Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 4749 13. Wahlperiode 19. 10. 2005

Antrag der Abg. Ursula Lazarus u. a. CDU und

Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport

Anerkennung der in Baden-Württemberg erworbenen Fachhochschulreife in anderen Bundesländern

Antrag

Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten,

1. in welchen Bildungsgängen in Baden-Württemberg die Fachhochschul- reife erworben werden kann;

2. welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die in einem Bildungsgang erworbene Fachhochschulreife bundesweit anerkannt wird;

3. a) welche Bundesländer an der Zwölf-Länder-Übereinkunft zum Erwerb der Fachhochschulreife in der gymnasialen Oberstufe beteiligt sind;

b) welche Vorgaben die Zwölf-Länder-Übereinkunft vorschreibt, um den schulischen Teil der Fachhochschulreife zu erfüllen;

4. weshalb die an Freien Waldorfschulen erworbene Fachhochschulreife nur in Baden-Württemberg anerkannt wird und welche Gründe es dafür gibt, dass es im Bereich der Freien Waldorfschulen bisher keine Vereinbarung zur gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse von Seiten der Kultusmi- nisterkonferenz gibt;

5. ob die Landesregierung Chancen sieht, den Abschluss der Fachhochschul- reife an Freien Waldorfschulen in Zukunft durch verbesserte Anerken- nungsverfahren durch die anderen Bundesländer aufzuwerten.

19. 10. 2005

Lazarus, Traub, Brunnemer, Wacker, Röhm, Schebesta CDU

Eingegangen: 19. 10. 2005 / Ausgegeben: 11. 11. 2005 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 4749

Begründung

In den letzten Jahren sind die Bewerberzahlen für Studienplätze an Fach- hochschulen deutlich angestiegen. Bei vielen Studiengängen findet ein Aus- wahlverfahren statt und Studierende zeigen eine erhöhte Mobilitätsbereit- schaft. Es soll untersucht werden, in welchem Maß die in unterschiedlichen Ländern erworbene Fachhochschulreife gegenseitig anerkannt wird. In Ba- den-Württemberg gibt es sehr viele Waldorfschulen. Daher soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, wie die im Land an Waldorfschulen erwor- bene Fachhochschulreife bundesweit anerkannt wird und ob eine solche An- erkennung forciert werden kann.

Stellungnahme

Mit Schreiben vom 7. November 2005 Nr. 44–6632.4/240 nimmt das Minis- terium für Kultus, Jugend und Sport zu dem Antrag wie folgt Stellung:

Der Landtag wolle beschließen,

die Landesregierung zu ersuchen

zu berichten,

1. in welchen Bildungsgängen in Baden-Württemberg die Fachhochschul- reife erworben werden kann;

In Baden-Württemberg kann die Fachhochschulreife in einer Vielzahl von Bildungsgängen des beruflichen Schulwesens erworben werden. Auf diese Weise sind die allgemeinen Inhalte zum Erwerb der Fachhochschulreife eng mit der beruflichen Ausbildung verknüpft. Bei den Bildungsgängen handelt es sich insbesondere um

– einjährige Berufskollegs zum Erwerb der Fachhochschulreife,

– mindestens zweijährige Berufskollegs, die eine schulische Berufsausbil- dung vermitteln, in Verbindung mit dem Besuch eines entsprechenden Zu- satzprogramms,

– mindestens zweijährige Fachschulen,

– gewerbliche oder kaufmännische Berufsschulen mit Zusatzqualifikation Fachhochschulreife (im kaufmännischen Bereich nur bei ausgewählten Ausbildungsberufen).

Neben diesen zentralen Wegen zur Fachhochschulreife gibt es noch eine Reihe quantitativ weniger bedeutende Bildungsgänge, an denen die Fach- hochschulreife erworben werden kann wie z.B. in der Oberstufe der Gymna- sien für Schülerinnen und Schüler, die die Schule nach Jahrgangsstufe 1 ver- lassen oder, im Bereich der privaten Schulen, die Freien Waldorfschulen durch eine spezielle Prüfung.

Eine detaillierte Auflistung aller Bildungsgänge, die in Baden-Württemberg die Fachhochschulreife vermitteln, mit weiteren Details über die Dauer der einzelnen Bildungsgänge und über den Geltungsbereich der an diesen Bil- dungsgängen erworbenen Fachhochschulreife kann im Internet unter der Adresse www.oes-bw.de unter dem Punkt „Eigenständigkeit“ abgerufen wer- den.

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2. welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die in einem Bildungsgang erworbene Fachhochschulreife bundesweit anerkannt wird;

Die Vergabe von schulischen Bildungsabschlüssen und damit auch der Fach- hochschulreife fällt aufgrund von Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes in den alleinigen Verantwortungsbereich der einzelnen Länder. Dies hat zur Folge, dass ein schulischer Abschluss zunächst nur in dem Land gilt, in dem er erworben wurde. Bewirbt sich eine Schülerin oder ein Schüler in einem anderen Land, muss das „Aufnahmeland“ entscheiden, ob es den Abschluss auch bei sich anerkennt. Für eine ganze Reihe von schulischen Abschlüssen, wie z.B. der mittleren Reife oder dem Abitur, haben die Länder miteinander vereinbart, solche Abschlüsse gegenseitig anzuerkennen. Anders ist das hin- gegen bei der Fachhochschulreife, die in höchst unterschiedlichen Bildungs- gängen erworben werden kann. Hier gibt es keine lückenlose gegenseitige Anerkennung.

Im Bereich „Erwerb der Fachhochschulreife“ gibt es zwei Rahmenvereinba- rungen der Kultusministerkonferenz, die in allen Ländern gelten:

– Vereinbarung über den Erwerb der Fachhochschulreife in beruflichen Bil- dungsgängen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 5. Juni 1998 i.d.F. vom 9. März 2001),

– Rahmenvereinbarung über die Fachoberschule (Beschluss der Kultusmi- nisterkonferenz vom 16. Dezember 2004).

Bildungsgänge, die die Vorgaben dieser Rahmenvereinbarungen erfüllen, vermitteln eine bundesweit anerkannte Fachhochschulreife.

Für die Anerkennung der in Baden-Württemberg vergebenen Fachhochschul- reife in anderen Ländern gilt im Allgemeinen:

– Wurde die Fachhochschulreife in einem Bildungsgang erworben, der eine Berufsausbildung und zugleich ggf. durch ein Zusatzprogramm eine Fach- hochschulreife vermittelt, so kann in der Regel von einer bundesweiten Anerkennung ausgegangen werden, wenn der schulische Bildungsgang mindestens drei Jahre dauert.

– Setzt die Aufnahme in einen schulischen Bildungsgang, der die Fachhoch- schulreife vermittelt, eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus (z. B. einjähriges Berufskolleg zum Erwerb der Fachhochschulreife, Fachschule für Technik), so kann in der Regel ebenfalls von einer bundesweiten Aner- kennung ausgegangen werden.

– Setzt ein Bildungsgang, in dem die Fachhochschulreife erworben wurde, keine Berufsausbildung voraus und ist er kürzer als drei Jahre, muss davon ausgegangen werden, dass er grundsätzlich nicht bundesweit anerkannt ist.

Ob die Fachhochschulreife, die in einem bestimmten Bildungsgang erworben wurde, nur für Baden-Württemberg gilt oder bundesweit anerkannt ist, muss jedoch im Einzelfall bezogen auf den jeweiligen Bildungsgang geprüft wer- den.

3. a) welche Bundesländer an der Zwölf-Länder-Übereinkunft zum Erwerb der Fachhochschulreife in der gymnasialen Oberstufe beteiligt sind;

3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 4749

Mit dem Beitritt des Landes zur „Übereinkunft zum Erwerb der Fach- hochschulreife (schulischer Teil) in der gymnasialen Oberstufe“ ist aus der Zwölf-Länder-Übereinkunft eine Dreizehn-Länder-Übereinkunft geworden. Die neue Übereinkunft zwischen den Ländern

– Baden-Württemberg – Berlin – – Bremen – – Hessen – Mecklenburg-Vorpommern – Niedersachsen – Nordrhein-Westfalen – Rheinland-Pfalz – – Sachsen-Anhalt und – Schleswig-Holstein

trägt das Datum vom 6. September 2005.

b) welche Vorgaben die Zwölf-Länder-Übereinkunft vorschreibt, um den schulischen Teil der Fachhochschulreife zu erfüllen;

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich die „Übereinkunft zum Erwerb der Fachhochschulreife (schulischer Teil) in der gymnasialen Oberstufe“ auf das in der gymnasialen Oberstufe eingeführte Kurssystem bezieht.

Demnach können Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe frühestens nach dem Besuch von zwei Halbjahren der Qualifikationsphase den Antrag auf Feststellung des Erwerbs der Fachhochschulreife (schulischer Teil) stellen.

Im Einzelnen sind folgende Voraussetzungen für die Zuerkennung der Be- rechtigung zu erfüllen:

1. Die Schülerin oder der Schüler muss in den beiden Leistungsfächern bzw. in zwei Leistungsfächern, die sie oder er als erstes und zweites Prüfungs- fach für die Abiturprüfung bestimmt hat, je zwei Kurse belegt und mindes- tens 40 Punkte der zweifachen Wertung erreicht haben.

2. Die Schülerin oder der Schüler muss elf Grundkurse belegt und in ihnen mindestens 55 Punkte der einfachen Wertung erreicht haben.

3. Unter den unter Punkt 1 und 2 anzurechnenden Kursen müssen enthalten sein: je zwei Halbjahreskurse in Deutsch, einer Fremdsprache, Gemein- schaftskunde, Mathematik und in einer Naturwissenschaft. Bei den zwei Halbjahreskursen in der Fremdsprache muss es sich um Kurse handeln, die zur Erfüllung der Mindestverpflichtungen in der Fremdsprache dienen können.

4. Außer den unter Punkt 3 genannten Fächern können aus weiteren Fächern höchstens je zwei Halbjahreskurse angerechnet werden.

5. In zwei der vier anzurechnenden Leistungskurse und in sieben der elf an- zurechnenden Grundkurse müssen mindestens je 5 Punkte der einfachen Wertung erreicht sein.

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6. Mit 0 Punkten bewertete Kurse werden nicht angerechnet. Themengleiche oder -ähnliche Kurse werden nur einmal angerechnet.

7. Leistungen aus der Einführungsphase werden nicht angerechnet.

Für die Leistungsbewertung gilt: Es wird eine Gesamtpunktzahl ermittelt, die sich zusammensetzt aus den Bewertungen der Leistungs- und Grundkurse, die in die Gesamtqualifikation eingebracht werden (mindestens 95, höchstens 285 Punkte).

4. weshalb die an Freien Waldorfschulen erworbene Fachhochschulreife nur in Baden- Württemberg anerkannt wird und welche Gründe es dafür gibt, dass es im Bereich der Freien Waldorfschulen bisher keine Vereinbarung zur gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse von Seiten der Kultusmi- nisterkonferenz gibt;

Vgl. auch Antwort zu Frage 2.

Für den Erwerb der Fachhochschulreife an Freien Waldorfschulen gibt es keine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz. Dies liegt zum einen daran, dass nach Kenntnis des Kultusministeriums neben Baden-Württemberg nur sieben weitere Länder eine Fachhochschulreife in einem besonderen Verfah- ren für Waldorfschüler vergeben und somit gar nicht alle Länder betroffen sind. Zum anderen sind die Bedingungen zur Erlangung der Fachhochschul- reife für Schülerinnen und Schüler an Freien Waldorfschulen in den einzel- nen Ländern sehr unterschiedlich.

Waldorfschulen sind Schulen der besonderen Art, die in einem einheitlichen Bildungsgang von Klasse 1 bis 12 nach dem Waldorflehrplan zu den dort festgelegten Bildungszielen führen. Hinzu kommt die von den Waldorfschu- len eingerichtete Klasse 13, die auf der Klasse 12 der Waldorfschulen aufbau- end auf die Reifeprüfung vorbereitet. Waldorfschulen sind daher nicht ver- gleichbar mit der gymnasialen Oberstufe, die die Struktur des Kurssystems und eine Leistungsmessung nach Punkten in den Jahrgangsstufen 1 und 2 voraussetzt. Dies hat zur Folge, dass auf die Waldorfschulen auch nicht die „Übereinkunft zum Erwerb der Fachhochschulreife (schulischer Teil) in der gymnasialen Oberstufe“ angewandt werden kann.

Mit Rheinland-Pfalz besteht jedoch bereits derzeit eine Vereinbarung, die an Freien Waldorfschulen erworbene Fachhochschulreife gegenseitig anzuer- kennen.

5. ob die Landesregierung Chancen sieht, den Abschluss der Fachhochschul- reife an Freien Waldorfschulen in Zukunft durch verbesserte Anerken- nungsverfahren durch die anderen Bundesländer aufzuwerten.

Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg trat mit Schreiben vom April dieses Jahres an die sieben Länder heran, die die Fach- hochschulreife an Freien Waldorfschulen in einem besonderen Verfahren ver- geben. Dabei bat es um Überprüfung der Möglichkeiten einer gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse.

Sechs der Länder haben in der Zwischenzeit geantwortet. Grundsätzlich zei- gen sich die angeschriebenen Länder für eine gegenseitige Anerkennung der Fachhochschulreife offen.

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Da die Bedingungen zur Erlangung der Fachhochschulreife in den einzelnen Ländern jedoch sehr unterschiedlich sind, muss im Detail geprüft werden, in- wieweit eine gegenseitige Anerkennung tatsächlich möglich ist.

Unabhängig von den Unterschieden im Detail hat jedoch z.B. Hessen bei sei- ner Rückmeldung bereits konkret signalisiert, dass einer Anerkennung der in Baden-Württemberg durch eine spezielle Prüfung für Waldorfschüler erwor- benen Fachhochschulreife in Hessen nichts entgegensteht.

Aufgrund der grundsätzlich positiven Rückmeldungen der angeschriebenen Länder wird das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württem- berg die aufgenommenen Gespräche mit den anderen Bundesländern fortset- zen, mit dem Ziel, eine möglichst breite gegenseitige Anerkennung der Ab- schlüsse zu erreichen und somit den Abschluss der Fachhochschulreife an Freien Waldorfschulen aufzuwerten.

Rau Minister für Kultus, Jugend und Sport

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