mehr am Sonntag, sondern freitags statt. Den Fastenmonat Ramadan hielt man zunächst im Dezember ab (um nicht so viel Geld für Weihnachten auszugeben), dann wurde er jedoch im 9. Monat des islamischen Kalenders gefeiert. Man habe dann Stück für Stück gelernt, was Allah, sein Gesandter, Ramadan und das Gebet bedeuteten. Dafür gab es monatlich eine Telefonschaltung, die im ganzen Land verfolgt und von WD Muhammad aus Chicago gehalten wurde. (Saleem, S. 1-2) 4. Politische Sozialisation 76

So unterstützten Mitglieder der NOI bereits 1975 die Wahl von Walter E. Washington als ersten afroamerikanischen Bürgermeister von Washington DC. 52 Muhammad initiierte ab Ende der 1970er Jahre den „New World Patriotism Day“ in Chicago. Im Rahmen einer Parade haben sich die Anhänger der NOI Bänder in den Farben der US-Flagge umgehangen und sind durch die Stadt marschiert, um ihren Patriotismus zu den USA zum Ausdruck zu bringen. Muhammad versuchte bei seinen Anhängern für Vertrauen in die staatlichen Institutionen zu werben und hat damit den Weg geebnet, dass die Mitglieder der NOI am politischen Prozess teilnehmen. (Nyang 1999, S. 26)

Warith Deen Muhammad benannte die NOI in „World Community of al-Islam in the West“ um, um damit die Verbindung seiner Bewegung mit dem Weltislam zum Ausdruck zu bringen (Ansari 2004, S. 253).53 Muhammad rief die lokalen Moscheen dazu auf, all ihre Mittel vor Ort für die Gemeindeentwicklung einzusetzen.54 Die Unabhängigkeit der lokalen Gemeinden kommt auch darin zum Ausdruck, dass diese ihre Zugehörigkeit zu der Bewegung nur noch mit „in the association of Imam Warith Deen Muhammad“ verwendeten und nicht mehr den Namen einer Dachorganisation. (Saleem, S. 2)

Der von Muhammad eingeleitete Transformationsprozess wurde jedoch nicht von allen Mitgliedern der NOI vollzogen. Nach dem Tod von Elijah Muhammad gab es unterschiedliche Auffassungen

52 In jener Zeit besuchte Washington auch die afroamerikanisch-muslimische Gemeinschaft in der zur NOI gehörenden Moschee Muhammad. (Kashif, S. 2-3)

53 In der Folge wurde die Organisation noch zweimal umbenannt, einmal in American Muslim Mission und dann in Muslim American Society.

54 „Now looking back it was a very wise move because it helped us to begin to stand on our own. We used to send money to Chicago to support his efforts, but he said keep that money in your locals and develop institutions, businesses, develop your Masjids and develop schools.” (Saleem, S. 2) 4. Politische Sozialisation 77

zwischen Warith Deen Muhammad und Louis Farrakhan, einer anderen Führungspersönlichkeit in der NOI.

Farrakhan verließ die Gemeinschaft mit einer Reihe von Anhängern und gründete eine Organisation unter dem Namen Nation of Islam, um eine Kontinuität zu Elijah Muhammad herzustellen. Er behielt den Ansatz von den „White devils“ und prangerte weiterhin medienwirksam die sozialen Probleme von Afroamerikanern in der US-Gesellschaft an. Die Öffentlichkeit erreichte er durch Aktionen wie den Million Man March 1995 in Washington DC auf der National Mall. Auch wenn die Anhängerschaft von Farrakhan immer nur ein Bruchteil von Warith Deen Muhammads Anhängerschaft bleiben sollte, konnte er durch sein markantes Profil auch unter Nichtmuslimen in den USA - und sogar weltweit - eine gewisse Popularität erlangen als der Vertreter der Afroamerikanischen Muslime schlechthin. (Ansari 2004, S. 258)

4.2 MUSLIMISCHE IMMIGRANTEN UND POLITIK

Die politische Inkorporation von ethnischen und religiösen Minderheiten wird von der politischen Sozialisierung in den Herkunftsländern und theologischen Traditionen sowohl positiv als auch negativ beeinflusst. (Fowler et al. 2004, S. 116; Bloemraad 2006, S. 74–76)

Muslime aus Indien und Pakistan etwa sind überproportional – mit Blick auf ihren Anteil an der Zahl aller US-Muslime – stark am politischen Leben in den USA beteiligt. Im Jahr 2007 waren neben drei Afroamerikanischen Muslimen jeweils ein Muslim aus Indien 4. Politische Sozialisation 78

und Pakistan Abgeordnete in den Parlamenten der Bundesstaaten. (Sinno 2009b, S. 80)55

Die Gründe liegen Leonard zufolge darin, dass in die USA eingewanderte, südasiatische Muslime traditionell über gute Englischkenntnisse verfügen, da sie ihre Ausbildung in den ehemals britisch kolonialisierten Heimatländern meist in englischer Sprache absolviert haben. Zudem haben indische Muslime Erfahrungen, als Minderheit in einem demokratischen Land zu leben und können die damit verbundenen Fähigkeiten im neuen Ankunftsland nutzen. (Leonard 2002)

Neben günstigen Faktoren mit Blick auf die politische Inkorporation gibt es jedoch auch migrationsbedingte Faktoren, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben US-Muslime vom politischen Engagement abzuhalten. Zunächst sollen diese Gründe nachgezeichnet und im Anschluss diejenigen Faktoren herausgearbeitet werden, die dazu geführt haben, dass US- Muslime diese Barrieren überwunden haben.

4.2.1 DER WEG ZUR ÖFFNUNG FÜR POLITISCHE PARTIZIPATION

Als im Jahr 1963 die Muslim Student Association (MSA) als Dachverband der muslimischen Studentengemeinden von Muslimen sehr unterschiedlicher Herkunft gegründet wurde, befanden sich diese Länder in tiefen politischen und sozialen Umwälzungen. Nach einem blutigen Unabhängigkeitskampf erlangte Algerien 1962 seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. In Ägypten wurden die Mitglieder der Muslimbruderschaft verfolgt und Sayyid Qutb - einer ihrer wichtigsten Theoretiker - zum Tode verurteilt und

55 Weitere wichtige Akteure, welche aus Südasien stammen, sind Agha Saeed (AMT, AMA); Suhail Khan, ein bekannter Republikaner und Aktivist, sowie der Gründer der „Muslim Democrats“, Abdul Malik Mujahid. 4. Politische Sozialisation 79

1966 erhängt. Muslimische Studierende, die in die USA eingewandert waren, hatten ihre politische Sozialisierung in diesen aufkeimenden Transformationsprozessen erfahren und waren oft Mitglieder oder Sympathisanten von islamischen Bewegungen. Dazu gehörte etwa die Muslimbruderschaft in den arabischen Ländern oder die religiösen Bewegung Tablighi Jamaat bzw. die Jama´ati Islami als eine einflussreiche religiöse Partei in Pakistan. (Nimer 2002a, S. 169–172)

Viele Gründungsmitglieder der MSA und ISNA waren von diesen Bewegungen ideologisch beeinflusst. Dies bestätigte Iqbal Unus, der 1975 als einer der ersten MSA-Präsidenten amtierte:

„MSA had people from all different countries, all different backgrounds. MSA absorbed people from Arab background, mostly who were influenced by the thinking of Ikhwan Al-Muslimin [arab., Muslimbruderschaft, M.A.]. It also had in people from South Asia – Pakistan, Bangladesh, and India – who were influenced by Jamaat- Islami thinking. It had people from Turkey, people from Indonesia who were influenced by the Islamic movements in their own countries. Why MSA grew so fast was that it was open to all kinds of people having influenced by all kinds of Islamic ideologies.” (Unus, S. 3)

Zu diesen „Islamic ideologies“ gehörten etwa die Lehren des Ägypters Sayyid Qutb oder die des Indo-Pakistaners Sayyid Abul Ala Maududi. Maududi gilt als einer der einflussreichsten islamischen Gelehrten im 20. Jahrhundert und bereiste in den 1960-70er Jahre oft die USA, um an Konferenzen von US-Muslimen teilzunehmen. Qutb und Maududi war gemeinsam, dass sie alle politischen Systeme ablehnten, die nicht auf dem Islam basierten. Sie riefen Muslime dazu auf, sich vom politischen Prozess fernzuhalten, insbesondere als muslimische Minderheiten in westlichen Gesellschaften. Muslime sollten sich von der Gesellschaft isolieren, ihre islamische Identität bewahren und im 4. Politische Sozialisation 80

privaten ein gottgefälliges Leben führen. (Mattson 2003, S. 202– 206)

Als Begründung galt hier die Überzeugung, dass Gott allein der oberste Gesetzgeber sei und Muslime damit als Glaubensgemeinschaft (Ummah) nur Gottes Gesetze umzusetzen hätten. In der Demokratie hingegen maße sich der Mensch selbst an, Gesetze zu verabschieden und stellte damit die Souveränität Gottes in Frage. Die Verabschiedung von Gesetzen komme demnach einer Beigesellung Gottes gleich, was nach islamischem Recht als schwerste Sünde überhaupt gilt. (Khan 2002, S. 33–34; Johnson 1991, S. 111–116)56

Die Denkweise von Maududi und Qutb beeinflusste die muslimische Organisationslandschaft für etwa zwei Jahrzehnte, bis es Mitte der 1980er Jahre zu einer Richtungsänderung kommen sollte:

„By the middle of the 1980s, the Muslim immigrants who came in the post-1965 period stopped debating whether they could live in the United States and maintain their faith, or should leave to live under the jurisdiction of an Islamic state. Rather the discussion shifted to the definition of Muslim life in the American context – the institutions necessary for the maintenance of Muslim identity, and the scope of Muslim participation in the American public square.” (Haddad 2004a, S. 38)

56 Während die muslimische Gemeinschaft – die Ummah – in der Vergangenheit den Kalifen durch Eid Macht übertrug und dieser dann im Namen der Gemeinschaft regierte, könne dies nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Muqtedar Khan zufolge in der heutigen Zeit nur durch einen Wahlprozess geleistet werden. In der Argumentation von Qutb werde nicht unterschieden zwischen der prinzipiellen Souveränität und der De-Facto Souveränität. Die faktische Souveränität wird nach Khan in jeder Staatsform von Menschen übernommen – auch in sog. islamischen. Deshalb komme es vielmehr darauf an, wie man die Souveränität des Menschen begrenze. Die Demokratie mit Gewaltenteilung und Transparenz leiste eine solche Begrenzung, die auch im islamischen Sinne sei. Khan geht sogar noch einen Schritt weiter und verweist darauf, dass das Konzept der Souveränität in der politischen Theorie des Westens, das Bodin und Rousseau zugeschrieben wird, von islamischen Ideen beeinflusst wurde. (Khan 2002, S. 33-34, 96) 4. Politische Sozialisation 81

Während in den 1970er Jahren der Einfluss muslimischer Gelehrter unter US-Muslimen dominierte, die eine Nichtpartizipation befürworteten, änderte sich dies im Jahrzehnt darauf. So haben in den 1980er Jahren etwa der tunesische Gelehrte Raschid al- Ghannushi oder der sudanesische Gelehrte Hassan al-Turabi US- Muslime bei großen Konferenzen dazu motiviert, sich als gute Bürger in den USA einzubringen und am politischen Prozess zu partizipieren. Immerhin besitze man in den USA alle Freiheiten und sei nicht in Gefahr aufgrund seiner Religion verfolgt zu werden. (Haddad 2004a, S. 32)

Weitere Faktoren, welche diese Entwicklung unter US-Muslimen beeinflussten, waren Diskriminerungserfahrungen, Bildungsinstitutionen, das Wirken von in den USA sozialisierten muslimischen Intellektuellen und die symbolische Anerkennung von Muslimen in der Politik (vgl. die nachfolgenden Unterkapitel).

Der Richtungswechsel hin zu politischer Partizipation wird in einem Strategiepapier der Islamic Society of North America– wenige Jahre nach ihrer Gründung – aus dem Jahre 1986 sichtbar:

„In order to exert influence on the political decision making (sic) [im Original, M.A.] and legislation in North America, ISNA should launch a campaign to educate Muslim citizens about their voting rights and mobilize them to vote on issues affecting Islam and Muslims. On a long-term basis, ISNA should develop communications with and among politically active Muslims and establish a separate political

organization in due course.”57

Formuliert wurde also die strategische Entscheidung, in Zukunft Muslime politisch zu bilden, um sie für die Partizipation am politischen Prozess zu befähigen. Vor diesem Hintergrund wurde

57 Islamic Society of North America, Guidelines for Medium Range Planning, Report of the Planning Committee, December 22, 1986, S.6. (zitiert in Johnson 1991, S. 111) 4. Politische Sozialisation 82

1987 das ISNA-Political Action Committee (PAC) gegründet. Einer der Mitbegründer des ISNA-PAC Abdurahman Alamoudi gründete dann 1990 den American Muslim Council (AMC), welcher eine führende Rolle in der politischen Arbeit der US-Muslime in den Folgejahren einnehmen sollte. (Johnson 1991, S. 116-117)58

Die 1990er Jahre sollten dann eine Reihe weiterer Organisationen hervorbringen, die sich mit politischen Fragen befassen. So wurden 1990 in Los Angeles der Muslim Public Affairs Council (MPAC), 1994 folgte der Council on American Islamic Relations (CAIR) in Washington DC und in Freemont, Kalifornien wurde im selben Jahr die American Muslim Alliance (AMC) gegründet. Diese Organisationen waren dann 1998 auch an der Gründung des American Muslim Political Coordination Council (AMPCC) beteiligt, um die Arbeit der nationalen muslimischen Organisationen besser koordinieren zu können.

Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 erreichte die Arbeit des AMPCC einen Höhepunkt. In diesem Jahr verkündete die Organisation bei der ISNA Convention, das man plane bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen erstmals einen Bloc Vote zu organisieren, indem eine Wahlempfehlung für einen der beiden Kandidaten ausgesprochen wird. Zwei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen gab der AMPCC dann im Rahmen einer Pressekonferenz im National Press Club eine Wahlempfehlung für George W. Bush ab. (Saeed 2002, S. 49-51)

58 Es gibt Hinweise darauf, dass man sich innermuslimisch auf eine Ausdifferenzierung der Organisationslandschaft einigte, wobei ISNA sich auf religiöse Gemeindeaktivitäten und der AMC sich in Zukunft um politische Fragen kümmern sollte. John Borrelli, ein ehemaliger Verantwortlicher bei der U.S. Conference of Catholic Bishops sagte mir im Interview, ein ISNA-Verantwortlcher habe ihm 1991 mitgeteilt, dass mit der Eröffnung des AMC-Büros in Washington diese seitens der Bischofskonferenz als Ansprechpartner für Fragen rund um den Islam und Muslime genutzt werden sollte. (Borelli, S. 3) 4. Politische Sozialisation 83

Der AMPCC sprach sich für den republikanischen Kandidaten aus und nicht für Al Gore als Kandidat der Demokraten, da dieser im Gegensatz zu Bush ein Treffen mit dem AMPCC abgesagt hatte. Bush hatte zudem „Secret Evidence“, eine sehr umstrittene, unter Bill Clinton eingeführte Sicherheitsmaßnahme kritisiert und deren Abschaffung in Aussicht gestellt. (Nimer 2004, S. 151–152; Saeed 2002, S. 50)59

Der Bloc Vote wurde von fast allen großen muslimischen Organisationen in den USA unterstützt. Es war ein deutliches Zeichen dafür, dass die Grundsatzfrage nach religiöser Zulässigkeit der politischen Partizipation für Muslime in den USA inzwischen ihre Relevanz verloren hat, nachdem sie noch in den 1980er Jahren stark diskutiert wurde.

Die muslimischen Organisationen hatten damit begonnen, sich übergreifend in die wichtigsten nationalen Wahlauseinandersetzungen einzubringen. Für den Wandel von der anfänglichen Zurückhaltung muslimischer Gemeinschaften gegenüber der Politik in den 1970er Jahren bis zur breiten politischen Partizipation um die Jahrtausendwende waren eine Reihe von Faktoren verantwortlich, welche im Folgenden analysiert werden.

4.2.2 DISKRIMINIERUNG

Immigranten haben nach Gerry Gerstle in der US-Gesellschaft historisch auf „civic alienage“ – die erfahrene Ausgrenzung in der Gesellschaft - entweder durch Rückzug aus dem öffentlichen Raum oder durch Ausdruck von Patriotismus sowie den Aufbau und die

59 Nach Schätzungen des ehemaligen Kongressabgeordneten Paul Findley haben bei den Präsidentschaftswahlen etwa 2,3 Mio. Muslime für George W. Bush gestimmt. (Findley 2001, S. 261–262) 4. Politische Sozialisation 84

Entwicklung neuer Institutionen reagiert. (Gerstle 2006, S. 32–38) Wie nachfolgend gezeigt wird, haben US-Muslime, diesen zweiten Weg gewählt.

Mit dem Arabisch-Israelischen Krieg von 1967 kam es in den USA zu einem verstärkt negativen Bild von Arabern in den Medien. Dies sollte sich in den anstehenden Jahren mit der Ausrufung der Islamischen Republik Iran 1979 und die sog. Rushdie-Affäre 1989 noch verstärken.60

Diese Entwicklungen haben sich auf das Leben von Arabern und Muslimen in den USA ausgewirkt. Es kam zu Anschlägen auf Moscheen, jedoch auch zu politischen Maßnahmen, die Diskriminierungen von Muslimen und Arabern zur Folge hatten. Dazu gehörte das Verbot palästinensischer Wohlfahrtsorganisationen durch die US-Regierung oder die Verweigerung von „First-amendment“-Rechten durch den Supreme Court für Nicht-US-Bürger, welche in diesem Fall muslimische und christliche Palästinenser waren.

Mitte der 1990er Jahre wurden mit dem „Secret Evidence“- Verfahren und einem Anti-Terrorismus-Gesetz Instrumente eingeführt, die insbesondere auf Muslime und Araber angewendet wurden, wobei Betroffene nicht die Möglichkeit hatten, sich vor Gericht gegen staatliche Eingriffe zu wehren.61 Diese Erfahrungen

60 Vor dem Hintergrund kam es vor der Gründung der NMI zunächst zur Gründung des Arab American Antidiscrimination Committee (1980) und dem Arab American Institute (1985). Auch wenn an der Gründung Muslime beteiligt waren, sind libanesische Christen hier die Hauptakteure gewesen. (Suleiman 2006, S. 11; Haddad 2004a, S. 27) An dieser Stelle sei angemerkt, dass man heutzutage in den USA unter „Arab American“ vor allem Christen und säkulare Muslime aus der arabischen Welt versteht.

61 Die damit verbundene negative gesellschaftliche Stimmung gegen Muslime kam auch in Wahlkämpfen zum Ausdruck. So hat etwa Hillary R. Clinton im Wahlkampf um einen Senatssitz von New York im Jahr 2000 Wahlkampfspenden von einer muslimischen Gruppe abgelehnt. Clinton fürchtete negative

4. Politische Sozialisation 85

gelten als ein wichtiger Einflussfaktor dafür, dass US-Muslime begannen, sich stärker in öffentliche Debatten einzubringen und eigene Interessen zu vertreten. (Haddad 1991b, S. 221; Saeed 2002, S. 41–42; Nimer 2004, S. 146–149, 151)

Der Nahost-Konflikt hat für US-Muslime wegen ethnischer bzw. theologischer Verbindungen (Jerusalem als heilige Stadt) eine besondere Bedeutung. Nach Haddad führte die Billigung der US- Regierung beim Massaker von Sabra und Schatila im Libanon (1982) mit hunderten von Toten und die Bombardierung der PLO- Zentrale in Tunis (1985) durch die israelische Luftwaffe Arabern und Muslimen in den USA vor Augen, wie stark der Einfluss pro- israelischer Interessenorganisationen in den USA war, während sie selbst über keinen politischen Einfluss verfügten. Diese außenpolitische Dimension gilt neben der erfahrenen innenpolitischen Diskriminierung als ein weiterer Faktor, der das politische Engagement von US-Muslimen befördert hat. (Haddad 1991b, S. 222)62

Mit 9/11 sollte ein weiteres Kapitel der Diskriminierung von US- Muslimen beginnen, die sich auch auf das politische Engagement auswirken sollte. Zu den wichtigsten innenpolitischen Maßnahmen nach 9/11 gehörte ein im Oktober 2001 verabschiedetes Gesetz, das unter seiner Abkürzung USA PATRIOT ACT bekannt ist. 63 Dieses Gesetz weitete die Befugnisse des FBI erheblich aus und erleichterte die Überwachung von Kommunikationsmitteln. Es hat

Auswirkungen seitens der proisraelischen Lobby, da die Gruppe sich israel- kritisch geäußert hatte. (Saeed 2002, S. 49)

62 Motiviert neue Institutionen zu gründen wurden Muslime und Araber in dieser Zeit auch durch den Bestseller des demokratischen Repräsentantenhaus- Abgeordneten Paul Findley mit dem Titel „They Dare to Speak out: People and Institutions Confront Israel's Lobby“ (1985), das den Einfluss der pro- israelischen Lobby beschrieb. (Johnson 1991, S. 116)

63 PATRIOT ACT ist ein Apronym für „Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism”. 4. Politische Sozialisation 86

insbesondere zu einer Einschränkung des Rechtsschutzes für Einwohner ohne US-Staatsangehörigkeit geführt. Sie konnten auf der Grundlage ohne Gerichtsverfahren für mehrere Monate festgehalten und abgeschoben werden. Über 200 000 Muslime, Araber und Nordkoreaner mussten sich nach 9/11 bei den Einwanderungsbehörden registrieren lassen, davon wurden etwa 13 000 des Landes verwiesen wegen Unregelmäßigkeiten bei ihrem Aufenthaltsstatus. Die Einwanderung aus muslimisch geprägten Staaten wurde zudem stark gesenkt. (Cainkar 2004)64

Eine weitläufig bekannte Diskriminierung von Muslimen, Arabern und Asiaten findet auf US-amerikanischen Flughäfen statt. Wie in einem Bericht von Muslim Advocates dokumentiert, haben das Department of Homeland Security und die Behörde Customs and Border Protection (CBP) Personen aufgrund von Religionszugehörigkeit und ethnischem Hintergrund systematisch und ohne konkreten Verdacht bei der Einreise in die USA besonderen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen. Die Personen wurden dabei auch nach ihren politischen Ansichten und religiöser Praxis befragt. Ohne konkrete Verdachtsmomente wurden Daten von ihren Laptops, Kameras und Handys durchgesehen und gespeichert. Für die Besitzer der Datenträger war dabei nicht nachvollziehbar, wie mit ihren Daten verfahren wird. (Muslim Advocates 2009)

Der USA Patriot Act und andere Maßnahmen der Sicherheitsbehörden haben dazu geführt, dass das Vertrauen von Muslimen in die Regierung gestört wurde und ein „climate of

64 In den ersten Tagen nach 9/11 kam es zu etwa 1200 Festnahmen, von mindestens 37 Maßnahmen der Regierung waren 25 auf Muslime und Araber fokussiert, wovon mindestens 100 000 Personen betroffen waren. Nur in einem Bruchteil der Fälle kam es zu einer Anklage, von diesen wiederum nur bei einem kleinen Teil zur Verurteilungen, z.T. für Vergehen, die nicht mit Terrorismus in Verbindung standen. (Cainkar, 2004) 4. Politische Sozialisation 87

discrimination“ gegenüber Muslimen, Südasiaten und Arabern entstand. Es trug dazu bei, dass diese Gruppen auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen diskriminiert wurden. (The Institute for Social Policy and Understanding 2004, S. 4–16; American-Arab Anti-Discrimination Committee Research Institute 2008)

Nach 9/11 kam es nichts desto trotz zu einem verstärkten Engagement von Muslimen in Politik und Zivilgesellschaft. Nach Haddad wurde der „Myth of return“ endgültig begraben. Man richtete seine Aufmerksamkeit zum einen auf innenpolitische Themen, zum anderen bekannte man sich deutlicher zu den USA und demokratischen Werten. (Haddad 2004a, S. 45)

Muslimische Organisationen haben sich in der Folge von 9/11 verstärkt im interreligiösen Dialog engagiert und die Tore der Moscheen für Besucher geöffnet. Die Koalitionsbildung mit religiösen und zivilgesellschaftlichen Akteuren hat zugenommen. (Leonard 2003, S. 23; Saeed 2002; Khan 2002) Dabei gab es auch eine selbstkritische Diskussion unter Muslimen darüber, ob die Wucht der Diskriminierung, mit der sie nach 9/11 konfrontiert wurden, nicht auch auf das jahrelange unzureichende politische und zivilgesellschaftliche Engagement zurückzuführen sei. (Cainkar, 2004)

4.2.3 FREIHEITSERFAHRUNGEN UND BILDUNGSINSTITUTIONEN

Es gab auch positive Erfahrungen, die zur stärkeren Teilnahme der US-Muslime am politischen Prozess beitrugen. Die erste Generation von muslimischen Immigranten kam aus Ländern, die überwiegend von autokratischen Regimen regiert wurden. Die islamischen Bewegungen, denen sich viele der in die USA eingewanderten Studenten und Akademiker, verbunden fühlten, wurden in den Herkunftsländern mit repressiven Mitteln verfolgt. Dagegen war 4. Politische Sozialisation 88

das politische Umfeld in den USA mit Religionsfreiheit und politischen Freiheiten eine neue Erfahrung. Dies beschreibt Yousef wie folgt:

„[N]ot only did the United States offer a better educational system and the most advanced study of the sciences, but even the environment for Islamic activism was far less confining than under the staunchly secular governments in the Muslim world, in which social repression against this idealistic generation was a common feature. In essence, an immediate acculturation process was to take place, in which they would learn the norms and values of the American liberal democratic system, above all individual freedoms, liberties, and equality.” (Yousef 2004, S. 38)

US-Muslime, die ab den 1960er Jahren in die USA einwanderten, nutzten nicht nur das Bildungssystem zu ihrer beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung, sondern sie lernten demnach auch die Freiheitsrechte in den USA schätzen, insbesondere die Freiheit, angstfrei ihre Religion auszuüben.

Das öffentliche Schulsystem hatte, neben dem US-Militär, in der US-Geschichte schon immer eine besondere Bedeutung als „Americanizing institution“ eingenommen, indem Unterschiede zwischen Immigranten und Alteingesessenen verwischt wurden und ein gemeinsames Verständnis von „America as a model of democracy and tolerance“ entwickelt wurde. (Haddad, Ricks 2009, S. 17–18)

Die Kinder muslimischer Immigranten, die in den USA geboren wurden und ab den 1980er Jahren die Colleges und Universitäten besuchen sollten, machten solche Erfahrungen. Jihad Saleh Williams von der Congressional Muslim Staffers Association der in den 1990er Jahren das College besuchte, beschreibt dies im Gespräch wie folgt:

„(…) this movement [of political and civic participation, M.A.] is largely a youth movement of Muslims who were born and raised here. 4. Politische Sozialisation 89

It is a Muslim student phenomenon. The liberal American college campus has been the generator, the starting grounds for most Muslims, between the ages of twenty, thirty-five, forty. It is the participation on college campuses that have increased their civic and political participation. The University in America is famous for the sharing ideas, clubs, associations on race or identity issues. Universities are providing resources for kids to do community outreach.” (Williams, S. 8-9)

Für diese Studierende war die Partizipation am gesellschaftlichen Leben der Universität eine Normalität. Man brachte sich in die studentische Arbeit ein, etwa durch Übernahme von Reden bei den Graduiertenzeremonien oder die Herausgeberschaft von Universitätszeitungen. So hat etwa Edina Lekovic, deren Eltern aus Montenegro eingewandert waren, an der University of California in Los Angeles (UCLA) studiert und wurde dort Chefredakteurin (1997-1998) des Daily Bruin, eine der renommiertesten Studierendezeitungen in den USA. Lekovic sollte dann später, wie noch gezeigt wird, für MPAC tätig werden und die Medienarbeit der Organisation leiten.

Yousef zufolge übernahmen mit Beginn der 1990er Jahre Mitglieder dieser Generation die Führungspositionen in den muslimischen Studierendeorganisationen von der Generation ihrer Eltern. Sie leisteten Pionierarbeit, wenn es um den Aufruf zu Wahlen ging oder darum, sich an Gesprächen mit Abgeordneten und Regierungsoffiziellen zu beteiligen. (Yousef 2004, S. 55–59)

4.2.4 MUSLIMISCHE INTELLEKTUELLE

Der sozioökonomische Status einer Gemeinschaft gilt als ein wichtiger Faktor mit Blick auf die politische Inkorporation. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 25) US-Muslime zeichnen sich 4. Politische Sozialisation 90

nicht nur durch ein relativ hohes Einkommen aus, wie gezeigt wurde, sondern sind auch überdurchschnittlich gut gebildet.65

Es gibt in den USA zudem eine relativ hohe Zahl – im Vergleich etwa zu europäischen Muslimen – von muslimischen Theologen und Sozialwissenschaftlern, die ihre Ausbildung oder zumindest einen Teil davon in den USA absolviert haben und sich in die Debatten über die politische Inkorporation von Muslimen einbringen bzw. eingebracht haben.

Muslimische Gelehrte wie Ismail al-Faruqi (1921-1986) oder Taha Jabir Al-Alwani haben mit ihrer wissenschaftlichen und intellektuellen Arbeit wichtige Beiträge geleistet, um den Weg für US-Muslime zu gesellschaftlichem und politischem Engagement zu ebnen. (Leonard 2003, S. 131; Nasr o.J. [2005/2006], S. 75–76).66

Ismail al-Faruqi verband sein Wissen vom Islam mit modernen westlichen Wissenschaftsmethoden, war Mitbegründer des International Institute of Islamic Thought (IIIT) und verfügte über eine hohe Anerkennung unter US-Muslimen. Al-Faruqi war es zum einen wichtig, dass die US-amerikanische Gesellschaft den Islam als eine Religion neben dem Christentum und Judentum anerkennt. Zum anderen sollten Muslime sich von ihrer Fixierung auf die Heimatländer lösen und sich gesellschaftlich und politisch in den USA engagieren, um zum Gemeinwohl beizutragen. (Al-Faruqi 1983; Esposito 1991; Haddad 2004a, S. 36–37). Al-Faruqi legte so

65 Gemeint sind die zugewanderten Muslime und ihre Nachkommen, zur besonderen Rolle der afroamerikanischen Muslime vgl. Kap. 4.1.

66 Ihr Einfluss beschränkt sich dabei nicht nur auf Muslime in den USA, sondern über ihre Studierenden sowie akademischen und politischen Aktivitäten konnten sie auch einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des islamischen Denkens vor allem in Malaysia und Indonesien ausüben (Haddad 1991a; Bakar o.J. [2005/2006]a, Bakar o.J. [2005/2006]b), aber etwa auch auf die intellektuelle Szene in der Türkei (Kalin o.J. [2005/2006]) und in Nigeria (Nyang o.J. [2005/2006]). 4. Politische Sozialisation 91

als einer der ersten die Grundlage dafür, dass sich US-Muslime vom „myth of return“ verabschieden.

Taha Jabir Al-Alwani – seinerzeit Vorsitzender des Fiqh Council of North America – veröffentlichte etwa im Vorlauf zum Voting Bloc im Jahr 2000 ein religiöses Rechtsgutachten zur politischen Partizipation, das weite Beachtung fand. Darin heißt es:

„First, it is the duty of American Muslims to participate constructively in the political process, if only to protect their rights, and give support to views and causes they favor. Their participation may also improve the quality of information disseminated about Islam. We call this participation a ‘duty’ because we do not consider it merely a ‘right’ that can be abandoned or a ‘permission’ which can be ignored. It falls into the category of safeguarding of necessities and ensuring the

betterment of the Muslim community in this country.”67

Al-Alwani definiert die Partizipation an Wahlen hier nicht nur als zulässig, sondern geht noch einen Schritt weiter, indem er sie zur Pflicht erklärt. Die Bedeutung der Wahlteilnahme wird dabei im Wesentlichen damit begründet, dass damit muslimische Interessen gesichert werden können.68

Die Bedeutung dieses religiösen Gutachtens ist nicht zu unterschätzen, da für Muslime die Auffassung von Rechtsgelehrten in umstrittenen Fragen von großer Bedeutung ist. Der Fiqh Council gilt als wichtigstes nationales Gremium in diesem Bereich und ist

67 Die Frage wurde dem Rat von Aly Ramadan Abuzaakouk vorgelegt, seinerzeit Executive-Director des American Muslim Council. (Siehe: The Participation of Muslims in the American Political Process, By Dr. Taha Jaber al-Alwani, http://www.ummah.com/forum/showthread.php?55399-Voting-in-Non-Muslim- Lands-Collection-of-Fatawa-from-Various-Sources)

68 In dem Gutachten wird u.a. noch festgestellt: Muslime können sowohl das aktive als auch passive Wahlrecht wahrnehmen. Dabei können auch nicht nichtmuslimische Kandidaten unterstützt werden, wenn dies von größerem Nutzen bzw. geringerem Schaden für US-Muslime und die Gesamtgesellschaft ist. 4. Politische Sozialisation 92

damit eine Autorität, auf die sich politisch aktive Muslime berufen können.69 Daher ist Hertzkes Einschätzung zuzustimmen:

„The draw of American civic culture has inspired Muslim thinkers to lay the intellectual groundwork for an authentic Islamic understanding of citizen participation in a pluralist democracy.” (Hertzke 2009b, S. 278)

US-Muslime haben muslimische Theologen und Intellektuelle hervorgebracht, die den Islam mit der Partizipation als Bürger in den USA verbunden haben. War man in der Anfangsphase noch sehr stark auf muslimische Gelehrte in den Herkunftsländern fixiert, wurden diese durch muslimische Theologen abgelöst, welche mit dem US-amerikanischen Kontext vertraut waren.

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass in den USA eine beträchtliche Zahl von muslimischen Theologen und Sozialwissenschaftlern nicht nur in akademischen Institutionen wirken, sondern selbst an der Gründung von muslimischen Organisationen beteiligt waren oder in diesen engagiert sind. Dazu gehören etwa Ismail R. al-Faruqi (Muslim Students Association), Zahid Bukhari (Islamic Circle of North America), Agha Saeed (American Muslim Taskforce) oder auch Ingrid Mattson (Islamic Society of North America).70

Ihre Beteiligung erhöht die Zirkulation von Sichtweisen, welche zu gesellschaftlichem Engagement aufrufen, in den muslimischen Verbänden. Sie können so dazu beitragen, neue wissenschaftliche

69 Andererseits könnte man argumentieren: Die Theologie ist der Praxis gefolgt. Dem theologischen Diskussionsprozess, darf nicht eine zu hohe Bedeutung beigemessen werden, worauf der Politikwissenschaftler Muqtedar Khan hingewiesen hat. Khan verweist darauf, dass sich manchmal erst eine Praxis entwickelt und sich die Theologie dieser dann anpasst. Die Praxis wird damit zur Gewohnheit/Gepflogenheit und dies sei selbst wiederum ein wichtiges Prinzip im islamischen juristischen Denken gewesen. (Khan 2002, S. 7–8)

70 Siehe etwa die wissenschaftlichen Beiträge in folgenden Publikationen: Bukhari et al. 2004; Saeed 2002; Mattson 2003. 4. Politische Sozialisation 93

und theologische Ansätze in den Gemeinden und überregionalen Organisationen der US-Muslime zu verankern, die sich von traditionellen Vorstellungen aus den Heimatländern absetzen.

4.2.5 POLITISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE ANERKENNUNG

Ein weiterer Faktor, der die politische Partizipation befördert hat, ist die neue Offenheit gegenüber Muslimen, die die US- amerikanische Politik - insbesondere durch Formen symbolischer Ankerkennung – seit Beginn der 1990er Jahre an den Tag gelegt hat.

Eine erste bedeutende Anerkennung fand aus Sicht amerikanischer Muslime 1993 mit der Ernennung des Afroamerikaners Imam Abdul Rashid zum ersten muslimischen Seelsorger (Muslim Chaplain) im US-Militär statt. „Islam is becoming a part of the institutional framework of the United States“, so kommentierte dies Agha Saeed, ein bekannter politischer Aktivist und Begründer der American Muslim Alliance. (Saeed 2002, S. 46)

Hintergrund war hier der 2. Golfkrieg. Nachdem der Irak in Kuwait einmarschiert war (1990-1991), stellte sich für US-Muslime die Frage, inwieweit auch muslimische Soldaten an einem solchen Krieg gegen ein Land teilnehmen dürften, das mehrheitlich muslimisch geprägt ist. Der kurz zuvor gegründete American Muslim Council, der Muslimen eine Stimme im politischen Prozess verschaffen wollte, empfahl Muslimen, in dieser Frage ihrem eigenen Gewissen zu folgen. Der AMC kooperierte dann auch formal mit dem US-Verteidigungsministerium, um eine religiös- seelsorgerische Versorgung der muslimischen Soldaten sicherzustellen, wie dies in den US-Streitkräften üblich ist.

Auch die ersten muslimischen Eröffnungsgebete im House of Representatives im Jahr 1991 durch Imam Siraj Wahhaj und im 4. Politische Sozialisation 94

Senat 1992 durch Imam Warith D. Mohammed wurden als symbolische Anerkennung wahrgenommen. (Nimer 2002b, S. 130)

Die Wahl des Demokraten Bill Clinton (1993) zum Präsidenten der USA gilt in diesem Kontext als eine wichtige Wegmarke, da sie neue Zugänge für Muslime in der Hauptstadt eröffnete, indem es auch zu einer symbolischen Anerkennung von Muslimen durch das Weiße Hause kommen sollte. So hat die damalige First Lady Hillary R. Clinton (1996) erstmals einen Fastenbrechenempfang im Weißen Haus ausgerichtet. Es folgten Fastenbrechenempfänge des Department of Defense (1997) und des Department of State (1999) bis schließlich Präsident Bill Clinton im Jahr 2000 selbst zu einem Fastenbrechen einlud. Diese Empfänge verdankten ihre hohe symbolische Relevanz der wichtigen religiösen Bedeutung des Ramadan - so schließt dieser Monat mit einem der beiden höchsten muslimischen Feiertage ab. (Nimer 2004, S. 149–150; Haddad 2004b, S. 100)71

Weitere Ereignisse wurden auf muslimischer Seite als bedeutend angesehen: Die erstmalige Berufung von Muslimen als US- Botschafter, Spitzenbeamte oder als Vertreter in staatliche Gremien Ende der 1990er Jahre; die Einrichtung eines „Muslim Roundtable“ beim Department of State (1999); erstmalige muslimische Invokationen bei den Parteitagen der Republikaner und Demokraten (2000); der Druck einer Sonderbriefmarke des U.S.

71 In Deutschland hat im Jahr 2006 der US-amerikanische Botschafter William R. Timken (2005-2008) erstmals ein Fastenbrechenempfang organisert und diese Tradtion in die politische Landschaft der BRD eingeführt (Persönliche Teilnahme, M.A.). Nach verschiedenen Empfängen auf Landesebene hat Außenminister Westerwelle erstmals 2013 einen Fastenbrechenempfang organisiert (an dem vor allem Botschafter aus muslimisch geprägten Staaten teilgenommen haben). Deutsche Innenminister, die von Amtswegen für religiöse Gemeinschaften zuständig sind, waren hier bisher zurückhaltend und haben sich mit Muslimen bis zum Jahr 2014 nur in Restaurants bzw. in Veranstaltungsräumen Dritter zum Fastenbrechen getroffen (Wolfgang Schäuble im Jahr 2008 und Thomas de Maiziere im Jahr 2014). 4. Politische Sozialisation 95

Postal Service anlässlich eines muslimischen Feiertags (2000). (Nimer 2004, S. 150; Khan 2002, S. 6–7) All diese Ereignisse werden als Anerkennung seitens Politik und Regierungsinstitutionen angesehen und demonstrierten nach Saeed „openness and inclusiveness“ seitens US-amerikanischer Politik (Saeed 2002, S. 46)

Dies verweist auf die in den Multikulturalismus-Theorien hervorgehobenen Aspekt der Anerkennung von Minderheiten:

„Symbolic gestures granting or denying recognition can have profound and continuing effects within a political culture in ways that directly affect the well-being and self-respect of citizens of minority cultures, as well as their enthusiasm to participate in the political life of the larger state.” (Kymlicka, Norman 2000, S. 29)

Zur symbolischen Anerkennung gehört eine Anerkennung in Institutionen, Symbolen und der politischen Kultur. Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet die Annahme, dass die staatlichen Institutionen nicht neutral sind, sondern die Wertungen der Mehrheitsgesellschaft abbilden. Wenn man von Minderheiten erwartet, sich in diese „societal culture“ zu integrieren, dann kommt es zu Spannungsverhältnissen. Die staatlichen Institutionen behalten ihre Legitimität jedoch nur, solange es keine große Kluft gibt zwischen den durch die Institutionen verkörperten Werte einerseits und den Werten der Bürger in einem Gemeinwesen anderseits.

Die symbolische Anerkennung von Minderheiten ist zentral für den politischen Zusammenhalt in pluralen Gesellschaften. (Kymlicka 1998, S. 181-182) Mit Blick auf US-Muslime ist die Anerkennung durch staatliche Institutionen ein wichtiger Faktor gewesen, um sich mit den USA als Staat und seinen politischen Institutionen zu identifizieren und darin aktiv zu werden.

5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 96

5. RAHMENBEDINGUNGEN DER POLITISCHEN KULTUR UND INSTITUTIONEN

Nachfolgend wird auf die politisch-kulturellen und institutionellen Rahmenbedingungen eingegangen, welche die politische Inkorporation der US-Muslime beeinflussen. Hierbei wird ein Schwerpunkt darauf gelegt, wie religiöse Gemeinschaften sich in den USA historisch organisiert haben und wie sich dies auf neu eingewanderte religiöse Gruppen ausgewirkt hat.

Betrachtungen muslimischer Interessenverbände, ihrer Strukturen und Strategien können nur sinnvoll auf der Folie dieser Rahmenbedingungen erfolgen. Denn wie strukturell ähnliche, nicht- muslimische Verbände müssen sie innerhalb dieser Rahmenbedingungen operieren. Sich darauf einzulassen, war nach ihrer Abkehr vom „myth of return“ für die US-amerikanischen Muslime die logische Konsequenz.

5.1 KONGREGATIONALISMUS UND POLITISCHE PARTIZIPATION

Die politische Kultur der USA ist bis heute stark vom Protestantismus der europäischen Siedler geprägt, welche von den etablierten Kirchen in Europa als Häretiker gesehen wurden und die Anfang des 17. Jahrhunderts auf der Suche nach freier Religionsausübung nach Amerika übersiedelten. Die dominierende Bedeutung des Protestantismus für die politische Kultur der USA hat der renommierte Kirchenhistoriker Martin Marty anschaulich beschrieben als „(…) the wallpaper in the mental furnishing department in which America lives, always in the room but barely noticed”. (zitiert in Levitt 2007, S. 109)

In diesem Kontext ist insbesondere die Vertrags-Theologie bedeutend, die ein göttliches Herrschaftsrecht des Königs 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 97

ablehnt. 72 Der Vertrags-Gedanke diente den Siedlern als Grundlage, um sich von England zu emanzipieren und mit der Verabschiedung der Verfassung wurde eine neue Form des Zusammenlebens begründet. Das mit dem Vertragsgedanken verbundene Modell sozialer Organisation wurde von den Puritanern auch zur Neuorganisation der „Kirche“ selbst verwendet. Mit der Expansion auf dem nordamerikanischen Kontinent führten vielfältige geographische und kulturelle Unterschiede und religiöse Erweckungsbewegungen zur Gründung zahlreicher Glaubensgemeinschaften.

Die Begründer der Gemeinschaften legten die Bedingungen für die Mitgliedschaft fest, formulierten ein eigenes Glaubenssystem und wählten die Priester aus, welche sich die Zustimmung aus der Gemeinschaft versichern mussten. Die Kirche war danach nicht mehr eine Institution mit Autorität in einem geographisch definierten Gebiet, stattdessen etablierte sich das „congregational model“, das aus freiwilligen, autonomen und sich selbstregierenden Kirchengemeinden bestand. (Wald, Calhoun-Brown 2007, S. 40– 48)

Die Tradition der Selbstregierung, die sich so in den Kirchen entwickelte, beflügelte ein Wachstum des „democratic spirit“ im politischen Bereich. (ebd., S. 48) Nach Ostendorf gab es in den USA damit seit jeher keinen Gegensatz zwischen „Religiosität“ einerseits und „einer basisdemokratischen Politik der persönlichen Freiheiten“ andererseits. (Ostendorf 2005, S. 18)

72 Hier wird das göttliche Herrschaftsrecht des Königs abgelehnt und stattdessen ein Vertrag der Gemeinschaft mit Gott postuliert. Zentral für diesen Vertragsgedanken ist, dass diese Abmachung freiwillig geschieht und von Gott geheiligt ist, der Mensch für seinen Verzicht auf bestimmte Dinge einen größeren Wert erhält. (Wald, Calhoun-Brown 2007, S. 43–44) 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 98

Diese protestantische Form der Organisation des religiösen Lebens prägt bis in die Gegenwart die Struktur des religiösen Lebens auch der neuen Einwanderer, wie Casanova treffend feststellt:

„All religious communities in America tend to assume a voluntary associational form and become incorporated as a nonprofit organization, led by the laity. Churches, synagogues, temples, masjids [arab.: Moscheen, M.A.] and so on tend to become more than houses of worship or prayer and become authentic community centers with different kinds of educational and social services, fellowship and recreational activities, and task-specific associational networks. Indeed, they become, as Tocqueville already pointed out, schools of democracy and the centers of associational life of the immigrant communities.” (Casanova 2007, S. 73)

Die Kongregation, als konkrete Glaubensgemeinschaft vor Ort, die durch Laien geführt wird, durch Eigeninitiative geprägt und als gemeinnützig eingetragen, ist somit zur dominierenden Organisationsform aller eingewanderten Religionen in den USA geworden. Im Gegensatz dazu haben in Europa die christlichen Religionsgemeinschaften nie vollständig die Transformation hin zu freiwilligen lokalen Zusammenschlüssen vollzogen, sondern sind immer noch territorial verankert, was strukturell mit einer passiven Zugehörigkeit einhergeht. In den USA hingegen ist es notwendig, aktiv Mitglied einer religiösen Organisation zu werden und diese zu unterstützen, wenn man ihr zugehören und ihre Lehren an seine Kinder weitergeben möchte. (ebd.)

Diese strukturellen Unterschiede erklären einerseits die besondere Bedeutung von Religionsgemeinschaften als „Schulen der Demokratie“ in den USA. Andererseits erklärt dieser Unterschied in der historischen Erfahrung mit religiösen Gemeinschaften auf beiden Seiten des Atlantiks die Bedeutung des „soziologische[n] Narrativ[s] der Säkularisierung“ in den jeweiligen Gesellschaften. 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 99

In den USA mussten im Gegensatz zu Europa die etablierten christlichen Institutionen nicht als Hindernisse für die politische Freiheit überwunden werden. Die USA wurden als eine „neue moderne, säkulare Republik“ gegründet, in der die politische Mobilisierung und religiöse Mobilisierung sich „zeitgleich vollziehen und gegenseitig“ begründen. Vor diesem Hintergrund ist der amerikanischen Aufklärung und Zivilreligion eine anti-christliche Feindseligkeit fremd. Nach Casanova ist dies – in Anlehnung an Charles Taylor – eine Erklärung dafür, weshalb das in Europa verbreitete „Stadienbewusstsein“ für die USA nicht typisch ist, wonach man „Unglauben als eine Art säkulare Volljährigkeit und erwachsene Reife betrachtet, die das Resultat einer natürlichen Entwicklung sind.“ (Casanova 2009, S. 99–102)73

5.2 TRENNUNGSSYSTEM UND RELIGIONSFREIHEIT

„There’s an America where it doesn’t matter what language you speak, what god you worship, or how deep your New World roots run. An America where allegiance to the Constitution trumps ethnic differences, language barriers and religious divides. An America where the newest arrival to our shores is no less American than the ever-so-great granddaughter of the Pilgrims.

But there’s another America as well, one that understands itself as a distinctive culture, rather than just a set of political propositions. This America speaks English, not Spanish or Chinese or Arabic. It looks back to a particular religious heritage: Protestantism originally, and then a Judeo-Christian consensus that accommodated Jews and Catholics as well. It draws its social norms from the mores of the Anglo-Saxon diaspora — and it expects new arrivals to assimilate themselves to these norms, and quickly.

73 Siehe auch Charles Taylor 2007, S. 423-535. 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 100

These two understandings of America, one constitutional and one cultural, have been in tension throughout our history.” (Ross Douthat 2010)

Mit dem im Jahr 1791 verabschiedeten ersten Zusatzartikel zur Verfassung der USA in den Bill of Rights haben sich die Gründungsväter gegen die Etablierung einer Staatskirche entschieden: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof.“ Mit dem First Amendment wird somit zum einen die Etablierung einer religiös-institutionellen Macht verboten („Establishment Clause“) und gleichzeitig die individuelle Ausübung der Religion geschützt („Free Exercise Clause“).

Das amerikanische System wendet sich damit sowohl gegen ein theokratisches System, als auch gegen ein erastisches, das versucht, die Religionsgemeinschaften unter die Herrschaft des Staates zu bringen. Die Gründungsväter waren sich sowohl der positiven wie der destruktiven Kraft von Religion bewusst und die Erfahrung der Reformation hatte gezeigt, dass die Verbindung zwischen einer machtvollen Kirche und dem Staat beide Seiten korrumpieren kann. Zur aufklärerischen politischen Philosophie der Gründungsväter kommt hinzu, dass mit Blick auf die große Zahl unterschiedlicher religiöser Gemeinschaften, die sich in den Kolonien niedergelassen hatten, die Etablierung einer nationalen Religion nicht durchsetzbar gewesen wäre. (Ostendorf 2005, S. 19– 21)

In Europa hingegen ist mit Blick auf die etablierten Systeme des Staat-Kirche Verhältnisses im Prinzip kein Staat wirklich säkular. Entweder bestehen Staatskirchen, Systeme mit einer Trennung zwischen Staat und Kirchen bei gleichzeitiger Kontrolle der Religionen oder es gibt Systeme mit einer formalen Trennung bei 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 101

gleichzeitiger Kooperation mit anerkannten Religionsgemeinschaften. (Casanova 2008, S. 113; Robbers 2005)

Während etwa in Deutschland – und vielen anderen europäischen Staaten - neue religiöse Gemeinschaften einer Anerkennung durch den Staat bedürfen, um mit den etablierten christlichen Kirchen, etwa bei der Einführung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, gleichbehandelt zu werden, ist die Integration von Muslimen in den USA keine Frage der formalen Anerkennung, weil hier eine strikte Trennung besteht. (Cesari 2004, S. 80)

Die von der Verfassung garantierte Religionsfreiheit und das Verbot einer Staatskirche haben in den USA zu einem religiösen Pluralismus beigetragen, der heute zu einem „freien Marktplatz der Religionen“ geworden ist, auf dem sich Muslime – neben hunderten anderen Religionsgemeinschaften – behaupten müssen. (Casanova 2007, S. 67-68, 72; Hertzke 2009a, S. 278)

Die fehlende Notwendigkeit, formal durch den Staat als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden, ist damit für US- Muslime ein Vorteil, um sich in den USA zu etablieren. Allerdings zeigt sich, dass es in den USA durchaus andere Formen der Anerkennung gibt, die zwar nicht formaljuristischer Natur sind, aber von großer Bedeutung für die Frage, ob man als „American religion“ akzeptiert wird. (Casanova 2007, S. 67-68)

Nach Yvonne Haddad herrscht in der US-amerikanischen Gesellschaft zwar offiziell die Sichtweise vor, dass die USA seit Anbeginn allen religiösen Minderheiten einen sicheren Hafen und Religionsfreiheit bot. Dies sei jedoch ein Mythos. Vielmehr war in den USA bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Verwirklichung der Bürgerrechte ein Privileg der weißen und protestantischen Mehrheitsbevölkerung. Immigranten hatten sich an die dominante 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 102

white-anglo-saxon-protestant-Kultur (WASP) anzupassen. (Haddad, Ricks 2009, S. 15).74

Die strukturelle Diskriminierung begann mit der Enteignung der Ureinwohner Nordamerikas und der Versklavung von Millionen von Afrikanern, endete jedoch damit noch nicht. Zwar ist es in den USA anders als in Europa nicht zu Religionskriegen gekommen und das Land ist heute das religiös diverseste der Welt. Aber es kann nicht übersehen werden, dass seit der frühen Kolonialzeit volle Religionsfreiheit und Bürgerrechte faktisch in erster Linie für die Anhänger unterschiedlicher protestantischer Gruppen galt. In zahlreichen Kolonien wurde der Nachweis eines bestimmten Bekenntnisses zur Voraussetzung dafür, ein öffentliches Amt ausüben zu können. Juden und Katholiken konnten in North Carolina kein öffentliches Amt bekleiden und in einigen Kolonien, wie etwa Massachusetts, war sogar das Recht, in einem Bundesstaat zu leben, von der Religionszugehörigkeit abhängig und konnte bei Zuwiderhandlung bestraft werden. (ebd.; Wald, Calhoun-Brown 2007, S. 70–72)

Auch nach Verabschiedung der Verfassung wurden für eine lange Zeit unter anderem Mormonen, Adventisten, Katholiken und Juden diskriminiert. Iren, die nach einer großen Hungersnot in Irland ab 1840 zu hunderttausenden in die USA emigrierten, waren zumeist Katholiken und wurden von protestantischen Eiferern seinerzeit ausschließlich mit Monarchie, Aristokratie und Tyrannei in Verbindung gebracht. Katholiken galten als „fifth column“ des Papstes, also als gefährliche, illoyale Bürger, die das Ziel hatten die

74Mit Blick auf die Religionsfreiheit wurde dies im vom Congress verabschiedeten International Religious Freedom Act in der jüngeren Vergangenheit nochmals offiziell festgehalten: „From its birth to this day, the United States has prized this legacy of religious freedom and honored this heritage by standing for religious freedom and offering refuge to those suffering religious persecution.” (siehe http://www.state.gov/documents/organization/2297.pdf) 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 103

Demokratie abzuschaffen und die USA unter päpstliche Kontrolle zu stellen. Vor diesem Hintergrund gilt die Wahl von John F. Kennedy als dem ersten und bislang einzigen katholischen Präsidenten der USA als ein Symbol für die Anerkennung von Katholiken im politischen Leben der USA. (Gerstle, Mollenkopf 2005, S. 30–32; Moore 1986; Bellah, Greenspahn 1987).

Juden wurde lange Zeit vorgeworfen, sich nicht in die amerikanische Kultur assimilieren zu wollen, und so wurden sie bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zahlreichen Diskriminierungen unterworfen, etwa indem ihnen der Zugang zu Schulen, Universitäten oder auch Hotels verwehrt wurde. Der Antisemitismus nahm beeinflusst durch die Wahrnehmung des Holocaust mit dem Ende des 2. Weltkrieges zunehmend ab und wurde zu einer Randerscheinung. (Eck 2001, S. 50, 61-62)

Mit Blick auf die politische Inkorporation der US-Muslime zeigt sich, dass diese sich auf dem Weg zur Anerkennung als einer amerikanischen Religion befinden. US-Muslime nehmen dabei selbst oft Bezug auf die Diskriminierungserfahrungen anderer Religionsgemeinschaften und ethnischer Minderheiten. So wird darauf verwiesen, dass die Diskriminierung, die jetzt Muslime trifft, in der US-Gesellschaft in der Vergangenheit bereits Katholiken, Juden, Afroamerikaner oder Japaner wiederfahren sei. Diese hätten es durch Leistung und gesellschaftliches Engagement geschafft, ihre Situation zu überwinden und einen gleichberechtigten Platz in der US-amerikanischen Gesellschaft einzunehmen. (The Chicago Council on Global Affairs 2007, S. 33–35; Abdul Rauf 2005, S. 259). Muslime schöpfen aus den Diskriminierungserfahrungen früherer Religionsgemeinschaften in gewisser Weise Hoffnung, um 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 104

den beschwerlichen Weg der Anerkennung in der US-Gesellschaft weiter zu verfolgen.75

5.3 POLITISCHE INKORPORATION VON MINDERHEITEN

Im Kontext des sozialen Aufstiegs von Juden und Katholiken in der US-amerikanischen Gesellschaft in der Mitte des 20. Jahrhunderts und der damit einhergehenden abnehmenden Dominanz des Protestantismus erschien Will Herbergs bis heute einflussreiches Werk „Protestant – Catholic – Jew“. Herberg beschrieb darin die Bedeutung der Religion für den Integrationsprozess von Immigranten, wie folgt:

„(…) not only was he [der Immigrant, M.A.] expected to retain his old religion, (…) it was largely in and through his religion that he or rather his children and grandchildren, found an identifiable place in American life.” (Herberg 1960, S. 27–28)

Die ethnische Zugehörigkeit der Immigranten spielte nach einer gewissen Zeit keine ausschlaggebende Rolle mehr, vielmehr trat die religiöse Identität als Zugehörigkeitsmerkmal in den Mittelpunkt. So heirateten z.B. Katholiken und Protestanten zunehmend über ethnische Grenzen hinweg, interreligiöse bzw. interkonfessionelle Ehen blieben jedoch die Ausnahme. (ebd., S. 32–36)76

75 So hat etwa Corey Sailor von CAIR die Bemerkung gemacht, dass Muslime in den USA ihre Situation mit einer gewissen Gelassenheit betrachten sollten mit Blick auf das was Japanern, Iren oder Deutschen in den USA wiederfahren sei. Muslime gehe es im Vergleich dazu – ein paar Jahre nach 9/11 – relativ gut. (Saylor, S. 7)

76 Zwischen 1880-1930 immigrierten etwa 27,6 Millionen Personen in die USA, von denen etwa Dreiviertel europäischer Herkunft waren, darunter auch ca. 2,9 Millionen Deutsche. 1930 stellten diese Einwanderer und ihre Kinder die Hälfte bis Dreiviertel der Bevölkerung in den Großstädten im Nordwesten. In der Folge wurde – auch wegen der Great Depression und dem 2. Weltkrieg – die Immigration sehr stark begrenzt, so das zwischen 1930-1965 nur 5,5 Millionen Menschen in die USA einwanderten. (Gerstle, Mollenkopf 2005, S. 3–4) Das macht die Analyse von Herberg verständlicher, da die migrantischen

5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 105

Nachdem man Anfang des 20. Jahrhunderts vom „melting pot“ sprach, um die Assimilationserfahrung der neuen Immigranten, die in einer großen Zahl zwischen 1880-1930 in die USA kamen und die kulturelle und demographische Landkarte des Landes stark veränderten, an den anglo-protestantischen Mainstream zu beschreiben, löste Herberg dies ab mit seinem Konzept des „triple melting pot“. (ebd., S. 6–26)

Demnach gibt es in den USA mit Protestanten, Katholiken und Juden drei gleichberechtigte Gemeinschaften als die „three great branches or divisions of „American Religion“, die drei verschiedene Repräsentationsformen amerikanischer Werte darstellen. Um akzeptiert zu werden – „to be an American today“ – müsse man einer dieser drei Religionsgemeinschaften angehören. (ebd., S. 38– 40)

Die Arbeit von Herberg ist bis heute relevant. Einschränkend ist anzumerken, dass Herberg die Bedeutung der Rasse für die US- amerikanische Gesellschaft in seiner Arbeit ausgeblendet hat. Afro- amerikanische Protestanten, orthodoxe Christen und katholische Hispanics – mal ganz abgesehen vom bereits zahlenmäßig etablierten afroamerikanischen Islam – blieben „die Anderen“, weil sie eine andere, nichteuropäische ethnische Zugehörigkeit bzw. Rasse aufwiesen und gesellschaftlich marginalisiert waren.

Die Theorie vom protestantischen melting-pot – als einer von drei Schmelztiegeln - ging unter Einbeziehung der Rasse nicht auf, was man, wie Leonard treffend formulierte, am Sonntagmorgen in den Kirchen gut beobachten konnte bzw. auch weiterhin kann. Denn nach wie vor ist es einer der am stärksten nach Rassen segregierten Zeiträume in der Woche. (Eck 2001, S. 63)

Communities kaum durch neue Einwanderung beeinflusst wurden, die Kräfte der sprachlichen und kulturellen Assimilation verhältnismäßig stärker waren und ethnische Unterschiede abnahmen. 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 106

Trotz dieser blinden Flecken bleibt Herbergs Arbeit bis heute sehr einflussreich, da sie herausstellt, warum Religion für die Integration von Zuwanderern im neuen Ankunftsland bedeutend ist. Auch bei Muslimen zeigt sich, dass die Religion nach der Einwanderung eine wichtige Rolle einnimmt. So gibt in Umfragen etwa ein Drittel der befragten Muslime an, dass die eigene Religiosität unter den neuen Lebensbedingungen stärker wurde. (Pew Research Center 2007, S. 33)

Für Marcia Pally liegt ein zentraler Schlüssel im Verständnis der Integration von US-Muslimen im Vergleich zur Situation von europäischen Muslimen unter anderem im „pluralistische[n] öffentlichen Raum“ der USA. Der öffentliche Raum ist nicht areligiös und fordert auch keine „konfessionsgebundene Konformität“, religiöse Institutionen sind ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft und der Religionsfreiheit wird eine hohe Bedeutung zugemessen. (Pally 2007, S. 63)

Die Religiosität der Immigranten in den USA kann nach Casanova nicht als ein traditionelles Überbleibsel oder eine rückwärtsgewandte Reaktion auf die entwurzelnde Migrationserfahrung interpretiert werden, sondern ist eine „adaptive response to the new world“. Es ist der strukturelle, institutionelle und politisch-kulturelle Kontext in den USA, der diese hohe Religiosität der Immigranten begünstigt. Die kollektive religiöse Identität ist eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen religiösen Pluralismus zu strukturieren. (Casanova 2007, S. 66)

Vor dem Hintergrund haben sich religiöse Organisationen nach Portes in der amerikanischen Geschichte als wichtige Integrationsagenturen erwiesen (Portes, DeWind 2007b, S. 20) Während in Europa Formen sozialer und kultureller Aktivitäten, die auf Religion aufbauen, eher als „illegitim“ angesehen werden, gibt 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 107

es in den USA eine größere Offenheit gegenüber organisierter Religion. (Cesari 2004, S. 177)

5.4 PLURALISTISCHES INTERESSENORGANISATIONSSYSTEM

Die Struktur des politischen Systems der USA zeichnet sich aus durch ein präsidentielles und gewaltentrennendes formales System mit einem relativen Mehrheitswahlrecht. Darin spielen die Parteien klassischerweise im Vergleich zu Europa eine eher untergeordnete Rolle, hingegen besteht eine enge Bindung der Abgeordneten an die Bevölkerung im eigenen Wahlkreises. Diese Anordnung erweist sich als guter Nährboden für die Entstehung von Interessenverbänden.

Im Unterschied zu Deutschland mit seinem gewaltenverschränkenden System, in dem Interessengruppen ihr Wirken auf die Exekutive ausrichten, adressieren US-amerikanische Interessenorganisationen Exekutive und Legislative gleichermaßen. Interessenverbände in den USA versuchen auch mit Blick auf die Wahlkreisbindung der Abgeordneten, die „Stimmung“ vor Ort in ihrem Sinne zu verändern. Im Gegensatz zum deutschen Verhältniswahlrecht erhält in den USA nur der Wahlgewinner alles („winner takes all“).

Dieses Prinzip hat zur Folge, dass kleine Parteien, wie z.B. die Grünen, nicht im Parlament vertreten sind. Interessen, die klassischerweise von grünen Parteien am stärksten artikuliert werden, müssen deshalb in Form von Interessengruppen organisiert werden, um gehört zu werden. (Sebaldt 2007, S. 104– 106; Verba et al. 1995, S. 8; Thunert 2003, S. 321)

Das US-amerikanische System von Interessenverbänden war lange Zeit von Wirtschaftsinteressen dominiert. Erst seit den 1960ern hat die Zahl der Non-Profit-Gruppen (Bürgerrechtsbewegung, 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 108

Antikriegsbewegung, Frauenrechte, Umweltgruppen) stark zugenommen und zu einer Diversifizierung der Verbändelandschaft geführt. (Sebaldt 2001, S. 101–108, ders. 2007, S. 95–100; Berry, Wilcox 2007, S. 21–25; Berry 1999)77

Das US-amerikanische Verbändesystem erwies sich als offen für gesellschaftliche Veränderungen. Berry zufolge haben diese Entwicklungen das Interessenorganisationssystem repräsentativer gemacht. (Berry 1999, S. 370)

Auch religiöse Interessengruppen waren zunächst lange Zeit auf der nationalen Ebene abwesend und haben sich erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts in der Hauptstadt Washington zunehmend zu Wort gemeldet. So eröffneten die Methodisten zwar bereits 1916 das erste nationale Büro einer religiösen Gruppe in der Hauptstadt und die Anti-Saloon-League schaffte es gar, mit der Prohibition ein nationales Verbot alkoholischer Getränke durchzusetzen.78

77 Dabei ist bemerkenswert, dass es in den vergangenen Jahrzehnten in den USA einen Boom von Non-Profit Interessen gab, der das Gegenteil von dem zu belegen scheint, was Mancur Olsons bekannte Theorie des kollektiven Handelns postuliert. Olson zufolge lassen sich kollektive Interessen aufgrund des Trittbrettfahrer-Problems nicht ohne Weiteres organisieren. (Olson 1971, S. 11- 16) Gründe für den Boom der „Non-Profits“ liegen u.a. in der höheren Bildung breiter Bevölkerungsgruppen, was die Zahl von gut ausgegebildeten „politischen Unternehmern“ erhöht hat, die sich dieser schwachen Interessen annehmen. Zudem haben die Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie dazu beigetragen, dass die Kosten für die Organisation von Interessen gemeinnütziger Gruppen stark gesenkt werden konnten. (Kleinfeld et al. 2007, S. 19–20)

78 Nach der Büroeröffnung 1916 wurde 1923 das United Methodist Building eröffnet, welches mit seiner Lage gegenüber dem Capitol und neben dem Supreme Court über eine zentrale Lage verfügt und heute zahlreiche religiöse Interessenorganisationen beherbergt. Die Repräsentanz des National Catholic Welfare Council, ein Vorläufer des National Council of Catholic Bishops wurde 1919 eröffnet und im Jahr 1950 wurde der National Council of Churches in Washington etabliert als eine wichtige Dachorganisation von protestantischen Gemeinschaften. (Reichley 2002, S. 232–233) Jüdische Organisationen – auch wenn nicht direkt religiös – wie das American Jewish Committe wurden ab 1906 etabliert. (Hertzke 1988, S. 38) 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 109

Insgesamt jedoch waren religiöse Organisationen lange Zeit politisch-institutionell kaum aktiv, bis mit der Civil Rights- Bewegung ein Durchbruch stattfand. So haben sich neben den afroamerikanisch-christlichen Gruppen wie der Southern Christian Leadership Conference (SCLC) zahlreiche Organisationen weißer Christen sowie jüdische Gruppen in der Bürgerrechtsbewegung engagiert. Sie waren auch maßgeblich an der Verabschiedung des Civil Rights Act von 1964 beteiligt, der unter anderem die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen für illegal erklärte. (Ebersole 1951; Reichley 2002, S. 231–243; Hertzke 2009b, S. 299–300)

Die Erfahrungen aus der Civil Rights-Bewegung hatten einen bedeutenden Einfluss auf die liberalen protestantischen Interessengruppen. Man wollte eine öffentliche Rolle für die Kirchen, die sich mit den sozialen Problemen befassen sollte. So setzte man sich unter dem Motto „peace and justice“ für eine Unterstützung der Dritten Welt ein und kritisierte interventionistische amerikanische Außenpolitik und Militärstrategien. Die liberalen protestantischen Gruppen blieben bis Ende der 1970er Jahre die wichtigste protestantische Stimme in der Hauptstadt.

Eine Reaktion auf die Dominanz liberaler protestantischer Stimmen war das Aufkommen christlicher Fundamentalisten im politischen Raum. Sie hatten sich ein halbes Jahrhundert abgeschottet und erlangten nun unter dem Begriff der Christian Right große politische Bedeutung. Die Fundamentalisten sahen in den aus ihren Augen laxen theologischen Ansätzen der liberalen protestantischen Gruppen einen Ausverkauf christlicher Werte und sorgten sich über eine „elite secularization“, die versuche, religiöse Werte aus der amerikanischen Gesellschaft systematisch auszuschließen. 5. Rahmenbedingungen der politischen Kultur und Institutionen 110

Deswegen setzten sie dem „peace and justice“ der liberalen Protestanten ihr Programm von „traditional values“ entgegen.

Die religiös-politische Bewegung entwickelte sich zu Zusammenschlüssen wie der bekannten „Moral Majority“ weiter und engagierte sich etwa für traditionelle Famlienwerte. Das bedeutete für sie, sich gegen (das Recht auf) Abtreibung und die offizielle Anerkennung homosexueller Beziehungen einzusetzen, oder für eine stärkere Rolle der Religion im öffentlichen Raum. (Hertzke 1988, S. 28–43; Wilcox 1996)79

Manfred Brocker hat eindrucksvoll dargelegt, wie die politische Partizipation der christlichen Rechten zu einer Anpassung an den politischen Prozess führte und so gewalttätige Konflikte zwischen „Liberalen“ und „Fundamentalisten“ in den Vereinigten Staaten, wie sie von einigen Beobachtern befürchtet wurden, verhindert werden konnten. Ausschlaggebend für das Ausbleiben von Radikalisierungen sind dabei strukturelle Faktoren, wie Partizipationsmöglichkeiten und Chancenstrukturen für solche Gruppen:

„Der gewaltenteilige Aufbau des politischen Systems - und der Pluralismus der segmentierten Gesellschaft - erzwingen förmlich eine Moderierung politischer Positionen und eine Assimilierung politischer Organisationen an den amerikanischen Mainstream, wollen sie Mehrheiten finden. ‚Wahrheiten‘ haben hier keinen privilegierten Zugang zur Macht. (…) Der Zwang zur Koalitionsbildung aber führt zur programmatischen Mäßigung und zur strategischen Anpassung an

79 Eine dritte wichtige Gruppe sind Evangelikale, welche politisch und theologisch zwischen Fundamentalisten und liberalen Protestanten positioniert werden können. Einerseits lehnten sie die liberale Theologie ab und andererseits waren sie auch gegen eine Separierung von der Gesellschaft, wie dies von den Fundamentalisten lange Zeit vertreten wurde. Kurz gefasst kann man sagen, dass Evangelikale, wie auch Katholiken deshalb in politischen Auseinandersetzungen je nach Thema mit Fundamentalisten (bei Wertfragen) und mit liberalen Protestanten (bei sozialen und außenpolitischen Fragen) zusammenarbeiten und ihre Ausrichtung mit „peace, justice and traditional values“ zusammengefasst werden kann. (Hertzke 1988, S. 41–42) 6. Zwischenfazit 111

die Regeln des politischen Entscheidungsprozesses. Dadurch gerät selbst die ‚Wahrheit‘ zur ‚Meinung‘ (‚doxa‘, opinion), die sich der im politischen Raum herrschenden Notwendigkeit zur Konsenssuche und Kompromissbildung zu unterwerfen hat.“ (Brocker 2004, S. 324)

Das US-amerikanische politische System hat sich so in der Vergangenheit als offen für neue Interessengruppen erwiesen und die Einbeziehung von Gruppen, die als fremd und radikal gelten, hat zu einer Akkommodation dieser an die pluralistische Interessenorganisationsstruktur beigetragen. Vor dem Hintergrund ist der institutionelle Kontext der Interessenorganisationslandschaft bei fehlender formaler Anerkennung Religionsgemeinschaften für US-Muslime eine gute Ausgangsbedingung um sich in diesem System auch Gehör zu verschaffen.

6. ZWISCHENFAZIT Afroamerikanische Muslime und die im Laufe des 20. Jahrhunderts in die USA eingewanderten Muslime verfügen über sehr unterschiedliche Vorgeschichten. Ihr ungleicher historischer Hintergrund beeinflusst bis heute das Verhältnis beider Gruppen zueinander. Während muslimische Immigranten und ihre Nachfahren oft einen hohen sozioökonomischen Status haben, der Durchschnitt über dem der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung liegt, weisen Afroamerikanische Muslime einen niedrigen soziökonomischen Status auf und haben in ihren Gemeinden mit hartnäckigen innerstädtischen sozialen Problemen zu kämpfen. Das Verhältnis beider Gruppen zueinander war über Jahrzehnte hinweg durch Distanz geprägt.

Muslimische Immigranten haben Afroamerikanische Muslime oft nicht als „richtige“ Muslime angesehen und deren Anprangerung gesellschaftlicher Diskriminierungen als Selbstviktimisierung abgetan. Aus Sicht der eingewanderten Muslime hatte man mit 6. Zwischenfazit 112

dem eigenen Erfolg - etwa als Arzt oder Ingenieur - gezeigt, dass man in den USA mit Leistung unabhängig von der Herkunft etwas erreichen kann. Auf der anderen Seite wurden muslimische Immigranten durch Afroamerikanische Muslime als Gruppe mit einer ausländischen Agenda wahrgenommen und zudem bemängelte man ihre fehlende Anerkennung der afroamerikanisch- muslimischen Tradition, welche bis auf die Zeit der Sklavenhaltung zurückgeht. Die Kluft zwischen beiden Gruppen hat dazu geführt, dass sich ihre Institutionen lange Zeit parallel und ohne bedeutenden Austausch miteinander entwickelt haben.

Als ein Wendepunkt in den Beziehungen zueinander wird die Zeit nach 9/11 gesehen. So haben auch erfolgreiche muslimische Immigranten am eigenen Leib erfahren müssen, was „Racial Profiling“ bedeutet und vermehrt die Erfahrung von Diskriminierung im amerikanischen Kontext erlebt. Mit dieser Erfahrung hatten Afroamerikanische Muslime schon lange zu leben. Nach 9/11 haben beide Gruppen erkannt, dass es notwendig ist, stärker miteinander zu kooperieren und davon beide Seiten profitieren können. So verfügen Afroamerikanische Muslime über ein Sozialkapital (Putnam 2000), welches den eingewanderten Muslimen helfen kann ihre gesellschaftliche Stellung zu verbessern, und nicht zuletzt über Netzwerke und Erfahrungen im politischen Bereich. Muslimische Immigranten können mit ihrer relativ hohen Bildung und den materiellen Ressourcen Afroamerikanischen Muslime im Gegenzug bei der Gemeindeentwicklung unterstützen.

Trotz der anhaltenden Kluft zwischen beiden Gruppen bilden Afroamerikanische Muslime für die neu eingewanderten Muslime einen wichtigen Anknüpfungspunkt, der ihre politische Inkorporation befördern kann. Zunächst können auf einer identifikatorischen Ebene nicht nur Afroamerikanische Muslime, sondern auch die Eingewanderten und ihre Nachkommen darauf 6. Zwischenfazit 113

verweisen, dass der Islam bereits vor Gründung der USA ein Teil der Gesellschaft war und (die versklavten) Muslime „mit Blut, Schweiß und Tränen“, auch das Land mit aufgebaut haben. Der Vorwurf, der Islam sei eine den USA fremde Religion kann damit schlagfertig abgewehrt werden. Zudem haben Persönlichkeiten wie Malcolm X und Muhammad Ali eine hohe symbolische Bedeutung und dienen als identitätsstiftende Vorbilder für gesellschaftliches Engagement von Muslimen im amerikanischen Kontext.

Lange Zeit war das Verhältnis von Afroamerikanischen Muslimen – insbesondere unter der Führung der Nation of Islam durch Elijah Muhammad - gegenüber dem politischen System von Distanz geprägt. Das bedeutete konkret, nicht an Wahlen teilzunehmen und sich auch dem Wehrdienst zu verweigern. Diese Distanz seitens Afroamerikanischer Muslime war einerseits eine Reaktion auf die gesellschaftliche Diskriminierung und Deprivation. Andererseits wurde sie verstärkt, weil Afroamerikanische Muslime gezielt seitens der Regierung stigmatisiert und als Gefahr dargestellt wurden.

Diese Distanz begann sich Mitte der 1960er Jahre zu verändern. Ein Symbol hierfür ist Malcolm X, der sich von den rassistischen Elementen der Nation of Islam verabschiedete und sich dem orthodoxen sunnitischen Islam zuwendete. Mitte der 1970er Jahre vollzog auch Warith Deeen Muhammad, als neuer Führer der Nation of Islam, diesen Prozess und rief seine Anhänger auf, sich an Wahlen und dem politischen Prozess zu beteiligen.

Mit Blick auf die in die USA eingewanderten Muslime hat sich gezeigt, dass viele eine akademische Ausbildung absolvierten und Anstellungen in gut bezahlten Stellen fanden. Sie verfügen damit über einen hohen sozioökonomischen Status im Vergleich zu Muslimen in Europa, die als sog. Gastarbeiter in niedrig bezahlten und weniger angesehenen Anstellungen tätig wurden. Für die 6. Zwischenfazit 114

eingewanderten Muslime führte ihre Situation dazu, dass sie ihren Kindern eine gute Ausbildung zugute lassen kommen konnten, so dass auch die zweite Generation migrantischer US-Muslime über einen hohen Bildungsstand verfügt.

Neben dem hohen Anteil von afroamerikanischen Muslimen gibt es zudem eine hohe ethnische Diversität in Bezug auf die Herkunftsländer. Zudem dominiert keine ethnische Gruppe. Dies beeinflusst die Wahrnehmung von US-Muslimen in der US- Gesellschaft. Ihre Zusammensetzung führt dazu, dass die Muslime in den USA nicht mit einer bestimmten ethnischen Gruppe identifiziert werden, wie es etwa in Deutschland mit Türken oder in Frankreich mit Nordafrikanern der Fall ist. Zudem kommt, dass in den USA die Muslime nur einen sehr kleinen Anteil der neuen Einwanderer ausmachen und damit auch nicht als synonym mit Einwanderung per se gelten.

Hohe Diversität und hoher sozioökonomischer Status als wichtige Merkmale der US-Muslime haben auch die Bildung ihrer politischen Institutionen bedeutend beeinflusst. So hat man sich bereits 1963 mit der Gründung der Muslim Students Asscociation erste Strukturen gegeben, die über ethnische Grenzen hin organisiert waren. Aus der MSA gingen in den Jahren nach ihrer Gründung berufsständische Organisationen hervor, etwa von muslimischen Ärzten und Ingenieuren. Die MSA vertritt heute etwa 500 muslimische Studentenvereine in den USA und Kanada.

Der hohe soziökonomische Status hat sich auch auf der Ebene der Moscheen ausgewirkt. So sind die Moscheegemeinden in den USA oftmals professionell geführte Institutionen mit hauptamtlichem Personal, was bei europäischen Moscheen die Ausnahme darstellt.

In den 1970er und 1980er Jahren standen der Aufbau einer religiösen Infrastruktur zur Religionsausübung sowie die 6. Zwischenfazit 115

Weitergabe des Islam an die nachkommenden Generationen im Mittelpunkt der Anstrengungen von eingewanderten Muslimen. Man interessierte sich vor allem für außenpolitische Fragen – innenpolitische Themen und politische Partizipation stand man distanziert gegenüber. Theologische Ansätze waren sehr verbreitet, die eine politische Partizipation in den USA ablehnten, weil diese ein „nichtmuslimisches System“ seien. Diese Ansätze stammten von den islamischen iBewegungen in den Heimatländern der eingewanderten Muslime, die sich in politischen und sozialen Umwälzungen befanden.

Diese Distanz wurde Mitte der 1980er Jahre allmählich aufgegeben und erreichte mit dem Aufruf von ISNA (1986) zu vermehrter poltischen Partizipation von Muslimen in den USA einen ersten Höhepunkt. In den 1990er Jahren sind dann zahlreiche muslimische Organisationen entstanden, die sich schwerpunktmäßig politisch betätigten.

Der Voting Bloc im Jahr 2000 bei den Präsidentschaftswahlen, an dem alle großen muslimischen Organisationen beteiligt waren, gilt als ein weiterer Höhepunkt im politischen Engagement von Muslimen in den USA. 9/11 hat dazu beigetragen, dass der „myth of return“ endgültig begraben wurde, weil die US-Muslime auf einmal in den öffentlichen Raum geschleudert wurden. Es gab daraufhin für sie keine Alternative mehr als ihre politische Partizipation in den Vereinigten Staaten, die sie nun als dauerhafte Heimat für sich und ihre Nachkommen ansahen, zu verstärken.

Die Ursachen und Faktoren für diesen Öffnungsprozess seit Mitte der 1980er Jahre sind sehr vielfältig. Dazu gehören zum einen Diskriminierungserfahrungen, welche Muslime und Araber machten, und die von US-Muslimen wahrgenommene einseitige Unterstützung Israels durch die US-Regierung. 6. Zwischenfazit 116

Beides führte US-Muslimen vor Augen, dass man sich stärker in den politischen Prozess einbringen musste, um die eigenen Lebensumstände zu verbessern und eigene Sichtweisen zum Nahostkonflikt in den politischen Prozess einbringen zu können.

Es gibt jedoch auch „positive“ Erfahrungen und Faktoren, die diesen Prozess beeinflussten. In den 1990er Jahren hat sich in der amerikanischen Politik - in Exekutive wie Legislative - eine Anerkennungskultur gegenüber US-Muslimen entwickelt. So kam es zu muslimischen Invokationen im Kongress, Muslime wurden als Spitzenbeamte berufen und das Militär stellte muslimische Seelsorger ein. Als noch symbolträchtiger gilt die Öffnung des Weißen Haus mit dem Beginn der Präsidentschaft von Bill Clinton, etwa im Rahmen von Empfängen zum Fastenbrechen. Diese symbolische Anerkennung beschreiben US-Muslime als zentral für die Ausbildung einer Identifikation mit dem politischen System der USA und der Entscheidung, sich in „ihrem“ politischen Gemeinwesen zu engagieren.

Ein zweiter Faktor sind die Erfahrungen von Freiheit in der US- Gesellschaft im Allgemeinen und die zivilgesellschaftliche Praxis im US-amerikanischen Bildungssystem im Besonderen. Muslime – oftmals aus repressiven Regimen eingewandert – machten die Erfahrung, dass sie sich in den USA politisch frei betätigen konnten und zudem eine weitgehende Religionsfreiheit genossen. Ihre abstrakte, theologisch-politische Skepsis gegenüber der „Demokratie“ wich mit den konkreten positiven Erfahrungen. Gleichzeitig hat die zweite, in den USA geborene Generation das amerikanische Bildungssystem durchlaufen und ist sehr stark vom zivilgesellschaftlichen Engagement geprägt worden, das an den Colleges eine große Rolle spielt.

Verstärkend zu diesen Erfahrungen kam ein dritter Faktor. In den USA gibt es eine bedeutende Zahl muslimischer Theologen und 6. Zwischenfazit 117

Sozialwissenschaftler, die einen Teil ihrer Ausbildung in den USA absolviert haben. Viele dieser Intellektuellen riefen die Muslime dazu auf, sich von der Fixierung auf ihre Herkunftsländer zu verabschieden. Sie boten eine intellektuelle und theologische Grundlage für Muslime, sich in den USA politisch und zivilgesellschaftlich für das Gemeinwohl zu engagieren.

Viele dieser Wissenschaftler waren an amerikanischen Universitäten tätig. Zu ihrer Wirkung trug bei, dass sie auch in muslimischen Organisationen wie ISNA aktiv waren. Dies erhöhte die Legitimität ihrer Ideen und verstärkte die Zirkulation dieser in breiten Kreisen. Es entstanden zudem auch Institutionen, wie der Fiqh Council of North America, welche sich in diesen Debatten klar für die politische Partizipation in den USA positionierten.

Ein weiterer Faktor, welcher die politische Inkorporation von US- Muslimen beförderte, ist der politisch-kulturelle Kontext der USA, der eine politische Inkorporation über religiöse Interessenorganisation begünstigt. Die Entwicklung religiöser Gemeinschaften in den USA unterscheidet sich stark von der Entwicklung in Europa. In den USA handelt es sich nicht um territorial verankerte, korporative Institutionen, die ihren Anhängern „von oben“ begegnen, sondern um freiwillige Zusammenschlüsse, welche von Eigeninitiative und durch Laien, also Aktivität „von unten“ geprägt sind. Sie gelten seit jeher als „Schulen der Demokratie“, da in ihnen das Handwerkzeug der Selbstorganisation gelernt werden kann.

Vor dem Hintergrund sind die USA historisch und strukturell von einer Offenheit gegenüber organisierter Religion geprägt. Das „Narrativ der Säkularisierung“, welches einen Gegensatz zwischen Religion und Demokratie nahelegt, geht hier ins Leere. Religiöse Institutionen gelten vielmehr als ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft. Auch die „eingewanderten“ Religionen haben 6. Zwischenfazit 118

diese Form der Selbstorganisation übernommen und bieten Neuankömmlingen eine gute Möglichkeit, sich zu engagieren und Grundfertigkeiten der Vereinsarbeit zu erlernen – was gemeinhin als Schule der Demokratie bezeichnet wird. In den USA erwartet man von den Immigranten geradezu, dass sie ihre Religion beibehalten. Die Religionsgemeinschaften sind – neben anderen Interessenorganisationen – zentral für die Strukturierung des gesellschaftlichen Pluralismus und eine Möglichkeit für die Bürger, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen und ihre Interessen einzufordern.

Die Geschichte der religiösen Interessenverbände in Washington DC zeigt, dass neue religiöse Gemeinschaften grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, sich im System organisierter Interessen zu artikulieren. Ihre Partizipation begünstigt im Gegenzug die Anpassung der Religionsgemeinschaften an das pluralistische Verbändesystem in den USA, welches durch Aushandlung und Kompromiss geprägt ist.

Die Etablierung neuer Religionsgemeinschaften wird in den USA zudem erleichtert durch die strikte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften sowie die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit. Eine Anerkennung des Staates ist nicht notwendig.

Andererseits zeigt sich in der amerikanischen Geschichte, dass minoritäre Gruppen wie etwa Juden und Katholiken lange Zeit pauschal als unamerikanisch diskriminiert wurden. Katholiken und Juden brauchten eine lange Zeit, um tatsächlich gesellschaftlich gleichberechtigt zu werden. Es ist bemerkenswert, dass US- Muslime sich auf diese Diskriminierungsgeschichten beziehen und diese als symbolische Ressource nutzen. Die Erfahrung von Katholiken und Juden wird von ihnen oft als Beispiel dafür angebracht, dass auch US-Muslime einen schwierigen Weg hin zur 6. Zwischenfazit 119

vollen Anerkennung gehen, aber eines Tages genauso als voller Teil der Gesellschaft gelten werden, wie diese beiden Gruppen.

Teil II Arbeit 120

TEIL II ARBEIT

In diesem Abschnitt wird die politische Arbeit der NMI untersucht. Um die Bedeutung der NMI für die politische Inkorporation einschätzen zu können, müssen ihre Entstehungsumstände, ihre Selbstverständnisse und Arbeitsweisen näher betrachtet werden. Im Folgenden wird deshalb für alle drei NMI – der Council on American Islamic Relations (CAIR), der Muslim Public Affairs Council (MPAC) und die Islamic Society of North America (ISNA) - in einem ersten Schritt jeweils auf die Gründungsgeschichte, Ziele, Strukturen, Führung und Ressourcen eingegangen. Im zweiten Schritt wird eine Analyse von Strategien, Adressaten der politischen Arbeit und den zentralen Themen der jeweiligen NMI vorgenommen.

7. COUNCIL ON AMERICAN ISLAMIC RELATIONS

7.1 GRÜNDUNSGESCHICHTE ZIELE UND AUFBAU

7.1.1 GRÜNDUNG

Der Council on American Islamic Relations (CAIR) wurde im September 1994 von Nihad Awad, Omar Ahmad und Ibrahim Hooper in Washington DC gegründet. (Awad, S. 2)

Awad und Ahmad wurden beide in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Jordanien geboren. Sie haben sich später als Studenten in Minneapolis kennen gelernt, wo Hooper – ein kanadisch stämmiger Konvertit zum Islam – als Journalist für einen lokalen Fernsehsender gearbeitet hat. Die CAIR-Gründer konnten nach eigenen Angaben bereits zu Anfang ihrer Arbeit auf ein breites landesweites Netzwerk zurückgreifen, da sie in den Jahren zuvor bereits Public Relations Workshops bei den nationalen Konferenzen Teil II Arbeit 121

von ISNA und dem Islamic Circle of North America (ICNA) organisiert hatten. (Awad, S. 1)

Awad nennt eine Vertretungslücke von Muslimen als Motivation für die Gründung von CAIR:

„When CAIR was started there was no such organization that defends the rights of American Muslims or an organization that part of mission is to enhance the public understanding of Islam. Those areas were severely missing.” (ebd.)

Als Vorbild diente den CAIR-Gründern dabei die Antidefamation League, eine prominente amerikanisch-jüdische Organisation, die sich dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben hat.80

Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Washington als einzige muslimische Interessenorganisation den 1990 gegründeten American Muslim Council (AMC). Beim AMC spielte das Thema Bürgerrechte jedoch nur am Rande eine Rolle. Diese Organisation konzentrierte sich darauf, Kontakte zu Politikern im Kongress aufzubauen. Der AMC hat seinerzeit die Gründung von CAIR begrüßt und angekündigt, den Bereich Bürgerrechte in Zukunft dieser neuen Organisation zu überlassen. (Findley 2001, S. 213)

Die erste Kampagne von CAIR fand im September 1994 statt und richtete sich gegen den Grußkarten-Hersteller RPG Recycling. Die Firma hatte eine Postkarte mit der Aufschrift „Shiite“ – eine Abwandlung von Schiiten im englischen - mit der Assoziation von Exkrementen und dem Bild einer verschleierten Frau in seinem Angebot aufgenommen. CAIR organisierte einen Action Alert und die landesweiten Proteste von Muslimen, welche die Postkarte als

80 Kurz vor der Gründung von CAIR im Jahr 1994 hat dies Omar Ahmad, ein Gründungsmitglied von CAIR, in einem Gespräch Sulayman Nyang – einem in Washington DC ansässigen Wissenschaftler und Aktivisten gegenüber geäußert. (Nyang, S. 49) Teil II Arbeit 122

Beleidigung empfanden, führten dazu, dass die Firma das Produkt vom Markt nahm. (Nimer 2002b, S. 133; CAIR 2004b, S. 11)

Der Durchbruch für CAIR in der Öffentlichkeit kam im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oaklahoma City im Mai 1995. Dieser Anschlag führte zu einer antimuslimischen Stimmung und zu Gewaltakten, da bereits kurz nach dem Anschlag fälschlicherweise in Medienberichten Männer mit arabischem Hintergrund für die Tat verantwortlich gemacht wurden. CAIR veröffentlichte zu diesen Ereignissen einen Report unter dem Titel „A Rush to Judgment“, in dem 227 Übergriffe gegen Muslime und Araber in den USA zusammengestellt wurden. Darüber wurde auf der Titelseite der New York Times berichtet, CAIR erreichte damit nationale Bekanntheit.81

7.1.2 ZIELE UND SELBSTVERSTÄNDNIS

In der Außendarstellung bezeichnet sich CAIR als „Muslim civil liberties and advocacy group“.82 Dabei legt man Wert darauf, dass CAIR keine „religious organization“ sei, sondern „a civil organization that serves a religious based community“. (Rehab, S. 1) Zu den Zielen heißt es:

„CAIR's vision is to be a leading advocate for justice and mutual understanding. CAIR's mission is to enhance understanding of Islam, encourage dialogue, protect civil liberties, empower American

81 Amid Islam´s Growth in the U.S., Muslims Face a Surge in Attacks, Survey of Mosques Documents the Hate Crimes, von James Brooke, New York Times, 28.08.1995; A Rush to Judgment: A Special Report on Anti-Muslim Stereotyping. Harassment and Hate Crimes Following the Bombing of Oklahoma City's Murrah Federal Building, April 19, 1995 (Washington, D.C.: Council on American-Islamic Relations, 1995). Ein Überblick zu weiteren Aktionen, welche die Bekanntheit der Organisation in der Folge vergrößerten sollten, findet sich bei Nimer (2002b, S. 133–135).

82 Cair at a Glance. (siehe http://sun.cair.com/AboutUs/CAIRataGlance.aspx) Teil II Arbeit 123

Muslims, and build coalitions that promote justice and mutual understanding.”83

Diese Ziele sollen erreicht werden, indem eine muslimische Perspektive - durch Medienarbeit, Zusammenarbeit mit Regierungsstellen und Bildungsprogramme - in die öffentliche Diskussion eingebracht wird. (ebd.) CAIR-Vertreter sind dabei sehr selbstbewusst in ihren Selbsteinschätzungen:

„As a civil rights organization we are the premiere organization in the West, not only in the United States. The work we have done is the first of its kind and its first class.” (Awad, S. 6)

CAIR betrachtet sich als führende Bürgerrechtsorganisation für Muslime in den USA und als Vorbild für Europa.

7.1.3 STRUKTUR UND MITGLIEDER

CAIR ist eine in Washington DC eingetragene „not-for profit corporation“ und verfügt über den Status „501 (c) (3)“. Dieser Status weist Verbände aus, die von den Finanzbehörden als steuerbegünstigt anerkannt sind. Dadurch können Spenden an den Verband steuerlich geltend gemacht werden.84

Es gibt drei zentrale Gremien in der Struktur der Organisation. Das „National Board of Directors“ ist das höchste Gremium und besteht aus den bereits genannten Gründungsmitgliedern sowie weiteren Personen, die für zwei Jahre von diesem Gremium ernannt werden. 85 Die Hauptaufgabe des Gremiums besteht darin, die

83 Ebd.

84 Cair at a Glance (siehe http://sun.cair.com/AboutUs/CAIRataGlance.aspx)

85 Im Januar 2009 bestand der Board aus 9 Mitgliedern. (siehe http://sun.cair.com/AboutUs/CAIRNationalBoardandStaff.aspx). Teil II Arbeit 124

Arbeit der Organisation in grundsätzlichen Fragen zu leiten und den Geschäftsführer zu kontrollieren.

Im „National Council“ sind die Vertreter der 32 Chapters, d.h. den Untergliederungen in den Bundesstaaten, und das Kanada-Chapter vertreten. Die Chapter bedürfen vor ihrer Konstituierung einer Zustimmung von CAIR-National. Sie sind jedoch juristisch, finanziell und auch inhaltlich weitgehend unabhängig, eine für die US-amerikanische Verbandslandschaft typische Aufgabenteilung. (Saylor, S. 1)86

Die „General Assembly“ besteht aus den Mitarbeitern sowie den ehrenamtlichen Board-Mitgliedern der Zweigstellen. Nach Angaben von Nihad Awad besteht die General Assembly aus etwa einhundert Personen, die in einem ständigen elektronischen Kommunikationsprozess stehen. Dabei werden Meinungen ausgetauscht, welche die Grundlage für die Entscheidungsfindung bei CAIR bilden. (Awad, S. 3)87

Die Mitgliedschaft von CAIR liegt nach Awad bei „about 50 000“. Man wird Mitglied, indem man sich bei CAIR als Spender registriert. Dadurch erhält man die Möglichkeit, im Mitgliedsbereich auf der Webseite spezielle Informationen einzusehen oder auch an CAIR- Veranstaltungen vergünstigt teilzunehmen. Die Mitgliedschaft bedeutet jedoch nicht ein Stimmrecht innerhalb der Gremien der Organisation. (ebd., S. 4)

86 Ahmed Rehab, der Executive Director von CAIR-Chicago hat darauf hingewiesen, dass es eine minimale inhaltliche Kooperation mit CAIR-National gibt. Nur einmal im Jahr gibt es ein Treffen, an dem alle Chapters mit dem nationalen Büro zusammenkommen. (Rehab, S. 11)

87 Auf der Webseite von CAIR wird die Größe des Gremiums mit etwa 200 angegeben: Cair at a Glance, siehe http://sun.cair.com/AboutUs/CAIRataGlance.aspx. Teil II Arbeit 125

Awad unterstrich, dass die Bedeutung von CAIR nicht anhand der Mitgliederzahl bewertet werden könne. Man verfüge über sehr gute Beziehungen zu den lokalen muslimischen Gemeinschaften und über die „largest mobilizing force in the United States among Muslims.“ (ebd., S. 3-4) Damit verweist Awad darauf, dass man über die direkten Mitglieder hinaus noch eine große Zahl von Unterstützern hat, die man unter anderem über den CAIR- Newsletter erreicht.

7.1.4 FÜHRUNG UND MITARBEITER

Mit Larry Shaw, der bereits seit 2006 Mitglied des Board of Directors war, wurde im März 2009 erstmals ein Afroamerikanischer Muslim (AAM) an die Spitze der Organisation gewählt. Er wurde damit der erste AAM überhaupt, der einer von muslimischen Immigranten gegründeten Organisation vorstand.88

Shaw gehörte zur ersten Generation von Afroamerikanern, die ein College besuchen konnten und wechselte 1971/1972 in Montgomery (Alabama) über die Nation of Islam zum Islam. Er orientierte sich dann ab 1975 an den reformierten und gemäßigten Ansichten von Warith Deen Muhammad (siehe Kap. 4.1). Shaw war in der Bürgerrechtsbewegung für die NAACP und das Student Nonviolent Coordination Committee aktiv und musste nach eigenen Angaben dafür mehrmals ins Gefängnis. Shaw – von Beruf Gastronomieunternehmer – war seit 1996 State Senator in der North Carolina General Assembly. Er war damit lange Zeit - bis zur Wahl von Keith Ellison als ersten muslimischen

88 CAIR Elects N.C. State Senator Larry Shaw as Board Chair (siehe http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=25745&&name=n &&currPage=22) Teil II Arbeit 126

Kongressabgeordneten im Jahr 2006 - der Muslim mit dem höchsten politischen Mandat in den USA. (Shaw, S. 1-3)

Die Wahl des politisch erfahrenen Shaw kam zu einer Zeit, in der interne Konflikte bei CAIR auf der höchsten Führungsebene zu Tage getreten waren. Der im Jahr 2005 gewählte Chairman von CAIR Parvez Ahmed – ein Wirtschaftsprofessor aus Florida – trat im Juli 2008 vorzeitig vom Vorsitz der Organisation zurück. Seine Begründung:

„I (…) wanted to send a message that a change in leadership is needed at the highest level, that we need some new blood at the

board and executive levels.”89

Die Kritik von Ahmed richtete sich auf die Zusammensetzung des Board of Directors und auf den Executive Director von CAIR. Eine Verjüngung in den Führungspositionen war aus seiner Sicht notwendig, damit sich die Organisation weiterentwickeln könne. Der Rücktritt wurde von CAIR dahingehend kommentiert, dass Meinungsunterschiede über die Ausrichtung einer Organisation eine Normalität darstellen und es offensichtlich sei, dass eine Mehrheit der Verantwortlichen bei CAIR einen anderen Ansatz für Wandel und Entwicklung befürwortet hätten als Ahmed.90 Bei der Wahl von Shaw zum Chairman trat dann auch Gründungsmitglied Omar Ahmed aus dem Board of Directors zurück, nachdem er seit der Gründung von CAIR Mitglied dieses Gremiums war und es sogar als Chairman (1994-2005) lange Zeit geführt hatte. (Shaw, S. 3)

89 Chairman of Council on American-Islamic Relations resigns, He cites group's failure to be more proactive, open to younger Muslims, The Florida Times- Union/Jacksonville.com, Interview mit Parvez Ahmed vom 8.07.2008 (siehe http://www.jacksonville.com/tu-online/stories/070808/met_301001680.shtml).

90 Leadership Changes at CAIR, von Ayub Khan, 10.07.2008 (siehe http://muslimmedianetwork.com/mmn/?p=2489). Teil II Arbeit 127

Die Rücktritte von zwei Führungspersönlichkeiten innerhalb von weniger als einem Jahr sprechen dafür, dass die Konflikte innerhalb des Board nicht nur mit Ahmed zu tun hatten, sondern darüber hinaus gingen. Die Umbesetzungen offenbarten massive interne Konflikte bei CAIR, die dem CAIR-Vertrauten Cherif Bassiouni zufolge bereits einige Jahre andauerten. Laut Bassiouni haben Mitglieder des Board of Directors versucht, Nihad Awad zu einem Rücktritt von seiner Position als Geschäftsführer zu bewegen:

„Nihad has had difficulties with the organization, leadership, for the last few years. At one time they tried to remove him from his position (…) from the Board of Directors. So he had his problems. Things are always related: As Nihad was viewed from his board as becoming less effective then [sic!] the board wanted to remove him. So he spent his time trying to defend himself with his board to stay in office. He spent more time trying to fight for staying Executive Director than he had time to go outside and the Board was spending more effort and resource in fighting internal political battles rather than doing their mission. (…) Because basically the whole issue is Nihad Awad being the Palestinian, being pro-Hamas, that’s the whole thing. I think he is entitled to his views, perfectly honest. If he wants to defend the Palestinians, that’s a perfect legitimate thing for him to do. So long as he does the work that the Board of Directors tells him to do.” (Bassiouni, S. 4-5)

Nihad Awad und Omar Ahmad waren vor ihrer Zeit bei CAIR bei der Islamic Association of Palestine (IAP) aktiv, welche mit der Hamas in Verbindung gebracht wird. (Awad 2000, S. 3; Hertzke 2009a, S. 272; Skerry 2007, S. 107) Das mache es nach Ansicht von Beobachtern, wie Mazen Asbahi, für CAIR schwierig, in der Hauptstadt mit jüdischen Organisationen zusammenzuarbeiten. Weil diese als wichtige und einflussreiche Koalitionspartner gelten, habe das Board of Directors versucht, eine Veränderung in der Geschäftsführung herbeizuführen, um so den Handlungsspielraum der Organisation in der Hauptstadt zu vergrößern. (Asbahi, S. 4) Teil II Arbeit 128

Nach Einschätzung der muslimischen Rechtsanwältin Sahar F. Aziz, die für das Department of Homeland Security beratend tätig war, hielt Awad wegen dem „Founders syndrom“ um jeden Preis an seiner Position als Geschäftsführer fest. Aziz sah Awads propalästinensische Ausrichtung nicht als angemessenen Grund, um ihn auszutauschen, doch sah auch sie die Notwendigkeit eines Wechsels, um einer neuen Generation die Möglichkeit zu geben, die wichtige Arbeit von CAIR weiterzuentwickeln. (Aziz, S. 3)

7.1.5 RESSOURCEN UND STANDORT

CAIR hat seinen Sitz in der Hauptstadt auf Capitol Hill in einem mehrstöckigen Bürogebäude, das im Jahr 2000 bezogen wurde und sich in seinem Eigentum befindet. Damit verfügt der Verband mit seinem Sitz über eine strategisch gute Lage im größten historischen Wohnviertel der Stadt in Sichtweite des Kapitols. Mit zwölf Vollzeitkräften in Washington DC ist CAIR - mit großem Abstand von den hier untersuchten NMI - die Organisation mit dem meisten Personal. (Council on American Islamic Relations 2009)91

CAIR hat nach eigenen Angaben ein Vermögen von etwa 4,8 Millionen Dollar, die jährlichen Gesamtausgaben belaufen sich auf etwa 2,8 Millionen Dollar. 92 Fast dreiviertel der Einnahmen stammen aus Spenden, dabei spielt das Fundraising beim Annual Dinner von CAIR eine wichtige Rolle. So wurden beim Annual

91 Wenn man die Mitarbeiter in den 35 CAIR-Büros hinzunimmt, kommt man auf insgesamt über 70 Vollzeitkräfte und etwa 300 ehrenamtliche Vorstandsmitglieder sowie zahlreiche Praktikanten. (Sailor, S. 1)

92 Die letzten öffentlichen Angaben zur finanziellen Situation von CAIR ergeben sich aus dem Jahresbericht von 2006, danach wurden keine Jahres- oder Finanzberichte mehr veröffentlicht. (CAIR 14th Annual Banquet, American Muslims: Defining Ourselves, 23.11.2008, Marriott Crystal Gateway, Arlington, Virginia; Persönliche Teilnahme, M.A.). Teil II Arbeit 129

Dinner im Jahr 2008 von den Anwesenden insgesamt 240 000 Dollar gespendet. (Unus, Tucker 2007, S. 23)

Sailor hat darauf hingewiesen, dass in der Zeit nach 9/11 die Mitgliederzahlen zurückgegangen sind, da Unterstützer von CAIR befürchteten, in den Fokus von Sicherheitsbehörden zu geraten. (Sailor, S. 3)

Der Einfluss von 9/11 und der Druck auf CAIR seitens der Sicherheitsbehörden, wie durch die UCC-Liste, auf die unten noch näher eingegangen wird, hat sich auf die Fähigkeit der Organisation zur Spendenakquise ausgewirkt. Dies formulierte der CAIR- Vertraute Bassiouni sehr offen:

„But now CAIR has been totally undermined, because of a deliberative Anti-CAIR campaign which has come down on its funding. So it has lost its capability of doing things.“ (Bassiouni, S. 4)

Der Rückgang bei der finanziellen Unterstützung durch US-Muslime führt nach Nimer dazu, dass CAIR finanziell stärker auf Spenden von im (arabischem) Ausland ansässigen Personen und Stiftungen angewiesen ist. CAIR nehme zwar kein Geld von Regierungen an und ausländische Spender könnten auch nicht die politische Agenda von CAIR beeinflussen. Einen negativen Effekt sieht Nimer trotzdem, weil durch die Finanzierung von Aktionen wie dem kostenlosen Verteilen von Koranexemplaren CAIR religiöse Aufgaben ausübe, die nicht zur ursprünglichen Mission der Organisation gehörten. Ein weiterer Nachteil von ausländischen Spenden – etwa aus arabischen Staaten – liege darin, dass diese vor allem auf persönliche Beziehungen Einzelner gründen, während institutionelle Kooperationen schwach ausgeprägt seien. Damit weist Nimer wohl auf die Fähigkeit zur Spendenakquise von Nihad Awad hin, der für die Beziehungen im arabischen Ausland zuständig ist. Bei einem Wechsel in der Führung ist Nimer zufolge mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Spenden Teil II Arbeit 130

wegfallen. Dies sei für eine nachhaltige Entwicklung der Organisation nicht hilfreich. (Nimer, S. 3)93

7.2 STRATEGIEN UND ADRESSATEN

CAIR setzt stark auf Öffentlichkeitsarbeit, verzichtet jedoch auf Demonstrationen, wie sie soziale Bewegungen abhalten. In Washington gäbe es jeden Tag Demonstrationen und wenn man weniger als eine Million Teilnehmer aufbringen könne, habe man kaum Aussicht, wirklich etwas zu bewegen, so Corey Saylor (S. 3- 4). 94 Stattdessen hat sich CAIR - angelehnt an die Methoden anderer bekannter Interessenverbände - ein Repertoire unterschiedlicher Vorgehensweisen erarbeitet.

7.2.1 PROTESTKAMPAGNEN UND ACTION ALERTS

Die am häufigsten eingesetzte Strategie von CAIR ist der Versand von elektronischen Newslettern, die Pressemitteilungen und sog. Action Alerts enthalten. Der Einsatz von Action Alerts und die Aufforderung an die Empfänger, mit Protestbriefen oder Anrufen bei den zuständigen Stellen auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, wird von etwa 85% aller religiösen Interessenorganisationen als

93 Nimer hat im Interview darauf hingewiesen, dass er dieses Thema als Angestellter von CAIR thematisiert habe und er möglicherweise daraufhin seine Stelle verloren hat. Awad wies die Kritik an den Auslandsspenden zurück, indem er darauf verwies, dass die ausländischen Spenden nur einen minimalen Teil der Gesamtbudgets ausmachen und diese Kritik nur darauf zurückzuführen sei, dass die Kritiker nicht in der Lage sind selbst Gelder im Ausland zu akquirieren. (Awad, S. 5-6)

94 Im Untersuchungszeitraum gab es eine Reihe von Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg 2008/2009, welche von MAS Freedom Foundation mitorganisiert wurden. Bei diesen Demonstrationen konnte man Nihad Awad regelmäßig sehen und er hat bei zwei der Demonstrationen die Teilnehmer adressiert. CAIR hat sich jedoch formal zurückgehalten und nur bei einer der Demonstrationen zur Unterstützung aufgerufen. (CAIR-Action Alert Nr. 563) Teil II Arbeit 131

Instrument eingesetzt. (Hertzke 2012, S. 56) Mit relativ geringem Kostenaufwand wird es von Graßwurzelorganisationen genutzt, um Öffentlichkeit herzustellen und Druck auf Verantwortliche in Politik, Medien und Wirtschaft aufzubauen. Action Alerts können den Outsider-Strategien zugeordnet werden. Diese charakterisiert Wilcox wie folgt: „If the inside strategy is the carrot, the outside strategy is the stick. “ (Wilcox, Kim 2005, S. 136)

Adressaten der Action Alerts von CAIR sind neben Medien- und Wirtschaftsunternehmen vor allem der US-Präsident und die Abgeordneten und Ausschüsse im US-Kongress.95 CAIR organisierte etwa im Jahr 2008 Proteste gegen den Radiomoderator Michael Savage, dessen Sendung The Savage Nation zu den am meisten gehörten Radiosendungen in den USA gehörte. Savage hatte in seiner Sendung vom Koran als „ a book of hate” gesprochen und dazu aufgerufen, Muslime zu deportieren.96

CAIR versendete Audio-Ausschnitte der Sendung über seinen Newsletter und rief mehrere Monate über Action Alerts die Empfänger dazu auf, die Sponsoren der Radiosendung zu kontaktieren und Betroffenheit über diese Äußerungen zum Ausdruck zu bringen. Bis zum Jahresende 2008 haben dann eine Reihe von Firmen - darunter die Handelsunternehmen Sears und Wal-Mart sowie der Mobilfunkanbieter AT&T – aufgrund des über die Proteste aufgebauten Drucks ihre Werbung bei der Sendung

95 Eine Auswertung der 32 Action Alerts aus dem Jahr 2009 für diese Untersuchung zeigte, dass die Adressaten der Action Alerts der Präsident (4x), Abgeordnete im Kongress (4x), Medien (4x), Ausschüsse im Kongress (2x) und Politiker auf Ebene der Bundesstaaten und Städte waren (5x), während die restlichen weiteren Empfängertypen zugeordnet werden können.

96 Jacques Steinberg, Boycotted Radio Host Remains Unbowed, 17.12.2007. (siehe http://www.nytimes.com/2007/12/17/arts/17sava.html?ref=us) Teil II Arbeit 132

gestrichen. Dies führte zu einem Ausfall von Werbeeinnahmen für Savage von etwa einer Million Dollar. 97

Der Savage-Fall wurde von CAIR beim Annual Banquet im Jahr 2008 als ein großer Erfolg gefeiert und dazu genutzt, Spendern deutlich zu machen, dass die Arbeit von CAIR auch konkrete Ergebnisse erziele.98

Strategien des Outside Lobbying funktionieren am besten bei Gruppen, die eine große und ideologisch kohärente Mitgliedschaft haben. Der CAIR-Newsletter, über den mehrmals wöchentlich Informationen versendet werden, ist bekannt für seine große Reichweite. Auch wenn CAIR sich in den letzten Jahren nicht mehr offen über die Größe des Verteilers geäußert hat, kann man davon ausgehen, dass der Newsletter mindestens etwa eine halbe Million Empfänger erreicht. (Findley 2001, S. 215; Unus, Tucker 2007, S. 167)99

Mit seinen Protestaktionen schafft es CAIR regelmäßig in die nationale Medienberichterstattung und kann damit große Aufmerksamkeit erzielen.100 CAIR war dabei mit einer Reihe von

97 Action Alert Nr. 522: Ask Advertisers to Pull Spots from Anti-Muslim Radio Program, 1.11.2007 (siehe http://www.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=763&&ArticleID=23609&&name= n&&currPage=4)

98 CAIR 14th Annual Banquet, American Muslims: Defining Ourselves, 23.11.2008, Marriott Crystal Gateway, Arlington, Virginia (Persönliche Teilnahme, M.A.).

99 Wenn man berücksichtigt, dass in CAIRs Verteiler auch Institutionen, wie etwa 1500 Moscheen enthalten sind, die Informationen an ihre Gemeindemitglieder weitergeben, dann erreicht der Newsletter möglicherweise eine deutlich höhere Zahl von Personen. Dies gilt unbeschadet der Frage, wie viele von den Empfängern des Newsletter diesen auch tatsächlich lesen oder gar auf seiner Grundlage aktiv werden.

100 Dazu gehören Fernsehsender wie CNN, FoxNews, ABCNews und NBC oder in Tageszeitungen, wie der Washington Post oder New York Times. (Siehe etwa die Videos von Fernsehaufzeichnungen auf dem Kanal Cairtv auf Youtube unter http://www.youtube.com/user/CAIRtv oder eine Auflistung der Presseberichte

Teil II Arbeit 133

Antidiskriminierungskampagnen erfolgreich. Gegenstand waren etwa Äußerungen des Verlagshauses Simon and Schuster (1996), ein Produkt des Sportartikelherstellers Nike (1998) oder auch Einstellungspraktiken der Fluglinie United Airlines (2001). (Nimer 2002b, S. 133–135; CAIR 2004b, S. 10–25). Die Anerkennung, welche CAIR unter US-Muslimen genießt, ist wesentlich auf erfolgreiche Aktionen dieser Art zurückzuführen. Selten wurde dabei nach Sailor der Gerichtsweg eingeschlagen, da man hierzu nicht über die notwendigen Ressourcen verfüge. Man lasse sich darauf nur ein, wenn die Aussicht auf einen Erfolg sehr hoch und die Sache so relevant ist, dass damit auch ein symbolischer Erfolg verbunden werden könne. (Saylor, S. 4)101

Diskriminierungsfälle werden von CAIR auch systematisch registriert und im alljährlich erscheinenden Civil Rights Report erfasst. In dem Bericht, der im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt wird, werden Trends analysiert und Empfehlungen u.a. an die US-Regierung dafür formuliert, was diese für die Verringerung von antimuslimischen Tendenzen unternehmen können. (CAIR 2009)102

auf der Homepage von CAIR unter http://www.cair.com/PressCenter/CAIRintheNews.aspx)

101 Siehe etwa den erfolgreichen Gerichtsprozess, den CAIR unterstützte, nachdem eine Gruppe von Imamen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit aus einem Flugzeig verwiesen wurde. (CAIR Calls Settlement of Six Imams 'Flying While Muslim' Case ‘Victory for Justice’, siehe http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=26098&&name=n &&currPage=16)

102 Für den Report 2009 wurden etwa 2700 Fälle aus dem Jahr 2008 dokumentiert, dazu gehören Angriffe auf Moscheen, Straftaten gegen einzelne Muslime oder auch Diskriminierungsfälle im Zusammenhang mit staatlichen Maßnahmen mit einem sicherheitspolitischen Hintergrund. Die anti-muslimischen Straftaten sind im Vergleich zum Report 2008 um 14 Prozent zurückgegangen. Weil CAIR zum zweiten Mal in Folge eine Abnahme solcher Taten verzeichnen konnte, wurde dies vorsichtig als Zeichen für einen dauerhaften Rückgang antimuslimischer Tendenzen nach 9/11 gedeutet. Teil II Arbeit 134

Die Action Alerts dienen dabei nicht nur dazu, Protest zum Ausdruck zu bringen, sondern auch Unterstützung für bestimmte Maßnahmen. So wurde in einem Action Alert dazu aufgerufen, dem Produzenten einer Episode der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ Anerkennung und Dank auszusprechen. Die Sendung hatte das Thema Islamophobie aufgegriffen und war nach Einschätzung von CAIR geeignet, zu einer ausgewogeneren Repräsentation von Muslimen in den Medien beizutragen.103 CAIR rief auch dazu auf, Präsident Obama nach seinem Amtsantritt im Jahr 2009 Dank auszusprechen für seine Ankündigung, das Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba zu schließen sowie ihm Respekt zu zollen für seine Rede in Kairo im Juni 2009, in der Obama einen Neubeginn der Beziehungen zwischen den USA zur muslimisch geprägten Welt ankündigte.104

7.2.2 INFORMATIONSKAMPAGNEN

Zu den Hauptzielen von CAIR gehört, das Bild des Islam in der Gesellschaft zu verbessern. Es gehört zu den Grundüberzeugungen der Organisation, dass Vorurteile und das negative Islambild in erster Linie auf fehlendes Wissen zurückgeführt werden können. Daher versucht CAIR, Informationen über den Islam und das muslimische Leben in den USA sowohl für Entscheidungsträger, als auch für allgemein interessierte aufzubereiten und zugänglich zu machen.

103 Thank Fox for 'Simpsons' Episode challenging Islamophobia. (CAIR Action Alert Nr.554, 3.12.2008)

104 Thank Obama for Order to Close Guantanamo Prisons, 22.01.2009. (Action Alert Nr.565 http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=763&&ArticleID=25685&&name=n &&currPage=3); Action Alert Nr. 577: Support President’s ‘New Direction’ in Cairo Speech, 4.06.2009 (siehe http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=763&&ArticleID=25954&&name=n &&currPage=2) Teil II Arbeit 135

So gibt es eine große Zahl von Informationsmaterialien für spezifische Berufsgruppen, wie etwa Journalisten oder Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden, um das Verständnis für den Islam zu erhöhen und praktische Hinweise zu geben, die für die Berufsgruppe im jeweiligen Umfeld von Relevanz sind.105

Für das „Library Project“ hat CAIR eine Zusammenstellung von achtzehn Büchern als Geschenkpakete an 8000 öffentliche Bibliotheken in den USA versendet, mit denen sachlich und ausgewogen über den Islam aufgeklärt werden soll. (Unus, Tucker 2007, S. 166)

CAIR versucht bei seinen Informationskampagnen oftmals aktuelle Entwicklungen aufzunehmen und „(…) to turn a negative incident into a teaching moment (…)”. (CAIR 2005, S. 9) Zum Jahreswechsel 2005/2006 reagierte man auf den sog. Karikaturenstreit. Dabei ging es um die Veröffentlichung von Karikaturen über den Propheten Muhammad in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten, die z.T. von Muslimen als beleidigend empfunden wurden. CAIRs Reaktion bestand in der Kampagne „Explore the Life of Muhammad”. Mehrere zehntausend Bücher und DVDs über die Lebensgeschichte des Propheten Muhammad wurden kostenlos an Interessierte verteilt. (ebd.)

Als im Jahr 2005 Berichte über die Schändung von Koranexemplaren durch US-Soldaten im Gefangenenlanger Guantanamo öffentlich wurden, hat CAIR rund dreißigtausend Exemplare des Korans an Interessierte versendet. Nachdem Präsident Obama in seiner Kairoer Rede im Juni 2009 mehrmals

105 Siehe CAIR o.J [2007]; CAIR 1997a; CAIR 1997b; CAIR 1999; CAIR 2003; Siehe auch die Kampagne: Beyond Stereotypes – A Cair Initiative to Enhance Understanding of Islam in the Media, 2007. (online unter http://www.cair.com/beyondstereotypes/about.asp) Zugleich werden Muslime darüber informiert, wie sie etwa eine professionelle Medienarbeit gestalten können. (CAIR 1996) Teil II Arbeit 136

aus dem Koran Verse zitierte, ging das Projekt in eine zweite Phase und es wurden mindestens zwanzigtausend Exemplare eines aufwendig gestalteten Koran-Kommentars kostenlos an Politiker und Personen des öffentlichen Lebens versendet. Aktionen dieser Art schaffen es dabei regelmäßig, die Aufmerksamkeit von nationalen und internationalen Medien zu erreichen und tragen zum Bekanntheitsgrad von CAIR bei. 106 Es sei hier dahingestellt, ob solche Aktionen bis auf das Herstellen von Öffentlichkeit tatsächlich beim Einzelnen Empfänger des Materials etwas bewegen.

7.2.3 EXEKUTIVE

Laut Corey Sailor hat sich nach einem Treffen mit dem US- Präsidenten George W. Bush im Islamic Center of Washington kurz nach 9/11 die Beziehung zwischen CAIR und der US-Regierung immer weiter verschlechtert. Ab dem Jahr 2008 habe man fast keinen Zugang mehr zum Weißen Haus oder den Ministerien gehabt. (Saylor, S. 3)

Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung einer „Unindicted Co-Conspirators“ (UCC-)-Liste im Zusammenhang mit einem Verbotsverfahren gegen die Holy Land Foundation. Präsident George W. Bush hatte nach 9/11 angekündigt, gegen Wohlfahrtsorganisationen vorzugehen, die Terrorismus unterstützen. Daraufhin wurde das Material Support Law verschärft, das bereits unter Präsident Clinton verabschiedet wurde. Auf Grundlage dieses Gesetzes konnten muslimische

106 CAIR News Conference to Announce Launch of “Share the Quran” Campaign, Pressekonferenz, 30.6.2009, (Persönliche Teilname, M.A.) Siehe auch: 100,000 American Leaders to Receive Free Qurans, 30.06.2009, http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=25987&&name=n &&currPage=18; Bis Januar 2010 wurden etwa 20 000 Exemplare versendet, siehe Website der Kampagne: Share the Quran – Phase II, https://www.explorethequran.com/index.php Teil II Arbeit 137

Wohlfahrtsorganisationen in den USA selbst dann verboten werden, wenn sie nachweislich zum Beispiel nur Waisenhäuser unterstützten. Ihr Verbot wurde dann damit begründet, dass Geld „fungible“ sei, also Ressourcen ersetzen könne. Wenn jemand etwa Geld für ein Waisenhaus im Gaza-Streifen spende, werde damit die Hamas entlastet, die im Gaza-Streifen regiert. Die Hamas wird in den USA als Terrororganisation eingestuft. Werde sie durch Ressourcenzufluss von anderer Stelle von ihren staatlichen Aufgaben entlastet, wird dies als eine Unterstützung von Terrorismus angesehen. Diese Verbotsbegründung wird von der Bürgerrechtsorganisatin American Civil Liberties Union als unangemessen kritisiert. (American Civil Liberties Union, 2009, S. 29–33)

Im Rahmen des Verfahrens gegen die Holy Land Foundation veröffentlichte das Department of Justice eine UCC-Liste mit den Namen von 306 Einzelpersonen und Organisationen, darunter drei große „mainstream muslim organizations“ (German, S. 5). Zu diesen zählen die Islamic Society of North America (ISNA), der Council on American-Islamic Relations (CAIR), die hier untersucht werden, sowie der North American Islamic Trust (NAIT). In der UCC-Liste wird CAIR unter der Überschrift aufgeführt: „The following are individuals/entities who are and/or were members of the US Muslim Brotherhood's Palestine Committee and/or its organizations.” 107

CAIR wurde demnach mit dem palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht. So sollte eine Verbindung zur Hamas hergestellt werden. Die aufgeführten

107 Attachement A, In the United States District Court for the Northern District of Texas, Dallas Division, United States of America vs. Holy Land Foundation for Relief and Development, List of Unindicted Co-conspirators and/or Joint Venturers, CR NO. 3:04-CR-240-G. Teil II Arbeit 138

Verbände und Personen hatten dabei keinerlei Möglichkeit, Stellung zu nehmen oder sich gegen ihre Aufnahme in die Liste zu verteidigen. Die Liste – die nach internen Richtlinien des Justice Department nicht hätte veröffentlicht werden dürfen – stellt nach Auffassung der ACLU eine Verletzung grundlegender Verfassungsrechte dar sowie eine Rufschädigung der betroffenen Organisationen.108

Wie der zuständige Staatsanwalt nach Angaben der ACLU in einem Gespräch einräumte, war die Erstellung der UCC-Liste eine „legal tactic“, um die Beweisführung der Staatsanwaltschaft im Prozess gegen die Holy Land Foundation zu vereinfachen. Durch die UCC- Liste konnte die Staatsanwaltschaft auch „Hörensagen“ (hearsay evidence, eine Besonderheit des amerikanischen Rechtssystems) als Beweis einführen. Damit war eine Verurteilung im Holy Land Foundation-Fall einfacher zu erzielen. In einem vorhergehenden Verfahren war die Staatsanwaltschaft daran noch gescheitert. (ebd.)

Agha Saeed verglich die UCC-Liste mit den COINTELPRO- Programmen des FBI (1956-71), mit denen politische Organisationen diskreditiert werden sollten, die als gefährlich eingestuft wurden.109 Auch nach Auffassung von Michael German, einem Policy Counsel for National Security Issues bei der ACLU in Washington, war die UCC-Liste für die Regierung ein Mittel, die

108 ACLU Challenges Government's stigmatizing of mainstream Muslim Groups in Holy Land Case, 18.06.2008, American Civil Liberties Union, http://www.aclu.org/national-security/aclu-challenges-governments- stigmatizing-mainstream-muslim-groups-holy-land-case

109 Agha Saeed (Coordinator der American Muslim Taskforce) trug dies bei einer Pressekonferenz vor: American Muslim Taskforce, News Briefing on Obama Trip and U.S. Muslim Concerns, 6.04.2009, National Press Club, Washington DC (Persönliche Teilnahme, M.A.). Zum Zusammenhang zwischen UCC und “extrajudicial punishment” Robbins 2004. Teil II Arbeit 139

genannten muslimischen Verbände als „bad“ abzustempeln, ohne dafür Beweise vorlegen zu müssen. (German, S. 6-7)

Eine Reihe (ehemaliger) Ministeriumsarbeiter haben unabhängig voneinander die Erstellung der UCC-Liste damit erklärt, diese stelle einen Höhepunkt im Einfluss antimuslimischer Akteure in der Phase nach 9/11 dar. Dabei wurde insbesondere auf Steven Emmerson verwiesen. Er soll Einfluss auf die zuständigen Staatsanwälte – hier wurde der Name Gordon Kronberg regelmäßig genannt – genommen haben, damit die Liste erstellt wird. (Asbahi, S. 3; Khan, S. 6; Aziz, S. 3-4)110

Die Nachteile, die sich aus der UCC-Liste für CAIR ergeben, hat der CAIR-Chairman Larry Shaw im Interview eindrücklich beschrieben:

„It [die UCC-Liste, M.A.] means cut the head off. U.S. Attorney General and the Right Wing have conspired to the unindicted co- conspirator – Holy Land Foundation case. They have charged 246 people as unindicted co-conspirators. Nobody wants to touch you. You become like radioactive. Nobody wants to give money to you because they could be charged with the same thing they charged the Holy Land Foundation. They gave money to Palestinians, they did not buy bullets, and they did not buy bombs or weapons, anything to use against Israel. (…) This was done as attacking, to take all the Islamic organizations and put them in a box. They were very successful.“ (Shaw, S. 4)

In der Tat führte die UCC-Liste zu einer Isolierung von CAIR in der Hauptstadt. Der Zugang zum Weißen Haus und den Ministerien war abgeschnitten. Im Interview mit Vertretern des State Department hat sich dies bestätigt: „We don‘t talk to CAIR and ISNA.“

110 Auch Eric Treene, Mitarbeiter im Department of Justice hat im Interview im Zusammenhang mit der UCC-Liste darauf hingewiesen, dass im Gerichtsverfahren gegen die Holy Land Foundation täglich Mitarbeiter des Publizisten Steven Emmerson anwesend waren und angedeutet, dass diese möglicherweise an der Veröffentlichung beteiligt waren. (Treene, S. 3) Teil II Arbeit 140

Begründet wurde dies mit dem „ongoing case“ beim FBI. (Pandith, Weinstein, Eldridge, S. 3)

Weiterhin wird CAIR nicht zum „Interagency meeting“, des Department of Justice (DOJ) eingeladen, bei dem sich regelmäßig Vertreter verschiedener Ministerien mit muslimischen Organisationen und anderen Migrantengruppen treffen, die durch die Folgen von 9/11 betroffen sind, etwa Arabern oder Sikhs. Dazu sagte Safia Ghori, welche für MPAC an den Treffen teilnimmt:

„No, they [Department of Justice, M.A.] don’t invite CAIR, they don’t invite ISNA because of the unindicted co-conspirator. I mean the DOJ created this UCC-List, so they are not on the one hand implicated and on the flip side invite them with the DOJ to a meeting.” (Ghori, S. 8)

Im Oktober 2008 – zum Ende der Präsidentschaft von George W. Bush - spitzte sich vor diesem Hintergrund das Verhältnis zwischen dem FBI und CAIR weiter zu. Das FBI wies mit Verweis auf die UCC-Liste seine Field Offices an, ihre formalen Kontakte zu CAIR einzustellen. Erst müsse eine Klärung offener Fragen stattfinden, bevor die Zusammenarbeit fortgesetzt werden könne, so die Behörde. 111 Michael German von der ACLU zufolge war diese Eskalation politisch motiviert und durch die die Übergangsperiode von einer Präsidentschaft zur nächsten möglich:

111 Brief des Oaklahoma Field Office und dem FBI an die Teilnehmer des Muslim Community Outreach Program vom 8.10.2008. Das Treffen wird abgesagt mit der Begründung, das CAIR daran teilnehmen würde und „if CAIR wishes to pursue an outreach relationship with the FBI, certain issues must be addressed to the satisfaction of the FBI. Unfortunately these issues can not be addressed at the local level and must be addressed by the CAIR-National Office in Washington, D.C.” Siehe auch: Brief von John Miller, Assistant Director, Office of Public Affairs, Department of Justice, Federal Buro of Investigation an Frank R. Wolf, House of Representatives, Washington D.C, 9.3.2009. Darin heißt es: „The adjustment in our contacts with CAIR comes in part as a result of evidence gathered through FBI investigations and presented in connection with the Holy Land Foundation trial. CAIR was listed as an unindicted co-conspirator in that case.” (Briefe liegen in Kopie vor, M.A.) Teil II Arbeit 141

„I’m sure what it was, somebody with a certain agenda in the FBI got to a position of influence and imposed this sort of policy in an atmosphere where nobody is checking what the FBI is doing. It is impossible to curb them for that type of behavior. In fact they receive support in some political quarters for that type of behavior.” (German, S. 8)

In diesem Vakuum konnten demnach hohe Ministerialbeamte, welche über eine politische Unterstützung im Hintergrund verfügten, eine solch härtere Gangart gegen CAIR durchsetzen.

7.2.4 LEGISLATIVE

Obwohl CAIR innerhalb des Kongresses nur über einen sehr begrenzten Zugang zu Abgeordneten verfügt, ist der Verband nicht ohne Bedeutung. Der Kongressabgeordnete Keith Ellison kennzeichnete im Gespräch die Bedeutung von CAIR auf Capitol Hill, wie folgt:

„There is one fellow who I think watches the events all the time: Corey Sailor from CAIR. Corey is most consistently watching the events on Capitol Hill.” (Ellison, S. 3)

Das Monitoring ist von Bedeutung, weil damit bereits früh mögliche Themen für die politische Agenda identifiziert werden können. Mit diesem Wissen kann CAIR über seine Netzwerke und den Newsletter früh informieren und ermöglicht es so Muslimen – über den eigenen Verband hinaus –, früh anzusetzen, um bestimmte politische Prozesse zu beeinflussen.

Auch Jihad Saleh Williams von der Congressional Muslim Staffers Association bezeichnete CAIR als wichtigste NMI in der Hauptstadt:

„CAIR is the most recognizable [on Capitol Hill, M.A.]. CAIRs strength is its civil rights protection and the local community level.” (Williams, S. 6) Teil II Arbeit 142

CAIR hat im Untersuchungszeitraum gegenüber dem Kongress mit seinen „Action Alerts“ hauptsächlich auf Strategien des „Outside Lobbying“ zurückgegriffen. Die Organisation ist durch seine Bekanntheit und seinem großen Netzwerk in der Lage, zu mobilisieren und Öffentlichkeit herzustellen.112

Es hat sich gezeigt, dass CAIR-National nur zu relativ wenigen Abgeordneten einen direkten Zugang verfügt. Zu berücksichtigen ist, dass der Fokus von CAIR auf der Bearbeitung von Diskriminierungsfällen und der Verbesserung des Islambildes in der Gesellschaft liegt. Lobbying gegenüber dem Kongress spielte bei CAIR in den Anfangsjahren eine untergeordnete Rolle. Erst im Jahr 2002 wurde das Governmental Relations Buero aufgebaut. (CAIR 2004b, S. 45) Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass durch 9/11 die Legislative eine bedeutendere Rolle für das muslimische Leben in den USA bekommen hat.

Der begrenzte Zugang von CAIR-National zu Abgeordneten und Senatoren im Congress zeigt sich zum einen darin, dass CAIR seit dem Jahr 2002 nicht mehr zu Anhörungen im Congress eingeladen wurde, um Stellung zu nehmen.113

Zum anderen zeigt sich dies an den Rednerlisten des Annual Banquets, bei denen in den Jahren 2008 und 2009 außer dem muslimischen Abgeordneten Keith Ellison nur der ehemalige

112 Fast alle Action Alerts, die im Jahr 2009 auf den Kongress gerichtet waren, bezogen sich inhaltlich auf den Angriff Israels auf den Gaza-Streifen. Mit den Action Alerts sollen die Abgeordneten dazu aufgerufen werden, Israel nicht einseitig zu unterstützen und vor allem die humanitäre Lage der palästienensichen Bevölkerung zu verbessern. (siehe die Action Alerts Nr. 559, 560, 561 und562) Insgesamt wurden im Jahr 2009 32 Action Alerts versendet, davon waren fünf an Kongress-Abgeordnete oder bestimmte Ausschüsse gerichtet, vier davon bezogen sich auf den Palästinensich-Israelischen Konflikt.

113 Die letzte Stellungnahme, die ermittelt werden konnte, war von Nihad Awad vor dem Committee on International Relations, House of Representatives, am 9.10.2002 zum Thema „Evaluation of the Annual Report on International Religious Freedom”. (CAIR 2004b, S. 63) Teil II Arbeit 143

Kongressabgeordneten Paul Findley gesprochen haben. 114 Hinzu kommt auch, dass auf der Webseite der Organisation und in anderen relevanten Publikationen für die Jahre 2008 und 2009 nur sehr wenige Hinweise dafür zu finden sind, dass man sich direkt an Abgeordnete im Kongress gewendet hat. 115

Auf der anderen Seite verfügen die einzelnen CAIR-Chapter durchaus über einen Zugang zu ihren Abgeordneten. Dies wird auch für die Arbeit in Washington DC genutzt. Dazu wird ein nationaler „CAIR Lobbying Day“ organisiert. Die Organisation von Lobbying Days ist eine Strategie, die zunehmend in der Hauptstadt angewendet wird und eine Kombination von „grassroots pressure and more-traditional Washington lobbying“ darstellt. (Hertzke 2012, S. 54)

Im Jahr 2009 kam es zu insgesamt 73 Terminen mit den Abgeordneten derjenigen Wahlbezirke, in denen CAIR eine starke

114 Beim Annual Banquet 2008 stand der Kongressabgeordnete und ehemalige Präsidentschaftskandidat Ron Paul als angefragter Redner auf der Einladung, er hat jedoch nicht teilgenommen. CAIR 14th Annual Banquet, American Muslims: Defining Ourselves, 23.11.2008, Marriott Crystal Gateway, Arlington, Virginia (Persönliche Teilnahme, M.A.). Zum Annual Banquet 2009 siehe CAIR-Newletter, 24.10.2009

115 Es finden sich im Bereich Government Relations für die Jahre 2009 und 2010 jeweils nur ein Legislative Fact Sheet, also Informations-Blätter für die Arbeit mit den Abgeordneten im Kongress, die dazu dienen sollen, zu einem bestimmten Thema Aktionen zu ergreifen. Einmal geht es um Racial Profiling und zum anderen um Gaza. (siehe http://sun.cair.com/GovernmentRelations/IssuesandLegislation.aspx) Im Report zum 10-jährigen Jubiläum findet man im Kapitel „Working with Legislators“ keine unmittelbaren Informationen zur Arbeit mit den Abgeordneten, sondern lediglich Angaben zu einigen Treffen mit dem State Department (CAIR 2004b, S. 30-33). Im Kapitel „An Increase of Political Presence“ findet man keine Hinweise auf direkte politische Arbeit mit Abgeordneten (ebd., S. 48-51). Zwei Maßnahmen im Zusammenhang mit Abgeordneten werden an anderer Stelle genannt: CAIR war daran beteiligt, einen Brief zum Kopftuchverbot an Schulen in Frankreich zu initiieren, der von 50 Abgeordneten des House of Representatives unterschrieben und an den französischen Präsidenten gesendet wurde. Eine andere Aktion des Governmental Relations Department war eine Resolution, die von 18 Abgeordneten unterschrieben wurde. Sie richtete sich gegen Aussagen von Lt. Gen. William „Jerry“ Williams. William hatte geäußert, Muslime würden ein „idol“ anbeten und „my God was bigger than theirs.“ (ebd. , S. 45-46) Teil II Arbeit 144

Präsenz hat. Inhaltliche Schwerpunkte waren dabei die Themen „Racial Profiling, Gaza-Issues and Anti-Hunger“. (Sailor, S. 2) Den fehlenden direkten Zugang von CAIR-National zur Legislative versucht man dadurch aufzuwiegen, dass man die CAIR-Chapter in die Hauptstadt kommen lässt und ihre Kontakte nutzt, um im Kongress Gespräche mit den Abgeordneten aus den Wahlkreisen zu führen.

Die Gründe für den begrenzten Zugang sind nach Ansicht des Kongressabgeordneten Ellison auf den Arbeitsstil der Organisation zurückzuführen:

„(…) they are drawing more fire from people who don’t like what they are saying. They are a civil rights organization, they operate legally, they do a service for the community, but their style of advocacy – which I think is important – is a little more stricken and therefore people who oppose their views are more stricken.” (Ellison, S. 4)116

Mit Blick auf die Nutzung öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen gegen Unternehmen, Medien und Politiker mobilisiert CAIR demnach auch in besondere Weise Gegner.

Khan führt die begrenzten Zugänge von CAIR darauf zurück, dass der Verband durch die propalästinensische Haltung von Nihad Awad massive Kritik pro-israelischer Publizisten auf sich ziehe. Laut Khan würden deswegen Kongress-Abgeordnete Veranstaltungseinladungen von CAIR in Washington ablehnen, da

116 Thomas Albert (Arab American Antidiscrimnation Committee) hat im Interview süffisant darauf hingewiesen, dass die Gegner von CAIR versuchen würden, die Organisation für alles Mögliche verantwortlich zu machen. So hat etwa der republikanische Abgeordnete Cass Ballinger CAIR für die Scheidung von seiner Frau verantwortlich gemacht mit der Begründung: Das Paar habe in der Nähe der CAIR-Zentrale gewohnt und es kam zu einer Ehekrise, da die Frau sich vor muslimischen Frauen gefürchtet habe, die Kopftuchtragend das CAIR-Büro aufsuchten. (Siehe dazu: Abdul-Qawi Dahan, Veil Battle: A loop in the clash of civilizations , 29.02.2004 http://www.yobserver.com/opinions/100186.html)

Teil II Arbeit 145

man nicht die Anklage der CAIR-Kritiker auf sich ziehen möchte. (Khan, S. 5)

Ein bemerkenswerter Versuch CAIR in der Hauptstadt zu isolieren, war die Veröffentlichung des Buches „Muslim Mafia - Inside the Secret Underworld That‘s Conspiring to Islamize America“ im Jahr 2009. Das Buch basiert auf einer bemerkenswerten Recherchearbeit. Der Mitautor Paul David Gaubatz hatte seinen Sohn (Chris), der sich als Konvertit ausgab, in einer aufwendig vorbereiteten Aktion für mehrere Monate als Praktikant bei CAIR eingeschleust. David Gabautz entwendete dann eine große Zahl von Unterlagen von CAIR, um sie den beiden Autoren zu übergeben.117 In dem Buch wird der Anspruch formuliert „the inner secrets of the dangerous Muslim mafia“ (Gaubatz, Sperry 2009, S. 10) offenzulegen. CAIR gilt danach als:

„part of the pro-jihad, anti-USA Muslim Brotherhood, which directs its terror-supporting fronts to infiltrate government agencies, collect intelligence for the enemy, and ‘sabotage’ the government from within.“ (Gaubatz, Sperry 2009, S. 9–10)

Das Buch versucht CAIR in die Nähe von Terrorismus zu rücken und sie für die befürchtete Infiltration und Zerstörung der USA verantwortlich zu machen. Als Beispiele für die behaupteten Infiltrationsversuche von CAIR werden Strategien aufgeführt, die für Interessenorganisationen völlig üblich sind, wie Treffen mit Abgeordneten, Unterstützung bei der Vermittlung von Praktikanten in Abgeordnetenbüros oder die Zusammenarbeit mit der Congressional Muslim Staffers Association. (ebd., S. 179–207) Kritisiert wird dabei nicht nur CAIR, sondern es findet ein Rundumschlag gegen die „anti-Israel lobby and the entire left-wing

117 Dieser Vorgang macht die Zurückhaltung verständlich, die CAIR-Mitarbeiter Ibrahim Hooper mir gegenüber an den Tag legte, als ich versuchte, ihn zu befragen. (Siehe Kap. 2.3) Teil II Arbeit 146

anti-American conspiracy“ statt, die auch die ACLU und den Congressional Black Caucus umfasst. (ebd., S. 10)

Bemerkenswert ist, dass das Buch ein Vorwort der republikanischen Kongressabgeordneten Sue Myrick enthält und im Oktober 2009 gar im US-Congress von Myrick und drei weiteren Abgeordneten bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. 118 Die Vorstellung des Buches in diesem Rahmen hat ein breites Medienecho hervorgerufen. Es veranlasste zahlreiche Kongress-Mitglieder, darunter den 87 Abgeordnete umfassenden Congressional Tri Caucus dazu, die vier republikanischen Abgeordneten für diese Aktion zu verurteilen.119 Der Caucus rief dazu auf, die Arbeit muslimischer Praktikanten und Mitarbeiter zu würdigen und nicht unter einen Generalverdacht zu stellen.120

7.2.5 KOALITIONEN

Im Untersuchungszeitraum hat sich gezeigt, dass CAIR-National insgesamt nur sehr begrenzt in Koalitionen arbeitet und sich dies –

118 House Republicans accuse Muslim group of trying to plant spies, von Jordy Yager, 14.10.2009. (online unter http://thehill.com/homenews/house/63023- republicans-accuse-muslim-advocacy-group-of-trying-to-plant-spies)

119 Der Congressional Tri Caucus umfasst folgende Zusammenschlüsse: Congressional Hispanic Caucus, Congressional Black Caucus und Congressional Asian Pacific American Caucus.

120 Conyers blasts GOP lawmakers' accusations of Muslim 'spies', 15.10.2009, von Michael O'Brien (siehe http://thehill.com/blogs/blog-briefing- room/news/63325-conyers-blasts-gop-lawmakers-accusations-of-muslim-spies); Congressional Tri-Caucus Blasts Four Anti-Muslim Colleagues, von Spencer Ackermann, 23.10.2009. (siehe http://washingtonindependent.com/65010/congressional-tri-caucus-blasts-four- anti-muslim-colleagues) Teil II Arbeit 147

bis auf eine Ausnahme – ausschließlich auf eine kleine Zahl muslimischer bzw. arabischer Organisationen beschränkt.121

Sicherlich tragen Kritik an CAIR und sicherheitspolitische Maßnahmen wie die UCC-Liste dazu bei, dass nicht nur Politiker, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen vorsichtig dabei sind, mit dieser NMI formale Beziehungen zu unterhalten, um nicht auch in den Fokus der Kritiker zu geraten. Hierfür spricht, dass etwa die CAIR-Chapters, die nicht demselben politischen Druck ausgesetzt sind wie das nationale Büro, durchaus in der Lage waren, im Untersuchungszeitraum auch mit nichtmuslimischen Akteuren Kooperationen aufzubauen.122

Die Zurückhaltung, mit CAIR-National zusammen zu arbeiten, hat sich im Rahmen dieser Arbeit auch bei MPAC und ISNA gezeigt, die im Untersuchungszeitraum keine formale Kooperation mit CAIR- National eingegangen sind. 123 Das wurde u.a. deutlich, als im Januar 2010 eine Richtlinie der Transportation Security Administration (TSA) in Kraft trat. Die Richtlinie beinhaltete

121 Eine Ausnahme ist die Einreichung eines „Amicus Curiae” (eine Stellungnahme bei Gericht, um ein Anliegen zu unterstützten, ohne dass man selbst Prozessbeteiligter ist) mit einer Koalition, um auf rechtsstaatliche Probleme beim Einsatz von GPS-Systemen zur Überwachung von Personen hinzuweisen. An der Koalition waren unter anderem folgende Organisationen beteiligt: National Association of Criminal Defense Lawyers (NACDL), New York State Association of Criminal Defense Lawyers, New York State Defenders Association, Electronic Frontier Foundation (EFF), American-Arab Anti- Discrimination Committee, Sikh American Legal Defense and Education Fund, Union for Reform Judaism. (Siehe CAIR-Newsletter, 7.12.2008, Civil Liberties, Religious groups seek to require warrants for police GPS surveillance)

122 Dazu gehörten die Japanese American Citizens League (Kalifornien), PM 25.04.2009, die Sikh Coalition (New York), PM 17.06.2009 oder der NAACP und die Latino Community Development Agency (Oaklahoma), Pressemitteilung vom 25.08.2009.

123 Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass MPAC und ISNA etwa bei der Veröffentlichung des Buches „Muslim Mafia“ CAIR verteidigt haben. RIGHT-WING Conspiracy Theory of the Week: Muslim Interns "Spying" on Congress, MPAC News, 16.10.2009; GOP Leaders Should Reject Efforts to Smear Muslims by Congressmen, ISNA-Newsletter, 17.10.2009. Teil II Arbeit 148

spezielle Sicherheitsmaßnahmen für einreisende Personen aus 14 Staaten, die bis auf Kuba sämtlich muslimisch geprägt sind. Ein offener Brief, der die Maßnahme kritisierte, wurde von einer Koalition von muslimischen, arabischen, asiatischen und weiteren Bürgerrechtsgruppen getragen. Dazu gehörten MPAC, ISNA und Muslim Advocates, CAIR jedoch nicht, obwohl das Anliegen thematisch in den Kernbereich der Organisation fällt.124

In Washington DC arbeitet CAIR-National vor allem mit MAS Freedom Foundation sowie mit der AMT zusammen.125 Mit Blick auf die AMT, dessen Vorgängerorganisation im Jahr 2000 den Bloc Vote organisiert hat (siehe Kap. 4.2.1), hat der zurückgetretene CAIR- Chairman Ahmed eine negative Prognose mit Blick auf den Bestand dieser Koalition angestellt:

„I think AMT was born out of a perspective and an environment where the Muslim community felt that it was under attack and under siege, especially after 9/11. Once that siege mentality eases and Muslims become more empowered politically and more Muslims run for political office, and they get to the political offices, become part of policy advisers and the whole spectrum. I think the siege mentality will eventually ease and I have a hard time seeing even that kind of unity extending into the future.” (Ahmed, S. 2)

Diese kritische Einschätzung ist besonders relevant mit Blick darauf, dass MPAC und ISNA, wie im Folgenden gezeigt wird, ihre

124 Brief an Janet Napolitano, Department of Homeland Securtiy, 8.01.2010, (siehe http://www.muslimadvocates.org/documents/TSA%20Profiling%20Letter%20Fin al.pdf)

125 So hat Nihad Awad an nahezu allen von MASFF (mit-)organisierten Demonstrationen anlässlich des Angriffes Israels auf den Gaza Streifen 2008/2009 teilgenommen. Dabei wurde eine Demonstration auch formal von CAIR mit unterstützt: Action Alert Nr. 563: Join 'Let Gaza Live' March at the White House, 8.01.2009. ( http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=763&&ArticleID=25658&&name=n &&currPage=3) Andere Unterstützter der Demonstration waren u.a. die ANSWER Coalition, National Council of Arab Americans, American Muslims for Palestine. Teil II Arbeit 149

Beteiligung an der AMT auf einen Beobachterstatus abgestuft haben. Die Distanz zu CAIR wird damit verstärkt.

Bemerkenswert ist, dass in den Interviews sowohl der ehemalige als auch der seinerzeit aktuelle Vorsitzende von CAIR sich kritisch zum Thema Koalitionen geäußert haben.

Mit Blick darauf, dass CAIR nur sehr begrenzt Bündnisse in der Hauptstadt außerhalb des muslimischen Spektrums eingehen kann, hat Larry Shaw angemerkt:

„We know that we have to build relationships with organizations like LULAC (League of United Latin American Citiziens, M.A.) – one of the Hispanic organizations. Even with the Jews, African Americans and Native Americans. We have to force those kinds of relationships, if we want to become respectable. Know we are just blowing hot air, hot air, hot air. That has to change. We have to do something substantive. We have to work with this kind of organizations to build coalitions.” (Shaw, S. 7)

Substantielle Arbeit ist nach Shaw nur möglich, indem man Bündnisse ausbaut. Dies sieht er als eine zentrale Herausforderung für die Arbeit von CAIR. Die offen formulierte Selbstkritik des CAIR- Chairmans zeigen, für wie wichtig dieses Thema intern bewertet wird.

Teil II Arbeit 150

8. MUSLIM PUBLIC AFFAIRS COUNCIL

8.1 GRÜNDUNGSGESCHICHTE, ZIELE UND AUFBAU

8.1.1 GRÜNDUNG

Der Muslim Public Affairs Council (MPAC) wurde 1986 zunächst als Political Action Committee (PAC)126 des Islamic Center of Southern California (ICSC) in Los Angeles im Bundesstaat Kalifornien gegründet. Die Verantwortlichen im ICSC haben nach eigenen Angaben nach einer Reihe von antimuslimischen Ereignissen in Los Angeles und angestoßen durch eine Rede von Jesse Jackson in ihrer Einrichtung die Notwendigkeit gesehen, sich stärker politisch zu engagieren. Im Jahr 1998 wurde MPAC dann als eigenständige Organisation eingetragen, die Abkürzung stand nun für Muslim Public Affairs Council. 127 Man sah sich nicht mehr nur als ein lokaler PAC, der Abgeordnete oder Wahlbeamte unterstützt, sondern ein weiteres Aufgabenprofil hat.

Mit der Zeit erhielt MPAC einen nationalen Fokus und im Jahre 2000 wurde dann ein Büro in Washington DC eröffnet:

„The goal was to make sure that there was a policy advocacy organization in Washington DC that was a trusted voice organization, a resource that was able to engage with the government and other agencies in a very civil and respectful manner. That was why we decided the DC office to open.” (Tarin, S. 2)

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass das 1953 etablierte ICSC nicht nur zu den ersten islamischen Zentren in den USA überhaupt

126 PACs sind Lobbygruppen, die meistens zur Öffentlichkeitsarbeit und dem Sammeln von Spenden zur Unterstützung von Wahlkampagnen dienen.

127 Da man „MPAC” 1988 in „Muslim Public Affairs Council“ umbenannte, wie es aus den Dokumenten hervorgeht, kann man annehmen, dass „MPAC“ usprünglich eine Abkürzung für „Muslim Political Action Committe“ war. (A Story in the Telling – 20 Years of Service to the Community, Maher Hathout, in: MPAC 2008, S. 7. Zur Entwicklung der Organisation siehe Zeitschiene in MPAC 2008, S. 8–9) Teil II Arbeit 151

gehörte, sondern auch zu den ersten muslimischen Institutionen zählt, die sich über die eigene Gemeinde hinaus zivilgesellschaftlich und politisch engagierten. (Biondo III 2007, S. 389–390; Kelley 1994, S. 136–139) Eine architektonische Besonderheit des ICSC wurde zum Symbol der programmatischen Ausrichtung, welche MPAC später verfolgen sollte. Das 1977 erbaute Gebäude verfügt nicht über ein Minarett, d.h. einen erhöhten Standplatz für den Gebetsruf, und setzt sich damit von klassischen Vorbildern in arabischen oder asiatischen Ländern ab. Statt dessen hat das ICSC 1978 ein Magazin mit dem Namen „Minaret“ ins Leben gerufen, in dem muslimische Themen in englischer Sprache aufgearbeitet wurden und worin, wie Juan E. Campo in einer Untersuchung herausgearbeitet hat, „[m]uslims learn to interact with American society without compromising their values.“ (Campo 1996, S. 311) Das architektonische Minarett, welches weithin als essentieller Bestandteil der Moscheearchitektur gilt, hat seine funktionale Bedeutung verloren und stattdessen legt man Wert darauf, mit einem inhaltlichen Minarett zum Islam einzuladen und zu informieren, damit gehen Inhalte vor kulturellen Formen.128

8.1.2 ZIELE UND SELBSTVERSTÄNDNIS

MPAC versteht sich wie CAIR nicht als eine „religious“, sondern als eine „civic organization“ mit einem Fundament, das auf islamischen Prinzipien aufbaut. (Tarin, S. 2) Dieses Fundament ist in der Vision der Organisation verankert:

128 In westlichen Ländern ist ein Gebetsruf nach außen nicht mehr unbedingt notwendig, da die Moscheen oft von den Wohngebieten der Besucher weit entfernt sind und zum anderen sich Gebetskalender etabliert haben, welche genutzt werden, um die im Islam vorgeschriebenen fünf täglichen Gebete in der Moschee oder auch Zuhause zu verrichten. Teil II Arbeit 152

„To establish a vibrant Muslim American community that will enrich American society through promoting the Islamic values of Mercy (21:107), Justice (4:135), Peace (8:61), Human Dignity (17:70),

Freedom (2:256), and Equality for all (49:13).”129

Die Vision nimmt damit direkt Bezug auf den Koran und legt offen, welche Prinzipien für die Organisation in der Arbeit leitend sind. Konkreter werden die Ziele der Organisation in der „Mission“ formuliert:

„Promoting an American Muslim identity; Fostering an effective grassroots organization; Training a future generation of men and women who share our vision; Promoting an accurate portrayal of Islam and Muslims in mass media and popular culture; Educating the American public, both Muslim and non-Muslim, about Islam; Building alliances with Muslim and non-Muslim groups; Cultivating relationships with opinion- and decision-makers.“ (Muslim Public Affairs Council o.J. [2008])

Identitätsbildung, Nachwuchsförderung, Information und Koalitionenbildung werden als Wege formuliert, um die Vision zu verwirklichen.

Ghori hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass man sich dabei nicht nur als reine „policy organization“ sehe, sondern als „Do Tank“ (im Unterschied zum „Think Tank“) der auch konkrete Projekte entwickele und umsetze. (Ghori, S. 8)

Die Organisation wird in der Literatur und z.T. auch in den muslimischen Gemeinschaften oft als eine „moderate“ oder „progressive“ Organisation bezeichnet. (Biondo III 2007, S. 389– 390; Kelley 1994, S. 136–139)

129 MPAC-Homepage, 9.01.2008. (siehe http://www.mpac.org/about/vision- mission)Die Nummern in Klammer stehen für die betreffenden Stellen im Koran: Die erste Zahl steht jeweils für das Kapitel und die zweite für den Vers. Teil II Arbeit 153

In den Gesprächen hat sich gezeigt, dass die Mitarbeiter diese Begrifflichkeiten ausdrücklich ablehnen:

„By saying I’m a moderate you trying to tell people I´m a watered down version of a Muslim and I´m not a watered down version of a Muslim. I don’t wear Hijab [arab. Kopftuch, M.A.] but I pray five times a day and I’m active in my community and work for my community.” (Ghori, S. 11)

Die Charakterisierung als „moderate“ wird abgewiesen, weil man sich damit implizit von den anderen muslimischen Organisationen abgrenzen würde, dies sei von MPAC nicht gewollt. (ebd.)

8.1.3 STRUKTUR UND MITGLIEDER

MPAC besteht seit 1988 als steuerbegünstigte gemeinnützige Organisation mit einem „501 (c) (3)“-Status mit Hauptsitz in Los Angeles (MPAC 2008, S. 8).130 Das Büro in Washington trägt die Bezeichnung Capitol Hill Department – auch National Office genannt – und ist eine eigenständige Abteilung neben dem Media Department und dem Community Outreach Department, die beide in Los Angeles angesiedelt sind. Darüber hinaus gibt es fünf MPAC- Chapter in unterschiedlichen Städten und ein Hollywood-Büro.131

Das höchste Gremium der Organisation ist ein von den Mitgliedern gewählter Board of Directors, das die Arbeit der Organisation beaufsichtigt und im Januar 2009 aus 18 Mitgliedern bestand. Der Executive Director ist für das operative Geschäft zuständig und berichtet dem Board. (Ghori, S. 10)

130 Nimer gibt das Jahr 1992 (Nimer 2002, S. 131), Cesari erst das Jahr 1998 als Gründungsjahr von MPAC an. (1998 Cesari 2004, S. 84)

131 Die Chapter liegen in: New York City, New York State, Iowa, Kansas und Arizona. Teil II Arbeit 154

Die Mitgliedschaft bei MPAC ist zweistufig. Zunächst kann man eine einfache Mitgliedschaft ohne Stimmrecht erhalten. Erst nach einer einjährigen aktiven Mitarbeit in der Organisation und der Zahlung des jährlichen Mitgliedsbeitrags wird man zu einem „senior voting member“ mit Stimmrecht. (Tarin, S. 5)132

MPAC hat nach eigenen Angaben 500 stimmberechtige Mitglieder, die zumeist zwischen 25-45 Jahren alt sind und in den USA geboren wurden. (Ghori, S. 10) Hinzu kommen noch etwa 20 000 – 30 000 Personen, die den MPAC-Newsletter erhalten. Darunter sind nach Angaben des Verbands weitere Spender und Unterstützer der Organisation. (Ghori, S. 12)

Eine immer wiederkehrende Kritik von verschiedenen Seiten lautet, dass MPAC aufgrund seiner geringen Mitgliederzahl kaum in der muslimischen Bevölkerung verankert und sein Einfluss deshalb begrenzt sei. Diese Kritik akzeptieren die MPAC-Mitarbeiter nur eingeschränkt. Laut Ghori sei MPAC zwar daran interessiert, vor Ort noch stärker bekannt zu werden, um die Mitgliedschaft zu vergrößern und um mehr Spenden akquirieren zu können. Sie machte aber auch deutlich, dass man sich nicht als eine „grass roots organization“ verstehe. MPACs inhaltliche Arbeit finde unabhängig von der kleinen Mitgliederzahl Anerkennung im politischen Raum:

„We provide him [Kongressabgeordneten, M.A.] a resource, which I think not many organizations do. Because we are a policy organization, we are able to assess an issue, research on it and provide a recommendation. Because we do offer that, we are welcomed in most offices regardless of membership.” (Ghori, S. 7)

132 Die Aufteilung unterschiedlicher Mitglieder-Stadien wird in den Publikationen nicht kommunziert. (siehe etwa MPAC, o.A.) Teil II Arbeit 155

Ghori berichtet, man stoße insbesondere dort auf offene Türen, wo die Wahlkreise der Abgeordneten eine große muslimische Community aufweisen. Die Politiker gehen davon aus, dass die Informationen und Empfehlungen von MPAC auch die Interessen ihrer jeweiligen lokalen muslimischen Gemeinschaft repräsentieren. Damit unterstrich Ghori, dass man die Reichweite von MPAC nicht an der numerischen Stärke der Mitgliedschaft messen könne. (ebd.)

8.1.4 FÜHRUNG UND MITARBEITER

MPAC wurde bis zum Abschluss der empirischen Erhebungen für die vorliegende Arbeit von seinen Gründern Maher Hathout und Salam Al-Marayati geführt.133 Al-Marayati wurde im Irak geboren und ist mit drei Jahren mit seiner Familie in die USA immigriert. Von der Ausbildung her ein Biochemiker, hat Al-Mayarati fast sein gesamtes Berufsleben bei MPAC als Executive Director verbracht. Nach Einschätzung des ehemaligen Kongress-Abgeordneten Paul Findley ist Al-Mayarati besonders gut geeignet, amerikanische Muslime zu repräsentieren, da er akzentfrei Englisch spreche und mit seiner „american appearence“ eine Ausnahme unter den muslimischen Führungspersönlichkeiten in den USA darstelle. (Findley, S. 1)

Maher Hathout, von der Ausbildung her Arzt, musste Ägypten 1971 wegen seines politischen Engagements verlassen und zog nach einem kurzen Aufenthalt in den Golfstaaten in die USA. Maher Hathout hat in seiner Funktion als „Senior Advisor“ in den Sitzungen des Board of Directors formal kein Stimmrecht, doch spielt er seit der Gründung eine zentrale Rolle in der Organisation :

133 Maher Hathout ist im Januar 2015 verstorben. Teil II Arbeit 156

„Dr. Hathout has a very special place with MPAC and the American Muslim community. He was the first one in the late 70’s to coin the term ‘American Muslim Identity’, he was the first one to come up with that concept, and at that time it was not popular at all. His vision was that we are Muslims and that we are Americans and he made a famous phrase that we always quote ‘Home is where my grandchildren will be raised, not where my grandparents were buried.’ (…) It was really his thought process that helped establish the foundation that we currently work on.” (Tarin, S. 3)

Diese Redewendung, wonach die Heimat der Muslime dort ist wo die Enkel aufwachsen werden und nicht dort, wo die Großeltern begraben liegen, gilt als Markenzeichen von MPAC und ist inzwischen auch zu einem geflügelten Wort unter amerikanischen Muslimen geworden.

Hathout ist ein Pionier in der Entwicklung muslimischer Organisationen und gilt als ein Vordenker der American Muslim Identity. (Hathout 2006) 134 Seine zentrale Botschaft, dass es keinen Widerspruch zwischen einer amerikanischen und muslimischen Identität gibt, wurde dabei in der muslimischen Community in den 1980er Jahren noch mit Skepsis wahrgenommen, wie es Souhail Ghannouchi, ehemalige Führungspersönlichkeit der Muslim American Society, anschaulich formulierte:

„They [MPAC, M.A.] started too early. They were ahead of their time. The community was moving towards conservatism and isolationism, and they were moving towards mainstream. The second thing was their approach was little bit confrontation; it’s like ‘in your face’. They were not moving gradually, so immediately they were branded as liberal, or as sell out or too much dilute.” (Ghannouchi, S. 18-19)

134 Neben der Entwicklung des Islamic Center of Southern California war Maher Hathout zusammen mit seinem Bruder Hassan an zahlreichen weiteren Organisationen beteiligt, darunter dem Islamic Information Service (auch: Muslim TV Channel) und den sog. New Horizons Schools, von denen es inzwischen vier in Südkalifornien gibt. (Lekovic, S. 8) Teil II Arbeit 157

Das Konzept der American Muslim Identity war demnach in den 1980er Jahren in den muslimischen Gemeinschaften nicht mehrheitsfähig, wurde aber dennoch von MPAC vertreten. Dies sollte sich nach 9/11 verändern. Nach diesem Ereignis wurde der „myth of return“ endlich begraben und die Notwendigkeit, sich politisch und zivilgesellschaftlich zu engagieren, erfährt eine breite Zustimmung unter Muslimen. MPAC war so mit seinem progressiven ideologischen Ansatz auf der Höhe der Zeit und wurde dadurch attraktiv etwa für spendenwillige Muslime, wie im Folgenden gezeigt wird.

Maher Hathout und die Familie Al-Marayati haben es nach Findley in den 1990er Jahren zudem geschafft, gute Kontakte ins demokratische Lager aufzubauen. So besuchte seinerzeit Hillary R. Clinton als First Lady das Islamic Center of Southern California. Das MPAC-Beiratsmitglied Laila Al-Marayati (Ehefrau von Salam Al Marayati) nahm 1995 an der von Hillary R. Clinton geleiteten US- Delegation zur United Nations Conference on Women in Peking teil und wurde 1999 von Präsident Clinton in die United States Commission on International Religious Freedom berufen. Es war auch Maher Hathout, der im Jahr 2000 die erste muslimische Invokation bei einer Democratic National Convention abgehalten hat. (Findley 2001, S. 204–208)135

135 Siehe auch: History, Highlights from 24 Years of Service, 20.03.2011. (siehe http://www.mpac.org/about/history.php) 1998 wurde Salam Al Mayarati von Richard Gephardt, dem Führer der demokratischen Partei im Repräsentantenhaus für die National Commission on Terrorism nominiert. Nach Protesten pro-israelischer Gruppen wurde die Nominierung - trotz einer breiten Unterstützung in Medien und Zivilgesellschaft – zurückgezogen. Teil II Arbeit 158

8.1.5 RESSOURCEN UND STANDORT

MPAC hatte im Jahr 2008 ein Budget von 1,54 Millionen Dollar zur Verfügung, wobei für Personal und Unterhalt des Büros in Washington 260 000 Dollar veranschlagt werden. Die Organisation beschäftigt vierzehn Mitarbeiter, davon drei in Washington DC.136

Etwa 70% der Einnahmen wurden über Spenden eingenommen und 25% über die Organisation von Veranstaltungen, wie der Jahreskonferenz oder dem Media Award. (MPAC o.J.[2009])137

Zu den Grundsätzen von MPAC gehört, dass die Organisation keine Spenden aus dem Ausland annimmt:

„(…) one of the initial policies that we set as an organization that we not take any foreign funds. Sometimes it kept us a little poor but it kept us independent and helped us to work on the issues that are important for our community, the American Muslim community. From our inception, we never took a foreign dollar. It’s from Muslim American residents.” (Tarin, S. 13)

MPAC strebt durch diese Regelung eine inhaltliche Unabhängigkeit von ausländischen Staaten (mit autokratischen Strukturen), Organisationen und Personen an. Tarin hat darauf hingewiesen, dass man mit dem Fokus auf amerikanisch-muslimische Spender nach 9/11 sicher aufgestellt war und vom starken Spendenrückgang aus muslimisch geprägten Staaten an

136 Das sind folgende Positionen: Governmental Relations Director, Research Coordinator, Community Development Director. Bei der Eröffnung des Büros im Jahr 2000 hat man eine zeitlang nur mit ehrenamtlichen Kräften gearbeitet, dabei wurde die Arbeit zunächst von Hassan Ibrahim koordiniert, einem Arzt aus Virginia. (Tarin, S. 2)

137 Mit Blick auf die Ausgaben sind die größten Posten die Gehälter (816 000), Veranstaltungen (263 000), Bürokosten (213 000) und Marketing Material (108 000). Für das Büro in Washington DC werden Gesamtausgaben von insgesamt etwa 260 000 Dollar angegeben (Gehälter: 165 000, Bürokosten: 75 000, DC Policy Forum: 22 000). Die für 2008 angegebenen Fahrkosten werden mit etwas über 14 000 Dollar angegeben. Dies erscheint als sehr wenig, bedenkt man alleine die Reisen zwischen der Ost- und Westküste, die immer wieder anfallen. (Siehe Reisebericht von Lekovic, MPAC o.J.[2009a]) Teil II Arbeit 159

muslimische Gemeinden in westliche Staaten nicht betroffen war. (Tarin, S. 16)138 Zudem verdankt sich die größere Bereitschaft von Muslimen zur Spende an MPAC dem starken Fokus des Verbands auf die innenpolitische Situation der USA, sowie auf politische Partizipation und Koalitionenbildung. Damit entsprach MPAC dem Trend politischer Orientierung unter Muslimen. Die Zunahme von Spendengeldern drückt sich auch bei der Zahl der Mitarbeiter aus, die von vier (2000) auf 14 in 2009 anwuchs. (Lekovic, S. 7)139

MPAC hat in Washington, D.C. ein kleines Büro - mit zwei Räumen – zur Miete im Methodist Building, wie auch ISNA.140 Das Gebäude beherbergt heute fast alle Büros von Liberal Mainline Protestanten in der Hauptstadt und liegt direkt neben dem Supreme Court in Sichtweite des Kapitols.141 MPAC hat mit dieser strategischen Lage auf Capitol Hill nicht nur kurze Wege zum Kongress und den Ministerien, sondern auch die Möglichkeit, einen direkten Austausch mit protestantischen Interessenorganisationen und Multiplikatoren aus diesem Bereich zu führen.142

138 Der Hintergrund liegt darin, dass nach 9/11 arabische Regierungen – vor allem die saudi-arabische – den Spendenfluss aus ihren Ländern – auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen an Muslime in westlichen Staaten sehr stark eingeschränkt haben, wenn nicht ganz stoppten, um den USA nicht den geringsten Anlass zu geben, im Rahmen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ diese Länder weiter unter Druck zu setzen, da bestimmte, Spenden-beziehende Gruppen unter einen Extremismusverdacht hätten fallen können.

139 Zugleich hat sich im Untersuchtungszeitraum gezeigt, dass die Mittel sehr begrenzt sind und die Organisation ihre erste Vollzeitstelle im New York City MPAC-Büro nach nur einem Jahr wieder aufgeben musste (März 2009). Die Arbeit wird nun wieder allein von ehrenamtlichen Kräften erledigt. (Lekovic, S. 8)

140 Aufgrund der geringen Größe des Büros musste das Interview mit Edina Lekovic, die keinen eigenen festen Arbeitsplatz in Washington DC besitzt, in der Lobby stattfinden.

141 Zur Geschichte des Gebäudes siehe (Olson 2002)

142 Siehe oben Kap. 5 zur Rolle der Methodisten als „Pioniere“ unter den religiösen Interessenverbänden. In der Lobby des Methodist Building finden sich

Teil II Arbeit 160

Dass der Hauptsitz der Organisation hingegen in Los Angeles liegt, ist nach Einschätzung des Politikberaters Suhail Khan ein Nachteil, da der direkte Kontakt zwischen den Führungspersönlichkeiten an der Spitze einer Organisation und der Politik wichtig für die Effektivität eines Verbands ist. (Khan, S. 5) Lekovic hat eingeräumt, dass sie grundsätzlich Verständnis für diese Kritik habe und sie selbst einen Umzug des Geschäftsführers nach Washington DC bevorzugte, was jedoch aus privaten Gründen nicht realisiert werden konnte. Zugleich hat sie darauf hingewiesen, dass mit neuen Kommunikationsmitteln, wie der Einrichtung eines professionellen Videokonferenzsystems, die Kommunikationsprobleme zwischen den Mitarbeitern in Los Angeles und Washington DC abgeschwächt werden konnten. Zudem hätten große Medienunternehmen inzwischen auch Außenbüros in Los Angeles und nicht mehr nur einen Hauptsitz in New York, was die Zusammenarbeit mit diesen erleichtere. (Lekovic, S. 3-4)

Im Zusammenhang mit dem Standort von MPAC ist ein Hinweis von Ramakrishnan und Bloemraad bedeutsam. Für die Untersuchung einer „Migrantenorganisation“ ist es wichtig, auch den Einfluss des Ortes, an dem eine Organisation ihren Standort hat, auf Arbeitsweise und Ausrichtung zu berücksichtigen. (Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S. 32; siehe Kap. 2.2)

Kalifornien - mit seiner Lage an der Westküste und damit als Eingangstor vor allem aus Südasien und Lateinamerika - ist nach Cleary für „Pluralism as a culture” und einen „rooted cosmopolitanism” bekannt. Die hohe Liberalität gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen in Kalifornien werden nicht nur durch seine Lage erklärt, sondern auch durch seine hohe Zahl nichtreligiöser Bürger sowie eine historisch lang bewährte

Aushänge zu Veransaltungen und Informationen, die für religiöse Interessenorganisationen von Relevanz sind. Teil II Arbeit 161

Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften. Ein weiterer Faktor ist, dass keine Glaubensgemeinschaft über eine kulturelle Dominanz verfügt. (Cleary 2006, S. 204-207)

Auf die Bedeutung des Standorts in Kalifornien, der „U.N. of the United States“ hatte schon in den 1990er Jahren Aslam Abdullah hingewiesen, der Herausgeber des Magazins Minaret, das über gemeinsame Wurzeln im Islamic Center of Southern California mit MPAC verbunden ist. Die Erfahrung des Zusammenlebens in einer multiethnischen Gesellschaft in allen Lebensbereichen habe die Arbeit des Magazins und den „distinctive outlook“ des Mediums beeinflusst. In diesem Umfeld entwickelte sich die Sichtweise, dass US-Muslime Teil der amerikanischen Gesellschaft sein können, ohne ihre religiöse Identität aufzugeben, und dass keine Unvereinbarkeit zwischen dem Islam und einem pluralistischen und demokratischen Zusammenleben bestehe. (Campo 1996, S. 312)

Mit Blick auf kulturelle Angebote gibt es Belege dafür, dass sich der Sitz in Los Angeles – als Hauptsitz der US-amerikanischen Filmindustrie – auf die Arbeit von MPAC auswirkt und kulturelles Kapital eine besondere Bedeutung zukommt. So werden bei Veranstaltungen von MPAC Theater, Gesang und Film deutlich stärker eingesetzt, als bei den anderen hier untersuchten NMI.143

Zudem gibt es in der Arbeit einen Fokus auf die Filmindustrie mit dem seit 1992 verliehenen MPAC Media Award für Produktionen, die in besonderer Weise zu einem differenzierten Bild von Muslimen oder des Islam beitragen. Im Jahr 2007 wurde das MPAC-

143 Bei einem Gaza-Benefizkonzert im Januar 2009 ist z.B. das Multi-Ethnic Star Ochestra aufgetreten und Schauspieler waren zur Veranstaltung eingeladen. Bei der Veranstaltung wurden 80 000 Dollar an Spenden gesammelt. Teil II Arbeit 162

Hollywood Bureau eröffnet, um bei Film- und Fernsehproduktionen ein beratende Rolle einzunehmen.144

8.2 STRATEGIEN UND ADRESSATEN

8.2.1 EXEKUTIVE

Während CAIR sehr stark versucht, über breite Öffentlichkeitsarbeit Einfluss zu nehmen, ist MPAC auf das sog. „Inside Lobbying“ ausgerichtet.

Outside-Lobbying wie z.B. Action Alerts verwendet MPAC deutlich seltener als CAIR. Wenn diese Technik zum Einsatz kommt, dann bei Themenfeldern, in denen durch direkte Gespräche keine Aussicht auf Erfolg besteht, wie etwa beim Nahost-Konflikt.145

Der Unterschied mit Blick auf CAIR wurde vom Kongressabgeordneten Keith Ellison wie folgt beschrieben:

144 Der Hintergrund für dieses Engagement von MPAC ist, dass es oftmals eine einseitige Porträtierung von Muslimen und Arabern von in Hollywood produzierten Filmen gibt, die im Zusammenhang mit politischen Entwicklungen stehen. So gab es in der Folge von 9/11 im November 2001 ein Treffen zwischen Karl Rove, einem hohen Berater im Weißen Haus und Vordenker der Republikaner, mit dem Führungspersonal der Film- und Fernsehindustrie. Zu dem Treffen hieß es von einem Sprecher aus dem Weißen Haus (Ken Lisaius): „The gathering is to brief studio executives on the war on terrorism and to discuss with them future projects that may be undertaken by the industry,”. (Hollywood, White House Sets Meeting With Film Executives to Discuss War on Terrorism, von RICK LYMAN, New York Times, 8.11.2001; siehe http://www.nytimes.com/2001/11/08/national/08HOLL.html) Den Inaugural Media Award erhielt Morgan Freeman für seine Rolle „‘Azeem‘ (the Muslim Moor)“ im Film „Robin Hood.“ Siehe http://www.mpac.org/about/history.php. Weitere Filme die Preise erhielten: „Three Kings“, „Prince of Egypt“, „Malcolm X“. (Tarin, S. 14) Im Jahr 2009 erhielt Steven Dean Moore, der Animation Director der Serie „“ einen Preis für die Folge „Mypods and Boomticks“. In der Episode geht es um das Mißtrauen von Homer gegenüber der Familie des neuen Freundes seines Sohnes Bart. Homer startet eine Untersuchung über das „auffällige Verhalten“ der Familie, am Ende aber ist er der Dumme und es zeigen sich Ignoranz und Vorurteile. (Tarin, 14; MPAC o.J. [2007]; MPAC 2009, S. 10: MPAC News, 29.04.2009, 400 Join Mpac in honoring Amy Goodman, "Slumdog Millionaire" & "The Simpsons" at Media Awards Gala)

145 Im Jahr 2009 wurden 13 Action Alerts versendet (bei CAIR waren es 32). Von den 13 Action Alerts haben sich 6 auf den Gaza-Krieg von 2008/2009 bezogen. Teil II Arbeit 163

„MPAC on the other hand is mild in its approach, very measured in its public statements and generally is trying to get into work kind behind the scenes and kind of fix things without a lot of public promotion.” (Ellison, S. 5)

Gerichtsprozesse werden aufgrund mangelnder Expertise und Ressourcen nicht als Mittel eingesetzt. Auch auf Demonstrationen verzichtet man, da sie als ineffektiv eingeschätzt werden:

„You can organize a demonstration of 50 000 people. But if you call a Congressman and ask him about an issue: Well only 5 people called us from this perspective and we had 1000 people calling us from the other perspective. So if that is not realized what effects real change, it’s a kind of releasing pressure but not effecting real change.” (Tarin, 9)

Für MPAC ist es wichtig, nicht reaktiv auf Einzelereignisse einzugehen, sondern Politiken zu beeinflussen „before they are formed“, um „long-term changes“ herbeizuführen bei Themen, die für die muslimische Gemeinschaft von Bedeutung sind.146

Um dies zu erreichen, konzentriert sich die Arbeit von MPAC in der Hauptstadt auf die Zusammenarbeit mit der Exekutive. Dabei sind die Hauptadressaten hier die für Sicherheit und Justiz zuständigen Ministerien und Behörden, wie das Department of Homeland Security (DHS), das Department of Justice (DOJ) oder das FBI.147

Eine wichtige Strategie in diesem Kontext ist die Mitarbeit in Gremien. Das bedeutendste Gremium, in dem MPAC mitwirkt ist das beim Department of Justice angesiedelte „Interagency

146 Siehe MPAC-Hompage. (http://www.mpac.org/programs/government- relations.php)

147 Bei der MPAC Konferenz 2009 in Los Angeles waren folgende Vertreter im Programm angekündigt: Assistant Attorney General for Civil Rights Thomas Perez, Global Strategic Engagement Fellow in the Office of the Undersecretary of Defense for Policy Jonathan Morgenstein. (MPAC News, 4.12.2009, Join Govt Officials at Convention -In Person or via Live Webcast) Teil II Arbeit 164

Meeting“. 148 Es handelt sich dabei um einen interministeriellen runden Tisch, der im Dezember 2003 eingerichtet wurde, um die Kommunikation zu verbessern zwischen Ministerien, Muslimen und Vertretern anderer Minderheiten, die nach 9/11 unter Diskriminierungen zu leiden hatten wie Sikhs, Arabern und Südasiaten. Von muslimischer Seite nehmen an den Treffen MPAC und die Rechtsanwaltsvereinigung Muslim Advocates teil.149

Die beteiligten Organisationen haben im Rahmen dieses Gremiums die Möglichkeit Themenvorschläge für die Treffen einzureichen. Das Justizministerium versucht nach eigenen Angaben sicher zu stellen, dass bei den Sitzungen die zuständigen Beamten anwesend sind. So können auf kurzem Wege Probleme besprochen sowie Anliegen und Empfehlungen der Organisationen in die Ministerien kommuniziert werden. Nach Ansicht von Eric Treene, dem federführenden Referenten im Department of Justice, leistet das Interagency Meeting einen wichtigen Beitrag, um nach 9/11 Vertrauen zwischen den Akteuren aufzubauen. (Treene, S. 2-3) Im Department of Homeland Security wird die Arbeit von MPAC sehr geschätzt, wie sich im Interview mit den Ministeriumsmitarbeiter zeigte: „MPAC is our greatest Stakeholder. We recognize their work.” (Department of Homeland Security, S. 2)

148 Dazu gehören: Community Council des Director of National Intelligence, TSA- Council und DHS-Council, bei letzterem handelt es sich um eine Roundtable- Diskussion, die das DHS landesweit organisiert, um mit Muslimen ins Gespräch zu kommen. (Ghori, S. 3)

149 Folgende Ministerien sind beteiligt: Department of State, Treasury Department, Department of Justice, Department of Defense und Department of Homeland Security (Customs and Border Control, Immigration and Customs Enforcement). Die Anfrage nach einer vollständigen Liste wurde vom federführenden Beamten im DOJ (Eric Treene) abgelehnt mit der Begründung, dass dies zu öffentlichen Diskussionen über Inklusion und Exklusion führen könne, die man vermeiden wolle. (Treene, S. 2) Meine Anfrage bzgl. einer Teilnahme an einem Treffen des Interagency Meeting sollte geprüft werden, blieb jedoch unbeantwortet. Teil II Arbeit 165

Nach Ansicht von Sahar Aziz, die selbst an den Treffen für das DOJ teilnahm, sind diese Gespräche allerdings aus Sicht der Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen Muslime als wenig effektiv zu bewerten. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen würden dort mit „powerless bureaucrats“ sprechen, die über wenig Entscheidungsbefugnis verfügten und zudem die aufgeworfenen Probleme tatsächlich nur sehr begrenzt an ihre Vorgesetzten weiter kommunizieren. Gleichzeitig räumt sie ein, dass die Treffen gut für die Sichtbarkeit („visibility“) in den zuständigen Ministerien seien und sich daraus weitergehende Kooperationen entwickeln können. (Aziz, S. 2)150

Mit Blick auf die nach 9/11 verschärften Einreisevorschriften in die USA, welche nachweislich zu einer Diskriminierung insbesondere von Muslimen geführt haben, hat sich MPAC verschiedentlich mit Maßnahmen des DHS und den ihm untergeordneten Behörden Transportation Security Administration (TSA) U.S. und Customs Border Protection (CBP) befasst. (Muslim Advocates 2009)

Die Bilanz der Mitarbeit von MPAC bei den Interagency Meetings ist dabei gemischt. Zu den Erfolgen gehört Ghori zufolge etwa die Berücksichtigung einer Eingabe von MPAC gegen eine TSA- Richtlinie, wonach jeder Reisende an Flughäfen mit einer (religiösen) Kopfbedeckung eine zweite Sicherheitsprüfung durchlaufen sollte. In einer Koalition mit Sikh-Gruppen hat man bei der TSA auf die verfassungsrechtlichen Probleme hingewiesen. Dies

150 Ghori verwies darauf, dass sich die Beamten zu konkreten Diskriminierungsfällen in der Regel nicht äußern mit Hinweis auf laufende Verfahren, doch die Treffen ermöglichten es sicherzustellen, dass Beschwerden an der Spitze der Behörden ankämen. Zudem könne man so gute Kontakte zu den Ministerien aufbauen. So soll sich der Staatsanwalt im Fall Al-Arian diskriminierend geäußert haben. Ein von MPAC verfasster Brief an den Generalstaatanwalt Eric Holder konnte übergeben werden und damit sei nach Ghori sichergestellt, dass der Brief in die Akte des Staatsanwalts gelegt wird. (Ghori, S. 1) Teil II Arbeit 166

habe laut Ghori dazu geführt, dass die TSA die Richtlinie in dem Punkt abgeändert habe. (Ghori, S. 4) MPAC ist auch an Fortbildungen für TSA-Mitarbeiter beteiligt, z.B. anlässlich der Pilgerfahrt von Muslimen nach Mekka und Medina. Zu diesen Zeiten ist das Aufkommen von muslimischen Flugreisenden besonders hoch und es gibt Besonderheiten, etwa dass die Pilger Wasserkanister von der „Zam-Zam-Quelle“ aus Saudi-Arabien mitbringen. (Ghori, S. 3)

Als Erfolg wertet MPAC weiterhin, dass im „Memorandum“ des DHS von 2008 Begriffe wie „Islamo-fascism“ and „jihadization“ keine Verwendung mehr finden. Dadurch könnten Aktionen von Terroristen deutlicher als kriminelle Akte gebrandmarkt und der Anspruch der Terroristen, im Namen einer Religion zu agieren, untergraben werden. (Tarin, S. 6; siehe auch Department of Homeland Security, 2008)

Auf der anderen Seite waren auch Misserfolge zu verzeichnen. So wurden kritische Stellungnahmen zu geplanten Richtlinien nicht berücksichtigt. Dazu gehört eine im Juli 2008 von der CBP erlassene Richtlinie, wonach das Sicherheitspersonal auch ohne begründeten Verdacht („absent individualized suspicion“) das Recht hat, die transportierten Informationen, wie Dokumente oder elektronische Daten, auf dem Laptop eines Reisenden einzusehen und zu analysieren.151 Ohne Erfolg verlief auch die Diskussion um die o.g. TSA-Richtlinie, nach der spezielle Sicherheitsmaßnahmen für einreisende Personen aus 14 Staaten vorgesehen wurden, die

151 U.S. Customs and Border Protection, Policy Regarding Border Search of Information, 16.07.2008 (http://www.cbp.gov/linkhandler/cgov/travel/admissibility/search_authority.ctt/s earch_authority.pdf), siehe auch Ghori, S. 15. Teil II Arbeit 167

mit Ausnahme Kubas alle eine muslimische Mehrheitsbevölkerung aufweisen (siehe Kap. 7.1.2.5).152

Die Zusammenarbeit mit den Ministerien hinter verschlossenen Türen wird von MPAC Mitarbeitern als Spannungsverhältnis beschrieben:

„It was challenging at times. Our community faced a lot of tough policies, from the Patriot Act to domestic wiretapping surveillance. The issue of engagement was quite challenging, but it needed to be sustained and to happen. We built the relations even in the eight years, at a time were things were very problematic; we built good relationships with various agencies. Within all these agencies - putting aside political appointees - there are career long individuals who worked really, tried to make sure that the best policies and best practices happen for those agencies and America at large.” (Tarin,

15)153

Für MPAC liegt ein Spannungsverhältnis darin, dass die Ministerien einerseits diskriminierende Maßnahmen erlassen, man aber gleichzeitig mit ihnen zusammen arbeitet. Die Notwendigkeit, an einer Zusammenarbeit festzuhalten, ist mit dem Grundoptimismus bei MPAC verbunden, dass die Beamten in den Ministerien auch bemüht sind, angemessene Maßnahmen zu entwickeln und deshalb eine konstruktive Mitwirkung unerlässlich ist.

Die Notwendigkeit, den Kommunikationsfaden mit staatlichen Stellen nicht abreißen zu lassen, zeigte sich auch konkret in einer Debatte mit dem FBI im Jahr 2009. Durch Medienberichte kamen sehr starke Belege dafür an den Tag, dass das FBI verdeckte Informanten in Moscheen sendete, um zu Gewalttaten anzustiften

152 Brief an Janet Napolitano, Department of Homeland Securty, 8.01.2010. (http://www.muslimadvocates.org/documents/TSA%20Profiling%20Letter%20Fi nal.pdf)

153 Mit „eight years“ ist die Präsidentschaft von George W. Bush von 2001-2009 gemeint. Teil II Arbeit 168

(„agents provocateurs“). Die American Muslim Taskforce – der CAIR und MASFF angehörten – drohte in einem offenen Brief damit, jedwede Kooperationen mit dem FBI aufzukündigen, wenn diese Praxis nicht sofort eingestellt werde. MPAC und ISNA haben zwar auch Transparenz und Veränderungen seitens des FBI eingefordert, den o.g. offenen Brief der muslimischen Organisationen jedoch ausdrücklich nicht mitgetragen. 154 MPAC hat in der Folge dieser Auseinandersetzung ein Treffen mit dem Assistant Director des FBI abgehalten und von ihm gefordert, das FBI solle seine Richtlinien darüber offen legen wann, wo und wie Informanten in Moscheen eingesetzt werden. (Ghori, S. 15)155 Nach Ghoris Auffassung wäre es falsch gewesen, die Kooperation mit dem FBI zu beenden.

„That’s democracy, it’s a diversity of opinion, and democracy is going to the table and saying I completely disagree with every one of your policies but I’m here at the table every time because I have a stake in this decision and maybe one day I will influence your decision. That’s the MPAC position on engagement and working with government.” (Ghori, S. 15)

8.2.2 LEGISLATIVE

Mit Blick auf die Legislative setzt MPAC eine Reihe unterschiedlicher Strategien ein. Dazu gehören direkte Gespräche mit Abgeordneten und ihren Mitarbeitern, die Organisation von Lobbying Days und

154 Vgl. MPAC News, A Call for FBI Accountability, 26.03.2009. „ISNA believes that communications with law enforcement agencies should remain open and it is not in favor of ending contacts with the FBI. The FBI is entrusted with the protection of all citizens from any harm intended by domestic and foreign terrorists and criminals, and all Americans have a moral and legal obligation to ensure that the Bureau fulfills its mandate.” (ISNA-Newsletter, 25.03.2009, The Use of Informants to Target Mosque Goers)

155 Laut Ghori hat man in diesem Zusammenhang auch deutlich die Arbeit des FBI mit Blick auf CAIR kritisiert. Teil II Arbeit 169

begrenzt auch der Einsatz von Action Alerts, um öffentlichen Druck herzustellen.

Im Hinblick auf den Kongress konzentriert sich MPAC auf die Ausschüsse, insbesondere den Homeland Security und Foreign Relations CommitteeS in Senat und Abgeordnetenhaus. Die Fokussierung ist eine durchaus übliche Praxis bei Interessenverbänden, da man sich so auf eine kleine Zahl von thematisch relevanten Abgeordneten und Mitarbeitern konzentrieren kann. (Berry, Wilcox 2009, S. 138–141; Tarin, S. 12)

Mit den Mitarbeitern gibt es – im Vergleich zu den Abgeordneten – öfters Treffen, da der Zugang zu diesen leichter ist. So hat Ghori sich zwischen Januar und April 2009 insgesamt drei Mal mit Abgeordneten treffen können, mit den jeweiligen Mitarbeitern stehe sie nach eigenen Angaben jedoch alle zwei Wochen in Kontakt. Sie bleibe so über neue Entwicklungen auf dem Laufenden und die „gate keepers“ können durchaus einen wichtige Rolle spielen, wenn es etwa um Einladungen zu Anhörungen gehe.156

Die Teilnahme an Anhörungen im Kongress ist für Interessenorganisationen von besonderer symbolischer Bedeutung. Es zeigt den Verbandsmitgliedern, dass man eine wichtige Rolle spielt und unterstützt die Spendenakquise. (Berry, Wilcox 2009, S. 140) Die Bedeutung, die auch MPAC Anhörungen beimisst, zeigte sich im Jahr 2009 daran, dass alleine die Zitierung von Salam Al- Marayati bei einer Anhörung durch den Berater eines Think Tanks als großer Erfolg gegenüber den Mitgliedern kommuniziert wurde:

156 Dazu gehören nach Ghori die Büros von Senatorin Feinstein und den Abgeordneten Jane Harmon, Keith Ellison, Gregory Meeks und André Carson. (Ghori, S. 4) Meeks und Carson haben bei MPAC Veranstaltungen gesprochen. (MPAC News 19.02.2009, Join Rep. Gregory Meeks [D-Ny] & Amy Goodman at MPAC-NYC Benefit Dinner) Teil II Arbeit 170

„(…) MPAC is incrementally and significantly pushing the needle of change in national discourse.”157

Eine direkte Teilnahme an Anhörungen ist dabei deutlich schwieriger.158 Ghori hat darauf hingewiesen, dass man mehrmals zurückgewiesen wurde, wenn thematisch einschlägige Anhörungen stattgefunden haben. Zu den Gründen hat Ghori sich im Einzelnen nicht geäußert, doch es kann vermutet werden, dass trotz bestehender guter Kontakte – etwa zur Kongressabgeordneten Jane Harman aus Kalifornien – die Widerstände von anderen Abgeordneten, muslimische Organisationen direkt zu Wort kommen zu lassen, zu groß sind. (Ghori, S. 5)

Beim Nahost-Konflikt gibt es im Kongress traditionell eine deutliche Positionierung zugunsten Israels, wie sich auch im Gaza-Krieg zum Jahreswechsel 2008/2009 zeigte. In dem Konflikt starben auf palästinensischer Seite laut dem Goldstone-Report im Auftrag der Vereinten Nationen 1400 Menschen, mehrheitlich palästinensische Zivilisten, auf israelischer Seite gab es 13 Tote. 159 Das

157 A Special Message from Edina Lekovic on Senate's Ft. Hood Hearing, Must Watch Video of Testimony Featuring MPAC. (MPAC News, 20.11.2009) Es handelte sich um das Statement von Juan Zarate vom Center for Strategic and International Studies, der aus einem Meingungsbeitrag von Al Mayarati zitierte. (The Fort Hood Attack: A preliminary Assessment, Hearing Before the Committee on Homeland Security and Governmental Affairs United States Senate, 19.11.2009, http://www.hsdl.org/?view&did=20140.) Hintergrund des Meinungsbeitrags von Al Mayarati war der Amoklauf von Fort Hood, danach sollten sich amerikanische Muslime noch stärker gegen Terrorismus und Gewalt in den Moscheen und Jugendzentren einsetzen, um die USA sicherer zu machen. (Fort Hood: A Defining Moment for Muslim Americans, von Salam Al-Marayati, 12.11.2009, http://www.huffingtonpost.com/salam-al-marayati/fort-hood-a- defining-mome_b_353977.html)

158 Die letzte dokumentierte Teilnahme im Untersuchgunszeitraum geht auf das Jahr 2007 zurück. Es handelte sich um eine Anhörung zu Domestic radicalization im Committte on Homeland Security unter Leitung der demokratischen Kontressabgeordneten Jane Harmon statt. (http://homeland.house.gov/SiteDocuments/20070614135307-44582.pdf)

159 United Nations, General Assembly, Human Rights Council, Human Rights in Palestine and other occupied Arab Territories, Report of the United Nations Fact-

Teil II Arbeit 171

Repräsentantenhaus verabschiedete zu diesem Konflikt eine Resolution, in der es nur das Handeln der Hamas verurteilte und in der Israels Recht „to defend itself against attacks from Gaza“ unterstrichen wurde.160

MPAC rief in Action Alerts seine Mitglieder und Unterstützer dazu auf, die Abgeordneten darum zu ersuchen, sich für einen sofortigen Waffenstilstand auszusprechen und die US-Regierung aufzurufen, sich für eine humanitäre Hilfe für die Verletzten im Gaza-Streifen einzusetzen. (Ghori, S. 12)161

Neben den direkten Gesprächen mit den Abgeordneten organisiert MPAC auch „Lobbying Days“. Diese werden anders als bei CAIR nicht regelmäßig und zu einer bestimmten Zeit, sondern „issue driven“ veranstaltet, d.h. wenn man es für nötig erachtet. Mit Blick auf den Gaza-Krieg 2008/2009 wurde ein Lobbying Day organisiert, bei dem MPAC-Mitglieder aus verschiedenen Städten mit insgesamt 15 Abgeordneten-Büros Gespräche geführt haben. (Tarin, S. 5)

8.2.3 POLICY PAPERS

Eine wichtige Strategie von MPAC besteht in der Erarbeitung von Policy Papers zu verschiedenen Themen, die an Abgeordnete, Vertreter der Exekutive und andere Multiplikatoren verteilt werden. In Kombination mit persönlichen Gesprächen wird darin eine

Finding Mission on the Gaza Conflict, 25.09.2009, http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/12session/A-HRC-12- 48.pdf

160 US Congress votes to back Israel. Politicians pass resolution "recognising Israel's right to defend itself", 10.1.2009. (http://www.aljazeera.com/news/americas/2009/01/20091920212870205.html)

161Siehe z.B. MPAC News, Action Alert: Contact your elected Officials to end Gaza Violence now, 8.01.2009. Ähnliche Lobby-Aktionen über MPAC News: Speak Up: 'Virtual Lobby Day' for Gaza Tomorrow, MPAC-News, 15.01.2009; MPAC News, Call on House Foreign Affairs Committee to reject proposed Resolution to block U.N. Aid to Palestinians, 5.02.2009. Teil II Arbeit 172

Möglichkeit gesehen, ein anderes politisches Deutungsmuster („different narrative“) als die in Washington Üblichen zu vermitteln. Im Jahr 2009 wurden Policy Papers zu den Themen Antiterrorismuspolitik, Frauenrechte und dem Nahostkonflikt veröffentlicht. (Tarin, S. 6)

Im Policy Paper „Abusing Woman – Abusing Islam” werden von MPAC drei Fallstudien aufgearbeitet, um frauendiskriminierende Gesetzgebung in muslimisch geprägten Ländern in den Blick zu nehmen, die auf „outdated Islamic rulings and ages-old customs“ zurückgehen. (S. 1) Ein patriarchales Verständnis vom Islam wird demnach genutzt „to subjugate women and rob them of their fundamental rights, in direct opposition to the central teachings of Islam.“ Es sei die Aufgabe der europäischen und US- amerikanischen Gesellschaften, auf diese Probleme hinzuweisen und MPAC möchte mit dem Policy Paper einen Beitrag leisten, um Diplomaten, NGOs und Muslimen im Allgemeinen einen analytischen Rahmen an die Hand geben, um gleiche Rechte für Frauen aus einem „Islamic framework“ heraus begründen zu können (S. 2 u. 5). 162 Mit dem Policy Paper will MPAC verdeutlichen, dass die Gleichberechtigung der Frau nicht im Widerspruch zu muslimischen Werten steht, wie immer wieder behauptet wird.

Einen „different narrative“ leistet MPAC in besonderer Weise mit Blick auf den Nahost-Konflikt, bei dem in der Hauptstadt und in den Massenmedien proisraelische Stimmen wie das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) deutlich den Diskurs dominieren. (Mersheimer, Walt 2007)

162 MPAC Releases Paper on 'Abusing Women, Abusing Islam' at 'Women's Rights: Beyond Rhetoric' Conference, 20.10.2009. (http://www.mpac.org/issues/womens-empowerment/mpac-releases-paper-on- abusing-women-abusing-islam-at-womens-rights-beyond-rhetoric- conferenc.php#.U6NJzrGaLYN). Teil II Arbeit 173

MPAC nimmt zum Konflikt - im Vergleich zu den anderen hier untersuchten muslimischen Organisationen – sehr differenziert Stellung, deshalb soll die MPAC-Position hier etwas ausführlicher nachgezeichnet werden. Laut Haris Tarin versuche man grundsätzlich bei allen Themen, das Thema von einer „American muslim perspective“ anzugehen:

„We’re gonna advocate for the American Muslim community and what is good for America based on the concept of Justice, Mercy and Freedom. By default that will help the Muslim communities around the world. For example our Position paper on Palestine, the Israeli- Palestinian issue. We look at it from an American Muslim perspective. That issue must be solved and addressed in a fair and balanced manner as an issue of national security and an image issue. If that is not we will continue to be seen as a one-sided party in this occasion (…)”. (Tarin, S. 12)

Aus Sicht von MPAC war es ungerecht, als eine Folge des Holocaust eine große Zahl von Palästinensern aus ihrer Heimat zu vertreiben. Das damit verbundene Leid sei eine „historical calamity“ (historisches Unglück), welche man auf palästinensischer Seite erfahren habe. Gleichzeitig plädiert man dafür, auf palästinensischer bzw. muslimischer Seite ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass Juden mit dem Holocaust einen „unspeakable horror“ erlebt haben, dies der Gipfel des europäischen Antisemitismus war und das jüdische Bewusstsein sehr stark geprägt habe. (MPAC o.J. [2006], S. 7) Vor dem Hintergrund heißt es:

„Muslims must understand Jewish history and the Holocaust. Jews must understand how Palestinians have suffered from crimes perpetrated against them, and how this has impacted the psyche of the Arab and Muslim communities. Both parties must find a stake in ensuring the safety and continuity of the other. This is a tremendous challenge, but we can start within our own communities.” (ebd.) Teil II Arbeit 174

MPAC spricht sich dabei gegen jede Form von Gewalt und für eine Zweistaatenlösung aus, die gleichermaßen „security for Israelis and viability for the Palestininans“ beinhalte, auf der Grundlage der UN- Resolution 242. (MPAC o.J. [2009b], S. 2 u. 6) Damit vertreten sie eine Position, die von der Mehrheit der amerikanischen Muslime befürwortet wird. (Pew Research Center 2011, S. 74)163

Vor dem Hintergrund der dominierenden Stellung und Einseitigkeit von AIPAC, hat MPAC die Gründung der jüdischen Interessenorganisation J-Street im Jahr 2008 begrüßt. J-Street setzt sich für den Einsatz von diplomatischen und friedlichen Mitteln im Nahost-Konflikt ein. Damit wirkt dieser Verband als Gegengewicht zu AIPAC und für MPAC als mögliche Partnerin, die eine gerechte und friedliche Lösung des Nahost-Konflikts begrüßt.164 MPAC sieht die Religionsgemeinschaften in den USA als wichtige Akteure an, um positiv auf den Nahostkonflikt einzuwirken, und arbeitet deshalb sowohl mit jüdischen, als auch mit christlichen Gruppen zusammen.165

163 62% der US-Muslime stimmen einer Zweitstaatenlösung zu, damit liegen sie nahe dem US-Durchschnitt (67%), jedoch mit großem Abstand über den Zustimmungswerten in muslimisch geprägten Ländern: Pakistan (13%), Ägypten (17%), Türkei (29%) und Indonesien (37%). (Pew Research Center 2011, S. 74)

164Die Stellungnahme von MPAC wurde anlässlich der ersten Jahreskonferenz der Organisation im Oktober 2009 in Washington DC veröffentlicht. (MPAC News, 30.10.2009, J Street's Inaugural Conference: DC breathes a change of air) Zur Gründung der Organisation siehe Michael Abramowitz, Jewish Liberals to Launch A Counterpoint to AIPAC, 15.04.2008. (http://www.washingtonpost.com/wp- dyn/content/article/2008/04/14/AR2008041402647.html) Der Präsident der Zionist Organization of America Morton Klein hat J-Street dazu aufgerufen, die Einladung für Salam Al Mayarati Eröffnungskonferenz, zurückzuziehen, weil nach Klein Al Mayarati angeblich gegen die Existenz des Staates Israel gerichtet sei. (Op-Ed: J Street should rescind its invitation to Al-Marayati, 9.09.2009; http://www.jta.org/news/article/2009/09/09/1007745/op-ed-j-street-marayati)

165 MPAC ist etwa an der Koalition Churches for Middle East Peace beteiligt, welche 24 nationale christliche Organisationen und Konfessionen zusammenschließt und sich im Jahr 2009 mit einem offenen Brief an Präsident Obama gewendet hat. (30 Religious Leaders Send Letter of Support to Obama for comprehensive Middle East Peace, MPAC News, 24.09.2009) Teil II Arbeit 175

Der Fokus auf eine substantielle inhaltliche Bearbeitung zu zentralen gesellschaftlichen Debatten erklärt, weshalb es MPAC als einzige der hier untersuchten Organisationen – in ersten Ansätzen – geschafft hat, Kooperationen mit Think Tanks wie dem Chicago Council on Global Affairs, dem Center for American Progress oder der Brookings Institution aufzubauen. Diese sind wichtig für die Meinungsbildung und das Agendasetting im politischen Prozess. 166

8.2.4 KOALITIONEN

Im Gegensatz zu CAIR ist MPAC in der Lage, Koalitionen mit ganz unterschiedlichen Akteuren einzugehen. Dazu zählen arabische, christliche und jüdische Organisationen.167

Im Folgenden soll auf die Kooperationen mit jüdischen Verbänden näher eingegangen werden, da diesen vor dem Hintergrund des von beiden Seiten oft sehr unterschiedlich eingeschätzten Nahostkonfliktes eine besondere Bedeutung zukommt. Der Dialog und die Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften können Nimer zufolge dazu führen, dass man diese nicht mehr als

166 Das Center for American Progress hat Safia Ghori über ihre Arbeit bei MPAC und das politische und zivilgesellschaftliche Engagement junger amerikanischer Muslime interviewt: Young Muslim-American Voices: Young Muslim-American Calls for Inclusion and Respect, 2.04.2009, Center for American Progress, Das Interview mit Safia Ghori führte Sally Steenland, 2.04.2009. ( http://www.americanprogress.org/issues/2009/04/ghori_ahmad_interview.html) Die Brookings Institution hat einen Kommentar von Al-Marayati zur Kairoer Rede von Präsident Obama als Teil einer Reihe von internationalen „leading experts policy makers“ veröffentlicht. (Obama's Egypt Speech: What He Said to the Muslim World, 4.06.2009. http://www.brookings.edu/opinions/2009/0604_obama_egypt_speech.aspx#alm arayati; siehe auch MPAC News, 12.06.2009, Brookings publishes MPAC Opinion on President's Speech)

167 Ebenso dazu gehören das Arab Anti-Discrimination Committee sowie das Arab-American Institute. Zudem gehört MPAC in Los Angeles auch einer großen Zahl von lokalen Initiativen an, wie der Christian Muslim Consultative Group, Abrahamic Faith Peace Making Iniative oder auch Interfaith Communities United for Justice. Teil II Arbeit 176

homogene Blöcke ansieht, sondern ihre Diversität anerkennt und dabei lernt, zu differenzieren. (Nimer 2002a, S. 184) Die Initiativen seitens MPAC sind dabei keine Selbstverständlichkeit, da von Seiten proisraelischer, AIPAC-naher bzw. zionistischer Organisationen in den USA sehr oft Maßnahmen gegen muslimische Repräsentanten und Organisationen eingeleitet wurden mit dem offensichtlichen Ziel, sie aus dem politischen und öffentlichen Leben zu drängen. (ders. 2004, S. 154–155; Cesari 2004, S. 87; Nimer 2002a, S. 182; Haddad 2004b, S. 108–109). Der Hintergrund ist, dass die o.g. Verbände in einem zunehmenden politischen Einfluss von US-Muslimen eine Gefahr für das israelfreundliche Abstimmungsverhalten im US-Kongress sehen. (Saeed 2002, S. 45; Sinno 2009b, S. 85–88)

Im Jahr 2009 wurde das Projekt New Ground von MPAC zusammen mit der Progressive Jewish Alliance ins Leben gerufen. Über vier Monate hinweg trafen sich jüdische und muslimische Jugendliche zweiwöchentlich zu verschiedenen thematischen Workshops. Dazu gehörten der Austausch über religiöse Texte beider Traditionen, aber auch Diskussionen über Antisemitismus und Islamophobie.168 Das Projekt hat zudem einen praktischen Teil, in dem die Jugendlichen an Projekten vor Ort zusammen arbeiten, etwa in der Ummah Clinic in Los Angeles, in dem Bedürftige eine kostenlose ärztliche Versorgung erhalten. Zum Ziel des New Ground Projektes heißt es in der gemeinsamen Projektbroschüre:

„Mending bridges and building bonds is an Abrahamic legacy, radically different from the prevailing culture of building walls and burning bridges. The New Ground Project is a twenty first century version of that Abrahamic legacy!” (Shakeel Syeed, Ex. Director of

168 L.A. Muslim-Jewish Text Study Program - Now accepting Applications, MPAC News, 6.02.2009. Teil II Arbeit 177

the Shura Council of Southern California, in: MPAC/Progressive Jewish Alliance o.J. [2009])

Tarin zufolge soll das Projekt einen Beitrag dazu leisten, dass Jugendliche mit muslimischem und jüdischem Hintergrund die Diversität innerhalb der jeweils anderen Religionsgemeinschaft erkennen. Es soll die Grundlage bilden, um die Beziehungen zwischen den lokalen muslimischen und jüdischen Gemeinschaften vor Ort verbessern zu können. (Tarin, S. 14)

Mit Blick auf innermuslimische Koalitionen ist ISNA in der Hauptstadt der bevorzugte Partner von MPAC. So haben beide Organisationen – gemeinsam mit der All Dulles Area Muslim Society (ADAMS) – ein „Capitol Hill Iftar“ (Fastenbrechenempfang) organisiert, an dem unterschiedliche politische Akteure und Mitarbeiter von Ministerien teilgenommen haben. Mit ISNA wurde im Jahr 2009 – nach dem Amoklauf von Fort Hood 169 – eine gemeinsame Pressekonferenz organisiert, bei der beide Verbände den Patriotismus der Muslime in den US-Streitkräften unterstrichen haben.170

Die Kooperation von MPAC mit anderen muslimischen Organisationen wie CAIR, MASFF oder der AMT ist hingegen nicht sehr ausgeprägt. Dazu Tarin:

169 Beim Amoklauf von Fort Hood am 5.11.2009 wurden in der gleichnamigen US-Militärbasis 13 Menschen erschossen, es gab 42 Verletzte. Täter war der Militärpsychiater Nidal Malik Hasan, der mit dem Ruf „Allahu akbar“ auf einen Tisch sprang und zu feuern begann. Hasan wurde mit dem Imam Anwar al- Awlaki in Verbindung gebracht, der die Tat im Internet begrüßte und weiteren Angriffen gleicher Art aufrief. Anwar al-Awlaki wurde 2011 bei einem Luftangriff im Jemen getötet. Die eigentlichen Motive für Hasans Tat bleiben aber bis heute unklar.

170 Zum Capitol Hill Iftar siehe: MPAC-News, 18.09.2009, MPAC/ISNA Hold Successful Capitol Hill Iftar, zur Pressekonferenz siehe MPAC News, 6.11.2009, Reps. Carson & Ellison to Join MPAC, ISNA & American Muslim Armed Forces & Veterans Affairs Council in Responding to Fort Hood Shootings. Teil II Arbeit 178

„There is definitely with us and ISNA cooperation [sic!], we do a lot of work together. With CAIR we focus on local areas when there are issues of civil right and civil liberties we work with certain chapters together [sic!]. With MAS Freedom Foundation there is not as much [cooperation]. MAS Freedom has not been as long as the other organizations. And AMT we are observing members so we will attend some of their meetings and give input but we are not very active.” (Tarin, S. 17)

Auch wenn es auf der persönlichen Ebene zwischen CAIR und MPAC Austausch gibt, konnte im Untersuchungszeitraum keine formale Kooperation im Sinne einer gemeinsamen Stellungnahme oder Veranstaltung registriert werden. Die Zusammenarbeit zwischen MPAC und CAIR fand auffällig eher auf Ebene der Bundesstaaten statt.171 Vermutlich ist diese Distanz von MPAC gegenüber CAIR- National auf die Probleme von CAIR mit den Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Man befürchtet wohl, durch eine zu enge Anbindung selbst in den Fokus der Kritik zu geraten.

Auch eine Distanz zwischen MPAC und der großen muslimischen Koalition American Muslim Taskforce ist deutlich zu erkennen. So ist MPAC bei AMT von einem Status als ordentliches Mitglied zu einem Beobachterstatus gewechselt. Dieser Schritt wird von MPAC damit begründet, dass man nach der Wahlempfehlung von AMT zugunsten von George W. Bush im Jahr 2000 eine Beeinträchtigung seines steuerbegünstigten Status befürchte. (Ghori, S. 14-15) Der tatsächliche Grund scheint eher darin zu liegen, dass die Organisation nach ihrer Wahlempfehlung für George W. Bush im Jahr 2000 einen großen Vertrauensverlust unter Muslimen erfahren

171 So wurde etwa ein offener Brief zum Gaza-Konflikt an Präsident Barack Obama vom MPAC Büro New York und CAIR New York unterzeichnet; MPAC News, Open Letter to Obama in New York Times calls for even-handed Mideast Policy, 21.01.2009. (Der offene Brief in der New York Times vom 21.01.2009 als Anzeige unter http://files.e2ma.net/2785/assets/docs/ny-times-ad-obama- gaza.pdf) Teil II Arbeit 179

hatte. Mit ihrem Rückzug auf einen Beobachterstatus bei AMT wollte sich MPAC mit zumindest ein Stück weit distanzieren, und nimmt seitdem nicht mehr aktiv an der Arbeit der Koalition teil.172

9. ISLAMIC SOCIETY OF NORTH AMERICA

9.1 GRÜNDUNGSGESCHICHTE, ZIELE UND AUFBAU

9.1.1 GRÜNDUNG

Ende der 1970er Jahre – zwanzig Jahre nachdem erstmals in größerer Zahl muslimische Studierende in die USA eingewandert waren – konnten die muslimischen Studentenvereine und ihr 1963 gegründeter Dachverband Muslim Students Associations-National (MSA-National) nicht mehr die Bedürfnisse ihrer Mitglieder abdecken. Die ehemaligen Studierenden hatten zumeist die Universitäten verlassen und Familien gegründet. So entstand die Notwendigkeit, lokale Gemeinden zu gründen, welche die Religionsausübung und religiöse Unterweisung der Kinder ermöglichen.173

Vor dem Hintergrund entstand aus der MSA heraus im Jahr 1981 die Islamic Society of North America (ISNA). Unter der Führung des MSA-Präsidenten Sayyid Muhammad Syeed wurde 1981 die Satzung von ISNA verabschiedet, die ersten Vorstandswahlen

172 Bei den Veranstaltungen der AMT konnten im Untersuchungszeitraum keine MPAC-Vertreter beobachtet werden. Der Beobachterstatus bedeutet demnach de facto eine Inaktivität.

173 Bereits 1973 wurde der North American Islamic Trust (NAIT) im Rahmen der MSA gegründet. NAIT war an der Entstehung zahlreicher muslimischer Organisationen und dem Bau von Moscheen landesweit beteiligt. So stellt der als Stiftung organisierte NAIT sicher, dass über 300 Gebäude durchgehend als Moscheen bzw. religiöse Institutionen genutzt werden, was etwa ein Viertel aller Moscheen in den USA ausmacht. Nach Gründung von ISNA hat sich NAIT als Mitgliedsorganisation unter das Dach dieses Verbands gestellt. (Siehe NAIT Waqf Services, http://www.nait.net/waqfservice.htm) Teil II Arbeit 180

fanden 1982 statt.174 (Ahmed 1991, S. 14–18; Haddad 1986, S. 3; Nimer 2002b, S. 65–67)

Der Hauptsitz von ISNA wurde in Plainfield (im Bundesstaat Indiana) aufgebaut. Im April 2007, 25 Jahre nach Gründung der Organisation, eröffnete das ISNA Office for Interfaith and Community Alliances (ISNAIO) in Washington DC, welches im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht und formal eine Abteilung von ISNA ist. (El-Sanousi, S. 3)175

Die Eröffnung dieses Hauptstadt-Büros geht auf eine ISNA- Klausurtagung im Jahr 2004 zurück, bei der sechzig Führungspersönlichkeiten des Verbands über die Prioritäten für die anstehenden fünf Jahre diskutiert haben. Dabei wurden der Interreligiöse Dialog und der Ausbau der Koalitionenbildung als zwei Hauptprioritäten formuliert. Zur Umsetzung dieser Ziele sah man die Notwendigkeit, ein Büro in Washington DC zu eröffnen.176 Bereits die Ereignisse von 9/11 hatten dazu geführt, dass ISNA verstärkt in der Hauptstadt aktiv war, um den vielfältigen Herausforderungen und Anfragen gerecht zu werden. (Syeed, S. 2)

174 ISNA gibt wegen der Verbindung zum studentischen Dachverband als Gründungsdatum der Organisation das Jahr 1963 an, da ein großer Teil der Führungsriege und Mitglieder bereits bei der MSA aktiv waren. (Siehe etwa: Dr. Ingrid Mattson elected first female President of the Islamic Society Of North America [ISNA], 23.08.2006, http://www.isna.net/articles/Press-Releases/Dr- Ingrid-Mattson-Elected-First-Female-President-Of-The-Islamic-Society-Of-North- America.aspx)

175 Im März 2006 wurde die Eröffnung des Büros angekündigt: The Islamic Society of Norht America establishes Office in Washington DC, 28.03.2006 (siehe http://www.isna.net/articles/Press-Releases/The-Islamic-Society-of-North- America-Establishes-Office-in-Washington-DC.aspx)

176 Neben der Klausurtagung wurde ein Fragebogen an etwa 200-300 weitere Persönlichkeiten versendet mit der Bitte, ihre Meinung zu notwendigen Prioritäten in den Diskussionsprozess einzuspeisen. Neben den oben erwähnten Prioritäten wurden folgende weitere gesetzt: Imam Training and Leadership Development, Youth Involvement, Improving Public Image of Islam, Community Development, Sound Financial Base. (El-Sanousi, S. 2) Teil II Arbeit 181

Nach Syeeds Einschätzung war es letztlich ein „natürlicher“ Prozess, dass ISNA auch ein Büro in der Hauptstadt eröffnete und so den Kontakt zu den anderen Religionsgemeinschaften und politischen Akteuren pflegen konnte. Denn alle großen kirchlichen Zusammenschlüsse, wie z.B. der National Council of Churches, verfügen schließlich über einen Sitz in Washington DC.

An dieser Stelle soll noch auf einen wichtigen Aspekt hinsichtlich der Gründung von MSA und ISNA eingegangen werden, der oft im Zusammenhang mit Bewertungen zur Arbeit der Organisation angeführt wird. Bereits im ersten Abschnitt wurde dargestellt, dass die muslimischen Immigranten von den islamischen Bewegungen in ihren Heimatländern beeinflusst waren. Da bei der Gründung der MSA auch Mitglieder der Muslimbruderschaft (MB) beteiligt waren, einer transnationalen, in Ägypten gegründeten religiösen Bewegung, es bis heute eine enge Verbindung zwischen der MSA und ISNA gibt und zudem aus ISNA selbst wiederum viele muslimische Organisationen hervorgegangen sind, gibt es in der Think Tank-Landschaft von Washington DC – und z.T. auch in der wissenschaftlichen Literatur - die Tendenz, ISNA und MSA als den Muslimbrüdern zugehörig darzustellen:

„(…) from the early 1960s until 1995, the U.S. Brotherhood constructed an elaborate covert as well as public organizational infrastructure. With a few exceptions, this infrastructure continues to function until this day.” (Merley 2009, S. 41)

Zu dieser Struktur zählt der Bericht u.a. MSA, ISNA und CAIR. Dabei werden keine Belege angeführt, sondern es wird darauf abgestellt, dass einzelne Personen, welche bei der Gründung der MSA oder ISNA beteiligt waren, weiterhin in diesen aktiv sind. (Merley 2009, S. 41-42, 222-224)

In der Anfangszeit der o.g. Verbände gab es in der Tat Mitglieder und Sympathisanten der Muslimbruderschaft, aber auch anderer Teil II Arbeit 182

Gruppen wie der Jamaat-Al-Islami, die als Exilanten oder Studierende in den 1960ern und 1970ern in die USA kamen und bei der Gründung der MSA beteiligt waren. Iqbal Unus, welcher die Entwicklung der Organisationen aus eigener Erfahrung begleitete, beschreibt die Bedeutung eben dieser politischen Aktivisten. Zu jener Zeit waren viele Oppositionelle in einer islamischen Bewegung engagiert. Diese Aktivisten brachten bei der Gründung der Verbände die notwendige Motivation, organisatorische Fähigkeiten und Ideen mit ein, jedoch wurde nach seinen Informationen niemals versucht, die Wahlen zum MSA-Vorstand zu manipulieren. Insgesamt kommt Unus zu folgender Einschätzung:

„I don’t think it is right to say that Muslim Brothers created the organizations. They had definitely a great influence. (…) But when the movement expanded, you have American Muslims come into it, you have Turkish Muslims, they could expect to have some influence. It was natural growth that they provided. People were very movement- oriented. Where they [die Muslimbruderschaft und Jamaat Al-Islami, M.A.] once who [sic!] provided the initial push, all of them lost influence.” (Unus, S. 3)

Dass der Einfluss der MB innerhalb der MSA – und damit auch in der aus ihr später entstandenen ISNA - ständig abnahm, wird durch die Gründung einer neuen, separaten Organisation in jener Zeit dokumentiert. Mitglieder der Muslimbruderschaft, welche 1964 bei der Gründung der MSA involviert waren, organisierten sich seit Ende der 1960er in einem (zunächst lockeren) Zusammenschluss unter dem Namen Muslim American Society (MAS), der von Studierenden aus arabischen Ländern etabliert wurde, die sich der Muslimbruderschaft zugehörig fühlten. Neben ihrem Engagement zur Etablierung religiöser Institutionen, die von Muslimen aus unterschiedlichen Ländern besucht wurden, haben die MAS- Mitglieder versucht, ihre Eigenheiten beizubehalten, welche sich aus der Verbindung zur Muslimbruderschaft ergaben. So traf man Teil II Arbeit 183

sich wöchentlich landesweit in etwa 300 religiösen Studiengruppen, bei denen das Studium der Schriften des Gründers der Muslimbruderschaft Hassan Al-Banna eine wichtige Rolle spielte. (Ghannouchi, S. 2-3)

Die zunächst lose Struktur der MAS wurde Ende der 1970er Jahre stärker formalisiert durch Etablierung regionaler Untergliederungen und eines nationalen Vorstands. Unter der arabischen Bezeichnung „Al-Ikhwan Al-Muslimin fi America” (Die Muslimbruderschaft in Amerika) unterhielt diese Bewegung bis 1993 eine nichtöffentliche Struktur in den USA und war organisatorisch an die Muslimbruderschaft in der arabischen Welt –insbesondere Ägypten – angebunden. Seit 1996 hat die Organisation ihren Sitz in Virginia, in der Nähe von Washington DC. (Ghannouchi, S. 2)177

Die Gründung von MAS ist damit ein Ausdruck davon, dass die Mitglieder der Muslimbruderschaft eine Notwendigkeit darin sahen, eigene Strukturen aufzubauen, um ihre Besonderheiten zu pflegen. Deswegen ist der Versuch unangemessen, ISNA, MSA und weitere muslimische Organisationen als Ableger der Muslimbruderschaft und Ausdruck einer konzertierten Aktion darzustellen, wie dies im oben zitierten Report des Hudson Institutes geschieht.

Insofern ist auch die Einschätzung Cesaris, wonach ISNA „inspiration“ von der Muslimbruderschaft beziehe und dem

177 Weil in den Heimtatländern die Muslimbruderschaft gewaltsamen Repressionen ausgesetzt war, befürchtete man nach Ghannouchi Nachteile, etwa bei Rückkehr in die Heimat oder mit Blick auf zurückgebliebene Familienmitglieder. Mit der Gründung von Familien in den USA traten diese Befürchtungen immer weiter in den Hintergrund. Man stellte sich auf einen dauerhaften oder zumindest langfristigen Aufenthalt in den USA ein und so kam es nach einem internen Diskussionsprozess in den 1980er Jahren dann 1993 zur Inkorporierung der Muslim American Society in Chicago als einer öffentlichen Organisation. Die geheime/nichtöffentliche Struktur war nicht mehr notwendig. In diesem Prozess habe laut Ghannouchi die formale Anbindung an die Muslimbruderschaft in den Heimatländern immer weiter abgenommen und sei alsbald „almost disappeared.“ (Ghannouchi, S. 3) Teil II Arbeit 184

„Brother‘s model“ folge, nicht angemessen. (Cesari 2004, S. 143) Ihr Hinweis, das Muslimbruderschaft-Modell bestehe darin, den politischen und institutionellen Rahmen des Aufnahmelandes zu respektieren und gleichzeitig sein religiöses Erbe zu bewahren, ist nicht überzeugend. Diese Zuschreibung ist so allgemein, dass sie als Charakteristikum auf die meisten religiösen Gruppen mit Migrationshintergrund zutrifft. Dementsprechend kann man sie nicht als ein Spezifikum der Muslimbruderschaft darstellen.178

9.1.2 ZIELE UND SELBSTVERSTÄNDNIS

ISNA ist eine Mitgliederorganisation, die sich als Plattform für ein breites Spektrum von Muslimen und muslimischen Organisationen versteht:

„ISNA was founded by Muslims in North America for the purpose of establishing an open, pluralistic platform for presenting Islam, supporting Muslim communities, developing educational, social and outreach programs and fostering good relations with other religious communities, civic and service organizations and all levels of

government.179

Die Unterstützung der muslimischen Gemeindeentwicklung und der Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften bilden einen Schwerpunkt der Arbeit. Die Zusammenarbeit mit

178 Syeed verweist weiterhin darauf, dass die MB eine historische Bewegung ist, deshalb keine religiöse Autorität beanspruchen kann und es inhaltlich durchaus Unterschiede gibt. So spielt er auf die Wahl von Ingrid Mattson zur ISNA- Präsidentin an: „Today for example they [Mitglieder der Muslimbruderschaft, M.A.] would say that: ‘Sheikh Hassan Al-Banna would not have allowed a woman to be the president of your organization.’ We are not committed to Sheikh Hassan Al-Banna; he is not our final source of legislation. We respect him, because he founded an important movement, but our organization is different. (Syeed, S. 11)

179 ISNA Statement of Position: Who we are and what we believe, 7.12.2009. (http://www.isna.net/Documents/ISNAHQ/ISNA-Statement-of-Position-Who-we- Are-and-What-We-Believe.pdf) Teil II Arbeit 185

Regierungsinstitutionen sollte mit dem neuen Hauptstadt-Büro eine neue Priorität erhalten:

„The office (…) functions as an outreach resource for those engaged in politics and government. Such contacts allow ISNA to promote a positive image of Islam and Muslims to the nation’s political leaders. In addition to interfaith events, IOICA is civically engaged to present

Islam’s advocacy for human rights.”180

Bei den Interviews und Gesprächen für diese Arbeit wurde deutlich, dass ISNA aufgrund seiner historischen Bedeutung für die muslimische Gemeindeentwicklung und Mitgliedergröße (wie noch zu zeigen ist) über eine hohe Legitimation innerhalb der muslimischen Gemeinschaft verfügt und sich als wichtiger Ansprechpartner etablieren konnte. (Khan, S. 2)

Dies kommt auch im Selbstverständnis der Mitarbeiter zum Ausdruck. So sieht Mohamed El-Sannoussi, ein Mitarbeiter im ISNA-IO, seine Organisation als Repräsentanz von Muslimen in der US-Hauptstadt:

„So for instance, when President Obama invited Ingrid Mattson for the prayer to represent Muslims. When we got the Platinum ticket to represent Muslims when the President was taking the Oath, it was given to ISNA. The ISNA president was sitting with the president when he was taking the oath of the office. All these kind of things is a reflection and recognition of ISNA is representing the American Muslim Community at the National level.” (El-Sanousi, S. 3)

9.1.3 STRUKTUR UND MITGLIEDER

ISNA ist eine steuerbegünstigte gemeinnützige Organisation mit einem „501 (c) (3)“-Status und hat ihren Hauptsitz in Plainfield im

180 IOICA is your religious voice on Politics and Advocacy, ISNA-Newsletter, 26.11.2009. Teil II Arbeit 186

Bundesstaat Indiana. Das ISNA-Interfaith Office in Washington DC ist formal eine Abteilung des Verbands. (ebd., S. 3-4)

ISNA hat acht Mitgliedsorganisationen und etwa 300 Organisationen sind mit ihr assoziiert. Nach eigenen Angaben vertritt ISNA über 100 000 Mitglieder. Davon sind 28 900 der Organisation als natürliche Mitglieder direkt angeschlossen, die restlichen Mitglieder sind indirekt angebunden über die ISNA- Mitgliedsorganisationen (7 500) und die assoziierten Organisationen (72 000; siehe ISNA 2009a, S. 20)

Das ISNA-IO kann vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses und der Struktur als ein „religious body“ bezeichnet werden, welcher Muslime (und den Islam) in der Hauptstadt vertritt, obgleich der Islam keinen Klerus kennt (Hertzke 2012, S. 31)

Die große Mitgliedschaft des Verbands rührt daher, dass ISNA in der Lage war, die große Zahl von aus der MSA entstandenen Organisationen unter ihrem Dach als „Constituent Organizations“ zu versammeln und an sich zu binden.181 Die Verbundenheit mit ISNA wird dadurch verstärkt, dass Organisationen wie etwa die MSA ihre Jahreskonferenzen am Rande der ISNA-Conventions veranstalten.

Die Mitgliedsorganisationen können an ISNA- Fortbildungsprogrammen teilnehmen und weitere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, etwa werden ihre Spendenaktionen durch

181 Die Constitutent Organizations umfassen: The Muslim Students Association of the US & Canada (MSA), North American Islamic Trust (NAIT), Islamic Medical Association of North America (IMANA), Association of Muslim Scientists & Engineers (AMSE), Canadian Islamic Trust Fund (CITF), Muslim Youth of North America (MYNA), Council of Islamic Schools of North America (CISNA), Islamic Media Foundation (IMF). Teil II Arbeit 187

ISNA-Empfehlungsschreiben unterstützt.182 Im Rahmen der Annual Convention gibt es eine Business Session, bei der das Board of Directors über seine Arbeit Rechenschaft ablegt und den Finanzbericht vorstellt.183

9.1.4 FÜHRUNG UND MITARBEITER

Im August 2006 wurde Ingrid Mattson zur Präsidentin von ISNA gewählt, nachdem sie bereits seit 2001 Vizepräsidentin der Organisation gewesen war. Die Professorin für Islamische Studien war damit zugleich die erste Frau und Konvertitin, die an die Verbandsspitze gewählt wurde.184

Laut Laila Al-Marayati, einer bekannten muslimischen Frauenrechtlerin, symbolisiert die Wahl von Mattson gleichermaßen einen Generationswechsel und zugleich eine stärkere Teilhabe von Frauen in Führungspositionen, nachdem muslimische Organisationen an der Spitze lange Zeit ausschließlich von männlichen Immigranten geführt wurden. Mattson selbst sieht diesen Wandel als ein Ergebnis der hohen Bildung von US- Muslimen und dem Wirken von (männlichen) muslimischen

182 Siebe ISNA-Webseite. (http://www.isna.net/ISNA-Affiliates/pages/Benefits- of-ISNA-Affiliation.aspx)

183 Bei den Business Sessions 2007-2009 zeigte sich, dass die Teilnahme sehr gering ist und 200-300 Personen nicht übersteigt. (Persönliche Teilnahme, M.A.) Trotz mehrmaliger Nachfrage bei ISNA wurden keine Informationen zu den Wahlprozessen des Verbands zur Verfügung gestellt.

184 Dr. Ingrid Mattson elected first female President of the Islamic Society of North America (ISNA), 23.08.2006. (http://www.isna.net/articles/Press- Releases/Dr-Ingrid-Mattson-Elected-First-Female-President-Of-The-Islamic- Society-Of-North-AmericA.aspx) Mattson ist in Kanada geboren und in einer katholischen Familie aufgewachsen. Teil II Arbeit 188

Gelehrten, die sich für Frauen in Führungspositionen eingesetzt haben.185

Die Wahl von Mattson ist nach Ansicht des ehemaligen Kongressabgeordneten Paul Findley eine gute Möglichkeit für ISNA gewesen, das Bild der Organisation und des Islam im Allgemeinen in der Öffentlichkeit zu verbessern. Denn gerade die Benachteiligung von Frauen in muslimisch geprägten Gesellschaften und Gemeinschaften wird in öffentlichen Diskussionen immer wieder ein als zentrales Motiv verwendet, um die Integrationsfähigkeit von Muslimen in westliche Gesellschaften in Frage zu stellen. (Findley, S. 2)

In den Interviews für diese Arbeit wurde von den Gesprächspartnern oft auf die besonderen Führungsqualitäten von Sayyid Muhammad Syeed – dem National Director des ISNA- Interfaith Office in Washington DC – verwiesen. (Findley, S. 2; Crane, S. 6) Syeed gilt als eine wichtige muslimische Persönlichkeit in den USA mit „inspiring leadership“-Qualitäten (Ansari 2004, S. 263), durch den sich ISNA sowohl innermuslimisch als auch in politischen und interreligiösen Kreisen eine hohe Anerkennung erarbeiten konnte. Ihm wird das Verdienst zugerechnet, wesentlich an der Neuorientierung von ISNA weg von den Herkunftsländern,

185 Woman leads a wave of change for U.S. Muslims, von Matthai Chakko Kuruvila, San Francisco Chronicle, 24.11.2006. (http://www.sfgate.com/cgi- bin/article.cgi?file=/c/a/2006/11/24/MNGP9MJ4KK1.DTL&type=printable) Hier sei angemerkt: Auch in der inhaltlichen Arbeit von ISNA gib es ein Bewusstsein dafür, dass man innermuslimisch geschlechtsspezifische Diskriminierung angehen muss, um das volle Potential als Gemeinschaft entwickeln zu können. So hat sich ISNA – in Kooperation mit CAIR - im Rahmen einer Studie mit der Situation von Frauen in US-Moscheen befasst. Dabei haben sich Probleme gezeigt, etwa das Frauen nicht überall die gleichen Möglichkeiten haben, die Mitgliedschaft in Moscheegemeinden zu beantragen oder beim Wahlrecht Einschränkungen unterworfen sind. In der Handreichung werden Empfehlungen zur Verbesserung formuliert. So sollten Frauen in den Vorständen der Moscheen angemessen repräsentiert sein. (ISNA Leadership Development Center September 2005) Teil II Arbeit 189

hin auf die US-amerikanischen Binnenverhältnisse beteiligt gewesen zu sein.186

Syeed wurde 1947 in Kashmir geboren und in den USA als Sprachwissenschaftler promoviert. Er war nicht nur als General Secretary der MSA-National (1980-1982) federführend an der Entstehung von ISNA beteiligt, sondern hat auch bei weiteren wichtigen Weichenstellungen von ISNA Verantwortung übernommen. Als ISNA Ende der 1980er Jahre immer stärker in finanzielle Nöte geriet, weil Spenden aus dem arabischen Ausland zurückgingen, stand die Organisation kurz vor dem finanziellen Bankrott und die Annual Conventions verzeichneten – mit nur noch 4000 Teilnehmern – einen Einbruch in den Besucherzahlen. In dieser Phase übernahm Syeed die Funktion als General Secretary und brachte die Organisation wieder auf eine finanziell stabile Grundlage. 1997 haben dann wieder etwa 20 000 Menschen an der Annual Convention teilgenommen. 187 Die Funktion als General Secretary hatte er dann bis 2006 inne, übernahm dann im Jahr 2007 die Leitung des ISNA-Büros in der Hauptstadt und war damit wiederum an einer wichtigen Weiterentwicklung der Organisation beteiligt.188 Syeed hat sich damit als eine Führungspersönlichkeit herausgestellt, welche seit der Gründung von ISNA an wichtigen Weichenstellungen beteiligt war und die Fähigkeit bewiesen hat, Trends zu erkennen und neue Wege einzuschlagen.

186 Siehe auch: Personality: Dr. Sayyid Muhammad Syeed, Washington Report on Middle East Affairs, April 1998. (online unter http://www.wrmea.com/component/content/article/193-1998-april/2915- personality-dr-sayyid-muhammad-syeed-.html)

187 Diese Informationen wurden mir von Yvonne Haddad in einem Informationsgespräch mitgeteilt (7.03.2008, Washington DC).

188 Im Büro arbeitet neben Syeed noch Mohamed El-Sanousi inhaltlich als Director for Communications and Community Outreach. Der ursprünglich aus dem Sudan stammende El-Sanousi hat in Islamabad und Indiana (Indianapolis) Jura (JD) studiert und ein „Fellowship of Administration of Non-Profit Organization“ absolviert. Teil II Arbeit 190

9.1.5 RESSOURCEN UND STANDORT

Das Vermögen von ISNA beläuft sich auf etwa 5,6 Millionen Dollar, die Einnahmen für das Jahr 2008 betrugen 3,27 Millionen Dollar. Die Ausgaben für das Jahr 2008 betrugen insgesamt etwas über 3,7 Millionen Dollar. Der Bereich Seminare und Konferenzen, zu denen auch die Annual Convention gehört, macht den größten Ausgabeposten aus (845 000), diese tragen jedoch zugleich positiv zur Bilanz bei, während die Veröffentlichung des ISNA-Magazins „Islamic Horizons“ finanziell ein Verlustgeschäft darstellt. (ISNA 2009a, S. 24–27)

ISNA beschäftigte im Jahr 2008 41 Mitarbeiter, die hauptsächlich in der Zentrale in Plainfield, Indiana arbeiten. (ISNA 2009a, S. 4) In Washington DC arbeiten drei Vollzeitkräfte und eine Teilzeitkraft. Der Etat des Interfaith Office als Teil des ISNA-Budgets liegt nach El-Sanousi bei etwa einer halben Million Dollar. (El-Sanousi, S. 3)189

Mehr als die Hälfte der Einnahmen im Jahr 2008 wurden über Spenden akquiriert. Dem Fundraising im Rahmen der Annual Convention kommt hier eine zentrale Rolle zu. Zum einen wird im Rahmen der Konferenz ein „Community Service Recognition Luncheon“ organisiert, bei dem verdiente Persönlichkeiten aus der muslimischen Community geehrt werden. Im Anschluss findet ein Fundraising statt, bei dem im Jahr 2008 450 000 Dollar gesammelt wurden.190 Zum anderen gibt es im Anschluss an die sog. „ISNA Main Session“, dem Abendprogramm mit der größten

189 Im Finanzbericht für das Jahr 2008 wird an Ausgaben für das “IOICA- Washington” eine Summe von 333,622$ angegeben. (ISNA 2009a, S. 25)

190 Community Service Recognition Luncheon, 30.09.2008, ISNA-Convention, Columbus, Ohio. (Persönliche Teilnahme, M.A.) Für dieses Mittagessen gibt es gesonderte Eintrittskarten, welche im Jahr 2008 für zweihundert Dollar und im Jahr 2009 für achtzig Dollar erworben werden konnten. Teil II Arbeit 191

Besucherzahl, noch ein zweites Fundraising, bei dem im Jahr 2009 mehr als 300 000 Dollar gesammelt wurden.191

Das in Washington DC angemietete ISNA-Büro besitzt vier kleine Büroräume, die sehr einfach eingerichtet sind und liegt, wie auch das MPAC-Büro, im historischen United Methodist Building neben dem Supreme Court in Sichtweite des Kapitols. Damit hat die Organisation einen strategisch gut platzierten Sitz in der Hauptstadt. In diesem Umfeld kann der Kontakt zu den christlichen Interessenorganisationen gehalten und ausgebaut werden. Wichtige Institutionen der Exekutive und Legislative sind in kurzer Zeit erreichbar.

Die Eröffnung des Büros wird, nachdem die Organisation seit ihrer Gründung nur einen Sitz in Plainfield/Indiana hatte (vom Politikberater Suhail Khan als „in the middle of nowhere“ beschrieben), als wichtiger Schritt dahin gesehen, nationale Politik mit zu gestalten. (Khan, S. 5) Seitens ISNA hat man eingeräumt, mit dem neuen Büro in der Hauptstadt in der Tat schneller reagieren zu können. So konnte man etwa kurz nach der Amtseinführung von Präsident Barack Obama einer Einladung ins Weiße Haus nachkommen, um an der Unterzeichnung eines Gesetzes zur Kinderkrankenversicherung teilzunehmen. Dies wäre von Plainfield aus nicht möglich gewesen.192

191 ISNA Main Session, Life, Liberty and the Pursuit of Happiness, 4.07.2009, ISNA-Convetion, Washington DC. (Persönliche Teilnahme, M.A.) Bei den von mir besuchten Fundraising-Veranstaltungen gab es eine Reihe von Einzelspenden in Höhe von 100 000 Dollar, was auf den hohen sozioökonomischen Status von US- Muslimen bzw. ISNA-Mitgliedern verweist.

192 Die Kommunikation zwischen den Büros in Washington und Plainfield funktioniert nach El-Sanousi auch gut. Man hält jede Woche am Dienstagmorgen eine Telefonkonferenz ab, einmal für alle Mitarbeiter allgemein, und einmal gesondert für die inhaltlich arbeitenden Direktoren, um den notwendigen Informationsfluss sicherzustellen. (El-Sanoussi, S. 13) Teil II Arbeit 192

9.2 STRATEGIEN UND ADRESSATEN

9.2.1 INTERRELIGIÖSE KOALITIONEN UND LEGISLATIVE

Die Arbeit in interreligiösen Koalitionen in Washington DC ist für das ISNA Interfaith Office von zentraler Bedeutung. „Action Alerts“ oder andere Strategien zur Erzeugung öffentlichen Drucks spielen hingegen fast keine Rolle. (El-Sanousi, S. 10) 193 Das Ziel der interreligiösen Arbeit und Kooperation besteht darin, „ (…) [to] help break down barriers of mistrust and misunderstanding and help form genuine partnerships of faith and ethics.”194

Nach El-Sanousi gab es bereits seit Anfang der 1990er Jahre Kooperationen mit den großen christlichen Interessenorganisationen wie dem National Council of Churches und der United States Conference of Catholic Bishops, doch mit dem neuen Interfaith Office von ISNA konnte diese Zusammenarbeit stark ausgebaut werden. (El-Sanousi, S. 1) 195 ISNA erfährt dabei nach Syeed bei der Entwicklung dieser Arbeit eine große Offenheit seitens der interreligiösen Gruppen:

„We are that last brick in that building. It has reached the stage where they are themselves feel that they are inaccurate. They are reorganizing those institutions and forums in order to accommodate us. This would take a lot of time in other countries because they

193 So wurden im Jahr 2009 nur zwei Action Alerts versendet mit der Aufforderung, sich an die Abgeordneten zu wenden: 1. Gegen die Produktion und Einsatz von Streubomben (ISNA-Newsletter, 22.09.2009, Action Alert: Support the Initiative to Review the Production and Use of Cluster Bombs), 2. Für die Überarbeitung des USA Patriot Act (ISNA-Newsletter, 3.11.2009, Action Alert: Ask Congress to Help Fix a Bad Law).

194 IOICA is your religious voice on Politics and Advocacy (ISNA-Newsletter, 26.11.2009)

195 Der National Council of Churches ist ein ökumenischer Zusammenschluss vor allem von Mainline Protestanten und afroamerikanischen Kirchen, der etwa 45 Millionen Christen und 100 000 lokale Gemeinschaften repräsentiert. Die United States Conference of Catholic Bishops vertritt den katholischen Klerus in den USA und damit auch die etwa 68 Millionen Katholiken. Teil II Arbeit 193

would have a blocking. (…) It has become a requirement now, ‘in order to be perfect, in order to be effective, we should accommodate Muslim representation’. It is amazing what is happening.” (Syeed, S. 5)

Die Mitarbeit von ISNA in interreligiösen Gremien wird demnach von den Akteuren im Feld gewünscht, damit diese Gremien auch die beanspruchte religiöse Pluralität tatsächlich abbilden können. Bei der Recherche zeigte sich, dass ISNA proaktiv vorgeht, um Beziehungen zu religiösen Gemeinschaften aufzubauen, mit denen es traditionell keine Zusammenarbeit gab. Dabei spielt ihre Annual Convention eine wichtige Rolle, die seit fast fünfzig Jahren – in der Regel zum Labour Day am ersten Septemberwochenende – in einer amerikanischen Großstadt, oft in Chicago oder Washington DC – stattfindet.196 An der Konferenz nehmen über 30 000 Besucher aus den USA und Kanada, aber auch internationale Gäste teil. Über 200 Referenten liefern im Rahmen von Vorträgen und Diskussionen inhaltliche Beiträge. Im Basar-Bereich stellen sich über 300 Initiativen, Firmen und Organisationen vor. (ISNA 2009b, S. 7-8 u. 63-66)

Die ISNA-Convention ist damit die größte Veranstaltung ihrer Art in Nordamerika. Sie stellt eine wichtige Ideenbörse dar und eine Gelegenheit für ISNA, Themen zu setzen, die dann auch in die lokalen Gemeinden getragen werden. Bei den ISNA-Conventions wurden neue Dialoginitiativen initiiert. Dazu gehört der jüdisch- muslimische Dialog (2007), auf den noch ausführlicher

196 Voraussetzung für die Austragung der ISNA Convention ist, dass es eine größere muslimische Gemeinschaft in einer Stadt gibt, die in der Lage ist, die Mitorganisation der Veranstaltung zu unterstützen. Im Jahr 2008 fand die Convention in Columbus (Ohio) statt, das über eine große somalisch- muslimische Communty verfügt. (Columbus Welcomes, Central Ohio and Columbus Muslims prepare as the annual ISNA convention returns after twelve years, von Abubakr Arman, in: Islamic Horizons, July/August, S. 12) Im Jahr 2011 fand die 48. ISNA-Annual Convention statt. Die Annual Conventions, die noch von der Vorläuferorganisation MSA organisiert wurden, werden von ISNA mitgezählt. Teil II Arbeit 194

eingegangen werden soll, sowie Dialoge mit Baptisten (2008) und Evangelikalen (2009). Die Einladung von ISNA an die Baptistische Gemeinde im Jahr 2008, an der Convention teilzunehmen, führte zu einem „historic national dialogue” zwischen ISNA, der American Baptist Church in the USA und fünf anderen baptistischen Organisationen. 197 Im Jahr 2009 nahm der sehr bekannte Evangelikale Prediger Rick Warren an der ISNA-Convetion teil. Warren rief bei seiner Rede, die zu einem breiten Medienecho führte, zu einem verstärkten Dialog zwischen Muslimen und Christen und vor allem zu interreligiösem Handeln auf. 198

Mit Blick auf die politische Arbeit des ISNA-Interfaith Office sind die interreligiösen „Single Issue“-Koalitionen von besonderer Bedeutung. 199 Dazu gehört etwa die 2006 gegründete National Religious Campaign Against Torture (NRCAT), in der sich dreihundert religiöse Gruppen zusammengeschlossen haben, um gegen die Folterpraxis der US-Regierung im Strafgefangenenlager auf Guantánamo Bay und in US-Einrichtungen in anderen Teilen der Welt vorzugehen.200

197 The Way to Neighborly Love. (Islamic Horizons, January/February 2009, S. 8)

198 Zur Rede von Warren siehe „Transcript – Pastor Rick Warren’s address at ISNA 2009“ (siehe http://blog.beliefnet.com/cityofbrass/2009/07/transcript--- pastor-rick-warre.html)

199 Syeed hat darauf hingewiesen, dass man in einem pluralistischen Land zwar tendenziell „issue oriented“ arbeitet, dies jedoch nicht immer einfach gegenüber der Mitgliedschaft zu vermitteln ist, etwa wenn der Koalitionspartner für ein volle Gleichberechtigung von Homosexuellen in allen gesellschaftlichen Bereichen stehe. (Syeed, S. 4.) Die Koalition mit Gruppen, die in Werfragen andere Auffassungen vertreten bezeichnet man auch als Phänomen der „strange bedfelows“. Es handelt sich um ein Charakteristikum der US-amerikanischen Interessenpolitik, die strukturell und kulturell auf Bündnisse und Kompromissbereitschaft angelegt ist. (Fowler et al. 2004, S. 114–115 sowie hier Kap. 5.4)

200 ISNA ist im zwölfköpfigen Board of Directors mit Mohamed El-Sanousi vertreten. Board of Directors, National Religious Campaign Against Torture. (http://www.nrcat.org/index.php?option=com_content&task=view&id=500&Item

Teil II Arbeit 195

Im Juni 2009 hat die NRCAT eine Kundgebung vor dem Weißen Haus mit religiösen Führern organisiert, darunter Ingrid Mattson, bei der ein offener Brief an den Präsidenten vorgestellt wurde. Im Brief wird kritisiert, dass die Unterzeichnung eines präsidialen Dekrets zur Schließung des Lagers kurz nach Amtsantritt Barack Obamas nicht ausreiche. Die NRCAT forderte ihn auf, eine Kommission einzurichten, um die Folterpraxis der USA seit dem 11. September 2001 zu untersuchen.201

Die Bedeutung der Arbeit in interreligiösen Koalitionen für ISNA zeigte sich auch im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt beim Angriff Israels auf den Gaza-Streifen zum Jahreswechsel 2008/2009. ISNA verurteilte diesen Angriff zwar als „disproportionate“, jedoch beteiligte man sich trotz der andauernden Verschlechterung der humanitären Lage im Gaza- Streifen nicht an den Demonstrationen, die zu jener Zeit in Washington gegen den israelischen Einsatz organisiert wurden. Stattdessen setzte man auf die Arbeit in der Koalition National Interreligious Leadership for Peace in the Middle East (NILI).202 In dieser Koalition, die sich alle zwei Monate trifft, sind neben christlichen und muslimischen Vertretern auch jüdische id=354) ISNA arbeitet auch in weiteren Single Issue-Groups mit: Fighting Poverty with Faith, Center for Interfaith Action on Global Poverty sowie Interfaith Disability Advocacy Coalition. (IOICA is your religious voice on POLITICS & ADVOCACY, ISNA-Newsletter, 26.11.2009)

201 Der Brief wurde bei einer Pressekonferenz des National Press Club in Washington unter Beteiligung der ISNA-Präsidentin Ingrid Mattson der Öffentlichkeit vorgestellt. (Der komplette Wortlaut des Briefes ist hier abrufbar: http://www.isna.net/articles/News/NARCAT060209.aspx; Siehe auch ISNA Newsletter, ISNA Asking President to Investigate Torture, 6.06.2009) Für El- Sanousi ist die NRCAT ein wesentlicher Grund gewesen, weshalb der Präsident die Executive Order unmittelbar nach Übernahme seines Amtes unterzeichnet hat. (El-Sanousi, 10) Zum Dekret siehe: Exectuive Order -- Review and Disposition of Individuals detained at the Guantanamo Bay Naval Base and closure of Detention Facilities, 22.01.2009, http://www.whitehouse.gov/the- press-office/closure-guantanamo-detention-facilities)

202 ISNA condemns ‘disproportionate’ attacks on Gaza Strip, 28.12.2008. siehe http://www.isna.net/articles/News/Isna-Condemns-Attacks-On-Gaza-Strip.aspx Teil II Arbeit 196

Organisationen vertreten wie das Religious Action Center of Reform Judaism oder die Central Conference of American Rabbis. NILI hat, als die Kampfhandlungen bereits einige Wochen andauerten, einen offenen Brief an Präsident Obama verfasst, in dem es hieß:

„People in our communities have different precious bonds with Israelis and Palestinians and responded in different ways to the recent war between Hamas and Israel. Nonetheless, we are united in support of the following elements as necessary to a sustainable ceasefire, including: Hamas’s agreeing to stop all rocket attacks on Israel; international measures to prevent smuggling-resupply of rockets through the Sinai; Israel’s agreeing to halt all military operations in Gaza, withdraw its forces, and open Gaza border crossings; and all parties’ committing to the provision of substantial

humanitarian and economic assistance to the people of Gaza.”203

In diesem Brief werden trotz der deutlich höheren Verluste an Menschenleben auf palästinensischer Seite zunächst Forderungen an die Hamas gestellt. Das ISNA ihn mit verantwortete ist bemerkenswert und verdeutlicht, dass der Verband zu Kompromissformeln dieser Art bereit ist, um in diesem Bereich gemeinsam mit jüdischen Organisationen zu agieren.204

203 National Interreligious Leadership Initiative for Peace in the Middle East, 27.01.2009. (siehe http://www.isna.net/Documents/Root/PresObamaLetJan09.pdf)

204 ISNA arbeitet bei diesem hoch emotionalisierten Konflikt auf verschiedenen Wegen mit jüdischen Organisationen zusammen. Die Grundhaltung dabei ist, dass die Rechte und Würde aller am Konflikt beteiligten Parteien respektiert werden sollten. ISNA nimmt teil an interreligiösen US-Delegationen aus den USA, bei denen man mit religiösen und politischen Führern in Israel und Palästina zusammentrifft und diese Botschaft kommuniziert. (ISNA-Newsletter, 25.12.2009, ISNA is represented in delegation to promote just peace in the Holy Land, siehe http://www.nili- mideastpeace.org/downloads/2009_05_PresObamaLetter.pdf)

Ein Bericht über die Reise findet sich auf der ISNA-Webseite. (siehe http://www.isna.net/articles/News/Interfaith-Delegation-Asserts-the-Urgency-of- US-Leadership-in-2010-to-Achieve-Peace.aspx) Teil II Arbeit 197

Der „Imperative of compromise“ ist für das amerikanisch-politische System gerade bei Fragen kennzeichnend, in denen Gruppen versuchen, eine grundsätzliche politische Veränderung herbeizuführen, wie etwa hier eine ausgewogenere US-Politik beim Nahost-Konflikt. (Fowler et al. 2004, S. 114–116)

An dieser Stelle soll auch ein Blick auf einen Dialog zwischen ISNA und den jüdischen Religionsgemeinschaften geworfen werden, der von ISNA-Vertretern als „breakthrough“ und zentraler Erfolg des Interfaith Office gesehen wird. Nachdem man mit der Union for Reform Judaism (URJ), der größten jüdischen Organisation in den USA mit etwa 1,5 Millionen Mitgliedern und 980 Synagogen, im Jahr 2006 zunächst einen Dialog auf Arbeitsebene begann, hat man den URJ-Präsidenten Eric Yaffe zur Annual Convention 2007 nach Chicago eingeladen. Yaffe hat im Rahmen des Hauptprogramms unter großem Applaus eine programmatische Rede zur Verbesserung der jüdisch-muslimischen Beziehungen gehalten. 205 Im Gegenzug wurde Ingrid Mattson eingeladen, bei der URJ- Convention zu sprechen, an der 6000 Delegierte aus den Synagogen teilnehmen. (El-Sanousi, S. 2, 10-11)

Ausgehend von diesen symbolträchtigen Treffen auf nationaler Ebene wurde ein Studienprogramm für Synagogen und Moscheen entwickelt und zusammen mit MPAC das „Weekend of Twinning” ins Leben gerufen, an dem jeweils 25 Moscheen und 25 Synagogen aus den USA und Kanada in den Jahren 2008 und 2009 teilnahmen. Das Weekend of Twinning ist das erste umfangreiche jüdisch-muslimische Dialogprojekt, das von nationalen jüdischen und muslimischen Organisationen organisiert wurde und große

205 Persönliche Teilnahme, M.A. Teil II Arbeit 198

Resonanz erfahren hat. 206 (Union for Reform Judaism/Islamic Society of North America o.J. [2008])

Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Religionsgemeinschaften beschreibt Mattson wie folgt:

„We can no longer rely on rumors, innuendo, medieval apologetics and sweeping generalizations. We need to get the truth about each other from each other.” (ebd.)

Der Austausch ist wichtig zum Abbau von Vorurteilen und stellt, wie in dem Handbuch weiter festgestellt wird, eine moralische Notwendigkeit dar. Gerade mit Blick auf junge Menschen sei es von zentraler Bedeutung, dass diese lernten, friedlich mit Diversität umzugehen und ein Bewusstsein dafür bekommen, dass man als Minderheiten gemeinsam seine Rechte verteidigen sollte.

In den Gemeinden vor Ort wurden im Rahmen dieses Dialogprogramms Veranstaltungen organisiert mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten zu erörtern, Islamphobie und Antisemitismus – auch in den eigenen Gemeinschaften – zu thematisieren und dadurch Vertrauen zwischen Juden und Muslimen aufzubauen. Dies sollte als Startpunkt dienen für langfristige Dialoge und Kooperationen zwischen den Gemeinden vor Ort.207

206 Auf jüdischer Seite wurde die Organisation von der Foundation for Ethnic Understanding (FFES), auf muslimischer Seite von ISNA übernommen. Unterstützt wird die Aktion von MPAC, dem World Jewish Congress und dem Jewish Council for Public Affairs. Das Projekt hat auch das Intersse von Muslimen und Juden in Europa geweckt. Eine Gruppe von 28 Imamen und Rabbis hat im Juli 2009 an einem Besucherprogramm in den USA teilgenommen, um aus den Erfahrungen des Twinning-Projekts für die Entwicklung der jüdisch-muslimischen Beziehungen in Europa zu lernen. Das Programm bestand u.a. aus einem Besuch des Holocaust Museums in Washington DC und ein Treffen in der All Dulles Area Muslim Society. (Rabbis, imams visit U.S. for dialogue, von Julia Duin, 20.07.2009 http://www.washingtontimes.com/news/2009/jul/20/rabbis-imams- visiting-us-for-interfaith-dialogue/print/)

207 2nd Annual Weekend of Twinning of Mosques and Synagogues, November 2009. (siehe http://www.isna.net/Interfaith/events/Special-Events/2nd-Annual- Weekend-of-Twinnings-of-Mosques-and-Synagogues-.aspx) Jewish Council

Teil II Arbeit 199

Hinsichtlich innermuslimischer Koalitionen hat sich gezeigt, dass das ISNA-Interfaith Office in der Hauptstadt fast ausschließlich mit MPAC kooperiert. So gibt es, wie auch bei MPAC, sowohl eine Distanz zu CAIR als auch zur Koalition American Muslim Taskforce. El-Sanousi hat zwar darauf verwiesen, dass er Anfragen bei Diskriminierungsfällen an CAIR weitergebe, doch im Untersuchungszeitraum konnten keine formalen Kooperationen zwischen CAIR und ISNA beobachtet werden. (El-Sanousi, S. 1)

ISNA ist in der AMT im Jahr 2004 auf einen Beobachterstatus gewechselt, obwohl es die Koalition mit ins Leben gerufen hatte. Zu Begründung sagte Syeed:

„AMT basically is for elections. Because we as religious organizations, we cannot get involved in elections. We have restriction. (…) So first we were member, than we dropped because we were told by our lawyers that can we cannot be members in an organization like this. So we have an observer status.” (Syeed, S. 10)

Ähnlich wie MPAC gibt Syeed hier formale Gründe betreffend den steuerbegünstigten Status an. Zu diesen formalen Gründen kommt jedoch ein Grund, auf den Zahid Bukhari hingewiesen hat. Wie im Folgenden noch gezeigt wird, hat der politische Druck auf ISNA dazu geführt, dass man hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit Organisationen wie CAIR und AMT insgesamt vorsichtiger geworden ist, um sich selbst zu schützen. (Bukhari, S. 1)

Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass ISNA seit ihrer Gründung den Dialog zu Afroamerikanischen Muslimen sucht. Das Engagement geht bis auf das Jahr 1976 zurück.208 Während der

Support Muslim Ties, Islamic Horizons, May/June 2009, S. 10. Eine Übersicht weiterer Initiativen, welche sich in den USA dem jüdisch muslimischen Dialog widmen, findet sich in Union for Reform Judaism/Islamic Society of North America o.J. [2008], S. 100–103.

208 1976 wurde von der MSA das „Islamic Teaching Center“ etabliert, um die Community von WD Muhammad durch Imam-Trainings zu unterstützen. Zu den

Teil II Arbeit 200

ISNA-Conventions am Labor Day-Wochenende findet parallel jedes Jahr zur gleichen Zeit die Jahreskonferenz der an Warith Deen Muhammad (WDM) orientierten Afroamerikanischen Muslime in Chicago statt. Da die ISNA-Convention selbst oft in Chicago stattfindet, schuf ISNA für die Besucher der WDM-Konferenz die Möglichkeit, mit der Registrierung zur dortigen Konferenz ohne weitere Kosten auch die ISNA-Konferenz zu besuchen. Damit wollte man ein deutliches Zeichen der Annäherung setzen. (El- Sanousi, S. 12)

Bei der ISNA-Convention treten zudem regelmäßig Afroamerikanische Muslime als Redner auf, wie z.B. die Imame Siraj Wahhaj und Zaid Shakir. Bei den ISNA-Conventions wird das Verhältnis zwischen afroamerikanischen und migrantischen Muslimen auch inhaltlich diskutiert oder etwa ein Film zum Leben von Warith Deen Muhammad vorgestellt. Ingrid Mattson überreichte Laila Muhammad einen Preis für die bahnbrechende Arbeit ihres Vaters. 209 Auch das ISNA-Magazin Islamic Horizons widmet sich regelmäßig diesem Thema.210

Pionieren hier gehörte Dr. Tijani Abujudeiri – einer der MSA-Gründer und später mit dem International Institute of Islamic Thought verbunden –, der dies initierte und fortentwickelte. Bei einem Gespräch mit WD Muhammad im Jahr 1977 war man der gemeinsamen Auffasung, sich annähern zu müssen. Nach Angaben von Unus war jedoch die Führungsriege in der zweiten Reihe um WD Muhammad nicht an einer Vertiefung der Beziehungen interessiert. Die Immigranten wurden als eine Gemeinschaft mit einer ausländischen Agenda gesehen, was nach Unus auch in gewisser Weise zutraf, so engagierten sich die neuen Immigranten etwa nicht in der Civil Rights Movement und befassten sich auch nicht mit den sozialen Problemen der Afroamerikaner in den Innenstädten, wie Kriminalität, Drogen und Diskriminierung. (Unus, S. 3)

209 „AmerIslam: Connections Between Our Country and Our Faith“, ISNA- Convention 2009. Zum Inhalt dieses Panels heißt es im Programmheft: „Our Deen´s [Religion, M.A.] ability to prune and build upon indigenous ways is the key to understanding how we can develop a sound Muslim American identity in the United States while still upholding Islamic laws and traditions.” (ISNA 2009c, S. 57)

210 „Return to Roots – African Americans return to Islam through many parths“, Islamic Horizons, Juli/August 2005; „In Rememberance – Imam W.D.

Teil II Arbeit 201

Nach Ansicht des in Washington DC aktiven afroamerikanischen Imam Yussuf Saleem führt diese Arbeit von ISNA dazu, dass sich Afroamerikanische Muslime durch die Immigranten anerkannt sehen. Damit werde eine Grundlage für weitere Kooperationen geschaffen. (Saleem, S. 6)

9.2.3 EXEKUTIVE

Der Fokus von ISNA hinsichtlich der politischen Exekutive liegt eindeutig in der Zusammenarbeit mit dem Department of Defense im Bereich der Seelsorge von Soldaten. Darauf soll zunächst näher eingegangen werden, um im Anschluss die Zusammenarbeit mit dem Department of State näher zu beleuchten, die sich in der 2. Jahreshälfte 2008 durch die Aufnahme von ISNA auf die UCC-Liste stark verschlechterte.

In den US-Streitkräften arbeiten etwa 6000 Muslime. Für diese werden – wie bei den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften auch – durch das Department of Defense (DOD) Seelsorger eingestellt. Für die Einstellung eines Seelsorgers hat der Bewerber – wie bei staatlichen Krankenhäusern oder Gefängnissen – eine Empfehlung der religiösen Gemeinschaft vorzulegen („Ecclesiastical Endorsement“). Muslimische Seelsorger können sich bei ISNA für solch eine Empfehlung bewerben.211 ISNA übernimmt damit eine wichtige Funktion im Zusammenhang mit der Einstellung muslimischer Seelsorger und organisiert zudem die „Annual Muslim Chaplains Conference“, welche am Rande der

Mohammed (1933-2008) led his people toward mainstream Islam”, November/Dezember 2008; „Tribute to the Late Imam W.D. Mohammed”, Veranstaltung auf der ISNA-Convention 2009.

211 ISNA Leadership Development Center. (siehe http://www.isna.net/Leadership/pages/Chaplain-Services.aspx) Teil II Arbeit 202

ISNA-Annual Convention stattfindet und von muslimischen Seelsorgern aus den Streitkräften besucht wird.212

Zwischen 2006-2009 haben sich nach Angaben von ISNA insbesondere zum Undersecretary Gordon England im DOD „good relationships“ entwickelt. (El-Sanousi, S. 6) England besuchte im Jahr 2006 die ISNA Annual Convention. Er hat auch Fastenbrechen- Empfänge für Muslime im Department of Defense organisiert und Ingrid Mattson zu einem Mittagessen im Pentagon eingeladen. Vertreter von ISNA waren zum Jahresende 2008 zusammen mit muslimischen Mitarbeitern aus dem Pentagon anlässlich der Verabschiedung Gordons aus seinem Amt eingeladen. Die Arbeit Englands wurde seinerzeit gewürdigt als „(…) a steady effort to build bridges with the Muslim American and international Muslim community“.213

Dass dieses Vertrauensverhältnis zu England keinen Abbruch fand und die Muslim Chaplains Conference im Jahr 2008 und 2009 weiterhin unter Beteiligung von Seelsorgern des DOD stattfanden, zeigt, dass die Beziehungen zwischen ISNA und dem DOD durch die Aufnahme auf der UCC-Liste keinen Einbruch erlitten haben. Anders verlief es allerdings beim State Department.

Mit Blick auf das Department of State berichtete Syeed davon, dass man in der Vergangenheit an von Außenministerin Condoleezza Rice organisierten Roundtable Meetings teilnahm oder das Ministerium bei der Organisation von Fastenbrechen-Empfängen unterstütze. Zudem gab es nach eigenen Angaben eine „close relationship“ mit Karen Hughes, der Undersecretary of State for

212 ISNA Leadership Development Center, 4 th Annual Muslim Chaplains Conference, Building Professional and Leadership Capacity, 27.08.-28.08.2008, Columbus, Ohio.

213 Islamic Horizons: Farewell to Arms. (Islamic Horizons, March/April 2009, S. 16) Teil II Arbeit 203

Public Diplomacy (2005-2007), die von George W. Bush beauftragt war, die Wahrnehmung der USA im Ausland zu verbessern. So besuchte Hughes im Jahr 2005 die ISNA Convention und habe laut El-Sanousi bei Angelegenheiten zur „muslim world“ immer um Rat gefragt.214

Im Rahmen dieser Arbeit im Jahr 2008 auf die Zusammenarbeit mit ISNA angesprochen antwortete, ein Mitarbeiter des State Department: „We don‘t talk to CAIR and ISNA.“ Begründet wurde dies mit dem laufenden Verfahren (‘ongoing case‘), womit die Erwähnung auf der UCC-Liste gemeint war. Im Verlauf des Interviews wurde diese Aussage von einem anderen Mitarbeiter relativiert, indem darauf hingewiesen wurde, dass sich dies auf „high ranking officials“ in den beiden Organisationen beziehe.215

Auf die UCC-Liste aus dem Verfahren gegen die Holy Land Foundation ist bereits eingegangen worden. ISNA wird in dieser Liste „(…) entitie[s] who are and/or were members of the US Muslim Brotherhood” zugeordnet, ohne dass hierfür Beweise vorgelegt wurden. Auch hatte ISNA keine Gelegenheit, sich zu verteidigen oder zu diesem Vorwurf Stellung zu beziehen. (siehe auch Kap. 7.1.2.3)216

214 El-Sanousi, S. 4 u. 6. El-Sanousi erwähnte in dem Zusammenhang etwa, dass sich Hughes z.B. auf dem Weg in den Nahen Osten aus dem Flugzeug heraus meldete und Telefonkonferenzen mit muslimischen Organisationen führte, um Einschätzungen von ihnen einzuholen. Siehe auch: Karen Hughes Recognition Dinner, 19.06.2008. (http://www.isna.net/articles/Interfaith-News/Karen- Hughes.aspx)

215 Pandith, Weinstein, Eldridge, S. 3. Farah Pandith wurde spatter (September 2009) zur Special Representative to Muslim Communities ernannt.

216 Attachement A, In the United States District Court for the Northern District of Texas, Dallas Division, United States of America vs. Holy Land Foundation for Relief and Development, List of Unindicted Co-conspirators and/or Joint Venturers, CR NO. 3:04-CR-240-G., S. 8. Teil II Arbeit 204

An der Aussage der State Department-Mitarbeiter wird deutlich, welche Auswirkungen die Aufnahme in der UCC-Liste hatte. Mattson zufolge war die Erwähnung von ISNA auf der UCC-Liste ein „government-imposed stigma“, das die Arbeit der Organisation untergrub. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU hat in der Folge Rechtsmittel eingelegt, um ISNA von der Liste entfernen zu lassen, da dieser Vorgang eine Verletzung grundlegender Verfassungsrechte und eine Rufschädigung für die Organisation sei. 217

Im Rahmen dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass ISNA sich – im Vergleich zu CAIR - erfolgreich gegen eine weitere Isolierung durch die UCC-Liste zu wehren vermochte, indem es seine Koalitionspartner im interreligiösen Bereich mobilisierte. Renommierte Organisationen wie die Union of Reform Judaism oder der National Council of Churches haben Unterstützungsbriefe formuliert und das Vorgehen der Regierung bzw. Justiz scharf kritisiert. So auch Bob Edgar, der Präsident von Common Cause218:

„I am personally offended by the United States Justice Department’s apparent designation of the Islamic Society of North America (ISNA) as an unindicted co-conspirator in the Holy Land Foundation Case. This reminds me of the so-called communist ’witch hunts’ of the 1950s. (…) One wonders if this was politically pressured or an unintended consequence of the lack of research by the lawyers involved in the Holy Land Foundation Case. Whatever the reason, I

217 ACLU Challenges Government's Stigmatizing of mainstream Muslim groups in Holy Land Case, 18.06.2008. (siehe American Civil Liberties Union, http://www.aclu.org/national-security/aclu-challenges-governments- stigmatizing-mainstream-muslim-groups-holy-land-case)

218 Common Cause ist eine 1970 gegründete US-amerikanische Nichtregierungsorganisation mit dem Ziel, die Transparenz in politischen Institutionen der USA zu fördern. Teil II Arbeit 205

urge that this harmful designation be ‘expunged’ immediately.” (ISNA o.J. [2008/2009], S. 2)

ISNA hat die Unterstützungserklärungen ihrer Partner mit weiteren Unterlagen zu ihrer Arbeit – die auch klare Distanzierungen gegenüber Muslimbruderschaft oder Gewalt durch die Hamas enthielten – in einem Dossier zusammengestellt und bei Gesprächen mit Entscheidungsträgern ausgehändigt.219

Die Fähigkeit, in solchen Situationen angesehene Koalitionspartner zu mobilisieren ist wohl der Hauptgrund dafür, weshalb ISNA insgesamt durch die UCC-Liste nicht die gleiche Isolierung erfahren hat wie CAIR und warum die Kooperationsbereitschaft staatlicher Organe nur moderat zurückgegangen ist.

Auf einen weiteren Grund für den Unterschied hat CAIR-Chairman Larry Shaw hingewiesen. CAIR mobilisierte durch seinen Einsatz gegen Diskriminierungen in einem größeren Maße Gegner als ISNA, die als eine religiöse Repräsentation von Muslimen mehr auf Ausgleich und Koalitionen ausgerichtet ist. ISNA habe deswegen grundsätzlich weniger Gegner, die Vorlagen wie die UCC-Listen als

219 Islamic Society of North America o.J. [2008/2009] Darin heißt es zur Muslimbruderschaft: „ISNA is not now nor has it ever been subject to the control of any other domestic or international organizations including the Muslim Brotherhood.” Der Worlaut ist höchstwahrscheinlich bewusst gewählt, denn „Are you now or have you ever been a member of the Communist Party of the United States?” war die Frage, die im sog. Ausschuss gegen un-amerikanische Aktivitäten des Repräsentantenhauses während des McCarthyismus Verdächtigten gestellt wurde. Indem ISNA dies in der Zurückweisung zitiert, stellt die Organisation zugleich eine Verbindung her zwischen ihrer Verdächtigung und dieser unrühmlichen Phase von Paranoia und Diskriminierung Andersdenkender in den USA, auf die Bob Edgar anspielt (s.o.). Im Jahr 2008 gab es bereits eine Erklärung, die auf der Webseite veröffentlicht wurde. (Setting the Record Straight, 9.08.2008, http://www.isna.net/articles/News/Setting-The- Record-Straight). Zum Terrorismus heißt es hier: „ISNA rejects all acts of terrorism, including those perpetrated by Hamas, Hizbullah and any other group that claims Islam as their inspiration. ISNA has encouraged and continues to encourage a just and fair settlement of disputes between Israel, the Palestinians and their neighbors through diplomacy and other peaceful means.” (Siehe auch ISNA Statement of Position: Who we are and what we believe, 7.12.2009, http://www.isna.net/articles/Press-Releases/Isna-Statement-Of-Position-Who- we-are-and-what-we-believe.aspx) Teil II Arbeit 206

Anlass nutzen könnten, um der Organisation die Legitimation abzusprechen. (Shaw, S. 5)

9.2.4 DAS WEIßE HAUS

In der zweiten Amtszeit von Präsident George W. Bush haben sich die Beziehungen von ISNA zum Weißen Haus laut El-Sanousi immer weiter verschlechtert. Es gab bis auf wenige Ausnahmen im Zusammenhang mit dem am Weißen Haus angesiedelten Faith Based Office, kaum direkten Austausch und in den Jahren 2007 und 2008 haben keine hochrangigen Vertreter an den ISNA Annual Conventions teilgenommen. (El-Sanousi, S. 7)

Das Verhältnis sollte sich mit Amtsantritt des neuen Präsidenten Barack Obama schlagartig verändern. So wurde Ingrid Mattson – die Barack Obama noch aus ihrer Studienzeit in Chicago kennen soll – zur Inauguration eingeladen und mit einem „platinum ticket“ prominent platziert. Sie hat am Tag nach der Inauguration beim traditionellen National Prayer Service in der National Cathedral vor über 3000 Gästen – darunter dem Präsidenten und seinem Stellvertreter – im Rahmen einer interreligiösen Gedenkstunde ein Bittgebet gesprochen.220

Vor dem National Prayer Service gab es auch ein direktes Zusammentreffen zwischen Präsident Obama, dem Vizepräsidenten

220 Das Gebet von Mattson hatte folgenden Inhalt: „On this day of new beginnings, with hearts lifted high in hope, may we be a people at peace among ourselves and a blessing to other nations. We pray to you, O God, saying Keep this nation under your care, and guide us in the way of justice and truth.” (The National Prayer Service in celebration of the fifty-sixth Presidential Inaugural, Washington National Cathedral, 21.01.2009, siehe http://www.nationalcathedral.org/pdfs/inaugural090121.pdf; S. 12; siehe auch: Variety of Clergy, Worship Program Reflect a Focus On Inclusiveness, von Michelle Boorstein, 22.01.2009, Washington Post, http://www.washingtonpost.com/wp- dyn/content/article/2009/01/21/AR2009012101029.html) Teil II Arbeit 207

Joe Biden und deren Ehefrauen mit Ingrid Mattson, das fotographisch festgehalten wurde.221

Im Laufe des Jahres 2009 wurde ISNA dann als einzige muslimische Organisation zu weiteren Terminen ins Weiße Haus eingeladen, um Muslime zu repräsentieren, so etwa bei der ersten Gesetzesunterzeichnung des Präsidenten zu einer staatlichen Kinderkrankenversicherung (State Children‘s Health Insurance Program). An dieser hat Syeed mit einer kleinen Auswahl von Religionsvertretern im Weißen Haus teilgenommen, die sich für dieses Gesetz eingesetzt hatten, um eine Versorgung von vier Millionen Kindern ohne Krankenversicherung in den USA sicherzustellen. 222 Zudem wurde ISNA auch ins Weiße Haus eingeladen als Teil der Koalition „Faiths against Tobacco“, um der Unterzeichnung eines Gesetzes zur Verschärfung des Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden und Restaurants beizuwohnen.223

Bei der ISNA Convention 2009 hat erstmals – nach der Teilnahme von Undersecretary England im Jahr 2006 – mit Valerie Jarrett einer engen Beraterin von Präsident Barack Obama, wieder eine hochrangige Vertreterin der Regierung an der Convention teilgenommen.224 Jarrett würdigte die Konferenz als die wichtigste

221 Dr. Ingrid Mattson Represents Muslim Americans at Inaugural National Prayer Service, 21.01.2009. (http://www.isna.net/articles/news/dr-ingrid-mattson- represents-muslim-americans-at-inaugural-national-prayer-service.aspx)

222 Die Unterzeichnung des Gesetzes fand am 4.02.2009 statt. (ISNA-Newsletter 7.02.2009, President Obama signed into law the State Children’s Health Insurance Program [SCHIP] Bill, siehe http://www.isna.net/articles/News/Invitation-From-The-Obama-To-Witness- Signing-Ceremony.aspx).

223 Witness to Smoking Strictures. (Islamic Horizons, September/October 2009, S. 8)

224 Im Jahr zuvor bei der Annual Convention 2008 nahm auch Sada Cumber, Special Envoy to the Organization of the Islamic Conference am Community Service Recognition Luncheon der ISNA-Convention teil. Er wurde begrüßt, hat jedoch selbst keine Rede gehalten. Cumber wollte anscheinend seine Teilnahme

Teil II Arbeit 208

und diverseste Plattform von US-Muslimen, hob insgesamt die Leistungen der US-Muslime für Wirtschaft und Gesellschaft hervor und unterstrich die Gemeinsamkeiten zwischen islamischen und amerikanischen Werten, wie „Justice, Progress and Dignity for all Human Beings“. 225 Die Teilnahme von Jarrett wurde sowohl von ISNA als auch von anderen muslimischen Organisationen als eine besondere Anerkennung aufgenommen und hat die Hoffnung auf ein neues Kapitel zwischen US-Muslimen und der Regierung genährt.226

Die Einbeziehung von ISNA bei den Gesetzesunterzeichnungen, die Teilnahme von Jarrett an der ISNA-Convention und die Organisation eines Fastenbrechenempfangs durch das Weiße Haus im Jahr 2009 bezeugen das Interesse der Obama-Administration, eine neue Beziehung zu den muslimisch-amerikanischen Organisationen aufzubauen. ISNA spielte hierbei eine wichtige Rolle.227

an der Konferenz wohl nicht durch eine Rede protokollarisch aufwerten. (Persönliche Teilnahme, M.A.) Unter Präsident George W. Bush kamen in den Jahren zuvor vor allem Vertreter aus dem Sicherheitsbereich (Department of Justice, Department of Defense, FBI) oder vom Außenministerium.

225 46th ISNA Annual Convention: Life Liberty and the Pursuit of Happines, 3.-6. Juli 2009, Washington DC (Persönliche Teilnahme, M.A.)

226 So sagte Lekovic im Interview dazu: „The fact that Valerie Jarett came to the Convention is a phenomenal step forward. I think it is a good sign for things to come”. (Lekovic, S. 2) In einem Brief an ISNA-Mitglieder zum Jahresende 2009 hob Ingrid Mattson diesen Besuch von Jarett besonders hervor. (ISNA- Newsletter, 17.12.2009, From the Desk of Dr. Ingrid Mattson, siehe auch: White House Senior Official Addresses ISNA convention, 6.07.2009, siehe http://www.isna.net/articles/News/White-House-Senior-Official-Addresses-ISNA- Convention.aspx)

227 ISNA President Spoke to the President and the Attorney General During White House Iftar, 2.09.2009. (siehe http://www.isna.net/articles/News/ISNA- President-at-White-House-Iftar.aspx) Teil II Arbeit 209

10. ZWISCHENFAZIT „In my view, all the groups complement each other. Could MPAC be as effective in sitting behind close doors if the people who they are talking to were not a little worried that CAIR was gonna have a protest on that, or file a suit? I don’t know. I think in some way they balance each others, but the style of each one is very different. (…) Each organization has a kind of specialized unique role they play, a different style, a different approach. I think the community overall is better for having them around.” (Ellison, S. 5)

Es ist deutlich geworden, dass die Nationalen Muslimischen Interessenorganisationen und ihre zwischen 1994 und 2007 gegründeten Büros in Washington DC jeweils spezifische Merkmale aufweisen. Sie verfolgen sehr unterschiedliche inhaltliche Zielsetzungen und setzen jeweils andere Strategien ein, um diese Ziele zu erreichen.

Für CAIR bestehen die Hauptziele darin, die Bürgerrechte von Muslimen zu schützen und zu einer Verbesserung des Islambildes in der Gesellschaft beizutragen. CAIR folgt dazu vor allem dem Ansatz des „Outside Lobbying“. Dabei stellt es über groß angelegte Informations- und Protestkampagnen Öffentlichkeit her, um auf Diskriminierungen und Vorurteile aufmerksam zu machen und Veränderungen zu bewirken.

MPAC hingegen verfolgt den Ansatz des „Inside Lobbying“. Dazu werden Beziehungen zu Ministerien und staatlichen Behörden aufgebaut, man arbeitet in Gremien mit und veröffentlicht Policy Papers. Neben dem Aufbau von Koalitionen ist die Nachwuchsförderung junger Muslime im politischen und zivilgesellschaftlichen Bereich ein zentrales Tätigkeitsfeld der Organisation.

MPAC verfügt, wie gezeigt werden konnte, über einen guten Zugang zur Exekutive. Dazu gehören das Department of Homeland Security oder auch das Department of Justice mit einem Teil II Arbeit 210

interministeriellen runden Tisch, welcher die Kommunikation zu Diskriminierungsfragen mit Muslimen und anderen religiösen und ethnischen Minderheiten verbessern soll. MPAC gilt als eine ‚progressive‘ Organisation, welcher bei der Entwicklung der American Muslim Identity seit den 1980er Jahren eine Vorreiterrolle zukommt.228

MPAC nimmt im Vergleich zu den anderen NMI auch mit Blick auf seine Finanzierung eine Sonderstellung ein. Die Organisation nimmt explizit kein Geld aus dem Ausland an, um ihre Unabhängigkeit zu wahren. Dadurch war die Organisation nach 9/11 und dem rapiden Spendenrückgang aus muslimisch geprägten Staaten an muslimische Gemeinschaften im Westen zumindest finanziell sicher aufgestellt.

ISNA hat sich die Pflege und den Ausbau der Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften auf die Fahne geschrieben. Als „religious body“ soll die Repräsentation von Muslimen als Religionsgemeinschaft im politischen Raum auf der nationalen Ebene sichergestellt werden.

Während sich MPAC und ISNA als Verbände sehen, die eine religiös geprägte Basis vertreten, ohne selbst Anspruch auf religiöse Autorität zu erheben, ist ISNA von den hier untersuchten Organisationen diejenige mit dem am stärksten ausgeprägten religiösen Profil. So ist ISNA in zahlreichen interreligiösen Koalitionen in der Hauptstadt engagiert und vertritt dort Muslime bzw. die islamische Tradition. Auch das Weiße Haus greift auf ISNA zurück, wenn es eine muslimische Beteiligung sicherstellen möchte, etwa bei der Inauguration des Präsidenten, dem darauf folgenden traditionellen Gottesdienst in der National Cathedral oder der

228 Dieser Aspekt wird in Kapitel 13 stärker beleuchtet. Teil II Arbeit 211

feierlichen Unterzeichnung von Gesetzen durch den Präsidenten in Anwesenheit von Religionsgemeinschaften.

Hinsichtlich ihrer Strategien ist auffallend, dass keine der drei Organisationen Demonstrationen organisiert, weil diese nicht als effektiv angesehen werden. Zudem werden nur selten Gerichtsverfahren in Gang gesetzt, da dies entsprechende finanzielle Ressourcen erfordert, über die die Organisationen bisher nicht verfügen. Der Einsatz unterschiedlicher Strategien kann als ein Ausdruck einer Ausdifferenzierung der muslimischen Verbändelandschaft gesehen werden, wie sie auch bei anderen Religionsgemeinschaften in den USA zu finden ist. (Hertzke 2012)

ISNA hat mit über 100.000 Personen die größte Mitgliedschaft der hier untersuchten Organisationen. Davon sind ein wesentlicher Teil über Moscheegemeinden und Berufsverbände indirekt bei ISNA als Mitglied angebunden. Die Annual Convention, mit über 30.000 Teilnehmern die größte Konferenz von Muslimen in den USA, verfügt über eine hohe Sichtbarkeit in den muslimischen Gemeinschaften und ist eine wichtige Plattform für den innermuslimischen Austausch. Diese Convention, die (assoziierte) Mitgliedschaft zahlreicher Organisationen und die enge Verbindung mit der Muslim Students Association, die über 500 Studentenvereine im ganzen Land vertritt, statten ISNA mit einem großen Netzwerk wichtiger muslimischer Multiplikatoren aus und geben ihr ein Gewicht als religiöse Autorität.

Auch CAIR kann auf ein großes Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen. Nach eigenen Angaben verfügt die Organisation über 50.000 Spender. Sie hat zudem inzwischen über 35 Chapter im ganzen Land sowie einen Newsletter mit einem Verteiler von über einer halbe Million Adressen. CAIR genießt bei vielen Muslimen über eine gewisse Popularität, da der Verband vor allem Teil II Arbeit 212

zu Diskriminierungsfällen medienwirksame Protestkampagnen organisiert.

Im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit hatte CAIR mit bedeutenden internen und externen Konflikten zu kämpfen, welche die Organisation deutlich geschwächt haben. So haben zwei Mitglieder des Board of Directors im Jahr 2009 die Organisation verlassen, darunter der Chairman. Der Konflikt entzündete sich daran, dass ein Kreis von Personen innerhalb von CAIR den Gründungsgeschäftsführer Nihad Awad austauschen wollte.

Hierfür gibt es zwei Gründe. Zum einen wollte man „new blood“ in die Führungsspitze der Organisation bringen, um sie weiterzuentwickeln. Zum anderen ist Awad mit seiner propalästinensischen Vita eine häufige Zielschreibe der Kritik proisraelischer und zionistischer Organisationen, die in Washington über großen Einfluss verfügen. CAIR werde hierbei oft mit Awad gleichgesetzt und könne vor dem Hintergrund nur schwierig Koalitionen mit wichtigen Akteuren in Washington DC eingehen, was die Effektivität der Organisation stark einschränke, lautet das Argument. Awad ist es bisher jedoch gelungen, sich als Geschäftsführer zu halten und gegen die Kritiker durchzusetzen. Allerdings hat die Schlagkraft der Organisation durch diese internen Konflikte abgenommen.

Auf der anderen Seite gibt es auch externe Konflikte, welche die Effektivität der Organisation beeinträchtigt haben. So hat die Nennung von CAIR in der UCC-Liste im Rahmen eines Antiterrorverfahrens den politischen Druck auf den Verband erhöht und dazu geführt, dass das FBI seine Kooperation eingestellt hat. In der Folge hat CAIR an Zugang zu Abgeordneten und der Exekutive stark eingebüßt. Auch wurde die Möglichkeit, Bündnispartner zu finden, damit stark eingeschränkt. Eine weitere Folge war ein starker Spendenrückgang bei CAIR. Potentielle Teil II Arbeit 213

Spender befürchteten, dass auch sie selbst in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten könnten.

Die Organisation ist in der Folge stärker auf Gelder aus dem (arabischen) Ausland angewiesen gewesen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass ausländische Akteure auf die politische Agenda der Organisation Einfluss genommen haben, jedoch gibt es die Tendenz, dass CAIR (aus dem Ausland finanzierte) Projekte aufsetzt, wie die Verteilung des Korans, die eher ins Ressort klassischer Missionierungsarbeit fallen, als in den Aufgabenbereich einer Bürgerrechtsorganisation.

Wie im dritten Teil dieser Arbeit gezeigt wird, verfügt CAIR unter US-Muslimen nicht nur über hohe Popularität, sondern laut Umfragen von allen NMI auch über die höchste Zustimmung mit Blick auf die Vertretungsleistung. Die Kriminalisierung dieses Verbands durch die UCC-Liste, die laut ACLU nicht rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, erscheinen daher als sehr problematisch.

ISNA hat es im Unterschied zu CAIR nach seiner Aufführung in der UCC-Liste, geschafft, seine Koalitionspartner zu mobilisieren und einer politischen Isolierung zu entgehen. So konnte die ISNA- Präsidentin im Jahr 2009 bei der Inauguration mit einem „Platin- Ticket“ ganz nah die Vereidigung des Präsidenten verfolgen und mit Valerie Jarrett hat eine der wichtigsten Beraterinnen des US- Präsidenten an der ISNA-Convention in Washington DC teilgenommen und eine Rede gehalten. Für das Weiße Haus, das Department of Justice und das Department of Defense spielt ISNA eine wichtige Rolle dabei, die Repräsentation von Muslimen in der Hauptstadt sicherzustellen und als Ansprechpartnerin, um konkrete Anliegen in die muslimischen Gemeinschaften zu kommunizieren.

Der Unterschied in den Auswirkungen bei der UCC-Liste kann auf die Arbeitsweise von CAIR sowie auf das propalästinensische Teil II Arbeit 214

Engagement des CAIR-Geschäftsführers Nihad Awad zurückgeführt werden. CAIR arbeitet mit öffentlichkeitswirksamen Protestkampagnen und mobilisiert damit viel stärker Gegner als ISNA, welche eher auf konsensuale interreligiöse Koalitionen setzt. Es gibt Hinweise darauf, dass die Aufnahme von CAIR in die UCC- Liste von den CAIR-Kritikern – darunter eine Reihe proisraelischer Gruppen – genutzt wurde, um bei politisch verantwortlichen Akteuren auf die Isolierung des Verbands hinzuwirken.

Im Unterschied zu ISNA und CAIR wurde MPAC nicht auf der UCC- Liste aufgeführt. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass MPACs Ansatz, in erster Linie mittels Policy Papers und Gremienmitarbeit im Hintergrund Einfluss zu nehmen, deutlich weniger Angriffsfläche für Kritiker bietet, als es etwa bei CAIR mit seinen zum Teil offensiven Medienkampagnen der Fall ist. Selbst bei Meinungsverschiedenheiten mit Ministerien verfolgt man bei MPAC den Ansatz, sich mit den Verantwortlichen an einen Tisch zu setzen und die konträren Positionen zu diskutieren, mit der Perspektive, zumindest mittelfristig Einfluss auf politische Maßnahmen nehmen zu können. Zudem verfügt MPAC durch gute Vernetzungsarbeit über starke Verbündete im Lager der Demokraten.

Die staatlichen Sicherheitsmaßnahmen wie die UCC-Liste, haben sich auch auf das Verhältnis zwischen den NMI ausgewirkt. So sind ISNA und MPAC auf Abstand zu CAIR gegangen, um der Isolierung zu entgehen, welche dieser Verband erfahren hat. Man vermeidet zwar öffentliche Distanzierungen, doch es gibt keine Kooperationen auf der nationalen Ebene. Dabei hätte es zur Zusammenarbeit durchaus eine Reihe von Anlässen gegeben.

Nachdem in diesem Teil die Arbeit der Organisationen mit Blick auf das Selbstverständnis, die Ziele, internen Strukturen und Strategien – also vor allem die Arbeit mit politischen Akteuren – Teil II Arbeit 215

analysiert wurde, sollen im folgenden Teil der Arbeit die Funktionen in den Mittelpunkt gestellt werden. Hier geht es vor allem um die Frage, wie die NMI nach innen – also in ihren Organisationen bzw. innerhalb der muslimischen Bevölkerung, die sie erreichen – zu einer politischen Inkorporation beitragen.

Teil III. Funktionen 216

TEIL III. FUNKTIONEN

Politische Inkorporation wurde oben (2.2) bereits vorgestellt und bezeichnet im Hinblick auf Interessenverbände einen Prozess mit mehreren Aspekten. Organisationen tragen zur Inkorporation sozialer Gruppen bei, indem sie einerseits durch Förderung von Repräsentation (Artikulation ihrer Interessen im politischen Prozess), Partizipation (Teilnahme als mündige Bürger am politischen Geschehen) und Integration (Gemeinschaftsgefühl und Bildung einer genuin „US-amerikanischen“ Identität) zum Zugehörigkeitsgefühl zu den Vereinigten Staaten und ihrer Demokratie beitragen. Andererseits schaffen sie dauerhafte Institutionen, die ihrer Basis im politisch-gesellschaftlichen Rahmen der USA zu Sichtbarkeit und Einfluss verhelfen.

11. REPRÄSENTATION

Repräsentation in der Demokratie hat zwei grundsätzliche Bedeutungsebenen. Sie umfasst zum einen die parlamentarische Vertretung in repräsentativen Demokratien, und zum anderen die Repräsentation durch advokatorische Interessenvertretung von Organisationen. In pluralistischen Demokratietheorien wird die Vielgliedrigkeit von Staat, Gesellschaft und den intermediären Institutionen betont. Zu den intermediären Institutionen gehören Gruppen, Organisationen und Verbände, die zwischen dem einzelnen Bürger und dem Staat vermitteln. Diesen Instanzen zwischen dem Einzelnen und dem Staat kommt in pluralistischen Demokratietheorien eine besondere Funktion zu. Sie repräsentieren den Willen des Bürgers außerhalb des parlamentarischen Feldes Teil III. Funktionen 217

und stabilisieren damit das demokratische System. (Schmidt, 1995)229

Die Bedeutung von Interessenorganisationen liegt in der Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt. Ohne Verbände, die die Ideen und Interessen der unterschiedlich (politisch, wirtschaftlich, ökologisch, kulturell, religiös) motivierten Gruppen in der Gesellschaft bilden, bündeln und vermitteln, bliebe die Vielzahl der vorhandenen Interessen gegenüber dem Staat diffus. (Berry, Wilcox 2007; Mayntz 2004)

Artikulationsfähige Interessenverbände sind wichtig für Staat wie Interessen in der Gesellschaft gleichermaßen. Den Staat entlasten sie von einer aufwendigeren Kommunikation mit vielen Einzelnen, die Einzelnen werden als Gruppe besser hörbar durch sie. Die Verbände bilden einen „Kanal“ zwischen den Mitgliedern der Organisationen und der Regierung und haben damit eine hohe Bedeutung in demokratischen Systemen. (Berry 2007, S. 7-8)

Diese Untersuchung folgt den Pluralismustheorien, für die organisierte politische Meinungsartikulation im Mittelpunkt stehen. Ihr ist eine normative Ausrichtung eigen, die betont, „dass die Vielfalt an Meinungen, Interessen und Organisationen ein positives Spiegelbild der gesellschaftlichen Komplexität [sind] und in die Inhalte der politischen Ordnung einzugehen hat“. (Sebaldt, Straßner 2004, S. 29)

229 Die Wichtigkeit des advokatorischen Handelns für die Stärkung der Demokratie ergibt sich aus den Schwächen der parlamentarischen Repräsentation: „Unter den Ausgangsbedingungen einer komplexen Gewaltenteilung, in der die parlamentarischen Körperschaften ihrer Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion nicht mehr als Wiedergabe eines authentischen Wählerwillens auffassen können, muss sich das Anliegen der repräsentativen Stellvertretung teilweise von den parlamentarischen Institutionen weg und zu einer außerparlamentarischen Vertretung des Bürgerwillens hin bewegen. Je mehr die treuhänderische Mediatisierung greift, umso mehr Korrekturmechanismen müssen ihr gegenüber treten, die zum ursprünglichen Prinzip der Repräsentation zurückführen.“ (Richter 2008, S. 178) Teil III. Funktionen 218

Nachfolgend sollen verschiedene Dimensionen der Repräsentationsfunktion der NMI für die Muslime in den USA beleuchtet werden. Zunächst wird auf die Bedeutung der NMI für die Interessenartikulation eingegangen, einschließlich der Kritik, die in diesem Zusammenhang von Seiten der Interviewpartner artikuliert wurde. Anschließend wird der Frage nachgegangen, wen die NMI repräsentieren und ein Schwerpunkt auf ihre Vertretungsleistung für Afroamerikanische Muslime gelegt. Abschließend soll der Frage nach dem Einfluss der NMI in der US- amerikanischen Politik nachgegangen und auf die hier wirkenden Kontextfaktoren eingegangen werden.

11.1 INTERESSENARTIKULATION

Wie bereits gezeigt, haben sich nach 9/11 das Bild des Islam und die Lebenssituation der Muslime in den USA deutlich verschlechtert. So berichten noch im Jahr 2011 etwa ein Fünftel der Muslime davon, dass sie mit beleidigendem Namen angesprochen oder einer besonderen Sicherheitsüberprüfung am Flughafen unterzogen wurden. (Pew Research Center 2011, S. 43, 46)230

Die staatliche Sicherheitspolitik wird von Muslimen als diskriminierend empfunden. Etwa 40% der befragten Muslime geben an, kein Vertrauen in Sicherheitsbehörden zu haben. Sie zeigen von allen befragten Religionsgemeinschaften das geringste Vertrauen. (Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 40)

Wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt wurde, greifen die NMI in sehr unterschiedlicher Weise diese Unzufriedenheit von US-Muslimen auf

230 Dies gilt, obwohl US-Muslime auch über positive gesellschaftliche Erfahrung berichten, wie etwa, dass ein Drittel gerade deshalb Hilfe von Fremden erhalten habe, weil sie Muslime sind. Fast die Hälfte der Muslime in den USA gibt an, dass ihrer Einschätzung nach US-Amerikaner ihnen gegenüber freundlich gesinnt sind. (ebd., S. 45) Teil III. Funktionen 219

und formen die „(…) diffusen Einstellungsmuster in vertretungs- und entscheidungsfähige Positionen.“ (Sebaldt, Strassner 2004, S. 63) Aus der Vielzahl einzelner Beschwerden und Vorkommnisse werden Positionen formuliert, die in den öffentlichen Diskurs getragen werden. Die Diskriminierung von Muslimen in der Gesellschaft, die negative Darstellung des Islam in den Medien und überzogene staatliche Sicherheitsmaßnahmen werden in die öffentliche Debatte eingebracht oder direkt an staatliche Entscheidungsträger herangetragen.

Auch zu außenpolitischen Fragen wie dem Nahost-Konflikt werden Positionen in den politischen Prozess eingebracht. Die Relevanz dieses Themenfeldes zeigt sich daran, dass etwa 40% der religiösen Interessenverbände in Washington DC sich mit Themen befassen, die „Middle East-North Africa“ betreffen. Unter den Organisationen sind hinsichtlich der Ausgaben das American Israel Public Affairs Committee sowie das American Jewish Committee führend, mit jeweils 87 bzw. 13 Millionen Dollar für das Jahr 2008. (Hertzke 2012, S. 36, 45)

Die NMI bringen damit zu innenpolitischen wie außenpolitischen Themen alternative Sichtweisen in den politischen Diskurs ein. Sie sind die Sachwalter ihrer Mitglieder, indem sie auf bestimmte Problemlagen aufmerksam und die damit in Verbindung stehenden latenten Interessen öffentlich machen. (ebd., S. 63; Richter 2008, S. 173–175)

Die NMI übernehmen mit dieser Interessenartikulationsfunktion eine wichtige Rolle bei der Repräsentation von Muslimen in der US- amerikanischen Gesellschaft. Sie bringen eine Stimme in den politischen Prozess ein, die lange Zeit in der Hauptstadt nicht zu vernehmen war, und ergänzen so die pluralistische Verbandslandschaft der USA. Damit soll nicht naiv vertreten werden, dass alle Interessen gleichberechtigt Berücksichtigung Teil III. Funktionen 220

finden. Nach wie vor hat bspw. AIPAC mehr Einfluss als alle hier betrachteten Verbände. Aber durch das Auftauchen der NMI und ihrer Bündnispartner auf der politischen Bühne ist AIPACS Position weniger unangefochten. Es geht also um eine graduelle Verschiebung hin zu breiterer Repräsentation, erreicht durch eine Diversifizierung und Pluralisierung der vertretenen Interessen. Pluralisierung ist immer die beste Sicherung gegen eine einseitige Machtkonzentration bei einzelnen Interessengruppen. (Hertzke 1988, S. 206; Berry 2009, S. 3-4)

Durch die Interessenartikulation erfüllen die NMI eine demokratiestützende Funktion, indem sie die Möglichkeit eröffnen, dass Bürger ihre Unzufriedenheit kommunizieren. Erst daraufhin vermögen Politiker auf diese einzugehen und „realitätsgerechte Ordnungs- und Verteilungsentscheidungen zu treffen.“ (Sebaldt, Strassner 2004, S. 64; Hertzke 2009b, S. 305)231

Mit der „Veränderung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die Reform zu mehr Chancengleichheit und Selbstverwirklichung“ wird zu einer Transformation des politischen Systems beigetragen und schließlich zu einer Legitimation, vielmehr als dies durch ein „konservatives Festhalten an eingefahrenen Zuständen“ geschieht. (Alemann 1989, S. 193)

Im Rahmen dieser Arbeit ist von Muslimen allerdings auch Kritik an der Art und Weise formuliert worden, wie die NMI diese Interessenartikulation betreiben. So kritisierte etwa Cherif Bassiouni, der von NMI als Berater in Anspruch genommen wird,

231 Die NMI wirken nicht nur einseitig in Richtung Politik und Gesellschaft, sondern auch als „kommunizierende Röhren“ (Sebaldt, Strassner 2004, S. 71) nach innen indem sie Informationen aus Staat und Gesellschaft, wichtige Entwicklungen usw. an ihre Mitgieder kommunzieren und damit einen demokratiepraktischen Beitrag leisten.

Teil III. Funktionen 221

die fehlende systematische Aufarbeitung staatlicher Maßnahmen gegen Muslime seitens der Verbände:

„Between 9/11 and two years ago [2007, M.A.] the Department of Justice pushed by two Attorney Generals Ashcroft and Gonzales, the Christian Right and the Pro-Israel establishment accused over 500 Muslim Americans of acts of terrorism. 250 cases were dismissed automatically by the courts because of no foundation. Of the other 250 cases the only 26 cases resulted in a conviction - and it was totally unrelated to the charge. In every one of these 26 cases either the Attorney General himself or the Chief Prosecutor in the given district would make biiig [sic!] press conferences: ’Another one of these Muslim terrorist cells’. And when the case is dismissed, nobody says anything. There was an entire propaganda machine set up in the Department of Justice to publicize these phony prosecutions and phony arrests. I haven’t seen Muslim organizations fighting that, it was a typical civil rights fight.“ (Bassiouni, S. 6)

Bassiouni hat nach eigenen Angaben vergeblich drei Mal mit den nationalen Organisationen in Washington DC gesprochen und den Vorschlag unterbreitet, eine Gruppe von Forschern zusammenzustellen, um die genannten Fälle aufzuarbeiten und die Gründe für die Festnahmen sowie die Ausgänge der Verfahren zu analysieren. Dies sollte dann als Bericht an die Öffentlichkeit gegeben werden und hätte auf strukturelle Defizite hinweisen können, was durch Bearbeitung von Einzelfällen nicht gewährleistet werden könne. Die NMI seien diesem Rat nicht nachgekommen. Bassiouni sah dies als eine sinnvolle Möglichkeit, auf strukturelle Probleme in der Behandlung von sog. Terrorverdächtigen hinzuweisen, welche von den NMI nicht genutzt wurde.

Eine weitere Kritik wurde – bei grundsätzlichem Wohlwollen gegenüber den NMI – vom Journalisten Minhaj Hussain geäußert. Hussein berichtete von einem Vorfall im Jahr 2004, bei dem von einigen Jugendlichen ein kleines brennendes Kreuz vor seiner Moschee aufgestellt wurde. Brennende Kreuze sind in den Teil III. Funktionen 222

gesamten USA bekannt als Markenzeichen des rassistischen Ku- Klux-Klan, die einschüchtern sollen. Die Kirchen in der Umgebung und die Nachbarn hätten sich mit großer Anteilnahme gegen diesen Akt ausgesprochen und Fox News habe darüber ausführlich berichtet. Im Fernsehbeitrag wurde jedoch ein deutlich größeres brennendes Kreuz in Szene gesetzt. Nihad Awad sei vor Ort gewesen und habe zu diesem Anlass ein Pressegespräch abgehalten und über die Diskriminierung von Muslimen in der US- Gesellschaft gesprochen. Aus Sicht von Hussein handelte es sich um einen kleinen Vorfall, der groß von Medien und CAIR ausgeschlachtet wurde, die Realität jedoch kaum widerspiegele. (Hussein, S. 13)

Nihad Awad hat diesen Vorwurf zurückgewiesen und deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht solche Fälle eine „symbolic significance“ haben und das „symptom of a bigger problem“ seien. Man könne auf Probleme nur hinweisen, indem man ihnen ein „name and face“ gebe. CAIR würde jedoch nicht Einzelfälle unangemessen dramatisieren. (Awad, S. 7)

Auch Mohamed Nimer, ehemaliger Research Director von CAIR, selbst einst für die jährlichen Diskriminierungsberichte zuständig, kritisiert die starke Fokussierung von CAIR auf Diskriminierungsfälle:

„In America they say: Much of the oil goes to the squeaking wheels. So if you don’t cry you don’t get attention. So you need to cry, but you need to cry once in a while, you don’t just keep crying. You don’t want crying to be your dominant theme, your dominant posture or your dominant image. You have to give something positive.” (Nimer, S. 6)

Nimer befürchtet, dass diese täglichen Meldungen einen Isolationismus bei Muslimen befördern können, da sie ihnen ständig Ungerechtigkeiten vor Augen führen und das Bild einer Teil III. Funktionen 223

feindlichen Gesellschaft zeichnen. Zudem könne als Folge in der Mehrheitsgesellschaft ein falsches Bild über Muslime entstehen, wenn sich ihre Organisationen ständig und fast ausschließlich auf das Thema Diskriminierung fokussieren. (Nimer, S. 6 u. 8)

Auf die Verzerrungen, die durch Interessenverbände entstehen können, hat Theda Skocpol hingewiesen. Danach gibt es bei Interessenverbänden die Tendenz, polarisierende Positionen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen, um über Massenmedien Öffentlichkeit herzustellen und so Mitglieder zu mobilisieren. Dadurch würden moderate Positionen in der Öffentlichkeit insgesamt zu kurz kommen. (Skocpol 1999, S. 503)

Neben dieser Kritik wurde von Keith Ellison auf die Wichtigkeit der NMI für die Repräsentation von US-Muslimen verwiesen. Sie tragen demzufolge zur Legitimation des politischen Systems bei:

„(…) I think that these organizations [die NMI, M.A.] enhance the democratic process because one they let people who are Muslim have followed their energy into an organization that they are choosing, and the options are depending on your own personal style, through which to express your views on various subjects. […] They play a role; it is essentially supportive, when for example CAIR files a lawsuit, what they are doing is calling on the American legal system to vindicate their interests. Which of course – we want people to use the legal system – we don’t want to discourage that as people feel there is no legitimate evident to have their grievances redressed.” (Ellison, S. 5)

Die Lobby-Arbeit der NMI bei Legislative und Exekutive, aber auch durch Gerichtsprozesse, Proteste oder Forderungen, die gegen den politischen Kurs einer bestimmten Regierung gerichtet sind, bedeutet implizit eine „Akzeptanz seiner demokratischen Spielregeln“. Dies kann als ein „Spiegelbild des Vertrauens in die Effektivität seiner Prozesse“ angesehen werden. (Sebaldt, Strassner 2004, S. 69) Diese Legitimation wird unabhängig davon bewirkt, ob man in bestimmten Fällen auch tatsächlich Erfolg hat, Teil III. Funktionen 224

es kommt vielmehr darauf an, dass eine gesellschaftliche Gruppe eine reelle Chance sieht, ihre Forderungen zum Erfolg zu führen. (von Alemann 1989, S. 190; Warren 2001, S. 92)

Das Bewusstsein über die grundsätzliche Möglichkeit, die eigenen Interessen zu artikulieren, ist insbesondere in einer pluralen Gesellschaft zur Interessenbefriedung verschiedener Gruppen wichtig. Es ist zudem ein wichtiger Beitrag, um eine „common citizenship identity“ entwickeln zu können. Damit sich eine Identität dieser Art entwickeln kann, die zum Zusammenhalt der Gesellschaft beiträgt, müssen auch religiöse oder ethnische Minderheiten die Möglichkeit haben, ihre Positionen in die Diskussion einzubringen. Die Debatte darf nicht nur Mehrheitsmeinungen offenstehen. (Kymlicka, Norman 2000, S. 8– 10)

Abschließend soll noch auf einen Bereich verwiesen werden, der auffälliger Weise von den NMI nicht bearbeitet wird. Religiöse Interessenorganisationen adressieren einer Untersuchung von Allen D. Hertzke zufolge unter den innenpolitischen Themen neben der Verteidigung von Bürgerrechten und Religionsfreiheit, vor allem auch soziomoralische Fragen, etwa zum Schutz von Ehe und Abtreibungsfragen. (Hertzke 2012, S. 14)

Die hier untersuchten NMI adressieren soziomoralische Fragen jedoch nicht oder nur implizit, wie Alsultany dies in einer Analyse einer CAIR-Werbekampagne gezeigt hat. 232 CAIR unterstützt danach die Idee der „heterosexual family as the foundation for a secure nation“, um bei religiösen Amerikanern anzuknüpfen, jedoch

232 Die Kampagne bestand aus einer Fernsehwerbung und sechs Zeitungsanzeigen. Die erste Anzeige erschien am 16.02.2003 in der New York Times. (Alsultany, S. 74) Teil III. Funktionen 225

ohne dabei Homosexualität offen zu verurteilen. (Alsultany 2008, S. 80)

Dabei zeigt sich in Umfragen, dass US-Muslime im Hinblick auf ihre politischen Ansichten als „ideologically complex“ beschrieben werden. Auf der einen Seite ist eine deutliche Mehrheit unter ihnen gegen die Zulassung gleichgeschlechtlicher Ehen und für ein stärkeres Engagement des Staates in „protecting morality“. Damit stehen sie für einen „cultural conservatism“. 233 Nimmt man als Merkmale hinzu, dass sie über einen relativ hohen soziökonomischen Status sowie eine hohe Rate von Verheirateten und unternehmerisch Selbständigen verfügen, dann entsprechen sie dem klassischen republikanischen Wählertypus. Auf der anderen Seite favorisieren Muslime ein soziales (d.h. nicht gewinnorientiert arbeitendes) Gesundheitssystem, staatliche Unterstützung für Arme, strengere Umweltbestimmungen und sind für die Erhöhung der Entwicklungshilfe an arme Länder. Diese Positionen gelten in den USA als „liberal views“, die den demokratischen Wählertypus kennzeichnen. (Djupe, Green 2007, S. 223)

Es zeichnet sich ein Bild dergestalt ab, dass die US-amerikanischen Muslime sich in ökonomischen und außenpolitischen Fragen liberal, aber in moralischen Fragen konservativ positionieren. (Djupe, Green 2007, S. 213; Hertzke 2009a; Pew Research Center 2007, S. 45-46)

Nach Angaben des Migrationsforschers Stepick gibt es in den USA grundsätzlich die Tendenz, dass sich religiöse Gruppen mit

233 In der Frage nach der Rolle von homosexuellen Partnerschaften ist eine deutliche Mehrheit der Muslime (61%) der Auffasung, dass homosexuelle Partnerschaften von der US-Gesellschaft „discouraged“ werden sollte, während 27% der Auffassung sind, dass diese Lebensform zu akzeptieren sei. (US- Durchschnitt: 51% discouraged, 27% accepted) Während 59% der Muslime der Auffassung sind, dass der Staat „should do more“ beim Schutz von Moral, sind dies im US-Durchschnitt nur 37%. (Pew Research Center 2007, S. 45) Teil III. Funktionen 226

Migrationshintergrund bei Wertdiskussionen wie denjenigen zu Abtreibung oder Homosexualität nicht einbringen. Stepick liefert hierzu keine Erklärung und verweist darauf, dass dieses Feld bisher kaum erforscht wurde. (Stepick 2005)

Auch im Rahmen dieser Arbeit wurde diese Fragestellung nicht systematisch (etwa in den Interviews) adressiert. In einem persönlichen Gespräch mit Nihad Awad im Jahr 2008 kurz vor den Präsidentschaftswahlen bezeichnete dieser die Wahl zwischen einem republikanischen oder demokratischen Präsidentschaftskandidaten als eine Frage von Prioritäten. Für ihn ergebe es keinen Sinn, eine Allianz mit Republikanern zu sozial- konservativen Fragen einzugehen, wenn Politiker aus diesem Lager – etwa durch den Einmarsch im Irak - für den Tod von hunderttausenden Menschen verantwortlich seien und die Wahl des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain voraussichtlich wiederum vielen Unschuldigen – etwa durch einen dann möglichen Kriegseinsatz im Iran – das Leben kosten könnte. Daher sollten sich die muslimischen Wähler ihrer Verantwortung bewusst sein und den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama unterstützen.234

Auch wenn dieses Thema weiterer Erforschung bedarf, kann hier festgehalten werden, dass für die NMI das Thema Diskriminierung und außenpolitische Themen von größerer Bedeutung und soziomoralische Fragen in den Hintergrund getreten sind. Bei den gegebenen politischen Konfliktlinien zwischen Demokraten und Republikanern befinden sich Muslime in einer ideologisch komplexen Konstellation. Sollte sich in Zukunft ihre Situation in den USA etwa mit Blick auf Diskriminierung normalisieren, werden Muslime mit hoher Wahrscheinlichkeit die sozial-moralischen

234 Gespräch mit M.A. bei ISNA Convention 2008. Teil III. Funktionen 227

Themen stärker in den Mittelpunkt rücken. Nimer schätzt, dass die muslimischen Organisationen in Zukunft auf einer „issue-by-issue basis“ mal mit dem demokratischen, mal dem republikanischen Lager zusammen arbeiten werden. (Nimer 2004, S. 163) Sie würden damit einen ähnlichen Weg wie Katholiken einschlagen, die sich bei ökonomischen Fragen und der Militärunterstützung mit der „peace and justice“-Fraktion im amerikanischen liberalen Protestantismus verbunden haben, die zum demokratische Lager gehört, aber bei Wertfragen sich der Fraktion für „traditional values“ zurechnet, also zum republikanischen Lager neigt. (Hertzke 1988, S. 36) Eine einseitige Kooperation muslimischer Verbände mit der religiösen Rechten, die Haddad in Aussicht gestellt hatte, erscheint hingegen als unrealistisch. (Haddad 2004a, S. 45)

11.2 Facetten der Repräsentationsleistung

Die NMI greifen wichtige Themen auf, die US-Muslime bewegen, und bringen sie in die politische und öffentliche Debatte ein. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wen sie denn eigentlich repräsentieren. Ihre reinen Mitgliederzahlen sind dabei nur sehr begrenzt aussagefähig, da die hier untersuchten NMI über die direkten Mitglieder hinaus auch über ein Netzwerk von Unterstützern verfügen, welche etwa durch Spenden oder Konferenzbesuche die Organisationen unterstützen. Interessenverbände können auch über ihre eigene Mitgliedschaft hinaus eine Repräsentationsfunktion übernehmen (Berry, Wilcox 2009, S. 6).

Der „representational reach“ von Interessenorganisationen ist grundsätzlich schwer einzuschätzen, da einige Organisationen von der Zahl der „activists“, andere „friends, associates and donors“ und wieder andere von „membership“ und „like-minded women and men“ ausgehen. (Hertzke 2012, S. 49) Hertzke geht von den Teil III. Funktionen 228

Selbsteinschätzungen der Organisationen aus und verweist auf die beschränkte Aussagekraft der Daten, da die ins Feld geführten Unterstützer zum Teil nichts über die Aktivitäten der Organisation in Washington DC wissen bzw. mit ihrer inhaltlichen Arbeit nicht unbedingt übereinstimmen. (ebd., S. 50)

Für die hier untersuchten NMI liegen seit August 2011 – nach Abschluss der Interviews und empirischen Erhebungen für diese Arbeit – aussagekräftige Daten aus einer Gallup-Studie vor, welche die Repräsentationsfunktion der NMI erstmals näher untersucht. Auf die Frage: „Which national Muslim organization, if any, do you feel most represents your interests?“ ergab sich folgendes Bild:

Mit 11,5% fühlen sich die meisten der Befragten am besten durch CAIR repräsentiert. Es folgt ISNA mit 5,3%, MPAC mit 3,7% und schließlich die „Imam Warith Deen Mohammed Group“ mit 2,1%. (Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 25)235

Addiert man die Daten der Gallup-Umfrage, dann erfolgt daraus, dass etwa 22% der US-Muslime sich durch die NMI repräsentiert fühlen. Wenn man von etwa fünf Millionen US-Muslimen ausgeht, entspräche dies ca. eine Million Muslime, welche durch die NMI repräsentiert werden. 236 Die NMI vertreten demnach nicht alle Muslime, aber doch einen beträchtlichen Anteil. Die Ergebnisse dieser Umfrage mit CAIR, ISNA und MPAC als hinsichtlich ihrer Repräsentativität wichtigsten Nationalen Muslimischen

235 CAIR: männlich: 12%, weiblich: 11%; ISNA: männlich: 4%, weiblich: 7%; MPAC: männlich: 6%, weiblich: 1%; Imam Warith Deen Mohammed Group: männlich 3%, weiblich: 1%. Für diese Arbeit sind Mittelwerte gebildet worden, dabei wurde berücksichtigt, dass der Anteil von männlichen Muslimen (55%) in den USA statistisch höher ist als der von weiblichen Muslimen (45%). (Pew Research Center 2011, S. 15)

236 Dies entspricht etwa der Repräsentationsleistung von muslimischen Dachverbänden unter Muslimen in Deutschland. (Azzaoui 2010) Teil III. Funktionen 229

Interessenverbände bestätigen die Auswahl der untersuchten Akteure dieser Arbeit.237

Im ersten Abschnitt des Hauptteils wurde gezeigt, dass die NMI von Muslimen gegründet wurden, die ab den 1960er Jahren in die USA eingewandert sind (siehe Kap. 4.2). Afroamerikanische Muslime verfügten aus historischen und sozioökonomischen Gründen bereits über eigene Organisationsstrukturen. Zur Vertretungsleistung der NMI für AAM gibt es keine Umfragen, jedoch wird in der Literatur zumeist die Position vertreten, NMI würden Afroamerikanische Muslime (überhaupt) nicht repräsentieren. (Cesari 2004, S. 85)

Im Rahmen der durchgeführten Interviews ergab sich jedoch ein differenzierteres Bild. Zur Arbeit der NMI und den von ihnen behandelten Themen konstatierte Hodari Abdul-Ali, ein afroamerikanischer muslimischer Aktivist aus dem Großraum Washington DC:

„The priorities of these organizations [die NMI, M.A.] often represent the interests of Muslims who have immigrated here from overseas. They make up the majority of the membership of those organizations.” (Abdul-Ali, S. 1)

Die Belange der Afroamerikanischen Muslime sind laut Abdul-Ali vor allem soziale Probleme wie Kriminalität, Drogenkonsum oder auch Rassendiskriminierung, die jedoch in der Arbeit der NMI kaum eine Rolle spielten. (Ebd.) Dies hat sich bei der Untersuchung der Arbeit der NMI bestätigt (siehe Teil II).

237 Auch wenn etwa die Hälfte der US-Muslime sich nicht durch eine „national Muslim organization“ vertreten sieht, kann daraus nicht geschlossen werden, dass US-Muslime nicht oder kaum repräsentiert werden. Es gibt vielmehr Hinweise darauf, dass diese Muslime gar keinen Bedarf in einer Repräsentation durch muslimische Organisationen auf nationaler Ebene sehen. In der Pew- Umfrage bezeichnete nur ein Bruchteil (2%) der Muslime den „Lack of representation/community involvement“ als ein wichtiges Problem ihrer Gruppe. (Pew Research Center 2011, S. 46) Teil III. Funktionen 230

Safia Ghori von MPAC hat der afroamerikanisch-muslimischen Sichtweise auf die Agenda der NMI zugestimmt:

„(…) many of our groups are seen as groups that are elitist and not open to the African American Muslim community. We have to make a better effort to bringing that into our group. We haven’t done a good

job. (…).” (Ghori, S. 16-17)238

Nach eigener Aussage erhält Ghori kaum ein Feedback auf Einladungen, die seitens MPAC an Moscheen Afroamerikanischer Muslime ausgesprochen werden, weil die Interessen und Themen anders gelagert sind. (ebd.)

Auch die bekannte afroamerikanische muslimische Universitätsprofessorin Amina McCloud aus Chicago hat die Arbeit der von Immigranten gegründeten muslimischen Organisationen kritisiert. So würden Spendensammlungen vor allem für Projekte im Ausland organisiert, während mit Blick auf die sozialen Probleme Afroamerikanischer Muslime auch in den USA ein Bedarf vor Ort für Spenden bestünde. McCloud würdigte aber gleichzeitig die Arbeit der NMI. Sie gesteht ihnen zu, bei den von ihnen bearbeiteten Themen durchaus Afroamerikanische Muslime zu repräsentieren, auch wenn die Interessen dieser über das Vertretene hinausgingen. (McCloud, S. 2)

Bei Umfragen zu Diskriminierungen aufgrund von Religion zeigt sich, dass diese von Afroamerikanischen Muslimen als noch

238 Nihad Awad von CAIR hingegen hat von sich gewiesen, dass CAIR Afroamerikanische Muslime nicht repräsentiere: „CAIR is a very diverse organization, it is not an immigrant organization, it is an American success story. When you look at the national leadership, or grassroots staff or those who even receive the services, it is a good reflection of who American Muslims are.” (Awad, S. 9) Bei den CAIR Veranstaltungen, die von mir besucht wurden, waren jedoch kaum afroamerikanische Muslime zu sehen. Ausnahme ist etwa der Fundraiser Siraj Wahhaj der öfter bei CAIR-Banquets zu sehen ist. Von den dreißig Landesbüros kann anhand der verfügbaren Namen und Fotos vermutet werden, dass vier Leiter einen afromamerikanischen Hintergrund haben (San Diego, Michigan, Philadelphia, Dallas). Hinzu kommen auf der nationalen Ebene mit Larry Shaw und Ihsan Bagby zwei AAM im Executive Board von CAIR. Teil III. Funktionen 231

schwerwiegender eingeschätzt werden als im Durchschnitt aller US- Muslime. Wenn die NMI Diskriminierungsfälle aufgreifen und auf verschiedene Weise öffentlich problematisieren, vertreten sie damit auch davon betroffene Afroamerikanische Muslime. (Pew Research Center 2011, S. 43, 48)239

In diesem Kontext hat auch Yussuf Saleem, afroamerikanischer Imam in Washington DC, sich zustimmend zur Arbeit der NMI bzw. CAIR geäußert: „We appreciate what CAIR does. (…) It is good to have these national organizations present on the table.” (Saleem, S. 4-5) Zwar gelingt den NMI noch keine Vertretung aller Interessen afroamerikanischer Muslime, aber hinsichtlich Aspekten wie Diskriminierung aufgrund der Religion oder US-Politik im Nahen Osten können sich auch die AAM durchaus vertreten fühlen.

Neben der Repräsentationsleistung gibt es seitens der NMI Ansätze dazu, Afroamerikanische Muslime innerhalb der eigenen Strukturen zu integrieren, insbesondere in Führungspositionen. Zu Beispielen erfolgreicher Einbeziehung dieser Art gehören etwa der CAIR- Vorsitzende Larry Shaw oder auch die Muslim American Society mit ihrem Geschäftsführer Mahdi Bray. Beide bringen eine langjährige politische Erfahrung und Netzwerke mit, die von NMI bzw. muslimische Organisationen genutzt werden. Zudem sind sie in der amerikanischen Kultur bewandert, können ohne Akzent gut kommunizieren und die Diskriminierungen gegen Muslime in einen

239 Während im Durchschnitt 55% der US-Muslime angeben, dass es nach 9/11 schwieriger geworden ist, als Muslim in den USA zu leben, geben dies 61 % der Afroamerikanischen Muslime an. Auch auf die Frage, ob die Antiterrormaßnahmen der US-Regierung Muslime diskriminieren würden, gibt es von Seiten der AAM eine deutlich höhere Zustimmung (71%) als vom Durchschnitt aller US-Muslime (52%). Teil III. Funktionen 232

größeren Kontext einordnen, indem sie Parallelen zur Geschichte der Afroamerikaner in den USA aufzeigen.240

Der Afroamerikaner Johari Abdul-Malik, welcher selbst für eine von muslimischen Immigranten gegründeten Organisation arbeitet, formulierte diesen Zusammenhang, recht anschaulich:

„And if he [ein fiktiver Kritiker, M.A.] is asking tough question for me I can say: What are you talking about? I’m American, I have no miss- allegiances about what my country is and at the same time I can be very clear: We have our own problems in America; Racism is a problem in America. Just because blacks were taken as slaves from Africa by people who were Christian doesn’t mean that Christianity is an enslaving religion. (…) I have a license to say that. It’s my country. My people were lynched, murdered, raped, but it’s still our country. I’m not planning go anywhere else but I have to be clear that those acts of violence of 9/11 don’t say anymore about Islam than people who took my people as slaves and brought them to America about Christianity.” (Abdul-Malik, S. 5)

Afroamerikanische Muslime können sich aufgrund ihrer Geschichte selbstbewusst gegen Versuche zur Wehr setzen, Muslime als Fremde und den USA nicht zugehörig darzustellen.

Die Zusammenarbeit zwischen Muslimen mit Migrations- und solchen mit afroamerikanischem Hintergrund wird zudem auch als eine Möglichkeit betrachtet, als politische Kraft agieren zu können:

„We have enough Muslims in this country and we have enough resources among the Muslims in this country. If we ever really became organized and operational kind of unity. Oh brother, we

240 Mahdi Bray (geb. 1950) ist vom Christentum zum Islam konvertierter aus einer politisch engagierten Familie. Er war in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, u.a. in den Jugendorganisationen der NAACP und Southern Christian Leadership Conference sowie im Student Nonviolent Coordinating Committee. Nach beruflichen Erfahrungen im „Rock´n´Roll“-Geschäft und nach seinem Übertritt zum Islam arbeitete er für eine Reihe muslimischer Organisationen im Großraum Washington DC, u.a. sechs Jahre für CAIR als Chief Fundraiser und Community Organizer sowie für MPAC als Director of Political Affairs (2000-2002). (Aus dem Interview mit Mahdi Bray) Teil III. Funktionen 233

would be a power to reckon with. We would be a power for good, not just for the good of the Muslims, but for the good of America.” (Salakhan, S. 4)

Der hohe soziökonomische Status von US-Muslimen mit Migrationshintergrund auf der einen und das Sozialkapital sowie die politischen Erfahrungen afroamerikanischer Muslime auf der anderen Seite können in Kombination zu einer verbesserten Repräsentation im politischen Prozess führen (siehe auch die diesbzgl. Aussage von Abdul-Ali in Kap. 3.4; Mazrui 2004)

Es bleibt abzuwarten, ob die NMI es schaffen werden - über die Einbeziehung einzelner Afroamerikanischer Muslime als Führungspersönlichkeiten und Sprecher hinaus - die bestehende Kluft zwischen beiden Gruppen zu überbrücken.

11.3 ERFOLG UND EINFLUSSFAKTOREN

Für die Repräsentationsfunktion der NMI stellt sich die Frage, wie erfolgreich sie dabei sind die organisierten Interessen auch tatsächlich durchzusetzen. Dabei ging es im Rahmen dieser Arbeit nicht darum nachzuweisen, ob eine bestimmte Organisation in bestimmten Zusammenhängen Einfluss ausüben konnte. Dies ist selbst für aufwendige Forschungsdesigns eine große Herausforderung. (Baumgartner, Leech 1998, S. 36–38)

Hier ging es vielmehr darum, die NMI selbst und Akteure im Umfeld der Organisationen darüber zu befragen, wie sie ihren Einfluss einschätzen. Zudem wurde im Rahmen der Interviews der Frage nachgegangen, welche Faktoren den Einfluss bestimmen. Dabei lassen sich zwei Aspekte idealtypisch unterscheiden: Zum einen der Einfluss der NMI auf die äußere Umwelt, also das politische Umfeld, in dem sie sich als einer von vielen Interessenverbandstypen bewegen. Zum anderen auf die innere Teil III. Funktionen 234

Umwelt, d.h. die Muslime, die man zu repräsentieren und für die eigene Arbeit zu rekrutieren sucht. (Geser 1990, 403)

Im Hinblick auf das äußere Umfeld haben in den Interviews fast alle Gesprächspartner eingeschätzt, dass die muslimischen Interessenorganisationen bisher nur wenig Einfluss auf politische Entscheidungen in der Hauptstadt haben und allenfalls symbolische Erfolge erzielen konnten. (siehe auch Saeed 2002, S. 55) Zu den symbolischen Erfolgen gehört etwa der Auftritt von Ingrid Mattson bei der Inauguration Präsident Obamas oder auch die Invokationen muslimischer Persönlichkeiten im Kongress, wie sie im ersten Teil der Arbeit bereits dargestellt wurden.

Jameel Aalim-Johnson, langjähriger Chief of Staff des Kongressabgeordneten Gregory Meeks, brachte die Bedeutung der NMI im „Konzert der Interessen“ in der Hauptstadt, wie folgt auf den Punkt:

„The American Muslim voice in Washington DC is quite faint, but it exists. It’s going from a hush to a whisper and I believe it can grow, but it’s still not one of the loudest voices.” (Aalim-Johnson, S. 2)

Ähnlich bewertet Haris Tarin von MPAC die Arbeit der NMI:

„The Muslim Community in general is in its infancy stages in engaging in a sustained level. Most of it was done in a very kind symbolic, photo-ops. But at a sustained level of engaging government, seen as a major and real player in the national arena I think we still have a long way to go – we have some small successes – but we do have a looong [sic!] way to go.” (Tarin, S. 14)

Zu den Gründen für den geringen Einfluss hat Aalim-Johnson auf fehlende finanzielle Ressourcen hingewiesen, die eine Einstellung von professionellem Personal verhindern. (Aalim-Johnson, S. 2)

CAIR-Chairman Larry Shaw und Aalim-Johnson haben auf die Bedeutung der Geldakquise durch Interessenorganisationen für Politiker im Rahmen von Wahlkampagnen hingewiesen. Die NMI Teil III. Funktionen 235

haben nicht die Reichweite, um an die Geldakquise großer Lobbygruppen nur annähernd heranzureichen und dementsprechend wenig Einfluss auf Politiker. (Shaw, S. 2; Aalim- Johnson, S. 2)241

Die Dauer des Bestehens ist ein weiterer relevanter Faktor. (Bloemraad 2006, S. 78–79; Ramakrishnan, Bloemraad 2008, S.

25) Darauf hat Mahdi Bray sehr pointiert hingewiesen:

„You have to understand that we are the new kids on the block. There is a certain amount of growing pains that are natural and the development of organizational structure in America whether you are a Muslim organization or a non-muslim organization.” (Bray, S. 8-9)

Während in den 1970er und 1980er Jahren bei US-Muslimen zunächst der Aufbau der religiösen Infrastruktur wie Moscheen oder Schulen im Mittelpunkt der Arbeit standen, wurden muslimische Interessenorganisationen erst ab den 1990er Jahren aufgebaut. Die hier untersuchten NMI entstanden dann zwischen 1994-2007 und sind somit im Vergleich christlichen oder jüdischen Interessenorganisationen noch relativ neu. Vor dem Hintergrund konnte sich noch nicht eine entsprechenden Professionalisierung und Schlagkraft entwickeln.

Einen weiteren Grund für den fehlenden Einfluss sieht der Kongressabgeordnete Ellison in der Arbeitsweise der NMI:

„So they [die NMI, M.A.] responding to cases all the time. They also responding to media all the time. So we get to develop a capacity to do more than react in the defensive way all the time. Trying to fend for insurgence on Muslim identity rather than actually trying to advance the interest of the community in the form of legislation or public education. Some of that does happen; usually it’s around big

241 Für die Jahre 1995-2000 kommt Nimer geschätzt auf insgesamt etwa 4 Millionen Dollar, welche von Muslimen für Political Action Committees gesammelt wurden. (Nimer 2004, S. 158–159; siehe auch Nimer o.J. [2005/2006], S. 10) Teil III. Funktionen 236

occasions. (…) but in the normal course of events, there is no regular monitoring. (…) Its sounds like I’m criticizing but what I’m really doing is saying that these are areas in which more could be done. I’m not condemning any effort. All five of the groups you mentioned are good groups, they doing great work, but if you ask me the question: Is there more could be done? I have to answer: Yes.“ (Ellison, S. 3-

4)242

Ellison empfiehlt den muslimischen Organisationen als Ziel, proaktiv das politische Geschehen zu beeinflussen, etwa indem sie ein kontinuierliches Monitoring bei den thematisch einschlägigen Anhörungen im Kongress betreiben.243 Diese Arbeit gilt als wichtige Voraussetzung, um überhaupt auf die Agenda des gesetzgeberischen und politischen Prozesses Einfluss nehmen zu können. Mit Blick auf das Agendasetting ist auch die Zusammenarbeit mit Think Tanks in Washington von zentraler Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass Kooperationen dieser Art von den NMI bisher kaum entwickelt wurden.244

Andere Probleme der NMI zeigen sich im Hinblick auf ihre innere Umwelt, etwa die erfolgreiche Funktionärsrekrutierung. Für Aalim- Johnson ist es für den Erfolg einer Interessenorganisation wichtig, auf erfahrenes Personal zurückzugreifen, welches das politische Geschäft beherrscht und vor allem über ein breites Netzwerk an Kontakten verfügt, was für eine effektive Einflussnahme

242 Neben CAIR, MPAC und ISNA bezieht sich Ellison hier auf die MAS-FF und die die American Muslim Taskforce (AMT), eine Koalition der großen muslimischen Organisationen in den USA.

243 Dazu gehören insbesondere das Foreign Affairs Committee, Civil Rights or Judiciary Committee. Ellison hat in diesem Zusammenhang Corey Sailor positiv hervorgehoben, da dieser von allen NMI-Mitarbeitern am intensivsten das Geschehen verfolge.

244 Im Untersuchtungszeitraum gab es von CAIR nur einen kurzen Meinungsbeitrag in einer Gallupstudie zu US-Muslimen (Gallup 2009, S. 34) und einige Kooperation von MPAC mit Think Tanks, wie in Kap. 8.2.2.3 beschrieben. Teil III. Funktionen 237

unabdingbar sei. Die NMI würden bisher noch nicht über erfahrenes Personal verfügen. (Aalim-Johnson, S. 2-3)245

Seit einigen Jahren gibt es zunehmend junge Muslime der zweiten und dritten Generation aus eingewanderten Familien, welche im Kongress, Ministerien und Think Tanks arbeiten, und in Zukunft das Personal von NMI stellen könnten. Laut Jihad Saleh Williams von der Muslim Staffers Association sind die NMI bisher nicht attraktiv für junge muslimische Akademiker mit Berufserfahrung. Es fehle in muslimischen Organisationen an Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen. Er bezog dies einerseits auf fehlende Fortbildungsmöglichkeiten. Andererseits liege es an der Arbeitskultur in diesen Verbänden. Sie sei davon geprägt, dass die Gründer der Organisationen sich ständig in die operative Arbeit einmischten und den Mitarbeitern nicht der Raum gelassen werde, sich selbst zu entfalten. Daher würden viele junge muslimische Akademiker es vorziehen, für andere Organisationen zu arbeiten, die in diesen Fragen professioneller agieren. (Williams, S. 8)

Die fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen erwähnte auch Parvez Ahmed, der 2008 zurückgetretene Chairman von CAIR:

„The old guard mentality is particularly disturbing in many muslim organizations, where if you look at their top leadership, you see that leadership has not changed in ten, fifteen, twenty years. (…) What happens as a result of that, the lack of internal work in leadership: It is disturbing for young people from inspiring to become part of the organization, because they don’t see a path to leadership, they perceive that they are in one position and they will remain in one

245Das Fehlen erfahrener Lobbyisten als Problem wurde bereits in älteren Studien auch für christlich geprägte Interessengruppen nachgewiesen. Laut Hofrenning befürchten religiöse Interessenorganisationen bei erfahrenen Lobbyisten zu große Kompromissbereitschaft. Die Artikulation von „moral prinicples“ sei für diese Art von Organisationen jedoch wichtiger als konkrete Erfolge etwa im Gesetzgebungsprozess. (Hofrenning 1995, S. 113–117) Teil III. Funktionen 238

position for the rest of their live. They are discouraged from working for Muslim organizations and this creates essentially a vicious cycle.

(Ahmed, S. 5)246

Die von Ahmed hier dargestellte Problematik umfasst sowohl ehrenamtliche Tätigkeiten, wie die Mitarbeit in Boards of Directors, als auch Anstellungsverhältnisse in Führungspositionen. Ahmed hat in diesem Kontext empfohlen, dass sich muslimische Organisationen „good governance structures“ durch Satzungen und Geschäftsordnungen geben sollten. Diese sollten Mechanismen vorsehen, um einen Wechsel in den Funktionen zu befördern. Es komme zudem darauf an, dass sich die muslimischen Gemeinschaften dahingehend entwickeln, eine „loyalty to the government structure“ aufzubringen und sich tatsächlich an die Regeln zu halten, wenn die Zeit gekommen ist. (ebd., S. 5-6) Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Ahmeds Aussagen wohl insbesondere auf seine Erfahrungen bei CAIR zurückgehen. Für MPAC hat sich im Rahmen dieser Arbeit dazu ein anderes Bild ergeben, worauf im Folgenden noch näher eingegangen werden soll (Kap. 12.2.2).

12. PARTIZIPATION

Der Begriff der Partizipation hat zwei zentrale Bedeutungsebenen. Zum einen beinhaltet er die Ebene der „partizipatorischen Repräsentation“. Das meint politische Aktivitäten – vor allem von Netzwerken und Organisationen – mit denen die Bürger ihre Anliegen an die Politik kommunizieren und dadurch Anlass geben, dass die Zuständigen darauf reagieren. Dazu gehören etwa das Wählen, die Arbeit in Wahlkampagnen, Kontakte zu Amtsträgern, Mitgliedschaft in und Teilnahme an Treffen politischer

246 Ähnlich hat sich auch Souhail Ghannouchi bezüglich MAS geäußert. Teil III. Funktionen 239

Organisationen oder die Teilnahme an Demonstrationen oder Protesten. (Verba 1995, S. 9, 51, 163)

Eine zweite Bedeutungsebene von Partizipation sind die „developmental effects“, welche sich allgemein auf die Entwicklung eines politischen Bewusstseins und konkret auf das Erlernen von Methoden zur politischen Partizipation beziehen. (Warren 2001, S. 71)

Nachfolgend wird gezeigt, wie die NMI auf beiden Ebenen Beiträge für die politische Inkorporation der US-Muslime leisten. Zum einen tragen sie dazu bei, dass US-Muslime grundsätzlich politisches Engagement als sinnvoll erachten. Zudem bringen sie das dafür nötige Wissen und die Fähigkeiten nahe. Schließlich mobilisieren NMI konkret, etwa bei Wahlen, wie im Folgenden gezeigt wird.

12.1 GESELLSCHAFTLICH-POLITISCHES BEWUSSTSEIN

Im Rahmen dieser Arbeit zeigte sich, dass die NMI auf verschiedenen Ebenen dazu beitragen, bei ihren Mitgliedern eine positive Einstellung zu politischer Partizipation und zivilgesellschaftlichem Engagement zu verankern. So wird bei Veranstaltungen und in Publikationen von den NMI auf die Bedeutung von politischem Engagement des Einzelnen hingewiesen:

„The actions of one committed individual can have a significant impact. Never underestimate the power of one.” (CAIR o.J. [2008], S. 23)

Die Beförderung vom Bewusstsein der Veränderbarkeit von Strukturen und Institutionen in der Gesellschaft durch ihre Mitglieder ist von zentraler Bedeutung. Nur wenn dieses Bewusstsein verbreitet ist, sieht der Einzelne einen Sinn darin, sich politisch zu engagieren. (Rosa 2006, S. 434) Teil III. Funktionen 240

In diesem Zusammenhang ist eine Redewendung von Maher Hathout von MPAC zu verstehen:

„Home is not where my grandparents are buried, but where my grandchildren will be raised.” (zitiert nach Lekovic, S. 4)

Die in die USA eingewanderten Muslime sollen demnach nicht mehr im Rückblick auf ihre Herkunftsländer fixiert bleiben – dem Bestattungsort ihrer Großeltern – sondern vielmehr ihre Aktivität auf die USA konzentrieren, dem Land, in dem zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Nachfahren geboren, aufwachsen und leben werden. 247 Das Diktum gilt als Motto von MPAC und wird auch außerhalb von MPAC von vielen US-Muslimen aufgegriffen, um auf die Wichtigkeit des politischen und zivilgesellschaftlichen Engagements hinzuweisen. Dieser Ende der 1990er Jahre geprägte Ausspruch ist nach Lekovic die einfachste Form, um die American Muslim Identity zu beschreiben, für die sich Hathout bereits seit den 1970er Jahren einsetzt. (ebd.)

Bert van den Brink hat diesen Denkansatz treffend damit beschrieben, „dass unsere Gesellschaft insofern immer auch unsere Gemeinschaft ist, als sie eine für uns unhintergehbare soziale Umwelt darstellt.“ (van den Brink 1995, S. 17f.) Es geht darum zu vermitteln, dass die Veränderung der Gesellschaft durch den Einzelnen nicht nur möglich ist, sondern eine normative Verpflichtung zum Handeln mit sich bringt, d.h. zur Schaffung angemessener Lebensbedingungen für sich und die nachkommenden Generationen.

Weil Appelle an die gesellschaftliche Verantwortung für die nachkommenden Generationen nicht bei allen Muslimen greifen,

247 Dieser Ansatz findet sich auch beim Politikwissenchaftler und Aktivisten Muqtedar Khan: „When we struggle for a better America, we struggle to ensure a better future for us and our children.” (Khan 2002, S. 36–37) Teil III. Funktionen 241

mit denen man in Kontakt trete, setze man laut Edina Lekovic auch auf eine zweite Argumentationslinie:

„Even if you don’t care about the future of this country, even if you are not bought into the idea that you have a responsibility to help your neighbors, that kind of things. If you are trying to help Muslims around the world, what´s the best place to do that? (…) We have a point of privilege - we as Americans. Who are our government officials are going to listen to if not their own citizens? If you don’t talk to your members of congress, you are not doing your job as a Muslim, to advocate for other Muslims around the world.” (Lekovic, S. 6)

Mit Blick auf die besondere weltpolitische Bedeutung der USA können Muslime demnach einen Beitrag leisten, um ihrer Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft der Muslime gerecht zu werden. 248 Das Engagement in außenpolitischen Belangen kann laut Shain zu einer Brücke werden, um Immigranten an innenpolitische Themen heranzuführen. (Shain 1999, S. 8, 209)

In der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass muslimische Organisationen in den USA nicht nur zur politischen Partizipation aufrufen, um eng gefasste muslimische Eigeninteressen durchzusetzen, sondern auch die Arbeit für das Gemeinwohl eine wichtige Stellung einnimmt. Die Frage, was eine „Muslim issue“ ist, hat sich in den letzten Jahren Agha Saeed zufolge deutlich ausgeweitet und umfasst zunehmend auch sozial- und

248 Mattson argumentiert, dass nicht nur Appelle, sondern vor allem die konkrete Arbeit im politischen System und daraus entstehende Erfahrungen von „positive change“ wichtig seien. Gerade bei Personen, die skeptisch gegenüber der US- amerikanischen Gesellschaft und seinem politischen System sind, tragen solch Erfahrungen dazu bei, dem Land offener gegenüber zu treten. (Mattson 2003, S. 208-209, 213) Diese Funktion von Interessenorganisationen – die konkrete Erfahrung Veränderungen herbeiführen zu können – bezeichnet Mark Warren mit dem Begriff „Efficacy“. (Warren 2001, S. 71) Teil III. Funktionen 242

umweltpolitische Themen, welche die Gesamtgesellschaft betreffen. (Saeed 2002, S. 53)

Auf den ISNA-Conventions werden regelmäßig Diskussionen zu zivilgesellschaftlichem Engagement für sozial Schwache, wie Hungernde und Obdachlose – und zu Umweltfragen geführt und zivilgesellschaftliche Projekte vorgestellt. Auf der lokalen Ebene haben sich zahlreiche Initiativen gebildet, welche sich unabhängig von der Religionszugehörigkeit um Bedürftige kümmern.249

In ihren Stellungnahmen unterstreichen die NMI, dass Engagement für das Gemeinwohl und für Schwache ein sich aus dem Islam ergebender Auftrag seien.250 So heißt es etwa bei CAIR:

„Your participation in public affairs protects Muslims and promotes good in society—reducing poverty, making quality medical care easily accessible, and ensuring everyone’s civil liberties. (…) Muslims should not limit their desire to promote good to any exclusive group. Muslims have strong values and family ethics to contribute to American culture. Good Islamic character compels us to care for others and show concern for their problems. Faith should compel us

to act in ways that benefit all people.” 251

249 So werden im ADAMS-Center in Virginia Kleider-Spendenaktionen und Essens-Sammelaktionen durchgeführt, welche an Bedürftige unabhängig von Religionszugehörigkeit verteilt werden. (Marro, S. 4 u. 7.) Muslimische Ärzte leisten kostenlos Dienst für Bedürftige in mindestens 27 sog. Free Clinics, wie der Ummah Clinic oder der Iman Clinic in Chicago, unabhängig von der Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung der Patienten. (Siehe Tahirah Cason, A Gift of Health, Muslim-run clinic provides free healthcare to Montgomery County residents, Islamic Horizons, November/December, S. 42- 43).

250 So etwa im Rahmen des Panels „The Best of Nations for the Benefit of Mankind“. (ISNA 2009b, S. 14) Dies bezieht sich auf einen Vers im Koran, nachdem die Muslime die beste Gemeinschaft sind. In dieser Formulierung wird deutlich gemacht, dass man diesen Vers nicht a priori verstehen sollte, sondern Muslime erst durch ihren Dienst an den Menschen diesen Status der besten Gemeinschaft erlangen.

251 Siehe CAIR-Homepage unter http://sun.cair.com/GovernmentRelations/VoterRegistration/WhyYouShouldVote. aspx. Teil III. Funktionen 243

CAIR, ISNA und MPAC haben im Jahr 2009 zur Teilnahme an der von US-Präsident Barack Obama initiierten Kampagne „United We Serve“ teilgenommen und Muslime landesweit dazu aufgerufen, vor Ort entsprechende Aktionen durchzuführen. Zu den vorgeschlagenen Aktionen seitens der NMI gehörten die Organisation von Suppenküchen, Spenden für Obdachlose oder kostenlose medizinische Behandlung für Bedürftige durch muslimische Ärzte.252

Die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements aus einer amerikanisch-muslimischen Perspektive wurde von Ahmed Rehab von CAIR-Chicago wie folgt beschrieben:

„For me for Islam to be really practicing our Islam correctly [sic!], it has to be social relevant. Muslims have to be socially relevant. This is also an American expectation, that good citizens are socially relevant. Not just cocooning into our own shell and say: Oh, we are attacked, we are victims. For me it is: We are educated, we work hard, we build ourselves up, we are self-empowering. (…) It is about constructive citizenship, building a better America.” (Rehab, S. 6)

Nach Rehab sollten Muslime sich gesellschaftlich engagieren, nicht nur um den Islam angemessen zu praktizieren, sondern auch, um seitens der Mehrheitsgesellschaft als eine Bereicherung angesehen zu werden.253

252 ISNA-Newsletter, 1.08.2009, ISNA Participates in United We Serve Initiative, Message from Dr. Ingrid Mattson; Muslims Asked to Support President's Community Service Appeal, 5.08.2009. CAIR hat zur Teilnahme an der Kampagne aufgerufen und gleichzeitig dies zum Teil ihres Projektes „Muslim Care“ gemacht, das bereits seit einigen Jahren durch Aktionen und Aufrufe zum stärkeren zivilgesellschaftlichen Engagement von Muslimen beitragen soll. (CAIR-Newsletter, 19.08.2009, CAIR Action Alert Nr. 587, Action: CAIR Asks Muslims to Join Ramadan Anti-Malaria Effort)

253 Im Gespräch mit Zahloul wurde auch darauf verwiesen, dass ein zivilgesellschaftliches Engagement von Muslimen dazu beitragen kann, dass sich die neuen Generationen von Muslimen besser in die Gesellschaft eingliedern können, da damit sowohl ihr Selbstverständnis als Muslime, als auch ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft positiv definiert sein wird. (Zahloul, S. 5-6)

Teil III. Funktionen 244

Die Arbeit muslimischer Organisationen für das Gemeinwohl wurde in den Interviews aber auch kritisch beleuchtet. So etwa vom muslimischen Aktivisten und Journalist Minhaj Hussein:

„(…) I’m concerned that sometimes it has more to do with PR [Public Relations, M.A.] then with real true care and concern for the welfare. This activity is very popular now, can food drive, giving at Thanksgiving and Christmas time. (…) Muslims all the Ramadan they collect a lot of can food, but they save it and give it out at Christmas. (…) It’s a better PR: All the homeless in the Christmas spirit. I think it´s a good work. But it needs to be consistent and needs to be folded into these big institutions like having a Zakat- [Religiöse Pflichtabgabe, M.A.] or Food-bank. Muslims are beginning to think slowly into that direction but it´s gonna take several more years.” (Hussein, S. 11)

Dieser Einschätzung zufolge würden Aktionen auch nach der zu erwartenden Berichterstattung konzipiert. Für ein wirkungsvolles Engagement bedarf es Hussein zufolge jedoch einer nachhaltigen Herangehensweise. Ibrahim Hooper von CAIR hat diese Kritik zurückgewiesen. Bei von CAIR initiierten Projekten in diesem Kontext gehe es darum, Muslime und muslimische Gemeinschaften vor Ort auf Themen aufmerksam zu machen und zum Handeln zu motivieren. Wenn dies zu positiver Medienberichterstattung führe, liege darin kein Widerspruch zu den Zielen dieser Aktionen. (Hooper, S. 2)

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die NMI über Publikationen und Veranstaltungen US-Muslime zu politischem und zivilgesellschaftlichem Engagement aufrufen und damit zu einer Bewusstseinsbildung beitragen, auf deren Grundlage politische Bildung und Mobilisierung erst greifen können.

Ähnlich formulierte es der Kongress-Abgeordnete André Carson in einer Rede bei der ISNA Convention. (46th ISNA Annual Convention: Life Liberty and the Pursuit of Happines, 3.-6. Juli 2009, Washington DC, Stand Up and Be Heard: Effective Strategies for Muslim Political Advocacy; Persönliche Teilnahme, M.A.) Teil III. Funktionen 245

12.2 POLITISCHE BILDUNG UND NACHWUCHSFÖRDERUNG

Die NMI tragen nicht nur dazu bei, dass Muslime in den USA ein Bewusstsein für die Bedeutung und Notwendigkeit politischer Partizipation entwickeln. Sie vermitteln auch Kompetenzen, über die Muslime auch praktisch in die Lage versetzt werden, sich politisch zu engagieren, etwa durch Nachwuchsförderung und Wissensvermittlung, durch Publikationen und Veranstaltungen.

So hat CAIR ein Civic Participation Handbook oder einen Congressional and Media Directory veröffentlicht mit Informationen darüber, wie man mit Politikern in Kontakt treten und seine Meinung gegenüber Medien artikulieren kann. (CAIR 2008, CAIR 2004c)254

Neben den Veröffentlichungen gibt es Veranstaltungen zur politischen Bildung, die von den NMI organisiert werden oder an denen Vertreter der Organisationen als Referenten teilnehmen. Corey Sailor von CAIR hat etwa an einem „Civic Empowerment and Advocacy Program”, das von ADAMS (einer großen Moscheegemeinde in Virginia/Maryland) organisiert wurde, teilgenommen und dort zur Frage referiert, wie man Kontakte zu Kongress-Abgeordneten aufbauen kann. 255 Auch bei den Annual

254 Siehe auch: Calling your Representatives, Best Practices for Calling Your Members of Congress (CAIR-Homepage, http://sun.cair.com/GovernmentRelations/ContactYourRepresentatives/TipsforCa llingaCongressionalOffice.aspx); Meeting with am Member of Congress, Best Practices for Participating in a Meeting with a Member of Congress (CAIR- Homepage, http://sun.cair.com/GovernmentRelations/ContactYourRepresentatives/Meetingw ithaMemberofCongress.aspx)

255 Der Beitrag von Corey Saylor (CAIR) stand unter folgendem Titel: „How to Develop a Relationship and get your Congressman to respond to our Concerns and local Congressional Score Card for Moran (D) Connolly (D), and Wolf (R)”. Weitere Referenten waren u.a.: Bob Marro, ADAMS Government Relations Chair; Mukit Hussain President Virginia Muslim Political Action Committee (VMPAC). All

Teil III. Funktionen 246

Conventions von ISNA in den Jahren 2008 und 2009 wurden – unter Beteiligung der NMI – zahlreiche Veranstaltungen angeboten, die sich mit konkreten Fragen politischer und zivilgesellschaftlicher Partizipation befassten.256

Der Chicago Council on Global Affairs hat in seinen Empfehlungen zur politischen Partizipation von amerikanischen Muslimen auf die Bedeutung von Leadership- und Praktika-Programmen für die politische Inkorporation von Muslimen in den USA hingewiesen. Zugleich wurde auf die Mitarbeiterentwicklung innerhalb von muslimischen Organisationen durch Fortbildungen und die Übertragung von Verantwortung an junge Menschen als zweiten wichtigen Aspekt von Nachwuchsförderung hingewiesen. (The Chicago Council on Global Affairs 2007, S. 63–67)

Die interne Nachwuchsförderung stellt bei MPAC eine Priorität dar. Die Mitarbeiter sind mit 25-35 Jahren im Vergleich zu den anderen hier untersuchten NMI nicht nur sehr jung, sondern auch überwiegend weiblich. 257 Soweit dies von außen beurteilt werden kann, führen sie ihre Arbeitsbereiche in Washington DC

Dulles Area Muslim Society (ADAMS), Civic Empowerment and Advocacy Program, 22.02.2009.

256Dazu gehörten bei der ISNA-Convention 2008 folgende Präsentationen und Diskussionen: 1. „Election 2008: Understanding the Issues and Getting Involved in the Process“; 2. „Mobilizing the Muslim Political Machine: Effective Strategies for Community-Based Political Advocacy”; 3. „Promoting Civic Engagement”; 4. „Gearing up for the 2008 Elections: Making Your Vote Count“; 5. Muslim Public Servants: Exploring a Career in Politics“. (ISNA 2008b) Bei ISNA-Convention 2009 gab es u.a. folgende Panels: 1. „Stand Up and Be Heard: Effective Strategies for Muslim Political Advocacy”; 2. „ How to be an Effective Community Organizer: Grassroots Politics 101 for Political Activists and Advocates”; 3. „ Muslims in Successful Political Campaigns: From School Boards to US Congress”; 4. „Culture and Politics: Strategies of Self-Empowerment”; 5. „ Getting Results: Legislative Advocacy”. (ISNA 2009b).

257 10 von 14 Mitarbeitern (auf der Webseite von MPAC mit Bild vorgestellt) im Jahr 2009 waren weiblich. (siehe Our Staff, MPAC, http://www.mpac.org/about/staff-board) Auch fällt auf, dass einige der Mitarbeiterinen kein Kopftuch tragen, was auf die Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe hinsichtlich religiös begründeter Kleidervorschriften hinweist. Teil III. Funktionen 247

eigenständig und tragen damit für ihr Alter eine sehr hohe Verantwortung. Die Mitarbeiter erhalten zudem Zugang zu Weiterbildungsprogrammen. So hat Safia Ghori am American Muslim Civic Leadership Institute (AMCLI) teilnehmen können, einem Programm für junge muslimische Führungskräfte am Center for Religion and Civic Culture der University of Southern California. Dies hat sie nach eigenen Angaben positiv in ihrer Entwicklung geprägt:

„Develop personal leadership skills, (…) to assess the state of our organizations, to figure out the challenges that we are facing and to really deal with those challenges. (…) It was really a self-assessment but also an organizational assessment. (….) All for us where working for the same cause, to better the state of Muslims in America. It was a great experience.” (Ghori, S. 2)

Ghori konnte durch das AMCLI-Programm ihre persönlichen Führungsqualitäten verbessern und der Austausch zu anderen jungen Muslimen mit ähnlichen Zielen hat sie in ihrer Motivation bestärkt, sich weiter für die Integration von Muslimen in den USA einzusetzen.

Den Gründern von MPAC ist es laut Lekovic wichtig, nicht „political animals“ heranzuziehen, sondern die politischen Fertigkeiten sollen auf einem islamischen Wertfundament basieren. Ein muslimisches Wertfundament ist nach Lekovic eine Voraussetzung, um in muslimischen Gemeinschaften zu Fragen wie Demokratie, Wahlen, Kooperation mit Nichtmuslimen und der Rolle von Frauen in der Gemeinschaft überhaupt wirksam werden zu können. Vor dem Hintergrund wird für die MPAC-Mitarbeiter ein wöchentliches religiöses Fortbildungsprogramm angeboten, bei dem man aus dem Koran liest und aus einer religiösen Perspektive über aktuelle politische Debatten und Herausforderungen reflektiert. Das Programm wird für die Mitarbeiter in Washington DC per Satelliten- Teil III. Funktionen 248

Konferenzschaltung wöchentlich von Maher Hathout durchgeführt. (Lekovic, S. 5)

Es kann hier festgehalten werden, dass MPAC im Vergleich zu CAIR und ISNA mehr in Personalentwicklung investiert und dabei einer jungen Generation von (weiblichen) Muslimen die Möglichkeit gegeben wird, Führungspositionen zu übernehmen und sich zu entfalten. Dies kann als eine besondere Stärke von MPAC gesehen werden. Andere Organisationen beschreiben das Thema zwar als bedeutend, haben bisher aber kaum konsistente Programme dazu entwickelt.

Mit Blick auf die Nachwuchsförderung über die Organisationsgrenzen hinaus bietet MPAC Praktikumsplätze für Studierende an. Sie erhalten die Möglichkeit, an Forschungsprojekten zu arbeiten, an Pressekonferenzen und Sitzungen mit Entscheidungsträgern teilzunehmen, Protokolle zu verfassen oder die Vorbereitung von Veranstaltungen zu unterstützen. 258 Durch diese verbandsinterne Partizipation erhalten junge Muslime Einblicke in die Funktionslogik des politischen Systems. (Sebaldt, Strassner 2004, S. 66–67)

Im Folgenden soll näher auf die Leadership-Programme für junge Muslime in Washington DC eingegangen werden. 259 Im Rahmen

258 2009 Summer Internship Program - apply today, MPAC News, 12.02.2009. (Siehe auch den positiven Erfahrungsbericht der Praktikantin Dina Chehata: MPAC 2009, S. 11)

259 Auf das „Prince Alwaleed Bin Talal – ISNA Fellowship“, das jährlich zehn Studierenden ermöglicht, ein Programm zum Management von Non-Profit- Organisationen am Indidana University Center on Philanthropy zu absolvieren, soll hier nicht weiter eingegangen werden, da es nicht vom ISNA-Interfaith Office in Washington DC organisiert wird. Im ISNA-Stipendium für dieses Programm werden 11 000 Dollar an Studiengebühren übernommen, und zudem erhält man 1000 Dollar pro Monat für Lebenshaltungskosten. (Siehe http://www.isna.net/events/Special-Announcement/HRH-Prince-Alwaleed-Bin- Talal-ISNA-Fellowship-Program.aspx; siehe auch: Suzanne Smith: Trained to Serve, Kingdom Foundation supports training for Muslim graduate students

Teil III. Funktionen 249

dieser Arbeit hat sich gezeigt, das MPAC hier eine zentrale Rolle einnimmt. 260 MPAC organisiert seit dem Jahr 2007 die jährlich stattfindenden National Muslim American Young Leaders (NMYL) - Summits. Hierzu können sich junge muslimische Studierende und Berufsanfänger bewerben. Die schließlich ausgewählten fünfundzwanzig Jugendlichen haben während des fünftägigen Programms die Möglichkeit mit Abgeordneten, Vertretern der Exekutive und Think Tanks ins Gespräch zu kommen.261

Ziel dieses MPAC-Programmes ist, neben Informationsvermittlung über den politischen Prozess das „commitment to civic engagement“ zu vertiefen und die Entwicklung von Netzwerken unter politisch interessierten jungen Muslimen zu ermöglichen. (Tarin, S. 13)262 Beim NMYL-Summit im Juli 2009 gehörten dazu Gespräche mit Senator Russ Feingold und den Abgeordneten Keith Ellison und André Carson aus dem Repräsentantenhaus; außerdem Treffen mit Mitarbeitern des Weißen Hauses, des Justice Departments, des Department of Homeland Security, der Brookings Institution und mit Muslimen, die auf Capitol Hill arbeiten.

specialzing in nonprofit management, philanthropy, and related field, von, Islamic Horizons, July/August 2009, S. 12-13) Mit dem personell gut ausgestatteten ISNA Leadership Development Center am Haupsitz in Plainfield in Indiana werden eine Reihe von Programmen umgesetzt. Das ISNA-LDC ist mit einem Geschäftsführer und zwei Mitarbeitern ausgestattet. Die Programme sind vor allem auf Imame, Seelsorger und Gemeindeführer ausgerichtet und umfassen Fortbildungen in den Bereichen Non-Profit Management, Medien und Politik. (ISNA 2007, S. 2 u. 8; ISNA Leadership Development Center 2005; Safi 2009)

260 Bei CAIR und MASFF hat dieser Bereich nur eine untergeordnete Rolle gespielt. CAIR musste ein bestehendes Fellowship-Programm aus Mangel an Ressourcen einstellen. (Saylor, S. 7)

261 Die Gebühr für den Summit beträgt 500 Dollar, womit alle Unkosten wie Flüge, Übernachtungen und Konferenzmaterialien abgedeckt sind. Laut Tarin wird diese Gebühr oft von den lokalen muslimischen Gemeinden der Teilnehmenden übernommen. (Tarin, S. 13)

262 Siehe auch Artikel von Hassan Dudar, Teilnehemer am Summit 2009. (MPAC Leadership Summit Engages and Inspires young Muslim Americans, MPAC News, 18.07.2009) Teil III. Funktionen 250

Ein Höhepunkt des Programms in 2009 war für eine Auswahl der Teilnehmer des NMYL-Summits ein Treffen mit dem (afroamerikanischen) Generalstaatsanwalt Eric Holder in Los Angeles. In dem Gespräch ging es um Möglichkeiten für junge Muslime, im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Zugleich haben die Jugendlichen auch die Verbesserung des Bürgerrechtschutzes für amerikanische Muslime thematisiert.263

MPAC hat sich im Feld der Nachwuchsförderung im politischen Kontext in den muslimischen Gemeinschaften Anerkennung erarbeitet, wie im Interview mit dem Vorsitzenden des Council of Islamic Organizations of Greater Chicago (CIOGC) deutlich wurde. Er hat darauf hingewiesen, dass man die Zusammenarbeit mit MPAC in diesem Bereich ausweiten will, da die Organisation über eine Expertise im Bereich „leadership training“ verfüge, welche die CIOG nicht habe. 264 Nationale Organisationen wie MPAC können demzufolge mit ihrer Expertise in bestimmten Feldern für lokale und regionale Organisationen Leistungen erbringen, die diese selbst ihren Mitgliedern nicht bereitstellen können. Das bestätigt die Bedeutung von bundesweit agierenden Interessenorganisationen für die politische Bildung vor Ort. (Berry 1999, S. 389–390)

Für Tarin sind die NYML-Summits eine der „major achievements“ von MPAC, auf die man stolz sei:

„They [Teilnehmer der Summits, M.A.] are able to go back to their communities and really take on an advocacy position. A lot of them go into policy, working for government, coming out of that program.

263 Das Treffen fand statt im Rahmen eines Gesprächs des Generalstaatsanwalt mit etwa 100 jungen Muslimen aus Südkalifornien in der Omar Ibn Al Khattab Foundation in Los Angeles. (Attorney General Holder Holds Historic Meeting with Muslims at L.A. Mosque, MPAC News, 22.07.2009)

264 Weitere relevante Themenfelder für Kooperationen seien Public Policy und Medienarbeit. (Zahloul, S. 6) Teil III. Funktionen 251

That’s a major achievement in making sure that the Young Muslim American community has the platform to be able to integrate into civic and political life.” (Tarin, S. 13)

Bei einer Diskussionsveranstaltung auf der ISNA-Convention 2008 berichtete eine Teilnehmerin eines MPAC-Leadership Programms davon, wie es sie motiviert habe, sich politisch zu engagieren und sie sich daraufhin im Alter von 21 Jahren zur Wahl für einen City Council stellte.265

MPAC sieht sich, wie Lekovic es formulierte, als einen „incubator for talent”. (Lekovic, S. 11-12) Ziel dabei sei es:

„(…) to expand our representation beyond spokespersons and empower new voices using all available and creative platforms. (…) and provide a voice of young Muslim Americans leaders to decision makers and opinion-shapers.” (MPAC 2009, S. 12)

Diese Nachwuchsförderung betreibt MPAC dabei nicht in erster Linie, um die jungen Muslime als Arbeitskräfte zu gewinnen, sondern um sie zu befähigen, sich auch außerhalb ihres Verbands zu etablieren und muslimische Repräsentation zu erweitern.

Über die Ausbildung von gesellschaftlich-politischem Bewusstsein und politischer Bildung hinaus tragen die NMI auch zu einer „Rekrutierung und Sozialisation“ von Nachwuchs für gesellschaftliche und politische Positionen bei. (von Alemann 1989, S. 188) Erreicht wird dies zum einen über die Leadership- Programme und zum anderen, indem ihre eigenen Mitarbeiter sich so weiterentwickeln können, dass sie sich für andere Aufgaben

265 Der Auftritt von Shejeah bei der ISNA-Convention wurde unter großem Applaus angekündigt und ihr Engagement vom Abgeordneten Keith Ellision besonders gewürdigt. (Mobilizing the Muslim Political Machine: Effective Strategies for Community-Based Political Advocacy, ISNA Convention 2008; Persönliche Teilnahme, M.A.) City Councils haben in der US-amerikanischen Politik deutlich mehr Kompetenzen und Ressourcen als Stadträdte in den Kommunalverfassungen der Bundesrepublik, daher ist die Kandidatur der jungen Muslimin in ihrer Bedeutung höher zur veranschlagen. Teil III. Funktionen 252

empfehlen, etwa im öffentlichen Dienst oder bei Think Tanks. So hat Ahmed Younis als National Director des MPAC Büros in Washington DC (2004-2007) gearbeitet, bevor er als Senior Researcher zu Gallup ging. Safia Ghori, die 2009 bei MPAC Governmental Relations Director war, wurde als Analystin für Südasien beim United States Commission on International Religious Freedom angestellt.266

CAIR, MPAC und ISNA setzen sich explizit dafür ein, dass Muslime sich für den öffentlichen Dienst (public service) bewerben. So erhalten etwa bei der ISNA-Convention Ministerien, Regierungsagenturen und auch das Militär sowohl im Basar-Bereich an Informationsständen als auch im Rahmen des inhaltlichen Programms die Möglichkeit, neue Mitarbeiter anzuwerben und sich im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen vorzustellen. Zudem wird auch von den NMI bei Konferenzen dazu aufgerufen, Stellen im öffentlichen Dienst anzunehmen.267

266 Bereits wenige Monate nach Antritt der neuen Stelle wurde Ghori entlassen. Nach Angaben der Washington Post wurde Ghori von einem neuen Geschäftsführer nach ihren Ansichten über den Mittleren Osten und Israel befragt – eine Region, die nicht zu ihrem Arbeitsbereich gehört - und dabei seien die Antworten nicht in seinem Sinne ausgefallen. Ghori, die gegen die Kündigung gerichtlich vorging, vermutete, dass ihre muslimische Zugehörigkeit und Arbeit für MPAC eine Rolle bei der Kündigung spielten. (Siehe: Agency that monitors religious freedom abroad accused of bias, 17.02.2010, http://www.washingtonpost.com/wp- dyn/content/article/2010/02/16/AR2010021605517.html?sid=ST201002170024 1)

267 Nihad Awad (CAIR) hat bei der ISNA Convention im Jahr 2009 Muslime dazu aufgerufen, sch bei der neuen Obama-Adminstration zu bewerben. (46th ISNA Annual Convention: Life Liberty and the Pursuit of Happines, 3.-6. Juli 2009, Washington DC; Stand Up and Be Heard: Effective Strategies for Muslim Political Advocacy; Persönliche Teilnahme, M.A.) Folgende Institutionen haben sich bei den ISNA-Conventions 2008 und 2009 an Infoständen präsentiert und an Diskussionen teilgenommen: Department of Justice, United States Agency for International Development, State Department und das Department of Homeland Security. Siehe auch folgende Panels: „Muslim Public Servants: Exploring a Career in Politics” (ISNA 2008b, S. 44; „Government Outreach to the Muslim American Community“, dies., 03.07.2009, S. 44) Teil III. Funktionen 253

Im Rahmen dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass es für die Arbeit von Muslimen im öffentlichen Dienst in Washington DC mit dem Muslim Public Service Network (MPSN) und der Congressional Muslim Staffers Association (CMSA) zwei weitere wichtige Organisationen gibt. Die beiden Organisationen arbeiten auch mit den NMI zusammen und sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Das Muslim Public Service Network ist ein 1994 begründetes Fellowship Programm und bietet jährlich einer Gruppe von zwanzig muslimischen Studierenden während ihres Praktikumsaufenthalts in Washington DC kostenlosen Wohnraum und ein ideelles Begleitprogramm an. Ziel ist es, sie zur Arbeit in öffentlichen Funktionen zu motivieren.268 Bis zum Jahr 2009 hatte das MPSN bereits um die 250 Alumnae, von denen inzwischen eine beträchtliche Zahl in öffentlichen Institutionen arbeitet. Der bisher bekannteste Teilnehmer des Programms ist Rashad Hussein, der seit Februar 2010 US-Sonderbotschafter bei der Organisation der Islamischen Konferenz ist.269

268 Nach Williams sei es gerade bei Muslimen - aus kulturellen und historischen Gründen – schwierig, diese für die Arbeit im öffentlichen Dienst zu gewinnen, da ihre Eltern vor allem die Bereiche Medizin und Ingenieurswesen bevorzugten. Die Initiative wurde vom kalifornischen Ehepaar Maghroob und Iffat Quraischi ins Leben gerufen und war bis zum Jahr 2004 unter dem Namen Muslim Student Network bekannt. Die Fellows müssen sich eigenständig und erfolgreich um einen Praktikumsplatz in der Hauptstadt bewerben, dabei soll das Praktikum explizit nicht in einer muslimischen Institution absolviert werden, da man davon ausgeht, dass dort bisher die Professionalität noch nicht angemessen entwickelt ist. (Williams, S. 1-2 u. 10)

269 Hussein war Fellow des MPSN im Jahr 2000. (Siehe auch: Rashad Hussain, a Muslim and new U.S. envoy, is bridge between two worlds, Washington Post, 1.03.2010, http://www.washingtonpost.com/wp- dyn/content/article/2010/02/28/AR2010022801912.html?hpid=topnews) Minha Hussein (eine Alumni aus dem Jahre 1995) wurde im Jahr 2008 zum Muslim American Outreach Coordinator im Wahlkampfteam von Barack Obama ernannt. Eine weitere Auswahl von Programmteilnehmern, die jetzt in öffentlichen Institutionen arbeiten, findet sich online. (siehe Alumni Profiles: http://www.muslimpublicservice.org/node/55) Teil III. Funktionen 254

Die Congressional Muslim Staffers Association ist ein Zusammenschluss von Mitarbeitern, die im Kongress und auf Capitol Hill (z.B. Library of Congress) tätig sind.270 Der Hintergrund für die Entstehung war zum einem, dass seit dem Jahr 2000 im Kellergeschoss des Capitols das muslimische Freitagsgebet organisiert wird. 271 Zum anderen kam es nach 9/11 zu einem erhöhten Informationsbedarf rund um das Thema Islam. So entstand nach Angaben des Initiators, dem Afroamerikaner Jameel Aalim-Johnson die CMSA im Jahr 2006, um Abgeordnete und ihre Mitarbeiter über Entwicklungen und Diskussionen im In- und Ausland rund um das Thema Islam zu informieren. (Aalim-Johnson, S. 1-2).272

Auch die CMSA hat sich zur Aufgabe gemacht, Muslime für Anstellungen im öffentlichen Dienst zu werben. So hat man nach den Präsidentschaftswahlen einen Aufruf gestartet, um „Muslims and people of Color“ gezielt für frei gewordene Stellen im legislativen Bereich anzuwerben und damit die Diversität auf Capitol Hill zu erhöhen. (Williams, S. 4-5) Dieser Aufruf wurde von MPAC und ISNA über ihre Newsletter verbreitet und die NMI

270 Jede Staffer Association braucht einen Abgeordneten als „Sponsor“. Diese Funktion hat Gregor Meeks übernommen, für den Aalim-Johnson arbeitete. (Williams, S. 2-3)

271 Regelmäßig habe ich an den Freitagsgebeten als Beobachter teilgenommen. Neben den CMSA Mitgliedern nehmen auch die Mitarbeiter der NMI, muslimische Mitarbeiter von Think Tanks und nationale und internationale Besucher an diesem Gebet teil, insgesamt etwa 80-120 Personen. Dabei ist dies nicht nur eine religiöse Veranstaltung. Im Anschluss werden Veranstaltungshinweise gegeben und es war auch ein wichtiger Ort, um Kontakte für die im Rahmen dieser Arbeit geführten Interviews zu knüpfen.

272 Dazu werden verschiedene Veranstaltungen organisiert: CMSA Public and International Affairs Briefing Series, Muslim Americans: An In-Depth Analysis Through Gallup Polling of America's Most Diverse Religious Community, mit Dalia Mogahed, Gallup Center for Muslim Studies, 20.04.2009, Washington DC. Im Jahr 2008 wurde zum Abschluss des Ramadan ein Fastenbrechen auf Capitol Hill organisiert, an dem 800 Gäste aus Politik und Gesellschaft teilgnommen haben. (Persönliche Teilnahme, M. A.) Teil III. Funktionen 255

nehmen darüber hinaus auch als Referenten bei Veranstaltungen des MPSN und des CMSA teil. (Muslim Public Service Network 2011, S. 5 u. 9).273

12.3 DIE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN 2008

„I'm not the strapping young Muslim socialist I used to be.” (Scherz von Barack Obama beim White House Correspondents' Dinner im April 2013, knapp ein halbes Jahr nach seiner Wiederwahl)

Im Umfragen hat sich gezeigt, dass US-Muslime einerseits von allen Religionsgemeinschaften das höchste Vertrauen in die Ehrlichkeit von Wahlen („honesty of elections“) haben, doch andererseits liegt ihre Wahlbeteiligung deutlich unter dem US- Durchschnitt. Die Wahlbeteiligung von Muslimen bei den Präsidentschaftswahlen 2008 (64%) hat sich im Vergleich zur Beteiligung im Jahr 2004 (58%) gesteigert, bleibt jedoch immer noch unter dem US-amerikanischen Durchschnitt von 76% im Jahr 2008. (Pew Research Center 2007, S. 47; Pew Research Center 2011, S. 56)

Der Hauptgrund für die niedrigere Partizipation liegt nach Angaben von Gallup darin, dass es unter den Muslimen deutlich mehr Vertreter der ersten Migrantengeneration gibt als in anderen Migrantengruppen und US-Muslime zudem gemessen an der Aufenthaltsdauer in ihrer jeweiligen Stadt weniger etabliert sind. (Abu Dhabi Gallup Center 2011, S. 23 u. 25)

Im Rahmen dieser Untersuchung konnte die Arbeit der NMI während des Präsidentschaftswahlkampfes 2008 beobachtet

273 Der Aufruf der CMSA sich für Stellen im Congress zu bewerben wurde von ISNA und MPAC unterstützt und über deren Newsletter versendet. (ISNA- Newsletter, 22.11.2008, CMSA Requesting Resumes for 111TH Congress, MPAC- Newsletter, 21.11.2008, Opportunities on Capitol Hill) Teil III. Funktionen 256

werden. Dabei haben sich drei Prozesse gezeigt, die für die politische Inkorporation von US-Muslimen von besonderer Bedeutung sind. Die NMI haben bei den Präsidentschaftswahlen auf verschiedenen Wegen versucht, die Teilnahme von US-Muslimen an den Wahlen zu befördern. Es hat sich zum zweiten gezeigt, dass die Obama-Kampagne vor allem über nichtöffentliche Kanäle versucht hat, muslimische Wähler zu gewinnen und muslimische Organisationen dabei eine Multiplikatorenfunktion einnahmen. Als Drittes hat sich gezeigt, dass die Wahl Obamas von US-Muslimen unterstützt und mit großen Hoffnungen auf einen Neuanfang in ihren Beziehungen zur Regierung verbunden wurde.

Zunächst muss auf die Facetten dieses Wahlkampfes eingegangen werden, in denen der Islam eine Rolle spielte. So war ein dominierendes Thema des Wahlkampfes die angebliche Zugehörigkeit des bekennenden Christen Barack Obama zum Islam.274

Die Falschinformation über Obamas Zugehörigkeit zum Islam wurde dabei von politischen Gegnern gezielt gestreut, um ihn über den Islam mit religiös motiviertem Terrorismus in Verbindung zu bringen. So hat etwa der Clarion Fund etwa 28 Millionen Exemplare des Films „Obsession: Radical Islam‘s War against the West“ kostenlos als Beilage in Zeitungen verteilt. Der Film sollte den Gerüchten um Barack Obamas Zugehörigkeit zum Islam neuen Aufwind geben und damit die Wahl zugunsten von John McCain beeinflussen. Nach dem Jahrestag des 11. September im Jahr 2008 wurde diese etwa 50 Millionen Dollar teure Aktion mit einem

274 Ein Hintergrund ist hierbei, dass sowohl Barack Obamas nigerianischer Vater als auch sein indonesischer Stiefvater einen muslimischen Hintergrund hatten. (Zur Berichterstattung zu diesem Thema siehe: How the News Media Covered Religion in the General Election, Obama Gets Most Coverage, Much of It on False Rumor He Is a Muslim, The Pew Forum on Religion and Public Life, 20.11.2008, http://www.pewforum.org/Politics-and-Elections/How-the-News-Media-Covered- Religion-in-the-General-Election.aspx) Teil III. Funktionen 257

Schwerpunkt in den wahlentscheidenden sog. „Swing States“ durchgeführt.275

Die antimuslimischen Momente im Präsidentschaftswahlkampf 2008 waren so offensichtlich, dass der Republikaner Colin Powell (Außenminister im ersten Kabinett von George W. Bush 2000- 2004) sich in einem Fernsehinterview veranlasst sah, die rhetorische Frage in den Raum zu werfen: „Is there something wrong with being a Muslim in this country?“. Powell nutzte die Gelegenheit, um öffentlich Vertreter aus dem republikanischen Lager für ihre Rhetorik gegen Muslime zu kritisieren. Diese Rhetorik käme nach Powell einem Generalverdacht gleich, der es den US- Muslimen erschwere, sich mit den USA zu identifizieren. Dies sei unangemessen, da sich Muslime als Bürger für das Gemeinwohl in den USA einsetzten und auch als Soldaten im Krieg US- amerikanische Interessen wahren würden.276

275 Der Clarion Fund soll enge Verbindungen zur zionistischen Bildungsorganisation Aish HaTorah mit Hauptsitz in Jerusalem unterhalten. (Some Answers On Clarion, And Still Some Questions, National Public Radio, 7.10.2008, http://www.npr.org/blogs/secretmoney/2008/10/clarion_answers_some_questio ns.html) Die Interfaith Alliance, eine 1994 begründeten Organisation, welche zu den größten interreligiösen Organisationen in den USA gehört, hat im Oktober 2008 als Reaktion eine Pressekonferenz organisiert, bei dem die Vertreter verschiedener religiöser Gemeinschaften den Film verurteilten. In der Pressekonferenz distanzierte Rabbi Jack Moline, der Vorsitzende der Interfaith Alliance sich von der DVD, „entschuldigte“ sich für die jüdische Beteiligung am Film und machte deutlich, dass dieser nicht aufkläre, sondern alle Muslime zum Feindbild erkläre. Zahlreiche Vertreter christlicher Gruppen bezeugten ihre Solidarität mit den „muslimischen Geschwistern“. Syeed als Vertreter von ISNA zeigte sich beeindruckt von den Solidaritätskundgebungen und brachte zum Ausdruck, dass er stolz auf die amerikanische pluralistische Gesellschaft sei. („Interfaith Leaders to speak out against Anti-Muslim DVD“, The Interfaith Alliance Foundation, 7.10.2008, Washington DC; Persönliche Teilnahme, M.A.)

276 Das Interview hat eine große Medienresonanz erfahren, vor allem da Powell darin seine Unterstützung für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama bekannt gab. ('Meet the Press' transcript for Oct. 19, 2008, Former Secretary of State Gen. Colin Powell [Ret.], http://www.msnbc.msn.com/id/27266223/#.TyhezoHhcqM) Teil III. Funktionen 258

Die Stellungnahme von Powell wurde in den muslimischen Gemeinschaften sehr positiv aufgenommen:

„He [Powell, M.A.] said: What if he was [Muslim, M.A.]. That was critical. At that time nobody was speaken on this issue. Everybody was apologetic that he was a Muslim or not. He said what’s wrong with that. That was very bold, very powerful assertion from his part, and we admire him for that.“ (Syeed, S. 2)

Die im Wahlkampf transportierten Vorurteile wurden selbst auf Seiten der Demokraten kaum problematisiert. Obamas Wahlkampfteam hat vielmehr versucht, öffentlichen Kontakt zwischen dem Präsidentschaftskandidaten Obama und Muslimen zu vermeiden. So hat man nicht nur eine Einladung zur ISNA Convention – immerhin die größte Konferenz von US-Muslimen überhaupt – unbeantwortet gelassen, sondern auch bei einer Wahlkampfveranstaltung gezielt Muslime entfernt. 277 Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Detroit im Juni 2008 wurden zwei junge muslimische Frauen mit Kopftuch aus dem Publikum hinter dem Rednerpult, an dem Barack Obama sprechen sollte, entfernt mit der Begründung, man wolle wegen dem „political climate“ mit entsprechenden Fernsehbildern keinen falschen Eindruck bei den Zuschauern hervorrufen.278

277 Der Politikberater Suhail Khan hat im Auftrag von ISNA die Einladungen an die Wahlkampfteams zu einem Auftritt bei der ISNA Convention 2008 in Columbus, Ohio den Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain überreicht. McCain ließ die Anfrage ebenfalls unbeantwortet. (Khan, S. 2)

278 Muslims barred from picture at Obama event, 18.06.2008, (siehe http://www.politico.com/news/stories/0608/11168.html) Das Wahlkampfteam von Barack Obama entschuldigte sich im Nachhinein für dieses Verhalten der Helfer. Kurz nach dem Kopftuch-Vorfall wurde zunächst der muslimische Rechtsanwalt Mazen Asbahi zum Muslim American Outreach Coordinator ernannt, musste bereits nach drei Wochen jedoch seinen Rücktritt einreichen, nachdem das Wall Street Journal über angebliche Beziehungen Asbahis zu sog. Islamisten berichtete. Asbahi wies die Vorwürfe als konstruiert zurück. (Asbahi, S. 1-3) Teil III. Funktionen 259

Bei verschiedenen Veranstaltungen, die im Rechercheprozess für diese Arbeit besucht wurden, wurde kontrovers darüber diskutiert, ob Muslime bei den Wahlen für einen Kandidaten stimmen sollten, der zu ihnen auf Distanz gehe und sich nicht mit den geäußerten Vorurteilen gegen den Islam und die Muslime auseinandersetze. In der Diskussion überwog die Auffassung, dass man für Obama Verständnis aufbringen müsse. Er könne sich nicht auf das Thema Islam einlassen, das von seinen Kritikern hochgespielt werde. Die Wahl eines Afroamerikaners sei vielmehr eine historische Chance, die von Muslimen unterstützt werden sollte.

Trotz der Reserviertheit zeigten sich beim Obama-Team Bemühungen, muslimische Wählerstimmen zu gewinnen. So wurde im August 2008 Minha Hussein in das Wahlkampfteam von Obama als Muslim American Outreach Coordinator aufgenommen. Kurz nach der Ernennung von Hussein kam es auf ihre Initiative hin zu einem nichtöffentlichen Treffen mit 30 muslimischen Führungspersönlichkeiten in Virginia, darunter Nihad Awad von CAIR und Mahdi Bray von MASFF. Nachdem Informationen über dieses Treffen an die Öffentlichkeit gerieten, kam es zu einer Welle von Kritik gegen Barack Obama, da die Vertreter dieser Organisationen in Medienberichten pauschal als „Islamisten“ bezeichnet wurden.279 Nach Angaben von Hussein hat man seitens des Obama-Wahlkampfteams in der Folge auf weitere Treffen mit muslimischen Organisationen verzichtet und stattdessen auf Verbindungspersonen gesetzt. 280 Dazu gehörten Abdulmalek Mujahed, Begründer von Muslim Democrats und Mazen Basrawi.

279 Das Treffen mit den muslimischen Führungspersönlichkeiten fand am 15.09.2008 in Sterling, Virginia statt. (Siehe: Obama's Staff Slips Up With Muslim Outreach, 10.10.2008, http://online.wsj.com/article/SB122360316634321799.html)

280 Gespräch mit Minha Hussein, 27.06.2009, Washington DC. Teil III. Funktionen 260

Beide besuchten Veranstaltungen von Muslimen und warben für die Wahl von Barack Obama.281

Seitens des Obama-Teams gab es auch Versuche, über die Moscheen Muslime als Wähler anzusprechen. Dies konnte von mir bei einem Festgebet mit mehreren tausend Teilnehmern am Ende des Fastenmonats Ramadan in Arlington, Virginia beobachtet werden. 282 Nach Abschluss des Gebets wurde Hady Amr von Verantwortlichen der Moscheegemeinde als ein Aktivist aus dem Wahlkampfteam von Barack Obama vorgestellt. Amr hat dann die Anwesenden auf ihre staatsbürgerliche Verantwortung hingewiesen und sie aufgefordert, bei den anstehenden Wahlen an die Urnen zu gehen. Auch wenn nicht explizit zur Wahl von Obama aufgerufen wurde, war doch offensichtlich, für welchen Kandidaten Amr warb und für wen man stimmen sollte.283

Die zunehmende Bedeutung von Moscheen für den Austausch zwischen Politikern und Muslimen und damit auch für die politische Partizipation ist auch in anderen Interviews zu Tage getreten. So

281 Nach Abdulmalik Mujahed hat die Organisation Muslim Democrats in den fünf Swing States eine Datenbasis von 300 000 muslimischen Wählern aufbauen können. Ein anderer Helfer im Wahlkampf war Mazen Basrawi, der ehrenamtlich Community Organizing bei muslimischen Gemeinschaften im Großraum Washington DC betrieb. Nach der Wahl wurde Basrawi zum Arab-American and Muslim-American Liaison for the 56th Presidential Inaugural Committee ernannt und war in dieser Funktion auch zuständig für die Einladung der ISNA- Präsidentin Ingrid Mattson. Basrawi ist von der Ausbildung her ein Rechtsanwalt. Er ist blind und war bei den Veranstaltungen in Begleitung seines Blindenhundes nicht zu übersehen. Basrawi wurde später im Justice Department angestellt als Counsel im Office of the Assistant Attorney General for Civil Rights Disability. (Gespräch mit Mazen Basrawi am 29.06.2009 in Washington DC)

282 Das Festgebet wurde von der Moscheegemeinde Dar Al-Hijrah in Falls Church, Virginia organisiert. Aufgrund hoher Besucherzahlen wurde das Festgebet in einen Hotelkomplex in Arlington ausgelagert.

283 Hady Amr war bereits für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore als Ethnic Outreach Coordinator aktiv. Ein Sprecher der Wahlkampagne bestätigte den Kontakt zu Muslimen über Moscheegemeinden. (Obama's Staff Slips Up With Muslim Outreach, 10.10.2008, http://online.wsj.com/article/SB122360316634321799.html) Teil III. Funktionen 261

gibt es etwa im ADAMS-Center in Sterling, Virginia, einem der größten muslimischen Zentren an der Ostküste seit dem Jahr 2000 eine Government Relations Abteilung. Dem zum Islam konvertierten Abteilungsleiter Bob Marro zufolge besuchen regelmäßig zu den Freitags- und Festgebeten Politiker die Moschee, um sich zu präsentieren. Inzwischen erhalte man so viele Anfragen, dass man aus organisatorischen Gründen gar nicht mehr allen nachkommen könne. (Marro, S. 2-5)

Die Rolle von Moscheen im Zusammenhang mit politischer Partizipation ist bisher wenig erforscht. Amaney Jamal hat erstmals in einer bahnbrechenden Studie die Rolle der Moscheen untersucht mit dem Ergebnis, dass diese als „mobilization vehicle and school of civic participation” anzusehen seien. (Jamal 2004, S. 521) Auch gibt es Hinweise darauf, dass der regelmäßige Besuch bzw. das Engagement in einer Moschee mit einer höheren Partizipation an Wahlen einhergehe.284

Insgesamt bleiben die Wirkungszusammenhänge bisher jedoch wenig erforscht, während die Bedeutung christlicher Kirchen für die politische und zivilgesellschaftliche Partizipation in der amerikanischen Politikwissenschaft bereits vielfach untersucht worden sind. (Verba et al. 1995 ; Schlozman et al. 1999, S. 454; Wuthnow 1999; Djupe, Olson 2007a)

Mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf waren die NMI aktiv, um Muslime an die Wahlurnen zu bringen. Zum einen hat man ganz praktisch Muslimen Informationen zum Wahlprozess und die

284 Das Gallup Center hat einen Zusammenhang zwischen Moscheebesuchen und politischer Partizipation (Registrierung zur Wahl, Arbeit für Regierung bzw. Öffentlichen Dienst, Militärdienst und Parteizugehörigkeit) aufgezeigt. So waren amerikanische Muslime, die nach eigenen Angaben nur selten religiöse Veranstaltungen besuchen, deutlich weniger in der Kategorie mit einer hohen politischen Partizipation vertreten (22%) als Muslime, die mindestens einmal wöchentlich religiöse Veranstaltungen besuchen (40%). (Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 46) Teil III. Funktionen 262

politischen Positionen der Kandidaten nahe gebracht. Zum anderen wurde auch durch theologische Argumente untermauert, weshalb die Teilnahme an den Wahlen von Bedeutung ist.

Nach dem o.g. Festgebet mit Beteiligung des Obama- Kampagnenmitarbeiters wurden die Besucher nach Verlassen des Gebäudes von CAIR-Mitarbeitern dabei unterstützt, sich als Wähler registrieren zu lassen. Die Wählerregistrierung ist eine Besonderheit des amerikanischen Wahlsystems, da es kein einheitliches Personenregister gibt. Insbesondere bei Gruppen mit unterdurchschnittlicher Wahlteilnahme wie den Muslimen ist die Registrierung eine Hürde, die vor der Wahlteilnahme überwunden werden muss. 285 Informationen zur Wählerregistrierung und zum Wahlprozess sind hier geeignete Mittel, um die Schwelle zur Stimmabgabe zu senken. Solche Informationen wurden auch über die Website von CAIR angeboten, bei Veranstaltungen wurden Publikationen zu diesem Thema verteilt. (Council on American Islamic Relations 2002).286

MPAC hat für die Mobilisierung zu den Wahlen im Rahmen seiner „Activate 08 Election Campaign“ 20.000 Telefonanrufe bei muslimischen Wählern getätigt und 16 000 Postkarten als Wahl- Erinnerung versendet. (MPAC o.J. [2009a], S. 4) 287 MPAC hat

285 Ausführliche Informationen zum Thema Wählerregistrierung finden sich auch auf der Website von CAIR. (Registering to Vote, http://sun.cair.com/GovernmentRelations/VoterRegistration/RegisteringtoVote.a spx)

286 Conducting a Voter Registration Drive, (http://sun.cair.com/GovernmentRelations/VoterRegistration/ConductingaVoterR egistrationDrive.aspx) Get out the Vote, (http://sun.cair.com/GovernmentRelations/VoterRegistration/GetOuttheVote.asp x)

287 Ehrenamtliche wurden dazu aufgerufen, sich an den Telefonaktionen zu beteiligen. Sie wurden m DC Office und LA Office und in Pennsylvania und New York City, zwischen dem 19.-26. Oktober 2008 durchgeführt. („MPAC Organizes

Teil III. Funktionen 263

zudem 24 „Rock the Muslim Vote - Election Forums“ vor allem in den Swing States Virginia, Pennsylvania und Ohio mit insgesamt etwa 2000 Teilnehmern organisiert, von denen ein großer Teil Multiplikatoren aus den muslimischen Gemeinschaften vor Ort waren. 288 Bei den Foren wurden Informationen über den Wahlprozess vermittelt und die Positionen der Präsidentschaftskandidaten entlang von Themen aus dem „Election Guide“ von MPAC diskutiert: Nationale Sicherheit und Bürgerrechte, Wirtschaft, Irak-Krieg sowie das Verhältnis der USA zur muslimisch geprägten Welt.

Es gab hier ein Zusammenspiel von lokalen Moscheevereinen und NMI. Dies zeigt, dass die nationalen Organisationen mit ihrer Expertise und Kampagnen Einfluss auf die lokale Ebene nehmen können, wie es bereits für das Verhältnis zwischen christlichen Kirchengemeinden und Interessenorganisationen belegt wurde. (Foley et al. 2001, S. 230, 237-239)

Neben den Informationen zum Wahlprozess und der Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Positionen der Kandidaten wurden auch theologische Positionen veröffentlicht, die Muslime zur Teilnahme an den Wahlen motivieren sollten:

„As Muslims, we believe that the message of Islam is sent as guidance to humankind for the betterment of life everywhere (Quran 34:28, 21:107). In American society, the most effective way for Muslim Americans to share their values, the values of Islam, is through participation in its democracy. American civil society is a

Phone Banking Efforts in Critical Last Weeks of Presidential Election“, www.mpac.org/article.php?id=719, 17.10.2008)

288 Die Kampagne wurde in New York in Anwesenheit von Keith Ellison und Imam Suheib Webb mit 250 Teilnehmern eröffnet. MPAC o.J.[2009], S. 48 (siehe „Join MPAC for Election Forums in OH & Pennsylvania“, www.mpac.org/article.php?id=722, 20.10.2008; Ohio: Dayton Mercy Society, Islamic Center of Greater Cincinnati, Noor Cultural Center; Pennsylvania: Al- Aqsa Islamic Society, Foundation for Islamic Education, University of Pennsylvania, Islamic Center of Leigh Valley, MPAC-Newsletter, 28.10.2008) Teil III. Funktionen 264

dynamic institution shaped by the participation of its members. As Muslims, the Quran encourages us to engage with any project that seeks to do good (5:2). In America this project is society, which can be improved by our participation within it. (…) We cannot not [sic!] sit idly by and let others make the decisions that affect all of us. (…) We, as Muslim Americans, believe that making our voice heard is a duty upon us, and in a democracy that voice becomes audible primarily by voting. Voting is not just allowed by Islam, it is

mandated by it.”289 (MPAC o.J. [2008], S. 20)

Auch bei der Eröffnung der ISNA-Convention 2008 in Columbus, Ohio - traditionell mit der Freitagspredigt - hat der damalige Vice President von ISNA Imam Mohamed Magid die Muslime aufgefordert, sich politisch und zivilgesellschaftlich zu engagieren sowie bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen von ihrer Wahlstimme Gebrauch zu machen, und untermauerte dies durch islamische Bestimmungen.290

Die ISNA-Convention 2008 stand unter dem Motto „A time for Change“. Offiziell galt das Motto dem Ramadan als einer Zeit der spirituellen Erneuerung. Da der Begriff „Change“ in den Wahlkampfslogans von Barack Obama eine zentrale Rolle spielte und die Wahlen bevorstanden, war die Namensgebung wohl nicht zufällig. Auch wenn bei der Konferenz seitens ISNA als Veranstalter keine Wahlempfehlung für einen bestimmten Kandidaten abgegeben wurde - was zum Verlust ihres Status als steuerbegünstigte Organisation hätte führen können - war das Votum der meisten Redner eindeutig. So rief etwa Hamza Yusuf, einer der einflussreichsten muslimischen Intellektuellen und Prediger in den USA – ganz offen und unter großem Applaus dazu

289 Vom MPAC-Election Guide wurden 15.000 Exemplare verteilt. Die Verweise auf den Quran enthalten in der ersten Zahl zum einen die Nummer des Kapitels (Sura) und dann die Nummer des Verses.

290 Persönliche Teilnahme, M.A. Teil III. Funktionen 265

auf, Barack Obama wegen seiner Anti-Kriegspositionen zu wählen.291

Die von der ISNA-Convention ausgehende Botschaft war insgesamt sehr eindeutig: Möglichst viele Muslime sollten an den Wahlen teilnehmen und Barack Obama wählen. Die Multiplikatoren, die zu hunderten, wenn nicht tausenden an der Convention teilnehmen, sollten diese Botschaft ins Land und in die lokalen Gemeinden tragen. Bei der Konferenz sprachen mit Keith Ellison und André Carson auch ausschließlich demokratische Politiker. Sie riefen, wie nicht anders zu erwarten, auch unter großem Applaus dazu auf, Barack Obama zu wählen.292

Als am 4. November 2008 Barack Obama dann zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA gewählt wurde, hatten 92% der muslimischen Wähler für ihn gestimmt, während nur 4% der muslimischen Wähler für den republikanischen Kandidaten John McCain stimmten. (Pew Research Center 2011, S. 54).293 Nachdem im Jahr 2000 der republikanische Präsidentschaftskandidat George W. Bush noch von etwa der Hälfte der muslimischen Wählerschaft gewählt wurde, gab es im Jahr 2004 einen deutlichen Umschwung ins demokratische Lager. Dieser Trend hat sich im Jahr 2008 weiter verstärkt und kann im Wesentlichen auf die schlechte Bewertung

291 Hamza Yusuf, A Time for Reflection: A Journey of 45 years, ISNA-Convention 2008. (Persönliche Teilnahme, M.A.)

292 Mobilizing the Muslim Political Machine: Effective Strategies for Community- Based Political Advocacy, ISNA-Convention 2008 (Persönliche Teilnahme, M.A.)

293 Zu einem ähnlichen Ergegbnis kommt eine von der American Muslim Taskforce on Civil Rights and Elections (AMT) in Auftrag gegebene Umfrage, mit 89% für Obama, und 2% für McCain. (American Muslim Taskforce on Civil Rights and Elections 07.11.2008, S. 1). Auf den demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry entfielen im Jahr 2004 82,3% der muslimischen Stimmen, auf Bush nur 6,7%. Im Jahr 2000 hingegen (nach der Ankündigung des Bloc Votes und die Empfehlung durch die nationalen muslimischen Organisationen, den Republikaner George W. Bush zu wählen) fielen 47,6% der Stimmen auf Bush, während der Demokratische Kandidat Al Gore nur 36% der Stimmen erhielt. (Djupe, Green 2007, S. 233) Teil III. Funktionen 266

von George W. Bushs Amtsführung zurückgeführt werden. Insbesondere gehören hierzu die Kriegseinsätze in Afghanistan und Irak sowie Diskriminierungserfahrungen, die sich aus den unter Bush in Kraft getretenen Sicherheitsgesetzen ergeben haben. (Pew Research Center 2011, S. 54)

Die Wahl Barack Obamas wurde von den NMI gefeiert, man gratulierte dem neuen Präsidenten und bot sich als Partner für die neue Administration an.294 CAIR hat am Tag vor der Inauguration mit weiteren muslimischen Organisationen einen „Peace Dove Release“ organisiert. Dabei wurden vierundvierzig Tauben – symbolisch für die bisherigen US-Präsidenten – freigelassen, um der Hoffnung nach einer friedlicheren Welt mit dem neuen US- Präsidenten Ausdruck zu verleihen.295

Die Freude der US-Muslime über die Wahl Barack Obamas hat sich auch darin gezeigt, dass erstmals eine „Muslim Inauguration Gala“ am Vorabend der Amtseinführung organisiert wurde. Bei der Veranstaltung sprachen Abgeordnete wie Keith Ellison und Dennis Kucinich oder auch Dawud Walid, der afroamerikanische Executive Director von CAIR-Michigan. Viele politische Aktivisten mit einem muslimischen Hintergrund waren anwesend und feierten den historischen Sieg des ersten afroamerikanischen Präsidenten. Man brachte damit jedoch auch die Freude darüber zum Ausdruck, dass

294 CAIR-Newsletter, 5.11.2008: CAIR congratulates President-elect Obama; MPAC-Newsletter, 5.11.2008: MPAC congratulates President-elect Barack Obama.

295 CAIR-Newsletter, 16.01.2009, Muslims to Mark Inauguration with Peace Dove Release, DC Open House. Die Veranstaltung wurde von der American Muslim Taskforce organisiert und fand am 19.01.2009 vor der ältesten afroamerikanischen Moschee der Stadt statt. (Persönliche Teilnahme, M.A.) Teil III. Funktionen 267

sich die Muslime in bisher noch nicht dagewesenem Maße an den Wahlen beteiligt hatten.296

Bei der Inauguration schließlich – an der die ISNA-Präsidentin Ingrid Mattson teilnahm – hat sich Barack Obama dann, nach vielen Monaten des Schweigens erstmals zu US-Muslimen geäußert:

„For we know that our patchwork heritage is a strength, not a weakness. We are a nation of Christians and Muslims, Jews and

Hindus, and non-believers.”297

Diese Erwähnung wurde von den muslimischen Organisationen als eine Anerkennung der in den USA lebenden Muslime begrüßt.298 Für Syeed hat der Präsident damit deutlich gemacht: „Muslim Americans are an important constituency of American pluralistic society.“ (Syeed, S. 2)

Syeed zufolge ist es die „highest recognition“ gewesen, auf die man gewartet habe und es sei ein Symbol dafür, dass sich die USA nicht mehr exklusiv als jüdisch-christliches Land, sondern als „judeo- christian-muslim country“ definiere. (ebd.)299

Diese Formen der Anerkennung können in den Worten Will Kymlickas zu einer „transcendent identity“ beitragen. Diese

296 Die Veranstaltung fand am 19.01.2009 im Thurgood Marshall Building in Washington DC statt, das sich im afroamerikanischen Viertel „Shaw neighborhood“ befindet, und nach dem ersten afroamerikanischen Richter am Supreme Court benannt ist. (Persönliche Teilnahme, M.A.)

297 President Barack Obama's Inaugural Address, 20.01.2009. (Homepage des Weißen Hauses, http://www.whitehouse.gov/blog/inaugural-address)

298 MPAC News, Celebrating our historic 44th President, 20.01.2009.

299 Die Rede von Präsident Obama einige Monate später an der Universität von Kairo haben US-Muslime auch sehr positiv aufgenommen. Es verwundert deshalb nicht, dass die Zustimmung von Muslimen für die Arbeit des Präsidenten für die ersten beiden Amtsjahre deutlich höher ausfällt, als es für den Durchschnitt der US-Bevölkerung zutraf. (Pew Research Center 2011, S. 54) Teil III. Funktionen 268

Identität kann Minderheiten in die politischen und sozialen Institutionen integrieren, in dem Unterschiede anerkannt und in die bestehenden Institutionen akkommodiert werden. Am Ende stünde im Idealfall, „that citizens from different backgrounds can all recognize themselves, and feel at home, within such institutions.” (Kymlicka, Norman 2000, S. 14)

Die Wahl Obamas wurde von CAIR und mit der Hoffnung verbunden, mit dem neuen Präsidenten und seiner Administration eine neue Zusammenarbeit zu beginnen.300 In der Folge hat sich CAIR mehrmals positiv zu Maßnahmen und Positionen von Präsident Obama geäußert, so wurde seine Kairoer Rede im Juni 2009 als „comprehensive, balanced and forthright address“ bewertet. 301 Trotz der Ankündigung von Generalstaatsanwalt Holder, die Beziehungen zu amerikanischen Muslimen zu verbessern und ihre Bürgerrechte besser zu schützen, konnten für das Jahr 2009 keine substantiellen Verbesserungen im Verhältnis zwischen CAIR und der Regierung beobachtet werden.302

Zusammenfassend können mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen zwei Ergebnisse festgehalten werden. Zum einen haben die NMI durch Bereitstellung von Informationen, Organisation von Veranstaltungen, durch Appelle und theologische Begründungen,

300 „We look forward to partnering with the Obama administration to help defend civil liberties and to project to the world the best of our nation’s universal, constitutional and pluralistic values of freedom and justice.” (CAIR Elects N.C. State Senator Larry Shaw as Board Chair, 3.03.2009, http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=25745&&name=n &&currPage=22)

301 siehe CAIR-Homepage (http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=25953&&name= n&&currPage=19; CAIR Calls President’s Cairo Speech ‘Comprehensive, Balanced and Forthright’)

302 Attorney General Eric Holder on Department of Justice’s Outreach and Enforcement Efforts to Protect American Muslims (Homepage des Justizministeriums, http://www.justice.gov/ag/speeches/2009/ag-speech- 090604.html) Teil III. Funktionen 269

versucht, Muslime zur Teilnahme an Wahlen zu mobilisieren. Zum anderen hat sich gezeigt, dass die erstmalige prominent platzierte Teilnahme eines muslimischen Vertreters bei der Inauguration, die Erwähnung von Muslimen in der Rede des Präsidenten bei dieser Amtseinführung und die Inklusion von Muslimen am National Prayer Service am nächsten Tag eine Anerkennung von US- Muslimen darstellen. In den Worten von ISNA:

„(…) a new level of recognition and inclusion of American Muslims in politics and public life.” (ISNA 2009a, S. 13)

Die Anerkennung von US-Muslimen durch den Präsidenten ist ein Ausdruck davon, dass man die neue religiöse Pluralität anerkennt und bereit ist, sein Selbstverständnis einem „Prozess der Selbst- und Neuerfindung“ zu unterziehen, wie es Charles Taylor nennt. Nach Taylor müssen sich demokratische Gesellschaften diesen Prozessen „fortlaufend“ unterziehen:

„Sie werden ihr Selbstverständnis immer wieder neu definieren, um neue Menschengruppen aufnehmen zu können, und sie werden ihre tradierte politische Kultur immer wieder Revisionen unterwerfen, um neue Identitäten zuzulassen, gleich ob diese sich innerhalb der eigenen Gesellschaft herausbilden oder von Neuankömmlingen mitgebracht werden.“ (Taylor 2002, S. 39)

Gleichzeitig wird es bei aller Anerkennung von Unterschieden für wichtig erachtet, dass in einer pluralistischen Gesellschaft ein Zusammenhalt entsteht und die unterschiedlichen Identitäten nicht zu einer Verdrängung einer gemeinsamen Staatsbürgerschaftlichkeit führen:

„In such a society, where there is no common citizenship identity bridging or transcendenting the various group identitities, politics is likely to be reduced to a mere modus vivendi amongst groups that barely tolerate, let alone co-operate with, each other. There is little hope for the sort of mutual understanding, deliberation, trust, and Teil III. Funktionen 270

solidarity required by a flourishing democracy.” (Kymlicka, Norman 2000, S. 35)

13. INTEGRATION

Neben primären Integrationsinstanzen wie Familie und sekundären wie Schule und Jugendarbeit, haben Interessenverbände eine zentrale Bedeutung bei der langfristigen und komplexen Integration des Bürgers in den Staat:

„Sie bauen das Individuum in Vermittlungsprozesse ein, bieten ihm die Möglichkeit für seine Interessen zu streiten, und verdeutlichen ihm die Komplexität einander gegenüberstehender Interessen.“ (Sebaldt 2004, S. 64)

Dabei unterscheidet Sebaldt zwischen der „sozialen Integration“ und der „politischen Integration“. Mit sozialer Integration ist die „(…) immaterielle, geistig-diffuse Komponente“ gemeint, etwa die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls, das zur Gruppenbildung führt. Die politische Integration meint hingegen

„(…) den konkreten Prozess, in dessen Verlauf die Bürger als Bestandteil gesellschaftlicher Gruppen Loyalitätsbeziehungen zum Staat entwickeln.“ (Sebaldt, Strassner 2004, S. 64)

Darauf aufbauend soll im folgenden Teil analysiert werden, wie die NMI durch soziale und politische Integration zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen.

Bereits genannte Befunde aufgreifend wird hier genauer aufgezeigt, wie NMI dazu beitragen, dass US-Muslime auf drei Ebenen eine American Muslim Identity entwickeln. Zum einen, indem sie über ihre ethnische Identität hinaus eine gemeinschaftliche Identität als US-amerikanische Muslime entwickeln und zum anderen, indem sie die Identifikation von US-Muslimen zu den USA mit ihrem politischem System (im Sinne von Verfahren, Grundrechten und Teil III. Funktionen 271

ihrer politischen Kultur) stärken. Zum Dritten befördern sie die Verbundenheit mit der US-amerikanischen Zivilreligion und den Patriotismus unter Muslimen.

13.1 AMERIKANISCH-MUSLIMISCHE IDENTITÄT

Eine Voraussetzung zum Aufbau von Identifikation mit dem politischen Gemeinwesen für eine Gruppe ist, dass die jeweilige Gruppe selbst über eine gemeinschaftliche Identität verfügt. Die kollektive Identität ermöglicht es dem Individuum, Sinn und Orientierung in der Welt zu schöpfen, befähigt es intentional zu Handeln und Werte in den politischen Prozess einzubringen. (Rosa 2006, S. 69)

Eine solche Identität ermöglicht es einer Gemeinschaft, „dem Differenten (…) angstfrei, positiv und kreativ zu begegnen“ (ebd., S. 67) So werden die Voraussetzungen für politische Partizipation geschaffen und die Möglichkeit, sich mit Bürgern und Gruppen auszutauschen, die über eine andere Weltanschauung oder Identität verfügen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und sich über enge Eigeninteressen hinaus für das Wohl anderer einzusetzen. Die soziale und politische Integrationsfunktion von Interessenverbänden ist gerade in pluralistischen Gesellschaften von besonderer Bedeutung.

Seit der Gründung der Muslim Students Association – Nukleus der heutigen muslimischen Organisationsstrukturen (siehe Kap. 3.3) in den 1970er Jahren hat es über ethnische Grenzen hinweg eine Zusammenarbeit von Muslimen gegeben. Ein wichtiger Faktor sind die Rahmenbedingungen, die man in den USA vorgefunden hat. Kollektive religiöse Identitäten sind „one of the primary ways of structuring internal societal pluralism in American history.“ (Casanova 2007, S. 67) Wie von Herberg gezeigt wurde, wird von Teil III. Funktionen 272

Immigranten bzw. ihren Nachfahren geradezu erwartet, dass sie ihre Religion beibehalten und durch Religion bzw. religiöse Organisationen einen Platz in der amerikanischen Gesellschaft einnehmen.

Muslime in den USA haben insofern günstige Bedingungen vorgefunden, um auf der Grundlage von Religion in den USA eine Identität herauszubilden, bei der unterschiedliche ethnische Hintergründe an Bedeutung verlieren:

„In the melting pot of the United States, the edge of ethnic, linguistic, and cultural particularities of immigrant Muslims has already begun to be blunted. This is especially true concerning a good number of immigrant Muslims who have entered the second or the third generation of their residence here.” (Ansari 2004, S. 261)

Diese Identifikation über ethnische Grenzen hinweg findet sich auch auf der Ebene der Moscheen, die zu hunderten zwischen 1980 und dem Jahr 2000 entstanden sind. In Umfragen zeigt sich, dass nur etwa ein Fünftel der Muslime in den USA in eine Moschee gehen, die von einer ethnischen Gruppe dominiert wird. (Djupe, Green 2007, S. 219).

Die übergroße Mehrheit der US-Muslime sucht demnach ethnisch gemischte Moscheegemeinden auf. Während also „der Sonntagmorgen die segregiertesten Stunden der U.S. Gesellschaft darbiete“ (da Afroamerikaner und Weiße Amerikaner fast völlig getrennt die Kirchen besuchen), könnten Moscheen hingegen „hinsichtlich ihrer ethnischen Pluralität fast allen Kirchen und Synagogen zum Vorbild dienen.“ (Prätorius 2004, S. 175–176).

Die NMI selbst definieren sich deutlich über ethnische Grenzen hinweg. Der Gegensatz zu ethnisch basierter politischer Arbeit zeigt sich im Vergleich zu Organisationen von Arab-Americans, etwa dem American-Arab Antidiscrimination Committee oder dem Arab American Institute, welche die ethnische Zugehörigkeit zum Teil III. Funktionen 273

Ausgangspunkt haben und deren Führung und Mitglieder überwiegend aus christlichen Arabern bestehen. (Haddad 2004a, S. 22-23)

Bei den Konferenzen und Veranstaltungen der NMI zeigt sich, dass eine effektive Kommunikation durch Englisch als Verkehrssprache gewährleistet ist. (Ansari 2004, S. 261) Auch die Themen richten sich an Muslime unabhängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Der Fokus liegt auf dem Leben von Muslimen in den USA und der Entwicklung einer American Muslim Identity. Laut Iqbal Unus gab es diesen USA-Fokus nicht von Anfang an. Noch bis Mitte der 1990er-Jahre haben ausländische Referenten die ISNA- Konferenzen dominiert. Seitdem gäbe es jedoch den Trend, dass immer mehr in den USA verwurzelte muslimische Gelehrte an den Konferenzen teilnehmen, die in der Lange sind, den amerikanischen Kontext in ihrer Auslegung des Islam zu berücksichtigen. (Unus, S. 5)

Dabei ist auffällig, dass die in den USA aufgewachsene Generation junger Muslime dabei mit Blick auf die Herkunftsländer ihrer Elterngeneration selbstbewusst auftritt. Sie beanspruchen, für sich selbst politische Entscheidungen zu treffen und sehen sich nicht als Anweisungsempfänger von islamischen Gelehrten aus muslimisch geprägten Ländern. Dies wird in der folgenden Aussage von Ahmed Rehab (CAIR-Executive Director in Chicago) deutlich:

„I‘m not Anti-East or Anti-Middle East. I still interact with them, but as peers, I don’t receive spiritual knowledge or dictation from the Middle East. Islam is global and can be applied anywhere, it’s up to us to understand how to apply it here in a way that is healthy, that maintains its basics, yet is able to match and jells with the mainstream society in a pluralistic fashion. I do believe, I think that is very possible (…) I’m actually very strong against the idea that this is something to be left to the Sheikh [Religionsgelehrte, arab. M.A.], this is not the area of the Shuyukh. If a Sheikh has studied 25 years Teil III. Funktionen 274

in the best schools of Islam in Medina or Mekka, he is absolutely not qualified to engage in this discussion, despite his massive knowledge of Islamic text, it is not about that. It is about understanding the complex socio-political issues that affect Muslim-west relations. They are not qualified. I do not trust their feedback. I do not want it. Their Fatwa [religiöses Gutachten, arab., M.A.] for me does not belong to this area.” (Rehab, S. 3-4)

Laut Cesari besitzen US-amerikanische im Unterschied zu europäischen Muslimen keinen „inferiority complex“ und äußern sich selbstbewusst zu ihrer Stellung im neuen Ankunftsland. (Cesari 2004, S. 181)

Dabei wurde in den Interviews immer wieder die Notwendigkeit deutlich, eine American Muslim Identity zu entwickeln, um den nachkommenden Generationen die Möglichkeit zu geben, den Islam im amerikanischen Kontext leben zu können. Laut Unus, einem der Pioniere im Aufbau muslimischer Organisationen in den USA, beruht die Motivation von US-Muslimen zur „Indigenisierung“ ihres Glaubens darin, dass man dem Islam den Vorzug vor Traditionen und kulturellen Elementen des Herkunftslandes geben sollte, um ihn überhaupt an die nachkommenden Generationen weitergeben zu können. Eine Neuausrichtung war notwendig, die sich von kulturellen Prägungen der Heimatländer löste und sich auf den Islam als normatives System in der US-amerikanischen Gesellschaft konzentrierte, insbesondere in den muslimischen Bildungseinrichtungen. Dazu gehört etwa, dass man die Weitergabe des Islam in englischer Sprache praktiziert und damit der Herkunftssprache der Eltern weniger Gewicht beimisst. (Unus, S. 5) Es kommt etwa darin zum Ausdruck, dass man sich bei der Auswahl von Wochenendangeboten auf solche konzentriert, in denen der Islam in englischer Sprache den Kindern leicht verständlich vermittelt wird. Teil III. Funktionen 275

Diese Zurückstellung der Heimatsprache ist für Eltern der ersten Migrationsgeneration nicht einfach, da sie bedeuten kann, einen wichtigen Teil ihrer Identität und Verbundenheit mit dem Herkunftsland aufzugeben. US-Muslime haben hier wohl mit Blick auf ihren hohen Bildungsgrad eingesehen, dass die Weitergabe des Islam an ihre Kinder für sie wichtiger ist und in der Abwägung auf die Betonung von Sprache und Herkunftskultur verzichtet, um den nachkommenden Generation die Herausbildung einer (amerikanisch-) muslimischen Identität zu ermöglichen.

Auch im Gespräch mit Edina Lekovic von MPAC ist die Bedeutung einer American Muslim identity für die Zukunft der in den USA aufwachsenden Muslime zum Ausdruck gekommen:

„Home is not where my grandparents are buried, but where my grandchildren will be raised. I think that the American-muslim- identity is rooted in the future and in our investment in the future of Islam and the future of our country. (Lekovic, S. 5)

Es geht danach darum, langfristig angemessene Lebensbedingungen zu schaffen, da der Einsatz für das Gemeinwohl auch den eigenen Nachfahren zugutekommen wird.303

13.2 DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTSVERSTÄNDNIS

Im Rahmen dieser Arbeit wurde deutlich, dass sich die NMI zu Demokratie, Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten bekennen. Diese sind ihrem Verständnis nach bereits im Islam

303 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit diese Prozesse von der lokalen Ebene vor Ort ausgehen und dann von den NMI auf der nationalen Ebene einfach aufgenommen und gespiegelt werden, oder ob die NMI selbst diese Entwicklungen auf der lokalen Ebene durch ihre Arbeit (mit-)beeinflussen. Dies kann im Rahmen dieser Arbeit nicht im Einzelnen beantwortet werden. Allerdings hat Casanova darauf hingewiesen, dass in den USA die Identität einer Religionsgemeinschaft auf der nationalen Ebene eine zentrale Bedeutung zukommt und sich dies auf die lokale Ebene auswirkt. (Casanova 2007, S. 73) Teil III. Funktionen 276

verankert, wobei die freiheitlichen Bedingungen in den USA dazu beitragen, dass Muslime diese Facetten des Islam offen leben können. Es ist nur konsequent, dass die politische Praxis der NMI immer wieder in unterschiedlicher Weise (durch Kampagnen, politische Bildung, interreligiöse Begegnungsarbeit, Aufrufe zur politischen Teilnahme, Anti-Diskriminierungspolitik usw.) an diese Grundwerte anknüpft. Damit bestärken sie nicht nur die Legitimation dieser Grundwerte, sondern zeigen unmissverständlich für die allgemeine Öffentlichkeit ihre Vereinbarkeit mit dem Islam auf.

Im Folgenden soll anhand einiger Beispiele die Positionierung der NMI zu diesen Themen beleuchtet werden. So heißt es bei MPAC zur repräsentativen Demokratie:

„The basic notions of representative democracy, equality under the law, and the freedoms of expression, press, and assembly, are central to the creed of Islam; upholding and defending them are likewise central to being socially responsible.” (MPAC o.J.b)

Dabei wird die Menschenwürde aus dem Quran abgeleitet und unabhängig von religiöser oder sonstiger Zugehörigkeit als schützenswert bezeichnet304:

„Human dignity as explained to us in the Qur’an is a guarantee of human rights while simultaneously affording the same for the ‘other’”. (MPAC o.J.b)

Neben der Menschenwürde wird Freiheit als zweiter wichtiger Pfeiler betont. So ergibt sich für MPAC Freiheit aus dem Quran und

304 Siehe auch: MPAC-News, 25.07.2009, Healthcare for all. Das Thema Menschenwürde war bei ISNA das Motto der ISNA-Convention 1998. („Muslims for Human Dignity”) Teil III. Funktionen 277

der Lebensweise des Propheten Muhammad, wozu der freie Wille des Menschen, Meinungs- und Religionsfreiheit gehören.305

Dabei wird insbesondere Religionsfreiheit – die in den USA einen hohen Stellenwert genießt – auch aus dem Islam heraus begründet. Dies ist von besonderer Bedeutung, da in muslimisch geprägten Ländern bis heute die Zulässigkeit des Religionswechsels für Muslime umstritten ist. So heißt es bei CAIR zur Religionsfreiheit:

„Islam advocates both freedom of religion and freedom of conscience, a position supported by verses in the Quran; Islam's revealed text (…) Religious decisions should be matters of personal choice, not a cause for state intervention. Faith imposed by force is not true belief, but coercion. Islam has no need to compel belief in its divine truth. (…)”306

Religions- und Gewissensfreiheit sind demnach im Islam verankert und grundsätzlich kein Bereich, in den der Staat intervenieren sollte. Mit Blick auf die innermuslimische Debatte zur Religionsfreiheit verweist CAIR auf die Position muslimischer Theologen, wonach bestimmte Aussagen in der islamischen Tradition nicht geeignet sind, um gegen die Religionsfreiheit zu argumentieren, sondern im historischen Kontext interpretieret werden müssen. Danach zielten die fraglichen Aussagen darauf ab, „Hochverrat“ zu sanktionieren, was auch in modernen rechtsstaatlichen Gesellschaften eine Straftat darstelle. (ebd.)

Im Rahmen dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass die NMI sich nicht nur zu Demokratie, Religions- und Meinungsfreiheit bekennen,

305 An eye on Iran's historical Crossroad. (MPAC-Newsletter, 26.06.2009)

306 CAIR Position Statement – Islam and Apostasy, 29.09.2009 (siehe CAIR_Hompage, http://sun.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=26091&&name=n &&currPage=16) Teil III. Funktionen 278

sondern sich dafür auch konkret einsetzen. Die NMI engagieren sich für die Durchsetzung dieser Prinzipien auch außerhalb der USA und unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Betroffenen. So rief ISNA angesichts gewalttätiger Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen in Nigeria dortige muslimische Führungspersönlichkeiten dazu auf, „to respect religious diversity and human dignity“.307 So haben CAIR, ISNA und MPAC sich auch für Meinungsfreiheit im Iran eingesetzt und die iranische Regierung aufgefordert, festgenommene Oppositionelle und Journalisten freizulassen. 308 MPAC hat die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi mit seinem Annual Human Security Award geehrt, um ein Zeichen zu setzen für ihre Menschenrechtsarbeit im Iran.309

MPAC hat die Folterung eines afghanischen Immigranten durch ein Mitglied der Königsfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate sehr deutlich verurteilt. 310 Im Jahr 2009 hat sich MPAC gegen ein in Afghanistan verabschiedetes Familiengesetz ausgesprochen, mit dem Gewalt gegen Frauen in einer Ehe legitimiert und totaler Gehorsam gegenüber dem Mann festgeschrieben wurde. Ein solches Verhalten, das gesetzlich gedeckt werden sollte, wurde von MPAC als „patriarchal and un-Islamic practice“ verurteilt.311

307 ISNA-Newsletter, 20.01.2010, ISNA Calls on Muslims and Christians in Nigeria to End Riots.

308 ISNA-Newsletter, 16.09.2009, ISNA Calls on the Iranian Government to Release Journalists and Human Rights Activists (Dabei ging es um Ebrahim Yazdi, Freedom Movement of Iran); CAIR, U.S. Muslim Organization Calls on Iran to Release Journalist, 10.04.2009 (Cair-Homepage, http://www.cair.com/ArticleDetails.aspx?mid1=777&&ArticleID=25850&&name= n&&currPage=1)

309 MPAC News, Afghan Law violates islamic human rights norms, 7.04.2009; MPAC News, 30.09.2009, Nobel Peace Prize Winner Shirin Ebadi to receive MPAC's 3rd Annual Human Security Award.

310 MPAC-News, 8.05.2009, Torture is appalling, no matter the Perpetrator.

311 MPAC-News, 7.04.2009, Afghan Law violates islamic human rights norms. Teil III. Funktionen 279

Dieses internationale Engagement zeigt einerseits, dass die NMI ein universales Verständnis dieser Freiheiten entwickelt haben und diese nicht bloß partikularistisch-instrumentell als Hebel verstehen, um ihre eigene Situation in den USA zu verbessern. Andererseits kann das Engagement den Weg ebnen für eine künftige wichtige Rolle der NMI im internationalen Diskurs über Menschenrechte und Demokratie, insbesondere in muslimisch geprägten Ländern. Diese Diskurse unter US-Muslimen können als eine „democratization of Muslim politics“ bezeichnet werden – ähnlich der Demokratisierung katholischer Politik, welche in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. (Casanova 2005, S. 90)

Gegenüber dem Islam gab es in den letzten Jahrzehnten nach Casanova die Tendenz, die Verbindungen zwischen Religion und Politik als Beleg für die „fundamentalist essence“ dieser Religion zu nehmen. Der Islam wurde danach als inkompatibel mit der Ausdifferenzierung in der Moderne und der Privatisierung von Religion angesehen, die als Voraussetzungen für eine liberale Demokratie verstanden werden. Wegen essentialistischer Interpretationen des Islam galt (und gilt) die Möglichkeit einer Verbindung von Islam und Demokratie in einer Form als unmöglich, die sowohl den religiösen Traditionen der Muslime, als auch den modernen Herausforderungen gerecht wird. (ebd., S. 98–99) Dass dieser Weg in muslimisch geprägten Ländern lange Zeit nicht beschritten wurde, ist laut Casanova nicht auf eine essentialistische, fundamentalistisch-religiöse Tradition zurückzuführen, sondern den dortigen politischen Rahmenbedingungen geschuldet. Dabei haben die USA und andere westliche Staaten über viele Jahre autoritäre Regime in muslimisch geprägten Ländern militärisch und finanziell unterstützt, die einen solchen öffentlichen Raum zur Reflexion nicht zugelassen haben. (ebd., S. 102) Teil III. Funktionen 280

Wichtig ist nach Casanova die Möglichkeit, die islamischen normativen Traditionen mit Blick auf moderne Herausforderungen öffentlich zu reflektieren, damit sich solche Diskurse entfalten können. So können Lernprozesse in Gang gebracht werden, die zu einem „public civil Islam“ führen und zu einer Versöhnung zwischen demokratischen und muslimischen Grundsätzen. (ebd., S. 101).

In den USA sind die Rahmenbedingungen für diesen Diskurs gegeben, da es hier zum einen die nötigen Freiheiten gibt und zum anderen – im Gegensatz zu Europa – religiöse kollektive Identitäten „(…) constitute one of the accepted avenues for immigrant incorporation and for mutual group recognition in the public sphere of American civil society.“ (Casanova 2007, S. 76) US-Muslime haben die Möglichkeit, aus ihrem Islamverständnis heraus in der Öffentlichkeit Position zu beziehen und sich in gesellschaftliche Debatten einzumischen. Dies wirkt sich andererseits wiederum auf ihr Verständnis des Islam aus. Mit Blick auf die von Casanova formulierten Rahmenbedingungen sagte Hisham Al-Talib, Vice-President des International Institute for Islamic Thought (IIT), einem führenden muslimischen Think Tank im Großraum Washington DC:

„So in America – Alhamdulillah [arab., Gott sei gelobt, M.A.] – we have this freedom of thought, freedom of publishing, freedom of meeting of association, freedom of writing, freedom of speaking, all this is actually protected by the great American Constitution. So America is a very fertile place for the Islamic research and Idjtihad [arab., unabhängige Rechtsfindung auf der Grundlage von Koran und der Lebensweise des Propheten Muhammad, M.A.] and Reforms. The work of Muslims here in America is useful not only for America but for the International Community as well.” (Al-Talib, S. 2)

Zudem können diese Forschungsbeiträge von Muslimen weltweit genutzt werden. Die NMI verankern damit nicht nur Demokratie und Menschenrechte bei Muslimen in den USA. Zugleich werden Teil III. Funktionen 281

diese Werte in den internationalen Diskurs eingebracht und haben das Potential, auch die Entwicklungen in der muslimisch geprägten Welt positiv zu beeinflussen, da ein originär muslimisch begründetes Verständnis von Demokratie und Menschenrechten größere Aussicht auf Akzeptanz durch die Menschen in diesen Ländern hat.

Die NMI sind hier ein Akteur neben anderen, wie sich im Rahmen dieser Arbeit gezeigt hat. Auch Moscheegemeinden, regionale Akteure oder muslimische Intellektuelle spielen hier eine Rolle. Im Gegensatz etwa zur katholischen Kirche, die sehr hierarchisch organisiert ist und in der Positionen von oben einen großen Einfluss auf die lokale Ebene haben, gibt es im islamischen Feld eine Fragmentierung der religiösen Autorität. (Casanova 2006, S. 29; Casanova 2005)312 Das ermöglicht Muslimen weltweit eine breite Debatte, die ergebnisoffener ist und zugleich mehr Teilnehmern offen steht. Die NMI sind bereits heute Teil davon.

13.3 PATRIOTISMUS UND AMERIKANISCHE ZIVILRELIGION

Mit der Überquerung des Atlantiks verbanden die Puritaner das Selbstverständnis, als das neue Volk Israels („latter-day people of Israel“) den jüdischen Bund mit Gott zu erneuern. Nach der Pilgerfahrt in die Neue Welt wurde eine „city upon a hill“ aufgebaut, um als ein moralisches Beispiel in der Welt zu dienen. Diese „theologischen Gründungsmythen“ wurden nach der Revolution säkularisiert und zu einem Teil des politischen Selbstverständnisses der USA. Ängste vor Spaltungen im jungen Staat führten dazu,

312 Der zunehmende Zugang zu religiöser Bildung hat dazu geführt, dass der Diskurs nicht mehr ausschließlich von religiösen Gelehrten dominiert wird und eine Reihe unterschiedlicher Aktivisten und Intellektuellen sich zum Verhältnis von Islam zu Demokratie, Menschenrechten, Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit und Nationalstaat äußern. Teil III. Funktionen 282

dass die theologischen Gründungsmythen in eine säkulare Zivilreligion einfließen - einen moralischen Grundkonsens – mit der Aufgabe, „die heterogene Gesellschaft als patriotischen Kitt zusammen[zu]halten“ (Ostendorf 2005, S. 21) In den Worten von Robert N. Bellah:

„By imparting a sacred character to the nation, civil religion enables people of diverse faiths to harmonize their religious and political beliefs.“ (Bellah 1975, S. 54)

Die Zivilreligion kann demnach zu gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen sowie bei den Bürgern zu einem Bewusstsein eines gemeinsamen Ziels, für das einzusetzen es sich lohnt.313

In weiten Teilen der Politik- und Religionswissenschaft geht man neben den spezifischen religiösen Gruppen und Konfessionen in den USA vom Bestehen einer Zivilreligion aus. Diese trägt dazu bei, die politische Identität von US-Amerikanern zu erklären:

„In the same way that religion may endow the life of an individual with a greater meaning than mere existence, so a civil religion reflects an attempt by citizens to imbue their nation with a transcendent value. The nation is recognized as a secular institution, yet one that is somehow touched by the hand of God.” (Wald, Calhoun-Brown 2007, S. 54)

Dabei ist die Zivilreligion kein formalisierter Kanon von Glaubenssätzen, der in einem Dokument festgehalten ist, oder eine Staatsreligion, zu der sich die Bürger bekennen müssen, sondern

313 Neben diesem legitimatorisch-konservativen – auch „priesterlich“ genannten - Verständnis gibt es auch ethisch-liberales – „prophetisches“ - Verständnis, wonach die Zivilreligion Maßstäbe etwa der Freiheit bietet, an denen die Nation gemessen und durch sie kritisiert werden kann, wie dies etwa von Martin Luther King mit Blick auf den Rassismus in den USA getan wurde. Damit Zivilreligion eine konstruktive Kraft im politischen Leben ist, müssen laut Wald beide Funktionen ausbalanciert werden. (Wald, Calhoun-Brown 2007, S. 54–61)

Teil III. Funktionen 283

sie zeigt sich vor allem durch Referenzen in Schriften und Reden von politischen Führern und in religiösen Symbolen, die im öffentlichen Raum sichtbar werden und die quasireligiöse Verbundenheit der Bürger zum Staat zum Ausdruck bringen. So hört man bis heute in den Reden der US-Präsidenten oft, dass die USA einen göttlichen Auftrag haben und wichtige Reden werden mit der Formulierung „God bless you, and God bless the United States of America“ beendet. (Bellah 1975)

Zu weiteren Ausdrucksformen amerikanischer Zivilreligion mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung gehören: Gebete zu offiziellen Anlässen, (zivil-)religiöse Feiertage (Independence Day, Memorial Day, Thanksgiving), religiöse Symbole auf Regierungsdokumenten; Referenzen auf Gott, wie auf dem US-Dollar, dem nationalen Siegel, im Treueschwur Pledge of Allegiance, der Nationalhymne und in Schwüren bei Gericht. Die Aufbewahrung der Originale der Declaration of Independence oder der Verfassung in den National Archives haben einen zivilreligiösen Charakter. So werden die Dokumente wie ein „holy relic“ hinter einem mit atomsicheren Glas geschützten „shrine“ aufbewahrt, zu dem die Bürger pilgern, die Autoren des Dokuments werden als „saints or demigods“ verehrt und die Dokumente gelten als Symbole der nationalen Identität. (Fowler et al. 2004, S. 301–303; Wald 2005, S. 45-46, 70, 79-80)

Die Entwicklung einer American Muslim Identity wird besonders im Zusammenhang mit der Bezugnahme von muslimischen Organisationen zur amerikanischen Zivilreligion deutlich. Die NMI partizipieren zum einen an klassischen Symbolen amerikanischer Zivilreligion, darüber hinaus werden Ideen aus der amerikanischen Zivilreligion adaptiert, um dem Aufenthalt von Muslimen in den USA einen übergeordneten Sinn zu verleihen.

Ein Beispiel für das Nutzen klassischer Symbole amerikanischer Zivilreligion ist der Pledge of Allegiance, ein Treuegelöbnis auf die Teil III. Funktionen 284

Flagge der USA und die Nation. Dieses im Stehen geleistete Gelöbnis ist eine sehr bekannte zivilreligiöse Formel, die patriotische Verbundenheit zu den USA bekunden soll und ist oft Teil des Morgenrituals in öffentlichen Schulen. Es lautet wie folgt:

„I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all.”

Beim Capitol Hill Iftar, einem Fastenbrechenempfang für Politiker und andere Multiplikatoren in der Hauptstadt, haben MPAC und ISNA den Pledge of Allegiance von einer muslimischen Pfadfindergruppe aufsagen lassen und damit offensichtlich ihren Patriotismus zum Ausdruck bringen wollen.314

Eine andere Form dafür, die Verbundenheit mit den USA zum Ausdruck zu bringen, ist die Wertschätzung für nationale Feiertage wie dem Independence Day oder Thanksgiving. Die ISNA- Präsidentin Ingrid Mattson hat am 4. Juli (Independence Day) 2009 während der ISNA-Convention angekündigt, dass man an diesem Tag das Programm früher beenden werde als geplant, damit die (vorwiegend muslimischen) Konferenzteilnehmer die Möglichkeit haben, das traditionelle Feuerwerk auf der National Mall zu diesem Anlass verfolgen zu können. 315 Für CAIR ist das Begehen des Independence Day, neben der Teilnahme an Wahlen und dem Hissen der Flagge, ein Indikator für Integration und werde nach

314 MPAC/ISNA Hold Successful Capitol Hill Iftar. (MPAC News, 18.09.2009) Im Rahmen einer CAIR-Werbekampagne unter dem Titel „We‘re Americans and We‘re Muslims“ hat auch eine Gruppe von Girl Scouts den Pledge of Allegiance aufgesagt. Es handelte sich dabei um eine Werbeanzeige in der New York Times aus dem Jahr 2003. Im Hintergrund der Anzeige ist eine US-Flagge zu sehen. Nach Alsultany dienen Girl Scouts hier als Pendant zu Männern, die in der US- Armee dienen, und den Patriotismus zum Ausdruck bringen sollen, welcher bei Muslimen insbesondere nach 9/11 in Frage gestellt wurde. (Alsultany 2008, S. 76–77)

315 46th ISNA Annual Convention: Life Liberty and the Pursuit of Happines, 3.-6. Juli 2009, Washington DC, (Persönliche Teilnahme, M.A.) Teil III. Funktionen 285

eigenen Erhebungen von CAIR von etwa Dreiviertel der US-Muslime begangen. (CAIR 2006, S. 11)

Thanksgiving gilt als wichtigster zivilreligiöser Feiertag. Bei ihm fließen Religion und Patriotismus, Glaube und politische Geschichte zusammen (Fowler et al. 2004, S. 302). Konsequenterweise wird auch er von den NMI genutzt, um ihre Verbundenheit mit den USA zum Ausdruck zu bringen. So hat ISNA Thanksgiving zum Anlass genommen, um mit anderen Religionsgemeinschaften Essen an Bedürftige zu verteilen.316 Auch CAIR hat dazu aufgerufen, soziale Projekte vor Ort zu unterstützen. Da Thanksgiving zufällig mit dem muslimischen Opferfest – das durch das Sonnenkalenderjahr wandert – zusammenfiel, sprach CAIR von einem „double blessing“ und machte folgenden Hinweis:

„And you know Thanksgiving and Eid al-Adha are now sharing the same spiritual and social space when Best Buy [Handelskette für Unterhaltungselektronik], for the first time, puts a ‘Happy Eid Al- Adha’ in its ’Black Friday’ newspaper insert.” 317

Der „Black Friday“ ist der Tag nach Thanksgiving, der die Weihnachtseinkaufsaison einläutet und bei dem im Handel Spitzenumsätze erzielt werden.318

Das Motto der ISNA-Convention 2009 lautete „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness”. ISNA bezieht sich damit auf die Declaration of Independence aus dem Jahr 1776 als wichtiges zivilreligiöses Dokument und versucht, die darin verankerten Konzepte islamisch

316 ISNA Hosts one of Five Interfaith Thanksgiving Services to Feed the Hungry. (ISNA-Newsletter, 12.11.2009)

317 ISLAM-OPED: Both Thanksgiving and Eid al-Adha Focus on Family. (CAIR- Newsletter, 24.11.2009)

318 Lakonisch ließe sich sagen: Wenn große Einzelhandelskonzerne gezielt die Kaufkraft der Muslime ansprechen und sich dazu über ihre religiösen Bräuche informieren, ist das auch ein Zeichen für „erfolgreiche Integration“. Teil III. Funktionen 286

zu wenden. Ziel der Konferenz unter diesem Motto war nach Angaben von ISNA, diese „fundamentals of the American Dream“ zu reflektieren und darüber zu diskutieren, wie US-Muslime im Kontext der islamischen Lehre zur Erreichung dieser Werte beitragen können.319

Dabei wurde im Rahmen der Konferenz deutlich, dass man diese drei Werte als islamische Grundsätze ansieht, die seit vielen Jahrhunderten im Islam verankert sind. So heißt im Konferenzprogramm:

„Many people assume that ’Life, Liberty and the Pursuit of Happiness’ is a distinctly American phenomenon. While it is indeed an American phenomenon, the Islamic shariah has delineated these concepts from its very inception, and enshrined them in its overall goals.”320

In seinem Leitartikel in der Konferenzausgabe des ISNA Magazins Islamic Horizons – welche als Teil der Konferenzunterlagen allen Teilnehmern ausgehändigt wird - geht Imad-ad-Dean Ahmad noch einen Schritt weiter. Nach Ahmad stimmt die von Thomas Jefferson geprägte Formel „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“, die vom englischen Philosophen John Locke (life, liberty and property) beeinflusst wurde, nicht nur inhaltlich mit den islamischen Grundsätzen des Schutzes von Leben, Religion, Intellekt, Abstammung und Besitz überein, sondern es gäbe auch „strong circumstantial evidence“ dafür, dass Locke selbst durch islamische Konzepte beeinflusst wurde – über ein bekanntes Werk eines muslimischen Philosophen, welches sich mit Naturrecht befasst -

319 Abdul Alim Khandekar, Chairman, ISNA Founder Committee, in: ISNA 2009c

320 Programmankündigung zu „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness in the Maqasid al-Shari´ah”, mit den Islamgelehrten Yasir Qadhi und Yaser Birjas, ISNA 2009b, S. 16. Teil III. Funktionen 287

und damit erst die Grundlage für die Jeffersonsche Formulierung gelegt habe.321

Der Ansatz von Ahmad, den Einfluss islamischer Konzepte auf die Declaration of Independence aufzudecken kann – unabhängig von der Stichhaltigkeit der Argumentation – als ein Versuch der Spurensuche nach muslimischen Einflüssen in der Vergangenheit gesehen werden. Es geht dabei darum, die amerikanisch-politische Theorie mit dem Islam zu verbinden und eine Identifikation von US-Muslimen mit der amerikanischen politischen Kultur zu ermöglichen, ein Weg hin zu einer starken American Muslim Identity. Diese Werte bleiben so nicht abstrakte politische Begriffe, sondern werden von Muslimen zu eigenen Grundsätzen gemacht, indem man den Einfluss des Islam auf diese Konzepte zu skizzieren versucht. So wird auch der ideengeschichtlich vorherrschende Diskurs ergänzt oder in Frage gestellt, der Demokratie und Menschenrechte einseitig auf die „westliche“ Aufklärung und den Einfluss des Christentums zurückführt.

Im Rahmen dieser Arbeit hat sich zudem gezeigt, dass die NMI die amerikanische Zivilreligion adaptieren, um die eigene Immigrationserfahrung zu verarbeiten. So findet sich in Konzepten der amerikanischen Zivilreligion, wie bereits oben aufgezeigt, die Formel einer „City upon a hill“. Demnach sind die USA dazu aufgerufen, eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, die weltweit als Modell dienen kann. Dieses Konzept wird von US-Muslimen

321 Ahmad bezieht sich hier auf den von G.A. Russel herausgegebenen Band „The Arabick Interest of the Natural Philosophers in Seventeenth Century England”, E.J. Brill, Leiden, 1994. Locke soll danach von der 1671 unter dem Titel „Philosophicus Autodidactus“ veröffentlichten Übersetzung von Ibn Tufails Robinson Crusoe ähnlichen Roman beeinflusst worden sein. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Abdul Rauf 2005, S. 80–86.

Teil III. Funktionen 288

übernommen, um ihre eigene Stellung innerhalb des Weltislam zu definieren. So heißt es etwa bei MPAC:

„We believe that the American Muslim community can serve as a guiding light forward for the rest of our Ummah (global Muslim community) as equals in an attempt to leverage the presence of Muslims for the benefit of all of humanity.” (MPAC o.J.b)

Diese Grundidee findet sich auch bei anderen Organisationen und Intellektuellen. Für Ahmad ist die Beschäftigung mit den Grundpfeilern der amerikanischen Demokratie für Muslime eine Möglichkeit, Freiheitskonzepte und -praxen freizulegen, die von ihnen heute nicht mehr angemessen gewürdigt werden. Diesen intellektuellen Prozess verbindet Ahmad mit der Mission „that Muslim Americans should lead the way”, damit sich Muslime wieder für die Unterdrückten und Verfolgten in dieser Welt einsetzen. 322

Leonard zufolge weist die von US-Muslimen beanspruchte Führung der transglobalen Ummah Parallelen zum US-amerikanischen Führungsanspruch in der Welt auf. Auch dies kann als Ausdruck der Amerikanisierung der US-Muslime betrachtet werden. (Leonard 2003, S. 130–131)

Im Rahmen ihrer Anpassung an die politische Kultur der USA ist es für Haddad eine wichtige Frage, ob es einer Religionsgemeinschaft gelingt, auch diejenigen Werte beizubehalten,

„(…) that appear counter to the general civic virtues. Does becoming American mean abandoning primary loyalty to one’s faith?” (Haddad, Ricks 2009, S. 18)

322 Vgl. „Life, Liberty and the Puruit of Happiness”, Imad-ad-Dean Ahmad, Islamic Horizons, Juli/August 2009, 23-27. Auch Ingrid Mattson hat diesen Führungsanspruch bei der ISNA Convention 2008 untermauert.: „God has chosen us. We are the people of the time.” Ein Video mit diesem Titel wurde beim Community Service Recognition Luncheon gezeigt. (Perönliche Teilnahme, M.A.) Teil III. Funktionen 289

Haddad zufolge ist es eine offene Frage, ob verstärkt im politischen Raum auftretende US-Muslime es schaffen, die sich vollziehende Amerikanisierung ohne Verlust ihrer Identität und Autonomie als Muslime zu überstehen. Nach ihrer Einschätzung gibt es in den USA eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Einwanderern und neuen Religionsgemeinschaften, doch zugleich gibt es die Erwartung, dass man sich an bestimmte „civic values“ anpasst, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Neben der öffentlichen Schule und der Teilnahme am politischen Prozess gilt dabei das Militär als eine der zentralen „Americanizing institutions“. Traditionell ist das Militär immer eine Möglichkeit für den Aufstieg und die Integration von Einwanderern und religiösen Minderheiten gewesen. Amerikanisierung bedeutet in diesem Kontext den Willen, für das Land und dessen Interessen zu kämpfen. (Haddad 2004a, S. 18)

In einer Umfrage etwa sechs Jahre nach Beginn der Kriegshandlungen haben etwas weniger als die Hälfte der US- Muslime den Afghanistan-Krieg abgelehnt. (Pew Center, 2007, 49- 50; Gallup, 2011, 23).323

Die Ablehnung gegenüber dem Irak-Krieg ist hingegen viel eindeutiger. Während im Durchschnitt weniger als die Hälfte der US-Bürger der Auffassung waren, dass der Irak-Krieg ein Fehler war, liegt die Ablehnung von US-Muslimen bei deutlich über vierfünftel. 324 Bemerkenswerterweise gibt es dennoch eine große Zustimmung zum Militär als Institution. So gaben in einer Umfrage

323 Wenn auch auf einem deutlich niedrigeren Niveau, sind US-Muslime doch die Religionsgruppe, welche am deutlichsten den Afghanistan Krieg als einen Fehler ansieht (47%), noch deutlicher bestätigen diese Sicht Menschen ohne Religionszugehörigkeit (57%). Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 23

324 US-Muslime sind als Religionsgruppe am stärksten der Auffassung ist, dass der Irak-Krieg ein Fehler war (83%), gefolgt von Juden (74%) und US-Bürgern ohne Religionszugehörigkeit (67%). (Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 27) Teil III. Funktionen 290

von Gallup 70% der US-Muslime an, Vertrauen ins Militär als Institution zu haben. (Abu Dhabi Gallup Center August 2011, S. 24)325

Auch in Erklärungen der NMI zum US-Millitär kommt der Respekt zum Ausdruck. (Alsultany 2008, S. 75) So heißt es in einer Erklärung von ISNA:

„ISNA is proud of the many Muslim men and women who serve loyally in the United States military. We are grateful for the sacrifices made by all US soldiers, who represent the religious, racial and ethnic diversity of America, to defend the Constitution and our national security. ISNA, a faith endorser of US Muslim military chaplains, is proud of the service they provide, offering comfort and support to people of all faiths and beliefs.”326

Diese Erklärung wurde nach dem Amoklauf auf einer Militärbasis in Forthood verfasst, der durch einen Soldaten mit muslimischem Hintergrund verübt wurde und eine nationale Debatte über die Loyalität von US-Muslimen ausgelöste. Selbst wenn man diesen besonderen Kontext berücksichtigt, bleibt diese Erklärung bezeichnend dafür wie ISNA hier den Dienst der Soldaten und das Militär als Institution hochschätzt. Es gilt schließlich zu berücksichtigen, dass die USA in Afghanistan und Irak nur wenige Jahre zuvor in einen Krieg eingetreten sind.

325 Anzumerken ist, dass mit etwa einem Drittel die Zahl der Personen, die kein Vertrauen zum Militär haben, bei den Muslumen höher liegt als etwa bei Protestanten, Katholiken und Juden.

326 ISNA-Newsletter, 6.11.2009, ISNA Condemns Attacks on Fort Hood Soldiers and Expresses Condolences to the Victims and Their Families. Teil III. Funktionen 291

Insgesamt gab es mit Einschränkung die Tendenz, dass der Afghanistan-Krieg nach den Anschlägen von 9/11 seitens muslimischer Verbände unterstützt wurde327:

„Initially when Bush declared war against Afghanistan, we were with that. Our Fiqh Council [Nationaler Rat für religiöse Rechtsgutachten, M.A.] declared for Muslims (…) there is no problem in this islamically to be part of the invasion of Afghanistan at that time. They have invaded and this was a response to Al-Qaida, for what they have done here [Anschläge von 9/11, M.A.]. Naturally at that time the Taliban were in charge. So that was the kind of. (Syeed, S. 7)328

Syeed zufolge habe ISNA den Angriff als legitim betrachtet, da die USA nach dem terroristischen Angriff von 9/11 ein Recht gehabt hätten, die Angreifer bzw. Hintermänner zu Rechenschaft zu

327 Es gab auch Meinungsverschiedenheiten innerhalb von muslimischen Organisationen, die offen zu Tage getreten sind. So hat der ehemalige Generalsekretär von MAS Shaker Elsayed darauf hingewiesen, dass MAS und andere muslimische Organisationen sich in einer Pressekonferenz am 18. September 2001 im National Press in Washington DC gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan ausgesprochen haben. Kurz nach Beginn der Kriegshandlungen war der MAS-Präsident aber „literally falling on the knees on the issue“, wie Elsayed es beschrieb, aus Angst vor „reprisal of the government“. Der MAS-Präsident habe eine Pressemitteilung verfasst, mit der auf den Regierungskurs einschwenkt wurde, ohne dass dies laut Elsayed mit ihm als Generalsekretär abgestimmt worden sei. (Elsaayed, S. 6) Im Rahmen dieser Arbeit konnten zu dieser Presskonferenz keine weitergehenden Informationen erhoben werden. Auf den Webseiten der Organisationen war dazu nichts zu finden und zahlreiche Emails an verschiedene Akteure mit der Bitte um eine Stellungnahme blieben unbeantwortet.

328 Zugleich wurde bei den ISNA-Conventions von muslimischen Religionsgelehrten im Hauptabendprogramm sehr deutlich gegen den Krieg in Afghanistan Stellung bezogen. Etwa folgende Aussagen konnten mit aufgezeichnet werden: „Obama und McCain sprechen von Ausweitung des Afghanistan Kriegs. Nicht die Taliban werden stärker, sondern der afghanische Widerstand, welcher den Krieg und Tod von Zivilisten leid ist. Es gibt nicht gute Kriege und schlechte, sondern nur anormale.“ (Zaid Shakir) und „Hab vor 4 Jahren gegen die Wahl von Bush gesprochen. Bin stolz darauf. Hoffe, dass dies am Tag der Auferstehung in die Wagschale meiner guten Taten eingehen wird. McCain ist ein Militarist. Obama ist gegen den Irak-Krieg. Das alleine reicht aus, um ihn zu wählen. Niemand hat jemals als Eroberer Afghanistan mit erhobenem Kopf verlassen. Habe Sympathie für junge amerikanische Soldaten, die nichts dafür können.“ (Hamza Yusuf) Diese Aussagen wurden in deutscher Sprache von mir mitgeschrieben. (A Time for Reflection: A Journey of 45 years; ISNA- Convention 2008; Persönliche Teilnahme, M.A.). Teil III. Funktionen 292

ziehen, die von Afghanistan aus operierten. Der Fiqh Council of North America – als bedeutendstes theologisches Gremium von US- Muslimen – habe ein Gutachten veröffentlicht, demzufolge es theologisch zulässig sei, dass muslimische Soldaten in den US- Streitkräften am Krieg teilnehmen, und dies habe die Position von ISNA gestützt.

Allerdings hat sich ISNA wie auch die anderen NMI gegen den Irak- Krieg ausgesprochen. Laut Syeed habe ISNA nach dem Einmarsch in den Irak jedoch ihre Antikriegsaktivitäten grundsätzlich nur noch als Teil von Bündnissen durchgeführt. Eigenständige Aktionen hätten den Eindruck erwecken können, ISNA hätte Sympathien für den irakischen Präsidenten Saddam Hussein gehabt. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. ISNA habe den Krieg aus grundsätzlichen Beweggründen abgelehnt. (Syeed, S. 7)

Nach Auffassung des Journalisten Minhaj Hussein hätten sich die NMI jedoch nicht ausreichend gegen den Krieg im Irak engagiert, wie sie es etwa im Fall des Bosnienkriegs noch getan hätten. Zu den Gründen zeichnete Hussein folgendes Bild:

„Muslim organizations are scared. I think that like the National organizations they have gone overboard in this whole: ‘We are American too.’ Wearing flag, pin and all that stuff and ‘I love America’. There is a place for that, but they have gone so much into this notion that: I have to prove my Americanness to America in order for them to like Islam. In some ways they left the rest of their Ummah [arab., Weltgemeinschaft der Muslime, M.A.] in the back seat. Millions die in Iraq. Where is the outrage? It’s not there. (…) I think it’s: We don’t wanna be labeled foreigners, we don’t wanna be labeled Anti-American. If Americans are tying gold ribbons on their trees: Support the troops. CAIR and MPAC didn’t wanna say: Don’t support the troops. Because the public is saying: Whenever America is at war, right or wrong, we have to support America. I think the Muslim organizations have fallen into that, that they will support the war or they will support the troops by not coming strongly in their Teil III. Funktionen 293

condemnation. They became afraid to speak out; they didn’t want to be labeled: Oh, you are Anti-America.” (Hussein, S. 6-7)

Die NMI schreckten Hussein zufolge davor zurück, sich deutlicher gegen den Krieg zu stellen, aus Angst davor, als unamerikanisch und unpatriotisch zu gelten. Damit würden sie jedoch nicht ihrer Verantwortung gerecht, die sie gegenüber ihren Glaubensgeschwistern weltweit haben.

Nach Ansicht von Ahmad war das religiöse Gutachten des Fiqh Council of North America zum Einsatz muslimischer Soldaten im Irak jedoch eine schreckliche („terrible“) Entscheidung, weil es islamischen Grundsätzen widerspreche, wonach Muslime nicht gegen Muslime in den Krieg ziehen dürfen. Auch aus politischen Gründen sei das Rechtsgutachten nicht haltbar. (Ahmad, S. 9-10) Die Beachtung der eigenen religiösen Werte hätte zivilen Ungehorsam erfordert. Muslime hätten gegen den Krieg vor Gericht ziehen können, um zu zeigen, dass man im Fall des Irak nicht gegen Menschen kämpfe, die die USA angegriffen haben. Immerhin seien auch die Quäker letztlich ins Gefängnis gegangen für ihr Recht, als Pazifisten nicht in den Krieg zu ziehen und Muhammad Ali wurde sein Titel aberkannt, weil er sich geweigert hatte, am Vietnamkrieg teilzunehmen. Nach Ahmad hätte man muslimischen Soldaten auch Alternativen anbieten können, etwa sie als Übersetzer arbeiten zu lassen, anstatt sie in Kampfhandlungen zu schicken. Das religiöse Rechtsgutachten ist für Ahmad ein Beispiel dafür, dass muslimische Führungspersönlichkeiten, welche zu einem großen Teil im Ausland geboren wurden, zu wenig über die amerikanisch-politische Kultur wissen. Wenn man diese historischen Referenzen heranziehen und anwenden würde, könne Teil III. Funktionen 294

man islamischen Prinzipien besser gerecht werden. (Ahmad, S. 10)329

Die US-Muslime waren beileibe nicht die erste Bevölkerungsgruppe mit Zuwanderungshintergrund in den Vereinigten Staaten, die in einen Loyalitätskonflikt gerieten. Vor ihnen hatte es starkes Misstrauen gegen die Katholiken gegeben, ebenso gegen die japanisch stämmigen US-Amerikaner, die nach dem Angriff auf Pearl Harbor zwangsinterniert wurden. Konflikte dieser Art wurden in der US-amerikanischen Geschichte immer wieder hervorgerufen, weil die USA an vielen Kriegen beteiligt waren mit Ländern, die für einen Teil ihrer Bevölkerung Herkunftsländer sind.

Es wird sich in Zukunft zeigen, wie US-Muslime mit dem Spannungsverhältnis umgehen werden, sich einerseits zu den USA patriotisch zu verhalten und andererseits etwa zu Kriegshandlungen auch öffentlich eine kritische Position einzunehmen.

329 Ahmad wurde 1948 auf einem Schiff auf dem Atlantik geboren, als seine Mutter von Pälästina in die USA auswandern wollte. 14. Resümee und Ausblick 295

14. RESÜMEE UND AUSBLICK

In der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass die NMI eine wichtige Rolle für die Repräsentation, Partizipation und Integration von Muslimen in den Vereinigten Staaten haben.

Die NMI greifen die Anliegen von Muslimen auf, artikulieren ihre Interessen und stellen damit ihre Repräsentation im politischen Prozess und in der Öffentlichkeit sicher.

Hinsichtlich der Repräsentationsfunktion der NMI fällt auf, dass diese bisher kaum zu wichtigen soziomoralischen Themen aus der politischen Debatte in den USA direkt Position beziehen, wie z.B. der rechtlichen Stellung von homosexuellen Partnerschaften. Die Recherchen zu dieser Arbeit lassen plausibel erscheinen, dass die NMI diesem Thema bisher keine Priorität einräumen, weil Muslime hier überwiegend konservative Ansichten vertreten. Die NMI halten sich u.a. zurück, um ihre Koalitionspartner im linken Lager nicht zu „vergraulen“, – die sich an ihrer Seite gegen die Diskriminierung von US-Muslimen einsetzen.

Die Positionen der US-Muslime liegen hier „quer“ zur dominanten politischen Konfliktlinie, die parteipolitisch von Demokraten und Republikanern verkörpert wird. Zwar stehen die Republikaner den Muslimen in soziomoralischen Fragen näher als die mehrheitlich (links)liberalen Demokraten, doch die außenpolitische Orientierung der Republikaner und ihre oftmals unversöhnliche bis diskriminierende Politik gegenüber Muslimen nach 9/11 lässt ein Zusammenrücken derzeit noch schwer denkbar erscheinen. Dieses Themenfeld ist bisher kaum erforscht worden. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass mit rückläufiger Diskriminierung von Muslimen die NMI in Zukunft auch in diesem Feld Position beziehen 14. Resümee und Ausblick 296

werden und, wie US-amerikanische Katholiken, themenspezifisch auch Koalitionen mit konservativen Kräften suchen werden.

Im Rahmen der Arbeit wurden erstmals afroamerikanische Muslime zur Arbeit der NMI und ihrer Repräsentativität befragt. Während man in bisherigen Arbeiten davon ausging, dass die NMI Afroamerikanische Muslime nicht repräsentieren (Cesari 2004, S. 85), hat sich im Rahmen dieser Arbeit ein differenzierteres Bild gezeigt.

Einerseits hat sich bestätigt, dass die Agenda der NMI vor allem von Themen muslimischer Immigranten bestimmt werden und wichtige Anliegen von Afroamerikanischen Muslimen unberücksichtigt bleiben, wie etwa die sozialen Probleme in den innerstädtischen Vierteln, die mit Kriminalität und Drogenkonsum zusammenhängen. Doch andererseits haben Afroamerikanische Muslime im Rahmen dieser Arbeit zum Ausdruck gebracht, dass sie sich durchaus von den NMI vertreten sehen bei Themen wie Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit oder außenpolitischen Fragen wie dem Nahostkonflikt oder den Kriegen in Afghanistan und Irak. Die NMI werden von Afroamerikanischen Muslimen damit nur zum Teil als Interessenvertretung angesehen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Es konnte in der Arbeit gezeigt werden, dass sich das Verhältnis zwischen Afroamerikanischen Muslimen und muslimischen Immigranten seit 9/11 verbessert hat. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Diskriminierungserfahrungen von muslimischen Immigranten nach 9/11 einerseits zu einer größeren Empathie ihrerseits gegenüber Afroamerikanischen Muslimen geführt haben. Letztere hatten bereits seit Jahrzehnten den Rassismus in der US-Gesellschaft zu beklagen, fanden damit jedoch oft kein Gehör bei ihren eingewanderten und oftmals beruflich erfolgreichen Glaubensgeschwistern. Andererseits kommt hinzu, 14. Resümee und Ausblick 297

dass Afroamerikanische Muslime über politische Erfahrungen und Sozialkapital verfügen, das zunehmend von muslimischen Immigranten als wichtige Ressource anerkannt wird, um Anliegen in den von ihnen gegründeten Organisationen voranzubringen. So wurden in den NMI und auf der lokalen und regionalen Ebene vermehrt afroamerikanische Führungskräfte eingestellt bzw. gewählt – also in Organisationen, die von muslimischen Immigranten gegründet wurden und weiterhin dominiert werden.

Die Muslim Alliance of North America, welche im Jahr 2001 von Afroamerikanischen Muslimen mit dem Anspruch gegründet wurde, sich verstärkt auf nationaler Ebene mit den Interessen und sozialen Belangen ihrer Gruppe zu befassen, konnte sich bisher nicht nachhaltig etablieren.

Es bleibt eine offene Frage, ob mittelfristig neue muslimische Interessenverbände von Afroamerikanischen Muslimen entstehen werden oder diese (weiterhin) auf etablierte Organisationen wie die NAACP zurückgreifen, um soziale und politische Anliegen zu artikulieren, die sie mit nichtmuslimischen Afroamerikanern teilen. Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, dass der eingeschlagene Weg verstärkter Zusammenarbeit von afroamerikanischen und eingewanderten Muslimen fortgesetzt und vertieft wird und AAM in Zukunft mit der gesamten Breite ihrer Anliegen von den NMI vertreten werden.

Die Frage, inwieweit die NMI einen Einfluss auf politische Maßnahmen haben, wurde von den Interviewpartnern durchweg sehr nüchtern beantwortet. Die NMI haben demnach kaum substantielle, als vielmehr symbolische Erfolge zu verbuchen. Als ein wichtiger Grund wird auf die noch relativ junge Etablierung der NMI in der Hauptstadt verwiesen, oder wie es der Afroamerikaner Mahdi Bray im Interview auf den Punkt brachte: „We are the new kids on the block“. 14. Resümee und Ausblick 298

Die Organisationen arbeiten vor allem reaktiv und betreiben bislang kein Agendasetting. Das kommt etwa darin zum Ausdruck, dass man bisher kaum Kooperationen mit Think Tanks in Washington aufgebaut hat, die jedoch für die Themensetzung in der US- Hauptstadt von zentraler Bedeutung sind. Zudem werden bisher keine erfahrenen Lobbyisten eingesetzt und die Funktionärsrekrutierung ist in einigen von ihnen mangelhaft, da vor allem jungen Persönlichkeiten keine Perspektive auf Führungspositionen in den Organisationen eröffnet wird.

Vor allem wurde dies deutlich bei CAIR. Dort weigerte sich der Geschäftsführer, einen Generationswechsel an der operativen Spitze einzuleiten. Die damit verbundenen inneren Auseinandersetzungen haben zudem dazu geführt, dass die Organisation in ihrer politischen Schlagkraft merklich eingeschränkt wurde. Auf der anderen Seite funktioniert die Nachwuchsrekrutierung bei MPAC sehr gut. Schon als junge Referenten erhalten die Mitarbeiter in der Organisation verantwortungsvolle Aufgaben. Ihnen stehen attraktive Entwicklungsmöglichkeiten offen, die sie in der Folge auch für andere Organisationen und Behörden empfehlen.

Ein weiterer Grund, warum die NMI bislang über wenig Einfluss verfügen, liegt darin, dass in den USA hohe Spenden für Wahlkampagnen ein wichtiges Instrument für die Gewinnung von politischem Einfluss sind. NMI spielen hier bisher jedoch kaum eine Rolle, weil sie aus Mangel an finanziellen Ressourcen nur marginal für Wahlkampagnen gespendet haben.

Zu den Schwierigkeiten der NMI gehörte sicherlich, dass nach 9/11 antimuslimische Akteure ein politisches Vakuum nutzten und die Situation für ihre Agenda instrumentalisieren konnten. Die Folge war eine Reihe von Maßnahmen staatlicher Behörden, die Muslime bis heute diskriminieren und ihre Verbände unter einen 14. Resümee und Ausblick 299

Generalverdacht stellen. Auf der nationalen Ebene gehört dazu maßgeblich die Veröffentlichung der UCC-Liste, durch die ISNA und CAIR in die Nähe von Terrorismus gerückt wurden. In Verletzung rechtsstaatlicher Standards wurden dabei weder Beweise vorgelegt, noch wurde den betreffenden Organisationen eine Möglichkeit gegeben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Dass CAIR als NMI mit der höchsten Repräsentativität unter US-Muslimen (wie anhand der Gallup-Studie gezeigt wurde) seitdem kriminalisiert wird, ist hoch problematisch. Auf der lokalen Ebene haben der Einsatz von Informanten und „agent provocateurs“ in Moscheen zu einer Verunsicherung und Enttäuschung von Muslimen gegenüber den Sicherheitsbehörden geführt.

Die ACLU hat auf die großen rechtsstaatlichen Defizite dieser Maßnahmen hingewiesen, die nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern vielmehr die Rechte von US-Muslimen fundamental missachten. Diese Maßnahmen widersprechen dem Bild, das die US-Regierung im Rahmen ihrer Public Diplomacy weltweit zu kommunizieren versucht, wonach Muslime in den USA volle Bürgerrechte genießen, ihre Integration reibungslos verlaufe und sich europäische Länder hieran ein Beispiel nehmen sollten. (Azzaoui 2009) Maßnahmen dieser Art können die Identifikation der US-Muslime mit ihrem Land erheblich beeinträchtigen, sie sollten schnellstmöglich beendet werden.

Im Rahmen der Arbeit konnte gezeigt werden, dass sich die Aufnahme von CAIR und ISNA auf die UCC-Liste auf die beiden Organisationen unterschiedlich ausgewirkt hat. Für CAIR führte die Aufnahme dazu, dass das FBI seine Kooperation mit dem National Office in Washington DC aufkündigte und der Verband in der Folge keinen direkten Zugang zu Abgeordneten mehr hatte. CAIR konnte zudem in der Hauptstadt keine Koalitionen mehr mit bedeutenden Organisationen eingehen. ISNA hingegen schaffte es, Unterstützer 14. Resümee und Ausblick 300

zu mobilisieren – darunter renommierte Organisationen wie die ACLU und Common Cause – und so eine Stigmatisierung abzuwehren. Die Organisation hat zudem seit der Wahl von Präsident Obama regelmäßig Einladungen ins Weiße Haus erhalten, mit Valerie Jarrett trat eine der Hauptberaterinnen von Präsident Barack Obama bei der ISNA-Convention 2009 als Rednerin auf.

Die staatlichen Sicherheitsmaßnahmen haben sich, wie gezeigt wurde, auch auf das Verhältnis zwischen den NMI ausgewirkt. So sind ISNA und MPAC auf Distanz zu CAIR gegangen, um der Isolierung zu entgehen, welche CAIR erfahren hat. Man vermeidet zwar öffentliche Distanzierungen oder Kritik, jedoch gibt es keine Kooperationen auf der nationalen Ebene.

Der Unterschied in den Auswirkungen kann zum einen auf die Arbeitsweise von CAIR zurückgeführt werden. CAIR arbeitet mit öffentlichkeitswirksamen Protestkampagnen und mobilisiert damit viel stärker Gegner, welche Gelegenheiten wie die UCC-Liste nutzen, um auf politisch verantwortliche Akteure Einfluss zu nehmen. Zudem kommt, dass der Gründer und Geschäftsführer Nihad Awad als propalästinensisch gilt. Damit geriet CAIR noch stärker in den Fokus pro-israelischer Organisationen als die anderen NMI.

Die Hoffnung von US-Muslimen, mit der Wahl von Barack Obama im Jahr 2008 werde eine Verbesserung hinsichtlich diskriminierender Sicherheitsmaßnahmen folgen, wurde enttäuscht. So wurde etwa im Rahmen der NSA-Affäre im Jahr 2014 bekannt, dass fünf amerikanisch-muslimische Führungspersönlichkeiten 14. Resümee und Ausblick 301

ohne rechtsstaatliche Grundlage ausgespäht wurden, darunter Nihad Awad, der Geschäftsführer von CAIR. 330

Präsident Obama hat – bis auf symbolische Gesten bei der Inauguration und im Rahmen des Ramadan, etwa bei den traditionellen Fastenbrechempfängen im Weißen Haus – Distanz zu US-Muslimen gehalten. Erst im Februar 2015 – also erst Mitte der zweiten Amtszeit und nach den Kongresswahlen im November 2014 - traf er sich erstmals zum Austausch mit Führungspersönlichkeiten der muslimischen Gemeinschaften in den USA.331

Die NMI tragen nicht nur zur Repräsentation, sondern auf verschiedene Weise auch zu einer verstärkten zivilgesellschaftlichen und poltischen Partizipation von US-Muslimen bei. Sie vermitteln ein gesellschaftlich-politisches Bewusstsein darüber, dass eine Veränderung der Gesellschaft mit ihren Strukturen und Institutionen möglich ist und aktives Engagement des Einzelnen für Muslime eine normative (religiöse) Verpflichtung darstellt. Nur so ließen sich angemessene Lebensbedingungen für sie selbst und die nachkommenden Generationen schaffen. Auch die Nachwuchsförderung für junge Muslime durch Praktika und Leadership-Programme ist ein Weg, durch den die NMI politische Partizipation befördern. Hier hat sich gezeigt, dass spezialisierte

330 Nermeen Arastu and Diala Shamas, Stop spying on American Muslims who dare to express their opinions. The government wants their service but targets thought leaders, 4.08.2014. (siehe online unter http://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2014/08/04/stop-spying- on-american-muslims-who-dare-to-express-their-opinions/ Detailliertere Informationen finden sich auf der Webseite des investigativen Online-Portals „The Intercept“. (siehe https://firstlook.org/theintercept/2014/07/09/under- surveillance)

331 Das Gespräch fand am 4. Februar 2015 im Weißen Haus statt. Unter den vierzehn Teilnehmern war auch jeweils ein Vertreter von ISNA und MPAC beteiligt. (Press Briefing by Press Secretary Josh Earnest, 2/5/2015. http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2015/02/05/press-briefing-press- secretary-josh-earnest-252015) 14. Resümee und Ausblick 302

Organisationen wie das Muslim Public Service Network oder das American Civic Leadership Institute entstanden sind, um junge Muslime gezielt für Aufgaben im öffentlichen Dienst anzuwerben und zu qualifizieren.

Die Öffnung hin zu einer verstärkten politischen Partizipation von US-Muslimen war ein langer Prozess, der, wie dargestellt, durch eine Reihe von Faktoren befördert wurde.

In einer ersten Phase waren US-Muslime vor allem damit beschäftigt, die notwendige Infrastruktur zur Religionsausübung sowie die Weitergabe des Islam an die nachkommenden Generationen sicherzustellen. Geprägt von islamischen Bewegungen in ihren Heimatländern lehnten sie eine Partizipation am politischen System der USA ab. Die Überzeugung, man würde irgendwann in das jeweilige Herkunftsland zurückkehren („myth of return“), war weit verbreitet.

Ab den 1980er Jahren allerdings fand bei den US-Muslimen ein Öffnungsprozess hin zur politischen Partizipation statt. Zum einen drängten negative Erfahrungen mit Diskriminierungen sowie die einseitige pro-israelische US-Außenpolitik sie zum Handeln, zum anderen beförderten auch eine Reihe positiver Erfahrungen diesen Prozess, wie z.B. eine wachsende Anerkennungskultur.

Weitere Beweggründe entstanden im Inneren der muslimischen Gemeinschaften: Die Erfahrung politischer und religiöser Freiheiten ließ die Skepsis gegenüber dem politischen System der USA weichen. In den Vereinigten Staaten lebende muslimische Theologen und Sozialwissenschaftler riefen ihre Glaubensgeschwister dazu auf, die starke Orientierung auf ihre Herkunftsländer aufzugeben und lieferten ihnen eine theologische Begründung dafür, sich in ihrer neuen Heimat politisch und zivilgesellschaftlich für das Gemeinwohl einzusetzen. 14. Resümee und Ausblick 303

In dieser Tradition rufen die NMI dazu auf, dass US-Muslime ihren Fokus auf die Verbesserung der Lebensbedingungen in den USA richten sollten. Dies kommt besonders anschaulich im Motto von MPAC zum Ausdruck: „Home is not where my grandparents are buried, but where my grandchildren will be raised.“

Zum anderen tragen die NMI ganz konkret zu einer politischen Partizipation von US-Muslimen bei, indem sie, wie am Beispiel der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2008 gezeigt wurde, Muslime bei der Wählerregistrierung unterstützen, Wahlprüfsteine veröffentlichen, Wahlforen und Workshops zu politischer Partizipation organisieren.

Im Rahmen der Interviews hat sich gezeigt, dass in diesem Feld auch Moscheegemeinden und regionale Organisationen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die NMI haben mit ihrer Lage in der Hauptstadt und ihrer Expertise jedoch weiterhin eine führende Rolle und können Angebote vorhalten, die von lokalen und regionalen Organisationen bisher nicht angeboten werden können. Mit Blick auf weitere Forschungen zur politischen Inkorporation von US-Muslimen empfiehlt es sich, eine vertikale Vertiefung mit Blick auf die Akteure vorzunehmen und das Zusammenwirken zwischen lokalen und nationalen Akteuren in Zukunft stärker zu beleuchten, so wie dies bereits für die christlichen Kirchen in Ansätzen geschehen ist. (Cleary, Hertzke, 2006; Djupe, Olson 2007b)

Ein Ausgangspunkt dieser Arbeit war, dass die kollektive Identität es dem Individuum ermöglicht, Sinn und Orientierung in der Welt zu schöpfen und es befähigt, intentional zu handeln und Werte in den politischen Prozess einzubringen. Die NMI tragen dazu bei, dass Muslime in den USA eine gemeinschaftliche Identität – eine American Muslim Identity - entwickeln und auf dieser Grundlage auch eine Identifikation mit der US-Gesellschaft und ihrem politischem System aufbauen. 14. Resümee und Ausblick 304

Die NMI tragen einerseits zu einem Gemeinschaftsgefühl bei, das sich mit Zugehörigkeit zum Islam als Basis über ethnische und kulturelle Differenzen hinweg definiert. So finden sich in den NMI Muslime aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern und Sprachen zusammen. Ein Ausdruck dieses interethnischen Ansatzes ist die englische Sprache als lingua franca. Auf dieser Grundlage werden amerikanische Muslime dazu angehalten, ihren Fokus auf die USA zu richten und sich in dieser Gesellschaft politisch und zivilgesellschaftlich zu engagieren. Die Identifikation mit den USA wird zudem gestärkt, weil die NMI sich mit der politischen Kultur – insbesondere in Form der amerikanischen Zivilreligion - identifizieren.

Das Verständnis dessen, was „muslimische Interessen“ ausmacht, wird von den NMI zunehmend weiter gefasst. Es geht nicht mehr ausschließlich um eng definierte Eigeninteressen, sondern auch darum, dass Muslime aus ihrem Glauben heraus eine Verantwortung für sozial Schwache haben - unabhängig von deren Religionszugehörigkeit - und sich für das Gemeinwohl einsetzen sollten. Dies wird sowohl als religiöser Auftrag gesehen, als auch als eine Möglichkeit, der Gesellschaft die soziale Relevanz des Islam aufzuzeigen und damit zu einem verbesserten Bild von Muslimen und dem Islam beizutragen. Diese auf die USA gerichtete Sichtweise beinhaltet auch eine Emanzipation von den Herkunftsländern und ist ein wesentliches Merkmal der American Muslim Identity, wie sie von den hier untersuchten NMI vertreten wird.

Das breitere Verständnis muslimischer Interessen und ein starkes Verantwortungsgefühl der NMI zeigen sich auch anhand der Nahostpolitik. MPAC und ISNA nutzen die Möglichkeit von Koalitionen, vor allem mit Verbänden US-amerikanischer Juden wie J-Street, die sich von der bedingungslosen Parteinahme von AIPAC 14. Resümee und Ausblick 305

für die israelische Politik abgrenzen. MPAC und ISNA tragen so nicht nur dazu bei, dass die meistens sehr einseitige Debatte in den USA zur Nahostpolitik ausgewogener wird, sie übernehmen insgesamt eine Pionierfunktion im Aufbau von Kooperationen mit jüdischen Organisationen wie der Progressive Jewish Alliance oder der Union for Reform Judaism, welche zu einer besseren Verständigung beider Religionsgemeinschaften in den USA beitragen sollen. Auch mit Blick auf den Nahen Osten rufen MPAC und ISNA Muslime dazu auf, ein besseres Verständnis jüdischer Geschichte und des Holocaust zu entwickeln, um die Spirale der Gewalt durchbrechen zu können.

Die Vertreter der NMI treten sehr selbstbewusst auf, wenn es um ihr Islamverständnis geht und machen deutlich, dass sie keine „spiritual dictation“ von muslimischen Gelehrten aus ihren Herkunftsländern zulassen. Man will vielmehr für sich selbst entscheiden, wie man den Islam in den USA angemessen ausüben kann. Muslimische Interessenorganisationen pauschal als „Agenten fremder Mächte“, d.h. muslimisch geprägter Staaten zu verdächtigen und ihnen die Demokratiefähigkeit abzusprechen erscheint als Vorurteil, wenn man CAIR, MPAC und ISNA betrachtet. Sie orientieren ihre Basis auf demokratische Werte und aktive Mitwirkung am politischen Prozess, auf Bündnisse mit anderen Organisationen, religiösen wie nicht-religiösen. Sie bemühen sich um die Verankerung einer American Muslim Identity, die ihre Bezugsgruppe enger an das Heimatland bindet - das genaue Gegenteil der sogenannten „Parallelgesellschaften“.

Dazu gehört auch das klare Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten, insbesondere dem Schutz der Menschenwürde und Religionsfreiheit, welche sich für US-Muslime aus dem Islam heraus ergeben. Es wurde dargelegt, dass die NMI sich zunehmend in internationale Debatten über Demokratie und Menschenrechte 14. Resümee und Ausblick 306

einschalten und Missstände in der muslimisch geprägten Welt anprangern, etwa die Diskriminierung religiöser Minderheiten. Voraussichtlich werden amerikanisch-muslimische Organisationen künftig im weltweiten Diskurs zu diesen Themen eine größere Rolle einnehmen. Dadurch werden US-Muslime über den akademischen Diskurs hinaus auch auf Diskussionen von Muslimen in Europa und in muslimisch geprägten Länder in Zukunft stärker Einfluss ausüben. (Strum, o.J. [2005/2006])

Die Möglichkeit der US-Muslime, in den USA als demokratischem Land mit seinen weitgehenden Freiheiten zu leben, ist für sie ein „Geschenk“, welches man zu schätzen wissen sollte. So wird an das Konzept der „city upon a hill“ angeknüpft, das den USA eine besondere Rolle unter den Nationen zuspricht, um der eigenen Migration einen höheren Sinn zu geben. Danach gibt die Auswanderung von Muslimen in die USA diesen die Möglichkeit, unter freiheitlichen Bedingungen ein Islamverständnis zu entwickeln, das modernen Herausforderungen gerecht wird. Damit gehen auch die Verantwortung und der Führungsanspruch der US- Muslime als „guiding light“ für den Rest der muslimischen Weltgemeinschaft einher. US-Muslime können Muslimen weltweit den Weg weisen, wie sie ein zeitgemäßes Islamverständnis entwickeln können.

Neben dieser Adaption von Elementen der amerikanischen Zivilreligion beteiligen sich die NMI auch an den klassischen Elementen, durch die US-Amerikaner ihren Patriotismus zum Ausdruck bringen. So werden von den NMI bei offiziellen Anlässen Gebete auf die Nation (Pledge of Allegiance) vorgenommen, zivilreligiöse Feiertage (Thanksgiving) begehen, nationale Symbole (Flagge) und historische Dokumente (Declaration of Independence) nehmen eine besondere Bedeutung ein und werden zelebriert. Dieser Identifikationsprozess wird auf der anderen Seite 14. Resümee und Ausblick 307

unterstützt durch die Anerkennung von Muslimen sowie anderen Religionsgemeinschaften und ihren Überzeugungen durch Politiker und staatliche Institutionen. Mit Blick auf US-Muslime gehören dazu die muslimischen Invokationen im Kongress, Empfänge zum Fastenbrechen im Weißen Haus oder die Aussage Präsident Barack Obamas „We are a nation of Christians and Muslims, Jews and Hindus, and non-believers“ bei seiner ersten Inauguration.

Im Rahmen dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass die Identifikation der US-Muslime mit den USA nicht ausschließlich als eine Reaktion auf die Erwartungen aus der Mehrheitsgesellschaft erklärt werden kann, wonach sich Zugewanderte und ihre Nachkommen mit den USA zu identifizieren haben. Vielmehr muss diese Identifikation auch als ein proaktiver Prozess angesehen werden. So wird der Prozess der kulturellen Anpassung der nachkommenden Generationen für unvermeidlich gehalten. Es wird jedoch als wichtig erachtet, diesen Prozess proaktiv mitzugestalten und sicherzustellen, dass US-Muslime dabei ihre religiöse Identität weiter beibehalten. Um diese Verbindung zwischen dem amerikanischen und muslimischen zu gewährleisten, ist man bereit, zumindest im Rahmen der muslimischen Institutionen auf kulturelle Elemente der Herkunftsländer wie Sprache und Traditionen zu verzichten und sich auf die politische Kultur der USA einzulassen.

Die USA prägt insgesamt eine hohe Ausdifferenzierung der Verbandslandschaft, die bisher noch nicht abgeschlossen ist. Die NMI haben dort eine andere Bedeutung als die muslimische Organisationslandschaft in Europa. Unter organisierten Muslimen in Europa dominieren bisher vor allem Verbände, die Moscheen repräsentieren und das Ziel verfolgen, dieselben Rechte wie die christlichen Kirchen zu erlangen. (Kortmann, Rosenow-Wiliams, 2013). In Deutschland streben muslimische Gemeinschaften die Anerkennung als Religionsgemeinschaft und möglicherweise als 14. Resümee und Ausblick 308

Körperschaften des öffentlichen Rechts an. Wenn sie aber auf diesem Weg Teil von Korporatismus-ähnlichen Strukturen werden, bleibt fraglich, ob diese Organisationstypen die Funktionen für die politische Inkorporation ihrer Zielgruppe erfüllen können, wie sie die hier untersuchten NMI für die US-Muslime leisten. Hier zeigt sich, wie stark der staatlich-gesellschaftliche Kontext die Entwicklung der muslimischen Organisationslandschaft beeinflussen kann und damit auch ihre Bedeutung für die politische Inkorporation im jeweiligen Kontext.

Die Konstruktion des Muslims als „der Andere“ wird in Europa dadurch verstärkt, dass Muslime oftmals mit Immigration gleichgesetzt werden, da sie einen erheblichen Teil der Immigranten ausmachen, und, wie in Frankreich (Nordafrikaner) oder Deutschland (Türken), diese wiederum in einzelnen Ländern durch eine bestimmte Ethnie dominiert werden.

Hinzu kommt, dass die sozialen Probleme der ehemaligen Gastarbeiter und ihrer Nachkommen mit dem Islam gleichgesetzt werden. Es sind verschiedene Ebenen des Andersseins, welche zu einem Konstrukt des Muslims als „dem Anderen“ führen. In den USA sind diese Faktoren nicht gegeben. Vielmehr sind die Muslime in den USA zum Großteil zum Studium eingewandert und entsprechen sozioökonomisch mindestens dem US-Durchschnitt, sie bilden (mit 10%) nur einen sehr kleinen Teil der neuen Einwanderer und sind auch untereinander sehr divers. Es gibt unter ihnen keine dominierende Ethnie. Dass zudem ein Drittel der US- Muslime Afroamerikaner sind, erschwert es zusätzlich, den Islam als etwas Fremdes darzustellen.

US-Muslime sind damit für den europäischen Diskurs ein gutes Anschauungsbeispiel dafür, dass man die verschiedenen Ebenen des Andersseins stärker trennen sollte und ihr Beispiel verdeutlicht, dass die sozialen Probleme von Menschen aus muslimisch 14. Resümee und Ausblick 309

geprägten Ländern nicht auf ihre Religion zurückzuführen sind, sondern soziale Ursachen haben, während ihre Religionszugehörigkeit für etwaige Probleme nebensächlich oder irrelevant ist.

Vielen Positionen, die in Europa in Debatten um Muslime mit absoluter Gewissheit vorgetragen werden, wird durch das Beispiel der US-Muslime der Boden entzogen. Der Islam ist kein Integrationshindernis und auch nicht ursächlich für die sozioökonomischen Probleme von migrantischen Bevölkerungsgruppen, wie von Thilo Sarrazin und einigen anderen sogenannten Islamkritikern behauptet wird. Von diesen Kritikern wird die wirtschaftliche und soziale Ausgangssituation der Zugewanderten ignoriert. So zeigt sich am Beispiel der Afroamerikanischen Muslime, dass diese in ihrem Land sozioökonomisch benachteiligt sind, aber sie teilen sich diese Lage mit anders- und nichtgläubigen Afroamerikanern. Die immigrierten Muslime hingegen bewegen sich bei Einkommen und Qualifikation oberhalb des Bevölkerungsdurchschnitts.

Durch diese Arbeit ist deutlich geworden, wo Muslime in Europa von den Erfahrungen der US-Muslime für ihre weitere politische Entwicklung lernen können. US-Muslime haben nicht nur ihren „myth of return“ verabschiedet, sondern es auch vermocht, selbst eine Vision für ihre positive Rolle in der Gesellschaft zu entwickeln.

Ihre Vision, die in der American Muslim Identity zur Geltung kommt, hilft ihnen, über ethnische Differenzen hinaus eine Gemeinschaft zu bilden, sich von einer Fixierung auf ihre Herkunftsländer zu lösen und gibt ihnen zudem ein starkes Motiv, sich für das Gemeinwohl einzusetzen in ihrem neuen politischen Umfeld, mit dem sie sich identifizieren. 14. Resümee und Ausblick 310

Das Beispiel der US-Muslime könnte Muslime in Europa inspirieren, selbst eine Vision zu entwickeln, die sie politisch handlungsfähig macht und ihnen ermöglicht, ihre Religion an nachkommende Generationen nachhaltig weiterzugeben. Wenn sich Muslime in diesem Sinne öffnen, werden sie als positiver Mitgestalter der Gesellschaft wahrgenommen. In diesem Zusammenhang erscheint ein verstärkter transatlantischer innermuslimischer Dialog sinnvoll.

Während Lehrstühle für islamische Theologie an europäischen Universitäten erst im Aufbau sind, gibt es trotz anderer institutioneller Rahmenbedingungen in den USA bereits eine längere Tradition von muslimischen Intellektuellen und Theologen. Hier verspricht ein verstärkter Austausch über die Herausforderungen von Muslimen in westlichen Gesellschaften einen Gewinn für beide Seiten.

US-Muslime schätzen an den Vereinigten Staaten, dass sie in einem Land leben, indem es ein Verständnis für Religiosität gibt. So sind konkrete Fragen der Religionsausübung – wie etwa das Tragen des Kopftuches – im Gegensatz zu Europa in den USA in der Regel kaum der Rede wert. Zudem ist organisierte Religion in den USA historisch ein wichtiger Pfad, durch den Immigranten einen Platz in der US-Gesellschaft finden können. Der Zusammenschluss auf der Grundlage von Religion und die Artikulation religiös begründeter Interessen im öffentlichen Raum werden nicht in Frage gestellt.

In Europa war lange Zeit die Vorstellung sehr dominierend, dass die Abnahme von Religion einen natürlichen und unumkehrbaren Prozess darstelle. Hier wird die kollektive und öffentliche Praktizierung des Islam als Irritation und Angriff auf die säkulare Gesellschaft wahrgenommen. In Europa wird – wie Jose Casanova zu Recht festgestellt hat – der Islam als eine „essentially illiberal and un-European religion“ gesehen. Hier gibt es starke Parallelen zum antikatholischen amerikanischen Nativismus des 18. 14. Resümee und Ausblick 311

Jahrhunderts, der Katholiken als undemokratische Gruppe ansah, die einer anderen Autorität – dem Papst – zu Gehorsam verpflichtet seien. (Casanova, 2012)

Die vorliegende Untersuchung über die Rolle von muslimischen Interessenorganisationen für die politische Inkorporation von US- Muslimen hat gezeigt, dass sie zur Entwicklung eines Islamverständnisses beitragen, das Demokratie und Menschenrechte stützt. Die säkularistische Perspektive, der zufolge sich Religion und Demokratie ausschließen, greift hingegen zu kurz. Künftig sollte auch denjenigen Bürgern die Möglichkeit zur Beteiligung am und Lernerfahrungen im politischen Prozess gegeben werden, die ihre Religion als wesentliches Merkmal ihrer Identität ansehen.

Wenn sich die Politik in einem radikalen Säkularismus den Interessen eines Teil der Bürger verschließt, dann wird dies eine Politisierung von Religion herbeiführen, die erhebliche Konflikte provozieren kann.

Dies gilt sowohl für muslimische Minderheiten in westlichen Gesellschaften, jedoch genauso für die Transformationsprozesse, welche derzeit in der arabischen Welt stattfinden. Religiöse Autoritäten müssen die Autonomie von demokratisch gewählten Regierungen akzeptieren – ohne ein gesetzlich verbrieftes Vetorecht. Auf der anderen Seite müssen die politischen Institutionen in einer Gesellschaft den religiösen Individuen und Gruppen einen Freiraum zur Ausübung ihres Glaubens bieten. Solange sie die Gesetze und demokratische Regeln beachten, sollten religiös motivierte Menschen auch ihre Positionen und Werte über Organisationen in den politischen Prozess einbringen können. 15. Liste der Interviewpartner 312

15. LISTE DER INTERVIEWPARTNER

Aalim Johnson, Jameel NASDAQ OMX Associate Vice President/Office of Government Relations (Zuvor: Founding Member, Congressional Muslim Staffers Association) 30.03.2009, Washington DC

Abdul-Malik, Johari (geb. Winslow R. Seale) Dar-Al-Hijrah, Director of Outreach Muslim Alliance of North America, Chair of Government Relations 13.05.2009, Falls Church, Virginia

Ahmad, Imad-ad-Dean President, Minaret of Freedom Institute 21.05.2009, Bethesda, Maryland

Ahmed, Parvez Ehemaliger Chairman, Board of Directors, CAIR-National 14.07.2009, telefonisch

Akthar, Muhammad Salim American Muslim Taskforce Director Organizational Affairs and Community Development 6.04.2009, Washington DC

Albert, Thomas A. American-Arab Anti-Discrimination Committee Special Assistant to the President, Director of Government Relations, Office Manager 15. Liste der Interviewpartner 313

1.04.2009, Washington DC

Al-Talib, Dr. Hisham International Institute of Islamic Thought Vice President Finance 20.05.2009, Herndon, Virginia

Al-Suwaij, Zainab American Islamic Congress Executive Director 3.04.2009, Washington DC

An-Naim, Abdullahi Senior Fellow Berkley Center for Religion, Peace and World Affairs 27.04.2009, Washington DC

Asbahi, Mazen Attorney (Zuvor: Volunteer National Coordinator for Muslim American Affairs, Barack Obama Campaign) 22.02.2009, Arlington, Virginia

Awad, Nihad CAIR-National Executive Director 3.07.2009, Washington DC

Aziz, Sahar Attorney 8.07.2009, Silver Spring, Maryland

15. Liste der Interviewpartner 314

Bassiouni, Prof. Cherif University of Chicago, College of Law 1.05.2009, Chicago, Illinois

Borelli, Dr. John Georgetown University Special Assistant to the President for Interreligious Initiatives National Coordinator for Interreligious Dialogue and Mission for the U.S. Jesuit Conference (Zuvor: Director of the Secretariat for Ecumenical and Interreligious Affairs/U.S. Conference of Catholic Bishops) 14.04.2009, Washington DC

Bray, Mahdi Muslim American Society-Freedom Foundation Executive Director 9.04.2009, Alexandria, Virginia

Ellison, Keith Member of the U.S. House of Representatives 2.04.2009, Washington DC

El-Sanousi, Mohamed Islamic Society of North America, Office for Interfaith and Community Alliances Director, Community Outreach and Communications 13.04.2009, Washington DC

Elsayed, Shaker Dar Al-Hijrah, Imam (Zuvor: Muslim American Society, General Secretary) 6.05.2009, Falls Church, Viriginia 15. Liste der Interviewpartner 315

Crane, Robert Publizist (Zuvor: Director, American Muslim Council) 30.04.2009, Washington DC

Findley, Paul Member of the U.S. House of Representatives (1961-1983) 11.05.2009, telefonisch

Gaya, Taha A. Pakistani American Leadership Center Executive Director 10.04.2009, Washington DC

German, Michael American Civil Liberties Union Policy Counsel for National Security Issues 15.05.2009, Washington DC

Ghannouchi, Dr. Souheil (Zuvor: Muslim American Society, Chairman, President, Executive Director) 16.04.2009, Arlington, Virginia

Ghori, Safiya Muslim Public Affairs Council Governmental Relations Director 22.04.2009, Washington DC

Hodari, Abdul-Ali Muslim Alliance of North America 15. Liste der Interviewpartner 316

Member Majlis Ashura, Chairman of Social Justice Task Force Imam Jamil Action Network, Executive Director 31.03.2009, Mount Rainier, Maryland

Hooper, Ibrahim CAIR-National Communications Director 2.07.2009, Washington DC

Hussein, Minhaj The Muslim Link Editor-in-Chief 7.05.2009, College Park, Maryland

Johnston, Douglas International Center for Religion and Diplomacy President 14.05.2009, Washington DC

Jones, Robert Public Religion Research Institute CEO 21.05.2009, Washington DC

Kashif, Imam Ghayth (geb. Lonnie Smith) Journalist (Zuvor: American Muslim Alliance, Congressional Representative) 16.04.2009, Washington DC

Khalil, Haytem American-Arab Antidiscrimination-Committee Fundraising Director 15. Liste der Interviewpartner 317

1.04.2009, Washington DC

Khan, Suhail Consultant, Politischer Aktivist (Republikaner) (Zuvor: Assistant to the Secretary for Policy, Department of Transportation) 21.02.2009, Washington DC

Kubba, Laith National Endowment for Democracy Senior Director Middle East and North Africa 7.04.2009, Washington DC

Lekovic, Edina Muslim Public Affairs Council Communications Director 7.07.2009, Washington DC

Marro, Bob All Dulles Area Muslim Society (ADAMS) Center Government Relations Director 6.05.2009, Falls Church, Virginia

Masmoudi, Radwan Center for the Study of Islam and Democracy Executive Director 16.04.2009, Washington DC

McCloud, Prof. Aminah DePaul University Islamic Studies in the Department of Religious Studies, Director of the Islamic World Studies Program 15. Liste der Interviewpartner 318

30.04.2009, Chicago, Illinois

Monahan, Frank Consultant (Zuvor: United States Conference of Catholic Bishops, Head, Government Relations Office) 15.05.2009, Washington DC

Muhammad, Imam Akmal M. Chairman The Islamic Freedom Foundation, Inc. 7.04.2009, Silver Spring, Maryland

Nassimi, Daoud Council of Muslim Organizations in Greater Washington, DC Vice Chairman 20.05.2009, Herndon, Virginia

Nimer, Mohamed Assistant Professor, International Affairs, American University (Zuvor: Research Director, CAIR-National) 9.04.2009, Washington DC

Nyang, Prof. Sulayman Howard University 18.05.2009, Maryland

Reese, Thomas Georgetown University, Woodstock Theological Center Senior Fellow 12.05.2009, Washington DC

Rehab, Ahmed 15. Liste der Interviewpartner 319

CAIR Chicago Executive Director 1.05.2009, Chicago, Illinois

Rezeika, Mamdouh Islamic Media Foundation/Islamic Broadcasting Network Executive Director 20.05.2009, Sterling, Virginia

Sahloul, Dr. Zaher The Council of Islamic Organizations of Greater Chicago President 30.04.2009, Chicago

Salakhan, Mauri Peace and Justice Foundation Director of Operations 15.04.2009, Washington DC

Saleem, Yusuf Masjid Muhammad Inc. Resident Imam 6.05.2009, Washington DC

Saylor, Corey CAIR-National Director of Government Affairs 24.02.2009, Washington DC

Schwarz, Stephen Sulejman Center for Islamic Pluralism Executive Director 15. Liste der Interviewpartner 320

8.04.2009, Washington DC

Shaw, Larry CAIR National Chairman of the Board State Senator, North Carolina 3.07.2009, Washington DC

Shakir, Zarina Gemeindeaktivistin Z Productions 14.05.2009, Washington DC

Syeed, Dr. Sayyid M. Islamic Society of North America, Office for Interfaith and Community Alliances National Director 8.05.2009, Washington DC

Tarin, Haris Muslim Public Affairs Council Director of Community Development 25.02.2009, Washington DC

Tuncer, Erkan Rumi Forum Executive Director 7.05.2009, Washington DC

Department of Homeland Security, Office for Civil Rights and Civil Liberties Zafar, Shaarik H.; Senior Policy Advisor 15. Liste der Interviewpartner 321

Saeed, Irfan A.; Senior Policy Advisor Pressewalla, Jenny; Policy Advisor 17.04.2009, Washington DC

Department of Justice Treene, Eric; Special Counsel for Religious Discrimination, Office of the Assistant Attorney General, Civil Rights Division 18.05.2009, Washington DC

Department of State Pandith, Farah; Senior Advisor to the Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs Weinstein, Ivan; Foreign Affairs Officer, Office of Policy and Global Issues Eldridge, Jen; Office of Policy and Global Issues 18.05.2009, Washington DC

Unus, Dr. Iqbal International Institute of Islamic Thought Headquarters Director 20.05.2009, Herndon, Virginia

Williams, Jihad Saleh Congressional Muslim Staffers Association Program and Outreach Coordinator 11.04.2009, Washington DC

16. Literaturverzeichnis 322

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