DAGStat­Bulletin

Neues über Statistik und aus den Gesellschaften der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik

Ausgabe 21: und nach dem Symposium kümmerte. Juni 2018 Leider erschien aber diesmal nach der Veranstaltung nichts in der Presse, was bei dem vorangegangenen Aus dem Inhalt: schlecht besuchten Symposium der Fall gewesen war. Dies mag daran Veranstaltungen gelegen haben, dass die Pressevertre­ ter ihr Augenmerk auf die Wahl der DAGStat Symposium „Mietspiegel“ Liebe Leserinnen und Leser, Bundeskanzlerin gerichtet hatten, die an diesem Tage wiedergewählt wurde. DOTS ­ 7. Dortmunder wichtigstes DAGStat­Ereignis des letz­ Die späte Regierungsbildung hatte Tag der Statistik 2018 ten halben Jahres war das DAGStat­ auch weitere Auswirkungen auf das Symposium zum Thema „Mietspiegel Symposium. So hatte zuerst Dipl.­Inf. Persönlichkeiten und Mietpreisbremse: Darf Statistik Po­ Ulrich Kelber, Parlamentarischer litik machen?“, das am 14. März 2018 Staatssekretär beim Bundesminister Leben und Werk Erich L. in der Urania in Berlin stattfand. Mit der Justiz und für Verbraucherschutz, Lehmanns rund 130 Teilnehmern fand dieses für das Grußwort und die Podiumsdis­ Emil Gumbel: Ein einen äußerst guten Zuspruch. Vor al­ kussion zugesagt. Aber fünf Tage vor­ Statistiker und Pazifist lem nahmen nicht nur Statistiker daran her sagte er ab, weil er mit dem teil, sondern es wurde eine breit gefä­ Bundesminister Heiko Maas das Personalia cherte Bevölkerungsgruppe angespro­ Bundesministerium gewechselt hatte. chen, womit das Ziel der DAGStat­ Mit MDn Beate Kienemund, Ab­ Symposien erreicht wurde. So nahmen teilungsleiterin für Bürgerliches Recht sowohl zahlreiche Mitglieder von Mie­ des BMJV, wurde für das Grußwort ter­ und Vermietervereinen als auch aber eine sehr kompetente Vertreterin Urania­Mitglieder teil. In diesem Jahr gefunden. Was inhaltlich auf diesem war auch die Bewerbung durch die Symposium angesprochen und disku­ Urania deutlich effektiver als im Vor­ tiert wurde, lesen Sie in diesem Bulle­ jahr. Ob der außergewöhnlich hohe tin in dem Bericht von Hans­Jürgen Zuspruch durch die gute Kooperation Amtage. mit der Urania oder eher durch das Thema oder die Referenten bedingt Kurz nach dem Symposium fand vom war, lässt sich nicht nachvollziehen. 25. bis 28. März 2018 das 64. Biome­ Erstmalig hatte die DAGStat einen pro­ trische Kolloquium an der Goethe­Uni­ fessionellen Journalisten engagiert, der versität Frankfurt statt. Einer der be­ sich um die Öffentlichkeitsarbeit vor deutendsten Statistiker, nämlich Erich

Sektion Methoden der Empirischen Sozialforschung der DGS Veranstaltungen

L. Lehmann, verbrachte seine Kindheit und Jugend DAGStat­Symposium 2018 bis 1933 in Frankfurt am Main. Auf Initiative von „Mietspiegel und Mietpreisbremse – Herrn Neuhäuser hatte daher die Deutsche Region Darf Statistik Politik machen?“ der Biometrischen Gesellschaft anlässlich einer Sondersession auf dem Biometrischen Kolloquium 2018 bei der Stadt Frankfurt die Anfrage gestellt, Was haben der hochgiftige Kugelfisch einen Straßennamen zu Ehren von Erich Lehmann und ein Mietspiegel gemeinsam? Rich­ zu benennen. Die DAGStat hatte diesen Vorschlag tig zubereitet sind sie eine Freude. unterstützt. Leider erfolgte während des Biometri­ Falsch angerichtet, können sie in einer schen Kolloquiums keine Zusage zur Namensbe­ nennung, sondern der Name wurde lediglich auf Katastrophe enden. eine Liste von Namensvorschlägen gesetzt. Es bleibt also abzuwarten, ob und was für eine Straße von Hans­Jürgen Amtage nach Erich Lehmann benannt werden wird. Wir nehmen diese Initiative aber gern zum Anlass, in Diesen Vergleich hat der Wirtschafts­ und Sozial­ diesem Bulletin über das Leben und Werk von statistiker Prof. Dr. Walter Krämer (TU Dortmund) Erich Lehmann zu berichten. beim DAGStat­Symposium „Mietspiegel und Miet­ preisbremse – Darf Statistik Politik machen?“ in Während Erich Lehmanns Familie als jüdische Fa­ Berlin gezogen. Auf Einladung der Deutschen Ar­ milie unter den Nationalsozialisten leiden und des­ beitsgemeinschaft Statistik (DAGStat) diskutierten wegen emigrieren musste, musste ein anderer am 14.03.2018 die Mietspiegel­Experten Krämer bedeutender Statistiker nicht nur aufgrund seiner und der Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfi­ jüdischen Abstammung sondern auch wegen sei­ nanzierung an der Universität Regensburg, Prof. ner politischen Überzeugungen und als Pazifist Dr. Steffen Sebastian, mit weiteren Fachleuten in Deutschland 1932 verlassen, nachdem er vorher der Urania Berlin. Die DAGStat bündelt mit ihren die Lehrerlaubnis verloren hatte. Dies war Emil 14 Mitgliedsorganisationen vom Statistischen Gumbel, ein Bevölkerungsstatistiker und Begrün­ Bundesamt bis zur Deutschen Gesellschaft für Sta­ der der Extremwertstatistik, nach dem auch die tistik verschiedene Ausrichtungen der Disziplin Sta­ Gumbel­Verteilung benannt ist. Zudem wurde die tistik. Dabei reicht das Spektrum von der Biometrie Gumbel­Vorlesung ins Leben gerufen, die auf der bis zur Epidemiologie und Soziologie. Statistischen Woche 2006 erstmals stattfand und seitdem jedes Jahr auf der Statistischen Woche Statistik sei allgegenwärtig, erinnerte die DAGStat­ von vielversprechenden Nachwuchswissenschaft­ Vorsitzende Prof. Dr. Christine Müller (TU Dort­ lern als Auszeichnung gehalten wird. mund) in ihrer Einführung in das Symposium. Das Ulrich Rendtel liefert in seinem Beitrag in diesem gelte auch für den Mietspiegel. Das Erstellen sol­ Bulletin viele interessante Informationen über die­ cher Datensammlungen sei ein Geschäft, das von sen politisch sehr engagierten Statistiker. den erstellenden Instituten sehr unterschiedlich ge­ handhabt werde. Neben einem Bericht über den Dortmunder Tag der Statistik enthält dieses Bulletin unter der Rubrik Dem pflichtete auch die Abteilungsleiterin für „Personalia“ zwei Nachrufe. Besonders überra­ bürgerliches Recht beim Bundesminister der Justiz schend kam der Tod von Sabine Krolak­Schwerdt, und für Verbraucherschutz, Beate Kienemund, bei. die mit nur 58 Jahren verstarb. Sie war als Organi­ Die Bedeutung von Mietspiegeln in Verbindung mit satorin für die Sektion „ in Behavorial and Statistik dürfe nicht unterschätzt werden. Daher Educational Sciences“ auf der DAGStat­Tagung sollte die Statistik einen Platz in der Politik einneh­ 2019 vorgesehen gewesen. men. Mietspiegel seien gerade in Verbindung mit der Mietpreisbremse von größter Relevanz, erin­ In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass nerte Kienemund. die Vorbereitungen zur 5. Tagung der DAGStat, die 2019 in München stattfinden wird, bereits gut fort­ Mietspiegel und Statistik seien eigentlich eine geschritten sind. Liebesheirat. Allerdings knirsche es in der Bezie­ hung ganz gewaltig, erklärte Walter Krämer. Denn Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß beim Lesen. die Urheber hätten zwei statistische Probleme. Zum einen die Einteilung von Wohnungen in homo­ Ihre Christine Müller gene Typenklassen. Zum anderen den Weg, die Vorsitzende der DAGStat durchschnittliche Miete zu ermitteln. Das führe zu einem fortwährenden Ringen um die Beantwortung dieser Fragen. Schon die Frage, welche Wohnung in welchen Topf komme, werde völlig unterschied­

DAGStat­Bulletin 2 Veranstaltungen

lich gehandhabt. So hat Hamburg beispielsweise Im Gegenzug betonte der Volkswirt und wissen­ den Mietspiegel in zwei Typenklassen eingeteilt, schaftliche Mitarbeiter des unabhängigen For­ Berlin in drei und Frankfurt in fünf. schungs­ und Beratungsinstitutes Empirica AG, Lorenz Thomschke, dass viele Mietspiegel unter Bei der Frage nach der durchschnittlichen Miete dem statistisch­methodischen Aspekt nicht korrekt führten drei Fehler häufig zum Desaster, betonte seien. Viele Dinge liefen hier schief. Mietspiegel Krämer. Dieses seien verzerrte Stichproben, fal­ seien konfliktbeladen, mahnte auch Dr. Claus Mi­ sche Nettokaltmieten und die sogenannten fehl­ chelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsfor­ spezifischen Regressionsmodelle, die er anhand schung. Er sieht außerdem das Problem bei des Kugelfisch­Dilemmas erläuterte: Es kommt auf Neuvermietungen, das vor dem Hintergrund von das Zubereitungsmodell an, bei dem es alle erklä­ Mietspiegel und Mietpreisbremse gelöst werden renden Faktoren zu berücksichtigen gelte. Aktuell müsse. auch die energetische Ausweisung. Laut wurde im Podium auch die Forderung nach ei­ Für eine gerechte und effiziente Regulierung des nem „Führerschein“ für Institute, die Mietspiegel er­ Wohnungsmarktes votierte Steffen Sebastian. Der stellen. Zudem gab es Stimmen, dass die Erstel­ Wissenschaftler, der auch Vorsitzender der Miet­ lung von Mietspiegeln durch die Amtsstatistik der spiegelkommission der Gesellschaft für immobilien­ beste Weg sein könne. Allein die Auskunftspflicht wirtschaftliche Forschung mit Sitz in Wiesbaden ist, gegenüber diesen Einrichtungen sei ein großer sprach sich für die Möglichkeit von Mieterhöhungen Vorteil, um Ungenauigkeiten bei der Erhebung von und Neuvermietungen auf Marktniveau aus. Auch Daten zu vermeiden. wenn er aus dem Elfenbeinturm argumentiere, so halte er verpflichtende Belegungsrechte ohne Miet­ preisbindung für angebracht. Sebastian empfahl, Mietspiegel durch amtliche Statistiker erstellen zu lassen, was eine Vielzahl von Problemen lösen würde.

Kritisch ging der Wirtschaftsforscher mit der Woh­ nungspolitik insgesamt ins Gericht. Bislang würden komplizierte Statistiken für eine ungenaue Woh­ nungspolitik eingesetzt. Außerdem müsse Statistik politisch unabhängig sein. Mietspiegel seien zudem häufig ungerecht, ungenau und ineffizient. So Referentinnen und Referenten des DAGStat­Symposiums „Miet­ warnte Sebastian davor, dass in Folge von künst­ spiegel und Mietpreisbremse: Darf Statistik Politik machen?“: lich niedrig gehaltenen Mietpreisen das Angebot (v. l.) Lorenz Thomschke, Dr. Claus Michelsen, Prof. Dr. Steffen zurückgehe. Gleichzeitig steige die Nachfrage. Die Sebastian, Prof. Dr. Christine Müller, Prof. Dr. Walter Krämer, Preise stiegen. Denn, so Steffen Sebastian: „Ange­ MDn Beate Kienemund, RA Dr. Kai H. Warnecke, Reiner Wild. Foto: DAGStat/Amtage bot und Nachfrage regeln den Preis.“ Daher gebe es den Bedarf für eine effiziente und treffsichere Regulierung anstelle des Gießkannenprinzips. Dortmunder Tag der Statistik In der anschließenden Podiumsdiskussion erinner­ te der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, (DOTS 2018) Reiner Wild, daran, dass ein qualifizierter Miet­ spiegel eine befriedende Wirkung habe. Er warnte von Christine Müller davor, das Recht auf Wohnen hinsichtlich von An­ gebot und Nachfrage mit einem Produkt aus dem Die Nachfrage zum Dortmunder Tag der Statistik Supermarkt gleichzusetzen. am 6. Februar 2018 war diesmal riesig.

Dass auch ein „Rotwein­Mietspiegel“, der zwischen Über 450 Schülerinnen und Schüler zusammen mit Vermieter­ und Mieterverbänden quasi beim Rot­ ihren Lehrerinnen und Lehrern verfolgten am Vor­ wein ausgehandelt wurde, erfolgreich sein könne, mittag im rappelvollen Hörsaal vier Vorträge, die al­ darauf verwies der Präsident von Haus & Grund le etwas mit Statistik im Wandel der Zeit zu tun Deutschland, Dr. Kai Warnecke. Als Beispiel führte hatten: So stellte Prof. Dr. Roland Fried statistische er Köln an, wo ein solcher Mietspiegel eingesetzt Analysen zum Klimawandel vor. Prof. Dr. Walter werde. Zudem sei es ein Irrweg, dass qualifizierte Krämer zeigte, wie sich statistische Irrtümer und ir­ Mietspiegel gerichtlich nicht angreifbar seien. rationale Ängste über die Zeit ändern. So waren die Ängste vor einem selbstfahrenden Wagen an­

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fangs so groß, dass in England diese nur Schritt Leben und Werk Erich L. Lehmanns fahren durften und jemand mit einer roten Fahne vorangehen musste. Vorher hatte Pastor Bayes im von Markus Neuhäuser (Remagen) 18. Jahrhundert bei der Suche nach einem Gottes­ und Ludwig Hothorn (Hannover) beweis eine statistische Methode entwickelt, die heutzutage aus Wissenschaft, Gesellschaft und Erich Leo Lehmann, einer der Technik nicht mehr wegzudenken ist. Im modernen bedeutendsten Statistiker des Smartphone kommt genau diese Methode zum 20. Jahrhunderts, verbrachte Einsatz, wie Prof. Dr. Christine Müller demonstrier­ seine Kindheit und Jugend bis te. Wie Preise für Staatsanleihen verschiedener 1933 in Frankfurt am Main. Die Länder sich zeitlich ändern, war Thema des Be­ IBS­DR nahm dies zum Anlass, rufspraxisvortrages von Dr. Martin Hillebrand vom Prof. Lehmann beim Biometri­ Europäischen Rettungsfonds. Dabei waren die Irri­ schen Kolloquium in Frankfurt tationen, die die Euro­Krise und der Brexit ausge­ im März 2018 mit einer beson­ löst hatten, in den statistischen Darstellungen sehr Foto: privat deren Session zu ehren. gut zu erkennen. Erich Lehmann wurde 1917 in Straßburg geboren, das damals zum Deutschen Kaiserreich gehörte. Die Familie zog nach Frankfurt a.M., wo Lehmann seine Kindheit und Jugend verlebte. Seine jüdische Familie hatte seit vielen Generationen in Deutsch­ land gelebt, verließ dann aber nach der Machter­ greifung der Nationalsozialisten 1933 Deutschland und zog nach Zürich. Zum Studium ging Lehmann 1938 zum Trinity College ins englische Cambridge. Lehmann interessierte sich für Deutsche Literatur und Mathematik. Er entschied sich für ein Studium der Mathematik, da die Germanistik für ihn als Emi­ granten weniger erfolgversprechend erschien. Der Studienort Cambridge war eine Empfehlung des Mitmach­Aktion „Wie viele Fische sind im Teich“ (Foto: Felix Schmale, TU Dortmund) Zahlentheoretikers Matthias Landau, mit dem die Familie befreundet war und der, als jüdischer Am Nachmittag gab es nach einer Studienin­ Wissenschaftler, ebenfalls Deutschland hatte ver­ formation fünf Mitmach­Aktionen. Dr. Uwe Ligges lassen müssen. führte mit den Schülerinnen und Schülern eine in­ teraktive computergestützte Live­Analyse von Als 1940 die Gefahr einer deutschen Invasion be­ Daten aus seiner statistischen Beratung durch, stand, ging Lehmann in die USA. Richard Courant, während eine andere Gruppe eine Schokoladen­ ein ehemaliger Kollege von Landauer in Göttingen, ader suchte. Prof. Dr. Joachim Kunert testete, ob ebenfalls jüdisch, hatte seine Professur in Göttin­ Cola Zero wie Coca Cola schmeckt. Weitere Grup­ gen verloren und war seit 1936 Professor in New pen schätzten die Anzahl von Bällen in Kästen York. Er empfahl Berkeley als eine aufstrebende oder zogen Stichproben aus einer Population von Universität. Lehmann erhielt dort 1942 seinen Mas­ Süßigkeiten. ter in Mathematik und kam als Teaching Assistant im Bereich Statistik zu .

Ab August 1944 war Lehmann für ein Jahr auf der Pazifikinsel Guam und analysierte die Genauigkeit von Bomben. Dort war auch Joseph L. Hodges sta­ tioniert, mit dem Lehmann später zahlreiche ge­ meinsame Publikationen verfasste. 1946 promovierte Lehmann mit einer Arbeit über „Optimum tests of a certain class of hypotheses specifying the value of a correlation coefficient“. Lehmann blieb in Berkeley, unterbrochen nur durch Visiting Positions in Columbia, Princeton und Stan­ ford. An der traf Lehmann auf Henry Scheffé, mit dem er in der Folge das Mitmach­Aktion „Von der Stichprobe zur Population: Eine Lehmann­Scheffé­Theorem entwickelte. Mitmach­Aktion für Naschkatzen“ (Foto: Felix Schmale, TU Dortmund) DAGStat­Bulletin 4 Persönlichkeiten

Lehmann war Professor im Statistik­Department, Emil Gumbel: das 1955 in Berkeley gegründet wurde. Von 1973­ Ein Statistiker und Pazifist 76 leitete er dieses Department, 1988 wurde er emeritiert. Bekannt ist Lehmann vor allem auch durch seine Lehrbücher. Die Monographien „Tes­ von Ulrich Rendtel ting Statistical Hypotheses“, „Theory of Point Esti­ mation“ sowie „Nonparametrics: Statistical Methods Statistik gilt landläufig als eine Methodik, die zwar based on Ranks“ sind Standardwerke. Lehmann Sachbezüge aufdeckt und mit Zahlen belegt, aber erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter Eh­ sich ansonsten nicht in das politische Geschäft ein­ rendoktortitel von den Universitäten Chicago und mischt. Gleiches erwartet man auch von ihren Leiden. Am 12.09.2009 starb Erich Lehmann im Al­ Fachvertretern. ter von 91 Jahren, wobei er bis ins hohe Alter hin­ ein wissenschaftlich aktiv blieb. Die „Gumbel­Vorlesung“ gehört seit langem zum Standardprogramm der Statistischen Woche. Wer Auf Initiative der IBS­DR, und mit Zustimmung sei­ war Gumbel? Auf der Gumbel­Vorlesung wurde ner Witwe Prof. J. Shaffer, hat die DAGStat Ende bislang nicht an den Namensgeber erinnert. Ich er­ des vorigen Jahres dem Frankfurter Oberbürger­ innere mich: Da gibt es eine Gumbel­Verteilung, meister vorgeschlagen, eine Straße nach Erich die für Extremwerte genutzt wird. Und: War Gum­ Lehmann zu benennen. Dieser Vorschlag ist positiv bel nicht einer der wenigen Deutschen, die als Sta­ aufgenommen worden. Die Erich­Lehmann­Straße tistiker in den USA zu Ansehen gekommen waren? ist auf die Vorschlagsliste für künftige Benennun­ gen aufgenommen worden. Nun obliegt es den Diese Fakten sind zwar korrekt, aber diese Sicht­ Ortsbeiräten, aus der Vorschlagsliste den Namen weise blendet wesentliche und vor allem inte­ auszuwählen. ressante Teile der Persönlichkeit von Emil Gumbel (1891 ­ 1966) aus: Emil Gumbel war ein leiden­ Auf der Lehmann­Session im Rahmen des Biome­ schaftlicher Pazifist, der statistische Methoden zum trischen Kolloquiums in Frankfurt trugen Markus Beleg der politischen Einäugigkeit der deutschen Neuhäuser (Remagen) und Ludwig A. Hothorn Richterschaft einsetzte und der Opfer einer natio­ (Hannover) über Leben und Werk Erich Lehmanns nal­konservativen Professorenschaft war, die ihm vor. Stefan Wellek (Mannheim) referierte über die auch noch in den 1950­er Jahren eine Rückkehr an Relevanz von Lehmanns Werk im Kontext des seine Heimatuniversität Heidelberg verweigerte. ASA­Statements zu p­Werten. Werner Brannath Hier ein kurzer Abriss der wichtigsten Fakten: (Bremen) referierte über Hypothesentests und Feh­ lerraten in klinischen Studien. Edgar Brunner (Göt­ Emil Gumbel kehrt aus dem ersten Weltkrieg als tingen) fokussierte auf die Nichtparametrik und trug engagierter Pazifist zurück. Die Nachkriegsjahre über Hodges­Lehmann­Schätzer vor. sind in Deutschland geprägt durch gewalttätige Auseinandersetzungen und politische Morde. Gumbel sammelt akribisch Fakten über 354 Morde von rechts und 22 von links. Von den rechten blei­ Quellen: ben 326 ungesühnt, von den linken 4. 1922 publi­ Brillinger DR (2010): Erich Leo Lehmann, 1917­2009 (obituary). J. R. Statist. Soc. A 173, 683­686. ziert Gumbel die Dokumentation dieser Fälle unter Lehmann EL (2008): Reminiscences of a : the dem Titel „4 Jahre politischer Mord“. Interessant ist company I kept. Springer.

DAGStat­Bulletin 5 Persönlichkeiten Personalia

dabei die statistische Schlussweise, mit der er die Die juristische Auseinandersetzung zieht sich bis Blindheit der deutschen Richterschaft auf dem 1956 hin. rechten Auge dokumentiert. 1958 erscheint Gumbels Hauptwerk „Statistics of Kurze Zeit später erhält Gumbel Anfang 1923 die Extremes“. 8 Jahre später stirbt Gumbel 1966 in Venia Legendi für Statistik an der Universität Hei­ New York an Lungenkrebs. In Deutschland er­ delberg. Kurz darauf ein „Eklat“: Auf einer pazi­ scheint kein einziger Nachruf. Erst 1991, anlässlich fistischen Veranstaltung zum 10. Jahrestag des seines 100. Geburtstags, rehabilitiert die Heidel­ Beginns des 1. Weltkrieges ruft er zu einer Schwei­ berger Universität Gumbel mit einer Gedenkfeier, geminute für die toten Soldaten auf, „die – ich will bei der die Unrechtmäßigkeit seiner Entlassung nicht sagen auf dem Feld der Unehre ­ aber doch ausdrücklich festgestellt wird. auf grässliche Weise ums Leben kamen“. Schon vier Tage später wurde auf Druck des nationalso­ zialistischen Studentenbundes und der korporierten Studentenschaft von der Universitätsleitung ein Literatur: Heither, Dietrich (2016): „Ich wusste, was ich tat – Emil Untersuchungsausschuss eingesetzt, der das Ziel Julius Gumbel und der rechte Terror in der Weimarer hatte, Gumbel die Lehrbefähigung zu entziehen. Republik“ Papyrossa Verlag, Köln Das Verfahren wird 1926 ohne Sanktion beendet, obwohl die Fakultät feststellt, Gumbel sei eine „ausgesprochene Demagogennatur“.

Nachdem man Gumbel mehrfach bei der Ernen­ nung zum außerordentlichen Professor über­ gangen hatte, entschied das Kultusministerium 1930 gegen Gumbels Fakultät dessen Ernennung zum außerordentlichen Professor. Die Ernennung Gumbels zum Professor nutzten der nationalsozia­ listische Studentenbund und die studentischen Korporationen zu einer breit angelegten Kampagne Nachruf auf „zur Entfernung Gumbels“ von der Heidelberger Prof. Dr. Sabine Krolak­Schwerdt Universität. In Folge dieser Kampagne kam es zu als „Gumbel Krawalle“ bezeichneten Ausschreitun­ gen und Saalschlachten. Ein Großteil der Heidel­ berger Ordinarien schloss sich der Forderung nach „Entfernung Gumbels aus Heidelberg“ an. Im Mai 1932 brachte diese Koalition Gumbel endgültig zu Fall. Auf einer internen Veranstaltung des sozialis­ tischen Studentenbundes spottete er in Anspielung auf den Kohlrübenwinter 1917/18, dass eine leicht bekleidete Jungfrau mit Siegespalme kein ange­ messenes Denkmal des Krieges sei. Besser geeig­ net sei angesichts der 700.000 Hungertoten eine große „Kohlrübe“ als Symbol von Hunger, Schre­ cken und Krieg. Bereits drei Monate später wurde Gumbel wegen „Unwürdigkeit“ die Lehrerlaubnis entzogen. Am 12. Dezember 2017 ist Frau Prof. Dr. Sabine Krolak­Schwerdt (20.12.1958­12.12.2017) kurz vor Gumbel geht daraufhin nach Frankreich. Im Juni Vollendung ihres 59. Lebensjahres nach kurzer 1940 gelingt ihm im letzten Moment vor den ein­ schwerer Krankheit verstorben. Seit 2015 war sie rückenden deutschen Truppen über Marseille die Gründungspräsidentin der European Association Flucht in die USA, wo er erst 1953 eine Stelle als for Data Science (EuADS) und engagierte sich in­ außerordentlicher Professor an der Columbia Uni­ tensiv für die Etablierung dieser interdisziplinären versity erhält. Seine Versuche in den 1950­er Jah­ Wissenschaftsorganisation und deren feste Veran­ ren, an die Universität Heidelberg zurückzukehren, kerung innerhalb der Statistik. Als Inhaberin des werden zurückgewiesen. Sein Antrag auf Wieder­ Lehrstuhls für Psychologisch­Pädagogische Dia­ gutmachungszahlung wird zunächst zurückgewie­ gnostik und Methoden an der Fakultät für Sprach­ sen, da er ja bereits 1932 entlassen worden sei wissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaf­ und er damit nicht unter das „Gesetz zur Wieder­ ten, Kunst und Erziehungswissenschaften an der gutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ falle. Universität Luxembourg hat sie neben der interdis­

DAGStat­Bulletin 6 Personalia

ziplinären Forschung besonders die europäische Nachruf auf Prof. Dr. Friedrich Liese Zusammenarbeit in ihrem Fachgebiet gefördert und die erste European Conference on Data Analysis Prof. Dr. Friedrich Liese ist am 28.04.2018 nach (ECDA) im Jahre 2013 organisiert (eine Videodo­ langer schwerer Krankheit gestorben. kumentation dieser Konferenz ist hier(1) zu finden). Herr Liese war von 1985 bis zu seiner Pensionie­ Nach ihrem Studium der Psychologie wurde sie rung im Jahre 2009 als Professor für Stochastik/ 1990 an der Universität des Saarlandes mit einer Mathematische Statistik am Institut für Mathematik Arbeit zu „Modellen der dreimodalen Faktoranaly­ der Universität Rostock tätig und auch noch in sei­ se“ promoviert und habilitierte sich im Jahr 2000 an nem Ruhestand äußerst aktiv. Sein Tod stellt für der Fakultät für Psychologie der Universität des uns sowohl in wissenschaftlicher als auch in Saarlandes mit ihrer Habilitationsschrift „Kategorien menschlicher Hinsicht einen schmerzlichen Verlust des Persongedächtnisses. Einfluss von Stimulus­ dar. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie. merkmalen und Verarbeitungszielen auf ihre Akti­ vierung“. Alexander Meister

Nach ihrer Berufung im Jahre 2007 auf eine W3­Professur zu Psychological and Educational Assessment an der Fakultät für Erziehungs­ und Sozialwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal lehnte sie einen Ruf auf eine Professur für Angewandte Methoden der Psychologie an die Mitteilung über den Tod von Universität Wien ab und wechselte 2008 an die Universität Luxembourg. Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Heyer

Sabine Krolak­Schwerdt hat über 100 wissen­ Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Heyer ist am 8. Fe­ schaftliche Artikel in einschlägigen Journalen, Kon­ bruar 2018 verstorben. Herr Heyer hatte von 1969 ferenz­ und Sammelbänden publiziert. Sie war eine bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2004 einen international anerkannte Wissenschaftlerin und ihre Lehrstuhl für Reine und Angewandte Mathematik Forschung wurde kontinuierlich von der Deutschen am Mathematischen Institut der Universität Tübin­ Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Fonds gen inne und war dort bis zu seinem Tode wissen­ National De la Recherche (FNR) gefördert. schaftlich aktiv.

Mit ihr verliert die internationale Wissenschaftsge­ Martin Möhle, Elmar Teufl, Martin Zerner meinschaft, insbesondere die EuADS und die GfKl, Arbeitsbereich Stochastik eine bedeutende Protagonistin, eine stets auf Aus­ Fachbereich Mathematik ­ Universität Tübingen gleich bedachte Kollegin und Freundin.

Adalbert Wilhelm und GfKl _ Data Science Society

1) Videodokumentation der ECDA 2013: www.youtube.com/watch?v=EcSpH5my0kQ Mitteilung über den Tod von Prof. Dr. Wolfgang Weil

Herr Prof. Dr. Wolfgang Weil ist am 8. Februar 2018 im Alter von 72 Jahren völlig unerwartet ver­ storben. Wolfgang Weil hat die Integralgeometrie und die Stochastische Geometrie durch seine zahl­ reichen sehr einflussreichen Arbeiten und Mono­ graphien maßgeblich geprägt. Wir verlieren mit ihm einen herausragenden Wissenschaftler, ausge­ zeichneten akademischen Lehrer und wunderbaren Menschen.

Daniel Hug und Günter Last

DAGStat­Bulletin 7 Personalia Impressum

Auszeichnungen, Preisträger, Am 28.04.2018 ist Prof. Dr. Friedrich Liese Persönlichkeiten (Universität Rostock bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2009) verstorben. Einen Nachruf von Alex­ ander Meister finden Sie weiter oben in diesem Aus der IBS­DR Bulletin.

Honorary Life Membership der IBS an Martin Schumacher verliehen

Dem Ehrenmitglied der Deutschen Region der In­ ternationalen Biometrischen Gesellschaft (IBS) Martin Schumacher (Freiburg) wurde die Honorary Life Membership der IBS verliehen.

Martin Schumacher ist ein herausragender Wis­ senschaftler, akademischer Lehrer und Vorbild für die biometrische Gesellschaft. Die Nominierung wurde von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten aus mehreren Regionen der IBS unterstützt. Der Preis wird auf der Awards Ceremony der Interna­ tional Biometric Conference in Barcelona (8.­13. Juli 2018) verliehen werden.

Aus dem Statistischen Bundesamt Impressum

DAGStat ­ Deutsche Arbeitsgemeinschaft Statistik Gerhard­Fürst­Preis 2018 Prof. Dr. Christine Müller, Vorsitzende Prof. Dr. Wolfgang Schmid, stellv. Vorsitzender Prof. Dr. Tim Friede, designierter Vorsitzender Mit dem seit 1999 verliehenen Gerhard­Fürst­Preis apl. Prof. Dr. Hans Peter Wolf, Schatzmeister zeichnet das Statistische Bundesamt (Destatis) jährlich herausragende wissenschaftliche Arbeiten Geschäftsstelle: Deutsche Arbeitsgemeinschaft Statistik in den Kategorien Bachelor/Master und Dissertatio­ Universität Bielefeld | Fakultät für Wirtschaftswissenschaften nen, mit einem engen Bezug zur amtlichen Statis­ Lehrstuhl für Statistik und Datenanalyse Postfach 10 01 31 tik, aus. 33501 Bielefeld www.destatis.de/DE/UeberUns/UnsereAufgaben/ E­Mail: [email protected] | www.dagstat.de GerhardFuerstPreis/GerhardFuerstPreis.html. Vertreter der Gesellschaften: Zu den Preisträgern des Jahres 2018 findet sich Prof. Dr. Wolfgang Schmid, Deutsche Statistische Gesellschaft die Laudation von Prof. Dr. Walter Krämer in 'Wirt­ Prof. Dr. Yarema Okhrin, Deutsche Statistische Gesellschaft schaft und Statistik WISTA' 6/2017: Prof. Dr. Tim Friede, Internationale Biometrische Gesellschaft Prof. Dr. Katja Ickstadt, Internationale Biometrische Gesellschaft www.destatis.de/DE/Publikationen/Wirtschaft Prof. Dr. Natalie Neumeyer, Fachgruppe Stochastik der DMV Statistik/2017/06/VerleihungGerhardFuerst Prof. Dr. Markus Pauly, Fachgruppe Stochastik der DMV Prof. Dr. Adalbert F. X. Wilhelm, Gesellschaft für Klassifikation e.V. Preis2017_062017.pdf?__blob=publicationFile. Prof. Dr. Hans A. Kestler, Gesellschaft für Klassifikation e.V. Michael Haußmann, Verband Deutscher Städtestatistiker Hartmut Bömermann, Verband Deutscher Städtestatistiker Prof. Dr. Harald Binder, Fachbereich Biometrie der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. Prof. Dr. Rolf Biehler, Verein zur Förderung des schul. Stochastikunterrichts e.V. Dr. Sigrid Behr, Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie e.V. Aus der Fachgruppe Stochastik der DMV Prof. Dr. Jörg Breitung, Ökonometrischer Ausschuss des Vereins für Socialpolitik Prof. Dr. Hajo Holzmann, Ökonometrischer Ausschuss des Vereins für Im März 2018 wurde auf den Stochastik­Tagen in Socialpolitik Prof. Dr. Heinz Holling, Fachgruppe Methoden und Evaluation der DGPs Freiburg der Förderpreis der Fachgruppe Stochas­ Prof. Dr. Tobias Wolbring, Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung tik der DMV an Lisa Hartung und Stefan Richter der DGS Dr. Marco Giesselmann, Sektion Methoden der empirischen Sozialforschung verliehen. der DGS Bertram Schäfer, Deutsche Sektion der ENBIS Peter Schmidt, Statistisches Bundesamt Einzelheiten finden Sie hier: Dr. Kilian Seng, Sektion Methoden der DVPW http://www.fg­stochastik.de/foerderpreis­der­fach­ Prof. Dr. Joachim Behnke, Sektion Methoden der DVPW gruppe.html

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