Die Großwohnsiedlung Ein Ghetto? Wie Hiphop-Videos Raumbilder Generieren Und So Die Gesellschaft Ordnen
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Nicola Diehl: Die Großwohnsiedlung ein Ghetto? Die Großwohnsiedlung ein Ghetto? Wie Hiphop-Videos Raumbilder generieren und so die Gesellschaft ordnen NICOLA DIEHL „Lausch den Geräuschen der Stadt. Hör meine Lieder der Straßen“ ( u. 1998; zit. nach 2009, S. 32) Carrer Shapiro Wagner Zusammenfassung Abstract Der Künstler MC Nick rappt in einem seiner Songs „Ja ihr habt Large housing estates as a ghetto? How hip-hop Recht, wir haben in Deutschland keine Ami-Ghettos, das hier ist videos generate images of space and hence order Deutschland, wir haben andere Ghettos“; die Kulisse seiner society Performance bildet eine Plattenbausiedlung. Der junge Hiphop- Artist MC Nick raps in one of his songs „Yes, you are right, in Interpret Eko Fresh beklagt in einem seiner Lieder „Junge denn Germany we don’t have Ami-Ghettos, but this is Germany, we ich leb’ im Gheddo, Grembranx1 oder Tempelhof (...) und ich have different ghettos“; sourrounded by a large housing estate. bete jeden Tag, dass ich nicht hier bleiben muss“. Dazu erschei- The young Hiphop-performer Eko Fresh complains in one of his nen im Videoclip Schwarzweißbilder, in denen Plattenbausied- songs, „Man, I’m from the ghetto, Grembranx2 or Tempelhof (...) lungen, Waffen, Drogenkonsum und kriminelle Jugendliche zu and I pray each day, not to live here any longer“. Black-and- sehen sind. Viele Videoclips aus der Sparte Hiphop bzw. white-pictures showing large housing estates, weapons, drugs Gangsta-Rap bedienen sich solcher Darstellungskonventionali- and criminal kids appear in the videoclip. A lot of clips out of täten und tragen so zur Manifestierung oder gar Etablierung hiphop-genre or gangsta-rap use these pictures. By using these eines stigmatisierenden Ghetto-Diskurses bei. Innerhalb generalized pictures, the stigmatizing ghetto-discourse is Deutschlands sind es vor allem Großwohnsiedlungen wie strengthened or even created. Especially large housing estates Berlin-Marzahn, München-Neuperlach oder Bremen-Tenever, like Berlin-Marzahn, München-Neuperlach or Bremen-Tenever die mit diesem Image gekennzeichnet sind. Durch die Videoclips are labeled with this ghetto-image. The above described bzw. die immer wiederkehrenden Bildkommunikate (Platten- videoclips and their elements (large housing estates, weapons, bauten, Hochhäuser, Waffen, Kampfhunde, Drogen, Polizei) fighting dogs, drugs, plolice) create places of violence, neglect werden sie zu Orten der Gewalt, Verwahrlosung und Unsicher- and insecurity. People living in these large housing estates are heit konstituiert. Dieses Negativimage haftet folglich auch den also stigmatized with this image, which implements other in den jeweiligen Bezirken lebenden BewohnerInnen an und problems (e.g. when looking for a job). It shows – images of führt zu weiteren Problemen (bspw. bei der Arbeitsplatzsuche). places are able to seperate society. So sind Raumbilder fähig, die Gesellschaft zu ordnen. Der The essay examines with a special focus on discourse theory Aufsatz betrachtet aus diskurstheoretischer Perspektive die the constitution of knowledge by popular culture with a stress Konstitution von Alltagswissen innerhalb der Populärkultur on visual communication. The essay shows, how particular und setzt einen besonderen Fokus auf die visuelle Ebene. Es urban spaces are created by popular youthculture media like geht darum herauszufinden, wie spezifische Stadträume videoclips and how these videopclips are part of creating innerhalb popkultureller Jugendmedien medial definiert realities. Music-videoclips out of hiphop or gangsta-rap are werden und welchen Einfluss sie auf gesellschaftliche Wirklich- examined with a semiotic visual discourse-analyses. The keitskonstitutionen haben. Dazu werden Musikvideoclips des question is, how and in which way the music-clips are part of Genres Hiphop/Gangsta-Rap einer semiotischen Bilddiskurs- creating an image of large housing estates. Another question is, analyse unterzogen und auf ihren Beitrag zur medialen whether the story told by the videoclips breaks or strengthens Produktion des Images städtischer Großwohnsiedlungen hin the hegemonial ghetto-discourse. untersucht. Inwieweit die erzählten Bildergeschichten zur Reproduktion oder zum Aufbrechen des hegemonialen Ghetto- Stigmatisation, Ghetto discourses, prefabricated housing estates, pop- Diskurses beitragen, soll ebenfalls Überlegung finden ular culture, image discourse analysis Stigmatisierung, Ghetto-Diskurse, Plattenbausiedlungen, Populärkul- tur, Bilddiskursanalyse 1 Grembranx steht für Köln-Gremberg, Stadtteil in der Nachbarschaft von Köln-Kalk. 2 Grembranx means Cologne-Gremberg, a district in Cologne, near Cologne-Kalk 103 Europa Regional 20, 2012 (2014) 2-3 Populärkultur und Bilder spielten in der seiner Songs „Ja ihr habt Recht, wir haben Hiphop als Subkultur und Sprach- wissenschaftlichen Auseinandersetzung in Deutschland keine Ami-Ghettos, das rohr der Jugend um Räume lange Zeit eine eher unterge- hier ist Deutschland, wir haben andere Um den in den Videos gezeichneten Dis- ordnete Rolle. Die „Neue Kulturgeogra- Ghettos“; die Kulisse seiner Perfomance kurs kulturtheoretisch einordnen zu kön- phie“ bietet seit geraumer Zeit jedoch in- bildet eine Plattenbausiedlung. Stadträu- nen, ist ein kurzer Abriss des Hiphop als novative Ansätze, auch diese Aspekte in me wie die Großwohnsiedlung (Marzahn, Subkultur und Jugendbewegung hilfreich. die Raumforschung zu integrieren. Denn Gropiusstadt), aber auch innerstädtische Er gibt Aufschluss über die Beweggründe sie betrachtet Räume als diskursiv herge- Altbauquartiere (Wedding, Kreuzberg) der Jugendlichen, ihr Viertel so darzustel- stellt ( u 2009, S. 11). werden dadurch Zielscheibe gesellschaft- len, wie sie es in den Videos tun. Als Mu- lich produzierter Stigmata. Sie werden sik- und Jugendkultur schaut Hiphop auf Glasze . Mattissek sondern werden in gesellschaftlichen zum sogenannten „Problem-Viertel“ – eine lange und sehr wandlungsreiche Räume sind damit keine fixen Gebilde, Diskursen durch Sprache und Zeichen- zum „Ghetto“ – umgedeutet. Die Wohnor- Entstehungsgeschichte zurück. Von den systeme jedweder Art immer wieder neu Anfängen in den 1970er Jahren in den werden stigmatisiert – Raumbilder be- schwarzen Wohnvierteln New Yorks bis te sowie indirekt ihre BewohnerInnen von und heute haben sich viele verschiedene Hip- definiert. Insbesondere Überlegungen (2009a, b, c) zu Bilddiskursen ermögli- Der Hiphop präsentiert sich vor die- hop-Stile mit differenzierten Subkulturen Miggelbrink Schlottmann einflussen die soziale Ordnung. chen es, auch Bilder als diskursive Aussa- sem Hintergrund in Deutschland als entwickelt, die alle einen Bezug zum Ur- gen zu analysieren. Denn Diskurs „kann Stimme zumindest einiger dieser Stig- banen, zum Großstädtischen aufweisen. als eine Gruppe nicht nur von sprachli- matisierten. Es stellt sich daher die Fra- Hiphop gilt als „kulturelle Äußerung von chen, sondern auch von bildlichen Aussa- ge, wie die Rapper die Hochhaussied- gesellschaftlich marginalisierten Jugend- gen verstanden werden“ (ebd. 2009, S. lungen in ihren Videoclips über Bildaus- lichen im urbanen Raum der Metropolen“ 185). Dabei können diskursive Grenzzie- ( u. 2003, S. 215). Die hungen innerhalb der Sprache oder visu- den Hiphop-Videos mit der Großwohn- Geschichte des Hiphop ist also eng ver- sagen definieren und welche Bilder in Kerscher Richard elle Darstellungen soziale Ordnungen siedlung verknüpft werden? Brechen sie knüpft mit Marginalisierung und Stigma- herstellen. den massenmedial erzeugten hegemo- tisierung bestimmter Bevölkerungsgrup- Ein Raum, der in hohem Maße über nialen, sich stigmatisierend auswirken- pen. Denn Hiphop entwickelte sich im (massen-)mediale Erzählungen (Bilder, den Diskurs auf oder füttern sie ihn? New York der 1970er Jahre, wo zu einer Müssten sie im Sinne der Diskustheorie Zeit der Deindustrialisierung amerikani- die im städtischen Randgebiet verorteten nicht andere Geschichten erzählen oder scher Großstädte, von deren Folgen vor Texte) definiert wird, sind in Deutschland Groß(wohn)siedlungen. So zitiert bei- andere Bilder sprechen lassen als die allem die afroamerikanische und hispa- spielsweise die Frankfurter Allgemeine vom Ghetto mit tristen Straßen, wo vie- nische Bevölkerung betroffen war, im - - - nenverwaltung initiierte Studie mit den gendlichen ohne Perspektive sind, um bewegung entsteht. „Hiphop entwickelte Sonntagszeitung eine von der Berliner In le MigrantenInnen wohnen und die Ju Stadtteil South Bronx eine neue Jugend Worten „eine Ghettobildung wie in ame- den Diskurs respektive ihre Lage zu ver- rikanischen oder französischen Groß- ändern? Gibt es vielleicht Hiphop-Vi- unter Jugendlichen aus den Schwarzen- sich zu einer Form von ,Straßenkulturˊ städten sei vorstellbar“ ( deos, die positive Geschichten vom Le- und Migranten-Ghettos“ ( 2009, S. 3). Der Mythos „Ghetto“, wie er ben in der Platte erzählen? Vor diesem S. 12). Seit den 1980er Jahren breiten Eppelsheim Weller 2003, einst in den USA entstanden ist, gepaart Hintergrund soll das Medium „Musikvi- sich die Formen des Hiphop aufgrund der mit dem aktuellen Banlieue-Diskurs in deoclip“ auf Basis von s Dis- Kommerzialisierung der Musik auch in Frankreich hat seinen Weg nach Deutsch- kurstheorie als Produzent von Aussagen Deutschland aus und werden sowohl von Foucault land längst gefunden. über bestimmte Orte in seiner Funktion jungen Deutschen als auch von Jugendli- - als Konstrukteur von raumbezogenen chen mit Migrationshintergrund adap- besondere in Musikvideoclips der Sparte tiert, wodurch in Deutschland