Die wirtschaftlichen Krisen in Argentinien (2001) und Griechenland (2010) im analytischen Vergleich

Masterarbeit

Zur Erlangung des Master of Education (M.Ed.)

an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg

Eingereicht von ALEXANDER STOCKINGER

01321781

Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Angela Schottenhammer

Fachbereich: Geschichte

Salzburg, Mai 2019 Abstract

Die Wirtschaftsordnung in der globalisierten Welt ist gekennzeichnet von den Konzepten der neoliberalen Marktwirtschaft. Das Ende des Systems von Bretton Woods sowie die zunehmende Internationalisierung der Wertschöpfungsketten verlangten nach neuen Rahmenbedingungen. Seit der Schaffung neuer Akkumulationsmöglichkeiten für das Kapital vor knapp vier Jahrzehnten, beginnen sich Wirtschaftskrisen zu häufen.

Die vorliegende Masterarbeit untersucht vor diesem Hintergrund zwei dieser ökonomischen Verwerfungen. Die Aufarbeitung der Krisen in Argentinien 2001 sowie in Griechenland 2010 sollen Erkenntnisse über die Ursachen und krisenspezifischen Faktoren darlegen. Im Zentrum der Betrachtung stehen die Gemeinsamkeiten und Parallelen, die sich aus der Analyse der beiden Krisenszenarien ergeben. Von besonderem Interesse ist dabei die Wirkung makroökonomischer Prozesse für nationale Ökonomien. Es gilt, die Rolle des veränderten Akkumulationsregimes in Bezug auf das gehäufte Auftreten von Wirtschaftskrisen zu reflektieren. Außerdem besteht Grund zur Annahme, dass sich die verordneten Maßnahmen oftmals negativ auf die sich im Transformationsprozess befindlichen Ökonomien auswirken. Obwohl diese Strukturanpassungsprogramme den jeweiligen Ländern bei ihrer Entwicklung helfen sollen, stellt sich nicht zwingend eine Verbesserung der Situation ein. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass diese Programme eine neue Akkumulationsmöglichkeit für die Gläubiger darstellen.

Bei der vorliegenden Analyse finden verschiedene Positionen und Einschätzungen Berücksichtigung. Dieser Arbeit liegt die Methode des analytischen Vergleichs zugrunde, welche durch eine umfassende Literaturrecherche realisiert wird. Abgesehen von zeitlichen und räumlichen Unterschieden, finden sich bei der Analyse der beiden Krisen einige interessante Gemeinsamkeiten. Zum einen kann die verheerende Wirkung fixer Wechselkursregime festgehalten werden, welche die Staaten der Möglichkeit der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit im Krisenfall entzieht. In engem Zusammenhang mit den Wechselkursregimen stehen auch die öffentliche und private Verschuldung. Zum anderen wurde in beiden Fällen die Möglichkeit wahrgenommen, sich aufgrund einer starken Leitwährung zu günstigen Konditionen zu verschulden. Dieser Umstand trug zur steigenden Unsicherheit seitens der Gläubiger bei. Gleichermaßen zeigt sich in beiden Szenarien auch die Abhängigkeit von externen Faktoren, welche die instabile Lage der betroffenen Ökonomien zusätzlich verdeutlichen. Ein abschließender Blick auf die gewählten Bewältigungsstrategien der beiden Staaten offenbart die Alternativlosigkeit, die das neoliberale Wirtschaftssystem mit sich bringt. Abstract

In today’s globalised world, the economic order is predominately characterised by neoliberal approaches. Since new accumulation potentials for capital were created four decades ago, economic crises have started to multiply.

This Master thesis aims to analyse two of these economic disruptions – Argentina in 2001 and in 2010 – in order to identify their causes and specific factors. Commonalities such as the relevance of macroeconomic processes are also central in the course of the analysis. Furthermore, the role of the altered regime of accumulation will be discussed critically with regard to the fact that different economic crises frequently occur within a short time span. Though structural adjustment programmes are intended to further economic development, it is assumed that the prescribed measures often do not have a favourable effect on transition economies. On the contrary, the impression arises that these programmes constitute repeated accumulation potentials for the creditors themselves.

As both the general public and the scientific community hold controversial views on economic crises, this analysis considers various estimations and follows the analytical method of comparison based on an extensive study of literature. Apart from spatial and temporal differences, the study reveals clear similarities between both crises such as the devastating effects of fixed exchange rate regimes, which undermine the international competitiveness and contribute to public and private debt in a slump situation. In addition, long-term debt was financed on favourable conditions in both countries due to their strong key currencies. This, however, led to an increased creditors’ uncertainty. Likewise, both scenarios were characterised by a dependency on external processes thereby oftentimes revealing the national economies’ instability. Concluding considerations emphasise the lack of alternatives states in crisis face in the neo-liberal economic system.

Vorwort

Wirtschaftskrisen stellen aus verschiedenen Gründen bemerkenswerte Phänomene dar. Während meines Studiums begann ich ein besonderes Interesse für diese Ereignisse zu entwickeln. Es boten sich zahlreiche Möglichkeiten, wirtschaftliche Krisen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dieses Interesse war auch ausschlaggebend dafür, mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit mit dem Titel „Die Erinnerungskultur der Weltwirtschaftskrise 1929 und ihre Bedeutung für die weltweite Finanzkrise 2007/08“ intensiv mit den Ursachen und Auswirkungen ökonomischer Verwerfungen zu beschäftigen. Anschließend bot sich die Gelegenheit, die gewonnenen Erkenntnisse auf der Maßstabsebene von Nationalstaaten weiter zu vertiefen. Die im Rahmen eines Seminars durchgeführte Aufarbeitung der Krise in Argentinien um die Jahrtausendwende war schlussendlich entscheidend dafür, dieses Ereignis im Rahmen meiner Masterarbeit einem analytischen Vergleich zu unterziehen. Die vorliegende Arbeit beruht in Teilen auf diesen vorangegangenen Ausführungen. Ein besonderer Dank gilt meiner Betreuerin Frau Dr. Angela Schottenhammer, die mich in meiner Meinung bestärkte, diese Thematik weiter zu vertiefen und mich dabei tatkräftig unterstützte. Außerdem möchte ich mich auch bei meinen Eltern Roland und Irene, sowie meiner Lebensgefährtin Irina bedanken, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit eidesstattlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Bachelor-/ Master-/ Diplomarbeit/ Dissertation eingereicht.

13.05.2019 ______Datum, Unterschrift

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 1

2. Der Staatsbankrott in Argentinien 2001 ...... 5

2.1 In einer veränderten Weltordnung ...... 5 2.2 Wirtschaftspolitik in der demokratischen Epoche ...... 8 2.3 Reformen als Basis konjunktureller Entwicklung ...... 13 2.4 Der lange Weg bis zur Aufhebung der Konvertibilität ...... 15 2.4 Strukturreformen und die Rolle des IWF ...... 18 2.5 Politischer Wandel und Solidarität ...... 22 2.6 Die Krise ist nicht überwunden...... 26

3. Die Staatsschuldenkrise in Griechenland 2010 ...... 30

3.1 Von politischer Instabilität und verbesserter Konjunktur ...... 30 3.2 Die Schule der „Greek Statistics“ ...... 32 3.3 Demokratische Epoche und europäische Zwänge ...... 34 3.4 Euro Einführung, Spekulationsblasen & „Greek Statistics“ ...... 37 3.5 Der unaufhaltsame Weg in den Bankrott ...... 42 3.6 Von Sparpaketen und Rettungsschirmen ...... 45

4. Global ungleiche Entwicklung: Integrations- und Finanzkrisen ...... 52

4.1 Akkumulationsregime des Finanzkapitals aus historischer Perspektive ...... 52 4.2 Auswirkungen globaler und externer Krisen auf nationale Ökonomien ...... 57 4.3 Theorien global ungleicher Entwicklung ...... 61 4.4 Veränderte Funktionen am Finanzmarkt ...... 66

5. Krisen im analytischen Vergleich ...... 69

5.1 Zur Vergleichbarkeit von Finanzkrisen ...... 69 5.2 Das System fixierter Wechselkurse ...... 70 5.3 Die Bedeutung der Staatsverschuldung ...... 76 5.4 Einkommens- und Vermögensunterschiede ...... 82 5.5 Soziale Dimension ...... 85

6. Fazit ...... 89

7. Literaturverzeichnis & Abbildungsverzeichnis ...... 101

7.1 Literaturverzeichnis ...... 101 7.2 Abbildungsverzeichnis ...... 107 7.3 Abkürzungsverzeichnis ...... 109

1. Einleitung

„Eines ist klar: Geld ohne Gegenleistung gibt es nicht. Da helfen auch die Demonstrationen nicht.“ 1

„Die griechischen Regierungen haben einfach akzeptiert, was die Gläubiger verlangten. (…) Die Kreditprogramme haben mit ihren tiefen Einschnitten und enormen Steuererhöhungen die Gesellschaft zerstört.“ 2

„Kritik am IWF kann ernsthaft nicht überdecken, dass die ökonomische und soziale Krise Argentiniens ihre Kernursachen im Land selbst hat. Wenn Politik und Gesellschaft in Argentinien dies erkennen und akzeptieren, kann die Krise zum Ausgangspunkt einer guten Zukunft für das Land werden. Der IWF steht bereit, zu helfen.“ 3

„Wir Argentinier merkten, wie uns der Boden unter den Füßen schwand. Wir hatte eine Zeit hinter uns, in der wir glaubten, uns mit einer offenen Wirtschaft in die Welt integriert zu haben und vernünftig konkurrieren zu können und dass die Dinge der Vergangenheit uns nicht noch einmal passieren könnten. Aber 2001 fiel all das, was wir für solide gehalten hatten, plötzlich wie ein Kartenhaus zusammen.“ 4

1 Der ehemalige Fraktionschef der Union im deutschen Bundestag Volker Kauder über das erste verabschiedete Rettungspaket für Griechenland. Online unter: https://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/eu- rettungspaket-kauder-verteidigt-rettungspaket-fuer-griechenland_aid_634352.html. (14.04.2019) 2 Die studierte Betriebswirtin Evi – Maria Anagnostopoulou nach der Erteilung des letzten Hilfspaketes für Griechenland. Online unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-krise-beteiligte-und- betroffene-ziehen-bilanz-a-1221081.html. (14.04.2019) 3 Der ehemalige Vorsitzende des IWF und spätere Präsident der Bundesrepublik Deutschland Horst Köhler zur Krise in Argentinien. https://www.zeit.de/2002/05/200205_koehler-intervie.xml. (15.04.2019) 4 Der Politikwissenschaftler Jorge Arias über die nicht erfüllten Hoffnungen nach der liberalen Agenda der 1990er Jahre. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/argentinien-tango-krise-2001-fuehrte-in-die- staatspleite.1773.de.html?dram:article_id=324020. (14.04.2019) 1

In diesen Äußerungen der an den Krisenszenarien beteiligten Personen verbergen sich die großen Probleme und die Spannungsfelder, die Wirtschaftskrisen auslösen. Sie erfassen in sämtlichen Bereichen das gesellschaftliche Zusammenleben, oftmals mit verheerenden Wirkungen für die betroffenen Menschen. Bei beiden Wirtschaftskrisen finden sich Meinungen und Positionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Abhängig ist dies vom jeweiligen Blickwinkel, von dem man die ökonomischen Verwerfungen aus betrachtet. Für die Gläubiger ausstehender Kreditrückzahlungen ergeben sich ganz andere Interessen wie für Menschen, die aufgrund einer wirtschaftlichen Krise ihre Existenz bedroht sehen. Wie schwierig sich dieses Szenario darstellen kann, offenbart sich bei der Analyse der beiden Wirtschaftskrisen gleichermaßen. Interessenskonflikte entstehen dann, wenn der ökonomische Entwicklungsprozess eines Landes nicht so verläuft wie es sich die beteiligten Akteure vorgestellt haben. Die gewählten Volksvertreter auf Seiten der Gläubiger sind mit dem politischen Mandat ausgestattet, die Interessen ihres Landes, seiner Institutionen und privaten Finanzmarktakteure zu wahren. Die Politik dient auch der Vermeidung möglicher Verluste, die durch Krisen in peripheren Gebieten entstehen. Dem gegenüber stehen Positionen, die durch diese Politik ihre Existenz oder ihre zukünftigen Möglichkeiten der Emanzipation gefährdet sehen. Dieses Spannungsfeld aufzulösen, stellt sich im Zeitalter des Finanzkapitals und seinen häufig auftretenden wirtschaftlichen Krisen als nicht zu realisierende Aufgabe dar. Gegenseitige Schuldzuweisung erschweren die Lösungsfindung hierbei zusätzlich. Der Wunsch der ökonomischen Peripherie, sich an die ökonomischen Zentren dieser Welt anzunähern und ein ähnliches Wohlstandsniveau wie in diesen Ländern herbeizuführen, gestaltet sich realpolitisch betrachtet als äußerst schwierig. Die benötigte Hilfe, um diesen Transformationsprozess zu vollziehen, gibt es nicht umsonst. Geschaffene Institutionen sollen diesen Prozess ermöglichen und beschleunigen. Dafür werden großzügig Finanzhilfen in Aussicht gestellt, die möglichst profitablen ihren Weg zurück in die ökonomischen Zentren finden sollen. In diesem Prozess treten jedoch zahlreiche Probleme auf, die mitunter genau den gegenteiligen Effekt hervorrufen können, wie die Aussagen und Meinungen am Beginn dieser Arbeit eindrücklich darlegen. Es gilt die verschiedenen Meinungen in den jeweiligen Kontext einzuordnen und zu versuchen, die Rahmenbedingungen für eine kritische Reflexion zu schaffen.

Die Häufung ökonomischer Krisen seit den 1970er Jahren ist nicht von der Hand zu weisen. Im veränderten Akkumulationsregime des Finanzkapitals werden Rahmenbedingungen 2 geschaffen, die global ungleiche Entwicklungen hervorrufen. Einzelne nationale Ökonomien sind von dieser Entwicklung ungleich stärker betroffen wie andere. Auch mit Blick in die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas und in den geographischen Südosten des europäischen Kontinents lassen sich diese Tendenzen beobachten: Die Argentinienkrise 2001 und die Griechenlandkrise 2010 stellen aus vielerlei Hinsicht einzigartige Phänomene dar, die bei genauerer Betrachtung beachtliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Um ein besseres Verständnis für die Entstehung der Zahlungsunfähigkeit ganzer Nationalstaaten zu schaffen, ist es notwendig, diese nicht für sich isoliert zu betrachten, sondern sich diesem Phänomen aus einer vergleichenden Perspektive anzunähern.

Unter dem Gesichtspunkt einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft und einer Internationalisierung der Finanzmärkte, gilt es zu untersuchen, in welchem Ausmaß makroökonomische Ereignisse sich auf mikroökonomische Prozesse auswirken. Des Weiteren möchte ich der Frage nachgehen, in wie weit das veränderte Akkumulationsregime des Finanzkapitals die Entwicklung von Ökonomien im Transformationsprozess beeinflusst. Zusätzlich gilt es den Fokus auf den Umgang mit Finanzkrisen zu richten. Im Speziellen interessieren dabei die Möglichkeiten, welche einem in wirtschaftlicher Schieflage befindlichen Land eingeräumt werden, die Situation zu bewältigen. Bei der Betrachtung der beiden Krisenszenarien entsteht der Verdacht, dass die den beiden Ländern verordneten Strukturanpassungsprogramme, welche eine nachhaltige ökonomische Entwicklung begünstigen sollen, eigentlich gegenteilige Effekte hervorgerufen haben. Es besteht Grund zur Annahme, dass die Entwicklungskredite der Akkumulation von Finanzkapital dienen. Eigentlich sollten diese Kredite aber die wirtschaftliche Entwicklung begünstigen. Darin enthalten ist auch ein kapitalistisches Entwicklungskonzept, dass in der bipolaren Weltordnung entworfen, den Ländern der ökonomischen Peripherie wirtschaftlichen Erfolg versprach. Bei einer rückblickenden Analyse gilt es festzustellen, ob dieser darin verankerte Kulturimperialismus nicht vielmehr einen gegenteiligen Verlauf begünstigte. Im Zentrum des Interesses stehen auch wirtschaftspolitische Maßnahmen wie Wechselkursregime oder Haushaltspolitik, die in ihrer praktizierten Form Wirtschaftskrisen provozieren müssen.

Zur Untersuchung dieser Fragen und formulierten Thesen ist es notwendig, ein breites Spektrum politischer Gesinnungen und Perspektiven heranzuziehen. Eine Untersuchung aus einem speziellen Blickwinkel würde den beiden wirtschaftlichen Krisen nicht gerecht werden.

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Dabei muss die Tatsache berücksichtigt werden, dass es sich Fall von Griechenland um eine Krise in unserem Währungsraum handelt, und gerade deshalb eine Vielzahl von Meinungen und Positionen existiert, die teilweise auch mit Emotionalität versehen ist. Aufgrund der geographischen Distanz gestaltet sich dies am Beispiel Argentinien doch etwas differenzierter. Wenn möglich, stützt sich diese Arbeit vorwiegend auf Primärdaten, die von internationalen Institutionen wie Währungsfonds und Weltbank zur Verfügung gestellt werden. Dadurch soll der Anspruch an Objektivität gewährleistet werden. Bei der Analyse finden auch Positionen von Wirtschaftswissenschaftler Berücksichtigung. Dieser Arbeit liegt die Methode des analytischen Vergleichs zugrunde, welche durch eine umfassende Literaturrecherche realisiert wird.

Als Basis für weitere Untersuchungsschritte wird zunächst eine chronologische Aufarbeitung der beiden wirtschaftlichen Krisen durchgeführt. Hierfür werden Betrachtungszeiträume definiert und bedeutende wirtschaftliche Ereignisse in den beiden Ländern erläutert, damit spätere Zusammenhänge, die für das Verständnis wichtig sind, auch zu erkennen sind. Kapitel 2 und 3 beschäftigen sich somit mit der Erforschung der Ursachen, die für die ökonomischen Verwerfungen verantwortlich sind. In dem folgenden Kapitel 4 werden die Ereignisse nicht als für sich isoliert betrachtet, sondern in die jeweiligen globalen Kontexte eingeordnet. Dazu wird die Wirtschaftsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kurz umrissen, um auch sicherzustellen, dass bei der Betrachtung und Bewertung der beiden Staatsbankrotte keine bedeutsamen Faktoren außer Acht gelassen werden. Des Weiteren spielen sozioökonomischen Entwicklungstheorien eine Rolle. Für die Bewertung und das Verständnis der Krisenszenarien ist eine Auseinandersetzung mit diesen Theorien notwendig. Auch die veränderten Funktionen der globalen Finanzmarktakteure werden hierbei betrachtet. Anschließend werden die sich aus der Analyse ergebenen Parallelen und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. An dieser Stelle werden Vergleichskategorien formuliert und definiert, die einen gezielten Vergleich der beiden Krisenszenarien erlauben. Abschließend werden die aufgeworfenen Fragen anhand des erlangten Erkenntnisstandes beantwortet und in einem Ausblick ein möglicher zukünftiger Umgang mit solchen Phänomenen erörtert.

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2. Der Staatsbankrott in Argentinien 2001

2.1 In einer veränderten Weltordnung

Nach dem Abschluss der politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung des jungen lateinamerikanischen Staates, verzeichnete Argentinien jahrzehntelange kontinuierliche Wachstumsraten. Besonders der landwirtschaftliche Sektor gehörte im postkolonialen Zeitalter bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu einem mit globaler Bedeutung.5 Doch auch die argentinische Volkswirtschaft blieb von den beiden wirtschaftlichen Zäsuren des jungen 20. Jahrhunderts nicht verschont. Der erste Einbruch zu Beginn 1914, konnte aufgrund der gestiegenen Nachfrage an landwirtschaftlichen Erzeugnissen in den Nachkriegsjahren noch gut kompensiert werden. Jedoch offenbarte die Weltwirtschaftskrise 1929 auch in Argentinien die Fragilität dieses Systems. Die hohe Abhängigkeit vom Exportsektor wurde dem Land bei beiden Ereignissen zum Verhängnis. Die Krisenszenarien folgen dabei stets dem selbem Muster. Einem Rückgang der agrarischen Absatzzahlen auf den Weltmärkten, wird wirtschaftspolitisch durch eine Drosselung von Importen begegnet, was wiederum ausbleibende Steuereinnahmen nach sich zieht. Die große Abhängigkeit vom primären Sektor zeigt sich nun in den weitreichenden Konsequenzen für das gesamte System.6

Die Stabilität des politischen Systems in Nationalstaaten steht in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Gerade diese Tatsache kennzeichnet die politische Konsolidierung des argentinischen Staates nach der großen Depression der frühen 1930er Jahre. Die Jahrzehnte, in denen man die argentinische Ökonomie als wettbewerbsfähig beschrieben hat und dem Land gute Prognosen erstellt wurden, waren nun vorüber.7 Argentinien vermochte es nicht, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Wettbewerbsvorteile für sich zu nutzen. Der Export von Agrargütern, der in Argentinien zu Beginn des Jahrhunderts das Rückgrat der Wirtschaft bildete, reichte nicht mehr aus, um eine konjunkturelle Entwicklung voranzutreiben. Gekennzeichnet war diese Epoche von Urbanisierungsschüben, die sich besonders im Großraum von Buenos Aires bemerkbar machten. Als bewährtes Modell in ganz Lateinamerika, setzte man auch in Argentinien auf das

5 Vgl. Peter WALDMANN, Argentinien. Schwellenland auf Dauer, Hamburg 2010, 19. 6 Vgl. Ebd. 30f. 7 Vgl. Ernst WOLFF, Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzuges, Marburg 2014, 101. 5

System der Importsubstitution. Vor allem für die industriellen Erzeugnisse war dies wichtig, denn Restriktionen auf Importe erlaubten es dem Land, seine eigene Produktion zu steigern.8 Die Antwort auf die wirtschaftliche Misere gab der am Militärputsch 1943 beteiligte Juan Perón (1895 – 1974), indem er die Industrialisierung des Landes in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre vorantrieb. Die Wirtschaftspolitik Peróns unterschied sich maßgeblich von jener seiner Vorgänger. Zum einen forcierte er die Binnenmarktorientierung, die sich durch staatliche Regulierungsmaßnahmen auszeichnete. Diese Politik folgte dem internationalen Zeitgeist John Maynard Keynes (1883 – 1946), der mit seinen Schriften und Thesen zum Verhältnis von Staat und Märkten maßgeblich an der Überwindung der großen Depression der 1930er Jahre beteiligt war. Auch in Argentinien setzte man staatliche Lohn- und Preisregulierungen sowie protektionistische Maßnahmen zum Schutz der nationalen Wirtschaft durch.9 In Kombination mit einer expansiven Geld- und Kreditpolitik gelang es zunächst, das Wirtschaftswachstum hoch zu halten. Die Revitalisierung der europäischen Wirtschaft ermöglichte eine stabile Nachfrage argentinischer Erzeugnisse am Weltmarkt. Das Wachstum der ersten Nachkriegsjahre ging über in eine tiefe Rezession, die durch einen Anstieg der Inflation sich unmittelbar in der Bevölkerung bemerkbar machte. Der politischen Führung gelang es zwar durch staatliche Interventionen in Schlüsselbereichen der Wirtschaft der rezessiven Entwicklung entgegenzusteuern, dennoch blieb die argentinische Wirtschaft in unruhigen Fahrwassern.10 Rückblickendend betrachtet kann man in Argentinien von 1950 bis in die 1980er Jahre von wirtschaftlichem Stillstand und relativer Verarmung sprechen. Dabei sah man sich mit immer wiederkehrenden Problemen konfrontiert. Aufschwungsphasen und rezessive Phasen wechselten sich ab, was darauf schließen lässt, dass die Wirtschaftspolitik zu kurz gedacht war und die eigentliche Strukturschwäche der Ökonomie nicht angegangen wurde.

Die strukturellen Defizite veräußerten sich in jahrelangen Zahlungsbilanzschwierigkeiten, deren Ursache in der Industrieproduktion verortet werden kann. Die große Abhängigkeit des sekundären Sektors vom Importen, welche die Grundlage für die Industrieproduktion

8 Die Urbanisierungsschübe zeigten sich in steigenden Beschäftigungszahlen im sekundären Sektor und in starken Bevölkerungszuwächsen von ca. 85.000 Menschen / Jahr in Buenos Aires. WALDMANN, Argentinien, 60f. 9 Vgl. Arnold SPITTA, Die Industrialisierungspolitik in den vierziger Jahren aus Sicht des „Economic survey“, in: Detlef NOLTE/Nikolaus WERZ, Hg., Argentinien. Politik, Wirtschaft, Kultur und Außenbeziehungen, Frankfurt 1996, 41 – 57. Hier 43ff.; 10 WALDMANN, Argentinien, 74f. 6 darstellten, hielt die Wirtschaft im Würgegriff. Denn es gelang nicht, ausreichend Absatzmärkte für argentinische Erzeugnisse zu erschließen. Das Damoklesschwert der Zahlungsbilanz hielt somit das Land jahrzehntelang in Atem. Eine Ausnahme in diesen Entwicklungen stellt die kurzzeitige Öffnung für Auslandinvestitionen von 1963 bis 1974 dar, in der Zuwachsraten lukriert werden konnten. Die Zuwachsraten begründen sich in der liberalen Reformbereitschaft des Landes. Exemplarisch für die wechselhafte Entwicklung steht auch der einstmals florierende Agrarsektor. Dieser hatte große Schwierigkeiten, seine Vorkriegsproduktion zu erreichen, was auf mangelnde Investitionen in Produktionsmittel und fehlende Innovationen zurückgeführt werden kann. Die mangelnde oder schwankende Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten trug ebenfalls zu dieser Entwicklung bei. Vielerorts beließ man es aus diesen Gründen bei der traditionellen Viehzucht, die zwar weniger lukrativ, aber weitaus sicherer erschien. Die wachsende Ungleichheit in der Bevölkerung trug zur anhaltenden Instabilität bei. Verursacht wurde diese Ungleichheit durch die voranschreitende Urbanisierung, da das städtische Gebiet im Vergleich zum ländlichen, mehr Chancen auf Arbeit bot. Die großen Unterschiede zwischen urbanen und ruralen Raum können als Ausdruck der ökonomischen Schieflage verstanden werden. Als eine Ursache für die wirtschaftliche Instabilität des Landes kann die politische Instabilität, die sich durch wechselnde Militärdiktaturen und Zivilregierungen auszeichnete, angeführt werden. Bei der Betrachtung der konjunkturellen Entwicklung des Landes wird deutlich, dass diese in engem Zusammenhang mit politischer Stabilität steht.11 Die 1976 installierte Militärdiktatur von Jorge Rafael Videla umfasste ein Drei-Phasen-Programm, welches die Ökonomie wieder in Schwung bringen sollte. Durch den massiven Import von ausländischem Kapital sollte ein Wachstumsprozess einsetzen, der in einer anschließenden Umverteilung und demokratischen Reformen gipfeln sollte. Obwohl dies zuvor schon unter anderen politischen Führungen wenig erfolgreich war, bediente man sich wiederum dieser Methode.12

11 Die Wachstumsraten erreichten selten Werte über 2% und Einkommen und Inflation gaben ständig Grund zur Besorgnis. Bereits 1975/1976 konnte erstmals eine Hyperinflation verzeichnet werden. WALDMANN, Argentinien, 88ff. 12 Ebd. 101. 7

2.2 Wirtschaftspolitik in der demokratischen Epoche

Nach den turbulenten Nachkriegsjahrzehnten hoffte man auch in Argentinien, dass eine positive sozioökonomische Entwicklung sich durch Demokratisierungsprozesse ergeben würde. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit gab auch durchaus Anlass zu dieser Annahme. Die durch die Repressionen der Militärdiktaturen müde Bevölkerung wählte 1983 den Führer der Radikalen Partei, Raúl Alfonsín (1927 – 2009), zum Präsidenten. Die besonders stark betroffenen Gewerkschaften sahen nun den Zeitpunkt gekommen, sich neu zu formieren und ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen. Die wirtschaftspolitische Agenda des Präsidenten zielte auf die Einigung beziehungsweise Annäherung der peronistisch geprägten Gewerkschaften und den Unternehmensvertretern ab. Doch seine konkreten Programme zur Verbesserung der Lage entzweite die unterschiedlichen Lager zunehmend. Die gestiegene Auslandsverschuldung, die während der Militärdiktatur nochmals massiv anstieg, sowie eine äußerst schwierige wirtschaftliche Gesamtsituation erschwerten Reformationsbestrebungen zusätzlich. Alfonsín vermochte es, sich von alten Strukturen und Mustern zu verabschieden. So gelang es ihm, die sich auf dem Tiefpunkt befindlichen Beziehungen zu den beiden wichtigen Nachbarländern Chile und Brasilien wiederherzustellen. Nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher Sicht, sollte sich dies für Argentinien auszahlen. Die Maßnahmen setzten auf eine stärkere Integration des Landes in den südamerikanischen Wirtschaftsraum. Die von ihm abgeschlossenen Verträge zielten auf eine bessere Zusammenarbeit dieser Staaten in vielen Bereichen ab. So wurden beispielsweise Grenzstreitigkeiten mit Chile beigelegt und mit Brasilien die strategische Zusammenarbeit in Fragen der Energiepolitik vereinbart. Diese Bemühungen Alfonsíns waren die erste Basis für das später geschlossene Handelsabkommen der Länder.13

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung Alfonsín erinnern sehr stark an jene Strukturreformen, die Juan Perón hinsichtlich der Industrialisierung des Landes durchzusetzen versuchte. Dieser als moderner Peronismus bezeichnete Kurs der Regierung, verlangt von der Bevölkerung tiefgreifende Einschnitte, die sich aus der fehlgeleiteten Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Jahrzehnten zuvor begründen.14 Bei der Betrachtung der Amtszeit von Raúl Alfonsín wird deutlich, dass politische Stabilität nicht unbedingt zu wirtschaftlicher Stabilität

13 Vgl. WALDMANN, 134ff. 14 Vgl. SPITTA, Industrialisierungspolitik, 56. 8 führt. Denn die ökonomische Situation der Volkswirtschaft hatte sich im Vergleich zur Militärdiktatur von 1976 – 1983 nicht verbessert. Unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Kennzahlen15 gegen Ende der 1980er Jahre, kommt man durchaus zur Auffassung, dass sich diese sogar verschlechtert haben.

Eine weitere wichtige Aufgabe zu Beginn der demokratischen Epoche bestand darin, die Repressionen der Militärdiktatur aufzuarbeiten. Die zahlreichen Opfer des Militärregimes drängten auf Gerechtigkeit, welche die neue Regierung auch willig war, zu ermöglichen. In Untersuchungsausschüssen gelang es teilweise diese Repressionen aufzuarbeiten und die verantwortlichen Entscheidungsträger vor Gericht zu stellen.16

Wie Abbildung 1 illustriert, gab der Verbraucherpreisindex zunehmend Grund zur Besorgnis. Trotz zahlreicher politischer Versuche, die explodierende Inflationsrate zu drosseln, stieg diese auf bisher unbekannte Rekordniveaus. Bestrebungen, eine gemeinsame Basis zwischen den Interessenvertretungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern herzustellen, scheiterten oftmals an den unterschiedlichen Vorstellungen. Es gab zweifelsfrei Bemühungen, den inflationären Tendenzen zu begegnen: Der sogenannte „Plan Austral“ aus dem Jahr 1985 gilt als ein Ausdruck dieser Bemühungen. Die gewerkschaftliche Organisation setzte ihre neuen Möglichkeiten, welche unter der Militärjunta nicht existiert hatten, zunehmend ein. Zahlreiche Streiks gegen die Bemühungen der Regierungen der Inflation habhaft zu werden, markierten diese Epoche argentinischer Wirtschaftspolitik. Die Interessen der Arbeitgeberverbände lagen entgegen der Regierungsvorstellung auf Liberalisierungsprozessen. Für sie war die politische Konsolidierung abgeschlossen und der Ruf nach frischem Kapital wurde immer lauter.17 In diesem Spannungsfeld sah sich Alfonsín nicht mehr in der Lage, die Situation zu bewältigen und übergab die Amtsgeschäfte schon vor Ablauf seiner Regierungszeit dem Peronisten Carlos Menem (geb. 1930). Dieser stand einer neoliberalen Agenda sehr offen gegenüber und musste zunächst die Inflationsentwicklung in den Griff bekommen. Die Koppelung des damaligen argentinischen Austral im Verhältnis 1:1

15 Das Bruttoinlandsprodukt lag 1990 unter dem Wert von 1975 und auch das Pro – Kopf – Einkommen ging in diesem Zeitraum jährlich um 1,4% zurück. WALDMANN, Argentinien, 122. 16 Diese Gerichtsverfahren konnten nur bei den obersten Befehlshabern durchgeführt werden, da sich die zweite Rangebene auf die auszuführenden Befehle berief und gegen die Prozesse aufbegehrte was schließlich zur Einstellung der Verfahren führte. Vgl. WALDMANN, Argentinien, 139. 17 Vgl. Ebd. 140. 9 an den US Dollar stellte sich als wirksamstes Instrument zur Bekämpfung der Hyperinflation heraus.18

Inflationsentwicklung Argentinien 1980 - 2000 3500

3000

2500

2000 in%

1500

1000

500

0 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 Jahr

Abbildung 1: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG.(27.02.2019)

Die Probleme bei der Umsetzung neoliberaler Marktstrukturen bereiteten Argentinien einen schweren Start in die demokratische Epoche. Ganz nach internationalem Vorbild begann man auch in Argentinien zu Beginn der 1990er Jahre neoliberale Strukturen zu integrieren. Dies umfasste weitreichende Privatisierungen sowie eine Abkehr des alten Gespenstes der Importsubstitution.19 Die Regierung von Präsident Menem konnte zu Beginn ihrer Amtszeit erste wirtschaftliche Erfolge verzeichnen. Die politische Positionierung Argentiniens, die sich durch Kontakte zu den linken Regimen in Kuba und Nicaragua auszeichnete und immer auf Distanz zu den Vereinigten Staaten abzielte, begann sich unter Menem ebenfalls drastisch zu ändern. Menem war bestrebt, Argentinien als Musterschüler des IWF und der Vereinigten Staaten zu profilieren, was auch die argentinische Beteiligung am ersten Golfkrieg zeigte. Man war bemüht, die katastrophalen Erfahrungen aus der Zeit von Repression und verfehlter Wirtschaftspolitik hinter sich zu lassen.20 Die sehr hohe Inflation, welche die gesamten 1980er

18 Vgl. Barbara ROßMEißL, Überleben in Zeiten der Wirtschaftskrise. Der argentinische Tauschhandel als erfolgreiche Komplementärökonomie, Berlin 2006, 21. 19 Vgl. WALDMANN, Argentinien, 121. 20 Vgl. Ebd. 135. 10

Jahre Argentiniens sozioökonomisches System prägte und schließlich in einer Hyperinflation ungeahnten Ausmaßes mit mehreren tausend Prozent Inflation gipfelte, konnte weitgehend eingedämmt und auf einen Wert von 4% zu Beginn des Jahres 1994 gesenkt werden (Abbildung 2).

Inflationsentwicklung Argentinien 1994 - 2012 30

25

20

in% 15

10

5

0 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 -5 Jahr

Abbildung 2: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG. (02.03.2019).

Dies kam einem kollektiven Aufatmen in der argentinischen Gesellschaft gleich. Um dieses Ziel zu erreichen, steuerte auch der Internationale Währungsfonds finanzielle Hilfe in Form von Entwicklungskrediten bei.21 Die neoliberalen Reformen zeigten zunächst große Wirkung. Der Beginn der Dekade war gekennzeichnet von stabilem, überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum. Außerdem verzeichnete man hohe Investitionen ausländischer Unternehmen und Institutionen, was wiederum zur Annahme führte, die argentinische Wirtschaft habe sich von den Rezessionen und Problemen erholt und zunehmend stabilisiert. Ohne diese Maßnahmen wäre es Menem nicht gelungen, für politische Stabilität zu sorgen. Es galt die Handlungsfähigkeit der Regierung wiederherzustellen und möglichst die außer Kontrolle geratenen Staatsfinanzen zu konsolidieren. Vor allem die Interessenverbände der

21 Dirk MESSNER, Wirtschaftsstrategie im Umbruch. Anmerkungen zu den ökonomischen und politischen Determinanten von Wettbewerbsfähigkeit, in: Detlef NOLTE/Nikolaus WERZ, Hg., Argentinien. Politik, Wirtschaft, Kultur und Außenbeziehungen, Frankfurt 1996, 149 – 176. Hier 149ff. 11

Arbeitsgeber unterstützten diese Politik, nach der sie sich ein knappes Jahrzehnt gesehnt hatten. Auch bei den Arbeitnehmerverbänden konnte Akzeptanz erreicht werden. Nicht gerade wegen der politischen Überzeugung, sondern vielmehr aufgrund mangelnder Alternativen. Eine drastische Senkung der Zölle auf Importe sowie der Verkauf staatlicher Unternehmen stand weit oben auf der Liste, die die Regierung abzuarbeiten begann. Die Bindung an den US – Dollar versprach zudem einen massiven Zufluss von ausländischem Kapital. Die zeitgenössische Stimmung kann nach jahrelanger Anspannung der wirtschaftlichen Lage schon als euphorisch bezeichnet werden. Zumindest betraf dies den Bereich der Unternehmer. Die Lohnabhängigen hatten weniger Grund zur Freude, denn die bereitgestellten Entwicklungskredite der internationalen Kapitalgeber zielten auf Einsparungen und Einschnitte auf eigene Kosten ab. So wurden bald Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer gekippt und generelle Eingriffe in das Lohnniveau vollzogen. Es galt, möglichst attraktive Rahmenbedingungen für ausländische Investoren sicherzustellen. 22Die Exportzuwächse lassen sich auch auf eine Politik zurückführen, die es ermöglichte, größere Anbaufläche zu erschließen und diese mit einer höheren Diversität angebauter Produkte zu versehen. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle die gestiegene Sojaproduktion, deren Nachfrage seit den 1990er Jahren stetig steigt. Obwohl gegenwärtig diese Fokussierung die argentinische Wirtschaft in Atem hält, so war dies dennoch ein wichtiger Schritt, sich von den traditionellen Exportgütern etwas unabhängiger zu machen. Auch neue Technologien und der Einsatz von Wachstumsbeschleunigern im Agrarbereich hatten positive Effekte auf die Entwicklung des Exportsektors. Jedoch sollte sich dies als Trugschluss herausstellen. Die Situation am Finanzmarkt, gekennzeichnet durch einen gesetzlich fixierten Wechselkurs in Kombination mit hohen Zinsen, bot reichlich Anreize für ausländische Kapitalimporte. Nach der Veräußerung der staatlichen Unternehmen konnte bei den beträchtlichen Kapitalimporten der Exportsektor nur sehr langsam zulegen. In diesem Spannungsfeld geriet die fixierte Wechselkurspolitik zunehmend unter Druck, wodurch die argentinische Zentralbank gezwungen war, Investitionsanreize in Form von stetig steigenden Zinsen bereitzustellen. 1995 wurde der argentinischen Politik ihre Fragilität abermals vor Augen geführt. Eine sich anbahnende Wirtschaftskrise in Mexiko versetzte auch die argentinischen Finanzmarktakteure in Aufregung. 23 Die „Tequila – Krise“ offenbarte die Verwundbarkeit und

22 WALDMANN, Argentinien, 142f. 23 Vgl. MESSNER, Wirtschaftsstrategie, 155f. 12

Problematik einer Wirtschaftspolitik, welche sich durch kurzfristige Erfolge, jedoch keinerlei Nachhaltigkeit, auszeichnete. Jenes ausländische Kapital, dass als Stabilisierungssignal gedeutet worden war, begann aufgrund auftretender Unsicherheiten wieder abzufließen.24 In der drittgrößten lateinamerikanischen Volkswirtschaft hatte die Kapitalflucht explodierende Zinsen zur Folge. Klein- und Mittelbetriebe waren fast gänzlich vom Kreditwesen abgeschnitten, es folgte eine Liquiditätskrise, die in weiterer Folge das Bankenwesen erfasste. Innerhalb eines Jahres sank die Anzahl der Banken um ein Viertel. Abermals musste der Internationale Währungsfonds mit Stabilisierungsmaßnahmen in Form von Krediten eingreifen. Die massiven Handelsbilanzdefizite machten sich zunehmend am Arbeitsmarkt bemerkbar.25

2.3 Reformen als Basis konjunktureller Entwicklung

Die Warnsignale, welche durch die Wirtschaftskrise in Mexiko, den massiven Kapitalabfluss und der dramatischen Entwicklung am Arbeitsmarktsektor durchaus zu erkennen waren, wurden durch internationale Marktprozesse überlagert und die argentinische Wirtschaft hatte wieder Luft zum Atmen. Einem Anstieg der Weltmarktpreise für klassische argentinische Exportgüter, sowie durch eine leichte Entspannung am Währungssektor, ist es gelungen, der rezessiven Entwicklung infolge der Wirtschaftskrise in Mexiko entgegenzusteuern. Außerdem konnte Argentinien ein massives Exportwachstum ins Nachbarland Brasilien verzeichnen, dass sich zumindest wiederum kurzfristig positiv auf die Handelsbilanz und somit auf die Gesamtsituation auswirkte.

Einige Wirtschaftsdaten boten tatsächlich Gründe für die Annahme, dass es sich bei der momentanen Wirtschaftssituation nur um ein temporäres Ereignis handelte. Der sekundäre Sektor hatte in Argentinien seit Mitte der 1980er Jahre einen rasanten Aufstieg genommen. Die Industrieproduktion konnte maßgeblich gesteigert werden, was sich zu Beginn der 1990er Jahre durch zweistellige Wachstumszahlen auszeichnete.26 Die neoliberale Doktrin, die auch

24 Von Dezember 1994 – Mai 1995 wurden 8,7 Mrd. US$ außer Landes transferiert. Die Devisenreserven der Zentralbank sinken um ein Drittel auf 11 Mrd. US$. Vgl. Ebd. 156. 25 Banken schrumpfen von 205 Banken 1994 auf 150 Banken 1995; Arbeitslosenquote stieg von von Mai 1994 bis Mai 1995 von 9,4% auf 18,4%; IWF gewährt 1995 insgesamt 7 Mrd. US$ Finanzhilfe. Ebd.157. 26 Vgl. Ebd. 160. 13 in Argentinien Einzug gehalten hatte, prägte die Entwicklung einer großen Anzahl von gewerblichen und industriellen Unternehmen. Investitionen in Produktionsprozesse, Technologie und Organisation war für die internationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen von absoluter Notwendigkeit. Auch andere Branchen wie die Automobilindustrie erlebte in der ersten Amtszeit von Präsident Menem eine positive Entwicklung. Dennoch konnten die gestiegen Exporte und der sich schnell entwickelnde sekundäre Sektor nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den argentinischen Unternehmen nicht gelungen war, sich international Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Dies wird deutlich, wenn man betrachtet, was zu Beginn dieser Dekade alles exportiert wurde. Der überwiegende Anteil der exportierten Güter und Waren stammten nach wie vor aus dem primären Sektor. Diese Strukturschwäche wird noch deutlicher, wenn in Betracht gezogen wird, dass beinahe zwei Drittel aller exportierten Güter und Waren aus dem industriellen Sektor ressourcennahe Produkte mit geringer Wertschöpfung darstellen.27

Das südamerikanische Wirtschaftsabkommen MERCOSUR trug ebenfalls positiv zu den Wachstumsjahren Anfang der 1990er Jahre bei. Mit sämtlichen Mitgliedstaaten verzeichnete Argentinien merkliche Steigerungen der Exporte. Die enge Beziehung mit der brasilianischen Wirtschaft stellte Argentinien in eine gewisse Abhängigkeit zu seinem Nachbarland. In Brasilien konnte man durch Liberalisierungsprozesse ein großes Wachstum verzeichnen, was wiederum der argentinischen Wirtschaft durch den Export von Energieträgern und Lebensmitteln zu Gute kam. In diesem Spannungsfeld von alarmierenden Wirtschaftsdaten und Anzeichen für Erholung, rückte die Frage nach einer fixen Kopplung der Währung an den Dollar zunehmend ins Zentrum des Interesses. Man sah einer Abwertung der heimischen Währung skeptisch gegenüber, da man eine Hyperinflation wie gegen Ende der 1980er befürchtete. Auch in der fachwissenschaftlichen Perzeption der 1990er Jahre war man sich nicht sicher, ob nach dem Ende der Überbewertung des Pesos gegenüber dem Dollar die argentinische Wirtschaft ausreichend vorbereitet sei. Als Beispiel diente hierfür Chile, das nach ähnlichen Schwierigkeiten durch eine Währungsabwertung sich wirtschaftlich erholen konnte. Solch einer Abwertung sah man in Argentinien sehr skeptisch entgegen.

27 Ebd.162. 14

„Ob die derzeitigen Restrukturierungsanstrengungen in Argentinien auf der Unternehmensebene und die zaghaften institutionellen Reformen ausreichen, um eine ähnliche Entwicklungsdynamik nach dem Ende der Überbewertung erwarten zu dürfen oder die unvermeidliche Abwertung in einer Inflationsspirale, explodierenden Zinsen und einer tiefen Rezession mündet, kann heute niemand mit Gewissheit sagen.“28

Trotz allem verzeichnete Argentinien bis 1997 ein stetiges Wirtschaftswachstum, mit Wachstumsraten von bis zu 7%. Die Liberalisierungsprozesse führten allmählich zum gesamten Abbau protektionistischer Maßnahmen in der Wirtschaft. Die fixe Bindung des argentinischen Pesos an den US Dollar verstärkte dessen Überbewertung zunehmend. Dies wurde bis zu jenem Punkt in Kauf genommen, an dem Exportieren so teuer war, dass man damit keine Gewinne mehr erwirtschaften konnte. Die im gleichen Zug billigeren Importe belasteten die Handelsbilanz und führte zu einem großen Verlust nationaler Konzerne an inländischen Märkten. Häufig waren es Klein- und Mittelbetriebe, die in Folger internationaler Konkurrenz ihre Existenzgrundlagen verloren und somit für die negative Entwicklung der Arbeitslosenzahlen verantwortlich waren.29

2.4 Der lange Weg bis zur Aufhebung der Konvertibilität

Die Volkswirtschaft geriet außerdem durch externe Faktoren am internationalen Kapitalmarkt unter Druck. Auch Außerhalb Argentiniens hatten die Ökonomien diverse Probleme mit den sich verändernden Rahmenbedingungen in einem globalisierten Wirtschaftssystem. Der starke Kurs des US Dollar führte überall auf der Welt zu Währungsabwertungen gegenüber der Leitwährung. Da aber in Argentinien die Währung an den Dollar gebunden blieb, verschlechterte sich die Wettbewerbsfähigkeit des Landes drastisch im internationalen Vergleich. 30

28 Daniel AZPIAZU & Hugo NOCHTEFF, El desarrollo ausente – Restricciones al desarrollo, neo- conservardorismo y elite economica en la Argentina, Buenos Aires 1994. Zit.in: MESSNER, Wirtschaftsstrategie, 165f. 29 Vgl. ROßMEißL, Wirtschaftskrise, 23f. 30 Ebd. 23. 15

Jener Indikator, der lange Zeit als Beleg für eine verbesserte wirtschaftliche Lage diente, gab nun Grund zur Besorgnis. Das Wirtschaftswachstum ließ stark nach und Argentinien schlitterte aufgrund zahlreicher Missstände 1999 in eine tiefe Rezession. Die wirtschaftlichen Entwicklungen zeigten zunehmend Ausprägung in der Bevölkerung. Die Verarmung nahm gegen Ende des Jahrzehnts massiv zu. Die zu Beginn der Dekade sich herausbildende Mittelschicht, die von den Liberalisierungsprozessen profitiert hatte, sah sich nun mit den Konsequenzen wirtschaftspolitischer Entscheidungen konfrontiert. Die Kaufkraft und der Konsum verzeichneten eine beständige Abnahme.31

Der Ausverkauf der Staatsunternahmen und des Bankensektors an internationale Investoren hatte dem Staat große Einkünfte beschert. Jedoch wurden sämtliche Gewinne, die in Argentinien erwirtschaftet wurden, bei der Zentralbank in harte Devisen umgetauscht und umgehend nach Europa oder die Vereinigten Staaten transferiert. Die gelockerten Regeln am Finanzmarkt hatten dies möglich gemacht.32

Entwicklung Wirtschaftswachstum Argentinien 1983 - 2005 15

10

5

0 in%

-5

-10

-15 Jahr

Abbildung 3: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank: https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG. (18.02.2019).

31 Anteil von Personen unter der Armutsgrenze stieg von 17,8% im Jahr 1993 auf 35,4% im Jahr 2001.Ebd.25f. 32 Vgl. Wolff, Weltmacht, 105. 16

Die Krise in den asiatischen Ländern 1997 und die Abwertung des Reals in Brasilien 1999, lieferten Grund zur Annahme, Argentinien würde denselben Weg beschreiten, jedoch hielt man in Buenos Aires am fixierten Wechselkurs fest. Auch der politische Wechsel im Land, der auf dem Höhepunkt der rezessiven Entwicklung vollzogen wurde, änderte zunächst nichts an diesem Vorgehen. Erstmals in der Geschichte Argentiniens verlor die peronistische Partei eine Wahl und es kam zur Bildung einer Koalitionsregierung. Betrachtet man die Probleme, die sich aus dem starren Festhalten an einem fixen Wechselkurs ergeben, so erscheint es zunächst politisch fahrlässig, an diesem System festzuhalten. Doch dafür finden sich Ursachen, wenn man die jüngere Wirtschaftsgeschichte des Landes als Betrachtungszeitraum heranzieht. Zum einen begründet sich diese Praxis in dem großen Erfolg, dass das Land bei der Bekämpfung der Hyperinflation ein Jahrzehnt zuvor hatte. Zum anderen lag in dieser Bekämpfungsstrategie auch der eigentliche Grund, warum man die Aussetzung der Konvertibilität hinauszögerte. Zur Zeit der marktwirtschaftlichen Reformen der Regierung Menem, war der Bestand an US Dollar im argentinischen Finanzsystem massiv angestiegen. Ein sehr hoher Anteil von Garantien und Einlagen im Zuge der Reformierungsprozesse wurde in US Dollar abgeschlossen. Dies bedeutete, dass sich im Falle einer Aussetzung des Wechselkurses nicht nur der Staat in die mögliche Zahlungsunfähigkeit getrieben würde, sondern eben auch Banken und Privatpersonen ein solches Schicksal erleiden könnten. Für dieses Phänomen fand die spätere Regierung, die sich diesem Umstand stellen musste, eine kreative Lösung.33 Dennoch schien diese Strategie zum Scheitern verurteilt. Die Regierung de la Rúa verstrickte sich in machtpolitische Scharmützel mit den peronistischen Gouverneuren. Sämtliche fiskalpolitischen Maßnahmen führten zu einer Verschärfung der Situation.34 Der stetig steigende Schuldenberg forderte dauerhaft höhere Zinsen ein, was wiederum zum Ruf nach frischem Kapital führte.

33 Vgl. Jonas WOLFF, Turbulente Stabilität. Die Demokratie in Südamerika diesseits ferner Ideale, Frankfurt 2008, 162. 34 Vgl. Ebd. 136f. 17

2.4 Strukturreformen und die Rolle des IWF

Dem Internationalen Währungsfonds war es geschuldet, dass Argentinien nicht bereits nach den rezessiven Entwicklungen während des politischen Wechsels zahlungsunfähig war. Die ständige Erteilung von Notkrediten zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit zögerten jedoch das Unvermeidliche nur hinaus. Notwendigerweise muss die Rolle des Währungsfonds im Fall Argentinien auch kritisch reflektiert werden. So zeigten Untersuchungen, dass Länder, die sich im Strukturanpassungsprogramm (SAP) des Währungsfonds befanden, kein beziehungsweise sogar rückläufiges Wachstum verzeichnen konnten, gegenüber Ländern, die nicht in solchen Programmen waren. Prinzipiell wird dem Währungsfonds unterstellt, nach den Vorstellungen der internationalen Finanzwelt zu funktionieren. Diese Kritik resultiert auch aus der Tatsache, dass sämtliche Maßnahmen von Strukturanpassungsprogrammen der Bevölkerung keinen Mehrwert bringen. Die marktwirtschaftlichen Instrumente umfassen unter anderem die Sparpolitik. Folglich werden Einsparungen im öffentlichen Dienst verlangt, wobei dieser Abbau zulasten der Bevölkerung erfolgt. Einen weiteren Mechanismus dieser SAP stellen Privatisierungen dar, die in Argentinien in sehr schneller Zeit und recht umfangreich vollzogen wurden. Dies geschah meist zur persönlichen Bereicherung verschiedener Finanzmarktteilnehmer, da Korruption in der lateinamerikanischen Volkswirtschaft ein historisches Problem darstellt.

Der dritte Faktor, der nach Aussagen der Währungsfonds zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt, stellt die Öffnung der Kapitalmärkte dar. Wie man jedoch im Zuge der „Tequila – Krise“ erfahren musste, ist ausländisches Kapital nicht gerade berühmt für seine lange Verweildauer in einem Finanzsystem. Somit dürfen durchaus Zweifel an der Nachhaltigkeit dieser Marktpraktiken geäußert werden, denn was der Währungsfonds vor allem im Stande ist zu leisten, ist den Forderungen der Gläubiger Nachdruck zu verleihen. 35

Der Internationale Währungsfonds war in Argentinien seit den 1950er Jahren durchgehend präsent. Diese Beziehungen mit unterschiedlichen Regierungen folgten stets demselben Muster. Im Gegenzug für Privatisierungen und Liberalisierungen in der Wirtschaft erhielt man großzügige Entwicklungskredite. Schon vor der demokratischen Periode gelangte somit ausländisches Kapital transnationaler Konzerne und internationaler Finanzinstitute nach

35 Friederike HABERMANN, Aus der Not eine andere Welt. Gelebter Widerstand in Argentinien, Köln 2004, 27ff. 18

Argentinien, wobei dies keine merkliche wirtschaftliche Verbesserung hervorbrachte. In den krisenhaften 1980er Jahren war der IWF in ganz Lateinamerika präsent und sorgte vielerorts für die Restrukturierung der hohen Schuldenlasten.36

Mit dem Beginn der Regierungszeit von Carlos Menem gelang es, die vom Währungsfonds eingeforderten Reformen drastisch zu beschleunigen. Dies spielt besonders für den Betrachtungszeitraum der Zahlungsunfähigkeit der Volkswirtschaft eine wichtige Rolle. Die drastischen Einschnitte im öffentlichen Sektor, der Abbau von Zollschranken und die Erhöhung der Mehrwertsteuer, kann auf den Einfluss des Währungsfonds zurückgeführt werden. Unter Berücksichtigung der Entwicklungen während der Krise in Mexiko, offenbarte diese die große Schwäche der schnell voranschreitenden Liberalisierungsprozesse. Die massiven Zuflüsse von ausländischem Kapital begünstigte kurzfristig das Wirtschaftswachstum. Um die Konjunktur jedoch aufrecht zu erhalten, wird ständig neues Kapital benötigt. Die Gefahr eines Abzuges eben jenes Kapitals, beispielweise einer Krise in einem anderen Land, ist dabei ständig gegeben.37 Der hohe Bedarf an frischem Kapital nach der rezessiven Entwicklung 1999 rief wiederum den Internationalen Währungsfonds auf den Plan. Der Koalitionsregierung von Fernando de la Rúa (geb. 1937) wurde ein großzügiger Kredit in Aussicht gestellt, der eine Kürzung der Ausgaben vorschrieb. Unter Berücksichtigung der gewaltigen Zunahme der Armut während der Regierungszeit Menems, stellte dies untragbare Forderungen dar.38

Die bloße Ankündigung von Sparprogrammen reichte aus, um die Massen in Bewegung zu setzen. Es gab erste Massenproteste bei Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds, die jedoch keinerlei Wirkung auf die Verhandlungsteilnehmer zeigten. Doch die Proteste gegen die Sparpolitik begannen sich landesweit auszubreiten. Die Politik war bemüht, die Auflagen zu erfüllen, um die Zahlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Die Abwärtsspirale, in welcher sich die argentinische Wirtschaft befand, schien unaufhaltsam zu sein. Zusätzliche Ankündigungen weiterer Sparpakte durch nun ständig wechselndes politisches Personal, führte zu immer größerem Widerstand in der Bevölkerung. Schließlich begannen sich auch die internationalen Kapitalgeber von Argentinien abzuwenden. Da trotz

36 Dabei behilflich waren auch private Gläubiger wie der Pariser oder Londoner Club, die mit Hilfe des Währungsfonds ihre Forderungen nach Reformen durchgesetzt bekamen. Christian KELLERMANN, Die Organisation des Washington Consensus: Der Internationale Währungsfonds und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur, Bielefeld 2006, 94. 37 Vgl. WOLFF, Weltmacht. 102f. 38 Der IWF forderte für 7,2 Mrd. US – Dollar Einsparungen von 2,4 Mrd. US – Dollar obwohl bereits 39% der Bevölkerung in Armut lebten. Ebd. 106. 19 aller Sparprogramme im Sommer 2001 die Haushaltsvorgaben des Währungsfonds nicht erfüllt werden konnten, stellte dieser seine Zahlungen ein. Was nun folgte, kann durchaus als eine der größten Katastrophen der Wirtschaftsgeschichte betrachtet werden, wenngleich die Auswirkungen regional begrenzt blieben. Wie schon einige Male in der jüngeren Geschichte, zeigten sich die Schwächen des liberalisierten Finanzsystems. Erschwerend zum Abzug des Kapitals internationaler Konzerne und Investoren, begann auch die arbeitende Bevölkerung die Spareinlagen abzuheben. Die Regierung reagierte darauf mit der Einfrierung aller Konten und drosselte die maximal verfügbare Geldmenge, was unter dem Namen corralito bekannt wurde. Der am 13. Dezember beginnende Generalstreik veranlasste die Regierung zur Ankündigung eines weiteren Sparprogramms, was endgültig zur Eskalation der Situation führte. Plünderungen und Straßenschlachten prägten das öffentliche Bild. Als bei einer Demonstration Menschen ums Leben kamen, belagerten die Demonstranten den Präsidentenpalast, was gleichzeitig das Ende der Regierung de la Rúa bedeutete.39

Der Präsident musste fliehen, um den aufgebrachten Demonstranten zu entkommen. Das politische Chaos wurde durch die Ernennung drei verschiedener Interimspräsidenten in knapp einer Woche deutlich. Der zweite von ihnen, Aldolfo Rodríguez Saá (geb. 1947), vermeldete am 23. Dezember 2001 schließlich die offizielle Zahlungsunfähigkeit des argentinischen Staates. Der am Anfang des Jahres 2002 vom Kongress eingesetzte Peronist Eduardo Duhalde (geb. 1941), traf die unumgängliche Entscheidung, den Peso vom US – Dollar abzukoppeln.40

39 Die Demonstrationen waren geprägt von Menschen, die sich mit dem schlagen auf Töpfe und Pfannen Gehör verschaffen wollten. Sie wurden als cacerolazos bekannt. Vgl. WOLFF, Weltmacht, S.108.; WOLFF, Stabilität, 138f. 40 Ebd. 108. 20

Wechselkurs ARG$ zu US$ nach Aufhebung der Konvertibilität 25

20

15

10

ARG$ ARG$ für US$ 1 5

0 2002 2005 2008 2011 2014 2017 Jahr

Abbildung 4: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/PA.NUS.FCRF?locations=AR. (22.02.2019)

Zunächst wurde der Kurs mit 1,40 gegenüber dem Dollar fixiert. Diese Bindung konnte jedoch nicht aufrechterhalten werden. Die marktpolitischen Maßnahmen, welche die Aussetzung des fixierten Wechselkurses begleiten sollten, hatten eine weitere Verarmung der Bevölkerung zur Folge. Größere finanzielle Guthaben wurden von der Regierung in Sparbücher und Staatsanleihen mit fixiertem Zinssatz umgewandelt, wodurch die Mittelschicht zusätzlich an Finanzkraft verlor. Die drastische Verarmung der Bevölkerung machte sich in sämtlichen relevanten Indikatoren und Kennzahlen deutlich. Steigende Arbeitslosenzahlen, ein starker Rückgang des privaten Konsums und ein enormer Anstieg der Menschen, die in Armut lebten, sind nur wenige dieser Indikatoren, die die Situation treffend beschreiben können.41

Diese Entscheidung führte jedoch nicht zur erwünschten Stabilisierung der Situation. Der Wertverlust betrug innerhalb weniger Tage 70%, wodurch Kredite und Auslandsverschuldung sehr litten.42 Abbildung 4 illustriert die rasante Zunahme der pro Kopf Verschuldung im Verhältnis zum BIP, die auf die Aufhebung der Konvertibilität zurückzuführen ist. Dennoch verweigerte man von internationaler Seite weiterhin die Gewährung von Hilfe in Form von Krediten. Das Land schlitterte in chaotische Zustände, die sowohl das öffentliche als auch das private Leben erfassten. Es erscheint sehr bemerkenswert, in welch kurzer Zeit, nämlich ein Jahrzehnt, sich eine solche wirtschaftliche Entwicklung vollzog. Von rasantem Wirtschaftswachstum zu Beginn der 1990er Jahre bis hin zur völligen Bankrotterklärung nur

41 Vgl. ROßMEIßL, Wirtschaftskrise, 30. 42 WOLFF, Weltmacht.108. 21 kurze Zeit später. Mit Sicherheit fanden in Argentinien Anpassungsprogramme in erhöhter Geschwindigkeit statt, wodurch es aber der nationalen Ökonomie nicht möglich war, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen vorzubereiten. Die verschiedenen Einflüsse und Faktoren, die alle zusammen diese Situation herbeigeführt hatten, galt es nun in den Griff zu bekommen um den Scherbenhaufen der Staatspleite zu beseitigen und besseren ökonomischen Zeiten entgegenzusteuern.

2.5 Politischer Wandel und Solidarität

Bei der Präsidentenwahl 2003 konnte sich wieder der Kandidat der peronistischen Partei, Néstor Kirchner (1950 – 2010), durchsetzen. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass die demokratischen Errungenschaften nicht die erhoffte wirtschaftliche Stabilität brachten. Dennoch erscheint es bemerkenswert, dass es trotz der großen ökonomischen Instabilität zu keiner Machtübernahme seitens des Militärs nach 1983 mehr gekommen ist. In der Vergangenheit wären diese Vorkommnisse zweifelsfrei durch einen Putsch gelöst worden. Selbst während des Jahreswechsels 2001/02 führte eine Übergangsregierung die Geschäfte weiter und eben nicht das Militär. Das Vertrauen in die Demokratie beeindruckt vor diesem Hintergrund doch sehr. Die Schwerpunkte der drei demokratischen Epochen, die untrennbar mit den Namen Alfonsín, Menem und Kirchner verbunden sind, waren dennoch sehr unterschiedlich. Alfonsín musste die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen und Argentinien politisch stabilisieren, was ihm große ökonomische Probleme bescherte. Carlos Menem hingegen wird weniger wegen seiner politischen aber umso mehr wegen seiner ökonomischen Reformen in Erinnerung bleiben. Diese beiden Namen sind mit der Zahlungsunfähigkeit der lateinamerikanischen Volkswirtschaft untrennbar verbunden.43

Der Beginn Kirchners Amtszeit zeichnete sich durch diverse Stabilisierungsmaßnahmen aus, deren Ursprung aber schon während der kurzen Amtszeit von Interimspräsident Duhalde ausgemacht werden kann. Diese Politik schien in der Bevölkerung auf große Resonanz zu stoßen, denn schon bald konnte Rückgänge der Protestaktionen festgestellt werden. Kirchner gelang es mit einem umfassenden Sozialhilfeprogramm die Situation zu entschärfen. Dieses umfassende Programm beinhaltete monatliche Zahlungen, die eine große Reichweite

43 Vgl. WALDMANN, Argentinien, 136ff. 22 erzielten. Angesichts der sozialen Notlage in dem Land wurden zur Subvention dieses Programms auch von internationalen Institutionen Kredite zur Förderung gewährt.44

Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP nach Aufhebung der Konvertibilität 2001 180 160 140 120 100 80

60 inzum % BIP 40 20 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Jahr

Abbildung 5: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/argentina/government-debt-to-gdp. (02.03.2019).

Der neu gewählte Präsident schaffte es, sich in seiner Außendarstellung als Gegner des Internationalen Währungsfonds und seinen Auflagen aufzutreten, um somit den sozialen Protesten entgegenzusteuern. Außerdem beinhaltete seine Wahlkampagne eine große Umverteilungsankündigung, die sich in der Praxis mehr als Notstandshilfe für sehr arme Menschen entpuppte.45 Trotz aller Androhungen billigte Kirchner stets die Rückzahlung sämtlicher Schulden an den Währungsfonds bis zum Jahr 2005. Dennoch vermochte es diese Regierung, den Spagat zwischen moderaten Preisanstiegen und der Ruhigstellung von Kapitalgebern zu meistern. Außerdem war es eben jene Regierung, die das Problem der privaten Einlagen in US – Dollar löste, indem bei der Abwertung des Pesos diese Einlagen mit 1,40 Peso pro Dollar umgestellt wurden. Somit konnte der private Konkurs vieler Haushalte und Kleinunternehmen abgewandt werden, da ihre Schulden in US – Dollar nicht aufgewertet wurden. Doch der wichtigste Effekt, den die Aussetzung der Konvertibilität hervorbrachte, bezog sich auf die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft selbst. Die Löhne und Preise waren

44 Unterstützter dieses Sozialprogramms waren die lateinamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank. Vgl. WOLFF, Stabilität, 159. 45 Vgl. Ebd. 160f.; Vgl. WOLFF, Weltmacht, 111. 23 nominal stabil geblieben, was die Wettbewerbsfähigkeit der argentinischen Wirtschaft schlagartig widerherstellte. Eine für Argentinien günstige Lage der Rohstoffpreise auf den Weltmärkten sorgte zudem für weitere Stabilisierung. 46

Die Regierung Kirchner setzte in ihrer Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf eine größere Unabhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds. Eine für argentinische Präsidenten unüblich harte Haltung gegenüber den internationalen Gläubigern ließ vereinzelt Sorgen aufkommen, Argentinien entferne sich von der neoliberalen Doktrin. Es muss festgehalten werden, dass Néstor Kirchner seine Maßnahmen in einer für Argentinien günstigen Lage des Weltmarktes traf. Nach langer Zeit konnten erstmals wieder Überschüsse erwirtschaftet werden. En Gefühl der wirtschaftlichen Entspannung begann sich in Argentinien einzustellen. Der somit gewonnene finanzielle Spielraum erlaubte der Regierung weitere sozialpolitische Maßnahmen zu realisieren, um die Gesamtsituation zu verbessern.47

Es lohnt sich, auch einen Blick auf die soziale Dimension der Zahlungsunfähigkeit der Volkswirtschaft zu werfen. Die Menschen in Argentinien sahen sich mit der Situation konfrontiert, dass ihre Arbeit nicht mehr nachgefragt wurde und ihnen somit die Grundlage für ihre eigene Versorgung entzogen wurde. Immer mehr Menschen gerieten im Zuge der rezessiven Entwicklungen in Armutsgefährdung. Die Aufhebung der Konvertibilität hatte weitreichende sozioökonomische Auswirkungen. Die drastisch steigenden Arbeitslosenzahlen sowie der enorme Kaufkraftverlust in der Bevölkerung, spiegelte sich in der Zahl der in Armut lebenden Menschen wider. In der Bevölkerung suchte man nach Alternativen und einem Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere. So etablierte sich im gesamten Land ein reger Tauschhandel, der nach Aussetzung der Konvertibilität an Bedeutung gewann.48 Diese zivilgesellschaftlichen Organisationen, die unter dem Namen Trueque bekannt wurden, boten für viele Menschen die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diesem System lag auch eine eigene Währung zu Grunde und zielte vorwiegend auf den Austausch von Gütern und Dienstleistungen ab. Dieses Modell hatte eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und bezog Privatpersonen als auch Geschäftsleute mit ein, die im Zuge der Entwicklungen ihre

46 Vgl. Ebd. 162. 47 Vgl. Margot GEIGER, Umkämpftes Territorium. Markt, Staat und soziale Bewegungen in Argentinien, Münster 2010, 217f. 48 Die Anzahl der registrierten Tauschclubs stieg von 200 im Jahr 1999 auf 5000 im Jahr 2002. Die Anzahl der registrierten Personen in diesen Tauschclubs stieg von 180 000 im Jahr 1999 auf über 2,5 Mio. im Jahr 2002. ROßMEISL, Wirtschaftskrise, 32f. 24

Geschäfte schließen mussten. Die Zusammensetzung wurde mit zunehmender Dauer der Wirtschaftskrise immer heterogener, was sich durch die Anwesenheit von Arbeitern, Bauern und Angehörige der zerbrochenen Mittelschicht verdeutlichte.49

Der spezielle Umgang der argentinischen Gesellschaft mit einer der größten Herausforderungen seit der Staatsgründung erscheint bemerkenswert. Eine große ökonomische Solidarität kennzeichnet die Wochen und Monate nach der Ausrufung der Zahlungsunfähigkeit. Die Menschen organisierten selbstständig die Grundversorgung mit Lebensmitteln, wie sich mit der steigenden Zahl von Straßenküchen und Kooperativen zur Lebensmittelverteilung belegen lässt.50 Die sozioökonomischen Entwicklungen in Argentinien um die Jahrtausendwende brachten ein Phänomen hervor, dass vielen Menschen sogar über Jahre ihr Grundeinkommen sicherstellte. Jene Fabriken, die im Verlauf der Krise schließen mussten, wurden von den ehemaligen Arbeitern unter Eigenverwaltung gestellt und die Produktion wieder aufgenommen. Dieses Vorgehen stellte keinesfalls einen Einzelfall dar, denn im ganzen Land wurde diese Form von Verwaltung und Organisation praktiziert. Es entstand auch ein reger Austausch zwischen den unter Selbstverwaltung stehenden Fabriken, in denen die Arbeiter bisher ungekanntes Mitspracherecht erlangten. Diese Form von politischer Emanzipation beschränkte sich jedoch nicht nur auf das Leben in den Fabriken. Die schwer zu ertragende Situation veranlasste die Bevölkerung sich zu mobilisieren. Als Ausdruck politischer Partizipation begannen sich vor allem in Buenos Aires die Menschen zu versammeln und über Lösungen und Strategien zu beraten. Da der Staat unfähig zu sein schien, adäquate Lösungswege aufzuzeigen, gewannen diese Versammlungen zunehmend an Bedeutung und nach Aussagen zahlreicher Zeitzeugen entstand ein Gefühl, dass sich mit politischer Euphorie beziehungsweise Aufbruchstimmung beschreiben lässt.51

Für den Zusammenhalt in der argentinischen Gesellschaft waren diese Ereignisse sehr prägend, da sie mit ihren Aktionen und Kooperationen aufzeigten, dass jenseits von Finanz- und Kapitalsystemen ein gesellschaftliches Zusammenleben möglich ist. Als die sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung Kirchners ihre Wirkung entfalteten, begannen sich die in den Zeiten der Krise entstandenen Organisationen wieder zurückzubilden. Dennoch

49 Ebd. 42. 50 Vgl. Viviana Inés URIONA, Solidarische Ökonomie in Argentinien nach der Krise 2001. Strategische Debatten und praktische Erfahrungen, Kassel 2007, 63. 51 Vgl. Ebd. 57ff. 25 haben die Menschen gezeigt, wie und mit welchen Möglichkeiten man einer Wirtschaftskrise begegnen kann.

Vorsichtiger Optimismus war angebracht, als sich die Exportwirtschaft langsam zu erholen begann. Durch aufgehobene Konvertibilität waren die Erzeugnisse wieder für den Weltmarkt attraktiv. Die steigenden Exporte lassen sich auch auf eine Politik zurückführen, die es ermöglichte, größere Anbaufläche zu erschließen und diese mit einer höheren Diversität angebauter Produkte zu versehen. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle die gestiegene Sojaproduktion, deren Nachfrage deutlich zu steigen begann. Obwohl gegenwärtig die Fokussierung auf Sojaprodukte die argentinische Wirtschaft in Atem hält, so war dies dennoch ein wichtiger Schritt, sich von den traditionellen Exportgütern etwas unabhängiger zu machen. Auch neue Technologien und der Einsatz von Wachstumsbeschleunigern hatten positive Effekte auf die Entwicklung des Exportsektors. Bemerkenswerterweise gelang es den Anbau von Soja zu realisieren, ohne die traditionellen Anbauprodukte zu vernachlässigen. Die steigenden Handelsbeziehungen zu China, gerade was den Absatz von Soja betrifft, ließ in Argentinien so etwas wie Hoffnung auf ökonomisch bessere Zeiten entstehen.52

2.6 Die Krise ist nicht überwunden

Die eigentlich positive Grundstimmung in Argentinien, geschuldet den kontinuierlichen Wachstumsraten nach der Staatspleite (Abbildung 3), begann sich 2014 durch ein Gerichtsurteil aus den Vereinigten Staaten zu verändern. Jene Gläubiger, die Argentinien bei der Umschuldung seiner Staatsfinanzen nicht behilflich gewesen waren, bekamen bezüglich ihrer Forderungen Recht gesprochen.53 Dieser Umstand führte der Volkswirtschaft abermals ihre Fragilität vor Augen. Dieses Urteil hatte auch weitreichende Folgen für argentinische Staatsanleihen, die nicht mehr bedient werden konnten. Denn würde das Land die Rückzahlung tätigen, so kämen vertragliche Klauseln zur Geltung, die die Regierung Kirchner mit den am Umschuldungsprozess beteiligten Gläubigern abschloss. Dieses Vertragswerk sah

52 Vgl. WALDMANN, Argentinien, 124ff. 53 Hierbei handelt es sich um den Hedgefonds NML Capital und Aurelius, denen der US Supreme Court in einem Urteil vom 16.06.2014 das Recht auf insgesamt 1,5 Mrd. US$ zuspricht. Vgl. Christian TIETJE, Hanno BECK, Michael BLOSS, Argentinien vor der Zahlungsunfähigkeit: Gibt es einen Ausweg, und welche Lehre ist aus dem Schuldenstreit zu ziehen? ifo Schnelldienst 67/19 (2014), 3 – 15. Hier 7. 26 vor, dass wenn Rückzahlungen geleistet werden, dies alle Gläubiger gleichermaßen betrifft. Die nicht vorhandene ausreichende Liquidität würde daher zu einem weiteren, etwas kuriosem, Staatsbankrott führen. Nach einem knappen Jahrzehnt spürbarer Entspannung kehrte die Unruhe in das argentinische Finanzsystem zurück. Die Tatsache, dass Argentinien die Auszahlung an die Hedgefonds verweigerte, führte in der ökonomischen Literatur zur Debatte, ob Staaten ihre Schulden überhaupt zurückzahlen sollen.54

Ein Rückgang des Handels sowie der eingeschränkte Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten sind nur zwei Faktoren, die internationale Gerichtsverfahren in den betreffenden Volkswirtschaften auslösten. Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen in der argentinischen Wirtschaft, so erscheint es, als träten alte Probleme an neuen Stellen wieder auf. Der drastische Verfall des argentinischen Pesos seit 2014 (Abbildung 4), kann mit den genannten Faktoren begründet werden. Die Regierung von Mauricio Macri (geb. 1959) sah sich zu der Entscheidung gezwungen, einen alten Bekannten zurückzuholen. Der Währungsverfall sowie die andauernde hohe Inflation veranlassten die Regierung, einen Kredit in Höhe von 50 Mrd. US$ vom Internationalen Währungsfonds entgegenzunehmen, was zur Verschärfung der innenpolitischen Situation beitrug. Der Währungsfonds genießt in Argentinien kein besonderes Ansehen, was sich mit der doch diskutablen Rolle während der Staatspleite 2001 begründen lässt. Wiederum war man bemüht, den Menschen das Sparprogramm schmackhaft zu machen, indem man eine bessere Zukunft versprach, wenn die Kreditwürdigkeit und nötige Liquidität wiederhergestellt seien. Für die meisten Menschen der drittgrößten lateinamerikanischen Volkswirtschaft dürfte dies sehr vertraut gewesen sein.55

Gegenwärtig zeichnet sich eine erneute Zuspitzung der Situation ab. Sie ist ebenfalls ein Ausdruck der noch nicht überwundenen Probleme, die das Land nun mittlerweile seit Jahrzehnten in Atem halten. Im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ verweist der Politökonom Oliver Stuenkel auf alte Probleme, die wieder an Aktualität gewinnen. Argentinien ist immer noch in einem hohen Maß von den Weltmarktpreisen für seine Rohstoffe abhängig. Binnenmarktorientierung und Protektionismus waren die Eckpfeiler der

54 Vgl. Ebd. 8. 55 Vgl. Winand VON PETERSDORFF – CAMPEN, Währungsfonds stützt wieder Argentinien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.06.2018, online unter: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/argentinien- neue-50-milliarden-kreditlinie-vom-iwf-15628958.html. (12.06.2018). 27

Regierungszeit von Christina Fernández de Kirchner (geb. 1953), Néstor Kirchners Frau und Nachfolgerin an der Spitze der lateinamerikanischen Volkswirtschaft. Der Bekämpfung der Armut kommt in Argentinien seit den Ereignissen rund um den Jahreswechsel 2001/02 eine große Bedeutung zu. Die Sozialprogramme laufen unvermindert weiter und sind für einen Großteil der Bevölkerung unerlässlich. Die gegenwärtige Entwicklung zeichnet sich wieder durch Maßnahmen aus, die stark an die Regierungszeit von Carlos Menem erinnern. In der nationalen, aber auch internationalen Erinnerungskultur sind die Liberalisierungs- und Privatisierungsprozesse gerade in Argentinien nicht unbedingt als besonders erfolgsversprechend verankert. Dennoch forcierte Macri diese Politik und sieht sich nun mit den gegenwärtigen Problemen konfrontiert. Die Zinserhöhung der FED, die explodierende Inflationsrate (Abbildung 6), sowie die aufkeimende Unsicherheit an den Finanzmärkten über den Erfolg seiner wirtschaftspolitischen Agenda, schwächen das Land zusätzlich.56

Inflationsentwicklung Argentinien 04/2018 - 02/2019 55

50

45

40 in% 35

30

25

Monat

Abbildung 6: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://de.tradingeconomics.com/argentina/inflation-cpi. (11.04.2018).

Um der schwierigen Lage entgegenzusteuern, trat man in Argentinien abermals den Gang zum IWF an. Als Ziel setzte man sich die Inflation in den Griff zu bekommen und die Unabhängigkeit der Zentralbank wiederherzustellen. Des Weiteren ist man bemüht, mit diesem Kredit dem Verfall des argentinischen Pesos beizukommen, der sich seit dem Frühjahr 2018 im freien Fall

56 Interview von Alexandra ENDRES mit Oliver STUENKEL in der Onlineausgabe der Zeitung „Die Zeit“. Online unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-09/argentinien-mauricio-macri-krise-inflation. (10.04.2019). 28 befindet (Abbildung 7). In den Ankündigungen des Währungsfonds vom Juli 2018 wird diesen beiden Entwicklungen eine hohe Priorität eingeräumt. Ein Blick auf diese beiden ökonomischen Richtwerte offenbart, dass die erhoffte Wirkung jedoch ausgeblieben ist. Erschwerend zur aktuellen Entwicklung kommt noch die allgemeine politische Unsicherheit dazu. Die für den Oktober angesetzten Wahlen könnten die Auflagen des IWF hinterfragen und eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik ist nicht auszuschließen. Unter diesen Umständen ist es besonders schwierig, die internationalen Kapitalgeber zu beruhigen und das Vertrauen der Finanzmärkte in die Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen aufrecht zu erhalten.57

Wechselkurs argentinischer Peso zu US - Dollar 01/2018 - 04/2019 45 40 35 30 25

Peso Peso für US Dollar 20

15

Jul.18

Jän.18 Jän.19

Jun.18

Okt.18

Apr.18 Apr.19

Feb.18 Sep.18 Feb.19

Dez.18

Mai.18

Aug.18

Nov.18

Mär.18 Mär.19 Monat

Abbildung 7: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/argentina/currency. (12.04.2019).

Im Rahmen der aktuellen Situation wird klar deutlich, dass die großen Probleme, die zur Zahlungsunfähigkeit im Jahr 2001 geführt hatten, auch aktuell noch eine große Bedeutung haben. So ist die Problematik der hohen Schuldenraten gegenwärtig immer noch gegeben. Außerdem ist es dem Land abermals nicht gelungen, seine Wirtschaft weiter zu diversifizieren, was sich in der Abhängigkeit der Rohstoffpreise widerspiegelt. Diese wesentlichen Punkte

57 Interview mit dem Missionsleiter des Internationalen Währungsfonds in Argentinien Roberto CARDARELLI über die Zielsetzung des 50 Mrd.$ Kredites im Juli 2018. Online unter: https://www.imf.org/en/News/Articles/2018/06/29/na062918-argentinas-economic-recovery-8-answers-to- explain-the-plan. (13.04.2019) 29 erlauben es nicht, in der Volkswirtschaft das nötige Vertrauen herzustellen, welches aber dringend gebraucht wird.

3. Die Staatsschuldenkrise in Griechenland 2010

3.1 Von politischer Instabilität und verbesserter Konjunktur

Sowie die meisten europäischen Staaten hatte auch Griechenland mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges zu kämpfen. Das Land hatte vergleichsweise hohe Verluste an militärischen und zivilen Opfern zu beklagen.58 Verbände der dominierenden politischen Ideologien fanden hier zahlreiche Anhänger, welche zunächst gegen die Okkupation und anschließend gegeneinander gewaltsam auftraten. In diesen Verbänden spiegelten sich die internationalen Machtverhältnisse, die nach Beendigung des Weltkrieges um die ideologische Vorherrschaft wetteiferten. Doch nicht nur die politische Instabilität, sondern auch Probleme in sämtlichen Wirtschaftssektoren sowie eine rückständige Infrastruktur trugen zu einer prekären Ausgangslage bei. Knapp sechs Jahrzehnte später sollte man sich in Griechenland an diese Zeit zurückerinnert fühlen, wenngleich auch unter anderen Voraussetzungen. Die groß angelegten Pläne zur Wiederbelebung der Wirtschaft im Nachkriegseuropa entfalteten auch in der hellenischen Republik ihre Wirkung und die wirtschaftliche Situation begann sich zunehmend zu verbessern. Es gelang, die Wettbewerbsvorteile, wie beispielsweise den Handel über das Mittelmeer, gewinnbringend zu nutzen, was dem Land Wachstumsraten bescherte, die sich im internationalen Vergleich sehen lassen konnten.59 Groß angelegte Liberalisierungen sowie die Öffnung der Märkte für ausländisches Kapital waren bewährte Maßnahmen, die sich ebenfalls unmittelbar auf die Verbesserung sämtlicher ökonomischer Kennzahlen auswirkten. Grundsätzlich muss bei dem rasanten Wirtschaftswachstum bedacht werden, dass die Bedingungen in der südeuropäischen Republik deutliche Unterschiede zu anderen nationalen Ökonomien aufwiesen. So profitierte Griechenland von einem sehr niedrigen Lohnniveau

58 Griechenland hatte während der Dauer des Zweiten Weltkrieges vom 28.10.1940 bis zum 12.10.1944 insgesamt 88.300 gefallene Soldaten sowie 325.000 ermordete Zivilisten zu beklagen. Vgl. Wassilis ASWESTOPOULOS, Griechenland – eine €UROpäische Tragödie. München 2011, 28. 59 Das wirtschaftliche Wachstum betrug im Zeitraum von 1950 bis 1967 durchschnittlich 7% wobei Raten über 10% keine Seltenheit waren. Vorrübergehend konkurrierte Griechenland sogar mit Japan um die weltweit höchsten Wachstumsraten. Ebd. 30f. 30 einerseits und dem vorhanden Aufbaupotential andererseits, was eine mögliche Erklärung für die gewaltigen Wachstumsraten darstellt. Der Beitritt zur europäischen Zollunion 1962 und der zeitgleich einsetzende Bauboom, trugen ebenfalls zur positiven Entwicklung in den Nachkriegsjahren bei, was auch in der steigenden Bedeutung des sekundären Sektors am Bruttoinlandsprodukt deutlich wurde.60 Auch der tertiäre Sektor, dessen Umsätze vorwiegend im Tourismus erwirtschaftet wurden, begann in den 1960er Jahren zu wachsen. Dieser Trend folgte jenem, der sich in ganz Europa abzeichnete. Der europäische Integrationsprozess hatte zweifelsfrei positive Effekte auf die Wachstumsraten in den Mitgliedsländern.61

Ein Blick in die Geschichte Griechenlands offenbart, weshalb das Land traditionell dazu neigt, hohe Ausgaben in seinen Rüstungssektor zu tätigen. Die im Zuge der Staatsschuldenkrise oft kritisierten hohen Investitionen in diesen Bereich, haben ihren Ursprung im Spannungsfeld der bipolaren Weltordnung. Der NATO – Beitritt des südeuropäischen Landes erfolgte auf Wunsch der Vereinigten Staaten bereits im Februar 1952. Gegenwärtige Interpretationen über die Ursachen und Gründe der Staatschuldenkrise 2010 gehen auf genau diese Zeit zurück. Es wird argumentiert, dass die bedeutende geopolitische Lage des Landes es nicht ermöglichte, sich sozioökonomisch in derselben Geschwindigkeit wie andere europäische Länder zu entwickeln. Begründet wird dies mit den traditionell hohen Ausgaben für Rüstung und Verteidigung.62 Der Import von Rüstungsgütern wirkt sich traditionell negativ auf die griechische Handelsbilanz aus. Griechenland wurden viele Kredite gewährt, die vorwiegend auf militärische Zwecke als auf ökonomische Entwicklung abzielten.63 Die einzige Begründung für das Ansteigen der Staatsverschuldung in den Nachkriegsjahren in militärischen Ursachen zu suchen, greift sicherlich zu kurz. Dennoch kann festgehalten werden, dass das Land aufgrund seiner geopolitischen Lage durchaus eine wichtige Rolle in der damaligen Weltordnung einnahm.

60 Vor allem die Automobilbranche erlebte durch Kooperationen mit internationalen Partnern einen kurzfristigen Boom, der sich in einer positiven Handelsbilanz verdeutlichte. Vgl. Ebd. S.36f. 61Werner PLUMPE, Europäische Krisenpolitik auf dem Prüfstand: Die europäische Integration aus wirtschaftshistorischer Sicht, in: Winfried BRÖMMEL, Helmut KÖNIG, Manfred SICKING, (Hg.), Europa, wie weiter? Perspektiven eines Projekts in der Krise, Bielefeld 2015, 61 – 78, hier 63. 62 Vgl. Jörg KRONAUER, Wir sind die Herren des Landes. Der deutsche Griff nach Griechenland - Geschichte einer Unterwerfung, Hamburg 2016, 91. 63 Vgl. Ebd. 96. 31

3.2 Die Schule der „Greek Statistics“

Trotz vergleichsweiser niedriger Löhne und den damit verbundenen Wettbewerbsvorteilen gelang es Griechenland nicht, diese über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Eine mögliche Erklärung hierfür liefert die Konsumwelle, welche die Produktionsstruktur des Landes nachhaltig schädigte.64 In der Zeit der griechischen Militärdiktatur vermochte es das repressive Regime, durch kurzfristige Maßnahmen den Wettbewerbsdruck, unter dem die griechische Industrie zusammenzubrechen drohte, zu entschärfen. Die Steigerung der Industrieproduktion in den ersten beiden Jahren der Diktatur kann auf Steuererleichterungen zurückgeführt werden, welche den Standortvorteil wiederherstellen sollte. Die Maßnahmen der Militärjunta griffen jedoch noch weiter. Die Strategie lautete abermals möglichst attraktive Rahmenbedingungen für ausländisches Kapital zu schaffen. Die erforderliche Infrastruktur für die erweiterte Industrieproduktion wurde von einer dafür geschaffenen Bank für industriellen Aufbau realisiert. Eine Reihe populärer Maßnahmen sollte der Regierung von Georgios Papadopoulos zunehmend Legitimation verleihen. Diese Maßnahmen umfassten Schuldenerlässe für die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung sowie zahlreiche Investitionen in den Energiebereich. Die Errungenschaften der siebenjährigen Diktatur verblieben im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung verankert, was den gegenwärtigen Ruf nach einer starken Führung begründet. Einzelne wirtschaftliche Kennzahlen gaben durchaus Grund zu einer optimistischen Grundstimmung (Abbildung 8).

Stellt man sich die Frage nach der Finanzierung für diese Errungenschaften, so erklärt sich diese mit einem Blick auf die Staatsverschuldung.65 Eine gängige Praxis der Regierung Papadopoulos, ausländische Kredite nicht über die Staatsverschuldung, sondern über die Staatsbank zu verbuchen, sollte vier Jahrzehnte später abermals einer Regierung zum Verhängnis werden. Knapp die Hälfte der ausländischen Kredite flossen als Zinsen und

64 Das stark veränderte Konsumverhalten der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg wird von der Parlamentsabgeordneten Liana Kanelli sowie dem ehemaligen Entwicklungsminister Michalis Chryssochoidis als einer der Hauptursachen für die Probleme in der Produktionsstruktur ausgemacht. Vgl. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 31f.; Auch in der zeitgenössischen Literatur wurde darauf verwiesen, dass der Konsum von europäischen Erzeugnissen die Handelsbilanz dauerhaft belasten könnte. Dimitros DELIVANIS, Der Beitritt Griechenlands zur europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 118 (1962), 23 – 34, Hier 29. 65 Die Militärdiktatur verschuldete sich im Zeitraum von 1967 bis 1971 mit 602,2 Mio. Dollar und nahm zusätzlich Kredite in einem Umfang von 550,8 Mio. Dollar im Ausland auf. Dies entsprach einen Anteil von 90% der damaligen Staatsverschuldung. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 43f. 32 weiteren Finanzmarktprodukten zurück an die Gläubiger. Das Vorgehen der Militärregierung, die Schulden auf staatliche Betriebe kreativ zu verteilen, um die Gesamtbilanz nicht weiter zu belasten, wurde unter dem Begriff „Greek Statistics“ bekannt.66

Entwicklung des BIP in Griechenland während der Militärdiktatur 30

25

20

15

Mrd.US$ 10

5

0 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 Jahr

Abbildung 8: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.CD?end=1974&locations=GR&start=1967&view=chart. (10.02.2019)

Zu Beginn der 1970er Jahre konnte man im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine im Verhältnis geringere Schuldenquote aufweisen. In welch fragilen Zustand sich das wirtschaftliche System befand, wurde durch die Ölkrise 1973 deutlich. Als sich erstmals Skepsis an dieser Form der Wirtschaftspolitik breit machte, offenbarten sich Probleme an verschiedenen Stellen im Finanzsystem. Eine bedrohlich starke Steigerung der Inflationsrate in den Jahren 1972 bis 1974 in Verbindung mit Reallohnkürzungen führten zu sozialen Unruhen, in deren Folge die Legitimation der Militärjunta schwand. Jene kurzfristig gedachten Reformen, welche den Rückhalt in der Bevölkerung stärken sollte, holte die Regierung Papadopoulos nun ein. Die Investitionstätigkeit in den prestigeträchtigen Sektoren nahm stark ab, was wiederum einen starken Rückgang des Bruttoinlandproduktes zur Folge hatte. Erschwerend hinzu kam noch die türkische Invasion in Zypern 1974, die die griechische Regierung zu weiteren Investitionen in den Rüstungssektor veranlasste. Der von der

66 Vgl. Ebd. 44. 33 griechischen Militärregierung unterstützte Putsch auf der Mittelmeerinsel belastete das Verhältnis der beiden Mächte im östlichen Mittelmeer nachhaltig.67 Als nun schließlich die Vereinigten Staaten die Weltwirtschaftsordnung von Bretton Woods aufkündigten, offenbarten sich die strukturellen Schwächen der griechischen Wirtschaftspolitik. Die Militärregierung musste dem öffentlichen Druck nachgeben und der Weg in eine neue demokratische Epoche war geebnet.68

3.3 Demokratische Epoche und europäische Zwänge

Die Instandsetzung der Demokratie in Griechenland wurde von einigen globalen ökonomischen Zäsuren begleitet. Das System stabiler Wechselkurse geriet an seine Grenzen als sich sein Gläubiger, die Vereinigten Staaten, selbst dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sah. Die Ölkrise und die damit einhergehende globale Rezession offenbarte Defizite in der Ordnung der Weltwirtschaft. Unter diesen Voraussetzungen musste es der hellenistischen Republik gelingen, die Misswirtschaft der Militärjunta hinter sich zu lassen und neue ökonomische Perspektiven zu ermöglichen. In Kombination mit einigen kulturellen und sozialen Reformen69 versuchte Konstantinos Karamanlis (1907 – 1998) den ökonomischen Problemen beizukommen. Der neuen Regierung gelang es, das vorhandene Wachstumspotential zu nutzen. Trotz einer liberalen Agenda wurden marode Banken verstaatlicht und die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt stabil gehalten. Auch profitierte die Regierung von der isolierten Lage des südeuropäischen Landes, welches mit Ausnahme der Türkei von Sowjetrepubliken umringt war. Diese Lage wusste Griechenland für sich zu nutzen, um Zugeständnisse der westlichen Mächte zu erhalten. Die Aufnahme in den europäischen Wirtschaftsraum 1981 ermöglichte weitere Investitionen, die auch dringend benötigt wurden. Trotz vieler positiver Impulse für die griechische Wirtschaft

67 Der Konflikt um Zypern hatte den Anteil für Militärausgaben von durchschnittlich 4,7% des BIP auf 6,7% ansteigen lassen. Damit weist Griechenland in dieser Zeit den höchsten Anteil für Militärausgaben unter allen NATO – Mitgliedsstaaten auf. KRONAUER, Herren, 98. 68 Vgl. Ebd. 45f.; Tássos GIANNITSIS, Die griechische Staatsverschuldung und die Krise, in: Ulf Dieter KLEMM, Wolfgang SCHULTHEIß, (Hg.), Die Krise in Griechenland. Ursachen, Verlauf, Folgen, Frankfurt 2015, 198 – 215, hier 199. 69 Diese Reformen beinhalteten auch die Abkehr vom Altgriechischen als Amtssprache, welche besonders von den Autokraten bevorzugt wurde. Die unter dem Namen Dimotiki bekannte Version des Neugriechischen ermöglichte breiteren Bevölkerungsschichten den Zugang zu Bildung und somit einer aktiven Teilnahme am wirtschaftlichen Leben. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 49. 34 blieben wesentliche Probleme, wie beispielsweise die enormen Einkommens- und Vermögensunterschiede, bestehen. Regionale Disparitäten konnten nicht entschärft und der enormen Landflucht nicht entgegengewirkt werden.70

Die großen ökonomischen Probleme bereiteten den Weg für den Aufstieg der Sozialisten in Athen. Dieser Wechsel in der politischen Führung ist eng mit Namen Andreas Papandreou (1919 – 1996) verbunden. Dem polarisierenden Politiker sollte im Hinblick auf die gewaltigen wirtschaftlichen Probleme nach der Jahrtausendwende eine Schlüsselrolle beikommen. Wenngleich er die Staatsschuldenkrise 2010 nicht mehr erlebte, so kann der rasante Anstieg der Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in seinen ersten beiden Amtszeiten verortet werden. Um seine sozialistische Agenda zu realisieren, benötigte die regierende PASOK Partei Geld, das schlichtweg nicht vorhanden war. Reallohnsteigerungen und demokratische Reformen können als Errungenschaften seiner Amtszeiten bezeichnet werden. Um jedoch seine Reformen durchzusetzen, nahm er bereitwillig die Finanzierung über die Staatsverschuldung in Kauf. In den knapp 8 Jahren seiner ersten beiden Amtszeiten stiegen die Schulden von 30 Prozent auf über 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Zahlreiche Politiker verorten die Ursache für die Staatsschuldenkrise, welche im Jahr 2010 an gewaltiger Dynamik gewann, in diesen Zeitraum.71 Die politischen Antworten auf die Einkommens- und Vermögenunterschiede lauteten Mindesturlaub, Mindestrenten sowie eine generelle Anhebung der Löhne. Investitionen, die einer Verbesserung der Produktivität in dem südeuropäischen Land herbeiführen sollten, entfalteten nicht die gewünschte Wirkung, was die Regierung zu einer Abwertung der Währung veranlasste.72 Welche Probleme falsch eingesetzte Förderungen bereiten können, zeigt sich im Agrarsektor Griechenlands. Bei der genaueren Betrachtung des primären Sektors offenbaren sich die verheerenden Auswirkungen fehlgeleiteter Investitionen. Der einst florierende Wirtschaftssektor, der auch als Aushängeschild fungierte, durchlief seit dem Beitritt zur europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mehrere Krisenzyklen. Der Agrarsektor hatte in Griechenland einen

70 Aktuell lebt knapp die Hälfe der griechischen Gesamtbevölkerung im Großraum Athen. Vgl. Ebd. 50. 71 Ebd. 53. 72 Um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden musste Papandreou die Drachme 1983 um 15% abwerten. Aufgrund gestiegener Löhne, die mit einer Indexierung versehen wurden, war diese Maßnahme aber äußerst uneffektiv. Der mit der Abwertung provozierte Anstieg der Importkosten machte sich sofort bei den Löhnen und in weiterer Folge bei den Herstellungskosten bemerkbar. Somit beraubte man sich der Möglichkeit die Wettbewerbsfähigkeit über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Ebd. 69.; Thános VEREMIS, Das politische System Griechenlands seit 1974, in: Ulf Dieter KLEMM, Wolfgang SCHULTHEIß, (Hg.), Die Krise in Griechenland. Ursachen, Verlauf, Folgen, Frankfurt 2015, 216 – 233, hier 223. 35 verhältnismäßigen großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt und wies eine stetige positive Außenhandelsbilanz auf.73 Die europäischen Agrarsubventionen dienten vorwiegend zur Finanzierung von Maschinen sowie den aus geographischen Gründen eigentlich nicht rentablen Anbau von Weizen. Papandreou rief zudem nach sozialistischen Vorbild Agrargenossenschaften ins Leben, deren Erfolge recht überschaubar blieben. Zwielichtige Machenschaften bei der Fördermittelbeantragung ermöglichte es den Handelsvertretern und den Landwirten mehr Geld zu bekommen, als ihnen ursprünglich zugedacht waren. Es entstand ein korruptes System, bei dem die Fördermittel den Landwirten mehr Geld einbrachten als es ihre eigentliche Tätigkeit jemals hätte tun können. Die Abwicklung der Agrartätigkeiten übernahmen Arbeitsmigranten, die zu sehr niedrigen Löhnen arbeiteten. Bis zur Reform der europäischen Agrarförderungen lebten viele Bauern sehr profitabel von diesem System.74 Die daraufhin einsetzende rezessive Entwicklung des Agrarsektors lässt sich auf eine fehlerhafte Politik im Umgang mit Fördergeldern zurückführen und steht, obgleich der gegenwärtigen geringeren Bedeutung des Sektors, exemplarisch für die Misswirtschaft in der hellenistischen Republik.

Die Politik der sozialistischen Regierung wies zahlreiche planwirtschaftliche Elemente auf. Deutlich wurde dies unter anderem an der Verstaatlichung zahlreicher Betriebe, deren Finanzen Grund zur Besorgnis gab. Diese Finanzierung erfolgte ausnahmslos über die Aufnahme weiterer Staatsschulden, da man sich gezwungen sah, die Arbeitsplätze in diesen Unternehmen sicherzustellen. Den damaligen Finanzminister, Costas Simitis (geb. 1936), wurde die undankbare Aufgabe zu Teil, ein Sparprogramm zu verkünden, das zur Stabilisierung beitragen sollte. Auch wenn dieses Sparprogramm erfolgreich verlief, so wurde der politische Druck infolge einer weiteren Währungsabwertung für Simitis zu groß und er trat zurück. Die unpopulären Maßnahmen hatten zu großem Widerstand innerhalb der sozialistischen Partei geführt, die nicht bereit war, die Wahl auf Kosten einer stabilen wirtschaftlichen Lage zu riskieren. Wie chaotisch die beiden Amtszeiten der Regierung Papandreou waren, zeigen die anschließenden Gerichtsverfahren gegen fünf Mitglieder dieser

73 1981 hatte der Agrarsektor einen Anteil von 17,7 Prozent am BIP und der produzierte Überschuss belief sich auf 45 Mio. US$. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 71. 74 Ebd. 72. 36

Regierung, in denen es nach den Anklagepunkten wie Amtsmissbrauch und Korruption auch zu Schuldsprüchen kam. 75

3.4 Euro Einführung, Spekulationsblasen & „Greek Statistics“

Die bestehende Problematik mit falsch eingesetzten Fördermitteln betraf nicht nur den primären Sektor. Zahlreiche andere Investitionen bedienten sich ebenfalls an diesem Geschäftsmodell und erschwerten somit eine positive Konjunktur. Diese dubiosen Geschäftspraktiken beschäftigen die Strafverfolgungsbehörden noch Jahrzehnte später. Man kommt bei der Betrachtung der griechischen Wirtschaft vor der Einführung einer gemeinsamen kontinentalen Währung nicht umhin, auf positive Wachstumsraten zu verweisen. Wassilis Aswestopoulos merkt dabei an, dass

„der zahlenmäßig erfasste Wirtschaftsaufschwung der Hellenen seit den Achtzigerjahren hauptsächlich auf der Inlandsnachfrage basiert. Der Konsum wurde zur Bürgerpflicht, denn so konnte das BIP erhöht werden. Leider fand die gesamte Wirtschaftsblüte nur auf Pump und zum Schaden bestehender produktiver Wirtschaftsaktivitäten statt.“76

In dieser Aussage versteckt sich ein kritischer Blick auf die Fördergelder der europäischen Partner und deren verheerende Folgen für die einstmals produktiven Wirtschaftssektoren. Nach einer knappen Dekade sozialistischer Wirtschaftspolitik setzte sich bei den Parlamentswahlen schließlich nach mehreren Urnengängen der Kandidat der konservativen Partei, Konstantinos Mitsotakis (1918 – 2017) durch. Dieser startete eine umfassende Privatisierungswelle, welche jedoch auf großen Protest in der Bevölkerung stieß. Die neoliberale Agenda hatte zwar auf die Inflationsentwicklung und die Staatsverschuldung

75 Papandreou selbst wurde freigesprochen, wohingegen der Nachfolger von Finanzminister Costas Simitis, Dimitrios Tsovolas zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Ebd. 80f. 76 Ebd. 88. 37 positive Effekte (Abbildung 9), jedoch gelang es ihm nicht diese als nachhaltigen Erfolg zu verkaufen.

Infaltionsentwicklung Griechenland 1990 - 2000 25

20

15

in% 10

5

0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 Jahr

Abbildung 9: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG?end=2000&locations=GR&start=1990. (10.02.2019)

Somit gelangte Andreas Papandreou abermals an die Spitze der politischen Macht, wenngleich auch mit einem anderen Wirtschaftsprogramm als noch in den Achtzigerjahren. Die veränderte Politik konnte jedoch nur marginale Erfolge verbuchen und gesundheitliche Gründe zwangen ihn schon nach drei Jahren seines politischen Comebacks zum Rücktritt. Costas Simitis avancierte zu seinem Nachfolger und war bemüht, der hellenistischen Republik eine positive konjunkturelle Entwicklung zu verschaffen. Seinen Maßnahmen lag die Überzeugung zu Grunde, das südeuropäische Land wirtschaftlich an die europäische Gemeinschaft heranzuführen. Bedeutende wirtschaftliche Kennzahlen lieferten Grund zur Annahme, dass dies auch gelingen könnte. So verpasste er dem Land stabile Wachstumsraten bei gleichzeitig sinkender Arbeitslosigkeit und abnehmender Inflation (Abbildung 9). Entgegen der Parteilinie hielt seine Regierung an den umfassenden Liberalisierungen und Privatisierungen fest, um mit einer neuerlichen Währungsabwertung sich an den Ländern der Europäischen Union anzunähern. Diese Maßnahmen geschahen vor dem Hintergrund der bevorstehenden Euro Einführung in der Europäischen Union, an der Griechenland um jeden

38

Preis beteiligt sein wollte. Die Stabilität und Sicherheit, die die neue Währung suggerierte, war der ausschlaggebende Punkt, der die Regierung Simitis veranlasste, sich einer Praxis zu bedienen, welche schon die Militärjunta perfektioniert hatte. Um die Konvergenzkriterien der EU zu erfüllen, bedurfte es neuerlich einer kreativen Auslegung und Interpretation wirtschaftlicher Kennzahlen. Dabei behilflich war auch die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs, der es gelang, das Staatsdefizit so darzustellen, dass es den in Maastricht festgelegten Kriterien der EU genügte.77 Die Regierung hatte nach dem Staatsschuldenfiasko unter Papandreou verstanden, dass die Erhöhung des BIP über die Aufnahme weiterer Schulden sich im Endeffekt immer als Wachstumshemmer herausstellte. Sehr gelegen kam ihnen deshalb die Situation am internationalen Aktienmarkt. Ausgehend von den großen Erwartungen und dem Potential des Internetzeitalters, begannen Spekulationen von globalem Ausmaß, die auch vor Griechenland nicht Halt machten. Generell kam der Regierung diese Entwicklung zu Gute, denn in Kombination mit dem gewaltigen Bauboom, der nach der Vergabe der Olympischen Spiele nach Athen einsetzte, lieferten diese Spekulationen jenen Kapitalzufluss, den Simitis für die Erhöhung des BIP benötigte.78

Bald darauf erkannte man nicht nur in Griechenland die Probleme, die von den Verlockungen des schnellen Geldes ausgingen. Als die Internetblase im Frühjahr 2000 platzte, war auch das südeuropäische Land von den Auswirkungen betroffen. Wie auf der ganzen Welt gehörten vor allem die Kleinanleger zu den großen Verlierern dieser Spekulationen. Die Regierung war jedoch darauf angewiesen, den Konsum in der Bevölkerung hochzuhalten, um nicht die schon geschönten Statistiken weiter zu belasten und Zweifel an dieser Wirtschaftspolitik aufkommen zu lassen. Dabei kam die Einführung des Euro sehr gelegen. Eine starke Währung versprach niedrige Kreditzinsen, was sich positiv im Konsumverhalten spiegelte.79 Auf eine Bevölkerung, die in der vergangenen Dekade einen Sparkurs hatte hinnehmen müssen, wirkte dieses billige Geld sehr attraktiv. Aus historischer Perspektive betrachtet, kann man es der Bevölkerung somit nicht verübeln, sich zu günstigen Konditionen zu verschulden. Doch auch

77 Ebd. 93f.; Die Investmentbank gewährte Griechenland einen Kredit der mit hochspekulativen Zinsen verbunden war. Statt der € 2,8 Mrd. wurde eine fiktive Summe von € 15 Mrd. angegeben. Dadurch konnten die Staatsschulden auf 2% gesenkt werden. Goldman Sachs profitierte durch ein gestiegenes Honorar. WOLFF, Weltmacht, 177. 78 Das Ausmaß der Spekulationen wird bei der Betrachtung des Athener Aktienindexes deutlich, der sich im Zeitraum von 1997 bis 2000 beinahe versechsfachte. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 100. 79 Vgl. Matthias MORS, Stefan APPEL, Die Politik der Troika am Beispiel Griechenlands. In: Zeitschrift für Europawissenschaften 12 (2014), 335 – 363, hier 339. 39 die Finanzinstitute beschritten diesen Weg und kamen über die Europäische Zentralbank zu ständig neuem Kapital, das aufgrund der vorgetäuschten Bonität günstig zu haben war. Am Tag der offiziellen Einführung des Euro erlebte man dann einen Preisschock, der bis in die Gegenwart nachwirkt. Die Tatsache, dass man in Griechenland im Vergleich zu anderen Ländern der Eurozone ein niedrigeres Einkommensniveau aufwies und sich die Preise für Konsumartikel an jenen der einkommensstärkeren Länder orientierten, führte zu einer massiven Zunahme der Lebenserhaltungskosten.80 Die Preise haben sich quasi über Nacht verdreifacht und die Inflationsrate sollte sich auch nicht mehr auf ein vernünftiges Niveau stabilisieren lassen.81 Dubiose Machenschaften rund um die Olympiade 2004 brachten schließlich auch die Regierung Simitis unter Korruptionsverdacht, mit dem sich schon fast traditionell griechische Politiker gegen Ende ihrer Amtszeiten konfrontiert sahen. Das Erbe, das er seinem Nachfolger (geb. 1956) hinterließ, umfasste einen Schuldenstand von knapp 70 Milliarden Euro.82 Es bleibt rätselhaft, wie die Europäische Gemeinschaft keine Notiz der Verschleierung bezüglich des Staatsdefizites nehmen konnte. Betrachtet man die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP der hellenistischen Republik in Abbildung 10, so kommen doch große Fragen auf, wie es Griechenland gelungen war, den Konvergenzkriterien zu entsprechen.83

80 WOLFF, Weltmacht, 178. 81 ASWESTOPOULOS, Griechenland, 106. 82 Die beiden Finanzminister der Regierung Simitis, Yannos Papantoniou und nahmen Kredite von € 28,69 Mrd. und € 42,5 Mrd. auf, was einer Gesamtverschuldung von € 71,19 Mrd. während der beiden Amtszeiten von Premier Simitis entsprach. Ebd. 114. 83 Ein Konvergenzkriterium besagt, dass die maximale Verschuldung nicht höher als 60% und die jährliche Verschuldung nicht höher als 3% im Verhältnis zum BIP betragen darf. Norbert SCHUPPAN, Die Euro – Krise. Ursachen, Verlauf, makroökonomischen und europarechtliche Aspekte und Lösungen, München 2014. 21. 40

Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP Griechenland 1995 - 2002 108 106 104 102 100 98 inzum % BIP 96 94 92 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Jahr

Abbildung 10: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/government-debt-to-gdp. (31.03.2019)

Der Regierungswechsel offenbarte die Schieflage der Staatsfinanzen. Der neue Finanzminister, Georgios Alogoskoufis (geb. 1955), meldete der EU die von ihm aufgedeckten geschönten Statistiken, mit denen sich das Land den Beitritt zur Währungsunion sicherte. Ein daraufhin eingeleitetes Defizitverfahren der EU veranlasste Griechenland erstmals sich einem der Konvergenzkriterien anzunähern, woraufhin das Verfahren eingestellt wurde. Man wäre seitens der Union gut beraten gewesen diesmal etwas genauer hinzusehen, denn um die Einstellung des Verfahrens herbeizuführen, bediente man sich wiederum derselben Vorgehensweise wie schon die Obristen und später die Regierung Simitis. Das tatsächliche Defizit lag bei Weitem höher als es vom Finanzminister angegeben wurde. Wie schon so manche Minister zuvor, setzte auch Alogoskoufis auf eine liberale Agenda, die weitreichende Privatisierungen und die Senkung der Unternehmenssteuer umfasste. Das Gebaren an den internationale Finanzmärkten 2008 gab Anlass zur Sorge um das griechische Finanzsystem, das sich bei der Suche nach Möglichkeiten der finanziellen Schieflage beizukommen, ständig der erfolglosen Methode weiterer Verschuldung bediente.84 Rückblickend betrachtet war die hellenistische Republik im Jahr 2009, dem Ende der Amtszeit Karamanilis, de facto pleite. Vertuscht wurde dies nur durch unterschiedliche Interpretationen der Neuverschuldung und der Tatsache, dass der Euro es dem Land immer noch erlaubte, dies zu günstigen Konditionen

84 In der Regierungszeit von Karamanlis wurden neue Schulden im Umfang von € 185,17 Mrd. aufgenommen. Ebd. 117. 41 zu tun.85 Begleitet wurde diese Entwicklung von zahlreichen Finanzskandalen, die einen Großteil seiner Regierung erfassten. Die aufgeladene Stimmung in Land veräußerte sich zudem in Massenprotesten, die sich in der Hauptstadt ausbreiteten.86

3.5 Der unaufhaltsame Weg in den Bankrott

Karamanilis hatte womöglich erkannt, dass es kein Zurück mehr gab. Im Wahlkampf 2009, den er gegen Giorgos Papandreou (geb. 1952) führte, sprach er unverhohlen aus, was dem Land bevorstünde. Sparpolitik, Ausgabenkürzungen und neue Steuern verspricht man normalerweise nicht in einem Wahlkampf. Der Sohn des ehemaligen Regierungschefs Andreas Papandreou, Giorgos, bemühte sich hingegen der Bevölkerung zu erklären, wie er sich die wirtschaftliche Wende vorstellte. Dass es sich hierbei um bloße Wahlkampfparolen handelte, war wohl den meisten in der Bevölkerung klar und trotzdem hoffte man auf eine Veränderung. Schon sehr bald musste er von seinen Versprechen Abstand nehmen, denn im Dezember 2009 erreichte die Abwärtsspirale eine unglaubliche Dynamik. Die Kreditwürdigkeit Griechenlands wurde mehrmals herabgestuft. Zudem wurde das betrügerische Verhalten mit den geschönten Statistiken der Vorgängerregierung öffentlich, dadurch begannen die Aufschläge auf Zinsen zu explodieren. In dieser Abwärtsspirale folgte eine schlechte Nachricht auf die andere. Geplatzte Kredite, Bauernproteste und die aufkommenden Versorgungsengpässe gerieten ins Interesse der Weltöffentlichkeit, was die Lage nur noch verschärfte, denn die Kapitalgeber waren nicht mehr bereit, das Risiko einer Investition einzugehen. Papandreou begann seine Rhetorik in Richtung Sparpolitik zu verändern, was bei seinen Wählern weniger gut ankam. Die Menschen konnten schlichtweg nicht verstehen woher die unglaubliche Dynamik kam, welcher sie sich nun ausgesetzt sahen. Die überaus kritische Berichterstattung in der europäischen und globalen Medienlandschaft ließ die Griechen aus Angst um den Rest ihres Vermögens eben jenes abzuheben, um für den Fall aus dem Euro auszuscheiden, die eigenen Ersparnisse nicht abgewertet zu bekommen. Dass sich die Situation somit zunehmend verschlechterte, dürfte niemanden wirklich überrascht haben. Die wenigen Stimmen in der

85 Ebd. 118.; Ferry STOCKER, Finanz-, Schulden- und Wirtschaftskrisen und ökonomische Prinzipien, Wien 2015, 154. 86 Die Unruhen, die im Dezember 2008 in Athen begannen, werden im kollektiven Gedächtnis der Griechen mit dem Spruch „Remember the sixth of December“ erinnert. Vgl. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 127. 42 griechischen Politik, die immer noch davon überzeugt waren, es aus eigener Kraft zu schaffen, mussten bald erkennen, dass es sich dabei um eine Wunschvorstellung handelte.87

Wie auch beispielsweise ein Jahrzehnt zuvor Argentinien, sah man in Griechenland mit dem Gang zum Internationalen Währungsfonds einen möglichen Ausweg. Wie auch in dem lateinamerikanischen Staat, konnte man in Griechenland auf die bewährte Maßnahme der Währungsabwertung nicht so einfach zurückgreifen, da man sich ja im Euroraum befand. Somit signalisierte der IWF, dass ein Eingreifen nur mit Unterstützung der EU möglich wäre. Papandreou erhielt Zugeständnisse bei den europäischen Partnern, die vor allem auf Strukturreformen abzielten. Ganz nach dem Vorbild der berüchtigten Strukturanpassungsprogramme, die der Währungsfonds seinen Klienten verpasst, sollte auch in Griechenland das strukturelle Defizit beseitigt werden. Vor dem Hintergrund der gerade bewältigten globalen Finanzkrise, gerieten die europäischen Regierungen in ihren jeweiligen Ländern innenpolitisch unter Druck, da man sich selbst mancherorts mit Sparmaßnahmen konfrontiert sah.88 Erschwerend für die Sparpolitik Papandreous wirkten die zahlreichen Fälle von Betrug und Korruption, mit denen Griechenland stetig im Interesse der internationalen Medien blieb. Die genaue Analyse der Staatsfinanzen offenbarte die vielen Missstände in diesem System. Die Bemühungen, die Steuerhinterziehungen aufzudecken, scheiterten oftmals an der Schwierigkeit überhaupt die notwenigen Bescheide einzutreiben.89 Abbildung 11 zeigt die schwierige wirtschaftliche Lage, die Papandreou mit einem weiteren Sparpaket entschärfen wollte. Die Entwicklung des BIP gab Anlass zu großer Beunruhigung. Trotz einzelner positiver Monate war es im Begriff zu schrumpfen.

87 Ebd. 148f. 88 Ebd. 158. 89 Knapp 900.000 Menschen hatten bis zum Sommer 2011 insgesamt € 41,1 Mrd. Schulden beim griechischen Finanzministerium angehäuft. Deren Eintreibung erwies sich als sehr schwierig. Vgl. 159f; 166. 43

Wachstumsraten des BIP in Griechenland 07/2007 - 04/2010 4 3 2 1 0

-1

in%

Jul.07 Jul.08 Jul.09

Jän.08 Jän.09 Jän.10

Sep.07 Sep.08 Sep.09

Mai.09 Mai.08

Nov.07 Nov.08 Nov.09

Mär.09 Mär.10 -2 Mär.08 -3 -4 -5 -6 Jahr

Abbildung 11: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/gdp-growth. (20.02.2019)

Massive Anhebungen der Steuersätze für Konsumgüter, Automobile und Immobilien trugen ihren Teil zur weiter steigenden Inflation bei. Auch hatten Rentner und Angestellte des öffentlichen Dienstes mit hohen Kürzungen ihrer Sonderleistungen zu kämpfen. Die Regierung war händeringend bemüht, einen Ausweg aus dieser Situation herbeizuführen und liebäugelte abermals mit dem Gang zum IWF. Man versprach sich dadurch auch Druck auf die EU aufbauen zu können. Als die Analysten des Statistischen Amtes der Europäischen Union die Staatsfinanzen für mögliche Finanzhilfen zu untersuchen begannen, zeigte sich abermals der kreative Umgang bei der Etatplanung. Dieser Verlust der Glaubwürdigkeit veranlasste die Märkte, sich auf einen kommenden Staatbankrott vorzubereiten, denn niemand konnte die tatsächliche Situation realistisch einschätzen. Im Zusammenhang mit diesem weiteren Fall der „Greek Statistics“ erschienen weitere Kuriositäten in den Medien, die die Situation zusätzlich belasteten.90 Das wiederholte Versagen sämtlicher Kontrollinstanzen im Finanzministerium ließ potenzielle Kreditgeber zurückschrecken. Griechenland hatte wiederholt bewiesen, dass es keine Kontrolle über die finanziellen Machenschaften in seinem eigenen Land hatte. Die internationalen Kapitalgeber waren nur zur Finanzhilfe bereit, wenn das südeuropäische Land seine Souveränität in einigen Bereichen aufgibt und Teile seiner nationalen Hoheitsrechte ausländischen Kontrollinstanzen überträgt. Am 23. April 2010 räumte der Premierminister

90 Erwähnt sei an dieser Stelle die Affäre um den deutschen Siemens Konzerns, der in einen gewaltigen Korruptionsskandal im griechischen Gesundheitswesen involviert war. Ebd. 171f. 44 schließlich ein, dass sich das Land in Kombination mit einem europäischen Hilfspaket unter der Kontrolle des IWF befindet. Diesen Souveränitätsverlust an ausländische Institutionen war für die Bevölkerung schwer zu verdauen. Das im Mai 2010 verabschiedete Sparprogramm sollte das erste in einer ganzen Reihe dieser Programme sein. In Vorbereitung auf die Finanzhilfen hielten Papandreou und der damalige Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn (geb. 1949) jeweils Reden, die die Bevölkerung auf ein Sparpaket einschwören sollten. Beide schafften es jedoch, durch ihre Wortwahl noch mehr Beunruhigung zu verbreiten.91 Die Europäische Zentralbank, die EU und der IWF, die in Griechenland unter dem Namen Troika bekannt wurden, gewährten dem Land zunächst einen Kredit von insgesamt 110 Milliarden Euro, der an ein massives Sparpaket gekoppelt war.92 Die politische Antwort der Opposition ließ nicht lange auf sich warten. Generalstreiks waren das populärste Mittel, um gegen die im Sparpaket drastischen Einschnitte vorzugehen. Streiks von Hafenarbeitern, Zollbeamten, Angehörigen des Militärs sowie die Fluglotsen lähmten die Handlungsfähigkeit des gebeutelten Landes. Der Unmut verschiedener Bevölkerungsgruppen begann sich immer weiter aufzustauen. Anarchisten, Bürgerverbände und die unterschiedlichen Gewerkschaften zogen durch die Straßen , um sich gegen die Bevormundung durch die Troika zu wehren. Einer dieser Demonstrationstage blieb nachhaltig in trauriger Erinnerung. Am 05. Mai 2010, als das Parlament den ausgehandelten Vertrag mit den Kapitalgebern verabschieden sollte, versuchte eine der Demonstrationsgruppen die Polizeisperre vor dem Parlament zu durchbrechen. Die Situation eskalierte und am Ende des Tages gab es drei Todesopfer zu beklagen.93

3.6 Von Sparpaketen und Rettungsschirmen

Nach monatelangen Krisenmeldungen konnte man in den Sommermonaten 2010 erstmals Positives aus Griechenland berichten. Die Überprüfungen der Troika über den Erfolg des Sparpaketes ergaben erstmals Fortschritte bei der Sanierung der Staatsfinanzen.

91 Papandreou verglich die Situation mit der griechen Sage von Odysseus, der jahrelang herumirrte und dabei sämtlich Unterstützer verlor. Strauss-Kahn bezeichnete die griechische Wirtschaft als „Patienten“ dem „bittere Medizin“ verabreicht werden sollte. Eine ähnliche Wortwahl fand auch die Militärjunta, als sie das Land unter ihre Kontrolle stellte. Vgl. Ebd. 180; Vgl. MORS, APPEL, Politik, 340f.; WOLFF, Weltmacht, 175. 92 ASWESTOPOULOS, Griechenland, 181.; Franz GEBETSROITHER, Ein Marshall – Plan für Griechenland. Neustrukturierung nach altem Muster?, Masterarbeit, Salzburg 2013, 54. 93 Ebd. 195. 45

Finanzminister Giorgos Papacostantinou (geb. 1961) konnte auf verbesserte Wirtschaftsdaten verweisen. Sein Optimus erscheint berechtigt, hatte er doch seine eigene Amtszeit an den Erfolg des Sparprogramms gekoppelt.94 Möglicherweise erschien dieser Optimus doch etwas verfrüht, denn die Krise der Staatsverschuldung begann sich nun auf die einzelnen Wirtschaftssektoren auszubreiten. Verringerte Einnahmemöglichkeiten der wichtigsten Bereiche wie Tourismus und Handelsschifffahrt spiegelten sich in ständig steigenden Arbeitslosenzahlen wider (Abbildung 12).

Arbeitslosenquote Griechenland 2008 - 2015 30

25

20

15 in% 10

5

0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr

Abbildung 12: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/unemployment-rate. (21.02.2019)

Die Staatschuldenkrise hatte die Realwirtschaft erfasst. Trotz der im Spardiktat festgelegten Maßnahmen für die Belebung des Arbeitsmarktes, konnten viele Unternehmen dem Druck nicht mehr standhalten und zogen sich entweder aus dem griechischen Markt zurück oder meldeten Insolvenz an. Höhere Steuern und immens steigende Transportkosten forderten ebenfalls ihren Tribut. Die Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung (Abbildung 8), bei gleichzeitig steigenden Verbraucherpreisen, verlieh dieser Entwicklung zusätzliche Dynamik. In weiterer Folge erfasste die Insolvenzwelle auch den Immobiliensektor, da viele Geschäftslokale nicht mehr verwendet wurden. Außerdem hatten die Kommunen durch diese

94 Westliche Bestandteile dieses Sparprogramms waren vor allem Kürzungen auf der Ausgabenseite. Diese umfassten Einschnitte in den Bereichen Verteidigung, Gesundheit, Löhne, Pensionen und dem öffentlichen Dienst. MORS, APPEL, Politik, 344. 46

Entwicklung weniger finanzielle Mittel wegen ausbleibender Abgaben zur Verwendung. Die Abwärtsspirale begann, sich immer weiter zu drehen. Wie ernst die Situation geworden war, offenbarte der Streik der im Transportwesen tätigen Menschen. Das geschlossene Berufsfeld des Transportwesens95 musste laut Vertrag mit der Troika geöffnet werden, woraufhin dieses in Dauerstreik traten. Versorgungsengpässe im ganzen Land zeigten die drastischen Auswirkungen, mit denen die hellenistische Republik zu kämpfen hatte.

Es stellte sich sehr schnell heraus, dass die erste veranschlagte Kreditsumme nicht ausreichen würde. Zunächst bemühte man sich mit dem ersten Rettungspaket, Griechenland die Refinanzierung seiner auslaufenden Staatsschulden für drei Jahre zu ermöglichen. Dieses erste Rettungspaket, so hoffte die Troika, würde das Vertrauen wiederherstellen. Als die Problematik in Griechenland immer deutlicher absehbar wurde, vereinbarten die Kreditgeber ein gewaltiges Hilfspaket, dass unter dem Namen „European Financial Stability Facility“ (EFSF) bekannt wurde, in einem Umfang von 750 Milliarden Euro.96 Hierbei muss angemerkt werden, dass man sich in der Eurozone nicht nur mehr mit Griechenland zu beschäftigen hatte, sondern ausgehend vom griechischen Bankensektor eine Ansteckungsgefahr für andere Länder bestand. Der „European Stability Mechanism“ (ESM), der den EFSF später ablöste, kann als Ausdruck dieser Ängste verstanden werden. Giorgos Papandreou konnte schließlich dem innen- und außenpolitischen Druck nicht mehr standhalten und er gab sein Amt im November 2011 schließlich auf. Auch vom Parteivorsitz trat er wenige Monate später zurück. Seine PASOK Partei hatte durch das wiederholte Brechen seiner Wahlversprechen den Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Bei insgesamt drei Sparpaketen, die in seine Amtszeit fielen, hatte er stets versprochen keine weiteren Kürzungen durchzuführen, doch er konnte keines dieser Versprechen halten. Im Rahmen der Erteilung des zweiten Sparpaketes im Jahr 2011 wurden erstmals Bedenken geäußert, dass eine stetig steigende Neuverschuldung die Lösung der wirtschaftlichen Krise herbeiführen könnte.97 Die Parlamentswahlen im Jahr 2012 standen somit im Zeichen des europäischen Spardiktates. Nach der ersten Wahl, die keine Mehrheit für eine der Parteien brachte, musste ein neuerlicher Urnengang über die Rettungspakte und

95 Eine Lizenz für das Transportgeschäft konnte man in Griechenland nur erben oder von einem Inhaber kaufen. In dem verabschiedeten Memorandum wurde diese Beschränkung aufgehoben, da man sich dadurch billigere Transportkosten erwartete. ASWESTOPOULOS, Griechenland, 206. 96 Die Länder der Eurozone übernahmen € 440 Mrd., der IWF € 250 Mrd. und die Europäische Kommission € 60 Mrd. STOCKER, Zahltag, 157. 97 Vgl. Ansgar BELKE, Christian DREGER, Das zweite Rettungspakt für Griechenland und Perspektiven für die europäische Zentralbank. In: Integration 34 (2011), 214 – 227, Hier 226. 47 die weitere Politik entscheiden. Das Wahlergebnis, bei dem die Nea Dimokratia und Syriza als Sieger hervorgingen, kann somit als klares Bekenntnis für die Sparpolitik gesehen werden, da beide Parteien die Sparauflagen akzeptierten. 98

In das Jahr 2012 fielen zwei weitere Sparprogramme, die erstmals einen Schuldenschnitt beinhalteten. Die Nea Dimokratia des neuen Premier (geb. 1951) hatte für den Erhalt der Finanzhilfen weitere Reformen durchsetzen müssen. Das Geld aus den Stabilitätsmechanismen wurden Griechenland nicht ohne Auflagen überwiesen. Jeder neue Antrag war gekoppelt an weitere Auflagen der Kapitalgeber.99 Obwohl die Reformen nach den Prinzipen einer liberalen Agenda durchgeführt wurden, verschlechterte sich die Lage der Volkswirtschaft zunehmend. Die Anhebung der Mehrwertsteuer von 19% auf 23% trug maßgeblich zum Verlust der Binnennachfrage bei. Diese Maßnahme fiel noch in die Amtszeit Papandreous. Samaras kürzte den Monatsmindestlohn um 23%, entmachtete die Gewerkschaften und reformierte den Arbeitsmarkt bis es zu einem kollektiven Verfall des Lohnniveaus kam.100 Dass Griechenland schließlich im Jahr 2015 neuerlich um Finanzhilfen ansuchen musste, begründet sich auch in der Fehlkalkulation der Troika, die eine wesentlich schnellere Erholung prognostizierte.101

Die Situation in Griechenland veranlasste die Europäische Union zu einem Gesetzesentwurf, der die Sparpolitik in allen Mitgliedländer durchsetzen sollte.102 Die Realisierung des Fiskalpaktes kommt einem Schuldeingeständnis gleich, da er die in ihm verankerte maximal zulässige Verschuldung gegenüber den Konvergenzkriterien nochmals verschärft.

Die folgenden Sparpakte, finanziert aus den gesponnenen Rettungsschirmen, sahen ebenfalls Ausgabenkürzungen und eine weitere Verschlankung des öffentlichen Sektors vor. Der 2015 gewählten Syriza – Regierung von Alexis Tsipras (geb. 1974), wurden weitere Spardiktate verschrieben, was zu einer massiven Verschlechterung der sozialen Situation beitrug. Mit

98 Offizielles Ergebnis der Parlamentswahlen in Griechenland vom 11.06.2012: http://ekloges- prev.singularlogic.eu/v2012b/public/index.html. (19.03.2019). 99 STOCKER, Zahltag, 157.; WOLFF, Weltmacht, 181. 100 Thomazs KONICZ, Shock und Awe auf Europäisch. Deutschlands Wirtschaftskrieg gegen Griechenland, in: Jörg KRONAUER (Hg.), Wir sind die Herren des Landes. Der deutsche Griff nach Griechenland. Geschichte einer Unterwerfung, Hamburg 2016, 175 – 201. Hier 176. 101 STIGLITZ, Europa, 232. 102 Tschechien und Großbritannien beteiligten sich nicht an diesem Gesetzesentwurf des Fiskalpaktes. Jonas KÖPER, Usama TARABEN, Der Fall Griechenland. Fünf Jahre Krisen und Krisenkonkurrenz, Europa rettet sein Geld – und die deutsche Führungsmacht ihr imperialistisches Europa – Projekt, München 2015, 51. 48 insgesamt zwölf Sparprogrammen, die alle an Reformen und Bedingungen geknüpft waren, avancierte Griechenland zu jenem Land, das europaweit die meisten liberalen Reformen umgesetzt hat.

„Die menschlichen Kosten der gescheiterten Austeritätspolitik sind monströs. Und nirgends waren sie höher als in Griechenland, das in einer durchaus im Wortsinne tödlichen Deflationsspirale steckt. Im Gefolge der verheerenden Kahlschläge bricht die private und staatliche Nachfrage ein, wodurch die seit Jahren andauernde Rezession verstärkt und das Heer der Arbeitslosen vergrößert wird. Dadurch sinken die Steuereinnahmen des griechischen Staates, während seine Ausgaben aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit zunehmen.“103

Konicz versucht damit zu beschreiben, dass jene Länder, die sich einem radikalen Sparkurs verschrieben haben, mit besonders harten sozioökonomischen Folgen zu kämpfen haben. Obwohl auch ein kleiner Schuldenschnitt zur Revitalisierung der Wirtschaft durchgesetzt werden konnte, scheint es kaum möglich, sich in absehbarer Zeit nachhaltig davon zu erholen.104 Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Regierung von Tsipras eine Neuverhandlung der von der Troika gemachten Vorschriften fordert. Die Kritikpunkte, die man in Athen äußert, beziehen sich auf eben jene Vorgaben und Bedingungen, die die soziale Lage weiter verschärfen. Das Mandat, mit dem die linksradikale Regierung ausgestattet ist, sollte auch ausreichen, um einige Punkte des Spardiktates neu zu verhandeln. Formulieren lässt sich die neue Strategie wie folgt: Ohne einen umfassenden Schuldenschnitt sowie einer Neuorganisation der verbleibenden Verbindlichkeiten, wird sich das ökonomische Leben in Griechenland kaum mehr ankurbeln lassen.105 Zurecht verweist die Regierung auf die Unmöglichkeit, sich dem Zwang ausgesetzt zu sehen, neue Hilfspakete zu

103 KONICZ, Shock, 181. 104 Vgl. PLUMPE, Krisenpolitik, 73. 105 Ein Schuldenschnitt kann jedoch ebenso unerwünschte Folgen mit sich bringen. Von einem umfangreichen Schuldenschnitt wären nicht nur ausländische, sondern auch griechische Banken betroffen. Daraus entstehen bei den Banken Liquiditätsengpässe, die wiederum durch neue Schulden finanzieret werden müssen. Der Anteil der griechischen Banken an den gesamten Staatschulden betrug 2010 bereits 19,6%. Vgl. Gustav HORN, Fabian LINDNER, Torsten NIECHOJ, Schuldenschnitt für Griechenland – Ein gefährlicher Irrweg für den Euroraum, in: IMK Report 63 (2011), 7. 49 beantragen, nur um bestehende Forderungen zu erfüllen. Eine Instandsetzung von rentablen ökonomischen Aktivitäten sei mit den vorhandenen Spardiktat quasi nicht zu erreichen. Erstmals seit dem Gang zum IWF im Frühjahr 2010 kritisiert eine Regierung öffentlich den Souveränitätsverlust durch die Troika. Der erste Finanzminister der Syriza Regierung, (geb. 1961), prangerte mehrmals die weit vorangeschrittene Demoralisierung des griechischen Volkes an. Für die Kapitalgeber, namentlich der Troika, sind dies keine zu verhandelnden Punkte. Die Klarstellung seitens der Kapitalgeber, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, ließ keine Zweideutigkeit zu. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble appellierte an die ökonomische Vernunft der Syriza Regierung und machte seinem griechischen Pendant klar, dass die Refinanzierung Griechenlands zu den Bedingungen der Troika geschieht, oder eben gar nicht.106

Betrachtet man die gegenwärtige Situation in dem südeuropäischen Land, so erscheinen die Bedenken der Regierung Tsipras durchaus berechtigt. Die Wiederherstellung einer vernünftigen ökonomischen Situation ist nicht in unmittelbarer Sichtweite. Die Apelle, die auf die Verbesserung der sozioökonomischen Lage abzielen, stoßen jedoch bei den Institutionen, welche die Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates aufrechterhalten, auf wenig positive Resonanz. Beide Seiten in dieser Debatte liefern nachvollziehbare Argumente und sehen sich verpflichtet, ihrer Aufgabe gerecht zu werden.

Verheerende Folgen hatte die Sparpolitik auch für das Sozial- und Gesundheitssystem in Griechenland. Mit drastischen Einschnitten in die staatlichen Ausgaben für Gesundheit war ein weiterer Punkt gefunden, der es ermöglichte, die Staatsausgaben auf das von den Kreditgebern gewünschte Niveau zu drücken. Aufschläge auf Medikamente sowie zusätzliche Kosten für Krankenhausaufenthalte bekamen wieder jene Bevölkerungsschichten zu spüren, die die geringste Schuld an der Sparpolitik traf. Infolge dieser Einschnitte mussten zahlreiche Krankenhäuser schließen, gefolgt von einem enormen Stellenabbau. Krankheiten, die bereits als besiegt galten, begannen sich nun in Griechenland wieder auszubreiten. Geldmittel, die für die Prävention von Krankheiten oder Substituierung Suchtkranker eingesetzt wurden, waren nun nichtmehr vorhanden. Ebenfalls musste ein starker Anstieg unterernährter Kinder sowie

106 Vgl. KÖPER, TARABEN, Griechenland, 83f.; KONICZ, Shock, 177. 50 eine deutliche Zunahme der Kindersterblichkeit in einem Land der Europäischen Union verzeichnet werden.107

Nun stellt sich die Frage nach der gegenwärtigen Situation in Griechenland und ob die harten Spardiktate gerechtfertigt waren. Der 20. August 2018 eignet sich hervorragend für eine Zwischenanalyse der Ereignisse, welche die europäische Wirtschaft nun seit knapp einem Jahrzehnt in Atem halten. Medial betrachtet ist es eher ruhig um Griechenland geworden. Den wirtschaftlichen Problemen des Landes werden in den westlichen Medien nicht mehr so große Aufmerksamkeit wie noch vor einigen Jahren geschenkt. Der 20. August ist deswegen so ein geeignetes Datum, da Griechenland sich seitdem nicht mehr unter dem europäischen Rettungsschirm befindet. Das 2015 verabschiedete Sparprogramm ist ausgelaufen. Bei einem Blick auf relevante ökonomische Kennzahlen wird deutlich, dass durchaus Grund für leichten Optimismus besteht. Die Arbeitslosenraten konnte im Vergleich zu 2015 von knapp 25% auf annähernd 20% gesenkt werden. Aber nicht nur die Beschäftigungszahlen geben Grund zum Optimismus, sondern auch das seit dem letzten Sparpaket langsam wieder steigende Bruttoinlandsprodukt. Die Austeritätspolitik hat zweifelsfrei geholfen, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und Vertrauen in die griechische Wirtschaft wiederherzustellen. Dennoch ist Griechenland von großer Abwanderung, gerade durch die junge Generation, betroffen. Dazu kommen auch noch andere Probleme wie nachhaltige Politikverdrossenheit und die immer noch bestehende Korruption. 108 Gegenwärtig erfreuen sich griechische Staatsanleihen wieder großer Nachfrage. Eine schrumpfende Staatsschuldenquote im Verhältnis zum BIP sowie eine sich erholende Wirtschaft sorgten für eine Aufwertung der Bonität dieser Anleihen.109 Der Abbau des Haushaltsdefizites kann ebenfalls als große Errungenschaft bezeichnet werden. Es bleiben jedoch wichtige, noch zu bekämpfende Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit und die hohe Armutsrate.110

107 Insgesamt mussten 46 von 130 Krankenhäuser schließen. Die Entlassungen im Gesundheitsbereich betrafen 26.000 Menschen. Es folgte eine Zunahme von knapp 20% bei den untergewichtigen Geburten. WOLFF, Weltmacht, 184ff. 108 Micheal MARTENS, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/griechenland-hilfen-laufen-aus-der-lange- weg-aus-der-krise-15745821.html. (13.04.2019) 109 Sven LÜÜS, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/staatsanleihen-vertrauenin-griechenland-1.4355153. (13.04.2019) 110 Diese Kennzahlen beruhen auf Einschätzungen des Missionsleiters des Internationalen Währungsfonds für Griechenland. Peter DOHLMANN, https://www.imf.org/de/News/Articles/2018/07/30/NA07302018. (13.04.2019) 51

Somit kann festgehalten werden, dass sich tatsächlich eine Besserung der ökonomischen Situation eingestellt hat. Obwohl die Situation keinerlei Anlass für zu übermäßigen Optimismus gibt, bleibt das Gefühl einer leichten Entspannung zurück. Die Schuldenlast Griechenlands bleibt dennoch sehr groß und die Revitalisierung kann noch einige Jahrzehnte andauern. Ein großes Problem beim wirtschaftlichen Wiederaufbau stellt die hohe Abwanderungsrate dar. Das Phänomen des „brain drain“ ist in dem südeuropäischen Land allgegenwärtig. Beizukommen ist dieser Entwicklung nur sehr schwer, da die Möglichkeiten in Griechenland ungleich niedriger sind als in anderen Ländern. Es wird die große Herausforderung der Zukunft sein, dem Verlust von qualifiziertem Personal entgegenzusteuern. Es müssen seitens der Staatengemeinschaft als auch von der nationalen Regierung Anreize geschaffen werden, die es dem Land ermöglichen, die dadurch verlorengehende Wettbewerbsfähigkeit zu minimieren. Was der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit in Kombination mit anderen Faktoren bewirken kann, musste die hellenistische Republik bereits erfahren.

4. Global ungleiche Entwicklung: Integrations- und Finanzkrisen

4.1 Akkumulationsregime des Finanzkapitals aus historischer Perspektive

Um wirtschaftliche Krisenszenarien im Zeitalter des Finanzkapitals verstehen zu können, ist es notwendig, sich mit seiner Geschichte zu beschäftigen. Im Zentrum dabei steht die Frage welche Voraussetzungen und Rahmenbedingen für die Akkumulationsmöglichkeiten des Finanzkapitals geschaffen wurden und wie diese zu Krisenszenarien beitragen. Zweifelsfrei treten Finanzkrisen, Spekulationsblasen sowie Schuldenkrisen gegenwärtig ungleich häufiger auf, als sie das beispielsweise noch in der Nachkriegsordnung von Bretton Woods getan haben. Das Zeitalter des Finanzkapitals beginnt bei genauer Betrachtung mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, wenn auch noch in deutlich anderer Form als in der Gegenwart. Dennoch lohnt sich ein Blick in diese Zeit, um die gegenwärtigen Probleme der Akkumulation besser erfassen zu können.

Die bekannten wirtschaftstheoretischen Konzepte stießen bei den Erklärungen und Interpretationen der Großen Depression, die ihren Ausgang im New Yorker Börsencrash von

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1929 nahm, an ihre Grenzen. Der Vermeidung von Defiziten galt als oberste Priorität und trotzdem zeigten diese Maßnahmen keine Verbesserung. Der Zeitgeist schien reif für neue ökonomische Konzepte. Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre lieferte zahlreiche Argumente für eine Veränderung des Finanz- und Wirtschaftssystems. John Maynard Keynes hatte im Zuge der Analyse der Großen Depression Theorien entwickelt, die von einer Instabilität des Marktes ausgingen und somit staatlichen Einfluss in der Regulierung forderten. Dies bedeutete eine deutliche Kritik an der neoklassischen Wirtschaftstheorie, welche bis zum Ausbruch der Krise viel Unterstützung hatte. Das Problem war nun, dass sich die Krise mit neoklassischen Modellen nicht erklären ließ. Das Vertrauen auf die Stabilität von Preismechanismen hatte die Theorie des allgemeinen Gleichgewichtsmodells stark in die Kritik gebracht. Der selbstregulierende Marktmechanismus wurde von Keynes hinterfragt und es wurde darauf verwiesen, dass es sehr wohl einen Nachfragemangel geben könnte. Keynes argumentierte, dass eine Politik, die auf Haushaltskürzungen und deflationären Eingriffen beruhe, zu keinerlei Besserung beitragen könne. Stattdessen sollten umfassende staatliche Beschäftigungsprogramme und Regulierungs- sowie Stabilisierungsmaßnahmen zu einem Ausweg aus der Abwärtsspirale führen. Eine Politik, die auf Steuererhöhungen und Kürzung der Staatsausgaben hinausläuft, war nach Meinung vieler Ökonomen schlichtweg falsch. Außerdem müsse der Staat soziale Auffangsysteme installieren, um die Not der Bevölkerung zu lindern. Bei Keynes Veröffentlichungen handelte es sich um eine fundierte makroökonomische Kritik an einem mikroökonomischen Modell. Hingegen müsste im Krisenfall den niedrigen Zinsen mit umfassenden fiskalischen Lösungen begegnet werden. 111

Diese Ideen machte Roosevelt zum Bestandteil seiner Wirtschaftspolitik. Der New Deal umfasste mehr als bloße fiskalpolitische Veränderungen, denn er beinhaltete umfassende Steuerreformen sowie Konjunkturprogramme für die Industrie und den Agrarsektor.

Die Reformen ermöglichten auch eine Verbesserung der sozialen Auffangsysteme und eine Restrukturierung des Zentralbankensystems. Diese Reformen sollten vielen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg als Vorbild dienen und in der westlichen Welt zum sogenannten „goldenen

111 Vgl. Gottfried PLUMPE, Wirtschaftspolitik in der Wirtschaftskrise. Realitäten und Alternativen, In: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), 326 – 357, Hier 326.; Vgl. Günter BUCHHOLZ, Das Verhältnis zwischen Ökonomie und Staat in der Neoklassik, bei Keynes und in der marxistischen Theorie, in: Horst MÜLLER, Hg., Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation, Norderstedt 2010, 128 – 156. Hier 131f. 53

Zeitalter“ führen.112 Die folgenden Jahrzehnte stehen stellvertretend für den Siegeszug des Keynesianismus, da die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise in diesen Dekaden gering gehalten werden konnten. Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit entworfen, wurde diese Denkschule nach dem Zweiten Weltkrieg international salonfähig. Die 1936 veröffentlichte „General Theory of Employment, Interest and Money“ trat ihren Siegeszug in den entwickelten Ökonomien an. Gekennzeichnet waren diese Jahre durch stabile Wachstumsraten und in einigen Nationalstaaten sprach man in dieser Zeit auch von Wirtschaftswundern. In Folge der Entwicklungen in der Weltwirtschaft zu Beginn der 1970er Jahre wurde Keynes zunehmend von Ökonomen wie Milton Friedman (1912 – 2006) kritisiert.113

Die frühen 1980er Jahre markieren den Beginn einer sich verändernden Wirtschaftsordnung. Die Weltwirtschaftsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte in den 1970er Jahren schwere Krisen. Die Abkehr vom System der stabilen Wechselkurse, welches in Bretton Woods ausverhandelt wurde, setzte die Leitwährung massiv unter Druck, wodurch es in weiterer Folge auch zu unmittelbaren Auswirkungen auf die folgenden Ölkrisen und zeitweisen Rezessionen in den führenden Ökonomien kam. Der staatliche Keynesianismus begann sich durch eine Reihe politischer Maßnahmen zu verändern. Mit den Amtsantritten von Ronald Reagan (1911 – 2004) in den Vereinigten Staaten 1980 und Magrit Theatcher (1925 – 2013) in Großbritannien 1979 begann ein durch die angelsächsischen Länder geschaffenes, neues wirtschaftliches Zeitalter. Diese Politik zielte auf starke Deregulierung der Finanzmärkte und die Liberalisierung der Strukturen ab und erfasste bald das gesamte Weltwirtschaftssystem. Die nationalen Finanzmärkte erlangten durch die Implementierung neuer Finanzprodukte eine globale Dimension. Der Fokus lag nun nicht nur auf der Realwirtschaft, sondern vermehrt auf der Finanzwirtschaft. Viele Ökonomen betrachten diese Ereignisse als eigentlichen Beginn der weltweiten Finanzkrise 2007/08, das jedoch kontrovers diskutiert wird.114

112 Vgl. EICHENGREEN, Die großen Crashs 1929 und 2008. Warum sich Geschichte wiederholt, München 2015, 295f./350.; Vgl. Michael BERNSTEIN, The Grat Depression. Delayed recovery and economic change in America 1929 – 1939, Cambridge 1987, 185. 113 Vgl. Fritz HELMEDAG, Die Beschäftigungstheorie von Keynes. Dichtung und Wahrheit, in: Berliner Debatte Initial 23 (2012), 63 – 76. Hier 63f. 114 Brigitte YOUNG, Vom staatlichen zum privatisierten Keynesianismus. Der globale makroökomische Kontext der Finanzkrise und der Privatverschuldung, in: Zeitschrift für internationale Beziehungen 16(2009), 141 – 159. 54

„Natürlich haben beide Politiker nach 1979 maßgeblich die strukturellen Rahmenbedingungen für einen angebotsorientierten Kapitalismus geschaffen. Aber die Innovationen auf den internationalen Finanzmärkten, die den hypothekenfinanzierten und privatverschuldeten Immobilienmarkt ermöglichten, sind nicht durch funktionalistische, neo-marxistische oder interessensgeleitete Ansätze erklärbar.“ 115

Begleitet wurde diese Entwicklung von den Transformationsprozessen der Industrie- und Schwellenländer, die vom einsetzenden technologischen Wandel zunehmend verstärkt wurde. Die Globalisierung war auf dem Vormarsch und erhielt durch diese Prozesse eine zusätzliche Dynamik. Dennoch ist die klare Tendenz zu erkennen, dass mit der Umorientierung im wirtschaftlichen Denken und den dafür geschaffenen neoliberalen Strukturen, die internationale Wirtschaft anfälliger für Krisen wurde. Dies belegen zahlreiche Beispiele in den darauffolgenden Jahrzehnten. Die internationale Politik schuf Rahmenbedingungen, die auf eine starke Deregulierung des Finanzsystems abzielten. Stellvertretend für die neuen Akkumulationsmöglichkeiten des Finanzkapitals stehen eine Reihe neuer Finanzprodukte, die sogenannte Optionen und Features, welche Spekulationen auf zukünftige Aktienkurse ermöglichten.116

Die Transformation der Industrieländer in moderne Dienstleistungsgesellschaften und die damit verbundene Verlagerung der Produktionsstätten in aufstrebende Schwellenländer wurde noch von einer weiteren wesentlichen Entwicklung begleitet. Begünstigt wurde diese Entwicklung von dem verstärkten Einsatz neuer Technologien in den Produktionsprozessen. Die voranschreitende Digitalisierung in den einzelnen Wirtschaftssektoren ließ einen neuen Markt entstehen, welcher auch als „New Economy“ bekannt wurde. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem neuen Segment, breitete sich schon bald darauf eine unglaubliche Euphorie aus. Die Rahmenbedingungen für diese Entwicklung hätten nicht besser sein können. Scheinbar stabile weltpolitische Verhältnisse und eine wachsende Weltwirtschaft in Verbindung mit niedrigen Zinsen, lieferten den Nährboden für diesen aufkommenden Markt. Die Integration neuer Kommunikationsmedien versprach zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten.

115 Ebd. 143. 116 Philipp PUM, Gründerschwindel und Immobilienblase. Zwei der bedeutendsten Wirtschaftskrisen der Geschichte im Vergleich, Masterarbeit, Salzburg 2015, 84. 55

Die Massentauglichkeit des Mediums Internet generierte neue Marktplätze, deren Potential schier unendlich schien. Kennzeichen dieses Marktes waren sehr schnell steigende Aktienkurse von Unternehmen, die neu an der Börse notiert waren. Dies lockte natürlich Spekulanten an, denn diese Entwicklung versprach Wachstum und Erfolg. Die Werbetrommel für Unternehmen der „New Economy“ wurde mächtig gerührt und somit spekulatives Kapital in Umlauf gebracht. Der einsetzende Aufschwung veranlasste viele Banken, Händler und Firmen in den neuen Markt hineinzustoßen. Obwohl erste Anzeichen einer Spekulationsblase zu erkennen waren, vermochten es die Zentralbanken und die Finanzmarktakteure nicht, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Skurrile Bewertungsmethoden und Manipulationen an den Aktienkursen führten dazu, dass sich der Markt aufblähte und jeglichen Realitätsbezug verlor. Als schließlich die Investoren begannen ihre Aktien abzustoßen und die Gewinnerwartungen nach unten korrigiert wurden, begannen die Kurse einzubrechen. Der amerikanische Technologieindex brach in der ersten Aprilwoche 2000 um ein Viertel ein. Im Zuge dieser Entwicklungen reihte sich eine Firmenpleite der „New Economy“ an die andere.117 Die nach der Internetaktienhausse ausgebliebene Zinssenkung wurden unumgänglich. Als sich erste Anzeichen einer deflationären Entwicklung andeuteten, sah sich die Federal Reserve Bank der Vereinigten Staaten (FED) dazu gezwungen, den Leitzinssatz auf 1% zu senken, um dem Kapital Akkumulationsmöglichkeiten zu ermöglichen. Diese Politik der FED war durchaus erfolgreich. Infolge des niedrigen Leitzinses sanken auch die Zinsen für langfristige Kredite, welche viele Menschen nutzten, um ihre Verbindlichkeiten mit einem neuen, günstigeren Kredit zu refinanzieren. Dies hatte wiederum unmittelbare Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Schuldner. Von der neu vorhandenen Liquidität profitierte auch der Immobilienmarkt, welcher in dieser Zeit weltweit einen rasanten Aufstieg verzeichnete. Gekoppelt an die enorme Verschuldung der Haushalte ist auch ein Rückgang der Sparquote. Dieser Effekt entstand durch den kontinuierlichen Anstieg der Konsumausgaben, wohingegen die Reallöhne in dieser Zeit stagnierten. Nach der erfolgreichen Erholung von der kurzzeitigen Rezession 2001 begann die FED 2004 den Leitzinssatz wieder anzuheben. Die Arbeitsmarktsituation hatte sich beruhigt, die Inflationsrate begann wieder zu steigen und man konnte auf kontinuierlich steigende Wachstumsraten verweisen. Doch die Zinspolitik der FED vermittelte ein trügerisches Bild. Denn vom realen Wirtschaftswachstum der Vereinigten

117 Vgl. Peter MARTIN, Bruno HOLLNAGEL, Die großen Spekulationen der Weltgeschichte. Vom Altertum bis zur New Economy, München 2002, 313f. 56

Staaten machten die Hypothekenkredite, die nicht zur Refinanzierung der Eigenheime verwendet wurden und somit zu einer Steigerung des privaten Konsums geführt hatten, einen erheblichen Anteil aus.118 Die globale Finanzkrise 2007/08 offenbarte die großen Probleme in diesem Akkumulationsregime, das keiner Kontrolle mehr unterworfen war. Die nicht gerade als sicher geltenden Finanzprodukte, die man sich in der globalisierten Finanzwelt gegenseitig verkaufte, waren ein wesentlicher Indikator für das außer Kontrolle geratene Akkumulationsregime. Auch wenn die globalen Verantwortungsträger mit Regulierungen den Verwerfungen begegnet sind, so hat sich bis heute nichts an diesem Regime geändert.

4.2 Auswirkungen globaler und externer Krisen auf nationale Ökonomien

Wie weitreichend Auswirkungen in einer globalisierten Finanzwelt sind, zeigt ein Blick auf die Immobilienblase in den Vereinigten Staaten, die die gesamte Weltwirtschaft erfasste und sie an den Rand des Zusammenbruchs führte. In Europa verstand man sich darauf, die Immobilienkrise und den Zusammenbruch von Investmentbanken im Jahr 2008 als rein amerikanisches Phänomen darzustellen, wenngleich die EZB sich schon 2007 gezwungen sah, den Handel innerhalb des Bankensystems mit Krediten zu unterstützen.119 Doch auch in der alten Welt hielten die Banken hohe Anteile der toxischen „Suprime“ – Papiere sowie große Anteile der ertragsreichen Anleihen der konjunkturschwachen südeuropäischen Länder. Den Trugschluss, es handle sich bei den Entwicklungen am Finanzmarkt um ein rein regionales Phänomen, musste man schnell aufgeben. Nachrichten über kriselnde Finanzinstitute gehörten schon bald zum europäischen Alltag. Nur durch Finanzspritzen der nationalen Regierungen konnten in den Wochen nach der Pleite von Lehman Brothers Insolvenzanträge großer Geldinstitute abgewendet werden. Vertreter der internationalen Politik beschlossen daraufhin staatliche Garantien für systemrelevante Banken und mit Rettungspaketen sollte der Kapitalverkehr aufrechterhalten werden.

118 Benedikt FEHR, Der Weg in die Krise, in: Gerald BRAUNBERGER, Benedikt FEHR, Hg., Crash. Finanzkrisen gestern und heute, Frankfurt 2008, 125f.; Trevor EVANS, Das Ende der Immobilienblase in den USA, in: Prokla 146 (2007), 129 – 139. 119 Die EZB stellte am 9. August 2007 Kredite im Wert von 94,8 Milliarden Euro zur Verfügung, um am 19. Dezember 2007 den Finanzinstituten abermals eine Kreditsummen von 350 Milliarden Euro zu garantieren. Benedikt FEHR, Die EZB rettet den Geldmarkt, Frankfurt 2008, 189. 57

Das Verschwinden großer Banken, die nicht als systemrelevant erachtet wurden und somit untergingen, beeinflusste auch die Entwicklung in der Realwirtschaft. Sofern diese wie im Fall der Baubranche nicht unmittelbar von den Auswirkungen des amerikanischen Hypothekenmarktes betroffen waren, bekamen nun auch diese aufgrund des Ungleichgewichtes an den internationalen Kapitalmärkten zunehmend Probleme. Die führenden wirtschaftlichen Länder schlitterten alle in eine gewaltige Rezession, wie der Einbruch des Bruttoinlandproduktes in den Vereinigten Staaten und den Staaten der Europäischen Union belegt. Abbildung 13 illustriert exemplarisch die internationalen Verstrickungen der jeweiligen Wirtschaftssektoren und soll verdeutlichen, dass Finanz- und Wirtschaftskrisen keinesfalls isoliert betrachtet werden können.

Reale Entwicklung des BIP in den USA und den EU (28) 2004 - 2014 6

4

2 EU 28 0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 USA Prozent% -2

-4

-6

Abbildung 13: Eigene Darstellung nach Daten von Eurostat. http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nama_10_gdp&lang=en. (22.03.2019)

Geschuldet sind diese Prozesse den strukturellen Problemen der globalisierten Weltwirtschaft. Diese globalen Effekte zeigen sich auch am Beispiel der Staatsschuldenkrise in Griechenland. Obwohl keineswegs internationale Entwicklungen allein für die Krise nationaler Ökonomien verantwortlich gemacht werden können, so spielen sie doch eine wichtige Rolle dabei. Die Griechenlandkrise als reine Staatsschuldenkrise zu bezeichnen würde der Komplexität dieser Krise nicht gerecht werden, vor allem wenn man bedenkt, dass auch andere südeuropäischen Ökonomien ähnliche Probleme aufwiesen. Hierbei lässt sich Kritik an

58 der deutschen Bundesregierung üben, die stets bemüht ist, die Krise in der hellenistischen Republik als Einzelfall zu bezeichnen.120 Vielmehr handelt es sich dabei um eine Krise der europäischen Integration und einer Krise der gemeinsamen Währung. Die Unsicherheiten auf den Kapitalmärkten nach den Ereignissen 2007/08 und die daraus resultierende Zurückhaltung bei der Verlängerung und Vergabe von Krediten, hatte selbstverständlich Konsequenzen für Griechenland. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Gesellschaften, die bis zur globalen Finanzkrise als staatlich gesichert galten, ebenfalls zahlungsunfähig wurden und somit die Kreditwürdigkeit der „souvereign borrowers“ neu bewertet wurde. Diese Entwicklung hatte für das Mittelmeerland fatale Folgen, denn über den Zustand der Staatsfinanzen wurde nun viel diskutiert. Unmittelbar darauf folgten die ersten drastischen Abwertungen, welche die Abwärtsspirale 2009 in Gang setzten. Diese losgetreten Prozesse, deren Ursprung sich in den steigenden Unsicherheiten am Finanzmarkt begründet, wirkten wie ein Verstärker für die negative Entwicklung in Griechenland. Daraufhin zeigte sich die Problematik, seine Finanzierungen über die Aufnahme von Staatsschulden zu realisieren. Denn daraus resultiert nun eine Kettenreaktion, die so in der Konstruktion der Eurozone nicht vorhergesehen wurde. Auf die hohe Schuldenlast in Verbindung mit einem deutlichen Defizit und extern herbeigeführter steigender Zinslast aufgrund schlechter Bewertungen durch die Kapitalgeber, folgt nun der Einbruch des Bruttoinlandproduktes und damit fallende Steuereinnahmen. Doch dem nicht genug, denn das Bankenwesen in Nationalstaaten ist von den Garantien eben jener abhängig. Ein zahlungsunfähiger Staat riskiert somit die Existenz jener Banken, die viele Staatsanleihen von ihm halten. Dies wäre normalerweise noch kein großes Problem, doch ist die Kreditwürdigkeit vieler Staaten im Zuge der globalen Finanzkrise derart gefallen, dass die Kurse dieser Anleihen die Banken selbst mit Insolvenz bedroht. Dabei wird deutlich, welche enormen Ansteckungseffekte sich hinter der Staatsschuldenkrise Griechenlands verbergen und weshalb die großen Rettungspakete wie EFSF und ESM notwendig wurden.121 Anhand dieses Beispiels verdeutlichen sich die Zusammenhänge globaler Ereignisse mit nationalen Krisen.

Die Verschuldungskrise in Lateinamerika ist ein Ausdruck der global ungleichen Entwicklung. Die 1980er Jahre gingen als „verlorenes Jahrzehnt“ in die Geschichte ein und sind bei der Betrachtung der argentinischen Staatspleite von wesentlicher Bedeutung. Die bereitwillig

120 KÖPER, TARABEN, Griechenland, 87. 121 STOCKER, Zahltag, 155f. 59 erteilten Kredite von den Ländern des geographischen Nordens nehmen eine zentrale Position bei den lateinamerikanischen Krisen und insbesondere bei der Argentinienkrise ein. Da man in den entwickelten Ökonomien bestrebt war dem Finanzkapital Möglichkeiten zur Akkumulation bereitzustellen, wurden den lateinamerikanischen Volkswirtschaften bereitwillig Kredite erteilt. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme reichten vom Zerfall der Währungen bis hin zu Hyperinflation und anhaltender Rezession. Durch die Integration von Staaten in Freihandelsabkommen und der Gründung neuer Freihandelszonen konnte sich die Region wirtschaftlich erholen und zu Beginn der 1990er Jahre ein kleines Wirtschaftswachstum erzielen.122 Eine Währungsabwertung der mexikanischen Regierung provozierte im Dezember 1994 eine Finanzkrise, deren Auswirkungen als der sogenannte „Tequila – Effekt“ auch in anderen Ländern zu spüren war. Nur knapp fünf Jahre später geriet die zweite große Volkswirtschaft Lateinamerikas in finanzielle Schwierigkeiten. Durch den Abzug von ausländischem Kapital geriet die brasilianische Währung, der Real, massiv unter Druck und brach daraufhin ein. Eine Währungs- und Finanzkrise wie sie schon in Mexiko stattgefunden hatte, entwickelte sich nun auch in Brasilien. Diese beiden Krisenszenarien verdeutlichen die Abhängigkeit der lateinamerikanischen Volkswirtschaften von ausländischem Kapital. Das fehlende Kapital führte zu Liquiditätsengpässen bei den argentinischen Banken und verschärfte die ohnehin prekäre Situation weiter. Auch die Abwertung des brasilianischen Reals im Jahr 1999 stellt einen „spill – over – Effekt“ dar. Wenn der wichtigste Handelspartner plötzlich enorme Wettbewerbsvorteile aufgrund der freigegebenen Währung aufweist, ist dies für die eigene nationale Ökonomie nicht besonders zuträglich. Auch die Entwicklungen im Zuge der Asienkrise 1997 und der Probleme Russlands 1999 wurden in Argentinien sichtbar. Durch das fixe Wechselkursregime stiegen die Befürchtungen, Argentinien könne seine Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr herstellen. Auch das Platzen der „New Economy“- Blase verstärkte das zurückhaltende Verhalten der internationalen Kapitalgeber aufgrund der wachsenden Unsicherheiten zunehmend. 123

122 Freihandelsabkommen NAFTA 1994 (USA, Kanada, Mexiko); Freihandelsabkommen MERCOSUR 1991 (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) 123 Vgl. Christian SUTER, Weltwirtschafts- und Globalisierungskrise in Lateinamerika, in: Peter FELDBAUER / Gerd HARDACH / Gerhard MELINZ, Hg., Von der Weltwirtschaftskrise zur Globalisierungskrise (1929 – 1999). Wohin treibt die Peripherie?, Frankfurt 1999, S. 145 – 159, hier 149.; MARTIN, HOLLNAGL, Spekulationen, 307. 60

Die Krisenszenarien in Griechenland und Argentinien zeigen sehr deutlich, dass Finanz- und Wirtschaftskrisen keinesfalls für sich isoliert betrachtet werden können, sondern diese immer in den aktuellen globalen wirtschaftlichen Kontext eingebettet werden müssen. Zweifelsfrei finden sich bei diesen Krisenszenarien aber auch einmalige, auf nationale Grenzen beschränkte Phänomene, die eine Einzigartigkeit der Krisen zulassen. Belegt wird diese Tatsache dadurch, dass weder Mexiko noch Brasilien um die Jahrtausendwende, weder Portugal noch Irland während der Eurokrise, zahlungsunfähig geworden sind, obwohl sie denselben globalen Verwerfungen ausgesetzt waren. Argentinien und Griechenland hingegen schon.

4.3 Theorien global ungleicher Entwicklung

Um dem Phänomen der global ungleichen Entwicklung zu begegnen, ist es notwendig, sich mit theoretischen Überlegungen dazu auseinanderzusetzen. Eine mögliche Erklärung für die Entwicklung von nationalstaatlichen Ökonomien liefert die Modernisierungstheorie, die von Walt Rostow (1916 – 2003) und Samuel Huntington (1927 – 2008) vorangetrieben wurde. Mit ihr in Konkurrenz steht die Dependenztheorie, welche ebenfalls Erklärungsansätze für die unterschiedliche Entwicklung von Ökonomien bietet. Um wirtschaftliche Krisen erklären und begründen zu können, ist eine Auseinandersetzung mit diesen Theorien unerlässlich. Untersuchungen, die die Staatsschuldenkrise in Griechenland und die Zahlungsunfähigkeit in Argentinien betreffen, sollen in diese beiden Erklärungsmuster eingebettet und ihre Relevanz als auch Aussagekraft analysiert werden.

Dass es sich bei der Modernisierungstheorie um kein starres Korsett handelt, belegt der Versuch, sie seit dem letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts zu adaptieren und zu verändern. 124 Im Spannungsfeld der globalen Machtverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt, trat die Modernisierungstheorie ihren Siegeszug durch die ökonomischen und soziologischen Schulen der westlichen Welt an. Sie avancierte zum vorherrschenden Paradigma in den Sozialwissenschaften. Primär versucht die Modernisierungstheorie die einzelnen Phasen des wirtschaftlichen Wachsens zu erklären. Sie bildet in gewisser Weise die

124 Vgl. Wolfgang ZAPF, Modernisierung und Modernisierungstheorien, In: Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation: soziologische Aufsätze 1987 bis 1994, Berlin 1994, 111 – 127, Hier 111. 61 westliche Antwort auf das sowjetische – marxistische Stufenmodell, welches die ökonomische Entwicklung vom Feudalismus über den Kapitalismus hin zum Sozialismus beschreibt. Auch die Modernisierungstheorie bedient sich einem Stufenmodell, dass die einzelnen Phasen sozioökonomischer Entwicklung von Nationalstaaten beschreibt. Ausgehend von einem geringen Grad von Urbanisierung und Industrialisierung, bei dem der primäre Sektor dominiert, beschreibt Rostow in seinem viel zitierten Werk „The Stages of Economic Growth: A Non – Communist Manifesto“ die einzelnen Phasen ökonomischer Entwicklung, die moderne Gesellschaften durchlaufen. Im Zentrum dieser Theorie finden sich kapitalistische Grundpfeiler wie Produktivitätssteigerung, Arbeitsteilung, Bildung und industrielle Expansion, die als Voraussetzung für Modernisierung gesehen werden und schließlich auch Massenkonsum ermöglichen.125 Der Weg von traditionellen hin zu modernen Gesellschaften verläuft nach Rostow entlang dieser Kennlinie. Diese duale Grundstruktur beschreibt den Ausgangszustand und den zu erreichenden Endzustand. Entwicklung wird hierbei als langfristiger Transformationsprozess verstanden, der sich durch die Erschließung der Natur und der in ihr vorkommenden Ressourcen über industrielle Expansion bis hin zu einem hohen Grad an Mobilisierung kennzeichnet.

Die politische Dimension der Modernisierungstheorie war bei den meisten Theoretikern zunächst vernachlässigt worden. Der ökonomischen Entwicklung wurde alles untergeordnet. Dabei wurden auch oftmals Einparteiensysteme oder Militärdiktaturen als notwendig angesehen, um durch einen starken Staat die ökonomische Entwicklung sicherzustellen.126 Dieser Umstand erklärt auch die Akzeptanz von Militärregierungen wie beispielsweise in Argentinien oder Griechenland, die keineswegs in ihrer Regierungszeit von ausländischem, vorwiegend amerikanischem, Kapital abgeschnitten waren. Die Anwesenheit des Internationalen Währungsfonds in Argentinien während der Militärdiktaturen, kann als Beleg dafür angesehen werden. Als oberstes Ziel wird die ökonomische Entwicklung verstanden und erst anschließend entwickelt sich auf dieser Basis eine parlamentarische Demokratie. Auch Krieg wird von Vertretern dieser Theorie durchaus als Notwendigkeit angesehen, um Modernisierung überhaupt erst zu ermöglichen. Dabei wird Unzufriedenheit geschürt, um den

125 Walt Whitman ROSTOW, The Stages of Economic Growth: A Non – Communist Manifesto, Cambridge 1960, 198. 126 Vgl. Jürgen RÜLAND, Wirtschaftswachstum und Demokratisierung in Asien: Haben die Modernisierungstheorien doch Recht? In: Manfred SCHULZ, Entwicklung 1997, 83 – 110, Hier 84. 62

Wunsch nach Veränderung oder besser Modernisierung zu verstärken. 127Eine große Schwäche dieser Theorie ist die Annahme, dass wenn in einem Land die gleichen Voraussetzungen geschaffen werden wie in einem, in dem die Transformation abgeschlossen ist, derselbe Verlauf eintritt. Es werden sehr viele Faktoren dabei außer Acht gelassen. Was in den Vereinigten Staaten funktioniert hat, muss nicht zwangsweise in lateinamerikanischen Staaten funktionieren. Der Transformationsprozess in Griechenland muss nicht zwangsläufig derselbe sein wie in Westdeutschland. Historische Rahmenbedingungen werden dabei vernachlässigt. Die reale Entwicklung in den beiden untersuchten Ländern Argentinien und Griechenland zeigt, dass es eben nicht ausreicht, ein ökonomisches Entwicklungskonzept diesen Ländern überzustülpen und anschließend darauf zu hoffen, dass sie die gleiche Entwicklung durchlaufen würden. Ganz nach dem Motto: „Wollt ihr euch entwickeln? Dann werdet wie wir!“ Dieser Kulturimperialismus findet sich sehr stark in der Modernisierungstheorie.

In Bezug auf die global ungleiche Entwicklung ist noch eine weitere Theorie für das Verständnis von ökonomischen Krisen von Bedeutung. Die Dependenztheorie rückt anders als die Modernisierungstheorie, Macht ins Zentrum des Interesses. Bemerkenswerterweise entwickelte sich diese Theorie genau dort, wo die führenden Ökonomien bestrebt waren, den Staaten ihre Modernisierungskuren zu verabreichen. In Lateinamerika der 1960er Jahre entwickelte die „Comisión Económica para América Latina y el Caribe“, die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika, in klarer Abgrenzung zu Rostows und Huntingtons Überzeugungen, ihre Theorie.128 Die Vertreter dieser Theorie Raúl Prebish (1901 – 1986), der erste Direktor der argentinischen Zentralbank, oder auch Andre Gundar Frank (1929 – 2005) prangerten an, dass der Wohlstand entwickelter Ökonomien vorwiegend auf den bestehenden Ausbeutungsverhältnissen zwischen den Ländern der Peripherie und jenen des Zentrums besteht. Sie machen in ihren Ausführungen die ungleichen Handelsbedingungen für die nachhaltig schlechte Situation in den Entwicklungs- und Schwellenländern verantwortlich. Diese Interpretation kann als deutliche Kritik an der Modernisierungstheorie, bei der kulturelle und gesellschaftliche Faktoren für die Ungleichheit ausgemacht werden, gesehen werden. Um die Kritik erfassen und bewerten zu können, gilt

127 Unbekannt, https://neuesoziologie.files.wordpress.com/2011/01/modernisierungstheorie-und- dependenztheorie.pdf. (17.03.2019) 3f. 128 Ebd. 4.; WALDMANN, Argentinien, 57. 63 es, die Abhängigkeitsverhältnisse zu benennen. Dabei handelte es sich um den Transport von Rohstoffen und auch Arbeitskräften. Im Zuge des veränderten Akkumulationsregimes des Finanzkapitals müssen auch die profitablen Anlagemöglichkeiten genannt werden, die vor allem Lateinamerika Abhängigkeitsverhältnisse aufzwangen, die bis in die Gegenwart reichen. Außerdem werden die „terms of trade“ angeführt, die nach Meinung der Dependenztheoretiker zu den Entwicklungsrückstanden beitragen.129

Dafür finden sich auch zahlreiche Beispiele, die sich in unterschiedlichen Formen veräußern. Zu erwähnen wäre hier der andauernde Technologieexport vom Zentrum in die Peripherie sowie das anhaltende niedrige Lohnniveau in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Von besonderem Interesse der Dependenztheoretiker ist der Kapitalabfluss in die Staaten des globalen Zentrums. Vorschläge wie Agrarreformen oder teilweise Abkoppelungen vom Weltmarkt, zielen auf eben diesen Effekt ab. Betrachtet man nun die Entwicklungen in Argentinien und Griechenland im Vorfeld ihrer Zahlungsunfähigkeit, so lässt sich doch in beiden Szenarien dieser Kapitalabfluss in die sogenannten Zentralstaaten belegen. Die vormals funktionierenden Landwirtschaften in den beiden Ländern ist durch Integrations- und Globalisierungsbestrebungen nachhaltig unter Druck geraten, bis sie eindeutige Defizite aufwiesen. Eine wesentliche Forderung dieser theoretischen Konzeption ist der laute Ruf nach dem Schutz der nationalen Ökonomie durch protektionistische Maßnahmen wie der Erhebung größerer Zölle, um die Binnennachfrage zu steigern. Paradoxerweise wenden die Staaten des globalen Zentrums gegenwärtig ähnliche Strategien an, um aufkommende innenpolitische Verwerfungen zu vermeiden. Entgegen liberaler Strukturreformen sollten Verstaatlichungen bedeutender Sektoren diese Entwicklung begünstigen und die Länder der Peripherie somit für einen globalisierten Markt wettbewerbsfähig machen. Problematisch dabei ist es, die Trennlinien zwischen Zentren und Peripherie zu erfassen. Oftmals bedarf es einer Differenzierung, der diese Unterteilung nicht gerecht wird. Trotzdem ist die Kritik an kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der Modernisierungstheorie notwendig. Wie Beispiele aus Lateinamerika belegen, entfaltet die Dependenztheorie in der praktischen Anwendung ihr Gefahrenpotential. So konnten durchaus durch protektionistische Maßnahmen mancherorts Erfolge erzielt werden, doch stellte sich zunehmend heraus, dass Gewinne und Profite oftmals nicht reinvestiert wurden, sondern vielmehr zur Bereicherung

129 Vgl. URIONA, Ökonomie, 43. 64 der neu entstandenen Eliten genutzt wurden, die keine nachhaltige Entwicklung der Ökonomien anstrebten.130

Die Dependenztheorien erlebt ihren Höhepunkt bis in die 1970er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die neoliberalen Rosskuren, die nach der Schaffung neuer Akkumulationsmöglichkeit für das Finanzkapital ihren globalen Siegeszug antraten, ließen diese Theorie jedoch von der Bildfläche verschwinden. Obwohl dadurch verschiedene Phänomene erklärt werden können, zeigte sich ihre reale Umsetzung als zu fehlerhaft. Nachdem in einigen nationalen Ökonomien der ehemaligen Peripherie die neoliberalen Konzepte erste Erfolge zeigten, verschwand die Dependenztheorie. Der aktuelle Trend zeigt, dass sich sozioökonomische Denker mit den Problemen der Modernisierungstheorie auseinandersetzten, anstatt an einem neuen Erklärungsmuster für global ungleiche Entwicklung zu arbeiten.131 Dennoch belegen beide Krisenszenarien, dass reine Entwicklungs- und Anpassungsmaßnahmen nicht ausreichen, um im Sinne der Modernisierung Wohlstand herbeizuführen. Die kurzeitige Annäherungsphase in den 1990er Jahren wird seitdem durch zahlreiche Krisen gebeutelt, die vielerorts auch Jahre später noch ihre Wirkung zeigen. Auch wenn die Realisierung der in der Dependenztheorie entworfenen Möglichkeiten oftmals Gegenteiliges bewirkten, so sind die gegenwärtigen Entwicklungen in Argentinien oder auch in Griechenland zumindest eine neuerliche Reflexion wert.

Die gegenwärtig offenbarte Abhängigkeit der argentinischen Wirtschaft von steigenden Zinsen in den Vereinigten Staaten, sowie die nicht enden wollende Abhängigkeit von den Weltmarktpreisen seiner Rohstoffe, begründen diesen Erklärungsversuch. Protektionismus und Binnenmarktorientierung waren wesentliche Eckpfeiler der Wirtschaftspolitik von Christina Fernández de Kirchner. In ihrer Amtszeit verzeichnete Argentinien die wohl stabilsten Jahre der vergangenen Jahrzehnte. Mit dieser Form der Wirtschaftspolitik ist es gelungen, das jahrelange Problem der Handelsbilanz zu entschärfen.132 Gerade als ihr Nachfolger Mauricio Macri begann, das System nach neoliberalen Vorstellungen umzustellen, erfasste die Volkswirtschaft die neuerlichen Probleme, die in Kapitel 2 ausreichend dargelegt werden. Bereits vor dem Beginn seiner Amtszeit wurden Zweifel an der Nachhaltigkeit der

130 Ebd. 5. 131 Ebd. 6. 132 Vgl. Matthias EBENAU, Facundo PARES, Lucia Suau ARINCI, Zurück in die Zukunft? Dependenzperspektiven in der Analyse der Diversität des Gegenwartskapitalismus, in: Zeitschrift Peripherie 130/131 (2013), 220 – 242, hier 232. 65

Wirtschaftspolitik Kirchners geäußert. Die neoliberale Doktrin in der globalen Weltwirtschaftsordnung erlaubt es nur kurzfristig, sich diesem System zu entziehen. Die nationalen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten bleiben in einer globalisierten Weltwirtschaft doch auf längeren Zeitraum stark begrenzt.133 Gerade die Beispiele Argentinien und Griechenland verdeutlichen die in der Dependenztheorie fest verankerten Abhängigkeitsverhältnisse, welche die beiden Länder auch bei der Überwindung ihrer Wirtschaftskrisen in festem Griff halten. Anders als in Griechenland jedoch ist es Argentinien, zumindest kurzfristig, gelungen, die Dependenzen durch wirtschaftspolitische Aktionen wie die Forcierung des Binnenmarktes, voranzutreiben. In Griechenland sind protektionistische Maßnahmen in dieser Form nicht realisierbar. Die Freiräume oder in diesem Fall Zwänge eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit einer Einheitswährung erlauben es der hellenistischen Republik nicht, auf solche Mittel zurückzugreifen.

4.4 Veränderte Funktionen am Finanzmarkt

Im Kontext der ökonomischen ungleichen Entwicklung spielen wirtschaftliche Krisen eine große Rolle. Die im Zeitalter des Finanzkapitals ungleich häufiger vorkommenden Verwerfungen tragen das ihre zu den Ungleichgewichten bei. Verantwortlich dafür werden meist Spekulationen gemacht, die durch die veränderten Akkumulationsmöglichkeiten des Finanzkapitals deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Aufgrund dieser Tatsache stehen sie in enger Verbindung mit den sich häufenden Finanzkrisen seit Beginn der 1980er Jahre. Der massive Anstieg der Kapitalströme seit dieser Dekade fällt ungleich höher aus als beispielsweise die Entwicklung des Welthandels oder auch jene des Bruttoinlandproduktes aller Länder zusammengerechnet.134

Da das Finanzkapital meist jene Orte aufsucht, an denen die größten Akkumulationsmöglichkeiten bestehen, sind Regierungen bestrebt, die bestmöglichen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Infolge dessen findet ein Wettbewerb zwischen Nationalstaaten um die besten Vermehrungsmöglichkeiten statt. Nach Ansichten des bedeutenden neoliberalen Denker Milton Friedman, bestehen diese in einem Regime flexibler

133 Ebd. 237. 134 Jürgen ABELE, Spekulation und Finanzkrisen. Saarbrücken 2006, 27. 66

Wechselkurse ohne Schranken im Kapitalverkehr. Daraus resultierend entsteht ein Wettlauf um die besten Wettbewerbsbedingungen. In einem Abwertungswettbewerb entstehen Risiken, die in einem System stabiler Wechselkurse vernachlässigbar gewesen sind.135 Der Wechselkurs einer Währung ist ein wichtiger Indikator für die reale Entwicklung einer Ökonomie und von systemischer Bedeutung. Wiederum zeigen sich die Auswirkungen der Liberalisierungsprozesse vor dem Beginn der durch Bankenkrisen gekennzeichneten Jahrzehnte. Die Preisbildungsprozesse obliegen keiner staatlichen Autorität mehr, sondern werden von den Zentralbanken bestimmt, deren Rolle sich im Zuge der Privatisierungsprozesse auf den Devisenmärkten veränderte. Oblag ihre Aufgabe zunächst vorwiegend in der Sicherstellung der wirtschaftspolitischen Ziele eines souveränen Staates, so veränderte sich diese Aufgabe hinsichtlich der Sicherstellung für die Verwertung von privatem Kapital auf den globalen Märkten. Die Aufgaben der Zentralbanken beinhalten die Schaffung von Rahmenbedingen, die es ermöglichen, den Wert des in der jeweiligen Währung angelegten Vermögens zu erhöhen. Doch nun wurden den Zentralbanken neue Aufgaben zu Teil. Der Ankauf der EZB von Staatsanleihen kriselnder europäischen Länder, wurde begleitet von der Installation eines Rettungsschirms für hoch verschuldeter Staaten der Union. Die wechselseitige Abhängigkeit der Märkte bewirkt demzufolge eine Ausweitung der Finanzmarktkrise zu einer Währungskrise und in weiterer Folge zu einer Schuldenkrise. Die hohen Risiken im Vorfeld der großen Kontraktion 2007/08, die die Investmentbanken bei der Aufnahme von Suprime-Krediten und anderer zweifelhafter Papiere eingingen, wurden schließlich von den jeweiligen Staaten kompensiert, was diese wiederum zur Aufnahme weiterer Schulden zwang. Diese Schritte erachtete man als notwendig, um den Privatbanken den Zugang zu frischem Kapital zu ermöglichen. Wie unabdingbar die Installation eines Rettungsschirms für marode Staatsfinanzen war, zeigte die Inanspruchnahme dieser Hilfe durch zahlreiche europäische Staaten wie Island, Ungarn, Irland, Portugal, Griechenland und Spanien. Um nicht in eine Zahlungsunfähigkeit zu schlittern, wird ein weiterer Anstieg der Staatsverschuldung akzeptiert. Bedingt durch das Risiko einer Inflationserhöhung, die die kreditfinanzierte Unterstützung des Finanzsektors mit sich bringt, steigen die langfristigen Zinsen dieser Schuldscheine. Das große Problem dabei erscheint die reale Wirtschaftsentwicklung zu sein, die eine gegenteilige Entwicklung zum langfristigen Zinsniveau nimmt und somit einem kontinuierlichen Aufschwung und einem Schuldenabbau

135 Ebd. 29f. 67 entgegensteht. Gelingt es dem betreffenden Staat die Staatsschulden günstig zu finanzieren, so kann dieses Problem vernachlässigt werden. Dies gilt jedoch nur solange es gelingt, die Zinsen niedriger zu halten als die Wachstumsrate der Realwirtschaft. 136

Die Politik erwartet von den Zentralbanken, dass in Krisenzeiten die notwendigen Mittel für die Liquidität der Marktteilnehmer sichergestellt sind. Doch genau diese Maßnahmen können zur Entstehung einer Hyperinflation beitragen, wie man in Deutschland in den 1920er Jahren feststellen musste.137 Auch in den Vereinigten Staaten sah sich die FED Mitte der 2000er Jahre zu weiteren unkonventionellen Maßnahmen gezwungen. Die Befürchtung, die europäische Schuldenkrise könne sich auf die amerikanische Wirtschaft übertragen, veranlasste die FED ihr Programm zum Ankauf von Wertpapieren und Staatsanleihen fortzuführen, was genau wie in Europa die Angst vor einer Inflation schürte. Für diese Politik sah sich die Zentralbank mit heftiger Kritik konfrontiert. Vor allem außerhalb des Landes machten die Finanzminister ihren Unmut kund, indem sie die FED beschuldigten, mit ihren Ankaufprogrammen den Dollarkurs künstlich niedrig zu halten und somit einen Währungskrieg zu verursachen. Entgegen der Warnungen blieb die Inflation weiter niedrig und durch den weiteren Wertpapierankauf verfolgte die Zentralbank das Ziel, den Immobilienmarkt wieder anzukurbeln und die Zinsen somit langfristig niedrig zu halten. Gekoppelt war diese Politik an die Arbeitslosen- und Inflationsrate. Die Politik der Zentralbanken, durch Ankäufe von Staatsanleihen und Wertpapieren den Kapitalfluss aufrecht zu erhalten und den Märkten Vertrauen zu vermitteln, prägte die Weltwirtschaft nach der großen Kontraktion 2007/08 und somit auch die Krise des Euroraumes.138

Bei der Krise in Griechenland wird ebenfalls das veränderte Rollenbild der Zentralbanken deutlich. In der Konstituierung der Eurozone war vorgesehen, dass es zu keinen Haftungsübernahmen zwischen den Mitgliedsländern kommen kann. Zu diesem Zweck war in den Verträgen eine „No bail- out“ Klausel eingebaut, die ein solches Szenario verhindern sollte. Die Griechenlandkrise nahm solche Ausmaße an, dass ohne die Haftung beziehungsweise Garantien anderer Länder es womöglich zu fatalen Folgen für alle Ländern gekommen wäre. Deswegen wurde diese Klausel bei der Rettung des griechischen Staates und

136 Vgl. Elmar ALTVATER, Der große Krach. Oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen von Politik und Natur, Münster 2010, 85f. 137 Walter WITTMANN, Von der Finanzkrise zur Schuldenkrise, In: Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften 62 (2011), 40 – 55, hier 47. 138 Vgl. EICHENGREEN, Crashs, 376f. 68 seiner Banken kurzerhand fallen gelassen. Im Zuge dieser Entwicklung veränderte auch die EZB ihre eigentlich zugedachte Rolle. Anstatt mit ihrer Zinspolitik die Geldwertstabilität sicherzustellen, begann sie Staatschulden aufzukaufen, was ihrer eigentlichen Funktion widerspricht. Diese Maßnahmen dienten vor allem dem Schutz der Gläubiger, die ansonsten wohl nicht mehr dazu bereit gewesen wären, neuerliches Kapital bereitzustellen. Die Rollenbilder der Finanzmarktakteure verändern sich durch Finanz- und Wirtschaftskrisen. Ohne die veränderte Politik der EZB und der Euroländer wäre womöglich die Eurozone und einige Volkswirtschaften in ihr untergegangen.139

5. Krisen im analytischen Vergleich

5.1 Zur Vergleichbarkeit von Finanzkrisen

Wirtschaftskrisen stellen ein aus verschiedenen Gründen interessantes Phänomen dar. Historischen und wirtschaftspolitischen Motiven ist das Bedürfnis geschuldet, die aktuellen Entwicklungen in Beziehung mit vorangegangenen Krisenszenarien zu setzten. PolitikerInnen und HistorikerInnen sind stetig um Vergleiche bemüht, um Handlungsanweisungen liefern zu können oder Empfehlungen abzugeben. Ein historischer Vergleich vermittelt auch immer das Gefühl einer gewissen Kontrolle, da man damit suggeriert, die Geschehnisse vorhersehen zu können und somit besser vorbereitet zu sein. Vor allem wirtschaftspolitische Entscheidungsträger bedienen sich gerne dieser Vergleiche und dieser Rhetorik, um ihre Entscheidung zu begründen und gewissermaßen zu legitimieren. Bei diesen Vergleichen gilt es größte Vorsicht walten zu lassen.

Obwohl sich gewisse Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten im Verlauf der beiden Wirtschaftskrisen finden lassen, waren die Voraussetzungen und die jeweiligen Rahmenbedingen doch sehr unterschiedlich. In politischen Kreisen stellt die Instrumentalisierung historischer Ereignisse keine Seltenheit dar. Gefährlich wird es ab dem Zeitpunkt, wo Inhalte aus dem Kontext gerissen werden und historische Ereignisse für individuelle Interessen missbraucht werden. Das Bestreben liegt darin, Technologien und

139 Vgl. KÖPER, TARABEN, Griechenland, 44f.; Joseph STIGLITZ, Europa spart sich kaputt. Warum die Krisenpolitik gescheitert ist und der Euro einen Neustart braucht, München 2016, 191f. 69

Rezepte zu entwickeln, die zu einer Verbesserung der Finanzmarktsituation beitragen und die zukünftige Entwicklung mitgestalten können. Eingehend sei erwähnt, dass die volkswirtschaftlichen Faktoren, die zur Bewertung der Ausmaße erforderlich sind, erst seit den 1920er Jahren kontinuierlich erhoben werden. Wirtschaftliche Entwicklungsprozesse durchlaufen unterschiedliche Phasen in denen Krisenszenarien häufig auftreten. Der strukturelle ökonomische Wandel durchläuft unterschiedliche Phasen von Wachstum bis zur Rezession. Bei diesen Darstellungen unterscheiden sich politische und ökonomische Interpretationen grundlegend. Im historischen Kontext erscheinen Wirtschaftskrisen als nicht vermeidbar. Durch die Diagnose von Wirtschaftskrisen versucht die Politik Strategien zu entwickeln, die zur Verminderung von Krisen beitragen. Es gibt dazu unterschiedliche Modelle um Finanz- und Währungskrisen zu kategorisieren und einzuordnen. Im Zentrum der Analyse stehen Indikatoren wie Investitionen, Spekulationsblasen und sowie der Finanzmarkt mit seinen Protagonisten. 140 Unter Berücksichtigung der strukturellen Rahmenbedingungen ist es möglich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der großen Wirtschaftskrisen in Argentinien und Griechenland herauszuarbeiten. Die nun beschriebenen Faktoren dürfen nicht als für sich isoliert betrachtet werden, sondern sind untrennbar miteinander verknüpft.

5.2 Das System fixierter Wechselkurse

Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten und Parallelen der ökonomischen Verwerfungen in Argentinien und Griechenland sticht zuerst das stabile Wechselkursregime ins Auge, das beide Länder ein knappes Jahrzehnt vor ihrer Zahlungsunfähigkeit eingeführt haben. Zwar weisen diese Systeme deutliche Unterschiede auf, aber dennoch verhinderten beide eine wirksame Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Beim Blick nach Argentinien fällt zuerst auf, dass man im Gegensatz zu Griechenland nicht freiwillig ein stabiles Wechselkursregime eingeführt hat. Zweifelsfrei trug die Hyperinflation 1989 (Abbildung 1) maßgeblich zur Implementierung eines solchen Systems bei. Die Regierung Menem fand im Konvertibilitätsgesetz ein probates Mittel der Hyperinflation beizukommen. Entgegen seiner

140 Vgl. Herbert Martin BACHER, Übertragbarkeit von wirtschaftlichen Krisenszenarien (Suprime, Asien, ect.) auf die osteuropäische Wirtschaftsentwicklung und Einflussnahme durch eine europäische Bankenaufsicht, Masterarbeit, Salzburg 2008, 4f.; Vgl. Christian HOTT, Finanzkrisen. Eine portfoliotheoretische Betrachtung von Herdenverhalten und Ansteckungseffekten als Ursache von Finanzkrisen, Dissertation, Dresden 2002, 4f. 70 ursprünglichen Konstituierung141 hatte das „Currency Board“ System in den im Transformationsprozess befindlichen Ökonomien Hochkonjunktur. Bei der Betrachtung der großen Probleme der Überbewertung, die ein Jahrzehnt später zu massiven Problemen mit der Handelsbilanz führte, stellt sich die Frage, ob die Einführung dieses Systems nicht andere Faktoren hätte berücksichtigen müssen. Vorwiegend dient ein solches System zur Inflationsbekämpfung. Als Zielfunktion der Geldpolitik ausgewiesen ist dabei zu achten, dass es bei der realen Aufwertung nicht zu einer Überbewertung der heimischen Währung kommt. Dieses bewährte Mittel zur Inflationsbekämpfung hat zwar Auswirkungen auf Waren und Güter, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden, nicht jedoch unmittelbar auf Waren und Güter, die sich nur auf dem nationalen Markt wiederfinden. Erstere werden dadurch stärker nachgefragt, was sich unmittelbar in der Handelsbilanz deutlich macht. Dieses Phänomen führte in Argentinien somit nicht zu einem Gleichgewicht, sondern zu einer Überbewertung und eines Devisenabflusses infolge dieser Entwicklung.142

Inflationsentwicklung nach Einführung des "Curreny Board" in Argentinien 1991 30

25

20

15

10 Inflationin %

5

0 1992 1994 1996 1998 2000 Jahr

Abbildung 14: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG.(06.04.2019)

141 Ursprünglich diente dieses System den europäischen Mächten, um in ihren Kolonien eine Währungsunion mit dem Mutterland herzustellen. Dabei konnten koloniale Währung gegen harte Devisen getauscht werden und die im Umlauf befindliche Geldmenge gedeckt werden. Vgl. Reiner SCHWEICKERT, Chancen und Risiken eines Currency Board Systems, in: Die Weltwirtschaft, Heidelberg 1998, 421 - 442, Hier 421. 142 Ebd. 423. 71

Die Regierung Menem begegnete diesem Problem mit Unterstützung des IWF. Die Strukturanpassungsprogramme erlaubten es der lateinamerikanischen Volkswirtschaft das entstehende Handelsbilanzdefizit in Kauf zu nehmen. Die Liberalisierungen und Deregulieren ermöglichen den benötigten Kapitalzufluss, der es erlaubt, diese ungleiche Entwicklung hinzunehmen.143 Dabei wird die Abhängigkeit dieses Systems von ausländischen Kapital deutlich, das für die Aufrechterhaltung des „Currency Board“ benötigt wird. Als Ziel eines solchen Systems kann die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit einer Volkswirtschaft angeführt werden. Daran sind auch zahlreiche Maßnahmen gekoppelt, die eine erfolgreiche Realisierung sicherstellen sollen. Wie erfolgreich sich die Einführung des „Currency Board“ auf die Verbrauchpreise ausgewirkt hat, illustriert Abbildung 14. Gekoppelt an den Erfolg ist eine Konsolidierung des Staatshaushaltes sowie Ausgabenkürzungen und die Einführung internationaler Standards im Sinne des Internationalen Währungsfonds.

Wie verheerend sich dieses System, trotz nicht von der Hand zuweisender Vorteile, auf eine Volkswirtschaft auswirken kann, zeigt ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte Argentiniens. Kapitalabflüsse, welche dieses System stabilisieren, führen aus bereits genannten Gründen zu einer Überbewertung des Wechselkurses. In Argentinien war dies nach dem Ersten Weltkrieg und anschließend nach der Großen Depression der Zwischenkriegszeit der Fall. Als Ziel kann dabei die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit angeführt werden.144 Jedoch ist es vielleicht gerade der Blick in die eigene Geschichte, der die argentinische Regierung bei den Kapitalabflüssen im Zuge der „Tequila – Krise“ 1995 und der Brasilienkrise 1999 zögern lies das fixe Wechselkursregime aufzugeben. Denn nach den beiden in der Vergangenheit vorgenommenen Abwertungen konnte keine nachhaltig positive Entwicklung herbeigeführt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest nicht verwerflich, dass man in Argentinien trotz der massiven Überbewertung, der negativen Handelsbilanz und der nicht vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten am „Currency – Board“ festhielt. Auch können in diesem fixen Wechselkursregime gewisse Widersprüche ausgemacht werden. Die Aufrechterhaltung der Kapitalzuflüsse und somit des Systems wird durch die

143 Die Installation von „Currency Board“ Systemen hat eine unbestrittene hohe Anziehungskraft für ausländisches Kapital. Dies zeigt sich nicht nur am Beispiel Argentinien, sondern auch in zahlreichen anderen Staaten. Stephan HESSLER, Neue Regulierungsmodi für neue Finanzmärkte. Zur Notwendigkeit einer Tobin – Steuer, in: Die Friedens – Warte 77 (2002), 249 – 272, hier 258. 144 SCHWEICKERT, Chancen, 431. 72

Sanierung des Staatshaushaltes sichergestellt. Dabei stellt sich Frage, wie die anhaltend negative Handelsbilanz außer mit weiterer Verschuldung des Staates finanziert werden soll.

In Griechenland hingegen war man nicht dem Zwang unterworfen, um jeden Preis ein stabiles Wechselkursregime einzuführen. Dennoch schien es schwer, dem Reiz des billigen Geldes zu widerstehen. Oftmals hatten sich griechische Regierungen der bewährten Maßnahme der Währungsabwertung bedient, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Die im Vertrag von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien, die ein Land in der Union zu erfüllen hat um der Währungsunion beitreten zu können, umfassen die Preisstabilität, die Entwicklung der öffentlichen Finanzen, die Wechselkursstabilität vor dem Beitritt sowie die langfristige Entwicklung des Zinsniveaus. Somit erfolgt ein Beitritt zur Gemeinschaftswährung in Europa unter komplett anderen Voraussetzungen, als beispielsweise die Einführung eines „Currency Board“ Systems. 145 Dennoch entstehen dadurch ähnliche Bedingungen für die jeweiligen Länder, die sich in einem fixen Wechselkursregime befinden. Obwohl eine gemeinsame, starke Währung besonders für die Länder der europäischen Peripherie reizvoll erscheint, da sie sich zu sehr günstigen Konditionen verschulden können, birgt die gemeinsame Währungspolitik für eben jene Länder auch Risiken. Besonders wenn die nationalen Ökonomien von einer Rezession oder Handelsbilanzdefiziten bedroht sind, ist es ihnen nunmehr nicht mehr möglich mit einer Währungsabwertung der Situation beizukommen. Als einzige übrige Maßnahme muss die Finanzierung der Defizite über Kredite der öffentlichen Hand erfolgen. Die Gläubiger dieser Kredite verlangen im Gegenzug Maßnahmen, die sich mit den Begriffen Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung zusammenfassen lassen.146 Da beispielsweise das Finanz- und Industriekapital der westeuropäischen Länder deutliche Wettbewerbsvorteile gegenüber den Erzeugnissen des geographischen Südens aufweist, gerät die Handelsbilanz dieser Länder durch die Existenz einer gemeinsamen Währung zunehmend unter Druck und sie verstärken somit die ungleiche Entwicklung innerhalb der

145 Konkret wurde die Preisentwicklung auf maximal 1,5% über der durchschnittlichen Inflationsrate der drei besten Mitgliedsländer festgelegt. Das jährliche Staatsdefizit darf demnach nicht mehr als 3% sowie das gesamte Defizit nicht höher als 60% bezogen auf das das Bruttoinlandprodukt betragen. Die Währungen der Mitgliedsländer müssen in einem Zeitraum von mindestens zwei Jahren den normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus entsprechen und die langfristigen Nominalzinsen dürfen im Prüfungszeitraum nicht höher als 2% über dem Zinssatz der drei Mitgliedländer liegen, die bei der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. SCHUPPAN, Euro – Krise, 21f. Das „Currency Board“ System wurde oftmals als mögliche Maßnahme für osteuropäische Staaten vorgeschlagen, um den Beitritt zur Europäischen Union zu beschleunigen. SCHWEICKERT, Chancen, 421. 146 Vgl. Giorgos CHONDROS, Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas. Der Propagandakrieg gegen Syriza, Frankfurt 2015, 22. 73

Währungsunion.147 Dass ein fixes Wechselkursregime sich dennoch positiv auf die Verbraucherpreise auswirkt, zeigt ein Blick auf die Inflationsentwicklung der hellenistischen Republik nach der Euroeinführung (Abbildung 15). Wenngleich bei der Betrachtung der Grafik auch deutlich wird, in welcher Geschwindigkeit die Erfüllung des Konvergenzkriteriums der Preisstabilität vollzogen wurde, sind die positiven, wenn auch kurzfristigen Auswirkungen nicht von der Hand zu weisen. Wie es zur Erfüllung des Konvergenzkriteriums kam, wurde in Kapitel 2 ausreichend dargelegt.

Inflationsentwicklung Griechenland vor und nach der Euro Einführung 2002 9 8 7 6 5 4

3 Inflationin % 2 1 0 1996 1998 2000 2002 2004 Jahr

Abbildung 15: Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG?end=2005&locations=GR&start=1996&view=chart. (08.04.2019)

Die stabilen Verbraucherpreise können somit als positive Eigenschaft stabiler Wechselkursregime angeführt werden, wenngleich die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten darunter leidet. Man beraubt sich der Möglichkeit, mit Abwertungen auftretenden Bilanzdefiziten beizukommen und muss diese über Einschnitte im öffentlichen und sozialen Bereich finanzieren. Mit einer gemeinsamen Währung und somit festgelegter Wechselkursregime beraubt sich ein Staat einer weiteren Maßnahme, die es ihm ermöglicht, die verlorene Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Auch wenn diese Maßnahme nicht direkt von Staaten, sondern vielmehr von ihren Zentralbanken durchgeführt werden kann, so

147 Vgl. Ebd. 15. 74 beraubt die EZB nun die nationalen Zentralbanken der Möglichkeit einer Zinssenkung, welche ebenfalls positive konjunkturelle Effekte zur Folge hat. Somit wird das volkswirtschaftliche Ziel der Vollbeschäftigung nicht nur durch die Möglichkeit des Abwertungsmechanismus, sondern auch durch die verlorene Möglichkeit variabler Zinspolitik, riskiert. Am Beispiel Griechenland wird diese Problematik der Gemeinschaftswährung nun besonders deutlich. Eben jenes Problem des Handelsbilanzdefizites würde die Regierung normalerweise durch eine Abwertung korrigieren, und zwar solange bis die Exporte aufgrund des niedrigen Wechselkurses zulegen und gleichzeitig die Importe aufgrund der höheren Kosten nachlassen.148 Wie problematisch diese Situation werden kann, zeigt sich in beiden Ländern, deren ökonomische Verwerfungen diese Arbeit zu untersuchen versucht. So zeigte sich in Argentinien gegen Ende der 1990er Jahre dieser verstärkende Effekt aufgrund des starken US- Dollars, der seit der Einführung des Konvertibilitätsgesetzes den Kurs für den argentinischen Peso vorgab. Auch in Griechenland zeigte sich eine Verstärkung dieses Effektes aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse von Volkswirtschaften, die die gleiche Währung haben oder wie im Fall Argentinien, an diese gebunden sind. So wird beispielsweise eine steigende Inflation in einem zentraleuropäischen Staat von der Zentralbank, in diesem Fall der EZB, mit einer Zinserhöhung begegnet, um die steigende Inflation in den Griff zu bekommen. Hingegen verursacht eine Anhebung der Zinssätze durch die Zentralbank in Griechenland, das von Leistungsbilanzdefiziten gebeutelt ist, genau das Gegenteil. Schlimmer noch, es verstärkt den negativen Effekt.149

Auf der Suche nach anderen Möglichkeiten der Wechselkursproblematik beizukommen, bedient man sich Alternativen, um eine Anpassung der Ungleichgewichte herbeizuführen. Eine mögliche Lösung dafür sah man im Mechanismus der inneren Abwertung. Externe Ungleichgewichte werden durch dauerhafte Importüberschüsse verursacht und zwingen ein Land dazu, diese durch weitere Verschuldung zu finanzieren. Dass die innere Abwertung nicht funktioniert, belegen zahlreiche Beispiele wie die großen Preisunterschiede innerhalb der Eurozone.150 Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz verweist in seinen Ausführungen zur Konstruktion der Eurozone auf die unzureichenden Effekte der internen Abwertung im Vergleich zur Wechselkursanpassung:

148 STIGLITZ, Europa, 120. 149 Ebd. 128. 150 Ebd.135. 75

„Wären innere Abwertungen ein effektiver Ersatz für Wechselkursanpassungen, dann wäre aus demselben Grund die Anbindung des argentinischen Peso an den Dollar vor 2001 kein Problem gewesen. Als die Arbeitslosigkeit in Argentinien stieg – auf über 20% -, fielen die Preise im Inland, aber auch in diesem Fall nicht weit genug, um wieder Vollbeschäftigung zu erreichen, vor allem weil der Dollar in jenen Jahren stärker wurde.“151

Diese Aussage beschreibt sehr nachdrücklich die fehlerhafte Konzeption fixer Wechselkursregime, der sich Ökonomien im Transformationsprozess ausgesetzt sehen. Wenn sie wie Argentinien und Griechenland versuchen, Konvergenz um jeden Preis herzustellen, so läuft die Entwicklung oftmals in genau die entgegengesetzte Richtung. Wie dies in der Realität aussieht, wenn Volkswirtschaften ihre Instrumente der Wirtschaftspolitik aus der Hand geben, zeigen beide Beispiele nachdrücklich. In enger Verbindung mit einem fixen Wechselkursregime stehen staatliche Defizite, verursacht durch Handelsbilanzdefizite. In der nächsten Vergleichskategorie wird deren Einfluss auf die beiden ökonomischen Verwerfungen untersucht.

5.3 Die Bedeutung der Staatsverschuldung

Dass Staaten Schulden aufnehmen, um ihre Funktionen erfüllen zu können, ist spätestens seit der großen Kontraktion 2007/08 ein globales Gesprächsthema. Dabei wird gelegentlich auch hinterfragt, welche Ursachen einer Verschuldung der öffentlichen Hand zugrunde liegen. Wie eng das Thema der Staatsverschuldung in den Fällen Argentinien und Griechenland mit der Handelsbilanz und dem Wechselkursregime zusammenhängt, wurde ausreichend dargelegt. Im Zusammenhang mit der Zahlungsunfähigkeit der beiden Länder muss dieses Phänomen jedoch auch für sich isoliert betrachtet werden. Per Definition verbirgt sich hinter dem Begriff der Staatsverschuldung die ausstehenden Verbindlichkeiten eines nationalen Souveräns welche vorwiegend in Relation zum BIP ausgedrückt werden. Die Zunahme eben jener Verbindlichkeiten drückt sich somit in einer Quote, die im Verhältnis zum BIP steht, aus. Bei

151 Ebd. 136. 76 der Betrachtung der explodierenden Staatsschulden in Argentinien und auch Griechenland stellt sich natürlich die Frage, warum diese Länder die Verschuldung so bereitwillig eingegangen sind. Im Regelfall müssen Staaten Schulden aufnehmen, um Einnahmeausfälle zu kompensieren, stabilisierende auf mikroökonomische Verwerfungen zu wirken und Konjunkturprogramme auf den Weg zu bringen.152 Somit dient die Verschuldung der öffentlichen Hand ausschließlich der ökonomischen Stabilität eines Landes. Dennoch verfolgen Staaten auch mitunter andere Motive. Ein alternatives Motiv findet sich in der Hoffnung, die Erlöse aus dem Exportgeschäft steigern zu können. Außerdem erscheint es aus Sicht Argentiniens und Griechenland reizvoll, die Zinsen auf bestehende Verpflichtungen leichter bedienen zu können. Dabei haben diese Länder nicht nur Verbindlichkeiten gegenüber einem Gläubiger nachzukommen, sondern Institutionen wie dem IWF, Nationalstaaten und privaten Kapitalgebern wie Banken und Investmentfonds.153

Privatisierungen von Staatsunternehmen sind in Argentinien seit der Zeit der Militärdiktatur ein fester Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Die unter der Militärdiktatur eingegangene Auslandsverschuldung154 wurde der lateinamerikanischen Volkswirtschaft knappe zwei Jahrzehnte zum Verhängnis. Um die Konjunktur positiv zu beeinflussen und Investitionen in die Infrastruktur zu ermöglichen, werden bereitwillig Schulden aufgenommen, deren Mittel von den Ländern und Privaten des ökonomischen Zentrums bereitwillig erteilt werden. Es wurde jedoch verabsäumt, mit den Krediten eine Diversifizierung der Wirtschaft voranzutreiben. Oftmals wird in den Strukturanpassungsprogrammen, welche für die Bewilligung von Krediten obligat sind, verlangt, Waren und Güter für den Weltmarkt herzustellen, die der nationalen Wirtschaft keinen Mehrwert bringen. Somit bekommt die argentinische Wirtschaft kurzfristige Wachstumsimpulse, die jedoch keine nachhaltig stabile Basis aufweisen. Die fehlende Nachhaltigkeit dieser durch Kredite finanzierten Konjunkturprogramme wird in Abbildung 3 dargelegt. Die in Kapitel 4 beschriebenen externen Faktoren, welche in den 1990er Jahren schließlich zur Kapitalflucht und Wettbewerbsnachteilen beitrugen, waren ausschlaggebend dafür, dass das Land seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Argentinien benötigte jedoch die Kredite vom IWF und privater Kapitalgeber, um seinen Zinsverpflichtungen nachkommen zu können. Ein probates

152 SCHUPPAN, Euro – Krise, 104. 153 Vgl. Eric TOUSSAINT, Die fatale Schuldenspirale, in: Le Monde diplomatique 10/1999, 3f. 154 WALDMANN, Argentinien, 88. 77

Mittel, diesem Problem beizukommen, ist es, die Rückzahlungsfristen einfach zu verlängern und neue Kredite aufzunehmen. Außerdem trieb die Regierung Menem ein Umschuldungsprogramm voran, da die gewaltige Schuldenlast sein gesamtes Reformpaket zu gefährden schien. 155 Anhand dieses Beispiels wird deutlich, in welchem Zusammenhang eine zu hohe Schuldenlast mit einer Zahlungsunfähigkeit steht.

Die Maßnahmen, welche zur Überwindung der ökonomischen Verwerfungen 2001 beigetragen haben, lösten jedoch nicht das Problem der Auslandsverschuldung. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen in Argentinien, wo die massive Auslandverschuldung immer noch ein großes Problem darstellt, kommt man zu dem Schluss, dass die Problematik immer noch nicht erkannt ist.

Die Situation in Griechenland ist etwas anders zu betrachten als jene in Argentinien. Der Grund hierfür liegt in der globalen Finanzkrise 2007/08 in der ein enormer Anstieg der Staatsschulden auf der ganzen Welt verzeichnet werden konnte. Um die in Schieflage geratenen Finanzinstitute zu stützen bzw. zu retten, sah man sich überall dazu genötigt, dies über staatliche Garantien, also Schulden, zu bewerkstelligen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die hellenistische Republik als einziges europäisches Land von der Zahlungsunfähigkeit betroffen war. Unter Berücksichtigung der wesentlichen wirtschaftlichen Kennzahlen sticht dabei ein Punkt besonders heraus. Das Handelsbilanzdefizit Griechenlands lag im Verhältnis mit anderen Ländern der Eurozone überdurchschnittlich hoch.156 Da dieses Defizit über Kredite der öffentlichen Hand finanziert werden muss, erschließt sich dieser Umstand. Im Vorfeld der Euroeinführung konnte die Staatsverschuldung aufgrund unterschiedlicher beschriebener Gegebenheiten auf einem durchschnittlichen Niveau gehalten werden. Die Einführung der Gemeinschaftswährung veranlasste nun den Staat sowie auch die Privaten, sich zu günstigen Zinsen, die der Euro versprach, zu verschulden. Die Möglichkeiten, welche der Euro dem südeuropäischen Land offenbarte, mussten jedenfalls genutzt werden. Auch die Sparpolitik, welche es überhaupt erst ermöglicht hatte, die Gemeinschaftswährung zu erhalten, trug das ihre dazu bei, sich nach billigem Geld zu sehnen. Die Unsicherheiten, die durch die globale Finanzkrise 2007/08 nun auch die ehemals souveränen Schuldner, wie

155 Vgl. Werner KAMPPETER, Schuldenkrisen, Finanzkrisen und überschießende Liquidität im internationalen Vergleich. In: Jürgen KROMPHARDT (Hg.), Zur aktuellen Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise, Marburg 2013, 15 – 57, hier 25.; WALDMANN, Argentinien, 142. 156 CHONDROS, Wahrheit, 28. 78 beispielsweise Nationalstaaten erfassten, wirkten sich nun äußert kontraproduktiv auf die immens gestiegene Staatsverschuldung aus. Vor der großen Kontraktion konnte das Problem der hohen Schuldenlast aufgrund des Euro noch vernachlässigt werden. Dabei drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, der Schuldenfalle zu entkommen oder dadurch das Unvermeidliche nur verzögert wird.157

Eine mögliche Lösung der Schuldenproblematik beizukommen, wären weitreichende Investitionen in die Diversifizierung der Wirtschaft, um die Entwicklung der nationalen Ökonomien voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Ratsam dabei wäre mit den aufgenommenen Krediten in Investitionsgüter, anstatt in Konsumgüter zu investieren. Dabei ist darauf zu achten, dass diese Investitionen die Wachstumsrate der Staatsverschuldung überschreiten. Resultierend daraus ergibt sich eine Kettenreaktion, welche ausgehend von Wachstumsraten eines innovativen Sektors das Vertrauen der Kapitalgeber wiederherstellt.158

Bei der vergleichenden Analyse stellt man nun fest, dass es in beiden Staaten im Vorfeld der Zahlungsunfähigkeit, oder im Fall Griechenland der beinahe Zahlungsunfähigkeit, zu einem enormen Anstieg der Staatsverschuldung, jedoch zu keiner weitreichenden Diversifizierung oder gar innovativen Investitionen, gekommen ist. Die neu aufgenommenen Kredite dienten vorwiegend der Bedienung von Zinsen der bestehenden Schuldenlast. Vor diesem Hintergrund drängt sich Frage auf, ob mit Sparprogrammen und Rettungsschirmen es überhaupt möglich ist, eine Senkung der Schuldenlast herbeizuführen. Bei der vergleichenden Analyse wird deutlich, dass in beiden Fällen die notwendigen Investitionen in innovative Sektoren ausgeblieben sind und die Sparprogramme ausschließlich für die Bedienung der Altschulden aufgewendet wurden. Ohne jedoch eine positive Handelsbilanz herzustellen, wird sich auch der zukünftige Weg der Volkswirtschaften äußerst schwierig gestalten. Somit kann festgehalten werden, dass nicht der immense Anstieg der Staatsschulden an sich zu einer Krise führt, sondern erst dann, wenn durch die Kredite kein Vertrauen mehr hergestellt werden

157 Vgl. STOCKER, Zahltag, 155. 158 Spyros PARASKEVOPOULOS, Patronage, Klientelismus und Wettbewerbsfähigkeit im Euro – Raum: Ursachen der griechischen Staatsverschuldung. In: Oliver SCHWARZ, Franz – Lothar ALTMANN, Hansjörg BREY, (Hg.), Griechenland in der Schulden- und Staatskrise? Ursachen, Folgen und Auswege. Südosteuropa – Studien 78, München 2012, 55 – 72, Hier 68. 79 kann. Vertrauen entsteht in diesem Kontext durch eine positive Entwicklung der Leistungsbilanz, wodurch Zinsen sinken und der Schuldenstand abgebaut werden kann.159

Das Problem der steigenden Schuldenlast betrifft durchaus mehrere Volkswirtschaften. In Argentinien und Griechenland wurde die Schuldenlast aber schlussendlich so hoch, bis das Vertrauen der Kapitalgeber verloren ging. Hierbei drängt sich die Frage nach Referenzwerten auf, welche Aufschluss darüber geben, ab wann man von einer zu hohen Schuldenlast sprechen kann. Die beiden amerikanischen Ökonomen Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff führen aus, dass es dabei Richtwerte geben kann, jedoch keine genaueren Spezifikationen. Nach ihren Interpretationen kann ein Anstieg von ca. 40% in den vier Jahren vor einer Zahlungsunfähigkeit verzeichnet werden.160 Bei diesen Interpretationen handelt es sich um keine starren Werte, sondern eher um Richtwerte, welche es ermöglichen sollen, solche Staatskrisen besser vorhersehen zu können. In beiden Krisenszenarien kann ein solcher Anstieg verzeichnet werden, wenn auch im Fall Argentinien nicht in einem solchen Ausmaß. Abbildung 16 und 17 illustrieren die gestiegen Verschuldung im Verhältnis zum BIP in den Jahren vor dem jeweiligen Krisenausbruch.

Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in Griechenland von 2006 - 2010 150 145 140 135 130 125 120

inzum % BIP 115 110 105 100 2006 2007 2008 2009 2010 Jahr

Abbildung 16: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/government-debt-to-gdp?continent=europe. (08.04.2019)

159 Das dies gelingen kann zeigen die Beispiele Deutschland, Japan und China. vgl. Ebd. 69. 160 REINHARDT, ROGOFF, 2011, zit.in: STOCKER, Zahltag, 156. 80

Bei Blick auf die gestiegene Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, zeigt sich in Griechenland jener Anstieg (42,6%), der nach Interpretation der beiden amerikanischen Ökonomen als Indikator für eine bevorstehende Zahlungsunfähigkeit interpretiert werden kann. Obwohl die tatsächlichen Werte161 erst nach der Offenlegung der alternativen Interpretation von Statistiken bekannt wurden, hätte die Europäische Union dennoch diese Entwicklung absehen müssen. Zur Aufgabe von Kontrollinstanzen gehört auch die Analyse der vorgelegten Daten, die angesichts der Vorgeschichte Griechenlands genauer hätten geprüft werden müssen. Vergleichend dazu, offenbart sich auch dieselbe Entwicklung in Argentinien im Vorfeld der Zahlungsunfähigkeit 2001. Auch in diesem Szenario stellt sich die Frage nach der offenkundigen Vorhersehbarkeit der außer Kontrolle geratenen Staatsfinanzen. Der in diesem Fall verantwortliche IWF hätte bei genauer Prüfung der Staatsschuldenentwicklung diese Anzeichen erkennen müssen. Der Anstieg fällt im argentinischen Fall mit 19,2%, andere Quellen berichten von knapp 36%,162 nicht so drastisch aus wie in Griechenland, hätte aber dennoch als Indikator interpretiert werden können.

Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in Argentinien von 1997 - 2001 55

50

45

40 Inzum % BIP 35

30 1997 1998 1999 2000 2001 Jahr

Abbildung 17: Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/argentina/government-debt-to-gdp. (08.04.2019)

161 Das griechische Staatsdefizit lag im Jahr 2009 dreimal höher als von der griechischen Regierung kommuniziert wurde. Ebd. 156. 162 Die offiziellen Daten der argentinischen Regierung liegen erst seit 1997 vor, wohingegen andere Veröffentlichungen Daten ab 1996 berücksichtigen. Vgl. Pablo GUIDO, http://www.insumisos.com/lecturasinsumisas/perspectiva%20de%20la%20crisis%20economica%20en%20arge ntina%201997_2002.pdf. (08.04.2019). 81

Die zu hohe Verschuldung der Volkswirtschaften begünstigt durch das jeweilige vorherrschende Wechselkursregime, das zum einen durch den Euro, zum anderen durch das Currency Board ermöglicht wurde, sind eine wesentliche Ursache für die rezessiven und anschließend depressiven Entwicklungen, welche die Ländern hinnehmen mussten. Zurecht stellt sich die Frage nach dem Strukturproblem dieser Volkswirtschaften. Hierbei wird deutlich, dass sich dieselbe Struktur in den meisten Volkswirtschaften dieser Welt wiederfindet. Dass es sich in den beiden Szenarien um Extremfälle handelt, ist nicht von der Hand zu weisen, aber lässt dennoch Zweifel an der Aufrechterhaltung dieser Strukturen aufkommen.163

5.4 Einkommens- und Vermögensunterschiede

Ungleichgewichte beziehen sich nicht nur auf den privaten Sektor, sondern auch auf Staaten. Zum einen gibt es einen Unterschied zwischen produzierenden und konsumierenden Teilen der Weltwirtschaft. Außerdem verstärken Spekulationsblasen die ungleiche Entwicklung innerhalb von Ländern. Die bestehenden Einkommensunterschiede verstärken sich durch das Aufkommen von Spekulationsblasen zusätzlich, da in den unteren Einkommensschichten kein Kapital für Investitionen oder Anlagen verfügbar war. Diese Situation lässt sich im Vorfeld beider Wirtschaftskrisen beobachten. Aufgrund der engen Korrelation von hoher Haushaltsverschuldung, Instabilität von Finanzmärkten und einer Konzentration von Einkommen, stellt sich die Frage nach einer direkten Verbindung zwischen Finanzkrisen und Ungleichheiten. Diese drei Gegebenheiten können bei der Analyse der beiden wirtschaftlichen Depressionen festgestellt werden.

Wie eng Einkommens- und Vermögensungleichgewichte in Zusammenhang mit Wirtschaftskrisen stehen, zeigt ein weiteres Beispiel. Die steigende Divergenz der Einkommen führt zu einem Rückgang des Konsums. Geschuldet ist dies dem Umstand, dass die Nachfrage und der Konsum der Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen, den größten Teil am Gesamtkonsum ausmachen. Auswirkungen hat dies auf die Gewinnerwartungen in der Realwirtschaft, die durch den Rückgang des Konsums am stärksten betroffen sind. Dieser Umstand schafft folglich Anreize für Kapitalgeber eben nicht in die Realwirtschaft, sondern in

163 STOCKER, Zahltag, 162. 82 ertragreichere Sektoren zu investieren. Um jedoch der konjunkturellen Entwicklung nicht zu schaden, muss der Konsum mit der Aufnahme von Schulden finanziert werden. Dieser gesamtwirtschaftliche Rückgang der Nachfrage ergibt sich aus der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Kluft zwischen den Bevölkerungsschichten. Daraus ergibt sich eine klare Empfehlung, die von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung ist. Durch Umverteilungsprozesse könnte der sinkenden Nachfrage in entwickelten Ökonomien entgegengesteuert werden und somit ein Faktor für die Entstehung von Wirtschaftskrisen wesentlich beeinflusst werden.164 Bei beiden Wirtschaftskrisen können die Ungleichgewichte zwischen dem realen und dem finanziellen Sektor, sowie dem Auseinanderdriften von Löhnen und Profiten, als Ursachen für die jeweiligen Entwicklungen ausgemacht werden.

Ungleichgewichte innerhalb nationaler Bevölkerungen verstärken sich besonders dann, wenn es durch fehlerhafte Wirtschaftspolitik zum Niedergang der Mittelschicht kommt. Dieses Phänomen kann in Argentinien ab Mitte der 1970er Jahre beobachtet werden. Untersuchungen zur Einkommens- und Vermögensverteilung in Argentinien ergaben, dass die divergierende Entwicklung in eben jener Zeit stark zunahm. Die Reichen besaßen immer mehr vom Volkseinkommen wohingegen der Anteil der Ärmeren zurückging.165 Hierbei findet sich wieder eine Parallele zwischen den beiden Volkswirtschaften. Die Urbanisierungsschübe in beiden Ländern gingen eindeutig auf Kosten der Entwicklung des ruralen Raumes. Diese Ungleichheit kann als eindeutiger Verstärker für die großen Einkommens- und Vermögensunterschiede gewertet werden. Die massive Zuwanderung nach Athen und Buenos Aires und die damit verbundene hohe Konzentration von Arbeitskräften und Produktionsmitteln ist eine der Hauptursachen für die ungleiche Entwicklung innerhalb der Länder.

Die neoliberalen Reformbestrebungen wirken sich ebenfalls nachteilig auf diesen Effekt aus. Es bildet sich eine Bevölkerungsschicht heraus, die unverhältnismäßig stark von ausländischen Investitionen oder den Privatisierungen profitiert. Da jedoch diese Liberalisierungen und Privatisierungen im Fall Argentinien auch Einschnitte in den öffentlichen Sektor, sowie niedrigere Löhne und flexiblere Arbeitszeiten beinhalten, wird die ungleiche Entwicklung

164 Vgl. Georg FEIGL, Markus MARTERBAUER, Miriam REHM, Einkommensverteilung und Krise, in: Wirtschaft und Gesellschaft 2 (2012), 357 – 367. Hier 363. 165 Der Anteil am Volkseinkommen der reichsten Menschen (10% der Bevölkerung) in Argentinien stieg von 39% auf 44% wohingegen der Anteil der Ärmsten Menschen (40% der Bevölkerung) von 17,3% auf 14,5% fiel. WALDMANN, Argentinien, 96.; 170. 83 innerhalb eines Landes zunehmend vorangetrieben. Aus den Untersuchungen, welche die Bedeutung der Einkommensverteilung im Zuge der Argentinienkrise 2001 in den Fokus rückten, geht hervor, dass bereits die rezessiven Phasen der 1990er Jahre (Abbildung 3) zur voranschreitenden Divergenz beigetragen haben. Dies zeigt sich auch im Gini – Koeffizienten, der die ungleiche Entwicklung innerhalb eines Landes darstellt.166 In Griechenland kam es zu einem wesentlich geringeren Anstieg dieses Koeffizienten als in Argentinien.167 Somit offenbart sich bei dieser Betrachtung, in welchem Ausmaß sich das neoliberale Reformprogramm der Regierung Menem in Argentinien auf die Einkommensungleichheit auswirkte.

Die in Kapitel 2 beschriebenen Einschnitte, wie beispielsweise die Senkung der Unternehmenssteuern bei gleichzeitiger Anhebung der Mehrwertsteuer von Konsumgütern, entfalten ihre divergierende Wirkung. Obwohl die Sparprogramme wie jenes des IWF im Mai 2000 die Konsolidierung der Staatsfinanzen als Ziel haben, verstärken sie den Einkommens- und Vermögensunterschiede innerhalb des Landes zusätzlich. Aus beschriebenen Gründen ist dies für eine positive, nachhaltige Konjunktur nicht zuträglich.168

Der vergleichende Blick nach Griechenland offenbart dort dieselben Probleme. Die in der Vergangenheit versuchten Maßnahmen wie Mindestlöhne und Mindestrenten hatten langfristig keinerlei Wirkung gezeigt. Die zahlreichen Sparprogramme noch vor der Euroeinführung, haben ebenfalls diese Unterschiede verstärkt und die Mittelschicht immer weiter schrumpfen lassen. Hierin liegt auch eine mögliche Begründung für die exzessive Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors nach der Einführung des Euro.

Sieht sich ein Staat dazu genötigt Sparprogramme durchzusetzen, trifft dies die Menschen in den unteren Einkommensbereichen besonders stark. Die in Kapitel 3 beschriebenen Reformen bezüglich der Abgaben für Konsumgüter und der Drosselung von Sozialausgaben können als Verstärker für Ungleichheit verstanden werden.169 Die Problematik ist in beiden

166 Der Gini – Koeffizient stieg von 0,501 im Jahr 1990 auf 0,542 im Jahr 1999. Sophie CROCOLL, Susan STEINER, Armut in Krisenzeiten. Rückblick und Ausblick, in: GIGA Focus 5 (2009), 3, online unter: https://www.giga- hamburg.de/en/system/files/publications/gf_lateinamerika_0905.pdf. (02.03.2019). 167 Griechenland verzeichnete in der Dekade vor der Krise einen Anstieg von 0,330 im Jahr 2001 bis auf 0,335 im Jahr 2011. http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do. (02.03.2019); Stiglitz verweist darauf, dass es sich hierbei um einen enormen Anstieg handelt, da dieser Koeffizient sich durch besondere Trägheit und minimale Zuwächse auszeichnet. STIGLITZ, Europa, 105. 168 Vgl. STIGLITZ, Europa, 201. 169 Vgl. Ebd. 104. 84

Krisenszenarien die gleiche. Beide Länder sind abhängig von internationalen Kapitalgebern, die ihre Zahlungsfähigkeit mit weiteren Krediten aufrechterhalten. Im Gegenzug für diese finanziellen Hilfen erwarten die Kreditgeber jedoch Reformen von den Ländern, die das Risiko eines Ausfalls dieser Kredite minimieren. In der Praxis siedeln sich Unternehmen dort an, wo die Abgaben und das Lohnniveau niedrig sind. Deshalb fordern die Gläubiger von Staaten diese Rahmenbedingungen zu schaffen, da in einem solchen Umfeld die größtmöglichen Akkumulationsmöglichkeiten bestehen. Es zeigt sich in beiden Volkswirtschaften dieselbe Problematik. Unabhängig von fixen Wechselkursen und massiver Schuldenlast wäre politisches Handeln in Richtung Umverteilung ein Mittel, das durchaus das Potential für eine Verbesserung der ökonomischen Gesamtsituation beinhaltet. Scheitern wird diese Maßnahme jedoch an den Grundprinzipien kapitalistischer Kapitalakkumulation, in denen schlichtweg kein Raum für Umverteilung vorgesehen ist. Obwohl bekannt ist, dass zunehmende Ungleichheit eine der Hauptursachen für ökonomische Verwerfungen in einem Staat ausgemacht werden können,170 verweigern die Gläubiger dem Staat ein solches Vorgehen, da somit mit Rückzahlungsausfällen zu rechnen wäre. Bei näherer Betrachtung scheint es so, als ob die Problematik erkannt wäre, aber es dennoch keine Möglichkeit gibt, großräumige Umverteilungsprogramme zu starten. Natürlich müssten in einem solchen Szenario Gläubiger erstmals auf bestehende Forderungen verzichten, was bei der Betrachtung der beiden Fälle keine wirkliche Option darstellte. Es reicht nicht aus, Ungleichgewichte von Vermögen und Einkommen innerhalb eines Nationalstaates zu bereinigen. Dafür bedarf es einer Lösung, welche die globale Problematik von dauerhaften Handelsbilanzüberschüssen und Defiziten in Angriff nimmt.171

5.5 Soziale Dimension

Wirtschaftskrisen haben verschiedenste Auswirkungen auf unterschiedliche Bereiche des Lebens. Sie erfassen das soziale, politische und wirtschaftliche Leben gleichermaßen. Menschen sind auf funktionierende Ökonomien angewiesen, denn ohne ein intaktes Wirtschaftssystem, das es erlaubt, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, können Grundbedürfnisse wie Versorgung und Gesundheit gefährdet werden. In beiden Krisenfällen

170 Vgl. Ebd. 199. 171 Vgl. STOCKER, Zahltag, 174. 85 konnten diese Bedürfnisse mancherorts nicht mehr befriedigt werden. Wie ein Leben jenseits von Kapitalmärkten und Spekulationen aussehen kann, haben die Bevölkerungen Griechenlands und Argentinien eindrucksvoll bewiesen. Solidarische Bewegungen haben es ermöglicht, dass Versorgungsengpässe überwunden werden konnten. Die Wirtschaftskrisen zeigten eindrücklich, wer die am meisten betroffenen Bevölkerungsschichten sind. Es sind eben jene Menschen, die bereits durch Sparprogramme der Regierung die meisten Einschnitte hinnehmen mussten. Bedauerlicherweise ist Solidarität und Hilfe oftmals nicht ausreichend, um alle Bevölkerungsteile zu erreichen. Wenn Staaten ihre eigentlichen Funktionen nicht mehr erfüllen können, liegt es an den Menschen, diese Funktionen selbst auszuüben. Beim Versuch wirtschaftliche und soziale Stabilität herzustellen beziehungsweise dauerhaft und nachhaltig aufrechtzuerhalten, haben beide Staaten kläglich versagt. Die Motive der handelnden Regierung werden bei der Analyse der Krisen deutlich und liefern die notwendige Erklärung, weshalb die schwächsten Glieder in einer Gesellschaft dabei den höchsten Preis zu bezahlen haben. Zahlreiche Beispiele aus den Krisenregionen geben jedoch Anlass zur Hoffnung, wie ein Zusammenleben jenseits des Kapitalismuszeitalters funktionieren kann.

Beispiele wie solche Formen von Solidarisierung aussehen können finden sich zahlreich in den beiden Ländern. Besondere Aufmerksamkeit gebührt den Zusammenschlüssen im griechischen Gesundheitsbereich, welche die gesundheitliche Versorgung für Bedürftige sicherstellten. Generell zeichnete sich der Trend ab, dass mit weiteren Sparprogrammen die Anzahl der Personen in diesen Einrichtungen erhöhte. 172 Da die Zahl der in Armut lebenden Menschen ständig stieg, organsierten sich weitere solidarische Zusammenschlüsse die die Versorgung mit Lebensmitteln in den größeren Städten organisierten.173 Organisiert und finanziert wurden diese Einrichtungen durch die Arbeit von Freiwilligen und finanziellen Spenden. Im Zentrum dabei steht jedoch nicht nur die benötigte Grundversorgung, sondern auch Notwendigkeit den benötigten Zusammenhalt in der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Dieser Zusammenhalt wurde durch die Spardiktate auf eine empfindliche Probe gestellt, denn im Zuge solch großer sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen sind Spaltungen innerhalb

172 Diese Zusammenschlüsse von Arztpraxen und Apotheken nannten sich KIF und gründeten Niederlassungen in Athen, Thessaloniki und Kreta. Die Sparauflagen umfassten Kürzungen von 40% der Ausgaben Gesundheitsbereich CHONDROS, Wahrheit, 83. 173 Die Konzentration auf den urbanen Raum ergibt sich auch der in Kapitel 2 beschrieben Bevölkerungsverteilung in Griechenland. 86 der Gesellschaft zu befürchten. Außerdem umfassten diese Einrichtung auch ein kulturelles Angebot wie beispielsweise Aufführungen oder auch Unterricht.

Bemerkenswerte neue Strukturen für ein Marktverständnis erprobte man in de nordgriechischen Provinz Drama, wo es den Erzeugern von Kartoffeln gelungen ist ein System ohne Zwischenhändler aufzubauen. Dadurch profitierten nicht nur die Erzeuger, sondern auch die Konsumenten, denn die Erzeuger erhalten ohne Zwischenhändler mehr Geld und die Konsumenten bezahlen weniger, da kein Händler einen Preis aufschlagen kann. Diese Direktversorgungsstrukturen etablierten sich im ganzen Land und erzielten mit Fortdauer der Krise immer größere Reichweiten.174 Die solidarischen Organisationen umfassten in weiterer Folge nicht bloß Lebensmittel- und Gesundheitsversorgungen, sondern auch Rechtsauskünfte und Finanzierungsmöglichkeiten. Notwendig machen diese Formen der organisierten Solidarität die Sparauflagen der internationalen Kapitalgeber. Durch die Auflagen der Troika sind den griechischen Regierungen gewissermaßen die Hände gebunden. Die benötigten Gelder für eine umfassende Hilfeleistung seitens der öffentlichen Hand können nicht bereitgestellt werden, da sie nicht vorhanden sind.175 Der in Kapitel 2 beschriebene Trueque in Argentinien ist ebenfalls ein Ausdruck zivilgesellschaftlicher Organisation in Krisenzeiten. Die Besonderheit dieses Tauschhandels liegt darin, dass diesem System eine eigene Währung zu Grunde lag. Die Teilnehmer in diesem System üben darin eine Doppelfunktion aus. Sie sind sowohl Konsument als auch Produzent der vorhandenen Güter und Dienstleistungen. Somit liegt dem Trueque ein Marktmechanismus zugrunde, welcher jedoch andere Ziele verfolgt. Die Tauschwährung Crédito entspricht demselben Wert eines Pesos, wenngleich diese nicht in jenen getauscht werden kann. Er dient ausschließlich dem Zweck des Tausches und unterliegt keinem Zinsmechanismus oder juristischem Schutz. Die verschiedenen Créditos der unterschiedlichen Tauschclubs wurden mit Fortdauer der wirtschaftlichen Krise zu zwei großen Systemen zusammengeführt und existierten in dieser Form bis zur Erholung des Pesos.176

Primär dienten die solidarischen Organisationen auch in Argentinien der Deckung des Grundbedarfs. Das Einfrieren der Spareinlagen und die Entwicklung der Verbraucherpreise

174 Ebd. 90. 175 Ebd. 93. 176 Die beiden Sozialwährungen unterschieden sich in der Form ihrer Reichweite. Das Franchising Modell des RGT hatte eine landesweite Bedeutung wohingegen das solidarische Modell RTS die Reichweite der Währungen auf Zonen beschränkte. ROßMEIßL, Überleben, 38f. 87 führten zu Geldknappheit im ganzen Land. Sowie in Griechenland kam auch aus dem Bereich der gesundheitlichen Versorgung eine wichtige Rolle zu. Staatliche Sparmaßnahmen zwangen die Menschen vielerorts zur Aufgabe ihre Gesundheitsversicherungen. Die in den Trueque angebotene Gesundheitsversorgung konnte ebenfalls in Créditos bezahlt werden. Jedoch nur die Arbeitszeit, da benötigte Waren nur auf regulären, staatlich kontrollierten Märkten verfügbar waren. Mit zunehmender Dauer der Krise etablierten sich immer mehr Waren und Dienstleistungen auf diesen Tauschmärkten und belegen somit den Erfolg dieser etablierten Komplementärökonomie.177 Ein wesentlicher Grund, die Tauschmärkte zu installieren, bestand darin, den Menschen ein ökonomisches Leben zu ermöglichen. Diese Funktion kommt normalerweise einem Staat zu. Da der Staat aber auch während der Krise die Bereiche des wirtschaftlichen Lebens, wenn auch nicht erfolgreich, zu regeln bestrebt ist, kommt es in einer Parallelökonomie zu Engpässen. Bestimmte Waren und Güter unterliegen dem normalen Wirtschaftskreislauf, was zu Problemen beim Tausch dieser Erzeugnisse führt.178 Dennoch ist es gelungen, der voranschreitenden Verarmung der argentinischen Gesellschaft zu begegnen und diese durch diese Form des wirtschaftlichen Zusammenlebens zu entschärfen. Betrachtet man die gesamtwirtschaftliche Situation so ist die große Reichweite der Trueque und die hohe Anzahl der Menschen, die sich daran beteiligten für die Erholung aus der Krise nicht sehr förderlich. Da weder Zinsen noch Steuern bei den Waren, Gütern und Dienstleistungen zu entrichten sind, fehlen diese Einnahmen dem Staat, der natürlich bestrebt ist, das ökonomische Leben zu stabilisieren.179

Die Solidarität der Menschen in den beiden Krisenländer ist einzigartig und verdient äußerste Hochachtung. Die schwierige Situation, die man in den meisten Fällen als nicht selbstverschuldet bezeichnen kann, zu bewerkstelligen, erfordert von den Menschen jene Fähigkeiten und Empathie, die ihren gewählten Regierungen oftmals fehlte. Gerade deswegen liefern die beiden Krisenfälle auch positive Erkenntnisse. Die am meisten von der Krise betroffenen Bevölkerungsschichten in Griechenland und Argentinien liefern den Beweis, dass gesellschaftliches Zusammenleben auch in anderen Organisationsformen funktionieren kann. Obwohl es beispielsweise auch beim argentinischen Tauschhandel mit fortlaufender Dauer zu großen Problemen gekommen ist, so handelte es sich hier um ein System, dass aus der Not

177 Ebd. 59f. 178 Ebd. 99. 179 Vgl. Ebd. 96. 88 geboren, auch viele Erfolge verzeichnen konnte.180 Anders betrachtet, bleibt den Menschen oftmals auch keine andere Möglichkeit, als sich zu organisieren und solidarisieren. Bemerkenswert bleibt dennoch die Tatsache, wie viele Menschen von den jeweiligen Maßnahmen profitierten und der Welt zeigten, wie man sich unterstützen kann, wenn es sonst niemand mehr vermag.

6. Fazit

Mit einem reflektierten Bewusstsein lassen sich Finanzkrisen mit etwas zeitlichen Abstand umfassend analysieren und bewerten. Nun möchte ich dieser Stelle noch einmal die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassen und im Hinblick auf die vergleichende Analyse reflektieren.

Einst als aufstrebende Volkswirtschaft der Neuen Welt gepriesen, durchlebte Argentinien harte Jahrzehnte, in denen die negativen Auswirkungen der Globalisierung überwogen. Kurze Aufschwungsphasen wechselten sich ständig mit rezessiven Entwicklungen ab. Ein Wirtschaftssystem, das von seiner Exportfähigkeit abhängig ist, zeigt sich infolge von Entwicklungen an den internationalen Märkten krisenanfällig. Das einstige Zugpferd des Landes vermochte es nicht, die gewünschte Stabilität sicherzustellen. Somit sahen sich die wechselnden Militärregime und Zivilregierungen mit immer wiederkehrenden Szenarien wie Hyperinflation und Rezession konfrontiert. Fortschreitende Deregulierungen an den internationalen Finanzmärkten und Institutionen ermöglichten den Import von Kapital. Dadurch gelang es wirtschaftlichen Problemen mit kurzfristigen, positiven Effekten zu begegnen, diese jedoch nicht nachhaltig zu lösen. Einige Militärregierungen nutzen diesen Umstand für sich, indem sie durch Kredite des Internationalen Währungsfonds Situationen kurzfristig entschärften und somit ihren Herrschaftsanspruch legitimierten. Jedoch gelang es keiner dieser Regierungen, weder den militärischen noch später den demokratischen, die strukturellen Probleme der Volkswirtschaft zu lösen. Dennoch wurden in der demokratischen

180 Außer den fehlenden Steuereinnahmen ist hier auch die begrenzte Akzeptanz und die nicht ausreichende Menge der Tauschwährung anzuführen. Auch ist die Konkurrenzsituation verschiedener Trueque ist für den Erfolg nicht zuträglich. Fehlende Kontrollmechanismen erschweren die erfolgreiche Etablierung dieser Komplementärökonomie zusätzlich. Vgl. Ebd. 117f. 89

Epoche des Landes Versuche unternommen, die Struktur und Infrastruktur der Ökonomie zu verbessern. Dass dieser Prozess nicht in wenigen Jahren abgeschlossen sei, wurde durch die anhaltende negative Entwicklung deutlich. Abgesehen von strukturellen Defiziten waren es die aus der Hyperinflation der 1980er Jahre resultierten politischen Entscheidungen, in denen die Ursachen für die Staatspleite im Jahr 2001 ausgemacht werden können. Wenn es darum geht, die Besonderheiten und Einzigartigkeiten der Argentinienkrise herauszuarbeiten, so spielt die massive Zunahme der Staatsschulden noch in den Militärdiktaturen eine wesentliche Rolle, jedoch stellt dies keine Einzigartigkeit dar. Vielmehr sind es die radikalen neoliberalen Einschnitte der Regierung Menem, welche für sich die Besonderheiten der Argentinienkrise darstellen. Vor allem die enorme Geschwindigkeit, mit der diese umgesetzt wurden, gilt es zu beachten. Eine der Hauptursachen für die spätere Instabilität des Systems stellt die Kopplung des argentinischen Pesos an den US – Dollar dar. Anfangs als wirksames Instrument zur Inflationsbekämpfung gefeiert, entfaltete diese Maßnahme sein Risikopotential erst ein knappes Jahrzehnt später. Wie sich zeigte, waren die Institutionen nicht ausreichend darauf vorbereitet, das Ende der Überbewertung abfangen zu können.

Obwohl die sehr schnell voranschreitenden Strukturreformen zu Beginn der 1990er Jahre das Wirtschaftswachstum kurzfristig beschleunigten, ist deren Einfluss auf die Staatspleite wesentlich. Privatisierungen und Deregulierungen kennzeichnen dieses Jahrzehnt argentinischer Wirtschaftsgeschichte. Abermals trat ein alt bekanntes Phänomen in Erscheinung. Die großen Zuflüsse von Kapital ausländischer Investoren zeigten positive Wirkung in der Volkswirtschaft. Doch die Krisen in Mexiko 1995 sowie in Brasilien 1999 offenbarten abermals die Fragilität dieses Systems. Denn wie schon in den Jahrzehnten zuvor reagierte die argentinische Wirtschaft sensibel auf die Veränderungen auf den internationalen Finanzmärkten. Die im Zuge der Krisen abgewerteten Währungen der beiden Volkswirtschaften belasteten das Zugpferd der argentinischen Wirtschaft, den Exportsektor, sehr schwer. Als sich schließlich auch sämtliche marktwirtschaftlichen Daten Grund zur Besorgnis lieferten, war es der Internationale Währungsfonds der als Retter in Erscheinung trat. Gekoppelt an Sparmaßnahmen sowie weiteren Privatisierungen gewährte er den argentinischen Regierungen Kredite um ihre Liquidität aufrecht zu erhalten. Betroffen von diesen Sparmaßnahmen waren zumeist jene Menschen, denen die rezessiven Entwicklungen ohnehin schon zugesetzt hatten. Die Tatsache, dass der Währungsfonds Argentinien in eine

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Abhängigkeit trieb, um dann schlussendlich weitere Kredite zu verweigern, hat man in dem Land nicht vergessen.

Es fällt schwer den einzelnen Faktoren einen Grad ihrer Gewichtung beizumessen. Der Umstand, dass sich Argentinien zu Beginn der 1990er Jahre zum Spielball neoliberaler Experimente machen ließ, ist bei der Betrachtung der Staatspleite von wesentlicher Bedeutung. Die Kombination aller dieser Faktoren, kann schlussendlich als Ursache für eine der größten Krisen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestimmt werden. Der fixierte Wechselkurs, Privatisierungen und Liberalisierungen, die Anfälligkeit für externe Faktoren, die Altlast der Staatsschulden sowie der Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit können als Hauptursachen für den Staatsbankrott ausgemacht werden. Welche Verantwortung dem Internationalen Währungsfonds dabei zukommt, ist umstritten. Zweifelslos hat er mit seiner Politik nicht zur Besserung der Situation beigetragen. Die Nachhaltigkeit des Wirtschaftsprogrammes der Regierung Kirchner wird 2014 abermals auf die Probe gestellt. Die Gerichtsurteile in den Vereinigten Staaten offenbarten wiederum die große Abhängigkeit von externen Faktoren. Es scheint naheliegend zu behaupten, dass die wirtschaftspolitischen Reformen nach der Krise das System noch nicht ausreichend stabilisieren konnten. Um den anhaltenden Verfall der Währung zu begegnen, wird auf dieselben Instrumente zurückgegriffen wie bisher. Dieses Verhalten zeugt nicht von unzureichenden Erkenntnissen aus den Jahrzehnten zuvor. Wie präsent die Erinnerungen an die Krise immer noch sind, zeigt der innenpolitische Aufschrei nach der Ankündigung zur Aufnahme neuer Kredite vom Internationalen Währungsfonds. Im kollektiven Gedächtnis der argentinischen Bevölkerung ist diese Institution einer der Hauptschuldigen für die Zahlungsunfähigkeit des Landes. Dies greift bei der Betrachtung sicherlich zu kurz, dennoch kann die skeptische Haltung nachvollzogen werden. Ob die bereitgestellten Finanzmittel ausreichen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, oder ob damit der erste Schritt zu einer neuerlichen Abwärtsspirale geebnet wurde, wird sich zeigen. Doch darf eine Besserung der Situation aus angeführten Gründen durchaus bezweifelt werden. Der seit Jahrzehnten als Schwellenland bekannte Staat, muss den Nachweis des nächsten Entwicklungsschrittes erst noch erbringen. Bezüglich des gesellschaftlichen Umganges mit Finanzkrisen lieferte die argentinische Bevölkerung mit ihren Kooperationen und sozialen Aktionen während der Krisen mögliche Antworten auf ein Zusammenleben jenseits von Finanzkapital und Märkten.

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Auch in Griechenland zeichnete sich in den Nachkriegsjahren ein Bild, das eine positive konjunkturelle Entwicklung erhoffen ließ. Als die Wehen des Bürgerkriegs vergangen waren, konnte man als Selbstversorger im Agrarbereich den Fokus auf andere Wirtschaftssektoren richten. Durch Liberalisierungen gelang es die mitunter höchsten Wachstumsraten in der Weltwirtschaft vorzuweisen. Geographische Vorteile konnten gewinnbringend genutzt werden und die erzielten Gewinne in die weitere Entwicklung reinvestiert werden. Hinzu kamen enorme Wettbewerbsvorteile, die sich auf das im Vergleich zu anderen Ländern niedrige Lohnniveau zurückgeführt werden konnten. Auch das unglaubliche Aufbaupotential, dass sich nach Beendigung des Bürgerkrieges offenbarte, lockte Investoren an. Außerdem kann der erfolgte Beitritt zur europäischen Zollunion als Errungenschaft betrachtet werden. Infolge dieser Prozesse gewann auch tertiäre Sektor zunehmend an Bedeutung, was sich in steigenden Buchungszahlen in der Tourismusbrache zeigte. Doch die vielversprechenden Aussichten sollten nicht dauerhaft anhalten.

Politische und wirtschaftliche Instabilität sollten die folgenden Jahrzehnte in Griechenland bestimmen. Militärregierung rechtfertigten ihre Legitimation durch Investitionen in Infrastruktur und steuerlichen Vergünstigungen für die Unterstützung des politischen Kurses. Doch die wirtschaftlichen Kennzahlen wurden schon damals sehr alternativ interpretiert. Wie einige Jahrzehnte später, offenbarten sich die Probleme der Wirtschaft durch externe Krisen wie beispielsweise die Ölkrise von 1973 oder die Aufkündigung des Systems von Bretton Woods. Auch die immens gestiegen Militärausgaben trugen zur Verschärfung der Situation bei.

Schlussendlich musste die Militärjunta eingestehen, den Problemen nicht beizukommen und somit beschritt man in der hellenistischen Republik abermals den Gang zu einem demokratischen System. Einer liberalen Agenda folgend war die Zielsetzung klar. Der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft sollte bessere ökonomische Zeiten versprechen. Infolge der Beitritts 1981 gelang es, das benötigte Kapital ins Land zu holen. Die Agrarsubventionen der europäischen Partner hatten jedoch genau den gegenteiligen Effekt. Die Diversifizierung wurde auf Kosten der Fördermittel aufgegeben, die den betreffenden Landwirten schlichtweg mehr einbrachten. Der einstmals florierende Sektor war nun einer rezessiven Entwicklung ausgesetzt. Die neue sozialistische Regierung unter Giorgos Papandreou versuchte, die erforderlichen Reformen mit Hilfe eines stetig steigenden Staatsdefizites zu realisieren.

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Folglich musste wieder gespart werden. Politischer Wechsel bedeutete in Griechenland auch immer den Wechsel der wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Die Tendenzen die wirtschaftlichen Kennzahlen alternativ darzustellen, vereinten aber alle politischen Parteien. Um die in den Verträgen von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien zu erfüllen, musste man sich nach Alternativen der bewährten Wachstumsförderung Schuldenaufnahme umsehen. Gefunden wurde diese in Privatisierungen, Deregulierungen und Liberalisierungen in sämtlichen Wirtschaftssektoren, die den Zustrom von ausländischem Kapital ermöglichten. Die veränderten Rahmenbedingungen an den internationalen Kapitalmärkten begünstigten diese Entwicklung. Auch der Bauboom, der nach der Vergabe der Olympischen Spiele einsetzte, ermöglichte es sich den Konvergenzkriterien anzunähern. Dubiose Geschäfte mit Investmentbanken und die eigenwillige Interpretation von Statistiken erlaubten es dem Land, der Währungsunion beizutreten. Der unbedingte Wille hatte die verantwortlichen Entscheidungsträger verkennen lassen, was dies für ein Land bedeutet, das ständig Probleme mit seiner Handelsbilanz hat.

Abgesehen von der im europäischen Vergleich nicht vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der anderen Euroländer, hatte man sich auch noch den populärsten Mittel beraubt. Währungsabwertungen gehörten zum wirtschaftspolitischen Werkzeug vieler griechischer Regierungen. Doch eine gemeinsame Währung verhinderte nun, dass sich ein Land dieser Methode bedienen kann. Dauerhafte Handelsbilanzdefizite waren die Folge. Um jedoch die Ausgaben finanzieren zu können, bediente man sich wiederum der Maßnahme der Schuldenaufnahme. Nicht nur die öffentliche Hand verfolgte diese Politik, sondern auch Private, gebeutelt durch jahrelange Sparprogramme, die Möglichkeiten der starken Währung für sich zu nutzen begannen. Die äußerst niedrigen Zinsen, die die Einheitswährung garantierte, veranlasste Staat und Bevölkerung sich im großen Stil zu verschulden. Besonders für die Krise, die das Land 2010 ereilen sollte, ist dies von Bedeutung.

Abermals sollte sich die große Abhängigkeit von externen Faktoren zeigen. Die große Kontraktion 2007/08 hat zweifelsfrei eine große Bedeutung für die Staatschuldenkrise in Griechenland 2010. Der Verlust von Sicherheiten, die allgemeine Unsicherheit ob und wie Schulden zurückgezahlt werden konnten, wirkte in Griechenland wie ein Brandbeschleuniger. Schonungslos wurden die strukturellen Defizite der griechischen Wirtschaft offengelegt. Die vielversprechende Sicherheit, die der Euro suggerierte, bekam nun ebenfalls Risse. Dieser

93 toxische Mix verursachte nun die stufenweise Herabsetzung der griechischen Bonität. Somit war es dem griechischen Staat nicht oder nur mehr sehr schwer möglich, Kredite zur Finanzierung aufzunehmen und war somit de facto pleite. Um Ansteckungseffekte auf andere europäische Länder zu vermeiden, sah man sich gezwungen, umfassende Finanzhilfen zur Rettung Griechenlands, aber auch der Gemeinschaftswährung bereitzustellen. Die hierfür aufgewendeten Einlagen mussten mehrmals nach oben korrigiert werden, da sich die eigentliche Lage der Staatsfinanzen erstmals offenbarte. Um die Sicherheit und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, musste das Land harte Auflagen für die Erteilung von Notkrediten erfüllen. Seitens der Kapitalgeber, auch Troika genannt, wollte man sicherstellen, dass die Kredite auch bedient werden können. Dadurch verschärfte sich die ohnehin schon sehr schlimme soziale Situation der griechischen Bevölkerung immer weiter. Sie waren es, die die Kosten zu zahlen hatten. Steuererhöhungen, Kürzungen bei sozialen Ausgaben und ein umfangreicher Stellenabbau speziell im öffentlichen Sektor waren nur einige dieser Auflagen. Betraft werden somit jene Menschen, die womöglich am wenigsten Schuld für die prekäre Lage trifft. Im kollektiven Gedächtnis der griechischen Bevölkerung sind somit die Troika und die politische Elite des Landes dafür verantwortlich, dass ihnen keine anderen Bewältigungsstrategien eingeräumt werden.

Bei der Aufarbeitung der beiden wirtschaftlichen Krisen treten doch einige Parallelen und Gemeinsamkeiten auf, die sich für einen analytischen Vergleich gut eignen. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass ein Vergleich nur in einem begrenzten Umfang möglich ist und bei jeder Wirtschaftskrise Faktoren und Ursachen zu finden sind, die in gewisser Weise einzigartig sind. Außerdem ist der zeitliche und räumliche Unterschied zu bedenken. Dennoch bietet das globalisierte Wirtschafts- und Finanzsystem darüber hinaus die Möglichkeiten solche Vergleiche durchzuführen, da die Rahmenbedingungen, in denen sich die ökonomischen Verwerfungen ereignen sehr viele Ähnlichkeiten aufweisen.

Zuerst fällt in beiden Krisenszenarien auf, dass sich die Länder der Möglichkeit eines flexiblen Wechselkurses beraubten. Obwohl die Gründe für die Wahl eines fixen Wechselkursregimes unterschiedlich waren, sind die Folgen doch die gleichen. In Argentinien wurde die nationalen Erzeugnisse aufgrund der Dollarparität auf den Weltmärkten zu teuer, um vermehrten Absatz zu finden. Genauso erging es den griechischen Erzeugnissen, die schlichtweg zu teuer waren, um daran nachhaltig zu verdienen. Als Folge dieser Umstände wurde die Handelsbilanz beider

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Länder soweit belastet, dass die einzige Möglichkeit, diese auszugleichen, in der weiteren Aufnahme von Schulden bestand. In Argentinien war die Maßnahme bei der Betrachtung der Hyperinflation von 1989 jedoch erforderlich. Das Konvertibilitätsgesetz ermöglichte es dem Land die Inflation auf ein passables Niveau zu senken. In Griechenland versprach man sich durch die Gemeinschaftswährung und somit fixierter Wechselkurse, günstige Kredite, die es dem Land ermöglichen sollten, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Rückblickend betrachtet kann jedoch eingeräumt werden, dass die fixe Bindung des Wechselkurses eine der Hauptursachen für die Staatspleiten war. Die verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit konnte nicht mehr hergestellt werden. Da man in Argentinien und auch in Griechenland sich dieser bewährten Maßnahmen, welche oftmals zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit beitrug, sich schon des Öfteren bedient hatte, erscheint es diskussionswürdig, weshalb man sich diesen Wechselkursregime dauerhaft verschrieb. Gerade auch deshalb, weil die Maßnahmen der internen Abwertung offenkundig nicht funktioniert haben.

Eine weitere wesentliche Gemeinsamkeit zeigt sich bei Blick auf die enorme Staatsverschuldung der beiden Länder. Diese war in beiden Länder aber schon traditionell auf einem sehr hohen Niveau. Carlos Menems Politik der Reformen und Dollarparität hatte nicht die gewünschten Effekte auf die Handelsbilanz und somit negative Auswirkungen auf die Staatsverschuldung. Die Problematik des großen Schuldenstandes war auch einer der Hauptgründe weshalb die Aufhebung der Konvertibilität sich so schwierig gestaltete. Da sehr viele Unternehmen und Private ihre Schulden aufgrund der Fixierung in Dollar aufgenommen hatten, wäre es im Fall der Aufhebung dieser Fixierung zu einer umfassenden Zahlungsunfähigkeit gekommen. Im Fall Griechenlands hat die hohe Schuldenrate ebenfalls einen großen Anteil an der Krise. Der Name Staatsschuldenkrise wird im Zusammenhang mit Griechenland sehr oft verwendet. Die hohe Verschuldung, die bereits in den 1980er Jahren eingegangen wurde, konnte niemals nachhaltig abgebaut werden. Obwohl die Politik vor der Euroeinführung Grund zur Annahme gab, die Problematik sei erkannt, bediente man sich nach der Einführung der Gemeinschaftswährung abermals dieser Maßnahme. Ebenso wie in Argentinien diente die enorme Zunahme des Schuldenstandes vor allem dem Ausgleich der dauerhaft negativen Handelsbilanz. Als im Zuge der großen Kontraktion erste Zweifel aufkamen, ob die Schulden jemals zurückgezahlt werden können, nahm die Entwicklung ihren Lauf. Bei der Betrachtung der Staatsschulden wird deutlich in welch engen Zusammenhang 95 sich Wechselkursregime und Staatsschuldenentwicklung befinden. In beiden untersuchten Fällen hat die fixierte Währung einen enormen Anstieg an Schulden provoziert. Anhand dieser Beispiele lässt sich erkennen, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen sich wirtschaftspolitische Maßnahmen befinden.

Die Einkommens- und Vermögenunterschiede sind ebenfalls Phänomen, die sich bei beiden Krisen beobachten lassen. Oftmals aus historischen Abhängigkeitsverhältnissen entstanden, nahmen diese Unterschiede mit der Implementierung einer neoliberalen Agenda in beiden Staaten zu. Jene Menschen, deren Einkommen aufgrund unterschiedlicher, beschriebener Faktoren abnimmt, sind für den größten Teil des Gesamtkonsums verantwortlich. Sinken die Einkünfte dieser Bevölkerungsschichten, so nimmt der Konsum und somit die Wirtschaftsleistung innerhalb eines Nationalstaates ab. Die daraus entstehenden geringeren Gewinnerwartungen führen zu geringeren Investitionen. In beiden Ökonomien können seit einigen Jahrzehnten Urbanisierungsschübe ausgemacht werden. Diese Tatsache lässt regionale Disparitäten innerhalb eines Landes entstehen die somit die Einkommens- und Vermögensunterschiede verstärken. Die Strukturanpassungsprogramme haben ebenfalls eine verstärkende Wirkung auf diese Unterschiede. Allein der Blick auf die Steuerpolitik der Länder offenbaren sich diese. Wenn die Unternehmenssteuern gesenkt, jedoch die Verbrauchersteuern angehoben werden, so ist die zu erwartende Wirkung für diese Unterschiede nicht schwer vorauszusehen. Dennoch provozierten die Regierungen mit der Durchsetzung dieser Forderungen diese Entwicklung.

Als letzte Vergleichskategorie dient die solidarische Organisation der Menschen, die unter den Auswirkungen der Krisen am meisten zu leiden hatten. Diese Solidarität ist keine Selbstverständlichkeit und zeigt, dass Wirtschaftssysteme und gesellschaftliches Zusammenleben auch jenseits bestehender Wirtschaftsmodelle möglich sein können. Traurigerweise werden solche Konzepte erst dann aufgegriffen, wenn die bestehenden Möglichkeiten die Menschen in die Armut getrieben haben. Beispielsweise hat sich in beiden Ländern eine medizinische Grundversorgung formiert. Ob nun wie in Argentinien diese Dienstleistungen mit einer Tauschwährung oder wie in Griechenland durch Warentausch entlohnt werden, ist für die Einführung eines solidarischen Systems von nachrangiger Bedeutung. Ein Vorteil dieser solidarischen Auffangsysteme ist, die Unabhängigkeit von regulierten Märkten bei denen Steuern bezahlt werden müssen. Da vielen Menschen in ihrer

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Notlage dies nicht möglich ist erscheint eine solche Komplementärökonomie sehr sinnvoll. Jedoch muss bedacht werden, dass die fehlenden Einnahmen aus Abgaben es dem staatlichen Souverän erschweren, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage herbeizuführen. Der Zusammenbruch des argentinischen Tauschhandels unmittelbar nach der Wiederherstellung des Vertrauens in den Peso, zeigt deutlich, dass solche Komplementärökonomien nur begrenzt funktionieren.

Ein Ziel dieser Arbeit war es herauszufinden, in welcher Weise nationale Ökonomien von Faktoren abhängig sind, die sie selbst nicht beeinflussen können. Die Analyse offenbart sehr starke Abhängigkeitsverhältnisse. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass diese Länder sich aus freien Stücken in diese Verhältnisse begeben. Verlockend hierbei ist die Möglichkeit, einen Entwicklungsweg vorgegeben zu finden, der bei korrekter Einhaltung Wohlstand und Reichtum suggeriert. Dass es sich dabei jedoch um keine Patentlösungen handelt, mussten sowohl die Argentinier als auch die Griechen auf sehr bittere Weise erfahren. Darüber hinaus sei erwähnt, dass die Kredite, die zur Verbesserung der jeweiligen ökonomischen Situationen beitragen sollten, auch so angepriesen und verlockend dargestellt wurden, dass man dies fast nicht ignorieren konnte. Die großzügige Erteilung dieser Kredite begann in einer Zeit, in der die Akkumulationsmöglichkeiten für die Länder des ökonomischen Zentrums, vorwiegend die angelsächsischen Länder, begonnen haben, neue Felder der Akkumulation zu erschließen. Gefunden haben sie diese in den peripheren Gebieten des globalen und regionalen Südens. Hinterher wurde den Ländern der peripheren Gebiete jedoch klar, was die aufgenommenen Schulden bedeuten konnten. Ihnen wurde quasi ein Weg vorgegeben, der bei Nichteinhaltung Sanktionen nach sich zieht. Die verheerenden Wirkungen auf beispielsweise den primären Sektor in beiden untersuchten Ländern sind nicht von der Hand zu weisen. Ehemals konkurrenzfähige Wirtschaftsbereiche musste sich nun am Weltmarkt behaupten. Die in beiden Ländern ehemals florierenden Sektoren hatten unter dem Wettbewerbsdruck massiv zu leiden und können als Ausgangspunkt für die ungleiche Entwicklung betrachtet werden. Die möglichen Auswege aus dieser Misere, wie etwa die Importsubstitution war dabei ebenfalls nicht gerade behilflich, wie das Beispiel Argentinien zeigt.

In Griechenland sorgten die Subventionen und völlig falscher Einsatz dafür, dass das ehemalige Rückgrat der nationalen Wirtschaft sich in ein korruptes, rückständiges System verwandelte. Die Machtlosigkeit gegenüber ausländischen Investoren und ihrem Kapital, dass

97 in den Ländern gewinnbringend angelegt werden sollte, ist ebenfalls eine Gemeinsamkeit, welche die beiden Länder vereint.

Das Platzen der „New Economy“ - Blase hatte in Griechenland ähnliche Effekte wie die „Tequila Krise“ in Mexiko für Argentinien. Unsicherheiten an den Finanzmärkten bewegen eben jene Investoren dazu, ihre Investitionen und Anlagen wieder zurückzuziehen, was sich unmittelbar auf die fragilen Konstrukte dieser Länder auswirkt. Als verstärkender Effekt kommt dann hinzu, dass die Länder gezwungen sind diese Kapitalabflüsse durch die Aufnahme von Staatsschulden zu kompensieren. Diese führen sie jedoch in immer tiefere Abhängigkeitsverhältnisse denen beizukommen, sie erst recht nicht mehr in der Lage sind. Makroökonomische Erklärungen reichen oft nicht aus, um mikroökonomische Probleme zu erklären und auch umgekehrt. Dennoch sind sie untrennbar miteinander verbunden. Mittlerweile hat man vor allem Griechenland erkannt, welche weitreichenden Auswirkungen makroökonomische Ereignisse auf nationale Ökonomien haben können. Denn die globale Finanzkrise 2007/08 war der Ausgangspunkt für die wohl schlimmste und umfassendste Krise, die das Land jemals zu bewältigen hatte.

Hier anschließen lässt sich die Frage nach der Bedeutung der veränderten Akkumulationsmöglichkeiten des Finanzkapitals und in welcher Weise die neoliberale Doktrin für die beiden Wirtschaftskrisen verantwortlich ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen Krisen im Zeitalter des Finanzkapitals ungleich häufiger ereignen als noch in der Nachkriegsordnung von Bretton Woods oder im keynesianischen Zeitalter. Den wirtschaftlichen Schaden beim Ausbruch von Krisen haben mit Ausnahme der globalen Finanzkrise 2007/08 die Länder der globalen Peripherie zu tragen. Deswegen erscheint es doch fragwürdig, weshalb gerade in den im Transformationsprozess befindlichen Ländern derartige Risiken eingegangen werden. Kommt es zu einer Krise wie in Argentinien oder in Griechenland, sind nicht die externen Kapitalgeber die großen Verlierer, sondern die Menschen in diesen Ländern. Sie müssen Einschnitte und Sparauflagen hinnehmen, um weitere Kredite zu bekommen die einzig allein der fristgerechten Rückzahlung bestehender Forderungen aus älteren Entwicklungshilfen dient. Es erscheint so, als wären sie in einer Spirale gefangen, aus der sie nicht ausbrechen können. Schuldenschnitte, welche die Kreditgeber Verluste bescheren würde, werden dabei äußerst selten und in sehr geringem Maße vollzogen. Die Sparprogramme sichern somit die Rückzahlungen der bestehenden

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Forderungen und somit der Akkumulation des investierten Kapitals. Die Länder werden für die Vergabe neuer Kredite gezwungen, das Geld für die Zinsen, die bei diesen Krediten anfallen, bei ihrer Bevölkerung einzutreiben.

Hierbei schließt sich die Frage an, weshalb für Staaten keine anderen Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen als die bestehenden. Alternative Bewältigungsstrategien würden zur Folge haben, dass den Ländern wie Argentinien oder auch Griechenland ihre Schulden erlassen würden und sie mit den Krediten nicht die Forderungen von Altlasten nachkämen, sondern dieses Geld für Verbesserung der Produktionsstruktur, der Infrastruktur, der Diversifizierung der der Wirtschaft oder auch für Investitionen in innovative Bereiche verwenden könnten. Jedoch würde dies bedeuten, dass Gläubiger, die bereitwillig Kapital zur Verfügung stellen, um eben jenes betrogen werden. Wenn keine Sicherheiten mehr auf garantierte Rückzahlung bestehen, hat dieses System generell ausgedient. Investitionen benötigen Vertrauen und Sicherheiten. Ohne diese würde niemand sein Kapital, wenn auch für Entwicklung, bereitstellen. Darin begründet sich die Politik der Gläubiger gegenüber Argentinien und Griechenland. Soziale Aspekte werden dabei ausgeklammert, da es ansonsten zu einem weitaus größeren Flächenbrand kommen würde. Welche Ansteckungseffekte solch große Unsicherheiten mit sich bringen, konnte im Zuge der Staatschuldenkrise in Griechenland bei anderen südeuropäischen Ländern beobachtet werden.

Nach umfassender Analyse dieser beiden Wirtschaftskrisen konnte ich persönliche Erkenntnisse gewinnen, die mich sehr nachdenklich stimmen. Ob ein System, das Länder der ökonomischen Peripherie dauerhafte Abhängigkeit beschert, ohne ihnen die Möglichkeiten zu geben, diese Abhängigkeit zu überwinden, in Zukunft Bestand haben kann, erscheint mir doch sehr fragwürdig. Es gilt zu hinterfragen, ob bereitwillig erteilte Entwicklungshilfen tatsächlich den Zweck der Entwicklung verfolgen oder diese Maßnahmen nur neue Akkumulationsmöglichkeiten für das Finanzkapital schaffen. Der gegenwärtige Blick nach Argentinien offenbart genau dieses Dilemma. Sämtliche Maßnahmen, die das Land wettbewerbsfähig hätten machen sollen, erscheinen vor den gegenwärtigen wirtschaftlichen Problemen paradox. Der Musterschüler des IWF hat stets und im vollen Umfang Strukturanpassungen durchgeführt, mit dem Ergebnis aktuell vor denselben Problemen zu stehen wie nach der Militärdiktatur. Immer noch bestehen große Abhängigkeiten von den

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Weltmarktpreisen seiner Exporte, die Staatsverschuldung gibt immer noch Grund zur Besorgnis und die Entwicklung der Verbraucherpreise gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. Die Sinnhaftigkeit der neoliberalen Reformen erschließt sich bei dieser Betrachtung nicht. In dem Jahrzehnt nach der Zahlungsunfähigkeit, wo die lateinamerikanische Volkswirtschaft auf Binnenmarktorientierung und Protektionismus setzte, schien sich das ökonomische System zu erholen.

Der Blick nach Griechenland offenbart für mich persönlich ähnliche Zweifel an der Nachhaltigkeit dieser Politik. Die dort lebende junge Generation muss die Lasten einer verfehlten Wirtschaftspolitik tragen, für die sie nicht die geringste Schuld trägt. Zweck dieser Politik ist es, den Kapitalgebern des ökonomischen Zentrums ihre Zinsen zu garantieren. Das Land wird noch Jahrzehnte nicht in der Lage sein, sich wirtschaftlich zu konsolidieren und seiner jungen Generation Anreize und Möglichkeiten zu bieten. Dabei bleiben wesentliche Probleme wie die sehr hohe Arbeitslosigkeit oder die fehlende Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Es wirkt als ob jene gelebte Solidarität, welche die Menschen in Griechenland und Argentinien eindrucksvoll gelebt haben, nur auf der Mikroebene funktionieren kann. Würde dies auch auf einer größeren Maßstabsebene funktionieren, wäre den betroffenen Menschen sehr viel Leid erspart geblieben.

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7. Literaturverzeichnis & Abbildungsverzeichnis

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7.2 Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Inflationsentwicklung in Argentinien 1980 – 2000. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG. (27.02.2019).

Abb. 2: Inflationsentwicklung in Argentinien 1994 – 2012. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG. (02.03.2019).

Abb.3: Entwicklung Wirtschaftswachstum Argentinien 1983 - 2005. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG. (18.02.2019).

Abb. 4: Wechselkurs ARG$ zu US$ nach Aufhebung der Konvertibilität. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/PA.NUS.FCRF?locations=AR. (22.02.2019).

Abb. 5: Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP nach Aufhebung der Konvertibilität 2001. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/argentina/government-debt-to-gdp. (02.03.2019).

Abb. 6: Aktuelle Inflationsentwicklung Argentinien. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://de.tradingeconomics.com/argentina/inflation-cpi. (11.04.2018).

Abb. 7: Aktueller Wechselkurs ARG$ zu US$. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/argentina/currency. (12.04.2019).

Abb. 8: Entwicklung des BIP in Griechenland während der Militärdiktatur. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.CD?end=1974&locations=GR&start=19 67&view=chart. (10.02.2019).

Abb. 9: Inflationsentwicklung Griechenland 1990 – 2000. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG?end=2000&locations=GR&start= 1990. (10.02.2019).

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Abb. 10: Staatsverschuldung Griechenland im Verhältnis zum BIP 1995 – 2002. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/government-debt-to-gdp. (31.03.2019).

Abb. 11: Wachstumsraten des BIP in Griechenland von Juli 2007 – April 2010. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/gdp- growth. (20.02.2019).

Abb. 12.: Arbeitslosenquote Griechenland 2008 – 2018. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/unemployment-rate. (21.02.2019).

Abb. 13: Reale Entwicklung des BIP in den USA und EU (28) von 2004 – 2014. Eigene Darstellung nach Daten von Eurostat. http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nama_10_gdp&lang=en. (22.03.2019).

Abb. 14: Inflationsentwicklung in Argentinien nach Einführung des „Currency Board“. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG. (06.04.2019).

Abb. 15: Inflationsentwicklung Griechenland vor und nach der Euroeinführung 2002. Eigene Darstellung nach Daten der Weltbank. https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.DEFL.KD.ZG?end=2005&locations=GR&start= 1996&view=chart. (08.04.2019).

Abb. 16: Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in Griechenland von 2006 – 2010. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/greece/government-debt-to-gdp?continent=europe. (08.04.2019).

Abb. 17: Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in Argentinien von 1997 – 2001. Eigene Darstellung nach Daten von Trading Economics. https://tradingeconomics.com/argentina/government-debt-to-gdp. (08.04.2019)

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7.3 Abkürzungsverzeichnis

BIP Bruttoinlandsprodukt Ebd ebenda EFSF Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility) EG Europäische Gemeinschaft ESM Europäischer Stabilitätsmechanismus (European Stability Mechanism) EU Europäische Union EZB Europäische Zentralbank f. folgende Seite ff. folgende Seiten FED Amerikanisches Zentralbanksystem (Federal Reserve System) Hg. Herausgeber IWF Internationaler Währungsfonds (International Monetary Fund) MERCOSUR Gemeinsamer Markt Südamerikas (Mercado Común del Sur) SAP Strukturanpassungsprogramm US Vereinigte Staaten (United States) US – Dollar United States Dollar

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