Flucht in Die Künstler der Brücke die Bilder? im Nationalsozialismus

14. April – 11. August 2019

Ausstellungstexte Flucht in Die Künstler der Brücke die Bilder? im Nationalsozialismus

14. April – 11. August 2019

Tausende von Kunstwerken wurden 1937 Galerie im Hamburger Bahnhof – Museum der Berliner Ateliers und erzwungene von den Nationalsozialisten aus deutschen für Gegenwart – gewidmet. Übersiedlung aufs Land machten die Museen beschlagnahmt, darunter Schlüs- künstlerische Arbeit – nicht zuletzt durch selwerke von Karl Schmidt-Rottluff, Grundlage für Flucht in die Bilder? den Materialmangel – so gut wie unmög- , , Max sind die Bestände des Brücke-Museums, lich. Bis zum Sommer 1937 stellten sie Pechstein und . In der Propagan- die durch ausgewählte Leihgaben der ihre Werke dagegen noch in Galerien und daausstellung Entartete Kunst wurden Künstler-Nachlässe und aus Privatbesitz Kunstvereinen aus, Pechstein sogar sie öffentlich verhöhnt. Diese aggressiven ergänzt werden. Mit der Ausstellung öffnet noch 1939. Ihre individuellen Situationen Angriffe auf ihre Kunst überblenden sich das Haus erstmals auch räumlich: und Haltungen in den Jahren des National- die Selbstverortungen der Brücke-Maler Während die Zeit bis 1945 im Brücke- sozialismus lassen sich folglich nicht in der NS-Diktatur bis heute. Sie haben Museum thematisiert wird, beleuchtet der statisch abbilden, sondern sind als dyna- dazu geführt, dass die Künstler in erster zweite Teil im benachbarten Kunsthaus mischer Prozess zu begreifen. Linie als Opferder NS-Kunstpolitik wahr- Dahlem die unmittelbare Nachkriegszeit. genommen wurden. Beide Einrichtungen eint das Interesse An dieser Stelle soll nicht unerwähnt blei- an einer Auseinandersetzung mit der ben, dass es viele Künstler*innen gab, Die Ausstellung Flucht in die Bilder? eigenen Orts- und Institutionsgeschichte die gewaltsam verfolgt wurden: Charlotte Die Künstler der Brücke im Nationalsozia- sowie der Anspruch, ihre Rolle als auf- Salomon, , Moissey lismus widmet sich erstmals dem Werk, geklärte, transparente und gesellschaftlich Kogan oder Felix Nussbaum wurden in den Alltagsrealitäten und den Handlungs- relevante öffentliche Institutionen zu Konzentrationslagern ermordet; zahlreiche spielräumen der Künstler im Nationalsozia- erfüllen. Die gezeigten Kunstwerke fordern Sammler*innen und Förderer*innen der lismus sowie der unmittelbaren Nach- dementsprechend zu einer kritischen Brücke wurden ins Exil gezwungen, weil kriegszeit. Erich Heckel, Hinterfragung gängiger Narrative auf, wie sie aufgrund der Nürnberger Rassengeset- und Karl Schmidt-Rottluff stehen im die der „inneren Emigration“ oder der ze als jüdisch galten. Die Verfemung des Mittelpunkt der Ausstellung. Emil Nolde „Stunde Null“. Expressionismus und die Lebenssituationen nimmt als überzeugter National- der Brücke-Künstler müssen gerade auch sozialist eine Sonderstellungunter den Denn alle Künstler waren durchgängig vor dem Hintergrund dieser rassistisch Brücke-Künstlern ein. Ihm ist zeitgleich künstlerisch tätig. Eine Ausnahme bildeten und politisch motivierten Verfolgungen dif- eine große Ausstellung in der Neuen die letzten Kriegsmonate. Die Zerstörung ferenziert betrachtet werden.

2 Die Brücke als Künste zu übernehmen, kehrte Heckel nie schlechter gestellt als beispielsweise Heckel wieder in die Hauptstadt zurück. Von 1949 oder Schmidt-Rottluff. Gleichzeitig trat er Begründer einer „neuen bis 1955 lehrte er an der Hochschule für als einziger noch im Mai 1939 mit einer Ga- Bildende Künste in Karlsruhe. lerie-Ausstellung öffentlich auf. Nach der deutschen Kunst“? Zerstörung seiner Berliner Wohnung siedel- Karl Schmidt-Rottluff (1884 – 1976) te er im Frühjahr 1944 nach Pommern Die Debatten um Karl Schmidt-Rottluff um. Im September 1945 kehrte er zurück Die Künstlergruppe Brücke gründete sich veranschaulichen die Widersprüche und nach Berlin. Kurz darauf trat er ein Lehr- 1905 in und löste sich 1913 in Ambivalenzen der NS-Kunstpolitik: Seit amt an der Berliner Hochschule der Künste Berlin auf. Ihre Gründungsmitglieder wa- der späten Weimarer Republik waren ins- an, das ab 1949 in eine Professur umgewan- ren Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, besondere die Porträts von Schmidt-Rott- delt wurde. Karl Schmidt-Rottluff und . luff Zielscheibe reaktionär-völkischer Während Letzterer bereits 1907 austrat, bil- Polemiken. Gleichzeitig sahen die na- Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) deten die anderen drei den konstanten Kern tional-konservativen Befürworter*innen verließ Deutschland während des Ersten der Künstlergruppe und warben Zeit ihres seiner Kunst in dem Maler aufgrund seiner Weltkrieges und siedelte sich in der Schweiz Bestehens immer wieder neue Mitglieder, Darstellungen des bäuerlichen Lebens und an. In zahlreichen Briefen nach 1933 klagte die unterschiedlich lange und unterschied- seiner Herkunft aus dem ländlichen Raum er wiederholt über das abgeschiedene Leben lich eng an die Brücke gebunden blieben. einen angemessenen Vertreter der NS-Kul- in den Schweizer Bergen. Die Hoffnungen, So schlossen sich im Laufe der Zeit unter turideologie. Aus Schmidt-Rottluffs die er zunächst noch in die Kunstpolitik des anderem Emil Nolde und Max Pechstein an. Korrespondenz wird deutlich, dass er dem NS-Regimes setzte, gab er bald auf. Kirch- Das gemeinsame Wirken der Gruppe hatte nationalsozialistischen Regime in Kunstfra- ner reagierte empfindlich auf seine ehe- weitreichende Folgen. Nach 1914 wurde der gen zunächst verhalten hoffnungsvoll, bald maligen Brücke-Kollegen, die sich – sei es in Begriff des Expressionismus zunehmend jedoch distanziert gegenüberstand. Die fast ihren Landschaftsbildern oder, schlimmer als eine Art „deutsches Gegenmodell“ zum jährlichen Sommeraufenthalte in Pommern noch, wie Nolde durch seine Autobiogra- Impressionismus wahrgenommen. Die boten ihm Gelegenheit, Abstand vom poli- phie Jahre der Kämpfe – an das NS-Regime Künstler selbst waren in den 1920er-Jahren tischen Tagesgeschehen zu gewinnen. Im anzupassen versuchten. Er selbst äußerte zu etablierten Protagonisten der zeitge- April 1941 erhielt er von der Reichskammer sich anfänglich zwar in Briefen, vor allem nössischen Kunstszene geworden und ihre der bildenden Künste ein Berufsverbot. an seinen Bruder Ulrich, in antisemitischer Kunstwerke zahlreich in vielen Museums- Ihm standen daraufhin keine der inzwi- Weise und zum Teil NS-konform, beob- sammlungen vertreten. schen nur auf Bezugsschein erhältlichen achtete die Entwicklungen in Deutschland Malmaterialien mehr zu – mehr denn je war und insbesondere die Auswirkungen auf er auf die Unterstützung von Freund*innen Kunst und Kultur jedoch von Beginn an Biographien: angewiesen. Nach der Ausbombung ihrer kritisch. Seine öffentliche Darstellung ver- Berliner Wohnung zogen Karl und Emy folgte er stets mit großer Aufmerksamkeit Erich Heckel (1883 – 1970) Schmidt-Rottluff im Sommer 1943 in sein und war tief gekränkt über die Verfemung war seit dem Ersten Weltkrieg für seine Heimathaus im sächsischen Rottluff. Erst seiner Werke in der Ausstellung Entartete Rückgriffe auf Motive der deutschen Gotik im November 1946 kehrten sie nach Berlin Kunst. In welchem Maße die Diffamierung und Romantik bekannt. Noch im Juli 1933 zurück, nachdem Schmidt-Rottluff bereits zu seinem Suizid im Juni 1938 beigetragen feierten ihn die Befürworter*innen seiner Ende 1945 ein Lehramt an der Berliner Hoch- hat, wie von seiner Partnerin Erna Schilling Kunst als einen „der reinsten Verkünder schule der Künste angeboten worden war. angedeutet, bleibt offen. deutscher Kunstauffassung“ und schlugen seine Malerei als zeitgemäße Alternative Max Pechstein (1881–1955) zum traditionellen akademischen Stil vor. blieben die national-konservativen Kreise, Chronologie 1933–1949 Sein Wunsch nach offizieller Anerkennung die sich für Heckel oder Nolde einsetzten, erfüllte sich trotz erfolgreicher Einzel- größtenteils verschlossen. Der in Zwickau 1933 ausstellungen in den Jahren 1934 und 1935 geborene Maler stammte aus einem sozial- nicht. Im Anschluss an die Beschlagnah- demokratisch geprägten Umfeld. Während 30. Januar Machtübernahme durch mung seiner Kunstwerke aus deutschen der Weimarer Republik hatte er sich für die Nationalsozialisten, der Museen und die Diffamierung seiner Arbeit eher links ausgerichtete Vereinigungen Reichspräsident Paul von Hinden- als „entartet“ mied Heckel die Öffentlich- engagiert, z.B. für die Novembergruppe, burg ernennt Adolf Hitler zum keit. Nachdem am 30. Januar 1944 seine den Arbeitsrat für Kunst oder die Gesell- Reichskanzler. Berliner Wohnung ausgebombt wurde, schaft der Freunde des neuen Russlands. unterstützte ihn die Berliner Reichskammer Private Briefe offenbaren seine Ablehnung 22. März In Dachau wird das ers- der bildenden Künste mit einem Empfeh- der NS-Rassenideologie. Pechstein wurde te Konzentrationslager errichtet, lungsschreiben bei seiner Suche nach einer unter anderem von Emil Nolde wiederholt anfangs werden hier hauptsächlich neuen Unterkunft in Süddeutschland. als jüdisch bezeichnet – zur damaligen Zeit politische Gegner des NS-Regimes Der Künstler siedelte nach Hemmenhofen eine folgenschwere Behauptung, die ihn interniert. am Bodensee um. Obwohl er in der Nach- dazu nötigte, früher als andere seine „ari- kriegszeit das Angebot aus Berlin erhielt, sche Abstammung“ zu beweisen. Pechstein 10. Mai Der Nationalsozialis- dort ein Lehramt an der Hochschule der war in den 1930er-Jahren wirtschaftlich tische Deutsche Studentenbund

3 organisiert bundesweit Bücherver- Ausschreibung er aus der Zeit- 1936 brennungen, vor allem von Werken schrift Kunst der Nation erfährt. oppositioneller und jüdischer Autor*innen. 8.–30. April 29. März–22. April Pechstein-Ausstellung in der Pechstein-Ausstellung in der 15. Mai Die Preußische Akademie Galerie von der Heyde, Berlin. Galerie von der Heyde, Berlin. der Künste sendet Austrittsge- suche an Nolde, Schmidt-Rottluff 22. April–8. Juni Heckel-Aus- 31. Juli Die am 21. Juli er- und Kirchner. Nolde und Kirchner stellung in der Galerie Ferdinand öffnete Ausstellung Malerei und lehnen ab, Schmidt-Rottluff folgt Möller, Berlin. Plastik in Deutschland 1936 im der Aufforderung. Hamburger Kunstverein wird auf Sommer Pechstein zieht sich zum Anordnung von Adolf Ziegler, Juli Der Streit um die Rolle Arbeiten in ein Fischerdorf am Vizepräsident der Reichskammer des Expressionismus im NS-Regime Koser See in Pommern zurück. Auch der bildenden Künste, vorzeitig erreicht einen ersten Höhepunkt. die Sommer 1937, 1938, sowie 1940 geschlossen. Auch hier sind Werke Ausgetragen wird er in Tageszei- bis 1942 verbringt er dort. der Brücke-Künstler betroffen. tungen, Vorträgen und in Ausstel- lungen. Von den Befürworter*innen 18. August Der „Aufruf der 1.–16. August 1936 Olympische – darunter viele jüngere Natio- Kulturschaffenden“ wird in der Sommerspiele, Berlin. nalsozialisten, u. a. Funktionä- NSDAP-Tageszeitung Völkischer re des NSD-Studentenbundes und Beobachter veröffentlicht. Der Ende Oktober 1936 Die Abteilung Mitarbeiter des Propaganda- und Appell zielt darauf ab, die moderner Kunst im Berliner Kron- Kultusministeriums – werden He- Loyalität gegenüber Adolf Hitler prinzenpalais wird für die Öf- ckel, Nolde und Schmidt-Rottluff auch in der Kulturszene zu fentlichkeit geschlossen. als Repräsentanten einer „neuen festigen. Unter anderem unter- deutschen Kunst“ angeführt. zeichnen Heckel und Nolde. Dass sie darum gebeten wurden 1937 Sommer Arbeitsaufenthalt lässt die Künstler auf staatliche Schmidt-Rottluffs bei Leba in Anerkennung hoffen. 12–13. Februar Tagung der Pommern wie fast jedes Jahr bis Landesleiter der Reichskammer einschließlich 1943. Auch Pech- der bildenden Künste, Schloss stein und Heckel verbringen die 1935 Schönhausen, Berlin-Pankow. Sommer meist außerhalb . Der seit dem 1. Dezember 1936 Oktober: Pechstein muss sich 15. März–15. Mai Über die Aus- amtierende Präsident Adolf gegen Noldes Behauptung, er sei stellung Berliner Kunst in der Ziegler kündigt ein stärkeres jüdisch, öffentlich rechtferti- Neuen Pinakothek in München kommt Durchgreifen bei der „planvollen gen. Die Preußische Akademie der es am Tag der Eröffnung zum Kulturpflege“ an. Künste schaltet sich vermittelnd Konflikt. 22 Arbeiten werden ab- ein und bestätigt Pechsteins gehängt und zur Begutachtung an 16. Februar–10. März „arische Abstammung“. Goebbels geschickt. Auch Werke Schmidt-Rottluff-Ausstellung mit der Brücke-Künstler sind betrof- Aquarellen bei Karl Buchholz, 1. November Die erste Ausgabe fen. Berlin. der Zeitschrift Kunst der Nation erscheint. Ihr Ziel ist es, die 30. März–27. April Schmidt- Juni Fabrikausstellung mit rund Eignung des Expressionismus als Rottluff-Ausstellung im Ausstel- 20 Arbeiten Pechsteins in der ursprüngliche „deutsche“ Kunst im lungsraum Karl Buchholz, Berlin. Auto Union AG, . NS-Staat darzulegen. 15. September Hitler erlässt Juli Erste Beschlagnahmen mo- 15. November Eröffnung der die sogenannten Nürnberger Geset- derner Kunst durch eine vom Reichskulturkammer in Berlin, ze. Die antisemitische Ideologie Propagandaministerium damit be- einige der Brücke-Künstler sind wird dadurch auf eine rechtliche auftragte Kommission in rund 30 anwesend. Grundlage gestellt und ermöglicht öffentlichen Sammlungen. Eine noch systematischer die Diskrimi- Auswahl wird zur Feme-Ausstel- nierung und Verfolgung jüdischer lung Entartete Kunst nach München 1934 Bürger*innen, die nun gesetzlich gebracht. Ab August 1938 Zwi- verordnet wird. schenlagerung der vom Propagan- April Pechstein beteiligt sich daministerium als „international an einem Wandmalereiwettbewerb 3. Oktober–3. November verwertbar“ beurteilten und damit der NS-Freizeitorganisation Kraft Heckel-Ausstellung in der verkäuflichen Werke im Schloss durch Freude, von dessen Kestner-Gesellschaft, Hannover. Schönhausen bei Berlin.

4 8. Juli Die Preußische Akademie zerstört. Etwa 400 Jüdinnen und und Heckel behalten ihre der Künste teilt Kirchner, Nolde Juden werden in der Progromnacht Mitgliedschaft, Nolde wird im und Pechstein den Ausschluss mit. ermordet. August 1941 ausgeschlossen. Nolde weigert sich erfolgreich und bleibt weiterhin Mitglied. 22. Juni Angriff der deutschen 1939 Wehrmacht auf die Sowjetunion. 18. Juli Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst durch Hitler. 20. März Auf dem Hof der Berli- 20. Oktober Im Konzentrations- Die Große Deutsche Kunstausstel- ner Hauptfeuerwache wird der vom und Vernichtungslager in lung, die in den Hallen von nun Propagandaministerium als „unver- Auschwitz-Birkenau setzt die an jährlich bis 1944 stattfindet, wertbare Rest“ der als „entartet“ Massentötung in Gaskammern ein. soll ein Panorama des offiziell beschlagnahmten Kunstwerke ver- erwünschten Kunstschaffens im brannt, vorgesehen dafür waren neuen Staat zeigen. rund 5000 Arbeiten. 1942

19. Juli Eröffnung der Propagan- 14. Mai–10. Juni Die Brücke-Künstler beginnen mit daausstellung Entartete Kunst Pechstein-Ausstellung in der den Auslagerungen ihrer Werke, in München mit rund 650 Werken Galerie von der Heyde, Berlin. meist außerhalb von Berlin. aus öffentlichen Sammlungen, darunter zahlreiche Arbeiten der 30. Juni Auktion von 125 Kunst- September Zweiwöchiger Arbeits- Brücke-Künstler. werken, die 1937 aus öffentlichen aufenthalt Schmidt-Rottluffs Sammlungen als „entartet“ ent- auf Gut Kreisau bei Helmuth fernt wurden, über die Galerie James und Freya von Moltke. 1938 Theodor Fischer im Grand Hotel Im Anschluss verkauft ihnen National in Luzern, Schweiz. der Künstler trotz Berufsverbot 26. Februar Eröffnung der Wan- einige der dort entstandenen derausstellung Entartete Kunst in Juli/August Pechstein verbringt Aquarelle. Berlin mit nachfolgenden Sta- erstmals seit knapp 20 Jahren tionen in weiteren deutschen und wieder den Sommer in Nidden auf Winter Vernichtung der 6. Armee österreichischen Städten. der Kurischen Nehrung. Möglich der deutschen Wehrmacht in der wird die Reise durch die Wieder- Schlacht um Stalingrad, Wende- 31. Mai Mit dem „Gesetz über eingliederung des von Litauen punkt des Zweiten Weltkrieges. Einziehung von Erzeugnissen ent- annektierten Gebiets ins Deutsche arteter Kunst“ schafft sich das Reich im März 1939. NS-Regime eine rechtliche Grund- 194 3 lage, die als „entartet“ be- August Die Hamburger Kunsthis- schlagnahmten Werke zu verkaufen. torikerin. Freundin und Unter- Sommer Pechstein lagert 3500 stützerin Schmidt-Rottluffs Rosa künstlerische Arbeiten ins 15. Juni Suizid Kirchners in Schapire flüchtet nach London. Schloss Moritzburg bei Dresden Frauenkirch bei Davos, Schweiz. aus, die seitdem verschollen sind. 1. September Beginn des Zwei- August–Ende Die Kunsthändler ten Weltkriegs. Pechstein erlebt 23./24. August Schmidt-Rottluffs Bernhard A. Böhmer, Karl Buch- den Kriegsausbruch auf der See- Wohnung und Atelier in der Bam- holz, und rückreise von seinem Urlaubsort berger Straße 19 in Berlin werden Ferdinand Möller werden zum Ver- Nidden nach Stettin. bei einem Bombenangriff komplett kauf der im Rahmen der „Entartete zerstört. Anschließende Umsied- Kunst“-Kampagne beschlagnahmten lung in sein Elternhaus nach Arbeiten autorisiert. Ziel ist 194 0 Rottluff nahe Chemnitz. der Verkauf ins Ausland und die Einnahme von Devisen, jedoch be- Frühjahr Wie auch 1941 hält sich 22./23. November Bei einem be- halten sie etliche Werke in ihrem Schmidt-Rottluff bei der Samm- sonders schweren Bombenangriff Besitz. lerin und Kunsthändlerin Hanna auf Berlin wird Pechsteins Ate- Bekker vom Rath im Taunus auf. lier in der Kurfürstenstraße 126 9./10. November Novemberpogrome stark beschädigt. im gesamten Land. Dabei handelt es sich um vom NS-Regime organi- 1941 sierte und gelenkte Gewaltmaßnah- 194 4 men gegen jüdische Bürger*innen. 3. April Schmidt-Rottluff erhält Synagogen, jüdische Geschäfte, von der Reichskammer der bilden- 30. Januar Atelier und Wohnung Friedhöfe und Wohnungen werden den Künste Berufsverbot. Pechstein Heckels in der Emser Straße in

5 Berlin brennen aus, zahlreiche 3. Juli Der Kulturbund zur demo- (UNO) wird in London eröffnet. Werke werden vernichtet. kratischen Erneuerung Deutsch- Februar–April: Pechstein-Ausstel- lands wird als zonenübergreifende lung in Berlin; erste Station im Februar Bombenschäden nun auch Organisation in Berlin gegründet. Admiralspalast in der Friedrich- in Pechsteins Wohnung. Im März Pechstein wird Mitglied im zent- straße, zweite Station im Be- folgt seine Übersiedlung nach ralen Arbeitsausschuss in Berlin, zirksamt Wedding. Pommern. Schmidt-Rottluff übernimmt den Vorsitz der Chemnitzer Ortsgruppe. 3.–17. August Der Galerist Fer- Mai Heckel übersiedelt an den dinand Möller zeigt gemeinsam mit Bodensee. Die Reichskammer der 11. Juli Der Alliierte Kontroll- dem Volksbildungsamt Neuruppin bildenden Künste unterstützt den rat zur Regelung des öffentlichen die Ausstellung Freie Deutsche Künstler durch eine Bescheinigung Lebens in der Vier-Sektoren-Stadt Kunst in Fortführung seiner bis- bei der Wohnungssuche. Berlin wird eingesetzt. herigen Förderung der nationalen Stilentwicklung. 6. Juni D-Day, Landung der 21. Juli–August 1. Ausstellung alliierten Truppen in der Normandie der Kammer der Kunstschaffenden. 25. August–31. Oktober Allge- in Frankreich. Werke der Brücke-Künstler werden meine Deutsche Kunstausstellung, in einem Raum als zusammengehörig Stadthalle Nordplatz, Dresden, August Das Ehepaar Pechstein präsentiert. mit einem zonenübergreifen- wird zum Arbeitseinsatz am Pom- den Überblick über das aktuelle mernwall, durch den das Vorrücken Anfang August Die Alliierten künstlerische Schaffen. der Roten Armee aufgehalten rufen in Nürnberg einen Inter- werden soll, zwangsverpflichtet. nationalen Militärgerichtshof 6. September–13. Oktober Aus- für die Verurteilung von Kriegs- stellung Karl Schmidt-Rottluff. verbrechen, Verbrechen gegen 50 Aquarelle aus den Jahren 1943– 1945 die Menschlichkeit und gegen den 1946, Städtische Kunstsammlung zu Frieden ins Leben. Chemnitz, Schlossberg-Museum. 8./9. Mai Kapitulation der Wehr- macht, Ende des Zweiten Weltkrie- 2. August–9. September Ausstel- Herbst Beginn der Fragebogen- ges. Schmidt-Rottluff kann aus lung junger Kunst, Galerie Gerd aktion zum Werden und Wirken der einem benachbarten Keller in Rosen, Berlin. Die Brücke-Künstler Künstlergruppe Brücke von 1905 sein Elternhaus zurückkehren. werden gemeinsam mit anderen Ex- bis 1913 von den Kunsthistorikern Er berichtet von Plünderungen. pressionisten undifferenziert als Christian Töwe und Hans Wentzel. Opfer der NS-Regierung stilisiert. 15. Mai Erste Ausgabe der 8. Oktober Ermächtigung der So- Täglichen Rundschau, der ersten 1. Oktober Karl Hofer, wjetischen Militäradministration deutschsprachigen Zeitung nach neuer Direktor der Hochschule für in Deutschland (SMAD) zur Ermitt- Kriegsende. bildende Künste in Berlin, bietet lung und Rückgabe von Werken aus Pechstein eine Lehrtätigkeit an. der NS-Kampagne „Entartete Kunst“ 5. Juni Mit der Berliner auf dem Gebiet der Sowjetischen Erklärung „in Anbetracht der November Ernennung Schmidt- Besatzungszone (SBZ). Niederlage“ übernehmen die Rottluffs zum Ehrenbürger von vier Siegermächte die obers- Chemnitz sowie Wiederaufnahme als 20. November Schmidt-Rottluff te Regierungsgewalt. Sie teilen Mitglied in die Akademie der Künste. kehrt nach Berlin zurück. Deutschland in vier Besatzungszo- nen, Berlin in vier Sektoren. 20. November Beginn der ersten 21. Dezember–Januar Nürnberger Prozesse am Interna- Ausstellung Wiedersehen mit Sommer Ein intensiver schriftli- tionalen Militärgerichtshof. Museumsgut, Schlossmuseum cher Austausch der Brücke-Künst- Berlin. Werke der zuvor verfemten ler mit Sammler*innen und Kol- Dezember Zusage Schmidt- Brücke-Künstler werden mit leg*innen über das Schicksal Rottluffs an Hofer bezüglich der dem Ziel ihrer Rehabilitierung gemeinsamer Freund*innen und den Übernahme eines Lehramtes an gezeigt. Verbleib von Werken beginnt. der Hochschule für bildende Künste in Berlin. 6. Juni–November Die von der 1947 sowjetischen Stadtkommandantur in Berlin eingerichtete Kammer 194 6 10. Februar Unterzeichnung der der Kunstschaffenden steuert und Friedensverträge zwischen den kontrolliert den Wiederaufbau der 10. Januar Die erste Vollver- Siegermächten und Deutschlands Kunst- und Kulturszene. sammlung der Vereinten Nationen europäischen Kriegsverbündeten

6 Bulgarien, Finnland, Italien, den Expressionismus als deutsche Rumänien und Ungarn in Paris. Der Expressionis- Bewegung von anderen europäischen Kunsttendenzen abzugrenzen. Nach 1947 Beginn der Erwerbungen für musstreit 1933 setzte sich Fechter enga- eine Galerie des 20. Jahrhunderts giert für den Expressionismus in Berlin durch Ludwig Justi und als offizielle Kunstform im Staat Adolf Jannasch. Der Expressionismus eignete sich aus na- ein. Er führte als Beispiel das tional-konservativer Sicht als Gegenmodell faschistische Italien an, in dem März Kurt Reutti vom Berliner zum französisch inspirierten Impressionis- die Futuristen offizielle Anerken- Magistrat stellt in den folgen- mus: Seine Befürworter*innen betonten nung genossen. den Monaten circa 1.300 Werke der die Verbindungen zur Kunst der deutschen „Entarteten Kunst“-Kampagne aus Gotik und Romantik. Deshalb hofften 2 Ludwig Thormaehlen, Bildnis Erich dem Nachlass Bernhard A. Böhmers die Brücke-Mitglieder zunächst, ihre Werke Heckel, 1924, Bronze, Brücke-Museum, in Güstrow und bei Ferdinand Möl- würden im NS-Regime auf Zustimmung 1966 Schenkung von Erich Heckel ler in Zermützel sicher. treffen. Auch durch ihre Mitgliedschaft in Der Nationalgalerie-Kustos Ludwig der im Herbst 1933 vom Propagandaminis- Thormaehlen, selbst als Bild- 5. Juni Der US-amerikanische terium der NSDAP (Nationalsozialistische hauer tätig und seit Jahrzehn- Außenminister George C. Marshall Deutsche Arbeiter Partei) neu gegründe- ten ein guter Bekannter Heckels, präsentiert das European Recove- ten Reichskammer der bildenden Künste organisierte 1932 die große ry Program. Der sogenannte Mar- sahen sich Heckel, Nolde, Pechstein Auslandsausstellung Neuere Deut- shall-Plan soll die Verbreitung und Schmidt-Rottluff als Künstler zunächst sche Kunst. Diese stellte unter des Kommunismus verhindern und noch akzeptiert. anderem in Oslo, Kopenhagen und Europa einer einheitlichen Wirt- Bergen die deutsche Gegenwarts- schaftsordnung zuführen. Unter Bereits im Sommer 1933 war in der Kunst- kunst vor und sorgte in Berlin Druck der UdSSR nehmen die ost- öffentlichkeit eine erhitzte Debatte für heftige Debatten. Mit der europäischen Länder nicht teil. über die Rolle des Expressionismus aus- Schau wollte er einen repräsen- getragen worden, die den Richtungs- tativen Einblick in die aktuelle streit innerhalb der NSDAP widerspiegelt: Kunst Deutschlands geben, zeigte 194 8 Dabei ging es auch um die Position aber letztlich eine Auswahl, die von Brücke-Künstlern wie Nolde, Heckel beispielsweise absichtlich auf 21. Juni Die D-Mark wird in oder Schmidt-Rottluff im neuen Staat. Werke des deutschen Impressio- West-Deutschland eingeführt. Der Richtungsstreit drehte sich um die nisten verzichte- Herbst: Schmidt-Rottluff besucht Frage, ob ein „nordischer“ Expressionis- te. Für den national-konservativ seine Schülerin Erika Bausch mus die nationalsozialistische Ideologie eingestellten Thormaehlen war von Hornstein in Neu Kaliß, wo besser repräsentieren könne als das Liebermann Teil einer einfluss- 60 seiner Aquarelle ausgelagert reaktionär-völkische Kunstideal, das aka- reichen Kunstszene, die er als waren. Er malt vor Ort zahlreiche demisch-naturalistisch geprägt war. In „jüdisch dominiert“ wahrnahm und neue Aquarelle mit Motiven der Reaktion auf nationalsozialistische Unter- die nicht mit seiner Vorstellung demontierten Fabrik und Umgebung. stützer*innen der gemäßigten Moderne einer nationalen Gegenwartskunst positionierten sich die Gegner*innen oft zu vereinbaren war. Protestreak- besonders lautstark. Insbesondere Alfred tionen zahlreicher Künstler*innen 194 9 Rosenberg, Gründer des Kampfbundes folgten prompt, auch die liberale für deutsche Kultur und Chefideologe der Presse empörte sich über die Wan- 24. Juni 1948–12. Mai 1949 NSDAP, wetterte gegen jene in den eige- derausstellung. Die Schau bildete Berlin Blockade: Wenige Tage nen Reihen, die die Moderne unterstützen. den Auftakt für den Richtungs- nach der Währungsreform in der streit um die deutsche Kunst, der westlichen Besatzungszone sperren 1933 war der Ausgang dieses „Expressio- im Sommer 1933 fortgesetzt wurde. sowjetische Truppen alle Zufahrts- nismusstreits“, der bis ins Jahr 1937 wege nach West-Berlin ab, die ausgefochten wurde, noch unklar. Selbst 3 Otto Andreas Schreiber, „Vorwort“, in: Gas- und Stromversorgung wird von während der Laufzeit der Ausstellung 30 Deutsche Künstler, Ausst.-Kat., ihnen ebenfalls eingeschränkt. Entartete Kunst hatte er noch nicht zu einer Galerie Ferdinand Möller, Berlin, Juli 1933, klaren offiziellen Haltung gegenüber ein- bpk / Zentralarchiv, SMB 8. Mai Gründung der Bundesrepu- zelnen Künstler*innen und Werken geführt. Die Ausstellung 30 Deutsche blik Deutschland und Annahme des Künstler wurde im Juli 1933 vom Grundgesetztes. Nationalsozialistischen Deutschen 1 Paul Fechter, Der Expressionismus, Studentenbund in der Galerie 7. Oktober Gründung der München 1914, Umschlag Ferdinand Möller in Berlin veran- Deutschen Demokratischen Republik Das Buch Der Expressionismus staltet. Werke der Brücke-Künst- auf dem Gebiet der Sowjetischen des Kunstschriftstellers Paul ler wurden Werke junger unbekann- Besatzungszone. Fechter von 1914 trug dazu bei, terer Künstler gegenübergestellt,

7 um Entwicklungslinien hin zu Der Präsident der Preußischen Akademie als Vorbild für aufstrebende einer nationalsozialistischen der Künste, Max von Schillings, an nationalsozialistische Künst- Moderne aufzuzeigen. Die Ausstel- Karl Schmidt-Rottluff, 15.5.1933; Karl ler*innen eignete. Zum Kreis der lung wurde zunächst auf Befehl Schmidt-Rottluff an dens., 18.5.1933, Beitragenden gehörte auch der von Innenminister Wilhelm Frick Abschriften, Akademie der Künste, Berlin, Kunsthistoriker Werner Haftmann, verboten. Rund zwei Wochen später Historisches Archiv, PrAdK, I/284, Bl. 86 der nach dem Zweiten Weltkrieg, konnte sie mithilfe des Künstlers unter anderem als erster Direktor und Mitarbeiters des Propagan- Im Mai 1933 legte die Akade- der Neuen Nationalgalerie, die daministeriums, Hans Weidemann, mie den zwei Jahre zuvor auf- Kanonisierung der Brücke-Kunst wiedereröffnen, allerdings unter genommenen Künstlern Kirchner, maßgeblich vorantrieb. Die Zeit- der Bedingung, dass der NSD-Stu- Schmidt-Rottluff und Nolde den schrift wurde im Februar 1935 auf dentenbund nicht mehr als offizi- Austritt nahe. Schmidt-Rottluff politischen Druck Rosenbergs hin eller Veranstalter genannt wurde. folgte der Aufforderung, Nolde und eingestellt. Kirchner weigerten sich erfolg- 4 Ludwig Hohlwein, Der Deutsche Stu- reich. Kirchner erklärte in einem 9 „Aufruf der Kulturschaffenden“, in: Völki- dent kämpft für Führer und Volk, Plakat, um ausführlichen Antwortschreiben scher Beobachter (Berliner Ausgabe), Nr. 1933, bpk / Kunstbibliothek, SMB seine eigene Pionierstellung 230, 18.8.1934, S. 10, bpk / Staatsbibliothek Der Nationalsozialistische Stu- „für eine neue starke und echte zu Berlin – SPK, Zeitungsabteilung dentenbund war eine Unterorgani- deutsche Kunst“. Er wurde erst Heckel und Nolde erklärten sich sation der NSDAP. Sie wurde im Sommer 1937 ausgeschlossen, Mitte August bereit, den von 1926 gegründet und sollte die wie auch Pechstein. Nolde konnte einem Mitarbeiter von Goebbels nationalsozialistische Ideologie seinen Ausschluss durch eine formulierten „Aufruf der Kultur- innerhalb der Studentenschaft überzeugende Stellungnahme, in schaffenden“ zur Bestätigung verbreiten. der er unter anderem auf seine Hitlers als Staatsoberhaupt zu Parteimitgliedschaft verwies, unterzeichnen. Diese Loyalitäts- 5 Alfred Rosenberg, „Revolution in der verhindern. bekundung wurde unter anderem am bildenden Kunst“, in: Völkischer Beob- 18. August 1934 im Völkischen achter (Norddeutsche Ausgabe), Nr. 188, 7 Organigramme der Reichskulturkam- Beobachter abgedruckt. 7.7.1933, S. 7, bpk / Staatsbibliothek zu mer und der Reichskunstkammer, aus: Berlin – SPK, Zeitungsabteilung Handbuch der Reichskulturkammer, hg. 10 Max Pechstein, Das Symbol der Arbeit Bereits 1928 gründete Alfred Ro- von Hans Hinkel, Berlin 1937. (Kraft durch Freude), Wettbewerbsentwurf senberg als einer der führenden Die Zentralverwaltung der Reichs- für das Propagandaministerium, 1934, Ideologen der NSDAP den antise- kulturkammer befand sich in Verbleib unbekannt, bpk / Kunstbibliothek, mitisch ausgerichteten Kampfbund Berlin und war über sieben Ein- SMB für deutsche Kultur, der sich die zelkammern sowie deren jeweilige Pechstein beteiligte sich mit Prägung des deutschen Kulturle- Referate organisiert. Ab Septem- diesem Wandmalereientwurf an bens nach völkischen Vorstellun- ber 1933 war die Mitgliedschaft einem Wettbewerb, der von der gen – gerade auch innerhalb der in der Reichskammer der Bildenden NS-Organisation Kraft durch NSDAP – zum Ziel gesetzt hatte. Künste Voraussetzung, um öffent- Freude ausgerufen worden war. Als erklärter Feind der Moderne lich ausstellen zu können. Eine Die Realisierung hätte lebensgroße beschrieb Rosenberg im Juli 1933 verweigerte Aufnahme oder der Figuren vorgesehen, die origi- die Kontroverse um den Expres- Ausschluss kam einem Berufsver- nalen Maßangaben für das Wand- sionismus als „temperamentvolle bot gleich. Die Reichskammer der bild lauteten 2,50 × 2,00 Meter. Auseinandersetzung“ innerhalb bildenden Künste wurde zunächst Auch das Motto Kraft durch Freude der eigenen Reihen. Rosenberg war von dem Architekten Eugen Hönig – mit dem darunter prangenden Ha- während des Zweiten Weltkrieges geleitet, ab Ende 1936 stand ihr kenkreuz – und der Untertitel des als Reichsleiter einer der zent- der Maler Adolf Ziegler bis Jah- Entwurfs Das Symbol der Arbeit ralen Raubkunstorganisationen in resende 1943 vor. sind mit dem Auftrag zu erklären. den besetzten Gebieten im Westen Das Bild scheint konform mit dem und Osten eingesetzt. Er ließ 8 Kunst der Nation, 1. November 1933, Kunstideal des Nationalsozialismus; dort Kulturgüter, insbesondere Titelblatt gleichzeitig erinnert die von jüdischen Besitzer*innen be- Die Gründung der pro-modernen Darstellung der Figuren stark schlagnahmen und zum Nutzen des Zeitschrift Kunst der Nation an Pechsteins Glasfensterent- Reiches weiter „verwerten“. im November 1933 versuchte, den würfe der späten 1920er-Jahre. „nordischen“ Expressionismus Nach Veröffentlichung der Sie- 6 Ernst Ludwig Kirchner an den Präsi- ideologisch und historisch im gerentwürfe in Kunst der Nation denten der Preußischen Akademie der neuen Staat zu verankern. war Pechstein enttäuscht, dass er Künste, Max von Schillings, 17.5.1933, In zahlreichen Artikeln legten nicht unter den Preisträgern war. Akademie der Künste, Berlin, Historisches die meist jungen Autoren dar, Archiv, PrAdK, Nr. 1102, Bl. 66–67 warum der Expressionismus sich

8 und viele Anrufe zeigen eine erfreuliche dinand Möller im April 1934 als Die Kunst- Zustimmung.“ Auch die Presse äußerte sich Heide am Watt. positiv. In einer Rezension hieß es lobend: öffentlichkeit „Heckel hat sich allmählich immer weiter 7 Erich Heckel, Brücke in Limburg, 19 3 3 , von der mehr oder weniger revolutionären Aquarell über Bleistift, Brücke-Museum, bis 1937 jugendlichen ‚Brücke‘ entfernt und ist dem 1970 Schenkung vom Künstler rechten Flügel, wo die Akademiker sitzen, Eventuell ausgestellt bei Fer- näher gekommen.“ Der Präsentation folgten dinand Möller im April 1934 als Auch nach 1933 fanden noch Ausstellun- 1935 weitere Einzelausstellungen in Krefeld Limburg a. d. Lahn. gen moderner Kunst statt, ihre Anzahl war und Hannover, die Heckel als „Maler deut- mit dem regen zeitgenössischen Kunstle- scher Landschaften“ vorstellten. 8 Karl Schmidt-Rottluff, Angler auf ben in der Weimarer Republik jedoch kaum der Brücke, 1934, Aquarell und Tusche, noch zu vergleichen. Von besonderer Brücke-Museum, 1975 Schenkung vom Bedeutung für die ehemaligen Brücke-Maler Künstler waren die Berliner Galerien von Ferdi- 1 Max Pechstein, Kutter zur Reparatur, Ausgestellt im Frühling 1935 im nand Möller, Karl Buchholz, Karl und Josef 1933, Öl auf Leinwand, Privatbesitz Ausstellungsraum Karl Buchholz Nierendorf sowie Otto von der Heyde. Das Gemälde war im April 1934 im Viele andere Kunsthändler*innen, die Rahmen einer Präsentation von 41 9 Karl Schmidt-Rottluff, Seerosen II, 19 3 4 , sich vor 1933 für die Moderne eingesetzt Werken Pechsteins in der Berli- Aquarell und Tusche, Brücke-Museum, hatten, waren dagegen zum Rückzug aus ner Galerie von der Heyde aus- 1973 Schenkung vom Künstler der Öffentlichkeit gezwungen – zahlreiche gestellt. Im April 1936 folgte Ausgestellt im Frühling 1935 im emigrierten ins Ausland. bei von der Heyde eine weitere Ausstellungsraum Karl Buchholz Einzelschau des Künstlers mit 40 In Galerien und Kunstvereinen wurden Aquarellen sowie mehreren Zeich- nach 1933 in erster Linie Landschaften und nungen. Stillleben der Brücke-Maler gezeigt. Karl Schmidt-Rottluff bei Diese meist aktuelleren Werke, die sich eng 2 Erich Heckel, Schneeschmelze an der Natur orientierten, waren kaum im Erzgebirge, 1931, Öl auf Leinwand, Karl Buchholz, Berlin, noch mit dem Begriff des Expressionismus Brücke-Museum, 1966 Schenkung vom 1935 zu beschreiben. Kirchner kommentierte Künstler im Sommer 1933: „Drüben werden jetzt Ausgestellt sowohl bei Ferdinand häufig Ausstellungen moderner Malerei ge- Möller im Frühjahr 1934 als auch Im März und April 1935 fand im Aus- macht, um die Hitlerianer dazu zu bekeh- in der Schau Das Bild der Land- stellungsraum Karl Buchholz eine Aqua- ren, mit negativem Erfolg, trotzdem man schaft in der Hamburger Kunsthal- rell-Ausstellung von Schmidt-Rottluff mit das zahmste aussucht, nur kleine Gelegen- le im Herbst 1934. 35 Blättern statt. Es erschienen mehrere heitslandschaften z. B. von mir. Ach positive Rezensionen, so lobte das Berliner es ist ein Jammer“. Zwar erhielten viele der 3 Erich Heckel, Annweiler, 1933, Tempe- Tageblatt die Ausstellung als „Erfrischung“ Präsentationen positive Besprechungen ra auf Leinwand, Brücke-Museum, 1966 und verwies auf frühere Kritiken zur in der Presse, zeitgleich polemisierten Schenkung von Karl Schmidt-Rottluff Wanderausstellung Neuere Deutsche Kunst NS-Zeitschriften wie das Schwarze Korps Ausgestellt bei Ferdinand Möller von 1932. Schon damals seien „die starke oder der Völkische Beobachter jedoch im April 1934 Persönlichkeit, die felsharte Form, die aus- weiterhin gegen die moderne Kunst und drucksstarke Farbe“ positiv hervorgehoben ihr Netzwerk. 4 Erich Heckel, Pfalz-Landschaft, 19 3 3 , worden – Zuschreibungen, die nach 1933 die Aquarell, Brücke-Museum, 1970 Schen- Eignung seiner Kunst für die nationalsozia- kung von Siddi Heckel listische Bewegung bezeugen sollten. Eventuell ausgestellt bei Fer- Erich Heckel in der Ga- dinand Möller im April 1934 als lerie Ferdinand Möller, Pfälzer Landschaft. Berlin, 1934 5 Erich Heckel, Frauen am Wasser, 19 3 3 , Aquarell und Deckfarben, Brücke-Museum, 1966 Schenkung vom Künstler Zwischen dem 28. April und dem 8. Juni Eventuell ausgestellt bei Fer- 1934 fand in der Berliner Galerie Ferdinand dinand Möller im April 1934 als Möller eine Heckel-Ausstellung mit Badende. Werken der letzten drei Jahre statt, insgesamt wurden 21 Gemälde, 23 Aquarelle und 6 Erich Heckel, Dünen am Watt, 19 3 3 , acht Druckgrafiken gezeigt. Der Künstler Aquarell, Brücke-Museum, 1966 Schen- bemerkte zufrieden: „Die Ausstellung bei kung vom Künstler Möller wurde am Sonnabend eröffnet, Eventuell ausgestellt bei Fer-

9 Frühzeit gelöst hatte, wirft Figurendar- das dreiteilige Werk genau diese Deutschlandbilder stellungen der Frage auf. Wie Pechsteins Entwurf für das Ab 1937 schufen Heckel und Schmidt-Rott- 1930er-Jahre Wandgemälde Das Symbol der luff Landschafts-und Ortsdarstellungen, Arbeit wies auch Heckels Trip- die durchaus dem im Nationalsozialismus tychon motivische und stilisti- propagierten romantisierenden Deutsch- Besonders die Figurenbilder und Porträts sche Verbindungen zu Arbeiten der landbild entsprachen. Menschenleer sind der Expressionisten wurden von National- Weimarer Zeit auf. Beispielsweise bei Schmidt-Rottluff die Stadtansichten, sozialisten stark angefeindet. Die formal schuf Heckel 1928 einen Wand- in ihrem Zentrum stehen romanische oder reduzierte, teilweise von Objekten aus bild-Entwurf für den Brunnenraum gotische Bauten – wie der Limburger Dom ethnologischen Museen inspirierte Kunst des Museum Folkwang in Essen. oder eine Kapelle im mittelalterlichen der Brücke war nicht an einer naturalisti- Das Thema hierfür – „Die jung- Dinkelsbühl. Thematisch hätten diese An- schen Abbildung oder Idealisierung männliche Bewegung (Spiel und knüpfungspunkte zu offiziell verbreiteten interessiert. Um der Kritik eine möglichst Sport)“ – hatte der damalige Landschaftsidealen ermöglicht, doch hatte geringe Angriffsfläche zu bieten, ersetzten Direktor Ernst Gosebruch gelie- Schmidt-Rottluff nach dem Sommer 1937 Museumsleiter ab 1933 etliche Figuren- fert. Heckel griff das Thema im nicht mehr die Möglichkeit, seine Werke bilder aus ihren Sammlungspräsentationen Jahr 1934 erneut auf. Durch Sujet öffentlich zu präsentieren. durch Landschaftsmalereien und Stillle- und Art der Darstellung ergaben ben derselben Künstler. Ein ‚gemäßigter‘ sich zahlreiche Schnittmengen, Eher ungewöhnlich ist die Darstellung Expressionismus, so die Hoffnung, die ein solches Werk als zeitge- einer Autobahnbrücke, die eine zeitge- sollte die öffentliche Akzeptanz erhöhen. mäße „deutsche“ Kunst im NS-Staat nössische Errungenschaft zeigt. In seinen Auch die Brücke-Künstler selbst reagie- geeignet erschienen ließen. Im Briefen erwähnt Schmidt-Rottluff begeis- rten offenbar auf die veränderten Erwar- Gegensatz zu Pechstein vermied tert seine Autoreisen durch Deutschland. tungshaltungen: Die Figurenbilder Heckel aber eine explizite Visua- Ihn inspirierten also nicht nur die histori- der 1930er-Jahre erscheinen zunehmend lisierung nationalsozialistischer schen Bauwerke. Geplant worden waren naturalistisch und zeigen eine Fortent- Symbolik. Der Essener Industriel- die neuen Autobahnen bereits vor 1933, wicklung weg vom radikal vereinfachten le und Kunstsammler Ernst Henke wurden nun aber in der Propaganda als Er- Stil der Brücke-Zeit, die bereits in den hängte 1936 das Triptychon – zu- rungenschaft des nationalsozialistischen frühen Jahren der Weimarer Republik sammen mit zahlreichen Gemälden Regimes gefeiert. eingesetzt hatte und nach 1933 vermutlich Noldes und anderer Vertreter des gerade auch durch die Expressionis- Expressionismus – in seine Villa. mus-Kontroverse verstärkt wurde. Nicht Da er laut Ernst Gosebruch großes zuletzt waren die Künstler darauf angewie- Ansehen „bei der Partei“ genoss, sen, ihre Werke öffentlich auszustellen und gaben einige Künstler, wie Nolde, Käufer*innen zu finden. gerne Leihgaben in seine Obhut, um sie so vor möglichen Beschlag- nahmungen zu schützen. 1 Max Pechstein, Junge mit Schneebällen und drei Nelken, 1937 Öl auf Leinwand, 3 Erich Heckel, Zwei Brüder, 1937, Privatbesitz Tempera auf Leinwand, Nachlass Pechsteins großes Hochformat Erich Heckel, Hemmenhofen zeigt den elfjährigen Sohn des Heckels Selbstporträt Zwei Künstlers, mit kurzen Hosen und Brüder thematisiert neben seinem einem der Mode entsprechenden Künstlertum auch seine familiäre Kurzhaarschnitt. Das Porträt Situation: Das Werk zeigt den wirkt im Vergleich zu seinen frü- Maler mit einer früheren Arbeit heren Bildnissen sehr naturalis- zur linken und dem Bruder tisch – es erinnert an den Stil Manfred, der im November starb, der Neuen Sachlichkeit. auf dem Totenbett zur rechten. Im Anschluss schuf der Maler 2 Erich Heckel, Jungen am Strand, 19 3 4 , einige Arbeiten in dessen Gedenken. Triptychon, Tempera auf Leinwand, Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen Wie vereinbar war die Moderne mit den Kunstvorstellungen der Na- tionalsozialisten? Obgleich sich Heckel bereits seit Langem von seinem Stil der expressionistischen

10 Holzskulpturen. Figürliche, von Emy Schmidt-Rottluff, der Frau Frühe Verfemung außereuropäischen Objekten in des Malers. ethnologischen Museen inspirier- te Darstellungen, wie Badende 6 Paul Schultze-Naumburg, Kampf um Schon in den späten Jahren der Weimarer mit Tuch, wurden sowohl aufgrund die Kunst (Nationalsozialistische Biblio- Republik kritisierten völkisch-reaktionäre ihrer nicht-naturalistischen thek, H. 36), München 1932, S. 10. Aktivisten die Kunst der Brücke, insbeson- Form als auch wegen der vermeint- Kampf um die Kunst war Titel dere ihre Menschendarstellungen. lich unsittlichen Darstellung zur einer Vorlesung, mit der Paul Einer von ihnen war der Architekt, Kultur- Zielscheibe der gegen die Moderne Schultze-Naumburg im Auftrag des reformer und Rassenideologe Paul gerichteten Argumentationen aus Kampfbundes für deutsche Kul- Schultze-Naumburg, der den Expressio- dem reaktionär-völkischen Lager. tur im Jahr 1931 in verschiede- nismus mit Begriffen der „Artfremdheit“ Aus heutiger Sicht muten die auf nen deutschen Städten gastierte. und „Entartung“ abwertete. Bereits 1928 der Rassenideologie basierenden Seine Ausführungen zielten dar- stellte er in seinem Buch Kunst und Rasse kunsttheoretischen Interpretatio- auf ab, die moderne Kunst durch den Porträts Schmidt-Rottluffs Fotos von nen absurd an, damals wurden sie Gegenüberstellungen kanonischer Menschen mit Behinderung gegenüber. in hoher Auflage verbreitet. Kunstwerke der späten Gotik oder der deutschen Renaissance zu Die Angriffe aus dem reaktionären Lager 3 Karl Schmidt-Rottluff, Grünroter Kopf, diffamieren. Als Bildbeispiele galten auch der Ankaufspolitik der Kunst- 1917, Erlenholz, rot und grün getönt, dienten ihm auch hier – wie zuvor museen. Es wurden damals so bezeich- Brücke-Museum, 1971 Schenkung vom schon in Kunst und Rasse – die nete „Säuberungen“ der Sammlungen Künstler Porträts von Schmidt-Rottluff. gefordert, mit denen die Aussortierung Während seiner Stationierung in Abgebildet ist auf dieser Seite und Zensur moderner Kunstwerke aus den Litauen schuf Schmidt-Rottluff das Gemälde Emy, ein Bildnis der Museen gemeint war. Die Organisation eine große Anzahl von Skulptu- Ehefrau des Künstlers. regionaler, sogenannter „Schandausstellun- ren, wie beispielsweise Grünro- gen“ verlieh dieser Forderung Nachdruck. ter Kopf. Das Holz dafür sammelte 7 Wolfgang Willrich, “Beispiele von drei In ihnen sollten geringgeschätzte Werke er vor Ort. Solche und ähnliche Entarteten: Heckel / Schmidt-Rottluff / moderner Kunst als Beispiele des „kulturellen Holzplastiken wurden vom reaktio- Nolde”, 1933, bpk / Zentralarchiv, SMB Verfalls“ vorgeführt werden. Durch sie när-völkischen Lager als „neg- Der Maler und reaktionär gesinn- verschärfte sich auch der Ton in der öffent- roid“ verhöhnt; auch, weil die te Kunstaktivist Wolfgang Will- lichen Kunstdebatte. Die Diffamierungen Aneignung der als fremd wahr- rich prangerte auf diesem Blatt in den frühen Jahren der NS-Zeit bereiteten genommenen Formensprache nicht von 1933 die teils noch unter dem den Boden für die Durchführung der ihrem Selbstverständnis einer ge- NS-Regime erfolgte Anerkennung Ausstellung Entartete Kunst v o n 19 37. nuin „deutschen“ Kunst entsprach. der drei Maler Heckel, Nolde und Schmidt-Rottluff an. Die Zu- 4 Paul Schultze-Naumburg, Kunst und sammenstellung trug bereits die 1 Paul Schultze-Naumburg, Kampf um Rasse, Berlin 1935 (1. Aufl. 1928), Grundzüge der Collagen, die er die Kunst (Nationalsozialistische Biblio- S. 106–107. Anfang des Jahres 1937 in seinem thek, H. 36), München 1932, S. 40–41. Auch auf dieser Seite wird die Buch Säuberung des Kunsttempels Kampf um die Kunst erschien 1931 Verknüpfung von Kunst- und Ras- veröffentlichte. als 36. Heft in der Reihe Natio- senideologie deutlich: Porträts nalsozialistische Bibliothek im von Schmidt-Rottluff und Modi- Münchner NSDAP-Verlag und war mit gliani stellt Schultze-Naumburg einem Preis von einer Mark güns- Fotos von Menschen mit körper- tig erhältlich. Der Vorwurf der lichen Fehlbildungen gegenüber. Nachahmung mischt sich hier mit Oben links ist der Holzschnitt der rassenideologisch begründeten Selbstbildnis aus dem Jahr 1919 Ablehnung gegenüber Objekten abgebildet außereuropäischer Kulturen, die als nicht gleichwertig verun- 5 Karl Schmidt-Rottluff, Bildnis Emy, 1919 , glimpft wurden. Holzschnitt, Brücke-Museum, Vermächtnis von an die Galerie des 20. 2 Erich Heckel, Badende mit Tuch, 19 13 , Jahrhunderts, 1967 an das Brücke-Museum Ahorn, Brücke-Museum, 1986 erworben überwiesen von Charlotte Specht, geb. Sauerlandt aus Schultze-Naumburg suchte in sei- Mitteln des Nachlasses Martha Lemke nem Pamphlet Kampf um die Kunst Schultze-Naumburg instru- unter anderem das Gemälde Emy mentalisierte neben Werken zu diskreditieren. Der Holz- von Schmidt-Rottluff wiederholt schnitt Bildnis Emy von 1919 Abbildungen von Heckels zeigt eine ähnliche Ansicht von

11 1 Wolfgang Willrich, Säuberung Max Pechstein bei Die Ausstellung des Kunsttempels. Eine kulturpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher der Auto Union Entartete Kunst, Kunst im Geiste nordischer Art, München/Berlin 1937, S. 22, Collage AG, Chemnitz, 1937 mit Werken verschiedener Künstler, u. a. von den ehemaligen Brücke Malern Juni 1937 Max Pechstein, Emil Nolde, Ernst Ludwig Am 19. Juli 1937 eröffnete in München die Kirchner und Ausstellung Entartete Kunst. Ausgewählte Die zu Beginn des Jahres 1937 er- Angesichts der ungeklärten offiziellen Gemälde und Skulpturen der Moderne schienene Publikation Säuberung Haltung gegenüber der modernen wurden hier chaotisch inszeniert und po- des Kunsttempels von Wolfgang Kunst ist es bemerkenswert, dass sowohl lemisch kommentiert – Strategien, die Willrich bildete eine der pseudo- Schmidt-Rottluff als auch Pechstein in darauf ausgelegt waren, Besucher*innen wissenschaftlichen Grundlagen für der ersten Jahreshälfte 1937 die Möglich- zu manipulieren – denn für viele war es die Kampagne „Entartete Kunst“. keit zu Einzelausstellungen erhielten: die erste Begegnung mit moderner Kunst In seiner Eine kunstpolitische Schmidt-Rottluff stellte Anfang des Jahres überhaupt. Am Tag davor hatte Hitler Kampfschrift zur Gesundung deut- in der Galerie Karl Buchholz in Berlin aus; das unter seiner Ägide neu erbaute Haus scher Kunst im Geiste nordischer Pechstein zeigte noch im Juni 1937 – der Deutschen Kunst in München mit Art, weitet Willrich den seit den kurz vor Eröffnung der Ausstellung Entartete der Großen Deutschen Kunstausstellung 1920er Jahren geführten Kampf Kunst – in einer der sogenannten Fabrik- eröffnet, in der ausschließlich Werke gegen die „neue deutsche Kunst“ ausstellungen in der Chemnitzer Auto nach seinem Geschmack zu sehen waren. aus: Auf mehreren Collagen bildet Union AG zwei Gemälde und 17 Aquarelle. Das Nebeneinander beider Ausstellungen er von ihm als „entartet“ be- Fabrikausstellungen wurden in großer schrieb das einfache Muster von „art- zeichnete Werke ab und prangert Anzahl seit 1934 durch die NS-Freizeit- eigener“ und „entarteter“ Kunst fest. Hitler in diesem Zusammenhang auch organisation Kraft durch Freude realisiert. konnte sich einer breiten Zustimmung die Ankaufspolitik deutscher Ihr Ausstellungsprogramm, in das auch sicher sein; seit der Machtübernahme hatten Museen an. Werke der Brücke-Künstler mit einbezogen sich Lokalpolitiker und Museumsleiter wurden, zeugte vom Versuch, den Ge- in verschiedenen Orten ereifert, mit der 2 Julien Bryan, Gang durch die danken der „Erneuerungsbewegung“ des Organisation sogenannter „Schreckens- Ausstellung Entartete Kunst in München, Nationalsozialismus durch eine gemäßigte kammern“ in ihren Museen moderne Werke 1937 Film, s/w, ohne Ton, 2:26 Minuten Moderne zu präsentieren. an den Pranger zu stellen. Die Ablehnung © Framepool RS GmbH des Expressionismus begann jedoch Im Sommer 1937 reiste der US- nicht erst im Januar 1933, sondern beglei- amerikanische Dokumentarfilmer tete diesen seit seiner Entstehung. Julien Bryan sieben Wochen durch Deutschland, um im Auftrag von Auch das Schlagwort der „Entartung“ der US-Wochenschau March of Time hatte eine längere Vorgeschichte. Bereits Aufnahmen von der Situation Ende des 19. Jahrhunderts verwendete vor Ort zu machen. Obwohl das der Mitbegründer der Zionistischen Propagandaministerium ihm stren- Weltorganisation, Max Nordau, in seiner ge Auflagen gemacht hatte, Publikation Entartung den aus der Bio- gelang ihm ein vielschichtiges logie stammenden Begriff, um die damals Porträt des nationalsozialisti- moderne Kunst des Fin de Siècle herabzu- schen Staates. Er filmte sowohl würdigen. In der Zeit der Weimarer Repu- das Alltagsleben als auch Propa- blik – als vor allem die expressionistischen gandaveranstaltungen wie Künstler*innen von Regierungsseite den Nürnberger Reichsparteitag, unterstützt und Sammlungen moderner machte aber auch auf den Kunst in vielen öffentlichen Institutionen auf- Antisemitismus in Deutschland gebaut wurden – verschärften sich die aufmerksam. Von ihm stammen Angriffe aus reaktionären Kreisen, wie dem die einzigen Filmaufnahmen aus Kampfbund für deutsche Kultur. Dessen der Propagandaausstellung Gründer Alfred Rosenberg war schon früh Entartete Kunst in München. führender Vertreter und Verbreiter der na- Der Film zeigt einen längeren, tionalsozialistischen Gesinnung und wurde unveröffentlichten Ausschnitt später als „Chefideologe“ Hitlers bekannt. aus dem Rohmaterial Bryans.

12 3 Ausstellungsführer Entartete Kunst, wurden acht Gemälde, von Kirchner 24, 19 37 Angriff auf die von Mueller 15, von Nolde 33, von Der Umschlag zeigt Otto Pechstein sechs und von Schmidt-Rottluff Freundlichs Plastik Großer Kopf Moderne: Die 20 Gemälde gezeigt. Daneben von jedem (Der neue Mensch) von 1912. Künstler noch zahlreiche Druckgrafiken Der aus Pommern stammende jüdi- NS-Kampagne und einige Skulpturen. Nach dem Auftakt sche Bildhauer wurde vermutlich in München war die Wanderausstellung am 9. oder 10. März 1943 im Kon- „Entartete Kunst“ im Laufe des Jahres 1938 in veränderter zentrationslager Lublin-Majdanek Form noch in Berlin, Leipzig, Düsseldorf, oder Sobibor ermordet. Salzburg und anderen Städten zu sehen. Beschlagnahmungen 4 Eröffnung der Ausstellung Entartete Im Zuge des Sammlungsaufbaus ge- Kunst durch Adolf Ziegler am 19. Juli 1937 Im Sommer 1937 begann in Deutschland langten eine Reihe von Gemälden in den in München, in: Das 12 Uhr Blatt. Neue ein beispielloser Akt der Bilderstürmerei: Bestand des Brücke-Museums, die sich Berliner Zeitung, 20.7.1937, Foto: Heinrich Auf Erlass Hitlers ordnete Propaganda- vor 1937 in öffentlichen Kunstsammlungen Hoffmann, Archiv Pechstein minister Goebbels in zwei aufeinanderfol- befanden und im Zuge der staatlich an- Auf dem Foto ist der Präsident genden Maßnahmen die Räumung geordneten Kampagne „Entartete Kunst“ der Reichskammer der bildenden und Beschlagnahme moderner Kunst aus beschlagnahmt sowie weiterverkauft Künste Adolf Ziegler bei seiner deutschen Museen an. Vier Jahre nach wurden. Einige der Gemälde, etwa Heckels Eröffnungsrede zur Ausstellung der Machtübernahme durch die National- Drei Frauen vor roter Uferwand, waren Entartete Kunst in München 1937 sozialisten Ende Januar 1933 war die bereits in frühen Feme-Schauen zu sehen. zu sehen. Auf der Stellwand im „Gleichschaltung“ auf der politischen, Schmidt-Rottluffs Römisches Stilleben, Hintergrund hängen Pechsteins ökonomischen und gesellschaftlichen Noldes Verspottung, Muellers Drei Akte Gemälde Ehepaar, 1917 (beschlag- Ebene nahezu abgeschlossen und in Landschaft sowie Kirchners Gemälde nahmt aus dem Kunstmuseum Bres- Hitlers Popularität auf dem Höhepunkt. Sich kämmender Akt und Im Cafégarten lau) und Schmidt-Rottluffs Akt Aus dieser gesicherten Position heraus wurden ab Juli 1937 im Rahmen der Schau Frau mit Armbändern, 1912 (be- erfolgte die Zerschlagung der öffentlichen Entartete Kunst und teils auf der sich schlagnahmt aus der Hamburger- Sammlungen moderner Kunst. Eine von anschließenden gleichnamigen Wander- Kunsthalle). der Reichskammer der bildenden Künste ausstellung präsentiert. Fast alle Gemälde zusammengestellte Kommission unter gelangten zur Zwischenlagerung in das Leitung des Malers und Präsidenten der Schloss Schönhausen nördlich von Berlin Reichskammer der bildenden Künste Adolf und wurden dann an die Händler zum Ziegler reiste zu mehr als 100 Museen und Verkauf ins Ausland übergeben. Kirchners beschlagnahmte dort – im Auftrag des Im Cafégarten und Muellers Drei Akte Deutschen Reichs – rund 21.000 Kunstwer- wurden im Sommer 1939 auf der Auktion ke als sogenannte „Verfallskunst“. In der der Galerie Fischer in Luzern versteigert. Folge verschwand die Moderne bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu vollständig aus öffentlichen Institutionen. Bis heute haben sich viele Sammlungen von „Verwertung“ dem Bildersturm nicht erholt.

Anfang 1938 erwog Hermann Göring, Die Brücke-Künstler und die Kampagne einen Teil der beschlagnahmten Kunst- „Entartete Kunst“ werke zu verkaufen. Goebbels schrieb hierzu in sein Tagebuch: „Wir wollen ver- Obwohl die wiederholt geäußerten suchen, mit dem Mist noch Geld zu verdie- Ressentiments gegen die moderne Kunst nen“. Neben einer Auktion in der neutra- den ehemaligen Brücke-Künstlern nicht len Schweiz in Luzern am 30. Juni 1939 unbekannt waren, kam die Eröffnung wurden im Wesentlichen vier Kunsthändler der Ausstellung Entartete Kunst am 19. Juli zum Verkauf autorisiert: der Buch- und 1937 für sie unerwartet. Die reichsweite Kunsthändler Karl Buchholz, Berlin; der und öffentliche Diffamierung ihrer Werke Galerist Ferdinand Möller, Berlin; der in München besaß eine andere Tragweite Bildhauer Bernhard Alois Böhmer, Güstrow/ als die bisherigen regional organisierten Berlin; und der Kunsthändler Hildebrand „Schandausstellungen“. Über die hastig Gurlitt, Hamburg. Der Verkauf sollte aus- zusammengestellte Ausstellung war schließlich gegen Devisen ins Ausland er- den Künstlern im Vorfeld wohl nichts bekannt folgen. Die den Kunstwerken nachgesagte gewesen. Dabei waren sie in München regimekritische Ausstrahlung wollte man mit zahlreichen Werken vertreten: von Heckel so in Deutschland unterbinden.

13 Alle vier Kunsthändler missachteten diese 30. Juni 1939 in Luzern ausgewählt. 1973 Galerie Günther Franke, Anordnung und vermittelten Bestände 1927 Galerie Dr. Goldschmidt – München deutschen Privatsammlern, wie dem Kölner Dr. Wallerstein, Berlin Rechtsanwalt oder dem 1973 von der Galerie Günther hannoverschen Schokoladenfabrikanten 1928–1937 Kaiser-Wilhelm-Museum, Franke durch das Land Berlin für Bernhard Sprengel. Krefeld das Brücke-Museum erworben 1937–1939 Deutsches Reich/Reichs- ministerium für Volksauf- klärung und Propaganda, 8 Emil Nolde, Verspottung, 1909, Öl auf 5 Erich Heckel, Drei Frauen vor Berlin Leinwand, Brücke-Museum, Karl und Emy roter Uferwand, 1921, Öl auf Leinwand, 1939 Theodor Fischer, Luzern: Schmidt-Rottluff Stiftung Brücke-Museum Auktion Gemälde und Plas- Das Gemälde wurde 1937 im Museum Das Gemälde war bereits im Früh- tiken moderner Meister der bildenden Künste in Leipzig jahr 1933 in einer der ersten aus deutschen Museen beschlagnahmt. Von Mai bis Ok- Feme-Schauen, der Ausstellung 1939–1953 Joseph Pulitzer Junior, tober 1938 war es im Rahmen der Kulturbolschewistische Bilder in Saint Louis/USA (Erstei- Ausstellung Entartete Kunst in der Städtischen Kunsthalle Mann- gerung über die Galerie Leipzig, Düsseldorf und Salzburg heim, ausgestellt worden. Im Pierre Matisse, New York) zu sehen. Anschließend wurde es August 1937 wurde es beschlag- 1953–1987 Saint Louis Art Museum bis Ende 1940 im Schloss Schön- nahmt und im Schloss Schönhausen (Schenkung von Joseph hausen gelagert. für den internationalen Verkauf Pulitzer Jr. und Louise zwischengelagert. 1941 erwarb es Vauclain Pulitzer) 1921–1937 Museum der bildenden der Kunsthändler Ferdinand Möller 1987 Christie’s London Künste, Leipzig im Rahmen eines Tauschvertrags 1987–1989 Privatbesitz 1937–1940 Deutsches Reich/ vom Reichsministerium für Volks- Reichsministerium aufklärung und Propaganda. Den 1989 aus Privatbesitz durch Ver- für Volksaufklärung und Zweiten Weltkrieg überstand das mittlung der Galerie Michael Propaganda, Berlin Gemälde in Möllers Sommerhaus in Haas, Berlin, durch Mittel der 1940–1943 Buch- und Kunsthandlung Zermützel/Neuruppin nördlich von Deutschen Klassenlotterie Berlin Karl Buchholz, Berlin Berlin. für das Brücke-Museum erworben. 1943–1945 Karl-Heinz Brandt, Gramzow und 1945 1922–1937 Städtische Kunsthalle Rosgartenmuseum, Mannheim 7 Karl Schmidt-Rottluff, Römisches Konstanz (Aufbewahrung 1937–1941 Deutsches Reich/Reichs- Stilleben, 1930, Öl auf Leinwand, für Buchholz) ministerium für Volksauf- Brücke-Museum 1945–1948 Marie-Louise Buchholz, klärung und Propaganda, Das Gemälde, 1930 während eines Überlingen Berlin Rom Stipendiums entstanden, wurde 1948–1951 Karl Buchholz, Bogotá/ 1941–1956 Ferdinand Möller, Berlin/ 1937 aus der Sammlung der Berli- Kolumbien Zermützel/Köln ner Nationalgalerie entfernt und 1951–1961 Theodor Heuberger, São 1956–1977 Rosemarie Baumgart- von August 1937 bis Oktober 1938 Paulo/Brasilien Möller, Bergneustadt in der Wanderausstellung Entarte- 1961 Stuttgarter Kunstkabinett te Kunst gezeigt. Aus dem Depot Roman Norbert Ketterer, 1977 Geschenk von Rosemarie Baum- im SchlossSchönhausen erwarb es Auktion gart-Möller an das Brücke-Museum der Berliner Buch- und Kunsthänd- 1961–1981 Frankfurter Kunstkabinett ler Karl Buchholz und verkaufte Hanna Bekker vom Rath es noch im gleichen Jahr nach 6 Otto Mueller, Drei Akte in Finnland. 1981 von dem Frankfurter Kunst- Landschaft, 1919, Leimfarbe auf Rupfen, kabinett Hanna Bekker vom Brücke-Museum 1932–1937 Nationalgalerie Berlin Rath durch die Karl und Emy Das Gemälde wurde 1937 im Kai- (Kronprinzenpalais) Schmidt-Rottluff Stiftung erworben ser-Wilhelm-Museum in Krefeld 1937–1939 Deutsches Reich/Reichs- beschlagnahmt und anschließend in ministerium für Volksauf- der Ausstellung Entartete Kunst klärung und Propaganda, 9 Emil Nolde, Jägers Haus auf Alsen, in München sowie Berlin, Leipzig, Berlin 1909, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum Düsseldorf und Salzburg gezeigt. 1939 Buch- und Kunsthandlung Das Gemälde wurde 1937 in Nach Lagerung im Schloss Schön- Karl Buchholz, Berlin der Hamburger Kunsthalle be- hausen wurde es von dem Schweizer 1939–1973 Otto Ehrich, Helsinki/ schlagnahmt und von 1938 bis 1940 Galeristen Theodor Fischer für Finnland, Vitemölla/ im Schloss Schönhausen gelagert. die Auktion von 125 Kunstwerken Schweden (und weitere aus dem Beschlagnahmegut am Orte)

14 1919–1937 Hamburger Kunsthalle vom Reichsministerium für Volks- Deutschen Klassenlotterie Berlin 1937–1940 Deutsches Reich/ aufklärung und Propaganda. für das Brücke-Museum erworben Reichsministerium Ebenso wie Heckels Drei Die Gemälde Im Cafégarten und für Volksaufklärung und Frauen vor roter Uferwand über- Sich kämmender Akt wurden 1924 Propaganda, Berlin führte Möller auch dieses Gemälde mit 22 weiteren Werken aus der 1940 Hildebrand Gurlitt, nach Zermützel/Neuruppin, wo es Frankfurter Sammlung Ludwig und Hamburg den Zweiten Weltkrieg überstand. Rosy Fischer nach Halle ver- 1940 Bernhard A. Böhmer, Güstrow kauft. Rosy Fischer starb 1926. ca.1946–1979 Edgar und Greta Horst- 1921–1937 Hamburger Kunsthalle Im Kaufvertrag wurde vereinbart, mann, Hamburg/München 1937–1940 Deutsches Reich/Reichs- dass ihr und nach ihrem Tod auch ministerium für Volksauf- ihren Söhnen bis 1944 eine Ren- 1979 von dem Kunsthändler Rainer klärung und Propaganda, te zu zahlen sei. Die Verbind- Horstmann, Hamburg aus dem Besitz Berlin lichkeiten des Vertrags wurden von Greta Horstmann durch Mittel 1940–1950 Ferdinand Möller, Berlin/ aufgrund nationalsozialistischer der Deutschen Klassenlotterie Zermützel/Köln Verfolgungsmaßnahmen nicht bis Berlin für das Brücke-Museum 1950–1983 Ferdinand und Ilse zum vereinbarten Zeitpunkt ein- erworben Ziersch, Wuppertal gehalten. In der Nachkriegszeit erfolgte eine Entschädigung. 1983 von Ilse Ziersch durch Mit- 10 Ernst Ludwig Kirchner, Artistin, 1910 , tel der Deutschen Klassenlotte- 13 Ernst Ludwig Kirchner, Sich Öl auf Leinwand, Brücke-Museum rie Berlin für das Brücke-Museum kämmender Akt, 1913, Öl auf Leinwand, Das Gemälde wurde 1937 aus dem erworben Brücke-Museum Sammlungsbestand des Jenaer Das Gemälde wurde in den Jahren Kunstvereins beschlagnahmt und 1935 bis Juli 1937 im Städtischen ab Sommer 1938 im Schloss Schön- 12 Ernst Ludwig Kirchner, Im Cafégarten, Museum für Kunst und Kunstgewerbe hausen gelagert. Ferdinand Möl- 1914, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum in Halle in einem separaten, als ler erwarb das Werk vom Reichs- Das Werk wurde zwischen Ende 1935 „Schreckenskammer“ bezeichneten ministerium für Volksaufklärung und Juli 1937 in der am Städ- Raum präsentiert. Kurz darauf und Propaganda im Rahmen eines tischen Museum für Kunst und wurde es in der Ausstellung Tauschvertrags im März 1940. Es Kunstgewerbe in Halle in der Entartete Kunst in München und blieb bis 1997 im Besitz des Ga- dort eingerichteten sogenannten bis Ende 1938 auf den weiteren leristen und seiner Erben. „Schreckenskammer“ gezeigt. Im Stationen der Wanderausstellung Anschluss wurde es nach München in Berlin, Leipzig, Düsseldorf 1917–1937 Kunstverein Jena zur Ausstellung Entartete Kunst und Salzburg gezeigt. Nach (Vermächtnis Botho Graef, transportiert. Nach Lagerung im Lagerung im Schloss Schönhausen Jena) Depot Schloss Schönhausen erfolg- erwarb es Ferdinand Möller im 1937–1940 Deutsches Reich/Reichs- te am 30. Juni 1939 die Verstei- Rahmen eines Tauschvertrags vom ministerium für Volksauf- gerung durch den Schweizer Gale- Reichsministerium für Volksauf- klärung und Propaganda, risten Theodor Fischer im Grand klärung und Propaganda. Berlin Hotel National in Luzern. 1940–1956 Ferdinand Möller, Berlin/ 1924–1937 Städtisches Museum für Zermützel/ Köln 1924–1937 Städtisches Museum für Kunst und Kunstgewerbe, 1956–1997 Angelika Fessler-Möller, Kunst und Kunstgewerbe, Halle/Saale Maienfeld/Schweiz Halle/Saale 1937–1940 Deutsches Reich/Reichs- 1937–1939 Deutsches Reich/Reichs- ministerium für Volksauf- 1997 von Angelika Fessler-Möller ministerium für Volksauf- klärung und Propaganda, durch Mittel der Deutschen klärung und Propaganda, Berlin Klassenlotterie Berlin für das Berlin 1940–1956 Ferdinand Möller, Berlin/ Brücke-Museum erworben 1939 Theodor Fischer, Luzern: Zermützel/Köln Auktion Gemälde und Plas- 1956–1970 Maria Möller-Garny, Köln 11 Ernst Ludwig Kirchner, Selbstbildnis, tiken moderner Meister 1970 Auktion Kornfeld und 1914, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum aus deutschen Museen Klipstein, Bern (von der Das Gemälde wurde am 4. Juli 1939–1965/66 Ernst Schlager, Basel Kunsthandlung Kornfeld 1937 aus der Hamburger Kunsthal- (Ersteigerung in Luzern) selbst erworben) le entfernt. Nach Umlagerung ins 1965/66 Galerie Änne Abels, Köln Schloss Schönhausen war es zu- 1971 von Kornfeld und Klipstein nächst für den internationalen 1966 bei der Galerie Änne Abels durch Mittel der Deutschen Verkauf vorgesehen. Der Galerist von der Deutschen Gesellschaft Klassenlotterie Berlin für das Ferdinand Möller erwarb das Werk für bildende Kunst e.V. (Kunst- Brücke-Museum erworben. im Rahmen eines Tauschvertrags verein Berlin) durch Mittel der

15 Hugo Simon (1880–1950), Berlin/Seelow, für Schmidt-Rottluff wurde sie eine enge Die Schicksale Bankier, Politiker und Sammler, unter an- Vertraute. Im Laufe ihrer Freundschaft derem von Max Pechstein, Emigration 1933 malte er eine Reihe von Porträts der Freun- jüdischer zunächst nach Paris, später nach Brasilien. din, fertigte Schmuck und Mobiliar für sie. 1924 verfasste Schapire ein Werkverzeich- Sammler*innen Herbert Tannenbaum (1892–1958), Mann- nis zu Schmidt-Rottluffs Druckgrafik. Als heim, Kunsthändler und Sammler, Emig- das NS-Regime begann, moderne Kunst und Förder*innen ration 1937 zunächst nach Amsterdam und aus den Museen zu entfernen, kritisierte 1947 nach New York. Schapire 1935 diesen Übergriff öffent- lich. 1937 war ihr Bildnis im Holzschnitt Die Situation der Brücke-Künstler muss Victor Wallerstein (1878–1944), Ber- Schmidt-Rottluffs Teil der Ausstellung auch vor dem Hintergrund der Verfol- lin, Kunsthistoriker, Kunsthändler und Entartete Kunst in München. gung ihrer jüdischen Sammler*innen und Sammler, unter anderem von Ernst Ludwig Förder*innen durch die Nationalsozialisten Kirchner, Emigration 1936 nach Italien, Als Jüdin musste sie im NS-Staat um ihr betrachtet werden. Wir wollen sie und ihr dort vermutlich eines natürlichen Todes in Leben fürchten. 1939 floh sie nach London, Engagement für die Brücke-Kunst an dieser Florenz gestorben. ließ jedoch einen Großteil ihres Besitzes Stelle würdigen. Bedeutende Persönlichkei- am Hamburger Hafen einlagern. National- ten, die bereits vor 1933 gestorben sind, wie Paul Westheim (1886–1963), Berlin, Jour- sozialistische Behörden ließen ihn plün- der Frankfurter Galerist Ludwig Schames, nalist, Kunstkritiker und Sammler, unter dern und den Inhalt versteigern, darunter werden hier nicht berücksichtigt. anderem von Ernst Ludwig Kirchner und Teile von Schapires erstklassiger Kunst- Erich Heckel, Emigration 1933 zunächst sammlung. Auch in England setzte sie sich Alfred Flechtheim (1878–1937), Berlin/ nach Paris, später nach Mexiko. weiterhin für den deutschen Expressionis- Düsseldorf, Kunsthändler und Sammler, mus ein, in der Nachkriegszeit kein einfa- unter anderem von Brücke-Kunst, 1933/34 ches Unterfangen. 1953 organisierte sie Emigration über Paris nach London. im Leicester Museum die erste Schmidt- Rottluff-Ausstellung in Großbritannien. Robert Graetz (1878–1942?), Berlin, Rosa Schapire Unternehmer und Sammler von Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein, De- „Ich bin am 18. August 1939 in London ange- portation 1942, ermordet im Warschauer Schon vor dem Erlass der Nürnberger kommen, genau zwei Wochen später begann der Ghetto. Rassengesetze im September 1935 fühlten Krieg … Die Nazis hatten mich so ausgeraubt, sich zahlreiche jüdische Förder*innen dass ich mit genau zehn Mark hier angekommen Gottfried Heinersdorff (1881–1941), Berlin, der Brücke-Künstler gezwungen, aus bin, mehr durften wir ja gar nicht aus Deutsch- Leiter der Kunstanstalt für Glasmalerei, Deutschland zu fliehen. Durch die auf- land herausnehmen. Das Einzige, was ich von Bleiverglasung und Mosaik, Produktion erlegten Repressalien war ein freies Leben meinem ganzen Besitz hergerettet habe, ist meine von Glasbildern Max Pechsteins, Emigra- für sie in Deutschland bald nicht mehr große Schmidt-Rottluff-Sammlung.“ tion 1937 nach Frankreich, dort eines natür- möglich. Während es bei öffentlichen Dif- lichen Todes gestorben. famierungen der modernen Kunst in erster Rosa Schapire, 1948 Linie um die Kunstwerke ging, erfuhren Thekla Hess (1884–1968), Erfurt, Samm- die Brücke-Künstler meist nur indirekt über lerin expressionistischer Kunstwerke, vor Freund*innen und Bekannte, was es im 1 Karl Schmidt-Rottluff, Bildnis Rosa allem von den Brücke-Künstlern (zu- NS-Regime bedeutete, antisemitisch ver- Schapire, 1911, Öl auf Leinwand, Brücke- nächst mit ihrem Ende 1931 verstorbenen folgt zu werden. Museum, 1964 Schenkung vom Künstler Ehemann Alfred), Emigration 1939 nach Das Porträt von 1911 zeigt London. Die Kunsthistorikerin und Sammlerin Schmidt-Rottluffs Förderin und Rosa Schapire – bereits 1907 ein „passives“ Freundin Rosa Schapire. Im Kel- Ella (1891–1965) und Hans (1885–1949) Mitglied der Gruppe – war eine der enga- ler des zerstörten Wohnhauses Heymann, Berlin, sammelten Werke von giertesten Förderinnen der Brücke-Künstler. des Künstlers in Berlin über- Max Pechstein, Emigration 1936/37 nach Sie vermittelte die Werke der Brücke an stand es den Krieg unbeschadet. New York. Sammlungen, Galerien und Museen. Schmidt-Rottluff fand es dort Schapire gehörte zu den ersten Frauen, nach der Rückkehr ins zerstör- Ismar Littmann (1878–1934), Breslau, Jurist die in Deutschland promovierten, te Berlin im November 1946 vor. und Sammler, unter anderem von Max und setzte sich auch für Frauenrechte ein: Der Künstler hat das Werk nie Pechstein, Erich Heckel und Otto Mueller, Bereits 1897 veröffentlichte sie in den verkauft, 1964 gelangte es als Berufsverbot 1933, Suizid. Sozialistischen Monatsheften den Aufsatz Schenkung Schmidt-Rottluffs an „Ein Wort zur Frauenemanzipation“. das Brücke-Museum. Rosa Schapire (1874–1954), Hamburg, Kunsthistorikerin, Sammlerin, Förderin Ein Konvolut von Künstlerpostkarten zeugt und Freundin von Karl Schmidt-Rottluff, vom regelmäßigen Austausch zwischen Emigration 1939 nach London. ihr und den Brücke-Künstlern. Besonders

16 2 Karl Schmidt-Rottluff an Rosa Schapire, vermutlich aus dem Frühjahr 1915, schreibt 16.8.1939, Brücke-Museum, Karl und Emy er: „Meine Furcht vor dem Judentum war Pechsteins Schmidt-Rottluff Stiftung nur allzu begründet: hier in B[erlin] ist Im Brücke-Museum befinden sie bereits greifbar geworden. Diese Juden Situation sich mehrere Briefe von Karl hier tragen die große Überzeugung schon Schmidt-Rottluff an Rosa Scha- öffentlich mit sich herum, dass sie nach dem pire. Während sich die beiden Kriege auch politisch herrschen. Doch ich In zahlreichen Briefen formulierte Pech- nach 1945 intensiv schriftlich denke der deutsche Gott wird uns davor be- stein seine Ablehnung der nationalsozia- austauschten, sind aus den ers- wahren und es ihnen gründlich in die Bude listischen Rassenideologie, unter anderem ten Jahren nach Schapires Flucht schneien lassen.“ Vergleichbare Äußerun- gegenüber dem bereits 1932 in die USA nach London – zwischen 1939 bis gen aus späteren Jahren sind hingegen nicht ausgewanderten Kollegen . zum Kriegsende – lediglich fünf überliefert. Zwar hatte Pechstein auch Bekannte, die Briefe Schmidt-Rottluffs doku- den Nationalsozialismus positiv bewerte- mentiert. Auffällig ist an ihnen, Beide Briefe stammen aus dem Nachlass ten, so zum Beispiel der Kunsthistoriker wie zurückhaltend und allgemein des Schmidt-Rottluff Forschers Gerhard Eduard Plietzsch und dessen Frau Mica, sich der Künstler äußert, eventu- Wietek (1923–2012) und befinden sich heute die Patentante seines Sohns Mäki. Doch ell aus Sorge vor einer Kontrolle im Landesmuseum Oldenburg. Pechstein selbst stand dem NS-Regime der Inhalte. von Anfang an kritisch gegenüber. Schon 3 Rosa Schapire, Karl Schmidt-Rottluffs 1933 beklagte er den Fortzug zweier Graphisches Werk, Berlin 1924. befreundeter Sammler, die jüdisch waren. „Meine liebe Ro, Schapire verfasste 1924 das erste Im Frühjahr 1933 musste er sich darüber …von mir ist augenblicklich wenig zu berich- Werkverzeichnis zur Druckgraphik hinaus selbst gegen die Behauptung ten – der Sommer bleibt so verworren, wie das Schmidt-Rottluffs. Es ist bis wehren, Jude zu sein. Unter anderem hatte ganze Jahr angefangen hat – das Beste ist schon, heute ein wichtiges Nachschlage- Emil Nolde ihn bei einem Beamten im nichts zu unternehmen u. zu planen. Vielleicht werk zur Kunst Schmidt-Rottluffs. Propagandaministerium denunziert und sind wir noch bis Mitte Sept. hier, vielleicht auch Pechstein damit bereits früher als üblich nicht, so haben wir immer noch keinen rechten genötigt, seine „arische Abstammung“ Boden unter den Füßen.“ nachzuweisen.

Karl Schmidt-Rottluff an Rosa Schapire, Brief vom 16. August 1939 „Nun ist am vergangenen Sonnabend Freund Prof. Freundlich […] auch fort, er hat einen Ruf nach Istanbul. Freund Finckelstein ist jetzt in England, und übersiedelt im Neuen Jahr ganz. Mir wird immer greulicher zumute, ganz abge- Schmidt-Rottluffs sehen von den Anfechtungen, unter welchen ich antisemitische Äußerun- persönlich zu leiden habe.“ gen zu Beginn des Max Pechstein an den später selbst emigrierten Sammler Robert Langstadt, 2. November 1933 Ersten Weltkriegs

Karl Schmidt-Rottluffs Briefe geben nach „Na, schön, daß ich kein Jude bin, haben sie 1933 keinen Anlass zu der Annahme, dass inzwischen eingesehen. Wäre ich es, so würde er dem NS-Regime positiv gegenüberstand ich mir auch nichts daraus machen, für mich oder dass er antisemitisch eingestellt war. entscheidet der Mensch, und ich lasse mir meine Allerdings existieren einige Äußerungen jüdischen Freunde nicht nehmen, welche ich als von ihm aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, zuverlässig und gütig erkannt habe; im Gegen- die Inhalte der Kriegspropaganda rechter satz zu dem rein arischen Kunsthändler [gemeint Gruppen aufgreifen. Seine anti-engli- ist Wolfgang Gurlitt], welcher mich so skrupellos sche Haltung und die Überzeugung, dass um den Erlös meiner Hände Arbeit betrogen.“ der Krieg von einigen aus finanziellen Interessen geführt werde, waren darin Max Pechstein an den Schweizer Sammler eng verknüpft mit antisemitischen An- Walter Minnich, 13. November 1934 sichten. In einem undatierten Brief an den Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer Ende 1914 bezeichnet er das Judentum als Finanzmacht und die Sozialdemokratie als Agitationsmacht als „neue Gefahr im Lande“. Und in einem weiteren Schreiben,

17 1 Der Präsident der Reichskammer der oft Sehnsucht hinüber zu gehen ins Reich, bildenden Künste an Max Pechstein, aber ich bin doch nicht gesund genug dazu“, Rückzug 6.3.1941, Landesarchiv Berlin, A Rep. 243- so schilderte Kirchner seine Situation am 04, Nr. 6563, Personenakte Max Pechstein, 2. Februar 1935. Er hatte schon während ins Private Bl. 532 des Ersten Weltkrieges Deutschland in Pechsteins Korrespondenz mit der Richtung Schweiz verlassen und nahm nach Reichskammer der bildenden Küns- 1933 aus der Ferne Anteil am Geschehen Ende November 1936 schrieb Schmidt- te veranschaulicht, dass mit dem in Deutschland. Kirchners Empfindungen Rottluff dem Galeristen Ferdinand Möller: Fortschreiten des Zweiten Welt- gegenüber seinem Geburtsland und seiner „Sie kennen ja selbst die augenblickliche krieges der künstlerische Alltag neuen Heimat waren stets ambivalent. Situation, durch die wir unerwünschten selbst als Kammermitglied zuneh- Einerseits fühlte er sich in der Schweiz sehr Maler schon fast ganz in die Sphäre mend schwierig wurde. wohl und schloss bis Mitte der 1920er-Jahre des Privaten zurückgedrängt worden sind.“ aus, jemals wieder nach Deutschland Dieser Rückzug wurde – mit Blick auf 2 Weihnachtsfeier bei Eduard (Ede) und zurückzukehren. Andererseits blieb er als die Biografien der Künstler im National- Mica Plietzsch, mit Max Pechstein, seiner Deutscher in einer Außenseiterposition und sozialismus – nachträglich mitunter als Frau Marta und Sohn Mäki, um 1940, hatte zum Teil wohl auch unter Anfeindun- „innere Emigration“ bezeichnet und mittels Archiv Pechstein gen zu leiden, wie er im Januar 1938 schrieb: der Landschaftsgemälde der Brücke- Plietzsch war ab etwa 1939 als „Man macht mir den Vorwurf, ich sei zu Maler aus den Jahren nach 1933 illustriert. Experte für niederländische Male- deutsch gewesen, zu deutsch. Lächerlich. Ist Handelte es sich bei den monatelangen rei unter anderem an der Zusam- es denn eine Schande, deutsch zu sein? In Aufenthalten fernab von Berlin der jeweili- menstellung von geraubten und be- Deutschland bin ich geboren, bin bekannt gen Maler tatsächlich um eine Haltung, schlagnahmten Kunstwerken für das geworden, habe ich verkauft. Ich danke es die politisch motiviert war? Und bei den geplante „Führermuseum“ in Linz dem Lande nun, indem ich Deutscher blei- Aquarellen, die in diesen Perioden ent- sowie für Hermann Görings Privat- be.“ Die Diffamierung seiner Werke in der standen, zwangsläufig um ‚widerständige‘ sammlung beteiligt. Mit Pechstein Ausstellung Entartete Kunst traf ihn beson- Werke? blieb er auch während der NS-Zeit ders schwer, wenn man dem Brief, den seine gut befreundet. Nach seiner Rück- Frau Erna nach seinem Suizid am 15. Juni Bereits in den 1920er-Jahren galt das kehr ins zerstörte Berlin Ende 1938 verfasste, Glauben schenkt: „K. litt künstlerische Interesse der noch in Berlin September 1945 wohnte der Maler seelisch unsagbar unter der Diffamierung in lebenden Brücke- Maler – Heckel, Nolde, für mehrere Wochen beim Ehepaar Deutschland. Dazu kam, daß er auch hier in Pechstein oder Schmidt-Rottluff – weniger Plietzsch in der Meinekestraße. der Schweiz sich im luftleeren Raum fühl- der Stadt und dem modernen Leben te.“ Die Betroffenheit unter Künstler*innen als der Natur. Aufenthalte in der Provinz 3 Max Pechstein, Glückwunschschrei- und Sammler*innen – auch unter den ehe- während der Sommermonate waren ben für Mica Plietzsch, 19.2.1937, Stiftung maligen Brücke-Kollegen – war groß, als sie seit Beginn ihrer Karrieren von zentraler Historische Museen Hamburg, Altonaer von Kirchners Tod erfuhren. Der Großteil Bedeutung. Aus Briefen geht allerdings Museum für Kunst und Kulturgeschichte, von Kirchners Arbeiten aus den Schweizer hervor, dass es nach 1933 für die Künstler Foto: Archiv Pechstein Jahren verblieb nach seinem Tod zunächst besonders wohltuend war, den Berliner Die Ehefrau des Kunsthistori- in der Schweiz. Verhältnissen mit ihren vielfältigen Konflik- kers und Kunsthändlers Eduard ten zu entkommen. Der vorübergehende Plietzsch, die Patentante von Umzug aufs Land war eine Möglichkeit, Pechsteins Sohn, war eine be- sich räumlich und geistig zu distanzieren geisterte Nationalsozialistin. 1 Ernst Ludwig Kirchner, Schafherde, und auf die Arbeit zu konzentrieren. Bei diesem Doppelporträt, das als 1938, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum, Pechstein beschrieb in seinen Erinnerungen Glückwunsch an sie gerichtet war 1970 Schenkung von Karl Schmidt-Rottluff 1945/46, wie er sich in den Jahren des – das Pechstein selbst im Maler- Bei dem Werk handelt es sich um Nationalsozialismus „gleich einem wunden kittel und seinen zehnjährigen das letzte Gemälde Kirchners, das Tier in eine kleine Hütte an dem herrlichen Sohn in Hitlerjugend-Uniform zum Zeitpunkt seines Todes noch großen Koser See“ verkroch, „wo selbst zeigt – ist sie daher als Adres- auf der Staffelei gestanden haben ich mich nun fernab von allem zusammen- satin mitzudenken. soll. Im Bildhintergrund ist das raffen konnte.“ Wohnhaus des Künstlers auf dem Wildboden dargestellt. Ernst Ludwig Kirchner Max Pechstein an in der Schweiz der Ostsee

„Meine Frau war in Frankfurt und Berlin In seinen Memoiren beschrieb Pechstein vor Weihnachten. Sie hat viel Gutes gesehen 1945/46 seine ausgedehnten Aufenthalte vom neuen Reich. Es wird sich durchsetzen. in einer Hütte am Koser See als inneren Wir sind sehr einsam und allein hier jetzt. Rückzug vom politischen Geschehen; Fast alle Bekannten sind weg. Wir haben allerdings unternahm er keine Versuche,

18 sein künstlerisches Werk dieser Jahre als in Verbindung gebracht. Die in den Bildun- sem Motiv vom Lebasee scheint er politisch motiviert oder widerständig zu tertiteln vorgestellten Interpretationen aus dem verordneten Kunstgeschmack deuten. Anders als die Landschaftsdarstel- Katalogen der 1980er- und 1990er-Jahre un- ein ‚Trotzdem‘ entgegensetzen zu lungen von Schmidt-Rottluff, deren spätere terscheiden sich dabei von den Deutungsan- wollen.“ Interpretation eng mit dem Wissen um die sätzen, die in den Jahren zwischen 1933 und politische Unterdrückung verbunden war, 1937 kursierten. Während die rückblickende 5 Karl Schmidt-Rottluff, Brücke mit deuteten Kunsthistoriker*innen Pechsteins kunsthistorische Erzählung die Werke als Eisbrechern, 1934, Öl auf Leinwand, Gemälde nicht als ‚Metaphern des Wider- widerständig und politisch deutet, hoben Brücke-Museum, 1964 Schenkung vom stands‘. Dabei gibt es viele Parallelen in die pro-modernen Rezensent*innen in den Künstler der Auswahl ihrer künstlerischen Motive: ersten Jahren des Nationalsozialismus an Das hier gezeigte Bollwerk gegen Unabhängig voneinander verbrachten die den Werken dagegen vermeintlich „deut- die Elemente wurde als „Aus- beiden Maler fast jeden Sommer an den sche“ Eigenschaften hervor. Die Frage, druck des aktiven Widerstands“ Seen in der Nähe des Ostseebades Leba in inwiefern diese gegenläufigen Lesarten mit- interpretiert, so der Gründungs- Pommern. Kontakt hatten sie allerdings einander zu vereinbaren sind, führt zu einer direktor des Brücke-Museums, keinen: Wenn sie sich begegneten, mieden kritischen Reflektion über die Deutungen Leopold Reidemeister. Auch der sie einander. Das Gemälde Aufgezogene von Kunst, die immer abhängig vom Schmidt-Rottluff-Experte und Keitelkähne geht dagegen nicht auf Pech- jeweiligen Kontext sind. Freund Gunther Thiem beschrieb steins Zeit in Pommern, sondern auf seinen das Gemälde als „Metapher des Wi- letzten Aufenthalt in Nidden auf der Kuri- derstands“. schen Nehrung zurück. Möglich geworden war die Reise im Sommer 1939 – die erste 1 Karl Schmidt-Rottluff, Heiliger See, nach knapp zwei Jahrzehnten – durch die 1936, Aquarell und Tusche, Brücke-Muse- Wiedereingliederung des von Litauenan- um, Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung nektierten Memel-Gebietes in das Deutsche Zum motivähnlichen Werk Lebasee Reich im März 1939. mit Revekol im Museum Folkwang in Essen schrieb Gunther Thiem 1989: „Es ist auch ein Spiegel der in- Erich Heckel am neren Verfassung des Künstlers: Ruhe vor dem Sturm der Provokati- Bodensee onen des ‚Zeitgeistes‘, die 1937 vollends ausbrachen.“ Nachdem Heckels Atelier ausgebombt worden war, zog er 1943 an den Bodensee. 2 Karl Schmidt-Rottluff, Mondlicht, 19 3 8 , Anders als Schmidt-Rottluff und Pechstein Aquarell und Tusche, Brücke-Museum, kehrte er nach Kriegsende nicht wieder 1975 Schenkung vom Künstler nach Berlin zurück, sondern blieb bis zu Gunther Thiem stellte 1989 fest: seinem Tod 1970 in Hemmenhofen. Die „So ist das Aquarell ein Bild Gegend dort hatte er schon 1935 anlässlich nächtlichen Friedens, während das eines Besuchs bei seinem Bekannten, dem Gemälde die Bedrohlichkeit der Kunsthistoriker Walter Kaesbach, erkun- Nacht spüren lässt. In das Motiv det. Ab September 1936 hielt er sich dann hat sich dort (1938) ein Lebens- für zwei Monate in Wangen am Untersee gefühl verlagert.“ auf. Zu dieser Zeit entstanden die hier vor- gestellten Werke. Sie geben einen Eindruck 3 Karl Schmidt-Rottluff, Entwurzelte von seiner an der Natur orientierten und Bäume, 1934, Öl auf Leinwand, Brücke-Mu- in den Farben zurückhaltenden Ästhetik. seum, 1985 erworben von der Karl und Landschaftsdarstellungen entstanden auch Emy Schmidt-Rottluff Stiftung während Heckels jährlicher Aufenthalte Zu diesem Gemälde stellte Leopold an der Flensburger Förde bis 1943 und in Reidemeister 1984 die rhetorische Österreich 1940 bis 1943. Frage: „Sind ‚Entwurzelte Bäume‘ von 1934 symbolisch gemeint? Ist er es selbst, der sich entwurzelt Karl Schmidt-Rottluffs fühlt?“

Pommern-Aufenthalte 4 Karl Schmidt-Rottluff, Fischerbucht, 1937, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum, Schmidt-Rottluffs Werke wurden nach 1933 Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung wiederholt mit seiner inneren Distanz zum Anlässlich einer Schmidt-Rott- Regime, der Verfemung seiner Werke und luff-Retrospektive 1992/93 hieß dem erteilten Berufsverbot vom April 1941 es über das Gemälde: „Mit die-

19 den zum Zuständigkeitsbereich meiner Karl Schmidt-Rottluff Schmidt-Rottluffs Kammer gehörigen Gebieten zu betätigen.“ Nach der Prüfung einer Auswahl aktuel- in Kreisau Situation in den ler Werke musste Schmidt-Rottluff (wie übrigens auch Emil Nolde) im April 1941 Im September 1942 wurde Schmidt-Rott- 1940er-Jahren sein Mitgliedsbuch abgeben. Für Pechstein luff von dem Juristen Helmuth James von fiel die Prüfung dagegen positiv aus: Er ver- Moltke und seiner Frau Freya von Moltke blieb weiterhin in der Reichskunstkammer, auf deren Landgut Kreisau in Schlesien Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auch wenn dies seine schlechte finanzielle eingeladen. Zwei Wochen lang malte er hier änderten sich die Bedingungen für Situation kaum positiv beeinflusste. im Auftrag seiner Gastgeber Aquarelle der die künstlerische Praxis grundlegend: Kreisauer Landschaft. Die Werke sollten Viele Materialien wurden zunehmend dem Ehepaar als Erinnerung dienen, denn Mangelware und waren schließlich Helmuth James von Moltke war sich bereits nur noch über Bezugsscheine erhältlich. 1 Karl Schmidt-Rottluff, Paprikaschoten, zu diesem Zeitpunkt sicher: Deutschland Verstärkt prägte das Kriegsgeschehen um 1940, Tusche und Farbkreide, würde den Krieg und als Folge davon den Alltag in Berlin. Nach 1943 kam die Brücke-Museum, Karl und Emy Schmidt- die östlichen Provinzen verlieren und sie Angst vor nächtlichen Bombenangriffen Rottluff Stiftung würden Kreisau verlassen müssen. Das dazu, schließlich die Zerstörung der Gut der Familie von Moltke war ab 1942 Wohnungen und Ateliers. Schmidt-Rottluff Karl Schmidt-Rottluff,Zwiebeln , um 1940, das Zentrum des Kreisauer Kreises, einer wurde im April 1941 ein Berufsverbot Tusche und Farbkreide, Brücke-Museum, Widerstandsverbindung gegen die NS-Dik- erteilt, das ihn in der Ausübung seines Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung tatur. Schmidt-Rottluff war sich dessen Künstlertums stark beeinträchtigte: Ohne nicht bewusst. Freya von Moltke erinnerte die offizielle Genehmigung, Werke zu Das Malen mit trockenen Farben sich später: „Er kannte natürlich unsere verkaufen, schrumpften seine ohnehin erlangte für Schmidt-Rottluff zu oppositionelle Haltung gegen die Nazi Dik- geringen Einkünfte weiter. Malmaterialien Beginn der 1940er Jahre zentrale tatur und teilte sie. Aber er wusste nichts durfte er, da er ohne Kammer-Mitglied- Bedeutung. Durch kriegsbedingte von meines Mannes politischen Aktivi- schaft keinen Anspruch auf Bezugsschei- Materialknappheit und schließlich täten“. In Folge seines Besuchs beschloss ne hatte, nicht mehr beziehen. „Mit aufgrund des Berufsverbots ab Schmidt-Rottluff, zwei Kisten mit seinen dem Material wird es auch immer brenz- Frühjahr 1941 entstanden bis frühen Gemälden auf dem Gut Kreisau licher, so daß man zum Verschwenden 1945 wohl keine neuen Ölgemälde. auszulagern. Schlesien war bis 1944 noch und Drauflosarbeiten sowieso schon Stattdessen realisierte nicht von Bombenangriffen bedroht und keinen rechten Mumm hat“, schrieb der Schmidt-Rottluff seine Motive in so hoffte der Künstler, dass seine Werke Künstler im Juli 1942. Das Ausstellen, zartfarbigem Pastell. Diese Tech- dort den Krieg überstehen würden. Umso Veröffentlichen und Verkaufen war ihm nik erwies sich geradezu als ide- enttäuschter war er, als er später von ihrem untersagt. Einige Quellen belegen, al für die künstlerische Arbeit Verlust erfuhr. Laut Freya von Moltke dass er sich allerdings nicht vollends an in der Krisenzeit: geringer Ma- wurden die Bilder im Zuge der sowjetischen das Verkaufsverbot hielt. Es ist nur terialaufwand und als Kleinformat Besetzung des Landguts nach Kriegsende wenig darüber bekannt, wie genau die platzsparend. Die Farbkreideblät- zerstört. Helmuth James von Moltke wurde Einhaltung der Auflagen von der Reichs- ter, die bisher eher niedriger am 19. Januar 1944 vom Sicherheitsdienst kunstkammer kontrolliert wurde. als Gemälde bewertet wurden, er- der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Am hielten in der Zeit der Diffamie- 23. Januar 1945 wurde er im Strafgefängnis rung von Schmidt-Rottluffs Werk Berlin-Plötzensee hingerichtet. einen höheren Wert. In Anlehnung Die Verhängung an den Mythos der „Ungemalten Bilder“ Noldes, die angeblich von Berufsverboten im Verborgenen entstanden, ist „… ich habe mein ganzes Leben lang, schon in später von dem Kunsthistoriker der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Das Jahr 1941 wurde für Schmidt-Rottluff Gunther Thiem für diese Pastelle Gewalt, der Überheblichkeit und der mangeln- zum Wendepunkt: Die Reichskammer der Schmidt-Rottluffs ebenfalls der den Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und bildenden Künste vollzog eine erneute Mit- Begriff der „Ungemalten Bilder“ des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten gliedsprüfung. Die Prüfung der fachlichen geprägt worden: ungemalt auch angekämpft, der in den Deutschen steckt und der und politischen Eignung erfolgte unter deshalb, weil er etliche seiner seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Berufung auf das Reichskulturkammer- in Pastell gemalten Motive später Staat gefunden hat.“ gesetz vom 1. November 1933. In einem noch einmal in Öl ausführte. Schreiben an das Reichssicherheitshauptamt Helmuth James Graf von Moltke, vom 7. März 1941 erklärte der Präsident der Abschiedsbrief an die Söhne Caspar und Konrad, Reichskammer der bildenden Künste die 11. Oktober 194 4 Konsequenzen einer negativen Prüfung: „In diesem Falle würde die oben genannte Person nicht mehr berechtigt sein, sich auf

20 1 Auslagerungsliste von Max Pechstein, Kriegsjahre August 1943, Werkstattbuch, Privatbesitz Die Zeit nach Ab 1943 versuchte Pechstein seine 1939–1945 Werke in Sicherheit zu bringen. dem Krieg Er lagerte kistenweise Ölgemäl- de und Arbeiten auf Papier aus Mit den ab 1943 beginnenden Bombardie- seinem Wohnhaus aus, einige über- Anfang Mai 1945 endete der Zweite Welt- rungen und Zerstörungen der Wohnungen standen den Krieg, andere wurden krieg in Europa mit der bedingungslosen und Ateliers übersiedelten die ehemaligen zerstört. Ein Konvolut von 3.400 Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Brücke-Künstler dauerhaft aufs Land: Zeichnungen und Aquarellen sowie Die Nachkriegsjahre wurden von einer Heckel zog an den Bodensee, Schmidt- 59 Gemälden, das er im Juni 1943 Allianz der Siegermächte Sowjetunion, Rottluff in sein Heimatdorf Rottluff in zu Prinz Ernst Heinrich von Sach- USA, Großbritannien und Frankreich Sachsen, Pechstein ins pommersche Leba. sen ins Schloss Moritzburg bei bestimmt, die mit Hilfe von Militärregierun- Kirchner war bereits 1918 in die Schweiz Dresden schicken ließ, wurde kurz gen die oberste Staatsgewalt ausübten. ausgewandert. nach Kriegsende von der Roten Entsprechend war Deutschland in Armee fast komplett vernichtet. vier Besatzungszonen und Berlin in vier „Wohnung und Ateliersind am 30.1. abends In der Nacht zum 23. November Sektoren aufgeteilt. Der Krieg und die restlos ausgebrannt. Als wir nach dem sehr 1943 wurde auch Pechsteins Ate- rigide NS-Kunstpolitik hatten das frühere schweren Angriff endlich hinaufgehen konnten, lier durch Bomben stark beschä- Leben der Brücke-Künstler stark verän- war an Retten nicht mehr zu denken. Es gelang digt – nach der Zerstörung seiner dert. Die Spuren, die sie in der Weimarer mit äußerster Anstrengung das Haus, damit auch Wohnung siedelte der Künstler im Republik hinterlassen hatten, waren die Keller, bis zum 3. Stock zu halten, bis gegen März 1944 nach Pommern um. verwischt, die Bestände ihrer Werke aus 7 Uhr morgens Feuerwache kam. ... Da am 30. öffentlichen Institutionen entfernt, sehr nahe von uns Sprengbomben und Luftmi- 2 Der Landesleiter der Reichskammer ihre Wohnungen samt Ateliers und Bildern nen herunterkamen, können wir wiederum uns der bildenden Künste, Bescheinigung für zerbombt. Die Hälfte der Bausubstanz glücklich schätzen, noch zu leben.“ Erich Heckel, 6.6.1944/31.7.1944, Landes- war während der alliierten Luftangriffe auf archiv Berlin, A Rep. 243-04, Nr. 3154, Deutschland zerstört worden. In Berlin Erich Heckel an den Sammler Klaus Gebhard, Personenakte Erich Heckel war sogar nur ein Viertel der Wohnungen 4. Februar 1944 Mit seinem Umzug an den Bodensee unbeschädigt geblieben. Als Pechstein verabschiedete sich der Künstler im September 1945 in die Stadt zurückkehrte, „Seit 4 Wochen hausen wir ohne Licht, Gas, dauerhaft vom politischen Zent- fand er eine Ruinenlandschaft vor. Sein Wasser … in einem Ruinenhaus mitten in einem rum Deutschlands. Heckels „inne- Atelierhaus in der Kurfürstenstraße war Ruinentrümmerfeld, welches uns am 22. und re Emigration“, von der in der zerstört. Karl und Emy Schmidt-Rottluff 23. 2 Angriffe bescherte. Eine etwas verfrühte Literatur oft die Rede ist, war kehrten im November 1946 nach Berlin Weihnachtsbescherung, aber dafür brauchen damit – zumindest ab 1944 – eine zurück. Erst im März 1947 erhielten sie wir jetzt auch keine andere mehr. Es war alles Konsequenz aus der Zerstörung Zugang zum Keller ihrer alten Wohnung da, Flammenorkane, krachende zersplitternde seiner Berliner Arbeitsstätte. in der Bamberger Straße, wo sich unverhofft Bomben, Aschen und Funkenregen mit Sauer- Unterstützung erfuhr er bei sei- zahlreiche Werke unbeschädigt wieder- stoffmangel. Die Frauen trieb ich aus dem Keller nem Umzug immerhin von der Lan- fanden. Darunter waren Skulpturen, die sich durch die Flammen, bevor sie mir ganz zusam- desleitung der Reichskammer der heute im Brücke-Museum befinden, menklappten, 13 Stunden war ich … unterwegs bildenden Künste. Diese stellte wie etwa Blauroter Kopf. Anders als das Brandbomben zu löschen, früh ½ 10 Uhr brachte Heckel eine Bescheinigung über Ehepaar Schmidt-Rottluff und Pechstein, man mich zum Augenarzt da ich nichts mehr seine Ausbombung aus, verbunden die nach Berlin zurückkehrten, blieben sah. Den Brand unseres Atelierhauses konnte mit der Bitte, ihm bei seiner Erich und Siddi Heckel am Bodensee, ich verhüten, die Sprengbombe jedoch nicht auf- Suche behilflich zu sein. wohin sie vor der Bombardierung im Mai halten. Jedoch leben wir noch, und dies ist schon 1944 geflüchtet waren. ein Wunder!“

Max Pechstein an seinen Jugendfreund, den Maler Alexander Gerbig, 22. Dezember 1943 1 Max Pechstein, Zerstörtes Berlin IV, III, II, VI, VII, 1945, Bleistift, Privatbesitz „Wir haben inzwischen eine neue Katastrophe In mehreren Zeichnungen hielt beschert bekommen – unsere Berliner Wohnung Pechstein das Ausmaß der Zerstö- ist restlos vernichtet. Alles verbrannt. Der Keller rung fest. soll intakt sein. Näheres wissen wir noch nicht.“

Karl Schmidt-Rottluff an den Museumsleiter Friedrich Schreiber-Weigand, aus Leba / Pommern nach Chemnitz, 27. August 1943

21 2 Karl Schmidt-Rottluff, Straße 4 Erich Heckel, Stilleben mit Ikat, 19 4 9, im Morgenlicht, 1945 (1948), Aquarell Tempera auf Pressplatte, Brücke-Museum, und Tusche, Brücke-Museum, 1964 Dauerleihgabe aus dem Nachlass Erich Schenkung vom Künstler Heckel Im Januar 1944 wurde Heckels Karl Schmidt-Rottluff,Demolierte Fabrik Atelier in der Emser Straße in (Demontierte Fabrik), 1945 (1948), Aquarell Berlin durch eine Brandbombe zer- und Tusche, Brücke-Museum, 1975 Schen- stört. Auf dem Gemälde Stilleben kung vom Künstler mit Ikat versammelt der Künst- ler persönliche Objekte, die den 1948 konnte Schmidt-Rottluff Krieg überstanden haben. seine Schülerin Erika Bausch von Hornstein in Neu Kaliß besuchen. In der Papierfabrik ihres Ehe- mannes Viktor Bausch hatte sie 60 Aquarelle ihres Lehrers in den Maschinenfundamenten ver- steckt. Kurz bevor die Rote Armee 1946 die Fabrik für den Abtransport in die Sowjetunion zerlegte, konnte sie die Werke retten. Während seines Besuchs malte Schmidt-Rottluff zahlrei- che Aquarelle von den bröckelnden Fassaden der Fabrikgebäude. Die Ruinenlandschaften stellten ein neues Genre dar, sowohl im Werk von Schmidt-Rottluff als auch in der Arbeit seines ehemaligen Brücke-Kollegen Pechstein.

3 Karl Schmidt-Rottluff, Blauroter Kopf (Panischer Schrecken), 1917, Fichtenholz, blau-rot getönt, Brücke-Museum, 1971 Schenkung vom Künstler Im April 1947 konnte Schmidt- Rottluff seine Skulpturen Blauroter Kopf und Trauernder zusammen mit anderen Holzfiguren unverhoffter Weise heil aus dem Keller seines abgebrannten Berliner Wohnhauses in der Bamberger Straße 19 bergen.

„Daß wir beim Sichten und Räumen des Kellers Bamberger Straße sind, schrieb Karl wohl, es war seltsam, die verloren geglaubten Bilder wiederzu- sehen, besonders die von den Wänden des Wohn- zimmers und Karls Plastiken. Die Teppiche lagen wirklich in ihren Hüllen noch da und ein Teil der Kisten war noch geschlossen. So hoffen wir noch einige Entdeckungen zu machen.“

Emy Schmidt-Rottluff an Rosa Schapire, 30. März 1947

22 Dennoch wurden zahlreiche seiner Arbei- Kunsthaus Politisierung von ten 1937 aus öffentlichen Institutionen beschlagnahmt. Als neuer Direktor bot er Dahlem Kunst und Kultur Pechstein, Schmidt- Rottluff und Heckel Lehrstellen für Freie Malerei an. Pechstein Fortsetzung / nach 1945 und Schmidt-Rottluff sagten zu, Heckel da- Teil 2 im Kunsthaus Dahlem gegen beobachtete die eng mit aktuellen politischen Interessen verbundene Aus- Nach Ende des Zweiten Weltkrieges richtung der neu gegründeten West-Berli- Vor dem Hintergrund seiner Geschichte standen Kunstschaffende vor großen ner Hochschule skeptisch; 1949 übernahm eignet sich das Kunsthaus Dahlem als Herausforderungen: Deutschland war in er ein Lehramt an der Hochschule für Ort für den zweiten Teil der Ausstellung vier Zonen aufgeteilt und mit dem Wieder- Bildende Künste in Karlsruhe. Flucht in die Bilder? in besonderem Maße: aufbau sowie der Entnazifizierung der Das Gebäude wurde von 1939 bis 1942 Bevölkerung unter Steuerung der Alliierten von dem Architekten Hans Freese unter der beschäftigt. Die Besatzungsmächte „Im Januar war Prof. Ehmsen, der Stellvertreter Gesamtbauleitung des NS-Architekten maßen der Kultur einen hohen Stellenwert Hofers, hier. Er versuchte, mich zu bestimmen, und Reichsministers für Bewaffnung im Rahmen ihrer Liberalisierungs- und in Berlin ein Amt anzunehmen. Aber wenn auch und Munition Albert Speer für den Bildhauer Demokratisierungsstrategien zu. Entspre- mein Arbeitsraum hier nicht ideal ist und nun Arno Breker als Atelier im Rahmen einer chend schnell erwachte überall im Land schon viele Wochen unbenutzbar war, so ist doch Gesamtplanung von Staatsateliers gebaut. die Kunstszene zu neuem Leben. Bereits die persönliche Freiheit mir zu wertvoll um sie 1945 nutzten es für kurze Zeit sowjetische wenige Wochen nach der Kapitulation aufzugeben.“ Truppen, danach war es Sitz der amerika- fanden erste Ausstellungen statt, häufig nischen Militärverwaltung. Ein Jahr mit Werken der ehemaligen Brücke-Künst- Erich Heckel an den Sammler Klaus Gebhardt, später wurde das Gebäude an das Land ler. Ziel der ‚Re-education‘ durch die 24. Februar 1947 Berlin übergeben. 1949 zog der Bildhauer Alliierten war es, das Hitler-Regime durch Bernhard Heiliger in den Ostflügel die Rehabilitierung der von den National- des Gebäudes; er lebte und arbeitete sozialisten aus der Öffentlichkeit gedräng- 1 Max Pechstein mit dem Kunsthistoriker dort bis zu seinem Tod 1995. Seit Beginn ten Künstler*innen zu überwinden. Noch Adolf Jannasch, 1.1.1947, Foto: Charlotte der 1970er Jahre nutzte der Deutsche bevor sich Erich Heckel, Max Pechstein Willot © ullstein bild Akademische Austauschdienst das und Karl Schmidt-Rottluff positionieren Jannasch war nicht nur Autor Gebäude zur Unterbringung der Künstler- konnten, wurden sie als Helden des NS- zahlreicher Beiträge in Kunst- stipendiaten*innen. Widerstands gefeiert, selbst das ehemalige zeitschriften der Nachkriegszeit, Parteimitglied Emil Nolde. sondern in seiner Rolle als Lei- Im Juni 2015 eröffnete das Kunsthaus ter des Amtes für Bildende Kunst Dahlem mit dem Fokus auf Nachkriegsmo- Die Künstler waren mittlerweile älter als beim Magistrat bzw. beim Senat derne und Bildhauerei. 60 Jahre; keiner von ihnen dachte an einen von Berlin maßgeblich an der In- radikalen Neuanfang. Sie richteten sich stitutionalisierung des Expres- in der ihnen zugeschriebenen Opferrolle sionismus ab 1945 beteiligt. 1955 ein und erlebten die Kanonisierung ihres wurde er zum Leiter der Galerie Lebenswerkes als Beitrag zur internationa- des 20. Jahrhunderts ernannt. len Moderne mit. Eine kritische Reflexion über ihr Selbstverständnis als spezifisch „deutsche“ Künstler oder Versuche, sich von ihrem früheren Bemühen um offizielle Anerkennung im NS-Regime zu distanzie- ren, fanden dagegen nicht statt. Als Prota- gonisten der Erinnerungspolitik wurde die Wahrnehmung der Brücke-Künstler und ihrer Kunst nun eng mit dem Narrativ der Verfemung verknüpft.

Im Juli 19 45 übertrug die sowjetische Mili- täradministration Karl Hofer das Direktoren- amt der neu aufzubauenden Hochschule für bildende Künste in Berlin. Der Maler hatte sich vor 19 33 klar gegen die NSDAP aus- gesprochen, kam der NS-Kunstpolitik mit ihrer völkischen Ausrichtung und der Forde- rung nach einer vom Wesen her geprägten „deutschen Stilart“ aber durchaus nah.

23 April–Mai Wilmersdorfer Kunst- Juli–August Max Pechstein, Kunst- ausstellung Auf befreiten Schwin- Städtisches Museum Zwickau, gen… Malerei, Graphik, Plastik. Zwickau ausstellungen Amt für Bildende Kunst, Kultur- bund zur demokratischen Erneue- November Erich Heckel. Werke 1945–1949 rung Deutschlands, Berlin [Grup- aus 4 Jahrzehnten, Galerie der penausstellung, u.a. Pechstein] Jugend, Hamburg Eine Auswahl Mai–Juni I. Deutsche Kunstaus- 1945 stellung der Deutschen Zentral- 1948 verwaltung für Volksbildung in Juli–August 1. Ausstellung der der Sowjetischen Besatzungszone, Februar Erich Heckel. Werke aus Kammer der Kunstschaffenden, Zeughaus, Berlin [Gruppenausstel- 4 Jahrzehnten, Kunstverein Köln Berlin [Gruppenausstellung, u.a. lung, u.a. Pechstein] Heckel, Kirchner, Mueller, April Erich Heckel. Kaiser- Pechstein, Schmidt-Rottluff] August Freie Deutsche Kunst, Wilhelm-Museum, Krefeld Karl-Marx-Haus, Neuruppin, Amt August–September Ausstellung für Volksbildung und Galerie Mai–Juni Karl Schmidt-Rottluff. junger Kunst, Galerie Gerd Rosen, Ferdinand Möller [Gruppenaus- Aquarelle, Haus am Waldsee, Berlin [Gruppenausstellung, u.a. stellung, u.a. Schmidt-Rottluff, Berlin Heckel, Kirchner, Mueller, Nolde, Kirchner, Heckel, Mueller, Schmidt-Rottluff] Pechstein] September–November Sammlung Hagemann, Städelsches Kunstins- Oktober–November Deutsche Kunst August–Oktober Allgemeine titut, Frankfurt [Gruppenausstel- unserer Zeit, Städtisches Museum, Deutsche Kunstausstellung, lung, u.a. Heckel] Überlingen [Gruppenausstellung, Stadthalle,Dresden [Gruppenaus- u.a. Heckel, Kirchner, Mueller, stellung, u.a. Heckel, Kirchner, Winter Erich Heckel, Emil Nolde, Nolde, Schmidt-Rottluff] Schmidt-Rottluff, Mueller, Pechstein] und Karl Schmidt-Rottluff, Museum Folk- Dezember 1945–Januar 1946 September Karl Schmidt-Rott- wang, Essen [Gruppenausstellung, Ausstellung bildender Künst- luff. 50 Aquarelle aus den Jahren u.a. Heckel, Nolde, Schmidt- ler, veranstaltet vom Kulturbund 1943–1946, Städtische Kunstsamm- Rottluff] zur demokratischen Erneuerung lung zu Chemnitz, Schlossberg- Deutschlands mit Unterstützung Museum, Chemnitz der Kammer der Kunstschaffenden, 1949 Berlin [Gruppenausstellung, Dezember Wiedersehen mit Muse- u.a. Pechstein] umsgut, Erste Schau seit 1940 aus Mai–Juli Deutsche Malerei und Beständen der Berliner Kunstmuse- Plastik der Gegenwart, Staaten- Dezember 1945–Januar 1946 en, Schlossmuseum, Berlin [Grup- haus, Köln [Gruppenausstellung, Ausstellung Berliner Künstler, penausstellung, u.a. Kirchner, u.a. Heckel, Pechstein] Staatsoper/Admiralspalast, Heckel, Mueller, Pechstein] Berlin, veranstaltet vom Magist- Juni–Juli Berliner Neue Gruppe. rat Berlin, Amt für Volksbildung Ende 1946/Anfang 1947 Sammlung Erste Ausstellung, Kunstamt [Gruppenausstellung, u.a. Haubrich, Museen der Stadt Köln Zehlendorf, Haus am Waldsee, Pechstein] in der alten Universität, Köln Berlin [Gruppenausstellung, u.a. [Gruppenausstellung, u.a. Heckel, Pechstein, Schmidt-Rottluff] Pechstein] 1946 Juli–September Moderne Abteilung (Sammlung Haubrich), Kunstsamm- Februar–März Max Pechstein, 1947 lungen der Stadt Düsseldorf Staatsoper/Admiralspalast, und Wallraf-Richartz-Museum, Berlin, veranstaltet vom Magis- Mai Moderne deutsche Kunst, Köln [Gruppenausstellung, u.a. trat der Stadt Berlin, Abteilung Kunstgebäude, Tübingen [Gruppen- Pechstein] Volksbildung (März–April 1946: ausstellung, u.a. Heckel, Pech- Bezirksamt Wedding) stein]

März Befreite Kunst, Schlöss- Mai–Juni Expressionistische chen, Celle, [Gruppenausstellung, Malerei, Städtisches Museum, u.a. Heckel, Nolde, Pechstein, Wuppertal [Gruppenausstellung, Schmidt-Rottluff] u.a. Heckel]

24 2 „Die erste Kunstausstellung der „Jene Sonne dort scheint mir das Urbild aller Kammer“, in: Berliner Zeitung, 28.7.1945, Karl Schmidt- Sonnen, die je über dieser Erde leuchteten. Sie bpk / Staatsbibliothek zu Berlin – SPK, steht über einer Landschaft, die vor Jahrmillio- Zeitungsabteilung © DuMont Medien- Rottluff- nen schon ebenso ausgesehen haben mag. gruppe GmbH & Co. KG Sie erweckt in uns nicht die Erinnerung an einen In Berlin war die Kapitulation Ausstellung Sonntagsspaziergang, sondern sie zwingt uns, bereits am 2. Mai 1945 von der das Landschaftsgefühl an sich in unser Bewußt- Roten Armee eingefordert worden. in Chemnitz sein aufsteigenzu lassen.“ In der Folge übernahm die sowje- tische Besatzungsmacht den Wie- 1946 Otto Jäger, Maler und Sammler aus Chemnitz, deraufbau der Verwaltung. Am 6. im Ausstellungskatalog von 1946 Juni 1945 errichtete sie die Kam- mer der Kunstschaffenden. Dabei 1933 war in Chemnitz eine der ersten „Es ist in der Kunst wie mit der Landwirtschaft; handelte es sich um die künfti- diffamierenden Ausstellungen mit Werken der Bauer bearbeitet seinen Acker jedes Jahr mit ge Berufsvertretung für aktive der Brücke-Künstler gezeigt worden. Die derselben Sorgfalt; wie die Ernte gerät, das liegt Künstler*innen als nachfolgendes nach 1945 neu eingesetzte Kulturbehörde nicht allein in seiner Hand. In der Kunst muss Organ der nationalsozialistischen der Stadt beeilte sich jetzt, ihre NS-Ver- ebenso ehrlich und anständig gearbeitet werden.“ Reichskulturkammer. Ihre Haupt- gangenheit zu tilgen. In der Sowjetischen aufgabe unterschied sich kaum Besatzungszone spielte die kulturpoliti- Karl Schmidt-Rottluff, Wege und Aufgaben der von der NS-Organisation: Auch sie sche Bildungsarbeit zur Entnazifizierung deutschen Kunst, 1946 sollte die Entfaltung der Kunst unter sozialistischer Maxime eine zentrale im Hinblick auf die geistige und Rolle. Schmidt-Rottluff, der gemeinsam mit politischeAusrichtung lenken und Heckel in Chemnitz zur Schule gegangen kontrollieren. Bereits im Sommer war, wurde als Widerständler hofiert. 1945 organisierte sie die erste Er erhielt die Präsidentschaft der lokalen Verluste und Ausstellung, u.a. mit Werken Abteilung des Kulturbunds zur demokra- von Heckel, Kirchner, Mueller, tischen Erneuerung Deutschlands und Neuschöpfungen Pechstein und Schmidt-Rottluff. wurde zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Auch wenn ihre Werke nun offiziell Im Herbst 1946 ermöglichte man ihm im anerkannt und positiv be- Schlossberg-Museum eine umfangreiche Das, was heute von den Werken der Brücke- urteilt wurden, dauerte die poli- Einzelausstellung mit 50 Aquarellen der Künstler bekannt ist, stellt nur einen Teil tische Instrumentalisierung letzten drei Jahre. Schmidt-Rottluff konnte ihres eigentlichen Oeuvres dar. Heckel, ihrer Kunst an. sie gemeinsam mit dem 1933 entlassenen Pechstein und Schmidt-Rottluff verloren und nun wieder eingestellten Direktor der beim Brand ihrer Berliner Wohnungen 3 Erich Heckel, Blick von der Wasser- Städtischen Kunstsammlung, Friedrich samt Ateliers 1943/44 zahlreiche Werke, kuppe, 1934, Aquarell und Farbkreiden, Schreiber-Weigand, realisieren. Bewusst Korrespondenzen, Kataloge und Fotos Brücke-Museum, 1970 Schenkung von versuchte der Künstler durch seine Land- ihres Schaffens. Daher gehörte die Suche Siddi Heckel schaftsdarstellungen der Region, alle nach ihren Werken zu den ersten Aktivitäten, Das Aquarell Blick von der Was- Bevölkerungskreise im Sinne der sozialisti- die noch jahrelang andauerte. Häufig serkuppe wurde vom 3. Bis 17. schen Idee anzusprechen. mussten sie feststellen, dass zentrale Wer- August 1946 in der Ausstellung ke zerstört worden waren. Frühere Motive Freie Deutsche Kunst im Karl- und Darstellungen wiederaufzunehmen Marx-Haus in Neuruppin gezeigt. oder nachzumalen, war ein Versuch, die Das Amt für Volksbildung Neurup- 4 Karl Schmidt-Rottluff, Augustmor- Verluste künstlerisch zu verarbeiten. pin und der Galerist Ferdinand gensonne, 1944, Aquarell und Tusche, Möller hatten die Ausstellung Brücke-Museum, 1975 Schenkung vom veranstaltet. Künstler „Junge, Junge, was habe ich nicht Alles an Karl Schmidt-Rottluff, Mühle im eigenen Arbeiten verloren. Jetzt, da ich dabei bin, Striegistal, um 1944, Aquarell die wenigen geretteten Arbeiten für eine Februar und Tusche, Brücke-Museum, Karl Ausstellung zu sichten, merke ich erst, was alles und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung fehlt. Ganze Jahrgänge sind verschwunden. Die Die beiden Aquarelle wurden in wichtigsten Gemälde sowieso …. Auf Schloß der Ausstellung Karl Schmidt- Moritzburg hatte ich außer 59 Gemälden, 76 Rottluff. Aquarelle aus den Jah- Aquarellen mein gesamtes Lebenswerk an Zeich- ren 1943–1946 in der Städtischen nungen verlagert. 3.400 Blatt, insgesamt hat man Kunstsammlung zu Chemnitz im 120 Blatt gerettet!!! Wenig, am wenigsten, noch Schlossberg-Museum gezeigt. weniger.“

Max Pechstein an den Schriftsteller Herbert Eulenberg, 20. Januar 1946

25 5 Max Pechstein, Gelbe Tulpen, 19 09, die schon Kirchner 1925 für sein Öl auf Leinwand, Verbleib unbekannt, Museale Konzepte Gemälde Eine Künstlergemeinschaft Foto: Archiv Pechstein (Die Maler der Brücke) ausgewählt Das Gemälde Gelbe Tulpen von des Wiederaufbaus hatte. 1909 gehörte dem Berliner Ver- sicherungskaufmann Hans Heymann, Auch wenn die Alliierten schnell tempo- 7 Karl Schmidt-Rottluff,Blockadestilleben , dessen Sammlung 1941 von den räre Ausstellungen realisierten, benötigte 1948, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum, Nationalsozialisten beschlag- der Wiederaufbau von Sammlungen mo- Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung nahmt wurde. Im Jahr 1948 malte derner Kunst in Museen wesentlich mehr Vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai Pechstein eine Serie von neun Zeit und Engagement. In der Sowjetischen 1949 fand die sogenannte Ber- Sonnenblumenvasen, die dieser Besatzungszone ergingen offizielle Befehle lin-Blockade (von Berlin-West) frühen Darstellung in der Kom- zur Instandsetzung der Kunstmuseen. durch die Sowjetunion statt. In position sehr nahekommen. Durch Frühe Beispiele gab es daher vor allem ihrer isolierten Position ver- das erneute Aufgreifen einer ihm in den östlichen Gebieten Deutschlands. lor die Stadt den direkten und wichtigen Inspirationsquelle der Das änderte sich, als 1946 der Rechts- kontinuierlichen Austausch mit frühen Brücke-Zeit, schien sich anwalt Josef Haubrich seine Sammlung den neuesten Kunstentwicklungen Pechstein seiner selbst neu ver- expressionistischer Kunst mit zahlreichen in West-Deutschland und -Europa. gewissern zu wollen. Ohne Zweifel Werken der Brücke-Maler der Stadt Köln Schmidt-Rottluff klagte heftig gehen diese Gemälde auf den Ein- schenkte. Damit wurde schlagartig die darüber, „nur noch im eigenen fluss Vincent van Goghs zurück. Spitze deutscher Sammlungen moderner Saft zu schmoren“, und hielt die In den Motiven schwingt die dop- Kunst nach West-Deutschland verlagert. Situation in seinem Blockade- pelte Bedeutung der Sonnenblumen Kurz zuvor war der Kunsthistoriker Leo- stilleben fest. als Hoffnungsträger eines Neuan- pold Reidemeister zum kommissarischen fangs sowie die der Schnittblumen Leiter der städtischen Museen nach Köln in ihrer schnellen Vergänglich- berufen worden. Er integrierte die Schen- keit als Vanitasmotiv mit. kung in das Wallraf-Richartz-Museum als Zeichen der „Wiedergutmachung“ an die im Nazi-Regime diffamierten Künstler. Anknüpfen an die 6 Ausgefüllter Fragebogen von Zeit vor 1933 Max Pechstein, Teil eines Briefes an Christian Töwe, 10.2.1947, ehem. Archiv Günter Krüger, Berlin Auch Heckel malte zahlreiche seiner frühe- Der Kunsthistoriker Christian ren und zerstörten Werke nach, darunter Töwe sandte 1947 im Rahmen eines Landschaften und Zirkusszenen, die bei Kölner Forschungsprojektes über Kirchner und Heckel zu Brücke-Zeiten die Künstlergruppe Brücke Frage- ein beliebtes Motiv waren. Während die bögen an die noch lebenden Künst- frühen Darstellungen jedoch die schnelle ler, ihre Familienangehörigen, Bewegung der Artist*innen und die sen- Freund*innen, Sammler*innen und sationellen Momente der Aufführungen Galerist*innen. Ziel war es, das spiegeln, wandelte Heckel seine Szenen im Krieg untergegangene Doku- in den 1920er-Jahren in statische Gruppen mentationsmaterial zu ersetzen. um, denen etwas Tragisches und Unheim- Durch den intensiven Informati- liches anhaftet. Auf diese Darstellungen onsaustausch über die Zeit zwi- griff Heckel nach 1945 zurück. schen 1905 und 1913 wurden die alten Netzwerke wiederbelebt und der Blick auf die Brücke-Kunst „Eine seltsame neue Arbeit [ist das Nachmalen in die Vergangenheit gerichtet. zerstörter Werke], bei der sich immer deutlicher Heckel nahm regen Anteil an den zeigt, je weiter sie fortschreitet, wie endgültig Befragungen und setzte sich in eine Formulierung doch gefunden wurde, dass diesem Zuge erneut künstlerisch anfangs versuchte Änderungen sich von selbst mit seinen ehemaligen Gruppenkol- wieder korrigieren.“ legen auseinander. Bezeichnender- weise stellte er in einer Serie Erich Heckel an den Künstler Lyonel Feininger, von vier großformatigen Litho- 17. Jul i 1946 grafien nur jene Mitglieder dar,

26 manifestiert sich in Wort, Schrift und Bild nach der Absetzung ihrer Vorgänger, die Glossar sowie in anderen Handlungsformen, er be- die Sammlungen moderner Kunst aufge- nutzt negative Stereotype und unterstellt baut hatten. negative Charakterzüge. – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin Dieses Glossar beinhaltet Begriffe und – Auszug aus der Arbeitsdefinition Anti- und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 Themen, die uns als Ausstellungsteam semitismus der Europäischen Stelle zur wichtig erscheinen und die wir erklären Beobachtung von Rassismus und Frem- wollen: Fremdwörter, aber auch historisch denfeindlichkeit (EUMC) mit Ergänzungen Deportation, deportieren verwendete Fachbegriffe sowie Vokabeln, des Vereins für Demokratische Kultur in die die Nationalsozialisten zur Unter- Berlin e.V., 2004/2014 Deportation bedeutet, dass Menschen stützung ihrer Ideologie geschaffen und gegen ihren Willen von ihrem Wohnort verwendet haben. Außerdem stellen wir weggebracht und gezwungen werden, an Themen vor, die unsere Arbeitsweise und Berufsverbot (Malverbot) einem anderen Ort zu leben. Die National- Haltung im Museum aus heutiger Pers- sozialisten deportierten politische Gegner pektive veranschaulichen. Sie werden von Nur wer eine Mitgliedschaft in der Reichs- und Menschen, die sie nicht als „Arier“ an- Personen mit unterschiedlichen Hinter- kammer der bildenden Künste hatte, durfte sahen. Sie kamen in Konzentrations- und gründen erklärt, die bei der Vorbereitung als Künstlerin oder Künstler beruflich Vernichtungslager, Frauen, Männer und der Ausstellung inhaltlich mitgearbeitet tätig sein, d. h. veröffentlichen, ausstellen Kinder. In Konzentrationslagern mussten oder uns kritisch beraten haben; die Na- und verkaufen. Ausschlaggebend für die die Gefangenen Zwangsarbeit leisten und men und Funktionen der Autor*innen sind Mitgliedschaft waren „rassische Ab- starben oft an Erschöpfung und Hunger. In jeweils vermerkt. stammung“ und künstlerische Eignung im Vernichtungslagern wurden sie kurz nach Sinne der NS-Ideologie. 1941 wurden bei- ihrer Ankunft ermordet. Die UN-Kinder- Als Museum ist es unser Anliegen, spielsweise Karl Schmidt-Rottluff und Emil rechtskonvention verbietet in Artikel 19, komplexe Kontexte und Sachverhalte zu Nolde nach einer offiziellen Überprüfung dass Kindern Gewalt angetan wird. In Arti- zeigen. Dazu ist es in dieser Ausstellung ausgewählter Werke die künstlerische „Zu- kel 6 ist festgeschrieben, dass jedes Kind teilweise erforderlich, Begriffe zu wieder- verlässigkeit“ für den NS-Staat aberkannt, ein Recht auf Leben und Überleben hat. holen, die im Nationalsozialismus für die ihr Mitgliedsbuch zurückgefordert und das – Veronika Nahm, Leitung Ausstellung Verbreitung der Ideologie erfunden oder Ausstellen und Verkaufen ohne ausdrück- und Pädagogik, Anne Frank Zentrum genutzt wurden. Wir distanzieren uns von liche Genehmigung untersagt, was einem Berlin, 2009 dieser menschenverachtenden Haltung Berufsverbot gleichkam. Pauschale „Mal- und machen das durch Anführungszei- verbote“ wurden dagegen nicht erteilt; Er- chen in den Wandtexten deutlich. Das wähnungen von Malverboten häuften sich „Entartete Kunst“ Brücke-Museum ist ein offenes Haus in der Nachkriegszeit, entsprachen aber für ein diverses Publikum und verurteilt nicht den historischen Gegebenheiten. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden jegliche Art von Diskriminierung. – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin erstmals moderne Kunst- und Kultur- und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 strömungen als krankhafte „Entartung“ verhöhnt. In den 1920er-Jahren nahm diese Antisemitismus, antisemitisch Diffamierungstendenz durch reaktionäre Beschlagnahme, beschlagnahmen Kreise parallel zum Aufblühen der avant- Der Antisemitismus beschreibt gesell- gardistischen Kunstszene zu. Im National- schaftlich tradierte Wahrnehmungen eines In der Regel ist damit die Sicherstellung sozialismus gehörte der Begriff zum festen fremd konstruierten jüdischen Kollektivs. eines Gegenstandes gegen den Willen der Vokabular der Propagandasprache und Die Wirkmächtigkeit dieser Fiktionen zeigt Eigentümer gemeint. Die ab Juli 1937 im wurde mit der Femeausstellung Entarte- sich in der Verbreitung antisemitischer Ein- Auftrag des Deutschen Reiches aus öffent- te Kunst systematisch im Kampf gegen stellungen, öffentlicher Debatten und kann lichen Sammlungen entfernten Kunst- die moderne Kunst eingesetzt. Durch sich als Hass gegenüber Juden_Jüdinnen werke werden meist mit diesem Begriff die Reduzierung auf das Wort „entartet“ ausdrücken. Der Antisemitismus richtet in Verbindung gebracht. In der aktuellen wurden die Bewertungskriterien aus der sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder Forschung werden diese zunehmend kunsthistorischen Fachsprache gelöst und nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder durch das Wort Deakzession (lateinisch: durch einen aus der Evolutionsbiologie deren Eigentum, sowie gegen jüdische de = weg von, accedere = hinzukommen, stammenden Begriff an Kategorien des Gemeindeinstitutionen oder religiöse wachsen) ersetzt. Denn der Begriff der Be- Völkischen gebunden. Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch schlagnahme ist angesichts der Tatsache, – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin der Staat Israel, der dabei als jüdisches dass es sich in den meisten Fällen um und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Werke handelte, die bereits in öffentlichem Angriffe sein. Oft enthalten antisemiti- Besitz von Kommunen, Städten oder dem sche Äußerungen die Anschuldigung, die Staat waren, nicht ganz präzise. Auch ist Juden_Jüdinnen betrieben eine gegen die nicht immer klar ersichtlich, dass die Ent- Menschheit gerichtete Verschwörung und fernung gegen den Willen der Museen er- seien dafür verantwortlich, dass „die Dinge folgte. Viele der Museumsleiter hatten ihre nicht richtig laufen“. Der Antisemitismus Posten erst ab 1933 eingenommen – also

27 Gender-Sternchen, gendern Denkens und Handelns an die national- sogar einer gewissen Widerständigkeit sozialistische Weltanschauung; c) äußere assoziiert. Im Falle von Heckel, Pechstein Sprache ist flexibel und unterliegt einem Gleichschaltung: politische Gleichschal- und Schmidt-Rottluff wurde auch ihr Rück- ständigen Wandel. Wir möchten in unseren tung, ohne gleichzeitige Anpassung des zug aufs Land, der eine Konsequenz aus Museumstexten – sei es in der Ausstellung Denkens und Handelns an die nationalso- der Zerstörung ihrer Berliner Wohn- und oder auf der Website – Aufmerksamkeit zialistische Weltanschauung. Arbeitsstätten war, als „innere Emigration“ für die Prozesshaftigkeit der aktuellen Der Ausdruck Gleichschaltung wurde nach bezeichnet. Ob und in welchem Ausmaß Debatten um Gender erzeugen und eine Hans Frank 1933 von Reichsjustizminister ihre Aufenthalte jenseits des politischen gerechtere Sprache erproben. Geschrie- Gürtner mit der Formulierung der Gesetze Zentrums Berlin auch politisch motiviert bene wie gesprochene Sprache beein- zur „Gleichschaltung der Länder mit dem waren, ist am ehesten auf Grundlage ihrer flusst das menschliche Denken und schafft Reich“ aus dem Fachwortschatz der Elekt- privaten Korrespondenz zu beantworten. dadurch nicht nur Realitäten, sondern rotechnik in die Politik übertragen. Er wird – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin auch Akzeptanz oder Ablehnung. Mit einer rasch zu einem überaus häufig verwende- und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 gendersensiblen Sprache wollen wir Wert- ten Schlagwort: „Die kleinsten Zeitungen schätzung zeigen gegenüber allen Men- schrieben das Wort täglich mindestens schen, unabhängig von ihrem Geschlecht. 20mal auf jede ihrer inhaltslosen Seiten Juden, jüdisch Gleichzeitig sollen stereotype Rollenzu- und schalteten von der größten Partei bis schreibungen aufgebrochen werden. Fehlt zu dem lächerlichen Schrebergartenklub Wenn man über Juden in der Zeit des das Sternchen in den Ausstellungstexten, alles, aber auch alles gleich.“ Der Ge- Nationalsozialismus spricht, muss man wird deutlich, dass beispielsweise unter brauch bleibt vorwiegend auf die Jahre zunächst einmal Folgendes wissen: Den den Brücke-Künstlern nur Männer waren 1933 und 1934 beschränkt, erfährt aber Nationalsozialisten war es egal, ob ein oder es sich um einen Begriff historischer nach dem Anschluss Österreichs noch ein- Mensch über sich selbst sagte, dass er Ideologien handelt. mal eine Belebung. Jude ist. Sie haben die Menschen nicht – Das Team des Brücke-Museums, 2019 – Cornelia Schmitz-Berning, in: Vokabular nach ihrem Glauben gefragt. Für die Natio- des Nationalsozialismus, 2007 nalsozialisten waren alle diejenigen Juden, die sie als solche definierten. Als Zweites Geschichte ist es wichtig zu verstehen, dass für die Handlungsspielräume Nationalsozialisten das Judentum keine Erlebtes, Notiertes, Überliefertes – Fotos, Religion war, sondern eine Rasse. Die Na- Filme, Briefe oder Interviews: Das, was Zu Zeiten von Diktaturen sind persönliche tionalsozialisten gingen nicht davon aus, einmal Gegenwart war, wird schnell zur und berufliche Freiheiten oft stark einge- dass alle Menschen gleich sind, sondern Vergangenheit. Historiker*innen und auch schränkt. Umso interessanter ist es, für die sie unterteilten die Menschen in Rassen. Museen werten Quellen aus, um daraus Jahre des Nationalsozialismus danach zu Sie legten fest, dass es höherwertige und Geschichte zu rekonstruieren. Sie ist kei- fragen, welche Möglichkeiten die Künstler minderwertige Rassen gibt. Das Judentum nesfalls mit der Vergangenheit identisch. der Brücke noch besaßen und wie sie in- war für sie die niedrigste Rasse. Sie sei an Geschichte ist immer eine Konstruktion, nerhalb der neu geschaffenen Strukturen allem Bösen auf der Welt Schuld und wolle der sich erinnernden oder daran forschen- und mit den ihnen auferlegten Beschrän- die „arische“ Rasse zerstören. Dieses Bild den Personen. Geschichtserzählung und kungen zurechtkamen. Tatsächlich waren der Nationalsozialisten hatte nichts mit -forschung ist daher eine kreative Tätig- die Positionen, in denen sich die jeweili- der Wirklichkeit zu tun. Wenn man Texte keit, die an der Schnittstelle zwischen Ver- gen Künstler befanden, individuell sehr der Nationalsozialisten liest oder Bilder gangenheit und Gegenwart steht. Deshalb verschieden – sie lassen sich daher nicht sieht, muss man sehr aufpassen, dass man handelt es sich bei der Geschichtswissen- statisch abbilden, sondern sind eng an die diese Texte und Bilder nicht für die Wirk- schaft und Kunstgeschichte keinesfalls jeweiligen Entwicklungen in Kunstpolitik, lichkeit hält. Heute weiß man, dass alle um rein museal-bewahrende Disziplinen, Geschichte und persönlichen Lebensum- Menschen gleich sind und dass es keine sondern um erläuternde, aktualisierende ständen geknüpft. Menschenrassen gibt. Es ist verboten, und interpretierende. Geschichten werden – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin andere Menschen wegen ihrer Religion zu geschrieben. und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 diskriminieren. Siehe hierzu Artikel 2 der – Daniela Bystron, Curator of Outreach, UN-Kinderrechtskonvention. Brücke-Museum, 2019 – Veronika Nahm, Leitung Ausstellung und „Innere Emigration“ Pädagogik, Anne Frank Zentrum Berlin, 2009 Gleichschaltung, gleichschalten Der Rückzug der Brücke-Maler ins Private in den Jahren des Nationalsozialismus a) Politische Gleichschaltung: Aufhebung wurde in biografischen Darstellungen „Nordischer Expressionismus“ des politischen und organisatorischen Plu- wiederholt mit dem Begriff der „inneren ralismus durch Anpassung der vorgefun- Emigration“ in Verbindung gebracht. Diese Unter der Bezeichnung „Nordischer Ex- denen Organisationsstrukturen bestehen- vage Beschreibung der Alltagsrealitäten pressionismus“ versuchte ein Teil der der Körperschaften und Institutionen an von Künstlerinnen und Künstlern, die in Parteigänger der NSDAP ab 1933 die das nationalsozialistische Führerprinzip; Deutschland blieben, wird oft mit einer Art Kunst dieser Stilrichtung im völkischen b) innere Gleichschaltung: Anpassung des der geistigen Distanzierung, wenn nicht Sinne zu verteidigen. Emil Nolde und Ernst

28 Barlach, aber auch Erich Heckel und Karl Color, Schwarze sowie Migrant*innen. Sie Privatbesitz gefordert. Schmidt-Rottluff galten beispielsweise werden durch Rassismus diskriminiert, – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin aufgrund ihrer Herkunft aus dem bäuer- ausgegrenzt, ausgebeutet und benachtei- und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 lichen Raum oder ihrer Rückgriffe auf die ligt. Weiße Menschen profitieren dagegen deutsche Gotik als erdverbunden, volks- strukturell von Rassismus. Rassismus ist nah und genuin „deutsch“. Gleichzeitig meist mit anderen Machtstrukturen ver- Sprache wurde mit der Bezeichnung eine deutliche bunden, z.B. mit Klasse, Staatsangehörig- Grenze zum Rheinischen und Süddeut- keit oder Geschlecht. Kommen mehrere Sprache ist nicht neutral. Sie gibt immer schen Expressionismus gezogen, der mit dieser Machtstrukturen zusammen, ver- eine Haltung und eine Perspektive wieder. seiner zur Abstraktion tendierenden Kunst stärkt sich die Diskriminierung und/oder Sprache, Worte und Begrifflichkeiten än- kaum Befürworter im NS-Regime fand. Ausbeutung. Dagegen werden Privilegien dern sich im Laufe der Zeit, sind also von Die Gegner der Moderne attackierten die durch weiße Strukturen und Netzwerke den sozialpolitischen Kontexten abhängig. Belegung der Künstler mit dem Begriff des aufrecht erhalten. Obwohl menschliche Je nach Haltung, Weltbild oder Menschen- „Nordischen“ als Verschleierungstaktik. Rassen wissenschaftlich nicht existieren, bild werden Begriffe für gleiche Sachver- – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin prägen weiße Diskurse bis heute unser halte anders genutzt. Neue Staaten oder und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 Verhalten und die Art und Weise, wie wir Systeme, wie beispielsweise der National- unsere Welt betrachten. sozialismus, erfanden auch neue Begriffe, – glokal e. V., 2019 um damit ihre Strukturen und Macht zu „Rassenkunde“ unterstützen. In dieser Ausstellung werden Begriffe des nationalsozialistischen Re- In der Zeit des Nationalsozialismus war Reichskammer der bildenden Künste gimes verwendet, um historische Sachver- das Thema „Rassenkunde” ein Schulfach. halte aufzuzeigen, die aber durch „Anfüh- Die Nationalsozialisten gingen nicht davon Die Reichskammer der bildenden Künste rungszeichen“ gekennzeichnet sind. Das aus, dass alle Menschen gleich sind, (RdbK) war eine von insgesamt sieben Brücke-Museum distanziert sich von ihrem sondern sie unterteilten die Menschen in Abteilungen der Reichskulturkammer, rassistischen und menschenverachtenden Rassen. Sie legten dazu bestimmte Regeln die Joseph Goebbels im September 1933 Inhalt. fest, nach denen sie die Menschen zu- zur staatlichen Kontrolle der Kulturszene – Daniela Bystron, Curator of Outreach, ordneten. Und sie legten auch fest, dass es gegründet hatte. Als Voraussetzung für Brücke-Museum, 2019 höherwertige und minderwertige Rassen die Ausübung künstlerischer Tätigkeiten gibt. Eine der Rassen nannten sie die „ari- wurden zunächst alle, die mit Kunst zu tun sche“ Rasse, die Menschen, die sie dieser hatten – vom Künstler über den Kunsthänd- „Stunde Null“ Rasse zuordneten, nannten sie „Arier“. ler bis zum Postkartenverkäufer – in der Es war für sie die höchste Rasse. Zu den RdbK aufgenommen. Vertreter unlieb- Die ehemaligen Brücke-Künstler befanden „nichtarischen“ Menschen gehörten z. samer Kunstrichtungen sollten im Hin- sich im Mai 1945 – losgelöst vom Wissen B. auch Juden. Heute weiß man, dass alle blick auf eine neue deutsche Staatskunst über all die Dinge, die vorher ihr Leben als Menschen gleich sind und dass es keine umgeschult werden. Mitglieder jüdischer Künstler bestimmt hatten – in einer Art ver- Menschenrassen gibt. Siehe hierzu Artikel Herkunft wurden ab 1935 mit Erlass der bindungsloser Zeitblase, in einer Situation, 2 der UN-Kinderrechtskonvention. Leider Nürnberger Rassengesetze systematisch die auch als „Stunde Null“ bezeichnet wur- bedeutet das nicht, dass heute alle Men- aus der Kammer ausgeschlossen. de, von der ausgehend sich die deutsche schen die gleichen Rechte haben. Diese – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin Nachkriegsgesellschaft angeblich ab ovo Ungleichbehandlung heißt „Rassismus“. und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019 neu zu konstatieren begann. Zwar ist eine – Veronika Nahm, Leitung Ausstellung und solchermaßen fundamentale Zäsur von Pädagogik, Anne Frank Zentrum Berlin, Historikerinnen und Historikern schnell 2009 „Säuberung der Museen“ als Gemeinplatz entlarvt worden, dennoch bleibt zu fragen, wie Heckel, Pechstein Auch die Forderung nach der „Säuberung und Schmidt-Rottluff mit der Situation Rassismus, rassistisch der Museen“ reflektiert das biologistisch zurechtkamen, zumal die Metapher der geprägte NS-Vokabular, und ist eng mit „Stunde Null“ durchaus als ein gefühltes Rassismus wird in Deutschland oft sehr Vorstellungen der „Reinigung des Volks- Phänomen der damaligen Bevölkerung an- eng gefasst (z.B. begrenzt auf den Natio- körpers“ verknüpft. Nach 1933 forderten erkannt wurde, deren Gegenwart vor allem nalsozialismus oder auf offene Gewalt). reaktionär eingestellte Kunstaktivisten chaotisch war. Rassismus ist aber darüber hinaus ein verstärkt, aus den öffentlichen Sammlun- – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin, globales Machtverhältnis, das in den gen die meist erst seit 1919 erworbene mo- 2019 letzten 500 Jahren als Herrschaftsstruk- derne Kunst wieder zu entfernen. Der Ton tur verfestigt wurde die sich auf persön- verschärfte sich im Laufe des Jahres 1936: licher, struktureller, institutioneller und Am 2. April 1936, erschien in der SS-Zeit- Verfemung gesellschaftlicher Ebene manifestiert. schrift Das Schwarze Korps der Artikel: Davon betroffen sind nicht-weiße Gesell- „Kronprinzenpalais säuberungsbedurftig!“, Ächtung, Ausschluss, Bann, Untersagung, schaftsmitglieder, zum Beispiel muslimi- im Herbst wurde gar in einigen Zeitungen Verbot, Verdammung, Verurteilung sche und jüdische Menschen, People of die Beschlagnahme moderner Kunst aus – Duden, 2018

29 „Verwertung“

Im Rahmen der nationalsozialistischen Propagandakampagne „Entartete Kunst“ bedeutete der Begriff der „Verwertung“, die beschlagnahmte Kunst noch gewinn- bringend zu nutzen. Hermann Göring schlug vor, einen Teil der Werke, die Joseph Goebbels 1937 auf Grundlage von zwei Erlassen Hitlers aus den öffentlichen Institutionen als „entartet“ hatte entfernen lassen, gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Daraufhin wurde eine „Kommis- sion zur Verwertung von Produkten ‚ent- arteter’ Kunst“ gegründet und ein Gesetz im Mai 1938 erlassen, das den Verkauf der „international verwertbaren“ Werke regelte. Zur „Verwertung“ wurden aus- gewählte Auktionatoren und Kunsthändler autorisiert. – Meike Hoffmann, Freie Universität Berlin und Aya Soika, Bard College Berlin, 2019

Wissen

Objektives Wissen sowie die absolute Wahrheit gibt es nicht. Wissen ist immer eine Auswahl von Informationen, die einer bestimmten Narration, einem bestimmten Ziel folgt. Konstruktivistische Theorien bezweifeln, dass Wissen und Wirklichkeit übereinstimmen, sondern gehen davon aus, dass Menschen sich die Wirklichkeit je nach Erfahrungen und (Vor-)Wissen selbst, also subjektiv konstruieren. Die Informationen, die wir Autor*innen Ihnen für diese Ausstellung zusammengestellt haben, sind also eine Auswahl. Es handelt sich um eine Form der Erzählung. So finden Sie im Rahmen dieser Aus- stellung unterschiedliche Formate und Medien mit unterschiedlicher Intensität oder Methodik: Im Raum können Sie das Zusammenspiel der Werke und Texte als eine Narration begreifen, im Katalog erhalten Sie einen differenzierten kunst- geschichtlichen Blick und im Begleitpro- gramm laden wir Sie zu Diskussionen und Austausch ein. – Daniela Bystron, Curator of Outreach, Brücke-Museum, 2019

30 Eine Ausstellung des Brücke-Museums in Kooperation mit dem Kunsthaus Dahlem, kuratiert von Dr. Meike Hoffmann (Freie Universität Berlin, Forschungsstelle Entartete Kunst), Lisa Marei Schmidt (Brücke-Museum) und Prof. Dr. Aya Soika (Bard College, Berlin)

Projektleitung: Isabel Fischer Kuratorin für Outreach: Daniela Bystron Wissenschaftliche Volontärinnen: Nora-Saîda Hogrefe (lab.Bode/Outreach), Katrina Schulz Provenienzforscherin: Nadine Bauer Verwaltungsleiterin: Barbara Jerusalem Verwaltungsangestellte: Ute Kirschbaum Ausstellungsgestaltung: Studio Santiago da Silva (Simon Steinberger, Santiago da Silva) Art Handling: Lutz Bertram Ausstellungstechnik und Objektbetreuung

Die Ausstellung wurde gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds. Der Katalog zur Ausstellung wurde gefördert durch die Ernst von Siemens Kunststiftung. www.bruecke-museum.de www.kunsthaus-dahlem.de

Öffnungszeiten Mittwoch bis Montag: 11–17 Uhr Dienstag: geschlossen An Feiertagen gelten die regulären Öffnungszeiten.