DER SPIEGEL Jahrgang 1994 Heft 23
Werbeseite Werbeseite MNO DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN Hausmitteilung Betr.: Titel, Solschenizyn a Die Deutschen, höhnt der Theatermann Peter Zadek, seien “das einzige Volk auf Erden, das ein schlechtes Gewissen mehr genießt als eine schöne Frau“. Er hat vermutlich recht, allerdings berei- tet der Genuß des schlechten Gewissens erfahrungs- gemäß ja auch Qual. Aufregender ist das Schürfen nach der deutschen Identität, die Inspektion deut- scher Befindlichkeit schlechthin. Sogenannte ver- spätete Nationen (außer der deutschen beispielswei- se auch die israelische) sind darauf geradezu ver- sessen, und die Medien kommen daran nicht vorbei. Als SPIEGEL-Reporter Cordt Schnibben gegen den Tanz um das Goldene Kalb “Nation“ polemisierte (50/1993), war die SPIEGEL-Redaktion in Pro und Contra gespalten. Die Impressionen, die SPIEGEL-Re- porter Jürgen Leinemann im Deutschland dieser Tage gewann, sind sanfter, weniger spektakulär. Er be- schreibt die – unvermeidlichen? – Folgen, nachdem die beiden deutschen Teilstaaten so “unversehens aus ihren relativen Idyllen gefallen sind“. Am En- de des Tunnels müßte nicht zwangsläufig der häßli- che, unheimliche oder auch nur unbeliebte Deutsche dräuen, der Abenteuer auf einem neuen “Sonderweg“ sucht – Titelfigur so mancher SPIEGEL-Ausgabe. Leinemann setzt vielmehr darauf, daß “mit dem Be- griff des Nationalen nicht nur Barbarei in unsere Gegenwart hineinragt“, sondern auch ein kühler Verfassungspatriotismus, der freilich wenig Gebor- genheit gibt, statt dessen den Bürgern zivile An- strengungen abverlangt (Seite 40). a “Warum fahren Sie so weit?“ fragte unwirsch Alex- ander Issajewitsch Solschenizyn, als die SPIEGEL- Leute Andrej Batrak und Walter Mayr wissen woll- ten, warum der große Mo- ralist sich nach seiner Rückkehr aus 18jährigem US-Exil ausgerechnet unter dem Schutz zwielichtiger Geschäftsleute am Ostrand Sibiriens durch die wie- dergefundene Heimat habe führen lassen.
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