Kultur

JAZZ Weißer Prinz der Schwarzen Der Keyboard-Star stammt aus Wien und hatte mit „“ Welterfolg – nun singt er auf seiner Deutschlandtour in der afrikanischen Sprache Bambara.

er mittelgroße, hagere Mann ver- nul: „Totaler Blödsinn. Der Sound kommt strahlt jugendliche Kraft. Er bewegt nicht von der Fabrik, den mache ich.“ Im Dsich behende, seine Mäuseaugen Gegensatz zu den herkömmlichen „Ein- lächeln listig, seine Glatze versteckt eine Sound-Instrumenten“ – von der Trompete bunt bestickte Kappe. So unterscheidet sich bis zum Klavier – böten Erfindungen wie Joe Zawinul, 64, der Chef, nur wenig von der Synthesizer unbegrenzte Möglichkei- den Musikern seiner Band Syndicate; da- ten. „Das Fundament für Musik“, doziert bei könnten die seine Söhne sein. Zawinul, „ist Klang.“ Die jungen Typen halten mehr von digi- Neue Klänge hat Josef Erich Zawinul talen Keyboards als vom altmodischen Pia- schon als Kind gesucht. Der Proletarier- no. Und Zawinul denkt wie die Kids: „Für junge aus der Wiener Vorstadt veränderte mich ist das akustische Klavier ein un- den Ton seines Akkordeons, indem er Filz- heimlich langweiliges Instrument.“ Des- tuch von einem Billardtisch in den Balg halb macht er schon seit langer Zeit High- des Instruments klebte. Da habe er den Zawinul mit digitalen Keyboards: High-Tech-Hexer Tech-Musik. Inzwischen gilt er als „unum- Sound gefunden, den er mehr als drei Jahr- strittener Elektronikchef der Keyboard- zehnte später im Welterfolg „Black Mar- Trompeter Miles Davis wollte ihn für Kulturabteilung zwischen Jazz und Rock“ ket“ mit seiner Gruppe Weather Report seine Band abwerben. Als das nicht klapp- (frankfurter allgemeine). verwendete. Eine andere Erfindung nann- te, kaufte Davis für seine Pianisten Herbie Derzeit schafft Zawinul mit seinem Syn- te Zawinul nach dem Spitznamen aus sei- Hancock und Chick Corea wenigstens das dicate Klanglandschaften, die nach seinen ner Kindheit: „PePe“ sieht aus und klingt Instrument, das Zawinul seit Mitte der Worten „hip, voller Seele und tanzbar“ wie ein Saxophon; dabei ist es ein Key- sechziger Jahre benutzte – ein elektrisches sind. Für seine allseits gelobte CD „My board, das mit der Atmung gesteuert wird. Klavier. People“ (Escapade Music) verstärkte er die Seit 1959 lebt der Musiker in den USA Von den neuen technischen Möglichkei- Stammtruppe mit Musikern aus 16 Län- und mixt unverdrossen Wiener Slang mit ten war Miles Davis so fasziniert wie der dern – so unterschiedlichen Künstlern wie afro-amerikanisch geprägtem Englisch. Ein geniale Tüftler Zawinul. Deshalb enga- der Kärntner Jodler-Gruppe Broadlahn Stipendium des Berklee College of Music gierte er den Österreicher als Komponi- und dem Afro-Pop-Sänger Salif Keita aus hatte den Hochbegabten nach Boston ge- sten und Keyboarder für die Produktion . bracht. Doch statt im Hörsaal fand sich der seines Albums „Bitches Brew“. Es gilt heu- „A one-band world music festival“ Piano-Student bald in der Big Band des te als Grundstein für die Fusion von Jazz nennt die international herald tri- Trompeters Maynard Ferguson wieder. und Rock. bune Zawinuls Produktion, für die er eine Es folgten zwei Jahre als Begleiter der Zawinul gründete zusammen mit dem Grammy-Nominierung einheimste.An die- Jazz-Sängerin Dinah Washington. Dann Saxophonisten die Gruppe sem Dienstag startet Syndicate in Köln eine holte Cannonball Adderley den jungen Za- Weather Report, laut Jazz-Guru Michael Deutschlandtour. Der Meister selbst singt winul in sein Quintett – ein Bleichgesicht Naura „das Flaggschiff des Jazz-Rock“. und hext an den Keyboards. in einer schwarzen Truppe, die überwie- Das Konzept der neuen Richtung: skiz- Daß die elektronische High-Tech-Musik gend vor schwarzem Publikum auftrat. Für zenhafte Melodien, alles, was Synthesizer eine größere Distanz zwischen Künstler Adderley schrieb Zawinul den Hit „Mercy, und ähnliche Apparate hergeben, und eine und Instrument schaffe, bestreitet Zawi- Mercy, Mercy“. Milchstraße von Rhythmen. halten worden ist, wenn er in seinem Fer- rari durch Malibu kurvte?“ Freilich habe es auch immer schwarze Ressentiments gegeben. Schon zu Adder- leys Zeiten sei es vorgekommen, daß je- mand den Bandleader drängte: „Kannst du nicht einen Schwarzen als Pianisten en- gagieren?“ Da habe Cannonball geant- wortet: „Okay, aber nur, wenn du mir einen schickst, der so gut spielt wie Joe.“ Im schwarzen Amerika fand er eine neue Heimat, doch für Afrika interessier- te sich Joe Zawinul erst spät. Eines Tages kam ein Brief von Salif Keita. „Ich hatte nie von ihm gehört“, erinnert sich Zawinul, „aber der kannte meine Musik ganz ge- nau; er war mit ihr aufgewachsen.“ Zawi- nul traf Keita und produzierte mit ihm den Afro-Pop-Hit „Amen“. Schon hoch in den Fünfzigern, entdeckte Joe Zawinul im Liedgut Afrikas eine neue Liebe. Auf der CD „My People“ singt der ame- rikanisierte Österreicher in der afrikani- schen Sprache Bambara den Titel „Wa-

REDFERNS raya“ von Salif Keita. Begeistert resümiert im Land der unbegrenzten musikalischen Möglichkeiten Zawinul den Text: „Wir in Mali werden uns erst dann wirklich unabhängig fühlen, Um jene Musik zu machen, hat Miles King, die darauf folgte; später unterstütz- wenn wir so viel ernten, daß wir hungrigen Davis gesagt, müsse man „wie Joe Zawinul te er den schwarzen Präsidentschaftsbe- weißen Kindern Nahrungsmittel schicken innerlich frei sein, eine farbige Frau haben, werber Jesse Jackson; doch heute sieht er können.“ zwei beigefarbene Kinder und zwei Kla- einen neuen Trend zur Rassentrennung. Die Hinwendung zu ethnischer Musik fal- viere aus Wien“. Zawinul schmunzelt: Der Mordprozeß um den ehemaligen Foot- le ihm leicht, sagt der Jazz-Rocker Zawinul, „Schöner Satz“, aber richtig sei nur das ball-Star O. J. Simpson („Der ist ein Wea- weil er „mit Volksmusik aufgewachsen“ sei. erste: „Du mußt innerlich frei sein, wenn ther-Report-Fan“) habe das aufs neue ge- In seiner Großfamilie in Wien und bei Ver- du etwas schaffen willst.“ wandten auf dem Lande wurden tschechi- Den Kontakt mit den schwarzen Ameri- „Kannst du keinen schwarzen sche, slowenische und ungarische Lieder kanern suchte Zawinul aus einem einfa- Pianisten nehmen?“ – gesungen. Eine Großmutter war Sintiza. chen Grund: „Die spielten die Musik am Als erster aus der Sippe durfte „Pepe“ besten, die ich am meisten liebte.“ Er war „Nur, wenn er so gut ist wie Joe.“ Zawinul aufs Gymnasium. Dort traf er ei- glücklich, als seine Vorbilder ihn „wie ei- nen anderen Jungen aus einfachen Ver- nen Prinzen aufnahmen“. So konnte der zeigt: Für die Mehrheit der Weißen war hältnissen: Thomas Klestil. „Der wurde Zugereiste das schwarze Amerika kennen- O. J. schuldig; die Schwarzen hielten ihn für Schlagzeuger in meiner ersten Band“, er- lernen wie kaum ein anderer Weißer. unschuldig. zählt Zawinul, „als Becken dienten Topf- In den sechziger Jahren übernachtete Zawinul erklärt diesen gesellschaftli- deckel seiner Mutter.“ Zawinul oft aus Solidarität mit seinen Kol- chen Riß mit den Erfahrungen vieler Afro- Der Drummer von damals sei „a Super- legen vom Adderley-Quintett im Auto, Amerikaner. Sie trauten den Behörden die bursch“ und bis heute sein Freund, be- denn vielerorts standen Hotels nur Weißen Manipulation von Beweismaterial zu, denn richtet Joe Zawinul. Und so wie er als Mu- offen. zu viele von ihnen hätten feindselige Ge- siker hat es Thomas Klestil auf anderem Joe Zawinul erinnert an die hoffnungs- setzeshüter erlebt: „Was meinst du, wie oft Gebiet zu etwas gebracht – er ist Präsident volle Aufbruchszeit unter Martin Luther Miles Davis von weißen Polizisten ange- von Österreich. Hans Hielscher