Schneller – Höher – Stärker – Religiöser

Der (Olympia-)Sport als Religion unserer Zeit?

Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister theologiae

vorgelegt von Anton Tauschmann

bei Univ.-Prof. Dr. theol. Leopold Neuhold Institut für Ethik und Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz

Graz 2011

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 5 Einleitung ...... 6 I. Begriffliche Voraussetzungen ...... 8 1 Religion – Versuch einer Annäherung ...... 8 1.1 Religion etymologisch ...... 8 1.2 Thematische Nuancen des Religionsbegriffs ...... 11 1.2.1 Der substantielle Religionsbegriff ...... 11 1.2.2 Der funktionale Religionsbegriff ...... 12 1.3 Religion heute – zwischen Säkularisierung, Entmonopolisierung und Re-Spiritualisierung ...... 14 1.4 Religion – eine Begriffsumschreibung ...... 18 2 Sport...... 19 2.1 Der Sportbegriff – eine begriffsgeschichtliche Einführung ...... 19 2.2 Der Sport im 21. Jahrhundert – zwischen Hobbysport und Kommerzialisierung ...... 21 2.2.1 Sport ist irrelevanter Krieg ...... 22 2.2.2 Der Sport ist eine verschwenderische Arbeit ...... 23 2.2.3 Der Sport ist ein Spiel mit Regeln und eine Kunst ohne Kunstwerk ...... 24 2.3 Sport – ein vielschichtiger Begriff ...... 26 3 Der Sport mehr als ein Kult ohne religiösen Sinn? Oder: Sport und Religion – (K)eine Wechselbeziehung?...... 27 3.1 Vom Sport für den Kult zum Kultsport bzw. zum Kult „Sport“? ...... 27 3.1.1 Die Antike – Sport im Einsatz für die Religion ...... 27 3.1.2 Die Neuzeit – Sport als Ersatz der Religion? ...... 28 3.2 (Quasi-)religiöse Elemente im Sport ...... 29 3.3 Der Sport und das Christentum – verpönt oder versöhnt? ...... 30 II. Der Olympismus und sein Anspruch, eine Religion zu sein ...... 34 1 Die Olympischen Spiele der Antike ...... 34 1.1 Der geschichtliche Rahmen und die wichtigsten Überlieferungen ...... 34 1.1.1 Die Überlieferungen ...... 34 1.1.2 Die Anfänge der Spiele und ihre Bedeutung ...... 35 1.1.3 Der olympische Rahmen und die einzelnen Wettkämpfe ...... 36 1.1.4 Der sukzessive Abstieg der Spiele und ihr (vorläufiges) Ende ...... 40

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1.2 Der olympische Kult ...... 42 1.2.1 Der kultische Ursprung Olympias ...... 42 1.2.2 Die Altis ...... 43 1.2.2.1 Der Zeusaltar ...... 43 1.2.2.2 Der Zeustempel ...... 44 1.2.2.3 Das Pelopion ...... 45 1.2.2.4 Exkurs: Das Stadion ...... 45 1.2.3 Kultische Facetten des antiken olympischen Fests ...... 46 1.2.3.1 Der olympische Eid ...... 46 1.2.3.2 Die olympischen Opfer ...... 47 1.2.3.3 Die Siegerehrung...... 48 2 Die Olympischen Spiele der Neuzeit...... 49 2.1 Die Entwicklung der Olympischen Spiele von 1896-2010...... 49 2.1.1 Aller Anfang ist schwer – Die Olympischen Spiele vor dem Zweiten Weltkrieg ...... 49 2.1.2 Die Politisierung der Spiele – Berlin 1936- Los Angeles 1984 ...... 50 2.1.3 Die Professionalisierung und Kommerzialisierung Olympias – Los Angeles 1984 – 2010 ...... 53 2.1.4 Olympia – quo vadis? Die Zukunft der Olympischen Spiele ...... 56 2.2 Der Olympismus und die Idee der religio athletae ...... 57 2.2.1 Pierre de Coubertin ...... 57 2.2.1.1 Der Pädagoge ...... 58 2.2.1.2 Pionier der Olympischen Spiele der Neuzeit und der Idee des Olympismus ... 58 2.2.1.3 Der Olympismus – ein philosophisches Konzept hinter den Spielen ...... 60 2.2.1.4 Wenn der Olympismus zur Religion wird – das Konzept der religio athletae .. 65 2.2.2 Carl Diem ...... 67 2.2.3 Avery Brundage ...... 69 III. Die religio athletae – eine Religion unserer Zeit ...... 72 1 Der (olympische) Sport als religiöses Untersuchungsfeld ...... 73 1.1 Religion als vielschichtiges Geflecht aus teilweise sehr intensiven Erlebnissen, Rituale und Ordnungen ...... 73 1.1.1 Erlebnisaspekte des Sports ...... 73 1.1.2 Kultische Aspekte im Sport ...... 76 1.1.2.1 Die kultischen Rahmenbedingungen – Die Frage nach dem Zeit und Raum ... 78 1.1.2.2 Realisierungsmöglichkeiten des Kults – Die Frage nach der Form ...... 80 1.1.2.3 Der Kult und seine Akteure – Die Frage nach den Personen ...... 87 3

1.1.3 Ordnungsaspekte des Sports ...... 91 1.2 Religion als Instrument zur Identitätsstiftung, zur sozialen Integration, zur Handlungsführung und Orientierung, zur Beantwortung von Sinnfragen und Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt – die funktionalen Dimensionen einer möglichen Olympia-Religion ...... 95 1.2.1 Identitätsstiftung ...... 95 1.2.2 Soziale Integration ...... 98 1.2.3 Die Beantwortung von Sinnfragen und die Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt… ...... 102 1.3 …mit Bezug auf etwas transzendent „Heiliges“ auch darüber hinaus weist – Die Frage nach der Transzendenz ...... 106 2 Die religio athletae in der Diskussion...... 111 2.1 Der (olympische) Sport ist eine Religion ...... 111 2.2 Warum der (olympische) Sport keine Religion ist ...... 114 Resümee ...... 117 Anhang ...... 122 Literaturverzeichnis ...... 131

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Vorwort Erinnern Sie sich noch an die Olympischen Spiele in Albertville 1992? Für mich, als damals fünfjähriger Junge bedeuteten diese Spiele den ersten bewussten Kontakt mit diesem internationalen Sport-Großereignis, ein Kontakt der auch in den neunzehn Jahren danach nicht abriss und auch wenig von der kindlichen Faszination verlor, die dieser ersten Begegnung mit den fünf Ringen innewohnte. Die Begeisterung für den Sport, die mich zeitlebens begleitet(e), beschränkte sich jedoch nicht nur auf das Verfolgen der Olympischen Spiele oder das mehr oder weniger erfolgreiche Betreiben von Sportarten, sondern stellte für mich im Wunsch, Sportjournalist zu werden, lange Zeit eine veritable Berufsoption dar. Dass sich dieser Wunsch im Rahmen des Studiums zumindest ansatzweise ein Stück realisieren ließ, spricht für die große thematische Breite der Theologie, welche mich schon von Anfang an und bis jetzt, bis kurz vor dem Abschluss des Studiums faszinierte. So kurz vor dem Ziel, um bereits den Sportjargon ein wenig zu strapazieren, heißt es an dieser Stelle auch einmal „Danke“ zu sagen, die diese „Etappe“ ein Stück mitgegangen sind. Ein herzlicher Dank gilt dem Betreuer dieser Arbeit, Herrn Univ-Prof. Dr. theol. Leopold Neuhold für die engagierte und umsichtige Begleitung dieses Projekts sowie für dessen Lehrveranstaltungen zum Bereich „Sport und Ethik“, die meinen Entschluss zu einer Arbeit in diesem Themenfeld gestützt haben. Danken möchte ich an dieser Stelle auch dem Olympiaseelsorger Bernhard Maier, der sich für ein ausführliches Interview bereitwillig zur Verfügung stellte sowie Mag. Christian Cvetko und Dr. Georg Marschnig für das aufwändige Korrekturlesen sowie für die Beratung in formalen Fragen zur Arbeit. Ein Dank gebührt auch meinem Freundes- und Bekanntenkreis für alle netten Gespräche, Begegnungen und Unterstützungen jeglicher Art, die mir im Laufe meines (Studien-)Lebens zuteil wurden. Mein größter Dank gilt jedoch meiner Familie, die mich während meines bisherigen Lebens mit vielen Höhen, aber auch mit mancher Krise so liebevoll, bestärkend und helfend begleitet hat. Ihnen möchte ich diese Arbeit gerne widmen.

Graz, Mai 2011 Anton Tauschmann

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Einleitung „Schneller, höher, stärker“ – so lautet das Motto der Olympischen Spiele der Neuzeit, zu denen sich alle zwei Jahre Sportler aus der ganzen Welt einfinden. Was 1896 in Athen in einem verhältnismäßig kleinen Rahmen begann (295 Teilnehmer aus 13 Nationen), entwickelte sich bis zu den letzten Sommerspielen zu einem globalen Spektakel: Über 11.000 SportlerInnen aus 204 Nationen fanden sich 2008 in Peking zu den 302 Wettkämpfen aus 33 Sportarten ein. 1 Für die Olympischen Winterspiele, die erstmals 1924 in Chamonix und zuletzt 2010 in Vancouver ausgetragen wurden, gilt Ähnliches. Hand in Hand mit dieser fortwährenden Steigerung der Teilnehmerzahl geht auch die Entwicklung in anderen Bereichen. Längst sind die Olympischen Spiele keine bloße Sportveranstaltung mehr, sondern auch ein potenter Marktplatz für Großsponsoren und eine wesentliche Einnahmequelle für ihre Dachorganisation, das Internationale Olympische Komitee, kurz IOC. Allen voran sind sie allerdings noch mehr, nämlich ein gemeinschaftsbildendes Moment. Wo sonst begegnen sich Menschen aller Welt so offen und unkompliziert wie bei den Olympischen Spielen? Gemeinschaft und Begegnung können aber auch, je nach Konzeption, wesentliche Elemente im großen Begriffsdunstkreis von Religion sein. Zusammen mit anderen begibt man sich auf die Spuren der Sinnfrage, nach dem „Warum“, die uns Menschen vor allem angesichts persönlicher Schicksalsschläge immer wieder und immer neu beschäftigt. Dieses Vakuum wird oft mit einem „Absoluten“ gefüllt, das neben einer Antwort auf die Kontingenzfrage auch Orientierung geben und Werte sichern soll. Für viele Menschen ist dieses Absolute ein transzendentales „Heiliges“, oftmals in Gestalt einer personalen Gottheit. Andere versuchen dieses im immanenten Bereich zu verorten, um im Heine'schen Sinne das Himmelreich bereits hier auf Erden zu realisieren. 2 Solch ein irdisches Realisationsfeld könnte, sofern man den Religionsbegriff auf seine funktionale Form reduziert, auch der Sport sein. Tatsächlich scheint Religion im Bereich des Sports durchaus eine Rolle zu spielen. Beispiele hierfür sind etwa der fast schon inflationäre Gebrauch religiöser Termini im Sprachinventar der Sportjournalisten 3 oder die quasi-liturgischen Handlungen bei Sportveranstaltungen jeglicher Art, etwa das Abspielen der Hymnen bei Siegerehrungen, das Entzünden des Olympischen Feuers bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele etc. Dass der Initiator der Olympischen Spiele der Neuzeit, der Baron Pierre de Coubertin, explizit von der Idee einer Olympia-Religion sprach, sei

1 Vgl.http://www.olympiastatistik.de/ [abgerufen am 18.1.2011]. 2 Koch, Alois: Der moderne Sport – eine säkularisierte Religion? Aufweis am Beispiel des Olympismus und anderer „Phänomene“, in: Schwank, Willy / Koch, Alois (Hg.): Begegnung, Aachen: Meyer und Meyer 2000 (= Schriftenreihe zur Geschichte der Beziehung Christentum und Sport 2), 35-50, 36. 3 Erst kürzlich wurde nach einem 4. Platz des österreichischen Schifahrers Mario Matt von dessen „Wiederauferstehung“ gesprochen. Vgl. Die Wiederauferstehung des Mario Matt http://tirol.orf.at/stories/492026 [abgerufen am 11.1.2011]. 6 nur als eine weitere Manifestierung dieser Liaison angeführt Kann der (Olympia-)Sport also als eine Religion der (Post-)Moderne bezeichnet werden? Wie ließe sich solch eine Annahme stützen und welche Probleme sind in diesem Zusammenhang zu nennen? Dies sind die Leitfragen, die in weiterer Folge in das Zentrum dieser Arbeit gestellt werden sollen. Um diesen Fragen nachzugehen gilt es in einem ersten Schritt, begriffliche Grundvoraussetzungen zu klären. Zunächst soll dabei versucht werden, den Religionsbegriff zu konkretisieren und seine Stellung in der heutigen Gesellschaft zu thematisieren. Ferner wird auf die Entwicklung des Sports eingegangen und eine erste Annäherung zwischen diesen beiden Termini versucht. Das zweite Kapitel widmet sich einer konkreten Ausprägung der Beziehung von Sport und Religion, dem sogenannten Olympismus. Nach einer Abhandlung der olympischen Spiele der Antike, in der diese Relation schon sehr stark ausgeprägt war, fokussiert sich die Arbeit auf die Olympischen Spiele der Neuzeit, der ihr inhärenten Idee des Olympismus sowie der Konzeption der „religio athletae“, die von Pierre de Coubertin, dargelegt und von Carl Diem und Avery Brundage weitertradiert wurde. Nach einer umfassenden Vorstellung des Konzepts und ihrer Vertreter soll in einem dritten Kapitel geklärt werden, inwiefern die „religio athletae“ tatsächliche Relevanz für unsere Zeit hat und ein etwaiger Religionsanspruch berechtigt wäre, ehe die Arbeit mit einem Resümee beendet wird.

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I. Begriffliche Voraussetzungen

1 Religion – Versuch einer Annäherung Was versteht man unter dem Begriff der Religion? Eine Antwort auf diese Frage müsste nach einigen Jahren des intensiven Studiums der Theologie eigentlich erwartbar sein, möchte man vielleicht annehmen. Eine wirklich alle Seiten befriedigende, quasi „offiziell“ abgesegnete Definition ist bis dato allerdings noch nicht gefunden, zu vielschichtig scheint der Begriff tatsächlich zu sein. Eine Annäherung zum Begriff der Religion lässt sich auf vielfache Weise bewerkstelligen, sei es substantiell (also in Bezug auf die Frage nach dem Wesen der Religion) oder funktional, womit auf die Frage nach den individuellen und gesellschaftlichen Zusammenhängen und Funktionen von Religion referiert wird. Beide Zugänge sollen in weiterer Folge vorgestellt werden und als Basis für eine eigene Annäherung an den Religionsbegriff dienen, zuvor soll allerdings auch auf die etymologischen Wurzeln und die Begriffsgeschichte eingegangen werden.

1.1 Religion etymologisch Die Ursprünge des Wortes Religion, das sich in der deutschen Sprache im 16. Jahrhundert als Lehnwort etabliert hat, lassen sich aus dem lateinischen „religio“ ausmachen, das die „gewissenhafte Beachtung dessen, was sich auf die Verehrung der Götter bezieht“ 4 bezeichnet. 5 Cicero leitete den ,Begriff der religio vom Verb „religere“ ab, das etwa „von neuem in Gedanken durchgehen“ oder „wieder, von neuem lesen“ bedeutet. Dabei geht es allen voran darum, den gebotenen Kultvorschriften, etwa diversen Opferriten oder Zeichendeutungen, nachzugehen und deren strikte Beachtung zu bedenken. Die religio wird von Cicero als eine der Gerechtigkeit untergeordnete Tugend verstanden. 6 Eine andere Ableitung erfuhr das Wort im vierten nachchristlichen Jahrhundert durch Lactantius, der religio im Verb „religare“ (= zurückbinden, befestigen...) begründet sah. Diese Interpretation ermöglichte Lactantius und in weiterer Folge den Kirchenvätern wie Augustus eine „Verchristlichung“ des religio-Begriffs. Im Zentrum steht nicht nur die Bindung des Menschen an Gott, sondern auch die Abgrenzung zu den anderen Gottesvorstellungen. Während also Termini wie religio oder pietas lange synonym die Verpflichtung zur kultisch-rituellen Verehrung der Götter implizierten, wurde der Begriff in der christlichen Rezeption als ein Kriterium zur Unterscheidung

4 Religion, in: Pfeifer, Wolfgang: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, München: dtv 4 1999 (= dtv 32511), 1113. 5 Gregor Ahn weist in seinem Artikelabschnitt zur Religion berechtigterweise darauf hin, dass nicht alle Sprachen den Begriff der „Religion“ als Terminus zur Bezeichnung der damit verbundenen Inhalte heranziehen. (Vgl. Ahn, Gregor: Religion. I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 28 (1997) 513-522, 513. 6 Vgl. Wagner, Falk: Religion. II. Theologiegeschichtlich und systematisch-theologisch, in: TRE 28 (1997) 522-545; 523. 8 von christlicher Gottes- und heidnischer Götterverehrung relevant.“ 7 Der religio vera, also der christlichen Religion, stand über Jahrhunderte der Begriff der religio falsa gegenüber. Erst langsam kam es zu einer Öffnung beziehungsweise Verallgemeinerung des Religionsbegriffs. Erste diesbezügliche Tendenzen sind bei Nikolaus von Kues auszumachen. In seinem Werk „De pace fidei“ spricht er von einer Religion in der Verschiedenheit der Riten, freilich unter Annahme einer „substantiellen Gleichsetzung von Religion, Religionen und christlichem Glauben.“ 8 Ähnliche Entwicklungen sind auch im Humanismus sowie bei den Reformatoren zu beobachten. So bezeichnet das 1530 etablierte Lehnwort Religion sowohl den christlichen Glauben überhaupt als auch die christlichen Konfessionen sowie zugleich die außerchristlichen Glaubensweisen. Einen ersten Höhepunkt dieser begrifflichen Ausweitung stellt der Augsburger Religionsfriede von 1555 dar, „durch den die inzwischen weit verbreitete Verwendung des Religionsbegriffs dokumentiert wird.“ 9 Den endgültigen Durchbruch eines allgemeinen Religionsbegriffs gab es ab dem 17. Jahrhundert, einer Zeit, die vom Aufkommen des Gedankens einer religiösen Toleranz, einer Neubewertung der Natur als das Ursprüngliche und Gute schlechthin, einer intensiveren Wahrnehmung der nichtchristlichen Religionen und einer Neukonzeption der Vernunft als autonomen Vermögens geprägt war. Letztere Entwicklung kulminiert im Begriff der religio naturalis, der erstmals bei Christophe de Cheffontaines 1586 belegt ist. Dieser auf der Vernunft basierende Begriff trug nicht nur zur Unterscheidung einer vernünftig-moralischen Religion von einer positiv-geoffenbarten bei, sondern stellte zugleich „den zeitlich ersten Typ eines modernen Religionsverständnisses dar, der seine Relevanz auch nach seiner Kritik und Relativierung durch die Ausbildung weiterer Typen nicht verliert.“ 10 Mit dieser Unterscheidung der Vernunft von der Offenbarung, von der auch besonders die Aufklärung geprägt war, hatte der Religionsbegriff einen weiteren nicht irrelevanten Schritt vollzogen. Nicht mehr Gott stand im Zentrum der Religion, sondern der Mensch selbst. Dieser aufkommende Anthropozentrismus spiegelt sich in den Charakteristika der Moderne wider. Solche Kennzeichen sind für Wolf Lepenies die Industrialisierung, die Demokratisierung sowie die Verwissenschaftlichung. 11 Als vierter, die Moderne prägender Prozess wird oft die sogenannte Säkularisierung genannt. Der beim französischen Gesandten Longueville im Zuge der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648 erstmals rezipierte Begriff meint in einer Definition des Soziologen Peter L. Berger „einen Prozeß, durch den Teile der Gesellschaft und

7 Ahn, Religion, 514. 8 Zirker, Hans: Religion. I. Begriff, in: LThK 3 8 (1999) 1034-1036, 1035. 9 Wagner, Religion, 525. 10 Ebd., 526. 11 Vgl. Neuhold, Leopold: Religion und katholische Soziallehre im Wandel vor allem der Werte. Erscheinungsbilder und Chancen, Graz: 1999 (= Habilitationsschrift Universität Graz), 28. 9

Ausschnitte der Kultur aus der Herrschaft religiöser Institutionen und Symbole entlassen werden.“ 12 Für den evangelischen Theologen Richard Schröder gestaltet sich die Frage rund um die Säkularisierung ungleich schwieriger. Zwar versteht auch er darunter „den Prozess kultureller Transformation, in dem aus dem christlichen Mittelalter die europäische Neuzeit und die Moderne hervorgegangen sind“ 13 , die Diskussion rund um den Begriff erweist sich für ihn jedoch ungleich differenzierter. Gründe für diesen Befund sind etwa, dass es im Umkreis der Säkularisierung um eine „europäische Identitäts- oder Selbstverständigungsdebatte“ 14 geht , die sich zugleich um Legitimitätsfragen dreht und den Begriff der Säkularisierung zu einem „ideenpolitischen Kampfbegriff“ 15 macht, oder etwa auch der Umstand, „dass die Richtung des Säkularisierungsprozess verschieden gefasst werden“16 kann, sei es als Entkirchlichung, als Entchristlichung oder gar als Verschwinden der Religion als solcher. Eine globale Stoßrichtung der Diskussion gibt es nicht, da sich eine solche zumeist auf den europäischen Raum konzentriert „und oft nicht einmal für die USA dieselbe Plausibilität beanspruchen können, von anderen Kulturkreisen und deren Religionen ganz zu schweigen.“ 17 Mit dem oftmals diagnostizierten vorzeitigen Scheitern des Projekts der Moderne steht auch die lange Zeit bedenkenlos vertretene Säkularisierungsthese im Abseits. Stattdessen lässt sich eine Tendenz der Respiritualisierung ausmachen, die davon profitiert, „daß die Verwissenschaftlichung, die Demokratisierung und die Industrialisierung die Sehnsucht nach Sinn nicht abdecken konnten und können, weil letztlich auf partikuläre Bereiche bezogener Sinn nicht tragender Sinn ist, schon von der Ausrichtung des Sinns auf das Ganze eines geglückten Lebens her.“ 18 Freilich gilt es dabei nicht hinter die vormoderne Spiritualität zurückzufallen, sondern wichtige Erkenntnisse der Säkularisierung und die mit ihr vollzogene Öffnung der Religion zu integrieren. In welchem Umfeld Religion heute ausgelebt wird, soll in dieser Arbeit noch intensiv besprochen werden, zuvor allerdings gilt es nach diesem ersten etymologisch-geschichtlichen Überblick konkreter in die inhaltlichen Sphären des Religionsbegriffs einzutauchen.

12 Rammer, Alfred: Säkularisierung – Herausforderung für Kirche, Theologie und Soziologie, Linz: Universitätsverlag Rudolf Trauner 2000 (= Schriften der Johannes-Kepler-Universität Linz. Reihe B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 46), 240. 13 Schröder, Richard: Säkularisierung: Ursprung und Entwicklung eines umstrittenen Begriffs, in: von Braun, Christina / Zachhuber, Johannes (Hg.): Säkularisierung. Bilanz und Perspektiven einer umstrittenen These, Berlin: Lit 2007 (= Religion-Staat-Kultur 5), 61-73, 65. 14 Ebd., 66. 15 Ebd. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Neuhold, Religion und katholische Soziallehre, 29. 10

1.2 Thematische Nuancen des Religionsbegriffs Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der inhaltlichen Füllung des Religionsbegriffs keinesfalls um eine theologische Routineübung. Angesichts des mittlerweile schier unerschöpflichen „Füllmaterials“ scheint eine vollständig umfassende Definition fast schon unrealistisch. Wie unsicher der Begriff tatsächlich geworden ist, zeigt etwa ein Bestimmungsversuch Lucian Hölschers, der unter Religion alles fasst, „ was man dafür hält .“ 19 Dennoch versucht man mittels verschiedenster Zugänge eine Annäherung an den Religionsbegriff zu erreichen. Zwei der wichtigsten sind die bereits oben genannten substantiellen sowie funktionalen, die in weiterer Folge thematisiert werden sollen.

1.2.1 Der substantielle Religionsbegriff Der substantielle Religionsbegriff konzentriert sich auf das Wesen der Religion, also auf die Frage nach dem „Was“. Dabei geht es den Vertretern dieser Konzeption darum, einen „numinosen Bezugspunkt menschlichen Transzendierens“ 20 herauszustellen und diesen als Voraussetzung für Religion anzunehmen, während das Sich-Selbst-Übersteigen des Menschen allein noch nicht als solche angesehen wird. Zunächst referierte dieser „numinose Bezugspunkt“ ausschließlich auf den christlichen Gott, anhand des Glaubens an diesen auch die (nicht) vorhandene Religiosität des einzelnen gemessen wurde. Mit der schon angesprochenen Etablierung einer religiösen Toleranz und der Etablierung der Religionswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es auch zu einer Anpassung des Bezugspunkts an die neuen Gegebenheiten. Ein Begriff, der sich der Vielschichtigkeit des Religionsbegriffs annahm und deren verschiedenste globale Ausprägungen zu integrieren versuchte, ist jener des sogenannten „Heiligen“, der von Söderblom, Otto und Vertretern der Religionsphänomenologie etabliert wurde. 21 Mit diesem Terminus „bietet sich die Chance, das nicht reduzierbar Eigentümliche der religiösen Wirklichkeitsbetrachtung, damit auch das Besondere der religiösen Erfahrung sowie eine verbindende Kategorie für die unterschiedlichsten Religionen eruieren zu können.“ 22 Allerdings besteht für Horst Bürkle auch die Gefahr, „die Konkretheit der Religionen zur bloß geschichtlichen Äußerlichkeit zu machen beziehungsweise die kontextuelle Bedingtheit ihrer selbst zu unterschätzen“ 23 und eine mitunter nicht unproblematische Trennung von Sakralität und Profanität heraufzubeschwören. Diese strikte Unterscheidung von religiös und nicht-religiös wird von Christian Friesl und

19 Lucian Hölscher zitiert in: Ebd., 11. 20 Friesl, Christian / Polak, Regina: Theoretische Weichenstellungen, in: Polak, Regina: Megatrend Religion? Neue Religiositäten in Europa, Ostfildern: Schwabenverlag 2002, 25-106, 55. 21 Vgl. Schmidinger, Heinrich M.: Religion. II. Anthropologisch-philosophisch, in: LThK 3 8 (1999) 1036-1039, 1038. 22 Ebd. 23 Ebd. 11

Regina Polak durchaus als ein Pluspunkt der substantiellen Konzeption angesehen, eignet sich der stark theozentrische Begriff doch auch gut zur Bewertung und Beurteilung von Religionen. Weiters sichert er die Andersartigkeit des Heiligen und das Heilige selbst und stellt nicht nur die Bedeutung dessen, wie geglaubt, sondern auch ganz bewusst was geglaubt wird heraus. Diese Fokussierung auf die inhaltliche Dimension und die damit verbundene Vernachlässigung der Dimension der Religiosität ist zugleich auch ein Schwachpunkt des substantiellen Begriffs. Zudem präsentiert er sich mit seiner Zentrierung auf eine irdisch unerreichbare Transzendenz als elitär und unbeweglich, vor allem auch in Anbetracht der individualisierenden Tendenzen der modernen Religion. Scheinbar bedarf es bei aller Berechtigung eines nicht nur auf Kult und Äußerlichkeiten angelegten substantiellen Religionsbegriffs wohl auch eines anderen Zugangs, der auf die Situation der Menschen und auf ihre religiösen Bedürfnisse konkreter eingehen kann, eine Aufgabe, die der funktionale Religionsbegriff erfüllen will.

1.2.2 Der funktionale Religionsbegriff Während also der substantielle Begriff das Wesen der Religion beleuchtet, thematisiert der funktionale – nomen est omen – mögliche Funktionen der Religion. Auch in der Etablierung dieses Religionsbegriffs hatte die Religionswissenschaft entscheidend mitgewirkt, versuchte sie doch „auch andere Religionen mit ihrem Begriffsinventar zu erforschen.“ 24 Zusätzlich war das 19. Jahrhundert von einer weiteren religiösen Trendwende geprägt: Hatte man bis dato eine theistische Sichtweise von Religion, wurde mehr und mehr auch ihre gesellschaftliche und politische Dimension betont. Zu dieser „Entzauberung der Religion“ und der Fokussierung auf ihre funktionale Dimension trug vor allem die Religionskritik Karl Marx' und Max Webers bei. Dabei verweist Weber auch auf die ganz konkrete Bedeutung der Religion für die Gesellschaft: „Religiosität ist also nicht bloß ein Teil der Gesellschaft, nicht nur ein 'Opium für das Volk', sondern ist ihr zutiefst immanent, ist gleichsam eine Wurzel.“ 25 Durch ihre das Diesseits transzendierende, lebensdeutungstaugliche Perspektive ermöglicht sie den Individuen Integration in die Gesellschaft. Weitere Wegbereiter einer funktionalen Position sind neben den zwei oben genannten etwa auch Niklas Luhmann und Franz Xaver Kaufmann. Besonders letzterer versucht diesen funktionalen Religionsbegriff anhand einer Zusammenstellung potentieller Funktionen zu konkretisieren. Kaufmann konstatiert in seinem Werk „Religion und Modernität“ eine Unbestimmtheit des Religionsbegriffs und sieht diesen als ein „problemanzeigendes Wort, nicht als

24 Friesl / Polak, Theoretische Weichenstellungen, 60. 25 Ebd., 61. 12 zu definierende[n] Begriff.“ 26 Insgesamt sechs Probleme des menschlichen Zusammenlebens sind es, die durch die historischen Religionen möglicherweise zu lösen sind 27 : Als erstes ist das Problem der Affektbindung bzw. Angstbewältigung zu nennen, das in unserer Zeit vor allem durch die brüchige Identität, durch die vielen Rollen, die der Mensch im „Theater des Lebens“ spielen muss, entsteht und dem die Religion mittels der Funktion der Identitätsstiftung zu begegnen versucht. Dem Problem der Handlungsführung soll durch Rituale, Moral und Magie Abhilfe geleistet werden, „in denen Orientierung im Umgang mit außergewöhnlichen Situationen angeboten wird, die durch Sitte und Gewohnheit allein nicht zu regeln sind.“ 28 Der dritte Punkt betrifft die Verarbeitung von Kontingenz- respektive Leiderfahrungen , die von der Religion zu bewältigen gehofft werden. Für Hermann Lübbe ist die Funktion der Kontingenzbewältigung das zentrale Motiv der Religion, ja sogar die Religion selbst. Ein viertes Problem betrifft die Frage der Legitimation von Gemeinschaftsbildung und sozialer Integration . Religion hätte demnach, im Sinne einer Sozialintegrationsfunktion, die Aufgabe, „den Einzelnen in eine Gesellschaft und in ein soziales Gefüge einzubinden.“ 29 Ein fünftes Themenfeld bietet sich rund um die Kosmisierung von Welt. Auf der Suche nach einem Deutungshorizont sollen Unsicherheiten ausgeschlossen werden. Ein solches aus einheitlichen Prinzipien geschnürtes Korsett kann die Religion im Sinne einer Kosmisierungsfunktion übernehmen. Ein sechstes Problem betrifft die oft herrschenden Ungerechtigkeiten in den vielen globalen Gesellschaftssystemen. Für die Religion in ihrer Weltdistanzierungsfunktion heißt es, sich als Widerstands- und Protestorgan gegenüber den gesellschaftlichen Missständen zu artikulieren und die Menschen dazu zu ermutigen, sich von diesen zu distanzieren. Für die Religionen ergeben sich nun also die Funktionen der Identitätsstiftung, der Handlungsführung, der Kontingenzbewältigung, der Sozialintegration, der Kosmisierung sowie der Weltdistanzierung. Freilich sind diese Funktionen nicht alle zugleich und im gleichen Ausmaße erfüllbar, eine Erkenntnis, auf die auch Kaufmann explizit verweist. Vielmehr betont er, dass diese Funktionen von „vielen Instanzen“ erbracht werden und dass es wohl einer getrennten Untersuchung der Funktionen bedarf, um dabei zu fragen, welchen Anteil an dieser Funktionserfüllung heute die gemeinhin als religiös qualifizierten Ideen und ihre Träger haben.“ 30 Freilich macht dieser Spezialisierungsappell Kaufmanns das Theorem „Religion“ sehr angreifbar, wird doch das Attribut „religiös“ sehr schnell vergeben, sobald etwas nur eine der sechs Funktionen übernimmt. Auf diese Weise können Bereiche wie Politik, der Staat oder, wie in der

26 Kaufmann, Franz-Xaver: Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven, Tübingen: Mohr 1989, 84. 27 Vgl. ebd., 84f. 28 Ebd., 84. 29 Friesl / Polak, Theoretische Weichenstellungen, 66. 30 Kaufmann, Religion und Modernität, 85. 13

Arbeit thematisiert, eben auch der Sport voreilig als Religionen bezeichnet werden. Gleichzeitig, und das ist sein Verdienst, wird von Kaufmann eine Öffnung des Religionsbegriffs vollzogen: Religion wird so in ihrer anthropologisch-gesellschaftlichen Funktion gewürdigt und erleichtert mit ihrem erweiterten Spektrum die religiöse Spurensuche innerhalb der Gesellschaft. Um sich dem Religionsbegriff auf möglichst umfassende Art und Weise nähern zu können, bedarf es wohl beider vorgestellter Komponenten, der Ebene des „Was“ und der Ebene des „Wie“, einer Kombination der substantiell-theozentrischen und funktional-anthropozentrischen Ausprägungen der Religion. Beide Konzeptionen finden sich in der religiösen Landschaft der Postmoderne zuhauf, einer Landschaft, die von einer großen Vielfältigkeit und Unübersichtlichkeit geprägt ist. Wie sich dieser postmoderne Religionspool präsentiert, soll in einem weiteren Abschnitt konkretisiert werden.

1.3 Religion heute – zwischen Säkularisierung, Entmonopolisierung und Re- Spiritualisierung „Rekordhoch. Kirchenaustritte stiegen 2010 um 64 Prozent auf 87.393 Personen“ 31 – solche und ähnliche Schlagzeilen prägten die heimischen Tageszeitungen zu Beginn des Jahres 2011. Auch wenn die Zahl der Austritte aufgrund der verheerenden Missbrauchsaffäre außergewöhnlich hoch ist, spiegelt sich darin ein vor allem in Europa schon lange kursierendes Phänomen: die Ent- Institutionalisierung der Religion. 32 Auch wenn die Bedeutung der religiösen Institutionen zurückgeht, ist das noch nicht mit einem Bedeutungsverlust von Religion allgemein gleichzusetzen. Diese scheint nämlich nach einer etwas schwierigeren Phase tatsächlich wieder an Relevanz zu gewinnen, wie etwa eine groß angelegte Studie von Paul M. Zulehner, Isa Hager und Regina Polak bestätigt. 33 Freilich kann an dieser Stelle nicht en detail auf die Studie eingegangen werden, mehrere Beobachtungen sind allerdings durchaus von Interesse: Immerhin 68% der EuropäerInnen bezeichneten sich 2000 als religiös, wobei der österreichische Wert mit 78% klar über dem Durchschnitt liegt. Das Verständnis von Religion hat sich gemäß der Studie jedoch klar geändert. Nur noch 33 % gehören zu der Gruppe der sogenannten traditionellen Christen. Die Majorität lebt eine Art „Religion light“, die je

31 Rekordhoch: Kirchenaustritte stiegen 2010 um 64 Prozent auf 87.393 Personen , in: http://derstandard.at/1293370377600/Rekordhoch-Kirchenaustritte-stiegen-2010-um-64-Prozent-auf-87393- Personen [abgerufen am 24.1.2011]. 32 Dass es sich dabei nicht um einen globalen Trend handelt, zeigt Hans G. Kippenberg, der auf einen stetigen Anstieg der christlichen Gemeinden in den USA verweist. Waren 1850 nur 1/3 aller Amerikaner kirchlich integriert, waren es 1980 bereits 2/3. (Vgl. Kippenberg, Hans G.: Europäische Religionsgeschichte: Schauplatz von Pluralisierung und Modernisierung der Religionen, in: Graf, Friedrich Wilhelm / Große Kracht, Klaus (Hg.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007 (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 73), 45-71, 46. 33 Vgl. Zulehner, Paul M. / Hager, Isa / Polak, Regina: Kehrt die Religion wieder? Religion im Leben der Menschen 1970-2000, Ostfildern: Schwabenverlag 2001. 14 nach Bedarf abzurufen ist. Religion müsse demnach zur Ästhetisierung des Lebens beitragen, quasi etwas „hergeben“. Auch wenn Studien, da sie nur eine repräsentative Zahl an Probanden fassen können, lediglich ein Stimmungsbild wiedergeben und die hier zitierte Untersuchung bereits zehn Jahre zurückliegt, lässt sich aus dieser viel über Religion und Religiosität in unserer Zeit herauslesen. Doch in welcher Zeit leben wir eigentlich? Welche Entwicklungen sind in unserer Zeit zu beobachten? Geht es nach Regina Polak und Christian Friesl, sind es fünf „Megatrends“, welche die heutige Gesellschaft charakterisieren. Interessant bei dieser Aufstellung ist, dass jeder Trend von dessen Gegenteil begleitet wird. Genannt werden die Pluralisierung / Individualisierung, Säkularisierung / (Re-)Sakralisierung, produktive Trennungen / produktive Vernetzungen, Rationalisierung / Erlebnisorientierung sowie die Ökonomisierung / Sehnsucht nach Werten .34 Was heißt dies nun für die Religion? All diese Eigenschaften haben auch wesentlichen Einfluss auf die Religion als solche. In Bezug auf Pluralisierung und Individualisierung kann Religion in einer a- zentrisch und subjektorientierten Gesellschaft ein Orientierungsfaktor sein und für die oft fehlende Kontinuität sorgen. Weiters kann die in der Moderne entstandene Vielfalt an Glaubensoptionen „einen stimulierenden Einfluss auf die Vitalität von Religionsgemeinschaften haben“ 35 wie auch im Zuge des sogenannten „ökonomischen Marktmodells von Religion“ propagiert wird. Freilich stößt der Vielfaltsgedanke auch auf Grenzen. Nicht immer wird die neue Variabilität der Religion geschätzt. Gerade in Gebieten, wo es eine starke Pluralität von verschiedenen religiösen Gruppierungen und Glaubensgemeinschaften gibt, wo „Fremdes“ das gewohnte religiöse Terrain betritt, ist das Potential religiöser Konflikte hoch, wie Detlef Pollack konstatiert. 36 Die Frage nach der Säkularisierung beziehungsweise Re-Sakralisierung gehört, wie bereits im Vorabschnitt angedeutet, zu den umstrittensten im Bereich des Religionsbegriffs. Während Polak und Friesl der Religion in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle zusprechen und, um schon im Sportlerjargon zu reden, von einem „Comeback“ der Religion, von einer Re-Sakralisierung (bei einer gleichzeitig stetig voranschreitenden Säkularisierung mitsamt einer Entmachtung von Transzendenz und Privatisierung von Religion) sprechen, welche „die profane Welt mit einem ebenso profanen, aber für heilig erklärten Aura“ 37 umgibt, sieht Hans-Joachim Höhn die Sache ein wenig differenzierter. Zwar spricht auch er von einer scheinbaren Renaissance der Religion, die sich allerdings „vielfach als nicht-religiöse Aneignung und Verwertung religiöser Stoffe und Traditionen sowohl in den nicht-religiösen Segmenten der Gesellschaft (Politik, Wirtschaft, Medien) als auch in

34 Vgl. Friesl / Polak, Theoretische Weichenstellungen, 75-82. 35 Pollack, Detlef: Die Pluralisierung des Religiösen und ihre religiösen Konsequenzen, in: Gabriel, Kurt / Höhn, Hans-Joachim (Hg.): Religion heute öffentlich und politisch. Provokationen, Kontroversen, Perspektiven, Paderborn: Schöningh 2008, 9-36, 14. 36 Vgl. ebd., 35f. 37 Friesl / Polak, Theoretische Weichenstellungen, 78. 15 der individuellen Lebenspraxis“ erweist und „insofern nur eine andere als bisher benannte Formen ihrer Säkularisierung darstellt.“ 38 Trotz dieses Befunds ist die Religion nicht von der Bildfläche verschwunden – im Gegenteil. Ihre Existenz beziehungsweise Präsenz soll, so der Appell Höhns, jedoch unter anderen Vorzeichen stattfinden. Die Religion und ihre Vertreter müssen sich mit der Moderne und ihren Erfordernissen der „kommunikativen Vernunft“ arrangieren und damit zeigen, „dass das Religiöse nicht den Widerpart, sondern das vernunftgemäße 'Andere' der Vernunft repräsentiert.“ 39 Auch das gesellschaftliche Phänomen der produktiven Trennungen und Vernetzungen findet religiösen Niederschlag. Spezialisierungen der verschiedensten Sektoren wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft oder auch des Sports mitsamt ihren eigenen Richtlinien stehen heutzutage an der Tagesordnung. Universal angelegte Disziplinen wie die Religion können da durchaus ins Hintertreffen geraten, wie sich etwa anhand der oben beschriebenen Funktionen von Religion zeigt. Hatte die Religion in den darin angesprochenen Agenden lange Zeit eine exklusive Stellung aufzuweisen, etablierten sich im Zuge der Säkularisierung „funktionale Äquivalente“ 40 der Teildisziplinen. Neben der produktiven Trennung ist auch der Vernetzungseffekt ein Charakteristikum unserer Zeit. Beispiele kursierender Synergien sind etwa die Politisierung von Wissenschaft (auch umgekehrt) oder die Kommerzialisierung des Sports. Hans-Joachim Höhn ortet diese Entwicklung auch in der Religion und fasst diese unter dem Begriff der religiösen Dispersionstheorie. Dabei geht es um „die Brechung und Zerlegung religiöser Gehalte beim Auftreffen auf säkulare Felder, ihre Vermischung mit anderen Mustern der Weltdeutung und - gestaltung, ihre Überführung in andere Formen und Formate, die nicht restlos rückgängig gemacht werden können.“ 41 Die Religion fristet sozusagen ein Diasporadasein, in welchem Religion, ihre Semantik und Symbolik zwar präsent sind, diese allerdings „außerhalb religiöser Traditionen begegnen“ 42 – ein Moment, das wir in Bezug auf den Sport noch ausführlich beleuchten werden, der nicht selten als „Ersatzreligion“, als „Religionssubstitut“, betrachtet wird. Für die heutige Gesellschaft kursieren viele repräsentative Bezeichnungen. Neben der Multioptions- oder der Konsumgesellschaft wird auch gern der Begriff der „Erlebnisgesellschaft“ strapaziert, der von Gerhard Schulze geprägt wurde. Die Tendenz, alles sofort und möglichst intensiv haben und empfinden zu wollen, spiegelt sich auch in der mitunter subjektorientierten Religiosität wider. Als Vehikel für solche erlebnisorientierten Erfahrungen dienen oft „Events“ oder

38 Höhn, Hans-Joachim: Krise der Säkularität? Perspektiven einer Theorie religiöser Dispersion, in: Gabriel, Kurt / Höhn, Hans-Joachim (Hg.): Religion heute öffentlich und politisch. Provokationen, Kontroversen, Perspektiven, Paderborn: Schöningh 2008, 37-57, 38. 39 Ebd., 41. 40 Ebd., 44. 41 Höhn, Hans-Joachim: Postsäkular. Gesellschaft im Umbruch – Religion im Wandel, Paderborn / Wien [u.a.]: Schöningh 2007, 34. 42 Ebd. 16

„Happenings“, die ein möglichst intensives Wir-Gefühl vermitteln sollen. Was im „profanen“ Bereich etwa bei Sportveranstaltungen oder Rock-Konzerten passiert, erfährt auch im religiösen Bereich immer mehr Anklang. In Bezug auf das katholische Milieu seien etwa die Weltjugendtage genannt, bei denen Tausende von jungen Menschen ein Gemeinschaftsmoment, eine besondere Stimmung erleben wollen. Einen nachhaltigen Effekt auf das Glaubensleben haben diese „Events“ zumeist nicht, zumindest, wenn es nach Höhn geht: „Stimmungen sind selten etwas Beständiges. Viele Jugendliche (und Erwachsene) am Rande des Kölner Weltjugendtags verspürten zweifellos eine Sehnsucht nach Religion – und beließen es aber auch dabei.“ 43 Es geht also eher um kurzzeitige, intensive Erlebnismomente als um eine langfristige Bindung, um eine Art „Stand-by- Religion“, die je nach Bedarf zur Verfügung steht. Unter diesen Vorzeichen sind auch traditionelle Rituale wie etwa die Trauung durchaus noch etabliert, sofern sie „allenfalls im Institutionellen das Individuelle akzentuieren bzw. Prozesse der Selbstthematisierung und Selbstbestätigung in Gang setzen.“ 44 Ein letztes von Regina Polak und Christian Friesl angesprochenes Charakteristikum ist die Tendenz zur Ökonomisierung beziehungsweise zu einer Sehnsucht nach Werten. Der durch die industrielle Revolution geebnete Weg der kapitalistischen Marktwirtschaft entwickelte sich „zum global vorherrschenden und weltumspannenden Gesellschaftskonzept“45 , das alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft. Dass da die Religion keine Ausnahme darstellt, zeigt das bereits erwähnte „ökonomische Marktmodell“. Die Grundaussage des Modells beschreibt Pollack folgend: „Je mehr Konkurrenz zwischen den Religionen und Konfessionen besteht, desto höher ist das Niveau der religiösen Mobilisierung.“ 46 „Konkurrenz belebt das Geschäft“ - eine Phrase, die also anscheinend auch in Bezug auf die Religion und den neu entstandenen Religionsmarkt anwendbar ist, auf welchem die „Kunden“ je nach Bedarf ihre „Sinnangebote“ zusammenstellen und lukrieren können. Um auf dem Markt reüssieren zu können, gilt es für die Anbieter, ihren Kundenservice stetig zu verbessern und eine „kundenorientierte Sensibilität“47 an den Tag zu legen. Doch auch die Ökonomisierung kann auf Grenzen stoßen. Viele Menschen kommen mit dem eingeschlagenen Tempo, in welchem sich die Gesellschaft fortbewegt, nicht mit, ein Umstand, der oft im Aufkommen der Sinnfrage, in einer neuen Sehnsucht nach Werten mündet. Auf diese Weise kann wieder die Religion ins Spiel kommen, welche nicht zuletzt ob ihres Transzendenzbezugs neu entstandene ökonomische Abhängigkeiten aufzubrechen und zu relativieren versucht. 48 Religion scheint allen Unkenrufen zum Trotz doch noch nicht unwesentlich in unserer

43 Ebd., 48. 44 Ebd., 52. 45 Friesl / Polak, Theoretische Weichenstellung, 81. 46 Pollack, Pluralisierung, 13. 47 Ebd., 14. 48 Vgl. ebd. 17

Gesellschaft präsent zu sein. Die Art und Weise dieser Präsenz hat sich im Gegensatz zu früheren Zeiten jedoch entscheidend verändert. War Religion vor allem auch in Bezug auf den europäischen Raum lange primär institutionell geprägt, zeigt sie sich nun individuell-praktisch orientiert sowie von einer unglaublichen Vielfalt. Dieser mitunter individuelle Zugang ist oft nicht von dauerhafter Natur, entscheidend scheint viel mehr ein punktueller, dafür umso intensiverer, erlebnisorientierter Kontakt zu sein, der je nach Bedarf entsprechend abrufbar sein sollte. Bei allen Gefahren, die bei diesen neuen Gegebenheiten mitschwingen, wie etwa jene der Degradierung der Religion zu einer bloßen Dienstleistung, ist eine Öffnung in Richtung der (Post-)Moderne und ihrer gesellschaftlichen Phänomene richtig und wichtig. Ein solches Phänomen unserer Zeit kann wohl auch der Sport darstellen, dessen Beziehung zur Religion (vor allem in Bezug auf seine olympische Ausprägung) in weiterer Folge untersucht werden sollte. Um dies zu bewerkstelligen, gilt es jedoch noch einmal, die Erkenntnisse des vorherigen Abschnitts zu sammeln und zu einem Arbeitsbegriff von Religion zusammenzufassen.

1.4 Religion – eine Begriffsumschreibung Was versteht man unter Religion? Eine Frage, die am Beginn dieses Abschnitts stand und die jetzt wieder begegnet. Eine Antwort auf diese Frage fällt trotz eines doch mehr oder weniger ausführlichen Annäherungsversuchs nicht leicht. Dennoch wird es im Sinne der Arbeit und ihrer Fragestellung, inwiefern man bei den Olympischen Spielen der Neuzeit von einer religiös intendierten Institution sprechen kann, vonnöten zu sein, zumindest eine vage Vorstellung dessen zu geben, was Religion sein kann. Dabei soll es nicht um eine allumfassende, alle Aspekte von Religion integrierende Definition gehen, die man ob der Komplexität des Begriffs und seiner zumindest in der Begriffsgeschichte vorrangigen Fokussierung auf den europäischen Raum wohl auch nur schwer realisieren wird können. Im Folgenden soll Religion also nicht als definitorische Größe verstanden werden, sondern im Kaufmann'schen Sinne als problemanzeigender Begriff, der an dieser Stelle unter Berücksichtigung der Abschnittsausführungen folgendermaßen umschrieben und im weiteren Verlauf der Arbeit in diesem Sinne weiterverwendet werden soll. Religion kann als ein vielschichtiges Gebilde aus Erlebnissen, teilweise sehr intensiv erlebten Ritualen und Ordnungen verstanden werden, das als ein Instrument zur Identitätsstiftung, zur sozialen Integration, zur Orientierung und Handlungsführung zur Beantwortung von Sinnfragen und Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt fungiert, jedoch mit ihrem Bezug auf etwas transzendent „Heiliges“ auch darüber hinaus weist.

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2 Sport Im Anschluss an den Religionsbegriff gilt es nun, den Begriff Sport als zweite wesentliche Voraussetzung einzuführen. Auch der „Sport“ begegnet uns in einer dichten inhaltlichen Gestalt, innerhalb welcher einiges zu berücksichtigen ist, etwa die Spannung zwischen dem Spitzen- und dem Breitensport, also dem Sport in seinem rekreativ-zweckfreien oder in seinem sportlich- leistungsorientierten Prinzip. In beiderlei Formen mutierte der Sport vor allem im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zu einem wesentlichen Faktor unserer Gesellschaft, wie im Laufe des Abschnitts noch zu sehen sein wird. Zuvor soll aber, analog zur Religion, ebenfalls auf die Begriffsgeschichte verwiesen werden.

2.1 Der Sportbegriff – eine begriffsgeschichtliche Einführung Das Wort „Sport“ gelangte durch den Reiseschriftsteller Fürst zu Pückler-Muskau erstmals ins Deutsche 49 und wurde aus dem Englischen „sport“ entlehnt, das sich damals als „Vergnügen“ oder „Kurzweil“ übersetzen ließ. Seinen Ursprung hat das Wort freilich schon im lateinischen Verb „deportare“, was etwa wegtragen, fortschaffen, zerstreuen und im Spätlateinischen auch „belustigen“ oder „amüsieren“ bedeuten konnte. 50 Der Bedeutungsreigen rund um das Wort „Sport“ bildet jedoch nicht den Ursprung des Terminus’. Eine erste Wurzel wird in der wissenschaftlichen Diskussion oft in der Jagd oder im Kampf geortet, „die noch ganz zur Erhaltung der Existenz dienten.“ 51 Heute sind diese einst existenzbezogenen Handlungen wie etwa das Angeln zwar noch immer präsent, von ihrer Ausgangssituation als Existenzgrundlage hat sie sich, zumindest in unserem Kulturkreis, jedoch verändert und teilweise zu Formen wie dem auf Präzision und Optimierung der Technik ausgelegten Sportangeln weiterentwickelt, womit ein wesentliches Charakteristikum des Sports angesprochen wird: „Im Unterschied zu Alltags- und Arbeitshandlungen gewinnt die sportliche Handlung ihr Spezifikum durch den Bedeutungswandel des Handlungsinhalts, d.h. Sport entsteht aus der Umwandlung von Realitätsbezügen auf die Ebene von Ritualisierungen und Symbolisierungen von Wirklichkeitshandlungen.“ 52 Ein zweiter Ursprung lässt sich in der Antike ausfindig machen, als der Sport auch sehr eng mit dem Kult verwoben war, wie im Zuge des Kapitels über die Entstehungsgeschichte der Olympischen Spiele noch dargestellt werden soll. Die Antike galt mit ihrer Gymnastik und

49 Vgl. Röthig, Peter: Sport, in: Becker, Hartmut / Carl, Klaus / Röthig, Peter (Red.)[u.a.]: Sportwissenschaftliches Lexikon, Schorndorf: Hofmann 5 1983 (= Beiträge zur Lehre und Forschung im Sport 49 / 50), 338f, 339. 50 Vgl. Sport, in: Pfeifer, Wolfgang: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, München: dtv 4 1999 (= dtv 32511), 1330. 51 Türk, Hans Joachim: Sport als Liturgie. Von den Olympischen Spielen bis zum Bundesligaspiel, in: rhs 40 / H. 5 (1997) 280-290, 284. 52 Röthig, Sport, 338. 19

Agonistik, wie sie sich eben in den heiligen Spielen in Olympia zeigte, als „Vorbild und Ideal neuzeitlicher Sport- und Körperkultur.“ 53 Kontakt mit dem Sport hatte in der klassischen Antike lange Zeit primär der Adel, welchem Sportarten wie Laufen, Boxen, Ringen, Diskus- und Speerwurf, das Bogenschießen oder der Waffenkampf, die als sogenannte „Leichenspiele“ allesamt im 23. Buch der Ilias erwähnt wurden, als Zeitvertreib dienten. Erst mit den Demokratien des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts fand eine gewisse Öffnung für die breite Masse statt, die auch als Zuschauer bei den Olympischen Spielen teilnehmen durfte. Frauen jedoch blieb der Zugang zu den Spielen mit Ausnahme von Priesterinnen und Jungfrauen bei Androhung der Todesstrafe verwehrt. 54 Auch im Mittelalter konzentrierte sich der Sport zunächst auf die feudale Bevölkerungsschicht, die sich am Hof bei Ritterturnieren vergnügte. Weiters entwickelten sich allen voran in Großbritannien regionale Spiele und Wettkämpfe, die im Rahmen großer Feste veranstaltet wurden. Zu den beliebtesten Disziplinen gehörten frühe Formen des Crickets, Box-. Ring- und Prügelspiele und der Ballsport, unter ihnen das sogenannte „hurling“ 55 , ein früherer Vorfahre des Fußballsports, der sich im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts „als Kompensation für den trostlosen Proletarieralltag“ 56 etabliert hatte. Viele der hier genannten Sportarten fanden im selben Jahrhundert auch Einzug in die englischen „Public Schools“, von wo aus sich der Sport in dieser britisch-englischen Version, in seiner kompetitiven, aber auch musischen Art und Weise, weiterverbreitete und „zu einem universalen Modell von Leibesübungen“ 57 avancierte. Neben dem britischen Zugang zum Sport entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert ein von Deutschland ausgehender Ansatz, der eher edukativ-nationale Zielsetzungen aufwies. Vorreiter des auf Turnen und Gymnastik konzentrierten Wegs war der deutsche Pädagoge Gutsmuths, der in seinen Büchern wie etwa „Gymnastik für die Jugend“ (1793) die Grundlage des „deutschen Turnens“ oder etwa auch der „schwedischen Gymnastik“ und anderer auf körperliche Erziehung konzentrierte Konzepte bildete. 58 Diese körperlichen Spiele und Übungen sollten – so die Meinung Gutsmuths – wesentlicher Bestandteil einer ganzheitlichen Erziehung sein. Der wohl bekannteste Vertreter dieses Weges ist Friedrich Ludwig Jahn, der wesentlich an der bürgerlichen Freiheits- und Nationalbewegung im Deutschland des 19. Jahrhunderts beteiligt war. Die Ziele des „Turnvaters“, wie er einst wertschätzend genannt wurde, und seiner Turnbewegung reichten über den Sport hinaus, ging es ihm doch vor allem auch um eine Stärkung des „deutschen Volks“. Jahns Modell

53 Krüger, Michael: Sport, in: Grupe, Ommo/ Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 478-484, 478. 54 Vgl. Türk, Sport als Liturgie, 284. 55 Vgl. Krüger, Sport, 478. 56 Türk, Sport als Liturgie, 284. 57 Krüger, Sport, 478. 58 Vgl. ebd., 479. 20 sollte ein Symbol „einer Nation freier und gleicher Bürger deutscher Nation sein.“ 59 Das Turnen avancierte unter seiner Regie zu einer Form deutscher Leibesübungen, die allmählich durch den Aufbau einer nationalen Turnorganisation strukturiert wurde und auch in die Schulcurricula Einzug fand. Die durch den nationalistischen Ansatz Jahns sich abzeichnende Liaison von Sport und Politik kam im 20. Jahrhundert endgültig zum Vorschein. Indikatoren einer Instrumentalisierung des Sports durch die Politik sind etwa die „Inanspruchnahme von Turnen und Sport für militärische Zwecke, etwa zur körperlichen Ertüchtigung der Jugend für den Krieg gegen die Feinde der Nation“ sowie „der Versuch, sportliche Wettkämpfe, Leistungen und Erfolge gezielt für die Erhöhung nationalen Prestiges nach innen und außen zu nutzen.“ 60 Besonders gravierend zeigte sich diese Politisierung erstmals in der Zeit des Nationalsozialismus, etwa anhand der von Nazi-Propaganda dominierten Olympischen Winter- und Sommerspiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin, die im Laufe der Arbeit noch behandelt werden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg fand diese politische Einflussnahme im Sport eine Fortsetzung, so avancierte der internationale Sport zu einem „Schauplatz des 'Kalten Krieges'“ 61 zwischen den kapitalistisch-westlichen Staaten und den sozialistisch-kommunistischen Staaten des „Ostblocks“. Beispiele dieser Entwicklung waren der Boykott und der Gegenboykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 und Los Angeles 1984. Freilich wäre es unfair und schlichtweg falsch 62 , den modernen Sport auf seine politische Dimension zu reduzieren. Tatsächlich bietet der Sport einiges mehr, wie etwa auch im Artikel von Ommo Grupe und Michael Krüger im „Lexikon für Ethik im Sport“ erwähnt wird. Die Eckpfeiler Spiel, Wettkampf, Leistung, Gesundheit und Wohlbefinden wurden nicht selten als Gehalte der Leibesübungen beziehungsweise des Sports allgemein bezeichnet und gelten auch heute noch als durchaus wichtige Charakteristika, die nicht ignoriert werden dürfen, wenn es im Folgenden nun um die Skizzierung der Situation des Sports heute gehen soll.

2.2 Der Sport im 21. Jahrhundert – zwischen Hobbysport und Kommerzialisierung Wie steht es um den Sport in unserer Gesellschaft? Das heutige Bild des Sports ist durchaus

59 Ebd. 60 Ebd., 482. 61 Ebd., 479. 62 In einigen internationalen Sportverbänden werden bei einem Versuch der politischen Einflussnahme auf einen Mitgliedsstaat durch die jeweiligen Regierungen Sanktionen angedroht und im schlimmsten Fall durchgeführt. Erst vor kurzem wurde die Ukraine seitens der UEFA, dem europäischen Fußballverband, ob angeblicher politischer Interventionen verwarnt und mit einem daraus resultierenden möglichen Verlust der Fußball-EURO 2012 konfrontiert, welche die Ukraine planmäßig mit Polen veranstalten sollte. Vgl. UEFA warnt Ukraine vor möglicher Sperre, in: http://derstandard.at/1295571088097/UEFA-warnt-Ukraine-vor-moeglicher-Sperre [abgerufen am 29.1.2011]. 21 ambivalent. Vor allem um den professionellen Spitzensport scheint es aktuell ganz gut zu stehen. Selten zuvor war die Begeisterung der „Sportkonsumenten“ so groß, selten zuvor wurde in den Sport und seine (mediale) Vermarktung trotz Zeiten der Wirtschaftskrise so viel investiert, und selten zuvor konnten Sportler so gut verdienen wie in diesen Tagen. Auch der Hobbysport scheint beliebt wie nie zuvor: Die Teilnehmerzahlen an diversen Lauf- und Triathlon-Veranstaltungen steigen ebenso wie die Umsätze im Sporthandel oder die Anzahl der Nächtigungen in den Schigebieten. Befindet sich der Sport also in einem unaufhaltsamen Aufschwung? Diese Ansicht wäre wohl zu optimistisch, lassen sich doch mühelos einige Diskrepanzen in diesem doch sehr verklärten Bild ausmachen. Die vielen Geldflüsse im Sport konzentrieren sich in erster Linie auf die jeweiligen „Stars“ und großen (Vereins-)Namen, während weniger bedeutende SportlerInnen und Vereine oft mit finanziellen Problemen konfrontiert sind, wie es etwa auch im österreichischen Klubfußball der 2000er-Jahre öfters vorgekommen ist. Auch im Hobbysport spielt der finanzielle Faktor eine wichtige Rolle. Freizeitsport kann durchaus zu einem teuren und in vielen Fällen unleistbaren Vergnügen werden, wenn man etwa an die eklatanten Preissteigerungen im Schisport denkt. Der Sport sieht sich also doch mit einigen Herausforderungen und Diskrepanzen konfrontiert, die auch in Peter Eichers Zugang zum Sport angesprochen werden. In vier Thesen 63 gibt er einen vielschichtigen Einblick, was Sport sein kann. Freilich ist die Abhandlung der Thesen Eichers nicht unbedingt neu. 64 Dennoch soll sie ob ihres breiten Themenspektrums an dieser Stelle ausgeführt werden.

2.2.1 Sport ist irrelevanter Krieg Betrachtet man die Sportseiten in diversen Tageszeitungen, scheint die Konnotation von Sport und Krieg nicht unberechtigt zu sein. Fußballspiele werden etwa zu „Entscheidungsschlachten“ hochstilisiert, die nur der gewinnt, der die richtige „Strategie“ entwickelt, um seinem „Gegner“ den „Todesstoß“ zu versetzen. Auch die Athleten und Funktionäre hieven den Sport in eine mehr als die Existenz gefährdende Sphäre, wie etwa ein Zitat des schottischen Fußballers und Trainers, Bill Shankly, belegt: „Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich bin von dieser Einstellung sehr enttäuscht. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel wichtiger als das!“ 65 Was man vielleicht schnell als eine sehr bedenkliche Einstellung dem Sport gegenüber bagatellisieren will, hat jedoch bedauerlicherweise historische Anknüpfungspunkte. Tatsächlich

63 Abschnitte 2.2.1-2.2.3: Vgl. Eicher, Peter: Sport und Religion. Zu einem kritischen Verhältnis, in: Katechetische Blätter 106 / H. 9 (1981) 739-745. 64 Einen auf Eicher referierenden Ansatz wählte Leopold Neuhold in Bezug auf ethische und theologische Aspekte des Fußballs. Vgl.: Neuhold, Leopold: Fußball ist mehr!? Unfrisierte Gedanken zu ethischen und theologischen Aspekten des Fußballs, in: Sport-Magazin H. 5b (2008) 16-25. 65 Bill Shankly zitiert in: Brucker, Bernd (Hg.): Die besten Fußballersprüche, München: Bassermann 2005, 112. 22 spielen Kriege, spielt die Gewalt durchaus eine nicht unwesentliche Rolle in der Sportgeschichte. Beispiele hierfür wären etwa der sogenannte „Fußballkrieg“ zwischen Honduras und El Salvador, dessen Auslöser Ausschreitungen anlässlich eines Weltmeisterschaftsqualifikationsspiels der beiden Länder im Jahre 1969 waren, schlimme Gewaltexzesse in Stadien wie die tragische Heysel- Katastrophe im Jahre 1985 oder die Ermordung des kolumbianischen Fußballers Andres Escobar, der wegen eines für das Ausscheiden Kolumbiens bei der Fußball-WM 1994 entscheidenden Eigentors sein Leben lassen musste. Nicht immer jedoch kulminieren sportliche Niederlagen in solch schrecklichen und tragischen Ereignissen wie den oben genannten. Im Regelfall – und dieser lässt Ausnahmen von dieser Regel umso schlimmer erscheinen – ist der Umgang mit sportlichen Misserfolgen, mit einer „Pleite“ des eigenen Teams bei aller Tragik des Augenblicks ein friedvoller und folgenloser: „Sie schmerzt zwar, aber sie verwundet nicht.“ 66 Wesentliche Gründe, wieso der sportliche Kampf zum Glück zumeist nicht in einem kriegerischen mündet, sind zum einen das „geschützte Setting“ des sportlichen Wettkampfs, der innerhalb eines bestimmten, markierten „Schlachtfelds“ (und nicht darüber hinaus) vonstatten geht, und zum anderen die bedeutende Rolle der Schieds- / Ring- / Kampfrichter, die dafür sorgen, dass der sportliche Wett-“Kampf“ nicht ausartet, indem sich die SportlerInnen an die allgemeingültigen Regeln halten, die einer im Krieg inhärenten „freie[n] Aggression“ 67 vorbeugen sollen

2.2.2 Der Sport ist eine verschwenderische Arbeit In einem Definitionsversuch Georg Teichtweiers wird Sport folgendermaßen bestimmt: „Sport ist im Unterschied zur Arbeit jene nach entsprechenden Spielregeln sich vollziehende Körperbetätigung, die […] der Freude, der Regeneration der Kräfte, der Gesunderhaltung und Funktionstüchtigkeit des Leibes dient und die Menschen in Geselligkeit miteinander verbindet.“ 68 Mehrere wichtige Aspekte sind es, die in dieser Definition angesprochen werden. Besonders wichtig ist vor allem der Gesundheitsaspekt. Sport sollte im Idealfall zum physischen und psychischen Wohlbefinden beitragen, ein Umstand, der im (professionellen) Sport in Anbetracht der Doping- Problematik, der permanenten Verletzungsgefahr, wie sie sich dieser Tage vor allem im Schisport präsentiert, der steigenden Anzahl von Todesfällen oder auch der psychischen Belastungen, die bis zur Überforderung des einzelnen Athleten gehen können (Stichwort Robert Enke 69 ), schon einmal in Vergessenheit geraten kann. Interessant an dieser Definition ist auch die bewusste Betonung des „Unterschieds zur

66 Eicher, Sport und Religion, 741. 67 Ebd. 68 Georg Teichtweier zitiert in: Vgl. Türk, Sport und Liturgie, 283. 69 Der deutsche Nationaltorwart Robert Enke beging im November 2009 Suizid, womit die überaus wichtige Diskussion zum Thema „Depressionen im Spitzensport“ an die Öffentlichkeit kam. 23

Arbeit“, die ein wesentliches Momentum der Sportentwicklung der letzten dreißig Jahre ausklammert: die sogenannte Professionalisierung des Sports, die diesen der Welt der Wirtschaft und der Produktion vorstellte und quasi den „Arbeitsplatz Sport“ etablierte. Obwohl man auch vor dem endgültigen Durchbruch der Professionalisierung des Sports – ein diesbezüglich entscheidendes Ereignis ist der Olympia-Kongress in Baden-Baden 1981, der den bis dahin obligaten Amateurstatus bei Olympischen Spielen kippte – schon gut verdienen konnte und auch der Gedanke des Leistungsprinzips in der Welt des Sports kein unbekannter war, wurde diese Entwicklung seit den 1980-er Jahren noch einmal beschleunigt: SportlerInnen wurden zu beliebten Werbe-Testimonials internationaler Firmen, die sogenannte „Rekord-Jagd“ und das Lechzen nach neuen Superlativen zu Leitmotiven des modernen Spitzensports, die von der (Werbe-)Wirtschaft generös unterstützt werden, etwa durch Weltrekordprämien in der Leichtathletik. Geld spielt heutzutage anscheinend eine wichtige Rolle im Spitzensport, an sich nichts Schlimmes, möchte man meinen, solange es jedoch nicht zur alles bestimmenden Determinante mutiert und es den Menschen nicht zum bloßen Produktionsfaktor beziehungsweise zur Ware macht, wie es das Transferwesen im Fußballsport durchaus vermuten lässt. Noch aber schießt Geld, entgegen anders lautender Kommentare, zum Glück keine Tore. Noch führt, zumindest teilweise, das Unerwartete Regie, „im Sieg Davids gegen den übermächtigen Goliath, im Satz ‚Wenn’s laft, dann laft’s' als dem Ausdruck des letztlich nicht Machbaren.“ 70 Sport hat also auch ein verschwenderisches Moment, das nicht durch Geld einholbar ist. Ein weiterer Aspekt, wieso Sport als verschwenderische Arbeit tituliert ist, zeigt sich etwa auch an dem enormen Trainingspensum, das ein Sportler leisten muss, wenn er sich oft sogar mit Hilfe der Wissenschaft, die ihr Interesse am Sport im letzten Jahrhundert zunehmend entdeckt hat, um Hundertstel- oder gar Tausendstelsekunden beziehungsweise um den einen oder anderen Zentimeter verbessern will. Sofern der Sportler diese erzielten Leistungsverbesserungen in agreable Ergebnisse ummünzen kann, wird dieser verschwenderische Aspekt des Sports aber schnell wieder kalkulierbar, was auf Kosten dessen Spielcharakters geht. 71

2.2.3 Der Sport ist ein Spiel mit Regeln und eine Kunst ohne Kunstwerk Wir müssen immer gewinnen. Und wenn wir gewinnen, dann sind wir nicht zufrieden, weil wir ein Spektakel hätten zeigen müssen. Und wenn wir ein Spektakel zeigen, sind wir auch nicht zufrieden, weil wir sieben oder acht Tore hätten machen müssen. Und wenn wir das getan haben, dann heißt es: Der Gegner war schwach. 72 Mit diesen Worten beklagte der inzwischen aus dem Amt geschiedene brasilianische Fußball-

70 Neuhold, Fußball ist mehr, 20. 71 Vgl. ebd. 72 Carlos Dunga zitiert in: Zitate aus Südafrika, in: http://sport.orf.at/stories/2032423/2032420/ [abgerufen am10.02.2011]. 24

Nationaltrainer Carlos Dunga die hohe Erwartungshaltung der Fans bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika. Es geht nicht nur um das Gewinnen selbst, sondern auch um das „Wie“, eine Einstellung, die in Mitteleuropa eher fremd ist, wo es doch eher darum geht, die drei Punkte für den Sieg mitzunehmen, auf welche Art und Weise das auch immer geschehen mag. In dem eingangs erwähnten Zitat schwingt das Vergnügen am schönen Spiel mit. Spiele bereiten Freude, unterbrechen den Lebensalltag und offenbaren des Menschen Wesen. Selbiges kann und sollte auch für den Sport gelten. In seiner rekreativen Form unterbricht der Sport den Alltag, in beiden Formen (rekreativ / sportlich) kann er, wie auch in der Begriffsgeschichte zu zeigen versucht, Freude und Vergnügen bereiten beziehungsweise Raum für das Wesen des Menschen, für dessen Spontaneität lassen. Wo Raum für Spontaneität und die Entfaltung des menschlichen Wesens geschaffen ist, entsteht auch Platz für die Kunst. Auch der Fußball kann in seiner vollendeten Form wie auch die Malerei Kunst darstellen, zumindest wenn es nach der spanisch-argentinischen Fußball-Legende Alfredo di Stefano geht. 73 Betrachtet man das Ballgefühl von Fußballern wie Zinedine Zidane, Lionel Messi oder Pele, scheint diese Annahme, je nach persönlichem Kunstverständnis, nicht unberechtigt zu sein. In einigen Sportarten spielt die Ästhetik eine (mit-)entscheidende Rolle, wenn es um die Frage nach Sieg und Niederlage geht. Neben dem Eiskunstlauf, der sich ob seiner Ästhetik bei Olympischen Spielen stets großer Beliebtheit erfreut, gehören etwa auch diverse Snowboardbewerbe, das Wasserspringen, das Synchronschwimmen, das Kunstturnen oder zum Teil auch das Schi springen. Freilich sind die Kriterien, welche die Kampfrichter zur Beurteilung der künstlerischen Qualität der gezeigten sportlichen Leistungen zu Rate ziehen, nicht willkürlich zusammengestellt. Das Urteil der Wettkampfjuroren unterliegt, wie der Sport an sich, strikten Reglements. Diese Regeln sind in vielen Fällen international anerkannt und verhelfen dem jeweiligen Sport zu einer einheitlichen Form. Der Breiten- und Freizeitsport bildet da keine Ausnahme. Auch bei Fußballpartien im Freundes- und Bekanntenkreis werden Fouls geahndet und in der Regel auch auf einem markierten Feld mit zwei Toren gespielt. Ein zweckfreier und regelungebundener Sport scheint also kaum möglich zu sein. Innerhalb der Regeln gibt es jedoch, vor allem im Freizeitbereich, einen recht großen Handlungsspielraum, der auch Platz für künstlerische und ästhetische Momente bieten kann. Die vierte und letzte These Eichers spricht vom Sport als Kult ohne religiösen Sinn und soll eigens im letzten Abschnitt des Kapitels integriert werden, wo es um die Zusammenführung der beiden ausführlich vorgestellten Begriffe von Religion und Sport geht. Doch zuvor sollen noch

73 Vgl. Brucker, Fußballersprüche, 36. 25 einmal kurz die Erkenntnisse rund um den Sportbegriff zusammengetragen werden.

2.3 Sport – ein vielschichtiger Begriff Trotz seiner Vielschichtigkeit soll an dieser Stelle ein den Abschnitt resümierender Definitionsansatz gefunden werden, wohl wissend, dass dieser Ansatz der Komplexität und Universalität des Begriffs wohl nicht gerecht werden kann. Sport kann man definieren als eine Körperbetätigung, die vor allem in ihrer rekreativen Form regenerativ-spielerische, gesundheitsfördernde, soziale, ästhetische sowie kompetitiv- regelgebundene Funktionen haben kann, welche sich jedoch auch zu einer professionellen Form weiterentwickeln können.

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3 Der Sport mehr als ein Kult ohne religiösen Sinn? Oder: Sport und Religion – (K)eine Wechselbeziehung? In seiner vierten These setzt sich Peter Eicher, wie bereits erwähnt, mit einer möglichen religiösen Dimension des Sports auseinander. Für ihn ist der moderne Sport ein „Kult ohne religiösen Sinn“, der zwar wie der antike, kultorientierte Sport nach wie vor Gruppen bindet, aber jeden heiligen Sinn verloren hat, entzaubert und funktional durchschaut wurde: „[D]as Fußballfeld und das Schwimmstadion sind so profan wie die Autobahn und die Hochhäuser geworden.“ 74 Ähnlich argumentiert auch der mehrfache österreichische Olympia-Seelsorger Bernhard Maier, für den Sport im „engeren Sinn keine spirituelle Dimension [hat].“ 75 Eine andere Position nimmt hingegen der israelische Historiker Moshe Zimmermann ein, der die Bedeutung des Sports in der heutigen Gesellschaft jener der Religion in früheren Zeiten gleichsetzt und ihn sogar als eine Religion im 20. Jahrhundert tituliert. 76 Ein diesbezügliches Urteil zu bestätigen oder zu negieren, wäre an dieser Stelle, nach der gerade erst vollzogenen Einführung der Basisbegriffe Sport und Religion verfrüht, und soll erst am Ende der Arbeit gewagt werden. Zur Vorbereitung dessen und des Hauptkapitels gilt es aber, kurz auf die Relation der beiden Termini einzugehen.

3.1 Vom Sport für den Kult zum Kultsport bzw. zum Kult „Sport“?

3.1.1 Die Antike – Sport im Einsatz für die Religion Die Wurzeln des Sports ortet Christoph Hübenthal im Spiel, das auch im Tierreich bedeutsam ist und den Menschen bereits beschäftigte, noch ehe er sich vom Natur- zum Kulturwesen entwickelte. 77 Obwohl also schon in diesen „vorkulturellen“ Zeiten ausgeprägt, verhalf es den Menschen dazu, den Sprung darüber hinaus zu schaffen. Der Mensch begann allmählich, das Spiel als „Einbruch der Transzendenz in das alltägliche Leben […] als Unterbrechung der scheinbar endlosen Sorge ums Dasein […] an dem die Begegnung mit dem Numinosen möglich wird“ 78 , zu sehen. In weiterer Folge begann der Mensch, die Spiele kultisch-rituell zu überformen und zu reglementieren, äußerlich (Kalender ...) wie innerlich (Spielregeln). In besonderen Festen fand diese kultische Überformung ihren Höhepunkt. Eine diesbezügliche Sonderstellung haben wohl die Olympischen Spiele, die erstmals 776 vor Christus bezeugt, wohl aber schon früher veranstaltet

74 Eicher, Sport und Liturgie, 744. 75 Maier, Bernhard: Sport-Ethik-Religion. Eine kleine summa ethica athletica, Hollabrunn: MBC 2004 (= Schriftenreihe der Christlichen Sportakademie Österreichs 22), 80. 76 Vgl. Zimmermann, Moshe: Die Religion des 20. Jahrhunderts: Der Sport, in: Dipper / Christof / Klinkhammer, Lutz / Nützenadel, Alexander (Hg.): Europäische Sozialgeschichte. FS für Wolfgang Schieder, Berlin: Duncker und Humbolt 2000 (= Historische Forschungen 68), 331-350. 77 Vgl. Hübenthal, Christoph: Der menschliche und religiöse Sinn des Sports, in: Diakonia 36 / H. 4 (2005) 235-241, 235. 78 Ebd. 27 wurden. Neben der Funktion der Götterverehrung durch die Opferung der Fähigkeiten des menschlichen Leibes, entwickelte sich jedoch auch eine neue Sicht auf den Sport, als „Welt des agonalen und ganzheitlichen Spiels.“ 79 Freilich ließ sich diese Welt nicht von der Religion loslösen: „Die Entfaltung eines Lebensbereiches ohne die Hilfe der Religion ist für die Antike undenkbar.“ 80

3.1.2 Die Neuzeit – Sport als Ersatz der Religion? „Nicht das Christentum sei das beherrschende Religionssystem des euroamerikanischen Kulturkreises gewesen, sondern eine neue ‚Weltreligion‘ mit Namen ‚Sport'“ 81 - so titelte einst die Berliner Zeitschrift „Der Querschnitt“ im Jahre 1932. Diese, so heißt es weiter, habe die „alte christliche Religion fast völlig verdrängt.“ 82 Auch heute, knapp 80 Jahre später, wird diese These noch vertreten, ja sogar noch spezifiziert, denn nicht nur der Sport im Allgemeinen, sondern auch einzelne Sportarten, wie Rugby, Fußball oder American Football, bis hin zu einzelnen Vereinen – man denke etwa an die „Religion Rapid“ – werden mitunter als Religionen bezeichnet. Die Gründe für diesen Trend sind vielfältig und vor allem eine Folge der durch die Säkularisierung und der gleichzeitig stattfindenden „Tendenz zur Sakralisierung bisher unbekannter oder rein säkularer Strömungen“ 83 , die das Verschwinden der traditionellen religiösen Primärsysteme bei einem gleichbleibenden Bestehen religiöser Bedürfnisse zu kompensieren versuchen. Nachdem der Nationalismus als neue Primärinstanz mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Bedeutung verlor, übernahm unter anderem der Sport diese Funktion. Dabei ging es dem Sport nicht um eine Monopolisierung und Vereinnahmung des religiösen Marktes. Vielmehr präsentiert er sich laut Zimmermann als eine religiöse Alternative, als eine Verbindung zwischen Religion und Moderne, die sich „im Sinne des Synkretismus in die breite Palette der Religionen einordnet und das religiöse Element im Menschen mobilisiert.“ 84 Mit diesem quasi-religiösen Status wurden dem Sport jedoch auch neue Aufgaben, wie etwa die Erhaltung der Volksgesundheit, als Erziehungs-, Moral- beziehungsweise Charakterbildungsinstanz zugemutet, Aufgaben, für die nicht unbedingt der Sport, sondern andere Institutionen verantwortlich sein müssten, den Sport so durchaus vor Überforderungen stellt und ihn in dieser Position anfällig für Ideologien 85 und andere Vereinnahmungen macht. 86 Lässt sich der Sport nun tatsächlich als Religion unserer Zeit postulieren? Eine Antwort ist

79 Hörmann, Martin: Religion der Athleten, Stuttgart: Kreuz-Verlag 1968 (= Rote Reihe 22), 48. 80 Ebd. 81 Zitiert nach: Koch, Alois: Sport als säkulare Religion, in: Stimmen der Zeit 220 / H. 2 (2002) 90-102, 90. 82 Ebd. 83 Zimmermann, Die Religion, 339. 84 Ebd., 340. 85 Das Thema Sport und Ideologie ist Gegenstand eines Aufsatzes von Leopold Neuhold. Vgl. Neuhold, Leopold: Sport – Ideologie und Religion?, in: Jahn, Michael (Hg.): Verdammt zum Siegen!? Was ist Sport wert? Sportethische Gedanken, Purkersdorf: Hollinek 2010, 145-172. 86 Vgl. Koch, Sport als säkulare Religion, 96. 28 sicherlich davon abhängig, wie man Religion definiert. Geht man von dem in dieser Arbeit festgelegten Präzisierungsversuch 87 aus, wird man sowohl auf Pro- als auch auf Kontra-Argumente stoßen, wie sie in weiterer Folge noch detailliert angesprochen werden sollen. Um allerdings bereits jetzt eine vage Vorstellung dessen geben zu können, was später ausführlich thematisiert wird, soll in aller Kürze auf etwaige Entsprechungen von Sport und Religion verwiesen werden.

3.2 (Quasi-)religiöse Elemente im Sport Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika im vergangenen Sommer wird uns nicht nur aufgrund der für europäische Fan-Ohren eher ungewöhnlichen, aber stimmungsvollen Geräuschkulisse der sogenannten Vuvuzelas oder aufgrund der mehr oder weniger berauschenden Qualität der 64 Spiele in Erinnerung bleiben. Neben diesen Punkten ist es vor allem die aufs Neue evident gewordene Erkenntnis, mit welchen Emotionen der Fußball gelebt wird, sei es bei den Fans, sei es bei den Spielern. Wer selbst schon Fußballspiele besucht hat, kennt wahrscheinlich die eigene, ansteckende Atmosphäre eines Fußballstadions, die durchaus fast liturgische Ausmaße annehmen kann. Beispiele für eine Analogie zwischen dem Fußball und Elementen der Liturgie gibt es zuhauf, etwa bei den Fangesängen 88 (= Chorälen), die teilweise sogar direkt aus dem kirchlichen Liedgut entnommen werden 89 , bei der Präsentation der Aufstellungen (=Allerheiligenlitanei) oder beim Einlaufen der Teams mit ihrem liturgischen Gewand (= liturgischer Einzug). Auch wenn solch ein Zugang vielleicht für manche(n) befremdlich wirken mag, sind solche Parallelisierungen, von denen hier nur ein kleiner Bruchteil erwähnt wurde, zumindest nicht ganz abwegig und religionsphänomenologisch gerechtfertigt. Auch hat sich das religiöse Begriffsinventar in den allgemeinen und journalistischen Sportsprachduktus eingefügt. Da wird schon einmal der „Handball-Gott“ angefleht, die Wiederauferstehung eines schon gescheitert geglaubten Sportlers / Sportlerin gefeiert oder als Fan in das „St. Hanappi“ oder in die „Kathedrale zu Wembley“ gepilgert. Neben diesem quasi-liturgischen Zugang, der natürlich nicht nur im Fußball, sondern ebenfalls im amerikanischen Sport (= Abspielen der Hymne vor dem Sportevent, Halbzeitshow beim Superbowl) oder im Tennis (= der „heilige Rasen“ in Wimbledon) zu finden ist, kann ein religiöses Empfinden auch im Freizeit- und semi-professionellen Sport eine Rolle spielen. In diesen Bereichen ist der

87 Religion kann als ein vielschichtiges Geflecht aus Erlebnissen, teilweise sehr intensiv erlebten Ritualen und Ordnungen verstanden werden, das als ein Instrument zur Identitätsstiftung, zur sozialen Integration, zur Handlungsführung und Orientierung, zur Beantwortung von Sinnfragen und Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt fungiert, jedoch mit ihrem Bezug auf etwas transzendent „Heiliges“ auch darüber hinaus weist. – Vgl. Seite 13. 88 Das Wort Fan hat eine religiöse Konnotation – Das zugrundeliegende lateinische Wort „fanum“ heißt übersetzt Heiligtum, Kirche, Tempel ... 89 Auch Gebete wie das Vater Unser werden für sportliche Zwecke und Anliegen adaptiert z.B. das sogenannte Schalke Unser. 29

Sport durchaus von einem ekstatischen Moment geprägt, einem „Heraustreten aus dem Profanen und als Hineingleiten in das umfassend Numinose und Göttliche“ 90 , wie es sich in den Sektoren des Erlebnis- oder des Extremsports zeigt. Ziel der darin vertretenen Sportarten, zu denen etwa das Paragleiten, der Bergsport, der Triathlon, aber auch der Marathon gezählt werden dürfen, ist das Spiel mit den eigenen Grenzen und deren Überwindung, das Suchen und Finden des sogenannten „Kicks“, die Sehnsucht nach dem Erlebnis der Selbsttranszendenz. Dieser im Faust'schen Sinne gesprochene Wunsch nach dem schönen Augenblick, der doch verweilen möge, ist jedoch nicht ungefährlich, kann doch etwa beim Laufen längerer Distanzen durch die Produktion körpereigener Endorphine ein Suchtsyndrom entstehen, das beim Absetzen der „Droge Laufen“ zu Entzugserscheinungen führen kann. 91 Auf diese Weise erweist sich der Sport, so der deutsche Theologe Alois Koch, als das „neue 'Opium des Volkes.'“ 92 Auch wenn es zwischen Religion und dem Sport scheinbar unleugbare Parallelen gibt, ist Vorsicht geboten: Nicht jede Analogie zwischen den beiden Bereichen ist „als automatischer Hinweis auf eine wirkliche Identität im Wesen oder eine reale Entsprechung der Inhalte oder Funktionen zu verstehen“ 93 , sodass es aus diesen Erkenntnissen noch verfrüht wäre, eine „Sportreligion“ zu propagieren. Inwiefern solche Stimmen jedoch berechtigt sein könnten, soll im Rahmen der Arbeit noch ausgiebig thematisiert werden. Bevor aber der Sport als Religion in den Mittelpunkt des Interesses rückt, soll auch das Verhältnis offizieller Religionen zum Sport kurz angesprochen werden, wobei es in unserem Fall um die konkrete Relation von Christentum und Sport gehen soll.

3.3 Der Sport und das Christentum – verpönt oder versöhnt? Wenn christliche Auffassungen wie die von der Leiblichkeit des Menschen, der Menschwerdung Gottes, der Befreiung des Menschen und der Entfaltung seiner Anlagen ernst genommen werden wollen, kann die Religion nicht am Sport vorbeigehen. Beide – Sport und Religion – haben einander viel zu sagen. 94 Diese doch sehr positive Sichtweise zum Thema Religion und Sport spiegelt sich in der Geschichte des Christentums lange Zeit nicht unbedingt wider. Peter Eicher spricht in seinem bereits zitierten Artikel zum Verhältnis von Sport und Religion von einem „fast zweitausendjährigen Kampf der Christen gegen den Sportkult“ 95 , einem Kampf, der bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert im Konflikt jüdischer Kräfte gegen die Einflüsse des Griechentums grundgelegt war und auch im

90 Koch, Sport als säkulare Religion, 97. 91 Vgl. ebd., 98. 92 Ebd. 93 Zimmermann, Die Religion, 337. 94 Jakobi, Paul: Sport und Religion. Zum Verständnis dieses Buches, in: Jakobi, Paul / Rösch, Heinz-Egon: Sport und Religion, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1986 (= Topos Taschenbücher 164) (=Schriftenreihe Christliche Perspektiven im Sport 8), 9-24, 9. 95 Eicher, Sport und Religion, 741. 30

Zweiten Makkabäerbuch Niederschlag fand. (Vgl. 2 Makk 4,9-17). Im Zweiten Testament wird der Sport ebenfalls thematisiert. So heißt es etwa im Ersten Korintherbrief: „Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam, jene tun dies, um ein vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.“ (1 Kor 9,24f.). Auch an anderen Stellen wie etwa in Phil 3,14.17 oder in 2 Tim 4, 7f. wird der Sport beziehungsweise der Wettkampf thematisiert. Doch Paulus und den Kirchenvätern, die sich später des Themas annahmen, ging es nicht um eine Hommage an die Athleten und die Leiblichkeit. Die Faszination geht eher vom asketischen Moment, den ein Sportler in sich trägt, aus, die Entbehrungen, die in Kauf genommen werden, um den, in ihrem Fall vergänglichen, Siegespreis davonzutragen. Für Christen hieße das analog, sich den Regeln des Evangeliums zu stellen, was ihnen aber mehr einbringt als den Sportlern, einen unvergänglichen Siegespreis, oder kurz: das ewige Leben. Der Sport wird somit zu einer Art Lebensschule, ein Bild für den Ernstfall. 96 An der Skepsis dem Leib gegenüber änderte sich lange Zeit relativ wenig, so wird etwa auch im deutschen Erwachsenenkatechismus vor einer Überschätzung des Leiblich-Körperlichen und der „Leibvergötzung“ gewarnt, zugleich aber auch das Problem der „Leibverachtung“ beanstandet. 97 Letzteres lässt schlussendlich doch auf eine Aussöhnung beziehungsweise auf eine Harmonisierung zwischen dem lange unterbewerteten Leib und der Seele hoffen, wie sie auch in anderen katholischen Dokumenten und Erklärungen zum Sport konkretisiert ist. Erwähnung findet der Sport etwa in Gaudium et spes, der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, laut welcher „der Sport mit seinen Veranstaltungen […] zum physischen Gleichgewicht des Einzelnen und der Gesellschaft sowie zur Anknüpfung brüderlicher Beziehungen zwischen Menschen aller Lebensverhältnisse, Nationen oder Rassen beiträgt“ 98 (GS 61). Neben weiteren Stellungnahmen von Johannes XIII. und Paul VI. ist in diesem Zusammenhang Johannes Paul II. zu nennen. In einer Rede im Olympiastadion in Rom aus dem Jahre 1984 betonte der „Sport-Papst“, der in seiner Jugend auch als Fußball-Tormann tätig war, den Beitrag des Sports zur „Würdigung des Leibes“, zur Förderung des Dialogs und der gegenseitigen Öffnung oder auch seine Rolle „zum Aufbau einer Kultur der Liebe.“ 99 Geht es nach dem Kardinal Jose Saraiva Martins, sollte der Papst nach seiner Selig- beziehungsweise in weiterer Folge Heiligsprechung zum Schutzpatron der SportlerInnen werden, da er die „tiefe Bedeutung des Sports“ begriffen hätte und dessen „menschlichen und

96 Vgl. ebd., 740. 97 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz (Hg.): Katholischer Erwachsenenkatechismus. 2. Leben aus dem Glauben, Freiburg im Br. / Wien: Herder 1995, 275. 98 Die Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, in: Rahner /Karl / Vorgrimler, Herbert: Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanum, Freiburg im Br.: Herder 29 2002, 423-552, 514. 99 Jakobi, Sport und Religion, 16. 31 christlichen Aspekt“ 100 repräsentiere. Auch von Papst Benedikt XVI. sind Aussagen zum Sport beziehungsweise zum Thema Doping im Sport überliefert. Zudem kündigte der Papstberater und Sportwissenschaftler Norbert Müller im Januar 2010 eine päpstliche Erklärung zum Sport an, die „fast im Stil einer Enzyklika“ 101 erscheinen sollte, bis jetzt allerdings noch nicht erschienen ist. Von möglichen religiösen Erfahrungen im Sport wurde in der Arbeit schon berichtet. Ein Aspekt betrifft neben den oben dargestellten Zugängen auch die konkrete Seelsorge bei sportlichen Großveranstaltungen, wie sie in Österreich von Bernhard Maier betrieben wird, der die nationalen Abordnungen seit 1984 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften begleitet. Die Nachfrage nach religiösen Angeboten divergiert dabei: „Die Partizipation der Sportler hängt vielfach von der entsprechenden Möglichkeit ab, die das Olympische Spiele ausrichtende Land bietet.“ 102 Ein weiteres Moment, das Maier anspricht, sind Wallfahrten, die Mannschaften nach einem erfolgreichen Abschneiden oder zu Beginn einer neuen Saison durchführen. Prinzipiell sind Spitzensportler, so Maier, „religiös sehr offen und ansprechbar“ 103 , ein Umstand, der sich auch am Platz verdeutlicht, wenngleich diese Gesten oft mehr rituellen als tatsächlich religiösen Charakter haben mögen, wie es beim Bekreuzigen bei Betreten des Spielfelds oft den Anschein hat. Ein explizit religiöser Charakter lässt sich eher beim Torjubel feststellen, wo nicht selten T-Shirts mit religiösen Botschaften wie „Jesus loves you“ etc. in die TV-Kameras gehalten werden, eine Aktion, die bei der FIFA, dem internationalen Fußballverband, auf keine Gegenliebe stößt, ja sogar einen zu sanktionierenden Regelbruch darstellt, wie in den aktuell gültigen FIFA-Spielregeln nachzulesen ist:

Spieler dürfen keine Unterwäsche mit Slogans oder Werbeaufschriften zur Schau tragen. Die vorgeschriebene Grundausrüstung darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Botschaften aufweisen. Ein Spieler, der sein Hemd oder sein Trikot hochzieht, um Slogans oder Werbeaufschriften zur Schau zu tragen, wird vom Ausrichter des betreffenden Wettbewerbs mit einer Strafe belegt. Das Team des Spielers, dessen vorgeschriebene Grundausrüstung politische, religiöse oder persönliche Botschaften aufweist, wird vom Ausrichter des betreffenden Bewerbs oder der FIFA bestraft. 104 Begründet wird diese Maßnahme vonseiten der FIFA mit „Respekt vor anderen Glaubensrichtungen, die sich durch religiöse Botschaften jeglicher Art provoziert fühlen

100 Johannes Paul II. soll Schutzpatron der Sportler werden, in: http://diepresse.com/home/panorama/religion/531427/Johannes-Paul-II-soll-Schutzpatron-der-Sportler-werden [abgerufen am 07.02.2011]. 101 Eder, Michael: „Hochleistungssport als Religionsersatz ist ein Problem“, in: http://www.faz.net/s/Rub906784803A9943C4A3399622FC846D0D/Doc~EC4CDC1B8980F44F9A8F0E0E251560 56F~ATpl~Ecommon~Scontent.html [abgerufen am 07.02.2011]. 102 Maier, Bernhard: Olympia- und Spitzensport. Philosophisch-theologische Reflexion und Dokumentation der österreichischen Spitzensportseelsorge von 1972-1993, Wien: Verlag Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs (VWGÖ) 1993 (= Reihe der christlichen Sportakademie Österreichs 14), 357. 103 Maier, Sport-Ethik-Religion, 101. 104 Fédération Internationale de Football Association (Hg.): Spielregeln 2010/2011, in: http://de.fifa.com/mm/document/affederation/generic/81/42/36/lawsofthegame_2010_11_d.pdf [abgerufen am 06.02.2011]. [Hervorhebung: AT]. 32 könnten“ 105 , wie Andreas Herren, Pressesprecher des Internationalen Fußballverbandes, erklärte Dass die FIFA diesbezüglich nicht zu scherzen beliebt, sondern diese Regel durchaus ernst nimmt, musste kürzlich erst der brasilianische Fußballverband erkennen, wurde er doch ob des Gebets einiger Nationalspieler auf dem Spielfeld beim Konföderationspokal 2009 in Südafrika vom Fußballverband gescholten. 106 Obwohl die FIFA beteuert, nichts gegen die Religion zu haben, sie jedoch als Privatsache ansieht, mehren sich die Stimmen, welche dem Verband Kalkül vorwerfen, stellen doch die offiziellen Religionen eine große Gefahr für die FIFA und ihre „Fußballreligion“ dar. Ähnliches gilt auch für das IOC und die Bewegung des sogenannten Olympismus, die durchaus nicht selten als Religion bezeichnet wurde. Ob dieser Titel berechtigt ist, wird nun ab dem nächsten Kapitel in das Zentrum der Arbeit gestellt. Dass solche Überlegungen nicht sofort von der Hand zu weisen sind, wurde in den „Begrifflichen Voraussetzungen“ zu verdeutlichen versucht.

105 Prüller Michael: Das Kreuz mit der FIFA. Ist für Religion Platz im Profifußball? Und was ist intoleranter: ein Kreuzzeichen oder jemand, den das aufregt? ,in: http://diepresse.com/home/meinung/cultureclash/615885/Das- Kreuz-mit-der-Fifa [abgerufen am 06.02.2011]. 106 Vgl. ebd. 33

II. Der Olympismus und sein Anspruch, eine Religion zu sein Nachdem im ersten Kapitel der Arbeit die Begriffe Religion und Sport geklärt und eine erste Liaison der beiden Termini versucht wurde, gilt es nun im nächsten Schritt, näher auf die Olympischen Spiele sowie auf die olympische Bewegung einzugehen, die, wie bereits erwähnt, auch mit Religion in Verbindung gebracht wurden und werden. Dass dies in Bezug auf die Olympischen Spiele der Antike geschieht, ist an sich hinlänglich bekannt, dass aber auch die Olympischen Spiele der Neuzeit eine religiöse Konnotation aufweisen könnten, die darüber hinaus sogar explizit gemacht wurde, wahrscheinlich weniger. Wie diese Explikation aussieht, soll im Zentrum des Kapitels stehen, zuvor werden in einem ersten Teil die Olympischen Spiele der Antike thematisiert und in einem zweiten Teil kurz auf die Reprise der Olympischen Spiele der Neuzeit eingegangen und ihrem Aufstieg zum wohl größten Sportereignis weltweit nachgespürt.

1 Die Olympischen Spiele der Antike

1.1 Der geschichtliche Rahmen und die wichtigsten Überlieferungen

1.1.1 Die Überlieferungen Die Olympischen Spiele – benannt nach ihrem Austragungsort Olympia im Königreich Elis auf der Halbinsel Peloponnes – wurden erstmals 776 vor Christus ausgetragen – zumindest wenn es nach den ersten schriftlichen Aufzeichnungen durch Iphitos von Elis die Spiele betreffend geht. 107 Ein gewisser Koriobus wird als Sieger des Stadionlaufs – des damals einzigen Bewerbs – genannt 108 und steht am Anfang der sogenannten Siegerlisten, in denen die Gewinner der Spiele von Anbeginn der Aufzeichnungen angeführt werden. 109 Die Siegerlisten zählen wohl zu den wichtigsten Überlieferungen der Olympischen Spiele der Antike. Der erste, der sich um die Bearbeitung solcher Listen kümmerte, war Hippias von Elis, ein berühmter Sophist, Zeitgenosse Sokrates' und Universalgelehrter, dessen Liste aber, wenn es nach Plutarch geht, jeglicher Stützung durch zwingende Zeugnisse entbehrt. 110 Auch andere Gelehrte wie etwa Aristoteles, Eratosthenes von Kyrene, Phlegon von Tralles oder Sextus Iulius Africanus 111 widmeten sich der Redigierung olympischer Siegerlisten, von denen allerdings nur jene des Africanus sowie eine im 19. Jahrhundert gefundene Liste erhalten blieb. Die Anzahl der

107 Vgl. Buhmann, Horst: Der sakrale Charakter der antiken Olympischen Spiele, in: Jakobi, Paul / Rösch, Heinz-Egon (Hg.): Sport und Religion, Mainz: Mathias-Grüewald-Verlag 1986 (= Topos Taschenbücher 164) (= Schriftenreihe Christliche Perspektiven im Sport 8), 25-33, 28. 108 Vgl. Bengston, Hermann: Die Olympischen Spiele in der Antike, Zürich / Stuttgart: Artemis 2 1972 (= Lebendige Antike), 57. 109 Vgl. ebd., 13. 110 Vgl. ebd., 21. 111 Vgl. ebd., 21-24. 34 durch solche Listen erfassten Olympiasieger ist daher relativ gering: „Wenn man jedoch festgestellt hat, daß von den insgesamt 4237 möglichen olympischen Siegern […] nur 921 Sieger namentlich bekannt sind, so ergibt sich, daß nur ungefähr 22 % aller olympischen Siegernamen überliefert sind – alle übrigen Namen sind verweht und vergessen.“ 112 Ein weiterer wichtiger Informant über die olympischen Spiele der Antike ist der griechische Dichter Pausanias. Der 115 nach Christus in Magnesia in der römischen Provinz Asia geborene Pausanias führt im zehn Bücher umfassenden Werk „Periegesis Hellados“ durch Griechenland, wobei er in den Büchern V und VI die Landschaft sowie die Stadt Elis und Olympia beschreibt und auf diese Weise auch öfters auf die Olympischen Spiele referiert. 113

1.1.2 Die Anfänge der Spiele und ihre Bedeutung Die oben genannte Datierung der Erstaustragung der Olympischen Spiele gilt zumindest als umstritten, wie etwa in einem Beitrag Wolfgang Burkerts konstatiert wird: „Der Beginn der Siegerliste im Jahr 776 ist wohl mehr ein Zufall, der mit der Einführung der griechischen Schrift zusammenhängt.“ 114 Tatsächlich spricht jedoch viel dafür, den Beginn der Spiele früher anzusetzen. Ihre Wurzeln reichen bereits in die mykenische Zeit, also noch vor 1100 vor Christus, zurück, als sie als Feier zu Ehren des Zeus abgehalten wurden. Als mythologische Gründungsfiguren der Spiele gelten, je nach Präferenz, Herakles, der die Maße des Stadions sowie des heiligen Hains zu Olympia bestimmte, beziehungsweise Pelops, nachdem die Halbinsel Peloponnes benannt ist, auf der Olympia liegt. Die Abhaltung der Spiele basierte auf dem persönlichen Wunsch Zeus', der in Olympia seinen Vater Kronos und die Titanen besiegt hatte 115 , wie in der griechischen Mythologie berichtet wird. Mit diesem wesentlichen Zeus-Bezug waren die Spiele in Olympia wohl die bedeutendsten, jedoch nicht die einzigen überregionalen „Agone“, wie diese Veranstaltungen auch genannt wurden. Panhellenische Pendants zu den Spielen in Olympia waren jene in Delphi, in Korinth und in Nemea, wobei die Spiele von Olympia stets die wichtigsten geblieben sind. Auch andere Städte Griechenlands – wie zum Beispiel Athen mit den vom Tyrannen Peisistratos initiierten Panathenäischen Spielen – trugen solche Agone aus, die an die Bedeutung der vier sogenannten „heiligen Spiele“ jedoch nicht herankamen, obwohl es – im Gegensatz zu diesen – Preisgelder gab. Ein wesentlicher Indikator für die überragende Bedeutung der vier Veranstaltungen in Olympia, Delphi, Isthmos und Nemea zeigt sich in der Tatsache, dass sie niemals parallel angesetzt waren,

112 Ebd., 25. 113 Eine ausführliche Beschreibung zum Dichter und dessen Methodik: Vgl. Günther, Rosmarie: Olympia. Kult und Spiele in der Antike, Darmstadt: Primus-Verlag 2004, 12. 114 Burkert, Walter: Das Opferritual in Olympia, in: Gebauer, Gunter (Hg.): Olympische Spiele – die andere Utopie der Moderne. Olympia zwischen Kult und Droge, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996 (= edition suhrkamp 1993), 27-38, 28. 115 Vgl. Buhmann, Der sakrale Charakter, 25. 35 um den Sportlern den Antritt an allen Veranstaltungen zu garantieren. Neben den prestigeträchtigen Siegeskränzen, die den Sportlern in ihrer Heimat Ruhm, Ehre und Reichtum bescherten, wurde derjenige, der den Sieg bei allen vier Veranstaltungen davontrug, also überspitzt formuliert den „antiken Grand-Slam“ 116 erreichte, mit dem Ehrentitel des Periodonike bedacht. 117 Die Bewerbe, für deren Sieg all diese Honorierungen entgegengebracht wurden , waren dabei recht unterschiedlich: Während sich die Olympischen Spiele ausschließlich auf die Athletik kaprizierten, gab es bei den anderen drei Spielen auch musische Wettkämpfe aus den Bereichen der Musik, des Gesangs sowie des Theaters, deren Gewinn wohl den Höhepunkt einer damaligen Musiker- oder Künstlerkarriere darstellte. 118

1.1.3 Der olympische Rahmen und die einzelnen Wettkämpfe Seit Beginn der Aufzeichnungen, der, wie bereits erwähnt, 776 vor Christus anzusetzen ist, werden die Spiele in der Regel alle vier Jahre begangen und bilden den Abschluss der sogenannten Olympiaden, wie der Zeitraum zwischen den Spielen und nicht – wie heute fälschlicherweise oft gebräuchlich – die Spiele selbst bezeichnet werden. Der Vier-Jahres-Zyklus gründet im babylonischen „Oktaeteris“, einem achtjährigen Schaltjahreszyklus. 119 Stattgefunden hat das olympische Fest zumeist zwischen Juni und September, also im Hochsommer, wobei das genaue Durchführungsdatum von der Zeit des Vollmondes abhing. Bezüglich des Zeitrahmens wurden die Spiele in der archaischen Zeit, also bis zum 6. Jahrhundert, innerhalb eines Tages durchgeführt, ehe sie im fünften vorchristlichen Jahrhundert aufgrund der wachsenden Popularität und der durch die Perserkriege entstandene Internationalität auf fünf Tage ausgeweitet wurden. Eingebettet in die Feierlichkeiten zu Ehren Zeus' könnten die ausgeweiteten Olympischen Spiele folgendes Aussehen gehabt haben:120

116 Der Begriff des Grand-Slam wird im modernen Sport vor allem mit den im gleichen Jahr erlangten Siegen bei den Major-Tennisturnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York assoziiert. 117 Günther, Olympia, 29. 118 Veyne, Paul: Was faszinierte die Griechen an den Olympischen Spielen?, in: Gebauer, Gunther (Hg.): Olympische Spiele – die andere Utopie der Moderne. Olympia zwischen Kult und Droge, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996 (= edition suhrkamp 1993), 39-61, 40. 119 Bengston, Die Olympischen Spiele, 32. 120 Vgl. Günther, Olympia, 39f. 36

Tag 1 • Prozession von Elis nach Olympia mit den Wettkämpfern, den 10 Kampfrichtern und weiteren Honorationen. Darbringung eines Opfers • Eid der Wettkämpfer und Trainer vor der Statue des Zeus Horkios • Einteilung der Wettkämpfer und Pferde in Altersklassen resp. Paare • Agon der Trompeter und Herolde Tag 2 ••• Agone der Jugendlichen Tag 3 ••• Alle hippischen Agone ••• in der Nacht das jährliche Opfer für Pelops Tag 4 • Hekatombe der gastgebenden Eller für Zeus • Festmahl im Prytaneion (der zweite Vollmond nach der Sommersonnenwende) Tag 5 ••• Laufbewerbe (Stadion, Diaulos, Dolichos) ••• Kampfsportarten (Ringkampf, Boxen, Pankration) ••• Waffenlauf ••• Siegesfeiern durch die Nacht und wohl bis in den nächsten Tag hinein

Für die Organisation der Spiele zeichneten sich ab der 77. Olympiade die sogenannten Hellanodiken verantwortlich, deren Zahl von ursprünglich zwei auf zehn (von Anbeginn des dritten vorchristlichen Jahrhunderts an) ausgeweitet wurde. Das Amt des sogenannten „Griechenrichters“ galt lediglich für eine Festspielperiode 121 und unterlag einer strengen Vorbereitung: Zehn Monate lang wurden sie von den Nomophylakes von Elis über das Reglement der Spiele instruiert. Zusätzlich unterzogen sie sich Reinigungsriten, hatten einen Amtseid zu leisten und „trugen ein Purpurgewand.“ 122 Die lange Vorbereitung kam nicht von ungefähr, waren die Hellanodiken im Umkreis der Spiele doch mit einem großen Aufgabenpool konfrontiert: Sie entsandten einerseits Boten in die griechische Welt, die zu den Spielen einluden und die „Ekecheiria“ – den sogenannten Gottesfrieden – verkündeten, der eine reibungslose An- und Abreise zu den Spielen sowie eine friedvolle Durchführung der Spiele selbst garantieren sollte, und kümmerten sich andererseits um die Betreuung der Athleten, sowohl im Vorfeld der Spiele als auch bei den Bewerben selbst. So planten sie etwa die Ankunft der Athleten nach dem vorgeschriebenen einmonatigen „Trainingslager“ in Elis, prüften die für die Startberechtigung obligate griechische Herkunft und die entsprechende Fitness der Athleten und sorgten auch für die Einhaltung des sportlichen Reglements vor Ort, wobei Verstöße von ihnen auch entsprechend sanktioniert wurden. 123 Was die ausgetragenen Bewerbe in Olympia betrifft, war das Programm lange Zeit nicht so ausgewogen, wie die oben eingefügte Tabelle vermuten lässt: Zunächst konzentrierte sich das sportliche Geschehen für einige Zeit ausschließlich auf den Stadionlauf, der über eine Distanz von

121 Vgl. ebd., 42. 122 Buhmann, Der sakrale Charakter, 29. 123 Vgl. Günther, Olympia, 40-42. 37 einer Stadionrunde – in Olympia waren dies 192,28 Meter – ging. Der Stadionlauf galt definitiv als die „Königsdisziplin“ des alten Olympias, wie sich vor allem durch die Überlieferung verifizieren lässt, wurden doch die einzelnen Olympiaden nach den Gewinnern des Stadionlaufs benannt. 124 Erst in der 18. Olympiade und nach der Einführung zweier weiterer Laufbewerbe – dem Doppellauf (zwei Stadionrunden) und dem Langlauf (in Olympia 20 Stadionrunden, also einer Distanz von 3,85 Kilometern entsprechend) – erfolgte die Eingliederung zweier nicht läuferischer Bewerbe: das Ringen sowie der Pentathlon. Das Ringen gehörte zu den beliebtesten Disziplinen der Griechen und war auch konstitutiver Bestandteil der paramilitärischen Ausbildung. 125 Der Sport an sich präsentierte sich für die Athleten als recht gefährlich, war doch das Reglement recht leger angelegt. 126 Auch die heutige Einteilung in Gewichtsklassen war damals unbekannt, weswegen es häufig zu ungleichen Duellen zweier mit unterschiedlichen physischen Voraussetzungen auskommenden Athleten kommen konnte. Der Ringkampf zählte gemeinsam mit dem Diskus- und dem Speerwurf, dem Weitsprung sowie dem Laufen zum Bewerbsinventar des Fünfkampfs. Über die zeitliche Anordnung der Einzeldisziplinen wurde und wird intensiv diskutiert, Günther spricht von einer wahrscheinlichen Reihenfolge Diskuswurf, Weitsprung, Speerwurf, Lauf und Ringkampf, da so die Belastungen von Armen und Beinen eine „sinnvolle Abwechslung“ 127 erfahren. Kontrovers ist auch die Frage der Siegerermittlung: Günther präferiert dabei das Modell des sogenannten „dreifachen relativen Siegs“. 128 Wer in drei Disziplinen dem selben Gegner unterlag, konnte in weiterer Folge zu den beiden abschließenden Bewerben (dem Lauf und dem Ringkampf) nicht mehr antreten, die, sofern ein Sportler die drei zuvor stattgefundenen Bewerbe für sich entscheiden konnte, wahrscheinlich gar nicht mehr ausgetragen wurden. Mit einer weiteren Innovation fünf Olympiaden später erhielten die Spiele eine ihrer brutalsten, zugleich aber auch eine der beliebtesten Disziplinen bekommen – den Faustkampf. Gekämpft wurde dabei so lange, bis einer der Kontrahenten die Hand zur Aufgabe hob, oder bis zur Kampfunfähigkeit. Pausen waren keine vorgesehen. Faust – und Ringkampf vereinigten sich später zum sogenannten Pankration, für Philostrat der „schönste aller olympischen Wettkämpfe“ 129 , der aber das Gefahrenpotential beider Wettkämpfe miteinander kombinierte. Erlaubt war de facto alles – Kratzen und Beißen ausgenommen. Eine Neuerung gab es 680 vor Christus. Nachdem die Olympischen Spiele bis dato von athletischen und gymnastischen Bewerben dominiert wurden, begann mit diesem Jahr die sogenannte „hippische Ära“. Als erster Bewerb wurde das Viergespann-Rennen ausgetragen, ehe

124 Vgl. Bengston, Die Olympischen Spiele, 36. 125 Vgl. Günther, Olympia, 32. 126 Vgl. ebd. 127 Ebd., 34. 128 Ebd., 35. 129 Bengston, Die Olympischen Spiele, 51. 38 seit der 33. Olympiade auch das Pferderennen in das Programm aufgenommen wurde. Die Wagenrennen stellten den „Höhepunkt des ganzen olympischen Festes“ 130 dar und wurden ob ihrer Gefährlichkeit auch von den Dichtern sehr geschätzt. Den Ruhm gab es jedoch nicht für die Lenker, sondern für die Besitzer der Pferde, sodass bei diesem Bewerb nicht die sportliche Leistung, sondern die finanzielle Triebkraft im Mittelpunkt stand. Der einzige Lenker, der für seine Leistung mit dem Ölzweig prämiert wurde beziehungsweise sich prämieren ließ, war Kaiser Nero. Wurden die Spiele auf seinem Wunsch bereits um zwei Jahre verschoben (von 65 auf 67 nach Christus), brachte er es in unfairer Manier und im zum Teil neu eingeführten Bewerben zu insgesamt sechs Olympiasiegen, wobei er bei einem Bewerb trotz eines Sturzes vom Wagen zum Sieger erklärt wurde. Nicht umsonst wird dieses Auftreten Neros auch als „barer Hohn auf die olympische Idee bezeichnet.“ 131 Mit dem sogenannten Waffenlauf, der ab 520 vor Christus ausgetragen wurde, war der klassische Bewerbskanon der Olympischen Spiele abgeschlossen, wenngleich zu den Kerndisziplinen noch weitere spezifizierende Wettkämpfe hinzugefügt wurden. Betrachtet man die oben angeführte Liste des Ablaufs der Spiele, sind noch zwei Ergänzungen zum bisher Gesagten zu machen: Am ersten Tag der Spiele fand mit dem Agon für Trompeter und Herolde (etwa ab 396 vor Christus) ein für uns vielleicht kurios anmutender Bewerb statt, der noch dazu im Widerspruch zu der bereits getätigten Behauptung steht, wonach es in Olympia grundsätzlich keine musischen Bewerbe gegeben hätte. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Wettbewerb jedoch nicht um einen musischen Wettstreit wie bei jenen, die etwa in Delphi ausgetragen wurden, ging es doch „lediglich darum, den lautesten Trompeter und den wohlklingendsten Herold für die Ankündigungen herauszufinden.“ 132 Eine zweite noch nicht angesprochene Auffälligkeit bei der Betrachtung des olympischen Ablaufs sind die sogenannten „Agone der Jugend“, die für Knaben unter 18 Jahren in den Olympiaden zwischen 632 und 616 vor Christus auf besonderem Wunsch der Eleer ins Programm aufgenommen wurden. 133 Während es sogar für Knaben Bewerbe gab, waren die Partizipationsmöglichkeiten für Frauen bei den Spielen mehr als eingeschränkt. Die Teilnahme von Frauen an den Spielen – egal ob als Aktive oder als Zuschauerin – war grundsätzlich bei Todesstrafe verboten, ein Verbot, das nach Ludwig Drees kultische Ursachen hat. 134

130 Ebd., 54. 131 Ebd., 88. 132 Günther, Olympia, 39. – Lediglich für die „Nero-Spiele“ 67 nach Christus wird mit dem Tabu gebrochen und Bewerbe der Tragöden und Kitharöden ausgetragen, aus welchen Nero persönlich als Sieger hervortrat (Vgl. Bengston, Die Olympischen Spiele, 88.) Auch bei den Olympischen Spielen der Neuzeit standen bei den ersten Spielen Kunstbewerbe auf dem Wettkampfprogramm. 133 Vgl. Günther, Olympia, 38. 134 Vgl. Drees, Ludwig: Der Ursprung der Olympischen Spiele, Schorndorf: Hofmann 2 1974 (= Beiträge zur Lehre und Forschung der Leibeserzeihung 13), 120f. 39

Ausgenommen von dieser Regel waren Jungfrauen sowie die Priesterin der Demeter Chamyne, denen das Zuschauen gestattet war. Die Rolle der Frau in Olympia konzentriert sich vor allem auf die Phase vor und nach den Spielen. Im Vorfeld versammelten sich die Frauen im Gymnasion zu Ehren des Achilleus, im Nachhinein kam es zur Durchführung der sogenannten „Heraia“, eines eigenen Sportfests zu Ehren Heras, deren Tempel in Olympia schon eher entstand als jener des Zeus. 135 Einziger Bewerb des Fests, das von einem sechzehnköpfigen Gremium organisiert wurde, war ein um 1/6 gekürzter Stadionlauf, der grundsätzlich von Jungfrauen quasi als Initiationsritus gelaufen wurde. 136 Rund um den Lauf waren einige kultische Handlungen und Prozessionen organisiert. Die Heraia versteht sich trotz ihres eigenen Profils und des eigenen Ursprungs als „Dank der Hippodameia an Hera für die Hochzeit mit Pelops“ 137 nicht als kultische Gegenveranstaltung zu den Spielen in Olympia, sondern sollte, vor allem nach der Übernahme durch Zeus, als Ergänzung dienen, eine Ergänzung, die ab dem Jahr 472 vor Christus, nach der Übernahme durch die eleischen Reformen, stetig in den Hintergrund rückte, 138 ein Schicksal, das auch den Spielen in Olympia blühen sollte. Vorläufig war man dort davon jedoch noch weit entfernt, im Gegenteil, erreichten die Olympischen Spiele mit dem Beginn des fünften vorchristlichen Jahrhunderts doch ihren Höhepunkt. Hauptverantwortlich hierfür war die Zeit der griechischen Hochblüte, die mit dem Sieg über die Perser eingeleitet wurde. Die bildende Kunst und die Dichtung florierten, die Anzahl an prächtigen Bauten und Heiligtümern in den griechischen Städten stieg unermesslich, ebenso wie die Anzahl an Weihegeschenken für die Götter, die man dem Apollon in Delphi oder dem Zeus in Olympia darbrachte. 139 Diese Situation hatte auch große Auswirkungen auf die Olympischen Spiele, die zu dieser Zeit eine neue Dimension erreichten, vor allem, was die Zahl der Teilnehmer betraf. Dieser Anstieg machte auch die bereits thematisierte Ausweitung der Spiele von einem auf fünf Tage notwendig. Dieser zeitliche Rahmen sollte bis zum Ende der Spiele im Jahre 393 nicht mehr unterschritten werden, selbst in Zeiten, als einiges vom früheren Glanz bereits verloren gegangen war.

1.1.4 Der sukzessive Abstieg der Spiele und ihr (vorläufiges) Ende Mit dem Ende des Peloponnesischen Kriegs 404 vor Christus endete auch das Zeitalter des klassischen, von Athen geprägten Griechenlands. Das frühe vierte vorchristliche Jahrhundert war zunächst von den vergeblichen griechischen Hegemoniebildungen, zugleich aber auch durch einen Bedeutungsverlust Griechenlands bestimmt, der aus dem Aufstieg Makedoniens und der

135 Vgl. Burkert, Das Opferritual, 37. 136 Vgl. Günther, Olympia, 85. 137 Ebd., 81. 138 Vgl. ebd., 86. 139 Vgl. ebd., 69. 40

Verlagerung des politischen Schwerpunkts nach Asien resultierte. 140 Auch die Spiele blieben von diesen Entwicklungen nicht unberührt. Zwar waren sie sowohl von Seiten der Teilnehmer als auch der Zuschauer noch immer stark frequentiert, „aber der große Glanz, von dem das olympische Hochfest noch in der Mitte des 5. Jahrhunderts umgeben war, ist erloschen.“ 141 Auch ein erster berichteter Fall von Korruption kam in dieser Zeit auf: Ein thessalischer Faustkämpfer namens Eupolis soll 388 vor Christus auf dem Weg zum Olympiasieg drei Kontrahenten bestochen haben, ein Vergehen, das aber nicht ungeahndet blieb. Durch die dafür verhängten Strafgelder konnten sechs sogenannte „Zanes“ – also Zeusstatuen – errichtet werden, wobei auf der Basis der Statuen mahnende Worte angebracht wurden. 142 Korruptionsfälle sind auch aus der hellenistischen Zeit überliefert, in der es zunächst zu einem Wiederaufstieg der Agonistik gekommen ist. Mitverantwortlich hierfür sind wohl auch die in dieser Zeit entstandenen griechischen Territorialreiche, für die Olympiasiege zu einer Frage des Prestiges und der Stärkung des Eigenprofils werden. Ferner wurde zu dieser Zeit der Professionalismus der Athleten gefördert 143 , eine Tendenz, die sich während der römischen Kaiserzeit (ab 30 vor Christus) noch verstärken sollte. Freilich war Griechenland und damit Olympia bereits seit 146 vor Christus römische Provinz, was sich auch auf das Teilnehmerfeld der Spiele auswirkte. Waren die Olympischen Spiele bis dahin ausschließlich eine griechische Agenda, wurden die Spiele durch die Römer nun auch für Nicht-Griechen geöffnet. 144 Für Olympia und die Spiele kündigten sich schwere Zeiten an, waren sie doch zum Spielball der römischen Tyrannen geworden. 80 vor Christus verlegte der römische Diktator Sulla die Spiele nach Rom – „ein tiefer Eingriff in die griechische Tradition“ 145 – und beraubte Olympia einiger seiner wichtigsten Heiligtümer. Auch die schon geschilderte Beziehung Neros zu den olympischen Spielen fiel unter diese Kategorie. Nach einem Wiedererstarken der „gymnastischen Idee“ in der severischen Zeit (193-235 nach Christus) begann ab dem dritten nachchristlichen Jahrhundert der endgültige Abstieg der Olympischen Spiele. Nicht unbeteiligt daran war das aufkommende Christentum, dessen wichtige Repräsentanten gegen die Spiele polemisierten. Nach dem Mailänder Edikt 313, welches das Christentum zu einer akzeptierten Religion im römischen Reich machte, war es allen voran Theodosius I, der sich für das Ende der Olympischen Spiele verantwortlich zeigte. Kurz nach den letzten Spielen im Jahre 393 verbot der Kaiser die weitere Abhaltung der ehemaligen heiligen Spiele, deren kultisches Moment jedoch schon längst an Bedeutung verloren hatte. Mit der

140 Vgl. Bengston, Die Olympischen Spiele, 80. 141 Ebd. 142 Vgl. Günther, Olympia, 100. 143 Vgl. Bengston, Die Olympischen Spiele, 83f. 144 Vgl. Buhmann, Der sakrale Charakter, 32. 145 Bengston, Die Olympischen Spiele, 86. 41

Zerstörung der olympischen Tempel im Jahre 426 war das Schicksal der Spiele endgültig und auch symbolisch besiegelt. Dass es sich dabei jedoch nur um ein vorläufiges Ende handelte, sollte erst knappe 1500 Jahre später bekannt werden.

1.2 Der olympische Kult Dass es bei den Olympischen Spielen der Antike nicht nur um den Sport ging, sondern dieser in kultische Feierlichkeiten eingebettet war, wurde wohl spätestens mit der Auflistung des Ablaufs der Spiele deutlich. Neben den sportlichen Bewerben, die teilweise auch kultischen Ursprung haben, standen auch Prozessionen oder Opfer an der Tagesordnung. Offen blieb bis dato jedoch das „Warum“, der Grund für diese olympische Symbiose von Kult und Religion, und wie sich diese konkret vollzieht – zwei Fragestellungen, die im Rahmen des folgenden Abschnitts geklärt werden sollen.

1.2.1 Der kultische Ursprung Olympias Olympia kann auf eine sehr lange und vielgestaltige Kultgeschichte zurückblicken: Bereits im dritten vorchristlichen Jahrtausend gab es einen Muttergottheiten verehrenden Kult. Neben Eileithya und Hera wurde auch Ge, die Göttin der Urpotenz, die Uranos (den Himmel) und Pontos (das Meer) hervorgebracht hat 146 , angebetet. Mit dem nicht mehr erhaltenen Gaion war ihr auch ein Heiligtum geweiht, das nahe einer Erdspalte lag, welcher als diviner Ursprung gedeutete Dämpfe entstiegen, die Berufene zur Verkündigung eines Orakels befähigten. Diese Orakelstätte, die später an den Altar des Zeus verlegt wurde, mutierte später zu einer der bedeutendsten Griechenlands, wobei es sich möglicherweise auf Weissagungen in Kriegsangelegenheiten spezialisierte. 147 Mit Anbruch der mykenischen Zeit rückt die Verehrung des Pelops und der Hippodameia in den Vordergrund, die zusammen mit dem göttlichen Paar Herakles-Demeter mit dem Ursprung der Olympischen Spiele verbunden sind. Beide Kulte sind nicht originär in Olympia beheimatet, sondern stammen aus der Argolis (Pelops-Hippodameia) beziehungsweise aus Kreta (Herakles- Demeter). 148 Neben den neuen Elementen der Eroberer wurden auch Aspekte der alten Religion übernommen, so wurde der Gott „Dios“ der Frühgriechen auf den männlichen Partner der Urgöttin übertragen und mit lobenden Beinamen wie Pelops („der die Fülle erzeugt“) versehen. 149 Der Kult des Pelops wurde in Olympia mit Gewalt eingeführt, wie auch der Mythos rund um Pelops und Oinomaos, dem König von Pisa (= Olympia), berichtet. Nachdem Pelops den König bei einem Wagenrennen besiegte, wobei Oinomaos sein Leben lassen musste, nahm er sich neben dessen

146 Vgl. Günther, Olympia, 22. 147 Vgl. ebd. 148 Vgl. Drees, Der Ursprung, 16. 149 Vgl. ebd., 25. 42

Thron auch die Hand Hippodameias, der Tochter Oinomaos'. 150 Die Spiele selbst begründete Pelops angeblich durch die Sühnefeier für Myrtiols 151 , der für ihn den Wagen des Königs manipulierte, nach einem Annäherungsversuch an Hippodameia jedoch getötet wurde. Der Mythos rund um Pelops und Oinomaos hat, wenn es nach Drees geht, zwei wesentliche Aufgaben: So soll er „nicht nur die Kultherrschaft des Pelops begründen, sondern wohl auch erklären, warum in Olympia der Kult des Dionysos-Oinomaos nach dem Siege des Pelops nicht mehr gestattet war.“ 152 Ab der Jahrtausendwende erfuhr die Verehrung des Zeus einen regen Aufschwung, eine Entwicklung, die auch mit der Geburt der hellenistischen Gesellschaft in Verbindung steht, „deren geistige Welt die von Homer verkündete olympische Religion werden sollte.“ 153 Auch der Charakter der Spiele sollte sich in dieser Zeit ändern: Wurden sie lange als Hochzeits- und Leichenspiele der Fruchtbarkeitsreligion veranstaltet, wandelten sie sich „in Kampfspiele zu Ehren des unsterblichen Zeus Olympios.“ 154 Etymologisch lässt sich Zeus von der indogermanischen Namenswurzel di / dieu (= leuchten, hell sein) ableiten, was sich etwa auch in seinen Beizeichen des Blitzbündels widerspiegelt, das wie der Donnerkeil, der Adler, das Szepter oder die heilige Lanze zu den gängigsten Zeus-Symbolen gehört. Olympios lässt sich ursprünglich als Berg, der Ortsname Olympia wohl als „Kultstätte des Zeus Olympios“ übersetzen. Freilich brauchte es, wie wir gesehen haben, einige Zeit und einige Auseinandersetzungen, ehe sich der Zeus-Kult in Olympia und im Heiligtum, der sogenannten Altis, durchsetzte. Wie er sich dort manifestierte – sowohl materiell als auch rituell – soll in weiterer Folge ausgeführt werden.

1.2.2 Die Altis Die sogenannte Altis, der heilige Bezirk in Olympia, „bildete [...]gewissermaßen einen hochheiligen Rahmen für die Olympischen Festspiele.“ 155 Gemäß dem schon erwähnten Pausanias konstituiert sich die Altis unter anderem aus drei großen Tempeln, 70 Altären und 12 Schatzhäusern. Ob des beachtlichen und in dieser Arbeit nicht zu fassenden Umfangs sollen an dieser Stelle lediglich drei repräsentative Stätten kurz angesprochen werden: der Zeusaltar, der Zeustempel und das Pelopion.

1.2.2.1 Der Zeusaltar 156 Der große Aschenaltar des Zeus bildete bis zuletzt den kultischen Mittelpunkt in Olympia, ehe er 426 nach Christus als heidnisches Symbol zerstört wurde. Vorbilder hatte der Altar im Donauraum

150 Vgl. ebd., 30. 151 Vgl. Günther, Olympia, 26. 152 Drees, Der Ursprung, 30. 153 Ebd., 93. 154 Ebd. 155 Buhmann, Der sakrale Charakter, 27. 156 Abschnitt: Vgl. Günther, Olympia, 58-61. 43 beziehungsweise im Alpengebiet, wo solche Stätten bereits ab dem 13. vorchristlichen Jahrhundert überliefert sind. Über die Bauzeit und den Standort ist wenig bekannt. Informationen dazu lassen sich lediglich anhand der Schriften des Pausanias eruieren. Demnach sei der Altar zwischen dem Pelopion und dem Hera-Tempel lokalisiert gewesen und wurde je nach Tradition (elisch oder dorisch) als von den mythischen Königen beziehungsweise von Herakles errichtet angesehen. Der Altar maß insgesamt 6,60 Meter und setzt sich aus der Prothysis, dem Unterbau, bis zu dem auch Frauen zugelassen waren, und einem Aschenkegel zusammen, der sich aus der Asche der verbrannten Opfertiere und aus Alpheiowasser 157 ergab und immer weiter wuchs. Von der Prothysis führten Stufen auf die Spitze des Altars. Neben der Hekatombe 158 am vierten Tag des olympischen Fests, gab es auch außerhalb der Festzeiten Versammlungen von Privatopfern und tägliche Opfer der Eleer. Weiters wurde auf dem Altar auch das olympische Orakel befragt.

1.2.2.2 Der Zeustempel 159 Der Zeustempel zu Olympia wurde erst im fünften vorchristlichen Jahrhundert mithilfe von Geldern aus der Kriegsbeute gegen Pisa und andere Nachbarstädte von Libon erbaut. Das Monument galt mit einer Länge von 64 Metern, einer Breite von 28 Metern sowie einer Höhe von 20 Metern als größter Tempel der Peloponnes. Die Außengiebel zeigen wichtige Szenen der (olympischen) Mythologie, zum einen den Kampf der Lapithen gegen die Kentauren (Westen), zum anderen das uns bereits bekannte Thema rund um die Wettfahrt von Pelops und Oinomaos (Osten). Zusätzlich verkündet am Ostgiebel eine vergoldete Nike den Triumph Elis' gegen Pisa. Innen folgt das Gebäude der damals gängigen Dreiteilung in Vorraum (Pronaos) – Cella – rückwärtiger Raum (Opisthodom), wobei wohl die Cella von besonderer Bedeutung ist. Der wesentlichste Grund hierfür ist wohl die sich in diesem Raum befindliche Zeus-Statue des Atheners Phidias, des „bedeutendsten Bildhauer[s] des Altertums.“ 160 Die Pracht der Statue, die auch zu den sieben Weltwundern der Antike gehörte, dürfte unvorstellbar gewesen sein, wenn man den Kommentaren von bedeutenden Philosophen und Dichtern Glauben schenken darf. So spricht Cicero von der Statue als „'das Vollkommenste, was man in dieser Art sieht'“ 161 , der Redner Dion Chrysostomos vom Gefühl „'daß jeder, der das Denkmal betrachtet, alles Leid im Leben vergessen muß'“ 162 , oder Epiktetos vom Unglück, „wenn ein Mensch stirbt, ohne es gesehen zu haben.'“ 163

157 „[…] alljährlich aber warten die Opferpriester den 19. des Monats Elaphios ab und holen dann die Asche aus dem Prytaneion; nachdem sie sie mit dem Wasser des Alpheios gemischt haben, tünchen sie damit den Altar. Mit einem anderen Wasser möchte es untunlich sein, aus der Asche Tünche zu machen, und aus diesem Grund, so meint man, sei der Alpheios dem olympischen Zeus unter allen Flüssen der liebste. […]“ – Pausanias zitiert in: Ebd., 59. 158 Die sogenannte Hekatombe bezeichnet die Opferung von 100 Stieren. 159 Abschnitt: Vgl. ebd., 44-56. 160 Buhmann, Der sakrale Charakter, 26. 161 Cicero zitiert in: Günther, Olympia, 50. 162 Dion Chrysostomos zitiert in: Buhmann, Der sakrale Charakter, 26. 163 Epiktetos zitiert in: Ebd. 44

Phidias hatte bereits in Athen die Statue der Athena Parthenos auf der Akropolis gefertigt und kam ab 437 vor Christus nach Olympia. Für die Erstellung der Statue wurde nicht an Material gespart: Verwendet wurden etwa Elfenbein, Gold, Bronze, Halbedelsteine, allerlei Farbstoffe oder auch Bernstein. Über das Schicksal des Monuments kann nur spekuliert werden. Es könnte ähnlich wie der Zeusaltar von christlichen Eiferern zerstört worden, oder nach Konstantinopel gebracht worden sein, um dort ebenfalls vernichtet zu werden.

1.2.2.3 Das Pelopion 164 Neben den Zeus geweihten Heiligtümern zählte auch das sogenannte Pelopion zu den wichtigsten Schauplätzen des olympischen Kults. Ein Signal für seine Bedeutung ist seine besondere Stellung als gesonderter Kultbezirk innerhalb des heiligen Bezirks, der Altis. Das unregelmäßige, fünfeckige, von einer aus dem fünften Jahrhundert stammenden Mauer umgebene Pelopion diente der Verehrung des Pelops 165 und stellte dessen Grabmal dar, wobei es sich kurioserweise um ein „Leergrab“ handelt, wie Stichgrabungen ergaben. 166 Wo sich die Überreste Pelops’ befanden, blieb unklar: „Die Knochen des Pelops, hieß es, seien in einer Lade unweit des Heiligtums der Artemis Kordax aufbewahrt, ein übergroßes Schulterblatt aber wurde gesondert aufgehoben und vorgezeigt – Pausanias freilich fand es nicht mehr vor.“ 167 Wie die Diskussion über sein Grab vermuten lässt, wurde Pelops nicht als Gott, sondern als sterblicher Halbgott verehrt, der von Zeus aus seiner Position als olympischer Lokalgott gehievt wurde. Die Beziehung zwischen Zeus und Pelops war durchaus von Konkurrenz geprägt, so galt es auch am Vorabend der Zeus-Spiele Pelops durch ein Opfer zu besänftigen, ein Opfer, das in weiterer Folge noch thematisiert wird.

1.2.2.4 Exkurs: Das Stadion 168 „Zeusaltar, Stadion und Pelops-Bezirk sind die kultischen Zentren des Olympischen Heiligtums“ 169 , so die Einschätzung Walter Burkerts, die eine kurze Beschäftigung mit dem olympischen Stadion legitimiert, wobei es sich eher um olympische Stadien handelt, wurden doch innerhalb der mehr als tausendjährigen Geschichte der Olympischen Spiele drei Stadien benötigt. Über das allererste Stadion ist wenig bekannt, es könnte sich aber ganz im Heiligtum am Standort des Zeustempels befunden haben. Das Stadion I wurde Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts erbaut und war zur Altis offen, sodass die Sportler auf die Altis-Wiese zuliefen. Ab

164 Abschnitt Vgl. Günther, Olympia, 56-58. 165 Gemäß neuen archäologischen Befunden wurde an selber Stelle ein prähistorischer Kultplatz aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend gefunden, wer dort allerdings verehrt wurde bleibt ungewiss. Vgl. Günther, Olympia, 57. 166 Vgl. Drees, Der Ursprung, 68. 167 Burkert, Das Opferritual, 33. 168 Abschnitt: Vgl. Günther, Olympia, 143-146. 169 Burkert, Das Opferritual, 29. 45

Mitte des fünften Jahrhunderts erfolgte die Errichtung des Stadions II. Neben der Anlegung von Wasserrinnen und –schächten zur Trockenheitserhaltung der Laufbahn wurden alte Weihgaben, die man nicht mehr benötigte, in neuen Aufschüttungen entsorgt, welche dann später gefunden wurden und dem heutigen Olympia zu einer wertvollen antiken Waffensammlung verhalfen. Auch zu dieser Zeit war das Stadion noch mit dem Heiligtum in Berührung, so endete „der Wettlauf in der Altis, was seinen kultischen Charakter erweist.“ 170 Das Stadion III, das Mitte des vierten vorchristlichen Jahrhunderts errichtet wurde, existiert noch heute. Erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts vor Christus musste die Anlage renoviert werden. Das Stadion III, von welchem man in Ausgrabungen des 20. Jahrhunderts auch eine Kampfrichtertribüne gefunden hatte, befindet sich zur Gänze außerhalb des heiligen Bezirks und widerspiegelt somit „die zunehmende Säkularisierung, die Verweltlichung der Olympischen Spiele“, „die sich schon früher, seit dem ausgehenden 5. Jahrhundert v. Chr. abzeichnete.“ 171 In unmittelbarem Anschluss zum Stadion stand auch die sogenannte Echohalle. Dabei handelt es sich um eine im vierten vorchristlichen Jahrhundert entstandene Säulenhalle, die eine reine Länge von knapp 96 Metern aufwies. Den Namen hatte sie gemäß Pausanias, „weil der Schall siebenmal und mehr zurückkam.“ 172 Den Aktiven diente sie beziehungsweise ihr Hof als Vorbereitungsraum für die Wettkämpfe, wo man die Kleider ablegen oder sich massieren lassen konnte. Das Stadion fasste immerhin 40.000 Zuschauer und war zumindest bis ins fünfte nachchristliche Jahrhundert in Betrieb. In weiterer Folge wurde es durch Erdbeben und Überschwemmungen vollkommen zugeschüttet, ehe es 1961 in ursprünglicher Form wiederhergestellt und der Öffentlichkeit übergeben wurde. 173

1.2.3 Kultische Facetten des antiken olympischen Fests An dieser Stelle soll noch auf die wichtigsten Rituale des olympischen Programms eingegangen werden, ehe ab dem nächsten Abschnitt der Fokus auf die Olympischen Spiele der Neuzeit gerichtet werden soll.

1.2.3.1 Der olympische Eid Der olympische Eid wurde am ersten Tag der Spiele am Altar und an der furchterregend anmutenden Statue des Zeus Horiskos, des Zeus, „'der über die Eide wacht'“, geschworen. 174 Über einen geopferten Eber schworen die Athleten, aber auch die Hellanodiken, „daß sie sich keinerlei

170 Drees, Der Ursprung, 59. 171 Bengston, Die Olympischen Spiele, 11. 172 Zitiert nach: Günther, Olympia, 146. 173 Drees, Der Ursprung, 8. 174 Vgl. Buhmann, Der sakrale Charakter, 29. 46

Vergehen gegen die olympischen Wettkampfregeln zuschulden kommen lassen wollen“ sowie die Wettkämpfer zusätzlich, „daß sie sich zehn Monate ohne Unterbrechung sorgfältigsten Übungen unterzogen hätten.“ 175 Die Hellanodiken verpflichteten sich hingegen dazu, „dass sie ihr Urteil nach Recht und ohne Geschenke fällen und alles, was sich auf die Zulassung und Einteilung der Kämpfer bezieht, geheim halten.“ 176 Die Konsequenzen für die Nicht-Einhaltung des Reglements waren unterschiedlicher Natur und reichten von Auspeitschungen bis zum Ausschluss von den Spielen oder Geldbußen. Eine Aberkennung eines schon erlangten Sieges gab es jedoch nicht, „denn dieser war von Zeus gegeben worden.“ 177

1.2.3.2 Die olympischen Opfer Zwei Opferrituale sind es, die den Ablauf der Olympischen Spiele wesentlich mitbestimmen. In der Nacht des dritten Tages wurde – quasi als Voropfer – jenes für Pelops begangen, am folgenden Tag die sogenannte Hekatombe für Zeus. Bereits an der Ansetzung der beiden Rituale erkennt man die schon angesprochene Polarität zwischen dem Heros Pelops und dem Gott Zeus. Pelops bildet sozusagen die „Antithese zum Gott des Tageslichts“ 178 , zu Zeus, ein Umstand der sich auch an anderen Dingen festmachen lässt: Während der Eingang des Pelops-Bezirks im Westen liegt, befindet sich der Zugang zum Zeus-Altar im Osten. Fließt für Pelops Blut in die Opfergrube, wächst der Zeusaltar stetig nach oben. Als Opfertier für Pelops fungierte, wie durch den Pelops-Oinomaos-Mythos legitimiert, ein schwarzer Widder. Zeus hingegen wird der Stier geopfert, im Rahmen des olympischen Festes sogar eine Hektombe, also 100 Stiere der Eleer. Geht es nach Pausanias, war eine aktive Teilnahme am Pelops-Opfer, das auch den Verzehr des Opfertiers inkludierte, nicht mit der Teilnahme am Zeus- Opfer vereinbar. Weder darf er dessen Bezirk betreten noch dem Zeusaltar zu nahe kommen. 179 Auch über den dortigen Ablauf berichtet Pausanias: Die Opfertiere wurden am Prothysis, dem unteren Teil des Altars, geschlachtet und deren Schenkel zur Spitze hinaufgetragen, wo sie dann verbrannt wurden. „Der aufsteigende Rauch war das Göttermahl“ 180 , während der Rest des Tieres zum Verzehr der Opfernden freigegeben wurde. Während die Offiziellen und bis dahin fastenden Athleten ein Festmahl im Prytaneion hielten, versammelten sich die übrigen Teilnehmer auf der Festwiese, um dort bis in die Nacht hinein zu feiern, ehe am nächsten Tag die Lauf-Agone stattfanden. Der offizielle Teil des Zeus-Opfers hatte allerdings bis zur Mittagsstunde abgeschlossen

175 Beide Zitate: Ebd., 30. 176 Günther, Olympia, 98. 177 Ebd., 99. 178 Burkert, Das Opferritual, 30f. 179 Vgl. ebd., 32. 180 Günther, Olympia, 61. 47 zu sein, „da die olympischen Götter Taggötter waren.“ 181 Als spannend präsentiert sich in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Agone, speziell des Stadion-Wettlaufs, der, so Burkert, allein „sakrale Funktion“ 182 hat. „Der Lauf“, so heißt es etwas später, „markiert den Übergang vom Blut zum reinigenden Feuer, von der Todesbegegnung zum Vollgefühl des Überlebens“ und ist „Teil der Opferhandlung zwischen Pelopion und Zeusaltar.“ 183

1.2.3.3 Die Siegerehrung Mit der Siegerehrung und den darauffolgenden Siegesfeiern fanden die Olympischen Spiele ihren Abschluss. Für die Sieger gab es Zweige vom sogenannten Kallostephanos-Baum, einen Ölbaum, der an der Westfront des Zeustempels stand. 184 Im Gegensatz zu den heutigen Spielen, in welchen auch die zweit- und drittplatzierten Athleten mit Medaillen ausgezeichnet werden, galt der Zweite in der Antike bereits als der erste Verlierer: „[B]ei jedem Wettkampf gab es (außer bei Unentschieden) einen, und nur einen, Sieger; man war der Erste oder gar nichts.“ 185 Die Zweige für den Siegeskranz selbst wurden von einem elischen Knaben mithilfe eines goldenen Messers abgeschnitten, und der Kranz wurde von den Hellanodiken oder auch vom siegreichen Herold im Zeustempel überreicht. Dieser hatte für die Hieroniken, die Sieger der heiligen Spiele, nicht nur einen hohen Prestigewert, sondern als „Kranz des Zeus“ auch eine schützende und segnende Funktion. 186 Nach der Prämierung erfolgte eine Prozession durch den Heiligen Hain, bei welcher den Göttern mit Opfern gehuldigt wurde und Lieder wie der Herakles-Hymnus „ténella kallínike“ gesungen wurden, ehe die Spiele mit einem Fest im Prytaneion, am Altar der Herdfeuergöttin Hestia, beendet wurden. 187 Nachdem in diesem Abschnitt versucht wurde, die zweifellos bestehende kultische Dimension der Olympischen Spiele der Antike evident zu machen, sollen in weiterer Folge die Olympischen Spiele der Neuzeit diesbezüglich untersucht werden, ein Unterfangen, das recht schwierig anmutet, dank der Aussagen und Ideen von olympischen Protagonisten wie Baron de Coubertin, Carl Diem oder Avery Brundage aber zumindest nicht aussichtslos erscheint.

181 Ebd., 62. 182 Burkert, Das Opferritual, 28. 183 Ebd., 31. 184 Vgl. Buhmann, Der sakrale Charakter, 30. 185 Veyne, Was faszinierte, 40. 186 Vgl. Buhmann, Der sakrale Charakter, 30. 187 Vgl. ebd. 48

2 Die Olympischen Spiele der Neuzeit

2.1 Die Entwicklung der Olympischen Spiele von 1896-2010

2.1.1 Aller Anfang ist schwer – Die Olympischen Spiele vor dem Zweiten Weltkrieg Es war der 8. August 2008, als im Nationalstadion zu Peking – im Volksmund liebevoll (?) Vogelnest genannt – die 29. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit eröffnet wurden. Mehr als 11.000 Athleten aus 204 Nationen 188 nahmen an den 302 Medaillenentscheidungen aus 33 verschiedenen Sportarten teil, die von mehreren Milliarden Menschen weltweit via TV und mithilfe anderer Medien mitverfolgt wurden und sie so zusammen mit den Fußball-Weltmeisterschaften zu der größten Sportveranstaltung weltweit machten. 112 Jahre zuvor, am Beginn der neuzeitlichen olympischen Ära, konnte man freilich noch nicht erahnen, welche Dimensionen die Olympischen Spiele einmal erreichen würden. Am Ostermontag des Jahres 1896 wurden in Athen durch den griechischen König Georg I. die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnet, und so wurde die olympische Idee aus ihrem mehr als 1500-jährigen Dornröschen-Schlaf aufgeweckt. Wichtigster Wegbereiter war der Franzose, Baron Pierre de Coubertin, der den Sport als „geeignetes Mittel geistiger und körperlicher Erziehung“ 189 propagierte und dessen Verbreitung forcierte. 1893 kam es dann im Rahmen eines Internationalen Athletik-Kongresses in Paris zur Gründung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und wenig später zur Vergabe der ersten Olympischen Spiele an Athen, eine Entscheidung, welche gegen den Willen de Coubertins, „der gerne mit Paris 1900 den Anfang gemacht hätte“ 190 , durchgesetzt wurde. Die Wahl Athens schien aber nicht abwegig, hatte man doch mit Georg Averoff einen potenten Geldgeber auf seiner Seite, der den Stadionbau großzügig subventionierte. Weiters war man in der Ausrichtung von sportlichen Wettkämpfen nicht unerfahren, wurden doch bereits 1859 erstmals Olympische Spiele in Athen ausgetragen, die allerdings lediglich einen nationalen Rahmen aufwiesen. 191 Selbiges könnte man bösartig auch den Athener Spielen 1896 unterstellen, waren doch von den rund 300 teilnehmenden, ausschließlich männlichen, Sportlern 230 aus Griechenland und lediglich 70 aus den 12 zusätzlich partizipierenden Nationen, wobei gerüchteweise sogar

188 Mit insgesamt 205 Nationalen Olympischen Komitees hat das IOC mehr Mitglieder als die UNO (=192 Staaten). Den größten internationalen Sportverband stellt jedoch die FIFA mit 209 Mitgliedern. Vgl. Growth in United Nations membership, 1945-present, in: http://www.un.org/en/members/growth.shtml [abgerufen am 19.02.2011]., 205 National Olympic Commitees, in: http://www.olympic.org/national-olympic-committees [abgerufen am 19.02.2011]., Mitgliedsverbände, in: http://de.fifa.com/aboutfifa/federation/associations.html [abgerufen am 19.02.2011]. 189 Anders, Heinrich/ Friedrichsen, Frank: Die Spiele 1896-1992. Die Höhepunkte der Olympischen Spiele bis heute, Hamburg: S&L MedienContor 1996, 9. 190 Bausinger, Hermann: Athen-Atlanta-Athen, in: Digel, Helmut: Nachdenken über Olympia. Über Sinn und Zukunft der Olympischen Spiele, Tübingen: Attempto-Verlag 2004 (= Sport in der heutigen Zeit 3), 31-39, 35. 191 Vgl. Anders, Die Spiele, 9. 49

Botschaftsangestellte und zufällig anwesende Athen-Touristen zu einer gesteigerten Internationalität der Bewerbe beigetragen haben sollen. 192 Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten fand das „Projekt Olympia“ – auch angesichts der durchaus beachtlichen Zuschauerzahl von insgesamt 750.000 Menschen und dem großen Widerhall der internationalen Sportfamilie – vier Jahre später in Paris seine Fortsetzung. Ähnlich wie bei den Spielen 1904 in St. Louis (USA) wurden jene in Paris im Rahmen der Weltausstellung ausgetragen, eine Entwicklung, die dem Sport und der olympischen Idee nicht gut tat. Neben der sehr langen Dauer von 162 Tagen, der schlechten Information – viele SportlerInnen wussten nicht einmal, dass sie an den Olympischen Spielen teilnahmen – und der ob der Ermangelung eines Stadions resultierenden Dezentralisation der Spiele, die auf Kosten des Publikums gingen, avancierten die Spiele von Paris – Coubertins Herzstück – zu einem „Fiasko.“ 193 Mit den vom IOC stiefmütterlich behandelten „Zwischenspielen“ von Athen rückte 1906 das Sportliche wieder in den Vordergrund. Die griechische Hauptstadt zeigte vor, „wie ein Sportereignis von Weltgeltung auszusehen hat.“ 194 Mit den Spielen in Stockholm 1912 „ist die olympische Bewegung endgültig ihren Kinderschuhen entwachsen.“195 Gründe hierfür waren die hervorragende Organisation des Gastgebers sowie die Begeisterung des schwedischen Publikums, das sportliche Leistung objektiv und fair honorierte. Für diese gab es, wie bereits in London vier Jahre zuvor, Goldmedaillen zu gewinnen, zuvor gab es für einen Olympiasieg beziehungsweise für einen zweiten Platz Medaillen aus Silber und Kupfer. 196 Neben den Goldmedaillen sorgten die Londoner Spiele jedoch auch für eine weitere Innovation, bekamen diese doch mit dem Eiskunstlauf erstmals einen wintersportlichen Einschlag, der als Vorbote für die Einführung der Olympischen Winterspiele in Chamonix 1924 fungierte, eine Idee, welche in Skandinavien, vor allem aber bei Baron de Coubertin und dem IOC zunächst für Widerstand sorgte. Als Kompromiss gegenüber den Spiele-Befürwortern wurden die Bewerbe in Chamonix zunächst als „Internationale Wintersportwoche“ genehmigt, ehe sie 1926 rückwirkend als die ersten Olympischen Winterspiele anerkannt wurden. 197

2.1.2 Die Politisierung der Spiele – Berlin 1936- Los Angeles 1984 Nach den Nachfolgespielen von St. Moritz (1928) und Lake Placid (1932) wurden die Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen ausgetragen. Diese dienten lediglich als Vorgeschmack darauf, was die Sportwelt wenige Monate später in Berlin erwarten sollte: „Das Internationale Olympische

192 Vgl. Klein, Edwin: Olympia. Vom Altertum bis zur Neuzeit, Nürnberg: Tessloff 1992(= Was ist Was 93), 17. 193 Anders, Die Spiele, 17. 194 Ebd., 23. 195 Ebd., 28. 196 Vgl. ebd., 13; 25. 197 Vgl. Klein, Olympia, 20. 50

Komitee sah hilflos zu, wie die olympischen Symbole vom Faschismus überlagert und besetzt wurden.“ 198 Die olympische Idee wurde also für politische Zwecke als Propagandainstrument missbraucht, eine Politisierung, wie sie auch nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb der Olympischen Spiele stattfand, vom nationalsozialistischen Regime in Berlin wohl aber in ihrer verheerendsten Form betrieben wurde. Die Inszenierung zeigte sich etwa durch die Etablierung des Fackellaufs, der das olympische Feuer von Olympia nach Berlin brachte. Der letzte von insgesamt 3075 Läufern 199 lieferte die Flamme vom Brandenburger Tor ins neu errichtete, für 110.000 Zuschauer Platz bietende Olympiastadion, wo die Flamme dem Regime übergeben wird. Anschließend wurden entsprechend der intendierten Inszenierung die nationalsozialistische Fahne und der Kopf Hitlers eingeblendet und somit in scheinbar untrennbare Verbindung mit der olympischen Idee gebracht: „Aus dem Zeus- und Pelopsopfer wird ein Opfer für den Führer. Wurden in Griechenland aus Göttern Menschen, so macht man in Deutschland aus Menschen Götter.“ 200 Zu dieser abscheulichen Inszenierung und Indienstnahme der Spiele gehörte auch die erstmalige Übertragung im Rundfunk, welche die deutschen Erfolge möglichst gut in Szene setzen sollen. Dass jedoch ein Afroamerikaner die Spiele in Berlin sportlich dominierte, ging dem Regime gegen den Strich. Jesse Owens sicherte sich vier Goldmedaillen im Weitsprung, 100m- und 200m- Lauf sowie im Staffelbewerb und wurde somit der unumstrittene Star der Propaganda-Spiele, die wohl als die unrühmlichsten in der neuzeitlichen Olympia-Geschichte eingehen werden. Die Politik blieb auch bei den Spielen nach dem Zweiten Weltkrieg ein stetiger Begleiter der olympischen Bewegung. Bereits die Spiele in Melbourne (1956) – die dritten Sommerspiele in der Nachkriegszeit nach London (1948) und Helsinki (1952) – standen „im Schatten der Weltpolitik.“ 201 So blieben ob des niedergeschlagenen Volksaufstands in Ungarn die Delegationen aus den Niederlanden, Spanien und der Schweiz den Geschehnissen in Melbourne fern. Ab 1960 standen die Olympischen Spiele ganz im Zeichen des „Kalten Kriegs“, der sich auf die sportliche Ebene auslagerte und die nächsten 30 Jahre ein Leitmotiv der Spiele darstellte. Dieser Konflikt kulminierte in den 1980er-Jahren in der gegenseitigen Boykottierung der olympischen Veranstaltungen in Moskau (1980) sowie Los Angeles (1984). Grund für die Absenz der USA, der Bundesrepublik Deutschland, Japans, Kanadas, Norwegens und vieler anderer Delegationen – insgesamt nahmen lediglich 81 Nationen an den Spielen in der russischen Hauptstadt teil – war der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, bei jenen in Los Angeles wurden Sicherheitsbedenken vonseiten der

198 Gebauer, Gunter / Wulf, Christoph: Die Berliner Olympiade 1936. Spiele der Gewalt, in: Gebauer, Gunter (Hg.): Olympische Spiele – die andere Utopie der Moderne. Olympia zwischen Kult und Droge, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996 (= edition suhrkamp 1993), 247-255, 247. 199 Vgl. Anders, Die Spiele, 45. 200 Gebauer / Wulf, Die Berliner Olympiade, 252. 201 Anders, Die Spiele, 61. 51

Sowjetunion geäußert. 202 Erst 1988 in Seoul sollten beide Lager wieder bei den Spielen vertreten sein, wobei beide Lager auf Harmonie ausgerichtet waren. In Barcelona 1992, also bereits nach der offiziellen Auflösung der Sowjetunion, traten die GUS-Staaten ein letztes Mal als eine gemeinsame Mannschaft an, ehe der Eiserne Vorhang auch auf sportlicher Ebene fiel. Ein weiteres brisantes politisches Thema im Zuge der Olympischen Spiele war die Rolle Südafrikas. Offiziell vor den Spielen in Tokio 1964 wegen seiner Apartheidspolitik ausgeschlossen, wurde im Vorfeld der Sommerspiele 1968 in Mexico City die Wiedereingliederung Südafrikas beschlossen, wegen Boykottandrohungen durch Länder wie die Sowjetunion, die USA und eine Vielzahl an afrikanischen Staaten aber wieder zurückgenommen. Dennoch blieb dieses Thema in Mexiko präsent, als die beiden Afroamerikaner Tom Smith und John Carlos, Gold- und Bronze- Medaillengewinner im 200-Meter-Lauf, bei der Siegerehrung mit geballten, schwarzbehandschuhten Fäusten in den Himmel zeigten und mit diesem Gestus der Black-Power- Bewegung gegen Rassismus und Apartheid eintraten 203 , eine Aktion, die den Ausschluss aus dem US-Team wegen verbotener Politisierung nach sich zog. Nach einer weiteren Boykottandrohung für die Spiele 1972, als sich 27 afrikanische Staaten erfolgreich gegen die Teilnahme Rhodesiens (= das heutige Zimbabwe) stellten, kam es 1976 in Montreal zu einer Boykottierung durch 22 afrikanische Delegationen. Grund hierfür waren die sportlichen Kontakte, die ein neuseeländisches Rugby-Team mit Südafrika pflegte, Neuseeland jedoch trotzdem nicht, wie gefordert, von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wurde. 204 Dass man sich bei dem Verweis auf bestehende Konflikte leider nicht nur auf Boykotte beschränkt, sondern auch drastischere Mittel wie terroristische Anschläge eine Rolle spielen können, wurde auf tragischste Weise bei den Olympischen Sommerspielen in München 1972 offenbar. Eine Gruppe palästinensischer Terroristen, welche die Freilassung 200 inhaftierter Palästinenser forderte, hatte das israelische Team überfallen und mehrere Geiseln genommen, die bei einem Befreiungsversuch zusammen mit einem Polizisten und fünf Terroristen ums Leben kamen. Das Attentat, bei dem schlussendlich 17 Menschen starben, sorgte für Bestürzung im olympischen München und war ein schwerer Schlag für die Idee des olympischen Friedens, der „ekecheiria“, die auch in der olympischen Ära der Neuzeit ein wesentliches Schlagwort darstellte. Dennoch werden die Spiele bereits am Nachmittag des Folgetages fortgesetzt, um „der Tat palästinensischer Terroristen durch einen Abbruch der Spiele nicht im Nachhinein zum Erfolg zu verhelfen.“ 205 „The games must go on“, ein Wort des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage, das

202 Vgl. ebd., 93; 98. 203 Vgl. ebd., 78. 204 Vgl. Klein, Olympia, 36. 205 Anders, Die Spiele, 85. 52 nicht nur für München 1972 galt, sondern auch 24 Jahre später neu in das olympische Vokabular implantiert wurde. 1996, bei den Olympischen Sommerspielen in Atlanta, das damals ob des großen Aufgebots von Sicherheitskräften als „'der sicherste Ort auf dem Erdball'“ 206 galt, explodierte im Olympiapark Atlanta eine Rohrbombe, wobei zwei Menschen starben und über 100 Menschen verletzt wurden. Dennoch wurde analog zu München, nur wenige Stunden nach dem Anschlag bereits mit dem Programm fortgefahren, wenngleich die Gründe für die rasche Fortsetzung mittlerweile andere waren. Längst waren auch die Olympischen Spiele Zielscheibe der Wirtschaft und der stetig wachsenden Kommerzialisierung und Medialisierung geworden, welche die Organisatoren unter (finanziellen) Druck brachten. Diese Entwicklung von der „unschuldigen Sportveranstaltung“ zum blühenden „Geschäft Olympia“ kann als weitere wesentliche Leitlinie der neuzeitlichen Olympiageschichte betrachtet werden.

2.1.3 Die Professionalisierung und Kommerzialisierung Olympias – Los Angeles 1984 – Vancouver 2010 Es war im Jahre 1981, als das IOC bei seinem XI. Olympia-Kongress in Baden-Baden mit einer weiteren Lockerung des Amateurparagraphen die Weichen für die Zukunft der Olympischen Spiele stellte. Inhalt der Bestimmung war, „daß olympische Wettkämpfer durch die Ausübung des Sports keine materiellen Nachteile erleiden sollten, aber auch keine Berufssportler sein dürften.“ 207 Freilich war dieser Amateurpassus, der, wie noch zu sehen sein wird, eng mit der neuzeitlichen olympischen Idee gekoppelt ist und durch die Wiedereingliederung des professionellen Tennis oder der Teilnahme der professionellen Spieler der NHL beim olympischen Eishockeyturnier endgültig aufgegeben wurde, bereits zuvor kaum mehr aufrecht zu erhalten und entwickelte sich mehr und mehr zu einer Art „Scheinamateurismus“, in welchem Soldaten, Collegestudenten oder Angestellte von staatlichen Betrieben – die sogenannten Staatsamateure – vom Sport lebten, ohne sogenannte „Profis“ zu sein. 208 Auch wenn die Bedeutung dieser Amateurbestimmungen in der Olympiageschichte deutlich nachließ, hatte sie etwa mit dem ehemaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage einen vehementen Verteidiger, der bei Verletzungen der Regel nicht vor unpopulären Maßnahmen zurückschreckte. Zu spüren bekam dies vor allem der österreichische Schifahrer Karl Schranz, der 1972 „wegen bescheidener Einkünfte aus einer Kaffeewerbung auf einem Fußballleibchen, das er während eines Benefizspiels getragen hatte“ 209 , von den Spielen in ausgeschlossen wurde. Der

206 Anders, Heinrich / Friedrichsen, Frank: Die Spiele 1996.Die Höhepunkte der Olympischen Spiele in Atlanta, Hamburg: MedienContor 1996, 123. 207 Heinemann, Klaus: Amateurismus / Professionalismus, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 35-38, 36. 208 Vgl. ebd. 209 Aigner, Heribert: Olympismus, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: 53

Ausschluss sorgte in Österreich für einiges Aufsehen und wurde durchaus auch als Provokation aufgefasst. Schranz hingegen wurde bei seiner Rückkehr als „Märtyrer des Professionalismus“ 210 von zigtausenden Menschen frenetisch bejubelt. Ähnliche Fälle nicht minder populärer Sportler ereigneten sich in der olympischen Frühgeschichte. 1913 wurde Jim Thorpe, im Jahr davor Sieger des olympischen Fünf- und Zehnkampfs in Stockholm, ob eines bezahlten Baseball-Engagements rückwirkend disqualifiziert und erst 1983, dreißig Jahre nach seinem Tod, vom IOC rehabilitiert. 1932 in Los Angeles wird der neunfache finnische Olympiasieger Paavo Nurmi aufgrund erhöhter Spesenabrechnungen von den Spielen ausgeschlossen und auf Lebenszeit gesperrt.211 Mit Ende des olympischen Amateurtums war auch das Ende der Coubertin'schen „Dabei sein ist alles-Mentalität“ eingeleitet, die immer offensichtlicher von der olympischen Formel des „Schneller-Höher-Stärker“ ersetzt wurde. Die Olympischen Spiele mutierten neben ihrer zweifellos noch immer wichtigen sportlichen Seite zu einem florierenden Wirtschaftsunternehmen und zu einem Marktplatz für potente Sponsoren. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung erfolgte mit den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles 1984, deren Organisatoren erstmalig per Gesetz dazu gezwungen waren, die Spiele völlig privat zu finanzieren.“ 212 Welch wichtige Rolle das Sponsoring im Laufe der olympischen Geschichte spielt, zeigte sich etwa auch anhand der Vergabe der Sommerspiele 1996 an Atlanta, das sich gegen Mitbewerber wie Toronto, Manchester, allen voran aber Athen durchsetzte. Die Wahl Atlantas mit seiner „Geldbeutel-Seele“ 213 , zugleich Heimat eines finanzpotenten Soft-Drink-Herstellers, gegen Athen, das für die Jubiläumsspiele zum hundertjährigen Bestehen der Veranstaltung der logische Favorit war, galt als sehr umstritten und wurde nicht nur von den schockierten griechischen Verlierern als Sieg der Kommerzialisierung gegen die Tradition betrachtet. 214 Quasi als Entschädigung für diese bittere Niederlage des olympischen Mutterlandes erhielt Athen die Olympischen Sommerspiele 2004. Die umstrittene Vergabe der 1996er-Sommerspiele an Atlanta markiert nur einen konkreten Anlass für eine viel grundsätzlichere Kritik, die ein paar Zeilen zuvor schon angedeutet wurde. Nicht selten wird in Bezug auf die Olympischen Spiele von „Kommerziaden“ gesprochen, welche dem IOC nützen und den jeweiligen Gastgeber mit schweren ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Problemen und einer Überschuldung zurücklassen 215, und somit die Organisation solcher Spiele

Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 395-401, 399. 210 Scherer, Karl Adolf: 100 Jahre Olympische Spiele. Idee, Analyse, Bilanz, Dortmund: Harenberg 1995, 337. 211 Vgl. Anders, Das Spiel, 43. 212 Maennig, Wolfgang: Olympische Spiele und Wirtschaft. Weitverbreitete Mißverständnisse und achtzehn (Gegen-) Thesen, in: Grupe, Ommo (Hg.): Olympischer Sport. Rückblick und Perspektiven, Schorndorf : Hofmann 1997, 157-179, 161. 213 Bausinger, Athen-Atlanta-Athen; 33. 214 Vgl. ebd., 32ff. 215 Vgl. Maenning, Olympische Spiele und Wirtschaft, 157. 54 lediglich einem elitär-finanzstarken Kreis an Nationen offen steht. Kritik, die durchaus berechtigt ist, aber lediglich eine Seite der (Olympia-)Medaille darstellt. Befürworter der Spiele betonen hingegen nämlich die Rolle der Spiele „als ein einzigartiges konjunktur-, struktur-, und wachstumspolitisches Programm“ 216 , das noch dazu ob der Einnahmen aus den Marketing- beziehungsweise Fernsehgeldern mit verhältnismäßig wenig Kosten verbunden ist. 217 Tatsächlich haben sich neben den Kosten auch die Einnahmen innerhalb kürzester Zeit vervierfacht. Einen wesentlichen Beitrag dazu liefert(e) die Medialisierung der Spiele, die als weiteres wesentliches Leitmotiv der neuzeitlichen Olympiageschichte fungiert. Nach den ersten Übertragungen von den Olympischen Spielen in Berlin 1936 herrschte bei den Verantwortlichen des IOC lange Skepsis gegenüber der sich stetig ausbreitenden Medialisierung. Noch 1960 hieß es vonseiten des schon mehrfach genannten IOC-Präsidenten Brundage: „'Wir haben 60 Jahre ohne das Fernsehen gelebt, und wir werden auch die nächsten 60 Jahre ohne das Fernsehen auskommen.'“ 218 Doch schon im gleichen Jahr lukrierte das IOC insgesamt 450.000 Dollar für die Übertragungen der Spiele in Rom und Squaw Valley, ein Preis, der innerhalb kürzester Zeit in exorbitante Höhen kletterte. Waren die Spiele von 1964 für vergleichsweise noch recht günstige 1,5 Millionen Dollar zu haben, musste man acht Olympiaden später bereits über 450 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte an den Spielen bezahlen. Mittlerweile wurde auch schon die Milliardengrenze geknackt: Für die Übertragungsrechte an den Spielen in Athen erhielten das IOC sowie das Organisationskomitee 1,5 Milliarden Dollar, für die Spiele in Peking sogar noch 200.000 Dollar mehr. 219 Frei nach dem Motto „Wer zahlt, schafft an“ steigt mit dem finanziellen Mehraufwand auch das Mitspracherecht der TV-Sender, die ihren steigenden Einfluss auch innerhalb des Olympia- Programms geltend machen wollen. Erste Tendenzen in diese Richtung gab es bei den Olympischen Sommerspielen in Seoul 1988, bei denen einige für die Vereinigten Staaten sehr wichtige Wettkämpfe in aller Früh ausgetragen wurden, um diese den sportbegeisterten Amerikanern zur “Primetime” in die Wohnzimmer zu liefern. 220 Doch geht es nicht nur um die Interventionsmöglichkeit bei der Terminierung der Sportarten innerhalb des olympischen Programms, sondern auch innerhalb des sportlichen Geschehens als solches, die den Sport in die Nähe einer „künstlichen Inszenierung hieven.“ 221 Beispiele hierfür sind etwa die geforderte

216 Ebd., 158. 217 Vgl. ebd. 218 Ebd., 10. 219 Vgl. Vetten, Detlef: Die große Geldmaschine. Olympia als Business, in: Beckmann, Reinhold (Hg.): Feuer und Flamme. Das Olympiabuch, Berlin: Rowohlt 2004, 160-166, 160. 220 Vgl. Klein, Olympia, 46. - Ähnliches ereignete sich auch bei den Fußball-Weltmeisterschaften in den USA 1994, als das Finale in Los Angeles europafreundlich in den hochsommerlichen Mittagsstunden angesetzt wurde. 221 Klassen, Ralf: Weltspektakel für die Quote. Olympia und die Medien, in: Beckmann, Reinhold (Hg.): Feuer und Flamme. Das Olympiabuch, Berlin: Rowohlt 2004, 144-159, 148. 55

Vergrößerung der Bälle beim Tischtennis, um die Schnelligkeit des Sports ein wenig einzubremsen, oder die Einführung der fernsehtauglicheren „Sprint-Bewerbe“ im Skilanglauf oder der Nordischen Kombination. 222 Der Medienmarkt wird in Anbetracht der schnellen Entwicklung neuer Technologien und des stetigen Wachstums des Mediums Internet auch in der Zukunft der Olympischen Spiele einen wesentlichen Platz einnehmen, die zum Abschluss der Hinführung zur Geschichte der neuzeitlichen Olympischen Spiele angesprochen wird.

2.1.4 Olympia – quo vadis? Die Zukunft der Olympischen Spiele Es war einer der berührendsten Momente der Olympischen Winterspiele in 1998, als der mit acht Goldmedaillen erfolgreichste Winter-Olympionike Björn Daehlie den 20 Minuten nach ihm angekommenen letztplatzierten Kenianer Philip Boit nach seinem Olympiasieg über die 10- Kilometer-Langlaufdistanz im Ziel empfing und diesen zu seiner Olympiateilnahme gratulierte. 223 Sportler wie Philip Boit, der britische Schispringer Michael „Eddie the Eagle“ Edwards oder der äquatorialguinesische Schwimmer Eric „The Eel“ Moussambani sind wesentliche Repräsentanten der olympischen Idee des „Dabei sein ist alles“, die aber von der olympischen Medienlandschaft gerne als „Exoten“ belächelt werden. Der olympische Sport, zumindest wie er uns medial vermittelt wird, konzentriert sich ganz auf seine „Stars“, auf seine Repräsentanten des Hochleistungssports, der, wenn es nach Helmut Digel geht, einem ganz klaren System unterliegt: „Diese Logik beruht im wesentlichen darauf, daß der Athlet bemüht ist, Siege zu erringen, Leistungen zu steigern, möglichst Rekorde zu erzielen und die erbrachten Siegesleistungen und Rekorde im Sinne einer Ware in ein Tauschverhältnis mit der Wirtschaft einzubringen.“ 224 Um den persönlichen Siegesdurst zu stillen, um das öffentliche Lechzen nach Rekorden befriedigen zu können, werden mitunter auch unerlaubte Mittel eingesetzt. Doping heißt das Schlagwort, das in den letzten Jahrzehnten immer stärker in den Mittelpunkt des sportlichen Geschehens drängt und nach wie ein „ungelöstes Problem des nationalen und internationalen Hochleistungssports“ 225 darstellt. Dopingskandale gab es vor allem in der jüngeren Olympiageschichte zuhauf. Beispiele hierfür wären etwa der dreifache Langlauf-Olympiasieger Johann Mühlegg, der bei den Winterspielen 2002 in positiv getestet wurde, oder die Affäre rund um die griechischen Sprintstars Konstantinos Kenteris und Ekaterini Thanou im Vorfeld ihrer Heimspiele 2004 in Athen. Auch Österreich ist diesbezüglich keine Insel der Seligen, wie bei den Olympischen

222 Vgl. ebd., 149. 223 Vgl. Klammer, Franz: Olympische Spiele Nagano '98. Triumphale Erfolge der Österreicher, Rheda-Wiedenbrück: Bertelsmann-Club 1998, 55. 224 Digel, Helmut: Citius, altius, fortius – wohin treibt der olympische Spitzensport, in: Grupe, Ommo (Hg.): Olympischer Sport. Rückblick und Perspektiven, Schorndorf: Hofmann 1997, 85-98, 87. 225 Ebd., 90. 56

Spielen in 2006 offenbar wurde. Obwohl es angeblich „a too small country to make good doping“ 226 sei, wurden insgesamt 15 Mitglieder der österreichischen Biathlonmannschaft wegen unerlaubtem Besitz von Dopingmitteln von den olympischen Spielen ausgeschlossen. Der wohl brisanteste Doping-Skandal der Olympiageschichte ereignete sich jedoch in Seoul 1988, als der 100 Meter-Sprint-Olympiasieger und Rekordhalter Ben Johnson des Dopings überführt wurde. Später gab er zu, bereits sieben Jahre leistungsfördernde Mittel konsumiert zu haben, ein Geständnis, das ihm neben der Goldmedaille und dem fulminanten Weltrekord von 9,79 Sekunden – eine Marke, die erst 11 Jahre später wieder erreicht werden sollte – auch seinen Weltmeistertitel und seinen Weltrekord bei den Weltmeisterschaften 1987 in Rom (9,83 Sekunden) kostete. 227 Das Doping-Problem bildet jedoch nur die Spitze vieler Probleme, die mit dem Phänomen des Hochleistungssports verbunden sind. Fairerweise müssen jedoch auch dessen positive Aspekte berücksichtigt werden. Leistung zu erbringen ist genuin nichts Schlechtes und durchaus „Kern der Olympischen Idee“ 228 , Leistung, die aber auch den Fair-Play-Gedanken berücksichtigen soll. Es bedarf wohl einer Neu-Formulierung der olympischen Idee, um die Herausforderung der Olympischen Spiele in unserer Zeit und in der Zukunft weiterhin bewältigen zu können. Einen durchaus gelungenen Ansatz liefert der Karlsruher Philosoph Hans Lenk, der dem olympischen Motto des „citius-altius-fortius“ ein „humanius“ hinzufügt 229 , eine wichtige Ergänzung, die nicht nur als unnötiger Ballast mitgeschleppt werden muss, sondern bei aller Attraktivität der Jagd nach Meter, Punkte und Sekunden als integrativer Bestandteil der olympischen Idee nicht vergessen werden sollte. Was gut und gerne auch ein potentielles Schlusswort zu dieser Arbeit sein könnte, ist vielmehr der Auftakt zu einer fundierten Analyse der olympischen Idee und des Konzepts des Olympismus Baron de Coubertins, der uns auch wieder näher zur Ausgangsfrage über das Verhältnis von Religion und Olympia hinführen wird.

2.2 Der Olympismus und die Idee der religio athletae

2.2.1 Pierre de Coubertin „Was UNVERGESSLICH durch die Jahrhunderte getragen wurde, der olympische Gedanke, ihn hat der Franzose Pierre de Coubertin zu neuem Leben erweckt.“ 230 Mit diesen Worten beginnt Carl Diem – dem wir in dieser Arbeit auch noch begegnen werden – seine Einleitung zu Pierre

226 Millmann, Gerd: Tu felix Austria, dope, in: http://www.falter.at/web/print/detail.php?id=1012 [abgerufen am 8.5.2011]. 227 Vgl. Anders/Friedrichsen, Die Spiele, 110f. 228 Daume, Willi: Haben die Olympischen Spiele und die Olympische Idee (noch) eine Zukunft?, in: Digel, Helmut (Hg.): Nachdenken über Olympia. Über Sinn und Zukunft der Olympischen Spiele, Tübingen: Attempto-Verlag 2004 (= Sport in der heutigen Zeit Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft 3), 17-29, 18. 229 Vgl. ebd. 230 Coubertin, Pierre de: Olympische Erinnerungen, Frankfurt/Main: Limpert 2 1959, 7. 57

Coubertins „Olympische Erinnerungen.“ Dieses Urteil scheint nicht übertrieben, tatsächlich war de Coubertin wohl der Pionier der Olympischen Spiele der Neuzeit, die für ihn nicht nur ein Sammelsurium sportlicher Agone, sondern vielmehr auch eine Lebensschule, eine Lebensphilosophie darstellten.

2.2.1.1 Der Pädagoge Pierre de Coubertin wurde 1863 in Paris geboren und entstammte einer französischen Adelsfamilie. Nach seiner Schulausbildung am „Collège Saint-Ignace“, wo Pater Jules Carron in ihm die Liebe zur griechischen Antike entfachte, begann er an der Sorbonne zu studieren. 231 Dort absolvierte er ein vielseitiges Studienspektrum, um sich danach jedoch nicht der elterlich angestrebten Offiziers- oder Politikkarriere zu widmen, sondern den Fokus auf die Pädagogik und dort speziell auf die englische Pädagogik zu richten. Ein wesentlicher Zugang in diese Richtung war die Lektüre von Hippolyte Taines Buch „Notes sur l'Angleterre», in welchem er „the full value of the education provided to English students, as opposed to that given to French school children“ 232 , der vor allem von den beiden englischen Pädagogen Thomas Arnold und Canon Kingsley vorangetrieben wurde, herausarbeitete. Während sich das französische Erziehungsmodell rein auf intellektuelle Elemente stützte, integrierte das britische auch die physische Komponente, ein Ansatz, der auch de Coubertin durchaus beeinflusste und den er in Frankreich zu etablieren versuchte. Ein Vehikel hierfür war die Gründung des „Komitees für die Verbreitung von Leibesübungen in der Erziehung“ im Jahre 1888, in welchem er als Generalsekretär fungierte. 233 Im darauffolgenden Jahr wurde er in die USA und nach Kanada gesandt, „to visit the Universities and colleges there, and to study the organization and operation of the Athletic Associations founded there by the youths of those countries. “234 Die gemachten Erfahrungen auf dieser Reise bestätigten seine postulierte Superiorität des englischen Erziehungsansatzes gegenüber dem französischen, wie er in seinem „Reisebericht“ „Universités Transatlantiques“ anmerkte. Zur Manifestation seiner Ideen bezüglich der Etablierung der physischen Komponente in der Erziehung schien für ihn die „Re-Installierung“ der Olympischen Spiele ein, wenn nicht gar das einzige adäquate Mittel zu sein. 235

2.2.1.2 Pionier der Olympischen Spiele der Neuzeit und der Idee des Olympismus Der bereits oben erwähnte Pater Carron erweckte in de Coubertin nicht nur das Interesse an der griechischen Antike, sondern auch an den Olympischen Spielen, die für den stets sportbegeisterten

231 Vgl. Rioux, George: Pierre de Coubertin's revelation, in: Coubertin, Pierre de / Müller, Norbert: Olympism. Selected writings, Lausanne: International Olympic Committee 2000, 23-31, 24. 232 Ebd., 26. 233 Vgl. ebd., 29. 234 Ebd., 30. 235 Vgl. ebd., 31. 58 de Coubertin eines der spannendsten Kapitel in der Geschichte darstellten. 236 Ein weiteres Moment, welches de Coubertins Begeisterung für die Spiele sogar noch steigerte, waren die unter der Leitung von Ernst Curtius durchgeführten deutschen Ausgrabungen im historischen Olympia, die wertvolle Ergebnisse brachten, die in einem fünfbändigen Werk niedergelegt wurden, das in der wissenschaftlichen Welt hohes Aufsehen erregte. 237 Freigelegt wurde primär der Tempelbezirk der Altis, die sportlichen Anlagen wurden mit Ausnahme einiger Stichgrabungen von Start- und Ziellinie hingegen erst bei weiteren Versuchen ab dem Jahre 1936 intensiver untersucht. 238 Die archäologischen Untersuchungen fanden auch Eingang in Coubertins 1908 erschienene Schrift „Einundzwanzig Jahre Sportkampagne“, in dem er den Erfolg der Ausgrabungen würdigte: „'Germany had brought to light what remained of Olympia, why should not France suceed in rebuilding its splendors.'“ 239 Tatsächlich war Frankreich, war vor allem de Coubertin bestrebt, die Olympischen Spiele wieder aufleben zu lassen. Im November 1892 tat er dies auch im Rahmen eines Vortrags an der Pariser Sorbonne erstmals öffentlich kund, die Reaktion der Zuhörenden war für de Coubertin jedoch eher unbefriedigend. „Natürlich hatte ich alles vorhergesehen, nur nicht das, was eintraf. Opposition? Proteste, Ironie? Oder gar Gleichgültigkeit?... Nichts von alledem. Man klatschte Beifall, man billigte meine Pläne, man wünschte mir großen Erfolg, aber kein Mensch hatte mich verstanden.“ 240 Zwei Jahre später sollte in einem Kongress in Paris – offiziell ein Kongress zur Standardisierung der Amateurnormen, „in order to simplify international athletic relations“ 241 – ein weiterer entscheidender Schritt zur Restitution der Olympischen Spiele erfolgen. Die Stimmung im Vorfeld des Kongresses blieb allerdings eher von Skepsis geprägt: „Der Kongreß nahte: die Lage glich, wenn ich das so sagen darf, einem bewölkten Himmel, durch den ab und zu die Sonne brach.“ 242 Der Kongress wurde für de Coubertin dennoch zu einem großen Erfolg. In der letzten Sitzung wurde die Wiedereinführung der Spiele beschlossen und somit ein über zehn Jahre währender Traum de Coubertins endlich erfüllt. 243 Auch bei anderen Punkten setzte sich de Coubertin durch: Beschlossen wurde unter anderem der Vier-Jahres-Rhythmus der Spiele, die Ausschließung von Schülern sowie die Einsetzung des Internationalen Olympischen Komitees, einzig in Bezug auf den Austragungsort und -zeitpunkt der Olympia-Premiere – Coubertin plädierte

236 Vgl. Müller, Norbert: Coubertin's Olympism, in: Coubertin, Pierre de / Müller, Norbert: Olympism. Selected writings, Lausanne: International Olympic Committee 2000, 33-48, 36. 237 Vgl. Bengston, Die Olympischen Spiele, 5. 238 Vgl. Drees, Der Ursprung, 7f. 239 Pierre de Coubertin zitiert in: Müller, Coubertin's, 36. 240 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 17. 241 Müller, Coubertin's, 39. 242 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 17. 243 Vgl. Müller, Coubertin's, 36. 59 für einen Beginn in Paris 1900 – konnte er sich nicht durchsetzen. 244 Stand bei der Olympia-Premiere in Athen das Sportliche im Vordergrund, hieß es bereits im nächsten Jahr im Rahmen des Olympischen Kongresses in Le Havre „den intellektuellen und philosophischen Charakter meiner Unternehmung hervor[zu]kehren und dem C.I.O. mit einem Schlage eine Rolle zu[zu]weisen, die weit über der einfacher sportlicher Verbindungen stand.“ 245 Für Coubertin reduzierten sich die Spiele also nicht ausschließlich auf den sportlichen Teil. Der französische Baron verstand die Spiele darüber hinaus „als das vierjährige Hochfest des universellen menschlichen Frühlings“, ein olympisches Fest, bei dem der Mensch nicht nur als Athlet, sondern in seiner Ganzheit, unter Berücksichtigung seiner Würde und ethischen Werte in den Blickpunkt rücken soll. 246 Hinter dieser über das Sportliche hinausgehenden Forderung befindet sich der sogenannte Olympismus, der eine inhaltliche Füllung des olympischen Rahmens darstellt, welche im kommenden Abschnitt dargestellt werden soll.

2.2.1.3 Der Olympismus – ein philosophisches Konzept hinter den Spielen Der Olympismus benennt die philosophische Idee, die hinter der Oberfläche der sportlichen Wettkämpfe zu finden ist. Zentrales Anliegen des Olympismus ist das Schaffen einer Balance der körperlichen und geistigen Fähigkeiten jedes Menschen, „unabhängig von Alter, Beruf, Rasse, Nationalität oder Religion.“ 247 Obwohl der Begriff in Bezug auf seinen Inhalt definitiv älter ist, wurde er von Coubertin erst ab 1912 explizit benannt. Auf eine explizite Deutung des Begriffs verzichtete Coubertin, wichtige Leitlinien seines Olympismus-Begriffs lassen sich dennoch durchaus herausarbeiten. Eine recht präzise Deutung dessen, was der Olympismus für ihn beinhaltet, liefert Coubertin im Rahmen seiner Radioansprache über die „Philosophischen Grundlagen des modernen Olympismus“ im Vorfeld der Spiele in Berlin 1936. Insgesamt vier Punkte sind es, die seines Erachtens für den Olympismus relevant sind. Der erste Punkt ist zugleich der brisanteste und in Hinblick auf diese Arbeit wohl der wichtigste. „Das erste und wesentliche Merkmal des alten wie des modernen Olympismus ist: eine Religion zu sein.“ 248 Dabei geht es Coubertin vor allem um die Wiederentfachung eines „religiösen Empfindens“, welches durch die sogenannte religio athletae gelingen soll. Da dieses Thema jedoch ob seiner Brisanz beziehungsweise Relevanz ohnehin separat abgehandelt wird, soll nun der Fokus

244 Vgl. Coubertin, Olympische Erinnerungen, 27. 245 Ebd., 51. 246 Vgl. Haag, Herbert: Olympische Idee Olympische Bewegung Olympische Spiele. Handreichungen zur Olympischen Erziehung bei Jugendlichen in Schule und Sportverein, Berlin: Logos 2008 (= Bewegung / Spiel / Sport. Theoretische Grundlagen Praktische Anwendungen 1), 15. 247 Müller, Norbert: Olympische Erziehung, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 385-395, 388. 248 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 217. 60 bereits auf das zweite olympistische Merkmal gerichtet werden. Das zweite Charakteristikum des Olympismus besteht in dessen Adel beziehungsweise Auslese , allerdings im Sinne eines Adels, „der vollkommene Gleichheit bedeutet, der nur bestimmt wird durch die körperliche Überlegenheit des einzelnen und gesteigerte körperliche Vielseitigkeit und bis zu einem gewissen Grade durch seinen Trainingswillen.“ 249 Ohne Zweifel kann man diesen Punkt als Coubertin’sches „Bekenntnis zum Leistungs- und Rekordprinzip des olympischen Sports“ 250 verstehen, welches aber – und das ist durchaus ein Novum gegenüber dem antiken Olympiasport 251 – auch und vor allem stets unter Berücksichtigung der Wahrung von Ritterlichkeit und Fairness zu stehen hat, ein wichtiger Aufruf, der sowohl für die Athleten als auch für die Zuschauer gelten soll, bei welchen „Beifall und Auszeichnung allein nach Leistung und nicht nach irgendwelcher Parteilichkeit – auch nicht nach nationaler – vergeben werden sollen.“ 252 Ein dritter Aspekt betrifft die Idee des sogenannten Burgfriedens . Die Friedensidee war auch konstitutiver Bestandteil der antiken Olympiakonzeption, wenngleich in anderer Form. Galt die sogenannte „ekecheiria“ lediglich in Bezug auf eine reibungslose Anreise der Zuschauer und Athleten, spricht Coubertins Konzept „von einen „vorübergehende[n] Aufhören aller Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten und Missverständnisse“ 253 während der Abhaltung der Olympischen Spiele. Dieses „vorübergehende Aufhören“ sollte in „regelmäßig festgesetzten Abständen“, in einem regelmäßigen Rhythmus stattfinden. Coubertin hält sich dabei strikt an den antiken Vier- Jahres-Duktus, weil „sie das Vierjahresfest des menschlichen Frühlings darstellen zu Ehren der ständigen Erneuerung des Menschengeschlechts.“ 254 Dieser menschliche Frühling zeigt sich dabei primär im „jugendlich Erwachsenen“, für welchen die Spiele zu feiern sind, „weil von ihm die nahe Zukunft und die harmonische Verkettung der Vergangenheit mit der Zukunft abhängt.“ 255 Unter die Kategorie des „jungen Erwachsenen“ fällt dabei anscheinend lediglich der männliche Einzel- kämpfer, zumindest wenn man die Teilnahmeberechtigung an den Spielen als wesentlichen Punkt dieser begrifflichen Kategorisierung annimmt. Bezüglich der Partizipation der Frauen an den Spielen orientiert sich Coubertin nämlich vor allem an den antiken Vorgängerspielen und an alten Turnieren: „Bei den Olympischen Spielen sollte ihre Rolle […] die sein, die Sieger zu bekränzen.“ 256 Als viertes und letztes Merkmal des Olympismus nennt Coubertin „die Schönheit durch die

249 Ebd., 218. 250 Aigner, Olympismus, 396. 251 Vgl. Grupe, Ommo: Olympismus und olympische Erziehung. Abschied von einer großen Idee?, in: Grupe, Ommo (Hg.): Olympischer Sport. Rückblick und Perspektiven, Schorndorf: Hofmann 1997, 223-243, 229. 252 Aigner, Olympismus, 396. 253 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 221. 254 Ebd., 220. 255 Ebd., 221. 256 Ebd., 222. 61

Beteiligung der Kunst und des Geistes an den Spielen.“ 257 Die Agone sollten sich nicht nur auf den sportlichen Teil reduzieren, darüber hinaus sollten auch die Musik, die darstellende Kunst sowie die Architektur, „im Sinne seines Ideals der ‚Hochzeit von Muskel und Geist‘“ 258 in das olympische Geschehen integriert werden, ein Versuch, der, wie schon oben erwähnt, im antiken Olympia nicht im Vordergrund stand und auch bei den Olympischen Spielen der Neuzeit mit vielen Problemen behaftet war, wie zum Beispiel die misslungenen Kooperationsversuche der Olympischen Spiele mit den Weltausstellungen bei den Spielen 1900 in Paris und 1904 in St. Louis bewiesen. Nichtsdestotrotz wurden zwischen 1912 und 1948 auch Bewerbe in den Bereichen der Architektur, Bildhauerei, Musik und Malerei ausgetragen, aus welchen Pierre de Coubertin 1912 in Stockholm mit seiner „Ode an den olympischen Sport“ selbst als Sieger hervorging, obwohl oder vielleicht gerade weil er selbst Mitglied der Jury war. 259 Bei dieser vierteiligen Konzeption des Olympismus handelt es sich jedoch nicht um bloße Plattitüden. Vielmehr verbirgt sich hinter den Ideen Coubertins ein konkretes pädagogisches Konzept. Es galt mit der Wiederbelebung der Olympischen Spiele nicht nur den Sport zu reanimieren, „sondern ihn auch als Instrument für die ethische Reform von Wirtschaft und Politik [zu] benutzen, denen er die seiner Ansicht nach notwendige Reformfähigkeit zur Veränderung der Gesellschaft nicht zutraute“ 260 – eine Aufgabe, die aber durch die Reform des Bildungs- beziehungsweise Unterrichtssektors gelöst werden soll. Einen wichtigen Beitrag hierfür sollte dabei die aus dem Olympismus abgeleitete „olympische Erziehung“ 261 liefern, die sich verschiedenster Elemente der antiken, aber vor allem auch der englischen Sporttradition bediente. Der englische Sport lehrte Coubertin, „daß die moralischen Kräfte des jungen Menschen entscheidend über die individuelle Erfahrung der Sportpraxis entwickelt und von dort aufs Leben übertragen werden können.“ 262 Die olympische Erziehung setzt sich aus fünf relevanten Punkten zusammen. Das erste Merkmal betrifft die harmonische Ausbildung des Menschen als ganzer Mensch, also mit dem „Dreiklang von Körper, Geist und Seele.“ 263 Es geht Coubertin somit nicht um eine bloße Umkehrung der von ihm angeprangerten, rein intellektuellen Erziehung, wie sie, wie oben erwähnt, in der französischen Pädagogik des 19. Jahrhunderts oft kursierte. Vielmehr soll es eine Balance der drei Konstituenten von Körper, Seele und Geist geben, wie sie etwa bereits von

257 Ebd. 258 Aigner, Olympismus, 397. 259 Vgl. ebd. 260 Grupe, Olympismus, 226. 261 Coubertin präferierte lange Zeit eher den Begriff der sportlichen als den der olympischen Erziehung. Erst 1918 sprach er erstmals explizit von einer olympischen Erziehung. Vgl. Müller, Olympische Erziehung, 388. 262 Ebd., 385. 263 Haag, Olympische Idee, 16. 62

Rousseau oder Pestalozzi gefordert wurde. 264 Ein zweites Prinzip ist das Streben nach Selbstvollendung. Gegenstand dieses Gedankens ist der menschliche Drang nach Vervollkommnung, der auch im Sport stets zu berücksichtigen ist. Wie der Punkt zur harmonischen Ausbildung des Menschen hat auch jener seine Wurzeln nicht bei Coubertin, sondern ist fest im neuhumanistischen Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet. 265 Als dritter Punkt fungiert der Amateurismus , welcher im Zuge der Olympiageschichte, wie bereits etwa anhand der Disqualifikation Karl Schranz' angedeutet wurde, für großes Aufsehen sorgte. Ziel des Amateurpassus war nicht, eine monetäre Bereicherung der Athleten durch den Sport zu verhindern, sondern zu erreichen, „daß das materielle Gewinninteresse weder für sie selbst noch für den Sport insgesamt zum primären und alles beherrschenden Motiv des Sporttreibens würde.“ 266 Der vierte relevante Aspekt der olympischen Erziehung betrifft die Bindung des Sports an ethische Regeln und Grundsätze. Ungestüme Kräfte sollen zugunsten eines auf dem Gerechtigkeitsprinzip basierenden Sporttreibens eingedämmt werden. Die olympische Erziehung erweist sich auf diesem Wege als eine „'Schule' der praktischen 'Ritterlichkeit'“ 267 , in welcher Werte wie Fairness oder Aufrichtigkeit in den Mittelpunkt treten. Auch der Fairness-Begriff ist keine genuine Erfindung des Olympismus beziehungsweise der olympischen Erziehung, sondern ein konstitutives Merkmal des englischen Gentleman-Kodex, das dann für den Sport entsprechend adaptiert wurde 268 und nun zu den wesentlichsten Werten innerhalb des (olympischen) Sports gehört. Für den Begriff selbst gibt es viele Definitionsversuche. In einer Begriffsbestimmung Hartmut Gablers heißt es:

Fairness zeigt sich im Rahmen sportlicher Wettkampfhandlungen im Bemühen der Sportler, die Regeln konsequent und bewusst (auch unter erschwerten Bedingungen) einzuhalten oder sie zumindest nur selten zu übertreten, im Interesse der Chancengleichheit im Wettkampf weder unangemessene Vorteile entgegenzunehmen noch unangemessene Nachteile des Gegners auszunützen und den Gegner nicht als Feind zu sehen, sondern als Person und Partner zu achten. 269 Umgemünzt auf eine praktisch-pädagogische Umsetzung des olympischen Modells gilt es, die Beachtung von Regeln in Sport und darüber hinaus zu forcieren, faires Verhalten als adäquate Charakterschulung weiterzugeben sowie im Sport eine faire, zwanglose und eigene Welt zu gestalten. 270 Neben dem Moment der Fairness, das im heutigen Sport unter dem Begriff des Fair-Plays

264 Vgl. Grupe, Olympismus, 227. 265 Vgl. ebd. 266 Ebd., 228. 267 Ebd. 268 Vgl. Gabler, Hartmut: Fairness – Kern einer olympischen Ethik?, in: Digel, Helmut (Hg.): Nachdenken über Olympia. Über Sinn und Zukunft der Olympischen Spiele, Tübingen: Attempto-Verlag 2004 (= Sport in der heutigen Zeit. Tübinger Schriften zur Sportwissenschaft 3), 133-138, 136. 269 Ebd., 134. 270 Vgl. Müller, Olympische Erziehung, 392. 63 kursiert, ist der Friedensgedanke – als letztes der fünf Charakteristika einer olympischen Erziehung – der „am meisten herausgestellte Teilwert des Olympismus.“ 271 Der von Coubertin intendierte Zusammenhang von Frieden und Völkerverständigung stellt dabei ein Novum in der Geschichte des Sports dar, nicht zuletzt deswegen ist Pierre de Coubertin „nicht nur als 'Erfinder' der olympischen, sondern allgemein der 'sportlichen Friedensidee' anzusehen.“ 272 Stand der antike Sport nämlich eher in Verbindung mit dem Krieg – „Olympiasieger aus Sparta erhielten das Recht, im Kriegsfall an der Seite des Königs und damit 'in der ersten Reihe' kämpfen zu dürfen, was im Übrigen als besondere Auszeichnung empfunden wurde“ 273 – strebte die olympische Idee Coubertins ein Modell der „gegenseitigen Achtung“ und „internationalen Begegnung“ an, die dem Krieg entgegensteuern soll. 274 In Bezug auf die olympische Pädagogik heißt das vor allem das Verständnis für fremde Kulturen zu fördern, etwaige andere Sportarten kennenzulernen und den internationalen Sportkontakt weiter auszubauen. 275 Auch in der aktuell gültigen Charta des Internationalen Olympischen Komitees ist der Begriff des Olympismus vertreten. Dort heißt es:

Olympism is a philosophy of life, exalting and combining in a balanced whole the qualities of body, will and mind. Blending sport with culture and education, Olympism seeks to create a way of life based on the joy of effort, the educational value of good example and respect for universal fundamental ethical principles. 276 Im Vergleich mit dem Olympismus-Konzept Coubertins mitsamt der olympischen Erziehung als pädagogische Konkretisierung desselben, sind die Grundzüge der modernen Olympismus- Definition gleich geblieben. Bei beiden geht der Begriff in seiner Bedeutung weit über die sportlichen Komponenten heraus und erweist sich darüber hinaus als veritable Lebensphilosophie, der auch ein edukativer Mehrwert inne wohnt. „Erzieherische Zeigefunktionen“ 277 bieten etwa durch die bei den Olympischen Spielen geschaffene offene Atmosphäre, die eine aufrichtige Begegnung der Menschen untereinander ermöglicht und den olympischen Universalisierungsgedanken symbolisieren soll. 278 Weiters sind die Spiele auch ein wertvolles Beispiel menschlicher Leistungsfähigkeit, die, sofern sie unter Berücksichtigung der in der olympischen Idee integrierten Werte von Fairness, Aufrichtigkeit und gegenseitigem Respekt stehen, auch zu einem „Beispiel für gelungene Mitmenschlichkeit in kritischen Situationen“ 279

271 Ebd., 393. 272 Höfer, Andreas: Der Olympische Friede. Anspruch und Wirklichkeit einer Idee, Sankt Augustin: Academia-Verlag 1994 (= Studien zur Sportgeschichte 2), 44. 273 Ebd., 45. 274 Vgl. ebd., 49. 275 Vgl. Müller, Olympische Erziehung, 393. 276 International Olympic Committee: Olympic Charter. In Force as from 11 February 2010, Lausanne: IOC 2010, in: http://www.olympic.org/Documents/olympic_charter_en.pdf, 12. [abgerufen am 28.2.2011]. 277 Müller, Olympische Erziehung, 394. 278 Vgl. ebd. 279 Ebd. 64 werden kann. Diesen hohen Zielen und praktisch-pädagogischen Ansprüchen der olympischen Idee gerecht zu werden, stellt zweifellos eine große Herausforderung dar, welche nicht immer zufriedenstellend bewältigt wird. Angesichts der vielen Widersprüche zwischen der Idee und der konkreten Umsetzung, wie sie, wie bereits gezeigt, im Rahmen der olympischen Geschichte zuhauf vorgekommen sind, wird den olympischen Spielen von Kritikern „deshalb jede ideelle und pädagogische Bedeutung abgesprochen.“ 280 Ein solcher Ansatz, der den Erfolg beziehungsweise das Scheitern des Olympismus lediglich anhand der perfektionistischen Umsetzung aller relevanten Punkte beurteilt, greift jedoch wohl zu kurz, ja hat – so Müller – „COUBERTIN und seinen Olympismus nicht verstanden.“ 281 Gerade in Zeiten einer großen Olympia-Popularität, welche nicht auch zuletzt mit der kontrovers diskutierten Medialisierung in Zusammenhang steht, könnten die zweifellos vorhandenen positiven Werte der olympischen Idee auch wieder einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt werden. Eine wichtige Rolle hierbei kommt mit Sicherheit den Athleten zu, die „[s]owohl im konkreten sportpraktischen Handeln als auch im öffentlichen Bekenntnis zum fairen Verhalten“ 282 Botschafter der Coubertin'schen Idee und Verkünder des „sportlichen Evangeliums“ werden können. Der Gebrauch religiös konnotieren Termini mag in diesem Kontext etwas irritierend wirken, in Bezug auf die Bedeutung und den Anspruch, den Pierre de Coubertin dem Sport einräumt beziehungsweise den er einfordert, scheint er allerdings nicht unangebracht zu sein. Der Sport ist für ihn nichts Geringeres als „eine Religion mit Kirche, Dogmen, Kultus…aber besonders mit einem religiösen Gefühl.“ 283 Was sich 1909 mit diesem Zitat schon andeutete, entwickelte sich im Laufe der Jahre zum Konzept der „religio athletae“, das sich zunehmend in das Zentrum der olympischen Idee hinbewegte und in den „Philosophischen Grundlagen des modernen Olympismus“ im Jahre 1935 die deutlichste verbalisierte Ausprägung erfuhr.

2.2.1.4 Wenn der Olympismus zur Religion wird – das Konzept der religio athletae Das erste und wesentliche Merkmal des alten wie des modernen Olympismus ist: eine Religion zu sein […] Ich glaube daher recht gehabt zu haben, wenn ich mit der Erneuerung des Olympismus von Anfang an versuchte, ein religiöses Empfinden wieder zu erwecken […] Der sport-religiöse Gedanke, die religio athletae , ist nur sehr langsam in das Bewußtsein der Sportler eingedrungen, und viele von ihnen handeln auch nur unbewußt danach. Aber nach und nach wird es ihnen voller ernst damit werden. 284

280 Grupe, Olympismus, 230. 281 Müller, Olympische Erziehung, 395. 282 Ebd., 394. 283 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 107. 284 Ebd., 218 [Hervorhebung Religion: PdC ; Hervorhebung religio athletae : AT] 65

Der Begriff der religio athletae lässt sich zwar als „Religion des Wettkämpfers“ übersetzen, meint aber nicht primär dessen religiöse Einstellung, sondern „die religiöse Funktion des ausgeübten Sports, so daß nach einer Formulierung Coubertins auch von der ‚Religion der Muskelkraft‘ gesprochen werden kann.“ 285 Das Konzept der religio athletae wird von Coubertin auf dreifache Weise proklamiert 286 : In existentialer Hinsicht geht es um den Sport als einen „elementare[n] Ausdruck des menschlichen Seins“, um eine „radikale Lebensäußerung“ 287 , die den Sport in die Position einer Religion hievt. Politisch gesehen betont die religio athletae die Verbindung des Sports mit wichtigen gesellschaftlichen Werten. Das religiöse Moment innerhalb dieser Ebene besteht in der „Rückkoppelung des Sports an das, was gemeinsame Überzeugung ist.“ 288 War dies in der Antike noch in der Götterwelt verankert, sind es in der neuen Olympismus-Idee nun andere Werte, womit der Sport „vom Stadion zum Staat“ 289 transzendiert. Eine dritte Art der Proklamation der religio athletae geschieht über Zeremonien, die dem sportlichen Geschehen einen besonderen Charakter, eine Plattform der feierlichen Selbstdarstellung geben. Der religiöse Aspekt hierin zeigt sich „in der Zustimmung, im Bekenntnis zum Sport als dem Vermittler leiblichen Glücks.“ 290 Für diese Zeremonien – eine genauere Analyse erfolgt im nächsten Kapitel – wurden Elemente anderer Religionen, allen voran aus dem Christentum sowie aus dem antiken Zeus-Kult, wie er sich auch in Olympia präsentierte, herausgenommen. Die dort abgehaltenen „heiligen Spiele“, welche ja stets vor den Göttern – „mit deren Billigung und wer weiß, ob nicht auch mit ihrer Beteiligung“ 291 – abgehalten wurden, stellten wohl eines der wesentlichsten Vorbilder der „religio athletae“ Pierre de Coubertins dar. Die Spiele waren, wie gezeigt, integrativer Bestandteil der Religion, welche als „treibende Kraft“ 292 für den friedlichen Ablauf der Spiele fungierte. Der Friedensaspekt war auch ein wesentliches Motiv der olympischen Idee Coubertins, die durch die olympische Religion noch einmal notwendigerweise gekrönt werden sollte, „weil ohne Religion der olympischen Idee die Dynamik, die Begeisterung und das Absolute fehlen würden.“ 293 Nach Bernhard Maier war der „Eklektizist, Synkretist und Philhellene“ Pierre de Coubertin bemüht, „das antike religiöse Erbe Olympias“ in die Zeit der neuzeitlichen Spiele zu transferieren: „Olympia sei die Religion der Stärke, Kultivierung der Willenskraft, Ausübung von männlichem Sport basierend auf richtiger Gesundheitslehre, richtigem

285 Hörmann, Religion der Athleten, 11. 286 Vgl. ebd., 21. 287 Ebd. 288 Ebd. 289 Ebd. 290 Ebd. 291 Sloterdijk, Peter: Du mußt dein Leben ändern. Über Anthropotechnik, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2009, 146. 292 Moltmann, Jürgen: Olympia zwischen Politik und Religion, in: Concilium 25 / H. 5 (1989) 432-437, 433. 293 Ebd. 66

Gemeinsinn und auf Kunst und Wissenschaft.“ 294 Nicht mehr in die Neukonzeption integriert sind die griechischen Götter, durch wen sie allerdings – wenn überhaupt – ersetzt wurden, stellt ein nicht unwesentliches Problem in der Frage zur religio athletae dar. Gerade ob des Todes der griechischen Götter orientierte sich die „Religion der Athleten“ Coubertins laut Sloterdijk nicht direkt an der griechischen Mythologie, sondern vor allem an der modernen Kunstreligion Wagner'schen Typs. 295 In einer Memoirennotiz anlässlich eines Besuches der Bayreuther Festspiele zieht Coubertin Parallelen zwischen der Musik und dem Sport. Wie teilweise auch die Religion sind beide Sphären bemüht, „die Menschen für einige inkommensurable Momente aus ihrem gewöhnlichen Leben heraus[zu]sprengen, um sie verwandelt, gehoben und geläutert wieder in die Welt zu entlassen.“ 296 Insgesamt sind es also verschiedenste Einflüsse, die Coubertin in seinem Konzept der „religio athletae“ zu integrieren versucht. Neben dem etwas verklärten Bild des antiken Olympismus und dem Wagner‘schen Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts spielt, wie gezeigt, auch ein pädagogisch-philosophisches Moment eine nicht unwesentliche Rolle: Die religio athletae soll als „Erziehung des Menschen für die moderne Welt-Gesellschaft“ gesehen werden, indem er lernt, „mit dem Körper und mit seinen Gefühlen und Leidenschaften beherrscht und diszipliniert umzugehen, wie dies bei einem fairen sportlichen Kräftemessen der Fall zu sein hat.“ 297 Mit dem Konzept der „religio athletae“ geht es dem französischen Baron de Coubertin vor allem darum, die Olympischen Spiele nicht nur auf ihre zweifellos zentrale sportliche Bedeutung zu reduzieren, sondern auch ihre nicht-sportlichen Komponenten zu betonen und religiös zu stilisieren. Ein Ansatz, der Coubertin bereits zu Lebzeiten Kritik einbrachte, auch weil diese Gedanken viele Protagonisten der olympischen Idee schlicht überforderten, wie er auch in der eingangs zitierten Sequenz implizit andeutete. Nur wenige konnten und wollten sich mit den Gedanken Coubertins auseinandersetzen und identifizieren. Zwei der bedeutendsten sind der Deutsche Carl Diem sowie der ehemalige amerikanische IOC-Präsident Avery Brundage, welche die Gedanken Coubertins inhaltlich voll aufnahmen, jedoch auch nicht vor eigenen Akzenten zurückschreckten.

2.2.2 Carl Diem Carl Diem gehörte zu den wichtigsten Vertrauten Coubertins, ja bezeichnete sich sogar als „Sohn Coubertins“ sowie als „Gralshüter“ dessen olympischer Idee. 298 1882 geboren, avancierte er im Laufe seines Lebens zum „Mentor olympicus“ 299 Deutschlands. Insgesamt dreimal begleitete er als

294 Die drei vorangegangenen Zitate: Maier, Sport-Ethik-Religion, 83. 295 Vgl. Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 146. 296 Ebd., 148. 297 Die beiden vorangegangenen Zitate: Aigner, Olympismus, 396. 298 Vgl. Koch, Sport als säkulare Religion, 95. 299 Moltmann, Olympia, 434. 67

„chef de mission“ die deutsche Delegation zu den Olympischen Spielen, welche er 1916 sowie 1936 organisierte, wobei die erstgenannten ob des Ersten Weltkriegs nicht abgehalten werden konnten. 300 Im Rahmen der Vorbereitung der so umstrittenen Spiele in Berlin 1936 fungierte er auch als Initiator religiös-ritueller Handlungen innerhalb der Olympischen Spiele. Mit solchen Ritualen intendierte Diem, „dem olympischen Zeremoniell durch das Prestige der Antike 'höhere Weihen' zu verschaffen.“ 301 Zwar geht es ihm, ähnlich wie Coubertin, nicht um einen Zeus-Kult, aber dennoch um einen anderen Glauben: den Glauben an das Mensch-sein, das bei den Olympischen Spielen gebührend gefeiert wird. Inhaltlich passt sich Diem der Olympismus-Konzeption Coubertins voll an, „Diems Leistung ist wesentlich interpretatorischer Art“ 302 , wie Martin Hörmann anmerkt. Analog zu Coubertin betont Diem die pädagogische Seite des Sports sowie auch den Kulturbezug der Olympischen Spiele, die er einst als „'die größte sichtbare Gemeinschaft des menschlichen Kulturlebens auf der Erde'“ 303 rühmte. Während aber Coubertin und später auch Brundage den Spielen einen religiösen Charakter attestierten, ja den Olympismus sogar offen als Religion bezeichneten, lehnte Diem eine solch explizite Titulierung ab. Stattdessen geht es für Diem primär um eine „humanitas athletae“, welche die aufgrund des religiösen Pluralismus verlorengegangene religiöse Bindung durch einen „gemeinsamen Begriff der reinen Menschlichkeit“ 304 kompensiert, der die „'Harmonie unseres Daseins', des Einklangs von Körper, Geist und Seele“ 305 sichern soll. Ein gewöhnlicher Sport ist dieser Aufgabe gemäß Diem nicht gewachsen, weswegen es der olympischen Werte, Rituale und Grundsätze bedarf: „Sie rücken den Sport in die ihm zukommende Höhenlage und schränken ihn zugleich auf seine bescheidene Hilfsstellung im Leben ein.“ 306 Freilich sorgt(e) Diems Konzept der „reinen Menschlichkeit“ in Anbetracht der biographischen Umstände für Kritik. Obwohl er seit 1933 keine Funktion im deutschen Sport bekleidete 307 , wurde er, wie bereits erwähnt, mit der Organisation der „Propaganda-Spiele“ in Berlin betraut, die – wohl auch nicht ganz ohne Schuld Diems – nicht Ausdruck der Sportreligion, sondern des Krieges wurden. 308 Vorgeworfen wird Diem vor allem von Seiten Alois Kochs die Entstellung des Olympismus-Konzepts „zur Motivierung der Todeskandidaten“ 309 gegen Ende des

300 Vgl. Diem, Carl: Der Olympische Gedanke. Reden und Aufsätze, Schorndorf: Hofmann 1967, VII. 301 Koch, Sport als säkulare Religion, 95. 302 Hörmann, Religion der Athleten, 35. 303 Carl Diem zitiert in: Ebd., 31. 304 Diem, Der Olympische Gedanke, 97. 305 Hörmann, Religion der Athleten, 35. 306 Diem, Der Olympische Gedanke, 1. 307 Vgl. ebd. VII. 308 Vgl. Zimmermann, Die Religion, 344f. 309 Koch, Sport als säkulare Religion, 95. 68

Zweiten Weltkriegs. So forderte Diem im März 1945 Sechzehnjährige in Berlin in einer Rede zum „'siegreichen Endkampf gegen die deutschen Feinde auf'.“ 310 Die Rolle Diems in Bezug auf den Nationalsozialismus kann angesichts solcher Aussagen als zumindest sehr umstritten angesehen werden.

2.2.3 Avery Brundage Als umstritten galt und gilt auch Avery Brundage, der zwischen 1952 und 1972 als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees fungierte. Das Ende der Amtszeit des von Kritikern auch als „Slavery Avery“ 311 (= der Sklaventreiber Avery) verspotteten Brundage stand durchaus in Verbindung mit seiner unrühmlichen Haltung in Bezug auf den Terroranschlag bei den Olympischen Spielen in München 1972, als er mit dem Satz des „The games must go on“ die Fortsetzung der Spiele einforderte. Die Politik, in welcher Form auch immer, solle keinen Platz auf der Olympiabühne bekommen, ein Credo, das sowohl für seine IOC-Präsidentschaft – neben den tragischen Geschehnissen in München seien etwa auch Brundages Reaktionen auf diverse Boykottandrohungen genannt – als auch für die Zeit davor galt, als er von 1928 bis 1952 dem Nationalen Olympischen Komitee der Vereinigten Staaten vorstand. Die wohl prekärste Frage, der er im Laufe der Jahre in dieser Funktion begegnete, war der Streit um eine Teilnahme der amerikanischen Delegation bei den Berlin-Spielen 1936, die sein guter Freund 312 Carl Diem organisierte. Trotz einer starken Boykottbewegung wurde bei einer Abstimmung des Nationalen Olympischen Komitees am 6. Dezember 1935 für die Entsendung einer Mannschaft aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland votiert. 313 Eine zweite sehr umstrittene Frage im Umkreis Brundages war jene in Bezug auf den Amateurismus, deren Befolgung er gnadenlos einforderte und, wie bereits erwähnt, auch vor Disqualifikationen bei Verletzung der Regel nicht Halt machte. Interessanterweise hatte Brundage, selbst aktiver Olympiateilnehmer bei den Spielen 1912, von dieser Regel profitiert, als er nach der Disqualifikation Jim Thorpes im Fünfkampf-Bewerb um einen Rang auf Platz fünf vorrückte. 314 Erst nach Ende seiner Präsidentschaft wurde der Amateurparagraph allmählich verabschiedet. Dass mit Juan Antonio Samaranch einer der Protagonisten der Kommerzialisierung und Professionalisierung ausgerechnet unter Avery Brundage in das IOC einberufen wurde, mutet

310 Ebd. 311 Krämer, Harald: Schneller! Höher! Weiter! Edelfeder Coubertin, Sklaventreiber Brundage, in: Beckmann, Reinhold (Hg.): Feuer und Flamme. Das Olympiabuch, Berlin: Rowohlt 2004, 109. 312 Vgl. Guttmann, Allen: The Games must go on. Avery Brundage and the olympic movement, New York: Columbia University Press 1984, 64. 313 Vgl. ebd. 74 314 Vgl. Waldbröl, Hans Joachim: Die Herren der Ringe. Olympia und die Funktionäre, in: Beckmann, Reinhold (Hg.): Feuer und Flamme. Das Olympiabuch, Berlin: Rowohlt 2004, 99-108, 105. 69 geradezu ironisch an.315 Brundage vertrat nicht nur einen sehr konservativen Olympismus, sondern war zugleich auch derjenige, „der bisweilen direkt und fast ungebrochen den Religionsbegriff in Zusammenhang mit dem Sport und mit der Olympischen Bewegung verwendet.“ 316 Die diesbezüglich wohl expliziteste Äußerung erfolgte 1964 bei einer Sitzung des IOCs in Tokio.

Die Olympische Bewegung ist eine Religion des 20. Jahrhunderts, eine Religion mit universalem Anspruch, die in sich alle Grundwerte anderer Religionen vereinigt. [...] Man suche in der ganzen Geschichte und wird kein System von Grundsätzen finden, das sich so weit und so schnell ausgebreitet hat wie die brillante Philosophie de Coubertins. 317 Dieses Zitat Brundages sorgte international durchaus für Aufsehen. Tatsächlich scheint es problematisch, wie bereits Diem anmerkte, angesichts des religiösen Pluralismus' unserer Tage die Ideologie des Sports als Konglomerat jeglicher religiöser Werte anzusehen. Zweifel lassen sich wohl auch an der anscheinend noch nie dagewesenen Rapidität der Ausbreitung Religion hegen, die aber laut Brundage im Unterschied zu vielen anderen ohne jegliche Missionierungsgelüste oder Gewalt verbunden ist, womit auch Kritik an gewissen geschichtlichen Herangehensweisen des Christentums mitschwingt. 318 Im Zentrum des Religionsgedankens Brundages steht kein Glaube an übernatürliche Kräfte, sondern vielmehr die Berücksichtigung der Bedeutung allgemein anerkannter ethischer Grundsätze, die zum besseren Zusammenleben der Menschen beitragen sollen. Nicht zuletzt deshalb hatte er sich bald von seinem Religionsbegriff verabschiedet und stattdessen die Notwendigkeit der Olympischen Bewegung herausgestellt. 319 Neben den von ihm propagierten Olympischen Werten spielt in Brundages Konzeption auch der Aspekt der Goldenen Regel eine wichtige Rolle. Dieses „Moralprinzip“ verlangt vom einzelnen, „sich selber in einer bestimmten Situation stets so zu verhalten, wie er will, daß [sic!] sich andere in einer solchen Situation verhalten.“ 320 Brundage sieht in ihr ein universal verankertes Prinzip, das in vielen Religionssystemen etabliert und „im Sport zur allgemeinen Regel erhoben“ 321 ist. Mit dem irischen Lord Killanin, dem unmittelbaren Nachfolger Avery Brundages in der Position des IOC-Präsidenten, begann der Abstieg einer über 70 Jahre währenden Ära „religiös sentimentaler Pathetik“ 322 . Ein „Trend“, der sich auch unter dem aktuellen Präsidenten des IOC,

315 Vgl. Guttmann, The Games must go on, 260. 316 Hörmann, Religion der Athleten, 22. 317 Avery Brundage zitiert in: Hörmann, Religion der Athleten, 22. 318 Vgl. ebd., 23. 319 Vgl. ebd., 24. 320 Hoche, Hans-Ulrich: Goldene Regel, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 237-241, 237. 321 Hörmann, Religion der Athleten, 24. 322 Rösch, Heinz-Egon: Olympismus und Religion. Idee-Ideal-Realität, in: Stimmen der Zeit 198 / H. 8. (1980) 507- 516; 508. 70

Jacques Rogge, fortsetzt, für den es „gewiss fern liegt, den Sport mit einer Religion zu vergleichen.“ 323 Auch wenn offizielle Aussagen wie jene von Rogge in Bezug auf eine etwaige Olympia- Religion wieder etwas vorsichtiger ausfallen, ist die Religion dennoch ein wesentlicher geschichtlicher Begleiter der Olympischen Spiele. Waren diese in der Antike konstitutiver Bestandteil des Zeus-Kults, ist dieser konkrete Bezug auf ein bestehendes religiöses System in der neuzeitlichen Wiederauflage verschwunden. Vielmehr stellte Coubertin mit seinem religio athletae- Konzept selbst den Anspruch, Religion zu sein. Eine Religion, deren Glaubensinhalt die Olympische Idee darstellt und deren Kultgemeinde von der olympischen Bewegung repräsentiert wird. 324 Die Spiele bilden für Coubertin sowie für dessen Nachfolger Carl Diem und Avery Brundage den liturgischen Höhepunkt ihrer Religion. Viele, darunter auch der Philosoph Peter Sloterdijk 325 , sehen Coubertins Bemühungen als gescheitert an, angesichts der durchaus nicht zu unterschätzenden Parallelen, auf die in diesem Kapitel, aber auch im Kapitel zu den „Begrifflichen Voraussetzungen“ hingewiesen wurde, soll im kommenden Kapitel noch einmal die Praktikabilität einer (Olympia-)Sport-Religion getestet werden.

323 Maier, Sport-Ethik-Religion,80. 324 Vgl. Aigner, Olympismus, 397. 325 Vgl. Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 133-151. 71

III. Die religio athletae – eine Religion unserer Zeit „O Sport, Du Göttergabe, Du Lebenselixier!“ „O Sport, Du bist die Gerechtigkeit!“ „O Sport, Du bist der Friede!“ 326 Mit diesen und ähnlichen Superlativen versieht Pierre de Coubertin alias George Hohrod und M Eschbach den Sport in seiner „Ode an den Sport“ – eine Hommage, die dem Olympia-Pionier, wie bereits erwähnt, bei den Olympischen Sommerspielen 1912 in Stockholm die Goldmedaille in dem damals noch ausgetragenen Literaturbewerb sicherte. Für viele scheint diese Glorifizierung des Sports etwas zu weit zu gehen, ja wird dieses angedeutete Aufgabenpool sogar als Überforderung angesehen, dem der Sport, selbst, wenn er wollte, nicht gerecht werden kann. Andere sehen gerade darin einen religiösen Anspruch des Sports legitimiert, ein Sport, der bei weitem mehr ist als die vielzitierte wichtigste Nebensache der Welt. Tatsächlich sind in den drei Passagen aus der Ode Coubertins durchaus religiöse Konnotationen zu erkennen. Der Sport als Göttergabe verweist auf etwas Höheres und bringt eine transzendente Dimension des Sports ins Spiel. Der Sport als Gerechtigkeit hievt den Sport in die Position einer Ordnungsinstanz, einer Ordnung, an die sich der Mensch orientieren und festhalten kann. Mit der ebenfalls genannten Funktion des Friedensstifters greift der Sport Coubertins eine zwischenmenschliche, eine Beziehungsdimension an, der Sport als Instrument der Völkerverständigung, als die Sprache, welche die ganze Welt zu sprechen weiß, als Mittel der sozialen Integration. Vergleicht man diese in den Zitaten mitschwingenden Deutungen, mit dem zu Beginn der Arbeit aufgestellten Religionsbegriff – zur Erinnerung: Religion wurde definiert als ein vielschichtiges Gebilde aus teilweise sehr intensiven Erlebnissen, Ritualen und Ordnungen, das als ein Instrument zur Identitätsstiftung, zur sozialen Integration, zur Handlungsführung und Orientierung, zur Beantwortung von Sinnfragen und Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt fungiert, jedoch mit ihrem Bezug auf etwas transzendent „Heiliges“ auch darüber hinaus weist. – lassen sich einige Parallelen zwischen dem ideologisch gefärbten Coubertin'schen Sportverständnis und der Religion ziehen. Inwiefern allerdings ob einiger Übereinstimmungen bereits von einer modernen Olympiareligion gesprochen werden kann, soll im Rahmen dieses Kapitels noch ausgiebig eruiert werden.

326 Vgl. Coubertin, Pierre de: Der Olympische Gedanke. Reden und Aufsätze, Schorndorf: Hofmann 1967, 47f. 72

1 Der (olympische) Sport als religiöses Untersuchungsfeld

1.1 Religion als vielschichtiges Geflecht aus teilweise sehr intensiven Erlebnissen, Rituale und Ordnungen

1.1.1 Erlebnisaspekte des Sports Neben Kult, Kirche und Dogma spielt in Coubertins Religionsverständnis auch das Gefühl eine wichtige Rolle. Zweifellos ist das Gefühl, sind Emotionen auch eine wesentliche Kategorie im Sport – sowohl für ZuschauerInnen als auch für die AthletInnen. Zusätzlich zum sportlichen Geschehen wird dem Publikum mit dem Kauf der Eintrittskarten auch ein „emotionales Zusatzpaket“ angeboten respektive versprochen. „Expect emotions“ - Erwarte Emotionen – hieß es etwa ganz konkret anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz. Michel Platini, Präsident des Europäischen Fußballverbandes, begründete die Wahl des EURO-Mottos folgendermaßen: „Ein Slogan, der auf den Punkt bringt, was die UEFA-Europameisterschaft 2008 zu offerieren vermag: Emotionen aller Art, Freude oder Enttäuschung, Erholung oder Hochspannung bis zum Schlusspfiff." 327 Freigesetzte Emotionen können auch das Ergebnis eines Spiels beziehungsweise eines Wettkampfs beeinflussen. Nicht umsonst wird in vielen (Mannschafts-)Sportarten gerne und oft von einem Heimvorteil gesprochen, bei dem die SportlerInnen dank der emotionalen Kulisse noch die entscheidenden Kräfte freisetzen können, um einen Bewerb zu ihren Gunsten zu entscheiden. ZuschauerInnen stehen mit Vereinen, aber auch mit EinzelsportlerInnen oft in einer besonderen Beziehung, einer „emotionalen Bindung“ 328 , die trotz jeglicher Rationalisierungstendenzen, stets auch auf einen „Rest nicht auflösbarer Überzeugung“ 329 verweist. Ähnliches gilt für den religiösen Bereich, welcher in vielen Glaubensrichtungen von einer Beziehung zu Gott beziehungsweise zu einem Absoluten geprägt ist. Beide Fragen, also jene, wieso man den Verein XY unterstützt beziehungsweise jene, warum man an einen Gott respektive etwas „Höheres“ glaubt, werden den / die Fragende(n) bis zu einem gewissen Grad wohl ratlos zurücklassen, da die lebenslange Treue, die vor allem in ersterem Fall abverlangt wird – ein „Vereinswechsel“ gilt in Fankreisen zumeist als ein absolutes Tabu – eben sehr selten bis zum letzten Detail nachvollzogen werden kann und mit einem mehr oder weniger „religiösen“ Empfinden zusammenhängt. Solche Empfindungen kommen in unserer postmodernen, konsumorientierten Gesellschaft oft zu kurz, wie etwa Jürgen Schwier konstatiert, der eine gesellschaftliche „Sinn-, Spannungs- und

327 Erlebe Emotionen bei der EURO 2008, in: http://de.uefa.com/news/newsid=499792.html [abgerufen am 11.3.2011]. 328 Neuhold, Sport, 14. 329 Ebd. 73

Ereignisarmut sowie ein Defizit an ursprünglichen Empfindungen und existentiellen Berührungen mit der Wirklichkeit“ 330 ortet. Der Sport soll diese Mängel bis zu einem gewissen Grade kompensieren. Im Sport suchen Menschen „nach intensiven Erlebnissen der Selbstwirksamkeit, des Könnens und des Aufgehens im Tun, nach Wettkampf-, Gemeinschafts-, Entspannungs- oder Risikoerlebnissen.“ 331 Eine plausible Deutung des Erlebnis-Begriffs stammt von Wilhelm Dilthey, für den im Erlebnis „'Innesein und der Inhalt, dessen ich inne bin, eins'“ 332 sind. Dieses Erleben konzentriert sich demnach nicht nur auf die innere, gefühlsbetonte Ebene, sondern auch auf den „ganzheitlichen Lebensbezug als eine unhintergehbare Form des bewußten In-der-Welt-Seins.“ 333 Ein wesentliches sportliches „Erlebnisfeld“ befindet sich in den sogenannten Extremsportarten, deren Ziel es ist – dem Überbegriff entsprechend – bis zur äußersten physischen und psychischen Belastbarkeit und sogar darüber hinaus zu gehen. 334 Die entscheidenden Merkmale des Extremsports sind also die Auseinandersetzung mit sich selbst sowie dem Augenblick, die den (Extrem-)Sport zu einer '“Arena des Jetzt'“ 335 machen. Ein anderer Ansatz wird in Jürgen Schwiers schon zitiertem Beitrag erwähnt, wonach das Betreiben von Extremsportarten einen Beitrag zur Angstbewältigung liefert, um den persönlichen Beweis anzutreten, „daß man gefährliche Situationen bewältigen sowie die eigenen Ängste kontrollieren kann.“ 336 Die Frage, welche Sportarten sich in die „Schublade Extremsport“ einordnen lassen, erweist sich als recht diffizil, da sich der Begriff als grundsätzlich sehr inkonsistent erweist. In der unter der Redaktion Erwin Kleins entstandenen deutschen Ausgabe von „The sports' book“, in welchem das Reglement von über 200 Sportarten erschlossen wird, fallen Sportarten wie Straßenrodeln, Klippenspringen, Wildwasser-Rafting oder Extremklettern in den Bereich des Extremsports. 337 Tatsächlich reicht der Kanon der darunter einzuordnenden Sportarten wohl weiter, wie etwa auch ein Blick auf das Wettbewerbsprogramm der sogenannten „X-Games“ - das extremsportliche Pendant zu den Olympischen Spielen – beweist, in welchem Sportarten wie Inline-Skating, BMX- Radfahren oder diverse Snowboard- beziehungsweise Freeskiing-Bewerbe aufscheinen. 338 Daneben werden etwa auch Ausdauersportarten oder Teile des Bergsports zu den Vertretern des Extremsports gezählt. Freilich ist diese Suche nach dem „Kick“, nach den persönlichen Grenzen mit vielen

330 Schwier, Jürgen: Erlebnis, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 128-131, 128. 331 Ebd. 332 Wilhelm Dilthey zitiert in: Ebd., 129. 333 Ebd. 334 Vgl. Koch, Sport als säkulare Religion, 97. 335 Ebd. 98. 336 Schwier, Erlebnis, 131. 337 Vgl. Klein, Erwin (Red.): Sport. Regeln – Technik – Taktik, München: Dorling Kindersley 2 2009, 422-435. 338 Mehr Informationen zu den X-Games: Vgl. http://espn.go.com/action/xgames/winter/2011/europe/ [abgerufen am 13.3.2011]. 74

Gefahren verbunden. Die durchaus gängige Redewendung „No risk, no fun“ erhält innerhalb des Extremsports eine neue, existentielle Bedeutung: Vielfach ist nämlich der Tod ein stetiger Begleiter bei solchen Unternehmungen, ja wird dessen bedrohliche Präsenz auch bewusst in Kauf genommen, wenn nicht sogar erwünscht. 339 Durch das Erreichen eines euphorischen, mitunter rauschartigen Zustands kann es auch zu einer verzerrten beziehungsweise falschen Einschätzung der Umgebung kommen, wie etwa auch die Affäre rund um den österreichischen „Skyrunner“ Christian Stangl und dessen vermeintliche K2-Besteigung im Spätsommer 2010 zeigte. 340 Ähnliche Aspekte sind auch im Bereich des Ausdauersports, etwa beim Langstreckenlauf, zu beobachten. Das Erreichen der Schmerzschwelle nach einer gewissen Distanz wird durch die gesteigerte Produktion von Endorphinen, also körpereigener Morphine, kompensiert, woraus ein Hochgefühl resultiert, das sich in weiterer Folge zu einer regelrechten „Laufsucht“ weiterentwickeln kann, deren Behandlung mit Entzugserscheinungen einhergehen kann. 341 Freilich hat der „Extremsport“ kein Monopol auf das Erreichen der Erlebnisdimension Sport, wie auch Jürgen Schwier in seinem schon zitierten Beitrag aufzeigt: „Erlebnisse sind auch in ‚normalen‘ Sportarten, in sportbezogenen Bildungsprozessen und in der bewegungsorientierten Sozialarbeit sowie im Prozeß der Aneignung sportlicher Bewegungen möglich.“ 342 Auch im Olympiasport kann die Erlebnisdimension mitunter eine bedeutende Rolle spielen, und dies nicht nur, weil einige der Extremsport- und X-Games erprobten Sportarten ihren Weg in das olympische Sportprogramm geschafft haben. So soll etwa mit der olympischen Philosophie des „Dabei sein ist alles“, mit der ihr impliziten Botschaft, wonach der Kampf wichtiger als das Siegen sei, der Erlebnischarakter der Olympischen Spiele gefördert werden. Dass diese Philosophie angesichts der immer mehr in den Mittelpunkt rückende Devise des „Noch schneller – noch höher – noch stärker“ ins Hintertreffen gerät, ja sogar als antiquiertes Motto für Idealisten verspottet wird, wurde im Rahmen der Arbeit schon angesprochen. Der von außen, von Sponsoren, Medien teilweise gar von der Politik aufoktroyierte Leistungs- beziehungsweise Rekorddruck, der sich angesichts der Etablierung des „Arbeitsplatzes Spitzensport“ zum Existenzdruck weiterentwickeln kann, steht einem bewussten Erleben des Sports oftmals im Wege. Einen diesbezüglich sehr interessanten Denkansatz liefert der österreichische Nordische Kombinierer Felix Gottwald, der zwei Jahre nach seinem Rücktritt 2007 wieder in den Spitzensport zurückkehrte, ehe er seine Karriere im März 2011 endgültig beendete. Sein Comeback betrachtete der mehrfache Olympiasieger als „Genussprojekt“. Nicht mehr die Siege standen – laut seinen

339 Vgl. Koch, Sport als säkulare Religion, 97. 340 Vgl. u.a. Obermayr, Martin: Skyrunner Stangl: K2-Besteigung nur „visualisiert“, in: http://derstandard.at/1282979079958/Extrembergsteigen-Skyrunner-Stangl-K2-Besteigung-nur-visualisiert [abgerufen am 13.3.2011]. 341 Vgl. Koch, Sport als säkulare Religion, 98. 342 Schwier, Erlebnis, 129. 75

Ansagen –im Mittelpunkt, sondern die „Erfahrungen im Spitzensport“ 343 : „Das Spannende ist, dass du einen Job machen kannst, bei dem du dich rund um die Uhr mit dir selbst beschäftigst und Entwicklungen sofort erkennst.“ 344 Zudem stelle der Spitzensport eine „geniale Lebensuniversität“ 345 dar, in welcher der Mensch viel für das weitere Leben mitnehmen könne. Auch das Spiel ist ein Ort „unmittelbarer Gegenwartserfüllung“ 346 beziehungsweise ein Ort des Erlebens und der Emotionen. Vor allem Kinder können beim Spielen völlig im Moment aufgehen und ihre unmittelbare Umgebung ausblenden. Mitunter wird das Spiel durch Romano Guardini auch mit der katholischen Liturgie in Verbindung gebracht. Wie das (sportliche) Spiel hat auch die Liturgie keinen Zweck, sondern Selbstzweck und ist eine „in sich ruhende Welt des Lebens.“ 347 Tatsächlich scheint es also Berührungspunkte zwischen dem Sport und kultischen Handlungen, die im Zentrum vieler Religionen stehen, zu geben. Wie diese aussehen, soll im kommenden Abschnitt der Arbeit erläutert werden.

1.1.2 Kultische Aspekte im Sport Blickt man noch einmal auf die Olympischen Spiele der Antike zurück, ist eines der markantesten Charakteristika wohl ihre kultische Rückbindung, welche sich, wie gezeigt, auch im olympischen Programm anhand vieler, die Spiele begleitende und gar anleitende, Rituale widerspiegelt. Auch wenn der Sport seinen Bezug auf einen konkreten Kult verloren hat, ist er nach wie vor, vielleicht sogar mehr denn je, voll von Ritualen, Symbolen oder Zeremonien. Rituale vermögen Sicherheit und Orientierung zu vermitteln, aber auch „das Unbegehbare, das Überschreitende, das in Religionen gelegen ist, begehbar zu machen.“ 348 Im Sport haben Rituale nach Mari Womack allen voran fünf wichtige Merkmale349 : Diese sind wiederholbare, formalisierte und sequentielle Handlungen ohne kausale oder funktionale Bedeutung, die mit dem Glauben verbunden sind, „daß [sic!] sie zusätzliche, übernatürliche Kräfte freisetzen.“ 350 Gerade im Fußball sind rituelle Handlungen keine Seltenheit. Beispiele hierfür wären etwa das Bekreuzigen vor Betreten des Spielfelds, welches mitunter stets mit einem bestimmten Fuß zuerst berührt werden muss, das Schnüren der Schuhe in der immer gleichen Reihenfolge oder das

343 Hackl, Christian: „Glaube, dass wir selbst der Schöpfer sind“, in: http://derstandard.at/1293370714055/Standard- Interview-Glaube-dass-wir-selbst-Schoepfer-sind [abgerufen am 14.3.2011]. 344 Ebd. 345 Ebd. – Mehr zu Felix Gottwald und seine Lebensphilosophie: Vgl. Gottwald, Felix: Ein Tag in meinem Leben, Zell am See: F. Gottwald 2008. 346 Türk, Sport als Liturgie, 286. 347 Romano Guardini zitiert in: Ebd. 348 Neuhold, Sport, 15. 349 Vgl. Krüger, Michael: Ritual, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 441-444, 441. 350 Ebd. 76

Tragen derselben Nummer während der ganzen aktiven Karriere. 351 Der Fußballsport unterliegt also nicht selten einer kultischen Überhöhung und wird vielfach sogar „als eine Art Gottesdienstersatz in der modernen Gesellschaft“ 352 gesehen. Tatsächlich finden sich, wie bereits weiter oben beschrieben, einige gottesdienstliche Elemente in abgeänderter Form im Stadion wieder. 353 Auch rund um die Olympischen Spiele hat sich ein Kult gebildet. Eine wesentliche Motivation hinter dieser Idee war für Coubertin, „die Spiele und den Sport vor dem Abgleiten in den Merkantilismus, ins Show-Business, in den Sumpf der Korruption bewahren zu können.“ 354 Waren die Olympischen Spiele der Neuzeit in ihren frühen Jahren stark mit dem Christentum verbunden – 1908 sowie 1912 wurden christliche Eröffnungsgottesdienste abgehalten, und auch die Abschlussfeiern waren bis 1932 mit kirchlichen Zeremonien versehen – kam es mit den Spielen in Berlin wohl zur endgültigen Emanzipation des olympischen Kults von den etablierten Religionen 355 , die von einer Forcierung der eigenen Rituale und Zeremonien, aber von auch einer kontinuierlichen Indienstnahme durch die Politik begleitet war. Diese Zeremonien als „religiös- kultische Brücke zur Antike“ 356 sind für Hörmann in doppelter Hinsicht als religiös zu bewerten: In funktioneller Hinsicht gilt es, „den feierlichen Charakter der Spiele zu unterstreichen, und zwar mit dem Ziel, die Ethik der Spiele zu sichern.“ 357 Als zweites ist ein symbolischer beziehungsweise liturgischer Zugang zu nennen, ohne den eine Feier nicht funktioniere. „Wer feiert und spielt, drückt mit überlieferten oder neugestalteten Zeremonien liturgisch, das heißt nach einem genau geregelten Ablauf, und symbolisch, das heißt mit einem sprechenden, verdichteten besonders aussagekräftigen Zeichen oder einer Handlung, sein Selbstverständnis aus.“ 358 Für Coubertin war die Bedeutung dieser Zeremonien herausragend, „der Gestaltung der Feier sei größte Aufmerksamkeit zu schenken.“ 359 Tatsächlich scheint es also auf den ersten Blick nicht unberechtigt, von einem olympischen Kult, einer olympischen Liturgie zu sprechen, einer Liturgie, die laut Hermann Reifenberg fünf Fragen unterliegt: „Was (Wesen; Sinn), Wer (Träger), Wie (Form), Wann (Zeit), Wo (Ort)“ 360

351 Nicht selten werden Rückennummern und ihre Träger auch mythologisiert. So wurde etwa beim österreichischen Verein Sturm Graz die Rückennummer 3 seit dem Rücktritt der Vereinsikone Günther Neukirchner, der stets mit dieser Nummer spielte, nicht mehr vergeben. 352 Türk, Sport als Liturgie, 280. 353 Vgl. Seite 21f. der Arbeit. 354 Hörmann, Religion der Athleten, 36. 355 Vgl. Zimmermann, Die Religion, 342. 356 Hörmann, Religion der Athleten, 44. 357 Ebd., 45. 358 Ebd. 45f. 359 Ebd. 360 Reifenberg, Hermann: Liturgie als Spiel! Spiel als Liturgie? Grundsätzliche und konkrete Gesichtspunkte zum Verhältnis zweier menschlicher Grundphänomene, in: Jakobi, Paul /Rösch, Heinz-Egon: Sport und Religion, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1986 (= Topos Taschenbücher 164) (=Schriftenreihe Christliche Perspektiven im Sport 77

Nachdem die Frage nach der Intention des olympischen Kults schon angerissen wurde, soll in weiterer Folge der Fokus auf die anderen vier Konstituenten gelegt werden.

1.1.2.1 Die kultischen Rahmenbedingungen – Die Frage nach dem Zeit und Raum Grundsätzlich ist in der Liturgie eine Feier jederzeit möglich, wenngleich es natürliche und künstliche Faktoren gibt, die durchaus zu berücksichtigen sind. Unter die natürlichen fallen für Reifenberg Tag, Nacht, Morgen und Abend, während die künstlichen etwa durch den Kalender repräsentiert werden. 361 Auch die Olympischen Spiele unterliegen einer bestimmten kalendarischen Ordnung. Wie ihr Pendant in der Antike finden die Spiele der Neuzeit alle vier Jahre statt, ein Rhythmus, der für Moshe Zimmermann im Laufe des 20. Jahrhunderts „zum Schrittmacher der Welt“ 362 mutierte. Tatsächlich wurde der Vier-Jahres-Zyklus von Anbeginn der Spiele (1896) bis heute durchgehalten. Trotz vieler Krisen wurden die Spiele nur dreimal (1916/1940/1944), während der beiden Weltkriege, ausgesetzt und der olympische Rhythmus beibehalten. So fanden die ersten Spiele nach dem Ersten Weltkrieg 1920 und jene nach dem Zweiten Weltkrieg erst 1948 statt. Ein solch strenger Kalenderzyklus war für de Coubertin notwendig, da eine Religion ohne Kalender machtlos sei. 363 Doch nicht nur die Olympischen Spiele stützen sich auf eine rigide kalendarische Ordnung. Ähnliches lässt sich ebenfalls im Fußballsport attestieren, wo Welt- und Europameisterschaften auch einem Vier-Jahres-Rhythmus unterliegen. Die Vorteile solch eines starren Konzepts liegen auf der Hand. Ein Kalender dieser Art vermittelt Orientierung und Sicherheit, bietet etwas zum „Anhalten“ und unterscheidet zwischen sogenannten „heiligen“ und „normalen“ Zeiten. Etwaige Änderungen innerhalb dieses Korsetts erfordern in Anbetracht dieser Punkte wohl äußerste Sensibilität, schon allein die Intention wird oft mit Unkenrufen bedacht. Zur Illustrierung dieser Situation soll abermals der Fußball dienen, in welchem vor allem aus finanziellen Gründen Adaptierungen im Kalender vorgenommen werden. Anschaulich wird dies etwa in der „Zerstückelung“ der Meisterschafts- und Europapokalspieltage zwecks besserer und umfassenderer medialer Aufbereitung. 364 Auch auf FIFA-Ebene wurde über Änderungen im Kalender diskutiert. So plädierte der FIFA-Präsident Sepp Blatter einst für die „Verkürzung des Zeitabschnitts zwischen Weltmeisterschaften“ 365 , ein Plan, der sich bis dato allerdings nicht durchsetzte. Höhepunkt der jüngsten Termindiskussionen im Weltfußball waren die

8), 113-140, 114. 361 Vgl. ebd., 117. 362 Zimmermann, Die Religion, 343. 363 Vgl. ebd. 364 In Österreich zum Beispiel wurde der Samstag zwar als „heiliger Tag der Fußball-Religion“ beibehalten, die Anstoßzeiten vom Nachmittag allerdings vor allem auf den Abend verlegt. Fanden einst alle Spiele am Samstagnachmittag statt fungieren mittlerweile auch der Freitag und der Sonntag als regelmäßige Spieltage 365 Zimmermann, Die Religion, 343. 78

Überlegungen, die an den Katar nicht unumstritten vergebenen Weltmeisterschaften 2022 aus klimatischen Gründen im Winter anstatt wie seit jeher üblich, im Sommer auszutragen, Überlegungen, die allerdings wieder offiziell verworfen wurden. 366 Allen Vorteilen zum Trotz hätte eine Verlegung der Weltmeisterschaft erhebliche Konsequenzen auf den internationalen Spielplan gehabt und wäre, überspitzt gesagt, einer „kalendarischen Revolution“ gleichgekommen. Beide Pläne hätten auch Auswirkungen auf die Olympischen Spiele gehabt. Bei einer Verkürzung des Intervalls zwischen den Weltmeisterschaften auf einen Zweijahres-Rhythmus könnte es zu Terminkollisionen mit den Olympischen Sommerspielen kommen. Eine Verlegung der Fußball-WM 2022 brächte diese in terminliche Nähe zu den Olympischen Winterspielen. Beides hätte wohl vor allem negative Auswirkungen auf die mediale Berichterstattung und ist Spiegelbild einer nicht zu unterschätzenden Rivalität zwischen dem IOC und dem Internationalen Fußballverband. 367 Die Medialisierung war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass im Jahr 1986 eine Umstellung des olympischen Rhythmus beschlossen wurde. Da „die Fernsehsender nicht genügend Werbekunden akquirieren konnten, um die Übertragungsrechte zwei Mal im Jahr zu bezahlen“ 368 , wurden die Olympischen Winterspiele nach den Spielen 1992 von den Sommerspielen getrennt. Während die nächsten Winterspiele bereits zwei Jahre später im norwegischen Lillehammer ausgetragen wurden, behielten die Sommerspiele ihren Rhythmus bei und fanden, wie gehabt, vier Jahre später 1996 in Atlanta statt. Eine zweite kultische Rahmenbedingung stellt der Raum da. Gegenüber „profanen“ Räumen sind kultisch genutzte Räume „Stätten der Begegnung mit dem Heiligen, also mit dem, was das Leben im Inneren bestimmt, was Orientierung bietet, was in der Not tröstet und im Alltag Kraft gibt.“ 369 Im christlichen Sinne gesprochen, wäre das ein Raum der Begegnung mit Gott, die durch Riten, symbolischen Zeichen, durch Gemeinschaft – schlicht in Wort und Sakrament – stattfindet. Vor allem das Gemeinschaftsmoment kann ähnlich wie die anderen beiden Parameter auch im Sportstadion eine wichtige Rolle spielen, eine Gemeinschaft, wie sie sich etwa in der Fanszene in diversen Ballsportarten, aber auch und in unserem Kontext vielleicht wichtiger, innerhalb der Olympischen Spiele präsentierte. Das Stadion ist keine Erfindung des modernen Sports, sondern hat sich bereits in der Antike und auch bei den Spielen in Olympia als Schauplatz sportlicher Wettkämpfe etabliert. Architektonisch vereinen Sportstadien viele Aspekte des antiken

366 Klarstellung bezüglich des Austragungszeitraums der FIFA WM 2022, in: http://de.fifa.com/worldcup/qatar2022/news/newsid=1378858/ [abgerufen am 17.3.2011]. 367 Vgl. FIFA kontra IOC – Geschichte einer Rivalität, in: http://www.deutschland-nachrichten.com/fifa-kontra-ioc- geschichte-einer-rivalitat/ [abgerufen am 17.3.2011]. 368 Klein, Sport, 33. 369 Rupp, Hartmut: Sportstätten als heilige Räume, in: Ulrichs, Hans-Georg / Engelhardt, Thilo / Treutlein, Gerhard (Hg.): Körper, Sport und Religion. Interdisziplinäre Beiträge, Idstein: Schulz-Kirchner 2003 (= Forschen-Lehren- Lernen 17); 121-132, 122. 79

Gesellschaftslebens, des rechteckigen Stadions in Olympia, des halbrunden Theater, des ovalen, elliptischen oder halbkreisförmigen Amphitheaters (wie etwa das Kolosseum in Rom) sowie des Zirkus, in welchem etwa Wagenrennen stattgefunden haben. 370 Nach der ersten großen Zeit der Stadien in der Antike kam es erst im 18. Jahrhundert zu einer Renaissance des Stadionbaus. Die französischen Arenen Napoleons, in denen Massenversammlungen abgehalten und für Unterhaltung gesorgt wurde, hatten allerdings auch eine kultische Dimension: „Das Stadion sollte staatliche Macht zum Ausdruck bringen und den Einzelnen mit der Gesellschaft und dem Staat versöhnen.“ 371 Mit ähnlichen Motiven arbeitete der Stadionbau im 20. Jahrhundert: Auch hier stand, vor allem in Deutschland, die Förderung des Patriotismus im Vordergrund. Weiters wird etwa mit der Integration von Denkmälern eine Brücke zum Kult probiert: Das „Memorial Coliseum“ zu Los Angeles, Stadion zu den Olympischen Sommerspielen von 1932 und 1984, bezieht sich auf ein Denkmal der Gefallenen des Ersten Weltkriegs und fungiert als Vorbild für das Olympiastadion in Berlin, ein wesentliches Spiegelbild für das rücksichtslose Gigantismusstreben des National- sozialismus 372 , in welchem zudem der Olympiakult weiter vorangetrieben wurde, wie später noch genauer zu zeigen sein wird. Diese Verbindung von Stadion und Kult, die sich etwa auch in der Errichtung von Stadionkapellen 373 zeigt, wird zusätzlich in inoffiziellen, vor allem in Fankreisen kursierenden, Beinamen evident. Unverblümt wird da etwa, wie bereits oben erwähnt, von der „Kathedrale zu Wembley“ oder der Wallfahrt nach „St. Hanappi“ gesprochen. 374 Solche Analogien finden sich ferner im olympischen Kontext. Für Arnd Krüger ist das Olympia-Stadion etwa „ein heiliger Distrikt, eine Kathedrale, in der gewöhnliche Alltagsmotorik zu rituellen Handlungen wird“ 375 . Was sind nun solche rituellen Handlungen im Sport und vor allem in Hinblick auf die Olympischen Spiele? – Eine Frage, die uns schon zum nächsten Punkt in Reifenbergs liturgischem Fragekatalog bringt, zur Frage nach der Form beziehungsweise der Realisierung des Kults.

1.1.2.2 Realisierungsmöglichkeiten des Kults – Die Frage nach der Form „Die beste WM-Eröffnung aller Zeiten war jene 1991 in Saalbach-Hinterglemm. Die war angenehm und schnell, sie wurde nämlich abgesagt.“ 376 Auch wenn sich Eröffnungsfeiern, wie die im Rahmen

370 Vgl. ebd., 124. 371 Ebd., 125. 372 Vgl. ebd., 126. 373 Die bekannteste dieser Stadionkapellen steht wahrscheinlich im „Nou Camp-Stadion“ zu Barcelona. Aber auch in Deutschland (Gelsenkirchen, Frankfurt, Berlin) wurden solche Kapellen errichtet. 374 Solche Analogien gibt es allerdings auch in Bezug auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Das „Old Trafford-Stadion“ in Manchester wird synonym als „Theatre of Dreams“ bezeichnet. 375 Arnd Krüger zitiert in: Zimmermann, Die Religion, 341. 376 „Singen und g'winnen“, in: http://sport.orf.at/stories/2043348/ [abgerufen am 21.3.2011]. 80 der Schi-Weltmeisterschaften im Februar 2011 in Garmisch-Partenkirchen getätigte Aussage des FIS-Präsidenten Gianfranco Kaspar beweist, nicht überall der gleichen Beliebtheit erfreuen, sind sie festes Inventar von Welt- und Europameisterschaften jeglicher Sportarten und vor allem der Olympischen Spiele. Gerade Eröffnungsfeiern intendieren mit den vielen ihnen inhärenten Symbolen und Ritualen eine „Sublimierung des Sports“ 377 , ein Absegnen der Wettkämpfe von höherer Stelle. Geht es nach dem offiziellen Factsheets des IOC zu den Eröffnungsfeiern von Olympischen Winter- und Sommerspielen, sind es einige Fixpunkte, die das Zeremoniell dieser Feiern prägen. Genannt werden der Einzug der AthletInnen, die Reden des nationalen Organisationskomitees der jeweiligen Spiele sowie des IOC-Präsidenten, das Spielen der Olympia-Hymne und der Einzug beziehungsweise das Hissen der olympischen Flagge, die letzte Station des Fackellaufs mitsamt der Entzündung des Olympischen Feuers, das Aufsteigen von Tauben, der Olympische Eid sowie das Spielen der Hymne des Ausrichterlandes. 378 Ergänzt wird dieser Pool von Ritualen und Symbolen durch ein künstlerisches Programm, in welchem auch und vor allem kulturelle Besonderheiten des Gastgebers herausgestellt und präsentiert werden. Das wohl markanteste Symbol der olympischen Bewegung stellen die fünf olympischen Ringe dar, deren Bekanntheitsgrad ob der medialen Omnipräsenz „etwa dem des 'Roten Kreuz'“ 379 entspricht. Das von Pierre de Coubertin persönlich kreierte Symbol zeigt fünf in sich verschlungene Ringe in verschiedenen Farben. Diese stehen stellvertretend „für die fünf Erdteile sowie die Gesamtheit aller einzelnen Länder, die jeweils mindestens eine Farbe ihrer offiziellen Nationalflagge in den verschiedenen Farben der Ringe wiederfinden.“ 380 Mit diesem universalen, nationenübergreifenden Gedanken ist dieses scheinbar simple Symbol ein wertvolles Friedenszeichen, nein vielleicht sogar das Friedenszeichen, zumindest aber „eine exakte Abbildung der olympischen Friedensidee“ 381 , die in sportlicher Hinsicht durch die Begegnung der SportlerInnen im fairen Wettbewerb realisiert wird. Dass dieses Friedenszeichen gerade kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, im Juni 1914, beim Olympia-Kongress in Paris erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde, stellt einen „bezeichnenden Zufall“ 382 dar. Die Präsentation der Ringe auf einer weißen Fahne war von großem Erfolg geprägt. 383 Diese neugestaltete Olympia-

377 Koch, Sport als säkulare Religion, 92. 378 Vgl. International Olympic Committee: Factsheet Opening Ceremony of the Summer . Update February 2008, in: http://multimedia.olympic.org/pdf/en_report_1134.pdf, 1. [abgerufen am 21.3.2011]. bzw. Vgl. International Olympic Committee: Factsheet Opening Ceremony of the Olympic Winter Games. Update February 2008, in: http://multimedia.olympic.org/pdf/en_report_1036.pdf, 1. [abgerufen am 21.3.2011]. 379 Höfer, Der Olympische Friede, 108. 380 Ebd. 381 Ebd. 382 Ebd., 110. 383 Vgl. Coubertin, Olympische Erinnerungen, 147. 81

Fahne sollte bereits 1916 in Berlin ihre olympische Premiere feiern, nachdem diese Spiele jedoch aufgrund der Kriegswirren abgesagt werden mussten, wehte sie erst 1920 in Antwerpen erstmals in einer olympischen Austragungsstadt. Bei den Spielen selbst wird sie im Rahmen der Eröffnungsfeier gehisst und bleibt dort bis zum Ende gut sichtbar im Stadion angebracht, ehe sie bei der Schlussfeier in einem symbolischen Akt wieder eingeholt wird, wie weiter unten noch genauer beschrieben werden wird. Auch wenn die Olympische Fahne also wohl das bekannteste Symbol der olympischen Bewegung darstellt, gibt es jedoch auch andere kaum unbekanntere Zeichen, die im Zuge der Olympischen Spiele von Bedeutung sind. Beispiel hierfür ist etwa das sogenannte Olympische Feuer, welches 1928 in Amsterdam 384 erstmals in das Zeremoniell der Spiele integriert wurde, um – im Sinne Coubertins – „einerseits die Verbindung mit der Antike zu dokumentieren und andererseits noch einmal sichtbar und begreiflich für alle den Geist des Ereignisses leuchten zu lassen.“ 385 Acht Jahre später, im Rahmen der Olympischen Spiele in Berlin wurde das markante Symbol durch die Installierung des Olympischen Fackellaufs, auf den im Rahmen der Problematisierung der Berlin- Spiele schon hingewiesen wurde, noch stärker herausgestellt. Ziel des Laufes, der seither fester Bestandteil des Olympischen Protokolls ist und seit 1952 in auch im Vorfeld der Olympischen Winterspiele ausgetragen wird 386 , war für Diem, „die Lebendigkeit der geistigen Kräfte und des sittlichen Gehalts der Spiele von Altertum und Neuzeit zu betonen und zu zeigen, daß der gleiche Idealismus auch die Jugend von heute erfüllt.“ 387 Von Olympia aus, wo das Feuer mithilfe der Sonnenstrahlen angefacht wird, soll das Feuer durch FackelläuferInnen in mehreren Etappen zum Austragungsort der jeweils anstehenden Spiele gebracht werden. 388 Auf diese Weise sollen, wie es in einem Dokument des Olympischen Museums zu den Olympischen Symbolen heißt, die Spiele auf der ganzen Welt angekündigt und zugleich auch die Kultur und Traditionen der durchquerten Gebiete zur Geltung gebracht werden. 389 Carl Diem verband in der Erstauflage den Fackellauf mit sogenannten „Olympischen Weihestunden“, in deren Rahmen das Feuer auf einem Altar präsentiert wurde und zwei Stunden brennen sollte. Während dieser Zeit erfolgte die sogenannte „sportliche Weihestunde mit

384 Vgl. Klein, Sport, 15. 385 Hörmann, Religion der Athleten, 41. 386 Vgl. Klein, Sport, 19. 387 Diem, Der Olympische Gedanke, 84. 388 Ausnahmen dieser Regel bilden lediglich die Olympischen Winterspiele von 1952-1960. Während das Feuer für die Spiele in Cortina 1956 in Rom entzündet wurde, fand dieser Akt für die Spiele in Oslo (1952) und Squaw Valley (1960) in der Wiege des Schisports, in Norwegen statt, wo das Feuer in der Hütte des norwegischen Skipioniers Sondre Norheims den Ausgangspunkt markierte. Vgl. The Olympic Museum: The Olympic Flame and Torch relay in: http://multimedia.olympic.org/pdf/en_report_655.pdf, 6. [abgerufen am 22.3.2011]. 389 Vgl. Das Olympische Museum: Die Olympischen Symbole, in: http://multimedia.olympic.org/pdf/en_report_1304.pdf, 6. [abgerufen am 22.3.2011]. 82

Vorführungen, Gesang, Tanz und einer Ansprache des Laufes und der Olympischen Spiele.“ 390 Hauptintention dieser Weihestunden war vor allem, den während des Laufs entstehenden Verzögerungen entgegenzuwirken. Traten diese tatsächlich auf, wurde das Ritual abgesagt und die verlorengegangene Zeit wieder aufgeholt. Diese minutiöse Planung war für Moshe Zimmermann ein wesentliches Motiv für den religiösen Charakter, der dem Fackellauf innewohnt. 391 Die Ankunft des Flamme im Stadion nach seiner oft über tausende Kilometer währenden Reise rund um die Welt bildet wohl unbestritten den Höhepunkt jeder Olympischen Eröffnungsfeier. Im Stadion selbst wird die Flamme von der letzten Trägerin oder dem letzten Träger im Rahmen einer Stadionrunde dem Publikum präsentiert, ehe die Olympische Flamme endgültig und für alle sichtbar in einem Kessel entzündet wird. 392 Wer dieses prestigeträchtige Amt der letzten Läuferin / des letzten Läufers bekleidet, wird bis zuletzt geheim gehalten und bildet ein recht beliebtes Feld für Spekulationen. Zumeist handelt es sich hierbei um wichtige Identifikationsfiguren des jeweiligen Ausrichterlandes oder gar der Ausrichterstadt. Neben Persönlichkeiten wie dem US- amerikanischen Boxer Muhammad Ali oder dem ehemaligen französischen Fußballer und jetzigen Präsidenten des Europäischen Fußballverbands Michel Platini war es bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney die australische Leichtathletin Cathy Freeman, welcher die Ehre dieser Aufgabe zukam. 393 Die Wahl der Aborigine Freeman war vor allem politisch interessant, sollte doch damit ein Zeichen in Bezug auf das nicht immer konfliktfreie Verhältnis Australiens zu seiner indigenen Bevölkerungsgruppe gesetzt werden. Mit ihrem Olympiasieg über die 400 Meter Distanz 394 avancierte Freeman endgültig zu einer der wesentlichsten Protagonistinnen der Spiele von Sydney Trotz der wenig ruhmreichen Anfangsphase des Fackellaufs, der im Umkreis der Olympischen Sommerspiele in Berlin wohl auch für Anliegen des Nationalsozialismus entzweckt beziehungsweise, aus der Sicht Alois Kochs, offensichtlich direkt vom Berliner Propagandaministerium angeregt wurde 395 , hat sich der Fackellauf respektive das Olympische Feuer als eines der markantesten und sichtbarsten Symbole der Olympischen Spiele etabliert. Neben Geschehnissen rund um das Olympische Feuer zählt wohl der Olympische Eid zu den meist beachteten Vertretern des Ritualinventars der Olympischen Eröffnungsfeiern. Zugleich war es wohl einer der ältesten: Olympische Eide von Athleten und Helladoniken gab es, wie oben gezeigt, bereits in der Antike. Schwor man damals jedoch über einem geopferten Eber, gilt

390 Diem, Der Olympische Gedanke, 72. 391 Vgl. Zimmermann, Die Religion, 347. 392 The Olympic Museum, The Olympic Flame and Torch relay, 2. [Vgl. FN 384]. 393 Listen der letzten FackelläuferInnen bei den Olympischen Spielen bis 2004 (Sommer)/ 2006 (Winter) befinden sich in: Vgl. Vgl. International Olympic Committee: Factsheet Opening Ceremony of the Summer Olympic Games, 4. bzw. Vgl. International Olympic Committee: Factsheet Opening Ceremony of the Olympic Winter Games, 4. [Vgl. FN 374]. 394 Vgl. Klein, Sport, 35. 395 Vgl. Koch, Sport als säkulare Religion, 95. 83 der Schwur jetzt auf die Olympische Flagge. Der / Die EidsprecherIn hebt die rechte Hand zum Schwur und ergreift mit der linken Hand eine Ecke der Olympischen Fahne. Zugleich werden die im Halbkreis um den Sprecher / die Sprecherin angeordneten Nationalflaggen der teilnehmenden Nationen abgesenkt. 396 Eingeführt wurde das Ritual bei den Olympischen Spielen in Antwerpen 1920. In der von Pierre de Coubertin geprägten und vom belgischen Degenfechter Victor Boin erstmals gesprochenen Formel heißt es:

Wir schwören, daß wir uns bei den Olympischen Spielen als ehrenhafte Mitbewerber zeigen und die für die Spiele geltenden Bestimmungen achten wollen. Unsere Teilnahme soll in ritterlichem Geiste zur Ehre unseres Vaterlandes und zum Ruhme des Sports erfolgen. 397 Die Intention dieser Formel entspricht grundsätzlich jener der antiken Spiele: Die AthletInnen verpflichten sich auf diese Weise dazu, die olympischen Regeln zu befolgen, und sollten im Sinne Coubertins damit auch einer „ethischen Entleerung“ 398 der Spiele entgegensteuern. Es galt für Coubertin, „den Olympischen Gedanken wieder zu jener Vorstellung von seelischer Reinheit des Wettbewerbs zu führen, die zu den Grundpfeilern der antiken Olympiade gehörte.“ 399 Nach den Spielen von 1960 in Squaw Valley und Rom wurde die Formel entschärft. Statt eines Eides legte man von nun an ein Versprechen ab. 400 Als Ziel der Olympiateilnahme wurden anstatt der „Ehre des Vaterlandes“, der „Ruhm des Sports“ und die „Ehre der Mannschaft“ ausgegeben. Diese Modifizierung sollte ein Gegengewicht zum den Sport entstellenden Nationalismus liefern. 401 1999 wurde eine erneute Adaptierung der Formel beschlossen. Die Formel lautet seither:

Im Namen aller WettkämpferInnen verspreche ich, dass wir an diesen Olympischen Spielen in wahrer Sportlichkeit und zum Ruhme des Sports und der Ehre unseres Teams teilnehmen und dabei die Regeln respektieren und einhalten sowie uns zu einem Sport ohne Doping und Drogen verpflichten. 402 Im Vergleich zu den Versionen von 1920 und 1961 stellt wohl das Bekenntnis zu einem sauberen und transparenten Sport eine wesentliche und überaus begrüßenswerte Neuerung dar, welche angesichts der vielen Dopingfälle der jüngeren Olympiageschichte jedoch noch immer mehr Wunschdenken als Bekenntnis ist. Seit 1972 gibt es, ähnlich wie für die Helladoniken in der Antike, auch eine analoge Formel für die Olympiafunktionäre. Der wesentlichste Punkt, der von der / dem offiziellen

396 Höfer, Der Olympische Friede, 130. 397 Ebd. 398 Hörmann, Religion der Athleten, 39. 399 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 87f. 400 Hörmann, Religion der Athleten, 40. 401 Vgl. Höfer, Der Olympische Friede, 132. 402 Vgl. International Olympic Committee: Factsheet Opening Ceremony of the Summer Olympic Games, 3. [Übersetzung AT] [Vgl. FN 374]. 84

FormelsprecherIn des Gastgeberlandes angeführt wird, ist das Versprechen der totalen Unparteilichkeit bei der Ausübung des Amtes. 403 Die offizielle Eröffnung der Spiele erfolgt jedoch weder durch die Rituale rund um das Olympische Feuer, den Olympischen Eid, den Einzug der Teilnehmernationen oder das Aufsteigen der Friedenstauben, sondern durch die vom Staatsoberhaupt des Gastgeberlandes gesprochene Formel: “I declare open the Games of … (name of the host city) celebrating the ... (number of the Olympiad) Olympiad of the modern era.” 404 Ähnlich wie bei der Eröffnungsfeier verhält es sich bei der Schlussfeier, mit welcher die jeweiligen Olympischen Spiele beendet werden. Auch die Abschlussfeiern sind von vielen Ritualen begleitet. Wie bei der Eröffnung gibt es einen Einzug der jeweiligen Nationen, bei welchem die AthletInnen, mit Ausnahme der FahnenträgerInnen, nicht in einer starren Ordnung, sondern als bunte, globale Masse in das Stadion einmarschieren, eine Idee, die vom damals 17-Jährigen John Ian Min Wing bei den Spielen in Melbourne 1956 vorgeschlagen wurde, um den Olympischen Geist der Einheit und Geschwisterlichkeit zu demonstrieren. 405 Nach einer symbolischen Danksagung an die vielen freiwilligen HelferInnen folgen gemäß dem Olympischen Protokoll die Schlüsselrituale der Abschlussfeier. Zunächst wird die griechische Fahne unter Abspielen der griechischen Hymne gehisst, um die Erinnerung an den Ursprung der Spiele hochzuhalten. Es folgt die Hissung der Fahne des kommenden Ausrichterlandes, die ebenfalls von der jeweiligen Hymne begleitet wird. Anschließend sieht das Protokoll die Einholung der Olympischen Flagge vor, die zwischen der Fahne Griechenlands und jener des kommenden Gastgebers platziert ist. Der Bürgermeister / Die Bürgermeisterin der aktuellen Olympiastadt gibt die eingeholte Fahne dem IOC-Präsidenten zurück, der sie wiederum dem Bürgermeister / der Bürgermeisterin des zukünftigen Ausrichters aushändigt, wo die Fahne die kommenden vier Jahre im Rathaus aufbewahrt wird. 406 Nach diesem symbolischen Akt folgt analog zur Eröffnungsfeier ein künstlerisches Programm, wobei Teile davon bereits vom künftigen Gastgeber bestritten werden. Mit der Formel: „I declare the Games closed“ und dem Aufruf an die „Jugend der Welt“, in vier Jahren wieder teilzunehmen, finden die Spiele ihr offizielles Ende. Ähnlich wie bei der Eröffnungsfeier fungiert also auch bei der Abschlussfeier trotz der vielen Rituale eine Formel als wichtigster Programmpunkt innerhalb des Olympischen Protokolls. Mit dem Auslöschen des Olympischen Feuers wird das zuvor deklarierte Ende

403 Vgl. Ebd. [Übersetzung AT]. 404 International Olympic Committee: Olympic Charter. In force as from 11 February 2010, 103. [Vgl. FN 272]. 405 International Olympic Committee: Factsheet. The Closing Ceremony of the Olympic Games. Updated November 2009, in: http://www.olympic.org/Documents/Reference_documents_Factsheets/Closing_Ceremony_of_the_Games.pdf, 2. [abgerufen am 25.3.2011]. 406 Vgl. ebd. 85 schlussendlich symbolisch bestätigt. 407 Neben den bereits genannten Fixpunkten sieht das Protokoll im Rahmen der Schlussfeier auch eine Siegerehrung vor, wobei zumeist der Marathon als Abschlussbewerb zum Zug kommt. 408 Die Teilnahme an einer Olympischen Siegerehrung, der Gewinn einer Medaille gehört wohl zu den bedeutendsten Momenten im Leben von SportlerInnen. Zwar werden Medaillen auch bei kleineren sportlichen Ereignissen, wie etwa bei Dorfskirennen oder Staatsmeisterschaften vergeben, die Olympiamedaillen haben darüber hinaus jedoch einen enormen symbolischen Wert, wie auch der in der Arbeit bereits vielzitierte, langjährige Seelsorger der österreichischen Olympiadelegationen Bernhard Maier anmerkt:

Ich hab einst Alexandra Meissnitzer 409 nach einer Medaille aus tiefstem Herzen seufzen gehört: „Endlich eine Medaille.“ Das ist, wie wenn jemand sein Studium nach langer Zeit schafft und weiß, dass er die Zeit nicht umsonst verbrachte, sondern einen sinnvollen Abschluss erreicht hat. Der Titel als öffentliche Anerkennung stellt für den Sportler eine Rechtfertigung für den gewaltigen Zeiteinsatz dar. 410 Ähnlich wie in der Antike unterliegt die Siegerehrung auch in der olympischen Neuzeit einem strengen Zeremoniell, wenngleich es einige Unterschiede gibt. Wurde in der Antike lediglich der Erste prämiert und der Zweite bereits als erster Verlierer abgestempelt, waren es bereits bei den Olympischen Spielen 1896 zwei Athleten, die eine Auszeichnung in Form einer Silbermedaille – Goldmedaillen gab es, wie bereits erwähnt, erst ab 1904 – beziehungsweise eine Bronzemedaille erhielten. Im Laufe der Olympiaden wurde die Zahl der Geehrten sogar noch größer, so bekommen SportlerInnen, die zwischen den Plätzen Vier und Acht landen, immerhin olympische Diplome 411 , wenngleich sich deren Wertigkeit in der Öffentlichkeit noch nicht durchgesetzt hat und bereits der/ die Viertplatzierte als GewinnerIn der „Blech-“ oder „Leder-Medaille“ als große(r) VerliererIn des jeweiligen Bewerbs gilt. Ein zweiter Unterschied betrifft die Ansetzung der Medaillenfeier. Während in der Antike und bei den ersten Spielen der Neuzeit die Siegerehrungen kollektiv den Abschluss der Veranstaltung besiegelten, wurden diese ab den Olympischen Spielen in Los Angeles 1932 – mit Ausnahme einer Siegerehrung bei der Schlussfeier – unmittelbar nach den Wettbewerben ausgetragen. 412 Die Olympischen Siegerehrungen unterliegen ebenfalls einem strengen Zeremoniell. Nachdem die SportlerInnen unter Fanfarenklängen einmarschieren, werden diejenigen Personen vorgestellt, welche die Medaillen den SportlerInnen übergeben. Anschließend werden die drei

407 Vgl. ebd. 408 Vgl. ebd. 409 Alexandra Meissnitzer ist eine bekannte österreichische Schifahrerin und sechsfache Medaillengewinnerin bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. 410 Interview des Verfassers mit Bernhard Maier, Unterwaltersdorf, Österreich, am 18.3.2011. – Das gesamte Interview mit dem Olympiaseelsorger befindet sich im Anhang der Arbeit. 411 Vgl. Internatonal Olympic Commitee: Opening ceremony, in: http://www.olympic.org/Documents/Reports/EN/en_report_268.pdf, 30. [abgerufen am 25.3.2011]. 412 Vgl. ebd. 86

MedaillengewinnerInnen einzeln auf das Podium gerufen und sogleich mit Blumen und den Medaillen prämiert. Die Medaillen müssen nach Reglement einen Durchmesser von mindestens 60 Millimeter aufweisen und zumindest drei Millimeter dick sein. Weiters soll auch die jeweilige Sportart auf der Medaille aufscheinen. 413 Nach der Medaillenüberreichung folgt die Nationalhymne des / der siegreichen Sportlers / SportlerIn, deren Klänge vom Hissen der Fahnen der drei Medaillennationen begleitet werden. Diese Elemente existieren bereits seit der neuzeitlichen Erstaustragung der Olympischen Spiele in Athen 1896414 und sind Sinnbild dessen, was die Olympischen Spiele der Neuzeit für Coubertin zum Ausdruck bringen wollen: „Durch Leibesübungen formte der Wettkämpfer der Antike seinen Körper [...] und 'ehrte dadurch seine Götter'. Der Wettkämpfer der Neuzeit, der gleiches tut, erhöht damit sein Vaterland, seine Rasse und seine Fahne.“ 415 Ein Relikt dieses nationalistischen Denkens in den Olympischen Spielen des 21. Jahrhunderts ist die große Bedeutung des sogenannten „Medaillenspiegels“. Während viele diesen als eine journalistische Spielerei betrachten, der angesichts der unterschiedlichen Teilnahmevoraussetzungen wenig bis keine Bedeutung zukommt, verknüpfen andere dessen Aussehen mit ihrem sportlichen „Seelenheil.“ Die Olympischen Spiele bieten in der Tat ein großes Repertoire an rituellen Handlungen, das vor allem in den Eröffnungs- und Schlussfeiern kulminiert. Ein solches rituelles Spektrum, eine, überspitzt formuliert, olympische Liturgie bedarf bestimmter Personen. Die Träger der kirchlichen Liturgie sind der / die GemeindevorsteherIn und die Gemeinde, wie diese Rollen im Zuge der Olympischen Spiele besetzt sein könnten, soll im Rahmen des nächsten Abschnitts kurz skizziert werden.

1.1.2.3 Der Kult und seine Akteure – Die Frage nach den Personen Wer sind nun die Träger eines möglichen Olympia-Kults? Im Artikel „Sport als säkulare Religion“ von Alois Koch heißt es zu den quasi-religiösen Liturgien im Sport: „Diese 'Liturgien' werden zelebriert von einer 'Priesterklasse', von einer 'Nomenclatura', die Privilegien genießt und darüber entscheidet, wer würdig ist, an diesen 'Liturgien' teilzunehmen und in den Kreis der Privilegierten aufgenommen zu werden.“ 416 Auch wenn Coubertin zwar den Einzelwettkämpfer als „eine Art Priester […] der Religion der Muskelkraft“ 417 sieht, dürfte diese Beschreibung besser auf das Internationale Olympische Komitee passen, das sozusagen den „Kopf der olympischen Bewegung“ 418 bildet. Das, wie bereits erwähnt, 1893 gegründete IOC bezeichnet sich als

413 Vgl. ebd. 414 Vgl. Zimmermann, Die Religion, 349. 415 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 218. 416 Koch, Sport als säkulare Religion, 92. 417 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 222. 418 Rittberger, Volker / Henning, Boekle: Das Internationale Olympische Komitee – Eine Weltregierung des Sports?, in: 87

Internationale Nicht-Regierungs-Organisation, die juristisch eine private Organisation nach Schweizer Recht darstellt, der jedoch aufgrund einer „funktionellen Internationalität“ einige Sonderrechte wie die Steuerbefreiung zukommen. 419 Der enge Konnex mit dem Schweizer Recht ergibt sich aus dem Hauptsitz in Lausanne, welchem allerdings wie andere internationale Organisationen ein quasi-extraterritorialer Status zukommt. 420 Die wichtigsten Entscheidungsgremien innerhalb des IOCs bilden die Session sowie das Executive Board. Die Session bildet die Vollversammlung aller insgesamt 115 IOC-Mitglieder. 421 Ihre Aufgaben sind etwa die Kooptation der IOC-Mitglieder, die Wahl des Präsidenten sowie der anderen Mitglieder des Executive Boards sowie auch die Wahl der Austragungsstädte der Olympischen Spiele. 422 Gerade die letztgenannte Agende ist mitunter nicht frei von Konflikten und Skandalen. Neben der qualitativen Evaluierung der Kandidatenstädte scheinen mitunter auch andere Gründe sukzessive wichtigere Rollen zu spielen. So wird im Beitrag von Volker Rittberger und Boekle Henning die besondere Beziehung einiger IOC-Mitglieder zu erfolgreichen Olympiabewerbungen thematisiert, die bei der Vergabe an Seoul 1988 und Barcelona 1992 von entscheidender Bedeutung gewesen sein sollen. 423 Weiters wurde auch das Thema Korruption immer wieder mit Vergabeentscheidungen in Verbindung gebracht: So veröffentlichte der Schweizer Marc Hodler, selbst IOC-Mitglied, Ungereimtheiten rund um die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2002 an Salt Lake City, für welche einige Stimmen erkauft wurden. 424 Als zweite wesentliche Instanz fungiert das sogenannte Executive Board, welches sich aus dem Präsidenten, den vier Vize-Präsidenten sowie zehn weiteren Mitgliedern zusammensetzt und sich vor allem um administrative Pflichten rund um das IOC kümmert. 425 Vorsteher beider Entscheidungsinstanzen ist der Präsident, der von der Session für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt wird, wobei diese im Falle einer Wiederwahl um vier Jahre verlängert werden kann 426 , eine Regel, die allerdings noch nicht lange Bestand hat. So dauerte die Amtsperiode Juan Antonio Samaranchs, des unmittelbaren Vorgängers des jetzigen Präsidenten Jacques Rogge, 21 Jahre 427 , ehe er 2001 von Rogge in seinem Amt abgelöst wurde. Am längsten auf dieser Position weilte Pierre de Coubertin, der es auf insgesamt 29 Jahre brachte, eine Zahl, welche an sich nicht vorgesehen war, sollte doch der Präsident ursprünglich „im Zeitraum einer Olympiade wechseln und jeweils aus dem

Grupe, Ommo (Hg.): Olympischer Sport. Rückblick und Perspektiven, Schorndorf: Hofmann 1997, 127-155, 137. 419 Vgl. ebd. 139. 420 Vgl. ebd. 138. 421 Vgl. International Olympic Committee, Olympic Charter. In force as from 11 February 2010, 28. [Vgl. FN 272]. 422 Vgl. ebd. 423 Vgl. Rittberger/ Henning, Das Internationale Olympische Komitee, 143. 424 Vgl. Waldbröl, Die Herren der Ringe,102. 425 Vgl. International Olympic Committee, Olympic charter. In force as from 11 February 2010, 43. [Vgl. FN 272]. 426 Vgl. ebd. 427 Waldbröl, Die Herren der Ringe, 105. 88

Land kommen, in dem die nächsten Spiele stattfinden.“ 428 Im Umkreis des IOCs mitsamt dessen drei wesentlichen Entscheidungsträgern befinden sich zwei weitere wesentliche Instanzen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem sich das IOC bereits konsolidiert hatte, kam es – auch auf Anregung des IOC – zur vermehrten Bildung von internationalen Sportfachverbänden. Die insgesamt 34 innerhalb der olympischen Bewegung befindlichen Sportfachverbände haben sich zu drei größeren Dachverbänden – einen für die olympischen Sommersportarten, einen für die olympischen Wintersportarten und einen für beide zusammen – formiert, um ihre Repräsentation innerhalb der olympischen Familie zu stärken. 429 Viele IOC-Mitglieder wie die beiden Schweizer Joseph Blatter und Gian-Franco Kaspar, die Präsidenten des Internationalen Fußball- beziehungsweise Schiverbands rekrutieren sich aus den internationalen Sportfachverbänden. 430 Zu den Hauptaufgaben gehören die Entwicklung des jeweiligen Sports in der Welt unter Berücksichtigung des olympischen Geists und der oympischen Erziehung, eine Mitsprache im Bereich der Olympia-Kandidaturen, vor allem hinsichtlich ihrer Sportarten sowie etwa die technische Überwachung der jeweiligen Bewerbe innerhalb der Olympischen Spiele. 431 Für die Nationalen Olympischen Komitees gilt es vor allem, die olympischen Prinzipien und Werte in den jeweiligen Ländern zu sichern und weiterzuvermitteln. 432 Wie bereits erwähnt, besteht das IOC aus 205 Nationalen Komitees, womit es mehr Mitglieder als die Vereinten Nationen, jedoch weniger Mitglieder als der Internationale Fußballverband aufweist. Über neue Mitglieder entscheidet, wie oben gesagt, die Vollversammlung. Ähnlich wie die Sportfachverbände fühlen sich auch die NOCs innerhalb der olympischen Familie stark unterrepräsentiert. So kam es im Laufe der Zeit zu einer vermehrten Kooperation der Nationalen Komitees. Ab den 1960er-Jahren wurde eine Ständige Generalversammlung sowie eine Vereinigung der NOCs gegründet sowie kontinentale Dachverbände geformt. 433 Vonseiten des IOCs wurden diese Zusammenschlüsse erst nach der Ära Avery Brundages akzeptiert, der schon bei ähnlichen Ansätzen innerhalb der internationalen Sportfachverbände lange Bedenken geäußert hatte. 434 Zu den wesentlichen Aufgaben der Nationalen Olympischen Komitees gehört auch und vor allem die Entsendung der SportlerInnen für die jeweiligen olympischen Veranstaltungen 435 , eine Entsendung, die jeweils mehr oder weniger strengen Kriterien unterliegt. Während in vielen

428 Ebd., 104. 429 Vgl. Rittberger / Henning, Das Internationale Olympische Komitee, 139. 430 Vgl. ebd., 139. – Zu den aktuellen IOC-Mitgliedern: Vgl. IOC-members, in: http://www.olympic.org/content/the- ioc/the-ioc-institution1/ioc-members-list/ [abgerufen am 28.3.2011]. 431 Vgl. International Olympic Committee, Olympic Charter. In force as from 11 February 2010, 57f. [Vgl. FN 272]. 432 Vgl. ebd., 61f. 433 Vgl. Rittberger / Henning, Das Internationale Olympische Komitee, 140. 434 Vgl. ebd., 139. 435 Vgl. ebd., 131. 89

Ländern sogenannte „Trials“ – also Ausscheidungswettkämpfe – über das olympische Sein oder Nicht-Sein entscheiden, sind es in Österreich entsprechend angesetzte Limits, die es von SportlerInnenseite zu erfüllen gilt, um die bei internationalen Wettkämpfen errungenen Quotenplätze tatsächlich zu besetzen. Dieses Vorgehen ist nicht unumstritten 436 , jedoch soll auf diese Weise verhindert werden, dass die AthletInnen lediglich als „OlympiatouristInnen“, ohne Chance auf eine achtbare Platzierung, teilnehmen – eine Maßnahme, die dem (ehemals) gültigen olympischen Leitspruch des „Dabei sein ist alles“ absolut widerspricht. Ebenfalls als schwierig gestaltet sich auch die Situation der SportlerInnen innerhalb des Internationalen Olympischen Komitees. Tatsächlich scheinen die Sportler im Sinne des Zitats von Alois Koch der Willkür der „Priesterklasse“ unterworfen zu sein, die entscheidet, wer an den „Liturgien“ teilnehmen kann oder nicht, ein Eindruck der von Rittberger und Henning geteilt wird:

Bis heute sind die Athleten in den Entscheidungsgremien der olympischen Bewegung ohne Repräsentation. Weder das IOC noch die Fachverbände oder die NOKs sind ihnen in irgendeiner Weise verantwortlich. Statt dessen verbleiben die Aktiven des Sports im Status von Objekten sportbürokratischen Paternalismus' 437 Ein Blick auf die aktuelle Konstituierung des IOCs lässt nichts Gegenteiliges vermuten. Unter den aktuell 110 Mitgliedern befinden sich lediglich 35 ehemalige OlympiateilnehmerInnen, die anderen Mitglieder sind entweder hochrangige SportfunktionärInnen aus den Internationalen Sportfachverbänden, den Nationalen Olympischen Komitees oder aus anderen, nicht definierten Bereichen. 438 Das wichtigste Vertretungsorgan der AthletInnen stellt die Athletenkommission dar. Wie alle anderen Kommissionen – unter anderem gibt es auch eine olympische Ethikkommission – soll auch die Athletenkommission als Beratungsorgan für die Session, das Executive Board und den Präsidenten gelten, Versammlungen sind allerdings, sofern in der Charta nicht anders formuliert, lediglich in Absprache mit dem Präsidenten abzuhalten. 439 Die Versammlungen der 1981 von Juan Antonio Samaranch ins Leben gerufenen Kommission finden ein bis zwei Mal pro Jahr statt. Zusätzlich wird alle zwei Jahre auch ein Athletenforum organisiert, bei welchem Athleten mit Verantwortlichen der Nationalen und des Internationalen Olympischen Komitees über athletenrelevante Themen diskutieren. 440 Trotz dieser Zugeständnisse bleibt der Einfluss der AthletInnen innerhalb der olympischen Bewegung, von den Bewerben einmal abgesehen, relativ

436 Im Zuge der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking erreichte die österreichische Tennisspielerin Tamira Paszek zwar die international erforderlichen Teilnahmevoraussetzungen, wurde jedoch aufgrund der Nicht-Erbringung von nationalen Limits nicht im Olympiakader des ÖOC berücksichtigt. Auch eine Intervention des Internationalen Tennisverbandes konnte an dieser Entscheidung nichts ändern. Die damals 17-jährige Paszek erwog daraufhin kurz, ihre Karriere für ein anderes Land fortzusetzen. Vgl. Tennis: Tamira Paszek überlegt Nationenwechsel, in: http://diepresse.com/home/sport/mehrsport/403830/Tennis_Tamira-Paszek-ueberlegt-Nationenwechsel [abgerufen am 28.3.2011]. 437 Rittberger / Henning, Das Internationale, 141. 438 Vgl. International Olympic Committee, Olympic Charter. In force as from 11 February 2010, 30. [FN 272]. 439 Vgl. ebd., 47. 440 Vgl. The Athletes’ Commission, in: http://www.olympic.org/athletes-commission [abgerufen am 28.3.2011]. 90 gering, ein Umstand, der wohl vor allem aus ihrer mangelnden Präsenz in der Session und den anderen entscheidungstragenden Gremien des IOC resultiert. Wie auch der Umfang des Abschnitts zum Kult in der Arbeit vermuten lässt, scheint in der Bedeutung des Kults für die Olympischen Spiele wohl das größte Potential einer möglichen Olympia-Religion zu liegen. Dass Parallelen oder zumindest Analogien zu den Kulten der etablierten Religionen auch in einem „Olympia-Kult“ vorhanden sind, lässt sich durchaus behaupten, wie wir etwa im Zuge der Bedeutung der kultischen Rahmenbedingungen von Raum und Zeit oder der strikten, „quasi-liturgischen“ Abläufe bei den Olympischen Eröffnungs- und Schlussfeiern oder der Bedeutung von Symbolen gesehen haben. Freilich sei aber vor einer Gleichsetzung zumindest Vorsicht geboten. Einige der hier gebrachten, auch in der Literatur angeschnittenen Beispiele wirken doch etwas konstruiert und wenig plausibel. Weiters sind viele Elemente aus dem olympischen Kultinventar von etablierten Religionen entliehen und bilden daher keine genuin olympische Entwicklung. Was sowohl den olympischen Kult als auch den religiösen Kult bei allen zweifellos vorhandenen Unterschieden jedoch verbindet, ist die bereits eingangs erwähnte Sicherheits- und Gerborgenheitsintention, die der Kult in welcher Form auch immer zu vermitteln versucht. Dieses Gefühl der Sicherheit beziehungsweise der Orientierung vermag jedoch nicht der Kult allein zu geben. Eine zweite Instanz, die für diese Aufgabe prädestiniert ist, stellen diverse religiöse Ordnungssysteme dar, welche die Gläubigen auf ihrem Leben leiten sollen. Auch innerhalb der olympischen Bewegung spielen Prinzipien, spielt ein Ordnungssystem in Form der schon öfters zitierten olympischen Charta eine wichtige Rolle. Inwiefern diese Prinzipien beziehungsweise Werte auch als Lebensbewältigungssystem anzusehen sind, soll in weiterer Folge thematisiert werden.

1.1.3 Ordnungsaspekte des Sports Eine vor allem im Ballsportbereich recht oft rezipierte Interviewphrase vor Spielbeginn lautet: „Die Wahrheit liegt auf dem Platz.“ Ein Satz, der durchaus Berechtigung hat. Was auch immer in der Vorbereitung für ein Match, einen Wettkampf passiert beziehungsweise nicht passiert, relativiert sich, sobald der Schiedsrichter das Spiel frei gibt. Dennoch gilt: Auch wenn die auf dem Platz liegende Wahrheit sich als noch so unberechenbar und unvorhergesehen präsentiert, kann ein taktisches Konzept, eine festgesetzte Ordnung helfen, sich besser auf oft aussichtslos scheinende Situationen einzustellen. Diese Weisheit muss jedoch nicht auf den Sport reduziert sein. So wie Taktik im Sport eine Rolle spielen kann, gibt es auch in der Religion bestimmte Ordnungen, die helfen sollen, auf dem „Spielfeld Leben“ besser zurechtzukommen. Beispiele hierfür sind etwa der Koran, die Tora, der

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Dekalog oder das christliche Evangelium mitsamt der Bergpredigt. Inwiefern kann so etwas auch für den Sport gelten? Der von Pierre de Coubertin entwickelte Olympismus behauptet dies sogar ganz explizit, wie die schon zitierte Passage aus der Olympischen Charta beweist, in welcher der Olympismus ja als veritable Lebensphilosophie und Lebensweg angepriesen wird. 441 Auch das in der Charta angegebene Ziel des Olympismus weist weit über den Sport hinaus: „The goal of Olympism is to place sport at the service of the harmonious development of man,with a view to promoting a peaceful society concerned with the preservation of human dignity.” 442 Der darin mitschwingende Friedensgedanke war und ist heute noch ein konstitutiver Bestandteil der olympischen Botschaft. Bereits in der Antike wurde, wie oben erwähnt, die ekecheiria, eine Art olympischer Frieden, angestrebt, der die reibungslose und sichere Reise zu den Olympischen Spielen und zurück sichern sollte. Auch die Spiele der Neuzeit sollten mit der ihnen inhärenten Idee des besseren Völkerverständnisses und ihrem gemeinschaftsbildenden Moment zum Frieden beitragen. Für Andreas Höfer ist die olympische Friedensidee sogar „das Charakteristische und Bleibende des Olympismus schlechthin.“ 443 Der Frieden ist auch ein zentrales Anliegen innerhalb der etablierten Religionen, wie etwa im Ersten Testament anhand der Völkerwallfahrt nach Jerusalem zu sehen ist. Ein System, das den Frieden auf seine Fahnen geschrieben hat und zu einem besseren Verständnis zwischen den einzelnen Völkern beitragen will, kann ja durchaus auch als Lebensbewältigung und Hilfestellung fungieren, möchte man meinen, inwiefern kann dies auf den Olympismus tatsächlich zutreffen? Wie oben schon ausführlich dargestellt, verband Coubertin mit seinen Plänen der Re- Installierung der Olympischen Spiele eine klare pädagogische Idee, die den Menschen auf der Suche nach einer guten Lebensführung Halt und Orientierung geben sollte. Rekapitulierend sollen noch einmal die fünf wesentlichen Punkte seines Programms aufgezählt werden 444 : So nimmt der Olympismus den Menschen als solchen ernst und zwar den ganzen Menschen „mit Körper, Geist und Seele als gleichwertige Bausteine seines Verhaltens und Handelns.“ 445 Ein zweiter Punkt war der Aspekt der Selbstvervollkommnung, der etwa auch im olympischen Motto – Schneller, Höher, Weiter – angesprochen wird. Als dritter Baustein des Olympismus wurde der Amateurismus genannt, mit welchem Coubertin „ den 'Materialismus' seiner Zeit zu bekämpfen versuchte.“ 446 Viertens wurde auf die Bindung des Sports an ethische Regeln und Grundsätze hingewiesen, die Eigenschaften wie Fairness und Aufrichtigkeit in den Mittelpunkt des Sporttreibens bringen sollen.

441 Zitat Vgl. FN 272. 442 International Olympic Committee: Olympic Charter. In Force as from 11 February 2010, 11. [Vgl. FN 272]. 443 Höfer, Der Olympische Friede, 43. 444 Vgl. 54ff. in dieser Arbeit 445 Haag, Olympische Idee, 17. 446 Grupe, Olympismus, 228. 92

Als letztes Charakteristikum des Olympismus verweist Coubertin auf die zu Beginn des Abschnitts schon angesprochene Friedensidee. Für Eckhard Meinberg kulminiert der Olympismus in drei Ideenkreisen, jenem der Vervollkommnung, jenem von einem guten Leben und einem von einem schönen Leben. 447 In dieser Kombination vermag der Olympismus vielleicht tatsächlich – analog zu Systemen der etablierten Religionen – als handlungsführendes Ordnungssystem zu fungieren. Die olympische Praxis spricht jedoch oft eine andere Sprache, eine, welche einem gemeinsamen Auftreten dieser drei Ideenkreise oft entgegenzustehen scheint. Vor allem der Leistungsgedanke und die Idee des guten und richtigen Lebens – auf den Sport umgemünzt hieße das wohl der Erfolg und das Prinzip des fairen Sports – scheinen oft unvereinbar zu sein, wie auch Bernhard Maier in seinem Buch „Beste/r sein und doch fair. Sportlicher Erfolg ohne Egoismus“ andeutet: „ Erste/r, Beste/r sein und gleichzeitig ein vorbildliches (sportliches)Verhalten an den Tag zu legen […] ist tatsächlich auch heute die Herausforderung im (olympischen) Spitzensport.“ 448 Steht Fairness dem Erfolg also im Weg, muss sie sich dem olympischen Streben des Schneller-Höher-Stärker widerstandslos beugen? Eine Frage, die der Olympiaseelsorger Maier im Gespräch entschieden zurückweist:

Nein, mit Sicherheit nicht, zumindest darf sie nicht im Weg stehen. Es gibt keine Begründung dafür, die Fairness um des Erfolges willen auszusetzen. Leider kommt das durchaus vor, aber es gibt keine Begründung dafür, die auch nur im Entferntesten die Ebene der Willkür übersteigen würde. Das ist willkürliches Umgehen. 449 Will man den Olympismus als Lebensbewältigungssystem weiter aufrechterhalten, gilt es wohl, den Fokus wieder mehr auf die Einhaltung der Regeln sowie auf die Wahrung der Fairness im Sport zu richten, eine Forderung, die sogar ganz explizit als Teilnahmevoraussetzung in der Olympischen Charta festgeschrieben ist 450 , an deren (Nicht-) Einhaltung aber die „Widersprüche zwischen Realität und Identität“ 451 offenkundig werden. Möglichkeiten dieses ethische Potential im Sport zu nützen gibt es einige. Ein praktikables Konzept wäre, wie Avery Brundage schon andeutete, etwa die Goldene Regel, die biblisch in negativer Form im ersttestamentlichen Buch Tobit (Tob 4,15) und in positiver Formulierung in den Evangelien nach Matthäus (Mt 7,12) und Lukas (Lk 6,31) fundiert ist. 452 Wesentliches Kriterium dieser Regel ist der „Wertmaßstab des Gleichgewichts in den zwischenmenschlichen Beziehungen, […] ein 'Ethos der Gegenseitigkeit'“ 453 , welches durch die Ausweitung der Nächsten- auf die Feindesliebe in der Bergpredigt von der Volksgemeinschaft auf

447 Vgl. Meinberg, Eckhard: Die Olympische Idee als Lebensideal, in: Grupe , Ommo: Einblicke. Aspekte olympischer Sportentwicklung, Schorndorf: Hofmann 1999, 30-32, 31. 448 Maier, Bernhard: Beste/r sein und doch fair. Sportlicher Erfolg ohne Egoismus, Purkersdorf: Hollinek 2007 (= Schriftenreihe der christlichen Sportakademie Österreichs 24), 15. 449 Vgl. Interview mit Bernhard Maier, 18.3.2011. – Vgl. Anhang. 450 Vgl. International Olympic Committee: Olympic Charter. In Force as from 11 February 2010, 80f. [Vgl. FN 272]. 451 Grupe, Olympismus, 230. 452 Vgl. Maier, Beste/r sein, 38. 453 Ebd. 93 alle Menschen hin universalisiert wurde. 454 Fairness darf also nicht nur als bloße Worthülse existieren, sondern es gilt im Gegenteil dieses Wort im Sport, aber auch in anderen Bereichen mit konkreten Inhalten zu füllen. Dieses Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit, aber auch dessen Schwierigkeiten innerhalb der Kontingenz – etwa im Umgang mit dem Thema Tod im Sport – wie in weiterer Folge noch zu zeigen sein wird, prädestiniert den Olympismus vielleicht doch nicht als alleiniges Ordnungs- beziehungsweise Orientierungssystem. Muss es jedoch nicht und sollte es wahrscheinlich auch nicht. Mit den Erwartungen, die in ihm geschürt werden, mit Wirkungen, die ihm zugeschrieben werden, die allerdings weit über die für ihn erfüllbaren Kompetenzen hinausgehen, wird der Sport im allgemeinen, aber auch der Olympismus als solcher angreifbar und ideologieanfällig. Sport kann nur Teil des Lebens sein und nicht das Leben Teil des Sports. Ziel muss es sein, den Sport von den an ihn gerichteten (Über-)Forderungen und Zwecken zu entlasten und in seiner darstellerischen, künstlerischen Form zu fördern. Gerade in diesem zweckfreien, aber in sich sinnvollen Moment ist die „wahre religiöse Dimension im Sport“ 455 erkennbar, wie Jürgen Moltmann anmerkt. Gerade in diesem zweckfreien, unbeschwerten Sport „kann viel an Erfahrung gemacht werden, was Sport zur Lebensschule machen kann“ 456 , während diesbezügliche Vorträge von SpitzensportlerInnen „meist zwanghaft pädagogisierend“ wirken können. 457 Dieses pädagogisierende Moment, das dem Sport innewohnt, kann grundsätzlich eine seiner wichtigen Funktionen darstellen. Andere wichtige Punkte, die in der oben versuchten Sportdefinition angeführt wurden, waren seine regenerativ-spielerische, ästhetische, gesundheitsfördernde, kompetitive, aber vor allem auch seine soziale Funktion. Gerade in dieser gibt es durchaus Berührungspunkte zum Funktionsspektrum der Religion. Will der Sport beziehungsweise der Olympismus in seinem Anspruch, eventuell Religion sein zu können, ernst genommen werden, bedarf es wohl auch einiger Bezüge zu anderen Funktionen der Religion. Inwiefern der Sport dem nachkommen kann, soll in weiterer Folge thematisiert werden.

454 Vgl. ebd., 39. 455 Moltmann, Olympia, 88. 456 Neuhold, Leopold: Thesen zum Verhältnis von christlicher Ethik bzw. christlichem Ethos und Sport, in: Maier, Bernhard (Hg.): Ethische Perspektiven für den Sport. Ist für den Sport ein christliches Ethos wichtig?, Hollabrunn: MBC 2010, 10-24, 18. 457 Ebd., 19. 94

1.2 Religion als Instrument zur Identitätsstiftung, zur sozialen Integration, zur Handlungsführung und Orientierung, zur Beantwortung von Sinnfragen und Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt – die funktionalen Dimensionen einer möglichen Olympia-Religion

1.2.1 Identitätsstiftung Der erste Punkt in Franz Xaver Kaufmanns Funktionsmodell bezeichnet die sogenannte Identitätsstiftung. Der Begriff der Identität kennt viele Facetten: In der praktischen Theologie wird der Identitätsbegriff sehr oft von der Psychologie und Sozialwissenschaft rezipiert und meint „die in Selbst- und Fremdwahrnehmung übereinstimmende Definition einer Person in ihrer Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit“ 458 . Es geht in diesem Begriff also um das Proprium eines Individuums, dessen Handeln im Sinne eines ethischen Identitätsverständnisses idealerweise „über diese vitale Dimension hinaus im Bezugsfeld von individueller Lebenswelt und sozialer Erwartungswelt sinnvoll, das heißt, im Rückgriff auf sittliche Prinzipien einzuordnen“ 459 ist. Freilich ist diese Suche nach sich selbst, die Frage „Wer bin ich?“ gerade in unserer schnelllebigen und vielfältigen Gesellschaft, die einer oder einem ein ganzes Rollenspektrum abverlangt, welches, wie in der Schauspielerei üblich, je nach Rolle – etwa im Arbeitsleben, in der Familie oder in der Freizeit auch andere Eigenschaften verlangt, nicht einfach. Angesichts dessen scheint bereits das oben angeführte Bild der Welt als Theater durchaus Berechtigung zu haben. 460 Wie Polak und Friesl treffend zusammenfassen, entsteht Identität nach Kaufmann „wesentlich durch die Möglichkeit, mit seinen Affekten und Ängsten gestalterisch umzugehen.“ 461 In dieser Intention können Institutionen wichtige Unterstützung geben, ja sogar prägen, wie etwa auch die Religionspädagogik in Anlehnung an Erik H. Eriksons These, wonach „sich Identität immer in Zusammenhang mit einer Ideologie, einer Weltsicht bildet“ 462 , aufgreift. Hatte in unseren Breiten diesbezüglich einst die Religion eine Monopolstellung, muss sie diese, wie auch schon festgestellt wurde, nun mit anderen Kontrahenten teilen. Einer dieser Mitstreiter auf diesem „Identitäsbildungsmarkt“ ist zweifelsohne auch der Sport. Tatsächlich steckt im Sport einiges an Lernpotenzial – die von Felix Gottwald geprägte Metapher vom Sport als Lebensuniversität kommt wohl nicht von ungefähr. Ähnlich wie ein(e) Studierende(r) im Laufe der Studienzeit kann auch ein(e) SportlerIn in der knapp 10-15 Jahre dauernden Karriere viel Persönlichkeitsbildendes und Identitätsstiftendes mitnehmen, wie etwa Leopold Neuhold anhand des Fußballspiels konkretisiert.

458 Ziebertz, Hans-Georg: Identität. III. Praktisch-theologisch, in: LThK 3 5 (1996) 400f., 401. 459 Maurer, Alfons: Identität. II. Theologisch-ethisch, in: LThK 3 5 (1996) 399f., 399. 460 Vorreiter dieses Ansatzes ist der amerikanische Soziologe Erving Goffman, der auch unter Berücksichtigung wesentlicher Unterschiede das Theater als Modell der Welt betrachtet. Vgl. Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München [u.a.]. Piper 8 2010 (= Serie Piper 3891). 461 Polak / Friesl, Theoretische Weichenstellungen, 65. 462 Klessmann, Michael: Identität. II. Praktisch-theologisch, in: TRE 16 (1987) 28-32, 30. 95

Neuhold nennt etwa die Bedeutung des Spiels als Kontrapunkt zum Materiellen, die Perspektive des Gemeinsamen in Bezug auf die Ein- und Unterordnung in ein Mannschaftsgefüge, in der auch „eine Voraussetzung für den eigenen Erfolg“ 463 liegt, den Verweis auf die Beschränktheit der Gerechtigkeit, der leider nicht nur im Sport, sondern auch im Leben immer wieder erbracht wird, die Möglichkeit eines Neuanfangs oder das Stoßen an die rationalen Grenzen in Bezug auf das vor allem im Schisport gängige Motto: Wenn’s (nicht) lauft, dann lauft’s (nicht). 464 Zusätzlich lehrt der Sport für Bernhard Maier auch die Notwendigkeit der Anstrengung für die Realisierung eines bestimmten Ziels, den Respekt vor den eigenen physischen und psychischen Grenzen, Durchhaltevermögen, die Achtung der Regeln und vor den Konkurrenten sowie den Umgang mit Siegen und Niederlagen, „zu siegen, ohne überheblich zu werden und ohne den Gegner zu demütigen“ 465 , zu verlieren, „im Bewusstsein, dass es sich nicht um ein irreparables Drama handelt, sondern, dass der wahre Sieg darin besteht, das Beste seiner Möglichkeiten gegeben zu haben.“ 466 , ein Aspekt, den er im Interview noch einmal betont:

Im Großen und Ganzen sind die Sportler sehr robust, da kommt es kaum zu Zusammenbrüchen oder großen Krisen. Es gibt natürlich Enttäuschungen oder Ärger über Kritik von außen, aber jeder weiß, dass es gut, aber auch nicht gut gehen kann, und wenn es wider Erwarten nicht geklappt hat, gilt es, den Wettkampf abzuhaken und auf die nächsten Herausforderungen zu warten. 467 Gerade der Umgang mit Siegen und Niederlagen stellt wohl eine der größten Herausforderungen im (olympischen) Spitzensport dar, sowohl öffentlich als auch persönlich. Neben der Goldmedaille und dem Wissen, das wohl größtmögliche Karriereziel erreicht zu haben, bringt ein Olympiasieg allen voran eines: Öffentlichkeit. Medien jeglicher Art konzentrieren sich auf alles und jeden, was beziehungsweise wer mit „unserem“ Olympiasieger oder „unserer“ Olympiasiegerin zu tun hat. Da werden die Eltern oder der / die jeweilige LebenspartnerIn interviewt, der Schihügel, die Laufbahn oder das Schwimmbecken der ersten sportlichen Gehversuche präsentiert oder Reportagen aus den Heimatgemeinden gedreht, in welchen die „Tochter der Stadt“ beziehungsweise der „Sohn des Orts“ frenetisch gefeiert wird. Diese neue Aufmerksamkeit ist durchaus ambivalent zu betrachten. Der Freude über die ungewohnte öffentliche Beachtung für sich und seinen Sport – überhaupt, wenn es sich um eine der sogenannten medialen „Randsportarten“ handelt – steht wohl nach einer gewissen Zeit das Bedauern über die Einschränkung und die ständige Bedrohung der Privatsphäre gegenüber. Doch handelt es sich dabei zumeist nicht um eine Aufmerksamkeit auf Dauer. Bleiben die Erfolge in der Zeit nach dem Olympiasieg oder dem Weltmeistertitel aus, wird das aufgestellte Denkmal wieder gnadenlos geschleift und der entstehende Platz für die Errichtung eines anderen

463 Neuhold, Thesen, 23. 464 Vgl. ebd. 465 Maier, Sport-Ethik-Religion, 35. 466 Ebd. 467 Interview mit Bernhard Maier, 18.3.2011 – Vgl. Anhang. 96 sportlichen Denkmals genutzt. Auch SportlerInnen, die nach ihrem Olympiaerfolg nicht in ein Karriereloch fielen oder die Karriere als umjubelte SportheldInnen beendeten, bleiben von diesem Schicksal nicht verschont. Während die Olympiasieger in der Antike hofiert wurden, öffentliche Ämter bekleideten, Geldpreise und lebenslange Speisung und das Privileg der Plätze in der ersten Reihe im Theater erhielten 468 , wird es um die OlympiasiegerInnen der Neuzeit oft sehr schnell still, und sie geraten in Vergessenheit. Ein tragisches Beispiel hierfür ist der amerikanische Sprinter Jesse Owens, der, wie erwähnt, wohl herausragende Athlet der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Nach den Spielen setzte er seine Laufkarriere fort, lief aber in Schaukämpfen von nun an gegen Windhunde oder Rennpferde. Das darin verdiente Geld wollte Owens für den sozialen Aufstieg nützen, ein Unterfangen, das sich für Afro-Amerikaner zu dieser Zeit als beinahe aussichtslos gestaltete. Owens begann mit Spekulationen in einen Nachtklub und mit einer Baseballmannschaft, scheiterte jedoch, sodass er 1939 bankrott war. 469 Owens' Schicksal ist kein Einzelfall. Viele SportlerInnen fallen nach ihrem Olympiasieg in ein psychisches Loch. Der Erfolg mutiert auf diese Weise sozusagen zu einem „kritischen Lebensereignis“, das zu einem „vorübergehenden oder dauerhaften Ungleichgewicht, zu einer Neuorganisation des Person-Umwelt-Gefüges mit Hilfe mehr oder weniger gegebener, individueller Bewältigungsressourcen“ 470 führen kann. Geht es nach einer von Hartmut Gabler in diesem Artikel dargestellten Analyse, in welcher OlympiasiegerInnen in Bezug auf ihre Karrierenverläufe untersucht wurden, blieb lediglich knapp mehr als ein Viertel der 44 befragten deutschen Olympioniken nach der Karriere in der Öffentlichkeit präsent. Viele der 73% der in „mediale Vergessenheit“ geratenen AthletInnen taten diesen Schritt durchaus bewusst. Ein diesbezüglich sehr interessantes Beispiel ist die österreichische Schifahrerin Petra Kronberger, die 1992 bereits mit 23 Jahren ein paar Monate nach ihrem Doppelolympiasieg im französischen Albertville ihre Karriere beendete und sich bewusst aus der medialen Öffentlichkeit zurückzog. Neben ihren Olympiasiegen war Kronberger auch die erste Frau, welche inklusive dem verhältnismäßig spät eingeführten Super-G alle fünf Einzeldisziplinen einmal gewinnen konnte. 471 Diese mitunter fast ausschließlich auf Erfolg ausgerichtete Berichterstattung stellt wohl tatsächlich eine große Belastung speziell für junge SportlerInnen dar, die mit dieser medialen Achterbahnfahrt vielfach wohl noch schlechter umgehen können als arrivierte AthletInnen. Ein

468 Vgl. Gabler, Hartmut: Olympische Sieger und Siegerinnen: Was ist aus ihnen geworden, wo sind sie geblieben?, in: Grupe, Ommo (Hg.): Olympischer Sport. Rückblick und Perspektiven, Schorndorf: Hofmann 1997, 181-209, 182. 469 Vgl. ebd., 182f. 470 Ebd., 196. 471 Vgl. Petra „The Great“ wird 40, in: http://derstandard.at/1234507472216/Petra-The-Great-wurde-40 [abgerufen am 01.04.2011]. 97 kontinuierlicher, bewusster und behutsamer Identitätsaufbau respektive eine identitätsstiftende Funktion scheint im oftmals wenig sensiblen und wenig zimperlichen Bereich des (Spitzen-)Sports unter ausschließlicher Betrachtung dieses Punkts nur schwer möglich zu sein. Auch andere „Leidmotive“ im Sport, sei es das beinahe omnipräsent scheinende Doping-Problem oder die rücksichtslose Fokussierung auf den Erfolg mit allen Mitteln trägt nicht zum positiven Image der „Lebensuniversität Sport“ bei. Dennoch darf man bei aller teilweise berechtigter Lamentation nicht auf das zweifelsohne reichhaltig bestehende identitätsstiftende Moment des Sports in den Punkten, die oben genannt wurden, vergessen. Eines der wichtigsten positiven Motive, das der Sport zu vermitteln vermag, ist, wie gesagt, das Prinzip des Gemeinsamen, wie es vor allem im Mannschaftssport, aber auch in Einzelsportarten etwa anhand der Zusammenarbeit mit dem BetreuerInnenteam oder bei den Olympischen Spielen durch das gemeinsame Auftreten der AthletInnen der verschiedenen Einzelsportarten in einer Mannschaft zur Geltung kommen kann. Dieses Gemeinschaftsmoment stellt auch einen Zentralbegriff in der Religion und in unserer Religionsumschreibung dar. Wie sich dieses nun tatsächlich im Sport finden lässt, gilt es nun zu konkretisieren.

1.2.2 Soziale Integration „Ivo, jetzt bist Du ein richtiger Österreicher“ – so titelte eine auflagenstarke österreichische Tageszeitung anlässlich des späten Ausgleichstreffers des kroatischstämmigen Ivica Vastic im Gruppenspiel der Fußball-WM 1998, mit welchem er die Achtelfinalhoffnungen der österreichischen Mannschaft zumindest für ein paar weitere Tage aufrecht erhielt. Obwohl Vastic schon 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, bedurfte es sozusagen noch eines „Inititationsaktes“, um dies zu bestätigen: „Ein Pass alleine reicht manchen offenbar als Österreicher-Nachweis noch immer nicht aus.“ 472 Gerade der Fußball fungiert weltweit als wesentliches Ventil zur Integration in eine neue Gemeinschaft. In vielen Nationalmannschaften waren und sind Spieler mit Migrationshintergrund anerkannte Stützen der Teams, seien es Zinedine Zidane in Frankreich, Mesut Özil in Deutschland oder Eren Derdiyok in der Schweiz. Auch in der österreichischen Auswahl lässt sich eine solche Entwicklung angesichts der Nationalspieler David Alaba, Marko Arnautovic oder Veli Kavlak verstärkt beobachten. Doch der Sport als Integrationshilfe ist nicht nur ein Proprium des Fußballs. Erfolgreiche Beispiele im österreichischen Sport sind etwa die Geschwister Jukic im Schwimmsport, die Eislauf-Olympiasiegerin Emese Hunyady oder der Handball-Tormann Nikola

472 Baumgartner, Bernhard: „Ivo, jetzt bist du ein richtiger Österreicher.“ Solange man Erfolg hat, ist alles o.k. – Migranten im heimischen Fußball, in: http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3647&Alias=sport&cob=494906 [abgerufen am 1.4.2011]. 98

Marinovic. Vonseiten der Fans wird diese Tendenz glücklicherweise großteils akzeptiert, vorausgesetzt – und darin liegt oft die Schwierigkeit – der Erfolg stimmt, wie etwa auch der bosnischstämmige Trainer Radan Lukic bestätigt: „Solange Du ein guter Fußballer bist, ist alles o.k. Erst wenn Du nicht mehr gebraucht wirst, kommen die anderen Dinge.“ 473 Ferner kann der Sport für Menschen mit Behinderung474 ein Instrument der sozialen Integration und der stärkeren Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft sein. Durch den Sport eröffnet sich der Öffentlichkeit oft ein neues Bild dieser Menschen, nämlich jenes „als leistungsstarke gesunde und selbstbewusste Athleten und Athletinnen“ 475 , auch wenn es in einer Betrachtung des von Menschen mit Behinderung betriebenen Sports lange Zeit „eher um die Betonung der Unterschiede als um die Ähnlichkeiten“ 476 ging. Die wohl größten Sportveranstaltungen für Menschen mit Behinderung, die auch zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Situation beitragen können, sind die Paralympischen Spiele für SportlerInnen mit physischen Behinderungen sowie die Special Olympics für AthletInnen mit geistiger Behinderung. Die Vorläufer der Paralympischen Spiele – das Präfix „Para“ leitet sich von der griechischen Präposition „para“ (= gleichsam wie) ab und soll die Gleichwertigkeit von den Paralympischen und den Olympischen Spielen herausstellen 477 – sind bereits 1948 zu verzeichnen, als Sir Ludwig Guttman erstmals die „Stoke Mandeville Games“ organisierte, die nach einem gleichnamigen Spital in Aylesbury in Buckinghamshire benannt wurden. 478 Die am gleichen Tag wie die Olympischen Spiele im nahen London eröffneten „Stoke Mandeville Games“ beschränkten sich dabei auf lediglich einen Bewerb, das Bogenschießen, der von querschnittgelähmten Kriegsveteranen bestritten wurde. 479 1960 wurden in Rom die ersten Paralympischen Spiele am gleichen Ort wie die Olympischen Sommerspiele ausgetragen, ehe 16 Jahre später die ersten paralympischen Winterspiele im schwedischen Örnskjöldsvik folgten. 480 I984 kam es durch das Scheitern gemeinsamer Spiele der verschiedenen Behindertensport-Organisationen zu einem ersten Tiefpunkt in der bis dato recht erfreulich verlaufenden Entwicklung des Versehrtensports. Dank der regen Kontakte verschiedener Behinderten-Sport-Organisationen mit dem IOC kam es 1988 zu einem wesentlichen Durchbruch der Paralympischen Spiele: Ab den Spielen in

473 Ebd. 474 Die Bezeichnung von Personen mit einer Behinderung ist ein durchaus sensibles sprachliches Thema. Anstelle von „Behinderten“ soll im Sinne Gudrun Doll-Teppers in dieser Arbeit der Begriff „Menschen mit Behinderung“ lanciert werden, der den Menschen und nicht ein spezifisches Merkmal des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Vgl. Doll- Tepper, Gudrun: Behindertensport, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 63-66, 63. 475 Ebd., 66. 476 Ebd. 477 Vgl. Haag, Olympische Idee, 25. 478 Vgl. Bader-Bille, Catherine: Mein Goldener Traum. Die Paralympics, in: Beckmann, Reinhold (Hg.): Feuer und Flamme. Das Olympiabuch, Berlin: Rowohlt 2004, 110-119, 110. 479 Vgl. ebd. 480 Vgl. ebd., 112. 99

Seoul werden die Paralympics in den gleichen Sportanlagen wie die Spiele der jeweiligen Olympiade ausgetragen. „Städte, die sich heute um Olympische Spiele bewerben, müssen sich verpflichten, auch die Paralympics auszutragen.“ 481 Die Gründung des Internationalen Paralympischen Komitees, die ein Jahr später erfolgte, war ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Geschichte dieser Veranstaltung. 482 Ob der verschiedenen Formen der körperlichen Beeinträchtigungen werden in den jeweiligen Sportarten klassenspezifische Bewerbe ausgetragen. Unterschieden wird zwischen Konkurrenzen für Amputierte (Beine, Arme), Gelähmte, RollstuhlfahrerInnen, Blinde und Sehgeschädigte sowie Menschen mit sonstigen Behinderungen. 483 Nicht bei den Paralympics vertreten sind der Bereich des Gehörlosensports sowie der Sportbereich der Menschen mit mentalen Behinderungen. Für zweitere gibt es die sogenannten "Special Olympics". Was diese Spiele ausmacht, versucht Christian Eichler in einem Definitionsansatz zu vermitteln: "Was das Spezielle an den Special Olympics ist? Man definiert es am besten negativ: über das, was sie nicht sind. Es sind: Spiele ohne Rekorde, ohne Doping, ohne Fernsehmilliarden, ohne Materialschlachten; vielleicht sogar ohne Verlierer. [...] Hier gilt, was bei den richtigen 'Olympics' schon lange nur noch ein staubiger Spruch des seligen Unternehmensgründers ist: Teilnehmen ist wichtiger als Siegen." 484 Die hinter diesem Projekt stehende Bewegung wurde 1968 von Eunice Kennedy Shriver, der Schwiegermutter Arnold Schwarzeneggers, dem diese Spiele selbst ein großes Anliegen sind, initiiert. 485 Die Austragung der Sommerspiele blieb lange Zeit den USA vorbehalten, erst 2003 fanden in Dublin die ersten "Special Olympic Summer Games" außerhalb der Vereinigten Staaten statt, eine Veranstaltung, die von großer Begeisterung und einem enormen Zuschauerinteresse geprägt war, bereits zur Eröffnung kamen 85.000 ZuschauerInnen. 486 Auch Österreich fungierte schon mal als Ausrichter, so wurden 1993 in Schladming die Weltwinterspiele ausgerichtet, ein Ereignis, das durchaus positive Resonanz hinterließ und laut dem österreichischen Special Olympics Präsidenten Hermann Kröll wesentlich dazu beitrug, „dass wir heute in der Gesellschaft viel Verständnis für behinderte Menschen haben." 487 Für die Special Olympics 2017 plant Schladming zusammen mit Graz eine weitere Kandidatur. Das Anliegen der beiden Großveranstaltungen der "Paralympics" und der "Special

481 Ebd. 482 Doll-Tepper, Gudrun: Internationaler Behindertensport – Ausdruck des Wandels von Sport und Gesellschaft, in: Grupe, Ommo (Hg.): Einblicke. Aspekte olympischer Sportentwicklung, Schorndorf: Hofmann 1999, 131-134, 132. 483 Haag, Olympische Idee, 26. 484 Eichler, Christian: Spiele ohne Rekorde, Die Special Olympics, in: Beckmann, Reinhold (Hg.): Feuer und Flamme. Das Olympiabuch, Berlin: Rowohlt 2004; 130-136, 133. 485 Vgl. ebd., 132. 486 Vgl. ebd. 487 Schladming bewirbt sich für Special Olympics, in: http://steiermark.orf.at/stories/506092/ [abgerufen am 2.4.2011]. 100

Olympics" ist grundsätzlich gleich: Beide wollen, wie gesagt, das nach wie vor kursierende öffentliche Bild – „in den Medien wird häufig das bemitleidenswerte Schicksal oder das Exotische, fast Unvorstellbare, das Andersartige akzentuiert" 488 – korrigiert wissen, ein Ansatz, der angesichts der Begeisterung, die von diesen beiden Ereignissen ausgeströmt wird, bei allen leider nach wie vor bestehenden Vorurteilen in der Begegnung mit Menschen mit Behinderung durchaus nicht unerfolgreich zu sein scheint. Freilich ist das Charakteristikum der sozialen Integration nicht auf die Eingliederung spezifischer Gruppen in die Gesellschaft reduziert, wiewohl es durchaus ein wesentliches Anliegen dieses Punktes darstellt. Eine weitere Nuance in diesem Begriff der sozialen Integration scheint auch die Suche nach einem gemeinschaftsstiftenden und -fördernden Bezugspunkt in einer pluralistischen und zugleich stark individualistischen Welt zu sein. Der Gemeinschaftsaspekt im Sport hat viele Facetten. Die Olympischen Spiele lassen sich, etwas pathetisch formuliert, als Fest der globalen Sportfamilie betrachten, ein Aspekt, der vor allem in der Schlussfeier herausgehoben wird, wenn, wie berichtet, die einzelnen AthletInnen als eine bunte Menge im Stadion zusammen auftreten. Auch in der Olympischen Charta wird auf diesen Punkt der Gemeinschaft großen Wert gelegt. Diskriminierungen in Bezug auf das Land, die Religion, die politische Einstellung, das Geschlecht oder die Hautfarbe sind mit einer Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung absolut inkompatibel. 489 Im Fußball oder in Mannschaftssportarten kann ein gutes Kollektiv beziehungsweise der vielzitierte Teamgeist durchaus einen wichtigen Erfolgsbaustein ausmachen, der sogar einige individuelle Schwächen zu kaschieren vermag. In Fankreisen zeigt sich das Gemeinschaftsgefühl in der teilweise bedingungslosen Identifikation der AnhängerInnen mit ihrer Mannschaft, die sich etwa, wie gesehen, im Stadionkult besonders stark ausprägt. Im Stadion selbst zeigt sich auch sehr gut eine wesentliche Schwierigkeit, die mit dem Thema Gemeinschaft in Verbindung steht: „Das eigentliche ethische Problem der Gemeinschaft liegt aber darin, daß [sic!] diese einen Bewertungshorizont setzt, der eine umfassende Einschätzung des Richtigen und Moralischen beeinträchtigt.“ 490 Konkret zu sehen ist dies etwa anhand der oft von einer „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“-Mentalität geprägten Fanszene, in der auch grundsätzlich und offensichtlich richtige Entscheidungen gegen die eigene Mannschaft prophylaktisch mit Pfiffen quittiert werden. Auch bei den Spielern lässt sich dieses Problem beobachten. Wer etwa als vermeintlich Gefoulte(r) das angebliche Vergehen des Gegners bestreitet, muss mit Vorwürfen vonseiten der MitspielerInnen, TrainerInnen oder ZuschauerInnen rechnen, da

488 Doll-Tepper, Behindertensport, 66. 489 Vgl. International Olympic Committee: Olympic Charter. In Force as from 11 February 2010, 11. [Vgl. FN 272]. 490 Bausinger, Hermann: Gemeinschaft, in:Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 189-192, 191. 101 er „in gewisser Weise gegen das ungeschriebene Gesetz der Gemeinschaft verstoßen“ 491 hat. Schwierigkeiten kann auch die Anonymität bereiten, die innerhalb einer Gemeinschaft herrscht, verleitet diese doch oft zu Ausschweifungen, die außerhalb der Masse wohl kaum möglich wären. Die sportlichen Kontrahenten beziehungsweise Schiedsrichter werden mit Schmährufen beschimpft, durch Laserpointer im Spiel irritiert oder mit Gegenständen beworfen. 492 Trotz aller berechtigter und lobenswerter Einflüsse beziehungsweise der Tugenden, die der Gemeinschaftsaspekt des Sports lehrt, dürfen auch die weniger ruhmreichen Facetten nicht unter den Tisch fallen. Immer noch sind die Regeln des jeweiligen Spiels im Zweifelsfall über die Interessen einer Gemeinschaft zu stellen, und immer noch gilt es, bei aller Sympathie für die eigene Gemeinschaft nicht den Respekt vor der Konkurrenz zu verlieren und den Horizont für die Spielgemeinschaft, die aus der eigenen und der gegnerischen Mannschaft besteht, zu öffnen, auch wenn der Begriff in Folge dieser Erweiterung Gefahr läuft, an Profilierung zu verlieren. 493 Sofern diese Weite des Begriffs akzeptiert und berücksichtigt wird, ist im Gemeinschaftsmoment des Sports, das an dieser Stelle nur in Konturen herausgearbeitet werden konnte, neben dem kultischen Aspekt wohl die größte Nähe zu den etablierten Religionen zu attestieren. Zwei weitere Fragen, die im Dunstkreis der Religion stehen, sind jene nach dem Sinn beziehungsweise jene nach der Bewältigung von Kontingenzen. Gerade die zweite Frage, also der Umgang mit Endlichkeiten, dem Zufälligen und dem Leid gilt, sportlich gesprochen, wohl als „Königsdisziplin“ der Religionen und, wenn es nach Alois Koch geht, zugleich als große Schwäche einer möglichen (Olympia-)Sportreligion, wird dieser Aspekt doch im Sport meist komplett ausgeblendet, was die Sportreligion deshalb als „defizitär“ 494 erweist. Inwiefern diese Annahme richtig ist, soll Gegenstand des folgenden Abschnitts sein.

1.2.3 Die Beantwortung von Sinnfragen und die Bewältigung von Kontingenzen in einer vielschichtigen Welt… Was hat dies für einen Sinn? Eine Frage, die einem im Alltag, aber wohl auch im Umfeld des Sports oder in der Karriere einer Sportlerin oder eines Sportlers durchaus sehr präsent sein kann. Rein etymologisch lässt sich der Begriff aus der indogermanischen Wurzel „sent“ ableiten, das als „eine Richtung einschlagen“ und „empfinden“ zu übersetzen ist. 495 Es geht also gemäß dem Wortursprung um eine Gerichtetheit, die mit einer Handlung, Äußerung oder einer Haltung

491 Ebd., 192. 492 Erst im April 2011 wurde in Hamburg ein Spiel der deutschen Fußballbundesliga ein Spiel in der 89. Minute abgebrochen, da ein Schiedsrichterassistent von einem Gegenstand getroffen wurde. Vgl. Paul, Christian: St.Pauli vs. Schalke. Spielabbruch nach Becherwurf, in: http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,754616,00.html [abgerufen am 11.5.2011]. 493 Vgl. Bausinger, Gemeinschaft, 192. 494 Koch, Sport als säkulare Religion, 101. 495 Vgl. Van Tongeren, Paul J.M.: Sinn, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 450-456, 450. 102 verbunden ist, eine Gerichtetheit, die für Aristoteles stets auf ein telos, ein Ziel, hinweist. 496 Dieses Ziel des menschlichen Handelns, Äußerns oder einer Haltung ist der Sinn. 497 Was sind nun solche Sinnausrichtungen in der Welt des Sports? In Bezug auf den Sport generell fällt die Frage nicht leicht; für eine konkrete Bestimmung ist der Begriff des Sportes zu facettenreich. Für van Tongeren handelt es sich hierbei vor allem um eine ethische Frage: „Wer die Frage danach, was Sport eigentlich ist, auffaßt als eine Frage, die zugleich die Bedeutung und die Bestimmung des Sports im Auge hat, der verknüpft den Sport mit dem Leben des Menschen, in dem er seinen Platz hat.“ 498 – ein Ansatz, der in weiterer Folge mit „der Frage nach dem Sinn dieses (menschlichen) Lebens“ 499 allgemein korreliert. Der Sinn des olympischen Sports ist in den fünf nun schon öfters zitierten Merkmalen des Olympismus 500 – jenem der Leib-Seele Einheit, der Selbstvollendung, der Amateurgesinnung, der Bindung des Sports an Regeln und Grundsätze sowie der Friedensidee – grundgelegt. Aus diesen fünf Prinzipien ließ sich für Coubertin ein noch viel größeres Ziel als ein rein auf das sportliche Geschehen fixiertes ethisches Regelkorsett ausmachen, fungierte es für ihn „einmal als pädagogische Orientierung für die Reform des Erziehungs- und Bildungswesens insgesamt, dann als Muster für das Verhalten in anderen Lebensbereichen.“ 501 Auch wenn die Realisierung dieses Olympismus mit all seinen Inhalten nicht zu Unrecht oft stark kritisiert wird, ist dessen grundsätzlich lebensbejahende, anthropophile Art wohl kaum zu leugnen. Andere, mit diesem „Jugendkult“ nicht vereinbare Themen, bei welchen der Mensch an seine Grenzen des zu Erfassenden stößt, werden jedoch gerne oft verschwiegen 502 , wie wohl Kontingenzen durchaus einen wesentlichen Teil des sportlichen Lebens darstellen. Vieles im Laufe einer sportlichen Karriere lässt sich trotz eines noch nie dagewesenen Analyse- und Statistikinstrumentariums nicht erklären, seien es Siege des sportlichen Davids gegen den schier übermächtigen Goliath oder (Überraschungs-)Triumphe bei Olympischen Spielen beziehungsweise Weltmeisterschaften, bei denen krasse AußenseiterInnen plötzlich die Welt-Elite besiegen, dann aber nicht selten wieder ebenso schnell von der Weltspitze verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Die jeweiligen AthletInnen machen aus der Verwunderung über ihren überraschenden Triumph oft auch kein Hehl. Die für TV-KonsumentInnen ob ihres inflationären Gebrauchs eher wenig geschätzte Interviewphrase „Ich kann das alles noch überhaupt nicht realisieren“ kommt wohl tatsächlich „eine religiöse Signalfunktion zu, weil auf etwas hier und jetzt

496 Vgl. ebd., 452. 497 Vgl. ebd. 498 Ebd., 455. 499 Ebd. 500 Vgl. Grupe, Ommo: Was ist der eigentliche Sinn des olympischen Sports?, in: ders (Hg.): Einblicke. Aspekte olympischer Sportentwicklung, Schorndorf: Hofmann 1999 24-30, 24f. 501 Ebd., 30. 502 Vgl. Aigner, Olympismus, 401. 103 nicht Erklärbares verwiesen wird.“ 503 Die Phrase „Es ist mir unbegreiflich“ ist nicht minder populär, jedoch unterscheidet sie sich in ihrem Gebrauch von der oben genannten. Während „Ich kann das alles noch überhaupt nicht realisieren“ ausschließlich auf positive Kontingenzen verweist, unterliegt das andere Zitat primär einer negativen Konnotation, vor allem in Bezug auf überraschende oder hohe Niederlagen, oder in Bezug auf (schwere) Verletzungen oder sogar den Tod, ein Thema, welches im Hochleistungssport zwar in verschiedenster Form auftritt, jedoch gerne tabuisiert und unter den Teppich gekehrt wird. „The games must go on“ hieß es nicht nur anlässlich des Terroranschlags 1972 in München oder des Bombenattentats in Atlanta 1996, der Slogan wurde auch bei den Olympischen Spielen in Vancouver virulent, noch ehe die Spiele überhaupt begonnen hatten: Der Georgier Nodar Kumaritaschwili verstarb im Abschlusstraining zum Rodelbewerb der Herren im schon im Vorfeld kritisierten „schnellsten und gefährlichsten Eiskanal“ 504 der Welt, in welchem bereits zuvor viele SportlerInnen gestürzt waren. Der wohl aufgrund einer Fehlkalkulation viel zu schnell gewordene Eiskanal – die Strecke war lediglich für eine Höchstgeschwindigkeit von 137 km/h zugelassen, der verunglückte Georgier brachte es bei seinem tragischen Sturz, obwohl nicht zur Rodel-Elite gehörig, auf 144 km/h – ist wohl der tragische Gipfel des Wahns rund um die ständige Weiterentwicklung im Rodel- und Bobsport, der anscheinend aus einem schwer begreiflichen Konkurrenzdenken innerhalb der wintersportlichen Disziplinen resultiert:

Immer spektakulärer mussten die Eispisten in den vergangenen Jahren werden, denn auch die Verbände der Randsportarten Bobfahren oder Rodeln wollen sich wie die Skifahrer durch halsbrecherische Abfahrten interessant machen […] Immer weiter wurde die Schraube beim Streckenbau gedreht, die Schlitten immer schneidiger gebaut, das Gefälle erhöht, die Kurvenradien verringert. 505 Das Unglück des jungen georgischen Athleten sorgte natürlich für Bestürzung innerhalb der olympischen Familie und wurde auch in die am selben Tag stattgefundene Eröffnungsfeier hineingenommen, welche dem Verstorbenen gewidmet wurde. 506 Doch bereits am nächsten Tag wurden die Rodelbewerbe programmgemäß mit dem Männer-Einzelbewerb begonnen, wenngleich der Startbereich auf den weiter unten befindlichen Damen-Start hinuntergesetzt wurde, um die Geschwindigkeiten ein wenig einzudämmen, eine Maßnahme, die nicht wirklich griff, waren die Geschwindigkeiten im Zielbereich doch auf einem ähnlichen Niveau wie zuvor. 507 Anhand des tragischen Unfalls Kumaritaschwilis zeigt sich auch die offensichtliche

503 Neuhold. Sport, 16. 504 Dunker, Robert: Die Spiele begannen mit einer Tragödie, in: http://www.welt.de/sport/olympia/article6373399/Die- Winterspiele-beginnen-mit-einer-Tragoedie.html [abgerufen am 4.4.2011]. 505 Ebd. 506 XXI. Winterspiele eröffnet. Feier mit Trauerschleier, in: http://derstandard.at/1265852150538/Feier-mit- Trauerschleier-XXI-Winterspiele-eroeffnet [abgerufen am 5.4.2011]. 507 Wettbewerb. Es geht weiter, in: http://derstandard.at/1265852154916/Wettbewerb-Es-geht-weiter [abgerufen am 5.4.2011]. 104

Hilflosigkeit des Sports, mit dem Thema Tod umzugehen, dessen ständige Präsenz im Spitzensport mitunter gern ignoriert wird und erst durch solche schrecklichen Ereignisse wieder in das Bewusstsein kommt, und erst danach werden notwendige Maßnahmen zugunsten der Sicherheit der SportlerInnen überlegt werden. Ähnliches geschieht zum Beispiel im Schisport, wo erst durch schwere Stürze, wie unlängst jener des österreichischen Abfahrers Hans Grugger im Training zur Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel im Jänner 2011, die Sicherheitsdiskussion wieder neu entfacht wurde. Wie wird nun mit dem Thema Tod im Sport konkret umgegangen? Neben einer psychologischen Betreuung kann an dieser Stelle auch die Seelsorge von wichtiger Bedeutung sein, so war etwa der Olympia-Seelsorger Bernhard Maier direkt im Verarbeitungsprozess der österreichischen Rodelmannschaft zu diesem tragischen Todesfall in Vancouver eingebunden:

Voriges Jahr in Vancouver kam ein Betreuer der Rodler zu mir, und sagte, dass ich einspringen müsse, da es nach dem Tod eines Rodlers beim Training eine große Krise im Team gebe. Ich rief alle in den Mannschaftsraum und sagte: "Es war ein schlimmes Unglück, wir sind alle geschockt, aber wir sind Christen, beten wir ein Vater Unser für ihn, seine Familie und seine Mannschaft." und versuchte weitere tröstende Worte aus dem Glauben herzuholen und zu beruhigen. Das sind Extremsituationen, die es im Laufe der Zeit häufig gab und in denen der Seelsorger direkt konsultiert wird. 508 Auch wenn der Sport wie viele andere Institutionen und der Mensch im Allgemeinen dem Tod oder anderen schwerwiegenden Schicksalsschlägen oft sehr hilflos gegenüberstehen mag, kann er in gewissem Sinne dennoch als Ventil in der Kontingenzbewältigung dienen. Das Bestreiten von Wettkämpfen beziehungsweise Matches kann – nach einer berechtigten Zeit der Trauer – ein durchaus therapeutisches Moment in der Verarbeitung eines schwerwiegenden Ereignisses haben. Für ZuschauerInnen bietet der Sport auch oft ein Instrumentarium für die Flucht aus dem Alltag hin zum Verein, den sie oftmals als Lebenssinn oder gar als Religion betrachten, wie es etwa Fans des Wiener Klubs Rapid ganz explizit bezeichnen. In seinem wenig komplexen, anscheinend von Chancengleichheit und Objektivität geprägten Erscheinungsbild kann der Sport „als quasi- utopischer Gegenentwurf zur gesellschaftlichen Realität dienen“ 509 und eignet sich in dieser Funktion als persönlicher und temporärer Fluchtpunkt vieler Menschen. Das Wort temporär erweist sich dabei als eine wesentliche Einschränkung: „Im Unterschied zu Religion versucht der Sport jedoch nicht, Kontingenz aufzulösen – er macht sie allenfalls für eine Zeitlang vergessen […], während Religion das Leben in seiner Gesamtheit im Konsistenten zu verankern sucht.“ 510 Geht es nach einer 2004 vom Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig

508 Interview mit Bernhard Maier, 18.3.2011. – Vgl. Anhang. 509 Schäfer, Mike S. / Schäfer, Mathias: Abseits-Religion. Fußball als Religionsersatz, in: http://www.zfw.uni- dortmund.de/wilkesmann/fussball/_publi/Schaefer%20_Abseitsreligion.pdf, 10. [abgerufen am15.3.2011]. 510 Ebd., 12. 105 lancierten und von Mike und Mathias Schäfer präsentierten Online-Befragung, scheinen sich die oben getätigten Aussagen zu verifizieren: Lediglich 10 % der Probanden würden sich im Falle einer Orientierungslosigkeit primär „ihrem“ Fußballverein zuzuwenden, auch weil dieser „in der Regel weder den Anspruch noch das Potential [hegt], ihren Anhängern umfängliche Lebenshilfe zu bieten.“ 511 Wiewohl Kontingenzen im Sport nicht unbekannt sind, stößt er bei diesem Thema an seine Grenzen und bringt auch das „Projekt Sportreligion bzw. Olympiareligion“, das ohnehin schon auf einem wackeligen Fundament steht, noch stärker ins Wanken. Will der Sport sich auch in diesem Bereich Gehör verschaffen, muss er die Grenzen und Kontingenzen, die trotz oder vielleicht sogar gerade wegen seiner Erfolgsgeschichte existieren, akzeptieren. Was für alle Institutionen, Regeln und Apparate gilt, muss auch und gerade auch für den gesellschaftlich so wichtigen Sport gelten: Diese „sollen so beschaffen sein, daß sie mit dem Menschen als endliches, begrenztes, fehlerfähiges und oft scheiterndes Wesen rechnen.“ 512 Während der Sport sich in seinen Kontingenzbewältigungsversuchen auf die innerweltliche Ebene kapriziert, mündet der Antwortversuch der etablierten Religionen zumeist in einer gewissen Transzendierung. 513 Diese Transzendierung, wohl eines der wichtigsten Stichwörter des substantiellen Religionsbegriffs, markiert wohl den größten Unterschied von Religionen gegenüber innerweltlichen Weltanschauungen, die trotz so mancher Übereinstimmungen mit Aspekten des funktionalen Religionsbegriffs aufgrund zu vieler Divergenzen in diesem konstitutiven Merkmal von Religionen schlussendlich nicht als solche bezeichnet werden können. Inwiefern die in ihren Fundamenten bereits angeschlagene „Sportreligion“ in diesem Bereich konvergiert, soll nun beleuchtet werden.

1.3 …mit Bezug auf etwas transzendent „Heiliges“ auch darüber hinaus weist – Die Frage nach der Transzendenz Wie im Zuge der Ausführungen zu den Olympischen Spielen der Antike ausführlich beschrieben, waren diese von einer expliziten Verbindung mit der griechischen Götterwelt geprägt, eine Beziehung, die sich im Programm auch anhand einiger Rituale niederschlug. Auch bei der neuzeitlichen Reprise der Olympischen Spiele waren die Spiele zunächst eng mit dem Kult – damals in Gestalt der christlichen Kirchen – verbunden und wurden zu Beginn auch stark von kirchlichen Amtsträgern geprägt. So verdankte die olympische Bewegung ihr Motto „citius-altius- fortius“ dem Internats-Rektor von Arcueil bei Paris, dem Dominikanerpater Henri Didon, welches er dem dortigen Schulsportverein weitergab. In seiner Funktion als Generalsekretär der

511 Ebd., 21. 512 Mieth, Dietmar: Kontingenz, in: Grupe, Ommo / Mieth, Dietmar (Hg.): Lexikon der Ethik im Sport, Schorndorf: Hofmann 1998 (= Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft 99), 303-306, 306. 513 Vgl. Neuhold, Sport, 17. 106 französischen Vereinigung der Schüler-Sportvereine kam Pierre de Coubertin erstmals mit diesem Spruch in Kontakt und machte ihn im Zuge der Schlusssitzung des Gründungskongresses des IOC 1894 zur Devise des neu gegründeten IOC. 514 Gemäß der aktuell gültigen Charta drückt das Motto den Geist der Olympischen Bewegung aus. 515 Für Didon stellte Sport, wie er anlässlich des IOC- Kongresses von Le Havre kundtat, einen wichtigen moralischen und zum anderen einen kameradschaftlichen Einfluss dar. Der Sport soll das Durchhaltevermögen und das Miteinander fördern. 516 Didon erwies sich mit seinem pädagogischen Ansatz und mit den „Überlegungen zur Anstrengung im sportlichen Wettkampf, zur Selbstüberwindung und Beharrlichkeit, mit einem Wort zu den moralischen Kräften des modernen Sports“ 517 als wesentliches Vorbild Coubertins, der durch seinen durchaus anerkannten Stellenwert in Frankreich für Coubertin zusätzlich als Fürsprecher für seine Schulsportkampagne von Bedeutung sein konnte. Als nicht minder wichtiges „Korrektiv“ 518 zu diesem Motto fungiert der Satz: „Wichtig ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme“ – ein Wort, das in Betrachtung der Olympischen Spiele, wie sie sich heute präsentieren, bedauerlicherweise umgedreht hat: „Wichtig ist nicht die Teilnahme, sondern der Sieg“, der noch dazu möglichst überlegen und / oder spektakulär eingefahren werden muss, um nicht sofort wieder in Vergessenheit zu geraten. Seinen Ursprung hat das Wort über die Bedeutung der Teilnahme in der bischöflichen Predigt zum Eröffnungsgottesdienst zu den Londoner Spielen 1908 in der St. Paul's Cathedral. Diese Anbindung an den christlichen Kult, wie sie sich etwa im Eröffnungsgottesdienst vollzog, wurde, wie schon bekannt, 1932 ausgesetzt, was sich spätestens mit der wohl deutlichsten Titulierung des Olympismus als Religion im Rahmen der „Philosophischen Grundlagen des modernen Olympismus“ 1935 und den Ausweitungen der Bemühungen rund um einen emanzipierten olympischen Kult für die Spiele 1936 in Berlin explizierte. Für diesen Emanzipationsprozess wurden durchaus Elemente der griechischen Religion der Antike, aber auch des Christentums übernommen, die darin verehrten Gottheiten blieben hingegen ausgespart. An ihrer Statt müssen für Coubertin „der Sport selbst, die Sportler, die Menschen, die Völker und endlich die Menschheit zum Inhalt der modernen olympischen Religion werden.“ 519 Die Kunde über den „Tod Gottes“, die im Zuge der Aufklärung, des National(sozial)ismus' und des schier unbändigen Fortschrittsoptimismus' der Menschen in der Gesellschaft proklamiert wurde, erreichte spätestens in den 1930er-Jahren auch die olympische Bewegung. Unter dieser Prämisse

514 Vgl. Müller, Norbert: Die olympische Devise „citius, altius, fortius“ und ihr Urheber Henri Didon, Düsseldorf: Neusser 1996 (= Forum Kirche und Sport 2), 7. 515 Vgl. International Olympic Committee: Olympic Charter. In Force as from 11 February 2010, 21. [Vgl. FN 272]. 516 Vgl. Müller, Die olympische Devise, 16. 517 Vgl. ebd., 24. 518 Weiler, Rudolf: Ethos im Sport. Aufrufe zur Gesinnung und Bekenntnis, Graz: Austria Media Service 1996 (=Broschürenreihe der Christlichen Sportakademie Österreichs 16), 54. 519 Moltmann, Olympia, 86. 107 entwickelten sich die Olympischen Spiele zu Festen „für den menschlichen Frühling“ 520 , zu einer Hommage gegenüber dem Menschen, in welcher er sich selbst feiert, anbetet, opfert und sich belohnt 521 , sich schlicht selbst vergöttert. Wie lässt sich dieser kühne Anspruch nun verifizieren? Inwiefern kann durch den Sport, durch die SportlerInnen nun tatsächlich Transzendenz vermittelt werden? In der „Ode an den Sport“ wurde, wie schon erwähnt, der Sport als Göttergabe bezeichnet und auch heute werden einzelne Sportarten in ähnliche Sphären gehievt. Allen voran sind es aber deren Protagonisten, die de facto eine göttliche Verehrung erfahren oder sich wie der Argentinier Diego Maradona 522 selbst in eine enge Beziehung zum Göttlichen setzen. Vor allem im Fußball wird mit solch einschlägigen Huldigungen nicht wirklich sparsam umgegangen, weswegen er oft einer 'Heiligenverehrung oder gar einer Vergöttlichung der Stars gleichzukommen scheint. 523 Der Begriff des Fußballgottes etwa kann schon fast zum Grundvokabular innerhalb des Sport(journalisten)jargons gezählt werden. Ein diesbezüglich auch recht spannendes Sprachspiel wurde rund um den argentinischen Ausnahmefußballer Lionel Messi kreiert, den man in einer Schlagzeile als „Messi-as“ titulierte. 524 Doch nicht nur im Fußball sind solche Tendenzen greifbar. Vergöttlichungen gibt es etwa auch im Cricket, Tennis oder eben bei den Olympischen Spielen. Dort sind es allen voran die sogenannten „Ausnahme-Olympioniken“, die mit ihren Siegen wichtige und denkwürdige Kapitel der Olympia-Geschichte geschrieben haben, die quasi den Status konstituierender Olympia-Mythen erlangten. Beispiele der jüngeren Vergangenheit waren etwa der bemerkenswerte Doppelolympiasieg Usain Bolts bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking, der die Läufe über 100m und 200m in Weltrekordzeit gewann, die epochalen Triumphe des US-Schwimmers Michael Phelps, der es bei den Spielen 2004 und 2008 auf insgesamt 14 Goldmedaillen brachte und mit dieser Marke zum erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten avancierte oder die zwei Goldmedaillen Hermann Maiers nach einem schrecklichen Sturz im ersten Rennen bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998. Solche Geschichten sind es, welche die Olympischen Spiele als Fest konstituieren, „mit dem der Mensch sein Menschsein feiert, d.h. jenes Mehr an Leben, das sich nicht im Bewältigen des Daseins erschöpft, sondern teilhaben will am Überirdischen, am

520 Coubertin, Olympische Erinnerungen, 83. 521 Vgl. Ebd., 87. 522 Anlässlich eines irregulären, aber gezählten Hand-Tores im Fußball-WM-Viertelfinale Argentiniens gegen England sprach Maradona davon, dass die „Hand Gottes“ das Tor gemacht hätte. 523 Neuhold, Leopold: Schlaglichter zum Thema Fußball und Ethik, in: Neuhold, David/ Neuhold, Leopold: Fußball und mehr... Ethische Aspekte eines Massenphänomens, Innsbruck: Tyrolia, 305-326, 309. 524 Vgl. Der Messi-as schießt das Tor des Jahrhunderts, in: http://www.welt.de/sport/article1479491/Der_Messi_as_schiesst_das_Tor_des_Jahrhunderts.html [abgerufen am 6.4.2011]. 108

Geistigen, an jenem ewigen Fortschritt, der uns Menschen zu Menschen macht.“ 525 Bolt, Phelps oder auch Maier sind klassische Repräsentanten des olympischen Hochleistungssports, jener Art des Sports, der von einem „Trend des Totalen“ 526 geprägt ist. Um im Sport erfolgreich sein zu können, heißt es, Grenzen auszuloten respektive diese zu überschreiten, also zu transzendieren. Transzendenz hat für Carl Diem zwei Erscheinungsweisen im Sport. Die erste „naive, allgemein verständliche“ 527 Form der Transzendenz im Sport entspricht dem „Sieg der menschlichen Willenskraft über den menschlichen Leib, das eigentlich Transzendente der Körperleistung.“ 528 Eine zweite Form konzentriert sich auf geistige Aspekte und „wird nicht von allen ohne weiters gesehen.“ 529 Diem spricht von einer „Wahlverwandtschaft“ 530 der Spiele und „einem höheren Lebensziel schlechthin“ 531 , die etwa bereits in der Eröffnung ersichtlich wird, über der „die Hochsinnigkeit der Jugend, das Tun um einer Selbsterfüllung halber“ 532 schwebt. Für dieses Moment der Transzendierung verlangt der Sport den Beteiligten Entbehrungen ab, die von diesen auch ganz bewusst in Kauf genommen werden: Bedenkenlos geopfert wird im Spitzensport neben dem schon angesprochenen Fairplay oft die Gesundheit, so werden Verletzungen mitunter „auch als ein Schritt der Transzendierung im Weg zur Heroenbildung betrachtet.“ 533 Ein wesentlicher Aspekt in der Betrachtung der Transzendenz im Sport ist dessen Geltungsbereich. Während die Religion eine Ausrichtung auf ein Absolutes beziehungsweise Heiliges hat, weist der Sport in seiner Transzendenz auf sich selbst zurück: „Die ekstatischen Züge, die dem Sport innewohnen, stellen den Menschen außerhalb seiner selbst, aber letztendlich steht er im leeren Raum, weil ihm in der Ekstase kein Gott entgegentritt, wie in der Religion, sondern er nur auf sich selbst zurückgeworfen bleibt.“ 534 Dieses Bleiben auf derselben Ebene stellt wohl die größte Schwäche der transzendentalen Bemühungen des Sports dar: „'Totalitätserfahrungen sind über den Sport nicht zu gewinnen.'“ 535 Doch gerade dieser Bezug auf ein transzendentes Absolutum ist gemäß Alois Koch konstitutiv für den Menschen, er trägt „nach christlicher Auffassung die Verwiesenheit auf den transzendentalen Gott in sich.“ 536 Grundgelegt ist diese besondere Beziehung im biblisch

525 Carl Diem zitiert in: Koch, Sport als säkulare Religion, 95. 526 Ebd., 99. 527 Hörmann, Religion der Athleten, 35. 528 Diem, Der Olympische Gedanke, 65. 529 Hörmann, Religion der Athleten, 35. 530 Diem, Der Olympische Gedanke, 101. 531 Ebd. 532 Ebd. 533 Neuhold, Sport, 19. 534 Ebd. 535 B. Wirkus zitiert in: Koch, Sport als säkulare Religion, 101. 536 Koch, Alois: Der Sport am Scheideweg. Beiträge zu einer Sportethik, Thaur: Kulturverlag 1995 (= Beiträge zur 109 vermittelten Menschenbild. In Genesis 1,27 heißt es gemäß der Einheitsübersetzung: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn.“ Die zwei Wörter „schuf“ und „Abbild“ verweisen auf die Geschöpflichkeit des Menschen sowie dessen Gottesebenbildlichkeit, die „das besonders Auszeichnende“ 537 des Menschenbilds ausmachen. Zusammen mit dem Aspekt der Hinfälligkeit des Menschen ergibt sich eine ersttestamentlich fundierte, gemeinsame christlich- jüdische Anthropologie, die auf christlicher Seite durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus noch eine weitere inhaltliche Facette dazubekam. 538 Dieses biblisch fundierte Menschenbild, das eben von einer starken Relation des Menschen zu Gott geprägt ist, fungiert auch als wichtiges Gegenargument in der Auseinandersetzung mit einer etwaigen transzendentalen Bezugsdimension des Sports. Der Aspekt der Transzendenz im Sport stellt neben jenem der Kontingenz wohl den meist diskutierten Punkt in der Frage nach Legitimitätsansprüchen einer „(Olympia-)Sportreligion dar. Nachdem wir nun deren mögliches Profil anhand unserer Umschreibung des Religionsbegriffs ausführlich skizziert haben, soll im finalen Abschnitt dieses Kapitels nun diese Diskussion beleuchtet werden – also wie hält es der (Olympia-)Sport nun tatsächlich mit der Religion?

Ethik 1), 29. 537 Söll, Georg: Der Sport und das christliche Menschenbild, in: Jakobi, Paul/ Rösch, Heinz-Egon: Sport und Religion, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1986 (= Topos Taschenbücher 164) (=Schriftenreihe Christliche Perspektiven im Sport 8), 34-47, 36. 538 Vgl. Ebd., 38-41. 110

2 Die religio athletae in der Diskussion Was trennt den Sport nun von der Religion, was eint ihn vielleicht beziehungsweise was macht ihn im Extremfall eventuell zu einer Religion? Fragen wie diese waren es, die allen voran diesen Abschnitt der Arbeit inhaltlich bestimmt haben. In der Wissenschaft selbst ist die Beschäftigung mit diesem Themenkomplex mitunter ein relativ junges Phänomen. Was Moshe Zimmermann in Bezug auf die Geschichtswissenschaft sagt, steht wohl auch repräsentativ für andere Wissenschaftsbereiche: „Da es zum guten Ton des europäischen Bildungsbürgers, des 'seriösen' Akademikers und vor allem des Geisteswissenschaftlers gehört, sich pejorativ […] über populäre Sportarten zu äußern, fand die Geschichte des Sports bei professionellen Historikern bisher wenig Aufmerksamkeit.“ 539 Während dieser Bereich in Europa lange Zeit verpönt war, sich jedoch langsam zu etablieren beginnt, handelt es in den USA dabei „bereits seit Jahrzehnten um einen aktuellen, angesehenen Forschungszweig“ 540 Was für das Thema Sport im Allgemeinen gilt, trifft wohl auch auf die themenspezifische Fragestellung in Bezug auf die Beziehung von Sport und Religion zu, welche vor allem von Seiten der Theologie, aber auch der Philosophie betrachtet wird. Für viele ist die Fragestellung rund um eine etwaige Olympiareligion oder Sportreligion relativ rasch und deutlich beantwortbar, wie der evangelische Theologe Jürgen Moltmann andeutet: „Die Kritik der neuen olympischen Religion fällt Theologen und Atheisten nicht schwer, die in Ideologie- und Religionskritik geschult sind. […] Diese olympische Religion ist tatsächlich Wunschbild, Traumfabrik und Opium für das Volk.“ 541 Doch ganz so einfach scheint es freilich auch wieder nicht zu sein. Zu vielseitig waren die Berührungspunkte zwischen Religion und Sport, wie sie uns in unserer Untersuchung begegneten. Ob diese unbestreitbar bestehenden Parallelen jedoch dafür ausreichen, bedenkenlos von einer möglichen olympischen Religion auszugehen, steht auf einem anderen Blatt, das es im Laufe der Arbeit noch zu entziffern gilt.

2.1 Der (olympische) Sport ist eine Religion Wohl einer der größten Verfechter der Idee einer Sport-Religion ist der an dieser Stelle schon öfters zitierte Moshe Zimmermann. Der israelische Historiker spricht in seinem Artikel in Bezug auf den Sport des 20. Jahrhunderts ganz explizit von einer Religion 542 , freilich unter Berücksichtigung dessen, dass das Problem einer ausgewogenen Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Sport die „systematische Definition des Begriffs der Religion ist.“ 543 Trotz dieser Schwierigkeiten

539 Zimmermann, Die Religion, 331. 540 Ebd., 332. 541 Moltmann, Olympia, 87. 542 Vgl. Zimmermann, Die Religion, 334. 543 Ebd., 336. 111 versucht Zimmermann diese Beziehung ein wenig zu erläutern:

Betrachtet man Religion als den institutionalisierten menschlichen Versuch zur Überwindung der Angst vor der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, also vor dem Tode und als Antwort auf die Inhaltslosigkeit und Ziellosigkeit des menschlichen Handelns und ist Religion ein durch höhere Instanz sanktioniertes Mittel zur Schaffung von Grundregeln, Inhalten und einer gesellschaftlichen Ordnung zu verstehen als ein historisch entwickeltes Mittel, als Reaktion auf die sich ändernden sozialen Gegebenheiten – dann unterscheidet sich der Sport als Religion nur wenig von anderen Religionen. 544 Konkretisiert wird dieser Ansatz anhand der Olympischen Spiele, die er vor allem durch kultische Elemente, die oft „den Mechanismus sozialer Kontrolle“ 545 bilden, in Zusammenhang mit den etablierten Religionen stellt. Neben der Funktion des Kalenders, die im Rahmen der Arbeit als kultische Rahmenbedingung erwähnt wurde, sind es vor allem auch die Rituale wie der von Carl Diem initiierte Fackellauf oder die organisatorischen Strukturen, aber auch andere Aspekte, die das Besondere der olympischen Religion ausmachen:

Credo, Transzendenz, Heilige und Seelsorge; klare Regulierung und Hierarchien, Konzile und Päpste (aber auch Schismen); Gebet, Wallfahrt, Tempel, Reliquien, und Uniform; Ekstase und Wundererwartung. All diese Attribute sind in spezifischen Sportarten bzw. in Situationen feststellbar, die für alle Sportarten im 20.Jahrhundert typisch sind. 546 Vorbilder für seine Argumentationslinie ortet Zimmermann in den Vereinigten Staaten, wo etwa der Soziologe Harry Edwards den Sport „für die eigentliche universale populäre Religion hält.“ 547 Neben Moshe Zimmermann ist auch Martin Hörmann tendenziell ein Befürworter einer religiösen Ausrichtung des Sports. Ein wesentliches Ziel seiner Publikation „Religion der Athleten“ ist es, eine stärkere Befassung der Theologie und der Kirche mit dem Sport zu erreichen, weil er, „besonders in seiner olympischen Ausprägung, offensichtlich eine kaum zu überschätzende Faszination ausübt und somit die Frage aufwirft, wie er heute coram Deo verantwortet werden kann.“ 548 Weiters soll der Sport, so heißt es, Theologie und Kirche dazu animieren, „an ihm exemplarisch zu erproben, wie es heute mit dem religiösen Wort allgemein und mit dem christlichen Wort im besonderen bestellt ist.“ 549 Der inhaltliche Schwerpunkt Hörmanns liegt in der Skizzierung der „religio athletae“, die wie gezeigt im Zentrum des Olympismus steht und zu welcher Hörmann fünf wesentliche Funktionen herausarbeitet 550 : die nationale Integration, den Fortbestand der Menschheit, den Burgfrieden, die Versöhnung von Geist und Leib sowie die Wege zum vollkommenen Menschsein. Diese fünf Punkte sind Zeugnis eines sehr immanenten

544 Ebd., 335. 545 Ebd., 342. 546 Ebd., 350. 547 Harry Edwards zitiert in: Ebd., 334. 548 Hörmann, Religion der Athleten, 7. 549 Ebd. 550 Vgl. Ebd., 16ff. 112

Religionsverständnisses Coubertins, das seiner prioritären pädagogischen Idee untergeordnet ist: „Die religiöse Verklärung unterstreicht die pädagogische Bedeutung. Der religiöse Überbau wird rationell verwertet.“ 551 Auch die Beziehung der Religion zum Sport allgemein wird von Hörmann angesprochen. Innerhalb dieser konstatiert er einen Paradigmenwechsel im Laufe der Geschichte. War der Sport in der Antike etwa auch bei den Olympischen Spielen stark an die offizielle Religion gebunden, fiel diese Bindung in der Neuzeit allmählich weg: „Nachdem der Sport die Religion entlassen hatte, entlädt sich nun das Religiöse im Sport. War der Sport einst auf die Religion angewiesen, so jetzt das Religiöse auf den Sport.“ 552 Der Sport besitzt für Hörmann durchaus religiöse Aussagekraft, eine Sichtweise – so seine Kritik – an welche sich die christliche Theologie erst gewöhnen müsse. 553 Eine religiöse Aussagekraft im Olympismus respektive Gemeinsamkeiten zwischen der Religion und der Coubertin‘schen Philosophie ortet auch Heinz-Egon Rösch. Als erste Übereinstimmung nennt er „die Ideale und die Orientierung am Menschen, das Humanum.“ 554 Diese zum Menschen zugehörigen Ideale sollen „sich im konkreten menschlichen und mitmenschlichen Leben, im Verhalten und Handeln dartun und wirksam werden im Sport und der Religion.“ 555 Dieser Handlungsfokus, der konkrete Dienst am Menschen ist es, der diese Bereiche besonders verbindet, ein Handeln, das von vier Grundwerten bestimmt wird: Freiheit, Fairness, Freundschaft und Frieden. 556 Rösch verweist allerdings auch bereits auf Unterschiede zwischen Religion und dem (Olympia-)Sport. Unterschiede tun sich hinsichtlich ihrer „Erscheinungs- und Aktionsformen“ auf. Während die Religion als das „menschliche Dasein überformendes Lebenselement“ fungiert, etwa von „transzendentalen, mythischen, kultischen Erfahrungen, Erlebnissen und Handlungen“ 557 geprägt ist, betreibt der Olympismus, der „keine Religion“ 558 ist, eher die Arbeit der „'Rückerinnerung.'“ 559 Unterschiede gibt es auch im Bereich der Feier, in welchem Coubertin, Diem und deren Mitarbeiter für Rösch mit viel Naivität an die Sache herangingen, „wenn sie versuchten, Elemente der kultischen Feier der antiken Spiele in ihrer ursprünglichen Kultverflochtenheit in die Neuzeit zu übertragen und sie den modernen Spielen zuzuordnen“ 560 , ein Umstand der zu vielen

551 Ebd., 19. 552 Ebd., 49. 553 Vgl. Ebd., 50. 554 Rösch, Olympismus, 508. 555 Ebd., 509. 556 Vgl. Ebd., 512. 557 Die vorhergehenden Zitate alle in: Ebd., 509. 558 Ebd. 559 Ebd., 510. 560 Ebd. 113

Fehldeutungen führte und vieles, was in olympischen oder weltmeisterschaftlichen Eröffnungsfeiern passiert, „nicht in einer kultisch-religiösen Beziehung zu verstehen ist.“ 561 Mit dem Verweis auf Heinz-Egon Rösch sind wir nun bereits mitten in der Kritik eines (olympia-)sportlichen Religionskonzepts angekommen, die nun am Ende der Arbeit kurz fokussiert werden soll. Neben Rösch sind in der Riege der Kritiker etwa auch Bernhard Maier, Jürgen Moltmann und der renommierte Philosoph Peter Sloterdijk zu finden.

2.2 Warum der (olympische) Sport keine Religion ist „Ich möchte ganz klar sagen: Es gibt keine olympische Religion. Das ist eine maßlose Übertreibung von Pierre de Coubertin gewesen. Kein Sportler verbindet die Zeremonien wie etwa die Flaggenhissungen und ähnliches im Entferntesten mit einer Religion.“ 562 , so die sehr entschiedene Aussage des österreichischen Olympia-Seelsorgers Bernhard Maier. Aspekte wie Transzendenz, Gottesglauben oder die Frage nach dem letzten Lebenssinn bleiben im Sport unberücksichtigt 563 , wie er auch schon in seinem Buch „Sport-Ethik-Religion“ darlegte, in welchem er dem Sport das Fehlen einer „im engeren Sinn spirituelle[n] Dimension“ 564 attestierte. Auch diversen Analogien zur Religion, die im Sport kursieren, bescheinigt der Olympia-Seelsorger wenig Potenzial, wie er etwa in Bezug auf die Analogie von olympischem und liturgischem Kalender aufzeigt: „Ich bin schon 30 Jahre in diesem Bereich, und auf diesen Gedanken wäre ich noch nie gekommen. Mir liegen diese Dinge absolut fern. Natürlich kann man solche Analogien aufstellen, aber so etwas ist äußerst säkular. Eine religiöse Stimmung gibt es mit Sicherheit nicht.“ 565 Diese hier angesprochene Säkularisierung sei auch ein wesentlicher Grund für das Scheitern etwaiger religiöser Ansprüche des Sports: „Die Säkularisierung lässt doch gar nicht zu, dass die Leute das religiös empfinden. Man wendet sich nicht nur von der Kirche ab, sondern auch von der Transzendenz.“ 566 Trotz dieser mitunter recht eindeutigen Positionierung versucht Maier jedoch auch, „die Erfahrungen im Hochleistungssport für die transzendente Dimension zu erschließen.“ 567 Entsprechende Anknüpfungspunkte sind etwa die Sinnfrage, die Frage der sportlichen Moral sowie das Erlebnis der Völkergemeinschaft, wie es vor allem bei diversen Eröffnungsfeiern der Fall ist. 568 „Im Sinne einer nachgehenden Seelsorge “569 wie sie in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils verankert ist, bietet der Sport auch ein adäquates pastorales Feld, in

561 Ebd., 511. 562 Interview mit Bernhard Maier, 18.3.2011. – Vgl. Anhang 563 Vgl. Ebd. 564 Maier, Sport-Ethik-Religion, 80. 565 Interview mit Bernhard Maier, 18.3.2011 – Vgl. Anhang. 566 Ebd. 567 Maier, Sport-Ethik-Religion, 89. 568 Vgl. Ebd., 89f. 569 Maier, Beste(r) sein, 61. 114 welchem Maier schon seit 1982 als Olympia-Seelsorger tätig ist. Ein weiterer Kritiker des olympischen Religionskonzepts ist Jürgen Moltmann, der schon zu Beginn des Abschnitts die Olympia-Religion als „Opium für das Volk“ bezeichnete. Kritik übt er an der „ Glorifizierung des Sports und eine(r) Vergötterung der Spiele, die beiden ihre Menschlichkeit nimmt.“ 570 Diese Entwicklung ist seines Erachtens nach nicht ungefährlich, auch weil mit der Religiosität der Menschen gespielt wird: „Religiöse Gefühle und Energien der Massen werden auf ein anderes Objekt gelenkt.“ 571 Zudem würde die Überhöhung des Menschen, wie sie bei den Spielen passiert, diesen schlichtweg überfordern. Dass diese „Olympiareligion“ bei aller Kritik für Moltmann auch positive Aspekte aufweist, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Es geht um „die wahre religiöse Dimension des Lebens, der Freiheit und der Freude“ 572 , die der olympischen Idee inhärent ist. Dennoch stellt die religio athletae Coubertins für Moltmann primär ein „Kunstprodukt“ dar, das „gemacht“ wurde und welche für die Krönung der olympischen Idee durchaus notwendig war. Dabei war es für Moltmann gar nicht Coubertins Intention, eine Konkurrenz zu den etablierten Religionen aufzubauen, weswegen nur die Rituale und nicht die Götter aus dem antiken Olympia in die Moderne übernommen wurden. 573 Diese Beobachtung machte auch der Philosoph Peter Sloterdijk. Jedoch blieben laut ihm die Götter der alten Spiele nicht aus Konkurrenzgründen auf der Strecke, vielmehr war „der Gründer der Spiele zu gebildet, um nicht zu wissen, daß [sic!] die Götter des Hellenismus tot sind.“ 574 Ersetzt werden diese durch die sogenannten „Augenblicksgötter“ – also „Götter, die keinen Beweis nötig haben, weil sie nur für die Dauer ihrer Manifestation existieren und nicht geglaubt, sondern erlebt werden“ 575 – ersetzt. Den Sport bezeichnete Coubertin laut Sloterdijk als „Isolator“, mit dem dieser „auf das Vermögen der 'Religion' [verweist], die Realität in gewöhnliche und außergewöhnliche Situationen zu spalten“ 576 , wobei der Sport als Religion quasi den Ausnahmezustand herbeiführen sollte. 577 Dennoch kann aus der Sicht Sloterdijks nicht von einer Olympia-Religion gesprochen werden, da erstens „'Religion' in dem Sinne, wie die Exploiteure des Begriffs ihn verstehen, nicht existiert – und existiert hat“ 578 und Coubertin andererseits als Religionsgründer gescheitert ist, „weil

570 Moltmann, Olympia, 87. 571 Ebd. 572 Ebd., 88. 573 Vgl. Ebd., 85. 574 Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 146. 575 Ebd., 144. 576 Ebd., 147. 577 Vgl. Ebd. 578 Ebd., 134. 115 er als Initiator einer Übungs- und Wettkampfbewegung über jedes erwartbare Maß reüssiert hat.“ 579 Selbstverständlich ist die wissenschaftliche Diskussion rund um das Thema einer etwaigen Religiosität des (olympischen) Sports viel intensiver und ausgewogener, als es hier dargestellt werden konnte. Auch ist es wohl zu plakativ, lediglich zwischen zwei Gruppen der tendenziellen Befürworter und Gegner eines solchen Konzepts zu unterscheiden, weil die Positionen der einzelnen Vertreter mit Sicherheit, wie auch hier angedeutet, durchaus differenziert zu betrachten sind. Dennoch lässt sich aus dem Ausgeführten eine eher skeptische Grundstimmung gegenüber einer übertrieben stark ausgeprägten (Olympia-)Sportreligion erkennen, wiewohl einige Parallelen beziehungsweise Ähnlichkeiten zu den etablierten Religionen nicht zu leugnen sind. Ein Stimmungsbild, welches sich nicht nur innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch innerhalb dieser Arbeit gezeigt hat, wie nun an ihrem Ende noch einmal anhand eines Schlussresümees noch einmal unterstrichen werden soll.

579 Ebd., 149. 116

Resümee Kann der (Olympia-)Sport also als eine Religion der (Post-)Moderne bezeichnet werden? Wie ließe sich solch eine Annahme stützen und welche Probleme sind in diesem Zusammenhang zu nennen? – Diese Fragen waren es, die am Anfang der Arbeit standen und deren Beantwortung in drei Schritten realisiert wurde. Im ersten Abschnitt sollten wichtige begriffliche Voraussetzungen geklärt werden. Umschrieben wurden dabei die Begriffe der Religion und des Sports. Die Religion selbst steht in unserer postmodernen Gesellschaft vor neuen Herausforderungen und einer noch etwas ungewohnten Marktsituation, die aus der religionsbezogenen Ent-Institutionalisierung und dem Verlust der Monopolstellung der Kirche in unseren Breiten resultierte. Viele der ursprünglich einzig und alleine der Religion zukommenden Funktionen wie die Identitätsstiftung, die Funktion der sozialen Integration oder gar der Kontingenzbewältigung, die als Schlüsselfunktion der Religionen gilt, wurden „universalisiert“ und auch von anderen Institutionen wie der (Populär-)Kultur, der Politik oder dem Sport mehr oder weniger erfolgreich erfüllt. Der Sport wurde an dieser Stelle als eine Körperbetätigung umschrieben, die vor allem in ihrer rekreativen Form regenerativ- spielerische, gesundheitsfördernde, soziale, ästhetische sowie kompetitiv-regelgebundene Funktionen haben kann, welche sich jedoch auch zu einer professionellen Form weiterentwickeln können. Innerhalb dieser Umschreibung lassen sich zwei wesentliche Auffälligkeiten konstatieren: zum einen der Gegensatz von rekreativ und professionell, der den Sport vor allem seit den 1980-er Jahren des 20. Jahrhunderts determiniert, sowie die aufgelisteten Funktionen, die durchaus Parallelen zu jenen der Religion aufweisen. Angesichts dessen wird nicht selten vom Sport als Religion gesprochen, wie es etwa der langjährige IOC-Präsident Avery Brundage ganz explizit in Bezug auf die Olympische Bewegung tat. 580 Tatsächlich haben gerade die Olympischen Spiele ihre Wurzeln im Kult des antiken Griechenlands, wie zu Beginn des zweiten Abschnitts aufgezeigt wurde, in dem es um einen Überblick in Bezug auf die Geschichte der Olympischen Spiele sowie um die Grundlagen des Coubertin'schen Olympismus ging. Obwohl erst seit 776 vor Christus erstmals aufgezeichnet, fanden schon in mykenischer Zeit, also schon 300 Jahre zuvor, Spiele zu Ehren des Zeus statt. Neben dem im Laufe der Zeit immer größer werdenden Wettbewerbskanons fanden auch einige Rituale Niederschlag im olympischen Programm. Allen voran waren dies etwa die Opfer an Pelops und Zeus, der olympische Eid sowie die Siegerehrung mitsamt der abschließenden Prozession durch den heiligen Hain. Siegerehrung und Eid respektive Versprechen sind auch konstitutive Bestandteile der

580 Vgl. FN 306. 117

Olympischen Spiele der Neuzeit, die dank der Initiative Pierre de Coubertins 1896 eine Wiederauflage erfuhren. Die Geschichte der Spiele wurde, vielleicht etwas vereinfacht, in drei determinierende Phasen eingeteilt: Die erste bildet die Zeit der olympischen Konsolidierung, in welcher die Olympischen Spiele zumindest bis zu den Spielen in Stockholm 1912 noch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, wobei hier besonders auf ihre gleichzeitige Ansetzung mit den Weltausstellungen von Paris 1900 und St. Louis 1904 zu verweisen ist, die der Olympischen Geschichte beinahe ein sehr frühes Ende beschert hätten. Mit den Winterspielen in Garmisch Partenkirchen 1936 und besonders den Sommerspielen in Berlin im gleichen Jahr, die als „Propaganda-Spiele“ des nationalsozialistischen Regimes inszeniert wurden, trat die olympische Bewegung in eine Phase der Politisierung ein. Viele Spiele in dieser Periode standen im Schatten des politischen Weltgeschehens, auf das mit Boykotten reagiert wurde, wobei der gegenseitige Boykott des West- und Oststaaten der Sommerspiele in Moskau 1980 und 1984 in Los Angeles die diesbezüglich stärkste Ausprägung darstellte. Dass der Unmut über aktuelle politische Ereignisse leider auch auf andere Weise ausgedrückt wurde, zeigte der tragische Terroranschlag auf die israelische Delegation in München 1972, der zugleich einen schweren Schlag für die auf Frieden und Gemeinschaft aufbauende olympische Idee bedeutete. Mit dem Fall des Amateurparagraphen 1981 und der Öffnung für die Privatwirtschaft veränderte sich auch der Charakter der Spiele. Der Leitspruch „Dabei sein ist alles“ wurde vom Motto des „Schneller-Höher-Stärker“ überlappt, eine Entwicklung, die sich nicht nur auf den sportlichen Bereich fokussiert, sondern allen voran auch für andere Aspekte der Veranstaltung gilt, werden die Spiele mitunter gerne als wichtige Plattform potenter Sponsoren genutzt. Hand in Hand mit der Professionalisierung schritt auch die Medialisierung des (Olympia-)Sports voran, die dem Sport eine neue weltweite Aufmerksamkeit bieten sollte. Stand die olympische Familie dieser Entwicklung lange Zeit sehr skeptisch gegenüber, sind die TV-Gelder mittlerweile wohl die wichtigste Einnahmequelle des IOC. Dass diese Medialisierung bei allen Vorteilen durchaus auch mit Vorsicht zu genießen ist, wurde in dieser Arbeit ausführlich thematisiert. Der von der Medialisierung gestützte Paradigmenwechsel von „Teilnahme“ zu „Leistung“ war und ist nicht unproblematisch. Vor allem das Thema Doping wurde zu einem unredlichen Begleiter dieses Prozesses, wie die Dopingaffären rund um Ben Johnson (1988), Johann Mühlegg (2002) oder das österreichische Langlauf- und Biathlonteam bei den Winterspielen 2006 in Turin bewiesen. Wer jedoch innerhalb dieser Zeilen eine Verdammung des Leistungsgedankens, der Professionalisierung und Medialisierung vermutet, der irrt. Leistung ist genuin nichts Schlechtes und verleiht dem Sport durchaus eine gewisse Würze, nur sollte sie stets unter Berücksichtigung des Fair-Play-Gedankens und der diese Leistungen vollbringenden Menschen stehen. Unter diesen Vorzeichen ist der Aspekt der Leistung durchaus konstitutiver Bestandteil der 118 olympischen Idee, die von Pierre de Coubertin rund um die Institution der Olympischen Spiele ausgestaltet wurde. Die Bedeutung der Spiele geht für den französischen Baron weit über das rein Sportliche hinaus, vielmehr stellten diese für ihn eine Lebensphilosophie respektive -schule dar. Olympismus heißt das Schlagwort, unter welchem Coubertin – beeinflusst von der englischen Pädagogik – seine auf Betonung der Leib-Seele Einheit, der Selbstvollendung, der Amateurgesinnung, der Bindung des Sports an Regeln und Grundsätze sowie der Friedensidee basierende Idee der Spiele fasst. In einer der prägnantesten Ausführungen zum Profil des Olympismus-Gedankens, den „Philosophischen Grundlagen des Olympismus“ im Vorfeld der Olympische Spiele in Berlin 1936 bezeichnete Coubertin den Olympismus als Religion. Die sogenannte „religio athletae“ sollte in existentieller Hinsicht, als Ausdruck des menschlichen Seins“, politisch, im Sinne einer Rückkoppelung an gemeinsame Werte und über Zeremonien, in denen die Zustimmung zum Sport symbolisch Ausdruck erfährt, proklamiert werden. Der Gedanke der religio athletae wurde in weiterer Folge von Carl Diem und Avery Brundage rezipiert und weiterentwickelt. Obwohl sich Diem begrifflich von Coubertin distanzierte und statt der religio athletae eher die humanitas athletae, den Begriff der reinen Menschlichkeit betonte, trug er mit seiner Erweiterung des olympischen Ritualinventars – unter anderem durch die Installierung des olympischen Fackellaufs anlässlich der Spiele von 1936 – mehr oder weniger bewusst zur stärkeren Ausprägung des religiösen Charakters der Spiele bei. Brundage hingegen, wohl einer der umstrittensten und konservativsten IOC-Präsidenten der Olympia-Geschichte sprach sehr deutlich von einer Religiosität der olympischen Bewegung, wobei es Brundage in seinem Religionsverständnis jedoch nicht um einen Glauben an die übernatürlichen Kräfte des Sports, sondern um seinen sehr irdischen Bezug, seiner Fähigkeit der Vermittlung ethischer Werte geht und die Aussage in diesem Sinne wohl auch etwas zu relativieren ist. Im dritten und abschließenden Teil ging es um die Praktikabilität einer möglichen (Olympia- )Sportreligion in unserer Zeit. Als Parameter hierfür fungierte der Religionsbegriff, wie er im ersten Teil der Arbeit umschrieben wurde. Aus diesem Begriff ergaben sich die Kriterien Erlebnis, Ritual, Ordnung, Identitätsstiftung, soziale Integration, die Frage der Kontingenz sowie jene der Transzendenz, Kriterien, die im Sport eine unterschiedliche Präsenz aufweisen. Die wohl größten Parallelen zwischen (Olympia-)Sport und Religion ergeben sich im Bereich des Kultes. Rituale spielen im Sport und, wie vor allem in Zusammenhang mit Eröffnungs- und Schlussfeiern ersichtlich, auch bei den Olympischen Spielen eine bedeutende Rolle, im Sinne der Vermittlung von Sicherheit und Orientierung, aber auch im Sinne einer Verleihung eines besonderen „höheren“ Charakters des Sports, welcher über das bloße sportliche Geschehen hinausweisen soll. Die wohl bekanntesten rituellen Elemente in Bezug auf die Olympischen Spiele sind der sogenannte Fackellauf von Olympia zur Ausrichterstadt, das Ableisten des olympischen Eids beziehungsweise 119

Versprechens oder die Einholung der olympischen Flagge im Rahmen der Schlussfeier. Die olympische Flagge mit den fünf olympischen Ringen, die von Pierre de Coubertin persönlich kreiert wurde, stellt zusammen mit dem olympischen Feuer wohl das wichtigste Symbol innerhalb der „olympischen Liturgie“ dar. Ähnlichkeiten ergeben sich auch aus den liturgischen Rahmenbedingungen heraus: Wie die Liturgie folgt der Sport einem strikten Kalender, wie etwa auch anhand des streng eingehaltenen Vier-Jahres-Zyklus der Olympischen Spiele ersichtlich wird. Änderungen an diesem Kalender erfordern große Sensibilität und werden schon im Ansatz oft mit Kritik quittiert. Auch in Bezug auf den Raum ergaben sich Analogien zur Religion. Wie die Kirche ist auch das Stadion oder die Turnhalle zentrale Stätte des „(sport-)kultischen“ Geschehens, auf das sich die Aufmerksamkeit der Beteiligten richtet. So wie in der Kirche existiert auch im Sport die Unterscheidung zwischen AkteurInnen und ZuschauerInnen, die den „heiligen Raum“ – das Spielfeld – nicht betreten dürfen. Ein zweiter thematischer Bereich, in welchem sich durchaus Ähnlichkeiten zur Religion ergeben, ist der Gemeinschaftsaspekt. So wie durch die Religion einzelne in eine Gemeinschaft oder ein soziales Gefüge integriert werden sollen581, kann dies ebenso durch den Sport geschehen, jedoch nicht immer – und dieser Einwand scheint nicht unwichtig zu sein – absolut bedingungslos. Dies zeigt sich allen voran in der Integration eingebürgerter SportlerInnen oder SportlerInnen mit Migrationshintergrund, deren Akzeptanz eng mit dem sportlichen Erfolg verbunden ist. Eine Chance kann der Sport für Menschen mit Behinderung bieten, durch welchen der Öffentlichkeit ein anderes, nicht nur auf Unterschiede verweisendes Bild dieser Menschen transportiert werden kann. Großveranstaltungen wie die Paralympischen Spiele und die Special Olympics sind in dieser Intention auch dank der steigenden medialen Beachtung durchaus hilfreich, wenngleich es darüber hinaus, vor allem auch in Bezug auf den Breitensport der Menschen mit Behinderung, noch einiges zu tun gibt. Für ZuschauerInnen kann der Sport ein gemeinschaftsstiftendes Moment in sich bergen, etwa beim Besuch eines Spiels im Stadion, bei dem das Gemeinschaftsmoment, das Ausgerichtet- Sein auf die kollektive Unterstützung des favorisierten Teams, stark zur Geltung kommt. Doch gerade darin liegt auch eine Gefahr, sofern die gegnerische Mannschaft als gemeinsamer Feind ausgemacht wird, statt diese als konstitutiven Bestandteil der Spielgemeinschaft anzuerkennen, ein Umstand, vor welchem auch Religionen in möglichen fundamentalistischen Ausprägungen nicht gefeit sind. Doch bei all den unleugbaren Analogien sind durchaus auch grundlegende Unterschiede feststellbar, die eine Kategorisierung des Sports als Religion zumindest infrage stellen.

581 Vgl. FN 29. 120

Problematisch in der Argumentation einer „religio athletae“ sind vor allem die Bereiche der Kontingenz sowie der Transzendenz. Die Frage nach der Kontingenz – die Frage nach dem „Warum“ vor allem in Bezug auf Schicksalsschläge und Zufälligkeiten im Leben – bleibt im Sport zumeist unbeantwortet beziehungsweise beinahe tabuisiert, wie sich etwa im Bereich „Tod“ zeigt, welcher nach wie vor unzureichend thematisiert zu sein scheint. Sehr wohl kann der Sport allerdings auch ein Ventil in der Verarbeitung schwieriger Situationen sein, ein Ventil, welches im Gegensatz zur Religion nicht auf Dauer ausgerichtet ist, sondern lediglich temporärer Natur ist. Auch der Aspekt der Transzendenz wird im Sport nur bedingt bedient. Zwar gibt es etwa im Sektor des Erlebnissports durchaus Erfahrungen einer Transzendenz, einer Transzendenz allerdings, die auf den Menschen zurück und nicht über ihn hinausweist. Der Sport kann auf diese Weise zu einem Fest mutieren, in welchem der Mensch sein Menschsein feiert, sich selbst auf die göttliche Ebene hievt, seine göttlichen Denkmäler jedoch auch wieder nach Belieben schleift. Der Sport verbleibt auf diese Art und Weise auf einer irdischen Ebene, in welcher Erfahrungen der Transzendenz, des Übersteigens des menschlichen Daseins nur schwer möglich sind. Kann man den Sport nun tatsächlich als Religion des 21. Jahrhunderts bezeichnen? Eine Frage, die sich unter Berücksichtigung dieser Arbeit wohl mit einem „Nein, aber“ beantworten lässt. Zu viele, mitunter auch entscheidende Unterschiede in Bezug auf die Kontingenz, die Transzendenz aber auch auf die anderen Bereiche sprechen eine klare Sprache, jedoch sind Ähnlichkeiten und Parallelen nicht abzustreiten. Beide Bereiche scheinen also doch mehr miteinander zu tun zu haben, als es zu Beginn der Arbeit vielleicht den Anschein hatte, ja können beide, Sport und Religion, gar voneinander profitieren, wie auch Bernhard Maier im Interview noch einmal anmerkt. Während der Sport von der Religion die Ausrichtung auf ein Absolutes „in Hinblick auf die bestmöglichste Leistung und hinsichtlich einer absoluten Gültigkeit der Moral lernen kann“ 582 , lehrt der Sport der Religion das Bewusstsein für die Einheit von Leib und Seele des Menschen: „Der Mensch hat Leib und ist Leib“ 583 Für beide Seiten sollte auch der Respekt beziehungsweise die Akzeptanz des jeweils anderen Bereichs im Vordergrund stehen, ein Umstand, der nicht selbstverständlich ist, war doch die Beziehung von Sport und Religion lange von gegenseitigen Ressentiments geprägt. Erst wenn diese beiden Eigenschaften beherzigt werden, kann ein fruchtbarer Dialog zwischen den beiden Protagonisten entstehen, ein Dialog, wie er im Sinne des II.Vatikanums ausdrücklich erwünscht ist, wenn es im Sinne des Aggiornamento um ein Arrangement der Kirche und der heutigen Gesellschaft geht, einer Gesellschaft, die den Kriterien des olympischen Mottos des Schneller- Höher-Stärker in vielen Bereichen des Lebens nacheifert.

582 Interview mit Bernhard Maier, 18.3.2011 – Vgl. Anhang. 583 Ebd. 121

Anhang

Gespräch mit P. Dr. Bernhard Maier, 18.03.2011, Unterwaltersdorf, Österreich

- Blickt man auf Ihre Biographie, so scheint Sport eine sehr große Rolle in Ihrem Leben zu spielen. Kurz gefragt: Was bedeutet Sport für Sie? Die Bedeutung des Sports hat bereits in meiner Kindheit begonnen, weil ich ein fanatischer Sportler und „Straßenkicker“ war, der sich durch keine Maßnahme der Eltern bremsen ließ. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war es unsere größte Faszination, Sport zu betreiben, sportliche Bewerbe abzuhalten, die wir auch Olympiaden genannt haben. Das war einfach mein Leben, das war in meiner Natur, obwohl meine Eltern unsportlich waren. Ich weiß daher nicht, wieso der Sport meine Jugend bestimmte. Auch in der Gymnasialzeit bei den Salesianern wurde meine Leidenschaft weiter gefördert und ging schließlich soweit, dass mir die Ordensoberen nach meinem Ordenseintritt vorgeschlagen haben, neben der Theologie auch Sport zu studieren und für das Gymnasium hier das Lehramt zu machen. So wurde ich schließlich zum ersten voll geprüften Turnlehrer in der Geschichte dieser Schule. Diese Zufälligkeiten aufgrund eines Talentes beziehungsweise einer Leidenschaft gingen dann in eine besonders intensive Richtung, als ich 1982 als junger Religions- und Sportlehrer gefragt wurde, ob ich die Stelle des verstorbenen Olympia-Kaplans einnehmen möchte. So kam ich mit Erlaubnis der Ordensoberen und auf Anfrage der Bischofskonferenz in einen ganz anderen Bereich, in welchem meine Leidenschaft auf eine ganz andere Ebene kam. Wichtig war zudem das Unterrichten im Sport, die Erkenntnis, wie wichtig eine Fairnesserziehung im Unterricht ist sowie das Erleben des Spitzensports mit all seinen Problemen als junger sportlicher Seelsorger. Das hat eine Ausrichtung in meinem Leben gegeben, die bis zur Habilitation aus Sportehtik reichte. Es war also eine stetige Bergauf-Bewegung hinein in diesen Bereich vom fanatischen „Straßenkicker“ bis jetzt in diese Position.

- Seit 1984, bei den Spielen in Sarajevo und Los Angeles, fungieren Sie als Seelsorger der österreichischen Delegationen bei Olympischen Spielen, seit 2000 in Sydney zusätzlich bei den Paralympischen Spielen. Wie kann man sich den Seelsorge-Alltag bei den Spielen vorstellen und inwieweit wird die Seelsorge von den AthletInnen, FunktionärInnen und TrainerInnen in Anspruch genommen beziehungsweise akzeptiert?

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Wenn man solange dabei ist wie ich, ist man natürlich bekannt in der Mannschaft. Zwar muss man natürlich die vielen Neuen in der Mannschaft kennen lernen – in Vancouver war das immerhin 1/3 der TeilnehmerInnen – aber über die vielen Bekannten geht das relativ rasch. Man hat dieselbe Einkleidung wie die SportlerInnen, man besucht sie jeden Tag und ist dadurch, dass man schon lange dabei ist, quasi ein „zugehöriges Möbelstück“, das Teil des Betreuungsteams ist. Keiner denkt sich was dabei, wenn ich meine Gottesdienste in den entsprechenden Quartieren anschlage und die Betreuer bitte, eine gewisse Zeit für die Mannschaft reservieren zu lassen, ja man rechnet fast damit, dass von mir das Angebot kommt. Die Betreuer kooperieren ausgezeichnet, sodass ich in Vancouver mit jedem Mannschaftsteil einen eigenen Gottesdienst gefeiert habe. Die Schispringer waren zum Beispiel zu 100 % da und kamen sogar in die Pfarre, wo ich gewohnt habe, da sie lieber in der Kirche als in der Kapelle des Olympischen Dorfs feiern wollten. Auch die Alpinen waren fast vollzählig. Die Ski-Crosser bildeten eine neue Gruppe, dennoch waren sie sehr zugänglich und nach meinem ersten Besuch alle beim Gottesdienst. Das war für mich selbst phänomenal, da es manchmal Jahre beziehungsweise einige Olympische Spiele dauert, bis man in einen Bereich hineinkommt und tatsächlich akzeptiert wird. Und wenn man mal hineingekommen ist, dann läuft es wunderbar. Ich besuche die Leute bei den Trainings, bei den Wettkämpfen, im Olympischen Dorf, wenn sie krank sind – ich bin halt immer da. Und dann kommt irgendwann die Einladung zum Gottesdienst. Wenn ich Offenheit merke, bereite ich mich intensiv darauf vor, merke ich Ablehnung, frage ich nicht mehr weiter. Viel funktioniert mit Humor, es bedarf aber auch einiger Erfahrung, zu merken, wo man intensiver einladen kann oder zu merken, wo die Grenze ist, ab welcher man jemandem etwas aufdrängt. Voriges Jahr in Vancouver kam ein Betreuer der Rodler zu mir und sagte, dass ich einspringen müsse, da es nach dem Tod eines Rodlers beim Training eine große Krise im Team gebe. Ich rief alle in den Mannschaftsraum und sagte: „Es war ein schlimmes Unglück, wir sind alle geschockt, aber wir sind Christen, beten wir ein Vater Unser für ihn, seine Familie und seine Mannschaft" und versuchte weitere tröstende Worte aus dem Glauben herzuholen und zu beruhigen. Das sind Extremsituationen, die es im Laufe der Zeit häufig gab und in denen der Seelsorger direkt konsultiert wird. Andere Bereiche sind etwa der Umgang mit Niederlagen oder Streit, also psychologische Dienste, die ich allerdings wohlgemerkt als Seelsorger und nicht als Psychologe verrichte. Es geht um das Wertschätzende, das unsere Religion dem Menschen entgegenbringen will. Da der Mensch Ebenbild Gottes ist, hat er einen unendlichen Wert, der nicht in der Medaille oder im Erfolg, sondern im Menschen, in der Begegnung mit ihm und der Unterstützung in schwierigen Situationen liegt. Wettkämpfe können auch oft solch schwierige Situationen sein, da auch der Versagensdruck 123 sehr groß ist.

- Wie gehen Sportler mit Niederlagen um? Sehr unterschiedlich. Im Großen und Ganzen sind die Sportler sehr robust, da kommt es kaum zu Zusammenbrüchen oder großen Krisen. Es gibt natürlich Enttäuschungen oder Ärger über Kritik von außen, aber jeder weiß, dass es gut, aber auch nicht gut gehen kann und wenn es wider Erwarten nicht geklappt hat, gilt es, den Wettkampf abzuhaken und auf die nächsten Herausforderungen zu warten. Aber man hilft auch bei Niederlagen.

- Gibt es auch SportlerInnen die besonders auf die Seelsorge ansprechen, auch wenn sie vielleicht einen anderen spirituellen Zugang dem Sport gegenüber haben? Ich habe vor Kurzem ein Buch von Werner Schlager 584 bekommen, der der Kirche nicht zugehört, in welchem er sich aber bei mir herzlich für die tolle Unterstützung der Spitzensportler bedankte. Es geht über das Katholische hinaus. Ich fühle mich für alle zuständig und würde niemals etwas aufdrängen. Denn auch die Nicht-Katholiken respektieren meine Arbeit. Ich habe natürlich auch den großen Vorteil, dass ich durch meine Sportausbildung, sehr nahe am eigentlichen Geschehen dran bin, mich gut auskenne und vom Sport einiges verstehe. Daher sehen sie in mir nicht nur den Seelsorger, sondern auch den Seelsorger, der Sportspezialist ist. Über Sport kann man immer reden, unabhängig davon, wie religiös jemand ist.

- Inwiefern lassen sich bezüglich der Seelsorge Unterschiede zwischen Winter- und Sommersportlern ausmachen? Der Sommersport ist viel individueller. Es gibt viel mehr Einzelsportler als Gruppen. Im Winter sind es doch eher Mannschaften, obwohl jeder natürlich einzeln kämpft. Aber man hat die Gruppe der Riesentorläufer, der Abfahrtsläufer oder der RodlerInnen, während es vielleicht nur zwei TennisspielerInnen oder drei WasserspringerInnen oder einen Zehnkämpfer gibt. Außerdem sind im Winter viele Sportler vor allem aus dem westlichen Bereich Österreichs, aus Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Kärnten, da gibt es auch gewisse Mentalitätsunterschiede gegenüber den AthletInnen aus Ostösterreich. Die WintersportlerInnen haben oft einen traditionell-religiösen Zugang, wenngleich auch nicht alle. Vor allem die Snowboarder bilden eine interessante Gruppe, die von ihrer Sportart her, auch weltweit, gut zusammenhalten und bei welchen dieses Gruppen- bzw. Landesdenken nicht so stark ausgeprägt ist. Sie sind in ihrem kirchlichen Zugang nicht so leicht zugänglich wie die Schifahrer

584 Werner Schlager ist ein österreichischer Tischtennisspieler und wurde 2003 in Paris Tischtennisweltmeister. 124 oder Rodler, wobei der auch bei diesen Gruppen nicht automatisch gegeben sein muss. Aber eine gewisse kirchliche oder traditionelle Nähe ist im Winter schon eher auszumachen, wenngleich es auch im Sommer hervorragend fromme Leute gibt.

- Sind Sie allein im seelsorgerischen Dienst? Ja, ich bin allein, da Österreich keine so große Mannschaft hat. Deutschland stellt einen evangelischen und katholischen Seelsorger. Auch Polen, Italien und Norwegen haben einen Seelsorger im Team. Es sind also insgesamt 4-5 Teams mit Seelsorger, die anderen haben keinen, da sie entweder viele christliche Denominationen haben oder wie in Frankreich eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat existiert. Zwar sind auch in Deutschland und Österreich die beiden Bereiche grundsätzlich getrennt, die Beziehungen untereinander aber enger. Dort wo Staat und Kirche stark getrennt sind, da gibt es keine Mannschaftsseelsorger.

- In ihrer Funktion waren Sie also schon oft bei Olympischen Spielen dabei. Was macht für Sie die „Faszination Olympia“ aus? Schon als Kinder haben wir in den 1950er-Jahren, wie gesagt, „Olympiaden“ innerhalb der Straßenbubengruppe ausgetragen, obwohl wir nicht wussten, was diese Olympiaden sind. Wir haben nur über Radio miterlebt, dass es so was wie Olympiaden gibt Wir wussten lediglich, dass es sich dabei um Wettkämpfe handelt. Unsere Olympiaden bestanden aus Radrennfahren, Weitspringen oder kleinen Fußballturnieren. Erst 1958 beim Fußball-WM-Spiel Deutschland gegen Frankreich 585 habe ich erstmals eine halbe Stunde beim Nachbarjungen via Fernsehen zugeschaut. Weiters erinnere ich mich, dass ich die Länderspiele Deutschlands immer im Radio gehört habe, das war so spannend geschildert wie heute vor dem Fernseher. Das kann man heute gar nicht mehr verstehen. Was mich an den Spielen besonders fasziniert, ist die olympische Mannschaft, eine bunte Mischung aus Sportarten, das gemeinsame Auftreten, die weltweite Begegnung mit bis zu 200 Nationen (bei Sommerspielen), das olympische Dorf mit all den unterschiedlich gekleideten AthletInnen aus den vielen Nationen. Ich hatte in Vancouver auch Gottesdienste mit anderen Mannschaften, mit Iren, Polen, Amerikanern. Es ist wunderbar, diese olympische Atmosphäre zu erleben, das gemeinsame Einmarschieren ins Stadion, wo die ganze Welt in Miniatur versammelt ist, das ist schon was Faszinierendes.

585 Pater Maier ist in Göppingen in Deutschland geboren und mit 10 Jahren nach Österreich umgezogen. 125

-„Das erste und wesentliche Merkmal des alten wie des modernen Olympismus ist: eine Religion zu sein […] Ich glaube daher recht gehabt zu haben, wenn ich mit der Erneuerung des Olympismus von Anfang an versuchte, ein religiöses Empfinden wieder zu erwecken […] Der sport-religiöse Gedanke, die religio athletae, ist nur sehr langsam in das Bewußtsein der Sportler eingedrungen, und viele von ihnen handeln auch nur unbewußt danach. Aber nach und nach wird es ihnen voller ernst damit werden", so heißt es bei Pierre de Coubertin in den "Philosophischen Grundlagen des Olympismus" im Jahre 1935. Knapp 30 Jahre später spricht Avery Brundage von der Olympischen Bewegung als einer Religion des 20. Jahrhunderts. Blickt man auf die Olympischen Spiele von heute, tun sich vor allem in kultisch-ritueller Hinsicht tatsächlich einige Parallelen zu etablierten Religionen auf. Inwiefern orten Sie "religiöses Potential" innerhalb der Olympischen Spiele? Können die Olympischen Spiele, kann der Sport allgemein tatsächlich Religion oder Religionsersatz in unserer Gesellschaft sein? Ich möchte ganz klar sagen: Es gibt keine olympische Religion. Das ist eine maßlose Übertreibung von Pierre de Coubertin gewesen. Kein Sportler verbindet die Zeremonien wie etwa die Flaggenhissungen und Ähnliches im Entferntesten mit einer Religion. Religion ist Transzendenz, hat irgendetwas mit Gottesglauben zu tun und mit letztem Lebenssinn. Ich kann Olympia mit Religion nicht in Verbindung bringen, höchstens im weitesten Sinn, dass es ein Fest der Weltgemeinschaft ist, bei welchem die Prophetenträume einer Völkerwallfahrt nach Jerusalem zum Tragen kommen, der Hoffnungsgedanke, dass es Frieden und Gerechtigkeit geben wird und dass dies in der Gottesbegegnung im Reich Gottes kulminiert. Diese Interpretation ist den meisten so aber wohl nicht bewusst. Auch viele kursierende Analogien sind stark übertrieben. Dies alles ist für mich rein weltlich, das ist so, wie wenn zwei Mannschaften auf dem Dorfplatz einmarschieren und am Schluss geehrt werden. Siegerehrungen zum Beispiel sind Höhepunkte im Leben eines Sportlers, aber haben mit Religion meiner Meinung nach nichts zu tun. Ich empfinde nichts Religiöses und soweit ich die Sportler kenne, diese auch nicht. Für viele religiöse Vergleiche bedarf es schon einiger Phantasie, um dies so zu interpretieren.

- Aber inwiefern gibt es solche Analogien vielleicht doch. Ich denke etwa auch an die Funktion des Kalenders im Sport, der vielleicht mit dem Jahreskreis in Verbindung gebracht werden könnte. Ich bin schon 30 Jahre in diesem Bereich und auf diesen Gedanken wäre ich noch nie gekommen. Mir liegen diese Dinge absolut fern. Natürlich kann man solche Analogien aufstellen, aber so etwas ist äußerst säkular. Eine religiöse Stimmung gibt es mit Sicherheit nicht. Die Wurzeln der Olympischen Spiele haben jedoch sehr wohl was mit Religion zu tun, 126 früher war Religion und Leben eine Einheit, welche seit der Aufklärung allerdings zerrissen ist. Die Säkularisierung lässt doch gar nicht zu, dass die Leute das religiös empfinden. Man wendet sich nicht nur von der Kirche ab, sondern auch von der Transzendenz. Der heutige Mensch lebt in seiner Gegenwart und glaubt aufgrund der technischen Möglichkeiten, dass es auch ganz gut ohne Gott geht. Ein religiöser Mensch kann das vielleicht nicht verstehen, er muss aber akzeptieren, dass das einige offensichtlich gut schaffen.

- Kann man von einer Respiritualisierung in unserer Zeit ausgehen? Im kleinen Bereich sicher sehr intensiv, im Bereich der Sekten oder der Esoterik gibt es einen Riesenmarkt, ob dies allerdings eine Respiritualisierung ist, lässt sich schwer sagen. Freilich werden Gefühle angesprochen, die zum Menschen dazugehören, für mich ist dieser Zugang allerdings sehr oberflächlich. Ich weiß nicht, ob das den Menschen weiterhilft. Diese Respiritualisierung ist nicht durchbrechend auf breiter Fläche zu sehen. Es gibt Intensivgruppen, bei denen dieses Bedürfnis nach Spiritualität groß ist, aber der Großteil der Menschen ist meiner Meinung nach nicht davon erfasst. Fraglich bleibt jedoch, ob das Ganze nicht wieder umbricht, so wie es einst schon Zeiten gegeben hat, in welchen die religiöse Nähe und Nähe zu Gott einen großen Stellenwert im Leben der Menschen hatten. Das ist durchaus möglich, gerade in Krisen wie zurzeit in Japan, wo man merkt, wie hilflos man ist. Es kommen oft Anstöße von außen. Erfahrungen der Fragwürdigkeit des Menschen, wo man realisiert: So kann es nicht weitergehen. Gerade solche Ereignisse bringen Anstöße zu denken, wie gefährdet wir leben und wo unsere Heimat ist. Haben wir es uns nicht zu gut eingerichtet hier? Auch eine Frage der Fastenzeit, wenn man hört, wie Abraham die Heimat verlässt, von Gott gerufen wird, bewusst heimatlos wird. Wo ist unsere wahre Heimat? Ich glaube, der liebe Gott will uns führen und sagen, dass wir uns nicht nur auf das verlassen sollen, was ohnehin vergänglich ist.

- Kann der Sport auch ein Ventil für eine Sinnsuche sein? Seinen persönlichen Sinn kann man im Sport schon finden, das muss allerdings noch kein religiöser Sinn sein. Ich hab einst Alexandra Meissnitzer 586 nach einer Medaille aus tiefstem Herzen seufzen gehört: „Endlich eine Medaille.“ Das ist, wie wenn jemand sein Studium nach langer Zeit schafft und weiß, dass er die Zeit nicht umsonst verbrachte, sondern einen sinnvollen Abschluss erreicht hat. Der Titel als öffentliche Anerkennung stellt für den Sportler eine Rechtfertigung für den gewaltigen Zeiteinsatz dar.

586 Alexandra Meissnitzer ist eine bekannte österreichische Schifahrerin und sechsfache Medaillengewinnerin bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. 127

Auch ich hab mich nach dem Abschluss meines Sportstudiums weltlich gefreut, dies aber nicht primär religiös interpretiert. Ich wurde darauf angesetzt und habe es geschafft. So ist ebenso eine sportliche Spitzenleistung irgendwo ein spirituelles Erlebnis, nicht im religiösen Sinn, sondern im Sinne der Sinnfrage. Welt- und Europameistertitel und Olympiasiege sind große Momente, wobei diese Momente schnell vorbei gehen und schon bald nicht mehr aktuell sind: Selbst Goldmedaillengewinner waren nach einem Jahr oft vergessen. Das muss man klar sehen. Das Leben geht weiter und hat teilweise für einen Nicht-Goldmedaillengewinner bessere Seiten als für andere, die vielleicht zwei Goldmedaillen gewonnen haben. Unlängst habe ich einer Schifahrerin, die vor kurzem Schiweltmeisterin wurde, das Buch „Besser sein und doch fair“ geschenkt, da ich oft las, dass sie nur weil sie Egoistin sei zu ihrem Erfolg kam. Meine Philosophie ist: „Egoismus ist etwas Negatives“ Das kann ich unter keinen Umständen, schon gar nicht als Christ tolerieren oder dulden. Es muss auch ohne Egoismus Möglichkeiten geben, sportliche Erfolge zu erreichen – so die These meines Buches.

- Steht Fairness also dem Erfolg nicht im Weg, wie allgemein oft behauptet wird... Nein, mit Sicherheit nicht, zumindest darf sie nicht im Weg stehen. Es gibt keine Begründung dafür, die Fairness um des Erfolges willen auszusetzen. Leider kommt das durchaus vor, aber es gibt keine Begründung dafür, die auch nur im Entferntesten die Ebene der Willkür übersteigen würde. Das ist willkürliches Umgehen. Jemand der sagt, dass Regeleinhaltung und Fairness dazugehören, diese aber im Spitzensport nicht möglich seien, der soll das Wort Fairness nicht in den Mund nehmen. Ich denke mir, dass man grundsätzlich die Idee eines fairen Sportes heute institutionell, strukturell und sportpolitisch großflächig im Sinne einer Tugendethik fördern müsse, dann ist das Problem der Unfairness an der Wurzel angepackt. Grundsätzlich müsste man auch beim Profifußball über fragliche Entscheidungen des Schiedsrichters diskutieren können, wo ein Spieler ungestraft zugeben darf, dass es eindeutig kein gerechtes Tor war, sondern ein ungerechtfertigtes. So gab es ja im Rahmen der Fußball-WM letztes Jahr einige strittige Entscheidungen. Das müsste man den Sportlern erleichtern, indem man bei der Spielerbesprechung sagt: „Ich verlange von euch nicht, dass ihr offensichtliche Ungerechtigkeiten deckt.“ Im Tennis bzw. Tischtennis gibt es vor allem im europäischen Bereich diesbezüglich eine ganz große Fairness. Da will man keinen Ball geschenkt bekommen und geht lieber zum Schiedsrichter, um zu sagen, dass es der eigene Fehler war. Es ist also prinzipiell schon möglich, auch wenn es nicht alle machen.

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- Welche Möglichkeiten ergeben sich aus einer etwaigen Verbindung von Sport und Religion beziehungsweise anders gefragt: Was kann der Sport von der Religion lernen und vielleicht auch umgekehrt die Religion vom Sport? Da muss man eine Interpretationshilfe geben. Das Streben nach Erfolg im Sport kann man insofern als religiös interpretieren, dass der Mensch über sich hinaus strebt – die mittelalterliche Philosophie sprach vom „summum bonum“ als dem höchsten Gut – Ich würde fast sagen, dass das Jesus-Wort: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“, gut dazu passen würde, wenngleich er es primär moralisch, in Bezug auf die Tugendhaltung meint. Aber im Prinzip liegt es im Menschen, so perfekt zu sein wie es Gott selber ist – wir sind ja Ebenbilder Gottes. Von Natur aus ist der Mensch auf das Letzte, auf das Absolute und auf die letzte Erklärungsmöglichkeit des Daseinssinns angelegt. Das ist auch Tradition der Theologie, dass es nichts Artfremdes ist, an Gott zu glauben. Der Mensch fragt kraft seiner Vernunft nach dem letzten Horizont. Durch die Offenbarung wird das für uns auf ein konkreteres Fundament gestellt. Der Sport könnte vom Glauben also lernen, dass es so etwas wie ein Absolutum gibt, in Hinblick auf die bestmöglichste Leistung und hinsichtlich einer absoluten Gültigkeit der Moral. Moral kann nicht dort aufhören, wo sie mir nicht mehr nützt, das ist erfolgsethisch. Moral sagt, dass ich Gutes tun und Böses unterlassen sollte. Das ist ein Grundimperativ, der zur Ethik / Moral dazugehört, der im Sinne des Thomas von Aquin und Immanuel Kants apriorisch ist. Ein Mensch, der auf das Handeln angelegt ist, muss gut handeln. Er muss sich Güter zum Leben erhandeln und die Güter letztendlich nach einer moralisch gültigen Ordnung, die das Leben der Menschen untereinander erträglich macht, ordnen, im Sinne der Goldenen Regel. Für die Moral darf es keine Relativierung geben – das kann der Sport von der Religion auch lernen. „Du sollst nicht lügen, dopen... das sind Grundregeln, die apriorisch da sind, ohne die man nicht zusammen leben kann. Der Sport darf die Relativierung dieser Werte auf gar keinen Fall mitmachen. Was die Religion vom Sport lernt, ist etwas schwieriger zu beantworten. Die Religion kann lernen, dass der Mensch eine Einheit aus Leib und Seele ist, dass die Leiblichkeit des Menschen einen ganz hohen Stellenwert besitzt, damit man nicht verspiritualisiert. Diese Bodenständigkeit, der Wert der Leiblichkeit, der Gesundheit, die Fitness – das sind Gottesgeschenke. Der Mensch hat Leib und ist Leib. Was beide voneinander lernen könnten, ist der gegenseitige Respekt vor allem auch in Hinblick auf den Sonntagsgottesdienst oder in Bezug auf den spielfreien Karfreitag, wo der Sport die heiligen Zeiten respektieren müsste. Werk- und Sonntag werden im Sport oft verwischt, was nicht zum Wohl des Menschen ist. Man kommt in ein Fahrwasser, weg von einem Rhythmus, dass ich einmal pro Woche den Tag des Herrn heilige, wie es auch in den 10.Geboten schon heißt, damit der Mensch sich nicht verliert. Allerdings muss die Kirche dabei auch lernen, dass es für den Sport 129 nicht so einfach ist, mit dieser Gegebenheit zurecht zu kommen. Leider gibt es viel zu wenige Plätze für zu viele Mannschaften, weswegen man von Freitag bis Sonntag durchspielen muss, um alle Mannschaften durchzubringen. Da ist der Sonntagvormittag absolut eingeplant. Das müssen aber auch die Eltern mit dem Verein vor Ort lösen, aber leider gibt es da zu wenige Bemühungen. Trotzdem soll die Kirche Sport positiv sehen, weil er die Kinder und Jugendlichen von der Gefahr der Langeweile in der Freizeit ablenkt, die viele Gefahren in sich birgt.

- Spielen in der Frage der Spielansetzungen nicht auch die Medien eine wichtige Rolle? Schließlich sind sie ja auch wesentlich für die „Zerstückelung“ der Spieltage verantwortlich Die Medien sind hier allgewaltig. Sie zahlen und wollen ihre Zeiten haben, da hat Religion keine Bedeutung. Von den Medien dürfen Sie in punkto Ethik nicht zu viel erwarten.

- Wie sehen Sie die Zukunft der olympischen Idee und der Olympischen Spiele bzw. was würden Sie sich in Zukunft von ihnen erwarten? Sind die Olympischen Spiele und ihre Anliegen in unserer Zeit noch aktuell? Die Olympischen Spiele und ihre Idee haben durchaus eine Zukunft, sofern es gelingt, den Chauvinismus und den Erfolgskult einzubremsen und stattdessen wieder mehr ihre wunderbare Möglichkeit der Völkerbegegnung, den Fairness-Gedanken und die ethischen Grundregeln im Sport, die sozusagen eine Art Weltethos darstellen können, in den Vordergrund rückt. Diese positiven Werte gilt es konkret zu pflegen und nicht zu vernachlässigen, wie es augenblicklich oft geschieht. Auch das Doping-Problem stellt eine große Herausforderung für die olympische Zukunft dar. Sofern Medaillenentscheidungen weiterhin durch das Dopen beeinflusst werden, werden sich Eltern wohl zu fragen beginnen, ob sie das Kind dem Spitzensport anvertrauen können. Spitzenleistungen gehören zum Sport dazu und Siege können durchaus schön sein, aber sie sind nicht die einzigen Werte, die den Sport ausmachen.

Vielen Dank für das Gespräch

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