Bayerischer Landtag 11. Wahlperiode 5. l":f; Plenarprotokoll 11 /28 ' 24. 06. 87

28. Sitzung am Mittwoch, dem 24. Juni 1987, 9.00 Uhr, in München

Geschäftliches 1722, 1766, 1805, 1820, 1825, 1826 Daum (CSU) 1727, 1728 Staatsminister Lang 1727, 1728 Mündliche Anfragen gern. § 73 Abs. 1 GeschO Frau Memme! (DIE GRÜNEN) . 1727

1. Jagd auf Elster, Eichelhäher und Raben- 8. Trassenführung der A 94/B 12; Planungs- krähe außerhalb der Brutzeit stand Dr. Kempfler (CSU) 1722 Naumann (SPD) 1728, 1729 Staatsminister Dick 1722 Staatsminister Lang 1728, 1729 Dr. Mager! (DIE GRÜNEN) 1722 Asenbeck (CSU) 1728, 1729 Dr. Kempfler (CSU) 1728 2. Behandlung von Lost-Kampfstoff im Mühl• dorfer Hart 9. Behandlung von Tagesordnungspunkten in Gemeinderatssitzungen ohne örtliche Zu­ Starzmann (SPD) 1723 ständigkeit; hier Parkhaus in der Stadt Staatsminister Lang 1723, 1724 Passau 1729, 1730 3. Angebliche Verseuchung der durch Kobler (CSU) Staatsminister Lang 1729, 1730 Leptospiren Gausmann (SPD) 1730 Dr. Mayer Martin (CSU) 1724 Brand! Max (Passau) (SPD) 1730 Staatsminister Lang . . 1724 10. Änderung der EG-Milchhygiene-Richtlinien; 4. Gründung eines Landschaftspflegeverban­ bbv-Pressedienst vom 20. 05. 87 des durch den Bezirk Unterfranken; staat­ Neder (CSU) . 1731 liche Förderung Staatsminister Lang 1731 Loew (SPD) . 1724, 1725 Seitz (SPD) ..... 1731 Staatsminister Lang 1724, 1725 Rosenbauer Georg (CSU) . 1725 11. Ausbau der Staatsstraße 2180 zwischen Gefrees und Schirnding 5. Verdoppelung der Zahl der Listenbewerber Müller Willi (CSU) 1732 für die Kommunalwahlen 1990 Staatsminister Lang 1732 Strehle (CSU) 1725, 1726 Hering (SPD) 1732 Staatsminister Lang 1725, 1726 12. Vorgänge im Asylanten-Wohnheim in Aub 6. Umwandlung landwirtschaftlich genutzter Frau Radermacher (SPD) . 1732, 1733 Flächen in Brachland bzw. Wasserschutz­ Staatssekretär Dr. Gebhard wald durch die Stadtwerke Würzburg zur Glück 1732, 1733, 1734 Verhinderung weiteren Nitratanstiegs; Brosch (CSU) 1733 staatliche Förderung Frau Stamm (CSU) . 1733 Franz (SPD) 1734 Franz (SPD) 1726, 1727 Staatsminister Lang 1726, 1727 13. Genehmigung des Raum- und P11egebe­ reiches des Kreiskrankenhauses in Vilsbi­ 7. Stand des Raumordnungsverfahrens zum burg; Baubeginn und staatliche Förderung zweibahnigen Ausbau der B 173 von Lich­ tenfels bis Zettlitz Huber Erwin (CSU) 1734, 1735 1720 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokolt 11 /28 v. 24. 06. 87

Trapp (SPD) . 1734, 1735, 1736 23. Maßnahmen gegen die zunehmende Aus­ Staatssekretär Dr. Gebhard breitung von Spielhallen Glück 1734, 1735, 1736 Hollwich (SPD) . 1828 Lechner (CSU) 1735, 1736 24. Einstellung des Gesamtbetriebs der Ne­ 14. Beratung in Ehescheidungsfällen in der benbahn Vilshofen/Niederbayern - Aiden­ Landwirtschaft bach Frau Hecker (CSU) 1736 Gausmann (SPD) . . 1828 Staatssekretär Nüssel 1736, 1737 Dr. Kempfler (CSU) 1737 25. Absprachen über die energiewirtschaftliche Nutzung des Lechabschnittes zwischen 15. Fortführung des Bayerischen Güllepro• Lechstaustufe 23 und dem Augsburger gramms Hochablaß Rosenbauer Georg (CSU) . . . 1737 Heinrich (SPD) 1829 Staatssekretär Nüssel 1737, 1738 Loscher-Frühwald (CSU) 1737 26. Gutachten zur ICE-Strecke zwischen Nürn• Lechner (CSU) 1737 berg und München; weiteres Verfahren Kobler (CSU) . 1738 Leichtle (SPD) 1829 16. Hilfsmaßnahmen für Obst- und Gemuseab­ satzgenossenschaften und für Landwirte 27. Rechtliche Beurteilung von AIDS-Tests im Grünlandbereich wegen witterungsbe­ durch Krankenhausträger ohne Wissen des dingter Umsatzausfälle Patienten Brosch (CSU) 1738 Schmitt Hilmar (SPD) 1829 Staatssekretär Nüssel 1738 28. Restaurierung der Wieskirche; Verzöge• 17. Ablehnung der geplanten Fettsteuer durch rung der Maßnahme Bundesernährungsminister Kiechle bei den Widmann (CSU) 1830 Agrarpreisverhandlungen in Brüssel Heiler (CSU) . 1738 29. Auswirkungen der Verlängerung des Wehr­ Staatssekretär Nüssel 1738, 1739 dienstes ab 1989 auf die Fachober- und Starzmann (SPD) 1739 Fachhochschulen Knauer (SPD) 1739 Seitz (CSU) . 1739 Schultz (SPD) 1830

Mündliche Anfragen gern. § 73 Abs. 2 Satz 2 30. Einführung der neuen Ausbildung für die GeschO (Anlage 1) Metallberufe der Staatlichen Berufsschule in ; Bereitstellung von Lehrern 18. Ablehnung der Umwandlung der evangeli­ Lechner (CSU) 1830 schen Franziskanerkirche in Rothenburg o. T. in eine katholische Kirche durch das 31. Mobile Reserve an den Grund- und Haupt­ Landesamt für Denkmalpflege schulen im Landkreis München Sommerkorn (SPD) 1827 Dr. Gantzer (SPD) .. 1831

19. Museumskonzerte im Schloß Johannis­ Haushaltsplan 1987/1988 des Einzelplans 04 burg; Raumtemperatur für den Geschäftsbereich des Bayerischen Dr. Kaiser Heinz (SPD) 1827 Staatsministeriums der Justiz Beschlußempfel)lung des Haushaltsausschus­ 20. Baubeginn für das neue Finanzamt Nörd• ses (Drs. 11/1918) lingen Baumann (CSU), Berichterstatter . 1739 Straßer (SPD) 1828 Frau Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner 1743, 1790 21. Erhalt der Finanzamtsaußenstelle Karlstadt Wirth (SPD) .. 1753 Mehrlich (SPD) . 1828 Dr. Merkl (CSU) 1757 Kamm (DIE GRÜNEN) 1762, 1778 22. Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Dr. Weiß Manfred (CSU) 1765, 1776 Verbesserung der regionalen Wirtschafts­ (Unterbrechung) struktur für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf Zierer (SPD) 1766 Dr. Wilhelm (CSU) . 1769, 1777, 1789 Frau Memmel (DIE GRÜNEN) . 1828 Dr. Kestel (DIE GRÜNEN) 1771 Plenarprotokol: 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1721

Frau König (SPD) . 1779 des Sozialpolitischen Ausschusses (Drs. Brosch (CSU) . 1781 11/1202, 11/1937) Warnecke (SPD) 1784, 1789 Beschluß .. 1808 Frau Fischer (CSU) . 1786 Erklärung gern. § 110 GeschO Antrag der Abg. Hölzl, Regensburger, Dr. Merkl u. a. betr. Polizeivollzugsdienst; Einstellung Frau Wax-Wörner (DIE GRÜNEN) . 1789 von Hauptschülern (Drs. 11 /551) Dr. Kestel (DIE GRÜNEN) 1794 Beschlußempfehlungen des Dienstrechts- und Abstimmung . 1794 des Sozialpolitischen Ausschusses (Drs. Schlußabstimmung 1795 11/1203, 11/1936)

Antrag der Abg. Hiersemann u. Frakt. SPD Beschluß . 1808 betr. Teilnahme von Mitgliedern der Staats­ regierung an öffentlichen Veranstaltungen Dringlichkeitsantrag der Abg. Hiersemann, (Drs. 11/1462) Naumann u. a. u. Frakt. SPD betr. wirksamere Bekämpfung von Verkehrsunfällen ( Drs. Beschlußempfehlung des Verfassungsaus- 11/664) schusses (Drs. 11 /1729) Beschlußempfehlungen des Wirtschafts-, des Schmitt Hilmar (SPD), Berichterstatter 1796 Sozialpolitischen, des Landesentwicklungs­ Schmitt Hilmar (SPD) 1796 und des Verfassungsausschusses (Drs. 11 /833, Widmann (CSU) 1798 11/1330, 11/1762, 11/2123) Klasen (SPD) . 1798 Schlosser (SPD) 1808 Säumer (DIE GRÜNEN) 1799, 1800 Hiersemann (SPD) 1800 Beschluß . 1809 Beschluß . 1801 Antrag des Abg. Trapp u. a. betr. Bau der Orts­ umgehung Landau der Bundesstraße 20 (Drs. Antrag des Abg. Weber u. a. betr. Anrechnung 11/1250) von Arbeitslosigkeit nach der Kindererzie­ hung als Ausfallzeit in der Rentenversiche­ Beschlußempfehlungen des Wirtschafts- und rung (Drs. 11 /455) des Landesentwicklungsausschusses (Drs. 11 / 1912, 11 /2225) Beschlußempfehlung des Sozialpolitischen Ausschusses (Drs. 11/1946) Brandl Max (Passau) (SPD), Berichterstatter 1809 Trapp (SPD) 1809, 1811 Kaiser Willi (SPD). Berichterstatter 1801 Miller (CSU) . 1810 Weber (SPD) 1801, 1804 Lechner (CSU) 1811 Grossmann (CSU) 1802, 1803 Huber Erwin (CSU). 1811 Hollwich (SPD) 1803 Niedermayer (CSU) 1812 Franz (SPD) . 1803 Strehle (CSU) . 1812 Frau Psimmas (DIE GRÜNEN) 1803 Hiersemann (SPD) 1812 Böhm (CSU) 1804 Beschluß. 1813 Beschluß. 1805 Hiersemann (SPD) zur Geschäftsordnung 1805 Antrag der Abg. Wax-Wörner, Paulig u. Frakt. DIE GRÜNEN betr. Erhalt wohnortnaher Schu­ Antrag der Abg. Hölzl. Regensburger, Dr. Merkl len (Drs. 11/1292) u. a. betr. Polizeiausbildung (Drs. 11 /552) Beschlußempfehlung des Kulturpolitischen Beschlußempfehlung des Dienstrechtsaus­ Ausschusses (Drs. 11/1919) schusses (Drs. 11/2106) Frau Paulig (DIE GRÜNEN), Berichterstatterin . Heckei Dieter (CSU), Berichterstatter 1806 1813 Frau Paulig (DIE GRÜNEN) 1814 Heckei Dieter (CSU) 1806 Dandorfer (CSU) 1815 Franzke (SPD) 1806 Frau Wax-Wörner (DIE GRÜNEN) . 1816 Miller (CSU) . 1807 Trapp (SPD) 1816 Diethei (CSU) 1807 Langenberger (SPD) 1816 Beschluß. 1808 Dr. Weiß Manfred (CSU) 1816 Beschluß. 1817 Antrag der Abg. Hölzl, Regensburger, Dr. Merkl u. a. betr. Polizeivollzugsdienst; Einstellung Dringlichkeitsantrag der Abg. Wax-Wörner, von älteren Bewerbern (Drs. 11/550) Schramm, Paulig u.a. u. Frakt. DIE GRÜNEN Beschlußempfehlungen des Dienstrechts- und betr. Unterstützung der Abrüstung atomarer 1722 Bayerischer Landtag - 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v_ 24. 06. 87

Mittelstreckenraketen in Europa (Drs. 7. Juli 1987 beschlossen werden und bereits zum 11/2079) 16. Juli 1987 in Kraft treten. Beschlußempfehlungen des Verfassungs- und Erster Vizepräsident Möslein: Zusatzfrage, der Fra­ des Bundesangelegenheitenausschusses (Drs. gesteller! 11 /2124, 11 /2307) Dr. Weiß Manfred (CSU), Berichterstatter 1817 Dr. Kempller (CSU): Herr Staatsminister! Ist bekannt, Schramm (DIE GRÜNEN). 1817, 1825 ob sich auch die Bundesregierung um eine Änderung Dr. Weiß Manfred (CSU) 1820 der gegenwärtigen Rechtslage - sei es durch Ände­ Hiersemann (SPD) 1821 rung der EG-Verordnung oder der entsprechenden Müller Karl-Heinz (SPD) 1822 Bundesverordnung - bemühen wird? Frau Wax-Wörner (DIE GRÜNEN) . 1823 Erster Vizepräsident Mösl ein: Herr Staatsminister! Beschluß .. 1826 Staatsminister Dick: Es ist bekannt, daß die Bundes­ Schluß der Sitzung 1826 regierung mehrfach erklärt hat, sich sowohl bei der EG-Kommission um eine entsprechende Änderung der EG-Vogelschutzrichtlinie zu bemühen, wie auch bisherige Regelungen der Bundesartenschutzverord­ nung für die drei Rabenvögel zu ändern. Entspre­ chende Verhandlungen mit der EG laufen. Die Bun­ desregierung möchte jedoch zunächst das Ergebnis abwarten. Beginn der Sitzung: 9 Uhr 01 Minuten Auch die Bundesregierung hält übergangsweise Aus­ Erster Vizepräsident Möslein: Guten Morgen, meine nahmeregelungen der Länder bis zur angestrebten sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die bundeseinheitlichen Änderung für eine durchaus be­ 28. Vollsitzung des Bayerischen Landtages. friedigende Lösung. Die Bayerische Staatsregierung hat inzwischen im Bundesrat auch einen Entschlie­ Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks, ßungsantrag eingebracht, der die Bemühungen der das ZDF, Audiovision und Radio 1 haben um Auf­ Bundesregierung unterstützt und auf eine baldmögli• nahmegenehmigung gebeten. Sie wurde, Ihre Zustim­ che Änderung der Bundesartenschutzverordnung ab­ mung vorausgesetzt, erteilt. zielt im Sinne einer Möglichkeit, die drei Rabenvögel außerhalb der Brutzeit zu bejagen, wie in der Verord­ Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung: nung materiell bereits vorgesehen. Mündliche Anfragen Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage Ich bitte zunächst den Herrn Staatsminister für Lan­ Herr Dr. Magerl. Bitte! desentwicklung und Umweltfragen um die Beantwor­ tung der ersten Fragen. Dr. Magert (DIE GRÜNEN): Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Einfluß der drei ge­ Erster Fragesteller ist Herr Abgeordneter Dr. Kempf­ nannten Arten auf die andere Singvogelpopulation als ler. Bitter eher gering zu bewerten ist? Dr. Kempller (CSU), Fragest e 11 er: Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister r Herr Staatsminister! Wird die Staatsregierung, wie früher angekündigt, von den Ausnahmemög• Staatsminister Dick: Mit dieser Meinung stimme ich lichkeiten des Bundesnaturschutzgesetzes Ge­ überein. Sie wissen, daß verschiedene Seiten so und brauch machen und Elster, Eichelhäher und Ra­ so argumentiert haben. Nach einer Meinung müßte benkrähe außerhalb der Brutzeit wieder für sich die Singvogelpopulation bei jetzigem ökologi• jagdbar erklären, um Singvögel, Niederwild und schen Stand durchaus selbst regeln, weil bei Überbe• landwirtschaftliche Kulturen zu schützen? stand die Brut etwas vernachlässigt wird.

Erster Vizepräsident, Möslein: Herr Staatsminister! Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Magerl ! Staatsminister Dick: Herr Präsident, sehr verehrte Dr. Magerl (DIE GRÜNEN): Herr Staatsminister, sind Kolleginnen und Kollegen r Die Staatsregierung löst Sie mit mir dann auch der Meinung, daß sich auf­ ein, was ich in der Fragestunde vom 18. Februar 1987 grund dieses geringen Einflusses auf die anderen auf die Anfrage des Kollegen Traublinger angekün• Singvögel eine Bejagung der Rabenvögel erübrigt? digt habe. Das Staatsministerium für Landesentwick­ lung und Umweltfragen hat entsprechend den Vorga­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! ben der Europäischen Gemeinschaft für eine Aus­ nahmeverordnung den Entwurf einer Verordnung er­ Staatsminister Dick: Diese Meinung teile ich nicht. stellt und in die Ressortabstimmung gegeben. Die weil das Verhältnis der Rabenvögel, die unter Voll­ Verordnung soll in der Sitzung des Ministerrats am schutz gestellt sind, zu den tatsächlich zu schützen- Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1723

(Staatsminister Dick) habe, aber den von ihm genannten Stollen habe zu­ mauern lassen? den Singvögeln unausgewogen ist. Das ist der Grund, warum anders zu verfahren ist. Das Verhältnis zu den Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! gefährdeten Arten ist unbefriedigend. Staatsminister Lang: Dazu kann ich augenblicklich Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfragen keine genaue Auskunft geben. Ich kann Ihnen nur sa­ liegen nicht vor. gen, daß der Lagerstollen im Mühldorfer Hart, von Ich darf den Herrn Staatsminister des Innern um die dem Sie jetzt sprechen, geöffnet wurde. Die dort ge­ Beantwortung der weiteren Fragen bitten. lagerten alten Kampfstoffe wurden zwischenzeitlich entfernt. Ich habe Ihnen ja schon auf eine entspre­ Nächster Fragesteller ist Herr Abgeordneter Starz­ chende Frage dazu das letzte Mal versprochen, nach mann ! Abschluß der Verfahren dem Landtag zu berichten, wenn Sie dies wünschen. Ich werde nächste Woche Starzmann (SPD), Fragest e 11 er: selbst an Ort und Stelle fahren und mich unterrichten. Herr Staatsminister! Trifft die Aussage in einer Fernsehsendung vom 10. Juni 1987 zu, daß im Erster Vizepräsident Möslein: Dritte Zusatzfrage, der Mühldorfer Hart möglicherweise noch Lost­ Fragesteller' Kampfstoffe gelagert sind und daß Lost in Ingol­ stadt in ungeeigneten Öfen verbrannt wurde? Starzmann (SPD): Herr Staatsminister' Stimmt die Behauptung des Hautarztes Dr. Klehr in der genann­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' ten Fernsehsendung, daß Zeugen, die auf Lostreste - nicht auf die bekannten Clarkreste - im Mühldorfer Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen Hart hingewiesen haben, als Folge ihrer Aussage te­ und Herren, Herr Kollege Starzmann' Es gibt keine lefonisch überwacht worden seien? Anhaltspunkte dafür, daß im Mühldorfer Hart Lost­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! Kampfstoff gelagert ist. Im Fort Prinz-Karl bei Ingolstadt wurden bis 1982 mit Staatsminister Lang: Das kann ich nicht bestätigen. Lostresten behaftete Erde und Metallteile, Lostam­ Ich kann nur sagen, daß das Einlagerungsprotokoll pullen und wenige Lostsprühbüchsen in einem unter von 1950 die Bezeichnung Clark verwendet, nicht Mitwirkung der Fachbehörden dafür eigens errichte­ Lost. Aussagen von damals beteiligten Personen lie­ ten und für die restlose Verbrennung dieser Materia­ ßen auf Clark II schließen. Die vom Bayerischen Lan­ lien geeigneten Ofen verbrannt. Der Ofen wurde nach deskriminalamt vorgenommenen Analysen ergaben Abschluß der Aktion 1982 abgebaut. jedoch zweifelsfrei Clark 1 und nicht Lostrückstände.

Die Aussagen in der Fernsehsendung „Zeitspiegel" Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, am 10. Juni 1987 treffen deshalb nicht zu. der Fragesteller'

Erster Vizepräsident Möslein: Erste Zusatzfrage der Starzmann (SPD): Die Sache mit Clark ist ja bekannt. Fragesteller! In der Fernsehsendung ging es aber darum, ob mög• licherweise noch Lost-Kampfstoffe gelagert sind. Ich Starzmann (SPD): Herr Staatsminister! Wurde der möchte deshalb meine Frage wiederholen, ob Zeu­ Zeuge, der im Fernsehen behauptet hat, es befänden gen, die sich dazu äußern, wie in der Fernsehsen­ sich in den Stollen in Mühldorf noch Giftstoffe, jemals dung behauptet wurde, u. a. durch telefonische Über• von staatlichen Stellen angehört und mit welchem Er­ wachung eingeschüchtert werden. Triff1 dies zu? gebnis? Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' Staatsminister Lang: Ich werde dem nachgehen und Staatsminister Lang: Mein Haus hat berichtet, daß Ihnen dann sagen, ob dies richtig ist. Diese Behaup­ allen Anfragen nachgegangen wird. Ich gehe auch tung ist ganz neu. Es wäre unfair zu antworten, das dem nach, Herr Kollege Starzmann. Wenn immer ein triff1 nicht zu, nachdem die Behauptung völlig neu ist. Bürger sich meldet, gehen wir dem nach und prüfen, Ich werde dem im einzelnen nachgehen. beispielsweise auch in Mühldorf, ob irgendwo alte Erster Vizepräsident Möslein: Letzte Zusatzfrage, Kampfstoffe lagern. der Fragesteller'

Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, Starzmann (SPD): Wie ist die Diskrepanz zwischen der Fragesteller! Ihrer Aussage heute, daß der für Lostverbrennung ungeeignete Ofen in Ingolstadt beseitigt worden ist, Starzmann (SPD): Herr Staatsminister! Triff1 die Be­ und der Tatsache zu erklären, daß im Fernsehen ein hauptung des Zeugen im Fernsehen zu, daß auf seine Hubschrauberbild jüngsten Datums dieses Ofens ge­ Feststellungen über bisher nicht bekannte Giftstoffla­ zeigt worden ist? gerungen im Mühldorfer Hart hin das Landratsamt Mühldorf ihm gegenüber überhaupt nicht reagiert Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' 1724 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Pienarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Staatsminister Lang: Ich habe mich im Hause infor­ Baden geeignet sind. Gewässer, in die Abflüsse ein­ miert. Nach den mir vorliegenden Unterlagen und In­ geleitet werden, werden ständig untersucht, und es formationen wurde der Ofen 1982 beseitigt. Ich gehe werden auch entsprechende Badeverbote ausge­ davon aus, daß diese Auskunft richtig ist. Wenn Sie sprochen. Wir sind hier sehr vorsichtig. jetzt behaupten, daß der Ofen auf einer Luftbildauf­ nahme zu sehen ist, dann geht es möglicherweise um Erster Vizepräsident Möslein: Keine weiteren Zu­ eine andere Einrichtung. Wir reden hier allein über satzfragen. den Ofen zur Verbrennung von Lost. Dieser Ofen Der nächste Fragesteller ist der Herr Abgeordnete wurde beseitigt. Loew! Erster Vizepräsident Möslein: Nächster Fragesteller Loew (SPD), F r a g e s t e 1 1e r: ist der Herr Abgeordnete Dr. Martin Mayer. Herr Staatsminister, wie beurteilt die Staatsre­ Dr. Mayer Martin (CSU), Fragest e 11 er: gierung die Zulässigkeit der Gründung eines Herr Staatsminister, ist die Isar durch Leptospi­ Landschaftspflegeverbandes durch den Bezirk ren verseucht, und welche Maßnahmen zum Unterfranken? Wie bewertet die Staatsregierung Schutz der Bevölkerung sind vorgesehen? die Vorbehalte der Landkreise gegen diese Grün• dung, und ist die Bayerische Staatsregierung be­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' reit, die Gründung eines solchen Verbandes poli­ tisch und finanziell zu unterstützen? Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Mayer, in den letzten Jah­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' ren sind keine Erkrankungsfälle bekanntgeworden, die auf eine Verseuchung der Isar durch Leptospiren Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen hätten schließen lassen. überhaupt sind Leptospiro­ und Herren' Herr Kollege Loew, der Bezirkstag von sen sehr seltene Krankheitsbilder beim Menschen. Unterfranken hat im Oktober 1986 beschlossen, „ei• Pro Jahr werden in Bayern nur ganz wenige Fälle ge­ nen Landschaftspflegeverband zu initiieren", ohne meld8t, einer oder zwei. schon konkrete Einzelheiten festzulegen. Dagegen haben sich die unterfränkischen Landräte ausgespro­ Badegewässer werden durch die Gesundheitsämter chen. Es geht immer um das Problem der Zuständig• hygienisch und bakteriologisch ständig überwacht. keit und der Umlagen. Auf Leptospiren, die mit Körperausscheidungen er­ krankter Menschen und Tiere, insbesondere Ratten, Das Staatsministerium des Innern achtet darauf, daß Bisamratten usw., in Oberflächengewässer gelangen sich die kommunalen Gebietskörperschaften im Rah­ können, wird dabei nicht untersucht. Auch die EG­ men ihrer Kompetenzen halten und gesetzliche Zu­ Richtlinie über die Qualität von Badegewässern sieht ständigkeiten nicht verwischt werden. Auf dem Ge­ solche Untersuchungen nicht vor. biete des Umweltschutzes kommt den Bezirken keine allgemeine Zuständigkeit zu. Sie haben nur be­ Mit dem Vorkommen menschenpathogener Leptospi­ stimmte Aufgaben zu erfüllen, wie den Unterhalt von ren ist nur selten zu rechnen. Untersuchungen auf Gewässern II. Ordnung oder, auf ihren Liegenschaf­ Leptospiren könnten die Sicherheit der Badegäste ten, z.B. den Unterhalt von Biotopen. Es ist nicht aus­ nicht erhöhen, weil sie wegen ihres seltenen Vorkom­ geschlossen, daß die Bezirke zur Durchführung die­ mens bei der notwendigerweise stichprobenartigen ser Aufgaben einem Landschaftspflegeverband bei­ Untersuchung ohnehin kaum zuverlässig festgestellt treten. Ihr Engagement in einem solchen Verband hat werden könnten. sich dabei aber auf die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu beschränken. Erster Vizepräsident Möslein: Zusatzfrage, der Fra­ gesteller! Eine abschließende Beurteilung der Gründung eines Landschaftspflegeverbandes in Unterfranken unter Dr. Mayer Martin (CSU): Herr Staatsminister, nach­ Beteiligung des Bezirks ist erst möglich, wenn das dem in der Amper derartige Verseuchungen festge­ Vorhaben weiter konkretisiert ist und entsprechende stellt worden sind, stelle ich die Frage, ob nicht auch Vorschläge vorliegen. in der Isar zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden sollen. Erster Vizepräsident Möslein: Zusatzfrage, der Fra­ gesteller. Bitte 1 Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! Loew (SPD): Wenn die Regierung von Unterfranken Staatsminister Lang: Herr Kollege Mayer, solche Un­ in gleicher Weise wie die Regierung von Mittelfranken tersuchungen werden durchgeführt. Ich bitte aber, einen Landschaftspflegeverband in privatrechtlicher die Problematik zu sehen. Man kann das ganze Ge­ Form gründet, wäre dann die Staatsregierung bereit, wässer nicht ständig untersuchen. Man kann bei­ eine solche Gründung genauso zu unterstützen, wie spielsweise heute eine Untersuchung durchführen, sie die Gründung des Verbandes in Mittelfranken un­ und am nächsten Tag schwimmt eine Bisamratte hin­ terstützt hat? ein, scheidet Wasser oder Kot aus, und schon ist es passiert. Es sind auch Gewässer, die nicht zum Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! PtenarprotokoH 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1725

Staatsminister Lang: Eindeutig ja. ren Zusatzfragen vor. Nächster Fragesteller ist der Herr Abgeordnete Strehle ! Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, der Fragesteller! Strehle (CSU), Fragesteller:

Herr Staatsminister, unter welchen Vorausset~ Loew (SPD): Wäre nicht nur in privatrechtlicher Form, zungen kann für die Kommunalwahl im Jahre 1990 sondern durch den Bezirk auch in öffentlich-rechtli• bei Gemeinden unter 5000 Einwohnern eine Ver­ cher Organisationsform die Gründung eines solchen doppelung der Listenbewerber erreicht werden, Landschaftspflegeverbandes nach Ihrer Meinung wie dies 1978 möglich war? möglich? Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' bitte!

Staatsminister Lang: Ich habe Ihnen gesagt, daß wir Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen ein Modell wie in Mittelfranken unterstützen würden. und Herren' Herr Kollege Strehle, ich könnte mir die Ich muß hier die Kolleginnen und Kollegen immer wie­ Sache ganz einfach machen und antworten, es müßte der auf die Zuständigkeiten verweisen. Wenn Umwelt­ der Artikel 19 Absatz 2 Satz 2 des Gemeindewahlge­ schutz grundsätzlich nicht Aufgabe des Bezirks ist, setzes dahingehend geändert werden, daß die Ein­ kann diese auch nicht in Form eines öffentlich-rechtli• wohnerzahl von jetzt 3000 auf 5000 angehoben wird. chen Zweckverbandes erfüllt werden. Mittelfranken Ich kann nur von der derzeitigen Rechtslage ausge­ hat das Modell eines Verbandes, eines Vereins ge­ hen, wenn dies auch Ihre Frage nicht erschöpfend wählt. beantwortet. Nach Artikel 19 Absatz 2 Satz 2 des Gemeindewahl­ Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage, gesetzes kann in Gemeinden bis zu 3000 Einwohnern Herr Abgeordneter Rosenbauer' die Zahl der Bewerber auf dem Wahlvorschlag bis auf das Dappelte der zu wählenden Gemeinderatsmitglie­ Rosenbauer Georg (CSU): Herr Staatsminister, stim­ der erhöht werden. Diese Regelung, die bereits seit men Sie mir zu, daß in Mittelfranken nicht die Regie­ 1948 gilt, soll sicherstellen, daß auch in kleineren Ge­ rung, sondern der Bezirk an diesem Verein beteiligt meinden eine ausreichende Zahl von Ersatzleuten für ist? den Gemeinderat vorhanden ist. Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' Lediglich für die Kommunalwahlen 1978 wurde wegen der Gemeindegebietsreform als Sonderregelung die Staatsminister Lang: Richtig. Der Bezirk ist nur zu Einwohnergrenze auf 10000 angehoben. Der Bayeri­ einem bestimmten Teil beteiligt und unterstützt den sche Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entschei­ gegebenen Landschaftspflegeverband. Das ist ein dung vom 27. Januar 1978 diese Sonderregelung Unterschied. zwar als verfassungsgemäß erachtet, in der Begrün• dung aber den besonderen Grund dieser einmaligen Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage, Regelung hervorgehoben. Die Vertreter des Land­ der Fragesteller' tags, des Senats, der kommunalen Spitzenverbände und der Landesregierung haben damals ausdrücklich Loew (SPD): Herr Staatsminister, immer unter der gesagt, daß dies ein Ausnahmefall, eine Sonderrege­ Voraussetzung, daß es nicht um die Bezirksregie­ lung sei. rung, sondern um den Bezirk als kommunalrechtliche Gegen eine allgemeine Anhebung der Einwohner­ Körperschaft geht, frage ich Sie abschließend: Mit grenze auf 5000 Einwohner durch Änderung des Ge­ welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie und Ihr meindewahlgesetzes bestehen verfassungsrechtliche Haus die Gründung eines solchen Landschaftspflege­ Bedenken. Es könnte darin ein Verstoß gegen den verbandes unterstützen? Grundsatz der formellen Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien und Wäh• Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, lergruppen gesehen werden. Eine derartige Regelung bitte! würde die großen Parteien und Gruppen begünsti• gen, da für die Verteilung der Gemeinderatsmandate Staatsminister Lang: Herr Kollege Loew, unserem das Verhältnis der Gesamtzahl der gültigen Stimmen Haus liegen keine konkreten Vorstellungen des Be­ ausschlaggebend ist. Eine Partei oder Gruppe, wel­ zirks Unterfranken vor, wenn es auch richtig ist, daß che die Verdoppelung der Bewerberzahl stets voll wir von dem Vorhaben wissen. In der nächsten Wo­ ausnützen könnte, wäre im Vorteil, während kleinere che findet eine Aussprache auf Referentenebene zwi­ Gruppen vielfach Mühe hätten, die Bewerberzahl auf schen Vertretern des Umwelt- und des Innenministe­ das Dappelte aufzustocken. Die mögliche Mehrfach­ riums statt. Wir werden uns dann des Problems noch nennung der einzelnen Bewerber kann diesen Nach­ einmal annehmen. teil nur zum Teil ausgleichen. So ist die Rechtslage in Bayern nach dem Urteil des Verfassungsgerichts­ Erster Vizepräsident Möslein: Es liegen keine weite- hofes. 1726 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokofl 11 /28 v_ 24. 06. 87

Erster Vizepräsident Möslein: Zusatzfrage, der Fra­ Franz (SPD): Herr Staatsminister, nachdem aus dem gesteller' vorgenannten Wasserschutzgebiet etwa 50 Prozent des Trinkwassers der Stadt Würzburg entnommen Strehle (CSU): Sehen Sie keine Möglichkeit, dies werden und die Nitratwerte dort bereits Werte von 30 durch eine Änderung des Gesetzes doch noch zu er­ bis 40 mg/I erreicht haben, frage ich Sie, ob Sie nicht möglichen? mit mir der Auffassung sind, daß die bestehenden Förderrichtlinien ergänzt werden müßten, damit Be­ grünung und Aufforstung stärker gefördert werden Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! können, als von Ihnen angedeutet worden ist. In ei­ nem ersten Schritt sollen 60 Hektar begrünt und auf­ Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen geforstet werden. und Herren' Herr Kollege Strehle, das ist eine sehr politische Entscheidung. Wir müssen aber auch die Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! rechtliche und verfassungsrechtliche Seite berück• sichtigen. In den vergangenen Jahren ist immer wie­ Staatsminister Lang: Die Förderschwelle für die der der Vorschlag gemacht worden, die Einwohner­ Zinsverbilligung, um ein Beispiel zu nennen, liegt bei grenze anzuheben. Ob eine Grenze von 4000 oder 200 DM pro Einwohnerwert. Dies macht für Würz• 5000 Einwohnern noch verfassungsgemäß wäre, kann burg, ohne einer Prüfung der Unterlagen vorzugrei­ ich im Augenblick nicht sagen. Der Landtag müßte fen, einen zweistelligen Millionenbetrag aus, ca. 25 entsprechende Begehren eingehend verfassungs­ Millionen DM. Frau Kollegin Stamm, wir haben schon rechtlich würdigen. darüber gesprochen, und ich habe bereits veranlaßt, daß in den nächsten .Tagen erneut eine Bekanntma­ chung über die Förderrichtlinien herausgegeben wird. Erster Vizepräsident Möslein: Keine weiteren Zu­ satzfragen. Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Franz! der Fragesteller'

Franz (SPD), Fragest e 11 er: Franz (SPD): Herr Staatsminister, da die von Ihnen genannten Zahlen den Beteiligten bisher nicht be­ Herr Staatsminister, wie beurteilt die Staatsre­ kannt waren, wird zu prüfen sein, nachdem in einem gierung die Planungen der Stadtwerke Würzburg ersten Schritt 60 Hektar begrünt und aufgeforstet zur Verhinderung des weiteren Nitratanstiegs und in einem zweiten Schritt weitere 50 bis 60 Hektar durch Umwandlung von bisher landwirtschaftlich angekauft werden sollen, ob die von Ihnen darge­ genutzten Flächen und in der engeren und weite­ stellte Förderung durch Zinsverbilligungen bei sol­ ren Wasserschutzzone der Zeller Wasserstollen chen natürlichen Sanierungen nicht auch auf Zu­ in Brachland bzw. Wasserschutzwald, und mit schüsse erweitert werden muß. welchen Fördermitteln können die Wasserwerks­ betreiber und gegebenenfalls auch die Stadt­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' werke Würzburg AG generell bei solchen Maß• Staatsminister Lang: Dies ist nicht Aufgabe des In­ nahmen rechnen? nenministeriums, sondern des Landtags. Wenn wir Gelder bekommen, werden wir sie dafür auch ver­ Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen wenden. Nach den vorliegenden Unterlagen wird der und Herren! Herr Kollege Franz, die Wasserfassung Grunderwerb zur Nutzungsumstellung durch Zinsver­ Zell der Stadtwerke Würzburg weist erhöhte Nitratge­ billigung um 5 Prozent bei einer Laufzeit der Zinsver­ halte auf - mit steigender Tendenz, jedoch noch un­ billigung bis zu 12 Jahren bei zwei tilgungsfreien Jah­ ter dem Grenzwert von 50 mg/I. ren und anschließender Tilgung in bis zu 20 gleichen Halbjahresraten gefördert. Dies ist ganz beträchtlich. Eine Nutzungsumwandlung im Wasserschutzgebiet, insbesondere von Acker in Wald, wird aus wasser­ Erster Vizepräsident Mösl ein: Drille Zusatzfrage, der wirtschaftlicher Sicht generell begrüßt. Welche Ver­ Fragesteller! besserungen damit erzielt werden können, kann je­ doch erst beurteilt werden, wenn entsprechende An­ Franz (SPD): Herr Staatsminister, weshalb wird diese tragsunterlagen und fachliche Wertungen vorliegen. veränderte Förderung erst jetzt vom Innenministe­ Sofern sich der Erwerb von Grundstücken zum rium den betroffenen Wasserwerksbetreibern zur Kenntnis gegeben, obwohl in dem Katalog der Be­ Zweck der Nutzungsumwandlung als wirtschaftlich gleitmaßnahmen aus Anlaß der Verfassungsergän• und zweckmäßig bestätigt und die Förderschwelle er­ zung bereits im April 1984 durch Landtagsbeschluß reicht wird, können selbstverständlich auch der Stadt der natürlichen Sanierung besonderer Vorrang einge­ Würzburg staatliche Finanzierungshilfen, z.B. Zins­ räumt worden ist? verbilligungszuschüsse, im Rahmen der landesweit geltenden Förderrichtlinien gewährt werden. Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister!

Erster Vizepräsident Mösl ein: Erste Zusatzfrage, der Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen Fragesteller! und Herren! Herr Kollege Franz, diese Frage hätten Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1727

(Staatsminister Lang) gieiung von Oberfranken, die anschließende Linien­ bestimmung durch den Bundesminister für Verkehr Sie nicht gestellt, wenn Sie gewußt häten, daß bereits und die anschließende Erstellung des Vorentwurfs am 3. April 1985 das Bayerische Staatsministerium kann der abschließende Zeitpunkt noch nicht ange­ des Innern in Presseerklärungen eingehend darüber geben werden. aufgeklärt und dabei auf die Änderung der Verfas­ sung zur Einführung der Staatszielbestimmung Um­ Erster Vizepräsident Möslein: Erste Zusatzfrage, der weltschutz hingewiesen hat. Deshalb wurde die För• Fragesteller! derung ja gewährt. Daum (CSU): Herr Staatsminister, kann man davon Erster Vizepräsident Mösl ein: Weitere Zusatzfrage, ausgehen, daß der neue Vorschlag den konträren der Fragesteller' Stellungnahmen der Gemeinde und des Landesbun­ des für Vogelschutz Rechnung trägt? Franz (SPD): Herr Staatsminister, darf ich Sie dahin informieren, daß die Förderrichtlinien Ihres Hauses Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister! bis zum Frühsommer vorigen Jahres zum Beispiel keine Förderung natürlicher Sanierungen beinhalte­ Staatsminister Lang: Wir haben eine weitere Alterna­ ten und daß in sie erst aufgrund von Anträgen, unter tive vorgeschlagen. Ich hoffe, daß sie von denen, die anderem eines Antrags, der von mir eingebracht wor­ gegen diese Trassierung Einwände erhoben haben, den ist, durch Landtagsbeschluß nicht nur techni­ angenommen wird. Das wünschen wir uns. Wir wer­ sche, sondern auch natürliche Sanierungsmaßnah• den bei den weiteren Fragen sehen, wie problema­ nren, z.B. der Aufkauf von Grundstücken, aufgenom­ tisch Straßenbaumaßnahmen sind. Durch dieses Pro men worden sind? und Kontra wird die Straßenbauverwaltung daran ge­ hindert, die vorgesehenen notwendigen Trassierun­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' gen durchzuführen.

Staatsminister Lang: Richtig, Herr Kollege Franz, Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage, aber ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich in Vorberei­ Frau Abgeordnete Memmel! tung meiner Antwort veranlaßt habe, daß die Zuwen­ dungsrichtlinien noch einmal bekanntgemacht wer­ Frau Memmel (DIE GRÜNEN): Herr Staatsminister, den, damit sie alle kennen. Mehr kann ich doch nicht Sie haben es zwar schon angedeutet, ich möchte tun. mich aber noch einmal rückversichern: (Widerspruch des Abg. Franz) Sind damit die Bedenken des Burides Naturschutz Erster Vizepräsident Möslein: Keine weiteren Zu­ berücksichtigt, daß die jetzige Trassenführung durch satzfragen. eines der schönsten Feuchtgebiete Oberfrankens geht, wo schon 30 Vogelarten auf der Roten Liste Der nächste Fragesteller ist Kollege Daum' stehen?

Daum (CSU), Fragesteller: Staatsminister Lang: Das ist mit berücksichtigt. Herr Staatsminister, wie weit ist das am 22. April 1986 eingeleitete Raumordnungsverfahren für Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, den zweibahnigen Ausbau der B 173 von Lichten­ der Fragesteller! fels bis Zettlitz gediehen und bis wann kann mit der Erstellung des Vorentwurfs gerechnet wer­ Daum (CSU): Herr Staatsminister, läßt sich wenig­ stens abschätzen, wann mit dem Abschluß des den? Raumordnungsverfahrens, mit der Erstellung des Vorentwurfs und mit dem Baubeginn gerechnet wer­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' den kann? Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Daum. Sie haben sich in und Herren, Herr Kollege Daum ! Im Bedarfsplan für dieser Angelegenheit oft bemüht. Ich wünschte, ich die Bundesfernstraßen ist die Maßnahme als vor­ könnte Ihnen eine bessere Antwort geben. dringlich eingestuft. Im Vierten Fünfjahresplan Im laufenden Raumordnungsverfahren für den Bauab­ 1986/90 für die Bundesfernstraßen mit Ergänzung bis schnitt Lichtenfels - Zettlitz im Zuge des Franken­ 1995 ist die Finanzierung der Maßnahme ab 1992 vor­ schnellwegs B 173 haben der Bund Naturschutz in gesehen. Voraussetzung für den Beginn der Bauar­ Bayern e. V„ der Landesbund für Vogelschutz und die beiten ist jedoch das Vorliegen einer bestandskräfti• Gemeinde Trieb konträre Stellungnahmen zu den in gen Planung. Der Termin erscheint uns aus heutiger die Raumordnung eingebrachten Trassen und Varian­ Sicht realistisch. Im Bedarfsfall kann die zeitliche Ein­ ten abgegeben. Die Straßenbauverwaltung wird nun­ ordnung der Maßnahme bei der Aufstellung des mehr im Sommer 1987 eine zusätzliche Trasse in das nächsten Fünfjahresplans korrigiert werden. Verfahren einbringen, die eine weitergehende Bünde• lung mit der Eisenbahnlinie vorsieht. Für die Durch­ Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, führung des Raumordnungsverfahrens durch die Re- Herr Kollege Daum' 1728 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Daum (CSU): Herr Staatsminister, nachdem Sie in Ih­ Die A 94/B 12 erhält unter Verzicht auf Standstreifen rer Antwort darauf hingewiesen haben, daß erst ab einen zweibahnigen „Sparquerschnitt" mit 23 m Kro­ 1992 mit einer Finanzierung der Maßnahme verbind­ nenbreite (SO 23) mit 2 mal 8,50 m befestigter Fahr­ lich gerechnet werden kann, frage ich Sie, ob sich die bahn und 3 m Mittelstreifen. Verhandlungen wenigstens so weit vorantreiben las­ sen, daß Beginn und vor allem auch Finanzierung in Erster Vizepräsident Möslein: Erste Zusatzfrage, der dem Zeitabschnitt des Vierten Fünfjahresplans von Fragesteller' 1986 bis 1990 möglich sind? Naumann (SPD): Herr Minister, entnehme ich Ihren Staatsminister Lang: Herr Kollege Daum, wir tun al­ Feststellungen richtig, daß ein Ausbau der bestehen­ les, um diesen notwendigen Straßenausbau so rasch den B 12 in den Überlegungen bzw. in den Gutachten wie möglich durchzusetzen. Ich möchte mich bei Ih­ keine Rolle spielt? nen bedanken. Man kann ja in einer Fragestunde nicht alle Vorschläge und Bemühungen aufgreifen, Staatsminister Lang: Wir müssen in den Planungs­ die von allen Seiten gekommen sind. Wegen der verfahren alle Gesichtspunkte berücksichtigen. Wir möglichen Gerichtsverfahren müssen wir alle Einwen­ gehen aber, wie gesagt, von einer Linienführung der dungen am Anfang sorgfältig prüfen, und dies dauert A94/B 12 über Dorfen aus. eben seine Zeit. Jeder, der Einwendungen erhebt, muß wissen, daß er damit eine notwendige Straßen• Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage, baumaßnahme verzögert. der Abgeordnete Asenbeck'

Erster Vizepräsident Möslein: Letzte Zusatzfrage, Asenbeck (CSU): Herr Staatsminister, ist Ihnen be­ der Fragesteller! kannt, daß sich im Zuge der nachgeschobenen Teil­ raumordnungsanhörung im Raum Ampfing sowohl Daum (CSU): Herr Staatsminister, kann ich also da­ die betroffenen Gemeinden als auch der Mühldorfer von ausgehen, daß dieses dringende Anliegen nicht Kreistag in seiner Sitzung vom 15. Mai dieses Jahres, nur der Bevölkerung, sondern insbesondere auch der also vor vier Wochen, recht eindeutig für den Ausbau Wirtschaft des Grenzlandes bei Ihnen in besten Hän• der ursprünglichen Raumordnungstrasse ausgespro­ den ist, nachdem Sie das in Ihrem Schlußwort noch chen haben und daß in der Kreistagssitzung nur mehr einmal sehr deutlich herausgestellt haben? sechs Gegenstimmen zu verzeichnen waren, nämlich die Stimmen der beiden GRÜNEN und der FDPler, zu unserer eigenen Überraschung aber nur mehr drei Staatsminister Lang: Davon können Sie ausgehen, Herr Kollege Daum. SPD-Gegenstimmen? Können Sie mir zustimmen, daß Herr Naumann mit seiner Einstellung sich damit eigentlich im luftleeren Raum bewegt und daß er Erster Vizepräsident Möslein: Nächster Fragesteller nicht bemerkt hat, daß selbst seine Genossen sich in­ ist der Herr Abgeordnete Naumann ! zwischen überzeugt haben, daß die Intention, die A94 weiter zu verzögern, nicht mehr zu verantworten ist? Naumann (SPD), Fragesteller: (Unruhe - Glocke des Präsidenten) Herr Minister, auf welcher Trasse und in welcher Breite soll die A 94/B 12 nach dem derzeitigen Staatsminister Lang: Herr Kollege Asenbeck, dies Stand der Überlegungen der Staatsregierung ge­ ist mir aus eigenem Wissen und den Unterlagen be­ baut werden? kannt. Gegen die Linienführung über Dorfen wenden sich die GRÜNEN, Teile der FDP, der Bund Natur­ Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen schutz und einige ganz wenige Mandatsträger der und Herren' Herr Kollege Naumann, die A 94/B 12 SPD. Der Landrat von der SPD und die Kreisräte der München-Mühldorf-Simbach ist in den Abschnitten SPD sind zusammen mit der CSU für die von der Parsdorf-Forstinning und Marktl-Simbach bereits im Staatsregierung ursprünglich vorgesehene Linienfüh• Bau. rung. Für die Trasse der A 94/B 12 über Dorfen liegt ein lan­ Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage, desplanerisches Gutachten sowie die Linienbestim­ der Herr Kollege Kempfler! mung durch den Bundesminister für Verkehr vor. Die Straßenbauverwaltung ist daher gehalten, diese Dr. Kempfler (CSU): Herr Staatsminister, ist es rich­ Trasse den weiteren Planungen zugrundezulegen. tig, daß das Staatsministerium des Innern insbeson­ Über den Trassenverlauf im Abschnitt Forstinning­ dere auch aus unserem Raum, dem Landkreis Rottal­ Marktl wird abschließend aber erst im Rahmen der Inn, immer wieder mit Nachdruck, vor allem auch von Planfeststellung entschieden. Entsprechend der Pro­ den Mandatsträgern, insbesondere denen der SPD, tokollnotiz des Deutschen Bundestags zum Drillen gebeten worden ist, einen beschleunigten Ausbau Fernstraßenausbauänderungsgesetz werden im Rah­ der A94 und nicht einen Ausbau der B 12 zu bewir­ men des gesetzlichen Planfeststellungsverfahrens ken? die verschiedenen Varianten für die Trassenführung, darunter auch die Trasse über Haag mit teilweiser Staatsminister Lang: Herr Kollege Kempfler, das ist Einbeziehung der bestehenden Bundesstraße 12, ein­ richtig. Bei meinen Besuchen in dem Bereich werde gehend zu untersuchen sein. ich von Bürgern und Mandatsträgern der CSU und Pienarprotokoll 11 /28 v. 24. 06_ 87 Bayerischer Landtag · 11. Wah!periode 1729

(Staatsminister Lang) nicht auch meinen, daß es sinnvoll wäre, mit der einen oder anderen Übergangsmaßnahme auf der alten der SPD bedrängt, endlich dafür zu sorgen, daß diese B 12 zu beginnen, um auf diese Weise die in der Tat äußerst wichtige Straße von München in Richtung sehr schwierigen und unmöglichen Verkehrsverhält• Simbach ausgebaut wird. Wir bekommen die Vor­ nisse, überhaupt das Fahren auf dieser B 12, zu ver­ würfe und müssen uns fast fortlaufend entschuldigen bessern? und verteidigen, weil eben eine ganze Reihe von Ein­ wendungen zu berücksichtigen sind. Das ist ja das Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, Paradoxe: Wir wollen unter allen Umständen diese bitte' wichtige Trassierung im Interesse auch des nieder­ bayerischen Raumes durchsetzen. Deshalb kommen Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen eigenartigerweise fast geschlossen auch die Kolle­ und Herren! Kollege Naumann, ich habe ja schon am gen der SPD aus dem niederbayerischen Raum zu Anfang erklärt, daß stückweise versucht wird, die Ver­ uns und bitten, daß diese Trasse endlich durchge­ kehrsverhältnisse auf der B 12 zu verbessern. Aber setzt wird. das ist ja nur eine ganz geringe Notlösung. Wir wissen aber auch, daß die Linienführung über Erster Vizepräsident Möslein: Letzte Zusatzfrage, Haag und Dorfen Schwierigkeiten bringt. Wer sich für Herr Kollege Asenbeck' Haag entscheidet, muß wissen, daß der Ausbau sich dann noch Jahrzehnte verzögern kann. Das wissen Asenbeck (CSU): Herr Staatsminister, könnten Sie wir jetzt schon durch die Einwendungen. bitte hier im Hohen Haus nochmals bestätigen, daß die A 94 für unseren Raum nicht nur unfallfreieres Erster Vizepräsident Möslein: Der nächste Frage­ Fahren bedeuten würde, sondern daß der Bau der steller ist der Kollege Kobler' A 94 auch eine Existenzfrage für die Arbeitnehmer in unserem Raum und im Chemiedreieck ist? Kobler (CSU), Fragesteller:

Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen Herr Staatsminister, ist es mit der Gemeindeord­ und Herren! Herr Kollege Asenbeck, Sie haben recht. nung vereinbar und den Bürgermeistern erlaubt, Punkte in die Tagesordnung von Gemeinderats­ Es wird jeweils zur Begründung von uns vorgetragen, sitzungen aufzunehmen, wie im Falle eines Auf­ daß damit der gesamte Ostraum erschlossen wird. forderungsschreibens der SPD-Stadtrats- und Jeder, der diese Straße befährt, muß uns Vorwürfe Kreistagslraklion geschehen - es geht hier um machen, daß der Ausbau der B 12 - jetzt A94, so die den Boykott bzw. um die Verhinderung eines Bezeichnung, die der Bundestag beschlossen hat - Parkhauses in der Stadt Passau -, und Be­ sich so verzögert. Die einen rufen nach raschem Aus­ schlüsse über ein Sachthema zu lassen, welches bau, die anderen wehren sich dagegen. Darin liegt die nicht in die örtliche Zuständigkeit fällt? Problematik. Aber die Mehrzahl der Bevölkerung will diesen Ausbau. Ich kann nur alle Kolleginnen und Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister. Kollegen bitten, mitzuhelfen, daß wir unsere Planun­ bitte' gen auch durchsetzen können. Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen Erster Vizepräsident Möslein: Letzte Zusatzfrage, und Herren' Herr Kollege Kobler, das ist ein seltener der Fragesteller! Fall. Der Bau eines Parkhauses in der Stadt Passau fällt nicht in die Zuständigkeit der umliegenden Ge­ Naumann (SPD): Herr Minister, um das ganze Thema meinden des Landkreises Passau. Darüber hat viel­ wieder aus dem Bereich der Inkompetenz und der mehr ausschließlich die Stadt Passau zu entscheiden. Unsachlichkeit herauszubringen, in das es durch die Sie ganz allein muß sagen, ob und wohin sie ein Park­ Fragestellung des Kollegen Asenbeck gekommen haus baut. ist --- Erster Vizepräsident Möslein: Erste Zusatzfrage. der (Unruhe im Saal - Glocke des Präsidenten - Fragesteller' Abg. Asenbeck: Wer ist betroffen und wer nicht?) Kobler (CSU): Herr Staatsminister, besteht bei die­ sem vorgehen der Opposition des Kreistages und Erster Vizepräsident Möslein: Darf ich bitten, daß in des Stadtrates nicht eine erhebliche kommunalrecht­ den Fragen keine Wertungen vorgenommen werden! liche Schieflage?

Naumann (SPD): Dieses entspricht meiner Auffas­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, sung von der Geschäftsordnung auch. - Darf ich also bitte! abschließend fragen, nachdem nun sicherlich neue Verzögerungen durch den Beschluß des Bundesta­ Staatsminister Lang: Mit diesem Vorgehen mißach• ges entstanden sind - das geht ja schon aus der For­ tet die SPD in diesem Fall die kommunalrechtlichen mulierung A94/B 12 hervor und auch aus der Not­ Zuständigkeiten. Während man im Falle sogenannter wendigkeit, neue Verfahren zu beginnen -, ob Sie atomwaffenfreier Zonen die Grenzen der sachlichen 1730 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87

(Staatsminister Lang) auf die Idee? Und wer will von uns verlangen, daß wir so etwas auch noch durchsetzen, Mithilfe leisten? Zuständigkeit von Gemeinden nicht wahrhaben will, Das ist ausgeschlossen, Herr Kollege Brand!. Es ist fehlt es hier an der räumlichen Zuständigkeit der mir völlig unverständlich, wie jemand auf einen sol­ Kommunen. Kommunen, Landkreise und Bezirke chen Gedanken kommen kann. Ich lasse mir als müssen sich auf ihren örtlichen Bereich beschränken. Das haben wir heute schon einmal angesprochen. Forchheimer oder als Erlanger oder als Weidener doch nicht einreden, was in der eigenen Gemeinde zu Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, geschehen hat. Da kann doch der umliegende Land­ der Abgeordnete Gausmann' kreis nicht entscheiden.

Gausmann (SPD): Herr Staatsminister, teilen Sie Erster Vizepräsident Möslein: Weitere Zusatzfrage, meine Meinung, daß einzig und allein der jeweilige der Herr Abgeordnete Kobler! Bürgermeister zu entscheiden hat, ob ein Sachthema (Glocke des Präsidenten) die Belange seiner Bürgerinnen und Bürger tangiert, um dieses Thema dann in die Tagesordnung aufzu­ Kobler (CSU): Herr Staatsminister' Welchen Wert nehmen oder auch nicht aufzunehmen? messen Sie solchen Beschlüssen bei, sollten solche tatsächlich gefaßt werden? Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, bitte' Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, bitte' Staatsminister Lang: Herr Kollege, ein Gemeinde­ bürger und ein Gemeinderat können entsprechende Staatsminister Lang: Der Beschluß ist rechtswidrig. Anträge stellen, die der Bürgermeister dann auf die Das ist ein Schmarrn, ein glatter Schmarrn. Tagesordnung der Gemeinderatssitzung setzen muß. Dann wird entschieden. Aber zuvor muß festgestellt werden, ob der Gemeinde- oder Stadtrat überhaupt Erster Vizepräsident Möslein: Letzte Zusatzfrage, ein Recht hat, sich mit der Angelegenheit einer ande­ der Herr Abgeordnete Brand!! ren Stadt oder einer anderen Gemeinde zu befassen. Ein Beschluß der Gemeinde A, um keinen Namen zu Brand! Max (Passau) (SPD): Herr Staatsminister, wir nennen, daß in der Stadt Passau kein Parkhaus ge­ sind nicht gegen den Bau von Parkhäusern in Passau. baut werden darf, wäre unwirksam. Das wäre ein Es geht auch nicht darum, daß alle Gemeinden Nie­ Blödsinn, der rechtlich unwirksam ist. derbayerns oder eines anderen Regierungsbezirks, wie Sie es darstellen, sich gegen die Baumaßnahmen Erster Vizepräsident Mösl ein: Nächste Zusatzfrage, einer Stadt wenden. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt Herr Abgeordneter Brand!' sein, daß die Gemeinden im Umland von München schon mehrmals versucht haben, auch mit Erfolg, auf Brand! Max (Passau) (SPD): Herr Staatsminister, München einzuwirken, daß bestimmte Vorhaben in ei­ nachdem Sie die Grundsatzfrage verneint haben, ner bestimmten Richtung vorangebracht werden. frage ich Sie: Herr Staatsminister, es kann Ihnen auch nicht unbe­ Welche Möglichkeiten haben die Gemeinden im Um­ kannt sein, daß Städte und Gemeinden Verbände bil­ land von Passau im Rahmen der Sorgfaltspflicht für den, die eine gewisse Einheit darstellen. Ich frage Sie ihre Bürger, die Verkehrsmisere abzuwenden, die deshalb: Sind Sie der Meinung, daß den Bürgern, den schon jetzt ein erhebliches Ausmaß hat und durch Arbeitnehmern der Gemeinden im Umland von Pas­ den Bau eines Parkhauses, das wenig Nutzen durch sau, tägliche Fahrzeiten von ein bis zwei Stunden für Parkflächen bringt, ein noch weit höheres Ausmaß 15 bis 20 Kilometer zugemutet werden können? annehmen würde, inbesondere für die Arbeitnehmer der Umlandgemeinden? (Abg. Erwin Huber: Das hat doch mit dem Parkhaus nichts zu tun!) Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, bitte' Erster Vizepräsident Möslein: Bitte, Herr Staatsmini­ ster! Staatsminister Lang: Herr Kollege, ich verstehe Ihr eigenartiges Demokratieverständnis nicht. Ich habe Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen das noch nie erlebt. Stellen Sie sich vor, daß alle Ge­ und Herren! Unter dem Briefkopf der SPD-Fraktion meinden rings um Nürnberg auf die Idee kämen zu im Kreistag Passau und der SPD-Fraktion im Stadtrat entscheiden, was in Nürnberg geschehen soll, alle Passau haben sich der SPD-Unterbezirk und der Gemeinden von Unterfranken, was in Würzburg zu SPD-Kreis- und Stadtverband Passau Anfang Juni geschehen hat, alle Gemeinden und Landkreise in 1987 an die umliegenden Gemeinden, die Bürgermei• Niederbayern, was in Passau geschieht' Mir ist so ein ster im nordöstlichen Bereich des Landkreises Pas­ Beispiel überhaupt noch nicht untergekommen. Wie sau, gewandt und gebeten, das Thema Parkhaus an kommt jemand überhaupt auf die Idee, Gemeinden der Hängebrücke der Stadt Passau auf die Tagesord­ aufzufordern, Erklärungen dazu abzugeben oder Be­ nung der nächsten Gemeinderatssitzung zu setzen schlüsse zu fassen, daß in der Stadt Passau ein Park­ und beschlußmäßig gegen den Bau des Parkhauses haus nicht gebaut werden soll? Wer kommt zu votieren. Das ist einfach unmöglich. Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1731

Erster Vizepräsident Möslein: Nächster Fragesteller, Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, Kollege Neder' bitte'

Neder (CSU), Fragest e 11 er: Staatsminister lang: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muß zugeben, daß einiges in dem Pa­ Herr Staatsminister, teilt die Bayerische Staats­ pier des Bauernverbandes pointiert herausgestellt regierung die vom Bayerischen Bauernverband wurde, meines Erachtens zu Recht. Es kann doch im bbv-Pressedienst vom 20. Mai 1987 geäußerte nicht richtig sein, daß wir für die kranken Kühe auf un­ Sorge und Kritik wegen der geplanten Änderun­ seren Almen auch noch Krankenhäuser schaffen; daß gen der EG-Milchhygiene-Richtlinien, wonach dort irgendwie Einrichtungen geschaffen werden, die beispielsweise beabsichtigt ist, daß jeder Milch­ krankenhausähnlichen Charakter haben. Ich habe die viehbetrieb über einen eigenen zusätzlichen Richtlinien durchgesehen, Kolleginnen und Kollegen, „Krankenstall" verfügen müsse, bei Durchfall­ irgendwo muß man einfach mit Richtlinien aufhören, erkrankungen der betreffende Amtstierarzt zu in­ die von Europa kommen. Auf diese Weise machen wir formieren sei, die Wände der Stallungen bis zu unsere Landwirtschaft kaputt, wenn das alles verwirk­ zwei Meter Höhe gefliest sein müßten und Vor­ licht werden soll. kehrungen zu treffen seien, um jede Staubent­ wicklung zu vermeiden? Erster Vizepräsident Möslein: Eine weitere Zusatz­ frage, Herr Kollege Seitz' Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' Seitz (CSU): Herr Staatsminister, ist Ihre letzte Be­ Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen merkung so zu verstehen, daß die Staatsregierung al­ und Herren! Herr Kollege Neder, die Bayerische les versuchen wird, die EG-Richtlinie vom 5. August Staatsregierung begrüßt die im August 1985 veröf• 1985, der die Bundesregierung zugestimmt hat, so fentlichte Richtlinie Wärmebehandelte Milch, weil sie anzuwenden, daß sie für die Landwirte, für die milch­ zukünftig den ungehinderten Milchabsatz aus Bayern erzeugenden Bauern, erträglich ist und nicht zur in andere EG-Mitgliedstaaten ermöglicht. Dies ist in Schikane wird? Anbetracht der hohen Überproduktion von Milch eine erfreuliche Entwicklung, die in vollem Umfang auch Staatsminister Lang: Darum geht es. und aarum be­ mühen wir uns. der bayerischen Landwirtschaft zugute kommen soll. Die Richtlinie bedarf teilweise noch der Ausfüllung Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage mit Detailvorschriften: z.B. muß noch ein Hygieneko­ Herr Kollege Neder. Bitte, Herr Kollege! dex für Milcherzeugerbetriebe erstellt werden. Nach unseren Informationen wird dieser Kodex gegenwär• Neder (CSU): Herr Staatsminister, darf ich noch ein­ tig in einem wissenschaftlichen Arbeitskreis der EG mal nachfragen: Ist der Staatsregierung der Inhalt diskutiert. Ein erster Entwurf, auf den sich die Kritik des neuen Arbeitspapiers bekannt, und sind die von des Bayerischen Bauernverbandes bezieht, enthielt mir angesprochenen Forderungen darin nicht mehr in der Tat teilweise stark überzogene Anforderungen. enthalten? Dieser Entwurf ist aber inzwischen durch ein neues, realistischeres Arbeitspapier ersetzt worden, das zu­ Staatsminister Lang: Sie sind nicht mehr enthalten. nächst im wissenschaftlichen Arbeitskreis noch wei­ (Abg. Neder: Vielen Dank') ter diskutiert wird. Die Bayerische Staatsregierung bemüht sich seit län• Erster Vizepräsident Möslein: Letzte Zusatzfrage, gerer Zeit bei der Bundesregierung darum, daß über• Herr Kollege Seitz 1 zogene Anforderungen, die nicht zum Schutz des Seitz (CSU): Herr Staatsminister, unabhängig von der Verbrauchers geboten sind, nicht in den Kodex auf­ beabsichtigten Anwendung: Ist Ihnen bekannt, daß genommen werden. Sie wird dieses Bemühen fortset­ diese beschlossene Richtlinie in einer ersten Stufe zen und vor allem auch bei der Umsetzung der EG­ mit einer Keimzahlgrenze von 300000 Keimen zum Hygienerichtlinie Wärmebehandelte Milch in das na­ 1. Januar 1989 in Kraft tritt und daß zum 1. Januar tionale Recht darauf hinwirken, daß dabei vernünftige 1983 eine weitere Verschärfung durch eine Keimzahl­ und sachgerechte Regelungen getroffen werden. grenze von 100000 Keimen für die Klasse 1 erfolgen wird, daß also der Standard „Vorzugsmilch" für die Erster Vizepräsident Möslein: Erste Zusatzfrage, der gesamte Milcherzeugung gelten soll, die für den Ex­ Fragesteller' port im EG-Raum bestimmt ist, nicht für den Ver­ brauch im Inland, was letztlich aber bedeutet, daß Neder (CSU): Herr Staatsminister, auch wenn erfreu­ diese Richtlinien insgesamt zu gelten haben? licherweise ein neues Arbeitspapier den unannehm­ baren Entwurf ersetzt, darf ich doch nachfragen, ob Erster Vizepräsident Möslein: Bitte, Herr Staatsmini­ der Staatsregierung bekannt ist, ob in diesem neuen ster! Entwurf alle von mir angesprochenen neuralgischen und überzogenen Forderungen herausgenommen Staatsminister Lang: Das ist mir bekannt, Herr Kol­ worden sind? lege. Die ganze Auseinandersetzung bezieht sich auf 1732 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Staatsminister Lang) mühen, daß diese Planungen so rasch wie möglich durchgesetzt werden. Sie befinden sich ja in der das, was Herr Kollege Neder vorgetragen hat, näm• Dringlichkeitsstufe 1. Aber Sie wissen ja, daß es bei­ lich auf ein dänisches Arbeitspapier. Die Dänen ha­ ben die Vermeidung jeglicher Staubentwicklung im spielsweise bei der Ortsumgehung von Weißenstadt, Kuhstall gefordert, so ein Schmarrn, das Fliesen der aber auch bei Röslau, Schwierigkeiten gibt. Stallwände bis zu 2 m Höhe. Wie soll man das auf den Almen machen? Meldung von Durchfallerkrankungen Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Zusatzfrage, der Kühe an die Amtstierärzte, das eine so überzo• Herr Kollege Hering! gen wie das andere, eine wirksame tsolationsmöglich• keit für Kühe, die Symptome einer über die Milch auf Hering (SPD): Herr Staatsminister, parallel zu dieser den Menschen übertragbaren Krankheit zeigen, und Strecke verläuft die Bundesstraße 303 Markt Bad die leichte Reinigung und Desinfektion von Wänden Berneck - Marktredwitz - Schirnding. Sehen Sie in ei­ und Fußböden usw. Ich mag das gar nicht mehr nem Ausbau oder einer Begradigung gefährlicher durchlesen! Stellen in diesem Gebiet nicht auch eine Lösung, um den Verkehr von Markt Bad Berneck nach Schirnding (Abg. Loew: Das hat doch mit der Frage nichts zu tun') besser fließen zu lassen? - Es ist doch unglaublich, wieviel Zeit aufgewandt Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' wird, um solche seitenlangen Richtlinien, die man kaum lesen kann, in mehrere Sprachen übersetzt, Staatsminister Lang: Das wird bei den Planungen auszuformulieren und vorzulegen. Kein Mensch wird mit berücksichtigt. sich in Portugal, in Griechenland, in Spanien oder in den Vogesen an solche Richtlinien halten. Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister, (Zuruf von der CSU: Aber bei uns!) ich danke Ihnen. - Nur bei uns vielleicht! Ich rufe die Fragen an das Staatsministerium für Ar­ beit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Erster Vizepräsident Möslein: Nächster Fragesteller Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Glück zur Verfü• Herr Kollege Willi Müller. Herr Kollege, bitte schön r gung.

Müller Willi (CSU), Fragest e 11 er: Erste Fragestellerin, Frau Kollegin Radermacher! Herr Staatsminister, kann man davon ausgehen, Frau Radermacher (SPD), Fragest e 11 er in: daß die wegen ihrer Verbindung von der Auto­ bahn Bayreuth - Hof zur Landesgrenze CSSR be­ Herr Staatssekretär, sind der Bayerischen deutsame Staatsstraße 2180 zwischen Gefrees Staatsregierung die Vorgänge im Asylanten­ und Schirnding in absehbarer Zeit ausgebaut Wohnheim in Aub bekannt, und welche Konse­ wird? quenzen gedenkt die Staatsregierung aus den Vorgängen zu ziehen? Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatssekretär! Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, wir beabsichtigen, Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Frau Kollegin im Zuge der Staatsstraße 2180 zwischen Gefrees und Radermacher. in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai Schirnding in den nächsten Jahren mehrere Teilab­ schnitte auszubauen. Im Ausbauplan für die Staats­ 1987 ist es in der Gemeinschaftsunterkunft Aub zu ei­ straßen sind die Verlegung südlich Weißenstadt und ner tätlichen Auseinandersetzung unter dort unterge­ der Ausbau der Kreuzung zwischen der Staatsstraße brachten Asylbewerbern gekommen. Dabei wurden 2180 und der B 15 (sogenannter Thiersheimer Plär• drei Asylbewerber aus Osteuropa verletzt. Außerdem rer) in der 1. Dringlichkeitsstufe ausgewiesen. Mit entstanden in der Gemeinschaftsunterkunft und in ei­ den Maßnahmen soll begonnen werden, sobald be­ ner Gaststätte Sachschäden in einer Höhe von ca. standskräftige Planungen vorliegen. In der 2. Dring­ 3500 DM. lichkeit sind die Ortsumgehungen für Röslau, Thiers­ Die Vorfälle in Aub und ähnliche Vorkommnisse in an­ heim und Kothigenbibersbach vorgesehen. deren Gemeinden zeigen, daß ein Teil der Asylbewer­ Erster Vizepräsident Möslein: Erste Zusatzfrage, ber offensichtlich nicht bereit ist, unsere Rechtsord­ Herr Kollege Müller! nung zu beachten und in der gebotenen Weise Rück• sicht auf die einheimische Bevölkerung zu nehmen. Müller Willi (CSU): Wird sich die Staatsregierung be­ Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung mühen, daß diese bestandskräftigen Planungen mög• und Diebstahl ermöglichen es bei der gegenwärtigen lichst schnell realisiert werden können? Verfassungslage nicht, den Aufenthalt krimineller Erster Vizepräsident Möslein: Herr Staatsminister' Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland umgehend zu beenden. Ihr Aufenthalt muß vielmehr Staatsminister Lang: Herr Präsident, meine Damen bis zum bestandskrältigen Abschluß des Asylaner­ und Herren r Herr Kollege Müller, wir werden uns be- kennungsverfahrens geduldet werden. Plenarprotokoll 11 /28 v_ 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1733

(Staatssekretär Dr. Gebhard Glück) mäßige Verteilung der Asylbewerber verantwortlich sind. Das ist sicher nicht überall im wünschenswerten Wirksame Möglichkeiten, Vorfälle wie in Aub künftig Maß gelungen, aber das ist von uns aus auch nicht zu zu verhindern, bestehen leider nicht. Die Situation stellt sich bei Asylbewerbern nicht anders dar als bei steuern. Es muß vielmehr vor Ort geklärt werden, wo Straftaten von deutschen Staatsbürgern. Asylbewerber untergebracht werden können und wo nicht. Aufgrund der derzeitigen Gesamtsituation bei der Un- 1erbringung konnte die Belegung der Gemeinschafts­ Den zweiten Teil Ihrer Frage nach den Kosten möchte unterkunft Aub von bis zu 190 Personen wieder auf ich wie folgt beantworten: unter 140 Personen reduziert werden. Nach Auffas­ Selbstverständlich wissen wir, daß die Unterbringung sung der Bayerischen Staatsregierung kann aufgrund von Asylbewerbern einen erhöhten Verwaltungsauf­ dieser Maßnahme eine wesentliche Verbesserung der wand mit sich bringt. Ich möchte aber darauf verwei­ Situation in Aub erwartet werden. sen, daß bei den Schlüsselzuweisungen und den son­ Die Polizei wird im Rahmen der gegebenen Möglich• stigen Finanzzuweisungen an die Gemeinden die Zahl keiten die Gemeinschaftsunterkunft verstärkt über• der Asylbewerber, die in einer Gemeinde unterge­ wachen und die Streifendichte erhöhen. bracht sind, mit berücksichtigt wird, so daß dann er­ höhte Finanzzuweisungen an Gemeinden fließen, die Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Erste Zusatz­ Asylbewerber unterbringen müssen. frage, Frau Kollegin Radermacher! Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zusatzfrage, Frau Radermacher (SPD): Herr Staatssekretär, sind Frau Kollegin Radermacher' Sie nicht der Meinung, daß Maßnahmen, wie sie jetzt gefordert werden, nämlich die Verstärkung des Auf­ Frau Radermacher (SPD): Herr Staatssekretär, ist die sichtspersonals und der Polizeipräsenz, am eigentli­ Staatsregierung bereit, endlich den Vorschlägen, die chen Problem vorbeigehen, sich die Staatsregierung die SPD gemacht hat, nachzukommen und in Ge­ damit aus der Verantwortung stiehlt und die Pro­ meinden unter 10 000 Einwohnern keine Asylbewer­ bleme z.B. auf die Polizeibeamten und auf die Bevöl• ber mehr unterzubringen? Dies wäre nämlich ange­ kerung verlagert werden? sichts der Relation zwischen der Einwohnerzahl der Gemeinde Aub und der Zahl der dort untergebrach­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ ten Asylbewerber für die Auber die einzig sinnvolle sekretär, bitte! Lösung.

Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Ich verstehe den Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Ich halte Sinn Ihrer Frage nicht ganz. Selbstverständlich wird diese Frage auch nicht mehr für von der Ausgangs­ man, das fordert auch die Bevölkerung, wenn in einer frage gedeckt. Herr Staatssekretär, wollen Sie ant­ Gemeinschaftsunterkunft Unruhen auftreten, auch worten? die Polizeipräsenz verstärken, bis sich die Verhält• nisse wieder beruhigt haben. In anderen Gemein­ Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Selbstverständ• schaftsunterkünften hatten wir ähnliche Ereignisse; lich wäre es wünschenswert, Asylbewerber in größe• auch hier sind sie wohl nur vorübergehender Natur. ren Gemeinden unterzubringen, aber wir müssen sie dort unterbringen, wo Unterkünfte vorhanden sind. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ Ich stelle fest, daß nicht alle großen Gemeinden, und satzfrage, Herr Kollege Brosch 1 das gilt auch für Unterfranken, bereit waren, Asylbe­ werber frühzeitig und in entsprechendem Umfang un­ Brosch (CSU): Herr Staatssekretär, was unternimmt terzubringen. Das Problem wird ständig hin- und her­ die Staatsregierung, um die hohe Belastung der verlagert. Ich glaube, daß man sich da auch mal an Auber Bevölkerung zu mindern? Aub hat bis zu 200 der eigenen Nase fassen muß. Asylbewerber bei ungefähr 1200 Einwohnern. Was unternimmt sie, um auch in anderen unteriränkischen zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zusatzfrage, Städten, z. B. in Würzburg, Asylbewerber unterzu­ Frau Kollegin Stamm 1 bringen und damit die große Belastung kleinerer Ge­ meinden zu mindern? Zum weiteren: Was gedenkt Frau Stamm (CSU): Herr Staatssekretär, sind Sie die Staatsregierung zu tun, um den Verwaltungsauf­ nicht auch der Auffassung, daß bei der hohen Zahl wand zu mindern, der in Aub sehr hoch ist? In ande­ von Asylbewerbern, die in der Gemeinschaftsunter­ ren Ländern wird ein Sonderzuschuß an Verwaltun­ kunft unterbracht sind - jetzt sind es zwar 140, das gen für ihre zusätzliche Tätigkeit gewährt. schließt aber nicht aus, daß es einmal wieder etwa Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege 200 sind-, der Wunsch berechtigt ist, daß die Verwal­ Brosch, ich bezweifle sehr, ob diese Ihre Frage noch tung nicht nur tagsüber besetzt ist, sondern daß auch von der Ausgangsfrage gedeckt ist. Ich überlasse die nachts eine Aufsicht im Haus vorhanden ist? Entscheidung aber dem Herrn Staatssekretär, ob er in der Lage ist, darauf zu antworten. Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Selbstverständ• lich würden wir das Aufsichtspersonal gern verstär• Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Zunächst ist zu ken, damit dieses auch in der Nacht und am Wochen­ sagen, daß die Regierungen für eine möglichst gleich- ende zugegen sein kann. Das ist aber zunächst ein- 1734 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24.06.87

(Staatssekretär Dr. Gebhard Glück) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zweiter Fra­ gesteller Herr Kollege Trapp. Bitte! mal eine Kostenfrage. Es würde in Bayern 400 zusätz• liche Stellen mit einem Kostenaufwand von 20 Millio­ Trapp (SPD), Fragest e 11 er: nen DM erfordern. Die Unterbringung von Asylbewer­ bern ist ja ohnehin schon verhältnismäßig kosten­ Hält die Staatsregierung die Unterbringung der trächtig. Patienten im Kreiskrankenhaus Vilsbiburg in Zim­ mern bis zu sieben Betten bzw. in Zimmern ohne Zum zweiten erhebt sich natürlich die Frage, ob Vor­ Sanitärzellen für medizinisch und menschlich ver­ kommnisse wie in Aub dann vermieden werden könn• tretbar und zeitgemäß, und ist sie bereit, die Ge­ ten. Sie könnten es nach meiner Einschätzung nicht, nehmigung des Raum- und Funktionsprogramms weil auch Aufsichtspersonal keine rechtlichen Mög• so zeitgerecht abzuschließen, daß ein Baubeginn lichkeiten hat, solche Vorkommnisse zu unterbinden im Frühjahr 1988 möglich ist? und einzugreifen, um Störer zur Ordnung zu bringen. Das ist nicht Sache des Aufsichts- oder des Verwal­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ tungspersonals. Ich möchte sagen: Selbst wenn es sekretär! uns gelänge, mehr Personal anzustellen, wären sol­ che Vorkommnisse auch nicht ausgeschlossen. Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Kollege Erwin Huber, Herr Kollege Trapp! Bekanntlich ist es Ziel der Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Letzte Zu­ Staatsregierung, in allen bayerischen Krankenhäu• satzfrage, Kollege Franz! sern auch einen zeitgemäßen Standard sicherzustel­ len. Dazu gehören selbstverständlich der Abbau von Franz (SPD): Herr Staatssekretär, um wieder auf den ,,Vielbettzimmern" und die Verbesserung des Sani­ Kern der ursprünglichen Frage zurückzukommen, tärstandards. Der Freistaat Bayern stellt, wie Ihnen darf ich noch einmal nachlassen: bekannt, dafür jährlich beträchtliche Summen bereit; Teilen Sie meine Auffassung, daß die Hauptursache allein 1987 stehen für Krankenhausbauinvestitionen solcher Vorkommnisse darin liegt, daß die Zusam­ Fördermittel in Höhe von 790 Millionen DM zur Verfü• menlegung vielfältiger Nationen und Konfessionen in gung. Der Erfolg dieser Anstrengung läßt sich schon den einzelnen Unterkünften solche Exzesse zwangs­ daran ablesen, daß der Anteil der Fünf- und Mehr­ läufig nach sich zieht und daß durch eine andere Art bettzimmer von 10,1 Prozent im Jahr 1975 auf 4,7 Prozent im Jahr 1985 zurückgegangen ist. Im übrigen der Unterbringung auch in größeren Orten diesen Ge­ habe ich mich von der Situation im Kreiskrankenhaus gebenheiten besser Rechnung getragen werden Vilsbiburg bei zwei Besuchen persönlich überzeugen könnte? können. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte, Herr Für die umfassende Sanierung und bauliche Erweite­ Staatssekretär' rung des Bettenhauses beim Kreiskrankenhaus Vils­ biburg hat der Landkreis im vergangenen Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Wir bemühen Monat die Freigabe des Funktions- und Raumpro­ uns ja ohnehin, bei der Unterbringung Vorkehrungen gramms beantragt, das als Grundlage für die an­ in der Form zu treffen, daß nicht miteinander verfein­ schließende Erarbeitung der Bau- und Ausstattungs­ dete Gruppen von Asylbewerbern in einer einzigen planung dienen soll. Unterkunft untergebracht werden. Aber normaler­ Die voraussichtlichen Gesamtkosten für das Projekt weise sehe ich keine Gegensätze zwischen Osteuro­ betragen nach einer aktuellen Kostenschätzung ca. päern und Indern, zwischen denen der Konflikt in Aub 34 Millionen DM, wobei ein erster Bauabschnitt mit ausgebrochen ist. So etwas ist nicht vermeidbar. ca. 13 Millionen DM und ein zweiter Bauabschnitt mit Selbstverständlich wird man Iraner und Iraker nicht ca. 21 Millionen DM veranschlagt wird. zusammenlegen. Finanziell abgesichert durch Vorwegfestlegung für (Abg. Langenberger: Aber ein das Bayerische Jahreskrankenhausbauprogramm unterschiedlicher Kulturkreis ist doch ein 1989 ist der erste Bauabschnitt mit 10 Millionen DM, Konfliktstoff') wie Ihnen, Herr Kollege Huber, aus Ihren jahrelangen Bemühungen um das Krankenhaus Vilsbiburg be­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Ich rufe zur kannt ist. Der Landkreis hat die Programmfreigabe für gemeinsamen Beantwortung die Fragen 13 und 14 das gesamte Projekt beantragt und möchte auch eine auf. gesamte Bau- und Ausstattungsplanung erarbeiten. Erster Fragesteller ist Herr Kollege Huber' Die Freigabe des Funktions- und Raumprogramms kann jedoch erst erfolgen, wenn die Finanzierung des Huber Erwin (CSU), Fragest e 11 er: Sanierungsvorhabens insgesamt ausreichend finan­ Herr Staatssekretär, wann ist mit der Genehmi­ ziell abgesichert ist. Diese finanzielle Absicherung gung des Raum- und Funktionsplans des Pfle­ kann durch Aufnahme in ein Jahreskrankenhausbau­ gebereiches des Kreiskrankenhauses Vilsbiburg programm oder durch die Vorwegfestlegung für ein zu rechnen, und zu welchen Zeitpunkten können Programm der folgenden Jahre erfolgen. die Zustimmungen zum vorzeitigen Baubeginn Die Beratungen des Unterausschusses Jahreskran­ bzw. Fördermittel erwartet werden? kenhausbauprogramme des Bayerischen Kranken- P!enarprotokolt 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11 . Wahlperiode 1735

(Staatssekretär Dr. Gebhard Glück) auf dem Hintergrund der finanziellen Situation des Landkreises Vilsbiburg? hausplanungsausschusses, der sich mit der Einrei­ chung der anstehenden dringlichen Krankenhausbau­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ vorhaben in die Bauprogramme bis 1991 befassen sekretär, bitte' wird, werden voraussichtlich im Juli dieses Jahres aufgenommen. Selbstverständlich wird das Sozialmi­ Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Es wird unser nisterium auch die Kostensteigerung des 1. Bauab­ Bemühen sein, die beiden Bauabschnitte nahtlos in­ schnittes und den 2. Bauabschnitt in die Beratungen einander übergehen zu lassen, aber es werden wohl einbringen. Eine endgültige Entscheidung wird im zwei Bauabschnitte sein müssen; man kann sie nicht Herbst dieses Jahres vorliegen. zusammenfassen. Voraussetzung für die Genehmigung des vom Land­ Wir haben im ganzen Land eine unendliche Vielzahl kreis Landshut angestrebten vorzeitigen Baubeginns von Baumaßnahmen. große, mittlere und kleine, die ist neben der Sicherstellung der Finanzierung der Ab­ uns an die Grenze unserer finanziellen Kapazität brin­ schluß des Prüfungsverfahrens durch die fachliche gen. Ich habe Verständnis für die örtlichen Belange; Billigung. ich kenne auch die Situation in Vilsbiburg, weil ich Fördermittel können frühestens im Jahr vor der Ein­ von den Kollegen Erwin Huber und Ewald Lechner stellung des Projekts in ein Jahreskrankenhausbau­ wiederholt dorthin eingeladen worden bin. Unser Be­ programm für angefallene Planungskosten zur Verfü• mühen ist es, überall möglichst schnell zum Zug zu gung gestellt werden: für das Kreiskrankenhaus Vils­ kommen, aber wir müssen die Probleme auch in Ver­ biburg demnach frühestens 1988. bindung mit unseren finanziellen Möglichkeiten se­ hen. zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zur ersten Ich darf noch darauf verweisen, daß wir durch gesetz­ Zusatzfrage der Kollege Erwin Huber' liche Vorgaben gehalten sind, bei allen Investitions­ entscheidungen im Krankenhausplanungsausschuß Huber Erwin (CSU): Herr Staatssekretär, Ihnen ist be­ das Einvernehmen aller Beteiligten, der Kassen, der kannt, daß im Landkreis Landshut durch Aktionen der Ärzte, der Träger usw., anzustreben. Bevölkerung und durch entsprechende Rücklagen des Landkreises die Möglichkeit einer Vorfinanzie­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ rung besteht und daß deshalb die Chance groß ist, satzfrage, Herr Kollege Ewald Lechner' daß es dann zu einem vorzeitigen Baubeginn nach Genehmigung kommen kann? Lechner (CSU): Herr Staatssekretär, nachdem die Sanierung des Pflegebereiches in zwei Bauabschnit­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ ten vorgesehen ist und der Landkreis die Raumpla­ sekretär, bitte! nung in einem vornehmen will, möchte ich Sie fragen, um hier möglichst rasch an den bereits sanierten Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Das Engagement Funktionstrakt den Pflegebereich anschließen zu der Bevölkerung ist nicht ohne Wirkung geblieben, können, ob Sie bereit sind, eine Teilraumplanung vor­ das möchte ich ausdrücklich einräumen. Es hat auch weg vorzunehmen, damit wenigstens der erste Bau­ uns Respekt abgenötigt, und es hat dazu geführt, daß abschnitt, tür den mit Ausnahme von zwei Millionen das Krankenhaus Vilsbiburg schon früher den zwei­ DM die Finanzierung sichergestellt ist, wobei aber, ten Teil der Sanierung, nachdem der Funktionstrakt wie mein Kollege Huber schon gesagt hat, der Kreis schon abgeschlossen ist. beginnen kann. Ein Pro­ angesichts des Engagements der Bevölkerung blem ergibt sich natürlich jetzt daraus, daß es nicht durchaus die Restfinanzierung übernehmen könnte, mehr um 10 Millionen DM geht, die in das Programm möglichst fertiggestellt wird? 1989 eingestellt wurden, sondern um 13 Millionen DM, so daß damit im Augenblick die Finanzierung Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ nicht gesichert ist, also erst eine Anpassung in der sekretär, bitte 1 nächsten Sitzung des zuständigen Unterausschusses des Krankenhausplanungsausschusses vorgenom­ Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Ich kenne die men werden muß. komplizierte Abwicklung des Krankenhausbaues Vils­ biburg. Es ist eine äußerst schwierige Situation, die (Abg. Erwin Huber: Danke') der Bauherr dort zu bewältigen hat. Wir werden uns selbstverständlich bemühen, uns den Gegebenheiten zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zu einer wei­ dort anzupassen und flexible Lösungen zu finden. teren Zusatzfrage der Fragesteller Kollege Trapp. Aber wie diese im einzelnen aussehen werden, kann Bitte, Herr Kollege Trapp! jetzt nicht entwickelt werden.

Trapp (SPD): Herr Staatssekretär, halten Sie es für Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zu einer Zu­ nötig, daß die Zielplanung, im Jahre 1998 zum Ab­ satzfrage der Kollege Erwin Huber' schluß der Gesamtsanierungsmaßnahmen Vilsbiburg zu kommen, dadurch früher erreicht wird, daß die Huber Erwin (CSU): Herr Staatssekretär, nachdem kommenden Bauabschnitte nahtlos ineinander über• Sie dankenswerterweise zweimal an Ort und Stelle gehen und keine Zwischenpausen entstehen, gerade waren und auch die hohen Belegungszahlen des 1736 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokolt 11 /28 v. 24. 06. 87

(Huber Erwin [CSU]) Staatssekretär Dr. Getihard Glück: Etwas Besonde­ res zu tun würde erstens bedeuten, den Bau selber Kreiskrankenhauses kennen, darf ich Sie doch fra­ zu beschleunigen, auch von der bautechnischen und gen, ob Sie der Auffassung zustimmen, daß die jet­ organisatorischen Seite her. Dies ist ja nicht nur eine zige Unterbringung medizinisch und menschlich un­ Sache des Geldes. Es würde zweitens bedeuten, daß zulänglich ist? wir über unbegrenzte Mittel verfügen könnten, und zum dritten, daß wir allein Herr des Verfahrens wären Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ und bestimmen könnten, welche Mittel wohin gege­ sekretär, bitte! ben werden. Das sind wir aber leider nicht.

Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Das möchte ich Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Vielen Dank, gerne einräumen. Das gilt übrigens auch für viele an­ Herr Staatssekretär. dere Krankenhäuser. Ich habe in dieser Hinsicht viele Sorgenkinder. Eines davon ist sicherlich Vilsbiburg. Ich darf Herrn Staatssekretär Nüsse! ans Rednerpult bitten. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zu einer wei­ Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Hecker. Bitte, teren Zusatzfrage der Fragesteller, Kollege Trapp! Frau Kollegin!

Trapp (SPD): Herr Staatssekretär, haben Sie Ver­ Frau Hecker CSU), Fragestellerin: ständnis für den Unmut in der Bevölkerung, bei Pa­ tienten und auch bei Ärzten, die kritisieren, daß Pa­ Herr Staatssekretär, da Scheidungen in der Land­ tienten auf den Gängen liegen müssen, daß im Gyn­ wirtschaft keine Seltenheit sind, Bereich Wöchnerinnen und Gyn-Patienten in einem (Abg. Erwin Huber: Leider') Zimmer untergebracht werden müssen? Es wird be­ fürchtet, daß das Vilsbiburger Krankenhaus an Attrak­ frage ich die Staatsregierung, ob von seilen des tivität verlieren soll. Es ist jetzt schon eine Abwande­ Staatsministeriums für Ernährung, Landwirt­ rung in die Landshuter Krankenhäuser festzustellen, schaft und Forsten Musterverträge erarbeitet die sich fortsetzen könnte. und junge Hofübernehmer beraten werden kön• nen, damit einerseits die Abfindung der weichen­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ den geschiedenen Ehepartner sichergestellt und sekretär, bitte! auf der anderen Seite der Erhalt des landwirt­ schaftlichen Betriebes über die Scheidung hinaus gesichert werden kann? Staatssekretär Dr. Gebhard Glück: Selbstverständ• lich habe ich Verständnis für die Situation, auch aus (Lachen des Abg. Seitz) der Sicht der Patienten. Deswegen bemühen wir uns ja auch gemeinsam mit dem Bayerischen Landtag Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ und den kommunalen Spitzenverbänden, Jahr für sekretär, bitte! Jahr möglichst viele Mittel für den Krankenhausbau zur Verfügung zu stellen. Bezogen auf die Bevölke• Staatssekretär Nüssel: Herr Präsident, Hohes Haus! rung stellen wir weit mehr Mittel bereit als vergleich­ Die Fertigung von derartigen Musterverträgen und bare andere Bundesländer. was bei dieser Gelegen­ die Beratung bei Ehescheidungen fällt in den Bereich heit einmal gesagt werden muß. der Rechtsberatung und zählt daher nicht zu den Auf­ gaben des Bayerischen Staatsministeriums für Ernäh• (Beifall des Abg. Erwin Huber) rung, Landwirtschaft und Forsten. Die Beratung in Steuer- und Rechtsfragen ist Aufgabe des Berufsver­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Zu einer wei­ bandes, der Rechtsanwälte und der Notare. teren Zusatzfrage, Kollege Ewald Lechner! Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Erste Zusatz­ Lechner (CSU): Herr Staatssekretär, wollen Sie be­ frage, die Fragestellerin! rücksichtigen, daß die Belegung gerade des Vilsbi­ burger Krankenhauses fast hundertprozentig ist, was Frau Hecker (CSU): Herr Staatssekretär' Wie werden eben durch die hervorragenden pflegerischen und Musterverträge generell beurteilt, und können sie ärztlichen Leistungen zuwege gebracht wird, auf der eventuell Abhilfe schaffen? anderen Seite aber das Krankenhaus in Vilsbiburg zu einer ewigen Baustelle wird, wodurch natürlich schon Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte, Herr befürchtet wird, daß die bisherigen ärztlichen Lei­ Staatssekretär! stungen nicht mehr erbracht werden können? Wären Sie bereit, etwas Besonderes zu tun, damit die Bauar­ Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus! Ich darf darauf beiten endlich einmal zum Wohle der kranken Men­ hinweisen, daß es Probleme bei Ehescheidung nicht schen, aber auch der Menschen, die dort arbeiten nur in landwirtschaftlichen Betrieben, sondern auch müssen, abgeschlossen werden? in mittelständischen und anderen Betrieben gibt. In Bayern sind, nicht berufsspezifisch aufgeteilt, 1970 Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ 11 000 Ehen geschieden worden, 1986 bereits 18000. sekretär, bitte! Ich könnte mir vorstellen, daß vom Berufsverband PfenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1737

(Staatssekretär Nüssel) sind. Ich beziehe mich auf einen CSU-Landtagsan­ trag, der eine Aufstockung von 10 Millionen Mark ver­ oder entsprechenden Rechtsberatern einmal die Möglichkeiten der Güterübertragung oder wie die langt, so daß dann für die Jahre 1987 und 1988 je 70 Millionen Mark zur Verfügung stehen werden. Dinge sonst geregelt werden können, untersucht werden. Es wäre nützlich, wenn von den Vorschlägen in der Praxis dann reger Gebrauch gemacht wird. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ satzfrage Kollege Loscher-Frühwald. Bitter Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Weitere Zu­ satzfrage Herr Kollege Dr. Kempfler. Bitte! Loscher-Frühwald (CSU): Herr Staatssekretär! Das Gülleprogramm war bisher sehr erfolgreich; es wurde Dr. Kempfler (CSU): Herr Staatssekretär' Wären Sie von den Landwirten sehr stark beansprucht. Kann bereit, in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen man davon ausgehen, daß der Bedarf in den näch• Staatsministerium der Justiz in Anlehnung an Bro­ sten Jahren zurückgehen wird? schüren, die das Bayerische Staatsministerium der Justiz zu anderen Rechtsfragen herausgegeben hat, Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte, Herr Hinweise erarbeiten zu lassen, wie Probleme anläß• Staatssekretär! lich einer Ehescheidung bei landwirtschaftlichen Be­ trieben genauso wie bei anderen mittelständischen Staatssekretär Nüssel: Nach unseren Erkenntnissen Betrieben gelöst werden können? und nach den vorliegenden Anträgen wird es noch längere Zeit dauern, bis die vorgelegten Anträge ab­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ gefertigt werden können. Ich gehe aber davon aus, sekretär! daß der Bedarf nach einigen Jahren gedeckt ist, weil bei den jetzigen Baumaßnahmen natürlich auf die vor­ Staatssekretär Nüssel: Dabei würden wir dem Ju­ aussichtliche Kapazität für den jeweiligen landwirt­ stizministerium selbstverständlich unsere Unterstüt• schaftlichen Betrieb geachtet wird. Es kann keine zung geben. Halbheiten geben, es muß von Anfang an der Gülle• raum geschaffen werden, der für den jeweiligen Be­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster trieb erforderlich ist. Fragesteller, Herr Kollege Rosenbauer! Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ Rosenbauer Georg (CSU). Fragest e 11 er: satzfrage. Herr Kollege Lechnerr Herr Staatssekretär! Ich frage die Staatsregie­ Lechner (CSU): Herr Staatssekretär' Kommen die rung, ob das Bayerische Gülleprogramm über Anträge für das von den bäuerlichen Betrieben her­ den 30. Juni 1987 hinaus fortgeführt wird und ob vorragend angenommene Gülleprogramm aus den auch nach diesem Zeitpunkt noch Antragstellung Regierungsbezirken Bayerns in etwa der gleichen möglich ist. prozentualen Häufigkeit oder unterschiedlich, und ist Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ Ihnen bekannt, daß aus Niederbayern allein 3500 An­ sekretär! träge mit einem Zuschußbedarf von 25 Millionen Mark vorliegen, und wie sollen diese Anträge in der Kürze Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus! Der Haushalts­ der Zeit abgewickelt werden? ausschuß des Bayerischen Landtags hat am 3. Juni 1987 einem CSU-Antrag zugestimmt, der die Fortfüh• Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ rung des Bayerischen Gülleprogramms über den sekretär! 30. Juni 1987 hinaus zum Ziel hat. Ich gehe davon aus, daß am Donnerstag, also morgen, auch das Ple­ Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus r Ich kann darauf num des Bayerischen Landtags diesem Antrag zu­ hinweisen, daß das Gülleprogramm sehr intensiv an­ stimmen wird. genommen wird. Daß es in Grünlandgebieten mit einer höheren Viehdichte natürlich stärker angenom­ (Abg. Diethei: Jawohl!) men wird, ist klar. Wir bemühen uns, die Bescheide Die Staa_tsregierung wird daraufhin eine entspre­ über die vorliegenden Anträge so auf die Regierungs­ chende Anderung der Förderrichtlinien vornehmen. bezirke zu verteilen, daß die Wartezeiten möglichst gleich sind. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Erste Zusatz­ frage der Fragesteller. Bitte! Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ satzfrage, Herr Kollege Rosenbauer! Rosenbauer Georg (CSU): Herr Staatssekretär! Wel­ che Mittel stehen dem Bayerischen Staatsministe­ Rosenbauer Georg (CSU): Herr Staatssekretär! Rei­ rium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur chen die bereitgestellten Mittel aus, um die bewillig­ Abwicklung dieses Programms zur Verfügung? ten und noch erwarteten Zuschüsse in angemesse­ ner Frist an die Landwirte auszubezahlen? Staatssekretär Nüssel: Ich darf darauf hinweisen, daß im Haushaltsplanentwurf, der von der Staatsre­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ gierung vorgelegt wurde, 60 Millionen Mark enthalten sekretär! 1738 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Staatssekretär Nüssel: Herr Kollege, ich könnte mir muß, wodurch es eventuell zu einer Auflösung vorstellen, daß wir die Maßnahmen mit mehr Mitteln kommt, so daß dann 2500 Landwirte und sonstige schneller abwickeln könnten. Unser Haus ist dem Genossenschaftsmitglieder eine Erwerbsmöglichkeit Bayerischen Landtag sehr dankbar, daß er diesen verlieren? Schwerpunkt entsprechend aufgestockt hat. Wir wer­ den in einer gewissen Zeit, wie vorhin bereits gesagt, Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ den Bedürfnissen entsprechen können. sekretär, bitte!

Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Letzte Zu­ Staatssekretär Nüssei: Herr Kollege, ich darf darauf satzfrage, Kollege Kobler! hinweisen, daß es gegenwärtig nicht möglich ist, dar­ über bereits eine abschließende Stellungnahme abzu­ Kobler (CSU): Herr Staatssekretär' Kann im Falle der geben. Wir sollten abwarten, wie sich die Gesamtsai­ Fortführung des Gülleprogramms damit gerechnet son entwickelt. Sicher ist dann darüber noch zu dis­ werden, daß die Förderkonditionen, 20/30 Mark bzw. utieren. 30/40 Mark, gleich bleiben? Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte, Herr Fragesteller Herr Kollege Heiler. Bitte' Staatssekretär' Heiler (CSU), Fragest e 11 er: Staatssekretär Nüssel: Es ist die Absicht unseres Herr Staatssekretär! Kennt die Staatsregierung Hauses, es bei den Förderkonditionen zu belassen. die Gründe, die Bundesernährungsminister Wenn der Landtag dem zustimmt, kann es eigentlich Kiechle veranlaßt haben, bei den Agrarpreisver­ keine Änderungen geben. handlungen in Brüssel die dort geplante Fett­ steuer abzulehnen? Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster Fragesteller, Herr Kollege Brosch ! zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ sekretär! Brosch (CSU), Fragesteller: Herr Staatssekretär! Was gedenkt die Staatsre­ Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus' Die Bundesre­ gierung wegen der witterungsbedingten Umsatz­ gierung hat sich aus handels- und wirtschaftspoliti­ schen Erwägungen gegen die Einführung der geplan­ ausfälle bei den dadurch in Schwierigkeiten gera­ tenen Obst- und Gemüseabsatzgenossenschaf• ten Fettsteuer ausgesprochen. Der Bundeslandwirt­ ten zu tun, und welche Hilfen können aus demsel­ schaftsminister ist als Mitglied des Kabinetts an die­ ben Grund die in Schwierigkeiten geratenen ses Votum gebunden. Landwirte im Grünlandbereich erhalten? Die Bayerische Staatsregierung und die CDU/CSU­ Agrarminister haben sich für eine Fettsteuer ausge­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ sprochen. sekretär! Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Erste Zusatz­ Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus' Bei den Obst­ frage der Fragesteller. Bitter und Gemüseabsatzgenossenschaften sind bisher mit Ausnahme bei Spargel noch keine Umsatzminderun­ Heiler (CSU): Sind Sie, Herr Staatssekretär, gerade gen zu verzeichnen. Bei weiter anhaltendem schlech­ wegen oder trotz Ihrer Aussage mit mir der Meinung, ten Wetter sind jedoch auch bei Frühgemüse und bei daß eine Verteuerung fetthaltiger Futtermittel die Ein­ Kirschen Ertragsminderungen zu befürchten. fuhren reduzieren, damit die Überproduktion auf dem Veredelungssektor einschränken und dadurch der Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es noch nicht mög• Bodenproduktion wieder den notwendigen Stellen­ lich, die Auswirkungen der ungünstigen Witterung auf wert einräumen könnte? die Ertragslage der Obst- und Gemüseabsatzgenos• senschaften abschließend zu beurteilen und über Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ eventuelle Ausgleichsmaßnahmen zu diskutieren. sekretär! Das gleiche gilt auch für die Grünlandbetriebe, die ebenfalls aufgrund ungünstiger Witterungsverhält• Staatssekretär Nüssel: Herr Kollege, ich habe ganz nisse erhebliche Probleme mit der Heu- und Silage­ eindeutig den Standpunkt der Staatsregierung und damit auch ihre Stellungnahme zur Bewertung der gewinnung haben. Fetteinfuhren zum Ausdruck gebracht. Ich möchte Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Erste Zusatz­ darauf aufmerksam machen, daß mit der Fettsteuer frage, der Fragesteller' natürlich nicht nur die Substitute angesprochen sind, sondern es dabei auch um bestimmte Pflanzen und Brosch (CSU): Herr Staatssekretär, ich darf in einem Seetiere aus europäischer Produktion geht. konkreten Fall nachfragen. Was soll der Großmarkt in Es soll eine Abgabe von 770 DM je Tonne Handelsfett Volkach mit über 2500 Genossenschaftsmitgliedern erreicht werden. Das Ganze brächte eine runde tun, der bisher erst die Hälfte seines üblichen Umsat­ Summe von fünf Milliarden für die EG. Das ist unter zes gemacht hat und sehr hohe Verluste befürchten anderem auch der Grund, warum die Staatsregierung Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1739

(Staatssekretär Nüssel) Seitz (CSU): Herr Staatssekretär' Da die Fettsteuer sicherlich ein wichtiges Moment des europäischen in Anbetracht der ungeheuer schwierigen Finanzie­ Fett- und Buttermarktes ist. hake ich etwas nach: rungssituation im EG-Bereich der Fettsteuer zuge­ Nachdem über die Fettsteuer bis zur Stunde nicht stimmt hat. Sicher würde das eine Verteuerung der entschieden. sondern dem Gipfel eine Entscheidung Margarine um ungefähr 60 Pfennige bedeuten. vorbehalten ist. frage ich, ob die Staatsregierung auf die Bundesregierung nochmals dahin Einfluß nehmen Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ wird, daß sie ihre Haltung in der Frage der Fettsteuer satzfrage, Herr Kollege Starzmann ! bis zur nächsten Woche doch noch einmal über• denkt. Starzmann (SPD): Herr Staatssekretär! Ist die Staats­ regierung der Auffassung, daß die derzeitige EG­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ Agrarpolitik richtig oder verfehlt ist. und hält sie es sekretär! dann für richtig, die derzeitige EG-Agrarpolitik durch eine Verteuerung von Lebensmitteln weiterhin zu fi­ Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus' Ich darf darauf nanzieren? hinweisen, daß die Staatsregierung in eindeutiger Weise die Bundesregierung ersucht hat, ihre Haltung Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Staats­ zur Fettsteuer zu überprüfen. Ich glaube, daß mit sekretär! dem Beschluß der Staatsregierung das Erforderliche getan ist. Staatssekretär Nüssel: Herr Präsident! Die Frage hat eigentlich mit der Grundfrage nicht allzuviel zu tun. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Vielen Dank, Ich möchte darauf hinweisen, daß eine Finanzierung Herr Staatssekretär. Ich breche hiermit die Frage­ der EG-Agrarpolitik im Interesse der Verbraucher, stunde ab. aber auch im Interesse der Bauern liegt. Es ist eine Tatsache, daß die Verbraucher noch nie einen so Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 3: günstigen Preis für Nahrungsmittel hatten wie zur Zeit. Die Marktordnungen und damit die Grundele­ Haushaltsplan 1987/88 des Einzelplans 04 für den mente der EG-Agrarpolitik sind so zu gestalten. daß Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministe­ die Überproduktion verhindert werden kann. riums der Justiz Über die Beratungen im Ausschuß für Staatshaushalt Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ und Finanzfragen (Drucksache 11 /1918) berichtet satzfrage, Herr Kollege Knauer! Herr Kollege Baumann. Ich erteile ihm das Wort.

Knauer (SPD): Herr Staatssekretär! Sind Sie wirklich Baumann (CSU), Berichterstatter: Herr Präsi• der Meinung. daß die Überschußprobleme in der EG dent, Hohes Haus' Der Haushaltsplan für den Ge­ mit der Fettsteuer auch nur annähernd gelöst werden schäftsbereich des Staatsministeriums der Jusitz können, und könnten Sie mir zustimmen, daß wir in wurde am 12. Mai 1987 im Haushaltsausschuß bera­ der EG-Agrarpolitik auch auf die Probleme der Ent­ ten. Mitberichterstatter war Herr Kamm, die Bericht­ wicklungsländer Rücksicht zu nehmen haben? erstattung oblag mir. Als Be richte r statte r verwies ich auf die zu­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte. Herr nehmende Bedeutung der Justiz. an die verstärkte Staatssekretär! Anforderungen durch die Entwicklungen im Land ge­ stellt werden. was zwar allgemein anerkannt werde, Staatssekretär Nüssel: Hohes Haus' Ich darf darauf aber zahlenmäßig nicht so deutlich in Erscheinung hinweisen, daß ich damit nicht eine generelle Lösung trete. Der vorliegende Entwurf des Einzelplans 04 von Problemen der EG-Agrarpolitik angesprochen richte sich als Teil des Gesamthaushalts nach der be­ habe. sondern nur auf eine Möglichkeit hingewiesen währten bayerischen Finanzpolitik, die geprägt sei habe, die Finanzierung zu verbessern. von Sparsamkeit, geringer Verschuldung und hohen Natürlich werden auch Importe aus Drittländern bela­ Investitionen. Die Schwerpunkte des Haushaltsent­ stet. Das ist sicher zu berücksichtigen. Darf ich aber wurfs für die Justiz lägen beim Personal, den Investi­ darauf aufmerksam machen, daß die Fettsteuer in er­ tionen und den Baumaßnahmen. ster Linie Produkte aus den Vereinigten Staaten und Im Ausgabenbereich hätten erhebliche Beträge für Produkte aus dem eigenen EG-Bereich betrifft? Des­ Personal eingesetzt werden können. Dabei sei fest­ halb bin ich nach wie vor der Meinung, daß die Ein­ zustellen, daß die Staatsregierung besonders im Ju­ führung der Fettsteuer im Rahmen der gesamten stizhaushaltsentwurf einen wesentlichen Stellenzu­ Überlegungen zur EG-Agrarpolitik weiter in Erwä• wachs berücksichtigt habe. Auch für Investitionen sei gung zu ziehen ist. nicht nur der in den letzten Haushalten wesentlich er­ höhte Ansatz belassen, sondern um weitere Millionen Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zu­ erhöht worden. Insgesamt seien in diesem Haushalts­ satzfrage. Kollege Seitz! entwurf wesentliche Verbesserungen vorgesehen 1740 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Ptenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Baumann [CSU]) besondere die Situation der Geschäftsstellen und des Kanzleidienstes der Gerichte zu verbessern. worden; leider hätten manche Wünsche und Anliegen nicht berücksichtigt werden können. Kompromisse Gewiß könnten mit diesen Stellen nicht alle Wünsche müßten immer wieder geschlossen werden. erfüllt werden, aber mit diesen 260 neuen Stellen so­ wie den Mitteln für zusätzliche 60 Angestellte werde Die Gesamtausgaben im Entwurf des Einzelplans 04 eine wesentliche Verbesserung der schwierigen per­ beliefen sich im Jahre 1987 auf 1 508 807 300 DM und sonellen Situation im Justizbereich möglich sein. Eine für das Jahr 1988 auf 1558517800 DM. Das bedeute weiter gewünschte Herabsetzung der Wiederbeset­ eine Erhöhung in 1987 um 62626300 DM oder 4,3 zungssperre bei der Justiz sei nicht möglich. Bei der Prozent und in 1988 49710000 DM oder 3,3 Prozent. Justiz sei die Wiederbesetzungssperre bereits we­ Diese Steigerungsraten lägen leicht über den Steige­ sentlich eingeschränkt worden. Im übrigen sei auf rungsraten des Gesamthaushalts. Die Personalko­ den folgenden Beschluß des Haushaltsausschusses sten mit 969458800 DM und 1009734200 DM mit zum Änderungsantrag der CSU auf Stellenhebung ca. 65 Prozent seien die Hauptausgaben im Einzel­ hingewiesen, der für alle Einzelpläne gelte: Im Dop­ plan 04. pelhaushalt 1987 /88 würden - soweit im Haushalts­ Für die Verwaltungseinnahmen weise der Entwurf entwurf der Staatsregierung keine weitergehenden eine wesentliche Steigerung von 42757500 DM auf Vorschläge enthalten seien - im gehobenen Dienst 35 672553500 DM und von 16 Millionen DM auf Prozent der Hebungen, im mittleren Dienst 50 Pro­ 731311 000 DM im Jahr 1988 auf. zent der Hebungen, bezogen auf die Stellen des Haushalts 1986, zugelassen, die aufgrund der besol­ 1985/86 habe ich in meinem Bericht zum Doppel­ dungsrechtlich vorgeschriebenen Stellenobergren­ haushalt auf die übermäßige Steigerung der Arbeits­ zen noch möglich seien. In Vollzug des Bundesbe­ zugänge in der Justizverwaltung hingewiesen. Leider soldungsrechts seien zwei Direktoren von Amtsge­ hätte sich in den abgelaufenen Jahren und im begon­ richten von R 2 auf R 2 + AZ anzuheben, anderer­ nenen Jahr 1987 keine Minderung, keine Abschwä• seits fielen zwei R 2-Stellen weg. Mit diesen Stellen­ chung der Zugänge, sondern eine Mehrung des Ar­ hebungen träten Verbesserungen bei einer Anzahl beitsanfalls ergeben. Durch die angespannte Ent­ von Beamten ein. wicklung habe sich die Situation bei den Gerichten Enorme Ausgaben, über 100 Millionen DM, fielen für und Staatsanwaltschaften sowie im Justizvollzugs­ 4260 in Ausbildung stehende Rechtsreferendare an. dienst drastisch verschärf1. Diese steigenden Bela­ Leider hätten die Warnungen, dieses Studium nicht stungen träfen nicht nur die Richter, sondern auch zu ergreifen, nur geringen Erfolg. wesentlich den mittleren Justizdienst und den Schreibdienst. Auch würden dringend Gerichtsvoll­ überproportional stiegen die sonstigen Ausgaben zieher und Bewährungshelfer benötigt. der Justiz, also die Gesamtausgaben abzüglich Per­ sonalkosten, und zwar 1987 um 41,4 Millionen DM Die prekäre Situation in der Justizverwaltung werde oder 8,3 Prozent. Im Vordergrund stünden dabei die von Senat, Verbänden und Organisationen in Gutach­ Mehrausgaben für Entschädigungen von Zeugen und ten und Eingaben aufgegriffen, in denen um Abhilfe Sachverständigen im Jahr 1987 um 28 Millionen auf gebeten werde. Der Senat spreche sich für eine wei­ 104 Millionen DM. Verstärkt würden auch die Ausstat­ tere deutliche Stellenmehrung aus. Der Vorsitzende tungsmittel. Um dem Personalmangel abzuhelfen, des Richterrates, der Hauptpersonalrat, der Rechts­ würden organisatorische Maßnahmen durchgeführt pflegerverband, der Bayerische Richterverein und der und verstärkt technische Hilfsmittel eingesetzt. Verband der Justizbeamten hätten ihre tiefe Sorge Die erhöhten Ausgaben bei den Verwaltungsausga­ um die Erhaltung einer funktionierenden Justiz und ben seien notwendig, um die zu erwartenden Ge­ um die Zumutbarkeit der Belastung von Staatsbe­ schäftsbelastungen erledigen zu können. Wesentli­ diensteten zum Ausdruck gebracht. Die Staatsregie­ che Investitionsmittel seien für Ausgaben eingesetzt, rung habe durch eine solide Finanzpolitik im Gesamt­ insbesondere für Erweiterungen in den Bereichen haushalt erstmals wieder neue Stellen ausweisen EDV - Namenskartei und ADV -, Kassenbuchfüh• können. Dabei seien die schwierige Situation bei der rung, den Kauf von Programmsystemen für das EDV­ Justiz berücksichtigt und 200 Stellen in den Entwurf Mahnverfahren, Grundbuchämter, die Geschäftsstel• eingesetzt worden, und zwar für Richter 50 und für lenautomation bei Gerichten und Staatsanwaltschaf­ Vollzugsbeamte 150 Stellen. Die CSU-Fraktion habe ten. Für solche Einrichtungen seien für 1986 11,49 dem Antrag zugestimmt, darüber hinaus der ange­ Millionen DM angesetzt gewesen. Im Entwurf seien spannten Lage bei den Gerichten durch die Auswei­ 17,76 Millionen DM für 1987 und 20, 19 Millionen DM sung zusätzlicher 60 Stellen Rechnung zu tragen. für das Jahr 1988 veranschlagt. Diese Verbesserung sollte insbesondere der Zivilge­ Ich ging auf das schon mehrmals im Ausschuß disku­ richtsbarkeit zugute kommen. Im einzelnen seien vor­ tierte automationsunterstützte Grundbuchverfahren gesehen: 25 Richterstellen, 15 Stellen für den geho­ kurz ein. Die Entwicklung dieses Verfahrens am benen Justizdienst, 10 Stellen für Gerichtsvollzieher, Amtsgericht in Schweinfurt habe ich verfolgen kön• 10 Stellen für den einfachen Justizdienst. Dabei seien nen. Dort habe sich Oberamtsrat Schweiger als Ge­ auch Stellen für Bewährungshelfer - wenn auch nicht schäftsstellenleiter und Leiter des Grundbuchamtes so viele, wie in einem SPD-Antrag gewünscht werden in jahrelanger Kleinarbeit unter großen zeitlichen und - vorgesehen. Zusätzlich wolle die CSU Mittel für 60 finanziellen Opfern mit der Materie befaßt. Er habe Angestellte im mittleren Dienst bereitstellen, um ins- sich selbst eine Anlage zu Hause angeschafft und in Plenarprotoko11 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode 1741

(Baumann [CSU]) dürften nie vergessen, nach den Ursachen der Kon­ flikte, die zu Gerichtsverfahren und auch zu Freiheits­ seiner Freizeit die Programme zusammengestellt. Er habe das Schweinfur1er Modell „Solum" entwickelt. strafen führten, zu fragen. Die Zunahme der Stellen­ Dieses Schweinfurter Modell sei in Verbindung mit forderungen aus der Justiz während der ganzen letz­ Siemens inzwischen erprobt und an mehreren Grund­ ten Jahre habe sicher ihren Grund darin, daß die Kon­ buchämtern eingesetzt. Staatsminister Lang sei mit flikte zunähmen, vielleicht technikbedingt oder bevöl• der Spitze der Justiz im vergangenen Jahr in kerungsbedingt. DIE GRÜNEN bedauerten es, daß Schweinfurt gewesen. Er sei über diese Lösung er­ immer mehr Konflikte im politischen Bereich juri­ freut und voll des Lobes gewesen. Inzwischen hätten stisch gelöst werden müßten und daß der Justizvoll­ sich mehrere Bundesländer um das Modell „Solum" zug durch die Konflikte um große Bauprojekte, die in in Schweinfurt bemüht. Im Haushalt seien Mittel vor­ der Öffentlichkeit keinen Konsens fänden, sehr stark gesehen, um weitere Grundbuchämter auszustatten. belastet werde. Der Mitberichterstatter wies auf die Mit diesem Verfahren würden dem Staat etliche Mil­ Aussage im Entwurf des Einzelplans 04 hin. Daß die lionen erspart. Grenze der Belastbarkeit bei Gerichten und Staatsan­ waltschaften weit überschritten sei, dürfe nicht ein­ Aufgrund eines aktuellen, überraschenden Falles sei fach hingenommen werden, denn die Bürger, die zum im Zusammenhang mit dem Grundbuch das Lose­ blattsystem anzusprechen. Bereits bei den Beratun­ Gericht gingen, könnten zu Recht eine Entscheidung gen 1985/86 sei im Senat die Frage der Sicherheit bei in angemessener Zeit erwarten. Loseblattgrundbüchern bei der Umschreibung disku­ Mitberichterstatter Kamm führte weiter aus, die jährli• tiert worden. Damals habe ich mich für das System chen Schäden, die durch die klassische Einbruchs­ ausgesprochen. Ich empfehle der Verwaltung, wie es und Raubkriminologie entstünden, bezifferten sich auch der Senat erneut getan hat, bei dem Loseblatt­ auf drei bis vier Milliarden DM, die jährlichen Schäden system in der Grundbuchführung durch strenge Vor­ im Bereich der Wirtschaftskriminalität aber auf 30 bis sorge den Mißbrauch von Eintragungen auszuschlie­ weit über 100 Milliarden DM, wobei Steuerhinterzie­ ßen, damit dieser Vorgang ein Einzelfall bleibe. hung noch gar nicht einkalkuliert sei. Als Berichterstatter bat ich Frau Justizminister Dr. Die Schäden bei der Umweltkriminalität schätzte Berghofer-Weichner, auf die Frage einer besseren Staatssekretär Dr. Vorndran im Jahr 1985 auf 439 Mil­ Unterbringung des Bayerischen Obersten Landesge­ lionen DM. Bundesweit entstünden durch die Um­ richts einzugehen, die ebenfalls bereits im Senat an­ weltkriminalität Schäden pro Jahr zwischen sieben gesprochen worden sei. und zehn Milliarden DM. Die veranschlagten Baumittel stiegen von 78,3 Millio­ nen DM im Jahr 1986 auf 81,3 Millionen DM im Jahr Herr Kamm bat die Staatsregierung um Auskunft, wie 1987 und auf 83,7 Millionen DM im Jahr 1988. Davon viele Umweltstraftäter in Bayern mit einer Freiheits­ entfielen im Jahr 1987 68,5 Millionen DM und 1988 strafe in den letzten Jahren bedacht worden seien. 70952100 DM auf den Hochbau. Für Gerichtsge­ Zum Strafvollzug äußerte Mitberichterstatter Kamm, bäude seien 26,850 Millionen DM und 29,940 Millionen die Gefängnisse seien überlastet. Der Etat sehe so­ DM und für die Vollzugsanstalten jeweils ca. 41 Millio­ gar Schulungsmaßnahmen für das Personal vor, um nen DM veranschlagt. mit der Überbelegung zurechtzukommen. Möglicher• Das bedeute, daß 19 neue staatliche Hochbaumaß• weise könnte in manchen Kriminologiebereichen statt nahmen in den Haushaltsentwurf eingestellt werden zu Freiheitsstrafen zu anderen Methoden gegriffen könnten, davon 12 für Gerichte und Staatsanwalt­ werden, siehe die Untersuchungshaft. schaften und sieben für Justizvollzugsanstalten. Dazu In den heutigen Gefängnissen sei eine Resozialisie­ komme die Nachschubliste. Diese Bauten seien über rung kaum möglich. Der Staat müsse sich um andere das gesamte Land verteilt. Die Namen der Standorte gebe ich zu Protokoll: Formen der Resozialisierung von Straffälligen bemü• hen; Experimente würden bereits gemacht. Sie betreffen bei Geri.chten und Staatsanwaltschaften die Orte München, Mühldorf, Passau, Augsburg, Mem­ Der Mitberichterstatter meinte, es sei ein unerträgli• mingen, Neustadt a. d. Aisch, Schwabach, Nürnberg, cher Skandal, daß die Zahlenrelation von Personal zu Bamberg, Schwandorf und Neumarkt i. d. Oberpfalz; Insassen der Justizvollzugsanstalten in Bayern am bei den Justizvollzugsanstalten die Orte Landsberg, schlechtesten unter allen Bundesländern sei. Auch Kempten, Nürnberg, Ebrach, Bayreuth, Hof, Amberg so­ hätten DIE GRÜNEN festgestellt, daß die Gefangenen u1ie - u'ie sich aus der vorgelegten Nachschubliste er­ in den Justizvollzugsanstalten keine Eigenverantwor­ gebe - drei Sicherheitsbaumaßnahmen bei den Justiz­ tung lernen könnten, wegen des von außen vorgege­ vollzugsanstalten München, Straubing und Landsberg. benen Zeitplans des täglichen Ablaufs. Auch fehle das soziale Training, um Konflikte gewaltfrei zu lösen. Meine Berichterstattung beendete ich mit einem Dank an alle Bediensteten der Justiz für ihren großar• Mitberichterstatter Kamm wies darauf hin, Anfang tigen Arbeitseinsatz. dieses Jahrhunderts habe ein Kriminologe in einer Untersuchung festgestellt, daß die Wahrscheinlich­ Mitberichterstatter Kamm führte aus, er betrachte keit, nicht wieder straffällig zu werden, bei Jugendli­ die Justiz als institutionalisierte Konfliktlösung in ei­ chen, die das erste Mal straffällig würden, wesentlich ner weiterentwickelten Gesellschaft. Die Politiker höher sei, wenn sie nicht erwünscht würden, weil ihre 1742 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Baumann [CSU]) krintinalität bestehe eine u1eitgehende Konzentration. In Bayern seien bei sieben Landgerichten Wirtschafts­ kriminelle Karriere im Gefängnis eigentlich erst be­ strafkammern gebildet und ihnen Schu·erpunktstaats­ ginne. anwaltschaften zugeordnet. Die Erfahrungen damit Der Mitberichterstatter führte weiter aus, für die Re­ seien gut. sozialisierung der Strafgefangenen wäre es unbe­ DfE GRÜNEN beantragten eine zusätzliche Kammer dingt notwendig, die Arbeit in den Justizvollzugsan­ stalten zu bezahlen. Nach Zeitungsmeldungen sei der und eine zusätzliche Staatsanu·altschaft in München durchschnittliche Schuldenstand der Strafentlasse­ zur Verfolgung von Straftaten gegen die sexuelle nen in den letzten Jahren gestiegen. Wer mit Schul­ Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen. 1'./ach­ den aus einem Gefängnis herauskomme, habe es au­ deni Staatsanwaltschaften aber nie auf die Verfolgung ßerordentlich schwer, die Schulden zurückzuzahlen bestimmter Straftaten beschränkt seien, sei die Schaf­ und anschließend ein sozial angepaßtes Leben zu fung einer weiteren Staatsanwaltschaft in München für führen. den angegebenen zu,eck nicht möglich, aber auch nicht notu·endig. So u•urde der .4ntrag mehrheitlich abge­ Mitberichterstatter Kamm erkundigte sich, ob es im lehnt. Justizministerium weitere Überlegungen hinsichtlich 1 eines Rechtspflegeministeriums gebe und ob mittler­ Der Antrag der SPD, u. eitere 30 Beu·ährungshelfer ein­ 1 weile die schwerwiegenden Bedenken des Daten­ zustellen, u eil derzeit ein Beu'ährungshelfer 60 Pro­ schutzbeauftragten gegen die Behinderung seiner banden betreuen niüsse, wurde von der CSLT-Mehrheit Arbeit durch das Justizministerium ausgeräumt seien. nlit dem Hinu,eis abgelehnt, es 1Dürden acht neue Stel­ len für Bewährungshelfer geschaffen, u.1eitere u 1ären Mitberichterstatter Kamm erkundigte sich auch, wo­ wünschensu1ert, aber aus finanziellen Gründen sei dies für die Mittel für Roh- und Betriebsstoffe verwendet nicht möglich. würden, ob eventuell für lntensivtierhaltung. Ein u1eiterer Antrag der SPD, zehn zusätzliche Plan­ Bei der Beratung der Einzelanträge wurde der Antrag stellen für Werkmeister zu schaffen, um die Ausbil· der CSU, neben den bereits 200 im Entwurf vorgese­ dungsmöglichkeiten für Jugendliche in den Gefängnis• henen neuen Stellen weitere 60 Beamten- und 60 An­ sen zu verbessern, u 1urde, nachdem Bayern bei der .4us­ gestelltenstellen zu genehmigen, einstimmig be­ stattung mit Werkdienstpersonal in den Gefängnissen schlossen. an vierter Stelle unter den Bundesländern stehe und Die Anträge der SPD und der GRÜNEN, die im we­ die derzeitigen Bedürfnisse befriedigt U'erden könnten, sentlichen weitere Stellenmehrungen forderten und niehrheitlich abgelehnt. höhere Haushaltsansätze beinhalteten, wurden aus fi­ Dem Antrag der GRÜNEN auf Auf.,tockung der Mittel nanziellen und sachlichen Gründen mit den Stimmen für Gefangenenpflege, um der CSU abgelehnt. Aus Zeitgründen gebe ich nähere Angaben über die Einzelanträge zu Protokoll: a) den Gefangenen ein breiteres Angebot allgemeinbil­ dender Maßnahmen anbieten zu können, (Beifall bei der SPD - Abg. Hiersemann: Das ist gut so!) b) niehr Bücher und Zeitschriften, insbesondere auch juristische Ji'achliteratur zur Verfügung stellen zu - Das meine ich auch. können, In der Einzelberatung u·urden Anträge auf Verbesse­ rung der Personalausstattung der Gerichte und Staats­ c) eine Besserstellung der Y,,„ersorgung der Gefangenen anu1altschaften neben den im Entu,urf vorgesehenen zu erreichen, 200 neuen Stellen eingebracht. u1urde mehrheitlich nicht zugestinimt, nachdeni kein Der CSU-Antrag auf Erhöhung der Stellen um 60 Be­ Bedarf für die beantragten Erhöhungen der Ansätze arnte und 60 Angestellte Ll'Urde einstimmig beschlos­ für Gefangenenpflege gegeben sei. Das Angebot an all­ sen, u1ährend der Antrag der SPD, nochmals 120 Be­ gemeinbildenden Weiterbildungsmaßnahmen sei viel­ amten- und 150 Angestelltenstellen zu schaffen, mehr­ fältig. Sou·eit in einzelnen Anstalten Engpässe bei den heitlich abgelehnt u·urde. Büchereien bestünden, könnten diese im Rah"ien des Haushaltsansatzes beseitigt u'erden. Die Verpflegung Der Antrag der SPD auf Fortschreibung des Justizent­ der Gefangenen U'erde immer u1ieder emährungsu1is• u.Jicklungsplans mit Konsequenzen in der Personalaus­ senschaftlich untersucht und dabei als gut beurteilt. stattung u1urde mehrheitlich abgelehnt. Weil das Mini­ sterium selbst den Personalbedarf feststellen könne, Der Antrag der GRÜNEN „Modellversuch Therapie brauche es keinen Entu·icklungsplan. Entscheidend sei statt Strafe" hat zum Ziel, daß Alkoholkranke und dro­ immer die Haushaltslage. genabhängige Straffällige im Rahmen eines Modellver­ suchs die Möglichkeit haben sollten, an Therapien der DIE GRÜNEN beantragten U'egen der besonderen freien Wohlfahrtspflege zusammen mit anderen Sucht­ Schu1ierigkeiten in der Verfolgung von Wirtschafts­ kranken teilzunehmen. Der Antrag wurde mit Mehrheit und Umu1eltkriminalität für jeden Regierungsbezirk abgelehnt, nachdem die .Möglichkeiten der Therapie eine zusätzliche Kammer und eine zusätzliche Staats­ für straffällig gewordene Drogenabhängige und Alko­ anu.•altschaft. Mehrheitlich u.1urde der Antrag mit der holkranke in Bayern voll ausgeschöpft u·erden. Begründung abgelehnt, daß bei Umweltdelikten eine überregionale Konzentration nicht u1ünschensu1ert sei. Der letzte Antrag, nochmals von den GRÜNEN, befaßte Ortsnähe und Verbindung zu den örtlichen Umu>elt­ sich mit der Aufstockung der Mittel für Gefangenen­ schutzbehörden seien ivichtig. Bei der Wirtschafts- und Entlassenenfürsorge. Nachdem die bisherigen An- Plenarprotokoll 11 /28 v 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1743

(Baumann [CSU]) deswegen geeignet, das vorgegebene Spannungs­ verhältnis zwischen Politik, Verwaltung und Rechts­ sät.ze ausgereicht haben, u_1urde der Antrag rnehrheit­ lich abgelehnt. pflege auszugleichen. Mehrheitlich wurden die Eingaben mit der Verab­ Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dieser schiedung des Einzelplans 04 für erledigt erklärt. Haushaltsrede bitte ich nicht nur um die Verabschie­ dung des Einzelplanes 04. Ich werbe bei Ihnen und al­ An der allgemeinen Diskussion beteiligten sich die len Bürgerinnen und Bürgern auch um Vertrauen - Kollegen Dr. Wilhelm, Gausmann, Frau Kollegin Mar­ um Vertrauen in die bayerische Justiz. tini und Kollege Dobmeier. Zu ihren Beiträgen und den darin aufgeworfenen Fragen, auf die ich nicht nä• Rechtsstaat und Rechtspflege leben aus dem Ver­ her eingehen will, weil sie in der anschließenden Aus­ trauen der Bürger, daß unabhängige Gerichte die sprache sicher erneut aufgegriffen werden, nahm die Wahrung der Gesetze garantieren. Dieses Vertrauen Frau Staatsministerin der Justiz Stellung. muß sich die Justiz Tag für Tag aufs neue erwerben: Die vom Haushaltsausschuß zum Einzelplan 04 vorge­ - durch gründlich überdachte, schnelle und überzeu- schlagenen Änderungen liegen Ihnen auf Drucksache gende Entscheidungen, 11/1918 vor. - die durch Richter und Staatsanwälte gefällt wer­ Ich bitte. dem Etat des Justizministeriums in der vom den, die auf Grund ihrer Person und ihrer Amtsfüh• Haushaltsausschuß vorgeschlagenen Fassung zuzu­ rung als Garanten der Rechtsgewährung angese­ stimmen. Danke schön. hen werden. (Beifall bei der CSU) Ich möchte auf diese Aspekte im folgenden eingehen und sie mit meinen Anmerkungen zu den vor uns lie­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Vielen Dank. genden Haushaltsjahren verknüpfen. Herr Kollege Baumann, für Ihre ausführliche Bericht­ erstattung. Aufgabe der Gerichte ist es, materielle Gerechtigkeit und Rechtsfrieden zu schaffen. Der Bürger erwartet Das Wort hat die Frau Ministerin der Justiz! auch in den schwierigsten Fällen die nach Recht und Gesetz richtige, gerechte Entscheidung. Um dieses Frau Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner: Herr Vertrauen nicht zu enttäuschen, müssen an die Quali­ Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! tät richterlicher Entscheidungen stets hohe Anforde­ Ich freue mich, daß ich heute zum ersten Mal die Auf­ rungen gestellt werden. gabe habe, Ihnen den Haushalt meines Ressorts vor­ zutragen. Dabei möchte ich den Versuch machen, Ih­ Vertrauen in den Rechtsstaat setzt aber auch voraus, nen diese angeblich so trockene Materie der Justiz in daß verletztes Recht ohne Verzug wiederhergestellt ihrer Verflechtung mit fast allen Lebensvorgängen ein wird. Verpflichtung der Bürger zur Rechtstreue und bißchen lebendig zu machen. Anspruch auf Durchsetzung eigener Rechtspositio­ nen in angemessener Zeit gehören untrennbar zu­ Der Entwurf des Einzelplanes 04 des Staatsministe­ sammen. riums der Justiz weist für den Doppelhaushalt 1987 /88 ein Volumen von ca. drei Milliarden DM aus. Meine Damen und Herren! Mir ist es ein ganz beson­ Das sind nur knapp vier Prozent der Ausgabenmittel deres Anliegen, an dieser Stelle auf die eminente des Freistaates Bayern im Gesamthaushalt. Bedeutung rascher Rechtsgewährung für unser Wirtschaftsleben hinzuweisen: Die B e d e u t u n g d e s S t a a t s m i n i s t e - r i u ms der J u s t i z für den Erhalt und die Siche­ Erstens. Es gibt keinen besseren Weg, nicht nur rung unseres freiheitlich-demokratischen Rechts­ menschliche, sondern auch geschäftliche Beziehun­ staates läßt sich nicht aus diesen knappen Zahlenan­ gen zu zerstören, als ein sich über Jahre und über gaben, sondern nur aus der Funktion der rechtspre­ mehrere Instanzen hinziehender Prozeß. chenden Gewalt erschließen: Den Gerichten ist durch das Grundgesetz die Wahrung des Rechts anver­ Zweitens. Wir dürfen uns nicht der Illusion hinge­ traut; nur das Recht kann Freiheit, Sicherheit und Ge­ ben, daß der Richterspruch das Rad der Zeit zurück• rechtigkeit gewährleisten. Freilich: Die Idee von dreht und den Zustand bei Einleitung des Prozesses Recht und Gerechtigkeit verwirklicht sich nicht von wiederherstellt. Während der Dauer des Rechtsstrei­ selbst; sie bedarf zu ihrer Umsetzung personeller, fi­ tes bleibt die Zeit doch nicht stehen! Der Markt ver­ nanzieller und sachlicher Mittel. Die Justizverwaltung ändert sich, die Wirtschaft entwickelt sich weiter, die stellt diese Mittel bereit, die Sie, meine Damen und finanziellen Bedingungen bleiben nicht gleich. Einge­ Herren, bewilligen. Vollziehende und gesetzgebende klagte Forderungen haben nach drei Jahren Rechts­ Gewalt ermöglichen so den unabhängigen Gerichten streit möglicherweise nur noch nominal denselben gemeinsam ihre Aufgabenerfüllung und tragen damit Wert wie bei Prozeßbeginn. zur Verwirklichung des Rechtsstaats Drittens. Gerade bei kleinen und mittelständi• bei. schen Betrieben können wichtige unternehmerische Damit ist das Justizministerium von seiner Aufgaben­ Entscheidungen von der Realisierung streitiger For­ stellung her das klassische Ressort, das nicht die derungen abhängen. Welcher Handwerker kann es Macht des Staates, sondern seinen Rechtswillen sich denn leisten, Geldmittel zu investieren, solange repräsentiert. Wie kein anderes Ressort ist es ihr Zufluß wegen eines darüber anhängigen Prozes- 1744 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) der Gesetzgeber zur Verfügung gestellt hat. Jeder ses unsicher ist? Wir haben genug Investitionshemm­ einzelne Verfahrensschritt sollte jedoch in der kür• zestmöglichen Zeit abgewickelt werden. nisse' Die Dauer von Zivilprozessen muß nicht noch dazu kommen. Unsere Gerichtssäle dürfen nicht zum Schnelligkeit ist aber nicht alles. Die Qualität der Friedhof unternehmerischer Entscheidungen werden! Rechtsprechung hängt wesentlich auch von der Gründlichkeit und der Überzeugungskraft der Ent­ Zu 1et z t: Welcher Gläubiger wird auf die Justiz ver­ scheidungen ab. Für jeden Bürger ist sein Prozeß der trauen, wenn der säumige Schuldner die Dauer des wichtigste. An seiner Behandlung wird er den Stellen­ Rechtsstreits als Stundung oder Kreditierung der ein­ wert und das Ansehen der Justiz insgesamt messen. geklagten Summe mißbrauchen kann? Durch das G e s p r ä c h zwischen den Prozeßbetei• Deshalb gilt: „Der beste Urteilsspruch nützt wenig, ligten, durch die mündliche Erörterung des Sach- und wenn er zu spät kommt. Nur schnelles Recht ist auch Rechtsstoffes vor Gericht müssen der Vorgang der gutes Recht." Rechtsfindung und das Ergebnis verständlich ge­ macht werden. Das Gespräch fördert aber nicht nur (Beifall bei der CSU) die Akzeptanz der Entscheidung, ohne Gespräch ist Und das beste Urteil hilft dem erfolgreichen Kläger auch eine einvernehmliche Konfliktbereinigung nicht wenig, wenn wegen Überlastung der Vollstreckungs­ denkbar. Das Urteil hinterläßt ja immer mindestens gerichte und Gerichtsvollzieher eine zügige Vollstrek­ einen Unzufriedenen, während der Vergleich die kung nicht möglich ist. Gerät der Schuldner in Vermö• Chance bietet, daß beide Parteien, wenn auch nicht gensverfall, so ist der vollstreckbare Titel oft nicht voll befriedigt, so doch befriedet auseinandergehen. einmal das Papier wert, auf das er geschrieben ist. Kurz gesagt: Das Gespräch macht Justiz bürgernah. Die Existenz eines kleinen Handwerksbetriebs kann Das Gespräch braucht aber auch Zeit, braucht einen Richter, der nicht von Terminen überlastet ist. schon von einer nicht durchsetzbaren Forderung von 20000 oder 30000 DM abhängen. Bürgernähe beschränkt sich nicht auf den Versuch, Entscheidungen verständlich und akzeptabel zu ma­ Möglicherweise fehlt gerade dieses Geld, um drin­ chen. Bürgernähe kann auch bedeuten, der Bevölke• gende eigene Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die 20000 rung o r t s n a h e J u s t i z e i n r i c h t u n g e n zur DM in der Konkursmasse sind nicht mehr die vor Jah­ Verfügung zu stellen. Wo der Bürger die Verhältnisse ren eingeklagten 20000 DM! Wer einmal jahrelang auf kennt, wo er sich heimisch fühlt, wird er leichter dar­ das ihm zustehende Geld gewartet hat, weiß den auf vertrauen, daß seinem Anliegen mit Verständnis Wert zügiger gerichtlicher Durchsetzung zu schät• begegnet wird. Dies ist ein wesentlicher Grund, zen. warum im Jahre 1988 in 1ngo1 stad t ein w e i - (Beifall bei der CSU) t er es Landgericht samt einer Staatsanwalt­ schaft eingerichtet werden soll. Die geplante Ände­ Ein weiterer Gesichtspunkt darf hier nicht unerwähnt rung der Gerichtsorganisation geht auf einen Be­ bleiben: die negativen Auswirkungen der langen Ver­ schluß des Bayerischen Landtags vom 5. April 1979 fahrensdauer bei überlasteten Grundbuchämtern. zurück, der nach Vollendung der Baumaßnahmen mit Der Markt fordert häufig rasches Handeln. Wenn aber einem Errichtungsgesetz nun verwirklicht werden die Eintragung einer Auflassungsvormerkung meh­ kann. Erstmals seit der reichseinheitlichen Festle­ rere Monate benötigt, wird die Wirkung einer schnel­ gung der heutigen Gerichtsorganisation im Jahre len Entscheidung für einen Grundstückskauf in ihr 1879, also seit mehr als 100 Jahren, wird nunmehr in Gegenteil verkehrt. Oder, noch wichtiger: Die Grund­ Bayern ein Landgericht neu errichtet. stücksbeleihung darf als das klassische Mittel der Kreditbeschaffung und -sicherung nicht ausfallen, Die Umsetzung von Gesetzen erfolgt durch Men­ schen; die Gesetze bleiben _totes Papier, wenn sie weil der Vollzug im Grundbuch Monate dauert. Der nicht von Menschen mit Leben erfüllt werden. Des­ Baubeginn und damit die Beschäftigungssituation im halb ist die Person des R ich t er s von so we­ Baugewerbe sind von der zügigen Abwicklung weit­ sentlicher Bedeutung. So wenig wie der Lehrer wird gehend abhängig. der Richter je von einem Computer ersetzt werden Nicht nur die Zivilrechtspflege fordert in allen Berei­ können. In ihn muß der Bürger Vertrauen setzen; ihn chen Rechtsgewährung in angemessener Zeit. Im muß er als Garanten der Rechtsgewährung anerken­ Strafrecht bedeutet verzögerte Gerechtigkeit verwei­ nen. Persönliche Glaubwürdigkeit ist dafür ebenso gerte Gerechtigkeit, wenn ein Tatvorwurf erst nach notwendige Voraussetzung wie richterliche Unabhän• jahrelangem Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren aus gigkeit. Erforderlich sind aber auch die Fähigkeiten, der Welt geschafft wird. Andererseits müssen Strafta­ geduldig anzuhören, weise zu antworten, vernünftig ten rasch aufgeklärt, angeklagt und abgeurteilt wer­ zu erwägen und unparteiisch zu entscheiden. den, damit sich die präventive Wirkung des Straf­ (Sehr richtig! bei der CSU) rechts entfalten kann. Dies bedeutet nicht, daß „kur• zer Prozeß gemacht wird", sondern daß Strafverfah­ Wo Richter diese Anforderungen - schon von Sokra­ ren im Interesse der Rechtsstaatlichkeit zügig durch­ tes einst erhoben - erfüllen, wird der rechtsprechen­ geführt werden. Daß die Ausschöpfung der Summe den Gewalt Vertrauen nicht versagt werden. der den Beteiligten zur Verfügung stehenden lnstan­ Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Richter zenzüge dann oft doch eine ansehnliche Zeit ergibt, pflückt man nicht wie reife Früchte von den Bäumen - liegt im wohlerwogenen System der Rechtsmittel, die unser Justiznachwuchs muß sorgfältig und verant- PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1745

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) tragen und mit neuartigen, schwer aufzuklärenden wortungsbewußt ausgebildet werden. Es gilt, jungen Formen der Kriminalität zu kämpfen. Sie müssen im­ Menschen in einer sie prägenden Lebensphase nicht mer wieder damit fertig werden, daß ihr gesetzlich ge­ nur juristische Kenntnisse, sondern auch ein sicheres botenes Einschreiten auch über die unmittelbar Be­ Gespür für das Wesen und die Bedeutung des troffenen hinaus auf Unverständnis, Ablehnung oder Rechts und nicht zuletzt auch Verständnis für wirt­ gar Feindseligkeit stößt. Um so wichtiger ist für die schaftliche und soziale zusammenhänge zu vermit­ Strafverfolgungsbehörden das Bewußtsein, daß sie teln. bei ihrem Handeln Rückhalt nicht nur in der Bevölke• Ich stelle mit großer Befriedigung fest, daß schon die rung, sondern auch bei den politisch Verantwortli­ bayerischen Universitäten sich dem Ziel eines praxis­ chen und auch im Parlament haben. Um diesen Rück• nahen und aufgeschlossenen Juristen verpflichtet halt, um diese moralische Unterstützung bitte ich Sie. fühlen. Die Hauptlast der Erziehung zu praktischer Vertrauen schließt Kritik nicht aus. Vertrauen darf Arbeit am Recht tragen aber die Justizorgane und die auch nicht die Augen vor den Ge f a h r e n ver­ Verwaltungsbehörden im Vorbereitungsdienst. Die schließen, die dem Ansehen der Justiz und ihrer Or­ Zahl der Rechts r e f er end a r e ist in jüngster gane drohen: Zeit dramatisch angestiegen. Derzeit stehen über 4000 junge Juristen im Vorbereitungsdienst. Diese Der Bürger erwartet vor Gericht nicht politische Par­ Zahl wird sich in der nächsten Zeit noch weiter erhö• teinahme, sondern von sachfremden Einflüssen freie, hen. Was hier ohne jede Entlastung insbesondere unabhängige Entscheidungen über kontroverse von unseren Richtern und Staatsanwälten an aufop­ Sachverhalte, Anschauungen und Meinungen. Wie fernder Ausbildungsarbeit geleistet wird, bedarf aus­ soll er Vertrauen zu einem Richter haben, der sein drücklicher Anerkennung. Richteramt dazu benutzt, in Zeitungsanzeigen für (Beifall bei der CSU) seine eigenen politischen Ansichten zu werben? Ich habe allerdings erhebliche Zweifel, ob bei weiter (Beifall bei der CSU) steigenden Zahlen diese zusätzliche Arbeit noch in Hierin sehe ich schlicht und einfach den M i ß - verantwortbarer Weise geleistet werden kann. Wir brauch der Amts s t e 11 u n g mit dem Ziel, das müssen unbedingt zusätzliche personelle Ausbil­ dem Richteramt von der Verfassung verliehene und dungskapazitäten schaffen, auch wenn dies weitere von der Öffentlichkeit gewährte Vertrauen für die finanzielle Mittel erfordert. Dem Überlastprogramm Durchsetzung der eigenen politischen Auffassung in der Hochschulen muß ein Überlastprogramm für die Anspruch zu nehmen. Referendarausbildung folgen. Investitionen in die Ausbildung sind die lohnendsten Investitionen, die es (Beifall bei der CSU) gibt; sie sind Investitionen für die Zukunft unseres Erst recht wird dort, wo politisierende Richter, Staats­ Rechts und unseres Staates. Da wir in den nächsten anwälte und Rechtsanwälte durch Sitzblockaden de­ Jahren besonders viele junge Juristen in den Beruf monstrativ Gesetze übertreten, das Vertrauen in die entlassen, ist es um so wichtiger, sie für ein sicherlich Organe der Rechtspflege und damit das Vertrauen in nicht immer einfaches Berufsleben bestmöglich aus­ zubilden. den Rechtsstaat untergraben. Meine Damen und Herren! Für mich ist sicher, auf­ (Beifall bei der CSU) grund ihrer gründlichen Ausbildung, ihrer Persönlich• Für mich stellt sich deshalb die Frage: Wo wird der keit und ihrer Amtsführung verdienen unsere bayeri­ Rechtsstaat bleiben, wenn diejenigen, die zur Wah­ schen Richter Vertrauen; ich muß hinzufügen: und rung von Recht und Gesetz berufen sind und dafür unsere bayerischen Richterinnen! Denn immer mehr auch eine besonders geschützte und hervorgeho­ Frauen werden als Richterinnen in den bayerischen bene Stellung haben, den Rechtsbruch demonstrativ Justizdienst aufgenommen. vorexerzieren? (Allgemeiner Beifall) (Beifall bei der CSU) 1986 waren bereits 37 Prozent der Neueinstellungen Frauen; dieser Prozentsatz ist höher als der prozen­ Mit Befriedigung habe ich festgestellt, daß sich baye­ tuale Anteil der Teilnehmerinnen am Zweiten Juristi­ rische Richter und Staatsanwälte an der Blockade in schen Staatsexamen. Als Staatsministerin der Justiz Mutlangen nicht beteiligt haben. Mit Befriedigung freut mich diese Entwicklung besonders. Aus eigener habe ich auch zur Kenntnis genommen, daß diese un­ Erfahrung kann ich hinzufügen: Die Justiz war immer würdige Aktion in der Öffentlichkeit auf nahezu ein­ schon frauenfreundlich. Dies ist vielleicht Ausfluß des hellige Ablehnung gestoßen ist. Gerechtigkeitsprinzips: Ohne Ansehen der Person, (Beifall bei der CSU) ohne Frage, ob Mann oder Frau einzustellen ist. Das Rechtsstaatsprinzip und die ihm innewohnende (Allgemeiner Beifall) Idee der Gerechtigkeit fordern, daß die Funktionsfä• Ich freue mich, daß mir gerade dieses Ressort anver­ higkeit der Rechtspflege gewährleistet ist. Die bayeri­ traut worden ist. sche Justiz konnte ihre Aufgabe in der Vergangenheit Vertrauen verdienen aber auch die Strafverfolgungs­ erfüllen; sie wird sie auch in der Zukunft meistern. behörden. Staatsanwaltschaft und Polizei haben nicht Davon bin ich überzeugt, wenn auch die Probleme nur die Last einer steigenden Zahl von Verfahren zu immer drängender werden: 1746 Bayerischer Landtag 11 _Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24_ 06. 87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) satzbereitschaft der Bediensteten ein an den Interes­ sen der Gesellschaft und der Strafgefangenen orien­ Wie mein Vorgänger muß auch ich eindringlich auf die tierter verantwortungsbewußter Behandlungsvollzug weiter ansteigende G e s c h ä f t s 1 a s t der Ge­ gewährleistet werden. richte, der Staatsanwaltschaften und des Strafvoll­ zugs hinweisen: Die im Haushaltsentwurf vorgesehenen und durch den Haushaltsausschuß zusätzlich in Aussicht ge­ - 1986 haben die Strafgerichte in Bayern über stellten Stellenmehrungen werden mit Sicherheit für 200000 Strafverfahren, die Staatsanwaltschaften die Justiz eine gewisse Entlastung bringen. über 400000 Ermittlungsverfahren erledigt. Das Ich bedanke mich deshalb herzlich bei allen Kollegin­ sind gewaltige Zahlen, zumal wenn man bedenkt, nen und Kollegen, die Verständnis für die Probleme daß die Verfahren immer komplizierter und umfang­ der Justiz gezeigt und Mithilfe an ihrer Lösung zuge­ reicher werden. Ich weise nur auf den Bereich der sagt haben. Nach vier Jahren, in denen die Justiz die Umwelt- und der Wirtschaftskriminalität hin. steigende Verfahrensflut ohne personelle Verstärkun• - Einer ungebrochenen Flut von Prozessen sehen gen bewältigen mußte, bedeuten die hoffentlich heute sich auch die bayerischen Zivilgerichte gegenüber: bewilligten Stellenmehrungen einen ersten wichtigen 1986 sind insgesamt 240000 neue Prozesse ange­ Schritt in eine der Belastung angemessene perso­ fallen. Die Zivilgerichtsbarkeit hatte damit im Jahre nelle Ausstattung der Justiz. 1986 rund 40 Prozent mehr neue Verfahren zu be­ Meine Damen und Herren' Die Funktionsfähigkeit der wältigen als 1980. Justiz hängt in nicht geringem Maße von den zur Ver­ fügung stehenden Hilfsmitteln ab. Die für das rechts­ Um Mißverständnissen sofort vorzubeugen: Das sind staatliche Bewußtsein wichtige Einschätzung der Ju­ keine „hausgemachten" Verfahren eines „selbstge• stiz beim rechtsuchenden Bürger wird mitgeprägt strickten Arbeitsbeschaffungsprogramms" der Ju­ von den äußeren Erscheinungsformen, deren wesent­ stiz. Das Gesetz fordert ein Tätigwerden der Rechts­ licher Teil die Unterbringung und die Arbeitsbedin­ pflege. Sie kann sich diesem Auftrag nicht entziehen. gungen sind. Richter und Staatsanwälte und alle anderen Angehö• Ich sehe deshalb in einem bedarfsgerechten Aus - rigen der Justiz haben diese Verfahrensflut bislang bau der Justizgebäude und der Justiz­ mit engagiertem Einsatz, Fleiß und loyaler Mitarbeit v o 11 zu g s ans t a 1t e n einen der Schwerpunkte bewältigen können. Häufig sind sie dabei weit über meiner Aufgabe: ihre Pflicht hinaus ihren Aufgaben im Dienste der Nach wie vor gibt es zahlreiche Gebäude, die drin­ Rechtspflege nachgekommen. Hierfür gebührt ihnen gend einer Sanierung, eines Umbaues oder einer Er­ Dank und Anerkennung. weiterung bedürfen. Und es besteht Raumbedarf, der (Beifall bei der CSU) nur durch Neubauten gedeckt werden kann. In allen Teilen des Landes gibt es Sorgen, die in München Das bedeutet jedoch nicht, daß die ständige Mehrbe­ beim Bayerischen Obersten Landesgericht beginnen, lastung auch künftig weiter verkraftet werden kann. sich beim Münchener Grundbuchamt steigern und Die Belastungsgrenze der Justiz ist erreicht. Wenn die Justiz in Würzburg ebenso umfassen wie die die Verfahrensflut anhält, wird es irgendwann zur Amtsgerichte z.B. in Passau und Neumarkt. Das Überschwemmung kommen. Dann wird der Bürger Bayerische Oberste Landesgericht muß an einem unvertretbar lange warten müssen, bis er sein Recht dem Rang dieses Gerichtes angemessenen Standort bekommt, sofern nicht proportional dazu weitere Per­ in München untergebracht werden. Der Bayerische sonalverstärkungen erfolgen können. Senat hat erneut eine entsprechende Empfehlung in Besonders hohe Steigerungsraten bestehen auch im seine gutachtliche Stellungnahme zum Haushaltsent­ wurf aufgenommen. Ich bin hierfür außerordentlich Gerichts v o 11 ziehe r dienst. Wegen der er­ dankbar und hoffe auch auf die Unterstützung dieses heblichen Bedeutung einer wirkungsvollen Zwangs­ Hohen Hauses bei künftigen Entscheidungen. vollstreckung für das Wirtschaftsleben und das Rechtsbewußtsein des Bürgers hat sich das Staats­ Von großer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der ministerium der Justiz besonders bemüht, hier durch Justiz ist auch eine bessere t e c h n i s c h e Aus - Personalumsetzungen abzuhelfen. Zwar steht Bayern stattung der Gerichte und Staatsan­ im Vergleich zu allen übrigen Ländern am günstig• w a 1 t s c haften. Gerade weil die Schaffung zusätz• sten; gleichwohl steht außer Frage, daß weitere per­ licher Stellen mit dem Anwachsen des Geschäftsan• sonelle Verstärkung erforderlich ist. falls bei weitem nicht Schritt hält, müssen alle Mög• lichkeiten der Automatisierung und Rationalisierung Gleiches gilt für den Bereich der Be w ä h r u n g s - ausgenützt werden, um den erheblichen Personal­ h i 1 f e. Im Durchschnitt hat jeder Bewährungshelfer fehlbestand einigermaßen auszugleichen. heute 65 Probanden zu betreuen. Um so mehr ver­ Der Schwerpunkt meiner Bemühungen liegt derzeit dient es Anerkennung, daß dank des großen Einsat­ im verstärkten Einsatz multifunktionaler Arbeitsplatz­ zes der Bewährungshelfer mehr als zwei Drittel der computer. Mit diesen leistungsfähigen EDV-Anlagen von ihnen betreuten Straffälligen die Strafe nach Ab­ können wir der Organisations- und Arbeitsstruktur lauf der Bewährungszeit erlassen werden konnte. der Justiz besonders gut gerecht werden. Auch im Straf v o 11 zu g konnte nur durch das be­ Erfolgreich ist das Programmsystem SOLUM einge­ sondere Engagement und die herausragende Ein- führt worden. Es bietet die Möglichkeit, die Grund- Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode 1747

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) Einen weiteren, mir besonders wichtigen Gesichts­ buchämter mit einem einheitlichen, benutzerfreundli­ punkt möchte ich an dieser Stelle herausstellen: chen und wirksamen Verfahren auszustatten. 1987 Recht bedeutet etwas Beständiges, Dauerhaftes. Ge­ und 1988 soll begonnen werden, rund 30 Grundbuch­ setze, deren Geltungsdauer von vornherein auf eine ämter auf dieses System umzustellen. Mit dem neu gewisse Zeit beschränkt ist, sozusagen „Gesetze auf entwickelten Programmsystem SOJUS wird versucht, Probe", sollten die absolute Ausnahme sein. Ände­ die über Gebühr beanspruchten Geschäftsstellen rungen der Rechtsordnung dürfen nur dann vorge­ und Kanzleien der Gerichte und Staatsanwaltschaften nommen werden, wenn unabweisbarer Handlungsbe­ durch modernste Bürotechnik zu entlasten. Wir dür• darf besteht. Hieran müssen sich alle gesetzgeberi­ fen nicht die Aktenberge vom Tisch des Richters und chen Vorhaben messen lassen. Wir sollten uns nicht des Staatsanwalts in die Geschäftsstellen schaufeln dem Irrglauben hingeben, daß derjenige, der Normen und glauben, damit hätten wir die Probleme der Justiz sät, damit automatisch Gerechtigkeit erntet. gelöst. Einen Überblick über einzelne gesetzgeberische Maßnahmen, an deren Verwirklichung das Staatsmini­ Der Stand der Automation bei der Justiz ist erfreulich. sterium der Justiz mitarbeitet, gibt die Anlage 1, auf Aber auch hier gilt: Wir haben viel erreicht, sind je­ die ich verweise. Ich möchte mich hier darauf be­ doch noch nicht am Ziel. schränken, einige rechtspolitische Schwerpunkte Ich möchte ein vorläufiges Resümee ziehen: Es be­ herauszustellen: steht zwar eine Tendenz, dem Staat kritisch gegen­ Eine leistungsfähige Zivilrechtspflege ist für alle Mit­ überzutreten. Dies ist so lange nicht besorgniserre­ bürger, aber auch für das Wirtschafts- und Erwerbs­ gend, wie die Rechtsgemeinschaft überzeugt ist, daß leben von großer Bedeutung. Damit die vielgestalti­ die rechtsprechende Gewalt den Rechtsstaat sichert. gen Aufgaben der Z i v i 1 r e c h t s p 1 1 e g e zufrie­ Ich glaube, daß dieses Bewußtsein in unserer Bevöl• denstellend gelöst werden können, sind neben einer kerung vorhanden ist. Ich glaube auch, bei unseren hinreichenden personellen und sachlichen Ausstat­ Bürgern insgesamt eine positive Grundstimmung ge­ tung der Gerichte klare, praktikable und ausgewo­ genüber der Justiz feststellen zu können. gene Gesetze erforderlich. Die bayerischen Justizmi­ Zu Recht: Während meiner Tätigkeit als Bayerische nister haben deshalb der Mitarbeit an der Rundesge­ Staatsministerin der Justiz habe ich immer und über• setzgebung, in deren Zuständigkeit das Zivilrecht zum größten Teil fällt, stets ein besonderes Augen­ all erkennen können, daß die Angehörigen der bayeri­ merk gewidmet. schen Justiz ihre Aufgaben mit großem Engagement, mit Fachkenntnis und Pflichtbewußtsein wahrneh­ Ich werde diese Linie meiner Vorgänger fortsetzen men. Richter und Staatsanwälte respektieren ihre und mich in den kommenden Jahren für eine sachge­ Bindung an Recht und Gesetz; für die Justizverwal­ rechte Fortentwicklung des Bundesrechts einsetzen. tung ist die Unabhängigkeit der Gerichte eine Selbst­ Mein besonderes Interesse wird dabei einem sinnvol­ verständlichkeit. Ich vertraue dieser bayerischen Ju­ len Einsatz der begrenzten Ressourcen der Zivilge­ stiz. Ich werbe um das Vertrauen aller Bürgerinnen richte und einem verbesserten zivilrechtlichen Schutz und Bürger Bayerns und um Ihr Vertrauen, sehr ge­ des einzelnen Bürgers gegen Schicksalsschläge gel­ ehrte Kolleginnen und Kollegen. ten, wie sie fast jeden von uns treffen können. Ich möchte dies anhand von zwei Bereichen erläutern: Im ersten Teil meiner Ausführungen habe ich ver­ Unser Zivilrecht sieht in einer Reihe von Fällen den sucht, einen Schwerpunkt in der Tätigkeit des Justiz­ Ausgleich immaterieller Schäden vor. Es fehlt jedoch ministeriums darzustellen: die Aufgabe, durch Siche­ bisher ein Ausgleichsanspruch für das Leid, das je­ rung der Rechtsgewährung auch zur Sicherung des mandem durch den Tod eines nahen Angehörigen Rechtsstaates beizutragen. schuldhaft zugefügt wird. Ich empfinde dies als eine Im zweiten Teil möchte ich mich der rechts g e - bedauerliche Lücke und sehe es als eine wichtige s t a 1 t enden Tätig k e i t der J u s t i z zuwen­ rechtspolitische Zukunftsaufgabe an, für Hinterblie­ den. Dies gibt mir Gelegenheit zu einigen rechtspoliti­ bene bei der Tötung nächster Angehöriger einen An­ schen Aussagen. Weil Recht aus der Zustimmung spruch auf Ersatz des immateriellen Schadens zu und dem Vertrauen der Bevölkerung lebt, möchte ich schaffen. meine Darlegungen unter die Überschrift stellen: Ver­ (Beifall bei der CSU) trauen in das Recht. Sicherlich läßt sich der Verlust eines nahen Angehöri• Das Staatsministerium der Justiz ist zur Mitwirkung gen mit Geld nicht aufwiegen. Die Zerstörung ele­ an der Gesetzgebung berufen. Wer Recht setzt oder mentarer, vom Grundgesetz geschützter menschli­ dazu beiträgt, sollte nie außer acht lassen: Jede ge­ cher Grundbeziehungen und der dadurch bedingte setzgeberische Maßnahme muß auch zum Ziel haben, Verlust an Zuwendung oder Betreuung sollte aber das Vertrauen in das Recht zu stärken. Das setzt vor­ doch schadensersatzrechtlich nicht völlig außer Be­ aus, daß Recht klar und verständlich und in sich wi­ tracht bleiben. Ob und inwieweit hier ein Ausgleich derspruchsfrei ist. Vertrauen in das Recht setzt aber geschaffen werden kann, bedarf freilich noch genaue­ auch voraus, daß es der Bürger als eine reale, ver­ rer Untersuchungen. bindliche Kraft anerkennen kann, weil es nicht nur In­ Für ebenso wichtig halte ich eine gründliche Über• teressen von Einzelgruppen und subjektiven Wertvor­ arbeitung unseres E n t m ü n d i g u n g s - , Vor - stellungen entspricht. mundschafts- und Pflegeschafts- 1748 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) gewähren. Wesentlich könnte die Justiz möglicher• weise entlastet werden, wenn es gelänge, bereits das rechts. Sie sollte den heutigen Erkenntnissen über Entstehen von Rechtsstreitigkeiten zu verhindern. Im die Behandlung und Rehabilitation psychisch Kranker Zusammenhang mit dem Versuch der Prozeßverhü• und Behinderter besser als das geltende Recht tung ist das Problem der Rechtsschutzversicherun­ Rechnung tragen. gen zu sehen. Dieser Versicherungszweig erfüllt ge­ (Beifall bei der CSU) wiß eine Aufgabe; die hohen Kosten eines verlorenen Prozesses lassen eine solche Absicherung durchaus Gerade die bayerischen Gerichte sind zwar bestrebt, als sinnvoll und vernünftig erscheinen. Aber die prak­ die in vielen Fällen zu weit gehende Maßnahme der tische Erfahrung hat gezeigt, daß diese Versicherung Entmündigung zu vermeiden und statt dessen eine auch mißbraucht wird und daß auf Kosten der Ver­ sogenannte Gebrechlichkeitspflegschaft anzuordnen. sichertengemeinschaft Prozesse geführt werden, die (Erneuter Beifall bei der CSU) von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben und die nicht geführt würden, wenn der Betroffene nicht Die materiellrechtlichen und die verfahrensrechtli­ ein paar Mark dazu beitragen müßte. Mir schwebt vor, chen Grundlagen hierfür sind aber sicherlich verbes­ durch eine Selbstbeteiligung der Versicherten solche serungsbedürftig. Der Gesetzgeber ist deshalb auf­ Auswüchse zu unterbinden. gerufen, ein Betreuungsrecht zu schaffen, das die persönliche, möglichst individuell abgestufte und ge­ Ich komme zu einem Thema, meine Damen und Her­ staltete Betreuung Hilfsbedürftiger in den Vorder­ ren, das neu ist und nicht weniger wichtig, eher wich­ grund rückt und unnötige Eingriffe in die Geschäftsfä• tiger als manche der alten Themen, die uns schon higkeit vermeidet. Eine differenzierte Regelung in die­ lange begleiten. sem Sinne ist auch und gerade im Interesse älterer „Es ist der Fluch des Fortschritts, daß er unaufhalt­ Menschen erforderlich, deren Zahl zunimmt und die sam fortschreitet." Dieser Satz eines amerikanischen in vielen Fällen in bestimmten Bereichen einer Unter­ Wissenschaftlers führt mich zu einem zentralen Punkt stützung bedürfen, andererseits aber so viel Selb­ der Rechtspolitik, der sowohl zivil- als auch straf­ ständigkeit und Selbstbestimmung wie möglich be­ rechtliche Regelungen erfordert: den Bereich der halten sollen. Gentechnologie und Fortpflanzungs­ Ich sehe es auch immer wieder an der immer größer m e d l z in. werdenden Zahl alleinstehender alter Menschen, für Fast täglich lesen wir neue „Erfolgsmeldungen" und die es eine Grundangst ist, was mit ihnen geschehen Rekorde: wird, wenn sie nicht mehr selbst ihre Angelegenhei­ ten besorgen und nicht mehr über sich selbst bestim­ - Weltweit gibt es inzwischen ungefähr 3000 Retor­ men können, was mit ihnen geschehen wird, wenn sie tenbabys, in der Bundesrepublik allein fast 500; ein Pflegefall werden. - in Erlangen ist vor eineinhalb Jahren das erste Kind (Beifall bei der CSU) geboren worden, das als Embryo einige Zeit tiefge­ froren war: Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, der ich meine be­ sondere Mühe zuwenden werde. - in Neapel kam vor kurzem ein Kind zur Welt, des­ sen Geschlecht bei der Retortenzeugung nach Nicht weniger wichtig als die Fortentwicklung und die dem Wunsch der Eltern festgelegt worden war; Verbesserung des materiellen Rechts ist eine sach­ gemäße Verfahrensgestaltung, die in Er­ - Versuche, korrigierend in menschliche Erbanlagen kenntnis der begrenzten Leistungsfähigkeit der Ju­ einzugreifen, werden unternommen; die Grenze stiz den Verfahrensaufwand in einem vernünftigen zwischen der Therapie von Erbkrankheiten und der Verhältnis zur Bedeutung der Sache hält. Nur so kann Züchtung von Menschen ist schmal und unscharf. die Voraussetzung dafür geschaffen werden, daß der Die Zeit der Grundsätze, der Thesen und Leitlinien ist Bürger auch bei großer Geschäftsbelastung der Ge­ nun vorbei. Der Gesetzgeber ist gefordert, den neuen richte in angemessener Zeit zu seinem Recht kommt. Verfahren der Fortpflanzungsmedizin und der Gen­ Allerdings ist der Spielraum für gesetzgeberische technik strikte Grenzen zu setzen. Maßnahmen nicht groß. (Beifall bei der CSU und den GRÜNEN) Dennoch gibt es noch Ansatzpunkte für einen geziel­ ten Einsatz der knappen Ressourcen der Justiz. Im Der Staat ist von Verfassungs wegen verpflichtet, die Bagatellbereich erscheint manche Regelung unseres Würde des Menschen, das Leben sowie Ehe und Fa­ milie vor akuten Bedrohungen in Schutz zu nehmen. Zivilprozeßrechts überperfektioniert und der zur Ver­ Deshalb müssen Manipulationen, die diese Grund­ fügung gestellte Rechtsweg überdimensioniert. werte verletzen, mit den Mitteln des Rechts unter­ Das Rechtsstaatsprinzip gebietet nicht, in jedem bunden werden. Falle einen lnstanzenzug zur Verfügung zu stellen, (Beifall bei der CSU und den GRÜNEN) und überperfektioniertes Recht ist nicht das beste Recht. Die Bayerische Staatsregierung hat frühzeitig die Her­ ausforderungen durch Verfahren erkannt, die die (Beifall bei der CSU) Zeugung durch die Erzeugung menschlichen Lebens Ich setze mich deshalb sehr dafür ein, die Relationen ersetzen und in die Grundbausteine menschlicher zurechtzurücken, Rechtsschutz mit Augenmaß zu Existenz eingreifen. Sie hat - soweit ersichtlich als er- Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1749

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) Hier ist eine Aufklärung außerordentlich schwierig. sie - den Schritt zu konkreter Gesetzgebungsarbeit Wer diese modernen Formen der Kriminalität wirksam getan. Die von ihr eingesetzte Interministerielle Ar­ bekämpfen will, muß sich moderner Fahndungsmittel beitsgruppe „Gen- und Fortpflanzungstechnologie" und -methoden bedienen. Wir können doch interna­ hat im Juni 1986 einen Bericht sowie den Rohentwurf tional operierenden Verbrecherbanden nicht mit dem eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Fort­ Tretroller hinterherjagen ! Es darf doch nicht soweit pflanzungsmedizin vorgelegt. Da die Gesetzgebungs­ kommen, daß nur die Kriminellen computergestützt kompetenz für die notwendigen Normen zum Teil arbeiten! beim Bund, zum Teil bei den Ländern liegt, ist es er­ (Beifall bei der CSU und des Abg. Kamm) forderlich, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten. Seit Ende letzten Jahres befaßt sich nun eine Bund­ Selbstverständlich müssen die Strafverfolgungsbe­ Länder-Arbeitsgruppe, in der die Justiz- und die Ge­ hörden auch die Möglichkeiten der elektronischen sundheitsressorts vertreten sind, mit der Erarbeitung Datenverarbeitung zur Aufklärung von Straftaten nut­ eines derartigen gesetzgeberischen Gesamtpaketes. zen können. Wenn hierfür ausdrückliche Rechts­ Wir werden abwarten, wie diese Vorschläge ausse­ grundlagen notwendig sind, müssen sie schnellstens hen und dann entscheiden, ob sie aus bayerischer geschaffen werden. Sicht akzeptabel sind und welche Gesetzgebungsini­ Gleiches gilt für die Verbrechensbekämpfung durch tiativen auf Bundes- und Landesebene von uns ergrif­ den Einsatz sogenannter V-Leute oder durch Polizei­ fen werden müssen. beamte, die unter einer Legende in das kriminelle Mi­ Wir sind uns bewußt, wie schwierig die Aufgabe des lieu eindringen. Bundesverfassungsgericht und Bun­ Gesetzgebers in einer pluralistischen Gesellschaft desgerichtshof haben die Notwendigkeit und Zuläs• ist, in Grenzbereichen von Recht, Ethik und Medizin sigkeit solcher verdeckter Ermittlungen ausdrücklich Normen mit Allgemeinverbindlichkeit aufzustellen. In anerkannt. Wenn dies auf die Dauer im Interesse der dem Spannungsfeld, in dem der verständliche Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit nicht genü• Wunsch nach einem Kind, das Selbstbestimmungs­ gen sollte, ist der Bundesgesetzgeber aufgerufen, recht, die Freiheit von Forschung und Wissenschaft, noch in dieser Legislaturperiode die notwendigen das Wohl des Kindes, die Menschenwürde, der Ach­ ausdrücklichen Rechtsgrundlagen in der Strefprozeß• tungsanspruch menschlichen Lebens sowie von Ehe ordnung zu schaffen. Daß wir mit allen rechtsstaatli­ und Familie einander widerstreiten, muß behutsam chen Mitteln dem Rechtsbruch entgegentreten und abgewogen und weitgehendes Einvernehmen ge­ das Recht durchsetzen werden, daran darf es keinen sucht werden. Eines aber steht für uns gerade bei der Gen- und Fortpflanzungstechnologie unverrück• Zweifel geben. bar im Mittelpunkt: der Mensch in seiner Verantwor­ Meine Damen und Herren! In einigen Tagen, genau tung für sich und für seine Nachkommen. am 9. Juli, jährt sich die Ermordung von Professor Dr. Neben dem Schutz des Lebens und der Menschen­ Karl-Heinz Beckurts und seines Fahrers Eckart würde gehört die Sicherung und die S t ä r k u n g Groppler. Ich glaube, dies sollte für uns alle Anlaß zur des i n n er e n Friedens zu den großen Aufga­ Nachdenklichkeit sein: Einmal sollten wir der un­ ben unserer Zeit. Freiheit setzt Sicherheit voraus; schuldigen Opfer des Terrorismus gedenken. Zum ohne Vertrauen in das Recht gibt es keine Sicherheit. anderen sollten wir aber auch überlegen, wie derar­ Dieses Vertrauen besteht nur dort, wo der Staat mit tige Mordanschläge künftig verhindert und das viel­ den Mitteln des Rechts in der Lage ist, Leben, kör• fach begangene Unrecht gesühnt werden können. perliche Unversehrtheit und Eigentum der Bürger zu Sowohl die Bundesregierung als auch die Bayerische schützen. Staatsregierung haben vielfältige Initiativen zur Be­ (Zustimmung bei der CSU) kämpfung des Terrorismus und seines Umfeldes er­ Wo die Bevölkerung nicht mehr auf die friedensstif­ griffen. Es besteht nach meiner Überzeugung kein tende Kraft und die Durchsetzbarkeit des Rechts ver­ Zweifel, daß der Rechtsstaat alle verfügbaren Mittel traut, werden Faustrecht und Anarchie die Folge sein. einsetzen muß, um die terroristischen Banden in ihrer Für die Rechtspolitik bedeutet dies die Verpflichtung, Existenz zu treffen. Daher war und ist es dringend wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung notwendig, neben der Intensivierung der Ermittlungs­ von Kriminalität, Gewalt und Terroris­ und Fahndungsmöglichkeiten auch die rechtlichen mus zu ergreifen. Voraussetzungen für die Bekämpfung terroristischer Banden zu verbessern und damit zugleich das Ver­ Die bekannt gewordene Kriminalität hat ·in der Ver­ trauen des Bürgers in die Fähigkeit des Staates zur gangenheit stark zugenommen. Besonders Sorge be­ Gewährleistung der inneren Sicherheit zu stärken. reitet die Entwicklung der Kriminalitätsbereiche, die durch arbeitsteiliges Vorgehen der Täter und durch Das am 1. Januar 1987 in Kraft getretene G e s e t z raffinierte Abschottung der Drahtzieher im Hinter­ z u r B e k ä m p f u n g d e s T e r r o r i s m u s be­ grund gekennzeichnet sind. Dies gilt u. a. für den Ter­ ruht maßgeblich auf Vorarbeiten meines Hauses. Da­ rorismus, den Rauschgift- und Waffenhandel, für Fälle nach werden die Gründung und die Mitgliedschaft in der Schutzgelderpressung, für die Kriminalität im Um­ einer terroristischen Vereinigung schärfer bestraft. feld von Prostitution und unerlaubtem Glücksspiel, Der Kreis der terroristischen Vereinigungen wird auf aber auch für Teilbereiche der Wirtschaftskriminalität. solche Gruppen ausgedehnt, die sich Anschläge auf (Sehr richtig' bei der SPD) den Bahnverkehr, auf Versorgungseinrichtungen und 1750 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24.06.87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) in der Praxis anwendbaren Tatbestand des Landfrie­ und Baumaschinen zur Errichtung technischer Groß• densbruchs. Die Teilnehmer an einer gewalttätig ver­ anlagen zum Ziel gemacht haben. laufenden Versammlung müssen unter Strafandro­ (Beifall bei der CSU) hung nach entsprechender Aufforderung der Polizei veranlaßt werden, auseinanderzugehen. Die Vorstu­ Schließlich ist aufgrund der bayerischen Initiative die fen zur Gewalt - Vermummung und passive Bewaff­ Anleitung zu Straftaten wieder unter Strafe gestellt nung - müssen generell unter Strafe gestellt werden. worden. Ich meine, es war ein unerträglicher Rechts­ zustand, daß ungehindert Handbücher und Druck­ (Beifall bei der CSU) schriften verbreitet werden konnten, in denen präzise Wer vermummt und gepanzert zum Demonstrieren beschrieben wird, wie ein Strommast gesprengt wer­ geht, dem geht es nicht um friedliche Meinungsäuße• den kann oder wie Gleise und Schwellen zu lockern sind. rung, sondern der ist auf Krawall und Gewalttätigkeit (Beifall bei der CSU) aus. Seine Ausrüstung erhöht seine Bereitschaft zu Ausschreitungen und fördert in der Menge ein Klima Realisiert werden müssen aber auch unsere weiteren der Aggressivität. Gesetzesvorschläge zur Bekämpfung des Terroris­ mus und zur Stärkung der inneren Sicherheit. Erfor­ (Abg. Tandler: So ist es') derlich sind eine Erweiterung und eine Strafverschär• Der innere Friede in der Bundesrepublik Deutschland fung der Tatbestände der Geiselnahme und des er­ wird nicht nur durch gewalttätige Ausschreitungen presserischen Menschenraubs, eine Strafverschär• gestört, er wird auch beeinträchtigt durch Erschei­ fung für Diebstahl von Waffen, Munition und Spreng­ stoff und die Schaffung einer Strafvorschrift für be­ nungsformen in der politischen Auseinandersetzung, sonders schwere Fälle von Störungen öffentlicher die man verallgemeinernd unter dem Stichwort Betriebe, um nur einige Beispiele zu nennen. Sitz b 1o c k ade n zusammenfaßt. Immer häufiger Neben dem Terrorismus ist es vor allem der Mi ß - versuchen Bürger, die ihre Meinung im Rahmen der brauch des Demonstrationsrechts demokratischen Willensbildungsprozesse nicht genü• durch kriminelle Gewalttäter, der die innere Sicherheit gend berücksichtigt glauben, sich mit dem Mittel der in der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Nötigung durchzusetzen. Es geht keineswegs nur um Hierzu einige Zahlen: die Sitzblockaden gegen die Nachrüstung. Im Jahre 1986 verliefen 261 Demonstrationen unfried­ Die Teilnahme an Sitzblockaden kann als verwerfliche lich. Dabei wurden 818 Polizeibeamte zum Teil Gewalt angesehen und als strafwürdiges Unrecht ge­ schwer verletzt. In erschreckender Weise wird damit ahndet werden. die wachsende Gewaltbereitschaft deutlich. Die Saat geht auf: Von der bewußten und politisch motivierten (Zuruf des Abg. Dr. Kestel) Gesetzesübertretung und der Gewalt gegen Sachen Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Ent­ bis zur Gewalt gegen Personen ist nur ein kurzer scheidung vom 11. November 1986 bestätigt. Weg. (Beifall bei der CSU) (Beifall bei der CSU) Wir haben an Ostern und Pfingsten 1986 bei Protest­ Sitzblockaden lassen sich, so das Bundesverfas­ aktionen gegen die geplante Wiederaufarbeitungsan­ sungsgericht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt lage in Wackersdorf massive, bürgerkriegsähnliche des zivilen Ungehorsams als zulässige Ausübung Ausschreitungen erleben müssen. Massenhaft wur­ staatsbürgerlicher Rechte bewerten. den schwere Straftaten begangen. Soweit die Täter gefaßt werden konnten, hat die Justiz ihren Beitrag Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat aller­ zum Schutz unseres demokratischen Rechtsstaats dings die Auseinandersetzung um die rechtliche Be­ geleistet. Sie hat sich von der allgemeinen Hektik wertung von Sitzblockaden nicht beendet. Denn nach nicht anstecken lassen und ist unbeirrbar im Rahmen dem Urteil muß der Tatrichter unter Abwägung aller des Legalitätsprinzips mit rechtsstaatlichen Mitteln Umstände in jedem Einzelfall prüfen, ob die Tat als gegen die Gegner des Staates vorgegangen. Die Ge­ verwerflich und damit als rechtswidrig anzusehen ist. richte haben bei schweren Delikten empfindliche Frei­ Es liegt in der Natur der Sache, daß bei dieser Prü• heitsstrafen verhängt. Die Ahndung der Straftaten fung recht unterschiedliche Ergebnisse die Folge zeigt, daß der Rechtsstaat nicht gewillt ist, der „Ge• sind. walt der Straße" zu weichen. Es darf aber auch nicht unerörtert bleiben, daß diejenigen, die friedlich de­ Auf diesem Gebiet muß wieder für Rechtsklarheit ge­ monstrieren wollen - es gibt vieles, für und gegen sorgt werden. Ein demokratischer Rechtsstaat darf das man demonstrieren kann -, durch die Gefahr, in solche Rechtsbrüche um seiner Glaubwürdigkeit und eine unfriedliche Demonstration verwickelt zu wer­ seiner Sicherheit willen nicht hinnehmen. Notfalls den, gehindert werden, von ihrem verfassungsmäßi• muß eine gesetzliche Klarstellung herbeigeführt wer­ gen Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen. den. Was wir aber auch brauchen, ist eine Verbes s e - (Beifall bei der CSU) rung des strafrechtlichen Instrumen­ tariums bei gewalttätigen Ausschrei­ Bewußt spreche ich an dieser Stelle auch die Not­ tungen. Wir brauchen wieder einen klaren und wendigkeit an, den Schutz gegen d i e Be - Plenarprotokoll t t /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1751

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) Durch die besondere Hervorhebung von Behand­ lungsgesichtspunkten begünstigt das Strafvollzugs­ schimpfung religiöser und weltan­ gesetz ferner Bestrebungen, den Zusammenhang s c h a u 1i c h e r Ü b e r z e u g u n g e n zu verbes­ des Strafvollzugs mit der sonstigen Strafrechtspflege sern. zu lockern. Dem trete ich mit Entschiedenheit entge­ (Beifall bei der CSU) gen. Der Strafvollzug ist ein untrennbarer Bestandteil Dummheit und Geschmacklosigkeit sind nicht straf­ der staatlichen Strafrechtspflege insgesamt. Neben bar - Gott sei Dank, sonst wäre die Strafrechtspflege der Resozialisierung des Straftäters und dem Schutz noch mehr überlastet. der Allgemeinheit müssen deshalb auch die allgemei­ nen Strafzwecke des Schuldausgleichs, der Sühne (Heiterkeit) für begangenes Unrecht, der Verteidigung der Leider geht es bei vielen Angriffen auf weltanschau­ Rechtsordnung und der Abschreckung in den Straf­ liche Bekenntnisse nicht nur um dumme oder ge­ vollzug hineinwirken. schmacklose Bemerkungen, sondern um viel mehr: nämlich um eine häßliche Feindschaft gegen gläubige (Beifall bei der CSU) Menschen gleich welcher Religion schlechthin und Ich stelle mit Deutlichkeit und Nachdruck fest, daß letztlich um eine grundsätzliche Kampfansage gegen dabei von einer „Gegenreform" oder der „Wiederein• Glauben und religiöse Überzeugung. Eine ungestrafte führung des Zuchthauses" nicht die Rede sein kann. oder nur unzureichend geahndete Verächtlichma• Auch wir bejahen uneingeschränkt den Res o z i a - chung des Glaubens verletzt aber nicht nur die be­ 1i s i e r u n g s a u f t r a g des Strafvollzugsgesetzes. troffenen Gläubigen, sie stellt einen Angriff auf die Was wir anstreben, ist lediglich die gesetzliche Klar­ geistigen Grundlagen des Staatswesens dar. Der stellung dieser vom Bundesverfassungsgericht aus­ Staat muß den Grundwerten der Verfassung Geltung drücklich bestätigten grundsätzlichen Zielrichtungen verschaffen; es kann ihm daher nicht gleichgültig eines verantwortungsbewußten Strafvollzugs. sein, wenn Dinge, die vielen Bürgern heilig sind, die ihre innersten Überzeugungen und ihren Glauben Grundsätzlich sollen die Inhaftierten in Einzelräumen prägen, in den Schmutz gezogen werden. untergebracht werden. So kann schlechtem Einfluß am besten vorgebeugt und der einzelne bei der per­ (Beifall bei der CSU) sönlichen Auseinandersetzung mit seiner S:::::huld und Die derzeitige Gesetzeslage ist, das sage ich offen, seiner Situation gefördert werden. Der bayerische äußerst unbefriedigend. Was muß eigentlich gesche­ Strafvollzug wird dieser Forderung bereits heute weit­ hen, welche Unflätigkeiten müssen eigentlich geäu• gehend gerecht - zwei Drittel aller Haftplätze sind ßert werden, damit das Strafrecht eingreift? Der Einzelräume. Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeu• gung muß dringend wieder verbessert werden. Eine Die Unterbringung der Gefangenen in Einzelhafträu• entsprechende Gesetzesinitiative Bayerns, die schon men vermeidet auch Probleme, die die Krankheit länger vorliegt, werde ich deshalb mit Nachdruck wei­ A 1D S für den Strafvollzug mit sich bringen kann. ter verfolgen. Das Staatsministerium der Justiz hat die Bekämpfung von AIDS in den bayerischen Justizvollzugsanstalten (Beifall bei der CSU) von Anfang an sehr ernst genommen. Bereits im Lassen Sie mich noch auf den Straf v o 11 zu g als Jahre 1985 hat es beim ersten augenfälligen Auftau­ dritte Säule der Strafrechtspflege eingehen. chen dieses Problems sofort die aus damaliger Sicht notwendigen Maßnahmen veranlaßt. Vor zehn Jahren ist nach einer langen geschichtli­ chen Entwicklung das Strafvollzugsgesetz in Kraft Aufgrund der neueren Beschlüsse der Staatsregie­ getreten. Beim Rückblick auf zehn Jahre praktische rung sind für die bayerischen Justizvollzugsanstalten Erfahrungen kann ich feststellen, daß sich das Gesetz folgende M a ß n a h m e n angeordnet worden: grundsätzlich bewährt hat. Gleichwohl besteht Anlaß, darüber nachzudenken, ob nicht jetzt die in der Pra­ Alle Bediensteten und alle Gefangenen werden ein­ xis aufgetretenen Mängel des Gesetzes beseitigt gehend über AIDS, insbesondere über die Übertra• werden sollten. Einige Schwerpunkte der Reform­ gungswege und die Möglichkeiten zum Schutz vor überlegungen aus bayerischer Sicht möchte ich Ih­ Ansteckung, aufgeklärt und beraten; nen kurz darstellen: - alle zu- und abgehenden Gefangenen sind auf HIV­ Das Gesetz räumt der Wiedereingliederung der Straf­ Antikörper zu testen; gefangenen mit Recht einen besonderen Rang ein. - zum Schutz der Bediensteten werden die zur Ver­ An gewichtiger Stelle enthält es zudem die Verpflich­ hütung von Infektionen erforderlichen Hilfsmittel tung, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu bereitgehalten; schützen. Sorge bereitet mir allerdings, daß in der vollzugspolitischen Diskussion Gesichtspunkte der - Bedienstete werden in Fortbildungsveranstaltun­ Behandlung der Gefangenen einseitig eine überra• gen laufend über die Entwicklung der AIDS-Gefah­ gende Hervorhebung erfahren, während der Schutz ren informiert. der Allgemeinheit weit in den Hintergrund gerät. Mei­ Die Bereitschaft der Gefangenen, sich freiwillig einem nes Erachtens müssen hier die Maßstäbe wieder zu­ AIDS-Test zu stellen, ist erfreulich hoch. So wurden in rechtgerückt werden. den bayerischen Justizvollzugsanstalten von Ende (Beifall bei der CSU) 1985 bis zum 01. Juni 1987 insgesamt 14361 Getan- 1752 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode P!enarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) - Straftaten verharmlosend als Regelverstöße be­ zeichnet, gene auf HIV-Antikörper untersucht. Bei 261 Gefan­ genen war der Test positiv. Davon befanden sich am - Gewalt gegen Sachen und sogenannte „Gegenge• 01. Juni 1987 noch 90 Gefangene in Haft. walt gegen den Staat" für erlaubt erachtet und das unverzichtbare Gewaltmonopol des Staates ver­ Infizierte Gefangene werden so behandelt wie alle an­ neint, deren Insassen. Sie werden jedoch grundsätzlich in Einzelhafträume eingewiesen. Ihre Beratung und Be­ - die Unverbrüchlichkeit des Rechts durch Inan­ treuung erfolgt durch erfahrene Kräfte. spruchnahme angeblicher Widerstandsrechte und illegalen „sozialen Ungehorsams" in Frage stellt, Eine weitere bedeutende Zielsetzung des bayeri­ schen Strafvollzugs soll an dieser Stelle hervorgeho­ - ollen zum Rechtsbruch auffordert und zum Boy­ ben werden: der J u g e n d s t r a f v o 1 1z u g. Er ist kott verfassungsmäßiger Gesetze anstiftet, mitentscheidend dafür, ob junge Menschen, die straf­ - die Volkszählung in die Nähe des Beginns der Ju­ fällig geworden sind, künftig zu den gefährlichen Kri­ denverfolgung rückt, minellen unserer Gesellschaft gehören werden oder ob es gelingt, sie auf den richtigen Weg in die soziale Gewalt als Fortsetzung einer im Parlament nicht Gemeinschaft zurückzuführen. Schon immer hat Bay­ durchsetzbaren Politik zumindest nicht aus- ern große Anstrengungen unternommen, jugendliche schließt, Straftäter gewissenhaft auf eine straffreie Zukunft vorzubereiten. Ein eindrucksvolles Beispiel für die der schadet bewußt dem Rechtsstaat und disqualifi­ ziert sich als Demokrat. Bedeutung, die das Justizministerium dem Jugend­ strafvollzug zumißt, ist der Neubau der Justizvoll­ (Anhaltender Beifall bei der CSU) zugsanstalt Neuburg a.d. Donau. Dort entsteht mit ei­ nem finanziellen Aufwand von weit über 54 Millionen Unser Rechtsstaat ist stark genug, solche Angriffe DM eine der modernsten Jugendanstalten Deutsch­ auf seinen Bestand abzuwehren, weil er sich auf Ver­ lands, vielleicht sogar Europas. trauen stützen kann, auf Vertrauen in die Justiz und auf Vertrauen in das Recht. Ich bitte Sie darum, daran Abschließend noch ein notwendiges Wort in aller mitzuwirken, daß dieses Vertrauen in unserer Bevöl• Deutlichkeit: Ein Fraktionsmitglied der GRÜNEN hat kerung gestärkt und erhalten wird. während der Ausschußberatungen behauptet, Ju­ gendliche würden erst im Strafvollzug kriminell, und Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es bleibt es sei daher besser, wenn sie nach einer Straftat mir zu danken. Danken möchte ich vor allem meinem nicht erwischt und nicht bestraft werden. Amtsvorgänger, der mir ein wohlfunktionierendes Haus und einen geordneten Geschäftsbereich über• (Abg. Huber (Landshut): Das ist ja glatter geben hat. Danken möchte ich auch allen Angehöri• Wahnsinn r - Zuruf des Abg. Dr. Kestel - gen des Staatsministeriums der Justiz, an vorderster Weitere Zurufe von der CSU - Glocke des Stelle meinem Kollegen, Herrn Staatssekretär Dr. Wil­ Präsidenten) helm Vorndran, und meinem Amtschef, Herrn Ministe­ Dies zeigt zweierlei: rialdirektor Dr. Wilhelm Knittel. Diese beiden Herren nenne ich stellvertretend für alle Angehörigen der - ein von Sachkenntnis nicht getrübtes Vorurteil und bayerischen Justiz, denen ich für ihre engagierte, zu­ - ein in der Partei der GRÜNEN häufig anzutreffen- verlässige und oft mühevolle Arbeit im Dienste der des gestörtes Verhältnis zum Recht. Rechtspflege herzlichen Dank sage. (Beifall bei der CSU) (Beifall bei der CSU) Nicht zuletzt schadet eine solche Bemerkung dem In diesen Dank schließe ich Rechtsanwälte und No­ Jugendstrafvollzug selbst. Sie ist eine Ohrfeige für tare sowie die Beamten der Polizei, die uns ver­ die engagierten Mitarbeiter, auch für die ehrenamtli­ trauensvoll und wirksam unterstützt haben, gerne mit chen Mitarbeiter, die sich um diesen Bereich unserer ein. Ich erwähne ferner ausdrücklich die vielen Schöf• Jugend bemühen. fen, Handelsrichter und anderen ehrenamtlichen Richter, die uneigennützig und unter persönlichen (Zustimmung bei der CSU) Opfern der Rechtspflege dienen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürger Danken möchte ich auch allen Kolleginnen und Kolle­ dieses Staates akzeptieren unsere freiheitlich demo­ gen, die die bayerische Justiz und ihre Arbeit mit Ver­ kratische Rechtsordnung, die ihnen ein Höchstmaß ständnis und Vertrauen unterstützen. an Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit garantiert. Ich teile nicht die Ansicht, daß das Rechtsbewußtsein Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschus­ der Bevölkerung und ihr Vertrauen in das Recht er­ ses, allen voran dem Vorsitzenden, Herrn Kollegen schüttert sind. Wengenmeier, und den beiden Berichterstattern für die von großem Interesse für die Justiz getragene Be­ Ich möchte aber meine Sorge über Tendenzen nicht richterstattung und Beratung. verhehlen, die dieses Vertrauen beeinträchtigen kön• nen, wenn ihnen nicht rechtzeitig und mit Entschie­ Ich danke denen, die uns aus dem Kreise der CSU­ denheit entgegengetreten wird. Wer wie die GRÜNEN Fraktion, voran der Herr Vorsitzende. einen Nach- Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1753

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) der Verteidigung der Rechtsordnung und natürlich wieder vom Sühnegedanken. aber nur in einem Ne­ schlag gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des bensatz wurde darauf hingewiesen, daß man mit dem Haushalts in Aussicht gestellt haben. Strafvollzugsgesetz des Jahres 1977 hervorragende Meine Damen und Herren! Die bayerische Justiz be­ Erfahrungen gemacht hat. Dafür aber Etiketten­ darf Ihrer Unterstützung, sie bedarf des Vertrauens. schwindel. Sie verdient auch Ihr Vertrauen. In diesem Sinne bitte Ich habe schon zu einem anderen Zeitpunkt darauf ich Sie, dem Entwurf des Justizhaushaltes für die hingewiesen, daß der Ausdruck Sühne für das, was Jahre 1987 und 1988 zuzustimmen. Sie wollen, völlig fehl am Platze ist. Sühne ist ein ethi­ (Anhaltender Beifall bei der CSU) scher, ein religiöser Begriff. Man versteht darunter, daß, wer eine Straftat, eine Untat begangen hat, sich Präsident Dr. Heubl: Ich eröffne die Aussprache. Das in Erkenntnis seiner Schuld freiwillig einer Buße un­ Wort hat der Herr Abgeordnete Wirth! terwirft, um sich mit seiner Gottheit wieder auszusöh• nen. Diese freiwillige Unterwerfung können Sie doch Wirth (SPD): Herr Präsident, meine sehr verehrten nicht durch staatlichen Zwang anordnen! Sie können Damen und Herren' Angesichts der ungemein frucht­ sie nicht dadurch erreichen, daß Sie den Strafgefan­ genen im Strafvollzug durch Entzug von Vergünsti• baren reformerischen Entwicklung der Rechtspolitik gungen beispielsweise zusätzlich piesacken. Das, in den 70er Jahren war für die 80er Jahre natürlich ein was Sie eigentlich meinen, ist nicht Sühne, sondern gewisser Stillstand zu erwarten. Niemand hätte der Vergeltung. Rechtskoalition in Bonn, niemand hätte Ihnen, Frau Staatsminister, einen nachhaltigen Vorwurf gemacht, (Beifall bei SPD und GRÜNEN) wenn Sie Ihren Reformeifer gezügelt und abgewartet Sie gebrauchen den Begriff der Sühne nur deshalb, hätten, wie sich die Reformideen in der Praxis bewäh• weil Sie natürlich wissen, daß Vergeltung, die Sie ren, und sich im übrigen darauf konzentriert hätten, eigentlich meinen, im christlichen Wörterbuch keinen die aktuellen und unbedingt notwendigen Vorhaben Platz hat. auf rechtspolitischem Gebiet zu verwirklichen. (Beifall bei SPD und GRÜNEN) Leider üben Sie diese Zurückhaltung nicht. Ich sage: leider, denn Ihre Rede zeigt, auch wenn Sie es be­ Was Sie wollen, ist nicht christlich, es ist nicht einmal stritten haben: Angesagt ist nicht die Reform, ange­ konservativ. es ist reaktionär. Es ist auch nicht unge­ sagt ist die Gegenreform. fährlich, weil der Sicherheitszustand durch eine sol­ che Umgestaltung des Strafvollzugs nicht etwa ver­ Vor zehn Jahren haben wir gemeinsam im Bundestag bessert würde. Ein gescheiter Franzose hat zu Be­ das Strafvollzugsgesetz verabschiedet. Gemeinsam ginn des vorigen Jahrhunderts einmal gesagt, Zweck ist damals die Auffassung vertreten worden, daß sich des Freiheitsentzuges sei es, dafür zu sorgen, daß der Strafvollzug in erster Linie am Resozialisierungs­ der Straftäter lernt, seine Straftat zu hassen. Wenn gedanken zu orientieren habe. Sie den Strafvollzug nicht mehr am Gedanken der Re­ sozialisierung, sondern am Vergeltungsgedanken ori­ (Beifall bei SPD und GRÜNEN) entieren, erreichen Sie gerade das Gegenteil. Vergel­ Geklagt hat man eigentlich nur darüber - im konser­ tung und Resozialisierung sind nicht kompatibel. vativen Lager sicherlich etwas verhaltener -, daß es (Beifall bei SPD und GRÜNEN) aus finanziellen Gründen nicht möglich war, all jene Dinge zu tun, die den Resozialisierungsgedanken för• Wer glaubt, über den Freiheitsentzug hinaus dem dern. Inzwischen sehen Sie das offensichtlich anders; Straftäter zusätzliche Übel zufügen zu müssen, der Ihre Rede hat es deutlich gemacht. Sie setzen sich an wird ihn nicht dazu bringen, daß er die Straftat hassen die Spitze derjenigen, die den Resozialisierungsge­ lernt, sondern er wird das System zu hassen lernen, danken, wenn auch nicht abschaffen, so zumindest und zusätzliche Rückfälle sind die zwingende Folge jedoch verwässern wollen. Unchristliche Rachemotive, so möchte ich sagen, wa­ ren wohl auch der Anlaß, daß der Herr Ministerpräsi• Vom Bayerischen Ministerpräsidenten wird in der ver­ dent im Jahre 1980, als im Bundestagswahlkampf, öffentlichten Meinung behauptet, Bierzeltreden einen ausgehend von Sonthofen, ein An ach r o n ist i - hohen politischen Stellenwert beizumessen. Ich mag scher Zug durch die Bundesrepublik ziehen das nicht beurteilen. Wenn ich mir aber anschaue, sollte, einen Strafantrag stellte. Ich betone in diesem was Sie im St r a fv o 11 zu g wollen, dann haben wir Zusammenhang: Ich habe es immer für dumm, für hi­ hier die konsequente Umsetzung; es hat Bierzeltni­ storisch unhaltbar und für geschmacklos gehalten, veau. den Vorsitzenden einer großen Partei, der ich bei aller (Beifall bei SPD und GRÜNEN) politischen Distanz ihren wesentlichen Anteil am Auf­ bau der Demokratie in Deutschland gern bestätige, in Da können die Fachleute die Köpfe schütteln, populi­ die Nähe von Nazi-Persönlichkeiten zu rücken. stisch ist es allemal, wenn gefordert wird, daß der Strafvollzug wieder „stärker spürbar" für den Täter (Beifall bei der SPD) werden müsse, so als ob Freiheitsentzug, wie er der­ Das ist geschmacklos. Die richtige Reaktion wäre die zeit praktiziert wird, lediglich ein Honiglecken wäre. deutliche politische Zurückweisung gewesen. Mit Sie sprachen in Ihrer Rede von Schuldausgleich, von dem Strafantrag wurde das Ganze zu einer Angele- 1754 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Wirth [SPD]) zung von Richterämtern über das Votum des richterli­ chen Mitwirkungsgremiums hinweggesetzt hat, von genheit der Justiz, und eine Prozeßlawine begann zu der Mehrheitspartei zurückgewiesen wurde. rollen: Amtsgerichte wurden befaßt, aber es gab we­ nige Verurteilungen, hingegen zahlreiche Freisprü• Sie haben davon gesprochen, Frau Ministerin, daß die che. Dann gab es Berufungsschriften der Staatsan­ Justiz Vertrauen verdiene. Ich bin der gleichen waltschaft, Revisionsschriften, Landgerichte wurden Auffassung. Ich bin der Auffassung, daß sich die befaßt. Das Bayerische Oberste Landesgericht wurde Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats proportional zur mehrfach befaßt, dann wieder die Amtsgerichte, dann Unabhängigkeit der Justiz verhält. Und weil dies so wieder die Landgerichte, irgendwann das Bundesver­ ist, bedauere ich es sehr, daß, seit Sie in Bonn 1982 fassungsgericht, und dann ging das Ganze von vorn in die Regierung eingetreten sind, von einer alten los, und jetzt sind wir im siebten Jahr. Ich habe mir Spielregel im Richterwahlausschuß abgegangen ausgerechnet, daß der Freistaat Bayern wegen der wurde. Bis dahin war es nämlich üblich, daß Vor­ Freisprüche inzwischen rund 50 000 DM an Prozeß• schlagsrechte für die Besetzung von Bundesrichter­ kosten zu erstatten hatte. Aber das ist nicht einmal stellen entsprechend dem Stärkeverhältnis im Rich­ das Schlimme. Wenn man berücksichtigt, daß hier terwahlausschuß gewährt wurden. Heute wird rück• hochbezahlte Juristen bei den Amtsgerichten, bei sichtslos durchgewählt, wie ein Beispiel zeigt. Am den Landgerichten, beim Obersten Landesgericht, 30. Januar 1986 waren zwölf Bundesrichter zu wählen. beim Bundesverfassungsgericht und natürlich bei Von den Gewählten standen elf auf der Vorschlagsli­ den Staatsanwaltschaften, in Kompaniestärke, so ste der Union. Und wie gemunkelt wird, sollen unter möchte ich sagen, nicht nur stundenlang, sondern oft diesen elf auch manche sein, von denen die zuständi• tagelang damit befaßt sind, darüber nachzubrüten, ob gen Präsidialräte der Bundesgerichte die Meinung nun der Bayerische Ministerpräsident tatsächlich be­ vertreten haben, daß sie weniger geeignet seien. Ich leidigt wurde oder nicht, dann halte ich dies nicht frage mich: Wie soll das Vertrauen in die Unabhängig• mehr für eine bloße Farce, sondern ich gehe davon keit der Justiz gewährleistet und gefördert werden, aus, daß dies bereits ein Politikum ist. wenn in der geschilderten Weise das Prinzip der Aus­ gewogenheit verletzt wird? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Die Staatsministerin hat vorhin beklagt, die Gerichte seien überlastet. Ich bestreite das nicht. Ich stelle al­ Zu einem anderen Thema! Nach der Chemiekatastro­ lerdings angesichts des geschilderten Vorgangs fest: phe in Basel wurde von Ihnen genauso wie von uns Der Herr Ministerpräsident hat davon offensichtlich und von anderen zu Recht die Auffassung vertreten, noch sehr wenig gehört. daß es notwendig sei, sowohl die strafrechtliche als auch die z i v i 1 r e c h t 1 i c h e 1 n a n s p r u c h - (Zustimmung bei der SPD) nahm e von U m w e 1t s ü n der n zu erleichtern. Und wenn mir dann auf meine Anfrage gesagt wird, Die Koalitionsverhandlungen, die Sie in Bonn geführt dieser übergroße, ungewöhnliche Eifer der Staatsan­ haben, haben jedenfalls einen Teil dessen, was zu­ wälte beruhe nicht etwa auf einer Weisung des Justiz­ nächst gefordert wurde, übriggelassen. Das begrü• ministeriums, dann ist das für mich ein sehr geringer ßen wir. Natürlich ist es richtig, eine Ge f ä h r - Trost. Der dabei deutlich werdende vorauseilende dun g s h a f tun g in diesem Bereich einzuführen. Gehorsam, der die Staatsanwälte veranlaßt, um sich Niemand kann verstehen, daß der Halter eines Kraft­ das Wohlwollen der Staatsführung nicht zu verscher­ fahrzeuges wegen des Betriebsrisikos, das mit sei­ zen, mit geradezu inquisitorischer Unerbittlichkeit im­ nem Kraftfahrzeug verbunden ist, unabhängig von mer neue Berufungsschriften und Revisionsschriften seinem Verschulden für einen angerichteten Schaden zu produzieren, ist eigentlich nicht besser. aufzukommen hat, während derjenige, der eine viel gefährlichere chemische Anlage betreibt, bis heute (Abg. Dr. Wilhelm: Das ist eine unseriöse nicht aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaf• Unterstellung') tung in Anspruch genommen wird. - Das Ganze nimmt eigentlich fratzenhafte Züge an, (Zustimmung bei der SPD) Herr Kollege Dr. Wilhelm. Es steht die Frage im Raum: Ist es tatsächlich bei uns so weit gekommen, Wir halten es für richtig, daß derjenige, der durch den daß das Justizpersonal glaubt, Wohlverhalten im Betrieb einer Anlage ökologische Schäden anrichtet, Sinne der Regierungspartei üben zu müssen, damit unabhängig vom Verschulden, ausgleichspflichtig man der Karriere nicht schadet? wird. Insofern stimmen wir Ihren Vorschlägen selbst­ verständlich zu. Sie beruhen ja im übrigen auf Vor­ (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) schlägen, die wir selbst zunächst gemacht haben. Wir haben es immer mit einem gewissen Mißtrauen Aber wir meinen, daß damit noch nicht alles getan ist, betrachtet, daß gerade in letzter Zeit zusehends hohe was getan werden muß. Richterstellen nicht mit Persönlichkeiten besetzt wer­ Es geht nicht nur darum, daß man einen Gefähr• den, die aus dem richterlichen Dienst kommen, son­ dungshaftungstatbestand schafft, der es uns möglich dern mit Leuten, die aus der Verwaltung kommen. macht, jemanden in Anspruch zu nehmen, auch wenn Unser Mißtrauen ist nicht etwa dadurch entkräftet wir ihm das Verschulden nicht nachweisen können. worden, daß ein SPD-Antrag, der darauf abzielte, Häufig ist es so, daß man ohne kostspielige Gutach­ Auskunft darüber zu erhalten, in wie vielen Fällen sich ten nicht in der Lage sein wird, den Kausalzusam­ die Justizministerin oder ihr Vorgänger bei der Beset- menhang nachzuweisen, der zwischen dem Betrieb Plenarprotokoll 11128 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1755

(Wirth [SPD]) hörde. Aber diese weigerte sich, die Liste herauszu­ geben. Dann lese ich in der „Allgäuer Rundschau" einer Anlage und dem Schaden besteht. Insbeson­ vom 10. Juni 1987: „Ministerium will Staatsanwälte dere der private Geschädigte wird die finanziellen Mit­ bremsen." Es heißt weiter: tel für ein solches Gutachten nicht immer aufbringen können. Dr. Peter Gauweiler, Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, verteidigte in einem Gespräch (Zustimmung bei der SPD) mit unserer Zeitung energisch die Weigerung des Deswegen halten wir es für richtig, über eine U m - Wasserwirtschaftsamtes Kempten, der Staatsan­ kehr der Beweis 1 a s t nachzudenken, waltschaft eine Liste mit allen amtsbekannten Fäl• len von Gewässerverunreinigungen im Allgäu zu (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) überlassen. Das Justizministerium jedenfalls in den Fällen, in denen der erste Augen­ - so heißt es weiter - schein dies nahelegt. Wir meinen im übrigen, daß die Strafbestimmungen verschärft werden sollten. Es hat dieser Einschätzung laut Gauweiler inzwischen muß möglich sein, daß wir die eigentlich Verantwortli­ zugestimmt und die Staatsanwaltschaft angewie­ chen strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen und sen, in der Sache nichts weiter zu unternehmen. nicht nur deren Handlanger. (Abg. Kamm: Ist das nicht Komplizenschaft? Betrachtet man die Kriminalstatistik der vergangenen - Weitere Zurufe von den GRÜNEN) Jahre, dann stellt man fest, daß es zunehmend zur Einige Anmerkungen zu diesem Vorgang, der mir V e r f o 1g u n g v o n U m w e 1t d e 1i kt e n kommt. exemplarisch zu sein scheint: Hier wird ein Bewußtseinswandel deutlich. Schau! man allerdings genauer hin, stellt man fest, daß in er­ Erstens. Was nutzen Gesetze, die man nicht voll­ ster Linie Bagatellverstöße verfolgt werden, zieht? (Zustimmung bei der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) während die großen Fische offensichtlich immer noch Die Parlamente schaffen Strafbestimmungen, weil sie durch das Netz schlüpfen. Dieses ist unbefriedigend. die Schädigung der Umwelt für sozial schädlich und deswegen tür kriminell halten, und Behörden küm• Die SPD glaubt, daß durch eine bessere Aus- und mert das überhaupt nicht. Wenn es um Steuerstraf­ Weiterbildung des mit diesen Dingen befaßten Perso­ tatbestände geht oder um Subventionsbetrügereien, nals bei den Strafverfolgungsorganen und bei den dann haben wir eine Anzeigepflicht der Behörde nor­ Gerichten das Vollzugsdefizit nicht unerheblich ge­ miert, die Kenntnis von derartigen möglichen Straftat­ mindert werden könnte. Wir befürchten allerdings, beständen hat. Ich sehe nicht im geringsten ein, daß uns die Union beim Abbau dieses Vollzugsdefi­ warum man im Umweltschutzbereich nicht ähnliche zits nur in beschränktem Umfang zur Seite stehen Regelungen einführen sollte. will. Für diese Befürchtung haben wir einige Anlässe: (Beifall bei der SPD) Da gibt es nicht nur jenen skurrilen Fall aus Nieder­ sachsen, wo der Innenminister - ich glaube, es war Zweitens. Wenn ich richtig sehe, ist der Herr im Jahr 1984 - Polizisten mit einem sogenannten Um­ Staatssekretär Gauweiler im Innenministerium zu­ weltkoffer ausgestattet hatte, der sie in den Stand ständig für den Bereich der Polizei. Diese wiederum versetzen sollte, früher, rechtzeitig und wirkungsvol­ ist Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft und dem Legali­ ler gegen Umweltsünder zu ermitteln. Dann kamen, tätsprinzip unterworfen. Der Polizist, der von irgend­ nachdem diese Maßnahme, die unseren Beifall fand, welchen Verstößen gegen das Strafgesetzbuch er­ vollzogen war, die Klagen, nicht etwa darüber, daß fährt, ist aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet die Polizisten erfolglos gewesen wären, sondern dar­ zu ermitteln, auch wenn er nur einen vagen Verdacht über, daß sie zu erfolgreich gewesen seien. So wur­ hat. Andernfalls läuft er Gefahr, wegen Strafvereite­ den die Umweltkoffer wieder eingezogen. lung im Amt selber in Strafanspruch genommen zu werden. (Lachen des Abg. Geisperger) (Zustimmung von der SPD) In Bayern wurde ein Antrag der SPD abgelehnt, der Für mich ist es eine schizophrene Situation, daß der mehr Weiter- und Ausbildung von Juristen und Polizi­ Staatssekretär, der oberster Dienstherr dieses Polizi­ sten im Umweltbereich gefordert hatte. sten ist, der ihm helfen sollte, seine Pflicht zu erfüllen, Im Allgäu hat sich vor einigen Wochen ein Fall ereig­ genau das Gegenteil tut, nämlich dafür sorgt, daß ihm net, der aufhorchen läßt. Ich zitiere aus der „Allgäuer die Ermittlungen erschwert werden. Zeitung" vom 21. Mai 1987 die Überschrift „Staatsan• Drittens. Die Frau Staatsminister hat sich in einer walt fordert vergeblich Liste über illegale Abfluß• Presseverlautbarung vor einigen Wochen empört dar­ rohre". Der Hintergrund: Die Staatsanwaltschaft er­ über geäußert, daß es Leute gebe, die darüber nach­ mittelt in Kempten ganz offensichtlich gegen einige denken, ob man Bagatelldiebstähle von Vergehen zu Gewässerverschmutzer. Sie hat erfahren, daß es Ordnungswidrigkeiten abstufen sollte. beim Wasserwirtschaftsamt eine Liste gibt, in der diese alle aufgeführt sind. Nun wollten die Staatsan­ Der rechtspolitische Hintergrund ist klar. Das Strafge­ wälte natürlich pflichtgemäß diese Liste haben und setzbuch kannte bis 1970 drei Deliktgruppen: Verbre­ richteten ein Amtshilfeersuchen an die andere Be- chen und Vergehen bei schweren Straftaten und 1756 Bayerischer Landtag - 11 _Wahlperiode PlenarprotokoH 11 /28 v_ 24_ 06_ 87

(Wirth [SPD]) Man muß sich diese Begründung nochmals vor Au­ gen halten. Ich bin immer davon ausgegangen, daß Übertretungen bei leichtem Unrecht. Zu diesen Über• tretungen zählte auch Mundraub, das heißt die ver­ der Gesetzgeber Gesetze beschließt, weil er gerade brauchsbestimmte Entwendung von Gütern mit ge­ will, daß Auswirkungen dem Gesetz folgen. ringem Wert. Dieser Mundraub wurde, wie andere (Starker Beifall bei der SPD) Übertretungen auch, nicht abgewertet zur Ordnungs­ widrigkeit, sondern aufgewertet zum Vergehen und Nun habe ich gelernt, daß Herr Dr. Waigel, der für die wird jetzt als Diebstahl, möglicherweise sogar als CSU gesprochen hat, eine Grundgesetzänderung nur schwerer Diebstahl, geahndet. Dies kritisieren man­ dann für unbedenklich hält, wenn sie keine Auswir­ che mit gar nicht unplausiblen Argumenten. kungen hat. Die Frau Justizminister hingegen sagt, daß das (Heiterkeit bei der SPD) Rechtsbewußtsein der Bürger gestärkt werden Herr Dr. Waigel hat dann später seine Argumentation müsse, und dieses erfordere, daß man den Mund­ raubstatbestand nicht zur Ordnungswidrigkeit ab­ geändert und gesagt, man könnte einer solchen werte, sondern als Vergehen belasse, das man nicht Grundgesetzänderung eventuell zustimmen, wenn mit einer Geldbuße ahnden solle, sondern mit einer die FDP ihrerseits den von der CSU beabsichtigten Geldstrafe. Dies alles sei ein Gebot des zu fördern• Änderungen des Demonstrationsstrafrechts zu­ den Rechtsbewußtseins der Bürger. stimme. Diese Argumentation ist noch sehr viel aben­ teuerlicher. Ich knüpfe daran die Frage: Was eigentlich muß im Rechtsbewußtsein der Bürger vor sich gehen, wenn (Abg. Dr. Vogele: Herr Kollege, das ist doch der Bürger erfährt, daß es schwere Straftaten gibt, Sophismus!) Straftaten, welche die Gesundheit, und nicht nur die - Diese Argumentation ist noch sehr viel abenteuerli­ Umwelt. gefährden können, und daß es gleichzeitig Behörden gibt, die sich weigern, der Staatsanwalt­ cher. Was hat denn eigentlich das Demonstrations­ schaft bei der Verfolgung solcher Straftaten Hilfestel­ strafrecht mit dem Gebot zu tun, unsere Umwelt zu lung zu geben? schützen? Das einzig Akzeptable an diesem Junktim besteht darin, daß es mir die Möglichkeit gibt, jetzt in (Zustimmung von der SPD) meiner Rede vom Umweltschutz zum Demonstra­ Das Ganze wird von der politischen Führung auch tionsstrafrecht überzuleiten. noch gefördert. (Heiterkeit und Beifall bei SPD und Daß bei einem solchen Verhalten beim Bürger der GRÜNEN) Eindruck entstehen muß, Umweltdelikte seien Kava­ Zum De m o n s trat i o n s straf recht , Herr Kol­ liersdelikte und eigentlich kein kriminelles Unrecht, liegt auf der Hand. lege Dr. Merkl, möchte ich nicht viel sagen. Ich weiß aber, daß Sie annehmen, daß ich etwas dazu sagen (Abg. Kamm: Das ist gewollt') werde, und weil Sie das annehmen, nehme ich an, In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen daß Sie in Ihrer Rede dazu etwas vorbereitet haben. Vorgang hinweisen. der unser Haus auch schon be­ Deswegen einige Punkte dazu: schäftigt hat: Erstens. Die CSU ist uns nach wie vor den Beweis 1984 haben wir auf Initiative der SPD das Staatsziel dafür schuldig geblieben, daß zur Zeit der Geltung Umweltschutz in der Bayerischen Verfassung veran­ des obrigkeitsstaatlichen Demonstrationsrechts bis kert, und wir haben danach einen Antrag verabschie­ zum Jahre 1970 der proportionale Anteil unfriedlicher det, ebenfalls von der SPD gestellt, der die Staatsre­ Demonstrationen geringer war als nach der Reform. gierung ersuchte, in Bonn darauf hinzuwirken, daß entsprechend Grundgesetz geändert wird. Soweit so Zweitens. Ich sehe beim besten Willen nicht ein, gut. warum wir im Jahre 1987 die Versammlung von Men­ schen unter freiem Himmel wieder als Zusammenrot­ Dann habe ich gelesen, daß die FDP bei den Koali­ tung bezeichnen sollen, so wie das im Jahre 1871 zu­ tionsverhandlungen genau dieses Anliegen zu ihrem nächst im Preußischen Strafgesetzbuch der Fall war. eigenen gemacht hat. Ich bin jetzt natürlich aufgrund der vorausgegangenen Beschlüsse davon ausgegan­ Drittens. Ich sehe beim besten Willen nicht ein, gen, daß der Bayerische Ministerpräsident nichts lie­ daß der Sicherheitszustand dadurch gefördert wer­ ber hätte, als das Anliegen der FDP, das unser aller den soll, daß die Staatsgewalt auf Demonstrationsteil­ Anliegen ist, zu unterstützen und dafür zu sorgen, nehmer zugreifen kann, die friedlich sind, friedlich daß alle Widerstände gebrochen werden. Aber weit sein wollen, friedlich bleiben wollen, die und mit Ge­ gefehlt. Wie erstaunt war ich, als ich in den Abend­ walttätern nichts im Sinne haben, nachrichten den Landesgruppenchef der CSU, Herrn Dr. Waigel, hörte, der erklärte, die CSU lehne ein (Beifall bei der SPD) Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz ab. Er hat während sich die Gewalttäter ihrerseits nach wie vor es damit begründet, daß ein solches Staatsziel Um­ dem staatlichen Zugriff vielleicht sogar noch leichter weltschutz im Grundgesetz erhebliche Auswirkungen entziehen können. hätte. (Heiterkeit bei SPD und GRÜNEN) (Zustimmung des Abg. Dr. Kestel) Plenarprotokoll 11128 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1757

(Wirth [SPD]) (Abg. Hiersemann: Das paßt nicht in den vorbereiteten Text, gell! - Weitere Zurufe Ich möchte zum Abschluß kommen, weil mich sonst von der SPD - Glocke des Präsidenten) meine Kollegen schelten, und folgendes sagen: Ich möchte mich damit nicht auseinandersetzen, son­ In den siebziger Jahren, meine sehr verehrten Damen dern nur Eduard Zimmermann zitieren. der Ih­ und Herren von der CSU, machten Sie in Wahlkämp• nen aus der Fernsehsendung „XY" besser bekannt fen immer einen Alleinvertretungsanspruch auf frei­ ist und der bei einem Hearing in Bonn aus der zweifa­ heitliche Politik mit Ihrer Wahlkampfparole „Freiheit chen Position sowohl des Journalisten als auch des oder Sozialismus" geltend. Wer solches selbstge­ Kriminalisten gesagt hat: „Die Reformdiskussion der recht in Anspruch nimmt, hat natürlich eine Bring­ siebziger Jahre ist die Ursache des Rechtsbruchs, schuld in der Rechtspolitik, und ich erwarte von ihm, den wir heute in der Bundesrepublik feststellen." So­ daß er alles unternimmt, um das demokratische Be­ weit das Zitat. wußtsein, den Bürgersinn und die Mitbestimmung zu (Zurufe von SPD und GRÜNEN - Abg. stärken. Hiersemann: Also Eduard Zimmermann als Nichts davon kann ich in Ihrem Katalog rechtspoliti­ Zeuge ist schon abenteuerlich!) scher Vorhaben erkennen. Im Gegenteil' Im Demon­ - Herr Kollege Hiersemann, um eines möchte ich Sie strationsstrafrecht beabsichtigt man, wie ich gelesen gerne bitten: Sie sind der Vorsitzende Ihrer Fraktion, habe, einen neuen Haftgrund einzuführen, eine Vor­ und ich meine, Sie haben nicht nur körperliches, son­ sorgehaft - die Schutzhaft unseligen Angedenkens dern auch geistiges Gewicht. Sie sollten deshalb läßt grüßen. Ferner besteht die Absicht, die verfas­ durch Zwischenrufe nicht immer wieder versuchen, sungsrechtlich bedenklichen Zusammenarbeitsge­ den Redner aus dem Konzept zu bringen. Sie sollten setze nach wie vor zu verabschieden. Dazu gibt es sich auch einmal bemühen, zuzuhören. Ihre Zwi­ die erwähnte Tendenz parteipolitischen Raubritter­ schenrufe sind meistens so lange wie eine Rede. Viel­ tums bei der Besetzung hoher Richterstellen. leicht halten Sie sich einmal an diesen Rat. (Beifall bei der SPD) (Abg. Dr. Kestel: Sehen Sie sich einmal die Zwischenrufe von der CSU anl) Dies alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat mit freiheitlicher Rechtspolitik wenig zu tun. Dies Meine Damen und Herren! Frau Justizministerin Dr. alles weist nicht in die Zukunft, sondern in die Ver­ Berghofer-Weichner hat ihre Rede - vor der Dank­ gangenheit. Eine solche Rechtspolitik, Frau Justizmi­ adresse - mit folgendem Satz beendet: nisterin, können wir nicht unterstützen. Wir lehnen Unser Rechtsstaat ist stark genug, Angriffe auf sei­ deshalb Ihren Haushalt selbstverständlich ab. nen Bestand abzuwehren, weil er sich auf Ver­ trauen stützen kann, auf Vertrauen in die Justiz (Anhaltender starker Beifall bei SPD und und auf Vertrauen in das Recht. GRÜNEN) Das möchte ich voll unterstützen, aber hinzufügen: Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat Herr Kollege Dr. Der Staat war schon einmal schwächer als heute. Be­ Merkl' zogen auf die Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland war er aber auch schon einmal stärker. Dr. Merkl (CSU): Herr Präsident, Frau Staatsministe­ Zur Begründung auch ein Zitat: rin, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr In der Bundesrepublik ereignen sich an jedem Tag Kollege Wirth, ich gehe in meinen Ausführungen, die 80 Raubüberfälle, in jeder Stunde 32 Roheitsde­ nicht länger sein werden als Ihre, schon noch auf das likte, in jeder Minute drei schwere Diebstähle, und eine oder andere von Ihnen Gesagte ein, einige Be­ in 20 Jahren hat sich die Kriminalität verdoppelt. merkungen aber vorweg: Dieses Zitat stammt von Dr. Manfred Sc h reibe r, Sie haben vieles an der bayerischen Justizpolitik ge­ ehemaliger Polizeipräsident in München und jetzt Mi­ lobt und sich eigentlich nur mit einigen örtlichen Pro­ nisterialdirektor im Bundesinnenministerium in Bonn. blemen beschäftigt. Das angesprochene Umweltpro­ Er hat diese Ausführungen Mitte April gemacht bei blem im Allgäu kenne ich nicht. Ich nehme an, daß die der Vorlage der Po 1 i z e i 1 ich e n K r im i n a 1 s t a - Frau Staatsministerin sowohl darauf als auch auf den t ist i k 1986. Dabei hatte Dr. Schreiber offensichtlich sogar Zahlen vorliegen, die hinter den tatsächlichen „Anachronistischen Zug" eingehen wird. Mir war nur zurückbleiben. 4345107 nannte er laut Presseberich­ etwas schleierhaft, wie Sie dann die Kurve kratzten ten. Das ist exakt die Zahl der Straftaten für 1983, die und einfach sagten, deshalb lehnen wir den Haushalt Staatssekretär Spranger am 25. August 1984 in einem ab. Beitrag im Bayernkurier nannte. Ich glaube daher, daß (Beifall bei der CSU - Zurufe von SPD und aus Versehen eine andere Zahl genannt wurde. Wenn GRÜNEN) wir von einer jährlichen drei- bis vierprozentigen Stei­ gerung im Bundesdurchschnitt ausgehen, dann Ich glaube, das war etwas wenig. müßte die Zahl sogar noch um mehrere 100000 höher Noch eine Vorbemerkung: Sie haben Ihre Ausführun• liegen. gen mit den Worten begonnen: „Nach der fruchtba­ Aber wie dem auch sei: Im Vergleich 1985 zu 1986 ren Reformdiskussion der siebziger Jahre ... " weist Bayern gegenüber den anderen Ländern 1758 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode P1enarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Dr. Merkl [CSU]) tionsblatt zum Thema „G e w a 1t gegen Frauen". Ich habe bisher allerdings noch keine ab­ günstigere Fallzahlen auf. Die Zunahme in einigen Be­ schließende Reaktion darauf bekommen, so daß ich reichen spricht aber auch deutlich für sich: Diebstahl jetzt in meinem Kreisverband selbst einmal den Ver­ aus Kraftfahrzeugen plus 17 Prozent, Wohnungsdieb­ such starte. Nicht ein Informationsblatt bei den Poli­ stahl plus 12 Prozent, Tötungsdelikte - sie gehen ein­ zeidienststellen, an die die vergewaltigten Frauen mal etwas zurück und einmal etwas nach oben, bei sich dann wenden können, was sie jetzt tun sollen, der relativ geringen Zahl wirkt sich das schnell aus - sondern ein Informationsblatt für die Diskotheken, für plus 14,7 Prozent. Dazu hatten wir in Bayern im Jahre die höheren Klassen der Schulen, um die Mädchen 1986 166 Überfälle auf Geldinstitute - ein Plus von darauf hinzuweisen, daß eigentlich die meisten Straf­ mehr als 25 Prozent. Durch den Rückgang in einigen taten im Sinne von Gewalt gegen Frauen, sexuelle anderen Bereichen ergibt sich unter dem Strich ein Straftaten gegen Frauen, von Beziehungstätern ver­ Anstieg von 1,3 Prozent; das sind immerhin 6855 übt werden, von Bekanntschaften und dgl.; um ihnen Straftaten. einmal zu sagen, daß es gar nicht so harmlos ist, wie Die vorgelegten Zahlen sagen noch etwas aus: sie glauben, sie zu einem Bekannten ins Auto zu stei­ gen oder in die Wohnung zu gehen. Bei einer Aufklärungsquote von unter 50 Prozent im Bundesdurchschnitt - wir sind mit 58 Prozent weitaus Meine Damen und Herren! Wir brauchen nach wie vor die besten; die Hessen waren mit 35 Prozent die zweitens ein gutes g es et z 1ich es 1n s t r u - schlechtesten, der Schnitt liegt unter 50 Prozent - m e n t a r i um. Wir brauchen Rechtsgrundlagen, mit bleiben jährlich bei uns heute mehr Straftaten unauf­ denen die Polizei und die Justiz arbeiten können. Ei­ geklärt, als vor zehn Jahren insgesamt registriert wor­ niges ist in jüngster Zeit neu geschaffen worden; den sind, nämlich mehr als 2,5 Millionen. Frau Staatsministerin hat vorhin das Gesetz zur Be­ kämpfung des Terrorismus vom 1. Januar 1987 ange­ Meine Damen und Herren! Gibt es Gegenmittel? Vor führt und auch den Inhalt dargestellt. Mit Wirkung zehn Jahren habe ich an gleicher Stelle versucht, eine vom 1. Januar 1986 ist das Zweite Gesetz zur Be­ Art Gesamtkonzept darzulegen, von dessen Richtig­ kämpfung der Wirtschaftskriminalität hinzugekom­ keit ich nach wie vor überzeugt bin, wenn auch die men. Gewichtung heute etwas anders liegt. Die Stichworte damals waren: Aufklärung der Bevölkerung, vorbeu­ Ich will jetzt hier nicht vortragen, was ich mir an inhalt gende Sorge für den möglichen Täter, Abschreckung herausgeschrieben habe, sondern nur zwei Sätze sa­ durch Strafen, hohe Aufklärungsquote, rasche Abur­ gen: Hier sind die Rechtsgrundlagen geschaffen wor­ teilung, sinnvolle Strafvollstreckung mit der Möglich• den, damit man gegen die neuen Methoden der Wirt­ keit der Resozialisierung. schaftskriminalität, der Computerkriminalität, des Scheckkartenbetrugs und dgl. überhaupt vorgehen Das gilt auch heute noch. Wir brauchen erstens auch kann. Es war so ähnlich wie früher einmal, als der heute noch, meines Erachtens wichtiger als je zuvor, Strom abgezapft wurde und man keine Rechtsgrund­ die breite Aufklärung der Bevölkerung und in der Be­ lage hatte, dies zu bestrafen; es wurde eine neue Be­ völkerung die Eigenverantwortung, die Selbsthilfe­ stimmung aufgenommen. Solche Rechtsgrundlagen möglichkeiten, die Mithilfe bei der Verbrechensver­ gelten jetzt auch für die Wirtschaftskriminalität. Des­ hinderung und -bekämpfung. Hierzu gehört zum Bei­ halb sollte man nicht kritisieren, wie es zwar nicht spiel auch das intensivere Gespräch mit der Jugend heute von Ihnen geschehen ist, aber wiederholt an über Recht, über Staat, über Gewaltmonopol, über anderer Stelle, und sagen, bei der Wirtschaftskrimina­ Widerstand. lität sei man bei der Justiz, was die CDU/CSU anbe­ In einem Rundschreiben, das ich Ende des letzten lange, blind. Ganz im Gegenteil, wir haben jetzt die Jahres an etwa 50 Jugendorganisationen gerichtet Gesetze geschaffen, die nun entsprechend wirksam habe, habe ich danach gefragt, inwieweit man denn sein können. heute in der Jugend bereit ist, Gerichtsentscheidun­ (Beifall bei der CSU) gen, staatliche Entscheidungen anzuerkennen oder wie weit man glaubt, daß man dagegen vorgehen Was die U m w e 1t s c h u t z bestimmungen anbe­ dürfe, eventuell auch mit Gewalt. Das Echo war nicht langt, so hat die Frau Ministerin Mitte Januar die neue so überwältigend, wie ich geglaubt habe. Aber die Sammlung herausgegeben. Wenn man sich die Mühe Antworten, die kamen, waren fast durchweg so, daß macht und die Sammlung durchliest - wenn ich rich­ man gesagt hat: Das und das ist unsere Ansicht, aber tig informiert bin, hat sie jeder Kollege bekommen -, bitte unterhalten wir uns doch einmal darüber. dann sieht man, daß damit das nötige rechtliche In­ strumentarium sehr wohl geschaffen ist. Herr Kollege Der Jugendarbeitskreis unserer Fraktion unter Füh• Wirth, es ist eine Behauptung, die zwar sehr populär rung des Kollegen Freller hat erste Gespräche ge­ ist, für die Sie aber den Beweis schuldig geblieben führt; weitere werden folgen. Vielleicht ist das Ende sind: Die großen Fische läßt man laufen und die klei­ dann auch noch eine Art Hearing mit Experten, mit nen fängt man. Sie müssen auch sagen: Wenn ich je­ Jugendlichen, um einmal der Frage näherzukommen: manden sehe, der seinen Baum abschneidet, der Warum steigt denn die Jugendkriminalität nach wie nach der Verordnung eigentlich stehen bleiben vor stärker und rascher an als die der Erwachsenen? müßte, dann habe ich das im Griff; ihn kann ich verfol­ Meine Damen und Herren' Hierzu gehört zum Bei­ gen. Wenn Sie jetzt aber die Umweltschäden herneh­ spiel auch, was ich in einer Mündlichen Anfrage am men, die in Tirol plötzlich an Bäumen festgestellt wur­ 18. März hier vorgetragen habe, nämlich ein lnforma- den, dann können Sie nicht sagen: Aha, hier tut man P!enarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1759

(Dr. Merk! [CSU]) senator Curilla, SPD, Hamburg, erklärt: Wir wollen hö• here Strafen zur Abschreckung, und wir wollen statt wleder nichts; die Großen läßt man laufen! Sie müs• Ordnungswidrigkeiten Straftatbestände zur Ab­ sen erst einmal wissen, wer und was es gewesen ist! schreckung. Als etwa zur gleichen Zeit die Verkehrs­ (Abg. Dr. Wilhelm: Ganz genau') minister in Bonn zusammen waren, hat man auch ge­ sagt, auch die SPD-Kollegen: Wir wollen schärfere Meine Damen und Herren' Wir brauchen neben dem Instrumentarium, das wir schon haben, einiges Neue. Strafen haben, höhere Bußgeldbestimmungen für Die Frau Ministerin hat die Sitz b 1o c k ade n an­ Schnellfahrer und dgl. zur Abschreckung. gesprochen. Dazu müßte man noch die Stehblocka­ Meine Damen und Herren! Wir brauchen drittens den nennen. Das ist auch etwas Neues, was hinzu­ nach wie vor eine rasche Abu r t e i 1u n g. Auch kommt. Was wird denn sein, wenn sich eine Gruppe das ist wörtlich von Frau Dr. Berghofer-Weichner ge­ ·vor diejenigen stellt, die blockieren wollen? Dazu sagt worden. Ich gehe noch weiter: Wir brauchen kommen noch die angekündigten Betriebsbesetzun­ eine lückenlose Ahndung. Hier hat der Strafrechts­ gen. Der Gesetzgeber muß die Diskrepanz, die hier professor H e 11 m er, der früher in Kiel tätig war, in besteht, schleunigst aus dem Weg räumen. Die Rich­ der „Zeit" am 1. März 1985 eine, wie ich meine, sehr ter sind an das Gesetz gebunden. Wenn die Richter gute Abhandlung geboten. Er hat dort geschrieben: sagen, dieses Gesetz - § 240, Nötigung -, insbeson­ „Die lückenlose Ahndung ist, was die Abschreckung dere der Gewaltbegriff, und die Frage der Rechtswid­ anbelangt, wichtiger als die Höhe der Strafdrohung." rigkeit seien unsicher, dann muß der Gesetzgeber schnell handeln. Es ist doch ein unerträglicher Zu­ Ich kann dem beipflichten. Es dient sicherlich nicht stand, wenn ich bei einem Amtsgericht den Buchsta­ der Abschreckung, wenn ein Täter weiß, für eine Tat ben A oder B als Beschuldigter habe und bei dem ei­ gibt es zwar hohe und höchste Strafen, aber es wer­ nen verurteilt und bei dem anderen freigesprochen den, wie zum Beispiel beim Diebstahl aus Kraftfahr­ werde. zeugen, nur 90 Prozent der Täter erwischt. Da muß eben etwas anderes dazukommen. (Abg. Dr. Kestel: Wie war das bei der LKW-Blockade?) (Abg. Dr. Wilhelm: 90 Prozent der Täter werden erwischt?) Meine Damen und Herren! Das nächste ist das D e - m o n s t rat i o n s s t r a f r e c h t ; auch das hat Frau - Nein, das war ein Versprecher: im Bundesdurch­ Dr. Berghofer-Weichner angesprochen. Herr Kollege schnitt wurden bei Diebstählen aus Kraftfahrzeugen Wirth, Sie haben gesagt, weil ich etwas sage, sagen 17 Prozent der Täter erwischt, in Hessen konnten nur Sie etwas. Nein, das war falsch. Die Frau Staatsmini­ ganze zehn Prozent der zur Anzeige gebrachten sterin hat hier sehr gute und wichtige Ausführungen Diebstähle aus Kraftfahrzeugen letztlich aufgeklärt gemacht. Sie hätten als Oppositionsredner darauf werden. Da sagt sich natürlich jeder: Es ist ja gar antworten sollen und nicht auf das, was ich eventuell nicht schlimm, wenn ich eine hohe Strafe zu erwarten sage. habe, mich erwischen sie ja sowieso nicht. (Beifall bei der CSU) Wir können heute zu einer lückenlosen Ahndung ein Aus unserer langjährigen Diskussion wissen Sie, daß gutes Stück beitragen, nämlich wenn wir die Planstel­ ich sehr wohl der Meinung der Frau Staatsministerin lenmehrungen genehmigen, die im vorliegenden bin. Ich möchte hier jetzt noch einen anderen Zeugen Haushalt vorgesehen sind. Aber, liebe Kolleginnen anführen. Sie haben sicher am Montag in den Zeitun­ und Kollegen, wir sollten auch in Zukunft nicht etwa gen gelesen, daß der von mir schon zitierte frühere sagen: So, jetzt reicht es wieder einmal für die näch• Polizeipräsident S c h r e i b e r am Wochenende ge­ sten zehn Jahre, sondern wir sollten nach wie vor ins sagt hat: Ja, wenn wir heute einen vermummten De­ Auge fassen, daß die Erhöhung der Polizeistärke und monstranten auch nur nach Ordnungswidrigkeiten­ damit verbunden eine höhere Aufklärungsrate auch recht bestrafen können, dann haben wir überhaupt einen höheren Anfall bei der Justiz bedingen. Es keine Unterscheidung zwischen dem vermummten bringt bestimmt nichts, wenn die Polizei ermittelt und Demonstranten und dem Falschparker. Kann denn den Täter faßt, aber die Justiz wegen Überlastung das richtig sein? Ich meine, daß wir die von ihm ge­ nicht in der Lage ist, im Laute des nächsten halben stellte Frage lösen müssen. Jahres zu einem Urteil zu kommen. In dieser Bezie­ hung haben auch die beiden strafrechtlichen Entla­ (Beifall bei der CSU - Abg. Dr. Wilhelm: stungsgesetze, die am 1. April diesen Jahres in Kraft Genau!) getreten sind, einiges Positive bewirken können. Meine Damen und Herren! Gute Rechtsgrundlagen, Wir brauchen schließlich nach wie vor einen sinn - das heißt sinnvolle Strafgesetze, haben auch eine Ab­ v o 11 e n St rat v o 11 zu g , wobei sowohl, Herr Kol­ schreckungswirkung. Herr Kollege Wirth, es freut lege Wirth, der Sühnegedanke als auch die Resoziali­ mich, daß Sie vorhin gesagt haben, daß wir beim Um­ sierung Platz haben müssen. Ich sehe hier keinen so weltschutz schärfere Strafen brauchen, auch wenn großen Widerspruch, wie Sie ihn in die Debatte ge­ Sie das Wort „Abschreckung" nicht gebraucht ha­ worfen haben. Ich möchte mich ganz entschieden da­ ben. gegen wehren - die Frau Ministerin wird das sicher­ Als jetzt die Justizminister zu einer Konferenz zusam­ lich in ihrem Schlußwort ausführlicher tun -, einfach men waren, es ging um Umweltstrafrecht, hat an­ das, was der Herr Ministerpräsident in diesem Zu­ schließend der Sprecher dieser Konferenz, Justiz- sammenhang in die Waagschale geworfen hat, als 1760 Bayerischer Landtag · 11. 'Wahlperiode Plenarprotokoll 11128 v. 24.06.87

(Dr. Merkl [CSU]) Ein „Rest" an Straftätern, für den es nur die Justiz­ vollzugsanstalten gibt, wird immer übrig bleiben. Das „Bierzeltrede" abzutun. Man hält nicht immer eine hat sogar Arno Plack eingeräumt, der ein mehrere „Bierzeltrede", wenn man so spricht, wie es die Be­ hundert Seiten starkes Buch geschrieben hat, um völkerung auch sieht und gerne hört. Ich kann mich gut erinnern, es steht auch im Protokoll, daß das, was darzulegen, daß das Strafrecht gänzlich abgeschafft werden sollte. Mit diesem Zugeständnis hat er sich ja ich 1977, also vor zehn Jahren, hier angeführt habe, vom Kollegen Eberle, der nach mir sprach, als reine eigentlich selbst widerlegt. „Bierzeltrede" abgetan wurde. Ich gehe nicht mehr Meine Damen und Herren! Alles, was ich angeführt darauf ein, denn vieles von dem, was damals kritisiert habe, ist wichtig, damit die Polizei und die Justiz ihren wurde - Zwischenruf Dr. Rothemund, Zwischenruf Aufgaben nachkommen können. Entscheidender bei Klasen - ist heute ja Gott sei Dank Allgemeingut ge­ der Resozialisierung ist aber nach wie vor etwas an­ worden. deres, um an einen Vergleich aus der Umweltsprache Die bayerische Justiz hat in dankenswerter Weise in anzuknüpfen, der lautet: Recycling ist gut, aber Ver­ jüngster Zeit einige neue Wege beschritten und meidung von Abfall ist besser! damit, Herr Kollege Wirth, den Beweis erbracht, daß (Jawohl! und Sehr gut! bei den GRÜNEN) die Resozialisierung nach wie vor einen hohen Stel­ Auch hier gilt übertragen: Resozialisierung ist gut, lenwert hat: aber Vermeidung von Straftaten wäre sicher weit bes­ Ich nenne das Stichwort „Arbeit statt Strafe", besser ser! bekannt unter „Schwitzen statt sitzen". Seit 1. Ja­ (Abg. Kamm: Stimmt!) nuar 1987 gibt es in ganz Bayern die Möglichkeit, un­ Das heißt, wir müssen das geistige Klima, den Nähr• einbringliche Geldstrafen durch gemeinnützige Arbeit boden, auf dem die Straftaten wachsen, ändern. zu tilgen. (Abg. Dr. Kestel: Richtig!) zweites Stichwort: „Täter-Opfer-Ausgleich", seit 1. Januar 1987 ein Modell bei Jugendgerichten in Meine Damen und Herren! Das habe ich vor zehn München und in Landshut. Hier handelt es sich um Jahren erstmals hier vorgetragen. Ich meine, unter eine direkte Wiedergutmachung entsprechend einer dem Strich hat sich daran leider nichts geändert. Eini­ Vereinbarung zwischen Täter, Opfer und Sozialarbei­ ges ist besser geworden, ja. Ich beziehe das jetzt ter bei leichteren Delikten, zum Beispiel Sachbeschä• nicht auf die staatliche Seite, sondern auf die Haltung digung und Diebstahl. Herr Kollege Wirth, wir brau­ der Bevölkerung. Wir kümmern uns mehr um sozial chen dann nicht mehr darüber zu diskutieren, ob es Schwache, caritative Einrichtungen, Behinderte, Tier­ sich um eine Ordnungswidrigkeit oder um eine Straf­ schutz, Drille Welt, Opferentschädigung, mehr Hu­ tat handelt, ob ein Vergehen oder eine Übertretung manität dem anderen gegenüber. Ganz neu ist zum vorliegt. Es kommt darauf an, daß man solche Taten Beispiel das am 1. April 1987 erlassene Gesetz zur nicht mehr mit den herkömmlichen Strafen ahndet, Verbesserung der Stelung des Verletzten im Strafver­ sondern dem Täter die Möglichkeit gibt, seine Schuld fahren. Dies haben wir hier 1983 erstmals in einem wiedergut- und damit seine Tat mehr oder weniger deutschen Parlament besprochen. Die Einsicht, daß ungeschehen zu machen. Gewaltdarstellungen in den Medien schädliche Aus­ wirkungen auf die Jugend haben, ist allgemein aner­ Drittes Stichwort: „Nachsitzen statt Untersuchungs­ kannt. Das war damals nicht der Fall. haft". Es gibt im Jugendgerichtsgesetz die Möglich• keit, einen Jugendlichen oder Heranwachsenden Meine Damen und Herren! Einiges ist aber schlecht während eines Verfahrens, statt ihn in U-Haft zu stek­ geblieben oder noch schlechter geworden. Schlech­ ken, in einem Heim unterzubringen, damit er diese ter geworden sind die Vorbilder für die Jugend, für Zeit für einen Neuanfang nützen kann. Seit 1. Januar die labilen Erwachsenen. Die Zeitschriften und die Il­ 1986 stehen im Pius-Heim in Glonn hierfür neun lustrierten fragen nur danach, wie die Auflage erhöht Plätze zur Verfügung. werden kann, Die Zukunft wird, zumindest bei der Kleinkriminalität, (Abg. Zierer: Jawohl!) mehr im Maßnahmen- als im Strafenbereich liegen womit der Umsatz gesteigert werden kann. müssen. Die zunehmende Zahl der Taten wird uns dazu zwingen, die Justiz, die sich mit schwereren De­ Nur zwei Stichworte zum Thema Videos; Frau Kol­ likten befassen muß, hiervon zu entlasten. legin Fischer wird später noch näher darauf eingehen. Die Jugendlichen kommen nach wie vor an indizierte Das Innenministerium hat, wie ich meine, einen sehr Videos, nämlich auf dem Umweg über die 18jährigen. guten Einfall gehabt, als an Ostern probiert wurde, Zum anderen: Wie oft meinen wir, Videospiele seien die Raser nicht sogleich vor den Kadi zu zitieren, son­ doch harmlos. Ich habe zwei Söhne, die solche Spiele dern ihnen, wie geschehen, das Motorrad wegzuneh­ haben und schaue mir ab und zu etwas an. Jedes die­ men. Staatssekretär Gauweiler hat vor kurzem in ei­ ser Spiele läuft doch eigentlich nur darauf hinaus, wer ner Versammlung humorvoll gesagt: „Das war wun­ in der kürzesten Zeit die meisten abknallen kann. derbar. Was glauben Sie, wie die Leute geschaut ha­ ben, als sie zu zweit mit einer Harley-Davidson weg­ (Abg. Diethei: Den anderen vernichten, und in einem Vorstadtzug heimgefahren sind!" Die­ jawohl!) ses vorgehen hat seine Wirkung natürlich nicht ver­ Meine Damen und Herren' Zum Thema „TV": „schule fehlt. und wir" hat 1985 eine Untersuchung vorgenommen, Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1761

(Dr. Merkl [CSU]) ich aufgreifen: die Abtreib u n g. Frau Dr. Bergho­ fer-Weichner hat Mitte Mai Zahlen vorgelegt. Sie die in einer beliebig herausgegriffenen Woche 243 schätzt jährlich 250 000 Abtreibungen, auch wenn gewalttätige Bildfolgen bei ZDF und ARD ergeben 1985 „nur" 83 578 von den Ärzten gemeldet wurden. hat. Wenn 84 Prozent davon - wie berichtet - soziale Not­ Nächstes Stichwort Vor b i 1d funkt i o n. Meine lagen sind, dann sind rund 70 000 Abtreibungen we­ Damen und Herren! Wir brauchen nicht auf andere gen sozialer Notlage erfolgt. Dankenswerterweise - Länder zu schauen, auch wenn es dort sehr drasti­ vielleicht haben es manche überlesen - hat das Baye­ sche Beispiele gibt. Rock Hudson, Frauenliebling in rische Staatsministerium der Justiz im Januar dieses vielen Filmen - wie groß war dann die Ernüchterung, Jahres wieder einen Vorstoß in Richtung Erleichte­ als sich plötzlich herausstellte, daß er homosexuell rung des Adoptionsrechts unternommen. In einer war, daß alles nur gespielt war, nicht nur im Film, und Wohlstandsgesellschaft wie der Bundesrepublik daß er letztlich an Aids gestorben ist! Wie oft wird Deutschland, wo es allen gut geht, jetzt nach Wimbledon geblickt: Boris Becker, Steffi (Vereinzelter Widerspruch bei der SPD) Graf - Vorbilder für die Jugend. Auf der anderen Seite die Tenniskönigin Navratilova. Wie wird es sich wo so viele sagen, ich muß doch arbeiten, weil ich zu wohl auf die Jugend auswirken, wenn sie liest, daß Hause nichts zu tun habe, ich habe doch keine Kin­ diese jetzt zum zweiten Mal heiratet, aber nicht etwa der, warum gibt es da nicht mehr Möglichkeiten zu einen Mann, sie heiratet eine Frau, nämlich ihre stän• adoptieren? dige Begleiterin'· Die Ringe sind schon gekauft. (Beifall bei der CSU) (Zuruf von der SPD: Das glauben Sie?) Warum wirken wir nicht auf die Schwangeren ein, daß Ein weiteres Beispiel: Staller, glaube ich, heißt die sie die Kinder zur Adoption freigeben? Ich weiß, daß Frau in Italien, dieser Tage stand es in der Zeitung, manche, die zunächst gesagt haben, gut, dann trag die sogar noch in ein Parlament gewählt wird! Im Ne­ ich's aus und geb's zur Adoption frei, nachher nicht benberuf oder im bisherigen Hauptberuf ist sie Por­ mehr bereit waren und erklärt haben, jetzt möcht nodarstellerin. ich's doch behalten. Aber das ist doch auch ein schö• ner Erfolg. Sogar ein besserer! Und da muß der Staat (Abg. Dr. Gantzer: Sie sind ja nur neidisch! - vielleicht auch mit Hilfen kommen. Gegenruf des Abg. Diethei: Das war eine Entgleisung! - Abg. Brosch: Das war ein Meine Damen und Herren! Es ist kein nennenswerter Ausrutscher! - Gegenruf des Abg. Schimpl: Unterschied zwischen einer Abtreibung im Mutterleib Aber gut war er' - Unruhe) und einer Tötung kurz nach der Geburt. Und umge­ kehrt sage ich für die, die adoptieren wollen: Es ist Meine Damen und Herren, bleiben wir im lande! kein großer Unterschied zwischen einem eigenen (Glocke des Präsidenten) Kind und einem adoptierten. Man kann bei beiden Schiffbruch erleiden oder viel Freude haben. - Herr Kollege Gantzer, der Zwischenruf ist ge­ schenkt, er war nicht ernst gemeint, nicht? Fertig. (Beifall bei SPD und GRÜNEN) Denken Sie an die Sitzblockaden von 19 Richtern am Jetzt müssen wir aber aufpassen, daß wir nicht eine 12. Januar? Welchen Eindruck muß es denn auf die neue Indikation auf kaltem Wege hinzubekommen. Jugend machen, wenn sich 19 Richter an einer Sitz­ Ich bitte mich nicht mißzuverstehen, weil es sich um blockade beteiligen? Übrigens auch ein ehemaliger Maßnahmen handelt, die im „Katalog" sind. Es Richter, Herr Säumer, aus unserem Bereich. Welch könnte als Indikation hinzukommen die Möglichkeit ein Vorbild für die Jugend sind denn die 290 Rechts­ der Übertragung des AIDS-Virus durch HIV-positive anwälte, die dieser Tage gemeinsam zum Boykott der Mütter auf das Kind. Da kann man ganz leicht mani­ Volkszählung aufgerufen haben? Was bekommt denn pulieren. Wenn jemand zum Arzt kommt und sagt, ich die Jugend für einen Eindruck, wenn sich Bundes­ krieg' jetzt ein Kind, das kann man ja feststellen, und tagsabgeordnete der GRÜNEN nicht von Gewalt di­ behauptet, vor 14 Tagen mit einem Mann ungeschützt stanzieren, wenn, wie von Frau Bott, einer Bundes­ geschlafen zu haben, der HIV-positiv war, bleibt nicht tagsabgeordneten der GRÜNEN, vor kurzem gesagt mehr viel Zeit abzuwarten, ob sich bei der Frau Anti­ wird: Gewalt kann selbstverständlich legal sein. körper bilden oder nicht. Dann „muß" abgetrieben werden. Hernach aber stellt sich vielleicht heraus, da Meine Damen und Herren! Es waren Richter, Organe war gar nichts. Ich habe das nur konstruiert. Wir wol­ der Rechtspflege. Das sind diejenigen, die dann Ju­ len aber die Abtreibungen nicht vermehren, sondern gendliche wegen der Teilnahme an Sitzblockaden einschränken. verurteilen, Sich aber selber daran beteiligen. Das sind diejenigen, die die verurteilen, die zum Boykott Alles das auf einen Nenner gebracht und plakativ aus­ der Volkszählung aufrufen, aber 290 Rechtsanwälte, gedrückt: Wir brauchen einen anderen Menschen, Organe der Rechtspflege, beteiligen sich selbst. neue, bessere menschliche Vorbilder, die Mut zum Leben, zur Zukunft vermitteln, (Zwischenrufe der Abg. Dr. Kestel und Säumer) (Beifall bei den GRÜNEN) Meine Damen und Herren! Etwas anderes: Neben die mit positiven Initiativen vorangehen. Wir brauchen den mangelnden Vorbildern steht das g es e 11 - auch Vorbilder im öffentlichen Leben; solche, die s c h a f t 1 ich e Versagen. Nur ein Beispiel will nicht nur eine Vorbildfunktion haben. wie wir alle, 1762 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Dr. Merkl [CSU]) Vertrauen und Dank. Aber zu einer Eindämmung der Kriminalität, zu einer Umkehr braucht es neue Wege sondern sie auch praktizieren. Wir brauchen wieder eine wirkliche Vater- und Mutterrolle. vor der Tat Diese Wege sind beschwerlich, sie sind vielschichtig. Jeder von uns hier im Saal, aber auch Neben diesen Vorbildern gewinnen die M e d i e n ein jeder draußen im Land steht auf einem solchen Weg, immer größeres Gewicht Staatsminister Dr. Stoiber und es kann daher keiner achselzuckend darauf ver­ hat im Dezember des letzten Jahres an den Intendan­ weisen, die anderen seien für eine Abhilfe zuständig. ten Vöth einen Brief geschrieben, in dem er all das Jeder soll sich überlegen, was er bessermachen aufgelistet hat, was ihm im Fernsehen im laufe des kann. Jahres 1986 nicht gepaßt hat Man sollte das einmal (Anhaltender Beifall bei der CSU) durchlesen. Ich habe dem Kollegen Stoiber, als da­ mals die Sendung „Vier gegen Willi" lief und ein Mäd• Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat der Herr Abgeord­ chen über die halbnackten, eingeölten Leiber einer nete Kamm! Eishockey-Mannschaft laufen mußte, geschrieben, ei­ gentlich sei es doch sehr bedeutend, daß eine Juso­ Kamm (DIE GRÜNEN): Herr Präsident, Frau Staats­ Vorsitzende die erste Anruferin war; mir ist es nicht ministerin, Kolleginnen und Kollegen' Über 1,5 Milliar­ gelungen, durchzukommen. Da sitzen wir doch im den gibt heuer der Freistaat Bayern für die Justiz aus. gleichen Boot, meine Damen und Herren von der SPD, wenn wir das einmal so sehen und nicht so wie Im nächsten Jahr sollen es eine Million Mark mehr pro vor zehn Jahren, als der Kollege Klasen dazwischen­ Woche sein. Dies kann vernünftig ausgegebenes rief: Wollen Sie denn das Fernsehen abschaffen? Geld sein. Was ist denn das für ein Unsinn! Bei der Beratung des Etats im Haushaltsausschuß - Vielleicht muß sich auch etwas ändern, daß die Zei­ dem Kollegen Baumann danke ich für die faire Be­ tungen nicht so unbedingt auf den Umsatz schauen. richterstattung - wurde deutlich, daß die Justiz in vier Lesen Sie verschiedene Boulevard-Zeitungen, wo es Bereichen für die Gesellschaft mangelhaft arbeitet. noch halbe Seiten Anzeigen von Hostessen gibt! Die Dies ist nicht die Schuld der Frauen und Männer, die sind jetzt nicht mehr so in München angesiedelt Ich bei Gerichten, Staatsanwaltschaften oder Gefängnis• glaube, acht oder neun Inserate habe ich für Lands­ sen arbeiten, dies ist nach unserer Meinung vielmehr hut gezählt, für Neuburg a. d. Donau oder anderswo. die Schuld der Politik, die der Justiz falsche Prioritä• Die gehen raus aufs Land. Und wir müßten uns schon ten gibt und die sie in einigen Bereichen personell einmal überlegen, daß ihre Anschriften etwas schwie­ viel zu schlecht ausstattet Darauf möchte ich später riger herauszubekommen sind, wenn sie sie nicht noch eingehen. mehr in der Zeitung veröffentlichen können. Ich will Zunächst möchte ich fragen: Was ist denn heute, in gar nicht allein auf die Prostituierten losgehen; denn den 80er Jahren, die Aufgabe der Justiz? Ich möchte ohne Freier gäbe es auch keine Prostituierten. drei Aufgaben ansprechen: (Beifall bei den GRÜNEN) Erstens. Die Gerichte sollen Konflikte lösen und/ Meine Damen und Herren! Wir brauchen weiter Ei­ oder entscheiden. genverantwortung in unserem Land. Hierzu hat der vorhin von mir zitierte Professor Hell m er in dem Zweitens. Die Staatsanwaltschaften sollen genannten Artikel in der „Zeit" sehr deutliche Aus­ Rechtsbrecher verfolgen und anklagen. führungen gemacht Ich kann sie jetzt aus Zeitgrün• Allerdings werden im Moment leider die ganz Kleinen den nicht mehr zitieren. Wir brauchen für die Bildung verfolgt, während die ganz Großen, die die Umwelt von Eigenverantwortung draußen im Land Initiativ­ vergiften und zerstören, sich mit millionenschweren gruppen. Wir brauchen in einem überschaubaren Wirtschaftsgaunereien goldene Nasen verdienen, räumlichen Bereich Lf?ute, die sich zusammenschlie­ ohne Unrechtsbewußtsein Mordwaffen an den Geset­ ßen, um zu prüfen, was man im örtlichen, überschau• zen vorbei exportieren und dabei fast völlig unbehel­ baren Bereich bessermachen könnte zur Verhinde­ ligt bleiben. rung von Straftaten. Auch das wäre ein Vorschlag für die Zukunft Drille Hauptaufgabe der Justiz sind die J u s t i z - v o 11 zu g s ans t a 1t e n. Wenn der Vollzug schlecht Meine Damen und Herren! Ich konnte aus zeitlichen Gründen nur einen Abriß dessen geben, was sich än• ist - und ich habe Anlaß zu befürchten, daß er dern muß. Das Ziel ist klar, lassen Sie es mich zusam­ schlecht ist-, dann heißt das: Aufbewahrung und Iso­ menfassen: lierung der Verurteilten. Ein für die Verurteilten menschlicher und für die Gesellschaft nützlicher Ju­ Unsere herkömmliche Bekämpfung der Kriminalität stizvollzug macht dem Verurteilten hauptsächlich drei mit Polizei, Justiz und Bewährungshilfe kann allen­ Angebote. Ich sage bewußt „Angebote", weil falls, das haben die vergangenen 20 Jahre gezeigt, mich sonst Herr Kollege Wirth gleich beim ersten ein rascheres Ansteigen verhindern. In Bayern stehen Punkt mißverstehen könnte: wir besser da als anderswo, aber auch hier kann der Trend nicht umgekehrt werden. Unsere Justiz in Bay­ Das erste Angebot an den Verurteilten ist, sich mit ern tut das Menschenmögliche. Dafür verdient sie, der eventuellen Schuld auseinanderzusetzen und sie Frau Ministerin, worum Sie vorhin gebeten haben, auch zu sühnen. Denn die Sühne kann nicht ab- PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode 1763

(Kamm [DIE GRÜNEN]) kriminiert. Das ist doch ein Teufelskreis. Sie werden dann noch schlechter und schließlich Außenseiter in verlangt werden. Darüber hat Kollege Wirth schon der Schule. Sie kompensieren mangelnde Leistung ausführlich gesprochen. mit Aggressivität. Wenn sie 15 oder 16 sind, das habe Das zweite Angebot an den Verurteilten ist die Ein - ich vielfach erlebt, können sie noch nicht mal lesen üb u n g n ich t k r im in e 11 e n Verhaltens. Das ist und schreiben. Mit 17 oder 18 Jahren möchten sie eine ganz wesentliche Voraussetzung der Resoziali- auch wie die anderen Moped und Auto fahren. Wenn sierung. sie es dann tun, werden sie wegen Fahrens ohne (Beifall bei den GRÜNEN) Führerschein erwischt, und zwar zu Recht. Sie wer­ den wiederholt erwischt und wandern in den Knast. Ein drittes Angebot der Vollzugsanstalten an den Ver­ Ich habe damals in meiner Gruppe erlebt, wie ein Ju­ urteilten zielt auf die V e r b e s s e r u n g s e i n e r gendlicher von 19 Jahren nach Landsberg eingeliefert wir t s c h a f t 1 ich e n Lage. Nach der Haftentlas­ wurde, weil er wiederholt ohne Führerschein gefahren sung fällt damit ein wichtiger Kriminalitätsgrund weg. war. Die Gesellschaft hat ihm, Autonarr wie wir alle, Denn zum einen werden die drückenden und verant­ nicht die Chance gegeben, den Führerschein zu ma­ wortungslos machenden Schulden überwunden, zum chen. andern werden eventuelle Mängel in der Berufsausbil­ dung beseitigt, die häufig einen Rückfall in die Krimi­ (Zustimmung bei den GRÜNEN) nalität verursachen. Jugendliche, die so straffällig werden, sollten uns Der statistische Zusammenhang zwischen beruflicher mahnen, auch an die Ursachen der. Kriminalität zu Qualifizierung der Verurteilten und der Rückfallquote denken. Sie sollten unsere Gesellschaft dazu brin­ ist sehr stark. Deshalb muß die Zeit in den Strafan­ gen, daß wir Kinder und Jugendliche nicht weiter in stalten genutzt werden, eventuell vorhandene Ausbil­ Obdachlosenbaracken verkommen lassen. dungsdefizite zu beseitigen. (Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der Leider müssen die Justizvollzugsanstalten bis auf CSU: Was sind das, weiteres auch als „Notbremse" dienen, um die Ge­ Obdachlosenbaracken?) sellschaft vor momentan unhemmbar Gefährlichen zu - Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß Sie die Ob­ schützen. Das ist eine harte Aussage. Aber wir müs• dachlosenbaracken nicht kennen. Ich nehme Sie sen uns hier an die U r s ach e n der Kr i m i n a 1i - gerne in München oder in Augsburg mal dorthin mit. t ä t erinnern: Kriminalität ist immer ein Zusammen­ Diese Baracken sind allerdings von der Stadtplanung spiel von persönlichen Fehlern und gesellschaftlichen meistens in toten Winkeln angesiedelt, da, wo Eisen­ Ursachen. ba~ngleise zusammenkommen oder zwei Flüsse zu­ (Beifall bei den GRÜNEN) sammenfließen oder wo eine Kläranlage und ein gro­ Beides gehört zusammen und führt im Wechselspiel ßer Müllhaufen sind. Ein Normalbürger, der sich nicht miteinander zu Kriminalität. Kriminalität wird nicht dafür interessiert, kommt dort gar nicht vorbei. durch schicksalhafte Gene verursacht, sondern (Zustimmung bei den GRÜNEN) durch persönliche Schwierigkeiten und Schwächen innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Situa­ - Soviel zu den grundsätzlichen Aufgaben der Justiz. tion. Jetzt möchte ich auf die vier Bereiche der Justiz ein­ Herr Kollege Hölzl, es gibt exotische Gesellschaften - gehen, in denen_ nach unserer Ansicht heute sehr vielleicht sollte man sie weise und glücklich zu prei­ mangelhaft gearbeitet wird. Das hat etwas mit der sende Gesellschaften nennen -, in denen es zwar Justizpo 1i t i k zu tun. auch Normabweichungen gibt, aber keine Kriminali­ Der erste Mangel ist die Persona 1aus s tat - tät. Dies sollte Anlaß sein zu fragen, warum es in die­ tu n g der Gerichte. Zwar werden mit dem Dop­ sen Gesellschaften nicht zur Kriminalität kommt. pelhaushalt 1987/1988 einige neue Stellen bei den (Zuruf von der CSU: Wo ist das?) Gerichten geschaffen. Sie fangen aber noch nicht mal die zusätzlichen Verfahren auf, die in den letzten Jah­ - Ich nehme Sie gerne mal mit. Die Lebensläufe vieler ren - die Frau Staatsministerin hat Zahlen genannt - straffällig Gewordener bei uns zeigen, daß unsere auf die Gerichte zugekommen sind. Sie fangen natür• Gesellschaft vielen Menschen von Geburt an, quasi lich auch nicht die Arbeitszeitverkürzung im öffentli• schon von der Zeugung an, Chancen verwehrt. Ich chen Dienst auf. Da wir in Bayern sehr viel Justiz be­ habe als studentischer Mitarbeiter in einer Obdach­ nötigen, nach meiner Wertung auch mißbrauchen, um losensiedlung in Augsburg während der ?Der Jahre unselige Projekte wie WAA gegen den Willen einer tief betrübt erlebt, wie dort Kinder von Geburt an in Mehrheit der Bevölkerung im betroffenen Gebiet eine ganz schlimme Richtung gedrängt worden sind, durchzuziehen, die später in Kriminalität mündete. (Abg. Dr. Wilhelm: Woher wissen Sie das?) Wenn diese Kinder beispielsweise in die Schule kom­ men, haben sie zu Hause keinen Platz, um ungestört brauchen wir natürlich sehr viele Richter in Regens­ Hausaufgaben zu machen. Sie haben keine Ruhe. Sie burg, Schwandorf, Amberg, Weiden und wie die haben auch nicht die notwendige Förderung, sacken Städte noch heißen. Es ist ja unter Richtern und in der Schule ab, werden dort gehänselt und dis- Staatsanwälten fast ein offenes Geheimnis, daß es 1764 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Kamm [DIE GRÜNEN]) Krankheit auch möglicherweise erst viel, viel später ausbricht, der muß unbedingt zur Rechenschaft ge­ der Karriere sehr förderlich ist, wenn man dort auch zogen werden. Dieser Entwicklung muß auch mit dem einmal zwei Jahre verbracht hat. Instrumentarium der Justiz gegengearbeitet werden. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN - Abg. Dr. Wilhelm: Die Folge der Überlastung bei den Gerichten ist, daß Schwierig ist die Diagnostik!) die Verfahren immer länger dauern. Viele Rechtsu­ chende bekommen ihr Recht leider erst am Sankt­ Heute schon können im Normalfall für Umweltverbre­ Nimmerleins-Tag. Auch da sind wir uns offensichtlich chen Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren, in schweren einig. Die Frau Staatsministerin hat darüber gespro­ Fällen gar bis zu zehn Jahren, verhängt werden. Das chen, daß das z.B. für viele Handwerksbetriebe viel­ ist allerdings nur eine Möglichkeit. Ich wüßte nicht, fach zur existentiellen Not führt. daß es schon einmal geschehen wäre. Das Beispiel, das wir aus dem Allgäu gehört haben - ich habe auch Der zweite Mangel ist der Straf v o 11 zu g. Sinnvol­ Beispiele aus meiner Augsburger Region -, belegt, ler Strafvollzug braucht Mitarbeiter. Wenn Strafvoll­ daß im Grunde nichts passiert. Was ist denn bisher zug nicht vom Gedanken des Isolierens und Abson­ bei der Chemischen Fabrik in Marktredwitz passiert? derns geleitet wird, sondern vom Gedanken der Re­ Dieses unverantwortliche Tun über Jahre hinweg, das sozialisierung, dann braucht er viele Mitarbeiter und offensichtlich von bestimmten Stellen gedeckt wurde, Mitarbeiterinnen. ist bisher ohne jegliche strafrechtliche Konsequen­ Bedrückenderweise sieht es in Bayerns Justizvoll­ zen geblieben. zugsanstalten da sehr düster aus. Das Verhältnis der (Beifall bei den GRÜNEN) Zahl der Mitarbeiter zur Zahl der Gefangenen - das steht auch im Gutachten des Senats - ist in Bayern Die mangelhafte Verfolgung von Umweltdelikten ist so schlecht wie in keinem anderen Bundesland. Bay­ der Hauptpunkt der grünen Kritik. Die Justiz muß ern ist also hinten dran. Nach diesem Gutachten endlich allen klarmachen, daß Umweltvergehen keine bräuchte Bayern noch 1000 weitere Stellen im Straf­ Kavaliersdelikte sind, sondern Verbrechen gegen das vollzug, um überhaupt den Bundesdurchschnitt zu er­ Leben. reichen. (Beifall bei den GRÜNEN) Wenn ich dann lese, daß der Herr Staatssekretär Dr. Vorndran schreibt, die Bevölkerung hätte immer we­ Der vierte Mangel ist die unzureichende Verfolgung niger Verständnis für Luxus in den Strafanstalten, der W i r t s c h a f t s k r im in a 1i t ä t. Herr Dr. Merkl dann ist dies aus meiner Sicht eine bedrückende Irre­ hat auch schon davon gesprochen. Sie sprechen im­ führung und eine unverantwortliche Stimmungs­ mer von Wirtschaftskriminalität, aber bringen Sie mache. doch einmal die Fakten: (Beifall bei den GRÜNEN) Herr Professor Dr. Schwind, Professor für Kriminolo­ Mein Kollege Paul Kestel wird heute nachmittag auf gie an der Ruhr-Universität in Bochum, davor Justiz­ das Thema Strafvollzug noch vertieft eingehen. minister im CDU-Land Niedersachsen, hat vor ca. zwei Monaten Zahlen über die durch Kriminalität ver­ Der dritte Mangel ist die unzureichende Verfolgung ursachten Schäden veröffentlicht. Laut Polizeikrimi­ der U m w e 1 t k r i m i n a 1 i t ä t. Es war für mich sehr nalstatistik werden bei der üblichen Kriminalität - traurig, heute morgen zu hören, wie auch von Herrn Diebstahl, Raub und dgl. - Schäden für die Opfer von Dr. Merkl wieder die klassische Kriminalität in den rund drei Milliarden DM im Bundesgebiet registriert. Vordergrund gestellt wurde. Natürlich sollen auch La­ Im Bereich der Wirtschaftskriminalität werden aber dendiebstahl und Fahrraddiebstahl verfolgt werden. Aber wir müssen doch erkennen, daß heute ganz an­ Schäden für die Opfer von rund sieben Milliarden DM dere Verbrechen zu sehr großen Nachteilen für die entdeckt und registriert. Herr Professor Schwind hat Gesellschaft führen. darüber hinaus die Expertenaussagen in diesem Be­ reich ausgewertet. Er beziffert die nicht entdeckten Im Bereich der Umweltkriminalität ist die Lage nicht Schäden im Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität viel nur mangelhaft, sie ist ungenügend. Umweltverbre­ höher, mit Zahlen auch genannt: schätzungsweise 23 chen gelten immer noch als Kavaliersdelikt. Herr Kol­ bis 73 Milliarden DM pro Jahr. Vergleichen Sie damit lege Wirth hat auch dazu sinnvolle Aussagen ge­ bitte einmal die drei bis vier Milliarden DM bei der üb• macht. rigen Kriminalität' Das heißt, bei der Wirtschaftskrimi­ Gegen diese Verbrechen muß die Justiz Zeichen set­ nalität liegen die Schäden für die Opfer - noch nicht zen. 1985 sind in Bayern - Herr Brosch, Sie bekom­ einmal die Schäden für den Staat - je nach Schätzung men die Zahlen - 1345 Umweltstraftaten polizeilich sieben-, acht-, sogar 20mal höher. Deshalb müssen in registriert worden. 265 Personen wurden nach dem der Justizpolitik die Schwerpunkte einmal anders ge­ Strafgesetzbuch verurteilt, drei davon zu Freiheits­ setzt werden. strafen. Das sollen Zeichen sein? Jemand, der nachts (Beifall bei den GRÜNEN - Abg. Dr. Wilhelm: giftige Stoffe in die Flüsse leitet oder die Filter durch­ Wissen Sie, was schon alles geschehen ist?) bläst oder giftige Stoffe irgendwo verbuddelt, wer also Allergien und Krebs mitverursacht, wenn die Aber diese Zahlen und Probleme sind ja nicht neu. Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1765

(Kamm [DIE GRÜNEN]) sollten eine Pluralität von Meinungen zulassen. Dann ginge es besser. (Abg. Dr. Wilhelm: Wissen Sie davon irgend etwas!) (Beifall bei den GRÜNEN) - Herr Dr. Wilhelm, im Moment habe ich das Wort. Es Es wäre ein Mißverständnis, überhaupt zu glauben, ist natürlich einiges geschehen. Aber Sie werden daß Richter und Staatsanwälte unpolitische Wesen doch wohl mit mir beklagen - das haben Sie ausweis­ wären. Dieses Mißverständnis müßte nach den er­ lich des Protokolls im Haushaltsausschuß auch getan schreckenden Vorkommnissen im Dritten Reich nun -, daß noch viel zu wenig geschehen ist. wirklich überwunden werden. Es gibt heute doch im­ mer noch Leute, die glauben, daß Richter Tausende (Abg. Dr. Wilhelm: Aber ich beklage, daß Sie von Todesurteilen verhängt haben, die auch voll­ keine Sachkenntnis haben!) streckt wurden, dabei aber dennoch unpolitische We­ Dabei ist in diese Wirtschaftskriminalität noch nicht sen gewesen wären. Es gibt in unserem Land auch einmal die Steuerhinterziehung einbezogen, sondern immer noch Leute, die glauben, daß die Richter und es geht nur um Subventionsbetrügereien, Konkurs­ Staatsanwälte, die nach dem Zusammenbruch des delikte, Versicherungsbetrügereien und ähnliche Terrorregimes des Dritten Reiches jene Richter nicht Dinge. Es ist unerträglich, daß es hier einen großen zur Rechenschaft gezogen haben, nicht politische Bereich gibt, von dem man sagen muß, daß Verbre­ Wesen gewesen wären. Das kann man doch wohl so chen hier sich lohnen. nicht stehen lassen. Wir GRÜNEN haben deshalb beantragt, daß zur Be­ (Beifall bei den GRÜNEN) Kämpfung der wirtschafts- und umweltkriminellen Zum Thema Sitz b 1o c k ade n. Wenn Sie immer Handlungen in jedem bayerischen Regierungsbezirk wieder „Sitzblockaden" sagen, dann sage ich immer eine zusätzliche Staatsanwaltschaft und eine zusätzli• wieder „Strauß und Lkw-Blockaden". Das werde ich che Kammer geschaffen werden. Wenn Sie die Gano­ Ihnen immer wieder um die Ohren hauen müssen, ven, die nicht mit Taschenlampe und Nachschlüssel, wenn Sie uns Sitzblockaden vorwerfen. sondern mit gezinkten Bilanzen, mit manipulierten (Beifall bei den GRÜNEN) Subventionspapieren daherkommen, die sich der Computer bedienen und die mit Schlips und Kragen Hat man es denn in den sechziger und siebziger Jah­ auftreten, nicht schonen oder gar decken wollen, ren - möglicherweise zu Recht, darüber vermag ich dann tun Sie zusammen mit uns etwas für die Verfol­ hier nicht zu entscheiden - nicht hingenommen, daß gung von Wirtschafts- und Umweltdelikten und stim­ empörte Bauern mit ihren Schleppern Blockaden men Sie diesem Antrag zu! durchgeführt haben? Damals haben Sie doch auch nicht versucht, diese Blockaden mit Hilfe der Staats­ (Beifall bei den GRÜNEN und der Frau Abg. anwaltschaft aufzulösen. Jungfer) Frau Staatsministerin, Sie haben mich falsch zitiert Frau Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner hat und falsch interpretiert; im Protokoll des Haushalts­ vorhin einige Aussagen gemacht, die so nicht stehen­ ausschusses steht es anders. Ich habe davon ge­ bleiben können. Am Anfang sagten Sie sehr nett, das sprochen, daß schon zu Anfang dieses Jahrhunderts Justizministerium repräsentiere nicht die Macht des ein Wissenschaftler festgestellt hätte, daß bei jugend­ Staates, sondern gleiche Spannungen aus. Der lichen Ersttätern, die nicht erwischt werden, die stati­ Schluß aber war, daß das Justizministerium die Keim­ stische Wahrscheinlichkeit, daß sie weiterhin nicht zelle des Bösen wieder bei den GRÜNEN fand. Dabei kriminell werden, höher als bei denjenigen sei, die er­ ging es sicherlich nicht darum, daß Sie ausgleichen wischt werden. Dies muß uns für den Einstieg in wollen. Sie haben vielmehr kräftig zugelangt und von d i e K r i m i n a 1i t ä t , die auch in den Strafanstalten politisierenden Richtern und Staats­ gefördert wird, zu denken geben. Davon habe ich ge­ a n w ä 1 t e n gesprochen. Frau Staatsministerin, fra­ sprochen. gen Sie doch bitte einmal Ihren Herrn Staatssekretär, (Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf des Abg. was bei der Aus- und Weiterbildung von Richtern in Dr. Manfred Weiß) punkte Politisierung geschieht, Leider Gottes sind unsere Strafanstalten - über die (Beifall bei den GRÜNEN) Gründe habe ich vorhin schon ein paar Worte verlo­ warum bei Veranstaltungen zur Aus- und Weiterbil­ ren - immer noch auch Ausbildungsstätten für Krimi­ dung von Richtern ganz kräftig gegen die GRÜNEN nalität. gewettert wird. Das hat doch wohl nichts mehr mit (Beifall bei den GRÜNEN) nicht politisierenden Richtern und Staatsanwälten zu tun. Präsident Dr, Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ frage des Kollegen Dr. Weiß? (Beifall bei den GRÜNEN -Zurufe von der CSU) Kamm (DIE GRÜNEN): Bitte schön, Herr Kollege - Herr Dr. Vorndran, Sie können dort auch gern politi­ Weiß! sieren; ich habe hier ein sehr breites Demokratiever­ ständnis. Ich meine, wir sollten in unserer Demokratie Dr, Weiß Manfred (CSU): Herr Abgeordneter, nach­ nicht das Politisieren verbieten, sondern wir dem Sie vorhin Vergleiche zwischen jugendlichen 1766 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11128 v. 24. 06. 87

(Dr. Weiß Manfred [CSU]) nissen unserer Zeit entspricht, lehnen wir den Justiz­ etat ab. Ersttätern, die erwischt werden, und solchen, die nicht erwischt werden, angestellt haben, möchte ich (Zustimmung von den GRÜNEN) Sie bitten, uns dann vielleicht einmal deutlich zu ma­ chen, wie die Zahl derjenigen, die nicht erwischt wer­ Präsident Dr. Heubl: Meine Damen und Herren! Ich den, ermittelt worden ist. unterbreche die Sitzung. Wir machen eine Mittags­ pause und fangen um halb drei wieder an. Kamm (DIE GRÜNEN): Herr Kollege Weiß, eine dop­ (Unterbrechung der Sitzung von 13 Uhr 23 pelte Antwort: Erstens habe ich eine wissenschaftli­ Minuten bis 14 Uhr 31 Minuten) che Untersuchung zitiert, die schon zu Anfang dieses Jahrhunderts angestellt wurde, und zweitens wissen Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Meine Da­ auch Sie, daß man im Kriminalitätsbereich stets ein men und Herren! Die Sitzung wird wieder aufgenom­ Dunkelfeld zu beleuchten versucht, daß es nur Ab­ men. schätzungen über das Dunkelfeld gibt. Als nächster Redner in der Aussprache hat Herr Kol­ (Abg. Dr. Manfred Weiß meldet sich erneut lege Zierer das Wort. zu einer Zwischenfrage) (Beifall bei den GRÜNEN) - Bitte schön, ich gestatte Ihnen noch eine Zwischen­ frage. Zierer (SPD): - Vielen Dank. Ich bitte aber die GRÜ• NEN, nicht zu viel zu klatschen, das könnte von mei­ Dr. Weiß Manfred (CSU): Glauben Sie tatsächlich, ner Fraktion falsch verstanden werden. Das war aber daß es richtig ist. Vergleiche, die 80 oder noch mehr außerhalb der Tagesordnung. Jahre alt sind und die sich auf so unsichere Erkennt­ Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen, nisquellen stützen, als Begründung dafür anzuführen, sehr geehrte Frau Justizministerin! Sie haben Ihre daß man heute im Jugendstrafvollzug keine Strafhaft heutige Haushaltsrede unter das Motto „Vertrauen mehr verhängen sollte? für die Justiz - Vertrauen zu den Strafverfolgungsbe­ hörden" gestellt. Sie haben dabei aber ein Beispiel Kamm (DIE GRÜNEN): Herr Dr. Weiß, Sie haben mich des Mißtrauens gebracht, Ihres Mißtrauens gegen­ mißverstanden, wenn Sie von mir eine Schlußfolge• über politisierenden Richtern und Staatsanwälten, rung gehört zu haben glauben, die besagt, daß man und Sie haben dies anhand der Sitzblockade der 20 niemanden mehr verurteilen sollte. Vielmehr habe ich Richter und Staatsanwälte in Mutlangen erläutert. Sie daraus abgeleitet, daß wir uns sehr nachdenklich un­ haben in Ihrer Haushaltsrede auch kurz auf die Anzei­ sere Justizvollzugsanstalten und das, was dort ge­ genaktion hingewiesen, an der sich wohl auch bayeri­ genwärtig passiert, anschauen sollten; daß wir selbst­ sche Richter und Staatsanwälte beteiligt haben. kritisch auch sagen müssen, daß dort vieles noch Ich darf Ihre heutigen Aussagen, aber auch die Aus­ nicht zum Guten bestellt ist. Ich bin kein Justizwis­ sagen, die Sie in einer Zeitschrift namens Bayernku­ senschaftler, aber es gibt auch neuere Untersuchun­ rier zum besten gegeben haben, zur Grundlage mei­ gen der siebziger und achtziger Jahre, die in ähnliche ner Überlegungen zu der Frage machen: Was heißt Richtung gehen. Deshalb kamen ja auch unser An­ „Vertrauen in die Justiz"? Ich will dabei Ihr eigenes trag und der Antrag der SPD, zusätzliche Werkmei­ Verhalten mit einbeziehen. sterstellen in den Justizvollzugsanstalten einzurich­ ten, damit die Jugendlichen dort eine Chance haben, Sie kritisierten heute zumindest unterschwellig das eine Berufsausbildung, die sie vorher vielfach nicht Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. No­ erhalten haben, nachzuholen. Genau das war Sinn vember letzten Jahres und meinten, es sorgte für und Zweck dieser Anträge. Rechtsunklarheit. Gleichzeitig haben Sie angedeutet, daß Sie diese Rechtsunklarheit auf dem Gesetzes­ (Beifall bei den GRÜNEN) wege, vermutlich über den Bund, bereinigen wollen. Aber Sie haben das Urteil in Ihrem Vortrag schlicht Meine Damen und Herren! Das sind die grundsätzli• und einfach verschoben. Sie haben es falsch ausge­ chen Erwägungen, die wir zum Justizhaushalt anstel­ legt, einen falschen Schwerpunkt gesetzt. Sie können len. Wir haben darüber dann im Haushaltsausschuß das Urteil auslegen, wie Sie wollen, eines steht für die kräftig diskutiert. Wir sind insgesamt der Meinung, Richter in Bayern fest: Auch in Bayern muß jeder daß man weiterhin die Kleinen mit der Fülle des Ju­ Strafrichter ab sofort bei S i t z b 1 o c k ad e n unter stizinstrumentariums verfolgt und die Großen außer Abwägung aller Umstände in jedem Einzelfall prüfen, acht läßt. Aus den Zahlen, die ich Ihnen vorgelegt ob die Blockade als verwerflich und damit als rechts­ habe, geht ja hervor, daß die Diskrepanz fürchterlich widrige Nötigung zu werten ist. ist. Es müssen im Justizbereich also die Prioritäten verschoben werden. In dieser Richtung haben wir An­ Frau Staatsministerin, 20 Ermittlungsverfahren sind träge im Haushaltsausschuß gestellt. Leider wurden gegen Richter und Staatsanwälte eingeleitet worden, diese Anträge abgelehnt. die in Mutlangen dabei waren. Darunter ist auch ein Mitglied dieses Hohen Hauses. Sie selbst sagen, daß Da wir der Meinung sind, daß die Justizpolitik so, wie die Prüfung, ob Verwerflichkeit gegeben ist oder sie momentan gemacht wird und auch weiterhin nicht, zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führen gemacht werden soll, nicht den Erforder- kann. Was aber tun Sie? - Sie, die Justizministerin Plenarprotokoll 11/28 v_ 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1767

(Zierer [SPD]) ausgezeichnet. Woher soll die Nachdenklichkeit des Freistaates Bayern, bezeichnet diese Sitzblok­ plötzlich kommen? kade bereits jetzt als Mittel der Nötigung, als demon­ In allen Kommentaren, zum Beispiel in der „Mittel• stratives Vorexerzieren des Rechtsbruchs, ja sogar bayerischen Zeitung" oder in der „Süddeutschen Zei­ als gravierende und durch nichts entschuldbare Ver­ tung", wird von verheerenden, von erschreckenden letzung bestehender Strafvorschriften. Das ist ein un­ Begleitumständen der WAA-Verfahren gesprochen. glaublicher Vorgang 1 Es gibt für mich überhaupt keinen Zweifel, daß dort (Zustimmung bei der SPD und den eine juristische Sonderbehandlung stattfindet. Es ist GRÜNEN) eine besondere Atmosphäre. Ohne Not wird sehr viel Geld rausgeschmissen, werden zum Beispiel wegen Wir stellen fest: Sie haben öffentlich in 20 schwe­ vergleichsweise lächerlicher Delikte ewig lange Be­ bende Verfahren eingegriffen. Sie haben 20 Richter weiserhebungen durchgeführt. Aus der Beleidigung und Staatsanwälte öffentlich vorverurteilt! Sie haben eines Polizeibeamten wird dann eine Staatsaffäre ge­ gravierend und durch nichts entschuldbar Ihre Amts­ macht. Es wird äußerst schlampig ermittelt; das kann stellung öffentlich mißbraucht. man schon daran erkennen, daß - und das spricht auf (Zustimmung bei der SPD und den der anderen Seite für die Richter - doch vergleichs­ GRÜNEN) weise viele Freisprüche herauskommen. Aber Sie Mein Vorredner von den GRÜNEN, der Kollege sind ja zuständig für die Staatsanwälte. Ich habe in Kamm, hat schon darauf hingewiesen: Wenn Sie dies meiner langjährigen Praxis als Anwalt noch nie eine so sagen, wenn Sie sich bei den Sitzblockaden so derart schludrige, eine derart schlampige Ermitt­ festlegen, beurteilen Sie doch bitte auch die Blocka­ lungsarbeit erlebt. den der Lkw-Fahrer, für die ja unser Landesvater so (Zustimmung der Frau Abg. Psimmas und viel Verständnis hatte. Das muß man einfach im Kon­ des Abg. Dr. Kestel) text sehen. Da werden Anklagen erhoben wegen Nötigung, we­ Im übrigen wurden mit Ihrem Wissen und mit Ihrer Zu­ gen Landfriedensbruch, und am Schluß kommt mit stimmung, wie ich unterstellen darf, von den zustän• Müh und Not eine Ordnungswidrigkeit heraus. Aber digen Präsidenten meines Wissens gegen alle Richter welche Folgen hat denn das? Wenn der Bürger einen und Staatsanwälte, die die Anzeige in der „Zeit" mit Bußgeldbescheid über 200 DM bekommt, nimmt er unterschrieben haben, dienstaufsichtliche Maßnah• diesen hin und konsultiert keinen Rechtsanwalt. Aber men eingeleitet. Offenbar geschah dies nur in Bayern. Das ist Ihre Liberalitas Bavariae' Sie selbst schrecken hier wird er wegen Nötigung, wegen Landfriedens­ vor einer öffentlichen Vorverurteilung nicht zurück, bruch angeklagt und nimmt sich deshalb einen An­ erlauben nicht einmal, daß bayerische Richter und walt. Am Schluß kommt dann eine Verurteilung we­ Staatsanwälte den Mutlanger Kollegen Respekt be­ gen einer Ordnungswidrigkeit heraus, und er muß alle kunden - mehr war es ja wohl nicht -, werfen diesen Kosten tragen. Das muß man auch sehen, wenn man noch Mißbrauch der Amtsstellung vor. von den Folgen spricht. Sehr geehrte Frau Justizministerin, Sie haben heute Dabei sind die Strafanträge total überzogen. Da hat Ihre erste Haushaltsrede gehalten, aber damit haben einer ein Steinchen, einen Kieselstein mit 4,5 cm Sie wahrlich nicht für Vertrauen zur Justiz geworben. Durchmesser - er sagt: versehentlich - an den Zaun geworfen. Der Stein ist vom Zaun abgeprallt. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Widerspruch und Lachen bei der CSU) Ich meine, Sie haben heute vielmehr Anlaß gegeben, Mißtrauen in Ihre eigene Amtsführung zu hegen. - Moment, es ist ja nichts passiert! Ein Wachmann war zehn bis 15 Meter innerhalb des Zauns, dem ist Sie forderten mehr Vertrauen in die Strafverfolgungs­ behörden. Natürlich soll ein Bürger Vertrauen zur Po­ nichts passiert. Da wird wegen versuchter gefährli• lizei haben, Vertrauen zur Staatsanwaltschaft, vor al­ cher Körperverletzung angeklagt, und der Staatsan­ lem, wenn er sich als Beschuldigter wiederfindet. walt beantragt 6000 DM Geldstrafe für so eine ver­ gleichsweise lächerliche Tat. In diesem Zusammenhang möchte ich ein bißchen auf die Begleitumstände im Zusammenhang mit der (Widerspruch von der CSU) WAA eingehen als jemand, der in vielen Funktionen Im übrigen hat die Richterin diesen Herrn freigespro­ unmittelbar vor Ort beteiligt ist - als Anwalt, als stell­ chen. Ich könnte Ihnen aus meiner Praxis -- vertretender Landrat, aber auch als Stimmkreisabge­ ordneter. Nehmen Sie denn nicht zur Kenntnis, wel­ (Widerspruch bei der CSU) che verheerende veröffentlichte Meinung da besteht? - Sie schütteln den Kopf. Sie finden es wohl selbst­ Haben Sie denn nicht gestern abend die „Monitor" - verständlich, daß hier immer wieder Bürger angeklagt Sendung gesehen? Dies allein sollte doch genügen, und in Verfahren gezogen werden? Sie können leicht um Sie zumindest nachdenklich zu machen. den Kopf schütteln. Ich habe Sie bisher weder am Aber Nachdenklichkeit hat Sie ja schon in Ihrer frühe• Zaun gesehen noch sonst irgendwo in der Oberpfalz. ren Funktion als Staatssekretärin nicht besonders Aus der Feme läßt es sich hier sehr leicht urteilen. 1768 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Zierer [SPD]) von Erbendorf gesagt; vielleicht beeindruckt Sie dies mehr als meine Ausführungen. (Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN -Abg. Dr. Wilhelm: Sie entschuldigen Ich könnte ohne Schwierigkeiten eine Stunde lang Straftaten' - Weitere Zurufe von der CSU) solche Beispiele erzählen. Aber ich muß mich kurz fassen. Oft genügt schon ein Anruf, daß vielleicht von Ich kann nur auf das drakonische Weisungsrecht des einer Bürgerinitiative in Mögelsdorf Einlaßkarten für Oberstaatsanwalts an die Staatsanwälte hinweisen. eine Strauß-Kundgebung gefälscht worden sein Ausgewachsene Staatsanwälte dürfen ja nicht einmal könnten. In diesem Fall gab es eine Razzia, die Leute einer Einstellung zustimmen; sie müssen rückfragen. wurden an die Wand gestellt, und dann hat man tat­ Es ist dann aber immer abgelehnt worden. In meiner sächlich sieben Einlaßkarten beschlagnahmt, die aber Praxis habe ich auch erfahren, daß generell bei jedem nicht einmal gefälscht, sondern von der CSU offiziell Freispruch Berufung eingelegt wird. Ja, ist denn das ausgereicht waren. normal, sind das normale Verhältnisse? Unerträglich ist auch das Verhalten der Staatsan­ Man muß auch einmal darüber sprechen, was mit den waltschaft in dem schrecklichen Fall des Absturzes zivilen Zeugen geschieht, die von der Verteidigung eines Polizeihubschraubers. Seit dem 7. September aufgeboten werden. Heutzutage genügt ein einziger 1986 wird gegen den Bundesbahnlokführer ermittelt, Zeuge, ein Polizeibeamter für die Staatsanwaltschaft, um ihm nach Möglichkeit die Schuld in die Schuhe zu schieben, also dem Kleinsten der Kleinen. Jetzt hat aber man braucht mindestens vier. fünf oder sechs man vor wenigen Tagen - welch genialer Einfall der zivile Zeugen, um einigermaßen auszugleichen. Was Staatsanwaltschaft - einen solchen Polizeihubschrau­ aber passiert dann? Es kommt eventuell vor, daß der ber aus Pappmache und Plastik nachgebaut, um da­ Staatsanwalt bei einem Verfahren wegen Beleidigung mit einen Absturz zu simulieren. Das sind vielleicht Vereidigungsanträge stellt; er läßt alle vereidigen, und Methoden! Man sollte sich lieber bei diesem Bundes­ dann werden die zivilen Zeugen auf der Stelle - so in bahntriebwagenführer entschuldigen, denn er muß ja Nabburg geschehen - wegen Verdachts des Mein­ normalerweise auf Bundesbahnstrecken nicht mit so eids verhaftet. Das ist doch nicht mehr normal! Das tieffliegendem Luftverkehr rechnen. ist doch mit Händen zu greifen' (Beifall bei SPD und GRÜNEN) Es ist auch eine eklatante Benachteiligung der Vertei­ Am meisten aber macht mir Sorge, daß es heute digung, wenn Polizeibeamte, die vor eineinhalb Jah­ schon genügt, wenn einer sagt, dieser oder jener sei ren als Zeugen vernommen worden sind, ihre eigene ein WAA-Gegner, der sei da oder dort anwesend ge­ Zeugenaussage schriftlich bekommen, so daß sie wesen; denn dann werden sofort große Aktionen sich vorher noch einmal vergewissern und alles aus­ gestartet. wendig lernen können, während eine solche Hilfe den zivilen Zeugen nicht gegeben wird. Das ist keine Der Bürgermeister einer Gemeinde - ich kann es sa­ Chancengleichheit, sondern eine klare Ungerechtig­ gen, es war die Gemeinde Bodenwöhr - hat beiläufig gesagt, ein bestimmter Bürger seiner Gemeinde sei keit. 'als WAA-Gegner verdächtig und könnte vielleicht an (Abg. Dr. Manfred Weiß: Das wird bei einem Brandanschlag beteiligt gewesen sein. Sofort Verkehrssündern auch gemacht!) wurden Ermittlungen gegen ihn angestellt. Man hat seine Frau am Arbeitsplatz als Zeugin vernommen, Auch finde ich es unerträglich, daß man jetzt gegen auch seine Mutter, und als ich am Schluß nur die Ak­ zwei Kollegen, zwei Strafverteidiger aus Nürnberg, ten einsehen wollte, habe ich ein halbes Jahr um Ak­ Ehrengerichtsverfahren einleitet. All dies macht man teneinsicht kämpfen müssen. Er ist ja nur als Zeuge doch bewußt, um zur Verunsicherung beizutragen. vernommen worden. Aber als Zeuge wofür? Als Herr Kollege Wirth hat diese formelhaften Anträge, Zeuge dafür, daß er abends um die fragliche Zeit im wenn es um § 113 Strafgesetzbuch geht, schon dar­ Bett gelegen ist, nicht aber beim Brandanschlag da­ gestellt: Widerstand gegen die Staatsgewalt, wenn bei war. Das sind keine sauberen Methoden, da geht sie mehr als zehn Sekunden lang ihre Hacken in den es ums Eingemachte, da geht es um die Grundsub­ Boden eingestemmt, ihren Körper versteift haben, stanz, da müssen wir alle miteinander, auch Sie von was immer es gewesen sein mag. der CSU, den Anfängen wehren! (lachen der Frau Abg. Jungfer) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Dies genügt dann für eine Anklage wegen Wider­ Und es gibt auch Versuche, auf die richte r 1 ich e stands gegen die Staatsgewalt. Nun kann man bei U n abhäng i g k e i t Einfluß zu nehmen. Das sage Geldstrafen von 800, 1000 oder 1200 DM sagen: Was ich in aller Deutlichkeit. So sagt zum Beispiel der Landgerichtspräsident von Amberg anläßlich der Ein­ soll's? Aber es sind doch hauptsächlich junge Leute, führung des Amtsgerichtsdirektors von Schwandorf Jurastudenten, Medizinstudenten, die vielleicht in den so beiläufig vor den versammelten Strafrichtern: Wir Staatsdienst eintreten wollten, nun aber wegen Wi­ sind doch mit der Staatsregierung ganz gut gefahren; derstands gegen die Staatsgewalt vorbestraft sind. sie wird in Sachen WAA schon wissen, was sie tut. Er Niemand wird mir erzählen, daß der öffentliche Dienst gehe davon aus, daß seine Strafrichter die Gesetze diese Leute noch aufnimmt. So wird eine ganze Ge­ voll anwendeten. Das mag der Betreffende im Rah­ neration junger Leute schlicht kriminalisiert. Das hat men seiner Freiheit zur Meinungsäußerung gesagt gestern in einer Fernsehsendung auch der Pfarrer haben, daß eine solche Äußerung aber Wirkung Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1769

(Zierer [SPD]) Sie werden demnächst, in wenigen Tagen, einen Festakt begehen: 125 Jahre Trennung von Verwal­ haben kann, kann man nicht ausschließen. In anderen tung und Gerichtsbarkeit in Bayern. Fällen würden Sie so etwas als Politisierung brand­ marken und anprangern. (Abg. Karl-Heinz Müller: Wir begehen den nicht') Die Weigerung des Landgerichtspräsidenten und des Oberstaatsanwaltes, die Kollegen vom Arbeitskreis Wir meinen, das ist kein Grund für einen Festakt, viel­ Recht auch nur zu einem Gespräch mit den beteilig­ mehr besteht Grund zur Warnung. Für Sie und Ihre Staatsregierung besteht Grund für vertrauensbil­ ten Anwälten und Richtern zu empfangen, ist doch dende Maßnahmen. auch nicht vernünftig und normal. Im Interesse der Rechtspflege wurde dies abgelehnt. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Immer wieder werden auch Richter abgeordnet. Was Wir müssen den Anfängen wehren. Erst dann, sehr treibt denn einen gestandenen Richter aus Oberbay­ verehrte Frau Ministerin, kann der Bürger wieder vol­ ern, ein halbes Jahr angeblich freiwillig im WAA-Be­ les Vertrauen in die Justiz und auch in die Staatsan­ reich Dienst zu machen? Wird dem nichts verspro­ waltschaft haben, wenn dies alles bereinigt ist und wenn Sie Ihr Teil dazu beitragen. Einen guten Anfang chen? Wird dem nichts, was seine Karriere und Be­ haben Sie heute nicht gemacht. förderung anbelangt, in Aussicht gestellt? (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Das Wort hat Weiß? Herr Kollege Dr. Wilhelm 1 Dr. Wilhelm (CSU): Herr Präsident. meine sehr geehr­ Zierer (SPD): Nein, ich habe zu wenig Zeit, ich muß ten Damen und Herren, Frau Staatsministerin! Ich dieses Wahnsinnsproblem in 15 Minuten bewältigen; wollte eigentlich nur zum Haushalt der Justiz spre­ ich schaffe es sonst nicht. chen. Diesen Vorsatz kann ich nicht ganz einhalten, Oder daß man jetzt gegen einen Richter am Amtsge­ weil mich einige Ausführungen des Herrn Kamm doch richt Amberg ein Disziplinarverfahren einleitet, das ist zu Anmerkungen reizen. doch alles Methode, um alle zu verunsichern. Herr Kamm, Sie haben die WAA-Verfahren kritisiert und sie zu einer der Hauptursachen der Überlastung Gleichzeitig besucht die Frau Justizministerin die dor­ der Gerichte erklärt. tigen Richter. Sie will natürlich durch ihren Besuch keinen Einfluß nehmen, und die richterliche Unabhän• (Abg. Kamm: In der Oberpfalz!) gigkeit wird dadurch selbstverständlich nicht beein­ Dazu sage ich: Das ist erstens nicht richtig, und zwar trächtigt. Aber sie äußert öffentlich, man wolle diesen schon deshalb nicht, weil zusätzliches Personal von Richtern den Rücken stärken. Was soll das? Sie äu• anderen Verwaltungen abgeordnet worden ist. Zwei­ ßerte Hoffnung auf Beruhigung der Situation und be­ tens frage ich Sie: Sind Sie denn wirklich der Mei­ zeichnete öffentlich die dort diensttuenden Richter nung, daß Straftaten im Zusammenhang mit der und Staatsanwälte als engagiert, aber als „keine Eife­ W A A nicht geahndet werden sollen? Ihre Ausfüh• rer". Was soll denn das? Was sollen diese Wertungen rungen haben diesen Eindruck erweckt, und Sie ha­ und Belobigungen? Das ist doch auch eine Einfluß• ben damit wieder einmal ein gestörtes Verhältnis zum nahme auf den diffizilen und sensiblen Bereich der Recht gezeigt, wie es sich in einer unsäglichen Weise richterlichen Unabhängigkeit. So einfach ist es: Hier an prominenter Stelle, im Deutschen Bundestag näm• sind gute und engagierte, nicht eifernde Richter und lich, gezeigt hat. Die Abgeordnete Schmidt-Bott von Staatsanwälte am Werk, und dort in Mutlangen oder den GRÜNEN hat unter Beifall der Fraktion der GRÜ• NEN in der Bundestagssitzung vom 11. April 1987 un­ bei der Anzeige in der „Zeit" sind es die Bösen, die ter anderem folgendes gesagt: falsch Engagierten, die man mit dienstaufsichtlichen Maßnahmen überziehen muß. Ja, wir rufen auf zu Gesetzesverletzungen, zu Rechts- und Regelverletzungen und werden uns Wir sagen Ihnen: Wir sehen mit Angst, Furcht und daran beteiligen. Denn unser Protest richtet sich Sorge die Einflußnahme, auch aus den Reihen der gegen legal erlassene Gesetze. Das war Wider­ Staatsregierung, auf die richterliche Unabhängigkeit. stand gegen diesen Rechtsstaat, und es war not­ Wir sehen Anzeichen einer Sondergerichtsbarkeit bei wendig, und es war richtig, WAA-Verfahren. usw. usf. Wir wissen, daß die meisten Richter sich gegen diese Meine Damen und Herren! Solche unsäglichen Aus­ Einflußnahmen sperren und daß ihre richterliche Un­ führungen zeigen in eindrucksvoller Weise, welch ge­ abhängigkeit gesichert ist. Das erkennen wir an der störtes Verhältnis zum Recht die GRÜNEN haben. Vielzahl an Freisprüchen, die ergangen sind. Es wäre schlimm, wenn hier Einflußnahme ähnlich erfolgen (Beifall bei der CSU - Zurufe von den GRÜNEN) könnte wie bei den Staatsanwälten oder bei der Po­ lizei. Auch Ihre Ausführungen haben das gezeigt. 1770 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24.06.87

(Dr. Wilhelm [CSU]) allgemeinen: Das Unrechtsbewußtsein gerade in Sa­ chen Umweltkriminalität nimmt sehr zu. Die Leute Zur W i r t s c h a f t s k r i m in a 1i t ä t, lieber Herr sind viel sensibler als vor zehn, zwanzig oder dreißig Kamm, haben Sie unter anderem gefordert, eine zu­ Jahren. Ich glaube, das ist eine Erfahrung, die jeder sätzliche Staatsanwaltschaft in jedem Regierungsbe­ von uns, wenn er sich mit Leuten unterhält, machen zirk einzurichten. Dazu fällt mir eine andere Äußerung kann. Und zweitens und vor allem: Die Bundesrepu­ eines anderen prominenten GRÜNEN ein, nämlich blik Deutschland ist, wie viele Fachleute sagen, dasje­ des Herrn Roller, der im offiziellen Organ der GRÜ• nige Land in der Welt, das die schärfsten Umweltge­ NEN in Bayern unter anderem über die Fraktion der setze hat, GRÜNEN im Bayerischen Landtag geschrieben hat, manche der GRÜNEN-Anträge im Landtag hätten al­ (Widerspruch von den GRÜNEN) lenfalls kabarettistische Klasse, und die Fraktion der das relativ das meiste Geld für den Umweltschutz GRÜNEN habe selbst, so dieser prominente GRÜNE im offiziellen Organ der GRÜNEN, ihre Unfähigkeit ausgibt und dementsprechend die, alles in allem ge­ eingestehen müssen, den jüngsten Entwurf des Dop­ sprochen, wirksamsten technischen Vorkehrungen pelhaushalts der Regierung zu lesen und kritisch zu zum Umweltschutz aufzuweisen hat. würdigen, (Zurufe von den GRÜNEN) (Zurufe von den GRÜNEN) - Von der Schweiz wollen wir in diesem Fall lieber, und manche Anträge verlangten geradezu danach, so wenn Sie an die Verschmutzung des Rheins bei Basel heißt es weiter von diesem Herrn Rotter von den denken, gar nicht näher reden. Im übrigen habe ich GRÜNEN, daß der Mantel der christlichen Barmher­ gesagt: alles in allem - natürlich ist manchmal ein zigkeit darüber gebreitet werde. Land in einer einzelnen Sparte um eine Idee weiter vorn. Eine Fülle von Fachleuten bestätigt uns dies. Auch heute haben wir einen solchen Fall: Wenn man Das heißt natürlich nicht, daß wir beruhigt sein und zum Etat der Justiz spricht, müßte man wissen, daß uns auf den Lorbeeren ausruhen dürften, aber es es Staatsanwaltschaften für bestimmte Delikte nicht heißt, daß jedenfalls Sie die Sprüche machen und wir gibt, sondern daß die örtliche Staatsanwaltschaft je­ von der CDU/CSU in Bonn und in Bayern handeln. weils für alles, was in dem Bezirk anfällt, zuständig ist. Man kann eigentlich nur Mitleid mit solchen Aussa­ (Abg. Dr. Kestel: Darauf warten wir schon gen haben. Insofern bin ich ausnahmsweise einmal lange') der Meinung, die ein prominenter GRÜNER über die Meine Damen und Herren' Zum Haushalt der Justiz Fraktion der GRÜNEN geäußert hat. Im übrigen ha­ einige Anmerkungen: ben Sie auch schon im Haushaltsausschuß eine to­ tale Unkenntnis dessen bewiesen, was zur Bekämp• Die P e r s o n a 1e i n s p a r m a ß n a h m e n der letz­ fung der Wirtschaftskriminalität in Bayern getan wird. ten Jahre haben die Justiz schmerzlich getroffen, Wir sind hier früher als andere dran gewesen, und wir schmerzlicher als manch andere Verwaltung, z.B. können uns sehr gut etwa mit den Schwerpunkt­ den Schulbereich. Im Schulbereich gehen die Schü• staatsanwaltschaften für die Wirtschaftskriminalität lerzahlen zurück. Bei der Justiz hat die Zahl der Fälle sehr beachtlich zugenommen, während die Zahl der (Also doch 1 bei den GRÜNEN) Bediensteten seit 1981, jedenfalls bei den Gerichten und mit der Abordnung von gehobenen Finanzbeam­ und Staatsanwaltschaften, nicht erhöht worden ist. ten für diese Zwecke wegen ihres besonderen Sach­ Die Zahlen hat die Frau Ministerin genannt. Das hat verstandes sehen lassen. z.B. beim Amtsgericht München dazu geführt, daß die durchschnittliche Belastung eines Richters mit (Zurufe von den GRÜNEN) Fällen von 750 im Jahr 1979 auf 938 im Jahr 1986 an­ - Wenn Sie jetzt sagen „Also doch Staatsanwalt­ gestiegen ist. Die Arbeit ist getan worden. Sie ist schaft", muß ich sagen: Das Mitleid kehrt wieder. auch gut gemacht worden, aber sie ist mitunter unter „Schwerpunktstaatsanwaltschaft" heißt ja doch nur - Ächzen und Stöhnen gemacht worden. Die Bürger ich sage es Ihnen, damit Sie es vielleicht in Zukunft hatten Probleme wegen überlanger Verfahrensdauer. wissen -, daß an einer Staatsanwaltschaft die Be­ Ein besonders krasses Beispiel ist mir durch das kämpfung gewisser Delikte konzentriert wird. Das Schreiben eines Rechtsanwalts untergekommen: heißt aber nicht, was Sie gemeint haben, daß eine Eine Kanzlei hat im November 1986 gegen ein Urteil neue Staatsanwaltschaft nur für eine bestimmte De­ des Landgerichts Berufung eingelegt. Der erste Ter­ liktgruppe eingerichtet werden sollte. Dieser Nach­ min des zuständigen Senats beim Oberlandesgericht hilfeunterricht ist kostenlos. ist für den März 1988 in Aussicht gestellt worden. Die (Zurufe) Dauer der Verfahren hat, wenn auch nicht so kraß, vielfältig zugenommen. Es gibt Probleme mit den Beim Thema U m w e 1t k r im i n a 1i t ä t haben Sie, Grundbucheintragungen, es gibt das Warten auf die Herr Kamm, ein Schreckensgemälde gemalt. Vollstreckung. Die Frau Ministerin hat das alles ein­ (Zuruf von den GRÜNEN: So ist es doch!) drucksvoll dargestellt. Die Umweltverschmutzung, die Gefahren, die der Auch im Strafverfahren hat sich einiges an Problemen Umwelt drohen, nehmen wir nicht leicht. Sie sind be­ ergeben, weil - das liegt ja auf der Hand - das Erinne­ achtlich. Aber man muß auch zwei Punkte sehen, die rungsvermögen von Zeugen, die sich an einen Vorfall Sie natürlich nicht gebracht haben. Erstens ganz im erinnern sollen, nicht besser, sondern in der Regel P!enarprotokol! 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11 . Wahlperiode 1771

(Dr. Wilhelm [CSU]) (Abg. Engelhardt: Was heißt hier „voll nehmen"?) schlechter wird, wenn sie erst nach vielen Monaten befragt werden. Die Strafverfahren werden im Hin­ bringt nicht etwa neue Stellen für die Justiz - Herr blick auf die Beweisführung und Beweiswürdigung Kollege Engelhardt, es bringt keine einzige neue schwieriger. Rechtspolitisch ist vor allem aus Grün• Stelle, sondern macht leider sogar beachtliche Stel­ den der Abschreckung wichtig, daß möglichst bald leneinsparungen zum Ziel seiner Politik, und das auf die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt, ein Punkt, der einer schlechteren Basis, als sie in Bayern für die Be­ uns ebenfalls darum besorgt sein lassen muß, daß die lastung des einzelnen Richters besteht, Strafverfahren zügig abgewickelt werden können. (Zuruf der Frau Abg. Martini) Gravierend waren und sind die Probleme auch für die gemessen an objektiven Kriterien nach der Statistik Angehörigen der Justiz selber. Viele haben, und des hessischen Justizministers, die mir vorliegt. manchmal auch mit Grund, das Gefühl haben können, Die CSU-Fraktion hat mit ihrer Aussage bei der Bera­ der Dienstherr denke nicht im nötigen Umfang an tung des letzten Haushalts, wenn es möglich ist, et­ seine Fürsorgepflicht, weil er die Lasten allzulang ein­ was zu tun, und zwar in erster Linie für die Justiz et­ fach immer mehr hat werden lassen, ohne für Entla­ was zu tun, Wort gehalten. stung zu sorgen. Es ist richtig, den Angehörigen der Justiz Dank und Respekt zu bekunden, die ihre Ar­ Noch ein paar Punkte zu dem, was künftig im Haus­ halt für die Justiz getan werden muß. Zum einen ver­ beit in den letzten Jahren unter diesen erschwerten steht es sich von selbst, daß das Landgericht Ingol­ Bedingungen vollbracht haben. stadt, das demnächst errichtet werden wird, einiges Nun ist aber nach unserer Meinung die Grenze der an zus ä 1z1 ich e n St e 11 e n brauchen wird, zum Belastbarkeit erreicht. Durch die Fraktion der CSU anderen auch, daß zur Bewältigung des dramatischen wurde der Entwurf des Einzelplans der Justiz prozen­ Anstiegs der Rechtsreferendare einiges getan wer­ tual mehr als bei jedem anderen Haushalt angehoben. den muß. Ich nenne Zahlen: Die Zahl der Neueintritte Es ist eine deutliche Aufbesserung zu verzeichnen: von Rechtsreferendaren in den Staatsdienst betrug Statt 200 neuen Stellen, die der Regierungsentwurf 1978 625; im Jahr 1986 waren es 1400 und im Jahr für die Justiz insgesamt enthalten hatte, gibt es nun 1987 2000. Wenn man die solide Ausbildung unserer bayerischen Rechtsreferendare beibehalten will, muß 320 zusätzliche, neue Stellen für die Justiz. Für die auch die Zahl der Stellen angehoben werden. Gerichte und Staatsanwaltschaften, bei denen die Probleme besonders groß sind, gibt es statt 50 nun­ Es ist ja auch ein von uns allen anerkannter Gesichts­ mehr 170 neue Stellen. Es gibt zum Beispiel statt 21 punkt, daß das Überlastprogramm an den Hochschu­ zusätzlichen Richtern und Staatsanwälten nun im len zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten schaffen Doppelhaushalt 45 neue Richter und Staatsanwälte. muß, wenn gewisse Studienfächer besonders überla• Das ist nicht das, was man sich in der Justiz wünscht, stet sind. Bayern war hier das erste Land und steht im Überlastprogramm immer noch an der Spitze. Daß (Abg. Diethei: Aber es ist was') dieses Programm seine Fortsetzung bei der Referen­ aber es ist etwas, was die Probleme durchaus deut­ darausbildung finden muß, ist nach meiner Meinung lich lindern kann und was auch einen gewissen Dank selbstverständlich. Darüber müssen wir uns beim nächsten Haushalt sicherlich sehr eingehend unter­ und Respekt des Parlaments für die bisher unter so halten, etwa dahingehend, daß Stellen für die Zeit der erschwerten Bedingungen geleistete Arbeit aus­ Überlast geschaffen werden, die aber dann nach Ab­ drückt. bau der Überlast, also wenn die Referendare wieder Sie können mir, der ich im Haushaltsausschuß bin, deutlich weniger werden, ebenfalls abgebaut werden, glauben, daß die Haushaltspolitiker über ihren Schat­ so wie das auch beim Überlastprogramm an den ten springen mußten und daß uns das nicht leichtge­ Hochschulen vorgesehen ist. fallen ist, weil ja nach wie vor der Grund für die Perso­ Meine Damen und Herren! Das waren einige Anmer­ naleinsparungsmaßnahmen seit 1981 nicht bereinigt kungen zum Haushalt des Justizministeriums. Ich ist, nämlich die sehr hohe, weit über 40 Prozent lie­ möchte abschließend der Frau Justizminister und ih­ gende Personalkostenquote des gesamten Staats­ rem Haus eine glückliche Hand wünschen, erstens haushalts. Dieses Problem konnte zwar gemindert beim Vollzug dieses Haushalts und zweitens bei der werden; es ist aber durchaus noch bedeutsam. Es Verwirklichung ihrer rechtspolitischen Absichten, die war aber ein besonderer Notstand; wir haben also sie uns sehr eindrucksvoll dargestellt hat. Danke auch etwas Besonderes tun wollen und tun müssen. schön. (Beifall bei der CSU) (Beifall bei der CSU)

Die Anhebung ist bedeutsam, gemessen am Regie­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster rungsentwurf, aber vor allem bedeutsam, meine Da­ Redner ist Herr Kollege Dr. Kestel. Ich erteile ihm das men und Herren von der Opposition, wenn man sie Wort. an dem mißt, was SPD-regierte Länder für die Justiz tun. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, das Parade­ Dr. Kestel (DIE GRÜNEN): Herr Präsident, Frau Mini­ beispiel für SPD-Politiker, die den Mund voll nehmen, ster, meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter 1772 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Dr. Kestel [DIE GRÜNEN]) Die beiden Verfasser des Buches „Wirtschaftskrimi• nalität", Müller und Wabnitz, beklagen darüber hin­ Niedermayer von der CSU, der heute leider nicht da aus, daß auch die Ausbildung an den Universitäten an ist, hat in seiner ersten Rede dieser Legislaturperiode der Wirtschaftskriminalität vorbeigehe. Es ist leicht vor diesem Hause die wunderbare Tat vollbracht, mir vorstellbar, daß es mit der Ausbildung bei der Um­ die Maske vom Gesicht zu reißen, wie er sich aus­ weltkriminalität nicht anders aussieht. Ich meine, daß drückte. beispielsweise ein Wirtschaftsberater, der seinen (Abg. Werkstetter: Da schau her') Klienten zu Tode berät, um sich dann für ein Butter­ brot dessen Betrieb anzueignen, wie ein Terrorist be­ Was hat er getan? Er zitierte aus einem Runfunkinter­ urteilt werden müßte. view, in dem ich meine Zweifel am Funktionieren un­ seres Rechtsstaats geäußert hatte. Was soll aber Daß Herr Strauß in seiner Regierungserklärung den dann der Unsinn, er reiße mir die Maske vom Gesicht, Begriff der Wirtschaftskriminalität nirgendwo erwähnt, wenn ich mich auch heute noch zu diesem Zitat und schlägt auf ihn zurück, so meine ich. Er sagt an einer damit auch zu meinen Zweifeln am Rechtsstaat be­ Stelle; ich zitiere: kenne? Wer Gewalt und Rechtsbrüche, gegen welche Op­ Sie müssen dazu noch wissen, daß jener Richter, der fer auch immer, duldet oder verharmlost, entzieht mich ob jenes Rundfunkinterviews wegen übler dem Rechtsstaat den Boden. Nachrede verurteilen sollte und das Verfahren gar Was aber für Strommastenumsäger gefordert wird, nicht erst eröffnete, in seiner Begründung o.usdrück• müßte auch für Wirtschafts- und Umweltkriminelle lich jedermann das Recht auf Kritik an unserer Recht­ gelten. Ich schließe mich Herrn Strauß an, wenn er sprechung einräumte. Ich halte eben diese Kritik für sagt: angebracht, und nicht nur ich. Ich rufe deshalb die Bevölkerung zur Wachsamkeit Meine Damen und Herren! Unser Rechtsstaat hat auf. Helfen Sie mit, daß diese Untaten verhindert Mängel. Solange Menschen darin arbeiten, dürfen wir werden, und tragen Sie dazu bei, diese Verbrecher uns auch nicht darüber wundern. Als Pädagoge ist dingfest zu machen. mir das selbstverständlich; ich hoffe, daß Ihnen das Wenn wir uns in diesen Dingen einig sind, brauchen für die Justiz genauso bekannt ist. wir uns nicht weiter über Sorgen um das Strafrecht (Abg. Dr. Wilhelm: Was sagen Sie zu dem, und die Justiz zu unterhalten. was Frau Schmidt-Bott zum Rechtsstaat Tatsache ist, daß die Staatsanwaltschaften große ausgeführt hat?) Schwierigkeiten haben oder machen, wenn es darum - Das müßte ich selbst nachlesen. geht, einem Wirtschafts- oder Umweltkriminellen un­ lautere Absichten zu unterstellen. Wer Umwelttäter (Zuruf des Abg. Langenberger) anzeigt, dem kann es passieren, daß er selbst ver­ Ich habe mich inzwischen von einem Juristen dahin­ folgt wird; Greenpeace und Robin Wood haben sol­ gehend aufklären lassen, daß wir nach Meinung nam­ che Beispiele ja geliefert. hafter Rechtswissenschaftler tatsächlich gar keinen Vorhin ist kritisiert worden, daß immer wieder Einzel­ Rechtsstaat haben, das heißt einen Staat, in dem vor fälle dargestellt werden. Justizfälle sind aber nun ein­ Gericht grundsätzlich der recht bekommt, der auch mal Singularitäten; doch sie häufen sich eben, und recht hat. Vielmehr hätten wir einen Rechtsmittel­ zwar auch die Unrechtsfälle. Während zum Beispiel staat. Das bedeute, daß am ehesten der recht be­ ein Kellner, der drei Wochen zu lange Arbeitslosen­ komme, der auch die nötigen Rechtsmittel einlegen geld bezogen hatte und vor Gericht angab, mit Ar­ könne. Das setzt selbstverständlich die notwendige beitsbeginn keine Gelegenheit mehr gehabt zu ha­ Kapitalkraft und eventuell sogar Beziehungen voraus. ben, in das entfernte Arbeitsamt zu fahren, mit meh­ Das macht mir Sorge. reren tausend D-Mark bestraft wurde, ist trotz mehr­ maliger Hinweise niemand zur Prüfung bereit, ob ei­ Wer einmal als einfacher Bürger in die Mühlen der Ju­ nem Unternehmer, der weit über zwei Millionen DM stiz geraten ist, der weiß, wie unerbittlich diese Justiz lnvestitionszuschuß bezogen hatte, ohne eine Investi­ gegen ihn arbeiten kann. Dagegen kann der einfache tion zu tätigen, dieser Zuschuß auch zu Recht bezahlt Bürger selbst beobachten und erleben, wie von der worden ist. Ihn schützen das Steuergeheimnis und gleichen Justiz die Bestrafung einflußreicher Zeitge­ andere Tricks. nossen abgeblockt wird. Viele solcher Beispiele, meine Damen und Herren von In diesem Zusammenhang ist vor allem die mangel­ der CSU, werden an mich herangetragen, und zwar hafte Verfolgung der W i r t schalt s - und Um - immer mit der Bemerkung, zur CSU und damit zu un­ w e 1t k r im in a 1i t ä t besonders dazu angetan, das serem Staat kein Vertrauen mehr zu haben. Damit fin­ Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu erschüttern. det eine Verquickung statt, die ich so gar nicht vor­ (Zustimmung bei den GRÜNEN) nehmen würde und möchte. Selbst bei Abzug typi­ scher Querulantenanzeigen und Beschwerden von Abgesehen davon, daß die Schäden aus diesen Delik­ Mitbürgern, die sich wegen eines verlorenen Rechts­ ten für die Volkswirtschaft die größten sind und in die streits rächen wollen und deshalb die Justiz, CSU Milliarden gehen, ist vor allem der Umgang der Justiz und den Staat beschimpfen, verbleiben immer noch mit diesem Verbrechenstyp bedenklich. zahlreiche berechtigte Klagen wegen erlittenen Un- Plenarprotokotl 11/28 v. 24.06.87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1773

(Dr. Kestel [DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren' Das mag in einer pluralisti­ schen Gesellschaft sehr wohl ein gültiger Grundsatz rechts. Mit Recht zweifeln daher immer mehr Staats­ sein; für eine christliche Partei kann es aber nicht der bürger am Funktionieren unseres Rechtsstaates. Handlungshintergrund sein. Daher ist meine große Besonders tragisch linde ich das Verhalten der Justiz Hoffnung, daß Herr Strauß nicht mehr lange und der Behörden in Sachen Umweltkriminalität. (Heiterkeit bei den GRÜNEN) Marktredwitz hat uns gezeigt, wie Unternehmer Ge­ winne kassieren dürfen; die Sanierung der Umwelt­ die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, vor sei­ schäden - in diesem Falle geschätzte 50 Millionen nen Karren spannen darf. DM - zahlt dann der Steuerzahler. Für viele Umwelt­ (Beifall bei den GRÜNEN - Abg. Diethei: sünden werden erst unsere Kinder bezahlen. Haben Sie gedacht! -Abg. Dr. Wilhelm: Das In diesem Zusammenhang muß auch scharfe Kritik Wunschdenken des Herrn Kestel!) am Verhalten unserer Behörden geübt werden. Wer Herr Strauß redet im gleichen Atemzug von der Ret­ im Schutze von Aufsichtsämtern Unrecht tut, kann tung christlicher Werte. Ich frage Sie: Welche christli­ sich vor Strafe am sichersten fühlen. Angemeldete chen Werte wollen Sie denn retten, wenn nicht Wahr­ Überprüfungen sind an der Tagesordnung. Ein Bei­ haftigkeit und Gerechtigkeit sowie die Verhaltensfor­ spiel: Eine junge Frau mit zwei behinderten Kindern derungen schlechthin, die sich aus den Zehn Gebo­ hatte sich über Verkehrslärm, Staub und andere ten ergeben? Dinge aus einem nahen Industriebetrieb beschwert. Mit vielen Behörden wurde ein Termin vereinbart. Die (Abg. Hofmann: Dazu brauchen wir einen junge Dame beschreibt dann diesen Termin: „Als ich GRÜNEN! - Abg. Dr. Wilhelm: Da sind wir zugelassen wurde, war das Gespräch beendet und doch voll dafür') waren die Sektgläser geleert." - Es versteht sich von Die anspruchsvollste Forderung des Christentums, selbst, daß sie nicht recht bekam. Dafür sollte sie „Du sollst nicht richten", wird ohnedies von Ihnen dann - das war die Rache der Behörden - innerhalb und auch von der Kirche nicht ernstgenommen. weniger Wochen eine sachgerecht gebaute Klär• grube auf das doppelte Volumen vergrößern. Dabei (Abg. Dr. Wilhelm: Meinen Sie, daß wir dazu Sie brauchen?) wurde ein Zwangsgeld von 10000 DM angedroht. Meine Damen und Herren, das kann das Vertrauen in - Ja, doch. Die Wähler haben gemeint, daß man mich unseren Rechtsstaat nicht fördern. auch braucht. Ein weiteres Problem sind die Experten. Es wird wohl Es besteht wohl kein Zweifel, daß sich eine Gesell­ nirgends so viel gelogen wie in Gutachten. Mit der Er­ schaft vor Straftätern schützen muß. Ich komme da­ stellung von Gutachten und Gegengutachten kann mit zum St r a 1vo11 zu g. unheimlich viel Zeit gewonnen werden. (Abg. Dobmeier: Ich habe gedacht zum (Zuruf des Abg. Hofmann) Schluß') Das ist unser Vorwurf sowohl an das Justiz- als auch Die Frage ist nur, wie das geschieht. Die erste Maß• an das Innenministerium. Inzwischen können dann nahme ist wohl immer die Vorbeugung. Das setzt vor­ Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr zu be­ aus, daß der potentielle Straftäter über das Unrecht seitigen sind. Die Beugung der Wahrheit, meine Da­ seines Tuns informiert ist. Das hat Herr Kamm ja men und Herren, zählt beim kleinen Mann als Lüge, heute auch schon ausgeführt. Das setzt aber auch voraus, daß vor allem diejenigen, die Gesetze erlas­ (Abg. Hofmann: Da sind die GRÜNEN sen, verwalten und dann auch Recht sprechen, mit Spitze!) gutem Beispiel vorangehen. Das sind unsere staatli­ bei bedeutenderen Zeitgenossen als Schutzbehaup­ chen Institutionen, unsere Parteien und Parteienver­ tung. Meine Damen und Herren, hier muß sich die treter. Was sich zum Beispiel an Spendenaffären seit CSU wieder einmal an das „C" in ihren Parteiinitialen dem zweiten Weltkrieg abgespielt hat, ist nicht dazu erinnern. Herr Spitzner wird sicher wieder von einem angetan, Regierende als leuchtende Vorbilder gelten Hochamt sprechen, aber ich kann da nicht hellen. zu lassen. Wenn heute Frau Navratilova als schlech­ tes Beispiel angeführt wurde, weil sie lesbische Be­ (Abg. Hofmann: Dazu brauchen wir Siel) ziehungen unterhält, dann frage ich Sie, warum Sie - Doch, ja, das muß man Ihnen schon einmal sagen. nicht im gleichen Atemzug auch Boris Becker ange­ Herr Strauß bekennt selbst, daß er mit diesem C nicht führt haben, der im Grunde Steuerflüchtling ist? viel am Hut hat. Ich zitiere mit Genehmigung des (Beifall bei den GRÜNEN) Herrn Präsidenten aus der „Passauer Neuen Die Gelder, die hier ins Ausland gehen, fehlen uns Presse", die ihm sicher wohlgewogen ist: wirklich; vielleicht auch zur Verfolgung ähnlicher Die Bibel könne nie eine politische Handlungsanlei­ Straftaten. tung sein, meinte Strauß. Jeder Versuch, Glau­ Meine Damen und Herren! Gerade in Sachen Straf­ benswahrheiten zur Grundlage konkreten politi­ vollzug und Behandlung der Strafgefangenen ist doch schen Handelns zu machen, lasse den Glauben zur eines in der heutigen Situation bedenklich: Ideologie entarten mit allen schrecklichen Folgen. Zu dem, was Regierung und Regierende zu verber­ (Abg. Hofmann: Na und?) gen haben, kommt als Ihre Reaktion und Aktion 1774 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Dr. Kestel [OIE GRÜNEN]) Tötungshemmende, soziale Auslöser gibt es bei der Gruppenaggression nicht. darauf leider hinzu, daß Sie sich Sündenböcke su­ chen, auf die man mit dem Finger zeigen und damit Jetzt das Entscheidende: vom eigenen Unrecht ablenken kann. Solche Sünden• Bei Menschen wird die Gruppenaggression durch böcke laufen in Wackersdorf als Demonstranten die Schaffung eines Feindbildes aktiviert. Sie äu• herum, und solche Sündenböcke sitzen dann auch in ßert sich in verbalen Angriffen gegenüber einem den Strafanstalten. Somit gehören also die, die nicht möglichen oder wirklichen Gegner. durch die Maschen unserer Rechtspflege schlüpfen konnten, sondern darin hängengeblieben sind, also Sie sollten diese Dinge einmal ganz genau durchstu­ vor allem unsere Strafgefangenen, heute zu diesen dieren. Dieser Mensch, dieser Gegner, wird nicht Sündenböcken. mehr als Mensch angesehen und daher verunglimpft, verlacht und diffamiert. Es heißt dann weiter: Mit Sorge verfolgen wir dabei vor allem die Aktivitäten Bayerns, den Strafvollzug wieder zu verschärfen und Die diffamierende Aggression, hinter der als Ver­ dabei innerhalb der Bundesrepublik immer mehr den haltensform der Gruppenhaß steckt, hat nicht mehr Vorreiter zu machen. die Überzeugung des Gegners, sondern den Geg­ ner selbst zum Ziel aggressiver Absicht. Der in ei­ (Abg. Hofmann: Dafür müßte man ner emotional aggressiv geladenen Situation Han­ Schmerzensgeld verlangen! - Abg. Dr. delnde hat das subjektive Gefühl, nicht manipuliert Wilhelm: Ein solcher Unsinn!) zu sein, sondern freiwillig zu handeln. überdies Die bayerischen Aktivitäten finden statt, noch bevor vermindert sich in diesem Zustand die Fähigkeit, Ansätze zur Humanisierung erprobt oder die Ergeb­ rational zu differenzieren, das heißt, das einseh­ nisse solcher Erprobungen sachgerecht ausgewertet bare Falsche eines Handelns auch als falsch zu be­ urteilen. Ein weiteres Merkmal des aggressiven Be­ worden sind. stimmtseins ist das Denken in Schablonen. Be­ Meine Damen und Herren' Gerade ein Strafvollzug, griffe wie fortschrittlich, demokratisch usw. werden der sich an christlichen Werten ausrichtet, sollte im nicht mehr nach ihrer inhaltlichen Bedeutung ge­ Straftäter immer noch den Mitmenschen sehen. Statt braucht, sondern nur noch als Schlagwörter. dessen wird er heute immer mehr zum Objekt der Hier beende ich das Zitat. Ausgrenzung. Dabei wird dann von „sozialer Hy­ giene" gesprochen; so wörtlich in einem entspre­ Meine Damen und Herren! In politischen Bereichen chenden Werk. Hinter einer solchen Ausgrenzung nennt man ein solches Verhalten Demagogie. Leider verbirgt sich ein primitiver Instinkt, wobei ich „pri• feiert diese bereits wieder fröhliche Urständ. Im Zu­ mitiv" im Sinne der Wortbedeutung meine. Von Ver­ sammenhang mit dem Strafvollzug spricht man, wie haltensbiologen wird dieser primitive Instinkt als oben angedeutet, von sozialer Hygiene. Wenn es um „Gruppenaggression" umschrieben. Ich darf mit Ge­ Strafgefangene geht, sollte emotionales Argumentie­ nehmigung des Herrn Präsidenten einige Passagen ren beiseite bleiben. aus einem einschlägigen Werk zitieren. Oie vielen Schreiben aus Strafvollzugsanstalten, die (Abg. Dr. Wilhelm: Was schlagen Sie denn uns erreichen, vermitteln immer mehr die Vorstellung vor?) - ich war am Anfang sehr gehemmt, mich mit diesen Schreiben auseinanderzusetzen, das gebe ich zu; - Ja, ich sage Ihnen gleich einiges. Da heißt es: hier hatte ich eine Schwelle zu überschreiten -, daß Beim Menschen ist wie bei Tieren eine angeborene der Mensch, der uns hier aus der JVA geschrieben Gruppenaggression, eine angeborene Tendenz zur hat, eigentlich unser eigenes Kind, unser Verwandter Aggressivität gegen Gruppenfeinde nachzuweisen. oder Bekannter sein könnte. Wir sind doch wohl be­ Bei Tieren wirkt diese Art der Aggressivität anstek­ reit, diesen Personenkreis als Mitmenschen zu se­ kend auf die Gesamtgruppe und endet mit der Ver­ hen. treibung oder Tötung des Gruppengegners. Meine Damen und Herren, ich scheue mich auch (Abg. Hofmann: Wer hat das geschrieben?) nicht, den Strafgefangenen mitzuteilen, daß ich das Tun, weswegen sie verurteilt sind, auch verurteile. - Das ist aus einem Werk der Verhaltensbiologie, das (Abg. Hofmann: Das wäre das mindeste') schon etwa um 1965 verfaßt wurde. Das hat nichts mit Kriminologie zu tun; das ist Biologie. Ich nehme mir aber nicht heraus, irgendeinen Men­ schen nicht mehr als Mitmenschen einzustufen, auch (Abg. Hofmann: Von wem denn?) nicht einen Strafgefangenen. - Albert Danzer, Verhalten, Metzner Verlag, Studien­ (Abg. Dr. Wilhelm: Wer tut denn das?) reihe Biologie, Band 5, Herausgeber Hans Model. - Doch, wir haben sehr wohl bisweilen den Eindruck, (Zuruf des Abg. Hofmann) daß in der öffentlichen Diskussion der Strafgefangene - Doch, das ist Verhaltensbiologie; das ist die Grund­ als Außenseiter ausgegrenzt werden soll. Das war lage für Unterrichtswerke. Ich darf fortfahren: das, was ich Ihnen erklären wollte. Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1775

(Dr. Kestel [DIE GRÜNEN]) terbildung und vor allem im Bereich der Freizeitge­ staltung, auch an sportlicher Betätigung. (Abg. Dr. Wilhelm: Werden Sie konkret! - Abg. Hofmann: Schon sehr dürftig, die Ein weiterer Punkt unserer Anträge betrifft die Ver­ Argumentation!) besserung des Literaturangebotes. Gefragt sind un­ ter anderem juristische Standardwerke und Literatur, So haben wir zum Justizvollzug einige Anträge die etwas kritischere Aussagen in die Strafanstalten eingebracht. Den ersten Antrag hat Herr Kamm erläu• bringt. Meine Damen und Herren, was haben Sie ei­ tert. Die weiteren Anträge betreffen den Strafvollzug. gentlich für eine Scheu vor kritischer Literatur? Hier waren unsere Vorschläge darauf gerichtet, die Resozialisierung der Strafgefangenen zu verbessern. (Zuruf des Abg. Hofmann) Wir leugnen nicht, daß es hier wirklich gute Ansätze Zensur ist schon immer die schlechteste Form von gibt. Informationspolitik. Wir meinen sehr wohl, daß die Rückfallquote verrin­ (Abg. Dr. Fischer: Das ist nicht zum gert werden kann, wenn die Mittel für die Gefange­ Aushalten!) nen- und Entlassenenfürsorge - unser Antrag - auf­ Ich darf noch einen Punkt anführen, weil eben das gestockt werden. Hier geht es vor allem um die Ar­ Ende der Redezeit angedeutet wird: beitslosenhilfe und die Beiträge zur Arbeitslosenver­ sicherung, insbesondere darum, entlassene Frauen Wir finden besonders schade, daß Sie die Resoziali­ von ihren besonders großen Schwierigkeiten zu be­ sierung durch ehrenamtliche Personen so schlecht freien. bedienen, daß Sie da unserem Antrag nicht zuge­ stimmt haben. Es ist für einen Strafgefangenen doch Nachdem heute von Jugendkriminalität die Rede war, besonders schwierig, sich in der Gesellschaft wieder darf ich Ihnen hierzu Zahlen, dargestellt in einem Arti­ zurechtzufinden. Hier leisten Ehrenamtliche wirklich kel aus neuerer Zeit, nämlich aus 1982, übermitteln. Großes und Hervorragendes. Die Verfasser sind Berckhauer und Hausenpusch. Es geht um die durchschnittlichen Rückfallquoten. Wenn Frau Ministerin, ich möchte Sie zum Schluß. zu dem Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wurde, dann ich jetzt kommen muß, vor allem um eines bitten: beträgt die Rückfallquote 44 Prozent. Wenn be­ Bei vielen Strafgefangenen sind die familiären Bindun­ stimmte Jugendstrafen verhängt wurden, beträgt die gen geschädigt, wenn nicht gar abgebrochen. Wer Rückfallquote .70 Prozent und bei unbestimmten Ju­ wie Ihre Partei so viel vom Schutz der Familie spricht, gendstrafen 74 Prozent. In Bremen gibt es eine an­ der sollte wenigstens auf familiengefährdende Bedin­ dere Zahl. Dort beträgt die Rückfallquote nach Ju­ gungen besonders aufmerksam reagieren. gendstrafe sogar 82 Prozent. Das sage ich, weil diese Ich möchte Sie wirklich bitten, die Besuchs r e - Fragen heute vormittag an Herrn Kamm gestellt wur­ g e 1u n g e n dort zu verbessern, wo man Verbesse­ den. rungen zugestehen kann. Mitgefangene und Auf­ Meine Damen und Herren! Ein weiterer Ansatz wäre sichtsbeamte ersetzen diese familiären Kontakte die Erhöhung der Mittel für nebenamtliche und ne­ nicht. benberufliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Ich möchte auch auf die demütigende Behandlung Vorbereitung auf das Leben in Freiheit. Wir meinen, der Angehörigen, die in einer JVA einen Besuch ma­ daß die Erhöhung der Mittel für die nebenamtliche chen wollen. aufmerksam machen. Das habe ich jetzt und nebenberufliche Tätigkeit vor allem notwendig bei zwei Besuchen der JVA selbst miterleben müs• ist, um einmal ein weiteres Angebot an Freizeit und sen. Es ist schon grausam, daß eine Frau mit zwei Fortbildungsmaßnahmen bieten zu können, zum an­ Kindern zwei Stunden warten muß, bis sie vorgelas­ deren, um eine Entzerrung beim Personal herbeizu­ sen wird, und dann vielleicht erst in einem Monat wie­ führen. der kommen darf. In der Betreuung der Strafgefangenen müßte der Wir hatten auch noch einen Antrag zur Unterstützung Freizeitbereich vom Arbeitsbereich getrennt werden. freier Wohlfahrtsverbände bei Modellversuchen ein­ Wir halten Kurse, die dort angeboten werden, für sehr gebracht, wie man Drogen abhäng i gen , hier gut und auch für sinnvoll. Dennoch sind wir der Mei­ vor allem Abhängigen von einer Droge, die leider in nung, daß hier strikt getrennt werden sollte. der ganzen Diskussion immer wieder verharmlost wird, nämlich dem Alkohol, helfen kann. Schließlich ist Manche Strafgefangenen bleiben Kursen fern, die sie diese Verharmlosung auch deswegen so gang und gerne besuchen würden, um in der Gruppe nicht als gäbe, weil hinter dieser Droge eine gewaltige Wirt­ Opportunisten zu gelten. Andere Strafgefangene be­ schaftslobby steckt. Es ist leider so, daß die Alkohol­ legen Kurse aus Opportunismus. Würden solche abhängigkeit in unserem Staat stärker steigt als jede Kurse von speziell ausgebildetem Personal angebo­ andere Drogenabhängigkeit. Hier müssen Versuche ten, das nicht in den Aufsichtsbereich gehört, könnte „Therapie statt Strafe" besonders intensiv verfolgt echtes Interesse geweckt und auch gewährleistet werden. Ich bedaure sehr, daß Sie von der CSU aus­ werden. Für Frauen besteht nach unseren Informatio­ gerechnet diesen Antrag, der der Resozialisierung nen ein besonders großer Nachholbedarf an Wei- derjenigen dient, denen wir die größten Chancen 1776 Bayerischer Landtag · 11 _Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Dr. Kestel [DIE GRÜNEN]) des Justizministeriums besetzt seien. Die Antwort einräumen müssen und einräumen können, abgelehnt war, daß es in der bayerischen Justiz 180 derartige haben. Ämter, Besoldungsgruppe R 3 aufwärts. gebe und daß davon 15 mit Beamten aus dem Ministerium be­ Erster Vizepräsident Möslein: Jetzt ist Ihre Redezeit setzt worden seien. Ich weiß, daß inzwischen ein wei­ wirklich zu Ende, Herr Kollege! terer Beamter des Justizministeriums eine solche Stelle bekommen hat. Ich weiß allerdings nicht, wie Dr. Kestel (DIE GRÜNEN): Einen letzten Satz noch! viele dieser 15 Amtsinhaber in der Zwischenzeit in Wenn Sie sich selber als die Gerechten empfinden, Pension gegangen sind. Aber selbst wenn wir noch meine Damen und Herren, dann sollten Sie den Straf­ einen als „Sicherheitszuschlag" dazuzählen, wären gefangenen wenigstens als Mitmenschen sehen. Im noch nicht einmal zehn Prozent der Führungspositio• Allen Testament heißt es - ich kann Sie mit der Bibel nen mit Beamten aus dem Ministerium besetzt. Der leider nicht verschonen, aber Sie haben das „C" im Anteil ist also derart verschwindend klein, daß man Namen: Selbst der Gerechte fällt des Tages sieben­ daraus keine Schlußfolgerungen ziehen kann. mal. Wer will dann Steine werfen gegen Leute, die ir­ gendwo gestrauchelt sind? Geben wir ihnen doch die Im übrigen sind wir uns, glaube ich, darin einig, daß Hand und versuchen wir, sie als Mitmenschen zu se­ zwischen Justiz und Ministerium ein gewisser Aus­ hen. Ich danke Ihnen. tausch stattfinden soll. Gute, befähigte Juristen soll­ ten in das Ministerium, und sie sollten zu gegebener Erster Vizepräsident Möslein: Als nächstem Redner Zeit aus dem Ministerium zurück in die Praxis, damit erteile ich dem Kollegen Dr. Weiß das Wort. Bitte, auch dort von dem, was sie sich im Ministerium an Herr Kollege! Wissen angeeignet haben, profitiert wird. Ich glaube, in diesem Punkt haben Sie es uns sehr leicht ge­ Dr. Weiß Manfred (CSU): Herr Präsident, Frau Staats­ macht. ministerin, Hohes Haus! Haushaltsdebatten spielen Ich möchte auch auf den Vorwurf des Kollegen Zierer sich in jedem Parlament nach bekannten Regeln ab: eingehen, daß Staatsanwälte oder Beamte, die sich Die Regierung weist ihre Leistung nach, und die Par­ tei, die die Regierung stellt, nimmt das erfreut zur nach Schwandorf gemeldet hätten, große Erwartun­ Kenntnis. Die Oppositionsredner versuchen, Kritik gen in ihre berufliche Zukunft setzen könnten. Herr vorzubringen, um nachzuweisen, wie untätig, böswil• Kollege Zierer, es ist doch eine Selbstverständlich• lig oder unfähig doch die Regierung sei. keit, daß jeder, der bereit ist, sich an einen anderen Ort versetzen zu lassen, mehr Chancen hat als derje­ Manchmal macht es einem ein Oppositionsredner nige, der auf seinem Stuhl sitzen bleibt und wartet, sehr schwer. Das haben Sie, Herr Kollege Wirth, zum bis endlich am nächstgelegenen Gericht ein Platz frei Beispiel heute getan, als Sie einen lokalen Fall ange­ wird. sprochen haben, der anscheinend nur in der „All• gäuer Zeitung" erwähnt wurde. Sie werden verste­ (Widerspruch des Abg. Zierer) hen, daß ich dazu nichts sagen kann. Allerdings wer­ Das ist doch eine ganz natürliche Sache, um so mehr, den Sie mir schon zugestehen, daß ich hier automa­ als ein Richter überhaupt nicht versetzt werden kann, tisch eine gewisse Skepsis anbringe. wenn nicht zwingende dienstliche Gründe vorliegen. Aber manchmal macht es einem der Vorredner auch Auch das gehört zur Unabhängigkeit des Richters. sehr leicht, indem er einen Vorwurf in den Raum stellt, den zu widerlegen die Kollegen der eigenen (Abg. Dr. Wilhelm: So ist es!) Fraktion bereits die Argumente gebracht haben. Dies Herr Kollege Zierer, geradezu lächerlich sind die Bei­ war z.B. der Fall, Herr Kollege Wirth, als Sie den Vor­ spiele aus dem Gerichtssaal von Schwandorf, die Sie wurf erhoben haben, bei der Vergabe der Richterstel­ angeführt haben. len würden die höheren Positionen in der bayerischen Justiz zu oft mit Beamten, die direkt aus dem Ministe­ (Abg. Zierer: Daß das für Sie lächerlich ist, rium kommen, besetzt. Sie haben damit angedeutet, glaube ich!) daß die Beamten, die aus dem Ministerium kommen, Da gibt es den friedlichen Demonstranten, der ein der Staatsregierung besonders ergeben wären, auch Kieselsteinchen an den Bauzaun schmeißt. in jener Position, die sie künftig einnehmen werden. Sie haben es mir deshalb leicht gemacht, diesen Vor­ (Abg. Dr. Wilhelm: „Versehentlich '") wurf zu entkräften, weil eine Kollegin aus Ihren Rei­ Solche Ammenmärchen können Sie in Ihren Schrei­ hen, die Kollegin Jungfer, vor eineinhalb Jahren eine ben als Anwalt unterbringen, aber Sie dürfen doch diesbezügliche Anfrage gestellt hat. Die Staatsregie­ nicht glauben, daß Ihnen das hier jemand abnimmt! rung hat darauf mit eindeutigen Zahlen geantwortet, die widerlegen, was Sie hier in den Raum stellen woll­ (Abg. Zierer: Der ist aber doch ten. freigesprochen worden') Die Kollegin Jungfer hat die Staatsregierung am - Ja, ich gehe darauf ein. Ich kenne diesen Fall nicht 21. Oktober 1985 gefragt, wie viele Führungsstellen und weiß auch nicht, warum der Angeklagte freige­ bei Gerichten und Staatsanwaltschaften mit Beamten sprochen wurde, Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1777

(Dr Weiß Manfred [CSU]) zugsgesetz nicht ständig unter dem Kopfkissen lie­ gen haben, deutlich zu machen. (Abg. Zierer: Das ist ja eben die Fragestellung') § 2 des Strafvollzugsgesetzes nennt ausdrücklich zwei Z i e 1e d e s S t r a f v o 11 z u g s : vielleicht weil er vermummt war und man ihn nicht identifizieren konnte, In Satz 1 das Ziel, die Gefangenen zu befähigen, künf• tig ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwor­ (Lachen bei den GRÜNEN) tung zu führen. Dieses Ziel, den Strafgefangenen auf vielleicht weil man nicht eindeutig nachweisen ein straffreies Leben vorzubereiten, ist von enormer konnte, daß er der Täter war. Bedeutung. Der beste Erfolg einer Bestrafung ist, daß der Bestrafte keine Straftaten mehr begeht. Es ist Erster Vizepräsident Möslein: Herr Kollege Dr. Weiß, das Beste für ihn selbst, aber auch für den Staat. Aus gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Paul diesem Grunde werden auch erhebliche Mittel für Wilhelm? den Strafvollzug aufgewandt. In der Bundesrepublik sind es durchschnittlich zwei Milliarden DM im Jahr, Dr. Weiß Manfred (CSU): Ich möchte bitte den Satz in Bayern etwa 350 Millionen DM. Dies ist doch eine beenden. ganz erhebliche Summe. Vielleicht wurde er auch freigesprochen, weil man ihn Neben diesem ersten Ziel nennt Satz 2 des genann­ nicht eindeutig identifizieren konnte. Auf keinen Fall ten Paragraphen als Aufgabe des Strafvollzugs, die aber ist er freigesprochen worden, weil man dieses Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen. Das ist in Steinewerfen für ein harmloses Murmelspiel gehalten der heutigen Diskussion ziemlich untergegangen, ob­ hat. So jetzt, bitte schön' wohl es ausdrücklich im Gesetz steht. Nur in Ausnah­ men - etwa bei Widerruf einer Bewährung wegen Dr. Wilhelm (CSU): Herr Kollege Weiß, könnten Sie Nichterfüllung der Auflagen oder bei einem ganz gra­ Herrn Zierer, den Sie gerade ansprechen, auch fra­ vierenden Fehlverhalten - kommen Täter schon nach gen, um welche Fallgestaltung es sich handelt, wenn der ersten Straftat in Strafhaft. In der Regel handelt jemand „versehentlich" einen Stein geworfen hat? es sich also um Straftäter, die schon mehrfach gegen das Gesetz verstoßen haben und die sich durch meh­ (Abg. Kamm: Das war Mißbrauch des rere Verurteilungen nicht eines Besseren haben be­ Fragerechts') lehren lassen, kurzum um solche Täter, die auf dem Weg in die Kriminalität schon einen ganz schönen Dr. Weiß Manfred (CSU): Ja, es ist das berühmte Schritt gemacht haben. Eine Zahl dazu: Von 100 Ver­ harmlose Murmelspiel. Aber ich glaube, allein die Re­ urteilten werden etwa 80 Prozent mit einer Geldstrafe aktion in diesem Hause auf diesen Fall, daß ein friedli­ belegt. Etwa zwei Drittel der restlichen 20 Prozent be­ cher Demonstrant Kieselsteinchen durch die Gegend kommen eine Freiheitsstrafe mit Bewährung, die sie wirft, hat für sich selbst gesprochen. in der Regel nicht abzusitzen haben. Lediglich sechs Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, den bis sieben Prozent haben eine Freiheitsstrafe ohne Herr Kollege Wirth erwähnt hat, und zwar die Rüge Bewährung zu verbüßen. Von denjenigen, die schon der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der mehrfach Einbrüche verübt, Körperverletzungen oder strafrechtlichen Behandlung des „Anachronistischen Sittlichkeitsverbrechen begangen haben, geht natür• Zugs". Herr Kollege Wirth, in einem gewissen Maße lich eine Gefahr aus, vor der die Allgemeinheit soweit machen Sie es sich schon leicht. In früherer Zeit wie möglich zu schützen ist. wurde in den Raum gestellt, daß die böse Bayerische Zweifellos ist zwischen diesen beiden Zielen - Vorbe­ Staatsregierung der armen Staatsanwaltschaft keine reitung auf ein straffreies Leben und Schutz der All­ Ruhe lasse und sie immer wieder mit Weisungen gemeinheit - im Einzelfall sehr genau abzuwägen. Da dränge, dieses und jenes Delikt weiter zu verfolgen. gibt es sicher manchmal Fehlentscheidungen. Viel­ Für solche Vorwürfe gab es dann aber keinerlei An­ leicht hat ein Dieb „in Urlaub" wieder gestohlen. Das haltspunkte. Was macht Herr Kollege Wirth? Er dreht fällt nicht so sehr auf. Schlimmer ist es, wenn ein Sitt­ das Ganze um und. sagt, na ja, wenn es schon keine lichkeitsverbrecher erneut ein Verbrechen der glei­ Weisung war, dann war es vorauseilender Gehorsam; chen Art begeht. Das gibt schon Schlagzeilen. Aber dann hat man vorweg schon das gemacht, was die auch solche Fälle befreien uns nicht von der Verant­ Staatsregierung erwartet hat. Herr Kollege Wirth, wie wortung, in jedem Einzelfall genau abzuwägen, wel­ kommen Sie zu dieser Würdigung? Glauben Sie ches Ziel den Vorzug verdient. nicht, daß Sie damit eine Vielzahl von Staatsanwälten, Jetzt kommen wir zu den Meinungsverschiedenhei­ die ihre Aufgabe ernst nehmen, die sich bemühen, ten. Nach § 46 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ist ihre Pflicht zu erfüllen, in unqualifizierter Weise ab­ die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung werten? Glauben Sie nicht, daß Sie ihnen großes Un­ der Strafe. Bei der Verurteilung durch den Strafrichter recht tun? ist der Schuldausgleich, die Sühne, von grundlegen­ Herr Kollege Wirth, Sie haben auch über den Straf­ der Bedeutung. Und wenn der Kollege Wirth beim vollzug gesprochen und dabei die ernsthaften Bemü• Gedanken der Sühne von einem ethisch-religiösen hungen, die Aufgaben des Strafvollzugs herauszuar­ Begriff spricht, der eine freiwillige Unterwerfung unter beiten, als „Bierzeltgerede" abgetan. Das ist mit Si­ die Buße beinhalte, so grenzt er in einer Weise ein, cherheit so nicht richtig. Ich möchte versuchen, diese daß es nicht mehr unserem Strafrecht entspricht. Problematik auch für diejenigen, die das Strafvoll- Ganz kurz gesagt: Der Sühnegedanke im Strafrecht 1778 Bayerischer Landtag · 11 Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24.06.87

(Dr. Weiß Manfred [CSU]) siert wurde: z. 8. ein Fernsehgerät im Haftraum, Com­ puterspiele, Schwimmanlagen, ganze Bibliotheken. ist doch jedem Juristen ab drittem Semester bestens Wer in einer Justizvollzugsanstalt sitzt, verbüßt doch bekannt. Und die Definition, die für das Strafverfah­ ren, das Strafrecht gilt, muß genauso für den Straf­ eine Strafe! Das sollte auch bei der Ausgestaltung vollzug gelten. der Strafhaft berücksichtigt werden. Die nächste Frage ist, ob diese anerkannten Straf­ (Zuruf von den GRÜNEN) zwecke von Schuldausgleich und Sühne, aber auch Lassen Sie mich noch, weil mir das persönlich am der Abschreckung, mit dem Beginn des Strafvoll­ Herzen liegt, einige Sätze zur U n abhängig k e i t zugs, also beim Antritt der Strafe, ihre Bedeutung des Richters sagen. Ich bedauere, daß Herr Ab­ verlieren oder ob eine gerechte Verknüpfung dieser geordneter Säumer im Moment nicht da ist. Ich war Strafzwecke mit den in § 2 des Strafvollzugsgesetzes selbst Richter und habe mich stets bemüht, meine genannten Vollzugsaufgaben möglich, ja sogar gebo­ Unabhängigkeit als Richter zu bewahren. Es ging so­ ten ist. Dabei handelt es sich, Herr Kollege Wirth, gar so weit, daß selbst in politisch brisanten Fragen - eben nicht, wie Sie sagten, um ein Gerede auf Bier­ beispielsweise, als es darum ging, einem CSU-Politi­ zeltniveau, sondern um die Schlußfolgerungen aus ei­ ker im Rahmen einer einstweiligen Verfügung die ner Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts, Wiederholung einer Behauptung zu verbieten - die des Bundesverfassungsgerichts, vom 28. Juni 1983. Antragsteller von der SPD nichts dagegen einzuwen­ Ich zitiere diesen Satz deutlich, damit jeder weiß, den hatten, daß ich als Richter tätig wurde, weil sie worum es geht. Das Bundesverfassungsgericht ent­ wußten, daß ich zwischen parteipolitischem Engage­ schied: ment und richterlicher Tätigkeit unterscheiden Daß auch noch andere Gesichtspunkte als das An­ konnte. liegen der Resozialisierung und der Schutz der All­ gemeinheit vor weiteren Straftaten in den Strafvoll­ Ich bin im Hinblick auf diese Unabhängigkeit deshalb zug hineinwirken, . . ist angesichts dessen, daß bedrückt, wenn Richter unter ausdrücklichem Hin­ der Vollzug sich nur in dem Rahmen verwirklicht, weis auf ihren Beruf politische Erklärungen abgeben; der durch die Zumessung der Freiheitsstrafe auf­ ich bin bedrückt, wenn Richter unter ausdrücklichem grund der anerkannten Strafzwecke gebildet wird, Hinweis auf ihren Beruf gerichtliche Entscheidungen auch naheliegend, jedenfalls offensichtlich nicht kritisieren; und ich bin betroffen, wenn Richter unter willkürlich. dem ausdrücklichen Hinweis auf ihren Beruf Strafta­ ten begehen. Wir haben ja am Ende dieser Tagesord­ Für denjenigen, der es nachlesen will: NJW 1984, S. nung auch die Aufhebung der Immunität eines Abge­ 33 und 34. Danach muß es den Vollzugsbehörden ordneten dieses Hauses wegen eines solchen Falls möglich sein, auch im Rahmen eines sinnvollen Be­ zu beraten. Was der Richter und Abgeordnete Säu• handlungsvollzugs bei Einzelentscheidungen wie bei­ mer getan hat, mag vielleicht in sein Weltbild als Poli­ spielsweise bei der Gewährung von Urlaub auch die tiker passen; aber als Richter hat er sich dadurch das besondere Schwere der Tat zu berücksichtigen. Wichtigste, nämlich seine Unabhängigkeit, genom­ So ist beispielsweise auch beim Strafvollzug natürlich men; als Richter hat er versagt. der Arbeitseinsatz nicht der Versuch des Staates, ir­ (Beifall bei der CSU) gendwelche billigen Arbeitskräfte zu bekommen, son­ dern Teil der Resozialisierung. Viele Strafgefangene Nun mag sich jeder persönlich disqualifizieren, wie er sind eben straffällig geworden, weil sie nicht an regel­ will. Aber hier ist Schlimmeres geschehen. Wer so et­ mäßige Arbeit gewohnt sind. Und wenn wir hier die was als Richter bewußt tut, wer bewußt gegen Ge­ Möglichkeit haben, sie an die Arbeit heranzuführen, setze verstößt, schadet damit dem Ansehen der Ge­ so ist es sicher eine gute Sache. richte und dem Ansehen der Justiz. Ich habe in der Die Vollzugslockerungen sowie die Gewährung von Folgezeit öfters von Bürgern gehört: Wie gibt's denn Urlaub sind nicht dazu da, um den Aufenthalt in der so was? Was muß das für eine Justiz sein, wenn es Justizvollzugsanstalt besonders angenehm zu ma­ solche Richter gibt? Und mein schüchterner Hinweis, chen, sondern dazu, um die Kontakte zu den Ange­ daß es sich hier nicht um einen Angehörigen der hörigen zu erhalten und die Wiedereingliederung in bayerischen Justiz handle, hat mich nicht einmal die Freiheit zu ermöglichen. selbst befriedigt. Bei einer Betrachtung der Aufgaben des Strafvoll­ Der Bürger unterscheidet nicht zwischen Arbeitsrich­ zugs sollte auch der Gesichtspunkt der Genera 1 - tern, Zivilrichtern oder Strafrichtern. Er unterscheidet prä v e n t i o n , der Abschreckung, nicht unbeach­ auch nicht zwischen hessischen Gerichten und der tet bleiben. Genauso untauglich wie ein Strafvollzug, bayerischen Justiz. in dem der Gefangene seiner Persönlichkeit beraubt würde, wäre auch ein fideles Gefängnis, in das man Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ sich gleichsam zum Urlaub zurückziehen kann. Hier frage des Abgeordneten Kamm? sollten einmal die immer unrealistischer und unbe­ grenzter werdenden Erwartungen vieler Strafgefange­ Kamm (DIE GRÜNEN): Herr Dr. Weiß, ist Ihnen be­ ner angeführt werden, wie sie Herr Staatssekretär Dr. kannt, daß es viele Richter gibt, die das Delikt, um Vorndran vor kurzem in einer Presseerklärung deut­ das es geht, nämlich Sitzblockaden, nicht als Unrecht lich gemacht hat, was vom Kollegen Wirth kriti- verurteilen, so daß Sie noch längst nicht wissen kön- Ptenarprotokolt 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 1 ~.Wahlperiode 1779

(Kamm [DIE GRÜNEN]) erste Haushaltsrede als Justizministerin, denn immer­ hin sind Sie die erste Ministerin in Bayern. nen, nachdem ja noch keine Verurteilung erfolgt ist, ob das wirklich als Unrecht anzusprechen ist. (Beifall bei der CSU und den GRÜNEN) (Abg. Leeb: Weil Sie es selber mitbegangen Ich dachte deshalb, Sie setzten gerade in rechtspoliti­ haben') schen Fragen neue Akzente. Statt dessen aber ha­ ben Sie, Frau Minister, im Bereich der Rechtspolitik Dr. Weiß Manfred (CSU): Ja, Herr Abgeordneter, ich lediglich all das, was im Koalitionspapier der Bundes­ wollte darauf gar nicht eingehen, aber Sie geben mir regierung ausgehandelt wurde, aufgezählt. Zu den das Stichwort. Punkten, die darüber hinaus zur Zeit von der Öffent• lichkeit diskutiert werden, aber in den Koalitionsver­ Da wurde also in Mutlangen ein Richter, der an der handlungen noch nicht besprochen worden sind, ha­ Sitzblockade teilgenommen hatte, freigesprochen, ben Sie leider nichts gesagt. Gerade hier hätte eine weil man ihm das Unrechtbewußtsein nicht nachwei­ Chance für Bayern bestanden, rechtspolitische Ak­ sen konnte. Er hat selbst gesagt, er hätte auch nichts zente zu setzen, wenn Sie hierzu eine dezidierte Mei­ anderes erwartet, denn er habe selbst als Richter nung geäußert hätten. schon einige Angeklagte von diesem Vorwurt freige­ sprochen. Was ist das für eine Logik? Das heißt Ich will in der mir zur Vertügung stehenden Viertel­ doch: Wenn heute ein Richter vor Gericht steht, der stunde einige dieser Punkte - alle kann ich nicht auf­ wegen Diebstahls angeklagt ist, dann kann er an­ zeigen - aufgreifen, um deutlich zu machen, daß un­ serer Meinung nach Rechtspolitik nicht ein nach scheinend, wenn er vorher schon drei Diebe freige­ rückwärts gewandtes Gesellschaftsverständnis impli­ sprochen hat, genauso auf Freispruch wegen Dieb­ ziert, wie es in Ihrer Rede deutlich geworden ist, son­ stahls hoffen. dern daß die Rechtspolitik immer wieder überprüfen Diese Argumentation zieht mit Sicherheit nicht. muß, ob das Recht der jeweiligen Zeit entspricht. (Abg. Hiersemann: Denken Sie doch über Als ersten Punkt nenne ich die in der Regierungsko­ die Formulierung nach, daß ein Unrecht­ alition und im Bundesrat umstrittene Änderung der bewußtsein nicht nachgewiesen werden §§ 177 bis 179 StGB, also die Einführung der konnte! Sie müssen ja ganz schöne Urteile Strafbarkeit der Vergewaltigung auch verzapft haben!) i n n er h a 1b der Ehe. Gerade diesbezüglich ist die öffentliche Diskussion in den letzten Wochen Abschließend, verehrte Kollegen, ist es mir ein Be­ doch recht interessant geworden. dürtnis, Ihnen, Frau Staatsministerin, den Dank vieler Kollegen aus der Justiz zu übermitteln für Ihren Ein­ Meine Damen und Herren. Seit es in der Bundesrepu­ satz für Verbesserungen im personellen Bereich. blik an vielen Orten Gott sei Dank Frauenhäuser gibt, Auch wenn noch nicht alle Wünsche ertüllt sind, so ist es doch Allgemeingut, daß Vergewaltigungen auch glaube ich doch, daß richtige Akzente gesetzt wor­ in der Ehe stattfinden. Einern Bericht des Berliner den sind. Das haben wir ja schon bei den letzten Frauenhauses aus dem Jahre 1979/80 ist zu entneh­ Haushaltsberatungen angekündigt. Wenn es neue men, daß über 50 Prozent der 2500 befragten Frauen, Planstellen gibt, dann soll auch die Justiz ihren Anteil die in dieser Zeit im Frauenhaus waren, erleben muß• haben. Das ist ja inzwischen eingetreten. Gerade eine ten, daß in der Ehe ihr Recht auf sexuelle Selbstbe­ stimmung nicht respektiert wurde. Aus solchen Un­ gute personelle Ausstattung ist Voraussetzung dafür, tersuchungen wird deutlich, daß die Auffassung in daß unsere Gerichte, Staatsanwaltschaften und Straf­ der Gesellschaft immer noch weit verbreitet ist, daß vollstreckungsbehörden weiterhin die Gewähr. dafür mit dem Ja zur Ehe auch eine generelle Zustimmung bieten, daß die bayerische Justiz ihre Aufgaben ertül• zum Geschlechtsverkehr vorliege. len kann - nicht als Selbstzweck, sondern zum Wohle aller unserer Bürger. Ich bedanke mich. Vielen Frauen ist gar nicht bewußt, daß sie sich so et­ was nicht bieten lassen müssen. 1976 hat eine Allens­ (Beifall bei der CSU) bach-Umfrage ergeben, daß 22 Prozent der befragten Frauen der Meinung waren, sie seien in der Ehe Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat die Frau Abgeord­ rechtlich zum Geschlechtsverkehr verpflichtet. nete König! Daß dem nicht so ist, daß dies der im Grundgesetz Frau König (SPD): Herr Präsident, meine Damen und festgeschriebenen Würde des Menschen wider­ Herren 1 Vorab, Herr Kollege Weiß eine Klarstellung: spricht, dem Ausbau unseres Rechtsstaates wider­ spricht, ist zwar in den Reformen des Eherechts von Das Abgeordnetengesetz besagt, daß ein Abgeord­ 1953 und 1972 verdeutlicht worden, ich muß das wohl neter nicht gleichzeitig Richter sein kann, sondern hier nicht näher ausführen, aber strafrechtlich wird aus dem Beruf ausscheidet. Zu Beginn Ihrer Tätigkeit dieser Klarstellung immer noch nicht Rechnung ge­ als Abgeordneter galt noch ein anderes Abgeordne­ tragen. tengesetz. Die diesbezüglichen Ausführungen, die Sie an Kollegen Säumer gerichtet haben, waren also Im Jahre 1973 war diese Änderung im Rahmen der nicht ganz zutreffend. Strafrechtsreform ja gefordert. Sie scheiterte leider in der Endabstimmung an der Zufallsmehrheit einer ein­ Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Mini­ zigen Stimme. Wir Sozialdemokraten hier im Bayeri­ ster Berghofer-Weichner, ich war gespannt auf Ihre schen Landtag haben vor vier Jahren, im Jahre 1983, 1780 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Frau König [SPD]) doch gar nicht verheiratet - ein wirklich hochqualifi­ zierter Einwand in einer rechtspolitischen Diskussion! erstmals gemeint, die Zeit sei reif, diese rechtspoliti­ sche Diskussion nochmals zu führen. Wir haben be­ (Zustimmung bei der SPD) antragt, die Staatsregierung möge im Bundesrat aktiv Wollte man diesen Maßstab anlegen, könnten Abge­ werden und einen dementsprechenden Gesetzent­ ordnete zu vielen Straftatbeständen mangels eigener wurf einbringen. Leider wurde diese Initiative damals Betroffenheit überhaupt nicht sprechen und in den von der Mehrheit abgelehnt. Sie, meine Damen und Ausschüssen nicht mitberaten. Herren von der CSU, argumentierten, dies sei ein Ein­ (Erneute Zustimmung bei der SPD) griff in bestehende Ehen. Wie sehr dieses Argument an der Sache vorbeigeht, Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ sieht man daran, daß Straftatbestände wie Erpres­ frage des Kollegen Merkl? sung, Raub, Mordversuch ja auch Eingriffe in die be­ stehende Ehe darstellen können. Aber kein Mensch Frau König (SPD): Nein, ich habe nur 15 Minuten. kommt auf die Idee, diese Straftatbestände für Ehe­ Es ist in dieser Diskussion auch -- gatten außer Kraft zu setzen. (Abg. Dr. Merkl: Sie haben etwas Falsches Sie brachten als Gegenargument, daß es unendlich gesagt!) große Beweisschwierigkeiten gäbe. Auch dies trifft - Ich habe vom Ausschuß für Bundesangelegenhei­ zu. Aber dies trifft doch z.B. auch für den Straftatbe­ ten gesprochen. stand der Nötigung, unter die schon heute die Verge­ waltigung in der Ehe zu subsumieren ist, oder für den (Abg. Dr. Merkl: Aber auch vom Tatbestand des Beischlafs unter Verwandten zu. Rechtsausschuß r Das war falsch!) Trotzdem kommt kein Mensch auf die Idee, diese Tat­ - Sie können sich ja zu Wort melden. bestände für Ehegatten außer Kraft zu setzen. In dieser Diskussion ist auch ein Argument gefallen, Sie argumentierten weiterhin, daß ein solcher Straf­ das mich persönlich sehr erschüttert hat: daß wir mit tatbestand, wenn überhaupt, dann nur als Antragsde­ diesem Antrag wohl den Wüstling, der im Englischen likt möglich wäre. Garten bei finsterer Nacht eine Frau zum Ge­ schlechtsverkehr zwingt, gleichstellten dem nichtwil­ In der jetzigen Legislaturperiode haben wir einen lentlichen Geschlechtsverkehr einer Frau in der Ehe. neuen Anlauf genommen. Wir haben, Ihrem Wunsche Diese Argumentationskette geht völlig an der Er­ entsprechend, diesmal unseren Antrag so formuliert, kenntnis vorbei, daß Vergewaltigungen außerhalb der daß wir den Straftatbestand als Antragsdelikt bewer­ Ehe zu einem hohen Anteil nicht zwischen zwei sich tet sehen wollen. Wir waren natürlich der Meinung, völlig fremden Menschen, sondern im Verwandten­ Sie würden jetzt zustimmen. und Bekanntenkreis stattfinden. Sie zeigt, daß Sie sich mit diesem Thema bis heute noch nicht ernsthaft Aber weit gefehlt! Sie haben die Argumente schlicht auseinandergesetzt haben. umgedreht und erklärt, es sei rechtsdogmatisch völlig undenkbar, ein Verbrechen als Antragsdelikt auszu­ (Zustimmung bei der SPD und den gestalten. Deswegen könnten Sie nicht zustimmen. GRÜNEN) Ein Antragsdelikt würde im übrigen nur gerade dazu Frau Minister, deswegen bedauere ich es, daß Sie führen, daß die Ehefrauen notfalls den neuen Pelz­ nicht zu der Problematik gesprochen haben. ob es mantel erpressen könnten. nicht Aufgabe des Strafrechts sei, gesellschaftlich Ich meine, daß man über die Ausgestaltung des An­ Adäquates von gesellschaftlich inadäquatem Verhal­ ten zu trennen und Verstöße von bestimmter tragsdelikts sehr wohl nachdenken könnte, aber we­ Schwere an unter Strafandrohung zu stellen. Wer die niger wegen der Möglichkeit, den Ehemann zu er­ Entwicklung des Strafrechts in den letzten 100 Jahren pressen, als wegen der Befürchtung, daß die Ehe­ betrachtet, der sieht doch, daß dieses System einer­ frauen grün und blau geschlagen werden, damit sie seits vom Bewußtsein der Gesellschaft geprägt den Antrag wieder zurücknehmen. wurde, zum anderen aber auch gesellschaftliches Be­ Aber zu einer inhaltlichen Diskussion dieser Argu­ wußtsein prägte. mente und zur Suche nach einer sinnvollen Lösung - So haben z.B. wissenschaftliche Erkenntnisse über in diesem Punkte waren wir offen - ist es im Rechts­ Homosexualität und über die latente Veranlagung des und Verfassungsausschuß gar nicht gekommen. Sie Menschen zur Bisexualität die Änderung des § 175 haben unseren Antrag einfach in Bausch und Bogen StGB in der Strafrechtsreform bewirkt, und umge­ abgelehnt, und Sie haben ihn auch gestern im Ple­ kehrt hat diese Änderung des § 175 StGB zu mehr num abgelehnt. Toleranz der Gesellschaft gegenüber den Betroffe­ nen geführt. Im Rahmen der Artikel 2, Handlungsfrei­ Lassen Sie mich hinzufügen: Die Argumente sind in heit, und 3, Gleichberechtigung, unseres Grundge­ den letzten vier Jahren leider nicht besser geworden. setzes, wäre es in unserem Rechtsstaat von heute Ich bin in der Diskussion im Ausschuß für Bundesan­ nur konsequent, auch die §§ 177 bis 179 StGB dies­ gelegenheiten und Europafragen gefragt worden, bezüglich zu ändern, um deutlich zu machen, daß der wieso ich mich für dieses Thema engagiere; ich sei Frau an sich das Recht auf sexuelle Selbst- Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1781

(Frau König [SPD]) darstellen. Aber ein Punkt ist mir dabei sehr unange­ nehm aufgestoßen: Das Staatshaftungsgesetz, das bestimmung gegeben ist und daß dieses nicht durch die Bundesregierung schon vor sieben oder acht Jah­ das Jawort und durch die Unterschrift im Ehevertrag ren einzuführen versuchte, ist damals am Bundesver­ aufgegeben wird. fassungsgericht gescheitert, weil es der Länderkom• (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) petenz unterliegt. Nun lese ich in der Rede einer Mini­ sterin eines Landes, als eine der möglichen Alternati­ Ich komme zu einem zweiten Punkt, den ich in Ihrer ven, die bejaht werden könnten, überlege man, einer Rede, Frau Minister, vermißt habe: Ich hätte erwartet, Grundgesetzänderung zuzustimmen, die auf den daß gerade Sie als ehemalige Staatssekretärin im Kul­ Wegfall dieser Länderkompetenz hinausliefe, unter tusministerium zu den derzeit diskutierten Themen der Voraussetzung, daß im gleichen Zug Artikel wie V e r m e i d u n g f ö r m 1i c h e r G e r i c h t s - 24 GG geändert werde, wodurch dann grundsätzlich verfahren bei Jugend 1ich e n , Stärkung der mehr Länderkompetenzen zurückgegeben würden. Jugendhilfe, Abschaffung des Jugendarrestes und Ausbau der Jugendgerichtshilfe zu einem umfassen­ Wenn man aber weiß, in welcher Form Sie Artikel den sozialen Dienst ausführlich Stellung beziehen, 24 GG ändern wollen, dann wird klar, daß Sie in Wirk­ denn diese Themen sind rechtspolitisch von hoher lichkeit nur die Bundesregierung stärken wollen, nicht Brisanz und Dringlichkeit. Leider schieben Bundesre­ im geringsten die Länderparlamente; Ihnen geht es gierung und die sie tragende Mehrheit im Deutschen dabei um die Möglichkeiten im Bundesrat. Ich frage Bundestag diese Themen seit vielen Jahren vor sich Sie, meine Damen und Herren von der CSU: Ent­ her. Ich hätte erwartet, daß Sie sich dazu äußern, daß spricht es wirklich Ihrem Selbstverständnis als Parla­ rund die Hälfte aller männlichen Jugendlichen eine mentarier, wollen wir uns das alle miteinander bieten Straftat begangen hat, daß rund ein Drittel aller Ju­ lassen, daß dieses Parlament zunehmend weniger gendlichen auch tatsächlich erwischt wurde und mit politische und rechtliche Möglichkeiten hat? dem Jugendgericht in irgendeiner Form zu tun hatte. Um meine Redezeit nicht zu überziehen und von mei­ Ich hätte erwartet, Frau Minister, daß Sie auf die nem Kollegen Warnecke nicht gerügt zu werden, Frage eingehen, ob die veränderten sozialen Lebens­ lasse ich den letzten Punkt, den ich mir notiert habe. bedingungen der heutigen Jugend nicht rechtspoliti­ weg und danke Ihnen. sche Konsequenzen erfordern. (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat Herr Kollege Ich behaupte, daß mindestens die Hälfte der hier im Saal Anwesenden in ihrer Jugend auch objektiv mit Brosch! dem Strafrecht in Berührung kam; ob dadurch, daß Brosch (CSU): Herr Präsident, meine sehr verehrten sie des Nachbarn Äpfel oder Kirschen klauten, in ei­ Damen und Herren r Frau Kollegin König, Sie haben nen Hühnerstall eindrangen oder ähnliches, sei dahin­ sehr eindrucksvoll eine Diskussion wiederholt, die gestellt. Anonyme Umfragen unter erwachsenen Bür• schon gestern hier im Hause stattgefunden hat. gern untermauern meine These. (Unruhe) In den Großstädten haben unter den heutigen sozia­ len Lebensbedingungen andere Delikte unsere dama­ -Vielleicht hören Sie mir einmal zu, Frau Kollegin. Wir ligen Untaten abgelöst. Heute sind Schwarzfahren sollen das Problem der Vergewaltigung in einer Ehe beim MW oder Diebstahl im Warenhaus die Delikte, bestimmt nicht leugnen, aber wir wollen es auch nicht die Jugendliche begehen. Das muß doch zu einer so hochspielen, wie Sie es tun. Zudem wollen wir Diskussion darüber führen, ob es wirklich hinnehm­ nicht den Staatsanwalt ins Schlafzimmer bringen, weil bar ist, daß mit der Zeit die Hälfte der heute Heran­ wir meinen, daß die Strafbarkeit im lmtimbereich eben wachsenden in irgendeiner Form vorbestraft ist. nicht mit der bei Mord zwischen Ehegatten vergleich­ bar ist, wenn ich es einmal so einfach sagen darf. (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) (Widerspruch bei der SPD und bei den Daß diese Delikte im Gegensatz zum Äpfelklauen von Grünen) früher wesentlich besser durch die Polizei verfolgbar sind und daß im Gegensatz zu dem Äpfelklauen, bei Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich be­ dem einen der Nachbar vielleicht den Hintern versohlt grüße dennoch, daß sich Frau Kollegin König bemüht hat, heute auch immer gleich die Anzeige und straf­ hat, hier Ausführungen zur Rechtspolitik zu machen, rechtliche Konsequenzen verbunden sind, das müßte auch wenn wir verschiedener Meinung sind. doch zu Überlegungen darüber führen, wie man diese Lassen Sie mich aber etwas zum Problem G e n - Vergehenstatbestände rechtspolitisch in den Griff be­ technologie und Fortpflanzungsmedi­ kommt. Dazu haben Sie leider nichts gesagt. zin sagen. Als Mitglieder des Bayerischen Landtags Einen letzten Punkt nenne ich nur noch stichwortar­ müssen wir uns über die Ausformung und Gestaltung tig: In der Anlage zu Ihrer Rede findet man Ausfüh• des Rechtsschutzes bei Gentechnologie und Fort­ rungen zum Staatshaftungsgesetz. Sie füh• pflanzungsmedizin Gedanken machen. Frau Staats­ ren da länger aus; ich will das hier nicht im einzelnen ministerin hat in ihrer Haushaltsrede zu diesem 1782 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode P1enarprotoi

(Brosch [CSU]) Was soll geschehen, wenn die Leihmutter nach der Geburt mütterliche Gefühle entwickelt und das auf Thema gesprochen, und ich bin der Meinung, die Tragweite dieses Themas ist sehr groß. fremde Rechnung ausgetragene Kind behalten will? In den Vereinigten Staaten verurteilte ein Gericht eine Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin sind Be­ solche Leihmutter zur Herausgabe des Kindes, da sie reiche, in denen eine atemberaubende Entwicklung den Vertrag einzuhalten habe. - Bei uns ist die vor sich geht. Die hierdurch eröffneten Möglichkeiten Rechtslage anders. Ein Berliner Kammergericht hat in können in ihrer gesellschaftlichen Dimension allen­ einem solchen Fall der Leihmutter das elterliche falls mit der Entdeckung und Beherrschbarkeit der Sorgerecht zugesprochen. Ein anderes deutsches Kernenergie verglichen werden. Was gestern noch Gericht erklärte solche Leihmutterverträge für sitten­ unvorstellbar war, z.B. der Einsatz von Bakterien als widrig und damit für nichtig. biologische Fabriken zur Erzeugung von Insulin, ist schon heute Wirklichkeit, und was heute noch disku­ Was soll zum Beispiel geschehen, wenn das Paar, tiert wird, z.B. die Herstellung beliebig vieler Kopien das die Leihmutter angeheuert hat, die Abnahme des eines Menschen durch Kernaustausch bei einer Ei­ Kindes verweigert? In den USA ist bereits gesche­ zelle, also das sogenannte Klonen von Menschen, hen, daß das Kind behindert war. Daraufhin sagten kann morgen schon machbar sein. Der Einsatz gen­ die Auftraggeber: Die Ware ist mangelhaft; wir neh­ technischer Methoden im Bereich der Pflanzenzucht, men sie nicht ab. Wir beauftragen eine neue Leihmut­ also sogenannte grüne Gentechnologien, im Bereich ter, die uns ein gesundes Kind liefern soll. der Tierzucht, der Energiegewinnung, der Krankheits­ Was soll geschehen, wenn sich, wie in England ge­ bekämpfung, der Arzneimittelherstellung und des schehen, eine weiße Frau Samen aus einer Samen­ Umweltschutzes eröffnet phantastische Perspektiven bank spenden läßt und anstelle des gewünschten Sa­ zur Lösung drängender Gegenwarts- und Zukunfts­ mens eines weißen Spenders schwarzen Samen er­ probleme der Menschheit. hält? Die Risiken dieser Schlüsseltechnologien zum Bei­ (Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN - spiel für das ökologische Gleichgewicht dürfen frei­ Frau Abg. Fischer: Roter Samen wäre wohl lich nicht unterschätzt werden. Kritische Aufmerk­ besser gewesen?) samkeit ist hier das Gebot der Stunde. - Ja, sehr verehrte Frau Kollegin, es ist nicht zum La­ Im Bereich der Fortpflanzungstechnologie ist der chen. Ich glaube, dahinter stehen sehr, sehr harte Fortschritt bereits heute täglich praktizierte Realität. Schicksale. Vielleicht haben Sie nicht zugehört; dann Die Zeugung durch künstliche Samenübertragung sei es Ihnen verziehen. und durch Befruchtung im Reagenzglas ist inzwi­ schen zu einem Routineverfahren der Sterilitätsthera• (Frau Abg. Wax-Wörner: Hier ist es aber nur pie geworden. Hiergegen ist nichts einzuwenden, ein grammatikalisches Problem') wenn diese Verfahren als medizinische Zeugungshilfe eingesetzt werden, um einem Ehepaar, das unter Dann darf ich den Fall in Australien schildern: Vier schicksalhafter Kinderlosigkeit leidet, doch noch den Frauen wurden dort mit fremdem, AIDS-verseuchtem Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen. Sperma infiziert. Aber jede Technik, also auch diese, trägt die Gefahr Was soll mit überzähligen Embryonen geschehen, die des Mißbrauchs in sich. Ihre Beherrschbarkeit muß bei der Befruchtung mehrerer Eizellen entstanden daher ergänzt werden durch die ethische Vertretbar­ sind, von denen aber nur eine eingesetzt wurde? keit ihrer Anwendung. Denn die Retortenbefruchtung Können die übrigen weiteren sterilen Frauen gege­ ermöglicht es, Eizellen einer beliebigen Frau mit Sa­ ben werden? Können sie sozusagen zur Adoption, menzellen eines beliebigen Mannes zu verschmelzen Leihmüttern oder anderen Müttern, wie immer man und den Embryo einer beliebigen anderen Frau einzu­ sie auch bezeichnen will, angeboten werden? setzen, die das Kind dann für sich oder als Dienstlei­ Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen: Soll stung für Dritte austrägt und zur Welt bringt. Wenn man das Geschlecht schon bei der Retortenzeugung Sie genau mitgezählt haben, haben Sie festgestellt, auswählen können? Die Trefferquote hat schon fast daß dabei bis zu fünf Väter und Mütter möglich sind. hundert Prozent erreicht. Vor kurzem stand in einer Samenspenden, Eispenden, Embryospenden und Zeitung, daß man die Wahl des Geschlechts des Kin­ Leihmutterschaften sind bereits erreichte Etappen des ganz sicher treffen könne. Soll man sie zulassen? auf dem Weg zur technisierten Menschenproduktion. Oder soll man sie nur dann zulassen, wenn bei einer Kombiniert man diese Verfahren mit den sich ab­ Geschlechtsauswahl Erbschäden ausgeschlossen zeichnenden Möglichkeiten der Gentechnik, ist, so werden können? Es gibt nämlich die Möglichkeit, daß scheint es, die Welt von Huxley, der in seinem Buch durch die Zeugung eines Mädchens bestimmte Erb­ von einer „schönen neuen Welt" schreibt, nicht mehr fehler, die bei einem Jungen vorkommen könnten, weit. ausgeschlossen sind. Die ethische Fragwürdigkeit derartiger Manipulatio­ Ein letztes Beispiel: Soll die Technik in das Erbgut nen wird deutlich, wenn man sich die vielfältigen menschlicher Keimzellen eingreifen? Soll diese Tech­ Komplikationen und kaum lösbaren Konflikte vor Au­ nik weiterentwickelt werden dürfen? Soll damit die gen führt, die nicht nur denkbar, sondern im Ausland Türe geöffnet werden sowohl zur Behandlung von zumindest bereits aufgetreten sind. Zum Beispiel: Erbkrankheiten, aber auch zur Züchtung von Men- Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1783

(Brosch [CSU]) Meine Herren von den GRÜNEN, Sie spenden Beifall. Wir haben schon am 12. Juni 1986 eine Entschließung sehen? Lassen Sie mich es sarkastisch sagen: Fran­ in diesem Hohen Haus eingebracht. kenstein läßt grüßen! (Abg. Dr. Kestel: Wir schon 1982!) Die Reihe von Problemen und Fragen, meine Damen und Herren, ließe sich beliebig fortsetzen. Bei ihrer „Zur Achtung des menschlichen Lebens" haben wir Lösung kommt dem Gesetzgeber zwar eine wichtige, sie genannt. Darin ist dies ausdrücklich erwähnt. aber, lassen Sie mich auch das deutlich sagen, kei­ Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, las­ nesfalls eine allein entscheidende Bedeutung zu. sen Sie mich noch neun zentrale Punkte aufzählen, Gefragt ist ein v e r s t ä r kt e s W e r t e b e - wo nach unserer Überzeugung der Gesetzgeber im w u ß t sein. Der Gesetzgeber kann nicht ein Terrain Bereich der Fortpflanzungstechnik Schranken setzen zurückerobern, das Ethik und Moral verloren haben. muß. Sie sollen hier einmal zur Sprache kommen. In einer pluralistischen Gesellschaft muß sich der Ge­ 1. Die Anwendung der neuen Fortpflanzungstechni­ setzgeber darauf beschränken, im Bereich sittlicher ken sollte auf ärztliche Einrichtungen beschränkt Werte Unbestreitbares und allgemein Anerkanntes zu werden, die besonderen Anforderungen genügen schützen. Ich sehe eine wichtige Aufgabe aller gesell­ und staatlicher Zulassung bedürfen. schaftlich relevanten Kräfte darin, durch Information das Problembewußtsein zu wecken und auf dieser 2. Keimzellen dürfen in der Retorte nur im Rahmen einer Sterilitätstherapie befruchtet werden. Zu an­ Basis das Wertebewußtsein zu stärken. Nur so kom­ men wir zu Regelungen, die mit dem allgemeinen deren Zwecken, insbesondere für Forschungsvor­ haben, darf Leben nicht gezeugt und gezeugtes Rechtsempfinden und den sittlichen Grundanschau­ Leben nicht verwendet werden. ungen in Einklang stehen. Ich darf dazu ein paar Kernsätze formulieren: 3. Es dürfen immer nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie der Frau anschließend eingesetzt wer­ Ich meine, die Freiheit der Forschung findet dort den sollen. Eine Zeugung auf Vorrat ist zu verbie­ Grenzen, wo sie Rechtsgüter anderer tangiert. Bei ten. der Gentechnik und in der Fortpflanzungsmedizin sind es die elementaren Rechte auf Wahrung der 4. Die Verwendung von Spendersamen erscheint in Menschenwürde, auf Leben und auf körperliche Un­ mehrfacher Hinsicht problematisch. Auf jeden Fall versehrtheit. Diese drei möchte ich hier als die we­ muß sichergestellt werden, daß der Samenspender sentlichen nennen. als Erzeuger des Kindes mit allen Rechten und Pflichten festgestellt werden kann. (Abg. Dr. Kestel: Das gilt auch für die Kernenergie!) 5. Eine menschliche Eizelle darf nur auf diejenige Frau übertragen werden, von der sie stammt. Ei­ Ihren Schutz allein der Verantwortung der Wissen­ spenden und Embryospenden müssen also verbo­ schaft zu überlassen, ist meiner Ansicht nach nicht ten werden. möglich. Die Sache betrifft uns alle. Denn das Recht, 6. Die Austragung eines Kindes als Auftragsarbeit, das wir setzen müssen, ist für alle, die in der Verant­ sei es in der Form der Tragemutterschaft, bei der wortung stehen, eine verbindliche Verhaltensordnung sich die Leihmutter einen fremden Embryo einset­ zum Schutz der genannten Güter. zen läßt, oder sei es in der Form der Ersatzmutter­ Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es verdient schaft, bei der sie ihr genetisch eigenes Kind für Anerkennung, daß die Bayerische Staatsregierung Dritte zur Welt bringt, muß unterbunden werden. auf Bundesebene Schrittmacherdienste bei der 7. Die Festlegung des Geschlechtes des Kindes bei rechtspolitischen Bewältigung der Probleme geleistet der Zeugung sollte untersagt werden. Ausnahmen hat, die die manipulierte Fortpflanzung aufwirft. Die sollten jedoch bei einer zu verhindernden Erb­ auf bayerische Initiative hin vom Bundesrat gefaßte krankheit eventuell bedacht werden. Entschließung zur extrakorporalen Befruchtung ent­ hält bereits grundlegende Wertentscheidungen, von 8. Die Erzeugung von Mischwesen aus Mensch und denen der Gesetzgeber auszugehen hat. Zentrale Tier muß verboten werden. Feststellungen und Festlegungen, wie etwa diejenige, 9. Die Durchsetzung dieser Gebote und Verbote er- daß mit der Vereinigung von Ei- und Samenzellen fordert entsprechende strafrechtliche Regelungen. menschliches Leben entsteht und unter den Schutz Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Versu­ der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen zu­ chung ist groß, die Schöpfungsgeschichte fortzu­ gunsten der Menschenwürde und des Lebens fällt, schreiben. Diese Versuchung ist im Bereich der Fort­ stehen inzwischen weitgehend außer Streit. Andere pflanzung in den Labors bereits vorhanden. Jetzt Feststellungen, wie etwa diejenige, daß das menschli­ möchte man eventuell schon Menschen nach Maß che Leben nicht zu experimentellen Zwecken ge­ züchten. Die Türe hierzu ist bereits einen Spalt breit schaffen und nicht im Dienst der Wissenschaft ver­ geöffnet. Wir müssen zusehen, daß die Manipulation braucht werden darf, sind noch nicht ausdiskutiert. nicht machen kann, was sie will. Ich meine, das menschliche Leben darf aus grund­ Zu begrüßen ist, daß unsere Frau Staatsministerin sätzlichen Erwägungen nicht zu Forschungszwecken heute Initiativen in Bonn angekündigt hat. Sehr ver­ vernichtet werden. ehrte Frau Staatsministerin, wir möchten als CSU­ (Beifall des Abg. Dr. Kestel) Fraktion, daß Sie diese Schritte weiterverfolgen. Den-

.·•' 1784 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87

(Brosch [CSU]) abgelehnt, ebenso wie sie heute abgelehnt werden. ken Sie an die Würde des Menschen und die Zukunft Konsequenzen wurden nicht gezogen, und die Be­ der Menschheit. troffenen wurden weiter vertröstet. (Beifall bei der CSU) Wie sich die personelle Situation im Bereich der baye­ rischen Justiz heute darstellt, äußert sich plastisch Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat Herr Kollege und authentisch in Aussagen der Betroffenen selbst. Warnecke! Ich zitiere angesichts der Kürze der Zeit nicht aus ei­ ner Stellungnahme der ÖTV, die bereits seit vielen Warnecke (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Jahren mahnend auf die Personalsituation hinweist, Herren! Die Diskussion um den Haushalt gäbe Anlaß, sondern ich zitiere zunächst einmal etwas umfangrei­ etwa die Frage der U - Haft zu diskutieren. Wir hat­ cher aus einem langen S c h r e i b e n d e s ten Anfang der 80er Jahre eine Entwicklung, bei der Hauptpersonalrates beim Bayeri­ die U-Haft-Zahlen nach oben schnellten wie nie zu­ schen Staatsministerium der Justiz vor. Diese Entwicklung ist kritisch diskutiert worden. vom Februar dieses Jahres. Das Schreiben ist allen In den letzten vier Jahren sind die U-Haft-Zahlen bun­ Abgeordneten zugegangen. Ich rufe es in Ihre Erinne­ desweit um 40 Prozent zurückgegangen, und zwar al­ rung. Dort heißt es: lein aufgrund dieser Diskussion. Wir stellen also fest, Der Hauptpersonalrat beim Staatsministerium der politische Diskussion bewirkt etwas, auch im Bereich Justiz hat in den vergangenen Jahren durch wie­ der unabhängigen Gerichte. Leider hat sich das derholte Eingaben seine tiefe Sorge um die immer Staatsministerium für Justiz im Gegensatz zum Bun­ schlechter werdende Personallage bei der Justiz desjustizministerium aus dieser Diskussion völlig aus­ ausgedrückt und eine spürbare Verbesserung im geklinkt. personellen und sachlichen Bereich gefordert. Lei­ Die Aussprache zum Justizetat gäbe auch Anlaß, die der sind unsere Mahnungen mehr oder weniger rechtspolitisch klägliche Haltung zu erörtern, die das ungehört verhallt. Auch im Doppelhaushalt 1987/88 bayerische Justizministerium in der Frage der Kom­ scheinen aus der prekären Situation der Gerichte, petenz des Daten s c h u t z b e auftragt e n ein­ Staatsanwaltschaften, JVAs, der Bewährungshelfer genommen hat. Dafür wird an anderer Stelle Raum und der Gerichtsvollzieher kaum Folgerungen ge­ sein. zogen zu werden. Besondere Sorge verdient nach wie vor der mittlere Justizdienst. Dort, nämlich im An anderer Stelle wird auch Raum dafür sein, die un­ Geschäftsstellen-, Kanzlei- und Schreibdienst, säglichen Versuchs k an in c h e n - P s y c h o - herrscht sei vielen Jahren ein eklatanter Personal­ p h arm a k a t es t s in der Justizvollzugsanstalt mangel. Wenn nicht endlich die dringendsten Stel­ Straubing zu diskutieren, die wir so nicht hinzuneh­ lenmehrungen bewilligt werden, muß mit weiteren men bereit sind. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) - nicht etwa mit „drohenden", sondern „weiteren", wie der Hauptpersonalrat schreibt - Auch ein Strafgefangener hat Anspruch auf Wahrung nicht mehr vertretbaren zeitlichen und qualitativen seiner körperlichen Integrität. Einbußen für den rechtsuchenden Bürger gerech­ (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) net werden. Er darf nicht zum höheren Ruhme eines sonst wohl Mit den stets beschworenen Grundsätzen einer unterbeschäftigten oder unterbezahlten JVA-Arztes bürgernahen Justiz, die den Beschäftigten der zum Versuchskaninchen der Pharmaindustrie ge­ bayerischen Justiz durch vermehrte Fortbildungs­ macht werden. maßnahmen nahegebracht wird, ist dies nicht mehr in Einklang zu bringen. In zunehmendem Maße Ich möchte mich aber jetzt im wesentlichen der P e r - können Fristen wegen des Personalmangels im so n a 1 s i tu a t i o n in der Justiz zuwenden, die genug Kanzlei- und Schreibdienst nicht mehr eingehalten Anlaß zur Klage gibt. In keinem Geschäftsbereich der werden oder müssen anberaumte Sitzungen wie­ Bayerischen Staatsregierung ist die Personalsituation der abgesetzt werden. Es ist auch nicht wirtschaft­ derart angespannt wie im Bereich des Justizministe­ lich, wenn höherbezahlte Richter, Staatsanwälte riums. Die schwarzen Wolken über der bayerischen und Rechtspfleger wegen des Personalmangels im Justiz werden immer dichter. Wie ein Blitz beleuchtete Geschäftsstellen- und Schreibdienst Aufgaben des vor einem Jahr die Richterratswahl beim Amtsgericht mittleren Dienstes miterfüllen müssen. Hier wird an München die personalpolitische Landschaft: Erstmals falscher Stelle und nur scheinbar „gespart". gewann in einem größeren bayerischen Gericht die ÖTV-Liste die Mehrheit gegenüber dem konservative­ Am Schluß noch ein Zitat aus diesem Schreiben des ren Bayerischen Richterverein. Hauptpersonalrates, weil hier in den letzten Tagen so viel über Normverstöße gesprochen worden ist. Ich Die SPD hat bei jeder Haushaltsberatung seit Jahren zitiere aus Seite 9 des Schreibens: auf die ständig angespannter werdende Situation beim Justizpersonal hingewiesen, und zwar bei den Zum Vollzug des Gesetzes über Betriebsärzte, Si­ Richtern, den Bewährungshelfern, im Strafvollzug, cherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Ar­ wie auch bei den Gerichtsvollziehern, den Geschäfts• beitssicherheit fehlen nach wie vor die notwendi­ stellen und den Staatsanwälten. Vergeblich. Es gab gen Stellen. Die Behelfslösung aus der gemeinsa­ nie Einwände gegen unsere Sachverhaltsdarstellun­ men Bekanntmachung von 1981, wonach entspre­ gen und unsere Kritik, aber unsere Anträge wurden chende Verpflichtungen vorerst wegen des Feh- PlenarprotokoU 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1785

(Warnecke [SPD]) verein angehören und die Worte deswegen vielleict1t besonderes Gewicht bekommen. lens der entsprechenden Stellen nicht erfüllt wer­ den müssen, sollte auf Dauer nicht mehr hinge­ Erster Vizepräsident Möslein: Herr Kollege, bevor nommen werden. Das auf dem Gebiet der Arbeits­ Sie mit dem Zitat beginnen, gestatten Sie eine Zwi­ sicherheit vom Staat erwartete gute Beispiel er­ schenfrage des Abgeordneten Wilhelm? fordert die Bewilligung der notwendigen Stellen. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verpflichtet Warnecke (SPD): Herr Kollege Wilhelm, nachher' den Staat ebenso wie die Industrie und das private Aber ich habe jetzt nur noch vier Minuten. Gewerbe, Arbeitsärzte und Sicherheitsingenieure ein­ Ich zitiere: zustellen. Aber der Freistaat Bayern tut es einfach nicht. Aus dem Bereich der Zivilgerichtsbarkeit sei nur (Zuruf von der SPD: Boykott!) erwähnt, daß die lange Verfahrensdauer etwa bei Bauprozessen für die Betroffenen oft erhebliche Ich verweise weiter auf die Schriftliche Anfrage und wirtschaftliche Nachteile bringt und für manchen die Antwort darauf auf Drucksache 10/6433, in der kleineren Unternehmer der Gang zum Konkursrich­ das Staatsministerium der Justiz freimütig bekennt, ter unvermeidlich ist. Nichterledigte Grundbuchein­ daß unter Anlegung der üblichen Pensenschlüssel tragungen beispielsweise verzögern wirtschaftliche am Amtsgericht München allein 46 Richterstellen und Dispositionen oft in schwer erträglicher Weise. Daß 139,47 Kräfte des nichtrichterlichen Dienstes fehlen. letztlich das Vertrauen in die Rechtspflege schwin­ Ich zitiere weiter aus einem Schreiben des Richterra­ det, wenn auf gerichtliche Entscheidungen unan­ tes beim Amtsgericht München vom Februar dieses gemessen lange gewartet werden muß, sei nur am Jahres: Rande erwähnt. Die Personalsituation beim Amtsgericht München Feststellungen, keine Befürchtungen' Ich zitiere wei­ ist so unerträglich geworden, daß sich der Richter­ ter: rat mit einem Hilferuf unmittelbar an Sie, sehr ge­ ehrter Herr Abgeordneter, wendet. Beim Amtsge­ Anläßlich einer vom Richterverein kürzlich veran­ richt München fehlen 45 Richter bei einem Ge­ stalteten Tagung mußten wir mit Bestürzung fest­ samtbestand von 187 vollen Richterstellen, im mitt­ stellen, daß bei vielen Kolleginnnen und Kollegen leren Dienst und bei den Angestellten fehlen 200 eine gewisse Frustration einer Verbitterung bei einer Gesamtzahl von 900 Bediensteten, bei gewichen ist. Leider sind bereits Anzeichen er­ den Rechtspflegern 30 Beamte bei einem gegen­ kennbar, daß man sich anderen Berufsorganisatio­ wärtigen Bestand von 275. nen zuwendet, die eine schärfere Gangart verlan­ gen. Ein Scheitern der Bemühungen unseres Mini­ Drastische Zahlen' steriums hätte deshalb auch für den Bayerischen Ich zitiere eine Verfügung der 6. Zivilkammer beim Richterverein Folgen, dem es immer um Zusam­ Landgericht München 1 vom 15. April 1987, Frau Mini­ menarbeit mit der Justizverwaltung und nicht um sterin: Konfrontation gegangen ist. Verfügung Ich zitiere weiter: In Sachen X:Y wegen Forderung. Mit Enttäuschung und auch mit Verbitterung haben Die gegenwärtige Personallage der Kammer läßt die Richter und Staatsanwälte in Bayern vermerkt, eine sachgerechte Terminbestimmung derzeit daß die durch Äußerungen der politisch Verant­ nicht zu. Die Bestimmung eines Verhandlungster­ wortlichen noch in der jüngsten Vergangenheit er­ mins wird so bald wie möglich erfolgen, wenn die weckten Hoffnungen auf eine wirksame Personal­ weitere personelle Zusammensetzung der Kammer mehrung in der bayerischen Justiz durch den Be­ feststeht. Auch andere vorrangig zu terminierende schluß der Bayerischen Staatsregierung vom 7. Ja­ Verfahren werden zu berücksichtigen sein. nuar 1987 wiederum nicht erfüllt wurden. In großer Sorge wird in diesem Zusammenhang von den Kol­ Frau Ministerin, das ist der teilweise Stillstand der leginnen und Kollegen die Frage gestellt, welcher Rechtspflege in München' Stellenwert einer einigermaßen funktionierenden (Beifall bei der SPD) Justiz in Bayern eigentlich noch zugemessen wird. Ich weise hin auf die kritische S t e 11 u n g n a h m e Und abschließend: Auf Seite 5 des Mitteilungsblattes d e s A n w a 1 t s v e r e i n s zum Haushalt. Ich weise des Bayerischen Richtervereins, Nummer 1/1987, fin­ hin auf die kritische Stellungnahme des V e r b a n - det sich eine Berechnung, daß die ausgewiesenen d e s d e r b a y e r i s c h e n R e c h t s p f 1 e g e r zu Stellenmehrungen eine Entlastung der Richter in Bay­ diesem Haushalt und deren begründete Klagen. Ab­ ern um 0,005 bringen. Bei einer durchschnittlichen schließend zitiere ich etwas umfangreicher aus der Arbeitszeit von 2000 Stunden im Jahr bringt eine sol­ Stellungnahme des Vorsitzenden des B a y e r i - che Entlastung genau acht Minuten pro Monat. Das s c h e n R i c h t e r v e r e i n s zum Staatshaushalt reicht, daß jeder Richter in Bayern monatlich einmal 1987 /88. Ich zitiere das deswegen, weil ich annehme, öfter auf die Toilette gehen kann, Händewaschen an­ daß die meisten der Damen und der Herren, die hinter schließend eingeschlossen. Mehr Entlastung ist das, der Frau Ministerin sitzen, dem Bayerischen Richter- was hier im Haushaltsplan ausgewiesen wird, leider 1786 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87

(Warnecke [SPD]) glaube, in allen diesen Bereichen bewirken gute Bei­ spiele oft mehr als viele Gesetze, nicht, auch wenn einige weitere Stellen hinzukommen sollten. (Zustimmung bei der CSU) (Abg. Dr. Wilhelm: Ihre Darstellung ist der und negative Beispiele richten natürlich ganz erhebli­ Gipfel der Unseriosität, Herr Kollege!) chen Schaden an. Ich meine, Frau Ministerin, daß die ersten 14 Seiten Ich glaube, Frau Kollegin König, wir werden einer Ihrer heutigen Haushaltsrede angesichts dieser Sach­ Meinung sein, wenn ich von den harten Videofilmen verhalte, dieser authentischen Äußerungen eher eine rede, die Sie sicherlich auch kennen. Wenn solche Satire als eine noch ernstzunehmende Darstellung Filme am Abend angeschaut werden, passiert sicher der justizpolitischen Situation in ,Bayern sind. manches, was sonst nicht vorgekommen wäre. Die (Beifall bei der SPD - Abg. Baumann: Das Frage ist nur, was von Psychologen immer wieder gilt allenfalls für München! Im gesamten verneint wird: Gibt es einen unmittelbaren Zusam­ Freistaat sieht es anders aus!) menhang zwischen dem Anschauen dieser Filme und Straftaten? Es gibt eine Reihe von Beispielen. Es gibt Erster Vizepräsident Möslein: Ich erteile das Wort Lehrer, Erzieher, Kindergärtnerinnen, die uns sagen: der Frau Kollegin Fischer. Nach einem „durchglotzten" Wochenende passiert sehr viel mehr, hat sich das Verhalten der Kinder ge­ Frau Fischer (CSU): Herr Präsident, meine sehr ver­ ändert. Andere sagen, es sei jedenfalls nicht bewie­ ehrten Damen und Herren! Frau Kollegin König, Sie sen, daß es nicht wirkt. Das ist oftmals die eindeutig­ haben in Ihrem Beitrag dargestellt, daß es in der Ehe ste Aussage. Gewalt gegen Frauen gibt, und Sie haben gesagt, das Ich habe hier einige Auszüge aus Zeitungen, ange­ wissen wir - ich nehme an, Sie haben gemeint: späte• sichts derer man schon überlegen muß, ob diese stens -, seit es Frauenhäuser gibt. Filme nicht doch wirken, indem sie zur Nachahmung Ich glaube, wir Frauen wissen das schon länger. Es provozieren. gibt Gewalt in der Ehe, und das muß uns sehr, sehr - 26. Mai 1984: Ein Sechzehnjähriger erwürgt einen betroffen machen. Nur stellt sich die Frage, wie wir Fünfzehnjährigen nach Anschauen von Videofil­ damit umgehen, ob wir mehr Staat im Schlafzimmer men. haben wollen, um es ganz überspitzt auszudrücken. Es würde im Endeffekt auf staatsanwaltschaftliche - 27. Februar 1984: Ein Neunzehnjähriger überiällt Untersuchungen hinauslaufen. Ich meine es völlig nachts um 11 Uhr eine 65jährige Frau und verge­ ernst! Sehr verehrte Frau Kollegin, ich habe über Ih­ waltigt sie, nachdem er viele solcher Pornofilme ren Beitrag wirklich nachgedacht. angeschaut hat. (Abg. Klasen meldet sich zu einer - 28. September 1984: Ein Fünfzehnjähriger, der eine Zwischenfrage) Reihe von Pornofilmen angeschaut und Pornohefte gelesen hatte, ermordete aus sexuellen Motiven ei­ - Ich habe Sie vorhin auch ausreden lassen und bitte, nen Siebenjährigen. mich nicht zu unterbrechen. Ich sage Ihnen auch, warum: lch bin keine Juristin und sehe dieses Thema Also Eigen ver an t wo r tu n g ist gefragt, nicht ganz einfach als Laie und als Frau. Bitte, nehmen Sie nur das Gesetz! Das „Bayreuther Modell", das inzwi­ mir das auch ab! schen in ganz Bayern bekannt ist, entstand aus einer Initiative des Jugendwohlfahrtsausschusses des (Beifall bei der CSU und der Frau Abg. Psimmas) Stadtrats. Elternbeiräte, Stadträte, Lehrer und Eltern haben versucht, freiwillige Einschränkungen der Vi­ Ich stelle mich daher keinen juristischen Fragen. Viel­ deothekare zu erreichen. Das ist geglückt. Die Video­ leicht hätte ich gleich als erstes sagen müssen: Ich thekare in Bayreuth haben solche Filme sehr viel frü• bin ein weiblicher Laie, traue mich aber trotzdem zu her herausgenommen und auch eine familienfreundli­ reden und rede jetzt aus meiner Betroffenheit als che Videothek eingerichtet, in der es solche Filme Frau. Bitte, nehmen Sie mir jetzt ab, daß ich es ernst überhaupt nicht gibt. meine! (Beifall der Frau Abg. Würdinger) Stärkung der Eigenverantwortung und Schäriung des Problembewußtseins in der gesamten Gesellschaft Wenn wir Jugendliche aktivieren, werden sie vielleicht halte ich jedenfalls für sinnvoller als gesetzliche Re­ gar nicht so großen Wert darauf legen, sich solche gelungen. Ich glaube, nur das bringt uns weiter und Filme anzuschauen oder „reinzuziehen", wie man so hilft auch eher den Frauen. schön sagt. Deswegen haben wir in Bayreuth zusam­ men mit der Stadt in der Schule und in Freizeiteinrich­ Wenn ich von der Stärkung der Eigenverantwortung tungen Angebote gemacht: Schulgartenpflege, Bio­ rede, komme ich eigentlich zu dem Thema, zu dem top-Pflege, Einrichtung von Bibliotheken, Videofilme der Herr Kollege Merk! meinen Beitrag angekündigt drehen, statt passiv solche anzuschauen, Aufklärung hat, und zwar zum Thema J u g e n d s c h u t z , und von Eltern durch Eltern. Das ist vorbeugender Ju­ hier besonders: Eigenverantwortung im Umgang mit gendschutz, und vorbeugen ist besser als heilen. Alkohol, im Umgang mit dem Partner, im Umgang mit der Umwelt, im Umgang mit den Medien. Ich (Beifall bei der CSU und den GRÜNEN) Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1787

(Frau Fischer [CSU]) zeiten durchführen, und wir haben die Absicht, in den nächsten vier Jahren im Rahmen der natürli• Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jugend­ chen Personalfluktuation vermehrte T eilzeitarbeits­ schutz endet vor der Haustüre. Wenn Eltern ihren plätze anzubieten. Kindern solche Filme zeigen, können sie nicht be­ straft werden. Aber wenn Eltern fremden Kindern sol­ Diese Vorhaben werden zügig in Angriff genommen che Filme zeigen, können sie bestraft werden. Des­ werden. Ich nehme an, daß dann der Öffentlichkeit wegen muß der Staat handeln. auch erkennbar wird, was die Staatsregierung zur Verbesserung der S i t u a t i o n d e r F r a u e n tut. Es gibt auch nach Änderung des Gesetzes gefährli• Wir müssen dies deutlicher herausstellen, was ich che Lücken. Immer noch können Videokassetten von jetzt tun werde; haben Sie keine Angst, nicht allzu Erwachsenen ausgeliehen und an Jugendliche oder lange, obwohl ich die Zeit hätte, aber ich will die De­ Kinder weitergegeben werden; das wissen Sie. Das batte nicht verlängern. Verleihgeschäft übertrifft mit fast 90 Prozent das Ver­ kaufsgeschäft. Ich glaube, ein Verleihverbot indizier­ Wir haben Gespräche mit der Frau Staatsministerin ter und pornographischer Kassetten ist unabdingbar. geführt. Deswegen kann ich sagen, daß sie sehr auf­ geschlossen ist. Der Arbeitskreis Frauen in der CSU­ (Beifall bei der CSU und der Frau Abg. Landtagsfraktion hat zwei Anfragen gestartet: Wie Psimmas) steht es um die Frauen in allen Laufbahnen der Ju­ Der Bundesrat hat ja in der letzten Legislaturperiode stiz? Gibt es Personalprobleme im Zusammenhang auf Betreiben der Bayerischen Staatsregierung eine mit dem Mutterschutz und Erziehungsurlaub? Herr solche Gesetzesinitiative beschlossen. Wir werden Kollege Warnecke hat hier auf ein enges Personal­ dieses Anliegen weiter in der neuen Legislaturpe­ netz verwiesen. Weiter die Frage: Gibt es Teilzeitar­ riode verfolgen, denn seit Jahren ist es geltendes beitsplätze, und wenn nicht, warum? Recht, daß pornographische und indizierte Schriften Ich kann das Ergebnis schon vorwegnehmen. Es in gewerblichen Leihbüchereien nicht angeboten wer­ sieht erheblich positiver aus, als wir uns das vorge­ den dürfen. Es ist nicht einzusehen und inkonse­ stellt haben. quent, daß die Vermietung filmischer Darstellungen, die noch erheblich jugendgefährdender sind, zulässig Zunächst zur Frage der Einst e 11 u n g: In Bayern ist. wird - das ist ja bekannt - nach Eignung und nach dem Leistungsgrundsatz eingestellt. Dagegen haben (Beifall bei der CSU) wir Frauen nichts. Wir haben die gleiche Eignung, und Sehr verehrte Frau König, Sie haben zu unserer Ju­ ich glaube, daß wir uns nicht zu scheuen brauchen, stizministerin gesagt, sie hätte keine neuen Akzente diese auch nachzuweisen. gesetzt. (Beifall des Abg. Spitzner) (Frau Abg. König: Rechtspolitischer Art!) Vergleicht man nämlich die Examensergebnisse von - Rechtspolitischer Art, gut. Sie haben gemeint, das Männern und Frauen - das Ergebnis wird niemanden freut mich ganz besonders, daß sie auch Ihrer Mei­ wundern; das hat schon einiges Rauschen im Blätter• nung nach im frauenpolitischen Bereich ganz be­ wald verursacht-, dann zeigt sich, daß die weiblichen stimmte Akzente setzen werde. Mir kommt es jetzt und männlichen Prüfungsteilnehmer durchaus ausge­ darauf an, diese vorzustellen. Ich glaube, das ist ein wogen abschneiden. Ja, es gab sogar schon einmal gemeinsames Anliegen dieses Hauses. Pressemeldungen, in denen es hieß, daß Frauen bes­ ser abschneiden. Der Bayerische Ministerpräsident hat in seiner Regie­ rungserklärung am 10. Dezember 1986 angekündigt, (Beifall der Abg. Frau Würdinger, Frau ich zitiere mit der Genehmigung des Herrn Präsiden• Pausch-Gruber und Kamm) ten - -· In diesen Pressemeldungen wurde die Angst deut­ (Abg. Kamm: Nicht mehr nötig!) lich, daß plötzlich mehr Frauen eingestellt werden. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß die Prädikatsnoten - Nicht mehr nötig? Trotzdem werde ich es tun, weil der Examina durchaus ausgewogen vergeben wer­ ich finde, daß es sehr gut ist, und das darf auch ruhig den. Männer sind ebenso strebsam geworden. jeder hören. (Abg. Spitzner: Nur wenn sie müssen!) (Lachen bei der SPD) - Nur wenn sie müssen? Das müssen Sie mir näher Die Staatsregierung wird in dieser Legislaturpe­ erklären. riode Voraussetzungen für familiengerechtere Ar­ (Heiterkeit) beitsbedingungen im öffentlichen Dienst schaffen. Eine ständige Arbeitsgruppe der Personalchefs Man muß ja erst ausgebildete Frauen haben, ehe man und der Frauenbeauftragten aller Ressorts soll die sie einstellen kann. Das war nicht immer der Fall. Sie Anstellungs- und Aufstiegsmöglichkeiten von wissen ja, daß wir heute eine völlig veränderte Bil­ Frauen fördern. dungssituation haben. Frauen haben il1re Bildungsde­ fizite aufgeholt. Wir haben heute einen Anteil von Der Bayerische Ministerpräsident weiter: über 50 Prozent Abiturientinnen. Der Anteil der weib­ Wir werden in allen Verwaltungszweigen Modellver­ lichen Prüfungsteilnehmer am Zweiten Juristischen suche mit familiengerechteren, flexibleren Arbeits- Staatsexamen steigt: 1979 lag er noch bei 20 Pro- 1788 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87

(Frau Fischer [CSU]) all nachschauen, vor allem bei der Einstellung im Zu­ sammenhang mit der Einstellungsnote. zent, 1985 lag er schon bei 30 Prozent. Analog dazu stieg natürlich auch die Zahl der Einstellungen von Frauen verlieren Zeit durch Kinder und Familientätig• Frauen in den Justizdienst. Ich glaube, darauf müs• keit. Die Frauen der CSU-Landtagsfraktion haben in sen wir schauen, und nicht darauf, daß im Augenblick dieser Legislaturperiode einen Antrag gestellt, eine in den höheren Etagen nur 16,9 Prozent Frauen zu Regelung analog dem Arbeitsplatzschutzgesetz zu finden sind. Der Anteil der Frauen im Justizdienst treffen. Nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz kann steigt aber an. Von 1980 bis 1986 stieg er analog der männlichen Bewerbern, die Wehrdienst geleistet ha­ Anzahl der weiblichen Studenten ben, der Vorzug vor anderen Bewerbern dann gege­ ben werden, wenn sie die fachliche Eignung nach den (Frau Abg. König: Wo sind die Frauen bei Anforderungen erfüllen, die zu dem Zeitpunkt gegol­ den Landesgerichten?) ten haben, als sie sich wegen Wehr- oder Ersatzdien­ - diese Frage dürfen Sie dann gern der Frau Minister stes nicht bewerben konnten. Das müssen wir auf stellen - von 29,6 Prozent auf 34, 1 Prozent, also um den Frauenbereich übertragen. mehr als ein Drittel. Es werden noch mehr Frauen (Beifall) kommen; davon bin ich überzeugt. Noch etwas: Bitte verstehen Sie mich richtig, wenn (Beifall bei der CSU und den GRÜNEN) ich es in Anführungszeichen setze. Ich glaube, die Frauen verstehen mich, wenn ich jetzt sage, „dro• Unsere Ministerin sagte wörtlich; ich darf zitieren: hende" Mutterschaft und Erziehungsurlaub sind Ein­ Frauen haben sich in allen Aufgabenbereichen der stellungshemmnisse. Ich glaube, darüber müssen wir Justiz, vor allem als Richterinnen und Staatsanwäl• offen reden. tinnen, als Rechtspflegerinnen, als Arbeitsgemein­ (Starker allgemeiner Beifall) schaftleiterinnen genau so bewährt wie ihre männli• chen Kollegen. Wir müssen das zugeben, denn es entstehen offene Stellen, und wir haben gehört, daß die Flut der Pro­ Mehr wollen wir ja gar nicht. zesse und die Überschwemmung des Personals mit (Zustimmung bei der CSU) Arbeit steigt, die von anderen bewältigt werden muß. Sie kann von den anderen aber nicht mehr bewältigt Ich finde, das Justizministerium kann sogar als vor­ werden. Deshalb werden wir unsere Anregung wei­ bildliches Ministerium gelten, was den Anteil von terverfolgen, vernünftigerweise eine mobile Personal­ Frauen in Führungspositionen betrifft. reserve zu schaffen, die zunächst speziell in der Ju­ (Zustimmung bei der CSU) stiz zum Einsatz kommen soll. Sie muß natürlich spä• ter auch in allen anderen Verwaltungen unser Ziel Eine Ministerin an der Spitze, sein. (Abg. Otto Meyer: Das ist Spitze!) (Beifall bei CSU und GRÜNEN) die erste und bisher einzige Ministerialdirigentin als Nachdem ich jetzt so lange zu Frauen in der Justiz Abteilungsleiterin, gesprochen habe, darf ich noch ein Wort zum Thema F r a u u n d J u s t i z sagen: (Frau Abg. Martini: Eine!) Ich glaube, wir wissen alle, daß viele Frauen große darüber hinaus drei weitere Damen im höheren Probleme haben und bei ihnen Rechtsunsicherheit Dienst als Referentinnen! Das ist noch kein Idealzu­ herrscht, wenn sie in die Mühlen der Justiz geraten. stand, das habe ich auch nicht gesagt, aber ein guter Sie kennen sich nicht aus und empfinden das als ge­ Ansatz. Ich sage nur: Vivant sequentes. schlechtsspezifische Benachteiligung, obwohl es bei Männern meist nicht anders ist; zum Beispiel bei Ehe­ (Beifall bei der CSU) scheidungen, Widerspruchsverfahren, beim Umgang Bei den Te i 1zeit a r b e i t s p 1ätzen , die unser mit Formularen, Fristen und Zuständigkeiten. Ich bin Ministerpräsident im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Staatsregierung deshalb dankbar, daß sie bereits von Familie und Beruf anstrebt, stellte sich heraus, Informationsschriften konzipiert hat. daß es Probleme in höheren Leistungsfunktionen (Zuruf von der SPD: Die wollen sich jetzt alle gibt. Die Teilung einer Richterstelle ist schwierig; ich scheiden lassen! -Wortwechsel zwischen glaube, das ist uns klar. Immerhin hat es der CSU-Ar­ Abg. Warnecke und Mitgliedern der beitskreis der Frauen geschafft, an einem Landrats­ CSU-Fraktion) amt ein Modell zu konzipieren, wo die Leitung einer Abteilung von zwei Frauen wahrgenommen wird, und - Darf ich jetzt doch einmal feststellen, daß heute zwar nicht durch eine starre Festlegung auf die Mi­ auch auf dieser Seite des Hauses einige Bemerkun­ nute, sondern in gegenseitiger Absprache, und das gen gefallen sind, die Kollegen meiner Fraktion sonst geht. schon übel vermerkt worden sind. Ich will Ihnen das jetzt aber nicht nachtragen. Ich glaube, wir Frauen (Beifall bei der CSU und den GRÜNEN) wissen, wovon wir reden. Wer für Frauen etwas tun will und ihre Benachteili­ Ich möchte noch einmal betonen, daß die Informatio­ gung in Familie und Beruf durch Mutterschaft und Fa­ nen erheblich verbessert werden müssen. Ich freue milientätigkeit nicht länger hinnehmen will, muß über- mich, daß darüber nachgedacht wird. Dabei bitte ich Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1789

(Frau Fischer [CSU]) nommen hat, daß sein dringender Appell, die Stellen bei den bayerischen Gerichten spürbar zu erhöhen, zu überlegen, ob nicht für Frauen eine Anlaufstelle nicht vergeblich war". Oie Verfasser haben sich ganz bei den Gerichten geschaffen werden soll. Vor allem ausführlich und in einer, wie ich meine, sehr anständi• müssen die Termine so festgesetzt werden, daß sie gen Weise dafür bedankt, daß die CSU-Fraktion et­ von den Frauen auch wahrgenommen werden kön• was getan hat. nen. Es gibt Fortschritte in diesem Bereich, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Situation ist Den Bayerischen Richterverein haben Sie auch nur durchaus positiv. Das Bewußtsein wächst. Ich bin mit seinen früheren Erklärungen zitiert. Im April 1987 überzeugt, Frau Ministerin, daß Sie noch zu einer wei­ hat der Bayerische Richterverein jedoch ein eigenes teren Verbesserung beitragen werden. Danke schön. Flugblatt mit der Überschrift verfaßt: „Bayerischer Richterverein: Ein Lichtblick. Endlich einmal ein Licht­ (Starker Beifall bei der CSU) blick im wahrsten Sinne des Wortes." Er spricht von großer Genugtuung im Zusammenhang mit dem Erster Vizepräsident Möslein: Nächste Wortmeldung neuen Doppelhaushalt usw. usf. Herr Kollege Dr. Wilhelm. Sie haben das Wort' Ich möchte nur diese beiden Stellungnahmen zitieren. (Abg. Hiersemann: Jetzt ist der gute Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Äußerungen. Eindruck gleich wieder weg!) Herr Kollege Warnecke sollte sich künftig wesentlich mehr an die Seriosität halten, die man mindestens Dr. Wilhelm (CSU): Herr Präsident, Hohes Haus! Ich von den beiden großen Fraktionen in diesem Hohen möchte mich nur zu ein paar Sätzen melden, die ich Hause gewohnt ist. Danke schön. für angebracht und zwingend geboten halte, nach­ (Beifall bei der CSU) dem Sie soeben bei den Ausführungen des Herrn Kollegen Warnecke einen Vorgang erlebt haben, der Erster Vizepräsident Mösl ein: Nächste Wortmeldung nur als ein starkes Stück bezeichnet werden kann. Er Herr Kollege Warnecke. Ich muß Sie darauf hinwei­ hat nämlich in unseriöser Weise eine ganze Reihe von sen, daß Sie nur noch eine Minute Redezeit haben. Erklärungen verschiedener Organisationen der Ju­ stizangehörigen hier vorgetragen, die mit einem ge­ (Heiterkeit bei der CSU) wissen Recht Unmut geäußert und auf Schwierigkei­ ten verwiesen haben. Herr Kollege Warnecke hat da­ Warnecke (SPD): Das reicht als Antwort auf die Rede bei aber nur Erklärungen aus einer Zeit vorgetragen, des Kollegen Dr. Wilhelm. Herr Kollege Dr. Wilhelm, in der die Beschlüsse der CSU-Fraktion noch nicht ich bedanke mich für die Bestätigung, daß die Kritik gefaßt waren. Dabei hat er all diejenigen Erklärungen am Haushaltsentwurf vom 7. Januar 1987 so berech­ unterdrückt, die ihm sicherlich auch zugänglich ge­ tigt war, wie die Verbände sie vorgetragen haben. wesen wären, die aus der Zeit nach der Beschluß• (Abg. Dr. Wilhelm: Deshalb haben wir ja fassung der CSU-Fraktion datieren. etwas getan!) (Abg. Spitzner: Das ist ein Zweitens stelle ich fest, daß bei dem Gericht, bei dem Geschichtsfälscher!) die Richter erstmals eine ÖTV-Mehrheit in den Rich­ terrat gewählt haben, tatsächlich eine kleine Linde­ - Ja, das muß einmal ganz deutlich gesagt werden, rung des Problemes im Nachschub eingetreten ist. weil ich fürchte, daß das, was Kollege Warnecke hier Ich hoffe, daß wir bei vielen Richterratswahlen noch gesagt hat, genauso unseriös ist wie das, was er über ÖTV-Mehrheiten bekommen werden, damit sich bei das Haus des Herrn Ministerpräsidenten und des vielen Gerichten etwas ändern wird. stellvertretenden Ministerpräsidenten im Zusammen­ hang mit der Tschernobyl-Verseuchung geäußert hat. (Beifall bei der SPD - Abg. Hofmann: Das hat aber mit dem Thema nichts zu tun 1 Das (Beifall bei der CSU - Zurufe von den ist sehr schwach!) GRÜNEN) Es ist immerhin kein Pappenstiel, meine Damen und Erster Vizepräsident Möslein: Ich erteile das Wort Herren, wenn statt der im Entwurf der Staatsregie­ der Frau Abgeordneten Wax-Wörner zu einer persön• rung vorgesehenen 50 Stellen für Gerichte und lichen Erklärung in der Aussprache. Bitte! Staatsanwaltschaften jetzt mehr als das Dreifache vorgesehen ist, nämlich 170 zusätzliche neue Be­ Frau Wax-Wörner (DIE GRÜNEN): Ich weise hiermit dienstetenstellen im nächsten Doppelhaushalt für die zurück, daß meine Seriosität als Politikerin geringer Gerichte und Staatsanwaltschaften. sei als die irgendeiner Dame oder eines Herren der beiden großen Fraktionen. Ich halte es deshalb für unseriös, die Erklärungen, die nach der Beschlußfassung abgegeben worden sind, (Beifall bei den GRÜNEN - Lachen bei der zu unterdrücken. Das Hohe Haus hat ein Recht dar­ CSU - Abg. Dr. Wilhelm: Sehr schön!) auf, auch diese Erklärungen zu hören, weshalb ich ei­ nige Sätze daraus zitieren möchte. Erster Vizepräsident Mösl ein: Die Aussprache ist geschlossen. Das Wort hat die Frau Staatsministerin Der Richterrat des Amtsgerichts München, dessen der Justiz! Äußerung Sie zunächst zitiert haben, hat mir nach dem Beschluß u. a. geschrieben, daß „der Richterrat Frau Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner: Herr des Amtsgerichts München erfreut zur Kenntnis ge- Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! 1790 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) Angesichts der vielen Themen, die angesprochen wurden, bedauere ich sehr, daß es niemand für not­ Ich möchte mich zunächst sehr herzlich für Ihre Bei­ wendig befunden hat, die Neuordnung des P11ege­ träge und das große Interesse bedanken, das mein schaftsrechts zu erörtern. Frau Kollegin König, ge­ Etat bei der heutigen Diskussion gefunden hat. Kon­ rade dieses Thema berührt im wesentlichen Frauen. zeptionelle Vorstellungen habe ich allerdings von der Frauen werden sehr viel älter als Männer. Der Anteil Opposition leider kaum gehört. Ich wäre gerne in eine der Frauen unter den alten Menschen ist - ich habe Diskussion über Sachfragen eingetreten. jetzt die Prozentzahlen nicht hier - recht hoch. Wir (Abg. Dr. Wilhelm: Sehr gut! -Abg. sollten dieses Thema gemeinsam als eines ansehen, Hiersemann: Ja, wenn es schon am Gehör das uns bewegt und das in der nächsten Zeit sicher­ fehlt, ist das schwierig!) lich einmal erörtert werden kann. Es wurde über eine Reihe meist wenig repräsentati• (Frau Abg. König: Sie können beliebig lange ver Einzelfälle berichtet, die in der Kürze der Zeit reden, wir haben nur 15 Minuten') nicht alle nachprüfbar sind. Ich kann deshalb nur auf Meine Damen und Herren, ich möchte dem Kollegen einige eingehen, soweit darauf nicht schon die Red­ Wilhelm danken, daß er es mir abgenommen hat, den ner der CSU-Fraktion erwidert haben. Beitrag des Herrn Kollegen Warnecke zurechtzurük• Nachdem sich keine Frauen von der Fraktion DIE ken, wie es mir so nicht gelungen wäre. GRÜNEN zu Rechtsthemen geäußert haben, möchte (Zurufe von der SPD: So, so') ich mich höflichkeitshalber zunächst der Frau Kolle­ gin König zuwenden. Gestatten Sie mir eine humor­ Nachdem Sie von der SPD den Haushalt überhaupt volle Bemerkung, auch wenn Sie mich jetzt finster an­ ablehnen wollen, sind auch Ihre Anträge auf Stellen­ schauen: Selbst Frauen wie Sie haben es schwer mit mehrung wenig glaubwürdig. Die Zusammenstellung, der Terminologie, wenn sie von einer „weiblichen Mi­ mit der Sie hier die Kollegen beschäftigt haben, de­ nisterin" sprechen. Wir werden uns aber alle gemein­ nen diese Eingaben auch alle zugegangen sind, war sam bemühen, und schön langsam werden es mehr zwar fleißig, aber eben einseitig. Frauen werden. Bei zunehmender Gewöhnung wird (Unruhe - Glocke des Präsidenten) man mit solchen Sprachproblemen leichter zu Rande kommen. Ausdrücklich möchte ich noch einmal der CSU-Frak­ tion danken, daß auf ihren Beschluß hin der Haus­ (Zurufe von der SPD) haltsausschuß heute dem Plenum eine so ansehnli­ Frau Kollegin König, Sie haben eine Reihe von The­ che Erhöhung empfohlen hat. Die Verteilung, Herr Kollege Warnecke, wird allerdings nicht nach den men aufgezählt, die zum Teil durchaus auch diskus­ Mehrheitsverhältnissen in irgendwelchen Vertre­ sionswürdig gewesen wären. Ich frage mich aber, ob tungsgremien vorgenommen, wobei ich „irgendwel• ich diesem Hohen Hause eine so lange Haushalts­ che" nicht abwertend meine, sondern sie wird da­ rede hätte zumuten können. Deshalb mußte ich not­ nach getroffen, wo der Bedarf am größten ist. Ich gedrungen eine Auswahl treffen. glaube, das paßt auch in das Bild, daß wir unsere Ent­ (Abg. Dr. Wilhelm: So ist es!) scheidungen in Personalfragen unparteiisch und auch nicht etwa zum Nachteil derer, die jemand gewählt Ich glaube, daß es eine Zumutung für dieses Hohe haben, der vielleicht Ihnen nähersteht als uns, treffen Haus wäre, ein Thema zu erörtern, das gestern mit wollen. der Entscheidung über Ihren Antrag abgeschlossen wurde. Ich bin der Kollegin Frau Fischer dankbar, daß (Beifall bei der CSU -Abg. Warnecke: Aber sie aus ihrer und unserer Sicht zum Thema Vergewal­ das trifft doch oft zusammen!) tigung in der Ehe noch einen Beitrag gebracht hat. Meine Damen und Herren' Ich möchte ein paar Worte Sicherlich wären Fragen des Jugendstrafrechts oder zu den Richtern und den Vorgängen im Zusammen­ die Frage, wie viele Jugendliche denn straffällig wer­ hang mit der Blockade in Mut 1an gen sagen. den, einer gründlicheren Erörterung wert. Natürlich Herr Kollege Zierer, in Bayern ist deswegen kein Ver­ gab es zu dem Zeitpunkt, von dem die Vergleichszah­ fahren anhängig. Sie können mir also nicht vorwerfen, len stammen, weder Kramahrzeuge noch Verkehrs­ daß ich in schwebende Verfahren eingreifen und ir­ unfälle. Wenn Sie sehen, daß rund 25 Prozent der gendwelche „Meinungsmache" betreiben würde. Die Verurteilungen Jugendlicher, also der 14- bis 18jähri• Verfahren werden, wie Sie wissen, bei dem für Mut­ gen, und über 43 Prozent der Verurteilungen Heran­ langen zuständigen Gericht geführt. Dort besteht of­ wachsender, also der 18- bis 21jährigen, wegen Ver­ fensichtlich auch die Neigung zu Verurteilungen. Für kehrsdelikten erfolgen, dann relativiert sich der Vor­ Sie gilt aber offensichtlich nur ein Richter, der frei­ wurf der Kriminalität und der Kriminalisierung unserer spricht, als unabhängig. Jugend - Gott sei Dank - doch etwas. Ich meine, wir sollten sie nicht schlechter darstellen, als sie ist. (Abg. Dr. Wilhelm: Sehr richtig') (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Die Verurteilungen wegen der Beteiligung an Gewalt­ tätigkeiten in Wackersdorf können Sie sich ja nur Wir sollten das auch hervorheben, wenn solche Zah­ durch unsachliche Einflußnahme erklären. len in der Öffentlichkeit erörtert werden. (Beifall bei der CSU - Abg. Dr. Rost: Sehr (Abg. Warnecke: Weiter so!) gut formuliert!)

~: P!enarprotokott 11/28 v_ 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1791

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) Verfahren wurden zu anderen Verfahren hinzuver­ bunden, so daß die Staatsanwaltschaft insgesamt Meine Damen und Herren, darin liegt zugleich eine 48 Verfahren zu führen hat. Diese Verfahren wur­ ungeheuerliche Unterstellung gegenüber den Rich­ den wie folgt erledigt: tern und Staatsanwälten, die in Schwandorf und Am­ berg wie bei allen anderen Gerichten und Staatsan­ Neun Verfahren wurden nach § 170 Absatz 2 Straf­ waltschaften nach Recht und Gesetz ihre Pflicht tun. prozeßordnung eingestellt. 31 Verfahren wurden entweder nach § 153 - davon 16 - oder § 153a (Abg. Dr. Wilhelm: Sehr richtig!) Strafprozeßordnung gegen Geldbuße eingestellt. Ich möchte auch ein Wort zu der Frage der Abo r d - Ein Verfahren wurde teilweise nach § 172 Absatz 2 n u n g von Richtern und Staatsanwälten sagen. Rich­ und teilweise nach § 153 eingestellt. In sechs Ver­ ter sind bekanntlich nicht versetzbar. Wir müssen je­ fahren wurden durch rechtskräftigen Strafbefehl dem dankbar sein, der freiwillig dorthin geht. Ich er­ Geldstrafen verhängt. In einem Fall hat das Gericht kläre ausdrücklich, daß den Richtern und Staatsan­ Strafbefehl erlassen, der wegen Einspruchs noch wälten nichts versprochen wurde; Stellen werden nicht rechtskräftig ist. Der Angeklagte war ver­ nach Ausschreibung auf Bewerbung hin vergeben handlungsunlähig. und nicht im vorhinein mit irgendwelchen Zusagen. Der neueste Sachstand in diesem Punkt ist mir nicht Ich hatte allerdings das Bedürfnis, dort hinzugehen bekannt. und die Unterbringungs- und Arbeitsverhältnisse an­ Soweit das Zitat. zuschauen und mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Für sie ist die Zeit der Abordnung in vieler (Zuruf der Frau Abg. Memmel) Hinsicht eine Mehrbelastung. Das beginnt schon bei Ich hoffe, daß damit dieser Vorwurf endgültig aus der der Frage, welche Wohnungsmöglichkeiten und Welt ist. Wohnungsverhältnisse man dort vorfindet. Ich meine, es ist die Aufgabe der zuständigen Ministerin, sich (Abg. Kamm: Es ging doch um den Herrn auch solcher Dinge anzunehmen, mit den Betroffe­ Strauß! -Abg. Warnecke: Wieviel hat denn nen zu sprechen und ihnen dafür zu danken, daß sie der Strauß zahlen müssen? - Glocke des solche Schwierigkeiten in Kauf nehmen. Präsidenten) (Beifall bei der CSU) - Aber jetzt war es wirklich der Herr Kollege Wirth, der sich über die Bierzeltredner mokiert hat. Ich Im Rahmen der Diskussion über Mutlangen, über meine da doch, daß es ein bißchen der Humorlosig­ Blockaden taucht sofort die Frage auf, wie das denn keit der heutigen SPD entspricht, wenn man alle die mit der Kraftfahrzeugblockade im Februar 1984 ge­ Bürgerinnen und Bürger beschimpft, die gerne in ein wesen sei. Herr Kollege Wirth, ich möchte Ihnen nicht Bierzelt gehen und sich bei der Gelegenheit sogar zu nahe treten, weil ich meine, daß wir in vielen Din­ einmal eine politische Rede anhören wollen. gen sachlich zusammenzuarbeiten haben, aber ich (Frau Abg. Pausch-Gruber: Das ist ja der finde es doch schon ein bißchen unredlich, wie Sie das in die Debatte eingeführt haben, nachdem Sie Gipfel! - Zuruf des Abg. Wirth) selbst einer derjenigen waren, die am 13. Februar die­ Ich muß bemerken - denn ich rede dort gelegentlich-, ses Jahres eine Schriftliche Anfrage gestellt haben daß es eine der wenigen Gelegenheiten ist, wo man und die Antwort mit der Drucksache vom 4. und 6. mehr Frauen als sonst in politischen Versammlungen März 1987 erhalten und hoffentlich auch gelesen ha­ in das Schußfeld bekommt. ben. Ich möchte denen, die das nicht getan haben - (Abg. Hiersemann: Was soll das jetzt!) damit endlich dieses Gerede aufhört, dort sei nichts passiert, nur bei Sitzblockaden passiere etwas-, den - Sie haben sich so sehr über die Bierzeltpolitik auf­ einschlägigen Teil dieser Antwort mit Genehmigung geregt. des Herrn Präsidenten vorlesen. (Abg. Hiersemann: Über den Stil, nicht über (Abg. Wirth: Ich habe dazu überhaupt nichts das Bierzelt') gesagt! - Abg. Warnecke: Vor zwei Jahren' Ich glaube, es ist eine ganz wichtige Frage, ob man - Abg. Dr. Wilhelm zur SPD: Hört euch das seine Politik so einfach darstellen kann, daß auch die ruhig an! -Abg. Hiersemann: Das war die Besucher von Bierzelten das verstehen. Rede bei der letzten Haushaltsberatung! - (Beifall bei der CSU) Weitere Zurufe von der SPD - Glocke des Präsidenten) Ich weiß natürlich, daß Sie zur Zeit keine Redner ha­ - Dann bitte ich um Entschuldigung, aber es war je­ ben, die das können, und ich möchte noch einmal mand von der SPD. diejenigen Bürger, die Sie abqualifizieren, weil sie im Bierzelt auch politischen Interessen nachgehen, vor (Zurufe von der SPD) Ihren Angriffen in Schutz nehmen. Trotzdem möchte ich Ihnen mit Erlaubnis des Herrn (Abg. Hiersemann: Also, Frau Ministerin, Präsidenten die Antwort darauf vorlesen, weil die dies ist unter Ihrem Niveau, was Sie hier Frage offenbar immer wieder gestellt wird: äußern' -Abg. Warnecke: Sie verstehen es Die Staatsanwaltschaft hat im Zusammenhang mit sogar, aus dem Landtag ein Bierzelt zu der LKW-Blockade 51 Verfahren eingeleitet. Drei machen!) 1792 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokol! 11 /28 v. 24. 06. 87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) weise qualitativ unzureichende Gutachten bekommen könnte. Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Be­ merkung zu dem „Anachronistischen Zug" machen, Das gibt mir Anlaß, auf die Frage einzugehen, ob im ein Thema, das sich auch nicht mehr besonderen Zivilrecht Änderungen notwendig sind, um Umwelt­ Neuheitswertes erfreut. verschmutzer zum Schadenersatz heranziehen zu können. Dabei muß zunächst einmal, auch wenn an (Zuruf der Frau Abg. König) die Stelle der Verschuldens- eine Gefährdungshaf• - Sie haben ihn doch angesprochen. Ich bedauere tung treten sollte, die Kausalität, das heißt die Frage, sehr, daß der Ehrenschutz schlechthin, der Ehren­ ob der in Anspruch Genommene die Verschmutzung schutz für Politiker im besonderen, in unserer Zeit im­ verursacht hat, geklärt sein. mer schlechter wird. Sie wollen hier eine Um kehr der Beweis 1a s t (Beifall bei den GRÜNEN) einführen. Das mag für die Erhebung von Schadener­ satzansprüchen von Interesse sein. Schneller geht es Sie alle können heute oder morgen genauso betrof­ jedoch nicht, denn das Gutachten, das man vorher fen sein. Ich meine, wir sollten uns über diese Ent­ braucht, um die Ursächlichkeit nachzuweisen, benö• wicklung nicht freuen. tigt man dann eben hinterher, weil sich der Beklagte, Nun aber ein paar Worte zum U m w e 1t s c h u t z : was auch bei einer Umkehrung der Beweislast mög• lich ist, natürlich exkulpieren will, so daß kein Zeitge­ Der Umweltschutz ist mir ein besonderes Anliegen. winn eintritt. Ich muß zunächst einmal, auch wenn die juristischen Ausführungen ein bißchen trocken sein sollten, etwas Ich bin der Meinung, daß es Sachverhalte gibt, für die zu den Vorgängen in Kempten sagen. Die Zei­ eine Gefährdungshaftung eingeführt werden muß, wie tungsberichte darüber waren ja, wie das immer der wir sie beim Betrieb von Eisenbahnen und beim Be­ Fall ist, wenn sie von Nichtjuristen fabriziert werden, trieb von Kraftfahrzeugen, also von gefährlichen Ein­ nicht sehr klar. richtungen, haben. Ich meine aber, daß man sehr be­ Die Staatsanwaltschaft Kempten hatte das Wasser­ hutsam abwägen muß, inwieweit die Wirtschaft be­ lastbar ist. Möglicherweise führt nämlich eine Haftung wirtschaftsamt um Auskunft im Zusammenhang mit für mehrere zusammentreffende Ursachen, die nicht Gewässerverunreinigungen gebeten. Die Verwal­ tungsbehörde ist zu einer Auskunft an die Staatsan­ im einzelnen aufklärbar sind, dazu, daß gerade dieje­ nigen, die sich um den Umweltschutz, um die Fort­ waltschaft nach § 161 StPO nur im Rahmen eines Er­ entwicklung der Technik bemühen, auf der Strecke mittlungsverfahrens verpflichtet, das heißt, nur dann, bleiben oder daß nur ein neuer Versicherungszweig wenn ein konkreter Verdacht auf eine strafbare Hand­ aufblüht, was nicht unbedingt eine sinnvolle Arbeits­ lung, im technischen Sinne ein Anfangsverdacht, be­ steht, nicht aber, wenn ein „vager" Verdacht besteht, beschaffungsmaßnahme wäre. Wir müssen etwas tun, aber wir müssen sehr behutsam dabei vorgehen. wie Sie es ausgedrückt haben. Über diese Vorausset­ Wir werden, wenn nach dem Strafrichter gerufen zung besteht Einigkeit zwischen Justiz und Verwal­ wird, nicht davon loskommen, daß die Schuld eines tung. Verursachers eindeutig nachgewiesen werden muß. Nun hatten Techniker des Wasserwirtschaftsamtes Wir haben also in der nächsten Zeit ein Bündel von vor einiger Zeit dem sachbearbeitenden Staatsanwalt Aufgaben vor uns, das sicherlich einer Menge an mitgeteilt, daß es Sachverhalte gebe, die möglicher• Überlegung und vernünftiger Zusammenarbeit be­ weise als Gewässerverunreinigungen zu werten darf. seien. Ob diese Mitteilung genereller Art zur Begrün• In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings sehr dung eines Anfangsverdachts geeignet war, wird der­ energisch zurückweisen, was Herr Abgeordneter Ke­ zeit überprüft. Sollte die Überprüfung ergeben, daß ein Anfangsverdacht besteht, wird die Staatsanwalt­ stel in bezug auf Sachverständige gesagt hat. Das schaft die notwendigen Ermittlungen durchführen. pauschale Urteil, daß nirgends so viel gelogen wird wie in Gutachten, ist eine Verunglimpfung eines gan­ Eine Weisung an die Staatsanwaltschaft, in dieser An­ gelegenheit nichts weiter zu unternehmen, hat das zen Berufsstandes, die ich so nicht hinnehmen kann. Justizministerium nicht erteilt. Die Staatsanwaltschaft (Beifall bei der CSU) wurde nur gebeten, bis zur Abklärung der rechtlichen Sicher gibt es das eine oder andere schwarze Schaf, Fragen, die zwischen Staatsanwaltschaft und Verwal­ wie es in allen Berufen der Fall ist. Aber die große tung entstanden sind, keine Zwangsmaßnahmen zu Mehrheit der Gutachter genießt Ansehen bei den Ge­ ergreifen. Soweit ein, wie ich meine, relativ simpler richten, sie verdienen diesen Vorwurf nicht. Im wis­ Vorgang. senschaftlichen Bereich gibt es halt fast nichts, was Es ist mehrfach das Wort M a r kt r e d w i t z gefal­ völlig unstreitig ist. len. In Marktredwitz sind Ermittlungen im Gange, aber (Frau Abg. Stamm: So ist es!) in fast allen diesen Verfahren sind, wie auch der Kol­ lege Wirth mit Recht hervorgehoben hat, Sachver­ Gerade im Umweltschutz sind sehr viele Ursachen ständigengutachten notwendig. Sachverständigen• noch nicht völlig geklärt; wissenschaftliche und tech­ gutachten brauchen ihre Zeit. Ich meine nicht, daß nische Vorgänge sind noch nicht völlig durchsichtig man Druck ausüben sollte, weil man sonst möglicher- geworden. Plenarprotokoll 11128 v 24. 06. 87 Bayerischer Landtag - 11. Wahlperiode 1793

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) nach „Ausgewogenheit" entschieden, sondern nach Qualität, worauf wir in Bayern immer großen Wert le­ Denken wir doch, um auf ein altes Thema zurückzu• gen. Herr Kollege, Sie haben offenbar das falsche Zi­ kommen, an die medizinischen Gutachten: Wenn Sie tat erwischt. Sie haben jenes Zitat erwischt, in dem drei Ärzte wegen einer Beschwerde aufsuchen, wer­ steht, was in den Jahren 1970 bis 1976 im Bund ge­ den sie möglicherweise drei Diagnosen bekommen, und ich möchte keinem der Ärzte daraus einen Vor­ schehen ist, als es vor dem Regierungswechsel in wurf machen. Es gibt eben Dinge, die man nicht nach Niedersachsen eine Mehrheit der damaligen Koalition Mark und Pfennig und nach Gramm und Kilogramm im Richterwahlausschuß gegeben hatte. Nach einer abwiegen kann und die immer auch die Fachkunde Aufstellung der „Deutschen Tagespost" vom 24. und das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit eines Sach­ März 1976 wählte der Ausschuß für die oberen Bun­ verständigen erfordern. desgerichte in diesem Zeitraum drei Richter auf Vor­ schlag der FDP, 29 Richter auf Vorschlag der CDU/ (Beifall bei der CSU) CSU und 76 Richter auf Vorschlag der SPD. Zwölf Deshalb meine ich, diese Bemerkung des Herrn Ab­ der auf Vorschlag der SPD gewählten Richter wurden geordneten Kestel war neben vielen anderen ein er­ gegen den ausdrücklichen Widerspruch des Präsi• heblicher Fehlgriff. dialrates des jeweiligen Gerichts gewählt. Im übrigen stelle ich überhaupt fest, daß die GRÜ• (Frau Abg. Stamm: Härt hört!) NEN ihre Weisheiten offenbar aus Literatur von der Die Präsidialräte hatten diese 12 Richter jeweils als Jahrhundertwende bis zum Jahre 1965 beziehen. Ich nicht oder noch nicht geeignet qualifiziert. Gleichwohl hoffe doch, daß Ihre Diäten es Ihnen ermöglichen, in setzte die SPD/FDP-Mehrheit des Wahlausschusses Zukunft ein paar neuere Werke zu erwerben. ihre Ernennung durch. (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CSU) (Frau Abg. Stamm: Schau einmal an! - Abg. Da gibt es zwar auch solche und solche, aber die Dis­ Niedermayer: Eine peinliche Sache!) kussion würde doch etwas einfacher werden, als es Dieses Bild wird durch die Auswertung der Protokolle im Augenblick der Fall ist. bestätigt. Ich bin der Meinung, daß diese einseitige (Widerspruch bei den GRÜNEN) Ausrichtung bei weitem noch nicht beseitigt ist. Wenn jemand, der in der Schule Biologie unterrichtet, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage sich auf Bücher über Verhaltensbiologie aus dem noch einmal: Ich halte bei der Besetzung von Richter­ Jahre 1965 bezieht, stellen Qualität für wichtiger als Parität, welcher Art auch immer. (Abg. Dr. Kestel: Das ist doch Unsinn, die gibt es heute noch!) (Beifall bei der CSU - Abg. Hofmann: Sehr richtig!) kann ich nur sagen: Glücklich die Schüler, die Sie nicht mehr haben' Wir werden bei der bayerischen Justiz weiterhin so (Beifall bei der CSU -Abg. Warnecke: Der verfahren. Vorwurf fällt aber auf alle, die wir hier sitzen, (Abg. Dr. Rothemund: Wenn es nur so wäre! zurück; wir sind nämlich nach den alten - Abg. Hiersemann: Erstaunlich, daß Sie das Biologiebüchern unterrichtet worden! - zu der Zeit alles anders gesehen haben 'l Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) - Ich habe das nie anders gesehen, ich war nie für Richterwahlausschüsse. Ich gehe nämlich davon aus, daß ein Gymnasiallehrer - jetzt hören Sie eine alte Masche von mir, aber ich (Abg. Hiersemann: Ach so! Aber Sie waren habe sie hier noch nicht erwähnt -, der immerhin dankbar, daß wir uns an die Spielregeln Akademiker ist und als solcher besoldet wird, zu sei­ gehalten haben, nicht?) nen Dienstaufgaben zu rechnen hat, daß er sich auf - Finden Sie, daß dieses Ergebnis nach den Spielre­ der Höhe des wissenschaftlichen Standes seines Fa­ geln zustande kam? ches bewegt. (Abg. Hiersemann: Schauen Sie sich doch (Ausgezeichnet' und Sehr gut! bei der CSU) einmal die frühere Besetzung der Gerichte Wenn er das nicht tut, ist er als Lehrer und Pädagoge anl) fehl am Platze. Ich weiß, daß das schwierig ist; man - Ich habe es Ihnen doch gerade vorgelesen, im kann nicht immer auf dem neuesten Stand sein, aber Bund waren es ja wohl klare Mehrheitsverhältnisse' 20 Jahre zurück ist eindeutig zu wenig. Meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar Be­ (Beifall bei der CSU) merkungen zum Straf v o 11 zu g machen. Den Meine Damen und Herren' Ich möchte ein paar Worte GRÜNEN schlage ich zunächst einmal vor, sich unter­ zu der Richter w a h 1 im Bund sagen, von der einander zu einigen; denn was der Herr Abgeordnete Herr Kollege Wirth gesprochen hat. Ich habe zwar Kamm gesagt hat, der Schuld und Sühne in den Mit­ erst einige Monate Einblick in diesen Bereich, aber telpunkt seiner Erörterungen gestellt hat, wider­ ich kann bereits sagen: Gott sei Dank haben wir so spricht ziemlich diametral dem, was der Herr Abge­ etwas in Bayern nicht! Gott sei Dank wird nicht ordnete Kestel zu diesem Thema von sich gegeben 1794 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Ptenarprotokoll 11/28 v_ 24.06.87

(Staatsministerin Dr. Berghofer-Weichner) ben, was ihnen von den Gefangenen erzählt wird, einen Erfahrungsprozeß durchmachen, der nicht im­ hat. Also, es wäre gut, wenn hier eine Einigung statt­ mer ohne persönliche Betroffenheit abgeht. Daß sie finden könnte. trotzdem bei der Sache bleiben, engagiert sind und Herr Kollege Wirth, sicher ist Sühne ursprünglich ein einen wichtigen Part in unserem Strafvollzug spielen. religiöser Begriff. Aber Resozialisierung ist doch der ohne sie so nicht laufen könnte, verdient beson­ nicht möglich ohne Einsicht in die Schuld und ohne dere Hervorhebung und besonderen Dank. die Bereitschaft, mit dieser Schuld zu brechen und die Strafe als ein Mittel dazu anzunehmen. Das ist Meine sehr verehrten Damen und Herren' Ich könnte zwar ein recht hoher Anspruch, aber ohne diesen, so natürlich noch zu einer Reihe weiterer Beiträge etwas meine ich, ist Resozialisierung nicht möglich. In ei­ sagen. Ich will aber Ihre Geduld nicht länger in An­ nem, wenn Sie wollen, säkularisierten Sinne ist es spruch nehmen. Es muß ja heute nicht das einzige das, was wir unter Sühne verstehen. Mal sein, daß wir uns hier über rechtspolitische The­ men unterhalten. Ich bedanke mich für die zahlreiche Sie haben selbst gesagt, daß wir vor zehn Jahren Teilnahme und die Beiträge. Ich bitte um Zustimmung beim Erlaß des Strafvollzugsgesetzes „in erster Li­ zu meinem Etat. nie" die Resozialisierung gesehen hätten. Ich frage also: Wo bleiben die anderen „Linien"? Sie wollen (Anhaltender Beifall bei der CSU) jetzt plötzlich die erste zur einzigen Richtschnur ma­ chen. Wir sollten auch in diesem Punkt dem Urteil Erster Vizepräsident Möslein: Das Wort erteile ich des Bundesverfassungsgerichts, das dankenswerter­ dem Abgeordneten Dr. Kestel zur Abgabe einer per­ weise Herr Kollege Weiß schon zitiert hat, folgen und sönlichen Erklärung nach § 110 unserer Geschäfts• auch die anderen Gesichtspunkte wie die Sühne und ordnung' den Schutz der Gesellschaft vor Straftätern, die selbstverständlich im Strafurteil bei der Strafbemes­ Dr. Kestel (DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Frau Mini­ sung eine Rolle spielen, in das Strafvollzugsgesetz sterin, Sie haben mir vorhin den Vorwurf gemacht, aufnehmen. daß ich veraltete Literatur von 1965 verwendet hätte. (Abg. Klasen: Generalprävention steht doch Ich darf darauf hinweisen, daß Verhaltensbiologie drin') eine exakte Naturwissenschaft ist und daß Erkennt­ nisse aus dem Jahr 1965 selbstverständlich heute - Aber nicht die Sühne. noch gelten. Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß (Abg. Klasen: Richtig!) ich die Literatur in meinen Naturwissenschaften bis heute weiter verfolge. Wir sollten das, was unbestreitbar bei der Strafzu­ messung eine Rolle spielen muß, nicht in einer skurri­ (Beifall bei den GRÜNEN - Widerspruch bei len Art vom Strafvollzug abtrennen; denn auch dort der CSU - Glocke des Präsidenten) behandeln wir den Täter im Hinblick auf seine Tat, und nicht eine abstrakte Figur, die resozialisiert wer­ Erster Vizepräsident Möslein: Wir kommen zur A b - den soll. stimm u n g. Der Abstimmung zugrunde liegt der (Abg. Klasen: Was hat das mit Entwurf des Einzelplanes 04 sowie die Beschlußemp• Vollzugslockerungen zu tun?) fehlung des Ausschusses für Staatshaushalt und Fi­ Das Bundesverfassungsgericht hat in dem speziellen nanzfragen, ausgedruckt auf Drucksache 11 /1918. Fall entschieden, daß die Schwere der Schuld natür• Die Kap i t e 1 0401 und 0402 werden zur unverän• lich auch Einfluß darauf hat, inwieweit Vollzugslocke­ derten Annahme empfohlen. rungen gewährt werden. Bei Kap i t e 1 0404 Titel 42201 und 42511 ist ein­ (Zuruf: Nicht nur!) schlägig der Ä n d e r u n g s a n t r a g des Abgeord­ - In dem speziellen Fall ging es um Urlaub oder Aus­ neten Wirth und anderer auf Drucksache gang. Diese Entscheidung ist verbindlich, und wir 11 /1835, wonach zur Verbesserung der Personalsi­ werden sie im Strafvollzug, wie das schon bisher je­ tuation bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften der vernünftige Anstaltsvorstand gemacht hat, be­ die Planstellen für Richter und Staatsanwälte um 120 achten; denn es steht fest, daß dies der geltenden und für Angestellte des Geschäftsstellen- und Kanz­ Rechtslage entspricht. leidienstes um 150 erhöht werden sollen. Der Aus­ Meine sehr verehrten Damen und Herren' Ich möchte schuß empfiehlt die Ablehnung. Wer für die Annahme mich sehr herzlich für die Anregungen aus den Rei­ ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Opposi­ hen der CSU-Fraktion bedanken. Ich bin an einem tion. Gegenstimmen? - Das ist die Mehrheit. Damit Gespräch mit dem Parlament, auch mit Mitgliedern ist der Änderungsantrag ab g e 1eh n t. der Opposition, immer interessiert, soweit es Ihnen Bei der gleichen Haushaltsstelle ist einschlägig der um die Sache und nicht um politische Schau geht. Änderungsantrag des Abgeordneten Wirth auf Ein besonderes Wort des Dankes möchte ich gerade Drucksache 11 /1834, wonach der Justizentwick­ unter diesem Aspekt an alle Kolleginnen und Kolle­ lungsplan fortgeschrieben und die Personalsituation gen richten, die in Gefängnisbeiräten tätig sind. Ich der Justiz bedarfsgerecht den gestiegenen Anforder­ weiß, daß dies eine schwierige und undankbare Auf­ nissen angepaßt werden soll. Es ist Ablehnung emp­ gabe ist und daß manche, die mit großem Idealismus fohlen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich an die Aufgabe herangehen und zunächst alles glau- um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Gleiches Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1795

(Erster Vizepräsident Möslein) Annahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion der GRÜNEN. Gegenstimmen Abstimmungsverhalten wie vorher. Damit ist der Än­ bitte ich anzuzeigen! - Die Fraktion der CSU. Stimm­ derungsantrag a b g e 1 e h n t. enthaltungen? - Die Fraktion der SPD. Damit ist der Bei der gleichen Haushaltsstelle ist noch einschlägig Änderungsantrag a b g e 1 e h n t. der Ä n d e r u n g s a n t r a g der Abgeordneten Säu• Bei Ti t e 1 681 02 des gleichen Kapitels ist einschlä• mer und Fraktion auf Drucksache 11/1653, wo­ gig der Änderungsantrag des Abgeordneten nach zur Bekämpfung wirtschafts- und umweltkrimi­ Säumer und anderer und Fraktion auf Drucks a - neller Handlungen eine zusätzliche Kammer und je c h e 11/1656, wonach die Mittel für die Gefangenen­ eine zusätzliche Staatsanwaltschaft in jedem bayeri­ und Entlassenenfürsorge um 100 Prozent angehoben schen Regierungsbezirk geschaffen werden sollen. werden sollen. Auch hier ist Ablehnung empfohlen. Der Ausschuß empfiehlt auch hier Ablehnung. Wer Wer ist für die Annahme? - Gegenstimmen? - Die für die Annahme ist, den bitte ich um das Handzei­ Mehrheit. Damit ist er ab g e 1 eh n t. chen. - Gegenstimmen? - Letzteres war die Mehr­ heit. Damit ist der Änderungsantrag a b g e 1 e h n t. Bei der Ti t e 1 g r u p p e 71 des gleichen Kapitels ist einschlägig der Ä n d e r u n g s an t r a g der Abge­ Nach dem Ä n d e r u n g s a n t r a g der Abgeordne­ ordneten Säumer und anderer und Fraktion auf ten Bause, Säumer und Fraktion auf Drucksache Drucksache 11 /1655, wonach die Mittel für die 11/1800 sollen bei der gleichen Haushaltsstelle die Gefangenenpflege wesentlich aufgestockt werden Mittel dafür ausgebracht werden, daß eine Kammer sollen. Der Ausschuß empfiehlt Ablehnung. Wer für und eine zusätzliche Staatsanwaltschaft für Straftaten die Annahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. - gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen Danke. Gegenstimmen? - Das ist die Mehrheit. und Mädchen eingerichtet werden kann. Der Aus­ Stimmenthaltungen ? - Keine. Damit ist der Ände­ schuß empfiehlt die Ablehnung des Änderungsan­ rungsantrag a b g e 1 e h n t. trags. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen? - Kapitel 04 05 bleibt somit unverändert. Letzteres war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist Meine Damen und Herren! Damit kommen wir zur abgelehnt. Sc h 1 u ß abstimm u n g. Bei Ti t e 1 42511 des gleichen Kapitels empfiehlt der Unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Ände­ Ausschuß für Staatshaushalt und Finanzfragen, den rungen ergeben sich folgende Abschlußsummen: Haushaltsansatz für 1987 um 850000 DM und für 1988 um 2 Millionen 650000 DM zu erhöhen. 1987 Gesamteinnahmen 716 902 000 DM Bei Ti t e 1 53302 des gleichen Kapitels ist einschlä• Gesamtausgaben 1 509 657 300 DM gig der Ä n d e r u n g s a n t r a g des Abgeordneten Gesamtzuschuß 792 755 300 DM Wirth und anderer auf Drucksache 11/1684, wo­ nach die Mittel für 30 zusätzliche Stellen für Bewäh• 1988 rungshelfer ausgebracht werden sollen. Der Aus­ Gesamteinnahmen 732 902 000 DM schuß schlägt Ablehnung vor. Wer entgegen dieser Gesamtausgaben 1 561 167 500 DM Empfehlung für die Annahme ist, den bitte ich um das Gesamtzuschuß 828 265 500 DM. Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen? - Wer dem E i n z e 1p 1a n mit den vorgeschlagenen Letzteres ist die Mehrheit. Damit ist der Änderungs­ Änderungen und den soeben bekanntgegebenen Ab­ antrag a b g e 1e h n t. schlußsummen seine Zustimmung geben will, den Unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Ände­ bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Danke. Gegen­ rung erhöhen sich die Kapitelsummen bei Kapitel stimmen bitte ich auf die gleiche Weise anzuzeigen. - 0404 bei den Gesamtausgaben und beim Zuschuß für Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Einzelplan 1987 um 850000 DM und für 1988 um 2650000 DM. 04 an genommen. Dem Einzelplan 04 sind folgende An 1a gen beige­ Bei K a p i t e 1 04 05 Titel 422 02 ist einschlägig der fügt: Ä n d e r u n g s a n t r a g des Abgeordneten Wirth und anderer auf Drucksache 11 /1683, wonach 1. Übersicht über die Verpflichtungsermächtigungen die Planstellen für Werkmeister in den Justizvollzugs­ im Einzelplan 04 anstalten um zehn erhöht werden sollen. Der Aus­ 2. Sonderausweis der staatlichen Hochbaumaßnah• schuß schlägt die Ablehnung vor. Wer ist für die An­ men mit mehr als 750 000 DM Gesamtkosten im nahme? - Danke. Gegenstimmen? - Letzteres ist die Einzelfall für den Bereich des Einzelplans 04 - An­ Mehrheit. Auch dieser Änderungsantrag ist ab g e - lage S- lehnt. Zur Anlage S empfiehlt der Ausschuß für Staats­ Bei dem gleichen Kapitel ist einschlägig der Ä n de - haushalt und Finanzfragen eine Reihe von Ände­ r u n g s a n t r a g des Abgeordneten Säumer und an­ rungen. Ich darf hierzu auf die Anlage zu Drucksa­ derer und Fraktion auf Drucksache 11 /1654, wo­ che 11/1918 verweisen. nach für die Durchführung eines Modellversuchs „Therapie statt Strafe" ein neuer Titel mit einem 3. Stellenplan für den Geschäftsbereich des Bayeri­ Haushaltsansatz von fünf Millionen DM je Haushalts­ schen Staatsministeriums der Justiz jahr ausgebracht werden soll. Der Ausschuß schlägt Entsprechend dem Änderungsantrag der Abgeord­ vor, den Änderungsantrag abzulehnen. Wer für die neten Dr. Merkl, Dr. Wilhelm, Dr. Manfred Weiß und 1796 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarpro1okoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Erster Vizepräsident Möslein) Das Auftrillsverbot für Mitglieder der Staatsregierung wurde am 7. April dieses Jahres ausgesprochen. Zu anderer (Drucksache 11 /1128) empfiehl1 der Aus­ der Plenarsitzung, die in dieser Woche stattfand, schuß für Staatshaushall und Finanzfragen, im hatte die SPD einen Dringlichkeitsantrag eingereicht Stellenplan bei Kapitel 0404 Titel 42201 die Plan­ mit dem Ziel, solche Auftrittsverbote künftig zu ver­ stellen für Richter und Beamte um insgesamt sech­ hindern. zig für die Haushaltsjahre 1987 und 1988 zusätzlich zu erhöhen. Sie haben durch ein Verschieben auf die formale Die Verteilung auf die einzelnen Besoldungsgrup­ Ebene und eine an den Haaren herbeigezogene juri­ pen bille ich der Drucksache 11/1918 zu en1neh­ stische Diskussion die Zulässigkeit dieses Dringlich­ men. keitsantrages bezweifelt. Sie haben alles versucht, um diesen Vorfall zu überspielen. Trotzdem ist es not­ Ich stelle fest, das Hohe Haus ist mit den vorgeschla­ wendig, heute im Parlament darüber zu reden. Ich genen Änderungen einverstanden und nimmt im übri• möchte Ihnen zunächst noch einmal vorhalten, was gen von den Anlagen Kenntnis. nun wirklich geschehen ist. Außerdem hat der Ausschuß für Staatshaushalt und Drei Wochen vor dieser Veranstaltung des sehr auf­ Finanzfragen zum Einzelplan 04 noch folgende Be­ müpfigen, bekanntlich linkslastigen Bayerischen schlußfassung vorgeschlagen: Rundfunks, Abteilung Fernsehen, in Salzburg sagten Im übrigen wird das Staatsministerium der Finan­ zwei Mitglieder der Staatsregierung, der Herr Innen­ zen ermächtigt, die erforderlichen Berichtigungen minister und der Herr Staatssekretär im Umweltmini­ 1n den Erläuterungen zum Sachhaushalt und zum sterium, ihre Teilnahme zu. Stellenplan beim endgültigen Ausdruck des Einzel­ (Zuruf von den GRÜNEN: Wo sind denn die plans 04 vorzunehmen. heute?) Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Hand­ - Ich werde das schon ausführen, ich lasse mich da zeichen. - Danke. Gegenstimmen? - Stimmenthaltun­ nicht beirren. Man muß es ihnen wiederholt sagen, gen? - Bei Stimmenthaltung der Opposition so a n - weil es ihre Selbstachtung betrifft. genommen. (Zuruf von den GRÜNEN: Die haben Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 16: Auftrittsverbot' - Heiterkeit) Antrag des Abgeordneten Hiersemann und Fraktion Liebe Kollegen. Das wird ganz schön und breit ge­ betreffend Teilnahme von Mitgliedern der Staatsre­ schildert. Die beiden Herren, die betroffen sind, wa­ gierung an öffentlichen Veranstaltungen (Drucksa­ ren zeitweilig da, vielleicht sind sie deshalb ver­ che 11 /1462) schwunden, damit sie es nicht so zu Ohren bekom­ men, ich weiß es nicht. Oder haben sie heute auch Über die Beratungen im Ausschuß für Verfassungs-, Auftrittsverbot? Das könnte sein. Rechts- und Kommunalfragen (Drs. 11 /1729) berich­ tet der Herr Kollege Hilmar Schmitt. Ich erteile ihm Wenige Tage vor der Veranstaltung wurde ihnen ge­ das Wort. sagt, sie dürften nicht teilnehmen. (Zurufe) Schmitt Hilmar (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Ausschuß - Ach, Sie sind ja da. Entschuldigung, Herr Kollege. für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen hat Sie saßen vorhin hier vorne. diesen Antrag in der Sitzung am 6. Mai 1987 behan­ Sie durften nicht teilnehmen, und zwar mit der Be­ delt. Der Mitberichterstatter, Herr Kollege W i d - gründung, es bestehe die Möglichkeit, diese beiden man n von der CSU, hat den Standpunkt vertreten, Mitglieder der Staatsregierung könnten von den daß dieser Antrag unzulässig sei, weil er den Kernbe­ österreichischen Freunden angepöbelt werden und reich der Regierungstätigkeit berühre. eventuell der Diskussion nicht gewachsen sein. 1 c h habe unseren Standpunkt dargestellt, indem ich Das war natürlich ganz fein. Die beiden waren nach auf die Unmöglichkeit dieses Verhaltens hingewiesen der Meinung ihres Regierungschefs einer Diskussion, habe. ich will das nicht weiter ausführen, weil ich mich die das Bayerische Fernsehen im Nachbarland Öster• anschließend zu Wort gemeldet habe. reich, im Salzburgischen, veranstaltete, voraussicht­ Der Antrag wurde mit den Stimmen der CSU gegen lich nicht gewachsen. Wir sind ja viel gewohnt, und drei Stimmen der SPD abgelehnt. wir kennen auch die allgemein demutsvolle Haltung nicht nur von Mitgliedern dieses Hauses, sondern Erster Vizepräsident Möslein: Erste Wortmeldung auch von Mitgliedern der Staatsregierung gegenüber Herr Abgeordneter Schmitt. Bille' dem Herrn Ministerpräsidenten, aber das war bisher wohl der Gipfel dessen, was man erleben konnte. Schmitt Hilmar (SPD): Herr Präsident, meine sehr (Beifall bei der SPD) verehrten Damen und Herren! Von Ihrer Seite ist alles geschehen, um diesen unmöglichen Vorfall herunter­ Sie müssen sich vorhalten lassen, kultartige Verhält• zuspielen. nisse gegenüber dem Ministerpräsidenten zu entwik- Plenarprotokoll 11128 v. 24.06.87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1797

(Schmitt Hilmar [SPD]) lieh. Da gab es doch Einreiseverbote auch für Mön• che und Nonnen und körperliche Untersuchungen. kein. Das mag irgendwo fern der Hauptstadt vielleicht aus Unkenntnis der Dinge angehen, aber wenn es die (Widerspruch von der CSU) Regierung und Mitglieder dieses Hauses, frei ge­ Nun handelte es sich also um Mitglieder der Staatsre­ wählte Volksvertreter tun, dann ist das nicht nur gierung, und kein Protest. Früher dagegen, vor Jah­ schlimm, dann ist das erbärmlich zu nennen. ren, ich erinnere mich noch gut an den Vorfall, haben (Zustimmung bei der SPD und den Sie alle, wie Sie hier sind, sich einen ganz groben GRÜNEN) Vorwurf von gleicher Stelle gefallen lassen. Der ganze Vorgang setzt zwei Dinge voraus: auf der Da wurden Sie, Abgeordnete des Bayerischen Land­ einen Seite eine maßlose Selbstüberschätzung des­ tags, als „dumm, faul und nur auf Feuerwehrfesten anzutreffen" qualifiziert. So hieß es damals wörtlich; sen, der dieses Auftrittsverbot ausgesprochen hat, das ist die gleiche Kategorie. Ich habe von keinem gegenüber den anderen Mitgliedern der Regierung, von Ihnen, auch nicht zu Hause, gehört, daß er es (Beifall bei der SPD) sich verbeten hätte, von höchster Stelle, von seinem Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden, so be­ und auf der anderen Seite hingebungsvolle Demut handelt zu werden. Dazu gehört schon viel. und Fußfälligkeit bei denen, die sich auf diese Weise einen Maulkorb verpassen lassen. Ich kenne gerade die beiden angesprochenen Mit­ glieder der Staatsregierung etwas besser als andere (Frau Abg. Stamm: Sie haben wirklich Mitglieder der Staatsregierung oder andere Mitglie­ Sorgen!) der dieses Hauses, und ich hätte von beiden erwar­ - So ist das, ja. Der Herr Ministerpräsident hält immer tet, daß sie Manns genug wären und sagen: So etwas so viel auf seine historische Bildung, deshalb mal eine nicht mit mir! Geschichte als Beispiel: König Alexander von Make­ (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) donien hat mit seinem Sieg in der Schlacht bei Gau­ gamela den endgültigen Untergang des Persischen Es ist doch wirklich die ganz große Frage, ob ein Mi­ Großreiches eingeleitet. nisterpräsident, auch wenn er so verehrt wird wie von Ihnen, wegen so etwas den Mumm gehabt hätte, des­ (Zurufe von der CSU) wegen die Regierungsbank zu verlassen. Das Schlimme ist, daß Sie sich das nicht haben trauen - Nein, lssos war zwei Jahre vorher, Sie kennen sich dürfen, daß Sie nicht den Mumm hatten. Als wir dar­ nicht genug aus. Der Herr Ministerpräsident hätte Sie über im Ausschuß diskutiert haben, habe nicht nur an meiner Stelle schon belehrt. Es war also zwei ich, sondern haben auch andere aus unserer Fraktion Jahre später. Er hat dann nach diesem gewaltigen mit einigen von Ihnen gesprochen, die heute hier sit­ Sieg die Sitte des Fußfalles eingeführt, die bis dahin zen, die ich im einzelnen nicht nennen möchte, weil nur an den orientalischen Fürstenhöfen üblich war. sie sonst rote Ohren bekämen, Das hat die Makedonier sehr verwundert und hätte beinahe zu einem Umsturz durch das makedonische (Heiterkeit) Heer geführt. die hinter vorgehaltener Hand gesagt haben: Ja, mit Sie sind langsam so weit, zu überlegen, ob Sie viel­ mir nicht! leicht eines Tages nicht auch die Sitte des Fußfalles (Abg. Niedermayer: Das ist doch kein Thema vor dem Herrn Ministerpräsidenten einführen. fürs Plenum 'I (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) - Herr Niedermayer, so ist geredet worden; ich be­ stätige Ihnen, daß Sie das nicht gesagt haben, aber Ich illustriere das an einem Beispiel: Der Herr Innen­ andere haben es gesagt. minister, von dem in den Zeitun9en gesagt wurde, er hätte einige Tage mit dem Gedanken gespielt, seinen (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Rücktritt anzubieten, hat dann nach undementierten Vielleicht war das der Sinn Ihres Zwischenrufs. Sie Zeitungsmeldungen folgendes äußern lassen: Er haben es also nicht gesagt. Man muß immer aufpas­ habe sich für dieses Auftrittsverbot fernmündlich sen: Wenn das System der Fleißkarten wieder einge­ beim Herrn Ministerpräsidenten bedankt. führt wird, dann müssen Sie präpariert sein, wie Sie Man höre und staune: Er hat sich noch dafür be­ sich zu verhalten haben. dankt, daß einer ihm sagt, er sei zu dumm, im Aus­ Ich will Ihnen nicht vorenthalten, wie die öffentliche land eine Fernsehdiskussion zu bestreiten, sei dieser Reaktion darauf war. Da einige dazu neigen, selektiv nicht gewachsen. Vielleicht lag dieses Auftrittsverbot zu lesen - die Hauspostillen, die Sie bestätigen, und daran, daß der Herr Ministerpräsident wenige Wo­ vielleicht noch den „Bayernkurier" als kritisches Blatt chen vorher bei einem Besuch des Opernballs in -, möchte ich mit der Genehmigung des Herrn Präsi• Wien von einigen Demonstranten etwas unfreundlich denten aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 9. April empfangen worden war. Das war aber nach allem, dieses Jahres zitieren. Unter der Überschrift „Zoff in was mit den Österreichern geschehen ist, verständ- der Straußschen Kinderkrippe" schrieb dieses Blatt: 1798 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Schmitt Hilmar [SPD]) etwas gefunden haben. Ich gebe zu, daß der Herr Mi­ nisterpräsident Franz Josef Strauß durchaus ein mit­ Bayerische Minister und Staatssekretäre sind leidiges Herz mit der Opposition hat und ihr gelegent­ manchmal wie richtige Kinder. Überall wollen sie lich einen Politschnuller liefert, an dem sie dann mo­ herumstöbern, bei jedem Remmidemmi müssen natelang mit politischer Freude saugen kann. sie dabei sein, kein heißes Eisen ist vor ihnen si­ cher, und kaum ein heißer Brei wird angerührt, an (Heiterkeit und Beifall bei der CSU) dem sie sich nicht die Schnäbel verbrennen. Ein Aber ansonsten werde ich mich in dieser Sache an Hausvater wie Franz Josef Strauß hat da den lieben die Juristen halten. langen Tag zu tun: Hier ist eine Strafarbeit fällig oder sogar eine Kopfnuß, dort muß man es mit ei­ (Abg. Klasen: Aha') nem motivierenden Verweis versuchen; - Aha? Herr Kollege Klasen, ich glaube, das war Ihre (Lachen bei der CSU) Stimme. Sie sind doch Jurist.

hier heißt es zausen, dort auf die Finger klopfen, Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege, und was nun gar den heißen Brei angeht, so muß gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen man ihn, wenn zum Blasen keine Zeit mehr ist, den Klasen? Rangen einfach wegziehen, vielleicht schweren Herzens! Widmann (CSU): Ja, gerne. Ich warte ja schon lange Der Artikel geht dann noch weiter. Er war bezeich­ darauf. nend für das Echo im gesamten bayerischen Blätter• wald, von ganz auf Sie fixierten Blättern einmal abge­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte, Herr sehen. Kollege Klasen 1

Es ist nicht nur erbärmlich und beschämend für Sie, Kissen (SPD): Herr Kollege Widmann, nachdem Sie daß weder Sie noch sonst jemand aus Ihrer Partei als Nichtjurist sich an die Juristen halten, darf ich die reagiert hat. Daß Sie so mit sich herumspielen lassen, Annahme äußern, daß Sie zur Sache keine Meinung zeigt, daß Sie ein vorsintflutliches Verhältnis zu Ihrem haben, oder hoffen Sie immer noch, vielleicht doch ei­ Ministerpräsidenten haben. Das läßt den Schluß zu, nen Kabinettsposten zu bekommen? daß auch Ihr Verständnis des Verhältnisses zwischen Staatsbürgern und Regierung, Ihr Kernverständnis, (Zurufe von der CSU: Schwach! - Abg. Frau welches demokratische Verhalten eigentlich normal Stamm: Ein typischer Klasen 'I und üblich sein muß, vom Normalen weg in die Zeit vor der Sintflut reicht. Widmann (CSU): Herr Kollege Klasen, den letzten Teil der Frage hätten Sie sich sparen können; Sie wis­ Das war schlimm und schlecht. Sie sollten nur durch sen genausogut wie ich, daß ich nie einen bekomme, meinen Beitrag daran erinnert werden, daß vielleicht ich will auch keinen. der eine oder andere in Zukunft mal etwas anderes tun kann. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) Zweitens: Eine juristische Meinung ist doch auch eine Meinung, Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster (Anhaltende Heiterkeit) Redner Herr Kollege Widmann. Ich erteile ihm das und zwar eine, die vom Recht her gedeckt ist, auch Wort. wenn man sagt, drei Juristen hätten drei Meinungen. Widmann (CSU): Herr Präsident, meine sehr verehr­ Die juristische Meinung, meine Damen und Herren, ist folgende: Reisen der Staatsminister und Staatsse­ ten Damen und Herren 1 Man merkt so richtig, welche kretäre in das Ausland sind in 1 der Geschäftsord• Freude die Opposition hat, hier einen schönen Polit­ § nung der Bayerischen Staatsregierung, der mit „Auf• schnuller gefunden zu haben. Sie wissen ja, ein gaben des Ministerpräsidenten" überschrieben ist, Schnuller ist ein Diez!, an dem man saugen kann und geregelt. Dort heißt es wörtlich: woran man richtige Freude entwickeln kann. (Abg. Frau Pausch-Gruber: Jetzt wird es (Heiterkeit bei der CSU - Abg. Klasen: Und spannend!) wie ist es bei euch?) Dienstreisen der Staatsminister und Staatssekre­ Das Problem ist halt folgendes: täre ins Ausland bedürfen der Zustimmung des Mi­ In der politischen Sachdiskussion können Sie dem nisterpräsidenten. Franz Josef Strauß schwerlich das Wasser reichen. In (Abg. Langenberger: Haben die dagegen Bayern laufen die Dinge halt erstaunlich gut, und da verstoßen? Haben die nicht gefragt?) tun Sie sich mit Opposition wahnsinnig schwer. Des­ halb haben Sie jetzt, meine Damen und Herren, gera­ Sonstige Reisen von Mitgliedern der Staatsregie­ dezu eine kindische Freude, ein politisches Luster­ rung ins Ausland sind vor Antritt der Reise dem Mi­ lebnis, also einen Politschnuller, weil Sie endlich nisterpräsidenten anzuzeigen. Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1799

(Widmann [CSU]) dazu bewegen, freiwillig sein Ministeramt aufzuge­ ben, oder er muß andere Wege finden, also das Kabi­ (Abg. Frau König: Da steht aber nicht, daß nett anders besetzen. Aber es ist doch eine Unmög• er zustimmen muß!) lichkeit zu sagen, der ist zu dumm, in Österreich zu Das ist völlig eindeutig formuliert. diskutieren, aber gut genug, hier die Verfassung zu hüten. Das ist doch wohl kaum durchsetzbar. (Abg. Klasen: Und warum hat er nein gesagt?) (Zustimmung von den GRÜNEN) Die Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregie­ Ich komme zum nächsten Punkt und zum Kollegen rung regelt die innere Organisation der Staatsregie­ Widmann. Das war ganz nett mit dem Dauerlutscher rung und die Aufgaben und Stellung ihrer Mitglieder. für die Opposition - oder wie haben Sie gesagt? Der Erlaß der Geschäftsordnung ist nach Artikel 53 Satz 1 der Bayerischen Verfassung eine originäre (Abg. Gabsteiger: Lolli hat er gesagt!) Aufgabe der Staatsregierung. Diese Geschäftsord• Ich glaube, den Spiegel müssen Sie sich einmal vor­ nung, ich wiederhole es, unterliegt keiner parlamenta­ halten. Wer hier das alles noch gutheißt und sich rischen Kontrolle. selbst degradiert, das sind doch Sie, die Sie das auch (Frau Abg. Wax-Wörner: Gott sei Dank!) noch mitmachen, die Sie ja eventuell alle mal ministra­ bel sind. Ich weiß es nicht, aber es ist ja möglich. Erteilen oder Versagen der Zustimmung unterliegt ausschließlich der Beurteilung des Ministerpräsiden• (Abg. Warnecke: Bei der Vorgabe ist das ten. beinahe jeder!) Jetzt kommt der letzte Satz, Herr Kollege Klasen: Wollen Sie sich dann auch sagen lassen, sei es von Eine außergewöhnliche politische Begabung kann Herrn Strauß, dessen politische Kapazität ich hier sich auch außergewöhnliche Maßnahmen erlauben' überhaupt nicht in Zweifel ziehen will, sei es von sei­ nem Nachfolger: Sie sind doch zu dumm, um mit ir­ (Heiterkeit - Beifall bei der CSU - Abg. gend jemandem zu diskutieren. Wenn Sie nicht ein­ Hiersemann: Das darf doch nicht wahr sein! mal da einschreiten und Einhalt gebieten, wo wollen - Weitere Zurufe - Glocke des Präsidenten) Sie denn überhaupt noch etwas sagen? Sie sägen sich, sofern Sie überhaupt noch irgendwelche Hocker Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster unter dem berühmten Gesäß haben, die letzten Stum­ Ausspracheredner ist Herr Kollege Säumer! mel ab, die vielleicht noch da sind.

Säumer (DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren! (Abg. Gabsteiger: Das war wohl Ihre Replik auf den Lutscher?) (Abg. Regensburger: Der Säumer muß auch seinen Senf dazu geben') - Ja, es ist ganz richtig. Das war die verbale Replik auf den Lutscher, oder wie war das, Herr Kollege - Ja, natürlich, Sie warten doch schon darauf! Widmann? Ich weiß es nicht mehr ganz genau. (Zuruf von der CSU: Ich nicht') (Zurufe von der SPD: Ein Diezl war es') - Ja, dann müssen Sie rausgehen. Jedenfalls wäre es für Sie ganz richtig, von politi­ (Abg. Leeb: Ein schaler Senf!) schen Daumenlutschern zu sprechen. Nach dem, was wir zu dieser netten Anweisung ge­ (Heiterkeit) hört haben, konnten wir ja nur denken: Mein Gott, Lassen Sie mich noch ein Wort zur Geschäftsord• Herr Strauß hat ja endlich einmal was Richtiges ge­ nung sagen. Geschäftsordnungen können nach der sagt! Was Besseres hätte von uns, von der Opposi­ Bayerischen Verfassung nicht dazu herhalten, Staats­ tion, nicht kommen können. Natürlich sind die Mitglie­ minister zu weisungsgebundenen Staatssekretären der der Regierung meistens den Diskussionen mit zu degradieren. Wenn eine Geschäftsordnung so den Oppositionspolitikern nicht gewachsen. weitgehende Befugnisse zuläßt, und ich kenne die (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD - bayerische Geschäftsordnung, Widerspruch von der CSU) (Abg. Gabsteiger: Was? Das glaube ich Wenn das jetzt aus so berufenem Mund kommt, kann nicht!) man sich dafür doch nur bedanken. stellt sich die Frage, ob sie dann noch im Einklang mit Bei einer zweiten Überlegung denkt man natürlich den Artikeln der Verfassung steht, zumindest wenn auch an das hier so oft im Mund geführte Wort von sie so gehandhabt wird, wie das Herr Strauß hier für der bayerischen Liberalität. Wenn sie schon im eige­ richtig hält. nen Haus so gehandhabt wird, daß der Herr Minister­ Insgesamt denke ich, daß man sich auch gegenüber präsident meint, einen Staatsminister, immerhin den einem Herrn Ministerpräsidenten Strauß, nicht zuletzt Verfassungsminister, und einen Staatssekretär in der in AIDS-Zeiten, überlegen muß, wann das mit dem Weise gängeln zu müssen, daß er äußert, er halte sie Speichellecken mal ein Ende hat. für zu dumm, im Ausland zu diskutieren, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder muß er diesen Minister (Beifall bei den GRÜNEN) 1800 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Das Wort hat eine deutliche Sprache gegenüber dem Ministerpräsi• der Herr Kollege Hiersemann ! denten. Es geht eben nicht nur darum, wie es am An­ (Frau Abg. König: Wo ist Strauß? - Unruhe - fang vielleicht scheinen konnte, daß irgend jemand ir­ Glocke des Präsidenten) gendwelche anderen lächerlich gemacht hat. Es geht doch um ein Stück mehr. Da ist der Herr Ministerprä• Hiersemann (SPD): Herr Präsident, meine sehr ge­ sident der Meinung, daß der Innenminister, der zu­ ehrten Damen und Herren! Es ist ein bißchen unge­ gleich Verfassungsminister ist, einer Diskussion mit wöhnlich, daß keiner der Beteiligten anwesend ist, Bürgern in Österreich vor dem Fernsehen nicht ge­ während wir diese Diskussion hier führen, wachsen ist. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Abg. Daum: Das geht doch gar nicht!) weder der Herr Ministerpräsident noch der Herr In­ - Natürlich! Er hat ihnen doch gesagt, er hätte Angst, nenminister. daß sie angepöbelt werden und der Diskussion nicht (Abg. Daum: Aber der Staatssekretär ist gewachsen wären. hier!) (Abg. Daum: Es ging doch Wien voraus!) - Der Herr Staatssekretär ist hier; er saß vorhin unter Wie soll denn eigentlich der Freistaat Bayern auf In­ den Abgeordneten; jetzt sitzt er wieder auf der Re­ nenministerkonferenzen unter Fachleuten vertreten gierungsbank. Ich bin gespannt, ob er das Wort werden, wenn der Innenminister schon der Diskus­ nimmt oder ob er heute auch Auftrittsverbot hat. sion mit Bürgern nicht gewachsen sein soll? (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ich gebe zu, Herr Kollege Widmann, Sie waren vorhin Ich begreife das nicht. Ich werte da etwas anders, als in keiner leichten Situation, das begreife ich, und dies der Kollege Säumer getan hat. Ich bin schon der nicht jedem liegt es, seine Meinung so deutlich zu Meinung, daß der Innenminister zwar sehr oft falsche formulieren, wie das der Kollege Werksleiter neulich politische Ansichten hat; aber die Fachkompetenz einmal schriftlich getan hat. spreche ich ihm nicht ab. Warum helfen Sie mit, daß Herr Kollege Widmann, Sie haben gemeint, die Oppo­ Ihr eigener Innenminister vom Ministerpräsidenten sition hätte jetzt einen Diezl. Das mag schon so sein. abgemeiert wird, wie das hier geschehen ist? Das be­ Aber, Herr Kollege Widmann, das Erfreuliche oder - greife ich nicht. je nach dem, von welcher Seite man das sieht - das (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Unerfreuliche daran ist, daß die CSU-Fraktion diesen Diezl auch noch ständig in der Hand hält. Ihre Auf­ Herr Kollege Widmann, es ist schon richtig, und so gabe wäre es gewesen, der Opposition den Diezl steht es auch in der Geschäftsordnung, daß die Kabi­ wegzunehmen, indem Sie den Her_rn Ministerpräsi• nettsmitglieder mitteilen und auch anfragen müssen, denten zur Ordnung gerufen hätten. wenn sie ins Ausland verreisen. Aber darüber streiten wir doch gar nicht. Wir streiten über die Antwort des (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ministerpräsidenten, und diese Antwort halten wir für Ihr letzter Satz war, und das war wohl das Wesentli­ unmöglich. che Ihrer Aussagen, denn Geschäftsordnungen kann Man muß sich doch einmal überlegen, was das in der jeder hier selber lesen: „Außergewöhnliche Begabun­ Zukunft heißt. Kann nun der Innenminister bei Diskus­ gen können sich Außergewöhnliches erlauben." Ich sionen standhalten, möchte schon herzlich darum bitten, daß die Kolle­ ginnen und die Kollegen der CSU sich überlegen, ob (Abg. Daum: Sicher!) das denn nicht ein Satz ist, der zutiefst rechtsstaats­ oder braucht er immer eine Amme dabei? Und wenn und demokratiefeindlich ist, ja, wer ist die Amme? Vielleicht ist sie der Herr (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Staatsminister in der Staatskanzlei. Und wenn keine Amme da ist, darf er dann auch nicht fahren? Ich und ob das nicht ein Satz ist, bei dem Sie, wenn Sie gehe davon aus, daß ein Ministerpräsident, der die ihn aufrechterhalten, es dem Herrn Ministerpräsiden• Verantwortung für dieses Land, für dieses Parlament ten überlassen, die Maßstäbe für sein eigenes Han­ und die Staatsregierung und für dieses Volk trägt, nur deln auch selbst zu setzen, weil Sie sich in dieser kompetente Leute in seine Regierung holt, die zumin­ Frage aus der Verantwortung stehlen. dest mit Bürgern diskutieren können. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei SPD und GRÜNEN) Exakt das ist es! In Ihrer Fraktion sitzen viele Juri­ sten, die alle an den Universitäten dasselbe über Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege Staatsrecht und Verfassungsrecht vermittelt bekom­ Hiersemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des men haben wie ich: daß dieses Haus, auch die Regie­ Herrn Kollegen Säumer? rungsfraktion, zur Kontrolle der Regierung da ist. Hiersemann (SPD): Ja bitte, Herr Kollege! (Beifall der Frau Abg. Pausch-Gruber) Dies funktioniert aber in diesem Parlament nicht, Säumer (DIE GRÜNEN): Herr Kollege Hiersemann, denn selbst in einem solchen Fall verweigert die CSU ich wollte Sie nur fragen, ob der Ausdruck „abge- Plenarprotckoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1801

(Säumer [DIE GRÜNEN]) Über die Beratungen im Ausschuß für Sozial-, Ge­ sundheits- und Familienpolitik (Drs. 11/1946) berich­ meiert", den Sie eben gebraucht haben, ein neuer tet Herr Kollege Willi Kaiser. Ich erteile ihm das Wort. Terminus technicus zur Abqualifizierung ehemaliger oder noch im Amt befindlicher Minister im Freistaat Kaiser Willi (SPD), Berichterstatter : Herr Bayern ist? Präsident, meine Damen und Herren! Der aufgeru­ fene Antrag wurde in der Sitzung des Sozialpoliti­ Hiersemann (SPD): Also, Herr Kollege Säumer, ich schen Ausschusses am 14. Mai 1987 behandelt. Be­ kannte den Begriff „abmeiern" bereits vor dieser Le­ richterstatter war ich, Mitberichterstatter Herr Kol­ gislaturperiode. Ich gebe allerdings zu, daß er nun lege Grossmann. eine neue Bedeutung erhalten hat. 1 c h habe den Antragsinhalt vorgetragen, der darauf (Heiterkeit und Beifall bei SPD und abzielt, daß Müttern, die sich nach Kindererziehungs­ GRÜNEN) zeiten arbeitslos gemeldet haben und die keine Ar­ So stellen sich unter dem Strich folgende Fragen, um beit erhalten haben, diese Zeiten als Ausfallzeiten in damit zum Ende zu kommen: der Rentenversicherung anerkannt werden. Es geht hier gar nicht ums Lächerlichmachen, son­ Herr Kollege G r o s s man n hat den Antrag im Na­ men der CSU mit der Begründung abgelehnt, eine dern es geht erstens darum, daß Mitglieder der Zustimmung würde so hohe Belastungen für die Bei­ Staatsregierung von ihrem eigenen Regierungschef tragszahler mit sich bringen, daß dies nicht verant­ auf Dauer beschädigt worden sind. wortbar wäre. Zum zweiten geht es darum, daß dieser Ministerpräsi• Nach einer eingehenden Aussprache ist der Antrag dent selbst im Umgang mit Kabinettsmitgliedern in­ mit den Stimmen der CSU abgelehnt worden. Nach­ zwischen anscheinend jedes Maß und jedes Ziel ver­ dem auch hier im Plenum eine Aussprache darüber loren hat. stattfinden wird, bedarf es keiner weiteren Erörte• Zum dritten geht es darum, daß die CSU-Fraktion im­ rung. mer unfähiger wird, ihrer Kontrollfunktion nachzu­ kommen. Das ist das Entscheidende. zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Weber' (Beifall bei SPD und GRÜNEN) Ich verstehe durchaus, daß Sie Respekt vor der Le­ Weber (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Her­ bensleistung des Herrn Ministerpräsidenten haben. ren! Die Gesellschaft ist im Wandel, die Familien sind Dies ist nicht nur Ihr gutes Recht, dies akzeptiere ich. im Wandel; Sozialpolitik muß sich auf diesen Wandel einstellen. (Frau Abg. Stamm: Weiß Gott, das haben wir!) Der vorliegende Antrag geht in diese Richtung. Er greift ein Problem jener Frauen auf, die nach der Kin­ Gerade aus diesem Respekt heraus erscheint es dererziehung wieder in das Berufsleben eintreten aber um so notwendiger, wenn Fehlleistungen pas­ wollen, die aber bei der derzeitigen Situation des Ar­ sieren - und diese können auch Herrn Franz Josef beitsmarktes, die durch Massenarbeitslosigkeit ge­ Strauß passieren -, daß von Ihrer Seite ein Korrektiv kennzeichnet ist, vielfach keinen Arbeitsplatz finden. geschaffen und nicht ständig auf den Knien vor dem Das ist der Kern des Antrags. Bayerischen Ministerpräsidenten herumgerutscht Lassen Sie mich aber noch einige Vorbemerkungen wird. zum Wandel in unserer hochindustrialisierten Gesell­ (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) schaft machen: Unabhängig vom politischen System vollzieht sich in Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Weitere hochindustrialisierten Gesellschaften ein Wandel da­ Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur hin, daß zum Beispiel das Heiratsalter von Frauen und Abs tim m u n g. Die Ausschüsse empfehlen die Ab­ Männern steigt. Frauen haben heute eine Berufsaus­ lehnung des Antrags. Wer entgegen dieser Empfeh­ bildung, das finden wir richtig, und sie haben somit lung für die Annahme ist, den bitte ich um das Hand­ auch Anspruch auf berufliche Tätigkeit und einen Ar­ zeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD und der beitsplatz. Das hat zwangsläufig zur Folge, daß GRÜNEN. Die Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen' - Frauen nach der Kindererziehungsphase wieder ins Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? - Berufsleben eintreten wollen. Dabei möchte ich ins­ Ich sehe keine. Damit ist der Antrag ab g e 1eh n t. besondere an jene Frauen erinnern, die sich gezwun­ gen sehen, zum Familieneinkommen beizutragen, Ich rufe auf Ta g e s o r d n u n g s p u n kt 19: weil dieses zu gering ist. Dieser gesellschaftliche Wandel muß in die Sozialpolitik eingebunden werden. Antrag der Abgeordneten Weber und anderer be­ treffend Anrechnung von Arbeitslosigkeit nach der Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt ein­ Kindererziehung als Ausfallzeit in der Rentenversi­ gehen. Es gibt derzeit Probleme bei der Altersversor­ cherung (Drucksache 11/455) gung der Frauen. Ich darf Ihnen hierzu aus einem Ar- 1802 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Weber [SPD]) sicherung als Ausfallzeiten angerechnet werden. Schließlich haben Frauen, die keine Kinder erziehen, tikel der „Rundschau der deutschen Hausfrauenge­ wenn sie arbeitslos werden, auch Anspruch darauf, werkschaft" zitieren, wo es unter anderem heißt: daß diese Zeit angerechnet wird. Viele ältere Frauen sind auf Sozialhilfe angewiesen. Der Antrag ist gerade auch im Hinblick auf die Mas­ 79 Prozent der Sozialhilfeempfänger über 65 Jahre senarbeitslosigkeit zu sehen. Sie sind ja davon über• sind Frauen. zeugt, daß in den nächsten Jahren, wenn nichts Ein­ schneidendes geschieht, das Problem der Arbeitslo­ Ich glaube, meine Damen und Herren, das sollte An­ sigkeit nicht gelöst wird. laß sein, zur Altersversorgung der Frauen in Zukunft neue Gedanken einzubringen. Der vorliegende An­ Wir müssen in der Sozialpolitik Schritt für Schritt vor­ trag weist dazu gerade jetzt, da in der Bundesrepu­ angehen. Die Diskussion um die Rentenversicherung und die Bemühungen, die Benachteiligung der blik über eine Strukturreform der Rentenversicherung Frauen, die zur Kindererziehung zu Hause bleiben, zu diskutiert wird, den richtigen Weg. mindern, müssen zusammen gesehen werden. Lassen Sie mich noch etwas zur Finanzierung sagen, Darum, meine Damen und Herren, überlegen Sie sich die im Sozialpolitischen Ausschuß ebenfalls diskutiert noch einmal, ob Sie diesen Antrag wirklich ablehnen wurde. Natürlich kostet die Anrechnung neuer Aus­ müssen oder ob Sie nicht doch zustimmen können. fallzeiten in der Rentenversicherung für Frauen, die Er wäre gerade jetzt, da die Diskussion über die wieder in eine berufliche Tätigkeit eintreten wollen, Strukturreform in der Rentenversicherung ansteht, Geld. Als im Jahr 1957 das System der Rentenversi­ ein notwendiger Beitrag. Denn Ziel des Antrags ist cherung geändert wurde, wurden 31,8 Prozent der es, die Benachteiligung der Frauen im Alter etwas zu Rentenversicherung vom Bund finanziert. Heute wer­ mildern. den 17,5 oder 17,8 Prozent der Ausgaben der Ren­ (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) tenversicherung vom Bund finanziert. zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Zur Altersversorgung der Landwirte zahlt der Bund Wortmeldung, Herr Kollege Grossmann' als Zuschuß 80 Prozent der Beiträge, die Arbeitneh­ mer sonst für ihre eigene Rentenversicherung auf­ Grossmann (CSU): Herr Präsident, meine sehr ver­ bringen. Diese Bundeszuschüsse sind nach sozialer ehrten Damen und Herren! Ich habe diese Auseinan­ Bedürftigkeit voriges Jahr weiter erhöht worden. Ich dersetzung kommen sehen, nachdem der Herr Kol­ spreche mich nicht gegen diese sozialen Verbesse­ lege Weber schon in der spk vom 13. Februar 1987 rungen bei der Finanzierung der Altersversorgung auf die CSU mit dem Satz eingehauen hat, sie möge der Landwirte aus, ihren familienpolitischen Offenbarungseid leisten. (Zuruf von der SPD) (Abg. Sauereisen: Was dann?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das haben damit ich hier nicht mißverstanden werde. Aber ich wir gar nicht nötig. meine, auch zur Altersversorgung der Frauen sind Bundeszuschüsse notwendig. (Abg. Loew: Das sehen wir völlig anders!) (Beifall bei der SPD) Wir haben in den letzten Monaten einiges in der Fami­ lienpolitik getan, gerade auf dem Sektor der Renten­ Es geht, so meine ich, immer um die entscheidende versicherung. Während die damalige SPD-FDP-Re­ Frage der Prioritäten in dieser reichen Bundesrepu­ gierung den Bundeszuschuß gesenkt hat, Herr We­ blik. ber, haben wir ihn wieder erhöht. Der Forderung, die der Kollege Franz erhoben hat, den Bundeszuschuß (Beifall der Frau Abg. Wax-Wörner) erneut zu erhöhen, werden wir selbstverständlich Wenn es um die Frauen geht, die im Alter Renten von nachkommen, wenn es notwendig ist; das haben wir 300, 400 oder 500 Mark haben, kann man nicht sagen, bisher immer bewiesen. daß wir für eine Erhöhung dieser Renten kein Geld Aber lassen Sie mich zum Antrag kommen und sa­ haben. In anderen Bereichen, gen, daß wir, nachdem wir uns darüber eingehend un­ terhalten haben, der Meinung sind, daß wir nicht zu­ (Zuruf von der SPD: Airbus!) stimmen können. In der Rentenversicherung, meine ob es um den Airbus geht oder um vieles andere, sehr verehrten Damen und Herren, muß ein Struktur­ sind plötzlich die Milliarden da! wandel eintreten; das wissen Sie alle. Bei unserem Besuch in Bonn haben wir gehört, daß auch die Kolle­ Ich wende mich gerade an Sie, meine Damen und gen der SPD bei einer Strukturreform mitziehen, die Herren von der CSU: Wenn Sie Familienpolitik ernst auf Dauer hält. nehmen, müssen sie sich auch auf diese Gegeben­ Wir können § 1259 der Reichsversicherungsordnung heiten einstellen. Zur Familienpolitik gehört vor allem, und § 36 des Angestelltenversicherungsgesetzes daß den Frauen, die für die Kindererziehung aus dem nicht schon wieder ändern. In diesen Bestimmungen Berufsleben aussteigen, die aber später wieder ein­ sind die Ausfallzeiten geregelt. Es würde ausufern, steigen wollen, diese Zeiten in der Rentenver- kämen wir der Forderung des Antrags des Herrn Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1803

(Grossmann [CSU]) Jahr der neuen CDU/CSU-Bundesregierung, er­ reichte er mit 15,9 Prozent einen Tiefstand. Kollegen Weber und anderer nach. Wir haben uns darüber unterhalten, Herr Weber, auch über die Be­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege nachteiligung der Frauen im Zusammenhang mit der Hollwich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Massenarbeitslosigkeit, sind aber der Meinung, daß Kollegen Franz? der Antrag ins Uferlose geht, weil er keine Begriffsbe­ stimmung enthält; wir können daher nicht zustimmen. Hollwich (SPD): Bitte schön' Wenn Sie sich etwas auskennen, dann wissen Sie, daß Kindererziehungsjahr und anschließende Arbeits­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Bitte, Herr losigkeit innerhalb eines Zeitraums von vier bis sechs Kollege! Wochen von der Rechtsprechung als Ausfallzeit aner­ kannt werden. Da die Kosten der von Ihnen beantrag­ Franz (SPD): Herr Kollege Hollwich, hätten Sie die ten Regelung nicht zu ermitteln sind, können wir Ih­ Güte, dem Kollegen Grossmann darzustellen, daß wir rem Antrag nicht zustimmen. beispielsweise auch nichts gegen den achtzigprozen­ (Zuruf des Abg. Dr. Kestel) tigen Bundeszuschuß zur landwirtschaftlichen Al­ terskasse haben und daß wir wissen, daß dieser Zu­ Ich bin der Meinung, daß wir langsam Schluß machen schuß möglicherweise sogar noch erhöht werden müssen mit der Gefälligkeitsdemokratie. muß? Der Kollege Grossmann könnte diesen Ge­ (Lebhafter Widerspruch von der SPD und sichtspunkt dann vielleicht in seine Aussagen und den GRÜNEN) Bewertungen vor dem Hohen Haus mit einbeziehen. (Beifall bei der SPD - Abg. Diethei: Das hat Wir können hier so nicht weitermachen, meine Da­ der Kollege Weber schon gesagt') men und Herren' Auf der einen Seite gibt es die Soli­ dargemeinschaft der Versicherten, die treu und brav Hollwich (SPD): Herr Kollege Franz, ich teile voll Ihre ihren Beitrag zahlen, auf der anderen Seite aber, ich Auffassung. Ich gehe auch davon aus, daß nicht nur will mich vorsichtig ausdrücken, würde durch die An­ vom Kollegen Grossmann und den Sozialpolitikern träge, wie Sie sie laufend einreichen, nach meinem der CSU, sondern vom ganzen Haus die Bestrebun­ Gefühl so ungefähr die Reichsversicherungsordnung gen unterstützt werden, den Bundeszuschuß wieder ausgehöhlt werden. auf eine anständige Höhe zu bringen und festzu­ (Zurufe von der SPD, u. a. des Abg. schreiben, Langenberger) (Frau Abg. Stamm: Während ihrer Zeit war Hier können wir nicht mehr mitmachen. In Bonn ist er „anständig"? Mein Gott!) uns ja nahegebracht worden, daß eine Strukturreform damit er nicht mehr manipuliert werden kann. Ich durchgeführt werden muß und daß dabei nicht auf möchte nur nicht die Behauptung im Raum stehen­ Kosten der Solidargemeinschaft dauernd neue Grup­ lassen, daß der Bundeszuschuß zur Rentenversiche­ pen einbezogen werden können. Ich bin deshalb der rung unter der sozialdemokratischen Regierung her­ Meinung, daß wir diesem Antrag nicht zustimmen untergefahren worden ist. Er ist in erster Linie in den können. Zeiten von Adenauer, von Erhard und auch noch von (Beifall bei der CSU) Kiesinger gekürzt worden. (Zustimmung bei der SPD) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Wortmeldung. Herr Kollege Hollwich' zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Grossmann ! Hollwich (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Grossmann hat sich leider Grossmann (CSU): Herr Präsident, meine Damen vor seiner Aussage zum Bundeszuschuß zur Renten­ und Herren! Nur noch einen Satz: versicherung nicht hinreichend orientiert. Ich muß Sie Ich möchte darauf hinweisen, daß nach Berechnun­ korrigieren, Herr Kollege: gen im Jahre 2000 zwei Beschäftigte einen Rentner Zu Beginn der Neuregelung der Rentenversicherung ernähren müssen. Ich glaube, das müßte uns zu den­ durch den Generalionenvertrag 1958 betrug der Bun­ ken geben. deszuschuß in beiden Zweigen der Rentenversiche­ Was Sie zuletzt gesagt haben, Herr Kollege Hollwich, rung 29,8 Prozent. Er war dann bis 1969, bis zum Be­ daß Sie den Bundeszuschuß erhöhen wollten: Das ist ginn der sozial-liberalen Koalition, also noch unter eine Selbstverständlichkeit. Gerade im Hinblick auf CDU/CSU-Bundeskanzlern, auf 17,9 Prozent herun­ die Arbeitslosigkeit muß der Bund Steuergelder dazu­ tergefahren worden. zahlen. (Abg. Daum: Damals haben wir Vollbeschäftigung gehabt!) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Psimmas' Er betrug 1982 16,2 Prozent; auch in der gesamten Zeit der sozial-liberalen Koalition ist er gewissen Frau Psimmas (DIE GRÜNEN): Herr Präsident, meine Schwankungen unterlegen gewesen. 1983, im ersten Damen und Herren! Herr Grossmann, es mutet schon 1804 Bayerischer Landtag - 11. Wahlperiode P!enarprotokoll 11 /28 v. 24. 06_ 87

(Frau Psimmas [DIE GRÜNEN]) Es war doch die sozial-liberale Koalition, die die Zu­ schüsse heruntergefahren hat. Von der jetzigen Koa­ etwas seltsam an, daß ausgerechnet ein Abgeordne­ lition ist erstmals der Bundeszuschuß wieder angeho­ ter der CSU, die ansonsten so viel Wert auf Familien­ ben worden, sicherlich nicht so hoch, wie wir es politik und darauf legt, daß noch mehr Kinder in gerne hätten, aber irgendwie mußte auch der Staats­ Deutschland geboren werden, bei einem Antrag, der haushalt in Ordnung gebracht werden. die Zeit der Kindererziehung mit anschließender Ar­ beitslosigkeit als Ausfallzeit in der Rentenversiche­ Ich will Ihnen nur eines sagen: Norbert Gansel ist rung der Frau anerkannt haben möchte, von Gefällig• nicht unser Mitglied, sondern Mitglied Ihrer Partei. Er keitsdemokratie spricht. Ich glaube, die Gefälligkeiten hat nach der Bundestagswahl, ich glaube von 1980, in dieser Demokratie beziehungsweise in diesem gesagt: Staat finden woanders statt. Das ist für mich keine Die Wahrheit über die Situation der Rentenversi­ Gefälligkeitsdemokratie. Ich meine, mit einer Zustim­ cherung haben wir erst acht Tage nach der Bun­ mung zu dem Antrag würden Sie zeigen, daß es Ih­ destagswahl 1976 erfahren, und die Wahrheit über nen ernst um das Anliegen ist. das Ausmaß der Staatsverschuldung haben wir erst acht Tage nach der Bundestagswahl 1980 er­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Das Wort hat fahren. Ich schlage deshalb vor, die Wahlen künftig Herr Kollege Böhm' um 14 Tage zu verschieben. Wer hat denn die Bevölkerung über die Situation der Böhm (CSU): Herr Präsident, meine sehr verehrten Rentenversicherung angekohlt? Kolleginnen und Kollegen! Worum es bei diesem An­ trag geht. ist sicherlich nicht allen klar; viele haben es (Zurufe von der SPD: Kohl') aber doch verstanden: Das waren doch nicht wir, sondern Sie! Jetzt wollen Sie diejenigen sein, die für die Rettung sorgen. Das Zeiten, in denen Frauen nicht beschäftigt waren, ist keine saubere politische Argumentation. nachdem sie ein Kind geboren haben, sollen so ange­ rechnet werden, als hätten sie in dieser Zeit Versiche­ (Lebhafter Beifall bei der CSU) rungsbeiträge bezahlt, populär gesagt. Das bedeutet. daß für diese Zeiten später dann auch Versicherungs­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächster leistungen gewährt werden, obwohl keine Beiträge Redner ist Herr Kollege Weber. Ich erteile ihm das bezahlt worden sind. Wort. Ein familienpolitisches Bedürfnis, dieses Defizit abzu­ Weber (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Her­ decken, besteht, seit wir die Sozialversicherung ha­ ren! Herr Kollege Böhm, es tut mir leid, Ihnen sagen ben; allerdings hat noch keine Regierung den Ver­ zu müssen, daß Sie offensichtlich, wenn ich Ihrer Ar­ such gemacht, diesem Mißverhältnis abzuhelfen, die gumentation folge, den Antrag nicht richtig verstan­ SPD schon gleich gar nicht. den haben. Jetzt hat eine Regierung dieses Thema angepackt (Abg. Karl-Heinz Müller: Thema verfehlt!) und Erziehungsjahre in der Rentenversicherung ein­ - Da haben Sie das Thema verfehlt, ja. In dem Antrag geführt. Sie hat damit sehr viel gegenüber der vorhe­ geht es nicht um die Anerkennung der Kindererzie­ rigen Situation verbessert hungszeiten; da sind wir uns ja einig. In diesem An­ (Beifall bei der CSU) trag geht es vielmehr um folgendes: Eine Frau will nach fünf, sechs oder sieben Jahren Selbstverständlich ist es schöner, statt um 75 Pro­ der Kindererziehung wieder berufstätig sein. Sie be­ zent um 150 Prozent zu verbessern. Die SPD, die kommt aber keine Arbeit. Sie ist also eine derjenigen eine 75prozentige Verbesserung unterlassen hat, Frauen, die man zur stillen Reserve zählt, die sich schreit jetzt nach der 150prozentigen. Da muß ich aber nicht arbeitslos meldet, weil sie erstens keine schon fragen: Was ist daran eigentlich redlich? Da­ Leistungen bekommt und weil sie zweitens vom Ar­ mals hätte man doch das Problem anpacken sollen! beitsamt gar nicht vermittelt wird, weil das Arbeitsamt (Beifall bei der CSU) in erster Linie Arbeitslose vermittelt, die Leistungen bekommen. Es geht also eindeutig um die Frauen, die Jetzt wertet man ab, was geschehen ist, indem man wieder arbeiten wollen, aber keine Arbeit bekommen sagt, das sei nicht genug gewesen. und deshalb im Sinne des Arbeitsförderungsgeset• Man kann in diesem Staat doch nur Schritt für Schritt zes zwar arbeitslos sind, aber nicht als arbeitslos ge­ vorwärtsgehen. Wer hat denn die Rentenversiche­ meldet sind. rung nach unten gebracht? Das waren doch nicht (Abg. Fendt: Das ist eine Logik!) wir' Ich bin ganz verwundert, vom Kollegen Hollwich Das ist der Kernpunkt des Antrags. jetzt zu hören, daß zu Zeiten Adenauers der Bundes­ zuschuß nach unten gefahren worden sei. Hat denn Jetzt zu Ihrer Argumentation: die Rentenversicherung zur Zeit Adenauers Pro­ Sie werfen der sozial-liberalen Koalititon vor, daß sie bleme gehabt? Adenauer hat mit der dynamischen in den 70er Jahren keine Regelung getroffen hätte. In Rente ein System eingeführt, das in der ganzen Welt den 70er Jahren war diese Regelung aber gar nicht bewundert wird. notwendig, weil in der Zeit der Vollbeschäftigung (Beifall bei der CSU) (Zurufe von der CSU: Das ist es ja!) Plenarprotokoll 11/28 v. 24.06.87 Bayerischer Landtag · 11. V./ahlperiode 1805

(Weber [SPD]) Meine Damen und Herren! Bevor ich den Tagesord­ nungspunkt 23 aufrufe, möchte ich vorweg folgende die Frauen, die wieder berufstätig werden wollten, im­ Erklärung abgeben: mer auch eine Arbeit bekommen haben. Gestern hatte der amtierende Präsident bekanntge­ (Zurufe von der CSU) geben, daß Tagesordnungspunkt 23 auf Wunsch der - Jetzt machen Sie keine Sprüche mit der Arbeitslo­ SPD-Fraktion abgesetzt werden soll. Der Vorsitzende sigkeit. Sie sind jetzt bereits das fünfte Jahr an der der Fraktion der SPD hat sich zur Geschäftsordnung Regierung, und in diesen fünf Jahren ist die Arbeits­ gemeldet und erklärt, seine Fraktion hätte einen sol­ losigkeit nicht niedriger, sondern höher geworden. chen Wunsch nicht geäußert. Nachforschungen ha­ Das sollten Sie sich auch einmal ins Stammbuch ben folgenden Sachverhalt ergeben: Herr Abgeord­ schreiben. Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie neter Dr. Gantzer hatte den Wunsch, daß dieser An­ zugeben, daß es in den nächsten Jahren auch nicht trag noch im Sicherheitsausschuß behandelt wird, besser aussieht. (Unruhe bei der CSU) (Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN und der Ausschußvorsitzende Dr. Beckstein hatte - Zahlreiche Zurufe von der CSU - Unruhe - dazu sein Einverständnis erklärt. Glocke des Präsidenten) Nachdem der Ältestenrat die Tagesordnung des Ple­ Ich brauche nur darauf hinzuweisen, was die Sozial­ nums aber bereits beschlossen hatte, mußte dieser ausschüsse gesagt haben, daß nämlich die Arbeits­ Punkt auf die Tagesordnung gesetzt werden. Herr losigkeit auf der Ebene der bisherigen Maßnahmen Abgeordneter Dr. Gantzer wurde vom Landtagsamt darauf hingewiesen, er hätte deshalb dafür zu sorgen, nicht abgebaut werden kann. Ich meine, darüber daß seine Fraktion die Absetzung im Plenum bean­ müßte man sachlich diskutieren können. tragt, wenn der Tagesordnungspunkt abgesetzt wer­ Herr Kollege Böhm, ich wollte nur klarstellen, worum den soll. Herr Dr. Gantzer hat dies zugesagt. Der es hier geht. Es geht um ein sozialpolitisches Anlie­ stellvertretende Vorsitzende der CSU-Fraktion wurde gen, das eigentlich seit der Zunahme der Arbeitslo­ von Herrn Nöth gefragt, ob die CSU mit der Abset­ sigkeit neu ist. Sozialpolitik aber muß immer dann zung einverstanden sei, nachdem der Antrag von Mit­ greifen, wenn ein neues Problem auftritt; darum geht gliedern der CSU eingebracht worden sei. Herr Diet­ es hier. hei hat Herrn Nöth gegenüber erklärt, wenn die SPD dies wünsche, werde die CSU zustimmen. Ich denke, Ich möchte jetzt gar nicht in die Diskussion über die damit ist der Sachverhalt klargestellt. Finanzierung der Rentenversicherung einsteigen. Darüber könnte man lange diskutieren. Wenn man (Zurufe und Unruhe bei der CSU - Abg. schon von Fehlern spricht, dann könnte ich als weite­ Hiersemann: Zu einer persönlichen res Argument den Bericht der Verbände der Renten­ Erklärung!) versicherungsträger anführen, der heute in der Süd• - Herr Kollege, es fällt mir sehr schwer, Ihnen das deutschen Zeitung zu lesen ist. Die Einschränkung Wort unter irgendeinem Gesichtspunkt zu erteilen, der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten betrifft aber zu einer persönlichen Erklärung, bitte schön! auch die Frauen. Sie wirkt sich gerade auf die Frauen (Frau Abg. Stamm: Also jetzt machen wir aus, die Hausfrauentätigkeit ausüben. Der Verband Fraktionssitzung') schlägt deshalb eine Änderung vor. Ich könnte auch noch darauf eingehen, daß für die Arbeitslosen künf• Hiersemann (SPD): Nein, Frau Kollegin Stamm, wir tig nicht mehr nach dem letzten Bruttoentgelt der machen keine Fraktionssitzung. Rentenversicherungsbeitrag gezahlt wird, was für die Herr Präsident! Die Berechtigung zur persönlichen Rentenversicherungsträger fünf Milliarden Mark weni­ Erklärung ergibt sich daraus, daß zwar der Ablauf von ger Einnahmen im Jahr bedeutet. Ihnen ohne jede Frage korrekt wiedergegeben (Zuruf des Abg. Daum) wurde, daß sich aber aus der Schilderung dieses Ab­ laufes zwangsläufig ergibt, ich hätte gestern nicht die Da gäbe es eine ganze Menge zu diskutieren, aber Wahrheit gesagt. ich wollte nur richtigstellen, Herr Kollege Böhm, was das Thema dieses Antrags ist. (Na, na! bei der CSU) Ich habe die Wahrheit gesagt, weil Herr Kollege Dr. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Gantzer mich, einen meiner Stellvertreter oder eine meiner Stellvertreterinnen genausowenig informiert Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Weitere hat wie Kollege Dr. Beckstein die CSU-Fraktions- Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur spitze. Abstimmung. Die Ausschüsse empfehlen die Ab­ (Beifall bei der SPD) lehnung des Antrags. Wer entgegen dieser Empfeh­ lung für die Annahme ist, den bitte ich um das Hand­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Ich denke, zeichen. - Danke. Die Gegenstimmen bitte ich anzu­ damit ist es erledigt. Es wird beiderseits oder allseits zeigen! - Danke. Stimmenthaltungen? - Bei einer zur Kenntnis genommen. Stimmenthaltung aus den Reihen der CSU mit den Stimmen der CSU gegen die Stimmen der Opposition Jetzt rufe ich den Ta g e s o r d n u n g s p u n k t auf, abgelehnt. um den es geht, Punkt 23: 1806 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund) zuständige Ministerium hat die Zwischenzeit, lassen Sie es mich so formulieren, zur schnellen Umsetzung Antrag der Abgeordneten Hölzl, Regensburger, Dr. des Antrags gut genutzt. Der Vorwurf, das Ministe­ Merk! und anderer betreffend Polizeiausbildung rium hätte ohne die offizielle Absegnung voreilig ge­ (Drucksache 111552) handelt, reduziert sich letztlich wirklich nur auf ein Mi­ Über die Beratungen des Ausschusses für Fragen nimum an Voreiligkeit. des öffentlichen Dienstes (Drucksache 11 /2106) be­ Ich möchte Sie deshalb um Zustimmung zum vorlie­ richtet Herr Kollege Dieter Heckei. Ich erteile ihm das genden Antrag bitten, auch wenn die Zustimmung Wort. letztlich nur eine flankierende, absichernde Wirkung haben wird. Ich danke Ihnen. Heckei Dieter (CSU). Berichterstatter: Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Der vorlie­ (Beifall bei der CSU) gende Antrag wurde am 2. Juni 1987 im Ausschuß für Fragen des öffentlichen Dienstes beraten. Mitbericht­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste erstatter war Kollege Franzke, ich war Berichterstat­ Wortmeldung, Herr Kollege Franzke' ter. Franzke (SPD): Herr Präsident, Kolleginnen und Kol­ Zur Sache: legen! Zwei Vorbemerkungen: Die Ausbildung aller Polizeibeamten für den mittleren Kollege Dieter Heckei hat nach seiner Berichterstat­ Polizeivollzugsdienst obliegt der Bereitschaftspolizei. tung über die Ausschußberatungen recht geschickt Die Ausbildung erfolgt in vier Stufen und dauerte bis­ versucht, gleich den Dampf herauszunehmen. Ich her dreieinhalb Jahre. Der vorliegende Antrag zielt verstehe Ihre Situation. Es ist aber wohl zu einfach, konkret darauf ab, die Ausbildungszeit generell von wenn nur davon gesprochen wird, daß die Kollegen dreieinhalb Jahren auf drei Jahre zu reduzieren ohne im Ausschuß etwas überrascht gewesen seien. Das Beeinträchtigung des fachtheoretischen Teils der ist milde formuliert. Schön. Ausbildung und der Ausbildungsqualität. So könnten junge Polizeibeamte ein halbes Jahr früher als bisher zweite Vorbemerkung: Es ist schon erstaunlich, daß der Einsatzstufe zugeführt und - ich will auch das bei der Beratung eines Antrags, der für die gesamte nicht verschweigen - früher befördert werden. Polizeiausbildung von grundsätzlicher Bedeutung ist, weder der Staatssekretär noch der Minister des zu­ Der Antrag wurde im zuständigen Ausschuß sehr ständigen Ressorts anwesend ist. Ich finde, das ist kontrovers diskutiert. Die Argumentation der Opposi­ schon eine Ungehörigkeit an sich. tiOn gipfelte letztlich in dem Vorwurf, man wolle ohne Rücksicht auf die Qualität der Ausbildung möglichst Zur inhaltlichen Seite des Antrags noch folgende schnell die bestehenden Hundertschaften auffüllen Feststellungen: bzw. von zwölf auf vierzehn erweitern. Der Antrag datiert vom 12. Februar 1987 und ist von Die Abstimmung ergab acht Stimmen der CSU für 26 CSU-Abgeordneten unterschrieben; führend na­ den Antrag, fünf Stimmen der SPD und eine Stimme türlich der selbsternannte Sprecher in Polizeiangele­ der GRÜNEN gegen den Antrag. genheiten, Herr Hölzl. Mit dem Begehren wird eine Reduzierung der Ausbildungszeit im mittleren Polizei­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Erste Wort­ vollzugsdienst von dreieinhalb auf drei Jahre ange­ meldung, Herr Kollege Dieter Heckei. Bitte' strebt. Ich finde, daß die Reduzierung einer Ausbil­ dungszeit von 42 auf 36 Monate einen grundlegenden Heckei Dieter (CSU): Herr Präsident, meine Damen Eingriff in eine Ausbildung darstellt. Entscheidend ist und Herren' Wir werden von der Opposition sicher nämlich die Formulierung in der ursprünglichen An­ gleich hören, daß die Antragstellung letztlich eine tragsfassung „unter Wahrung des bisherigen qualita­ Farce sei, daß man nachträglich nur sanktionieren tiven Niveaus und Erfüllung bestehender beamten­ wolle, was in der Ausbildung gesetzeswidrig bereits und laufbahnrechtlicher Anforderungen gestrafft wer­ geschehe, denn die Verkürzung der Ausbildungszeit den kann." Im Ausschuß kam dann zutage, was damit sei schon bei allen Ausbildungsstellen angeordnet. eigentlich bezweckt war. Hintergrund war das Bestre­ Ich kann nicht leugnen, daß die Mitglieder des Aus­ ben, die Einsatzhundertschaften so schnell wie mög• schusses für Fragen des öffentlichen Dienstes von lich von 12 auf 14 anzuheben, um die Aufgaben über• der Mitteilung des Vertreters des Staatsministeriums haupt wahrnehmen zu können. des Innern, es werde bereits verkürzt ausgebildet, et­ Dann stellt sich die Frage: Was heißt „gestrafft"? was überrascht waren. Letztlich war aber wohl eine Wurde die Ausbildung bisher etwa zu wenig straff Reform der Ausbildungszeit für den mittleren Polizei­ durchgeführt, war sie also mit überflüssigem Stoff be­ vollzugsdienst längst fällig. Mit einer Verkürzung der lastet? Sie haben bis heute auch noch nicht meine Ausbildungszeit geht zwangsläufig eine notwendige Frage beantwortet, die ich bereits im Ausschuß ge­ Überprüfung der Lehrinhalte und des Lehrplans ein­ stellt habe, wie es später aussehen werde. Dann gibt her. es nämlich Polizeibeamte, die weniger gestrafft, und Der Antrag datiert vom 12. Februar 1987 und wurde, solche, die gestrafft ausgebildet worden sind. Welche wie bereits erwähnt, am 2. Juni 1987 behandelt; es Auswirkungen wird dies zum Beispiel bei späteren vergingen also vier Monate zwischen Antragstellung Beförderungen haben? Diese Frage ist bis heute von und der Behandlung im zuständigen Ausschuß. Das der Staatsregierung nicht beantwortet worden. PlenarprotokoH 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1807

(Franzke [SPD]) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege, Meines Erachtens ist es äußerst bedenklich, gerade gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen den praktischen Teil der Ausbildung zu reduzieren. Diethei? - Bitte, Herr Kollege Diethei ! Wer einmal an Demonstrationen teilgenommen hat - ich war bei einigen dabei -. der weiß, daß gerade Diethei (CSU): Ist Ihnen nicht bekannt, daß Ihr Vor­ junge Polizeibeamte erhebliche Schwierigkeiten bei gänger im Amt, wenn ich so sagen darf, der mittler­ derartigen Demonstrationen haben. Man sollte die weile ausgeschiedene Kollege Neuburger, immer wie­ blassen Gesichter der jungen Polizeibeamten einmal der, auch hier im Plenum, mit Nachdruck gefordert gesehen haben. Sie haben nicht deswegen blasse hat, Polizeibeamte im Rahmen ihrer Ausbildung bei Gesichter gehabt. weil sie mangelnde theoretische der Bereitschaftspolizei viel früher in Einsätze einzu­ Kenntnisse gehabt hätten, sondern deswegen, weil binden, um damit die praktische Ausbildung zu for­ sie mangelnde praktische Erfahrungen hatten. Sie cieren? aber wollen gerade diesen Bereich der praktischen Ausbildung von Polizeibeamten kürzen. Franzke (SPD): Herr Kollege Diethei, Sie verwechseln (Beifall bei der SPD - Abg. Diethei: Das wieder Äpfel mit Birnen' Ich habe den Antrag von passiert doch im geschlossenen Verband') Ambras Neuburger vorliegen. Das ist der Gesetzent­ wurf vom 15. Oktober 1984. Kollege Neuburger wollte - Trotzdem ist der einzelne blaß, Herr Kollege Diethei, die Anerkennung der fachschulmäßigen Ausbildung wenn er nicht gerade von der Sonne gebräunt ist wie im mittleren Dienst. Das wurde von Ihnen abgelehnt. wir beide: Kollege Hölzl als Ihr Sprecher hat damals interessan­ Herr Kollege Diethei, hören Sie mir bitte einmal zu: terweise gesagt, daß eine Änderung der Polizeiausbil­ Der Antrag, die Ausbildung zu reduzieren. ist gerade dung nicht beinhalten sollte, daß der Ausbildungsab­ in einem so sensiblen Bereich, wie es der Bereich der schluß im mittleren Polizeivollzugsdienst anerkannt Polizei ist, in einer Zeit, in der vermehrt Aufgaben auf wird. Das haben Sie noch damals vor drei Jahren ver­ die Polizei zukommen. die mit Sicherheit auch treten. schwieriger werden, überhaupt nicht angezeigt. Herr Kollege Heckei, ich kann es bloß als sarkastisch Dieser Antrag dient lediglich dazu, Fehlentwicklungen bezeichnen, daß Sie sagen, das Ministerium hätte die und Fehleinschätzungen der Staatsregierung im Poli­ Zwischenzeit gut genutzt. Sie haben die Antwort der zeiaufgabenbereich zu kaschieren und nachträglich Staatsregierung erst auf meine Frage, was der Herr zu sanktionieren. Hopfner eigentlich von Ihrem Antrag hält, bekommen. Viel interessanter bei dem Antrag, meines Erachtens Der Vertreter der Staatsregierung stellte nach einer auch problematischer, ist die Verfahrensweise. Herr Dreiviertelstunde inhaltlicher Diskussion im Ausschuß Kollege Heckei, der Antrag wurde am 12. Februar ge­ fest, daß, was in dem Antrag stehe, bereits seit An­ stellt und, wie Sie korrekt wiedergegeben haben, am fang des Jahres 1987 praktiziert werde. Das war 4. Juni 1987 im Ausschuß für Fragen des öffentlichen überraschend. Sie hätten die Gesichter bei den Kolle­ Dienstes erstmals beraten. gen der CSU und genauso bei uns sehen sollen! Die Situation war paradox, geradezu peinlich. zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Es steht fest: Die Staatsregierung teilte Ihnen im Aus­ Miller? - Bitte! schuß erstmals mit, daß die Polizeiausbildung gegen die bisherige Ordnung verstößt. Dieses Vorgehen soll Miller (CSU): Herr Kollege Franzke, möchten Sie heute nachträglich vom Parlament sanktioniert wer­ bitte berichten, wie lange die Ausbildungszeit in SPD­ den. Ich frage mich, was das noch mit Parlamentaris­ regierten Bundesländern bei der Polizei ist? mus und mit unserem Selbstverständnis als Parla­ ment zu tun hat. Nach meinem Verständnis - ich Franzke (SPD): Herr Kollege Miller, könnten Sie mir hoffe, auch nach Ihrem - ist es die Hauptaufgabe des vielleicht erklären, was der Inhalt Ihrer Frage eigent­ Parlamentes, die Regierung zu kontrollieren. Sollten lich soll? Ich finde, das ist völlig überflüssig! Wir ha­ Sie sich nicht noch einmal überlegen, ob es nicht ge­ ben in Bayern eine korrekte Ausbildung, die von uns rade Aufgabe der Mehrheitsfraktion ist, die Regie­ allen getragen wird. Wir haben sie vor dreieinhalb Jahren beschlossen; sie ist also sanktioniert. Wir ste­ rung zu kontrollieren, auch wenn diese von Ihnen ge­ hen hinter dieser Ausbildung. stellt wird? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Deswegen war es recht interessant, wie der Aus­ Wer von den Polizeibeamten viel verlangt, muß auch schußvorsitzende in einem Salto mortale den Prü• dafür Sorge tragen, daß sie gut ausgebildet sind. Das fungsauftrag - „Die Staatsregierung wird gebeten zu ist das Entscheidende. Wir könnten auch die Ausbil­ prüfen, inwieweit reduziert werden kann ... " - um­ dung der Schwarzen Sheriffs übernehmen, aber ich wandelte in den Auftrag: „Die Staatsregierung wird hoffe, daß Sie nicht dazu neigen. Der Ausschußvorsit• ersucht, die Ausbildung zu reduzieren ... " zende ist leider nicht da, aber wir haben im Ausschuß eine Dreiviertelstunde über die Inhalte diskutiert. Herr (Abg. Heckei: Das spricht für die geistige Kollege Heckei. Flexibilität des Ausschußvorsitzenden!) 1808 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Franzke [SPD]) Mit dem Antrag auf Drucksache 11/551 wird die Staatsregierung ersucht, künftig vermehrt auch - Herr Kollege Heckei, ob das etwas mit geistiger Fle­ Hauptschüler mit qualifizierendem Abschluß und ab­ xibilität zu tun hat, ist fraglich; mich erinnert dieses geschlossener Berufsausbildung in den Polizeivoll­ Verhalten eher an ein politisches Chamäleon. zugsdienst einzustellen. (Abg. Hiersemann: Das ist ein bißchen Wortmeldungen liegen mir keine vor. peinlich!) Wir kommen zur Abstimm u n g. Dazu werden die Die Krönung des Ganzen war, daß bei einem anderen Tagesordnungspunkte wieder getrennt. Antrag dasselbe Verhalten der Staatsregierung offen­ bar wurde. Der Antrag begehrte, daß bei der Beset­ Ich lasse abstimmen über den Antrag auf Druck - zung von Dienstposten nicht nur die jeweils an erster s ach e 11/550. Die Ausschüsse empfehlen die un­ Rangstelle stehenden Bewerber zum Zug kommen veränderte Annahme des Antrags. Wer dem zustim­ men will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen­ sollten, sondern daß unter den drei Bestplazierten stimmen bitte ich anzuzeigen. - Stimmenthaltungen? sollte ausgewählt werden können. Nach Auskunft der - Einstimm i g so beschlossen. Staatsregierung ist dies aber bereits Praxis. Somit haben wir in beiden Fällen dieselbe Situation. Ich lasse a b s t i m m e n über den Antrag auf Drucksache 11 /551. Auch hier wird von den Meine Damen und Herren! Wenn Sie dieses Verhalten Ausschüssen unveränderte Annahme empfohlen. durchgehen lassen, dann degradieren Sie sich im Wer diesem Votum beitreten will, den bitte ich um Endeffekt zum Vollzugsbüttel der Staatsregierung. das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthal­ Ich bedauere wirklich, daß niemand von der Staatsre­ tung? - Einst i m rn i g so beschlossen. gierung dazu da ist, aber wenn Sie dieses Verhalten billigen, das meines Erachtens jedem Parlamentsver­ Ich rufe auf Ta g e s o r d n u n g s p u n kt 26: ständnis widerspricht, dann machen Sie sich erneut, Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hierse­ wie es vorhin so schön geheißen hat, zum Handlan­ mann, Naumann und anderer und Fraktion betref­ ger außergewöhnlicher Begabungen. Ich meine, daß fend wirksamere Bekämpfung von Verkehrsunfällen dies eines Parlamentes unwürdig ist. (Drucksache 11/664) (Beifall bei der SPD) Über die Beratungen im Ausschuß für Wirtschaft und Verkehr (Drucksache 11 /833) berichtet anstelle des Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Weitere Herrn Kollegen Naumann der Herr Kollege Schlosser. Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur Ich erteile ihm das Wort. Abs t i mm u n g. Der Ausschuß für Fragen des öf• fentlichen Dienstes empfiehlt die Neufassung des An­ Schlosser (SPD). Berichterstatter: Herr Prä• trags, ausgedruckt auf der Drucksache 11/2106. Wer sident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der dieser Neufassung seine Zustimmung geben will, den aufgerufene Antrag wurde in der 8. Sitzung des Aus­ bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Die Gegen­ schusses für Wirtschaft und Verkehr am 26. Februar probe' - Stimmenthaltungen? - Mit den Stimmen der behandelt. CSU gegen die Stimmen der Opposition ohne Stimm­ Der Berichterstatter führte aus, daß die Un­ enthaltung, aber bei Nichtbeteiligung einiger Kollegen fallzahlen im Jahre 1986 nach Jahren des Rückgangs so bes c h 1 o s s e n. wieder erheblich angestiegen seien. Als Ursache nannte er die erhöhte Motorisierung, die Zunahme Zur gemeinsamen Aussprache rufe ich die Tages - der Geschwindigkeit, aber auch die Aggressivität im o r d nun g s punkte 24 und 25 auf: Straßenverkehr. Aufgabe der Politiker sei es. mit ge­ Antrag der Abgeordneten Hölzl, Regensburger, Dr. eigneten Maßnahmen zu versuchen, die Unfallzahlen Merkl und anderer betreffend Polizeivollzugsdienst; wieder zu senken. Einstellung von „älteren Bewerbern" (Drucksache In dem Dringlichkeitsantrag werden eine Reihe von 11/550) Maßnahmen vorgeschlagen, wie eine Senkung der und Unfallzahlen bewirkt werden könnte. Der Berichter­ statter meinte, vor allen Dingen müßten die Unfall­ Antrag der Abgeordneten Hölzl, Regensburger, Dr. schwerpunkte verstärkt beseitigt werden. Als Bei­ Merkl und andere betreffend Polizeivollzugsdienst; spiel nannte er die B 12 München-Mühldorf. Einstellung von Hauptschülern (Drucksache 11/551) Der Ausbau der Radfahrwege gehe zu langsam, im Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig. Damit Schneckentempo, voran. Es gelte, die Polizei sach­ entfällt die Berichterstattung. Mit dem Antrag auf lich und personell besser auszustatten, damit sie in Drucksache 11 /550 wird die Staatsregierung gebe­ der Lage sei, die Einhaltung der Geschwindigkeitsbe­ ten, im Hinblick auf die in der Polizeipraxis gesammel­ grenzungen und der Sicherheitsvorschriften entspre­ ten positiven Erfahrungen und zur beschleunigten chend zu überwachen. Ein besonderes Problem Reduzierung der großen Zahl wohnortfern in Bal­ stelle dabei die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten lungsräumen eingesetzter Beamter umgehend ver­ dar. Eine Anfrage habe ergeben, daß beispielsweise stärkt wieder sogenannte „ältere Bewerber" in den am Grenzübergang Kiefersleiden-Kufstein jeder Polizeivollzugsdienst einzustellen. sechste LKW überladen gewesen sei. Bei einer Ge-

' Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1809

(Schlosser [SPD]) für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen emp­ fiehlt die Annahme in den Ziffern 1, 2 und 4; im übri• samtzahl von 900000, heuer vielleicht sogar einer Mil­ gen ebenfalls die Ablehnung. lion LKW, seien das 150000 bis 170000 LKW. Das könne man so nicht hinnehmen, hier müsse reagiert Ich lasse abstimmen über die Ziffern 1, 2 und 4 werden. des Dringlichkeitsantrags. Wer diesen Ziffern zustim­ men will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegen­ Des weiteren forderte der Berichterstatter eine Ver­ stimmen! - Stimmenthaltungen? - Bei zwei Stimm­ kehrsberuhigung in Wohngebieten durch eine Ge­ enthaltungen aus den Reihen der CSU so b e - schwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer schlossen. und schließlich, darüber haben wir schon wiederholt Ich lasse abstimmen über die Ziffern 3, 5 und 6. gesprochen, die Einführung einer Tempobegrenzung Von allen Ausschüssen wird Ablehnung empfohlen. auf Autobahnen und Landstraßen auf 100 km/h bezie­ Wer entgegen dieser Empfehlung für die Annahme hungsweise 80 km/h. ist. den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Ge­ Mitberichterstatter Ding 1reite r meinte, die CSU­ genprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Ohne Fraktion nehme die gestiegenen Unfallzahlen sehr Stimmenthaltungen mit den Stimmen der CSU gegen ernst. Der ADAC vertrete die Auffassung, daß die die Stimmen der Opposition so beschlossen, das Entwicklung der Unfallzahlen einen Zickzackkurs be­ heißt ab g e 1eh n t. schreibe und durchaus wieder mit ihrem Rückgang Ich rufe auf Tag e s o r d n u n g s p u n k t 32: zu rechnen sei. Der Anstieg der Unfallzahlen im Jahre 1986 sei zum größten Teil auf die große Zahl der Antrag der Abgeordneten Trapp und anderer betref­ Auto-Neuzulassungen zurückzuführen. Es seien aber fend Bau der Ortsumgehung Landau der Bundes­ auch Alkohol und Unerfahrenheit vieler Verkehrsteil­ straße 20 (Drucksache 11/1250) nehmer im Spiel. Alarmierend seien die Unfallzahlen Über die Beratungen im Ausschuß für Wirtschaft und bei den Radlern, die insgesamt eine ganz miserable Verkehr (Drucksache 11/1912) berichtet Herr Kollege Verkehrsmoral zeigten. Die Verbände der Polizei, des Max Brandl (Passau). Ich erteile ihm das Wort. ADAC und der Verkehrswacht verträten die Auffas­ Brandl Max (Passau) (SPD), Berichters tat - sung, daß sich die Partnerschaft im Verkehr auf dem t er : Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Rückzug befinde und daß die Rücksichtslosigkeit der Ausschuß für Wirtschaft und Verkehr hat sich am Verkehrsteilnehmer zunehme. 14. Mai 1987 mit dem aufgerufenen Antrag befaßt. Der Mitberichterstatter meinte andererseits, die Mitberichterstatter war Herr Kollege Lechner, Be­ Staatsregierung habe schon eine Menge getan, um richterstatter war ich. entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten. Die 1c h habe insbesondere darauf hingewiesen, daß mit Polizei sei laufend bemüht, die Sicherheit auf den Annahme dieses Antrags die Verkehrsmisere in Lan­ Straßen zu verbessern. dau erheblich schneller beseitigt werden könnte, als Zu Punkt 1 des Dringlichkeitsantrags, Ortsumgehun­ dies mit der jetzigen Planung der Fall ist. gen und Unfallschwerpunkte, meinte er, im Jahre Der Mitberichterstatter, Kollege Lech n er, stellte 1986 sei der Bau von 115 Ortsumgehungen mit insge­ fest, daß er das Anliegen unterstützen könne, jedoch samt zwei Milliarden DM bezuschußt worden. Das sei im Moment keine Möglichkeit der Finanzierung sehe. eine ganze Menge. Auch der Radwegebau komme in Er schlug vor, den Antrag als Prüfungsantrag zu ver­ Bayern voran. Die Verbesserung der personellen und abschieden. sachlichen Ausstattung der Polizei sei in Angriff ge­ Herr Kollege Trapp beleuchtete die Situation noch nommen worden. Polizeiliche Kontrollen in Bayern einmal aus lokaler Sicht. seien die strengsten im Bundesgebiet und darüber Schließlich kam es zur Abstimmung. Der Antrag hinaus in der EG. Diese Maßnahmen reichten aus. Es wurde mit den Stimmen der CSU und des Vertreters sei sinnvoll, die Einführung von Tempo 30 den Ge­ der GRÜNEN gegen die Stimmen der SPD verab­ meinden zu überlassen, hier nicht vom Landtag her schiedet. präjudizierend einzugreifen. Diese Maßnahme solle der Kommune vorbehalten bleiben. Zur Einführung Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Wortmel­ von Geschwindigkeitsbegrenzungen vertrete die CSU dung, Herr Kollege Trapp! nach wie vor die Auffassung, daß diese kein Beitrag Trapp (SPD): Herr Präsident, Hohes Haus! Das Ziel zur Lösung der Verkehrssicherheitsprobleme wären. des vorliegenden Antrags wird von der lokalen CSU Nach einer längeren Aussprache wurde der Antrag und von der SPD gemeinsam verfolgt. Warum also mit den Stimmen der CSU gegen die Stimmen der muß sich das Haus noch einmal damit beschäftigen? SPD und des Vertreters der GRÜNEN abgelehnt. Es liegt im vitalen Interesse landaus und seiner Bür• ger, daß die Ortsumgehung endlich gebaut wird. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Wortmeldun­ Durch die Stadt Landau führt die Bundesstraße 20, in gen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur Abs tim - diesem Bereich die Blaue Route, die eine weitläufige m u n g. Die Ausschüsse für Wirtschaft und Verkehr, Umgehung Münchens darstellt. Besonders im Som­ für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik und für mer kommt es dort zu langen Staus - fünf Kilometer Landesentwicklung und Umweltfragen empfehlen die und länger. Es gibt Tage, an denen Landau praktisch Ablehnung des Dringlichkeitsantrags. Der Ausschuß zu ist. Die Ortsumgehung ist seit langem geplant. Bis 1810 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06 87

(Trapp [SPD]) sätzliche Frage auf, ob ein Beschluß des Landtags 1985 ist man davon ausgegangen, daß sie in einem weniger Wert hat als die Initiative eines Abgeordne­ Zug durchgeführt wird. Seit den letzten zwei Jahren ten. Es ist bezeichnend, daß einzelne Abgeordnete ist aber im Gespräch, in zwei Etappen zu bauen. CSU Ihrer Fraktion zu der Einschätzung kommen, daß man und SPD sind sich, so glaube ich, aber weitgehend als Vertreter der Regierungsfraktion durch Klinken­ darüber einig, daß dieser zweizügige Ausbau keine putzen mehr bewirken kann als durch einen Beschluß Entlastung bringt, solange das Nadelöhr der einen des Bayerischen Landtags. lsarbrücke nach wie vor besteht und als zusätzliche Belastung dazukommt, daß die Schulkinder durch Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege, den ganzen Fernverkehr gefährdet werden, denn der gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen neue Verkehrsstrom würde am Gymnasium vorbeiflie­ Miller? ßen. Die Ortsumgehung bringt für Landau keinen Vor­ Miller (CSU): Herr Abgeordneter Trapp, wie ist Ihre teil; ihr einziger Zweck besteht darin, daß der An­ Aussage von vorhin zu verstehen, daß diese Maß• schluß der Bundesautobahn nicht auf der grünen nahme auf der Linie Ihrer Politik liegt und sinnvoll ist? Wiese stehen soll. Kann man daraus schließen, daß die Grundlage Ihrer Es soll die ursprüngliche Planung - das ist, glaube Politik auch manchmal unsinnig ist? Sie haben wört• ich, Ziel aller Parteien - wiederaufgenommen werden, lich erklärt: Das liegt auf der Linie unserer Politik und derzufolge in einem Zug gebaut wird. Die CSU hat ist sinnvoll. eine Unterschrittenaktion gestartet. Aber so einig ist sie sich offensichtlich auch nicht; denn der Kollege Trapp (SPD): Gut, ich habe hier einen weißen Schim­ Erwin Huber hat, um meinen Antrag abzuwerten, ver­ mel gemacht; da gebe ich Ihnen durchaus recht. lautbaren lassen, es sei unmöglich, zwei Großpro• Aber damit Sie mir zuhören, habe ich es halt doppelt jekte, nämlich die A92 und die Ortsumgehung B20, gesagt. „nebenher" zu finanzieren. Auf der anderen Seite hält (Abg. Hiersemann: Bei der Frage muß man das aber der Kollege Lechner sehr wohl für möglich das auch') und nährt die Hoffnung darauf. Deswegen hat auch die CSU eine Unterschriftenaktion mit wie ich glaube Die Qualität mancher Zwischenfragen zeigt, daß dies sehr großem Erfolg gestartet. notwendig ist. (Beifall bei der SPD) Der Kollege Lechner zeigt auch den Weg auf. Er sagt, wenn woanders Geld übrigbleibt, würde er dafür sor­ Um die Salzburg-Sache von vorhin anzusprechen: Es gen, daß die Mittel nach Landau kommen. Nun muß scheint in diesem Parlament 126 Ausnahmepolitiker man an dieser Methode aber schon Zweifel hegen, zu geben. Auf der anderen Seite wirft es die Frage weil sie an anderer Stelle nicht funktioniert hat und es nach dem Selbstverständnis des Parlaments auf, wer auch andere Abgeordnete gibt, die auf solche Gele­ die Prioritäten festlegt, ob das Parlament durch Be­ genheiten warten, um zugreifen zu können. schlüsse, oder ob dies durch Beziehungen bzw. Klin­ In dieser Situation habe ich nach Absprache mit Kol­ kenputzen geschieht, das mit dem Geruch der Mau­ legen in der Fraktion den Antrag eingebracht, daß schelei behaftet ist und dem Verdacht. daß Festle­ Landau, wenn Geld übrigbleibt, bevorzugt behandelt gungen an den Volksvertretern vorbei getroffen wer­ wird. Ziel war es, daß Landau erste Priorität be­ den. Hier ist eine gewisse Arroganz unverkennbar, kommt, wenn Geld irgendwo nicht verbaut wird. Wir und es erhebt sich die Frage, ob hier eine neue Ver­ waren uns in der Fraktion einig, daß die Baumaß• fassungswirklichkeit dokumentiert werden soll. nahme in Landau vorrangig ist, weil sie eine Ortsum­ (Abg. Niedermayer: Nicht immer den gehung ist, worauf sozialdemokratische Politik einen gleichen Antrag stellen') Schwerpunkt setzt. Wir wollen ferner vermeiden, daß - Herr Kollege Niedermayer, ich komme zum Schluß. Schulkinder dort gefährdet werden. Es gibt genügend sachliche Gründe, warum wir der Das ging so lange gut, bis in Landau ein kleiner kom­ Meinung sind, daß der Landtag diesem Landauer An­ munaler Disput ausbrach, der hohe Wellen schlug. liegen zustimmen sollte. Die Frage ist jetzt nur, ob ich Der Kollege Lechner wurde gefragt: Wie gibt's denn meinen Antrag aufrechterhalten oder ob ich taktieren das? Hier in Landau möchtest du unsere Unterschrif­ soll. Ich gehe davon aus, daß über den Antrag in der ten, aber in München stimmst du dagegen; du möch• ursprünglichen Fassung abgestimmt wird, weil ich test uns wohl veräppeln? Die Konsequenz daraus der Meinung bin, daß auf der anderen Seite vielleicht war, daß er mich als Dilettanten hingestellt hat, als irgendwo im Hintergrund Fäden gezogen werden, da­ Schaumschläger, als einen, der auf Dummenfang ausgeht und einen dämlichen Antrag stellt. Aber die­ mit der Kollege Lechner mit seiner Argumentation, er ser Antrag wird ja grundsätzlich von unserer Fraktion werde das Geld schon herbekommen, nicht im Re­ mitgetragen; um ihm noch mehr Gewicht zu geben, gen steht. Aber der direkte und politisch-parlamenta­ tragen ihn auch unsere verkehrs- und wirtschaftspoli­ risch saubere Weg wäre es, diesem Antrag zuzustim­ tischen Sprecher mit, weil er genau auf der Linie un­ men. Vielen Dank. serer Politik liegt und sinnvoll ist. Aber die lokale CSU (Beifall bei der SPD) und ihre Abgeordneten versuchen dem Bürger weis­ zumachen, daß die Zustimmung des Landtags zu die­ Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste sem Antrag für die Katz wäre. Das wirft die grund- Wortmeldung, Herr Kollege Lechner! Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1811

Lechner (CSU): Herr Präsident, meine Kolleginnen steht durchaus eine Möglichkeit, daß die fehlenden und Kollegen! Es gibt überhaupt keinen Zweifel an 15 Millionen Mark irgendwo aufgetrieben werden. der Notwendigkeit des Ausbaus einer Umgehung von Aber das geht nicht heute, Herr Kollege Trapp. Sie Landau. Darum wird von der Bevölkerung auf örtli• übersehen, daß für diese Straße noch nicht einmal cher Ebene und von mir schon lange im Wirtschafts­ der Planfeststellungsbeschluß vorliegt. und Verkehrsausschuß gerungen. Wenn die Dinge nicht so rasch vorangekommen sind, wie man sich Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ das vor Ort erwartet hat und wie es wir uns ge­ frage des Kollegen Erwin Huber? wünscht haben, so einzig und allein deswegen, weil die Bundesstraße 20 im Verbund mit der A 92 gebaut Huber Erwin (CSU): Herr Kollege Lechner, teilen Sie werden muß. Das eine ist vom anderen abhängig. meine Bedenken, daß eine Beschlußfassung im Sinne der Antragstellung der SPD dazu führen könnte, daß Dadurch, das muß man einmal ganz deutlich sagen, Mittel von der Bundesautobahn 92 auf diese Bundes­ ich sage das auch als Stimmkreisabgeordneter und straße umgeschichtet werden müssen und daß damit als Einwohner von Landau, kommen die Landauer das wichtigste Verkehrsprojekt für den gesamten früher zu ihrer Umgehungsstraße B 20, als noch vor ostbayerischen Raum gefährdet wäre, so daß deshalb drei oder vier Jahren vorauszusehen war, nachdem der Abgeordnete Trapp für Niederbayern ein negati­ es durch den früheren Bundesverkehrsminister Dol­ ves Ergebnis erreichen würde? linger und jetzt durch Warnke gelungen ist, dem Frei­ staat Bayern mehr Geld zuzuführen. Die A 92 wird da­ (Beifall bei der CSU -Abg. Hiersemann: Warum machen Sie dann eine durch um zwei Jahre früher fertiggestellt, und damit Unterschriftensammlung? Um dem Bürger bekommen wir auch die B 20 früher. Sand in die Augen zu streuen? Das ist doch Nun erhebt sich die Frage, ob der Antrag des Kolle­ scheinheilig!) gen Trapp in der Sache hilfreich ist. Wenn er sich schon selbst als Dilettant oder dgl. bezeichnet, der Lechner (CSU): Diese Meinung teile ich durchaus: die Dinge nur hochputschen, aber nicht vorantreiben sie wird auch vom großen Teil der Landkreisbevölke• kann, dann brauche ich mich nicht zu wiederholen. rung, nicht aber darüber hinaus von der Regierung in Auf der anderen Seite wissen wir alle, daß es nieman­ Landshut von der Straßenbaubehörde geteilt, denn den gibt, der nicht irgendwo eine Straße in seinem es ist uns gelungen, ich wollte das eigentlich gar Stimmkreis hat, die dringend eines Ausbaus bedarf. nicht sagen, für diesen Gesamtkomplex im Landkreis 110 Millionen Mark zu bekommen, durch das inten­ (Beifall bei der CSU) sive Bemühen, die Autobahnfertigstellung zwei Jahre Allerdings lasse ich mir den Antrag des Kollegen früher, zusammen mit der Umgehungsstraße von Trapp trotzdem eingehen, weil er sich durchaus mit Landau, zu bewerkstelligen. Ich bin sicher, nachdem den niederbayerischen Intentionen und denen der die Regierung und das Innenministerium uns bisher CSU deckt. Aber Kollege Trapp sollte auch sagen, durch die vorgezogene Planfeststellung für den ge­ woher er die 15 Millionen sofort nehmen kann samten Abschnitt so sehr unterstützt haben, daß wir auch die Genehmigung des vorzeitigen Grundankaufs (Widerspruch bei der SPD) für die Reststrecke bekommen. Da kann man doch oder zu wessen Lasten sie gehen sollen; denn die wirklich nicht sagen, daß es am guten Willen des In­ Landauer Umgehung kostet 30 Millionen. nenministeriums, der Regierung und der örtlichen Politiker fehle. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Gestatten Alles in allem: Ich halte den Antrag für wenig hilfreich Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Trapp? und meine, daß man dann tätig werden soll, wenn das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen ist, weil Trapp (SPD): Herr Kollege Lechner, sind Sie bezüg• dieses einfach Voraussetzung für alles weitere ist. lich der 15 Millionen mit mir der Meinung, daß dann, Dann sollte die Möglichkeit eruiert werden, die Baye­ wenn das Geld vorhanden ist, weil es woanders nicht rische Staatsregierung haben wir in diesem Falle auf verbaut werden kann, es auch für meinen Antrag da unserer Seite, ob die Ortsumgehung nicht wirklich in sein muß, wenn ich Ihre Argumentation zugrunde einem Zug gebaut werden kann. lege? Dazu ist noch etwas zu sagen: Lechner (CSU): Dazu ist zweierlei zu sagen. Meine Diese gesamte Strecke ist 5,5 Kilometer lang; 4 Kilo­ Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß gerade meter kosten 15 Millionen Mark, und die restlichen Bayern durch Schubladenprojekte der Obersten Bau­ 1,5 Kilometer. nämlich der Stadtbereich mit der behörde aus der Zeit, in der wir von Bonn stiefmütter• Brücke, kosten auch 15 Millionen Mark. Diese 15 Mil­ lich behandelt wurden, immer noch zusätzlich Geld lionen Mark müssen irgendwo herkommen. Wir sind erhalten konnte, weil in anderen Ländern, meistens zuversichtlich. Aber ich glaube nicht, daß der vorlie­ roten, die Mittel nicht verbaut werden konnten. gende Antrag den richtigen Weg weist. Nun wissen wir alle aber auch aus unserer Praxis, daß Noch ein letztes zur Praxis in diesem Hause: da und dort - wir leben ja Gott sei Dank in einem Ich gehöre dem Wirtschaftsausschuß seit über zwölf Rechtsstaat - Baumaßnahmen nicht immer so voran­ Jahren an. Wir haben es lange Zeit im Einvernehmen gehen, wie es eigentlich geplant ist. Dann be- mit der SPD-Fraktion so gehalten, daß derartige 1812 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Lechner [CSU]) Strehle (CSU): Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich hier nicht mit Detailanträge nicht gestellt werden. Wo kämen wir der Sache selbst auseinandersetzen, weil es um eine denn hin, meine sehr verehrten Kollegen, wenn der lokale Angelegenheit geht, sondern nur die Gründe eine sagt, diese Straße ist notwendig, der andere darstellen, aus denen wir diesen Antrag im Ausschuß sagt, in dieses Haus muß jene Heizung hinein, und für Wirtschaft und Verkehr abgelehnt haben. Der Kol­ der dritte sagt, diese Schule muß da und dort hin? lege Niedermayer hat schon auf das Wesentliche hin­ Wir kennen die Details nicht. Daß wir die Details nicht gewiesen: kennen, ergibt sich allein aus der Tatsache, daß in der Wir können solche Einzelentscheidungen aus grund­ Berichterstattung im Verkehrsausschuß gesagt sätzlichen Erwägungen nicht treffen. Wir sehen uns wurde, daß durch den Bahnübergang und die eine nicht in der Lage, die Prioritäten zu verändern, die im lsarbrücke ein großes Gefahrenmoment vorhanden Ausbauplan festgelegt worden sind. früher hat es wäre. Bei diesem Teilbau würde der gefährliche Bahn­ einmal eine interfraktionelle Vereinbarung im Bayeri­ übergang bleiben. Das zeigt, daß der Berichterstat­ schen Landtag gegeben, daß solche lokalen Anträge ter, ohne daß ich ihn deshalb schelten möchte, eben gar nicht erst eingebracht werden. auch im Detail nicht so genau Bescheid weiß. Auch Jeder von uns könnte aus seinem Stimmkreis immer daran, daß die SPD unseren Antrag, nämlich Umfor­ wieder solche und ähnliche Anträge einbringen, be­ mulierung in einen Prüfungsantrag, hier ablehnt, aber reits gesetzte Prioritäten zu verändern. Niemand dann im Umweltausschuß den Wunsch äußert, doch könnte letztlich dann auch sagen, welche anderen einen Prüfungsantrag zu beschließen, wird deutlich, Projekte dafür verschoben werden müßten und auf daß in diesem Falle bei der SPD große Konfusion wessen Kosten die jeweilige Entscheidung letztlich herrscht. Mit einer solchen Unentschlossenheit in der gehen müßte. Eine solche Kirchturmpolitik ist nicht Sache ist dem Projekt keinesfalls gedient. angezeigt. Wir müssen die beschlossenen Konzepte Von der CSU ist dieses Projekt zweifellos vorange­ respektieren. trieben worden. Ich bin sicher, daß wir mit meinem Ich darf Sie deshalb bitten, dem Votum des Aus­ Kollegen Erwin Huber und mir als Stimmkreisabge­ schusses für Wirtschaft und Verkehr beizutreten und ordneten mit Unterstützung aller Niederbayern - ich diesen Antrag abzulehnen. schließe auch die von der SPD ein - den Ausbau zeit­ (Beifall bei der CSU) gerecht so hinbekommen werden, daß es möglicher• weise in einem Zug geht. Aber solange das Geld Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat der Kollege Hier­ nicht vorhanden ist, sollte man nicht über ungelegte semann ! Eier reden, geschweige denn sie bebrüten. (Beifall bei der CSU) Hiersemann (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist sicher richtig, daß wir in diesem Hause in der Vergangenheit die Übung hatten, derar­ Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat der Kollege Nie­ tiges mit Prüfungsanträgen zu regeln. Nur, es ergibt dermayer1 sich doch insofern eine Besonderheit -- Niedermayer (CSU): Herr Präsident, meine sehr ver­ (Zuruf von der CSU: Nicht einmal das') ehrten Damen und Herren' Man tut ja gerade so, als - Dies ist schon lange aufgegeben worden. Prüfungs• ob wir erst seit gestern im Bayerischen Landtag wä• anträge gibt es schon seit vielen Perioden. Sie wer­ ren. Seit vielen, vielen Jahren sind solche Anträge den jedenfalls gestellt, seitdem ich in dieses Haus ge­ eingebracht, aber einfach nicht unterstützt worden. wählt bin. Ich weiß nur, daß wir in der Periode zwi­ Der Grund ist, Herr Kollege Trapp, daß dieser Stra­ schen 1974 und 1978 darüber gestritten haben, ob ßenbau ohnehin so schnell wie möglich durchgeführt wir sie überhaupt wollen oder nicht. wird. Die Vorstellungen und Wünsche der Kollegen Aber wenn sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Trapp und Lechner sind ja verständlich wie auch die CSU erklärtermaßen für diese Straße sind, dann ver­ Wünsche und Sorgen draußen im Raume Landau, stehe ich die Zurückhaltung nicht mehr. Es wäre auch aber wenn wir Ihrem Antrag die Zustimmung geben, möglich, heute dem Antrag zuzustimmen. Aber ich dann hätten wir morgen zehn andere Anträge auf habe mich aus einem ganz anderen Grunde gemel­ dem Tisch zu Projekten, die vielleicht planerisch det, Herr Kollege Lechner. schon weiter gediehen sind. Das ist der einzige Grund, warum wir uns dagegen wenden, Herr Kollege Ich habe Ihrer Rede mit großer Aufmerksamkeit zuge­ Trapp. hört, die sich allerdings zu immer größerer Verwunde­ (BeifaH bei der CSU) rung gesteigert hat. Das ist die Ursache dafür, daß ich jetzt noch einmal was sagen muß, weil ich einfach Sie müssen doch verstehen, daß man einem Antrag, nicht zulassen will und zulassen kann, wie Sie hier der sich auf eine bestimmte Straße bezieht, einfach den Versuch unternehmen, den Kollegen Trapp in nicht zustimmen kann, und zwar aus den von mir jetzt eine Ecke der Phantasterei und des Schaumschla­ dargelegten Gründen. gens zu stellen, während Sie doch die besonnenen (Erneuter Beifall bei der CSU) Finanz- und Sachpolitiker seien. Sie sagten, Herr Kollege Lechner, der Antrag des Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat der Kollege Kollegen Trapp sei schon deswegen nicht realisier­ Strehle' bar, weil das Planfeststellungsverfahren noch nicht Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. "Wahlperiode 1813

(Hiersemann [SPD]) Was hier abläuft, ist ein altes Spiel in diesem Hause. Sobald Sozialdemokraten etwas einbringen, was Sie abgeschlossen sei. Das mag sein! Dann sagten Sie, Herr Kollege Lechner, der Antrag gehe auch deswe­ zwar für richtig halten, aber was Sie auf Ihre eigenen Parteimühlen lenken wollen, lehnen Sie zunächst ab, gen nicht, weil damit der Bau der A 92 gefährdet würde. Das kann schon sein! Aber derjenige, der mit um es einige Monate später selbst zu bringen, sei es dieser Begründung dem Kollegen Trapp Schaum­ in Antragsform oder durch den einzelnen CSU-Abge­ schlägerei vorwirft und gleichzeitig bei sich zu Hause ordneten in der altbekannten Weihnachtsmannpose. eine Unterschrittenaktion dafür startet, betreibt vor (Beifall bei der SPD - Zurufe des Abg. Ort dieselbe Schaumschlägerei. Niedermayer) (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Heubl: Meine Damen und Herren' Die Also wenn, dann sitzen Sie auf denselben Schaum­ Rednerliste ist erschöpft. Wir kommen zur Ab - wellen im gleichen Boot. Deswegen ist es schwierig, stimm u n g. Der Kollege Trapp hat den Änderungs­ diese Diskussionsweise zu akzeptieren. antrag -- (Unruhe) Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ frage des Kollegen Asenbeck? - Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit, damit Sie wis­ sen, worüber Sie abstimmen. Herr Kollege Trapp hat Hiersemann (SPD): Nein, ich will jetzt zum Schluß den Änderungsantrag gestellt, zunächst über kommen. die ursprüngliche Fassung des Antrags auf Drucksa­ che 11 /1250 abzustimmen. Wer dem Antrag zustim­ Sie machen doch durch Ihre Unterschrittenaktion men will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge­ dem Bürger deutlich: Bürger, engagiert euch! Die genprobe' - Stimmenthaltungen? - Bei einer Stimm­ CSU will, daß dies so schnell wie möglich gebaut enthaltung -- wird, und mit euren Unterschriften wird das beschleu­ nigt! (Widerspruch von den GRÜNEN) (Widerspruch von der CSU) - Pardon, ich habe zu wenig weit nach links ge­ schaut: Herr Kollege, Sie haben recht - bei einer Der Kollege Trapp macht mit seinem Antrag deutlich, Reihe von Stimmenthaltungen ist der Antrag ab g e - daß die SPD das auch will. Wir wollen das gemeinsam lehnt. in diesem Haus voranbringen. Ich komme zur nächsten Abs tim m u n g. Der Aus­ (Zuruf von der CSU: Wollen Sie die Frage schuß für Wirtschaft und Verkehr empfiehlt, wie wir auch noch im Europarat stellen?) vorher gehört haben, die Ablehnung. Der Ausschuß - Nein, aber es könnte eine Sachfrage für den Vertrie­ für Landesentwicklung und Umweltfragen empfiehlt benen beauftragten der CSU werden, das sehe ich die Neufassung des Antrags. Da ich nach der Ge­ ein. Das war eine sehr sinnige Zwischenfrage. schäftsordnung positiv abstimmen lassen muß, bitte ich denjenigen um das Handzeichen, der entgegen (Beifall bei der SPD) der Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Herr Kollege Lechner, weil ich das schon oft miterlebt Verkehr für die Annahme des Antrages in der neuen habe, habe ich ja Verständnis dafür. Aber man muß Fassung des Ausschusses für Landesentwicklung dann doch einmal ehrlich sagen, daß der Hintergrund und Umweltfragen ist. - ein ganz anderer ist. Würden Sie dem Antrag des Kol­ legen Trapp jetzt zustimmen, dann machten Sie damit (Abg. Hiersemann: Ein paar von Ihnen gleichzeitig deutlich, daß dies eine Initiative eines So­ müssen doch im Umweltausschuß zialdemokraten· in diesem Haus war. Das wollen Sie mitgestimmt haben') halt nicht, und aus diesem Grund lehnen Sie den An­ Ich bitte um die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? trag ab. - Bei Stimmenthaltung der Fraktion der GRÜNEN ist (Frau Abg. Stamm: Das stimmt doch nicht!) der Antrag a b g e 1 e h n t.

Es ist schlicht und einfach ein Prüfungsantrag. Ich rufe auf Tagesordnungs p u n kt 34: (Zurufe des Abg. Lechner - Frau Abg. Antrag der Abgeordneten Wax-Wörner, Paulig und Stamm: Er stimmt doch zu!) Fraktion betreffend Erhalt wohnortnaher Schulen -Ach, Sie selber? Dann wird das ja noch schwieriger. (Drucksache 11/1292) Dann müssen Sie sich zu Hause ja fragen lassen -- Über die Beratungen im Ausschuß für kulturpolitische (Zuruf des Abg. Lechner) Fragen (Drs. 11/1919) berichtet die Frau Kollegin Paulig. - Nein, wenn Sie dem Antrag des Kollegen Trapp hier zustimmen, dann müssen Sie sich doch zu Hause fra­ Frau Paulig (DIE GRÜNEN), Berichters t alte - gen lassen, welchen Einfluß Sie auf Ihre Fraktion ha­ r in: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der ben, Herr Kollege Lechner. Bei uns jedenfalls hat der Antrao wurde am 14. Mai im Kulturpolitischen Aus­ Kollege Trapp eine Mehrheit dafür gefunden. schuß- behandelt. In dem Antrag fordern wir die (Anhaltende Zurufe von der CSU) Staatsregierung auf, in der nächsten Sitzung des Kul- 1814 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Frau Paulig [DIE GRÜNEN]) Zustimmung der CSU zu diesem Berichtsantrag eine lange Diskussion hier im Plenum nicht notwendig ge­ turpolitischen Ausschusses über ihre Maßnahmen wesen. Jetzt allerdings sehe ich mich veranlaßt, dar­ zum Erhalt wohnortnaher Schulen zu berichten, und auf näher einzugehen, und ich bitte Sie um Aufmerk­ wir fordern sie auch auf, in diesem Zusammenhang samkeit. Auskunft über ihr Bemühen zu geben, die Schließung von drei Hauptschulen im Münchner Norden zu ver­ Bei unserem hier zur Abstimmung gestellten Antrag hindern. geht es um einen Bericht der Staatsregierung vor dem Ausschuß. Üblicherweise verschließen sich an­ Als Berichterstatterin verwies ich auf Äußerungen dere Fraktionen dem Antrag einer Fraktion auf einen von Herrn Staatsminister Zehetmair zum Erhalt wohn­ Bericht nicht. In diesem Fall kam es trotz meiner Zu­ ortnaher Schulen sowie darauf, daß das Thema der stimmung zum Änderungsvorschlag zu einer Ableh­ Schulorganisation zuletzt im Jahre 1980 parlamenta­ nung des Antrages. Dies erstaunt um so mehr, als risch behandelt worden sei und sich bis heute we­ sich der Kulturpolitische Ausschuß mit dieser Frage sentliche Veränderungen gerade hinsichtlich der Glie­ und dem Problem der Schulgliederung zuletzt 1980 derung von Hauptschulen ergeben hätten. anläßlich des Schulorganisationsplans beschäftigt Mitberichterstatter Otto Meyer verwies darauf, daß hat. Seit 1980 haben sich nun aber wesentliche Ver­ dieses Problem den Landtag schon seit langem be­ änderungen im Schulsystem ergeben: Die Schüler• schäftige und die Richtlinien für den Erhalt der Schu­ zahlen gingen weiter zurück, die Übertrittsquote ans len völlig klar seien. Gymnasium ist weiter gestiegen, die Schülerzahlen an den Hauptschulen haben wesentlich abgenom­ Frau Vorsitzende Christa Meier verwies darauf, men, und die Erwartungen an die Hauptschule sind daß der Erhalt wohnortnaher Schulen nicht nur im weiter gestiegen. ländlichen Raum, sondern auch im städtischen Raum In der damaligen Debatte des Kulturpolitischen Aus­ realisierbar sein sollte. schusses wurden von Herrn Kultusminister Prof. Dr. Im Verlaufe der Diskussion, in die sich auch Frau Fi­ Maier einige G r u n d s ätz e dargelegt: scher und Herr Dandorfer einschalteten, schlug Herr Für die Kinder der jeweiligen Altersstufen sollten Mitberichterstatter Otto Meyer eine Änderung des keine unzumutbaren Schulwege und Beförderungs• Antrages vor. Ich habe dieser Umformulierung zuge­ zeiten entstehen. Die Auflösung von Grundschulen stimmt, und der Antrag steht heute somit auch in der dürfe nur in unabweisbaren Fällen und nur bei gering­ umformulierten Form zur Abstimmung. Ich lese ihn fügigen Verlängerungen des Schulwegs erfolgen. Ein­ noch einmal vor: zügige Hauptschulen sollten nur in Ausnahmefällen Die Staatsregierung wird aufgefordert, in einer der und nur dann zugelassen werden, wenn die erforderli­ nächsten Sitzungen des Kulturpolitischen Aus­ chen Differenzierungen und der qualifizierende Ab­ schusses über ihre Maßnahmen zum Erhalt wohn­ schluß möglich bleiben. ortnaher Schulen zu berichten. Diese Forderungen gelten heute noch. Die Frage ist Der Antrag wurde trotz meiner Zustimmung zum nun aber, wie sich diese Forderungen, gerade die Vorschlag der CSU mit sieben Stimmen der CSU ge­ Hauptschule betreffend, mit der Forderung nach gen sechs Stimmen von SPD und GRÜNEN bei einer Wohnartnähe vereinbaren lassen. Enthaltung aus den Reihen der CSU abgelehnt. Ich denke, dieser Diskussionspunkt wäre gerade an­ gesichts der Probleme und der Bedeutung der (Zuruf von der SPD: Kam die Enthaltung vom Kollegen Meyer?) Hauptschule wohl einen Bericht der Staatsregierung wert. Häufig liegen ja inzwischen die Gymnasien nicht - Ja, logisch. nur räumlich näher als die Hauptschulen. Lassen Sie mich die Notwendigkeit eines Berichts noch einmal (Unruhe - Frau Abg. Paulig meldet sich zu an einem Beispiel darstellen: Das Beispiel ist die be­ Wort) reits angesprochene S c h 1 i e ß u n g v o n d r e i Hau p t s c h u 1e n i n M ü n c h e n ; sie ist in mei­ Präsident Dr. Heubl: Sie haben das Wort. nem Antrag nicht mehr enthalten. In diesem Fall ist das Anhörungsverfahren abgeschlossen. Die drei Frau Paulig (DIE GRÜNEN): Herr Präsident, sehr ge­ Schulen sollen geschlossen und die Schüler und ehrte Damen und Herren! Herr Kultusminister Zehet­ Schülerinnen zwei anderen Hauptschulen zugeteilt mair hat in seiner Haushaltsrede den Erhalt der wohn­ werden, obwohl sich die Stadt München, Elternbei­ ortnahen Schule gefordert. Ich darf die Stelle zitieren: räte, Pfarreien und soziale Einrichtungen für den Er­ Eine der großen bildungspolitischen Herausforde­ halt einer der zwei Schulen ausgesprochen haben. rungen der nächsten Zeit ist angesichts des raren Die Schließung einer dritten Schule wird bereits hin­ Gutes „Schüler" die Erhaltung der wohnortnahen genommen. Schule. Die Schule am Ort ist Voraussetzung für Nach den künftigen Schülerzahlen ließe sich nach un­ Heimatbewußtsein und innere Verwurzelung des seren Informationen bei Zusammenlegung dieser Schülers. zwei Schulen eine zweizügig geführte Hauptschule (Anhaltende Unruhe) mit Ausnahme der achten Jahrgangsstufe einrichten. - Ich bitte Sie, wenigstens zuzuhören, wenn ich den Es ist für mein Empfinden ausgesprochen bedauer­ Herrn Staatsminister zitiere. Im übrigen wäre mit einer lich, daß gerade im Hasenberg! mit seiner komplexen Ptenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1815

(Frau Paulig [DIE GRÜNEN]) Farbe hat ein Rappe? Denn unser Kultusminister, Sie haben ihn selbst zitiert, hat ein klares, eindeutiges Sozialstruktur derartig gravierende Schulorganisa­ Bekenntnis zur wohnortnahen Schule abgelegt. tionsänderungen geplant werden. Die Betroffenen wehren sich wohl zuwenig. (Beifall bei der CSU) Ein Mitarbeiter des Stadtjugendamts, das eine Au­ Ich darf hier aus seiner Haushaltsrede noch zwei Pas­ ßenstelle in einer dieser Schulen betreibt, stellte rich­ sagen zitieren: tig fest: Die Schließung der Schulen bedeutet eine Demontage der sozialen Infrastruktur; soziale Bezie­ Wir wollen die wohnortnahe Schule auch in Zeiten hungen sind nicht transportierbar; Erziehung braucht sinkender Schülerzahlen erhalten. Auch die in den Beziehung, und diese ist künftig nicht mehr gewähr• Jahren enormen Schülerrückgangs bewährte leistet. Schulorganisation wird im wesentlichen unverän• dert bleiben. Arbeitsstrukturen und soziale Erfolge einer dort täti• gen Arbeitsgemeinschaft für soziale Fragen sind Die zweite Aussage, Sie haben sie selbst schon zi­ durch die Schließung dieser Schulen gefährdet. Der tiert: Diakon im betroffenen Stadtteil sah in der Schließung Eine der großen bildungspolitischen Herausforde­ der Schulen den Verlust eines kulturellen Mittel­ rungen der nächsten Zeit ist angesichts des „raren punkts. Gutes Schüler" die Erhaltung der wohnortnahen Ich habe mit der Schließung dieser drei Hauptschulen Schule. Die Schule am Ort ist die Voraussetzung ein Beispiel herausgegriffen. Die Möglichkeiten und für Heimatbewußtsein und innere Verwurzelung Notwendigkeiten der Schulorganisation müssen je­ des Schülers. doch einmal generell im Ausschuß angesprochen werden. Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ frage der Frau Paulig? (Zuruf von der CSU: Da hat sie recht!) Es geht nicht an, daß ständig nur auf einzelne Petitio­ Dandorfer (CSU): Nein. nen, die herangetragen werden, reagiert wird. Im Grunde genommen frage ich mich, was für einen (Unruhe) Zweck denn noch ein Bericht des Kultusministers ha­ ben soll, der ja in seiner Haushaltsrede schon so - Es wäre mir recht, wenn es ein bißchen ruhiger deutliche Aussagen zur wohnortnahen Schule ge­ wäre. macht hat. (Frau Abg. Stamm: Das war doch nicht laut!) (Beifall des Abg. Diethei) Es geht auch nicht an, daß mit diesem Verhalten das Meine sehr verehrten Damen und Herren' Es gibt Recht mancher stillerer und gefügigerer Elterngrup­ wohl keine andere Partei in der Bundesrepublik pen und Schüler auf der Strecke bleibt. Deutschland, die hierzu eine so klare Aussage macht. (Unruhe - Glocke des Präsidenten) Wir sind ja sogar bereit, Kleinstklassen zuzulassen, um die wohnortnahe Schule zu erhalten, und zum an­ - Ja, ich brauche mehr Ruhe. deren sind wir auch bereit, Mischklassen anzuerken­ (Frau Abg. Stamm: Da haben Sie aber nen, was auf der anderen Seite dann von Ihnen immer schwache Nerven!) wieder als Rückschritt in der Kulturpolitik bezeichnet Regierungen und auch der Ausschuß brauchen ak­ wird. tualisierte Richtlinien. Ein Bericht der Staatsregierung Schauen Sie auf das S a a r 1a n d ' Dort hat die SPD darüber, welche Möglichkeiten und Maßnahmen sie die Regierungsverantwortung übernommen. Was wa­ sieht, um die wohnortnahe Schule zu erhalten, wäre ren die ersten Aufgaben, die das Kultusministerium dringend notwendig. Ich bitte um die Zustimmung zu dort wahrgenommen hat? Ich zitiere eine dpa-Erklä• unserem Antrag. rung: in der nächsten Zeit 39 Schulen zu schließen. (Beifall bei den GRÜNEN) Davon sind etwa 29 Grundschulen und 10 Hauptschu­ len betroffen. Präsident Dr. Heubl: Das Wort hat der Herr Kollege In Hessen hat die SPD die Landtagswahl letztend­ Dandorfer! lich wohl auch wegen ihrer verfehlten Schulpolitik ver­ loren. Dandorfer (CSU): Herr Präsident, meine Damen und Herren 1 Frau Paulig, es ist schon eigenartig, daß Sie (Frau Abg. Memmel: Zum Thema!) jetzt zum Schluß noch über eine Sachfrage Bericht Zum Anhörverfahren zur Hau p t s c h u 1e in erstattet haben, die im Grunde genommen, Sie haben München ! Im Anhörverfahren wird jeder Betrof­ es selbst gesagt, gar nicht mehr Inhalt Ihres Antrages fene zu einer Stellungnahme aufgefordert. Sie haben ist, nämlich über die Hauptschulen in München einen einige zitiert, die mir nicht bekannt sind. Ich bin der Bericht zu geben. Meinung, das ist ein echt demokratisches Verfahren. An das Kultusministerium die Frage nach der wohn­ Dann muß abgewogen werden, was wichtiger er­ ortnahen Schule zu richten ist genauso sinnvoll wie scheint: die wohnortnahe Schule oder ein differen­ die Frage: Welche Farbe hat ein Schimmel? Welche ziertes Angebot für die Schüler. 1816 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11/28 v. 24. 06. 87

(Dandorfer [CSU]) Die wohnortnahe Schule ist zwar erhalten worden, war aber miserabelst ausgestattet. Sie sagen, das Gymnasium liegt heute manchmal schon näher als die Hauptschule. Auch in meinem Ich habe damals Turnnoten gegeben aufgrund der Wohnort z.B. liegt das Gymnasium näher als die Rolle vorwärts und der Rolle rückwärts, weil es Sport­ Hauptschule. Aber das ist für mich keine Begrün• räume nicht gab und sich die Gemeinde mit CSU­ dung, das ist für mich kein Argument, sondern das ist Mehrheit geweigert hat, die Kinder zu Sportanlagen eine Frage des Standortes, je nachdem, wo jemand zu fahren. sein Wohnhaus hat. Das ist doch keine Begründung (Zurufe von der CSU, u. a. des Abg. für einen Bericht! Niedermayer: Das ist ja die Höhe! Hören Sie Ich bin deshalb der Meinung, daß Ihr Antrag - ich doch auf! Das ist doch lächerlich!) könnte da Ihren Vorsitzenden in Bayern zitieren - au­ Das gilt auch für die wohnortnahe Schule ßer viel Papier keinen Effekt bringt. Deshalb sollten wir den Antrag ablehnen. (Zuruf von der CSU: Wo war das?) (Beifall bei der CSU) in der Grundschule Haberskirchen.

Präsident Dr. Heubl: Wer hat sich gemeldet? - Frau (Unruhe - Glocke des Präsidenten) Kollegin Wax-Wörner! Oder wie es jetzt in diesem Jahr in meiner eigenen Gemeinde ist, wo es auch Kinder des Kollegen Erwin Frau Wax-Wörner (DIE GRÜNEN): Um einer gewis­ Huber betrifft, sen Logik hier die Ehre zu geben, darf ich ganz kurz darauf hinweisen, daß es sehr wohl einen Unter­ (Abg. Otto Meyer: Da werden Sie schied gibt zwischen Lippenbekenntnissen zur wohn­ Gemeinderat sein! Die Gemeinde ist für die ortnahen Schule, wie in solchen Ministerreden ge­ Sachausstattung zuständig 1) schehen, und einem Bericht über tatsächliche Maß• wo an der Grundschule - - nahmen dazu. Darum geht es uns. (Anhaltende Zurufe von der CSU) (Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CSU: Die sind sich ja selber nicht grün!) - Da haben Sie ja recht' Das müssen Sie Ihren Kolle­ gen sagen, die meinen Anträgen im Marktrat nicht zu­ Präsident Dr. Heubl: Meine Damen, meine Herren! stimmen! Ich komme zur Abs t i mm u n g. Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ (Abg. Trapp meldet sich zu Wort) frage des Kollegen Langenberger? - Herr Kollege Trapp' Langenberger (SPD): Herr Kollege Trapp, haben Sie (Unruhe - Zuruf von der SPD: Man darf sich nicht auch den Eindruck, daß sich die Kollegen von doch zu Wort melden.) der CSU erst einmal daran gewöhnen müssen, daß es auch einen SPD-Abgeordneten in ihren Räumen gibt Trapp (SPD): Ich möchte es kurz machen. Ich hätte und daß sie sich deshalb nicht so aufführen sollten? nichts gesagt, wenn kein so großer Unterschied zwi­ schen Ihrer Theorie und der Praxis wäre. (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CSU)

(Unruhe - Glocke des Präsidenten) Trapp (SPD): Da haben Sie völlig recht, Herr Langen­ Tatsache ist doch, daß in der Zeit zwischen 1977 und berger; der Gewöhnungsprozeß dauert selbst in den 1985 in Bayern 69 Haupt- und Grundschulen ge­ Organisationen an, wo CSU-Funktionäre an der schlossen und daß weitere 70 Schulen auf Einzügig• Spitze stehen. keit reduziert worden sind. Der Kollege Dandorfer malt hier ein rosarotes Bild, das einem Vergleich mit Präsident Dr. Heubl: Gestatten Sie eine Zwischen­ der Wirklichkeit einfach nicht standhält. Ich verweise frage des Kollegen Weiß? auf die wohnortnahe Schule in Hagenau oder in lgels­ dorf, mit der wir uns vor kurzem aufgrund einer Peti­ Dr. Weiß Manfred (CSU): Herr Kollege Trapp, geben tion befaßt haben und wo die Kinder zwar in Sicht­ Sie mir recht, daß sich die Kollegen in Ihrer Fraktion weite der Schule wohnen, aber eine Dreiviertelstunde inzwischen auch daran gewöhnen müssen, daß in mit dem Bus spazierengefahren werden, oder auf die manchen Räumen, in denen es bisher SPD-Abgeord­ Schule, an der ich vier Jahre unterrichtet habe und nete gab, nun keine mehr gibt? die zu dem Preis erhalten worden ist -- (Heiterkeit bei der CSU) (Widerspruch von der CSU, u. a. des Abg. Asenbeck: Daß Sie nicht mehr dort sind, hat Trapp (SPD): Das merken vor allem die Bürger mit der Schule sicher gut getan!) zunehmendem Bedauern, und Sie können sicher sein, daß dies bei den nächsten Wahlen wieder korri­ - Herr Asenbeck, daß die Schule attraktiver wird, giert wird. wenn ich nicht mehr dort bin, ist Ihre Darstellung! Sie (Beifall bei der SPD) mögen das humorvoll sehen; das ist Ihre Art von Hu­ mor. Ich würde Ihnen nicht so kommen; dazu ist mein Ich könnte noch viele Beispiele bringen, aber ich Respekt vor Mitgliedern dieses Hauses zu groß. möchte die Problematik anhand der Reisbacher Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1817

(Trapp [SPD]) tafel vorgesehenen Lehrerstunden in Neigungsgrup­ Schule aufzeigen. An drei Schularten dieser Schule pen etc. auch erhalten. sind erste Klassen vorhanden. In einem Ort wird eine Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen, damit wir Klasse von 23 Kindern gebildet, im anderen Ort eine einen Bericht bekommen. Hierbei kann die CSU­ von 27 Kindern; am dritten Ort sind es 37 Kinder. Staatsregierung aufzeigen, welche Überlegungen sie Dort könnte man die Klasse teilen. Aber nein, das anstellt; sie kann damit zeigen, daß sie ihre Hausauf­ wird nicht gestattet! Eine Reihe dieser 37 Kinder gaben machen möchte. muß. obwohl sie in unmittelbarer Nähe der Schule wohnen - Erstklaßschüler, wie gesagt - zum Unter­ (Beifall bei SPD und GRÜNEN) richt in einen anderen Ort fahren. So schaut Ihre wohnortnahe Schule in der Praxis aus. Präsident Dr, Heubl: Meine Damen, meine Herren' Ich komme zur Abs t i mm u n g. Der Ausschuß für (Abg. Diethei: Das war doch Ihre Forderung' - Weitere Zurufe von der CSU) kulturpolitische Fragen empfiehlt die Ablehnung des Antrages. Wer entgegen der Empfehlung für die An­ -- Ich komme zum Bericht zurück und möchte es kurz nahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich machen. Sie hindern mich daran. bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Ich bin auf diesen Bericht auch insofern gespannt, Der Antrag ist mit Mehrheit ab g e 1e h n t. weil ich aufgezeigt haben möchte, inwieweit durch of-, fene und flexible Strukturen die wohnortnahe Schule Ich rufe auf Tag e s o r d n u n g s p u n k t 35: sichergestellt werden kann. Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Wax-Wör• Um der demographischen Entwicklung und auch dem ner, Schramm, Paulig und anderer und Fraktion be­ Schullaufbahnverhalten gerecht zu werden, wird es treffend Unterstützung der Abrüstung atomarer Mit­ nach unserer Auffassung für die Schule der Zukunft telstreckenraketen in Europa (Drucksache 11 /2079) unumgänglich sein, kooperative und integrative For­ men zu wählen. Ich bitte, diesen Bericht ohne Scheu­ Über die Beratungen im Ausschuß für Verfassungs-, klappen anzufertigen, denn dann wird vielleicht auch Rechts- und Kommunalfragen (Drucksache 11/2124) deutlich, daß möglicherweise verschiedene Schular­ berichtet anstelle des Kollegen Säumer der Abgeord­ ten ein gemeinsames Angebot im Wahlbereich ma­ nete Dr. Weiß. chen müssen, und das vielleicht in einem Gebiet, wo die Hauptschule als eigene Schulart gefährdet ist, Dr, Weiß Manfred (CSU), Berichterstatter: weil sie nicht mehr überlebensfähig ist. Unter Um­ Herr Präsident, Hohes Haus! Der Ausschuß für Ver­ ständen müssen Überlegungen in Richtung eines fassungs-, Rechts- und Kommunalfragen hat sich mit zweigliedrigen Schulsystems angestellt werden oder dem aufgerufenen Antrag in seiner 20. Sitzung am in Richtung Gesamtschule. 3. Juni 1987 befaßt. Berichterstatter war der Abge­ (Beifall bei der SPD - Widerspruch und ordnete Säumer, Mitberichterstatter war ich. Zurufe von der CSU) Nachdem zu dem Antrag noch gesprochen wird, - Nicht die Gesamtschule, die Sie an die Wand ma­ kann ich, wie ich glaube, auf eine weitergehende Be­ len; denn Sie wissen ja ganz genau, welch kleine Ein­ richterstattung verzichten. Im Ergebnis wurde der An­ heiten möglich sind. Es mag Ihnen ja heute noch in trag mit den Stimmen der CSU gegen drei Stimmen den Ohren klingen, was der größte bayerische Leh­ von SPD und GRÜNEN abgelehnt. rerverband, der BLLV, in Würzburg beschlossen hat, nämlich man solle auf die Gesamtschule zugehen. Präsident Dr, Heubl: Darf ich fragen, wer das Wort Diese Leute verstehen wirklich etwas von Schule, von wünscht? - Der Herr Abgeordnete Schramm! Kindern und von Erziehung. Sie haben wahrscheinlich mehr Fachkompetenz als wir hier. Schramm (DIE GRÜNEN): Herr Präsident, meine Da­ (Abg. Dr. Rost: Das Thema lautet doch men und Herren! Eine Null-Lösung im Bereich der „wohnortnahe Schule" 1) Mittelstreckenraketen zwischen 1000 und 5000 Kilo­ metern Reichweite würde zur Zeit die Beseitigung Ich bitte auch, in diesen Bericht einzubauen, wo von 108 Pershing-II-Raketen und 208 Cruise Missiles wohnortnahe Sonderschulen erhalten werden sollen auf westlicher Seite bedeuten. Mit dem Abbau dieser und wie dies gewährleistet werden kann. Waffensysteme würde ein für die Erhaltung des Frie­ Ich komme zum Schluß. Es geht nicht nur darum, daß dens in Europa besonders bedrohlicher Faktor entfal­ die Schule wohnortnah sein soll, sie soll auch kinder­ len, da es sich zumindest bei den Pershing II um erst­ nah sein. Deshalb sollten die Lehrer mehr Zeit für die schlagsfähige nukleare Waffen handelt, die in einem Kinder haben. Das bedeutet auch - dies müßte der Ernstfall zu möglichst frühzeitigem Einsatz zwingen, Bericht aufzeigen -, daß wir mehr Lehrerstunden und um sie nicht am Boden zu verlieren. damit mehr Lehrer brauchen. Dabei ist nach Ansicht der SPD sicherzustellen, daß alle Schulen, ganz be­ Die Erstschlagsfähigkeit ergibt sich aus der Kombina­ sonders aber jene, die nicht mehr viele Schüler ha­ tion von drei Faktoren: erstens einer sehr kurzen ben, ohne Rücksicht auf einen Landesdurchschnitt Flugzeit von sechs bis zwölf Minuten, zweitens einer als Mindestzuweisung sämtliche in der Stunden- sehr hohen Treffergenauigkeit bei einer Zielabwei- 1818 Bayerischer Landtag . 11 _Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

(Schramm [DIE GRÜNEN]) Die sowjetische Bereitschaft zur Null-Lösung für diese Waffensysteme beinhaltet aber auch die Ab­ chung von nur unter 100 Metern und drittens der Fä• sicht zur Verschrottung vergleichbarer Raketentypen, higkeit, erst tief in der Erde zu detonieren, wodurch die grenzferner in Osteuropa stationiert sind. Rech­ selbst stark armierte Bunker, Befehlszentralen, Rake­ net man diese Raketen hinzu, ergibt sich ein „Abrü• tensilos usw. zerstört werden können. stungsverhältnis" zugunsten des Westens, das der Die genannten Fähigkeiten der Pershing II stellen aus ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Ro­ Sicht der UdSSR eine besondere Bedrohung dar, bert McNamara nur noch mit den Worten kommentie­ was bereits auf der Ebene des eskalierten politischen ren kann: „Wie kann man ernsthaft auf Raketen be­ Konflikts zu der Überlegung zwingen könnte, die stehen, die der Westen gar nicht besitzt, die der Pershings in einem Präventivschlag noch am Boden Osten aber einseitig verschrotten will!" Das Zitat zu zerstören. stammt aus dem „Spiegel", Nummer 20 dieses Jah­ res. Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik bedeuten also eine Senkung der atomaren Schwelle im Kon­ (Zuruf des Abg. Dumann) fliktfall. Die kurze Flug- und damit Vorwarnzeit dieser Unter den abzubauenden Raketen in Mitteleuropa be­ Raketen bedingt zusätzlich eine weitgehend compu­ finden sich vor allem die in Folge der sogenannten tergesteuerte Dienstbereitschaft, die die Möglichkeit NATO-Nachrüstung auf!iJestellten Kurzstreckenrake­ des Computerirrtums und damit der nuklearen Ver­ ten in der DDR und der CSSR. Der Bundeskanzler hat nichtung Mitteleuropas aus Versehen in sich birgt. die Beseitigung dieser Nuklearwaffen angemahnt, als Demgegenüber würde die Null-Lösung für Mittel­ die UdSSR die Nullösung für Pershing II, Cruise Mis­ streckenraketen längerer Reichweite den Abbau von siles und SS 20 angeboten hat. In der Tat stellen 270 Systemen des Typs SS 20 und von 112 Raketen diese Waffen aufgrund ihrer kurzen Vorwarnzeit von des Typs SS 4 auf sowjetischer Seite bedeuten. nur einer bis drei Minuten eine besondere Gefahr für Wenn man das Ausmaß der Bedrohung erkennen will, die Bevölkerung auch in Bayern dar. Wer der Null-Lö• muß man die Zahl der SS 20 mit drei multiplizieren, sung für Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite was der Anzahl der jeweiligen Sprengköpfe ent­ nicht zustimmt, setzt sich dem Verdacht aus, nicht spricht. Diese sowjetischen Waffen dürften zum größ• die Sicherheit der Bundesrepublik und seiner Bürger ten Teil auf militärische und zivile Ziele im Fronststaat zu verfolgen, sondern ganz anderen Interessen zu Bundesrepublik gerichtet sein. dienen. zusammengefaßt würde eine Null-Lösung im Bereich (Abg. Hiersemann: So ist es!) der Mittelstreckenraketen von 1000 bis 5000 Kilome­ Außerdem ist die internationale Lage völlig klar. Zu ei­ tern Reichweite für die Bundesrepublik folgende Be­ nem Abkommen über die Beseitigung von Mittel­ drohungsfaktoren beseitigen: streckenraketen größerer Reichweite wird es aller 1. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein politischer Konflikt Voraussicht nach kommen. Für diesen Fall haben aufgrund des Bedrohungspotentials frühzeitig und aber die USA klar erklärt: Entweder Null-Lösung auch direkt in den nuklearen Krieg führt, würde deutlich für die Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite herabgesetzt. oder zusätzliche Stationierungen von Raketen dieser Auslegung in Mitteleuropa, vor allen Dingen in der 2. Durch die Beseitigung der Pershing-II- und Cruise­ Bundesrepublik, und damit sicherlich auch in Bayern. Missiles-Raketen entfiele eine Reihe von lohnen­ Es geht also nicht um die Alternative weniger Waffen den Atombombenzielen; die Sicherheit der Bevöl• oder Beibehaltung der jetzigen Stärken, sondern die kerung beispielsweise am Stationierungsort Neu­ Alternative heißt: Frieden schaffen mit weniger Waf­ Ulm in Bayern würde erheblich zunehmen. fen oder zusätzliche Aufrüstung. 3. Die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen würde Bei den Pershing IA, die manche Unionspolitiker so sich verringern. gern behalten möchten, handelt es sich im übrigen 4. Durch die Verschrottung der SS 20 und SS 4 durch um so veraltete Systeme, daß der Bundesverteidi­ die UdSSR lägen zwischen 400 und 900 Ziele in der gungsminister sie am liebsten spätestens 1990 durch Bundesrepublik weniger im Visier der permanenten neue Raketen, Pershing IB genannt, ersetzen nuklearen Vernichtungsdrohung. möchte. Hier könnte aber einer der wahren Gründe für die ablehnende Hinhaltetaktik des „Stahlhelm-Flü• Eine Null-Lösung in diesem Bereich liegt also im drin­ gels" in der Union gegen die doppelte Null-Lösung genden Interesse der Bevölkerung der Bundesrepu­ liegen: Die ab 1990 vorgesehenen Pershing-IB-Rake­ blik Deutschland und Bayerns. ten gehören zu einem Baukastensystem, dem auch Ein Null-Lösung bei Mittelstreckenraketen mit einer die Pershing II angehören. Beide Typen unterschei­ Reichweite zwischen 500 und 1000 km sähe auf west­ den sich lediglich durch eine zusätzliche Antriebs­ licher Seite die Vernichtung von 72 Raketen vom Typ stufe. Die Montage einer zusätzlichen Antriebsstufe, Pershing 1 A vor, nicht mehr. Allein im mitteleuropäi• also die Verwandlung einer Pershing IB von 750 km schen Raum müßte die östliche Seite 80 Raketen des Reichweite in eine erstschlagfähige Pershing II von Typs SS 12 bzw. 22 und 50 vom Typ SS 23 vernichten. mindestens 1800 km Reichweite, würde dann nur we­ Betrachtet man nur Mitteleuropa, ergibt sich also be­ nige Stunden dauern. Verbirgt sich hinter dem reits ein Zahlenverhältnis von 72 zu 130 zugunsten krampfhaften Festklammern an den nach eigener des Westens. Aussage schrottreifen Pershing IA vielleicht doch PlenarprotokoU 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag . 11. Wahlperiode 1819

(Schramm [DIE GRÜNEN]) zept beschrieben, in dem es heißt: ,,Wir streben die Fähigkeit zur frühen Initiative durch offensive Aktio­ Franz Josef Strauß' Jugendtraum von der Atommacht nen mit Luft- und Landstreitkräften an." Dabei geht Bundesrepublik Deutschland? es um die „Integration konventioneller, nuklearer, (Abg. Dumann: So ein Quatsch!) chemischer und elektronischer Mittel". Siehe das Ende des Atomwaffensperrvertrags 1995, Die doppelte Null-Lösung ist auch deshalb eine siehe WAA und ähnliches! Chance, weil erstmals Massenvernichtungsmittel in (Anhaltende Zurufe von der CSU - ihrer Zahl nicht nur begrenzt, sondern tatsächlich ver­ nichtet würden, weil durch die erfolgreiche Durchfüh• Gegenrufe von den GRÜNEN und der SPD - rung und Einhaltung eines diesbezüglichen Abkom­ Unruhe - Glocke des Präsidenten) mens ein Gutteil Mißtrauen zwischen den Großmäch• Die entfesselte Macht des Atoms hat alles verän• ten abgebaut werden könnte. Abbau von Mißtrauen dert, nur nicht unser Denken. Wir brauchen eine eröffnet aber die Chance zu weiterer Abrüstung, Ab­ wesentlich neue Denkungsart, wenn die Mensch­ rüstung, die die Menschen ganz dringend brauchen, heit am Leben bleiben will. wie auch ihr täglich Brot. Diese Sätze von Albert Einstein sind ohne weiteres (Abg. Dumann: Aus was liest der denn vor?) auch auf die Null-Lösungsthematik anwendbar. Si­ cherheit ist im Zeitalter der garantierten Auslöschung - Eine Zwischenbemerkung, Herr Dumann: Ich lese der Gattung Mensch durch einen Krieg nicht durch deswegen vor, weil ich diese Fakten sehr fleißig zu­ Waffengleichheit herstellbar. Die Existenz von hoch­ sammengesucht habe und versuchen will, in meiner gerüsteten Armeen hat auch in der Geschichte häufig Redezeit alles unterzubringen. der Sicherung des Friedens gedient, doch wie oft in (Abg. Nätscher: Das hat mit uns hier der Menschheitsgeschichte hat dieses System ver­ überhaupt nichts zu tun! - Anhaltende sagt, sind Kriege trotz allseitiger Rüstung ausgebro­ Zurufe von der CSU) chen 1 Positivistisch interpretiert waren das Unfälle der Geschichte, die nur einer begrenzten Anzahl von Als Argument gegen die doppelte Null-Lösung wird Menschen Leben, Gesundheit oder Glück raubten. von „christlichen" Politikern häufig auf die konventio­ nelle Überlegenheit des Warschauer Pakts hingewie­ Im Zeitalter der Atombombe würde ein einziger sol­ sen. Dazu werden Zahlen genannt: 8050 NATO-Pan­ cher Unfall das Überleben der gesamten Art Mensch zern stünden 25600 des Ostens gegenüber, auf 4400 in Frage stellen. Im Zeitalter der Atombombe ist Si­ westliche Kanonen kämen 18400 östliche. Diese Zah­ cherheit für die Menschen, egal ob in Ost oder West, len stammen aus dem Weißbuch 1985. Eine realisti­ nicht mehr durch risikoreiche Experimente wie „Si• sche Analyse des konventionellen Bedrohungspoten­ cherheit durch Stärke" oder „Sicherheit durch tials wird der Öffentlichkeit dabei meist verschwie­ Gleichgewicht" herstellbar. Sicherheit gibt es nur ge­ gen. Das Internationale Institut für strategische Stu­ meinsam, nicht gegeneinander. Sicherheit für die dien in London hat die Angriffsmöglichkeiten der Gattung Mensch, d. h. Überleben, gibt es nur durch UdSSR untersucht. Laut llSS stehen den Warschauer die Beseitigung aller Massenvernichtungsmittel. Des­ Vertragsstaaten für einen Blitzangriff aus dem Stand halb ist die Abrüstung im Mittelstreckenraketenbe­ 33 Divisionen mit insgesamt 429000 Soldaten zur Ver­ reich als Einstieg in die anzustrebende Vernichtung fügung. Dem stehen 14 Bundeswehrdivisionen und aller Massenvernichtungswaffen eine historische zehn Divisionen aus amerikanischen und britischen Chance von ungeheuerer Bedeutung. Wer diese Soldaten, insgesamt 400000 Mann, gegenüber, wohl Chance nicht begreift, hat die veränderte Situation kaum ausreichend für einen erfolgversprechenden der Menschheit seit Hiroshima am 6. August 1945 Angriff. nicht begriffen. Wer zur doppelten Null-Lösung nein sagt, zeigt, daß er immer noch in Kategorien des 1. (Anhaltende lebhafte Unruhe bei der CSU - und 2. Weltkriegs denkt, daß sein Horizont heute Signal des Präsidenten) noch nicht über Dicke Bertas und Wunderwaffen hin­ - Ich komme zum Schluß. ausreicht. Wer heute noch Sicherheit durch die An­ häufung von Waffen herstellen will, wer heute noch (Beifall bei der CSU) mit Adenauer in Nuklearwaffen eine Form herkömmli• Beträgt die Vorbereitungszeit für einen Angriff eine cher Artillerie erblickt, ist friedens- und damit zu­ Woche, kämen laut Aussage des zitierten Instituts kunftsunfähig. 500 000 Soldaten auf östlicher Seite und 700 000 Sol­ (Beifall bei den GRÜNEN - Anhaltende daten auf westlicher Seite hinzu. Eine seltsame Form Zurufe von der CSU) der „Überlegenheit" ! Wer nein sagt zu einer doppelten Null-Lösung oder Zum Schluß noch ein Zitat von Richard Perle, dem diese vorsätzlich verzögert, hat nicht Abrüstung zum Unterstaatssekretär im amerikanischen Verteidi­ Ziel, redet vom Frieden schaffen mit immer weniger gungsministerium: Waffen nur im Wahlkampf zum Stimmenfang. Den Der Abzug atomarer Mittelstreckenraketen wird, Nein-Sagern geht es wahrscheinlich auch nicht ernst­ meine ich, das militärische Gleichgewicht in Europa haft um Sicherheit. Wer Abrüstung zu verhindern nicht verändern. sucht, sieht seine wirklichen Ziele wohl weit eher im amerikanischen Air-Land-Battle-Kriegsführungskon- (Beifall bei den GRÜNEN) 1820 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode P!enarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Präsident Dr. Heubl: Meine Damen. meine Herren' wiederholen Sie etwas, was ohnehin selbstverständ• Ich will die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit lich ist, und zum Teil bemühen Sie sich krampfhaft, solcher Anträge. auch unter dem Gesichtspunkt der die Position Moskaus in den Verhandlungen mit den Zweckmäßigkeit, USA zu stärken. Das beweise ich Ihnen auch. (Lebhafter Beifall bei der CSU) (Beifall bei der CSU) in später Abendstunde nicht erörtern. Ich habe nur Da geht es bei Spie g e 1 strich 1 Ihres Antrags eine Bitte: Ich darf auf § 107 unserer Geschäftsord• los: „Der Bayerische Landtag verlangt den sofortigen nung hinweisen und wende mich jetzt an den Kolle­ und bedingungslosen Abbau und Abzug von Per­ gen Schramm, aber nicht nur an ihn allein, sondern an shing II und Cruise Missiles." Ja, sollen denn die SS- alle Abgeorneten, wonach die Rede grundsätzlich frei 20-Waffensysteme nicht abgezogen werden? Wollen zu erfolgen hat. Sie nur die westlichen Waffensysteme beseitigen, Das Wort hat der Herr Kollege Weiß! während Ihnen die östlichen ganz angenehm sind? (Zurufe der SPD und der GRÜNEN) Dr. Weiß Manfred (CSU): Herr Präsident, Hohes Haus! Die Ausführungen, die wir soeben - Ganz deutlich gesagt: Wenn wir heute das Angebot von Gorbatschow haben, die SS 20 abzuziehen, um (Zurufe von der SPD: Frei reden! - die Cruise Missiles und die Pershing II wegzubekom­ Gegenrufe von der CSU: Das tut er doch!) men, dann nur deshalb, weil damals der Westen - Ich rede schon frei. nachgerüstet hat, weil wir nicht wie die SPD und die GRÜNEN diese Position schon vorzeitig aufgegeben Präsident Dr. Heubl: Gedächtnisstützen, Herr Kol­ haben. lege Langenberger, sind, wie Sie wissen, gestattet. Nur das Vorlesen ist so eintönig. (Beifall bei der CSU) Sie hatten sich doch schon mit der Stationierung der Dr. Weiß Manfred (CSU): Die Ausführungen, die wir SS 20 abgefunden! Sie haben davon gesprochen, daß soeben vom Herrn Abgeodneten Schramm gehört die große Gefahr kommt, daß der kalte Krieg kommt, haben, sind an sich so unsachlich und so arglos, daß daß der Weltkrieg kommt, wenn nachgerüstet wird. es mir schwerfällt, darauf einzugehen. Was ist geschehen? Wir haben mit Pershing II und (Zustimmung bei der CSU) Cruise Missiles nachgerüstet, und jetzt auf einmal ist auf der östlichen Seite die Bereitschaft da, auch die Herr Abgeordneter Schramm, ich sage es einmal mili­ eigenen SS 20 wieder abzuziehen, die Sie schon tärisch: Sie haben sich hier mühsam einen Pappka­ längst akzeptiert hatten. meraden aufgebaut, um ihn dann heldenhaft bekämp• fen zu können. (Abg. Hiersemann: Warum waren Sie plötzlich so überrascht?) (Abg. Spitzner: Militärische Onanie! - Heiterkeit bei der CSU) Nun zu Spie g e 1 strich 2, zu der Aufforderung Ich glaube aber, daß doch die Position der CSU hier an die Großmächte, ihre grundsätzlich erzielte Eini­ deutlich gemacht werden sollte. gung über die Abrüstung landgestützter, weitreichen­ der Mittelstreckenraketen in und für Europa noch in Wir begrüßen jeden Schritt, der uns einem sicheren diesem Jahr vertraglich abzusichern. Was soll denn Frieden näherbringt. Es ist auch gut, daß sich die das? Glauben Sie denn, daß es für den amerikani­ Großmächte zu Verhandlungen zusammengefunden schen Präsidenten oder für Herrn Gorbatschow von haben. Dazu mag jeder Politiker seine Meinung sa­ Bedeutung ist, was der Bayerische Landtag hierzu gen, aber ich halte es für absurd, diese Themen im sagt, ganz zu schweigen davon, was wir hierzu der Bayerischen Landtag behandeln zu wollen. Bundesregierung erzählen? (Beifall bei der CSU) (Zuruf der Frau Abg. Memme!) Das gilt auch für Ihre Appelle an die Bundesregie­ Diese Forderung ist so überflüssig wie ein Kropf. rung, die ja bei den Verhandlungen nicht einmal Ver­ handlungspartner ist, und es gilt verstärkt dann, wenn (Beifall bei der CSU) Sie den Großmächten Ratschläge geben, was sie in Es wird noch schöner: Mitteleuropa oder gar in der weiten Welt, in Asien und Nordamerika tun sollen. Der Bayerische Landtag geht davon aus, daß die (Zurufe von der CSU - Unruhe - Glocke des möglicherweise außerhalb Europas verbleibenden Präsidenten) amerikanischen und sowjetischen Mittelstrecken­ raketen mit insgesamt 100 atomaren Sprengköpfen Ich sage ganz deutlich: Wir haben hier keinerlei Zu­ auf beiden Seiten durch ein weiteres Abkommen ständigkeit. Deshalb ist es eigentlich müßig, darüber abgerüstet werden. zu reden. Das ist doch ohnehin schon die Tendenz! Seit wann (Abg. Ritter: Hör auf, das langt schon!) machen wir große Weltpolitik, indem wir festlegen, Wes Geistes Kind dieser Antrag von Ihnen ist, sollte wie viele Raketen in Asien oder Alaska stationiert man jedoch schon einmal deutlich machen. Zum Teil werden sollen? PlenarprotokoH 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1821

(Dr. Weiß Manfred [CSU]) NATO-Konferenz ganz deutlich gesagt haben, daß sie Verständnis haben für die Forderung der Bundesre­ Der Landtag begrüßt den amerikanischen Vor­ gierung, die Pershing IA beizubehalten und daß dies schlag vom Herbst 1986, auch Mittelstreckenrake­ von Ihrer Seite aus auf keinen Fall ein Hinderungs­ ten kürzerer Reichweite reduzieren zu wollen. grund bei den Vereinbarungen sein wird. Das ist doch alles überholt. Warum sagen Sie nicht: Wozu denn Kurzstreckenraketen unter 500 Kilome­ Zweiter Vizepräsident Dr.Rothemund: Herr Kollege ter? Was haben wir denn erreicht, wenn wir die Mittel­ Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn streckenraketen längerer und kürzerer Reichweite Kollegen Hiersemann? - Bitte, Herr Kollege Hierse­ abschaffen? Daß es nur noch zwei Raketensysteme mann! gibt, die einen, die den absoluten Weltkrieg bedeu­ ten, nämlich die auf Moskau und auf Washington ge­ Hiersemann (SPD): Herr Kollege Dr. Weiß, wenn das richteten Interkontinentalraketen, und die Kurzstrek­ so richtig wäre, was Sie sagen, wie erklären Sie es kenraketen, die nur noch von Deutschland nach sich dann, daß die Bundesrepublik Deutschland in­ Deutschland geschossen werden. Wollen Sie das nerhalb des westlichen Bündnisses allein dastand, denn erreichen? daß die Bundesregierung ihre Position gegenüber (Abg. Dr. Kestel: Nein, wir wollen den USA räumen mußte und daß das, was die Bun­ Abrüstung! - Unruhe) desregierung nun als letzten Auffangpfeiler für eine eigenständige Position eingezogen hat, eben nicht Ich halte es nicht für richtig, daß man bei der Abrü• die Grundposition der USA war? stung mittendrin angefangen hat, nämlich bei Reich­ weiten von 500 bis 5000 Kilometer. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der SPD) Dr. Weiß Manfred (CSU): Herr Hiersemann, ich kann Es wäre besser gewesen, oben oder unten anzufan­ Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie hier etwas gen, denn es ist nicht ganz logisch, mittendrin anzu­ durcheinander bringen, was überhaupt nicht zusam­ fangen. Ich glaube, daß hier weiterhin Bedenken im mengehört. Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der westlichen Welt bestehen. (Abg. Dr. Rost: Ganz bewußt! - Widerspruch bei der SPD) (Zuruf des Abg. Klasen) Ich sprach jetzt von der Pershing IA, welche die deut­ Das müßte eigentlich jedem Verständigen offenkun­ sche Luftwaffe hat. Von der Pershing IA war vorher dig sein. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, bei den Verhandlungen über die Mittelstreckenrake­ daß Ihnen das als Partei egal ist. ten kürzerer Reichweite überhaupt nie die Rede. Wie Jetzt kommt das Nächste: können Sie also daraus schließen, daß die Amerika­ ner eine andere Position hatten? Der Landtag fordert die Bundesregierung auf, die­ sen Verhandlungsprozeß durch eine Erklärung (Abg. Klasen: Darüber ist verhandelt über den Verzicht auf die Pershing IA der Bundes­ worden') luftwaffe zu fördern. Unser Problem sind die Mittelstreckenraketen kürze• Das ist eindeutig die Position Moskaus. Die Amerika­ rer Reichweite, das ist richtig, weil wir diese Sorge ner haben ganz klar gesagt, daß die Pershing IA nicht haben: Wenn sie abgeschafft werden, ist der Englän• Gegenstand der Verhandlungen ist. Genauso wenig der nicht mehr bedroht, ist der Franzose nicht mehr wie wir über die atomaren Raketen der Briten und bedroht, ist der Italiener nicht mehr bedroht; die Franzosen debattieren können, genauso wenig kön• ganze Luftverteidigung lastet auf der Bundesrepublik nen wir über Trägersysteme debattieren, die nicht Deutschland und den USA. einmal eigene Kernwaffen tragen, die ja die Amerika­ ner unter Kontrolle haben. (Abg. Vogele: Thema!) (Frau Abg. Memmel: Warum lassen Sie sie Ich glaube, es ist doch selbstverständlich, daß die aufstellen, verdammt noch einmal? - Bundesregierung hier besorgt sein muß, weil es um Gegenruf des Abg. Daum: Weil wir deutsche Interessen geht. Sie sollten die Tatsache, Sicherheit wollen!) daß es sich andere europäische Länder hier etwas einfacher machen und sich selbst der Bedrohung Sie geben Positionen auf, die der ganze Westen bei­ entziehen, nicht zum Anlaß nehmen, um das Vertre­ behalten will. ten der eigenen Positionen in Frage zu stellen. (Zahlreiche Zurufe von den GRÜNEN und (Zuruf des Abg. Klasen) der SPD - Unruhe - Glocke des Präsidenten) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Herr Kollege, - Herr Kollege Hiersemann, ich gehe davon aus, daß gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Sie sich auch hier wenigstens ab und zu einmal die Schramm? Meinung der Amerikaner aneignen oder anhören soll­ ten. Dann werden Sie ganz klar zugeben müssen, daß Dr. Weiß Manfred (CSU): Ich glaube, das hat hier kei­ die Amerikaner beispielsweise nach der letzten nen Sinn. 1822 Bayerischer Landtag . 11 _Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nein. Fahren Depp' - Abg. Diethei: Aber Herr Klasen, Sie fort! das sagt man doch nicht!) Wir Sozialdemokraten haben seit Jahren gefordert, Dr. Weiß Manfed (CSU): In der Formulierung unter daß die Entspannungspolitik einen neuen Anlauf dem nächsten Spiegelstrich wenden Sie sich gegen braucht. Wir verlangen und verlangten eine zweite Überlegungen auf westlicher Seite, durch See- und Phase. Diese zweite Phase der Entspannungspolitik Luftstationierung von Mittelstreckenflugkörpern eine soll unter der Überschrift „Abrüstung" stehen. Des­ Null-Lösung zu kompensieren. Nicht Um-, sondern halb, meine Damen und Herren, verstehen wir die Abrüstung sei das Gebot der Stunde. doppelte Null-Lösung als eine historische Chance Das ist eindeutig die Position Moskaus gegen die Po­ zum Einstieg in die Abrüstung. Wir haben zum er­ sition des Westens; da wird mir dieses Mal sogar die stenmal in der Geschichte die Chance, Massenver­ SPD zustimmen. Ich glaube, Sie kommen mit solchen nichtungsmittel zu verschrotten. Wir haben zum er­ Forderungen, die die eigene Sicherheit gefährden stenmal die Chance, ein Abrüstungsabkommen zu er­ und die unsere Position unnötigerweise schwächen, reichen, das nicht an neuen Obergrenzen für den Rü• nicht weiter. stungswettlauf orientiert ist, sondern wirklich weniger Waffen bedeuten kann. Deshalb, meine Damen und Nächster Punkt Herren, stimmt die SPD der doppelten Null-Lösung hält bei beiderseitigem politischem Willen zur zu, und deshalb, so meinen wir, steht es auch diesem Abrüstung die Verifikationsprobleme für lösbar? Landtag gut an, sich zu diesem Thema zu äußern. Sicher, aber was soll das? freilich, wenn der gute (Beifall bei SPD und GRÜNEN) Wille da ist, ganz klar, aber dazu brauchen wir keinen Meine Damen und Herren' Sie als maßgeblicher Teil Antrag. der Koalition in Bonn Als letztes ist Ihre Auffassung zu nennen, daß das konventionelle Kräfteverhältnis in Europa keiner Seite (Abg. Brosch: Danke für die Blumen') die Möglichkeit bietet, einen ausschließlich mit kon­ haben vor vierzehn Tagen gerade noch einmal die ventionellen Waffen ausgetragenen Krieg mit Aus­ Kurve gekriegt. sicht auf Erfolg führen zu können. (Abg. Hiersemann: Und das auch nur halb!) Diese Ihre Meinung halte ich für falsch. Wir wissen nämlich, daß bei einem Vergleich der Waffensysteme Es gab eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag von Ost und West ein Verhältnis von 3 zu 1 besteht, in einer namentlichen Abstimmung für die von den nämlich bei den Panzern, der Artillerie und den Amerikanern und den Sowjets vorgeschlagene Null­ Kampfhubschraubern. In jedem Bereich besteht eine lösung für atomare Mittelstreckenraketen mit einer eklatante Überlegenheit des Ostens. Ich glaube, daß Reichweite zwischen 500 und 5000 Kilometern. es um unsere Sicherheit schlecht bestellt wäre, wenn Wir wollen einen Schritt weiter gehen. Wir wollen eine nur der konventionelle Schutz bestünde. weitere Null-Lösung erreichen, und zwar für Raketen Ich sage ganz deutlich, wir sind für Abrüstung und zwischen 150 und 500 Kilometern Reichweite. Das wollen den Frieden mit immer weniger Waffen si­ Anliegen, das in dem jetzt debattierten Antrag zum chern. Wir sind aber nicht bereit, unsere eigenen Po­ Ausdruck kommt, ist zwar von diesem Beschluß mit sitionen und unsere eigene Sicherheit als Vorleistun­ umfaßt, aber nicht erledigt. Denn die Einigkeit im gen aufs Spiel zu setzen. Ich glaube, hier zeigt sich Deutschen Bundestag und vor allen Dingen die Einig­ die Verantwortung für unsere Bürger. Wenn Sie diese keit in der Union zum Thema Doppel-Null-Lösung ist Verantwortung nicht empfinden, dann kann ich Ihnen wesentlich geringer, als es nach außen erscheint. Da nicht helfen. Danke schön. ist zunächst einmal die Tatsache des langen Zau­ derns, des Aufschiebens, Aussitzens ohne eine Ent­ (Beifall bei der CSU) scheidung und die damit heraufziehende Gefahr der Isolation der Bundesrepublik Deutschland. Diese Iso­ zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste lation, meine Damen und Herren von der CSU, ist Wortmeldung, Herr Karl Heinz Müller' noch lange nicht überwunden.

Müller Karl-Heinz (SPD): Herr Präsident, meine sehr (Beifall bei der SPD) verehrten Damen und Herren! Die Entspannungspoli­ Diese Isolation wird nämlich von manchen von Ihnen tik ganz offensichtlich weiterbetrieben und geht quer (Abg. Dr. Nätscher: Entscheidet der durch die Unionsfraktion. Vor allem aber auch aus der Landtag') CSU zu vernehmende Verlautbarungen zu verschie­ denen Themen, zur Verknüpfung von Themen wie hat die siebziger Jahre geprägt. Eine tragende Säule Wiedervereinigung und Abrüstung und zu den Per­ dieser Entspannungspolitik war der Ausgleich mit shing IA, zu denen ich noch kommen werde, deuten dem Osten; er wurde von den sozialdemokratischen darauf hin, daß ganz offensichtlich ein großer Teil in Kanzlern Brandt und Schmidt betrieben und von der Ihren Reihen noch nicht verstanden hat oder verste­ CDU/CSU lange und heftig bekämpft. hen will, worum es eigentlich geht. Denn, meine Da­ (Abg. Breitrainer: Teuer bezahlt jedes Jahr! men und Herren, es besteht ja nicht nur die Gefahr Das muß man einmal sagen! - Abg. Klasen: der Isolation im Bündnis, die so deutlich geworden Plenarprotokoll 11/28 v 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1823

(Müller Karl-Heinz [SPD]) Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten sa­ ist, daß unsere Verbündeten schon fast Erbarmen mit gen mit allem Nachdruck, wenn durch diese Haltung dieser Bundesregierung hatten, sondern die Gefahr Ihrer Freunde in der Union in Bonn - die ja wie gesagt der Isolation besteht ja auch darin, daß wir dami1 als nicht eindeutig in dem Beschluß vom 4. Juni 1987 Deutsche darauf verzichten, Einfluß zu nehmen auf ei­ zum Ausdruck gekommen ist - oder durch die in der nen Prozeß, der für uns in Deutschland von wahrhaft Union aufgebaute Position die Verhandlungen zwi­ lebenswichtiger Bedeutung ist. schen den Weltmächten erschwert oder gar unmög• lich gemacht werden, dann müßten Sie mit unserem (Beifall bei der SPD) ganz energischen Widerstand rechnen. Denn, meine Damen und Herren, durch eine europäi• (Beifall bei der SPD) sche Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen, Herr Kollege Dr. Manfred Weiß, da gebe ich Ihnen recht, Wir können es uns nämlich nicht erlauben, in dieser wäre das strategische Verhältnis zwischen den Su­ Frage die Gemeinsamkeit, die uns - Gott sei Dank - permächten an sich ja überhaupt nicht berührt. noch bewegt und beherrscht, aufzugeben. Denn alle (Beifall bei den GRÜNEN) Bundesregierungen, Herr Kollege Dr. Manfred Weiß, auch die von CDU/CSU getragenen, haben bisher die Aber erstmals in der Geschichte - ich wiederhole: Meinung vertreten, daß wir nicht Inhaber von Atom­ erstmals in der Geschichte - der neueren Ost-West­ waffen sein wollen, daß wir sie weder bauen noch be­ Beziehungen haben wir die Möglichkeit, Waffen, die sitzen wollen. Dabei soll und muß es bleiben. Darüber mit großem finanziellen Aufwand und großem Auf­ hinaus wollen wir Sozialdemokraten tatsächlich die wand an menschlichem Geist entwickelt, produziert Zeit nutzen, die jetzt begonnen hat, in der wir nämlich und stationiert worden sind, als Ergebnis eines Ab­ kommens wieder abzuziehen und zu verschrotten. eine Chance haben, ein neues Blatt in der Geschichte Europas aufzuschlagen, eine zweite Phase der Ent­ (Beifall bei der SPD) spannungspolitik einzuleiten; einer Entspannungspo­ Die Politik, meine Damen und Herren, das ist doch litik, die uns bestimmt mehr Stabilität sowie mehr das Entscheidende an dem jetzigen Vorgang, hätte Frieden und Abrüstung in Europa und in unserem damit einen wichtigen Bereich wieder zurückgewon• lande bringt als immer weitergehende Aufrüstung. nen, hätte wieder die Oberhand in einem Bereich ge­ Meine Damen und Herren! Wir meinen deshalb, die­ wonnen, der bisher rein militärischem Kalkül unterlag. ses Anliegen ist so wichtig, daß man diesem Antrag Das wäre nicht weniger als der Sieg der Vernunft zustimmen soll. Ich kündige für meine Fraktion an, über die Eigendynamik der Rüstung. daß wir diesem Antrag zustimmen werden. (Beifall bei der SPD) (Starker Beifall bei der SPD) Diese Chance sollten wir uns alle miteinander weiß Gott nicht entgehen lassen. zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Meine Damen und Herren! Ich sprach vorhin von der Wortmeldung, Frau Kollegin Wax-Wörner' Gefahr der Isolation. Sie haben in verschiedenen in­ ternationalen Konferenzen erlebt, wie sehr die Bun­ Frau Wax-Wörner (DIE GRÜNEN): Herr Präsident, desrepublik isoliert war, wie sehr unsere Verbünde• meine Damen und Herren! Ob dieses Thema Gegen­ ten darauf gedrängt haben, daß sich die Bundesrepu­ stand der Behandlung im Bayerischen Landtag sein blik endlich eindeutig äußert. Wir sehen gerade in soll oder nicht, müssen Sie zum einen der Entschei­ dem Zögern in der Frage, ob die 72 deutschen Per­ dung mündiger Parlamentarier überlassen, und zum shing-IA-Raketen von dem Abkommen ausgenom­ anderen wird das so lange ein Thema für diesen men werden sollen, was in Ihren Reihen propagiert Landtag sein, als der Ministerpräsident dieses Lan­ und nach wie vor vertreten wird, eine Gefahr, denn of­ des massive Eingriffe in die Bundespolitik in diesen fensichtlich herrscht in Ihren eigenen Reihen hier ei­ Bereichen versucht. nige Sprachverwirrung. Die einen meinen - Herr Kol­ lege Dr. Manfred Weiß, da haben Sie recht -, wozu (Beifall bei den GRÜNEN) soll über diese Raketen überhaupt verhandelt wer­ Die Friedensbewegung und DIE GRÜNEN sind von den, über die Sprengköpfe kann die Bundesrepublik Anfang an gegen die Stationierung und für den Ab­ Deutschland sowieso nicht verfügen, nur über die bau von Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles ein­ Trägersysteme; also wenn die Großmächte, wenn die Amerikaner diese Sprengköpfe in die Verhandlungen getreten. Sie kriegen jetzt etwas Nachhilfeunterricht, einbeziehen wollen, dann sollen sie es tun. Andere weil Sie manches wirklich nicht verstanden haben. meinen dagegen, die Bundesregierung könne und (Widerspruch bei der CSU und Zurufe) müsse sogar dafür eintreten, daß die erwähnten Atomwaffen bei einem Abkommen der beiden Gro­ Der NATO-Doppelbeschluß von 1979 bedeutet nicht ßen ausdrücklich ausgeklammert werden. und sie sa­ in erster Linie - nach dem, was ich bis jetzt gehört gen auch - wenn man das recht liest und versteht -, habe, ist hier manches wirklich sachlich unklar - es müsse unter allen Umständen sichergestellt wer­ die Produktion von 108 Pershing-II-Raketen und 464 den, daß die Modernisierung dieser Waffensysteme Cruise Missiles, er hat als wesentlichen politischen nicht in Frage gestellt wird. Inhalt den Verzicht auf deren Stationierung, sei es, 1824 Bayerischer Landtag · i 1 Wahlperiode P!enarprotokoll 11/28 v. 24.06.87

(Frau Wax-Wörner [DIE GRÜNEN]) stellt werden, die erste reale Möglichkeit, nicht weiter an der Schraube atomarer Hochrüstung zu drehen. daß die Sowjetunion ihr Mittelstreckenpotential we­ sentlich reduziert -- (Beifall bei den GRÜNEN) (Zurufe von der CSU: Was heißt Sie ist zweitens - das schreiben Sie sich bitte hinter „wesentlich"?) die Ohren - die Möglichkeit für Sie, Ihren Friedenswil­ len nicht nur verbal zu bekunden. Obwohl die Bun­ - Sie brauchen nur zuzuhören, es kommt alles so, wie desregierung offiziell die sowjetische Bereitschaft zur es ist. Null-Lösung begrüßt, lassen viele Reaktionen be­ (Abg. Dr. Richter: Was heißt hier fürchten, daß ein mögliches Abkommen durch Forde­ „wesentlich"? Quantifizieren Sie es doch rungen nach Umrüstungen und Nachrüstungen hin­ einmal!) tertrieben wird. Was ist denn die doppelte Null-Lösung? Jetzt komme ich auf Herrn Strauß zu sprechen. An­ läßlich der Aussagen des Bayerischen Ministerpräsi• (Abg. Dr. Richter: Das ist doch ein Quatsch, denten auf dem letzten Schlesier-Treffen fordere ich was Sie sagen!) Herrn Strauß dringend auf, - Das ist kein Quatsch. Es steht im Vertragstext „. (Zurufe von der CSU: Sie?) wenn dieses Potential w e s e n t 1i c h reduziert - ich, jawohl, denn ich will auch überleben -, die Ab­ wird". Lesen Sie doch bitte den Vertragstext nach. lehnung der Null-Lösung aufzugeben und sich von Wenn die Sowjetunion heute eine doppelte Null-Lö• Abschreckungsstrategien der totalen Vernichtung zu sung anbietet, dann ist das eine wesentliche Reduzie­ trennen. rung. Was soll es denn sonst sein? (Frau Abg. Stamm: Es ist wirklich ein Glück, (Beifall bei den GRÜNEN) daß Sie nicht mehr in der Schule unter­ Eine doppelte Null-Lösung ist keine halbe Lösung. richten! - Weitere Zurufe von der CSU) 1981 allerdings hat die Sowjetunion diesen Vorschlag Abschreckungsstrategien mit der Folge der totalen noch abgelehnt, und die Konservativen gaben damals Vernichtung sichern erstens nicht den Frieden, weder als Votum ab: Frieden schaffen mit immer weniger den in Freiheit noch den in Unfreiheit, und sie sind Waffen 1 Lösen Sie doch jetzt Ihre Versprechen ein; zweitens unsittlich, da sie das geringere Rechtsgut die Handlungskompetenz liegt doch bei Ihnen! dem höheren opfern. Ich sage Ihnen, daß das un­ (Abg. Dr. Manfred Weiß: Gott sei Dank nicht christlich ist. bei Ihnen') (Abg. Dumann: So!) Die Möglichkeit dazu allerdings gibt Ihnen der Gor­ Der Kirchenvater Augustinus, der Lehrer vom ge­ batschow-Plan von 1986. Wenn Sie nicht handeln, rechten Krieg, hält Verteidigungskriege dann nicht dann liegt die Verantwortung dafür bei Ihnen. mehr für gerechtfertigt, wenn der angerichtete Scha­ (Zurufe von der CSU: Jawohl, Frau den höher als das zu verteidigende Gut ist. Wie wol­ Gorbatschow!) len Sie als christliche Politiker verantworten, der dop­ pelten Null-Lösung nicht zuzustimmen? 1986 hat die Sowjetunion in Reykjavik unter anderem (Zurufe von der CSU) die Null-Lösung vorgeschlagen. Da das nicht weitge­ hend genug erschien, weil man auf einmal sein Wort Die Staatsregierung fragt uns, DIE GRÜNEN, so auch hätte einlösen müssen, gingen die Forderungen wei­ heute ständig in diskriminierender Weise nach unse­ ter. Nun kommt die große Überraschung, nämlich, rem Verhältnis zur Gewalt. Ich fordere den Minister­ daß am 10. März 1987 die einfache Null-Lösung durch präsidenten hiermit auf: Er soll sein eigenes Verhält• die doppelte Null-Lösung ergänzt wurde. nis zur Gewalt im Falle der Massenvernichtungsmittel klären! Diese Bezeichnung ist leider für viele Menschen irre­ führend. Tatsache ist, daß auch bei der doppelten (Beifall bei den GRÜNEN) Null-Lösung auf beiden Seiten riesige Mengen atoma­ Der Ministerpräsident führt die Menschen zudem in rer Sprengköpfe lagern, daß auf beiden Seiten die die Irre, wenn er, wie auf dem Schlesier-Treffen, be­ vielfache Overkill-Kapazität bestehen bleibt. Ist Ihnen hauptet: „Der Abbau der Mittelstreckenrakete er­ klar, daß bei der sogenannten doppelten Null-Lösung möglicht es den USA, sich von Europa abzukoppeln." insgesamt drei Prozent des atomaren Gesamtpoten­ Genau das Gegenteil ist der Fall' Warum? tials abgebaut werden? Da haben Sie schon Angst, das Gleichgewicht des Schreckens könne nicht ge­ (Zurufe von der CSU) wahrt sein. Gerade die Mittelstreckenraketen - hören Sie zu - sind die Grundpfeiler einer offensiven und damit (Beifall bei den GRÜNEN) aggressiven NATO-Strategie, wie sie seit 1974 mit Die doppelte Null-Lösung ist für mich an sich auf­ Air-Land-Sattle- - Sie haben vorher schon nicht zu­ grund dieses dreiprozentigen Abbaus der atomaren gehört - und dem Rogersplan ermöglicht wird. Wei­ Potentiale noch keine historische Wende, aber sie ist ter: Die speziellen Eigenschaften der Mittelstrecken­ tatsächlich, seit Atomwaffen produziert und aufge- raketen, nämlich kurze Flugzeiten und kurze Vor- Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1825

(Frau Wax-Wörner [DIE GRÜNEN]) dauerhafte kulturelle und politische Zusammenarbeit in Europa und eine rationale Friedenspolitik. Denn warnzeit, machen sie ungeeignet als Verteidigungs­ ohne Frieden ist alle Politik absurd. waffen. Sie sind damit Erstschlagwaffen. Die Drohung mit der Enthauptungsstrategie von seiten der USA ist (Beifall bei den GRÜNEN) die notwendige Folge. Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Nächste Diese Strategien und diese Eigenschaften von Mittel­ Wortmeldung Herr Kollege Schramm. Ich erteile ihm streckenraketen machen geradezu eine Abkopplung das Wort. der USA von dem ursprünglichen Verteidigungskon­ zept der NATO denkbar und gefährden gerade damit (Zurufe von der CSU - Glocke des die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Präsidenten) Deutschland. Deswegen gehören die Mittelstrecken­ Meine Damen und Herren! Wir sollten uns darauf ver­ raketen zuerst verschrottet. ständigen, diesen Tagesordnungspunkt heute noch Wir GRÜNE wollen eine rationale Friedenspolitik, zu Ende zu beraten. Ich habe keine weiteren Wort­ keine Nachkriegspolitik und keine Vorkriegspolitik. meldungen vorliegen. Dazu aber gehört auch die Anerkennung der Gren­ (Abg. Nätscher: Ist das Aufgabe des zen, wie sie in den Ostverträgen zum Ausdruck kom­ bayerischen Parlaments? - Weitere Zurufe men. Herrn Strauß und der CSU muß gesagt werden, von der CSU) daß die Ostverträge die größte Friedensleistung nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik - Herr Abgeordneter Nätscher, ich darf Sie bitten, Deutschland waren. Platz zu nehmen, anstatt hier zu versuchen, durch ge­ schrieene Zwischenrufe mit dem Präsidenten ein Ge­ (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) spräch führen zu wollen. Die Ablehnung der „politischen" - jetzt kommt ein (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CSU) Strauß-Zitat -„psychologischen Bindewirkung der Ostverträge" durch den Ministerpräsidenten ist ver­ - Wenn hier ein Gespräch geführt wird, Herr Kollege antwortungslos, und sie ist friedensfeindlich. Nätscher, dann mit einer Geschäftsordnungsmeldung vom Mikrofon des Rednerpults aus und sonst nicht. (Abg. Dumann: Oh!) Ich schlage vor, daß wir diesen Tagesordnungspunkt Ziel der Ablehnung - er schreibt von „Psychologie", zu Ende bringen. Ich habe noch eine Wortmeldung wo er „Moral" meint - ist die Freiheit von politischer vorliegen, nämlich die des Kollegen Schramm. Dann Moral, wie wir sie aus der Geschichte eines Angriffs­ können wir zur Abstimmung kommen. krieges hätten lernen können. Der Mensch lernt, daß Herr Kollege Schramm, Sie haben das Wort! er aus der Geschichte nichts lernt, sagte Nietzsche. Das bedeutet wohl, daß der Ministerpräsident Schramm (DIE GRÜNEN): Ich kann Sie beruhigen, (Abg. Eykmann: Jetzt reichts bald! -Weitere ich habe nur einige Sätze zu Herrn Kollegen Weiß zu Zurufe von der CSU - Glocke des sagen. Das wäre in der Zeit, in der wir jetzt gestritten Präsidenten) haben, zu erledigen gewesen. auch die deutsche - ich sage noch einmal: „Der Herr Kollege Weiß, ich finde es sehr interessant, daß Mensch lernt aus der Geschichte, daß der Mensch Sie meine Ausführungen als „dumm" bezeichnet ha­ aus der Geschichte nichts lernt" -, um nicht zu sa­ ben. Ich habe darüber mit zwei Offizieren aus Lands­ gen: die großdeutsche Tradition fortführen will, daß berg gesprochen. Verträge nur so lange verbindlich sind, wie sie nicht (Lachen bei der CSU) mit politischen und militärpolitischen Interessen kolli­ dieren. Ich bin gespannt, wie Sie sie jetzt werten. Es gibt noch ein Lieblingswort des Ministerpräsiden• (Abg. Dr. Manfred Weiß: Die möchte ich ten: das der „Normalität". Meint er die „Normalität" auch noch kennenlernen, die Offiziere!) des Primats des Militärs über die Politik in der Ge­ - Das denke ich auch. Sie sollten sich vielleicht ein schichte der Nationalstaatlichkeit, insbesondere der bißchen mehr darum kümmern, dann wären Sie auch deutschen? sachkundiger. (Zurufe von der CSU: Eine sehr freie Rede!) Kurz noch ein paar Sätze zur Pershing IA. Herr Kol­ - Ich gebe Ihnen den Satz schriftlich, dann haben Sie lege Weiß, was wollen Sie denn, bitte schön, mit die­ Chancen, ihn genauer nachzuvollziehen. sen Pershing IA verteidigen? Der Bundesverteidi­ gungsminister sagt, sie seien schrottreif. Warum Gestern wurde von der Regierungspartei hier im Ple­ klammern Sie sich denn an ein schrottreifes Waffen­ num die Forderung an die Bürger gestellt, dem Staat system, zu dem Sie im Ernstfall nicht einmal einen zu geben, was dieser braucht. DIE GRÜNEN stellen Sprengkopf haben? Dieser Sprengkopf wird mit ho­ hier und heute die Forderung an die Bayerische her Wahrscheinlichkeit Inhalt der Verhandlungen sein. Staatsregierung, dem Bürger zu geben, was er Das heißt, wenn wir uns an die Gesetze und das braucht. Das ist nicht mehr Staatlichkeit, sondern Recht halten, müßte für diese Raketen ein konventio- 1826 Bayerischer Landtag - 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v_ 24. 06. 87

(Schramm [DIE GRÜNEN]) Zweiter Vizepräsident Dr. Rothemund: Meine Da­ men und Herren! Mir liegen keine weiteren Wortmel­ neller Sprengkopf erst entwickelt werden. Für diese dungen vor. Wir kommen zur Abs t i m m u n g. Die Raketen gibt es keinen anderen Sprengkopf als den, Ausschüsse empfehlen die Ablehnung des Dringlich­ der sich in amerikanischer Obhut befindet. keitsantrags. Wer entgegen dieser Empfehlung für (Abg. Dr. Manfred Weiß: Laßt ihn doch die Annahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. - stehen') Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CSU gegen die Stimmen der - Ja eben! Wozu klammern Sie sich dann daran? Dies SPD-Fraktion und der Fraktion der GRÜNEN ab g e - kann doch nur einen Sinn haben, nämlich daß Sie den lehnt. Fortgang der Verhandlungen mit einer Forderung, die irgend etwas verschleiert, stören wollen, oder aber, Meine Damen und Herren! Ich vertage die Sitzung auf wie ich ausgeführt habe, daß man die IA-Raketen morgen, 9.00 Uhr. durch ein neues System austauscht, mit dem man dann eine eigene atomare Verfügungsgewalt erlan­ gen könnte. (Schluß der Sitzung: 20 Uhr 33 Minuten) Anlage 1

Mündliche Anfragen gem. § 73 Abs. 2 Satz 2 GeschO

Abg. Sommerkorn (SPD), Fragest e 11 er: von den zuständigen kirchlichen Oberbehörden fest­ gestellten kirchlichen Belange zu berücksichtigen. Ist es zutreffend, daß das Landesamt für Denk­ Die Kirchen sind am Verfahren zu beteiligen. Die zu­ malpflege die Umwandlung der Evangelischen ständige kirchliche Oberbehörde entscheidet im Be­ Franziskanerkirche in Rothenburg o. d. Tauber in eine kath. Kirche aus denkmalpflegerischen Ge­ nehmen mit der Obersten Denkmalschutzbehörde, sichtspunkten ablehnt, und teilt die Staatsregie­ falls die untere und die höhere Denkmalschutzbe­ rung die in der SZ vom 6. 6. 1987 geäußerte Auf­ hörde die geltend gemachten kirchlichen Belange fassung der zuständigen Oberkonservatorin, daß nicht anerkennen. Ich bin zuversichtlich, daß im Falle denkmalpflegerische Gesichtspunkte Vorrang der evangelischen Franziskanerkirche in Rothenburg vor liturgischen Gründen haben? Lösungen gefunden werden können, ohne daß es zu dem geschilderten, in Art. 26 des Denkmalschutzge­ Antwort der Staatsregierung: setzes festgelegten Verfahren kommen muß.

1. Die Umwandlung der evangelischen Franziskaner­ Abg. Dr. Kaiser Heinz (SPD), Fragest e 11 er: kirche in Rothenburg o. d. Tauber in eine katholi­ sche Kirche ist in erster Linie eine Angelegenheit Ist die Staatsregierung bereit, die für das kultu­ der beiden Kirchen. Das Landesamt für Denkmal­ relle Leben in der Stadt Aschaffenburg und der pflege hat sich nicht gegen den Übergang der Kir­ Region bedeutsamen Museumskonzerte im che an die Erzdiözese Bamberg ausgesprochen. Schloß Johannisburg zu ermöglichen, indem sie die Anordnung der staatlichen Schlösserverwal• 2. Bei der evang.-lutherischen Kirche handelt es sich tung, die Raumtemperatur auf besucherfeindli­ um die ehemalige Franziskanerkirche Beatae Virgi­ che 8 Grad Celsius abzusenken, rückgängig nis Mariae. Das im wesentlichen im 14. Jahrhundert macht? entstandene Bauwerk ist ein Baudenkmal von na­ tionaler Bedeutung. Hervorzuheben ist der hervor­ Antwort der Staatsregierung: ragende Erhaltungszustand der Ausstattung. In der Kirche befindet sich einer der wenigen im deutsch­ Eine Anordnung der Verwaltung der staatlichen sprachigen Raum noch unversehrt erhaltenen Lett­ Schlösser, Gärten und Seen, die Raumtemperatur ner. der durch Zwischenwände in fünf Joche unter­ während der Konzertveranstaltungen im Zunftsaal teilt ist, die sich in Spitzbogenarkaden zum Lang­ des Schlosses Johannisburg auf 8 Grad Celsius zu haus öffnen. Das denkmalpflegerische Interesse an beschränken, besteht nicht. Aus konservatorischer der Kirche ist im Hinblick auf ihre Bedeutung sehr Sicht muß jedoch in den Räumen des Schlosses be­ groß. Nur zu verständlich ist es, daß das Landes­ züglich Temperatur und Luftfeuchtigkeit ein Raum­ amt für Denkmalpflege bemüht ist. seine fachlichen klima gegeben sein, das sowohl die Erhaltung der Belange rechtzeitig in den Entscheidungsprozeß Bausubstanz des Schlosses sichert, wie auch den einzubringen, der die neue Nutzung durch die ka­ Schutz der Kunstwerke - insbesondere der Gemälde tholische Kirche vorbereitet. Das Landesamt für und Möbel - in den benachbarten Museumsräumen Denkmalpflege hat bereits Kontakt mit den zustän• gewährleistet. Deshalb werden derzeit gemeinsam digen Stellen aufgenommen. Ich hoffe, daß dabei mit der Stadt Aschaffenburg, die den Zunftsaal in ei­ einvernehmliche Lösungen erarbeitet werden kön• gener Zuständigkeit vergibt, Untersuchungen und Er­ nen. probungen durchgeführt, ob und ggf. mit welchen 3. Unabhängig vom konkreten Einzelfall ist die Frage technischen Mitteln raumklimatische Verhältnisse ge­ des Vorrangs gottesdienstlicher Belange vor denk­ schaffen werden können, die sowohl den konservato­ malpflegerischen Anliegen in Art. 26 des Bayeri­ rischen Forderungen Rechnung tragen, als auch die schen Denkmalschutzgesetzes geregelt worden. Durchführung von Veranstaltungen im Zunftsaal er­ Danach haben die Denkmalschutzbehörden die lauben. 1828 Bayerischer Landtag - 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87

Abg. Straßer (SPD). Fragest e 11 er: Die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen mbH (DWK) hat für die Er­ Wann hat die Bayerische Staatsregierung den richtung der Anlage keine Mittel der Gemein­ Baubeginn für das neue Finanzamt Nördlingen schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen vorgesehen, wieviel Haushaltsmittel hat sie in Wirtschaftsstruktur" erhalten; eine Gewährung von diesem und im nächsten Jahr zur Verfügung ge­ solchen Mitteln an die DWK ist auch nicht vorgese­ stellt? hen. Antwort der Staatsregierung: 2. In welchem Umfange es erforderlich sein wird, wei­ tere Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse• Der Bauauftrag für den Neubau des Finanzamtes rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für die Nördlingen wurde bereits erteilt. Mit den Bauarbeiten vorgesehenen 1n f rast r u kt u r maß nahmen soll heuer im Herbst begonnen werden. Für den Bau­ bereitzustellen, kann derzeit nicht gesagt werden, beginn wurden im laufenden Jahr Haushaltsmittel in da konkrete Förderanträge der Gemeinden weder Höhe von 1 Mio DM zugewiesen. Im Jahr 1988 sind der Regierung der Oberpfalz noch dem Staatsmini­ für die Maßnahme Haushaltsmittel in Höhe von 5 Mio sterium für Wirtschaft und Verkehr vorliegen. DM veranschlagt.

Abg. Mehrlich (SPD). Fragest e 11 er: Abg. Hollwich (SPD). Fragest e 11 er: Auf welche Weise und in welchem Umfang soll die Außenstelle in Karlstadt auch nach dem Bau Wie beurteilt die Staatsregierung die immer mehr des Zentralfinanzamtes in Lohr erhalten bleiben, um sich greifende Ausbreitung von Spielhallen, nachdem sich unter den Bediensteten der Fi­ und welche Möglichkeiten sieht sie, diese m. E. nanzamtsaußenstelle Karlstadt zunehmend Un­ sozialschädliche Entwicklung einzudämmen? sicherheit über den dauerhaften Fortbestand ih­ rer Arbeitsplätze breit macht? Antwort der Staatsregierung: Die Zunahme von Spielhallen mit ihrem vielfältigen Antwort der Staatsregierung: Unterhaltungsangebot an Billardtischen, Flippern, Einleitend darf ich festhalten, daß durch die künftige Geldspielgeräten, Videospielen usw. beruht offenbar Umorganisation der Steuerverwaltung im Raum Karl­ auf einer entsprechenden Nachfrage nach Vergnü• stadt und Lohr keine Arbeitsplätze in Frage gestellt gungsmöglichkeiten in unserer sogen. Freizeitgesell­ werden. Was die künftige Ausgestaltung dieser Or­ schaft, die nicht generell negativ beurteilt werden ganisation angeht, so ist zu berücksichtigen, daß bis muß. Etwaigen schädlichen Auswirkungen kann hier zu einer Entscheidung hierüber noch einige Jahre im Rahmen des dafür geltenden Bundesrechts be­ vergehen werden. Zwar wurde der Planungsauftrag gegnet werden, beispielsweise durch für den Neubau des Finanzamtes in Lohr a. Main be­ - das Zutrittsverbot für Jugendliche nach dem Ju­ reits erteilt, dieser wird aber frühestens im Jahr 1992 gendschutzgesetz, bezugsfertig sein. Im Hinblick auf die derzeit beson­ ders rasche technische Entwicklung der Steuerver­ - die Begrenzung der Gesamtzahl an Spielgeräten waltung ist es gegenwärtig noch nicht möglich, die mit Geldgewinnen auf höchstens 10 pro Spielhalle organisatorische Lösung vorzustellen, über die erst und bei diesen Geräten die Begrenzung des Ein­ in fünf Jahren abschließend zu entscheiden sein wird. satzes auf 30 Pfennig pro Spiel durch die Spielver­ ordnung sowie Frau Abg. Memmel (DIE GRÜNEN), Fragest e 1- - die Zuverlässigkeitsprüfung des Spielhallenbetrei- 1 er in: bers nach der Gewerbeordnung. Wieviel Mittel aus der „Gemeinschaftsaufgabe Eine Bedürfnisprüfung hinsichtlich der Anzahl von zur Verbesserung der regionalen Wirtschafts­ Spielhallen in einer Gemeinde ist zwar im Hinblick auf struktur" sind bisher in Bauvorbereitung und Bau die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der atomaren Wiederaufbereitungsanlage Wak­ zum Grundrecht der Berufsfreiheit nicht möglich. Die kersdorf geflossen; und wie viele weitere Mittel Kommunen können jedoch im Rahmen des Baupla­ aus der Gemeinschaftsaufgabe sind dafür bean­ nungsrechts nachteiligen städtebaulichen Auswirkun­ tragt und bewilligt? gen entgegenwirken. Ich darf dazu auf die zur schrift­ lichen Anfrage des Herrn Abg. Neder vom 23. 2. 1987 Antwort der Staatsregierung: (wegen der Genehmigung von Spielhallen) gegebe­ 1. Für die Bauvorbereitung und den Bau der Wieder­ nen Antwort des Herrn Staatsministers des Innern aufarbeitungsanlage in Wackersdorf sind bisher vom 4. 6. 1987 verweisen. aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse• rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" lediglich DM bereitgestellt worden. Diese Mittel 372 000,- Abg. Gausmann (SPD), Fragest e 11 er: wurden der Gemeinde Wackersdorf zu den von ihr im Rahmen des ersten Bauabschnitts durchzufüh• Trifft es zu, daß die Bundesbahn die Einstellung renden Wasserversorgungs- und Abwasserbesei­ des Gesamtbetriebes der Nebenbahn Vilshofen/ tigungsmaßnahmen gewährt. Niederbayern-Aidenbach beantragt hat? Plenarprotokoll 11/28 v. 24.06.87 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode 1829

Antwort der Staatsregierung: Schwaben und Oberbayern werden um Stellung­ nahme gebeten werden; sie sollen ihrerseits die be­ Die Deutsche Bundesbahn teilte mit Schreiben vom troffenen Städte, Gemeinden und Landkreise anhö• 21. 5. 1987 der Bayerischen Staatsregierung mit, daß ren. Den übrigen Regierungen, die ebenfalls unter­ sie beabsichtige, beim Bundesminister für Verkehr richtet werden, wird eine Stellungnahme anheimge­ nach § 44 Bundesbahngesetz die dauernde Einstel­ stellt. Wegen der Belange der Wirtschaft wird mein lung des Gesamtbetriebes ( ~ Güterzugbetrieb) bei Haus auch die Industrie- und Handelskammern sowie der Nebenbahnstrecke Vilshofen (Niederbayern)-Ai­ die Handwerkskammern hören. Die Anhörung selbst denbach zu beantragen. Die Bayerische Staatsregie­ wird voraussichtlich rd. 3 Monate in Anspruch neh­ rung hat über die Regierung von Niederbayern die men. Außerdem werde ich die zuständigen Aus­ Anhörung der an dem Verfahren zu beteiligenden schüsse des Bayerischen Landtags über die Untersu­ Stellen eingeleitet. chungsergebnisse der Bahn unterrichten und diese Ergebnisse dort zur Diskussion stellen. Abg. Heinrich (SPD), Fragesteller: Das Gutachten wird allen an der Anhörung beteiligten Welche Verhandlungen, mit welchem Ziel und Stellen zur Verfügung gestellt werden. welchen Absprachen wurden bisher zwischen Mi­ nisterien und Landesämtern einerseits und der Abg. Schmitt Hilmar (SPD), Fragest e 11 er: BAWAG andererseits hinsichtlich einer energie­ wirtschaftlichen Nutzung des Lechabschnittes Teilt die Staatsregierung die Auffassung, daß zwischen Lechstaustufe 23 und dem Augsburger ohne Wissen von Patienten vorgenommene AIDS­ Hochablaß geführt? Tests rechtswidrig und auf Antrag von Betroffe­ nen als Körperverletzung zu verfolgen sind, und Antwort der Staatsregierung: welche Konsequenzen wird sie daraus insbeson­ dere gegenüber den Krankenhausträgern ziehen? Dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr (StMWV) sind die Vorplanungen der BA­ Antwort der Staatsregierung: WAG zur Errichtung von zwei weiteren Lechstaustu­ fen (Nr. 24 und 25) zwischen Stufe 23 und dem Augs­ Der erste Teil der Frage, ob ohne Wissen des Patien­ burger Hochablaß bekannt. Direkte Verhandlungen ten vorgenommene AIDS-Tests rechtswidrig sind, bezüglich der geplanten Projekte wurden weder vom kann nicht einfach mit „Ja" oder „Nein" beantwortet StMWV noch von der Obersten Baubehörde im Baye­ werden. Vielmehr muß man differenzieren. rischen Staatsministerium des Innern (StMI) mit der Der AIDS-Test an sich, d. h. die Untersuchung des BAWAG geführt. Der BAWAG wurde aber bereits mit Blutes auf entsprechende Antikörper, ist strafrecht­ Entschließung des StMI vom 23. 3. 1950 die unwider­ lich ohne Bedeutung. Strafbar als Körperverletzung rufliche Wasserbenutzungserlaubnis des Lechs zwi­ kann lediglich sein die Entnahme von Blut durch Ve­ schen Füssen und dem Hochablaß Augsburg auf 90 nenpunktion zum Zwecke der Durchführung eines Jahre in Aussicht gestellt. AIDS-Tests. Nach ständiger Rechtsprechung stellt Vor der Realisierung der Staufstufen sind die erfor­ die Venenpunktion eine Körperverletzung dar. Die derlichen Fachgenehmigungsverfahren durchzufüh• Strafbarkeit entfällt jedoch, wenn ein Rechtferti­ ren. Diese sind das energieaufsichtiiche Verfahren gungsgrund vorliegt. Einen Rechtfertigungsgrund und das Raumordnungs- und Wasserrechtsverfahren. können vor allem die Einwilligung des Betroffenen, Zwangsbefugnisse des Staates (vor allem § 81a Abg. Leichtle (SPD), Fragest e 11 er: StPO, aber auch Maßnahmen nach dem Bundesseu­ chengesetz) oder rechtfertigender Notstand darstel­ Wie gedenkt die Bayerische Staatsregierung bei len. der Behandlung der Gutachten über den Bau der ICE-Strecken zwischen Nürnberg und München Blutentnahmen zur Durchführung eines AIDS-Tests weiter zu verfahren, welchen Stellen liegt das sind gerechtfertigt, wenn ein Betroffener ausdrück• Gutachten bisher vor, und wer soll es noch zur lich einwilligt. Willigt ein Patient allgemein in eine um­ Kenntnis bekommen? fassende Untersuchung ein und gehört dazu nach ärztlichem Ermessen ein AIDS-Test, dann kann auch Antwort der Staatsregierung: ohne ausdrücklichen Hinweis das Blut diesem Test unterzogen werden. Das Gutachten liegt mir zur Zeit noch nicht vor. Es ist in den nächsten Tagen zu erwarten. Die Deutsche Keine strafbare Körperverletzung liegt ferner dann Bundesbahn hat bisher lediglich eine Kurzfassung vor, wenn mit wirksamer Einwilligung des Betroffenen des Ergebnisses der Untersuchung vorgelegt. zu anderen Zwecken Blut entnommen worden ist und sich der Arzt erst im Nachhinein entschließt, dieses Nach Vorlage des Gutachtens über die Trassenfüh• Blut auch für einen Test auf HIV-Antikörper zu ver­ rung der ICE-Strecke Nürnberg-München wird die wenden. Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung ge­ genüber der Deutschen Bundesbahn gern. § 49 Bun­ Fraglich und umstritten sind die Fälle, in denen der desbahngesetz in einer umfangreichen Anhörung er­ Patient in eine Blutentnahme zu einem anderen arbeitet. Ich beabsichtige, die Staatsministerien des Zweck eingewilligt hat und der Arzt von vornherein Innern und für Landesentwicklung und Umweltfragen vorhat, das Blut auch für einen AIDS-Test zu verwen­ zu beteiligen. Die Regierungen von Mittelfranken, den und dies dem Patienten nicht mitteilt. Hier wird

·'.k-· , ..,· 1830 Bayerischer Landtag · 11. Wahlperiode Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06_ 87

die Auffassung vertreten, daß wegen ungenügender Arbeiten zur Sicherung des Stucks, der das schwie­ Aufklärung die Einwilligung nicht wirksam ist mit der rigste Schadensbild aufzeigt, wurden aber bereits Folge, daß die Venenpunktion eine Körperverletzung vergeben; die Vergabe der Kirchenmalerarbeiten ist darstellt. Ob in diesen Fällen der AIDS-Test damit ge­ in Vorbereitung. rechtfertigt werden kann, daß eine Ansteckungsge­ Eine zeitliche Verzögerung gegenüber dem vorgese­ fahr für den Arzt oder das Pflegepersonal besteht, henen Zeitplan ist bisher nicht eingetreten. bedarf noch weiterer Klärung in medizinischer Hin­ sicht. Nach derzeitigem Stand im medizinischen Abg. Schultz (SPD), Fragest e 11 er: Schrifttum scheint die Ansteckungsgefahr bei sach­ gerechtem Verhalten gering zu sein. Welche Probleme kommen nach den Erkenntnis­ sen der Bayerischen Staatsregierung durch die Die Staatsregierung wird darauf hinwirken, daß durch Verlängerung des Wehrdienstes ab 1989 auf die Informationen bzw. im Rahmen der Rechts- und Fachoberschulabsolventen und damit auch auf Fachaufsicht Vorsorge getroffen wird, daß diese die bayerischen Fachhochschulen zu und wie be­ Rechtsauffassung bei den Krankenhausträgern Be­ absichtigt die Staatsregierung, diese zu lösen? achtung findet. Antwort der Staatsregierung: Abg. Widmann (CSU), Fragest e 11 er: Die ab 1989 wirksame Verlängerung des Wehrdien­ Was sind die Gründe dafür, daß mit der Restau­ stes auf 18 Monate bringt für die voraussichtlich be­ rierung der Wieskirche bis heute noch nicht be­ troffenen 2000 bis 2500 studierwilligen Absolventen gonnen wurde, obwohl die Kirche bereits seit der Fachoberschule folgende Probleme mit sich: zwei Jahren innen eingerüstet ist und obwohl der Bayerische Landtag schon vor einem Jahr für Da die bereits jetzt kurze Schulzeit (34 Wochen in diese Maßnahme 7,6 Mio DM bereitgestellt hat? Jahrgangsstufe 12) durch Vorverlegung der Ab­ schlußprüfung nicht weiter verkürzt werden kann, Antwort der Staatsregierung: scheidet der Einzugstermin 1. Juni für FOS-Absolven­ ten aus. Der Einzugstermin 1. September ermöglicht Der Ausschuß für den Staatshaushalt und Finanzfra­ bis zum Beginn des Wintersemesters des folgenden gen des Bayerischen Landtags hat am 16. Juli 1986 Jahres nur die Ableistung von 13 oder 14 Monaten die von der Obersten Baubehörde festgesetzten Ge­ (bei Semesteranfang am 1. 10. bzw. 1. 11.), mit Ur­ samtbaukosten von 6 970 000 DM für die Innenre­ laubsansammlung von 14 oder 15 Monaten. Bei einer staurierung und Teilaußeninstandsetzung der Kath. vollständigen 18monatigen Ableistung des Wehrdien­ Wallfahrtskirche Wies genehmigt; gleichzeitig wurde stes wäre die Aufnahme des Studiums an der Fach­ der im Haushalt 1985/86 ausgebrachte Planungstitel hochschule nicht zum Wintersemester des auf den in einen Bautitel umgewandelt. FOS-Abschluß folgenden Jahres möglich. Der Entlaß• Bereits am 4. März 1985 hat das Staatsministerium für termin 28. Februar des übernächsten Jahres würde Unterricht und Kultus im Einvernehmen mit dem bei Beibehaltung der gegenwärtigen Organisation Staatsministerium der Finanzen die Durchführung von des Studienablaufs an den bayerischen Fachhoch­ Sicherungsmaßnahmen im Innenraum der Kath. Wall­ schulen, nämlich des Studienbeginns ausschließlich fahrtskirche Wies genehmigt; zu diesen Maßnahmen im Wintersemester, dazu führen, daß wehrpflichtige gehörte auch der Einbau eines Schutz- und Arbeits­ studierwillige FOS-Absolventen zwei Jahre Wartezeit gerüstes in der Wieskirche. Die Mitte 1985 begon­ zwischen Schulabschluß und Aufnahme des Fach­ nene Einrüstung diente nicht unmittelbar der Durch­ hochschulstudiums hinnehmen müßten. führung der Innenrestaurierung, sondern zunächst Die Staatsregierung ist auf der Ebene der Kultusmini­ der Gewährleistung der notwendigen Sicherheit (an­ sterkonferenz und in direkten Verhandlungen mit gesichts des Verzichtes auf das ursprünglich in Aus­ dem Bundesverteidigungsministerium bestrebt, eine sicht genommene Spannen eines Netzes) und zur solche Auswirkung der Wehrdienstverlängerung ab­ Durchführung der notwendigen Voruntersuchungen zuwenden . . zur Vorbereitung des Restaurierungskonzeptes.

Aufgrund der Genehmigung der Kosten von Abg. Lechner (CSU), Fragest e 11 er: 6 970 000 DM im Juli 1986 erteilte das Staatsministe­ rium für Unterricht und Kultus mit Schreiben vom Ist die Staatsregierung bereit und in der Lage, für 6. August 1986 an die Oberste Baubehörde Bauauf­ eine vorgezogene Einführung der neuen Ausbil­ trag für die Innenrestaurierung und Teilaußeninstand• dung für die Metallberufe der Staatlichen Berufs­ setzung der Wieskirche. schule in Dingolfing die erforderlichen zusätzli• chen Lehrer in der Fachrichtung Metall zuzuwei­ Die Baumaßnahme konnte bisher noch nicht begon­ sen? nen werden, weil die notwendigen Voruntersuchun­ gen angesichts der Kompliziertheit des Schadensbil­ Antwort der Staatsregierung: des und angesichts des Raumkunstwerkes der Wies­ kirche als Weltkulturdenkmal und des Schwierigkeits­ Nach dem mit der Wirtschaft abgestimmten Konzept grades der zusammenhänge in der Raumfassung äu• wird die Umstellung des Berufsschulunterrichts für ßerste Gewissenhaftigkeit erforderten, die sich in ei­ die neugeordneten industriellen Metallberufe zum nem angemessenen Zeitaufwand niederschlagen. Die Schuljahr 1988/89 erfolgen; die Regierungen sind al- Plenarprotokoll 11 /28 v. 24. 06. 87 Bayerischer Landtag · 11. VIJahlperiode 1831 lerdings ermächtigt, im Einzelfall eine vorgriffsweise obwohl in dem Zeitraum bis heute die Zahl der Schü• Umstellung bereits ab dem kommenden Schuljahr ler um mehr als 80 000 und die Zahl der Klassen um 1987/88 zu genehmigen. knapp 1800 zurückgegangen ist. Die Aushilfssituation hat sich also Jahr für Jahr verbessert, nämlich von rd. Nach den dem Ministerium vorliegenden Informatio­ 7,70/o auf rd. 80/o der Klassen (einschließlich der Aus­ nen beginnt in Dingolfing insbesonders BMW bereits hilfslehrer für Erziehungsurlaub und noch ohne Fach­ im Herbst mit der neugeordneten Ausbildung; für ei­ lehrer). nen darauf abgestellten Berufsschulunterricht ist die örtliche Berufsschule auf die zusätzliche Zuweisung Im Landkreis München werden 46 Lehrer als mobile zweier Metallehrer angewiesen. Das Ministerium ist Reserve und 7 Lehrer als Aushilfen für Erziehungsur­ zu einer Anweisung bereit, wenn im Rahmen der Neu­ laub bereitgestellt, das ist gemessen an der Klassen­ besetzung der zum Ende dieses Schuljahres freiwer­ zahl relativ viel. denden Planstellen eine entsprechende Dispositions­ Allerdings hat der Landkreis München einen relativ möglichkeit besteht. Eine definitive Entscheidung hohen Anteil an weiblichen Lehrkräften und damit in­ kann in etwa 2 Wochen getroffen werden. folge häufigerer Schwangerschaftsfälle auch einen höheren Aushilfsbedarf als andere Landkreise. Abg. Dr. Gantzer (SPD), Fragest e 11 er: Die mobile Reserve reicht nach allen Erfahrungen aus, den durchschnittlichen Aushilfsbedarf zu dek­ Ist die Staatsregierung tatsächlich der Meinung, ken. Dies schließt nicht aus. daß in Zeiten des Spit­ daß die Zahl der Aushilfslehrer („mobile Re­ zenaushilfsbedarfes im Winter oder bei gleichzeitiger serve") an den Grund- und Hauptschulen im Erkrankung mehrerer Lehrer einer Schule kein Lehrer Landkreis München ausreichend sei? der mobilen Reserve mehr zur Verfügung steht. In solchen Fällen müssen Maßnahmen wie Mitführung Antwort der Staatsregierung: von Klassen, Zusammenlegung von Klassen, Zusam­ Der Freistaat Bayern stellt derzeit insgesamt 2100 menfassung von Gruppenunterricht, ggf. auch unter Lehrer als mobile Reserve ganzjährig zur Deckung Heranziehung anderer Lehrer und Pädagogischer As­ des durchschnittlichen Aushilfsbedarfes an Volks­ sistenten, ergriffen werden. schulen zur Verfügung. Hinzu kommen noch 400 Leh­ Es gibt auch noch andere wichtige Zielsetzungen im rer zur Deckung des Aushilfsbedarfes wegen Erzie­ Volksschulbereich und ich nenne in diesem Zusam­ hungsurlaub sowie mehrere hundert Fachlehrer. Es menhang nur die Forderung nach kleineren Klassen. gibt keine andere Schulart in Bayern und kein ande­ Die weitere Verringerung der Zahl der Klassen mit res Land in der Bundesrepublik Deutschland, das so mehr als 30 Schülern - es gibt davon immer noch rd. viele Lehrer für den Aushilfsdienst bereitstellt. 1200 - genießt den Vorrang vor einer Erhöhung der Die Zahl der Lehrer der mobilen Reserve an Volks­ doch respektablen mobilen Reserve an Volksschulen. schulen ist seit dem Schuljahr 1983/84 unverändert, Dafür bitte ich um Verständnis.

BI ,( Anlage 2

Beilage zur Haushaltsrede 1987 /88 der Bayer. Staatsministerin der Justiz

(Kurzdarstellung ausgewählter rechtspolitischer Themen)

Inhaltsverzeichnis 5. Neuregelung der Produzentenhaf­ Seite tung . Vorbemerkung ... 6. Verbraucherschutz bei Teilzah­ lungskrediten A) Abgeschlossene Vorhaben 7. Verbesserung der Haftung bei 1. Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Schleppliftunfällen . 2. Besserer Schutz der Privatsphäre 8. Gesetzliche Maßstäbe für die Be­ messung des Unterhaltsanspruchs 3. Schutz der toten Leibesfrucht . 9. Überarbeitung des Bürgerlichen 4. Strafaussetzung zur Bewährung Gesetzbuchs . 5. Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen 10. Justizmitteilungsgesetz durch gemeinnützige Arbeit ... 11. Entlastung der Zivilgerichte und 6. Opferschutz . Verbesserungen im Zivilprozeß- 7. Beschleunigung und Straffung des recht Strafverfahrens 8. Beschleunigung und Straffung des Ver­ II. Strafrecht fahrens wegen Ordnungswidrigkeiten 1. Aktuelle Probleme der inneren Si­ 9. Juristenausbildung cherheit . 10. Änderung von Kostengesetzen - Verbesserte Vorschriften gegen gewalttätige Ausschreitungen B) Aktuelle Gesetzgebungsverfahren - Bekämpfung des Terrorismus 1. Jugendgefährdende Videos . 2. Schutz des werdenden Lebens . 2. Verbesserung des Schutzes religiöser 3. Schutz der Umwelt Überzeugungen 4. Änderungen im Jugendstrafrecht C) Künftige Aufgaben 5. Absprachen im Strafprozeß . 1. Zivilrecht 6. Novellierung der Strafprozeßord• 1. Neuordnung des Entmündigungs-, nung Vormundschafts- und Pflegschafts­ rechts . III. Sonstiges 2. Schadensausgleich bei Tötung 1. Fortpflanzungsmedizin/Biotechno­ nächster Angehöriger logie 3. Haftung für Umweltschäden 2. Gentechnologie 4. Insolvenzrecht 3. Neuregelung der Staatshaftung 2

Vorbemerkung von Programmen sind neue Formen krimineller Betä• tigung, die mit dem bis zum 31. Juli 1986 geltenden Die nachfolgende Zusammenstellung enthält in Ab­ Strafrecht nicht ausreichend erfaßt werden konnten. schnitt A die in den vergangenen zwei Jahren gesetz­ geberisch abgeschlossenen wichtigen rechtspoliti­ Diese Gesetzeslücken sind nunmehr geschlossen schen Themen. In Abschnitt B sind die derzeit aktuel­ worden: Gegen die Gefahren der Computerkriminali­ len Vorhaben aufgelistet, die sich bereits in der parla­ tät sind neue Straftatbestände wegen Computerbe­ mentarischen Beratung befinden. Ihre geringe Zahl trugs, Datenfälschung, Datenlöschungen, Computer­ erklärt sich aus der Tatsache, daß die 11. Legislatur­ sabotage und -Spionage geschaffen worden. periode des Deutschen Bundestags erst wenige Mo­ Darüber hinaus verbessert das Zweite Gesetz zur Be­ nate alt ist. Die in der 10. Legislaturperiode nicht ab­ kämpfung der Wirtschaftskriminalität den strafrechtli­ schließend behandelten Gesetzesvorhaben sind dem chen Schutz gegen eine Vielzahl von sonstigen Miß• Grundsatz der Diskontinuität verfallen. Abschnitt C bräuchen im Wirtschaftsleben: Insbesondere sieht es gibt einen Überblick über rechtspolitische Vorhaben, Strafvorschriften vor gegen die sich noch im vorparlamentarischen Stadium befin­ den oder die sich als Zukunftsaufgaben abzeichnen. - Anlagebetrügereien - Schwindeleien bei Warentermingeschäften Die im Bereich der Inneren Sicherheit in der 10. Le­ - unlautere Schneeballsysteme gislaturperiode verabschiedeten Gesetze sind in Ab­ - Industriespionage weichung von der üblichen Gliederung in Abschnitt C - Mißbräuche von Scheck- und Kreditkarten „Künftige Aufgaben" erläutert und gewürdigt, um - Hinterziehung von Beiträgen zur Sozialversiche- eine zusammenhängende Darstellung der Gesamt­ rung sowie andere Fälle der Veruntreuung von Ar­ problematik zu ermöglichen. beitsentgelten. Die Zusammenstellung enthält lediglich eine Auswahl der wichtigsten rechtspolitischen Themen aus dem 2. B e s s e r e r S c h u t z d e r P r i v a t s p h ä r e Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz. Mit dem Gesetz zur Verhinderung des Mißbrauchs Die Darstellung ist nicht erschöpfend, sie soll einen von Sendeanlagen vom 27. Juni 1986, das auf einer raschen Überblick über die Leistungen in der Rechts­ bayerischen Gesetzesinitiative beruht, ist dem Anlie­ politik der letzten zwei Jahre ermöglichen und aufzei­ gen eines besseren Schutzes der Intim- und Geheim­ gen, welche Aufgaben noch vor uns liegen. sphäre endlich Rechnung getragen worden, das die Bayerische Staatsregierung seit 1967, also fast 20 A Jahre lang, beharrlich verfolgt hat. Mit kleinsten tech­ Abgeschlossene Vorhaben nischen Geräten, oftmals getarnt in Gegenständen des täglichen Gebrauchs, wie Kugelschreibern, 1. Bekämpfung der Wirtschafts- Aschenbechern usw., können unbemerkt vertrauliche kriminalität Gespräche abgehört werden. Fachleute schätzen, daß ca. 20 000 Abhörgeräte von Privatpersonen in der Am 1. August 1986 ist das Zweite Gesetz zur Be­ Bundesrepublik betrieben werden. Das Belauschen kämpfung der Wirtschaftskriminalität in Kraft getre­ vertraulicher Gespräche stellt einen schweren Eingriff ten. Das neue Gesetz bietet ein umfassendes Instru­ in die Privatsphäre des Bürgers dar. Im Wirtschaftsle­ mentarium gegen neue Erscheinungsformen der ben kann das Ausspähen von Betriebsgeheimnissen Wirtschaftskriminalität. Vor allem aber wird durch die­ der Konkurrenz zu schweren wirtschaftlichen Schä• ses Gesetz der immer mehr um sich greifenden Com­ den führen. puterkriminalität begegnet. Begünstigt war der Gebrauch von Minispionen durch Die elektronische Datenverarbeitung ist aus unserem eine empfindliche Gesetzeslücke: Man durfte diese Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Die Nut­ gefährlichen Geräte zwar nicht benutzen, konnte sie zung dieser neuen Technologie hat aber auch eine aber straflos erwerben. Diese Rechtslücke hat das neue Erscheinungsform der Kriminalität hervorge­ Gesetz geschlossen: Nur demjenigen ist der Erwerb bracht - die „Computerkriminalität". Als Unterart der einer Sendeanlage erlaubt, bei dem feststeht, daß er Wirtschaftskriminalität hat sich die Computerkrimina­ von der Anlage auch einen ihrem Zweck entspre­ lität als in hohem Maße sozialschädlich erwiesen. Die chenden Gebrauch machen darf. Außerdem dürfen durch sie verursachten gewaltigen Schäden müssen Sendeanlagen nur Berechtigten überlassen werden. von den redlichen Teilnehmern am Wirtschaftsver­ Die Werbung für Sendeanlagen wird beschränkt. Die kehr und damit letztlich von der Allgemeinheit ver­ Herstellung, der Vertrieb und die Einfuhr besonders kraftet werden. gefährlicher Sendeanlagen sind nun grundsätzlich Das Strafrecht war vor Inkrafttreten des Zweiten Ge­ verboten. setzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität auf die Besonderheiten der Computerkriminalität 3. Sc h u t z der toten Lei bes f r u c h t nicht ausreichend zugeschnitten. So versagt z.B. der Auch die nach einem Schwangerschaftsabbruch oder Betrugstatbestand, der Täuschung eines Menschen einer Fehlgeburt tote Leibesfrucht hat Anteil am voraussetzt, wenn durch unmittelbare Beeinflussung Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. des Computers unrechtmäßig über Geld verfügt wird. Auch das Ausspähen von Computerprogrammen und Mit dem Achtungsanspruch, der menschlichem Le­ Daten, das Zerstören und das unbefugte Kopieren ben von der Zeugung an bis über den Tod hinaus zu- JJL P .ll ! t'2 B/-~ 3 kommt, ist es unvereinbar, eine tote Leibesfrucht als Das Gesetz enthält weiterhin eine Reihe von Rege­ bloße Sache anzusehen, die wie eine Ware gehandelt lungen, durch die den seit der Strafrechtsreform ge­ und zu gewerblichen Zwecken benützt werden darf. wonnenen Erfahrungen Rechnung getragen wird. Un­ Vielmehr sind tote Embryonen und Feten gemäß ih­ ter anderem wurde die Strafzumessungsvorschrift für rem der Menschenwürde entspringenden Achtungs­ den Rückfall - § 48 StGB-, die durch den Zwang der anspruch und entsprechend den gesellschaftlichen Verhängung einer mindestens sechsmonatigen Frei­ Pietätsvorstellungen zu behandeln. heitsstrafe bei Bagatelltaten zu Unzuträglichkeiten Presseberichte über einen makabren Schwarzhandel geführt hat, gestrichen. Außerdem wurden Gesetzes­ mit toten menschlichen Embryonen und deren indu­ lücken und Unklarheiten beseitigt. strielle Verwertung, z.B. zu kosmetischen Präpara• Mit diesem Gesetz dürften das in letzter Zeit viel dis­ ten, haben Erschütterung und Betroffenheit ausge­ kutierte Recht der Strafaussetzung, aber auch son­ löst. Alsbald nach dem Bekanntwerden derartiger stige Tendenzen zu Lockerungen des Sanktionensy­ Machenschaften hat das Staatsministerium der Justiz stems zunächst einmal zur Ruhe gekommen sein. 1m einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der die Strafbar­ Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages keit einer Verwertung toter Leibesfrüchte vorsah. wird ausgeführt, daß jedes Mehr zu einer Beeinträch• Nach dem 24. Strafrechtsänderungsgesetz vom tigung des Rechtsgüterschutzes und des Vertrauens 13. Januar 1987 wird nunmehr auch bestraft, wer un­ der Bevölkerung in eine wirksame Strafrechtspflege befugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten eine führen würde und nicht vertreten werden kann. Die tote Leibesfrucht oder Teile einer solchen wegnimmt. Bundesregierung hat in einem Bericht zur Beurtei­ Diese Gesetzesänderung bewirkt eine deutliche Ver­ lung des strafrechtlichen Sanktionensystems vom besserung des Strafrechtsschutzes. Der Bundesrat Juli 1986 zu Maßnahmen, die damals noch zur Dis­ und der Bundestag haben ferner eine Entschließung kussion standen - z.B. Aussetzung der Geldstrafe gefaßt, daß der vorgenommenen Gesetzesänderung zur Bewährung, Einführung der gemeinnützigen Ar­ weitere Schritte folgen müssen, um den Schutz toter beit als selbständige Sanktion oder Einführung der menschlicher Embryonen und Feten noch weiter zu schlichten Verwarnung - im einzelnen kritisch Stel­ stärken. lung genommen. Handlungsbedarf besteht in diesem Bereich derzeit nicht. 4. Strafau s setz u n g zur Bewährung Um eine bedeutsame Frage des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches geht es bei dem am 5. T i 1g u n g u n e i n b r i n g 1i c h e r G e 1d - 1. Mai 1986 in Kraft getretenen 23. Strafrechtsände• strafen durch gemeinnützige Arbeit rungsgesetz - Strafaussetzung zur Bewährung. Mit Wirkung vom 1. Januar 1987 wurde die Tilgung Mit dem Gesetz wird das Recht der Strafaussetzung uneinbringlicher Geldstrafen durch gemeinnützige zur Bewährung behutsam fortentwickelt. Wie bisher Arbeit („Schwitzen statt Sitzen") landesweit einge­ ist die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheits­ führt. Diese neue Vollstreckungsmodalität ermöglicht strafe zwischen ein und zwei Jahren nur bei Vorliegen es Verurteilten, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen „besonderer Umstände" zulässig. In Angleichung an können, statt der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unentgeltliche gemeinnützige Arbeit zu erbringen und kommt es dabei zukünftig aber auf eine Gesamtwür• damit für ihre Straftat Sühne zu leisten. digung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten an. Die landesweite Einführung dieser Tilgungsmöglich• keit ist das Ergebnis eines Modellversuchs, der im Vor allem aber wird die Aussetzung der Reststrafe Jahre 1983 in vier kleineren Landgerichtsbezirken nach § 57 StGB erleichtert: Eine bedingte Entlassung (Amberg, Aschaffenburg, Landshut und Weiden) be­ nach Verbüßung der Hälfte der Strafe ist bei Verurteil­ gonnen hat und dann stufenweise auf zuletzt 14 ten, die sich erstmals im Strafvollzug befinden, eine Staatsanwaltschaften erweitert worden ist. Im Rah­ Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren zu verbü• men dieses Modellversuchs wurden in der Zeit vom ßen haben und eine gute Sozialprognose aufweisen, 11. Juni 1983 bis 31. Dezember 1986 nach einer Verbüßungsdauer von sechs Monaten möglich. Die „Hälfteklausel" gilt auch für diejenigen, 7609 Personen zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe bei denen aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat, mit dem Hinweis geladen, daß sie, statt die Strafe Persönlichkeit und Entwicklung während des Straf­ anzutreten, die Geldstrafe auch durch gemeinnüt• vollzugs besondere Umstände vorliegen. zige Arbeit tilgen können. Diese Fortentwicklung des Rechts der Strafausset­ - Hiervon haben rund 38 O/o (2832 Personen) die zung zur Bewährung leistet einen Beitrag zur wün• Geldstrafe nach dem Hinweis doch noch bezahlt. schenswerten Entlastung der Justizvollzugsanstalten. - Weiteren 290/o (2217 Personen) wurden Stundung Sie vermeidet kriminalpolitische Risiken, wie sie mit oder Ratenzahlung bewilligt. weitergehenden Vorschlägen verbunden sind. Ange­ sichts der weiter steigenden Kriminalität, insbeson­ - Von den restlichen Personen haben bis zum Stich­ dere auch in Teilbereichen der Gewaltkriminalität, tag 668 Verurteilte das Angebot zur Leistung ge­ muß der Eindruck vermieden werden, das Strafrecht meinnütziger Arbeit angenommen; nur 680 Perso­ weiche zurück und dem Rechtsbruch werde nicht nen haben im gleichen Zeitraum die Ersatzfrei­ mehr mit der gebotenen Entschlossenheit begegnet. heitsstrafe angetreten. 4 !>L? 11/ tf 1

- Von den Verurteilten, die das Angebot angenom­ Das Opferschutzgesetz versteht sich selbst nur als men haben, wurden im Berichtszeitraum 8780 Ta­ ersten Schritt auf dem Weg, die Opferinteressen im gessätze durch gemeinnützige' Arbeit getilgt Strafprozeß stärker zu berücksichtigen. Weitere Schritte müssen folgen, Die herausragende Bedeu­ Das Modell „Schwitzen statt Sitzen" beruht im we­ tung des Opferschutzgesetzes liegt in der kriminal­ sentlichen auf folgenden Grundsätzen: politischen Kurskorrektur, die es bewirkt: In einer lan­ - Die Verurteilten können nicht frei wählen zwischen gen rechtspolitischen Entwicklung ist der Verletzte Zahlung der Geldstrafe oder Arbeitsleistung; viel­ an den Rand des Strafprozesses abgedrängt und als mehr muß die Bezahlung der Geldstrafe das erste bloßes Mittel zum Zweck der Überführung des Täters Ziel bleiben, Nur wenn der Verurteilte die ,Geld­ angesehen worden. Nunmehr werden seine persönli• strafe tatsächlich nicht entrichten kann, ist es ver­ che Betroffenheit ernstgenommen und seine Interes­ tretbar, ihm die Möglichkeit einzuräumen, die Haft sen im Strafverfahren anerkannt. Das Opfer wird wie­ zu vermeiden, Deshalb wird die gemeinnützige Ar­ der als Rechtssubjekt und nicht länger als bloßes In­ beit erst angeboten, wenn alle Versuche der Geld­ formationsmittel betrachtet strafenvollstreckung in das Vermögen erfolglos Unvermeidlich bringt das Gesetz eine gewisse Mehr­ waren und die Ladung zum Antritt der Ersatzfrei­ belastung für die Strafverfolgungsorgane mit sich, heitsstrafe bevorsteht Diese muß im Interesse des mit dem Gesetz verfolg­ - Durch die Leistung gemeinnütziger Arbeit, die bei ten rechts- und gesellschaftspolitischen Anliegens zahlreichen Einrichtungen im kommunalen Bereich hingenommen werden. und bei den Wohlfahrtsverbänden erbracht werden kann, dürfen dem Arbeitsmarkt keine Arbeitsplätze für sonst einzustellende Arbeitnehmer entzogen 7, Beschleunigung und Straffung werden; es darf sich deswegen nur um Tätigkeiten des Strafverfahrens handeln, die sonst nicht vergeben würden, Dies ist sichergestellt Ebenfalls zum 1, April 1987 ist das Strafverfahrensän• derungsgesetz 1987 in Kraft getreten, dessen Ziel es Der kriminalpolitische Nutzen der Tilgung uneinbring­ ist, durch eine Vielzahl kleiner Rechtsänderungen ins­ licher Geldstrafen durch gemeinnützige Arbeit liegt gesamt zu einer Entlastung der Strafrechtspflege zu darin, daß er bestimmten Verurteilten aus dem Be­ kommen, ohne daß dabei die rechtsstaatlich erforder­ reich der Verkehrs- und Kleinkriminalität den Vollzug lichen Garantien des Strafverfahrensrechts beein­ einer Freiheitsstrafe erspart, die der Richter für diese trächtigt werden, Tat und diesen Täter nicht als notwendig angesehen hat Die neue Vollstreckungsalternative bewirkt ferner Im wesentlichen sollen folgende Rechtsänderungen, eine gewisse Entlastung für die Justizvollzugsanstal­ die sich auf alle Abschnitte des Strafprozeßrechts be­ ten; diese darf allerdings nicht überschätzt werden, ziehen, das Strafverfahren beschleunigen und straf­ fen: - Der Endzeitpunkt für die Ablehnung eines erken­ 6, O p f e r s c h u t z nenden Richters wegen Besorgnis der Befangen­ heit wird vorverlegt Am 1, April 1987 ist das Erste Gesetz zur Verbesse­ rung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren - Die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung im Be­ (Opferschutzgesetz) in Kratt getreten, Das Gesetz rufungsverfahren wird erweitert regelt die Beteiligungsbefugnisse des Verletzten im - Die Unterbrechung einer Hauptverhandlung wird Strafverfahren neu und erweitert sie, Vor allem den bei besonders umfangreichen Verfahren und bei Opfern schwerer Straftaten gegen höchstpersönliche Krankheit des Angeklagten erleichtert Rechtsgüter wird eine herausgehobene Rechtsstel­ lung eingeräumt; zu diesem Zweck wird das Institut - Weitergehend als bisher kann auf die Verlesung der Nebenklage umgestaltet, Das Recht des Verletz­ von Urkunden, die allen Beteiligten bekannt sind, in ten, sich im Strafverfahren eines Beistands zu bedie­ der Hauptverhandlung verzichtet werden, nen, ist nunmehr gesetzlich geregelt Die Informa­ - Bei allseitigem Einverständnis können in der tionsrechte des Verletzten über das Strafverfahren Hauptverhandlung statt einer Vernehmung Proto­ werden erweitert Ferner wird der Persönlichkeits• kolle früherer Vernehmungen verlesen werden. schutz des Verletzten bei der Erörterung von Um­ ständen aus dem persönlichen Lebensbereich ver­ - Die Verpflichtung zur Erstellung eines Inhaltsproto­ bessert; besonders wichtig ist die erleichterte Aus­ kolls der Hauptverhandlung entfällt, wenn amtsge­ schließung der Öffentlichkeit Schließlich wird der richtliche Urteile rechtskräftig geworden sind, Wiedergutmachung des Opferschadens bereits im - Die Befugnis des Berufungsgerichts, wegen eines Strafprozeß größere Bedeutung zugemessen, Seim Verfahrensfehlers zurückzuweisen, entfällt, sog, Adhäsionsverfahren werden bisher bestehende - Die Effektivität des Strafbefehlsverfahrens wird ver­ Anwendungshindernisse beseitigt, Außerdem werden bessert im materiellen Strafrecht und im Strafverfahrensrecht Anreize für den Täter geschaffen, den Opferschaden - Im strafprozessualen Kostenrecht werden Verein­ alsbald wiedergutzumachen, fachungen und Klarstellungen vorgenommen, 3/ 1 5

- Oie kleine Strafkammer entscheidet außerhalb der 9. Juristenau s b i 1d u n g Hauptverhandlung nur noch durch einen Richter. a) Allgemeines - Der Zuständigkeitsbereich der kleinen Strafvoll­ Die Diskussion um die Reform der Juristenausbildung streckungskammer wird erweitert. ist durch das Drille Gesetz zur Änderung des Deut­ schen Richtergesetzes vom 25. Juli 1984 abgeschlos­ - Die Zahl der von den Gemeinden vorzuschlagen- sen worden. Bayern hat die notwendigen Änderun­ den Schöffen wird herabgesetzt. gen durch die Neufassung der Ausbildungs- und Prü• Das Gesetz stellt einen mühsam zustandegekomme­ fungsordnung für Juristen (JAPO) vom 26. Novem­ nen Kompromiß dar. Nicht alle von Bayern für not­ ber 1985 vorgenommen; eine weitere, im wesentli­ wendig gehaltenen Entlastungsmaßnahmen konnten chen die Durchführung der Zweiten Staatsprüfung durchgesetzt werden. Wegen des bevorstehenden betreffende Verordnung ist derzeit in Vorbereitung. Endes der Legislaturperiode mußte in der Schluß• Die wesentlichen Änderungen, insbesondere die Ein­ phase des Gesetzgebungsverfahrens das Ziel im Vor­ führung studienbegleitender Leistungskontrollen, die dergrund stehen, das Gesetz zumindest in seinen praktischen Studienzeiten, die verstärkte Berücksich• wesentlichen Teilen noch zu verabschieden. tigung anwaltlicher Tätigkeit, die Ausdehnung und Verlegung der Wahlstation, die Möglichkeit eines „praktischen Referendarsemesters" an der Universi­ 8. Bes c h 1e u n i g u n g u n d Straffung tät sowie die Neugestaltung der Zweiten Staatsprü• des Verfahrens wegen fung laufen gerade erst an, so daß über Erfahrungen 0 rd nungswid rigkeiten noch nicht berichtet werden kann. Nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren Das gleiche gilt für den neueingeführten Schwer­ ist am 1. April 1987 das Gesetz zur Änderung des Ge­ punktbereich „Internationales Recht und Europa­ setzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Ge­ recht", der den Assessoren weitere Berufsmöglich• setze in Kraft getreten, durch das die Gerichte in keiten erschließen soll. Zu diesem Zwecke soll künftig Bußgeldsachen entlastet und der Verfahrensgang ge­ auch das Steuerrecht in einem Schwerpunktbereich strafft werden soll. stärker betont werden. Als wichtigste Rechtsänderungen sieht dieses Ge­ setz vor: b) Umweltschutzrecht - Der Anwendungsbereich des Verwarnungsverfah­ Das Umweltschutzrecht war schon bislang als Teil rens wird durch Anhebung des Höchstbetrages des Verwaltungsrechts und des Zivilrechts Gegen­ des Verwarnungsgeldes auf 75,- DM erheblich er­ stand der Ausbildung an der Universität und im Vor­ weitert. bereitungsdienst. Es wurde auch in den schriftlichen und in den mündlichen Staatsprüfungen gebührend - Die Einspruchsfrist wird auf 2 Wochen verlängert. berücksichtigt. Zur Klarstellung und verstärkten Moti­ - Das Zwischenverfahren nach Einspruchseinlegung vierung soll das Umweltschutzrecht bei der derzeit wird wirksamer ausgestaltet, damit weniger unauf­ laufenden Änderung der Ausbildungs- und Prüfungs• geklärte Fälle an die Gerichte gelangen; die Ver­ ordnung sowohl in der Ersten wie auch in der Zweiten waltungsbehörden werden zu einer intensiveren Staatsprüfung in wichtigen Bereichen ausdrücklich Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. als Ausbildungsgegenstand aufgenommen werden. - Die Beweisaufnahme wird gestrafft. Es soll stärker 10. Änderung von Kostengesetzen betont werden, daß sich der Umfang der Beweis­ Durch das am 1. Januar 1987 in Kraft getretene Ge­ aufnahme auch an der Bedeutung der Sache orien­ setz zur Änderung von Kostengesetzen wurden die tieren soll; bei Zustimmung aller Beteiligten sind an Sachverständige, Zeugen und ehrenamtliche Rich­ vereinfachte Formen der Beweiserhebung zuläs• ter zu zahlenden Entschädigungen und die Rechtsan­ sig. waltsgebühren erhöht. - Die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde wird bei Insbesondere die Erhöhung der Entschädigungen der geringfügigen Ordnungswidrigkeiten beschränkt. gerichtlichen Sachverständigen war dringend erfor­ - Anwaltskosten werden dem freigesprochenen Be­ derlich, da diese letztmals mit Wirkung vom 1. Ja­ troffenen in Bagatellsachen nur ausnahmsweise er­ nuar 1976 an die wirtschaftliche Entwicklung ange­ stattet. paßt worden waren. Zur Durchführung dieser Maß• nahmen und zum teilweisen Ausgleich der gestiege­ - Bei Bußgeldverfahren wegen Halt- oder Parkver­ nen Ausgaben der Justizhaushalte wurden auch die stößen wird eine Verantwortung des Kraftfahrzeug­ Gerichtskosten und die Gebühren nach der Kosten­ halters für die Verfahrenskosten begründet; damit ordnung angehoben. Außerdem sind einige Vorschrif­ soll den im Bereich der sog. Kennzeichenanzeigen ten der Zivilprozeßordnung zur Regelung der Prozeß• aufgetretenen Mißständen entgegengewirkt wer­ kostenhilfe geändert worden. den. Auch die Rechtsanwaltsgebühren mußten angehoben Angesichts der großen Belastung der Justiz mit Buß• werden: geldverfahren ist zu hoffen, daß das neue Gesetz in der Gesamtheit seiner Regelungen eine spürbare Diese waren letztmalig mit Wirkung zum 1. Ja­ Entlastung zur Folge hat. nuar 1981 erhöht worden. Der Anstieg der Preise und 6

Löhne im Zeitraum von 1981 bis 1986 hatte sich in der 2. V e r b e s s e r u n g d e s S c h u t z e s Anwaltspraxis als eine Erhöhung der Kosten ausge­ religiöser Überzeugungen wirkt, die zu Lasten des anwaltlichen Einkommens Bayern hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ging. Dies machte eine Anpassung an die wirtschaftli­ der Schutz gegen die Beschimpfung religiöser und che Entwicklung notwendig. weltanschaulicher Überzeugungen verbessert wer­ Neben der Erhöhung von Gebühren und Entschädi• den soll. Die Achtung vor religiösen Überzeugungen gungen hatte der Bundesrat weitere Änderungen von gehört zum ethischen Fundament unseres Staates. Kostengesetzen vorgeschlagen, durch die insbeson­ Eine ungestrafte oder nur unzureichend geahndete dere in der Praxis aufgetretene kostenrechtliche Verächtlichmachung des Glaubens verletzt deshalb Streitfragen geregelt werden sollten. Das Gesetz ist nicht nur die betroffenen Gläubigen, sie stellt einen jedoch auf die oben genannten vordringlichsten Er­ Angriff auf die geistigen Grundlagen des Staatswe­ höhungsmaßnahmen beschränkt worden. Die übrigen sens dar. Seit langem kann man einen Erosionspro­ Änderungen im Kostenrecht wurden einer umfassen­ zeß auf verschiedenen Ebenen des Grundwertever­ den Novelle vorbehalten, die in dieser Legislaturpe­ ständnisses beobachten. Hierzu gehört auch der Ver­ riode eingebracht werden soll. lust der Achtung vor den religiösen Überzeugungen anderer. Dem Staat, dessen Aufgabe es ist, Grund­ werten der Verfassung Geltung zu verschaffen, kann B es nicht gleichgültig sein, wenn Dinge, die vielen Bür• Aktuelle Gesetzgebungsvorhaben gern heilig sind, die ihre innersten Überzeugungen und ihren Glauben prägen, in den Schmutz gezogen 1.Jugendgefährdende Videos werden. Die Entwicklung auf dem Videosektor bereitet große Toleranz ist nicht nur ein ethisches Prinzip. sondern Sorge. Die Verbreitung der menschenverachtenden das „Lebensblut der Demokratie". Häufig genug wird Gewalt-, Horror- und Pornofilme birgt erhebliche Ge­ in Verkennung des Toleranzgedankens vom Staat fahren für den Schutz der Jugend und darüber hinaus „Toleranz" gefordert - nicht im Sinne der Akzeptanz für das gesicherte und geordnete Zusammenleben in von Interessen- und Wertungsgegensätzen, sondern unserer Gesellschaft. Jugendliche werden durch das im Sinne eines möglichst bindungsfreien Auslebens Betrachten grausamer und ekelerregender Szenen persönlicher Freiheiten. Echte Toleranz - auch von von Gewalt und Sexualität in ihrer psychischen Ent­ Bürgern im Umgang miteinander - kann nur dort ge­ wicklung gestört. Labile Menschen können sich zu deihen, wo ein rechtlich verbindlicher Rahmen exi­ Nachahmungstaten angestachelt fühlen. Vor allem stiert, der die Freiheit und Würde des Einzelnen ge­ kann es aber zu einer Abstumpfung gegenüber bruta­ währleistet. Intoleranz darf, wenn sie Grundüberzeu• ler Gewalt, zu einem Verlust an Menschlichkeit und gungen anderer verletzt, nicht geduldet werden. Des­ an Achtung vor der Menschenwürde kommen. wegen muß der Staat einen Maßstab der Toleranz Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Jugendschut­ setzen und die Beachtung des Toleranzgebotes mit­ zes in der Öffentlichkeit vom 1. April 1985 wurden we­ tels einer Strafvorschrift durchsetzen. sentliche Forderungen Bayerns für einen verbesser­ Angriffe auf christliche und jüdische Bekenntnisse ten Jugendschutz erfüllt. Eine empfindliche Geset­ zeugen nicht nur von Unduldsamkeit gegen gläubige zeslücke wurde allerdings nicht geschlossen: Nach Menschen; dahinter steht eine häßliche Feindschaft wie vor können jugendgefährdende Videos vermietet gegen Andersdenkende, ja eine grundsätzliche werden, während die Vermietung von weniger gefähr• Kampfansage gegen Glauben und Religion und die lichen jugendgefährdenden Büchern verboten ist. Vi­ vom Staat gewährleistete Glaubensfreiheit. Meist deoprogramme werden zu mehr als 90 O/o durch Ver­ werden die Angriffe unter dem Vorwand eines künst• mietung verbreitet. Mehr als 2000 Titel sind auf dem lerischen Anliegens vorgebracht. deutschen Markt, davon leider ein großer Teil, der sich auf Gewalt und Porno bezieht. An diese Mach­ Bislang kann gegen derartige blasphemische Mach­ werke kommen, wie Untersuchungen zeigen, Jugend­ werke nur eingeschritten werden, wenn sie geeignet liche leicht über ältere Freunde heran. Solange kein sind, den öffentlichen Frieden zu stören - ein Merk­ absolutes Vermietverbot besteht, ist der Jugend­ mal, das von den Strafverfolgungsbehörden nur ganz schutz lückenhaft. selten angenommen wird, etwa dann, wenn die Be­ schimpfung die Gefahr von Übergriffen gegen die An­ Auf Initiative Bayerns hat deshalb der Bundesrat hänger des beleidigten Bekenntnisses hervorruft einen Gesetzentwurf beschlossen, der folgende Ziele oder wenn diese veranlaßt sein könnten, die Respek­ erfolgt: tierung ihres Glaubens auf dem Wege der Selbsthilfe - Vollständiges Vermietverbote für jugendgefähr• durchzusetzen. Die bisherige Regelung benachteiligt dende Videofilme denjenigen, der sich in der Tugend der Friedfertigkeit übt und belohnt den, der vom Faustrecht Gebrauch - Beschränkung des Einzelhandels mit pornographi­ macht und zu Maßnahmen greift, die weder der Staat schen Schriften auf Ladengeschäfte, die Jugendli­ noch die christlichen Kirchen gutheißen. Der Gesetz­ chen nicht zugänglich und für sie nicht einsehbar entwurf Bayerns schlägt deshalb vor, auf das Merk­ sind mal der Störung des öffentlichen Friedens, das im Zu­ - Beschränkung der öffentlichen Vorführung porno­ sammenhang mit der Beschimpfung von Glaubens­ graphischer Filme grundsätzen verfehlt erscheint, zu verzichten. "!;/ , 7

c Das Fehlen eines Schmerzensgeldanspruchs bei Künftige Gesetzgebungsaufgaben rechtswidriger und schuldhafter Tötung nächster An­ gehöriger wird im juristischen Schrifttum vielfach als empfindlicher Mangel des geltenden Rechts angese­ 1. Zivilrecht hen. Das deutsche Recht enthält hier eine Lücke ge­ genüber den vergleichbaren Rechtsordnungen z.B. 1.Neuordnung des Entmündigungs-, der Schweiz oder Frankreichs, die einen entspre­ Vormundschafts- und Pflegschafts­ chenden Ausgleichsanspruch kennen. rechts Das Staatsministerium der Justiz beabsichtigt des­ Das geltende Entmündigungs-, Vormundschafts- und halb, die Angelegenheit mit dem Ziel einer etwaigen Pflegschaftsrecht bedarf einer grundlegenden Über• Bundesratsinitiative aufzugreifen. Es prüft, ob in An­ arbeitung. Es sollte für Volljährige durch ein Betreu­ lehnung und Ergänzung von § 844 Abs. 2 BGB den ungsrecht abgelöst werden, das die persönliche, indi­ nächsten Angehörigen bei einer rechtswidrigen und viduell gestaltete Betreuung des Hilfsbedürftigen, schuldhaften Tötung ein angemessener Ausgleichs­ auch behinderter älterer Menschen, in den Vorder­ anspruch zugebilligt werden kann. Dabei wird es ent­ grund rückt und unnötige Eingriffe in die Geschäftsfä• scheidend darauf ankommen, die Anspruchsvoraus­ higkeit vermeidet. setzungen so abzugrenzen, daß eine ausufernde Die Neuregelung wird sich nach übereinstimmender Ausweitung der Ersatzpflichtigen insgesamt vermie­ Auffassung der Bundesregierung und der Bayer. den wird. Für die Ausgestaltung eines Anspruchs Staatsregierung vor allem an folgenden Leitgedanken kommen folgende Grundsätze in Betracht: orientieren: - Voraussetzung wäre eine schuldhafte unerlaubte - Die Vormundschaft und die Pflegschaft über Voll­ Handlung. Von der Einbeziehung der Gefährdungs• jährige sollen durch ein einheitliches, flexibles haftung sollte abgesehen werden, weil hier in der Rechtsinstitut der Betreuung abgelöst werden. Regel auch der Geschädigte selbst keinen An­ spruch auf Ersatz des immateriellen Schadens hat. - Die Neuregelung soll stärker auf das individuelle Betreuungsbedürfnis abstellen und die persönliche Der Anspruch sollte auf Kinder und Ehegatten be­ Betreuung in den Vordergrund rücken. grenzt werden. Eine Berücksichtigung ähnlich en­ ger menschlicher Bindungen kommt wegen der - Eingriffe in die Geschäftsfähigkeit sollen auf das sonst zu befürchtenden Ausweitung des An­ unbedingt Erforderliche beschränkt bleiben. Die spruchs wohl nicht in Betracht. Entmündigung wegen Geisteskrankheit, die auto­ matisch zur Geschäftsunfähigkeit führt, soll abge­ - Der Anspruch sollte auf Kinder, die von dem getö• schafft werden. teten Elternteil tatsächlich betreut wurden, und auf Ehegatten beschränkt werden, die zusammenge­ - Die materiellen Voraussetzungen der Unterbrin­ lebt haben. Nur in diesen Fällen ist in der Regel der gung sollen im Gesetz ausdrücklich geregelt wer­ als innerer Grund des Anspruchs vorausgesetzte den. Verlust einer besonders engen menschlichen Be­ - Das zivilprozessuale Entmündigungsverfahren wird ziehung anzunehmen. abgeschafft; für das Betreuungsverhältnis wird ein - Die Einführung einer Höchstgrenze erscheint im einheitliches Verfahren der freiwilligen Gerichtsbar­ Hinblick auf die Versicherbarkeit des Schadensrisi­ keit geschaffen. kos und auf die Höhe der Versicherungsprämien Auf der Grundlage von Gutachten und mit Unterstüt• erwägenswert. zung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe wird der­ zeit an einem Entwurf der Bundesregierung gearbei­ 3. Haftung für Umweltschäden tet. Die Landesjustizministerien werden eine Befra­ gung der Gerichtspraxis veranlassen und dieses Die Umweltunfälle des Jahres 1986 haben eine leb­ wichtige Gesetzesvorhaben nachdrücklich unterstüt• hafte Diskussion über erforderliche Rechtsänderun• zen. gen ausgelöst. Breiten Raum nimmt dabei auch die Verbesserung der zivilrechtlichen Haftung für Um­ weltschäden ein. Folgende hauptsächliche Lösungs• 2. S c h a d e n s a u s g 1e i c h b e i T ö t u n g vorschläge lassen sich unterscheiden: nächster Angehöriger - Erweiterung der Gefährdungshaftung und Einfüh• Nach geltendem Recht muß bei einer Körperverlet• rung einer Umwelthaftpflichtversicherung zung der schuldige Täter auch für den immateriellen Schaden des Opfers einstehen. Ein Ausgleich für das Eine verschuldungsunabhängige Gefährdungshaf• Leid, das den Angehörigen bei einer Tötung schuld­ tung für Umweltschäden besteht derzeit nur nach haft zugefügt wird, ist nicht vorgesehen. Die als Folge wasserrechtlichen und atomrechtlichen Bestim­ der Tötung nächster Angehöriger auftretende Zerstö• mungen. Es liegt nahe, dieses Haftungsprinzip rung elementarer, durch Art. 6 GG geschützter auch für andere Umweltschädigungen einzuführen. menschlicher Grundbeziehungen und der dadurch Diese Maßnahme ist aber nur dann erfolgverspre­ bedingte Verlust an Zuwendung oder Betreuung chend, wenn sich ein Schaden einem bestimmten bleibt völlig außer Betracht. Verursacher zeitlich und örtlich eindeutig zuordnen

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läßt. Für Beeinträchtigungen durch weiträumig in und welche Unternehmen je nach Ausgestaltung der der Luft verteilte Schadstoffe z. T. unbekannter Haftung von einer Neuregelung erfaßt würden. Außer• Herkunft ist die Einführung einer Gefährdungshaf• dem ist festzustellen, wie hoch bei den in Betracht tung dagegen unzweckmäßig, weil die Schwierig­ kommenden Unternehmen das Störfallrisiko und das keiten bei der Feststellung der maßgebenden Schadensrisiko ist. Diese Erkenntnisse sind für die Handlungsabläufe und ihrer Auswirkungen auf die Feststellung erforderlich, ob die Haftung versicherbar Umwelt keine befriedigende haftungsrechtliche Zu­ ist und wie hoch gegebenenfalls die Versicherungs­ ordnung erlauben. Dies gilt vor allem für Schäden, prämien wären. Die Tragbarkeit der Versicherungsko­ die durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von sten und die Höhe des gegebenenfalls nicht gedeck­ Schadstoffen verschiedener Emittenten zustande ten Haftungsrisikos sind von Bedeutung für die kommen (beispielsweise Waldschäden). Frage, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Rechtsänderungen für die betroffenen Betriebe, auch - Einführung einer gesetzlichen Beweislastumkehr im Verhältnis zur ausländischen Konkurrenz, hätten. Hierbei sind auch die Auswirkungen auf die Wirt­ Die Einführung einer Gefährdungshaftung führt schaftstruktur durch etwaige überproportionale Bela­ nicht zu der gewünschten Haftungsverbesserung, stungen bestimmter Wirtschaftszweige und die Fol­ wenn der Geschädigte den Ursachenzusammen­ gen für kleine und mittlere Betriebe zu bedenken. hang zwischen der Abgabe von Schadstoffen und dem eingetretenen Schaden nicht nachweisen Das Staatsministerium der Justiz wird sich dafür ein­ kann. Die Rechtsprechung nimmt deshalb für die setzen, daß diese sinnvollerweise nur auf Bundes­ bestehende Verschuldungshaftung unter Heranzie­ ebene lösbaren Fragen alsbald mit dem Ziel einer bal­ hung von Grundsätzen der Produzentenhaftung digen Verbesserung der Rechtslage geklärt werden. mit zunehmender Tendenz eine Beweislastvertei­ lung nach Gefahrenbereichen vor. Es ist zu überle• gen, ob dieser Gedanke für eine gesetzliche Rege­ 4. 1n s o 1v e n z r e c h t lung fruchtbar gemacht werden kann. Sicherlich Das geltende Konkurs- und Vergleichsrecht ist drin­ nicht möglich ist dies bei den oben erwähnten gend erneuerungsbedürftig. Wenn es heute nur noch Summationsschäden, weil hier eine mit einer Be­ in etwa 1 O/o aller lnsolvenzen zu einem Vergleich weislastumkehr verbundene Gefährdungshaftung kommt und nur noch 160/o der Konkurse gerichtlich zur bloßen Verdachtshaftung führen müßte; dem abgewickelt werden können, weil alle anderen man­ einzelnen Emittenten wäre es nämlich praktisch gels Masse nicht durchgeführt werden, dann zeigt nicht möglich, die Unschädlichkeit gerade seiner dies, daß wesentliche Ziele eines funktionsfähigen In­ Immission nachzuweisen. Eine gesetzliche Beweis­ solvenzrechts nicht mehr erreicht werden, nämlich lastumkehr kommt deshalb wohl nur in Störfällen in Betracht, in denen ein Umweltschaden einem be­ die weitestgehende Erhaltung notleidend geworde­ stimmten Verursacher ohnehin klar genug zuge­ ner Unternehmer und ordnet werden kann. - der größtmögliche Schutz aller Gläubiger.

- Entschädigungsfonds Eine vom Bundesminister der Justiz einberufene Kommission, an der auch das Bayer. Staatsministe­ Schäden, die durch das Zusammenwirken einer rium der Justiz beteiligt war, hat Vorschläge für ge­ Vielzahl von Schadstoffen verschiedener Emitten­ setzgeberische Maßnahmen erarbeitet, die möglichst ten zustande kommen, lassen sich mit den Mitteln in dieser Legislaturperiode des Bundestags verwirk­ des zivilrechtlichen Haftungsrechts nicht lösen. Es licht werden sollten. Sie sehen u. a. vor, wird deshalb in der Literatur vorgeschlagen, für diese Fälle und für Fälle eines Eingriffes in den Na­ die Zusammenlassung von Vergleichs- und Kon­ turhaushalt ohne konkret Geschädigten einen Ent­ kursverfahren zu einem einheitlichen, primär auf schädigungsfonds einzurichten. Als Beispiele wer­ Sanierung ausgerichteten Insolvenzverfahren, den entsprechende Modelle in anderen Staaten so­ - den Abbau von Konkursvorrechten, um auch unge­ wie der internationale Fonds zur Entschädigung sicherten Gläubigern eine Befriedigungschance von Ölverschmutzungsschäden genannt. In der einzuräumen. Bundesrepublik besteht nach § 12ff des P11ichtver­ sicherungsgesetzes ein Entschädigungsfonds für Ziel einer Insolvenzrechtsreform muß vor allem sein, Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen. die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Leistungs- und Ertragsfähigkeit sanierungsfä• higer Unternehmen wiederhergestellt und dadurch Es ist zu prüfen, ob diese Modelle für einen Umwelt­ die Erhaltung von Arbeitsplätzen ermöglicht werden entschädigungsfonds nutzbar gemacht werden könn• kann. Die Möglichkeit, einen Betrieb im Konkurs zu ten. veräußern und dadurch Betriebsstätten und Arbeits­ Die genannten Regelungsmöglichkeiten erfordern plätze zu sichern, sollte verbessert werden. Der not­ wegen ihrer weitreichenden haftungsrechtlichen und wendige Interessenausgleich zwischen gesicherten wirtschaftspolitischen Auswirkungen gründliche Vor­ und ungesicherten Gläubigern muß sicherstellen, daß bereitung und eingehende Untersuchung ihrer Aus­ die Kreditversorgung als Voraussetzung unternehme­ wirkungen. Insbesondere ist zu ermitteln, wie viele rischer Tätigkeit nicht beeinträchtigt wird. !JL P11; t.f 9

5. Neu rege 1u n g der Produzenten - Folgende gesetzgeberische Maßnahmen kommen in haftung Betracht: Am 25. Juli 1985 hat der EG-Ministerrat die Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor­ - Bei Vertragsabschluß: schriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für feh­ Einführung des Schriftformerfordernisses und die lerhafte Produkte verabschiedet. Die Richtlinie ist in­ Festlegung von Mindestangaben für den Kreditver­ nerhalb von drei Jahren in deutsches Recht umzuset­ trag, damit insbesondere die künftigen Belastun­ zen. Die Lage des Verbrauchers, der durch fehler­ gen dem Schuldner klar erkennbar werden; Einfüh• hafte Produkte einen Schaden erlitten hat, soll durch rung eines befristeten Widerrufsrechts beim Ab­ sie deutlich verbessert werden. schluß von Verbraucherkreditverträgen, sofern Die Richtlinie schreibt die Einführung einer verschul­ gleichzeitig ein etwa bereits ausbezahlter Darle­ densunabhängigen Gefährdungshaftung vor; der Ge­ hensbetrag zurückerstattet wird. schädigte erhält dadurch einen zusätzlichen, einfa­ cher zu handhabenden Anspruch. Eine Verbesserung - Bei der Vertragsdurchführung: der Rechtslage für den Verbraucher ist des weiteren Eintritt der Fälligkeit des Restsaldos bei Zahlungs­ darin zu sehen, daß neben den Herstellern des Pro­ verzug nur nach einer vorherigen Mahnung des dukts oder seiner Teile auch Importeure und Ver­ Kreditgebers, damit dem Schuldner die Folgen sei­ triebshändler, die auf dem Produkt eine eigene Marke ner Säumigkeit klar vor Augen geführt werden; anbringen, in die Haftung einbezogen werden. Kann keine Verpflichtung zur Fortzahlung des Vertrags­ der Hersteller nicht festgestellt werden, soll ein Liefe­ zinssatzes nach Kündigung des Restsaldos durch rant haften. Die Richtlinie erleichtert zudem die Be­ den Kreditgeber, jedoch Beibehaltung des auf das weislage: Der Kunde hat nur den Schaden, den Feh­ Vertragsinteresse gerichteten Schadensersatzan­ ler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen spruches, wobei sich der Kreditgeber aber er­ Fehler und Schaden darzulegen und gegebenenfalls sparte Aufwendungen anrechnen lassen muß; Be­ zu beweisen. Der bisher erforderliche Nachweis, daß schränkung der Kreditvermittlergebühren bei Um­ der Schaden im Organisationsbereich des Herstellers schuldungen. ausgelöst worden ist, entfällt. Um die Inanspruchnahme von Herstellern nicht aus­ - Bei der gerichtlichen Durchsetzung: ufern zu lassen, sind Haftungsgrenzen vorgesehen: Erschwerung der Möglichkeit, über eine sittenwid­ Bei Sachschäden muß der Geschädigte sich mit um­ rige Kreditforderung einen gerichtlichen Titel zu er­ gerechnet ca. 1200 DM selbst beteiligen. Außerdem langen. kann die Haftung für sog. Serienschäden, d. h. für Schäden, die durch denselben Produktfehler verur­ Die Umsetzung dieser Leitlinien in eine gesetzliche sacht worden sind, auf umgerechnet ca. 160 Millionen Regelung bedarf im einzelnen noch genauerer Prü• DM begrenzt werden. fung, die derzeit vom Bundesministerium der Justiz Eine Haftung für sog. Entwicklungsrisiken, d. h. für auf Bundesebene angestellt wird. Das Staatsministe­ Produktfehler, die ursprünglich nicht erkennbar und rium der Justiz wird sich mit Nachdruck beim Bund damit nicht vermeidbar waren, ist von der Richtlinie dafür einsetzen, daß eine ausgewogene Regelung zu­ nicht zwingend vorgeschrieben. Sie wird deshalb vor­ stande kommt. aussichtlich im deutschen Recht nicht eingeführt werden. Nicht vorgesehen ist außerdem die Zahlung von Schmerzensgeld. 7. Verbesserung der Haftung bei Schleppliftunfällen Insgesamt gibt die Richtlinie dem deutschen Gesetz­ geber einen brauchbaren Rahmen für eine Neurege­ Am 3. April 1987 hat der Bundesrat beschlossen, den lung, die den berechtigten Interessen der Verbrau­ von Bayern beantragten Entwurf eines Gesetzes zur cher und denen der Wirtschaft gleichermaßen ge­ Änderung des Haftpflichtgesetzes beim Deutschen recht wird. Das Bayer. Staatsministerium der Justiz Bundestag einzubringen. Dieser Entwurf sieht die wird sich im Bundesrat nachdrücklich für eine in die­ Einführung einer verschuldensunabhängigen Gefähr• sem Sinne ausgewogene Regelung einsetzen. dungshaftung, wie sie für Seilbahnen und Sessellifte bereits besteht, auch für Schlepplifte vor. Dadurch 6. V e r b r a u c h e r s c h u t z b e i soll ein angemessener Schutz der Unfallopfer und Teilzahlungskrediten eine für alle Beteiligten einfachere Abwicklung der fi­ nanziellen Unfallfolgen erreicht werden. Der Schutz von Schuldnern vor unbillig überteuerten Krediten, insbesondere im Bereich der Kreditvermitt­ Nach geltendem Recht haftet der Betreiber eines lung und bei Umschuldungen ist verbesserungsbe­ Schleppliftes nur dann, wenn er den Unfall nachweis­ dürftig. Es ist eine Regelung anzustreben, die den bar verschuldet hat. Nach heutigem Erkenntnisstand Schutz vor allem unverschuldet in Not geratener Dar­ sind jedoch Schlepplifte nicht ungefährlicher als lehensnehmer verbessert, systemwidrige Einschnitte Schwebebahnen. Ihre Benutzung ist vielmehr mit in das geltende Vertragsrecht aber vermeidet und nicht unerheblichen Risiken verbunden, die zu einem den säumigen Schuldner nicht gegenüber dem ver­ wesentlichen Teil auf die technische Beschaffenheit tragstreuen bevorzugt. Dirigistische Eingriffe in pri­ der Liftanlagen zurückzuführen sind (Beispiel: Verlet­ vate Verträge sind zu vermeiden. zung durch Reißen des Schleppseiles oder durch ] .1 ,i v 10

schwingende Schleppbügel). Angesichts der großen führt und gegebenenfalls neue Rechtsbereiche - so­ Zahl von Beförderungsunfällen mit Schleppliften weit sie von allgemeiner und dauerhafter Bedeutung reicht deshalb die bestehende Verschuldenshaftung sind - in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommen nicht mehr aus. überdies ist nicht einzusehen, wes­ werden. halb für die Beförderung von Skiläufern mit Schlepp­ Der Bundesminister der Justiz hat im Dezember 1983 liften eine andere Schadensersatzregelung gelten soll eine Kommission für die Überarbeitung des Schul­ als für die Beförderung mit Sesselliften. drechts eingesetzt. Sie hat den Auftrag, Vorschläge zu erarbeiten, die das allgemeine Leistungsstörungs• 8. Gesetz 1 ich e Maßstäbe recht, das Gewährleistungsrecht des Kauf- und für die Bemessung des Werkvertrags sowie das Verjährungsrecht unter Be­ U nie rhalt san s p ru c h s rücksichtigung vor allem der Rechtsprechung und der Vertragspraxis übersichtlicher und zeitgemäßer Schon bei den Beratungen des Unterhaltsänderungs• gestalten sollen. In der Kommission wirken Vertreter gesetzes ist deutlich geworden, daß eine umfassende der Rechtswissenschaften, der Richterschaft, der Überarbeitung des Unterhaltsrechts notwendig ist. Abgesehen vom Regelunterhalt für nichteheliche Kin­ Landesjustizverwaltungen, des Notariats und der An­ der fehlen konkrete Maßstäbe für die Bemessung des waltschaft mit. Oie Kommission hat inzwischen ihre Unterhalts. Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs Erörterungen zum allgemeinen Leistungsstörungs• recht und zum Gewährleistungsrecht des Kauf- und ist nach dem Gesetz die Bedürftigkeit des Berechtig­ ten und die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Die Werkvertrages weitgehend abgeschlossen; sie be­ Höhe des Unterhaltsanspruchs richtet sich nach der schäftigt sich nunmehr mit dem Verjährungsrecht Lebensführung des Bedürftigen, bei Ehegatten nach und wird nach Abschluß der Beratungen ihre Vor­ den ehelichen Lebensverhältnissen. Die Bemessung schläge voraussichtlich in Form eines Gesetzent­ des Unterhalts hängt daher von der Anwendung und wurfs dem Bundesjustizminister vorlegen. Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ab. Die bis­ In der Kommission ist auch das Bayer. Staatsministe­ herige Regelung gibt den Gerichten zwar die Mög• rium der Justiz vertreten. Es wird darauf hinwirken, lichkeit, dem Einzelfall individuell Rechnung zu tra­ daß die geplante Überarbeitung sich an den systema­ gen, sie berücksichtigt aber zu wenig, daß die Praxis tischen Grundstrukturen, den methodischen Ansät• konkrete Maßstäbe im Interesse der Gleichbehand­ zen und den Grundwertungen des Bürgerlichen Ge­ lung der Betroffenen braucht und für den Verpflichte­ setzbuchs orientiert und letztlich Einheit und Wirk­ ten Unterhaltsbelastungen voraussehbar sein müs• samkeit unseres Zivilrechts stärkt. sen. Einige Oberlandesgerichte haben daher Tabellen zur 10. Justizmitteilungsgesetz Berechnung des Kindesunterhalts aufgestellt. Diese Die Entscheidungen in gerichtlichen und staatsan­ Tabellen sind nicht einheitlich. Auch in Bayern werden waltschaftlichen Verfahren, aber auch sonstige in die­ von verschiedenen Oberlandesgerichten unter­ sen Verfahren bekanntwerdende Tatsachen werden schiedliche Tabellen oder Leitlinien angewendet Das in zahlreichen Fällen, in denen dies zur Wahrung be­ ist von der Sache her nicht gerechtfertigt und führt rechtigter Interessen oder zur Wahrnehmung von für die Beteiligten und für die Anwälte zu erheblichen Aufgaben des Mitteilungsempfängers erforderlich ist, Schwierigkeiten. Die Anwendung verschiedener Ta­ an Dritte, vor allem Behörden, mitgeteilt. Diese Mittei­ bellen beeinträchtigt auch die Rechtssicherheit. Es lungen müssen nach den Vorgaben des Bundesver­ ist Aufgabe des Gesetzgebers, in diesem wichtigen fassungsgerichts im Volkszählungsurteil auf eine ein­ Bereich für die Rechtsanwendung die maßgeblichen deutige gesetzliche Grundlage gestellt werden. Ziel Bemessungsgrundlagen festzulegen. der Regelung muß es sein, den durch die Grund­ Die von Bayern erstrebte Regelung soll die gerichtli­ rechte geforderten Schutz des Persönlichkeitsrechts chen Tabellen und Leitlinien durch eine gesetzliche des Bürgers zu gewährleisten und gleichrangig die Regelung ersetzen und die bisher durch den Gesetz­ berechtigten Belange der Zivil- und Strafrechtspflege geber verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie der Verwaltung zu wahren. Das Staatsministe­ konkretisieren. rium der Justiz hat sich frühzeitig für eine gesetzliche Regelung eingesetzt. Inzwischen hat der Bundesmi­ nister der Justiz den ersten Diskussionsentwurf eines 9. Ü b er a r bei tu n g des B ü r g er 1 ich e n Bundesmitteilungsgesetzes vorgelegt, der zwar in Gesetzbuchs der Gesamtkonzeption befriedigen kann, in zahlrei­ Das Bürgerliche Gesetzbuch hat sich dank seiner kla­ chen Einzelpunkten aber weiterer intensiver Erörte• ren Sprache und seines übersichtlichen Aufbaus be­ rung bedarf. Das Staatsministerium der Justiz wird an währt. Die allgemeine Fassung seiner Normen bietet diesem schwierigen und umfangreichen Vorhaben der Rechtsprechung die Möglichkeit, neuen wirt­ unter Beachtung der berechtigten Interessen der ge­ schaftlichen und sozialen Entwicklungen gerecht zu richtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis kon­ werden. Die Entwicklung von Rechtsprechung und struktiv mitarbeiten. Dabei muß es auch darum ge­ Gesetzgebung seit dem Inkrafttreten des BGB macht hen, das Mitteilungsverfahren so auszugestalten, daß jedoch eine Überarbeitung vor allem im Bereich des der mit dem Gesetz unvermeidbar verbundene zu­ Schuldrechts erforderlich. Dabei sollten diejenigen sätzliche Arbeitsaufwand für die ohnehin überlasteten Teilbereiche des Bürgerlichen Rechts, die in Sonder­ Gerichte und Staatsanwaltschaften in möglichst en­ gesetzen geregelt sind, wieder in das BGB zurückge- gen Grenzen gehalten wird. 11

11. Entlastung der Zivilgerichte auf unser kompliziertes Stromsystem eines Tages ein und Verbesserungen empfindlicher Stromausfall eintritt, von dem ein gro­ im Zivilprozeßrecht ßer Teil der Bevölkerung betroffen ist. Die durch die Novellen von 1975 und 1977 erreichte Neben den personellen und sachlichen Maßnahmen, Entlastung der Zivilgerichte ist durch die stark ange­ die der Staat zum Schutz der gefährdeten Menschen stiegene Geschäftsbelastung inzwischen wieder auf­ und Objekte trifft, muß auch ständig geprüft werden, gesogen worden. Überlegungen, ob durch weitere ob und wie die gesetzlichen Regelungen verbessert gesetzgeberische Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden können. In zwei Bereichen besteht ein beson­ werden kann. sind daher dringend geboten. derer gesetzgeberischer Handlungsbedarf: Gegen gewalttätige Ausschreitungen und gegen terroristi­ Aufgrund eines Beschlusses der Justizministerkonfe­ sche Anschläge. renz vom September 1986 haben die Landesjustizver­ waltungen einen Katalog von Vorschlägen erarbeitet. Zwischen beiden Themenbereichen besteht insofern Ein Teil dieser Vorschläge sollte alsbald in ein Ge­ ein innerer Zusammenhang, als es den Chaoten bei setzgebungsverfahren eingebracht werden, während gewalttätigen Ausschreitungen längst nicht mehr andere Maßnahmen noch eingehender Prüfung be­ darum geht, gegen eine bestimmte technische Groß• dürfen und allenfalls langfristig verwirklicht werden anlage oder gegen eine bestimmte Entscheidung der können. hierfür berufenen staatlichen Organe zu protestieren. Den vermummten Chaoten ist im Grunde jedes Ziel, Für vordringlich hält das Bayer. Staatsministerium der jedes Mittel recht, um Krawall zu veranstalten und um Justiz u. a. folgende Maßnahmen: Zerstörungen anzurichten. Das freiheitliche demokra­ - Erweiterung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit, tische Staatswesen in der Bundesrepublik Deutsch­ land soll bekämpft und womöglich vernichtet werden. - Vereinfachung bei der Beweisaufnahme und der Urteilsabfassung im amtsgerichtlichen Verfahren, Verbesserte Vorschriften gegen - Anhebung der Berufungssumme. gewalttätige Ausschreitungen Im Jahre 1970 hat die SPD/FDP-Koalition den Straf­ Auf längere Sicht erwägenswert erscheinen z.B. tatbestand des Landfriedensbruchs erheblich einge­ - Neuordnung des Rechts der Berufung, engt. Seitdem kann derjenige, der sich zwar an einer gewalttätigen Zusammenrottung beteiligt, aber nicht - Erweiterung des Anwendungsbereichs summari- selbst Gewalttaten begeht, mit den Mitteln des Straf­ scher Verfahren, rechts nicht mehr erfaßt werden. Dies hat zur Folge, - Übertragung des Versorgungsausgleichs auf Ver­ daß die Polizei bei unfriedlichen Massenaufläufen sorgungsträger. nicht wirksam gegen die Gewalttäter vorgehen kann. weil diese unerkannt und unerreichbar unter dem Schutz der sie umgebenden Menge operieren kön• nen. Die Mitläufer, die ihnen Deckung geben, können II. Strafrecht nicht belangt werden. 1.Aktuelle Probleme der inneren Das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches Sicherheit und des Versammlungsgesetzes vom 18. Juli 1985 hat nur eine unwesentliche Verbesserung dieses Die Wahrung von Sicherheit und Ordnung ist Voraus­ Rechtszustandes gebracht. Nach diesem Gesetz ist setzung für ein Leben der Bürger in Freiheit ohne es nunmehr verboten, vermummt oder passiv bewaff­ Angst und Sorge. Sie ist kein Selbstzweck, sondern net an einer Versammlung teilzunehmen. Der Verstoß Grundvoraussetzung für die freie Entfaltung des ein­ gegen diese Vorschrift stellt aber lediglich eine Ord­ zelnen und tür das solidarische Zusammenwirken al­ nungswidrigkeit dar und vermag offensichtlich keine ler in der Gemeinschaft. Ohne Sicherheit und Ord­ hinreichende abschreckende Wirkung zu entfalten, nung gibt es keinen inneren Frieden und keine so­ wie die zahlreichen gewalttätigen Ausschreitungen ziale Gerechtigkeit, deren Sicherung zu den wichtig­ vermummter Gestalten in jüngster Zeit gezeigt ha­ sten Aufgaben des Staates gehört. ben. Strafbar wird die Vermummung und passive Be­ Die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutsch­ waffnung erst dann, wenn sich die Täter in einer land gab und gibt Anlaß zu ernster Sorge: Zeitweise Menschenmenge befinden, aus der Gewalttätigkeiten wurde fast täglich ein terroristischer Anschlag auf ein oder Bedrohungen mit Gewalttätigkeiten begangen Gebäude, auf Stromleitungen oder auf die Bundes­ werden und die Polizei aufgefordert hat, die Vermum­ bahn begangen; im Abstand von nur wenigen Wo­ mung und passive Bewaffnung abzulegen oder sich chen fanden gewalttätige Demonstrationen statt, in zu entfernen. Wie die Erfahrungen mit den neuen Vor­ deren Verlauf zahlreiche Polizeibeamte verletzt und schriften gezeigt haben, ist es der Polizei fast unmög• Sachschäden in Millionenhöhe verursacht wurden lich, einzelne vermummte Gewalttäter aus der sie um­ und - leider Gottes - in fast regelmäßigen Zeitabstän• gebenden drohenden Menschenmenge herauszu­ den wurde ein terroristischer Mord verübt. greifen. infolge der Vermummung kann auch die Iden­ tität nachträglich kaum festgestellt werden. Die Bedrohungen halten an. Zahlreiche Menschen müssen um ihr Leben und ihre Gesundheit bangen. Der Polizei muß die Möglichkeit gegeben werden, An­ Wir müssen damit rechnen, daß durch die Anschläge sammlungen aufzulösen, die einen gewalttätigen Ver- 12 lauf nehmen. Das ist wirksam nur dann möglich, wenn Gründung und die Mitgliedschaft in einer terroristi­ jeder mit Strafe bedroht wird, der sich nach Aufforde­ schen Vereinigung schärfer bestraft. Der Kreis der rung durch die Polizei nicht aus einer Menge entfernt, terroristischen Vereinigungen wird auf solche Grup­ aus der heraus Gewalttaten begangen werden. pen ausgedehnt, die sich Anschläge auf den Bahn­ verkehr, auf Versorgungseinrichtungen und auf Bau­ Das sah ein Gesetzentwurf des Freistaates Bayern maschinen zur Errichtung technischer Großanlagen zur Gewährleistung der rechtsstaatlichen Ordnung zum Ziele gemacht haben. und der öffentlichen Sicherheit vor, der im November letzten Jahres am Widerstand von FDP und SPD ge­ Die Einbeziehung der genannten Straftaten und die scheitert ist. Strafverschärfung haben nicht nur eine höhere Ab­ schreckungswirkung, sondern auch Verbesserungen Vermummung und passive Bewaffnung müssen ge­ bei der Strafverfolgung zur Folge: Untersuchungshaft nerell unter Strafe gestellt werden. Die Vermummung kann auch ohne Haftgrund - Flucht- oder Verdunke­ ist die Vorstufe zur Gewalttat. Wer vermummt und ge­ lungsgefahr - angeordnet werden. Unter den Voraus­ panzert zum Demonstrieren geht, dem geht es nicht setzungen des § 100 a StPO darf das Telefon abge­ um friedliche Meinungsäußerung, sondern der ist auf hört werden. Eine Gebäudedurchsuchung ist zuläs• Krawall und Gewalttätigkeit aus. Seine Ausrüstung sig. Kontrollstellen dürfen eingerichtet werden. Es gibt ihm das Gefühl persönlicher Sicherheit und för• besteht eine erhöhte Anzeigepflicht nach § 138 dert damit seine Bereitschaft zu Ausschreitungen. StGB. Sie fördert zudem in der Menge ein Klima der Ag­ gressivität. Schließlich wir die Anleitung zu Straftaten wieder, wie bereits bis zum Jahre 1981, unter Strafe gestellt. Es Ferner soll nach den bayerischen Vorschlägen die war ein unerträglicher Rechtszustand, daß ungehin­ Teilnahme an einer verbotenen oder aufgelösten Ver­ dert Handbücher und Druckschriften verbreitet wer­ sammlung sowie die Aufforderung zur Teilnahme an den konnten, in denen präzise beschrieben wird, wie einer solchen Versammlung mit Strafe bedroht wer­ ein Strommast gesprengt werden kann oder wie den. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr soll auf Gleise und Schwellen zu lockern sind. Eine Kronzeu­ die Tatbestände des § 125 Abs. 1 und des § 125a genregelung, wie sie zunächst von den Koalitionspar­ StGB erweitert werden, damit gegen festgenommene teien vereinbart worden war, wurde schließlich nicht Gewalttäter, bei denen Wiederholungsgefahr besteht, in das Gesetz aufgenommen. Sie ist an der Haltung Untersuchungshaft angeordnet werden kann. der FDP, die der Regelung zunächst zugestimmt Die Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP haben hatte, gescheitert. Für die laufende Legislaturperiode festgestellt, daß Handlungsbedarf besteht und daß haben sich die Koalitionsparteien dahingehend ver­ bis Herbst 1987 die notwendigen Maßnahmen zur Si­ ständigt, daß eine Kronzeugenregelung geschaffen cherung des Gemeinschaftsfriedens beschlossen wird, die aber bei Mord lediglich Strafmilderung vor­ werden sollen. sieht. Daneben müssen aber auch weitere Gesetzesvor­ Terrorismus schläge zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Stärkung der inneren Sicherheit realisiert werden. Er­ Der Terrorismus hat auch in der jüngsten Vergangen­ forderlich sind eine Erweiterung und Strafverschär• heit, ähnlich wie in den Siebziger Jahren, wieder eine fung der Tatbestände der Geiselnahme und erpresse­ blutige Spur durch die Bundesrepublik gezogen. Ter­ rischer Menschenraub, eine Strafverschärfung für roristische Banden versuchen durch Anschläge auf Diebstahl von Waffen, Munition und Sprengstoff und einzelne Persönlichkeiten Angst und Unsicherheit in die Schaffung einer Strafvorschrift für besonders der Bevölkerung zu verbreiten und damti das Ver­ schwere Fälle von Störungen öffentlicher Betriebe trauen in den Staat zu erschüttern. (Anschläge auf Strommasten, Bahnanlagen usw.). Die abscheulichen Morde, die in den Jahren 1985 und Auch hierzu haben die Koalitionsparteien Vereinba­ 1986 begangen worden sind, werden Mitgliedern der rungen getroffen, die in nächster Zeit umgesetzt wer­ RAF zugerechnet. Neben der RAF spielen die „Revo• den müssen. lutionären Zellen" mit ihren Aktionen eine verhängnis• volle Rolle. Diese Terrororganisationen erhalten Un­ 2. Sc h u t z des werde n de n Lebe n s terstützung und Nachwuchs von Gruppen, die sich teilweise als „undogmatisch" oder „autonom" be­ Menschliches Leben und menschliche Würde genie­ zeichnen. Manche sind eindeutig der terroristischen ßen innerhalb unserer freiheitlichen und demokrati­ Szene, andere dem linksextremistischen Lager zuzu­ schen Grundordnung höchste Priorität. Das Grund­ rechnen. Die Berührungspunkte sind eng und die gesetz verpflichtet den Staat ausdrücklich, das Leben Übergänge fließend. Gemeinsam ist ihre Ausrichtung zu schützen und die Achtung von Personalität und gegen den Staat. der durch „permanente Revolte" Würde des Menschen zu gewährleisten. zerstört werden soll. Gerade in dem Bereich der Abtreibung ist ein aus­ Es muß mit allen rechtsstaatlichen Mitteln versucht reichender Rechtsschutz noch immer nicht gewähr• werden, dem Terrorismus und der Gewalt Einhalt zu leistet. gebieten. Die erschreckend hohe Zahl von Schwangerschafts­ Am 1. Januar 1987 ist das Gesetz zur Bekämpfung abbrüchen aus sozialer Notlagenindikation fordert des Terrorismus in Kraft getreten. Danach wird die von Verfassungs wegen, den Schutz des ungebore- 13

nen Lebens zu verbessern. Beim Statistischen Bun­ setz hat sich grundsätzlich bewährt. Wesentliche Ver­ desamt in Wiesbaden sind im Jahre 1985 von den änderungen, auch eine Erhöhung der Strafrahmen, Ärzten 83 538 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet sind nicht erforderlich. Dies schließt nicht aus, ein­ worde, darunter 840/o aufgrund einer sozialen Not­ zelne Tatbestände griffiger zu gestalten. Ein solches lage. Dabei steht fest, daß bei weitem nicht alle Ab­ Bedürfnis ist hinsichtlich des § 325 StGB (Luftverun­ brüche gemeldet werden. Seriöse Schätzungen ge­ reinigung und Lärm) aufgetreten. Dagegen müssen hen von ca. 250000 Schwangerschaftsabbrüchen in die Strafvorschriften im sog. Nebenstrafrecht ständig der Bundesrepublik aus. daraufhin überprüft werden, ob sich Strafbarkeitslük• ken ergeben oder ob durch eine Strafverschärfung Die vom Bundesverfassungsgericht erhobene Forde­ die generalpräventive Wirkung erhöht werden kann. rung, daß nur solche Schwangerschaften aus sozia­ len Gründen abgebrochen werden dürfen, die der Be­ Großer Wert wird in Bayern auf die Aus -und Fortbil­ troffenen die Erfüllung ihrer Pflicht außergewöhnlich dung der Staatsanwälte und Richter gelegt, die in und unzumutbar erschweren, wird in der praktischen Umweltstrafsachen tätig sind. Die Ermittlungsverfah­ Handhabung mißachtet. 1985 wurden bundesweit nur ren sind bei den Staatsanwaltschaften in der Hand 10 Personen wegen Abbruchs der Schwangerschaft bestimmter Sachbearbeiter konzentriert. Auch bei nach § 218 StGB rechtskräftig verurteilt. Es ist völlig den größeren Gerichten geht die Entwicklung hin zu ausgeschlossen, daß angesichts der hohen Zahlen einer Konzentration der Umweltstrafsachen. Durch der Schwangerschaftsabbrüche immer die Voraus­ verbesserte technische Ausstattung der Polizei so­ setzungen einer Indikation nach § 218 a StGB vorla­ wie durch enge Kontakte zwischen Strafverfolgungs­ gen. behörden und Umweltschutzbehörden soll die Straf­ verfolgung intensiviert werden. Zu der Mißachtung des geltenden Rechts tragen auch die Mängel des Beratungs- und Indikationsver­ fahrens bei. Ein von den Koalitionsparteien vereinbar­ 4. Ä n d e r u n g e n i m J u g e n d s t r a f r e c h t tes Beratungsgesetz soll daher in Zukunft sicherstel­ Bereits in der Anlage zur letzten Haushaltsrede ist len, darauf hingewiesen worden, daß seit längerem eine - daß anerkannte und geförderte Beratungsstellen Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes vorbereitet entsprechend der Grundsatzentscheidung des wird. Die Bundesregierung hat Ende 1986 zu einer Bundesverfassungsgerichts zugunsten des Le­ Großen Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion erklärt, bens beraten; daß sie an dem Vorhaben grundsätzlich festhält, daß wegen der finanziellen Auswirkungen auf die Länder - daß der Schwangeren persönliche, sachliche und und insbesondere auf die Kommunen aber weitere finanzielle Hilfe zuteil wird; Prüfungen notwendig seien. Geplant sind unter ande­ - daß grundsätzlich die Beratung vor der Indikations­ rem stellung erfolgt und - eine gesetzliche Anerkennung der sog. Betreu­ - daß Beratung und Indikationsstellung nicht von ungsweisung, derselben Person vorgenommen werden. - eine Ausweitung der Möglichkeit, die Ableistung Gesetzliche Maßnahmen können nur unterstützende gemeinnütziger Arbeit aufzuerlegen, und flankierende Wirkung besitzen. Entscheidend für - eine behutsame Erweiterung der Strafaussetzung einen wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens ist zur Bewährung bei Jugendstrafen zwischen einem die Einstellung der Gesellschaft zum ungeborenen Jahr und zwei Jahren, Leben und zur Familie. Eine Stärkung des Wertebe­ wußtseins in diesem Bereich ist dringend notwendig. - eine verbesserte Beteiligung der Jugendgerichts­ hilfe am Verfahren, 3. S c h u t z d e r U m w e 1t - der Abbau rechtlicher Hemmnisse bei der Heimein­ weisung anstelle von Untersuchungshaft und Eine große rechtspolitische Herausforderung dieser Legislaturperiode ist der Schutz der natürlichen Le­ - eine Modernisierung der Rechtsgrundlage für die bensgrundlagen durch das Recht. Auch das Straf­ Verfahrensbeendigung ohne Urteil. recht muß und kann einen Beitrag zum Umweltschutz Diese Rechtsänderungen wären zu begrüßen. Doch leisten. Strafrechtliche Verbote verdeutlichen den kri­ darf ihre praktische Bedeutung nicht überschätzt minellen Charakter gravierenden umweltschädlichen werden, da die elastische Fassung des Jugendge­ Verhaltens und schrecken potentielle Täter ab. richtsgesetzes den Jugendrichtern und Jugend­ Das geltende Umweltstrafrecht ist am 1. Juli 1980 in staatsanwälten schon jetzt in weitem Umfang die Kraft getreten. Es entspricht einem breiten politi­ Möglichkeit gibt, den pädagogischen Entwicklungen, schen Konsens. Dies zeigt sich daran, daß das Ge­ aber auch den Ressourcen vor Ort Rechnung zu tra­ setz im Deutschen Bundestag bei nur einer Gegen­ gen. Wichtig ist vor allem, diese Ressourcen best­ stimme verabschiedet worden ist. Auch der Bundes­ möglich zu nutzen. rat hat gegen das Gesetz keine Einwände erhoben. In zwei Bereichen konnten in Bayern in jüngster Ver­ Die Strafvorschriften sehen im Normalfall Freiheits­ gangenheit im Zusammenwirken mit dem Staatsmini­ strafen bis zu fünf Jahren, bei schweren Umweltdelik­ sterium für Arbeit und Sozialordnung bedeutsame ten Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vor. Das Ge- Fortschritte erzielt werden: Seit Herbst 1986 läuft im 14

Piusheim in Glonn, das vom Katholischen Jugendfür• für den Aufbau eines bundesweiten staatsanwalts­ sorgeverein der Erzdiözese München und chaftlichen Informationssystems zu schaffen. getragen wird, ein Modellversuch zu der seit langem Ebenfalls mit Rücksicht auf den hohen Rang des all­ bestehenden, aber wenig genutzten Möglichkeit, gemeinen Persönlichkeitsrechts in unserer Verfas­ statt Untersuchungshaft Heimunterbringung anzuord­ sungs- und Wertordnung wird angestrebt, die gesetz­ nen. Der Modellversuch bewährt sich bisher gut. Seit lichen Regelungen über die Einsicht in Strafakten für Anfang 1987 werden im Rahmen eines weiteren Mo­ die Fälle zu ergänzen, die bisher nicht geregelt sind, dells in München und Landshut Erfahrungen mit ei­ z.B. die Akteneinsicht zu wissenschaftlichen Zwek­ nem Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafverfahren ken. Die Überlegungen, die das Volkszählungsurteil gesammelt. Auch hier sind die bisherigen Eindrücke des Bundesverfassungsgerichts ausgelöst hat, und in positiv. die sich auch die Datenschutzbeauftragten einge­ schaltet haben, führten darüber hinaus zu einer Viel­ 5. Absprache n im Strafprozeß zahl von weiteren Wünschen für die Änderung des Seit einiger Zeit befaßt sich die Wissenschaft mit dem StPO, die allerdings einer sorgfältigen Prüfung bedür• Phänomen, daß es im Strafverfahren immer häufiger fen. Schließlich müssen, und auch hier besteht ein zu einer Verständigung der Verfahrensbeteiligten Zusammenhang mit der Thematik des Persönlich• kommt. Teilweise sieht das Gesetz dies ausdrücklich keitsschutzes, ausdrückliche und klare Rechtsgrund­ vor. Überwiegend gibt es dafür jedoch keine aus­ lagen für den Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibe­ drücklichen gesetzlichen Regelungen; dies hat seit amter bei der Strafverfolgung geschaffen werden. kurzem verstärkt dazu geführt, daß über Vorausset­ Die Vorarbeiten für dieses umfangreiche Gesetzes­ zungen und Grenzen entsprechender Absprachen werk laufen schon seit einiger Zeit. Das Staatsmini­ diskutiert wird. sterium der Justiz setzt sich dafür ein, daß es noch in Auf längere Sicht wäre es wünschenswert, wenn der dieser Legislaturperiode des Bundes abgeschlossen Gesetzgeber Klarstellungen vornehmen würde. Es wird. handelt sich dabei angesichts der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Abreden allerdings um ein schwieriges Unterfangen, für das die gedankli­ chen Vorarbeiten, auch in der Wissenschaft, bisher III. Sonstiges noch nicht weit genug sind. Das war auch das Ergeb­ nis der kürzlichen Erörterung des Themas auf der 1. Fortpflanzungsmedizin/ diesjährigen Justizministerkonferenz. Biotechnologie Als Grundsatz muß gelten, daß es einen weiten Be­ Die Biowissenschaften eröffnen Perspektiven, die für reich für zulässige Absprachen im Strafprozeß gibt die Entwicklung der Menschheit und ihrer Lebensbe­ und daß es aus vielen Gründen zu begrüßen ist, wenn dingungen von überragender Bedeutung werden sich ein mehr kooperatives Verfahren im Strafprozeß können. Sie weisen ein Innovations- und Wirtschafts­ durchsetzt. Allerdings ist eine Zusammenarbeit der potential von noch nicht abschätzbarer Dimension Verfahrensbeteiligten aufgrund von Absprachen nicht auf. Zugleich konfrontieren sie uns aber auch mit Ri­ für alle Fälle geeignet. Selbstverständlich können die siken, denen es rechtzeitig zu begegnen gilt. Strafverfolgungsorgane auch nicht von ihrer Ver­ Diese Ambivalenz stellt die rechtspolitische Beurtei­ pflichtung auf Wahrheit und Gerechtigkeit und von lung vor erhebliche Schwierigkeiten. Für die Fort­ der Einhaltung grundlegender Verfahrensprinzipien pflanzungsmedizin ist diese Bewertung bereits in vol­ wie etwa dem Gedanken der „Fairneß im Strafpro­ lem Gange; bei der Gentechnologie steht sie weitge­ zeß" („fair trial") entbunden werden. hend noch bevor. Im einzelnen ist zu diesen beiden Gebieten anzumerken: 6. N o v e 11 i e r u n g d e r S t r a f p r o z e ß - ordnung Fortpflanzungsmedizin Die Bonner Koalitionsparteien haben eine Novellie­ Die extrakorporale Befruchtung hat sich inzwischen - rung der StPO verabredet. Dabei handelt es sich um wie vor ihr bereits die künstliche Insemination - zu ei­ ein komplexes Vorhaben, mit dem mehrere Anliegen nem Routineverfahren bei bestimmten Fällen der Ste­ verfolgt werden. Ein wichtiger Anstoß ging vom rilität entwickelt. Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts a) Die In-vitro-Fertilisation ermöglicht eine Vielzahl aus (BVerfGE 65, 1ff). Dieses hat zu der Forderung von Manipulationen im Zusammenhang mit der geführt, bestimmte Formen der Fahndung, wie die menschlichen Fortpflanzung: Rasterfahndung, die polizeiliche Beobachtung, aber auch die Öffentlichkeitsfahndung eingehend gesetz­ - Embryonen können tiefgefroren, Jahre oder lich zu regeln, wie dies für die sog. Schleppnetzfahn­ Jahrzehnte später aufgetaut und einer Frau zur dung in § 163d StPO zum 1.4.1987 bereits gesche­ Erzielung einer Schwangerschaft eingesetzt wer­ hen ist. Darüber hinaus muß der Einsatz der EDV für den. Es gibt bereits eine Anzahl derartiger Zwecke der Strafverfolgung angesichts der Entwick­ „Frostbabys"; auch in der Bundesrepublik lung, die in diesem Bereich stattgefunden hat, umfas­ Deutschland wurde bereits ein Kind geboren, send gesetzlich geregelt werden. Notwendig ist es das im Embryonalstadium einige Zeit tiefgefroren insbesondere, eine ausdrückliche Rechtsgrundlage war. ?/ 15

- Eine Frau kann ein Kind austragen und zur Welt Abs. 1 GG), den Schutzanspruch von Ehe und Familie bringen, das aus der Eizelle einer fremden Frau (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie die Freiheit von Wissen­ entstanden ist (Ei spende, Embryospende). Die schaft und Forschung (Art. 5 Abs. 3 GG) gegeneinan­ Mutterschaft, die bisher untrennbar aus der gen­ der abzuwägen und, soweit erforderlich, die Vorrang­ tischen Komponente und aus der biologischen frage zu entscheiden. Komponente von Schwangerschaft und Gebären bestand, kann somit aufgespaltet werden: Das c) .Einige grundsätzliche Positionen des Staatsmini­ Kind hat zwei (halbe) Mütter - eine genetische steriums der Justiz seien festgehalten: Mutter, von der es hinsichtlich seiner Erbanlagen - Künstliche Befruchtungstechniken sollen grund­ abstammt, und eine Tragemutter, die ihm „das sätzlich nur im System der Ehe angwendet wer­ Leben geschenkt" hat. den. Vielfältige Probleme sind mit dieser Aufspaltung Sie setzen eine medizinische Indikation im engen der Mutterschaft vorprogrammiert und auch be­ Sinne sowie eine eingehende psychologische reits, zumindest im Ausland, eingetreten. Insbe­ Betreuung der hilfesuchenden Paare voraus sondere stellt sich die Grundfrage, wer denn im Rechtssinne die „wirkliche" Mutter des Kindes - Jeder Mensch hat ein Recht darauf, seine geneti­ ist. sche Herkunft erfahren zu können. - Leihmutterschaften sind möglich und im In- und Ein Samenspender darf nicht von Gesetzes we­ Ausland bereits durchgeführt worden. gen aus seinen mit seiner Vaterschaft verbunde­ nen Pflichten entlassen werden. Läßt sich die Leihmutter künstlich befruchten mit der Verpflichtung, das Kind nach der Geburt den - Eispenden, Embryospenden sowie Leihmutter­ Auftraggebern zur Adoption freizugeben, stellt schatten sind abzulehnen und gesetzlich zu ver­ sich die Frage nach der Verbindlichkeit dieser bieten. Vereinbarung. Ein deutsches Gericht hat sie zu - Für den Fall, daß es gleichwohl zu einer Aufspal­ Recht verneint (OLG Hamm, NJW 1985, 2205), in tung der Mutterschaft in eine genetische Mutter­ den Vereinigten Staaten wurde die Leihmutter schaft und in eine „Tragemutterschaft" kommt, dagegen gerichtlich verpflichtet, das Kind her­ ist gesetzlich festzulegen, daß die Frau, die das auszugeben. Kind austrägt und zur Welt bringt, Mutter dieses Läßt sich die Leihmutter einen fremden Embryo Kindes ist. einsetzen, um ihn für die Auftraggeber auszutra­ - Es dürfen immer nur so viele Embryonen in der gen, kommt noch eine Aufspaltung der Mutter­ Retorte erzeugt werden, wie anschließend der schaft hinzu. Frau eingesetzt werden sollen. Eine Befruchtung - Das Geschlecht des Kindes kann bei der Retor­ „auf Vorrat" ist zu verbieten. tenzeugung gezielt mit hoher Trefferquote fest­ - Die Erzeugung und Verwendung menschlicher gelegt werden. Embryonen zu anderen Zwecken als zur Über• - Der Embryo im Reagenzglas kann für Experi­ windung einer Sterilität ist zu verbieten. mente vielfältiger Art „verbraucht" werden. Das - Die Festlegung des Geschlechts eines Kindes geltende Recht gewährt im keinen Schutz. bei der Zeugung ist jedenfalls in all den Fällen zu b) Diese, die Probleme keinesfalls erschöpfende Dar­ verbieten, in denen dies nicht zur Vermeidung ei­ stellung zeigt, daß Manipulationen im Zusammen­ nes geschlechtsspezifischen Krankheitsrisikos hang mit der menschlichen Fortpflanzung Grund­ für das Kind medizinisch indiziert ist. werte unserer Rechts- und Sittenordnung berüh• ren.

Es kann dahinstehen, ob das mit der Verschmel­ 2. G e n t e c h n o 1 o g i e zung von Ei- und Samenzelle entstehende Die Gentechnologie weist mit der Fortpflanzungsme­ menschliche Leben schon selbst Träger von dizin einige Berührungspunkte auf. Ihr Anwendungs­ Grundrechten ist; jedenfalls fällt das menschliche bereich und ihre Tragweite reichen jedoch erheblich Leben von Anfang an in den Schutzbereich der weiter. Grundrechte, die die Würde und das Leben des Menschen schützen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. In der Sache geht es um Methoden zur Charakterisie­ 2 GG). Dies setzt dem Umgang mit menschlichen rung und Isolierung von genetischem Material, zur Embyronen strikte Grenzen: Sie dürfen niemals als Bildung neuer Kombinationen genetischen Materials Mittel zum Zweck erzeugt und benutzt werden; sie sowie zur Wiedereinführung und Vermehrung des müssen mit der dem menschlichen Leben gebüh• neukombinierten Erbmaterials in andere biologische renden Achtung behandelt und dürfen nicht zum Umgebung. Objekt degradiert werden. a) Aus rechtspolitischer Sicht sollte zwischen der An­ Aber auch Grundrechte der übrigen Beteiligten wendung gentechnischer Verfahren im außer• sind zu beachten. Es ist die Aufgabe des Gesetz­ menschlichen Bereich (Stoffumwandlung, Roh­ gebers, im Kollisionsfalle die Menschenwürde (Art. stoffgewinnung, Tierzucht, Pflanzenzucht) und der 1 Abs. 1 GG), das Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Humangenetik differenziert werden. 16

Auf dem erstgenannten Gebiet wirft die Gentechnik Hier gilt es. Persönlichkeitsrechte und be­ in rechtlicher Hinsicht insbesondere Fragen der Si­ rechtigte Interessen der Arbeitnehmer zu cherheit, der Haftung, des Umweltschutzes und des schützen. Zum einen ist ein Arbeitnehmer vor gewerblichen Rechtsschutzes auf. unberechtigter genetischer Ausforschung un­ ter dem Druck, einen Arbeitsplatz zu bekom­ Bei dem Humangenetik geht es um die beiden großen men oder zu erhalten, in Schutz zu nehmen. Komplexe der Analyse des menschlichen Genoms Zum anderen darf der objektive Arbeitnehmer­ und der Eingriffe in das menschliche Erbgut. schutz nicht hinter subjektiven Auswahlkrite­ b) Die rechtspolitischen Herausforderunyen erschei­ rien zurücktreten. nen in Anbetracht der Entwicklung bei der Human­ - Im gerichtlichen Verfahren können genetische genetik besonders drängend. Analysen zur Identifizierbarkeit einer bestimm­ aa) Die Genomanalyse ermöglicht, genetisch be­ ten Person eingesetz werden („genetischer dingte Eigenschaften, Krankheiten oder Disposi­ Fingerabdruck"). Außerdem könnte die Fest­ tionen festzustellen. Wenngleich zur Zeit erst ein stellung genetischer Besonderheiten zur Beur­ verschwindend geringer Teil der genetischen teilung der Schuldfähigkeit herangezogen wer­ Bausteine des Menschen entschlüsselt ist, wer­ den. den insbesondere in den Vereinigten Staaten er­ Es wird zu prüfen sein, in welchem Umfang hebliche Anstrengungen unternommen, um in und mit welchen verfahrensmäßigen und son­ absehbarer Zeit eine möglichst vollständige stigen (z.B. datenschutzrechtlichen) Absiche­ „Genkarte" des Menschen zu erstellen. rungen die Erhebung, Verwertung und Spei­ Die Anwendung genomanalytischer Methoden cherung genetischer Analysen in diesem Be­ kommt insbesondere in Betracht reich zulässig und gesetzlich regelungsbedürf• tig sind. - bei der pränatalen Diagnostik, - im Rahmen der Neugeborenen-Untersuchung, bb) Bei Eingriffen in das Erbgut menschlicher Zellen im Arbeitsleben, (Gentherapie) ist zwischen der Veränderung der - im Versicherungswesen sowie genetischen Anlagen von Körperzellen und von im gerichtlichen Verfahren. Keimbahnzellen zu unterscheiden. Einige dieser Anwendungsfelder und ihrer spezifi­ - Die somatische Gentherapie zu Heilzwecken schen Probleme seien herausgegriffen: ist mit anderen Heilversuchen vergleichbar und wirft, soweit ersichtlich, keine spezifi­ Die pränatale Diagnostik mittels Genomana­ schen Rechtsprobleme auf. Ein gesetzlicher lyse könnte die Möglichkeit bieten, in einem Regelungsbedarf ist insoweit derzeit nicht er­ frühen Stadium der Schwangerschaft vielfäl• sichtlich. tige erblich bedingte Schäden des ungebore­ nen Kindes mit hoher Sicherheit festzustellen. - Dagegen verändern Eingriffe in Keimbahnzel­ Dies kann zu einer Beruhigung der Eltern füh• len die Erbanlagen für alle Nachkommen. Sie ren, wenn Anlaß für die Befürchtung besteht, werfen erhebliche Probleme auf. So sind zur daß eine Erbschädigung des Kindes vorliegt. Entwicklung entsprechender Verfahren „ver• In diesen Fällen könnten Schwangerschaftsab­ brauchende" Experimente mit menschlichen brüche, die zur Zeit ja schon bei einer „Ver• Embryonen unverzichtbar. Außerdem würde dachtsdiagnose" aus genetischer Indikation die Möglichkeit, in die Erbanlagen eines Men­ durchgeführt werden, vermieden werden. schen korrigierend einzugreifen, sowohl für therapeutische Eingriffe im engeren Sinne wie Andererseits würde wohl regelmäßig die auch für die „Züchtung" von Menschen ge­ Schwangerschaft abgebrochen, wenn eine nutzt werden können. Die Grenze zwischen nicht behebbare Schädigung des Kindes fest­ diesen beiden Bereichen verläuft darüber hin­ gestellt wird, und zwar auch dann, wenn diese aus nicht trenrischari und ist unterschiedlichen keineswegs so schwer wiegt, daß die Indika­ Definitionen zugänglich. tion nach § 218a Abs. 2 Nr. 1 StGB vorliegt. Der schrankenlose Einsatz der Genomanalyse Deshalb wird überwiegend ein derartiger Eingriff als Mittel der pränatalen Diagnostik würde also zu Recht abgelehnt und ein strafrechtliches Ver­ geschädigten Kindern kaum mehr die Chance bot gefordert (z.B. von der Enquete-Kommission lassen, geboren zu werden. „Chancen und Risiken der Gentechnologie", von der sogenannten „Benda-Kommission" sowie im - Im Arbeitsleben wird die Genomanalyse im Diskussionsentwurf eines Embryonenschutzge­ Ausland zum Teil heute schon im Rahmen der setzes des Bundesministers der Justiz). Einstellungsuntersuchungen eingesetzt, um Erkrankungsrisiken und Anfälligkeiten gegen­ c) Nachdem die Enquete-Kommission des Deutschen über äußeren Einflüssen am Arbeitsplatz (ins­ Bundestages „Chancen und Risiken der Gentech­ besondere Schadstoffeinwirkungen) festzu­ nologie" im Januar 1987 einen umfangreichen Be­ stellen, sowie im Rahmen von Überwachungs• richt vorgelegt hat, erscheint nun die Zeit reif, den untersuchungen bei Arbeitsplätzen mit dem weiten Bereich der Gentechnologie in die einzel­ Risiko von Genschädigungen. nen Anwendungsgebiete zu zerlegen und jeweils 17

zu prüfen, inwieweit bereits mögliche sowie zu er­ forderlich macht. Eine Übertragung der Gesetz­ wartende Verfahren gesetzliche Regelungen und gebungskompetenz für die Materie „Staatshaf• Weichenstellungen erfordern. tung" ist dagegen nicht vorgesehen, vielmehr sollen die materiellen Regelungen in einem Bun­ Die in Betracht kommenden Bestimmungen fallen desgesetz und in elf Parallelgesetzen der Länder überwiegend in die Gesetzgebungskompetenz des getroffen werden. Bundes, teilweise aber auch in die' Zuständigkeit der Länder (z.B. Regelungen des Gesundheits­ - Modell llla rechts und der ärztlichen Berufsausübung). Des­ Sieht eine Grundgesetzänderung ebenfalls nur halb sollte ein Gesamtkonzept des gesetzgeberi­ zum Zwecke der Zusammenführung der Rechts­ schen Regelungsbedarfs erarbeitet werden. Die wege vor. Materiell soll § 839 BGB modifiziert 58. Konferenz der Justizminister und -senatoren (Einführung einer Beweiserleichterung und Strei­ hat am 2./4. Juni 1987 auf Vorschlag Bayerns den chung des sogenannten „Verweisungsprivi• Bundesminister der Justiz gebeten, diese Aufgabe legs") und eine Haftung für das Versagen von der bereits bestehenden Bund-Länder-Arbeits• Ampelanlagen (Änderung des STVG) eingeführt gruppe .. Fortpflanzungsmedizin/Biotechnologie'' werden. Daneben sollen der Folgenbeseiti­ zu übertragen, deren Auftrag sich in Teilbereichen gungsanspruch und die richterrechtlichen bereits auf die eben skizzierten Problemfelder be­ Staatshaftungsinstitute in einem Bundesgesetz zieht. und elf Parallelgesetzen der Länder kodifiziert werden. 3. N e u r e g e 1u n g d e r S t a a t s h a f t u n g - Modell III b a) Die 54. Konferenz der Justizminister und -Senato­ Entspricht im Grundsatz Modell III a, verzichtet ren hat im Juni 1983 beschlossen. eine Bund/Län• aber auf die Kodifizierung der richterrechtlichen der-Arbeitsgruppe einzusetzen. die eine Neurege­ Staatshaftungsinstitute und sieht von einer Zu­ lung der Staatshaftung vorbereiten sollte. nachdem sammenführung der Rechtswege ab, so daß das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom eine Grundgesetzänderung nicht erforderlich ist. 19. Oktober 1982 das Staatshaftungsgesetz des Aus der Sicht der Bayerischen Staatsregierung Bundes vom 26. Juni 1981 für nichtig erklärt hatte. spricht für das Modell III b. daß es überschaubar, fi­ Oie 55. Konferenz der Justizminister und -Senato­ nanzierbar und in angemessener Zeit realisierbar ren beauftragte im September 1984 diese Arbeits­ ist. gruppe. auf der Grundlage eines von ihr vorgeleg­ Das Modell 1erscheint im Hinblick auf die damit ge­ ten Zwischenberichtes Regelungsmodelle in währleistete Einheitlichkeit des Staatshaftungs­ Grundzügen zu entwickeln und dabei insbeson­ rechts in Bund und Ländern grundsätzlich eben­ dere unter Verwertung des bisher gewonnenen falls vertretbar. Der erforderlichen Änderung der rechtstatsächlichen Materials die finanziellen Aus­ Gesetzgebungszuständigkeiten zu Lasten der Län• wirkungen der jeweiligen Modelle deutlich zu ma­ der könnte jedoch von Bayern im Interesse der Ei­ chen. genstaatlichkeit der Länder nur zugestimmt wer­ b) Die Arbeitsgruppe. in der Bayern vertreten war, er­ den, wenn der Bund seinerseits zum Ausgleich arbeitete in der Folgezeit drei Regelungsmodelle, hierfür bereit ist. Zuständigkeiten von substantiel­ wobei Modell III zwei getrennt verwertbare Modelle lem Gewicht auf die Länder zurück zu übertragen. (Modell III a und Modell III b) enthält. Der Inhalt der Hierfür kommt insbesondere eine Änderung des Modelle kann wie folgt skizziert werden: Art. 24 GG in Betracht, wie sie vom Bundesrat in Ziffer 3 seiner Stellungnahme vom 16. Mai 1986 - Modell I zum Entwurf eines Gesetzes zur Einheitlichen Eu­ Ist im Grunde eine modifizierte Neuauflage des ropäischen Akte (BR-Drs. 150/86) gefordert wor­ wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des den ist (Zustimmung des Bundesrats bei Übertra• Bundes für nichtig erklärten Staatshaftungsge­ gung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche setzes und enthält eine umfassende Kodifikation Einrichtungen; Verankerung der Mitwirkungsrechte des Staatshaftungsrechts. Es beseitigt außer• der Länder in EG-Angelegenheiten). dem die bisher bestehende Teilung zwischen Von einer Zusammenführung von primärem und primärem (Anfechtungs- und Feststellungkla­ sekundärem Rechtsschutz sollte abgesehen wer­ gen) und sekundärem Rechtsschutz (Staatshaf­ den. weil hierdurch eine Aufsplitterung der Rechts­ tungsklage). Durch Grundgesetzänderungen wege insoweit eintreten würde, als für Staatshaf­ müssen bei diesem Modell dem Bund die Ge­ tungsklagen nicht mehr wie bisher einheitlich die setzgebungskompetenz für das Staatshaftungs­ ordentlichen Gerichte, sondern die jeweiligen recht übertragen und die Voraussetzungen für Fachgerichtsbarkeiten zuständig wären. Dies die Zusammenführung der Rechtswege geschaf­ würde die bisher gewährleistete Kontinuität und fen werden. Einheitlichkeit der Rechtsentwicklung im Scha­ - Modell II densersatzrecht gefährden. Im Hinblick auf die Entspricht materiell Modell 1. Es ist ebenfalls große Zahl der Fälle. in denen ausschließlich eine eine Zusammenführung von primärem und se­ Staatshaftungsklage (sekundärer Rechtsschutz) kundärem Rechtsschutz durch ein Bundesge­ erforderlich ist. überwiegen die Vorteile der einheit­ setz geplant. das eine Grundgesetzänderung er- lichen Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. -~ ! 1,f 18 c) Auf der 58. Konferenz der Justizminister und -se­ Die Justizminister und -senatoren haben sich mit natoren vom 2. bis 4. Juni 1987 haben die Justizmi­ knapper Mehrheit für das Modell 1 (Bundesstaatshaf­ nister und -senatoren den Bericht der Arbeits­ tungsgesetz) ausgesprochen. Eine für die hierfür not­ gruppe und den Bericht einer vorbereitenden Voll­ wendige Verfassungsänderung erforderliche Mehr­ konferenz der Justizverwaltungen mit den darge­ heit hat sich dabei jedoch nicht abgezeichnet. stellten Modellen für eine künftige Gesetzgebung zum Staathaftungsrecht erörtert. Der Bericht der Es wird nunmehr vom Bund und von den Ländern zu Arbeitsgruppe sowie die ergänzenden Unterlagen prüfen sein, ob und unter welchen Voraussetzungen werden vom Bundesminister der Justiz veröffent• für das Modell 1 die erforderlichen verfassungsän• licht werden. dernde Mehrheit erreicht werden kann.