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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Vogelschutz in Österreich - Mitteilungen von Birdlife Österreich

Jahr/Year: 2012

Band/Volume: 033

Autor(en)/Author(s): Lentner Reinhard

Artikel/Article: Tiroler - IBA in Österreich 6-9 ©Birdlife Österreich, Gesellschaft für Vogelkunde, , download unter www.biologiezentrum.at VogelSchutz Foto: A. Vorauer

Tiroler Lechtal

6 Nr. 33 / November 2012 ©Birdlife Österreich, Gesellschaft für Vogelkunde, Austria, download unter www.biologiezentrum.at VogelSchutz

as Tiroler Lechtal hat D viele Gesichter. Weite Schotterbänke, Treibholz, Flussarme, tiefe Schluchten, klare Quellseen und das alles umgeben von der imposanten Bergwelt mit schroffen Gebirgsflanken und Lawinenrinnen der Lechtaler - und sanften Bergen der Allgäuer Alpen. Dies macht dieses Gebiet zu einer der urtümlichsten alpinen Landschaftsräume. Hangmischwälder, Schluchtenwälder und offene Weideflächen gehören ebenso dazu, wie Weichholzauen und weitläufige, trockene Auwaldgebiete. Kaum ein anderer Landschaftstyp in Mitteleuropa hat ein ähnlich Beeindruckende Schotterbänke am Tiroler Lech vielfältiges Artenspektrum.

Nr. 33 / November 2012 7 ©Birdlife Österreich, Gesellschaft für Vogelkunde, Austria, download unter www.biologiezentrum.at VogelSchutz Foto: C. Roland

Das IBA Tiroler Lechtal liegt im Bezirk Außerfern am Nordrand der Alpen und nahe der Grenze zu Bayern. Eingebettet zwischen den mächtigen Gebirgszügen der Allgäuer und Lechtaler Alpen umfasst es mit einer Größe von 132 km2 hauptsächlich den Wild- fluss Lech, seine angrenzenden Auenland- schaften sowie die meisten Seitenzubringer. Teilweise sind angrenzende Bergmischwäl- der in das Schutzgebiet integriert. Auf einer Länge von 62 km erstreckt sich das Tiroler Lechtal in einer West-Nordost-Ausbreitung Der Gänsesäger brütet in Höhlen und von Steeg bis an die süddeutsche Grenze bei prominenten Leitarten, die für diese intakte führt seine Jungen nach dem Schlupf Vils und verfügt dadurch im Verhältnis zur zum Fluss. Wildflusslandschaft stehen. Fläche über sehr lange Außengrenzen. Die Ein Drittel (1.116 Arten) aller in Tirol bedeutendsten Teile des Gebietes sind heute schiebe, das sind Steine und Geröll, von heimischen Pflanzen kommen im Gebiet als Naturpark ausgewiesen. Als Natura-2000 den Bergen in sein Flussbett. 100.000 – vor. Davon sind wiederum ein Drittel (392 Gebiet und Vogelschutzgebiet genießt der 150.000 m³ Schotter sind es jährlich auf Arten) sehr wertvoll und als gefährdet einge- Naturpark den höchsten Schutzstatus auf der Höhe von . stuft! Nach den Eiszeiten breiteten sich viele Europäischer Ebene. Im breiten Bett wird dieses Material stän- Pflanzenarten auf den Kiesflächen entlang dig talwärts bewegt und zu mächtigen Kies- des Lechs in Richtung Alpen oder Jura aus. Dynamisch und wild und Schotterbänken ab- und immer wieder Wie keine andere Flusslandschaft in den Der Tiroler Lech selbst ist in seinem Cha- umgelagert. Flussarme verzweigen und ver- Nordalpen hat das Tal eine zentrale Bedeu- rakter als Fließgewässer unverwechselbar! einen sich wieder – so inszeniert sich der tung als Wander- und Ausbreitungslinie für Er ist der letzte Wildfluss im nördlichen Al- Lech immer wieder von Neuem. Niedrige die Pflanzen- und Tierwelt zwischen Alpen penraum und als alpiner Wildfluss kann er Temperaturen, wenig Plankton und ein ho- und Jura. über weite Strecken noch das, was vor langer her Gehalt an Mineralien ergeben zusammen Zeit jeder Gebirgsfluss durfte – sich ausbrei- mit dem Sonnenlicht die markante hellblau- Vogelkundliche Bedeutung ten und aus eigener Kraft seinen Lauf selbst türkise Farbe des Wassers, ein Markenzeichen des Gebietes gestalten. des Tiroler Lechs. Regenfälle und heftige Ge- Die Habitatvielfalt spiegelt sich auch in der Die Seitenbäche sind die Lebensadern witter können diese schöne Farbe innerhalb Diversität der Brutvögel wider. Arten aus un- des Lechs. Sie bringen ihm Wasser und Ge- weniger Stunden ändern. Schlammig braun terschiedlichen biogeografischen Regionen wälzt sich der Lech danach durch das Tal. treffen aufeinander. Als Beispiele seien Weiß- rückenspecht und Zwergschnäpper genannt, Naturjuwel die hier ihre westliche Verbreitungsgrenze von internationaler Bedeutung erreichen, sowie der Berglaubsänger mit süd- Die große Palette an unterschiedlichen westeuropäischem Verbreitungsschwerpunkt. Lebensbedingungen bietet im IBA Tiroler Für Vogelliebhaber ist der Naturpark Ti- Lechtal Refugium für außergewöhnlich roler Lech eine der ersten Adresse in Tirol. Foto: A. Vorauer viele seltene Tiere und Pflanzen. Die Liste Von ca. 150 in Tirol heimischen Brutvogel- der Arten, die im mitteleuropäischen Raum arten finden ca. 110 am Tiroler Lech ihre fast nur noch am Tiroler Lech vorkommen, charakteristischen Lebensräume. National liest sich wie ein wahres Raritätenkabinett: bedeutende Bestände des Gänsesägers (ca. Gefleckte Schnarrschrecke(Bryodemella tu- 10%), Flussuferläufers (ca. 10%), Flussre- berculata), Bileks Azurjungfer (Coenagrion genpfeifers (5 %), Berglaubsängers (2-3%) hylas), Kreuzkröte (Bufo calamita), Kleiner zusammen mit einigen Besonderheiten des Zwergrohrkolben (Typha minima), Deutsche Bergwaldes, der Talfelsen und der alpinen Tamariske (Myricaria germanica), Flussufer- Zone wie Steinadler, Wanderfalke, Ha- läufer (Actitis hypoleucos) und Flussregen- selhuhn, Birkhuhn, Waldschnepfe, Sper- pfeifer (Charadrius dubius) sind einige der lingskauz, Raufußkauz, Uhu, Grauspecht, Weißrückenspecht, Dreizehenspecht, Zwerg- Bileks Azurjungfer: Eine seltene Libellen- schnäpper und Zitronengirlitz machen das art mit einem sehr kleinen Verbreitungs- Tiroler Lechtal zu einem Important Bird gebiet in Tirol mit Zentrum im Lechtal. Area.

8 Nr. 33 / November 2012 ©Birdlife Österreich, Gesellschaft für Vogelkunde, Austria, download unter www.biologiezentrum.at VogelSchutz Foto: G. Pfiffinger

Stopp von Sohleintiefungen und Grundwas- serabsenkung durch Flussaufweitungen, die Verbesserung der natürlichen Geschiebedy-

namik, Wiederherstellung der Wandermög- Foto: C. Roland Foto: A. Vorauer lichkeiten für Fische, Artenschutzprojekte für besonders seltene und bedrohte Arten, Besucherlenkung und Öffentlichkeitsarbeit waren die wesentlichen Projektinhalte. Als innovatives Beispiel für moderne Schutzwas- serwirtschaft, die als Ziel nicht nur Hoch- wasserschutz sondern auch Naturschutz hat, Die ausgedehnten Schotterflächen des soll dieses Projekt auch eine Vorreiterrolle Tiroler Lech sind der einzige Platz, an einnehmen. dem in Österreich noch die Gefleckte Insgesamt konnten durch Renaturierungs- Schnarrschrecke zu finden ist. projekte 22 ha Gewässerlebensraum auf sechs km Flussstrecke gewonnen und 220.000 m³ Ambitionierte Renaturierungen Geschiebe durch die Öffnung von Geschie- Trotz seines einzigartigen Wildflusscha- besperren mobilisiert werden. Weiters wur- rakters ist auch der Lech nicht unverbaut den Nebengewässer restrukturiert, wieder an geblieben – abschnittsweise wurden Regu- den Hauptfluss angebunden und fischpas- lierungsmaßnahmen durchgeführt, Geschie- sierbar gemacht, 40 stehende Kleingewässer berückhaltungen in Seitenbächen gebaut für Amphibien und Bileks Azurjungfer ge- und damit in den natürlichen Geschiebe- schaffen. Fünf ha Auenlebensraum wurden haushalt eingegriffen. Sohleintiefungen, von einem standortfremden Fichtenbestand Der Flussregenpfeifer ist eine Leitart für Grundwasserabsenkung und Schutzwasser- in einen naturnahen Grauerlen-Eschenwald Schotterflächen. bauliche Probleme waren die Folge. Im Rah- umgewandelt und vieles mehr. 2009 wurde men des Life-Projektes „Wildflusslandschaft das Lifeprojekt Wildflusslandschaft Tiroler als einzigartige, unersetzliche Naturrräume, Tiroler Lech“, vom Amt der Tiroler Landes- Lech zu einem der fünf besten Lifeprojekte die vielen Tier- und Pflanzenarten Refugien regierung, (Abteilungen Umweltschutz und Europas gekürt. in unserer vom Menschen geprägten Land- Wasserwirtschaft), dem Lebensministerium, Gerade angesichts des Drucks der aktuell schaft bieten! der Wildbach- und Lawinenverbauung und von allen Seiten auf Fließgewässer herrscht, dem WWF Österreich zwischen 2001 und sollte der Lech ein Beispiel sein, Flüsse nicht Reinhard Lentner, Ornithologe an der Umweltschutzabteilung des Amtes der Tiroler 2007 umgesetzt wurde, sollte diesen nega- nur als Energielieferanten, Schifffahrtswege Landesregierung und Autor des IBA-Textes und tiven Entwicklungen begegnet werden. Der und Hochwassergefahr zu sehen, sondern Anette Kestler, Naturpark Tiroler Lech Foto: R. Lentner

Im Gebiet unterwegs: Auf einem ca. 4 km lange Rundwanderung zur großen Am gegenüberliegenden Ufer kommt man flussauf- Umlagerungsstrecke zwischen Forchach, Weißenbach wärts an Bergmischwäldern und Kalkquellmoorbe- und lässt sich der Tiroler Lech in seiner Ur- reichen vorbei, begleitet vom Gesang des Berglaub- sprünglichkeit und Wildheit hautnah erleben. Startpunkt sängers. Schließlich gelangt man an den Luambach ist nördlich der Gemeinde Forchach, gegenüber der mit den Vorkommen von Bileks Azurjungfer. Durch Firma Urban. Durch die Kiefernwald-Trockenau gelangt den Auwaldgürtel mit seltenen Orchideen und man zur Hängebrücke über den Lech mit Blick auf die Wacholdergebüsch geht es direkt ans Lechufer. Hier großen Schotterflächen. Gänsesäger, Wasseramsel und bieten sich Beobachtungsmöglichkeiten für Fluss- Nr. 33 / November 2012 Gebirgsstelze sind von der Brücke häufig zu beobachten. uferläufer und gefleckte Schnarrschrecke. 9