Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/54

Deutscher

Stenografischer Bericht

54. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- neten Dr. Wolfgang Schäuble und Wilfried rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Lorenz...... 4883 A zes zur Änderung der Finanzhilfeinstru- mente nach Artikel 19 des Vertrags vom Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- 2. Februar 2012 zur Einrichtung des nung...... 4883 B Europäischen Stabilitätsmechanismus Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 und 15. 4884 B Drucksachen 18/2580, 18/2628 ...... 4884 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Tagesordnungspunkt 3: BMF ...... 4885 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr. (DIE LINKE) ...... 4887 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Erfurt) (SPD) ...... 4888 D zes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/ 59/EU des Europäischen Parlaments Dr. (BÜNDNIS 90/ und des Rates vom 15. Mai 2014 zur DIE GRÜNEN) ...... 4891 A Festlegung eines Rahmens für die Sanie- (CDU/CSU) ...... 4892 C rung und Abwicklung von Kreditinstitu- ten und Wertpapierfirmen und zur Än- Dr. (DIE LINKE) ...... 4894 B derung der Richtlinie 82/891/EWG des Manfred Zöllmer (SPD) ...... 4895 B Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/ 47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/ (BÜNDNIS 90/ EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/ DIE GRÜNEN) ...... 4896 D 36/EU sowie der Verordnungen (EU) (CDU/CSU) ...... 4897 D Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates () (SPD) ...... 4899 B (BRRD-Umsetzungsgesetz) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . 4900 B Drucksachen 18/2575, 18/2626 ...... 4884 C (CDU/CSU) ...... 4901 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (CDU/CSU) ...... 4903 A zes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Ab- Tagesordnungspunkt 4: wicklungsfonds und über die gemein- a) Beratung der Antwort der Bundesregierung same Nutzung dieser Beiträge auf die Große Anfrage der Abgeordneten Drucksachen 18/2576, 18/2627 ...... 4884 C , , Herbert c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Behrens, weiterer Abgeordneter und der rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Fraktion DIE LINKE: Soziale, ökologi- zes zur Änderung des ESM-Finanzie- sche, ökonomische und politische Effekte rungsgesetzes des EU-USA-Freihandelsabkommens Drucksachen 18/2577, 18/2629 ...... 4884 D Drucksachen 18/432, 18/2100...... 4904 B II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, (DIE LINKE) ...... 4920 C Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 4921 A LINKE: Freihandelsabkommen zwi- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ schen der EU und Kanada CETA zu- DIE GRÜNEN) ...... 4922 C rückweisen Drucksache 18/2604 ...... 4904 B (SPD) ...... 4924 B Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 4924 C in Verbindung mit Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) ...... 4925 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Dr. (SPD) ...... 4927 C Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Dr. (CDU/CSU) ...... 4928 B Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (CDU/CSU) ...... 4929 D GRÜNEN: Keine Klageprivilegien für Kon- zerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen Drucksache 18/2620 ...... 4904 B Namentliche Abstimmungen...... 4931 B

in Verbindung mit Ergebnisse ...... 4933 D, 4936 A, 4938 B

Zusatztagesordnungspunkt 3: Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Erste Beratung des von den Fraktionen der schusses für Wirtschaft und Energie zu dem CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, eines … Gesetzes zur Änderung des Straf- , Bärbel Höhn, weiterer Abgeord- gesetzbuches – Umsetzung europäischer neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Vorgaben zum Sexualstrafrecht GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klage- Drucksache 18/2601 ...... 4932 B privilegien für Konzerne Drucksachen 18/1458, 18/2646 ...... 4904 C in Verbindung mit Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 4904 C , Bundesminister Zusatztagesordnungspunkt 4: BMWi ...... 4906 B (DIE LINKE) ...... 4907 C Antrag der Abgeordneten Dr. , Katja Dörner, Tabea Rößner, weite- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 4908 C rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dr. (BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN: Kinder schützen – DIE GRÜNEN) ...... 4911 A Prävention stärken Drucksache 18/2619 ...... 4932 B Dr. (CDU/CSU) ...... 4912 B , Bundesminister Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ BMJV ...... 4932 C DIE GRÜNEN) ...... 4915 A (DIE LINKE) ...... 4941 A Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) ...... 4915 B (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 4942 D Sigmar Gabriel (SPD) ...... 4915 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4944 B DIE GRÜNEN) ...... 4915 D Dr. (SPD) ...... 4945 C (SPD) ...... 4916 A (DIE LINKE) ...... 4917 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 4946 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 4917 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4948 B (Peine) (SPD) ...... 4918 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 4948 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 4919 B Susann Rüthrich (SPD) ...... 4949 B Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi ...... 4920 A Dr. (CDU/CSU) ...... 4950 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 III

Tagesordnungspunkt 25: g) Beratung der Unterrichtung durch die Deutsche Welle: Aufgabenplanung der a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Deutschen Welle 2014 bis 2017 rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 18/2536 ...... 4952 C zes zu dem Vertrag vom 14. April 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Weltgemeinschaft Refor- Zusatztagesordnungspunkt 5: mierter Kirchen – Körperschaft des öf- fentlichen Rechts a) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Drucksache 18/2587 ...... 4951 D Birkwald, , Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion b) Erste Beratung des von der Bundesregie- DIE LINKE: Wiedereingliederung för- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- dern – Gefangene in die Renten-, Kran- zes zu dem Abkommen vom 22. Juni ken- und Pflegeversicherung einbezie- 2010 zur zweiten Änderung des Part- hen nerschaftsabkommens zwischen den Drucksache 18/2606 ...... 4952 D Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Pazifischen Ozean einerseits und der Cem Özdemir, , weite- Europäischen Gemeinschaft und ihren rer Abgeordneter und der Fraktion Mitgliedstaaten andererseits (Zweites BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verfolgt, Änderungsabkommen zum AKP-EG- vertrieben, vergessen – Völkermord an Partnerschaftsabkommen) den Rohingya verhindern Drucksache 18/2591 ...... 4951 D Drucksache 18/2615 ...... 4952 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- c) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Annalena Baerbock, zes zu dem Internen Abkommen vom (), weiterer Abgeordneter und der 24. Juni 2013 zwischen den im Rat ver- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: einigten Vertretern der Regierungen Menschenrechtsförderung stärken – der Mitgliedstaaten der Europäischen Gesetzliche Grundlage für Deutsches Union über die Finanzierung der im Institut für Menschenrechte schaffen mehrjährigen Finanzrahmen für den Drucksache 18/2618 ...... 4952 D Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehenen Hilfe der Europäischen Union im Rah- men des AKP-EU-Partnerschaftsab- Tagesordnungspunkt 26: kommens und über die Bereitstellung von finanzieller Hilfe für die übersee- a) Zweite und dritte Beratung des von der ischen Länder und Gebiete, auf die der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs vierte Teil des Vertrags über die Ar- eines Gesetzes zur Teilauflösung des beitsweise der Europäischen Union An- Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und wendung findet (Internes Abkommen) zur Änderung der Aufbauhilfeverord- Drucksache 18/2588 ...... 4952 A nung Drucksachen 18/2230, 18/2645...... 4953 B d) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- b)–i) Uhl, Jürgen Trittin, , Beratung der Beschlussempfehlungen des weiterer Abgeordneter und der Fraktion Petitionsausschusses: Sammelübersichten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kündi- 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89 und 90 zu Peti- gung des bilateralen Atomabkommens tionen mit Brasilien Drucksachen 18/2508, 18/2509, 18/2510, Drucksache 18/2610 ...... 4952 A 18/2511, 18/2512, 18/2513, 18/2514, e) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- 18/2515 ...... 4953 D schung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA) – He- Zusatztagesordnungspunkt 6: rausforderungen einer nachhaltigen Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Wasserwirtschaft DIE LINKE: Humanitäre Katastrophe an Drucksache 18/2085 ...... 4952 B der türkisch-syrischen Grenze – Nach dem f) Beratung der Unterrichtung durch die militärischen Aufmarsch des IS ...... 4954 C Deutsche Welle: Evaluationsbericht Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 4954 C 2013 der Deutschen Welle Drucksache 17/14285 ...... 4952 C Dr. (CDU/CSU) ...... 4955 C IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4956 D DIE GRÜNEN) ...... 4975 D (SPD) ...... 4957 C (CDU/CSU) ...... 4977 A Dr. (CDU/CSU) ...... 4958 D (DIE LINKE) ...... 4979 C (DIE LINKE) ...... 4959 D Christina Jantz (SPD) ...... 4980 C (SPD) ...... 4960 D (CDU/CSU) ...... 4981 C (BÜNDNIS 90/ Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 4982 A DIE GRÜNEN) ...... 4961 D (BÜNDNIS 90/ Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) ...... 4962 D DIE GRÜNEN) ...... 4983 B Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 4964 A (SPD) ...... 4983 D Jörg Hellmuth (CDU/CSU) ...... 4965 A Tagesordnungspunkt 8: (CDU/CSU) ...... 4965 D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Tagesordnungspunkt 6: eines … Gesetzes zur Änderung des Urhe- berrechtsgesetzes a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 18/2602 ...... 4984 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Freizügigkeitsge- Christian Flisek (SPD) ...... 4985 A setzes/EU und weiterer Vorschriften Halina Wawzyniak (DIE LINKE) ...... 4986 B Drucksache 18/2581 ...... 4967 A (CDU/CSU) ...... 4987 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zwischenbericht des Staatssekretärsaus- Renate Künast (BÜNDNIS 90/ schusses zu Rechtsfragen und Herausfor- DIE GRÜNEN) ...... 4988 C derungen bei der Inanspruchnahme der (SPD) ...... 4989 D sozialen Sicherungssysteme durch Ange- hörige der EU-Mitgliedstaaten (CDU/CSU) ...... 4990 D Drucksache 18/960 ...... 4967 A (CDU/CSU) ...... 4991 D c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Abschlussbericht des Staatssekretärsaus- Zusatztagesordnungspunkt 7: schusses zu „Rechtsfragen und Heraus- forderungen bei der Inanspruchnahme Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, der sozialen Sicherungssysteme durch , Sabine Zimmermann (Zwi- Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ ckau), weiterer Abgeordneter und der Frak- Drucksache 18/2470 ...... 4967 B tion DIE LINKE: Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister Drucksache 18/2630 ...... 4992 D BMI ...... 4967 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 4993 A (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4969 A (CDU/CSU) ...... 4994 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 4969 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4996 B Dr. (SPD) ...... 4970 C (SPD) ...... 4997 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4973 A (CDU/CSU) ...... 4998 A (CDU/CSU) ...... 4974 B (SPD) ...... 4999 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) ...... 4999 D

Tagesordnungspunkt 7: Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, , , weiterer Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- digungsausschusses zu der Unterrichtung NIS 90/DIE GRÜNEN: Tierschutz ernst durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht nehmen – Tierleid verhindern 2013 (55. Bericht) Drucksache 18/2616 ...... 4975 C Drucksachen 18/300, 18/1917 ...... 5001 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 V

Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter Tagesordnungspunkt 13: des Deutschen Bundestages ...... 5001 B Antrag der Abgeordneten , Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) ...... 5003 A , , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rück- (DIE LINKE) ...... 5004 C zug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Heidtrud Henn (SPD) ...... 5005 B Reisekultur in Europa fördern Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/2494 ...... 5020 A DIE GRÜNEN) ...... 5006 D Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 5020 A Dr. (CDU/CSU) ...... 5008 A (CDU/CSU) ...... 5021 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 5021 D Tagesordnungspunkt 11: Kirsten Lühmann (SPD) ...... 5022 D Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas (CDU/CSU) ...... 5023 D Gambke, , Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Transpa- Tagesordnungspunkt 14: renz Steuervermeidung multinationaler Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Unternehmen eindämmen – Country-by- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu Country-Reporting einführen dem Vorschlag für eine Verordnung des Drucksache 18/2617 ...... 5008 D Europäischen Parlaments und des Rates Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ zur Änderung der Verordnung (EG) DIE GRÜNEN) ...... 5009 A Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Ein- Dr. (CDU/CSU) ...... 5010 A führung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verord- Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 5011 A nung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen (SPD) ...... 5012 A Parlaments und des Rates vom 12. Dezem- ber 2006 zur Einführung eines Europäi- Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) ...... 5013 C schen Mahnverfahrens KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647 . . . . . 5025 A Tagesordnungspunkt 12: (CDU/CSU) ...... 5025 A – Zweite Beratung und Schlussabstimmung Dr. (CDU/CSU) ...... 5026 B des von der Bundesregierung eingebrach- Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 5027 B ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Natio- Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 5028 B nen vom 31. Oktober 2003 gegen Kor- Katja Keul (BÜNDNIS 90/ ruption DIE GRÜNEN) ...... 5028 D Drucksachen 18/2138, 18/2643 ...... 5014 B

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung Zusatztagesordnungspunkt 8: des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Gesetzes zum Übereinkommen der Ver- Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian einten Nationen gegen Korruption Kindler, weiterer Abgeordneter und der Frak- Drucksachen 18/478, 18/2643 ...... 5014 B tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Christian Lange, Parl. Staatssekretär konsequent fortsetzen BMJV ...... 5014 C Drucksache 18/1341 ...... 5029 D Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 5015 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 5030 A Ansgar Heveling (CDU/CSU) ...... 5016 B , Parl. Staatssekretär Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ BMVI ...... 5030 D DIE GRÜNEN) ...... 5017 A Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 5031 C Christina Jantz (SPD) ...... 5018 B (SPD) ...... 5032 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 5018 D Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) ...... 5034 A VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Tagesordnungspunkt 16: Anlage 2 Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes , Bärbel Bas, Dr. Karl-Heinz zur Erleichterung der Umsetzung der Brunner, , Dr. Lars Castellucci, Grundbuchamtsreform in Baden-Würt- Michela Engelmeier, Dr. h. c. , temberg , Karin Evers-Meyer, Dr. Johannes Drucksachen 18/70, 18/2644...... 5035 A Fechner, Christian Flisek, , , , , (CDU/CSU) ...... 5035 B , , , Gabriele Groneberg, , Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 5036 D , Gabriela Heinrich, Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 5037 C , (Essen), Christina Jantz, , Christina Kampmann, Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ , Birgit Kömpel, Dr. Hans- DIE GRÜNEN) ...... 5038 B Ulrich Krüger, Steffen-Claudio Lemme, , , Jeannine Pflugradt, Christian Lange, Parl. Staatssekretär , , Dr. Carola BMJV ...... 5039 A Reimann, , Dr. , Dr. , Bernd Rützel, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Tagesordnungspunkt 17: Marianne Schieder, , Matthias Schmidt (Berlin), , Norbert Erste Beratung des von der Bundesregierung Spinrath, , Franz Thönnes, eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- Wolfgang Tiefensee, Carsten Träger, Dirk zes zur Änderung des Bundesfernstraßen- Vöpel, , , Gülistan mautgesetzes Yüksel, und Drucksache 18/2444 ...... 5040 A zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Klaus , Parl. Staatssekretärin Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BMVI ...... 5040 A DIE LINKE Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 5040 D – Drucksache 18/2612 – Sebastian Hartmann (SPD) ...... 5041 D zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter DIE GRÜNEN) ...... 5043 A und der Fraktion DIE LINKE (CDU/CSU) ...... 5044 A – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- Tagesordnungspunkt 18: kommens Erste Beratung des von der Bundesregierung (Tagesordnungspunkt 4 a)...... 5051 C eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Mikrozensusgeset- Anlage 3 zes 2005 und des Bevölkerungsstatistikge- setzes Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Drucksache 18/2141 ...... 5045 B Gabriele Hiller-Ohm, und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Andrea Lindholz (CDU/CSU) ...... 5045 C namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Klaus Dr. (CDU/CSU) ...... 5046 A Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) ...... 5046 D DIE LINKE (DIE LINKE) ...... 5047 D – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- Dr. (BÜNDNIS 90/ regierung auf die Große Anfrage der Abge- DIE GRÜNEN) ...... 5049 C ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nächste Sitzung...... 5050 D – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- Anlage 1 kommens Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... 5051 A (Tagesordnungspunkt 4 a)...... 5052 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 VII

Anlage 4 Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Michael Groß und (beide Abstimmungen über die Entschließungsanträge SPD) zur namentlichen Abstimmung über den der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abge- Entschließungsantrag der Abgeordneten ordneter und der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens kommens (Tagesordnungspunkt 4 a) (Tagesordnungspunkt 4 a) ...... 5053 C (SPD) ...... 5064 C Anlage 5 Dr. (SPD) ...... 5065 B Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Ab- Anlage 7 geordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Uta Finckh-Krämer, , zu der Beratung der Antwort der Bundes- Ulrich Hampel, Dr. Bärbel Kofler, Bettina regierung auf die Große Anfrage der Abge- Müller, Christian Petri, Sönke Rix, ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter Dr. Dorothee Schlegel, , Frank und der Fraktion DIE LINKE Schwabe, , Dr. Carsten – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Sieling, Martina Stamm-Fibich Soziale, ökologische, ökonomische und poli- zu der namentlichen Abstimmung über den tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- Entschließungsantrag der Abgeordneten kommens Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der (Tagesordnungspunkt 4 a) Fraktion DIE LINKE (SPD) ...... 5055 A – Drucksache 18/2612 – Dr. (SPD)...... 5055 C zu der Beratung der Antwort der Bundes- Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) ...... 5056 B regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter Lothar Binding (SPD) ...... 5056 D und der Fraktion DIE LINKE (SPD) ...... 5057 C – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Elvira Drobinski-Weiß (SPD)...... 5058 B Soziale, ökologische, ökonomische und poli- Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 5059 A tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (SPD) ...... 5059 C Cansel Kiziltepe (SPD) ...... 5060 A (Tagesordnungspunkt 4 a), Hilde Mattheis (SPD)...... 5060 C zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, (SPD) ...... 5061 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Mechthild Rawert (SPD) ...... 5061 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Susann Rüthrich (SPD) ...... 5062 B Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für (SPD)...... 5062 D Konzerne (SPD) ...... 5063 B – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – Ute Vogt (SPD)...... 5063 D (Zusatztagesordnungspunkt 3) ...... 5066 A VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Anlage 8 (SPD)...... 5067 C Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerold Reichenbach (SPD) ...... 5068 A und Dr. (beide SPD) Anlage 10 zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Abstimmungen über die Entschließungsanträge Fraktion DIE LINKE der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens kommens (Tagesordnungspunkt 4 a), (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) ...... 5066 C (Zusatztagesordnungspunkt 3) Kirsten Lühmann (SPD) ...... 5069 A Anlage 9 (SPD) ...... 5069 A Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Anlage 11 Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Ab- – Drucksache 18/2612 – stimmung über den Antrag der Abgeordneten zu der Beratung der Antwort der Bundes- Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und regierung auf die Große Anfrage der Abge- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für und der Fraktion DIE LINKE Konzerne – Drucksachen 18/432, 18/2100 – – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- (Zusatztagesordnungspunkt 3) ...... 5069 C tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens Anlage 12 (Tagesordnungspunkt 4 a), Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten zu der namentlichen Abstimmung über den (SPD) zu der namentlichen Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Abstimmung über den Antrag der Abgeordne- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) (Zusatztagesordnungspunkt 3) ...... 5070 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4883

(A) (C)

54. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für herzlich. Konzerne Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten, Drucksachen 18/1458, 18/2646 möchte ich dem Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, herzlich zu seinem 72. Ge- ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten burtstag gratulieren. Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aus diesem Anlass hätten ein paar mehr Kollegen da Kinder schützen – Prävention stärken sein können; aber sie konnten ja nicht damit rechnen, (B) weil wir es nicht ausdrücklich auf die Tagesordnung ge- Drucksache 18/2619 (D) schrieben hatten. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ich will auch dem Kollegen Wilfried Lorenz, der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ebenfalls seinen 72. Geburtstag begangen hat, im Namen des Hauses herzlich gratulieren. ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Beifall) (Ergänzung zu TOP 25) Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Zu- W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, satzpunkte zu erweitern: weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ZP 1 Vereinbarte Debatte Wiedereingliederung fördern – Gefangene in Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der die Renten-, Kranken- und Pflegeversiche- Ebolaepidemie rung einbeziehen (siehe 53. Sitzung) Drucksache 18/2606 ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Überweisungsvorschlag: Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Innenausschuss DIE GRÜNEN Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Keine Klageprivilegien für Konzerne – Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe CETA-Vertragsentwurf ablehnen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Drucksache 18/2620 Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Überweisung/Beschlussfassung NIS 90/DIE GRÜNEN ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und an den Rohingya verhindern Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- geordneten Katharina Dröge, Katja Keul, Bärbel Drucksache 18/2615 4884 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: Wir kommen damit zu unseren Tagesordnungspunk- (C) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) ten 3 a bis 3 d: Auswärtiger Ausschuss a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck zung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäi- (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak- schen Parlaments und des Rates vom 15. Mai tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Menschenrechtsförderung stärken – Gesetzli- Sanierung und Abwicklung von Kreditinstitu- che Grundlage für Deutsches Institut für ten und Wertpapierfirmen und zur Änderung Menschenrechte schaffen der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/ Drucksache 18/2618 EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, Überweisungsvorschlag: 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Ver- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss ordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Innenausschuss Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Drucksachen 18/2575, 18/2626 DIE LINKE: Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Humanitäre Katastrophe an der türkisch- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz syrischen Grenze – Nach dem militärischen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Aufmarsch des IS Haushaltsauschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Möhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak- Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die tion DIE LINKE Übertragung von Beiträgen auf den einheitli- chen Abwicklungsfonds und über die gemein- Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht ent- same Nutzung dieser Beiträge lassen Drucksachen 18/2576, 18/2627 Drucksache 18/2630 Überweisungsvorschlag: (B) Überweisung/Beschlussfassung Finanzausschuss (f) (D) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Haushaltsauschuss Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwal- rung des ESM-Finanzierungsgesetzes tung konsequent fortsetzen Drucksachen 18/2577, 18/2629 Drucksache 18/1341 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Haushaltsausschuss rung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Ein- Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun- richtung des Europäischen Stabilitätsmecha- gen, soweit erforderlich, abgewichen werden. nismus Die Tagesordnungspunkte 9 und 15 werden abgesetzt. Drucksachen 18/2580, 18/2628 Anstelle des abgesetzten Tagesordnungspunktes 9 soll Überweisungsvorschlag: der Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache Haushaltsauschuss (f) 18/2630 mit dem Titel „Pille danach jetzt aus der Re- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zeptpflicht entlassen“ und anstelle des Tagesordnungs- Finanzausschuss punktes 15 der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ausschuss für Wirtschaft und Energie nen auf Drucksache 18/1341 mit dem Titel „Reform der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortset- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zen“ aufgerufen werden. Sind Sie mit diesen Verände- die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu rungen in der Tagesordnung einverstanden? – Das ist of- stelle ich Einvernehmen fest. Dann können wir so ver- fensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren. fahren. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4885

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem den etwa 120 europäische Banken und Bankengruppen (C) Bundesfinanzminister. – die systemrelevanten; von jedem Mitgliedsland min- destens eine – der europäischen Bankenaufsicht unter- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) stellt. Sie umfassen etwa 85 Prozent der gesamten Bilanzsumme aller europäischen Finanzinstitute, sodass Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- der Großteil der europäischen Banken der europäischen zen: Bankenaufsicht untersteht. Es sind auch rund 20 Banken Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit und Bankengruppen aus Deutschland dabei. den vorliegenden vier Gesetzentwürfen schaffen wir Die kleineren Institute – das sind in insgesamt gegen- wichtige Bausteine zum Aufbau der europäischen Ban- wärtig mehrere Tausend; davon stammt ein großer Teil kenunion. Mit dieser Bankenunion ziehen wir die Lehre aus Deutschland – unterliegen weiterhin der nationalen aus der Finanz- und Bankenkrise; denn die Finanz- und Aufsicht. Auch das ist wichtig zu betonen. Die grenz- Bankenkrise hat uns mit ihrer unglaublichen Dynamik ja überschreitenden, systemrelevanten Institute werden der gezeigt, dass die Banken heute – jedenfalls alle großen, europäischen Bankenaufsicht unterstellt. Wie gesagt, die die global bzw. grenzüberschreitend tätig sind – mit ei- kleineren Institute unterstehen weiterhin der nationalen ner nationalen Aufsicht nicht mehr hinreichend zu be- Aufsicht. Im Übrigen führt die Übertragung der nationa- aufsichtigen sind. Wir brauchen eine grenzüberschrei- len Aufsichtsaufgaben auf die Europäische Zentralbank tende Bankenaufsicht. Deswegen ist es richtig, dass wir auch zu neuen Berichtspflichten der EZB gegenüber Rat, mit der europäischen Bankenunion eine europäische Europäischem Parlament und auch nationalen Parlamen- Bankenaufsicht für die großen, systemrelevanten Ban- ten, soweit es die jeweiligen Banken anbetrifft. Auch das ken schaffen. ist wichtig. Der zweite Grund für diese Bankenunion ist, dass es Die Europäische Zentralbank führt derzeit die not- notwendig ist, das Risiko auf dem Gebiet des Finanzsek- wendigen Vorbereitungen durch mit der Prüfung der Bi- tors von der Reduzierung der Staatsverschuldung zu lanzen aller zu übernehmenden Banken und mit den ent- trennen. Diese Verbindung hat sich ja in den zurücklie- sprechenden Stresstests, die sicherstellen sollen, dass die genden Jahren der -Krise als ein besonders er- Banken, die von der europäischen Bankenaufsicht über- schwerendes Element bei der Überwindung der Krise nommen werden, genügend Kapital haben. Wir haben und der Rückgewinnung des Vertrauens in unsere euro- die Antragsfrist für den Soffin bis zum 31. Dezember päische Währung erwiesen. kommenden Jahres verlängert, damit wir, wenn deutsche Banken im Zusammenhang mit dem Stresstest Probleme Für diese Bankenunion konnten wir bei den gegebe- haben sollten – derzeit zeichnet sich das nicht ab –, not- (B) nen europäischen Verträgen die Aufsicht nur bei der Eu- falls in der Lage wären, die entsprechenden Mittel, um (D) ropäischen Zentralbank schaffen. Anderenfalls hätten handeln zu können, zur Verfügung zu haben. wir eine neue europäische Institution schaffen müssen. Dafür braucht man eine Vertragsänderung; dafür braucht Das Entscheidende beim BRRD-Umsetzungsgesetz, man einstimmige Entscheidungen. Das war nicht mög- also bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie, die lich. Deswegen ist die Rechtsgrundlage nach dem Ver- die Abwicklung und die Sanierung von Kreditinstituten trag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Europa vorsieht – das ist übrigens eine Richtlinie, die Artikel 127 Absatz 6, wonach durch einstimmigen Be- in ganz Europa gilt, weil sie eine Frage des gemeinsa- schluss im Zusammenhang mit der Bankenaufsicht Auf- men Binnenmarkts, also des europäischen Rechts ist –, gaben auf die EZB übertragen werden können. ist, dass in Zukunft im Sanierungs- oder Abwicklungs- fall mindestens 8 Prozent von Eigentümern und Gläubi- Ich erwähne das deswegen, weil es nicht ganz unpro- gern getragen werden müssen. Das ist die in der EU-Re- blematisch ist, geldpolitische Verantwortung und Ban- strukturierungsrichtlinie vorgesehene Mindestvorschrift kenaufsicht in ein und derselben Institution anzusiedeln. für ein Bail-in, die umgesetzt werden muss. Wir schaffen Es ist ganz wichtig, dass beim Aufbau der Bankenauf- auch für den Abwicklungsmechanismus, den sogenann- sicht innerhalb oder bei der EZB die Trennung zwischen ten SRM, in der Euro-Zone eine entsprechende Vor- beiden Verantwortungsbereichen so strikt wie möglich schrift. durchgeführt wird, um jeden Interessenkonflikt zu ver- Nach diesen 8 Prozent der Bilanzsumme, die zu- meiden, ja, um auch den Anschein von möglichen Inte- nächst von Eigentümern und Gläubigern, den Anlegern ressenkonflikten zu vermeiden. Ich füge die Bemerkung der Banken, getragen werden müssen, müssen in der hinzu: Auch vor diesem Hintergrund bin ich über die Euro-Zone dann die Banken selber, also die Banken, die derzeit von der EZB begonnene Debatte über den etwai- der europäischen Bankenaufsicht unterstellt werden, im gen Ankauf von Verbriefungsprodukten nicht besonders Rahmen eines Bankenfonds Vorsorge treffen, damit im glücklich; genau dies könnte diese Diskussion bestärken. Falle eines weiteren Finanzierungsbedarfs die Finanzin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dustrie selbst dafür aufkommen kann und eben nicht neten der SPD) mehr, wie in der Finanzkrise, der Steuerzahler. Der Sinn des Ganzen ist, dass nicht mehr die Steuerzahler das Ri- Ich finde, man sollte das vorsichtig bedenken. siko tragen, sondern die Banken selber: zunächst die Ei- gentümer und Anleger und darüber hinaus die Banken In der europäischen Bankenaufsicht, mit deren Vorbe- selber. reitung die EZB beschäftigt ist – am 4. November 2014 soll diese Bankenaufsicht ihre Arbeit aufnehmen –, wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 4886 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Dieser europäische Bankenfonds, dessen Einrichtung – Voraussetzung dafür ist aber, dass der Mitgliedstaat ei- (C) wir ebenfalls in den Gesetzentwurf aufgenommen ha- nen Antrag stellt –, dass mit dem Mitgliedstaat die ent- ben, soll innerhalb von acht Jahren auf eine Summe von sprechenden Bedingungen, die Konditionalität, verein- etwa 1 Prozent der gesicherten Einlagen des europäi- bart wird. Es gibt keine Mittel aus dem europäischen schen Bankensystems – das sind 55 Milliarden Euro – Rettungsschirm ohne einen Antrag des Mitgliedstaates aufgefüllt werden. Die Banken müssen dazu entspre- und ohne eine mit dem Mitgliedstaat zu vereinbarende chende Beiträge zahlen. Konditionalität. Das ist das entscheidende Element, der Grund, warum der europäische Rettungsschirm so er- Die Beiträge werden durch nationale Gesetze be- folgreich gewesen ist. schlossen. Das ist deswegen wichtig, weil wir keine Rechtsgrundlage für eine europäische Bankenabgabe ha- Wir haben durchgesetzt, dass das auch bei der direk- ben. Deswegen müssen nationale Gesetze nach einheitli- ten Bankenrekapitalisierung gilt, die im Übrigen nur chem Maßstab erlassen werden. Die Einzelheiten, wie dann infrage kommt, wenn ein Mitgliedstaat zur indirek- die Beiträge genau ausgestaltet werden, liegen noch ten Bankenrekapitalisierung nicht in der Lage ist. Ich nicht fest. Aber es ist nach den Vorschlägen der Kom- sage ausdrücklich: Die direkte Bankenrekapitalisierung mission jetzt schon klar, dass die kleineren Institute we- ist nachrangig. Diese Haftungskaskade haben wir sicher- niger bezahlen müssen und dass der Hauptanteil der gestellt. Bankenabgabe von den großen, risikorelevanten Institu- ten – so entspricht es auch dem Sinn der Regelung – ge- Das Entscheidende bei allen europäischen Regulie- tragen werden muss. Das ist der entscheidende Punkt. rungen ist: Wir müssen auf all das achten, solange unsere gemeinsame Währung auf einer Währungsunion beruht, Wir haben übrigens auch sichergestellt, dass die Insti- die eben nicht ihre Entsprechung in einer Finanz- und tutssicherung der Bankengruppen, der Sparkassen, Wirtschaftsunion bzw. in einer politischen Union hat. Es Raiffeisenbanken und der Kreditgenossenschaften als ist das Grundprinzip der Konstruktion der europäischen Institutssicherungen anerkannt werden, so wie wir auch Währung, dass die Währung vergemeinschaftet ist und in der Einlagensicherungsrichtlinie, die wir im nächsten wir eine gemeinsame Geldpolitik haben, weswegen sich Jahr beraten und beschließen müssen – sie ist nicht Be- die Mitgliedstaaten an die Verabredungen für die Finanz- standteil dieses Pakets –, gewährleisten werden, dass die und Wirtschaftspolitik halten sollten. Das ist vielfach Einlagensicherung nicht vergemeinschaftet wird. Es Gegenstand aktueller Diskussionen. Würden sich alle an bleibt bei dem Einlagensicherungssystem. Die Einlagen- das, was vereinbart worden ist, halten, hätten wir weni- sicherungssysteme unserer Banken- und Sparkassen- ger Probleme in Europa. Auch das muss man gelegent- gruppen bleiben anerkannt. Sie müssen allerdings noch lich sagen. leistungsfähiger werden, damit sie im Notfall in der (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) Lage sind, die Anforderungen zu erfüllen. Diese Bemer- neten der SPD) kung füge ich im Hinblick auf aktuelle Sorgen hinzu. Weil dies so ist, müssen wir Fehlanreize in Europa Die Bankenabgabe, die in diesen europäischen Fonds vermeiden. Deswegen muss klar sein: Es wird niemand aufgrund nationaler Gesetze einbezahlt wird, wird – ich sage das auch im Hinblick auf eine aktuelle De- schrittweise vergemeinschaftet. Bis die Bankenabgabe batte in einem anderen Zusammenhang – eine Chance innerhalb von acht Jahren voll einbezahlt ist, haften die haben, ohne die Vereinbarung von Anpassungsprogram- Mitgliedstaaten, die die Gesetze machen und die Gesetze men in den Mitgliedstaaten, die sogenannte Konditiona- vollziehen müssen, dafür, dass die Banken die Abgabe lität, auf Mittel des europäischen Rettungsschirms Zu- zahlen. Das ist entscheidend. Wir haben auf europäi- griff zu bekommen. Die 80 Milliarden Euro, die wir in scher Ebene keine Möglichkeit, die Zahlung dieser Ab- den europäischen Rettungsschirm einbezahlt haben, sind gabe durchzusetzen. Deswegen müssen die nationalen keine Verfügungsmasse für alle möglichen kreativen Gesetzgeber und die nationalen Regierungen in der Ver- Ideen an neuen Finanzierungsinstrumenten, sondern sie antwortung bleiben, dass diese Regelung nicht nur be- sind eine Vorsorge dafür, dass die europäische Währung schlossen, sondern auch angewendet wird. Das ist in Eu- stabil bleibt und das Vertrauen der Finanzmärkte behält. ropa immer ein großes Problem. Das haben wir erfolgreich eingeführt. Der Grund für die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Einführung dieses Rettungssystems war eigentlich, dass neten der SPD) man es hat, ohne es zu brauchen. Bis zur vollen Einzahlung der Beiträge haften also die ( [CDU/CSU]: So ist es! Wie Mitgliedstaaten. bei der Feuerwehr!) Erst wenn die Beiträge voll einbezahlt sind, gibt es Genau das ist der Sinn eines Sicherungssystems: dass es auch die Möglichkeit der direkten Bankenrekapitalisie- nicht immer gebraucht wird. Deswegen stehen diese rung aus dem europäischen Rettungssystem. Diese di- 80 Milliarden Euro auch nicht für alle möglichen kreati- rekte Bankenrekapitalisierung aus dem europäischen ven Gestaltungsideen in Europa zur Verfügung. Rettungssystem bleibt allerdings nachrangig. Es ist in je- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Fall so: Zunächst müssen die Eigentümer und Gläu- neten der SPD) biger die 8 Prozent der Bilanzsumme der Bank zahlen. Danach springt die Finanzindustrie selbst zur Bankensi- Meine Damen und Herren, damit komme ich zu mei- cherung ein, und dann gibt es noch die Möglichkeit ner letzten Bemerkung. Wir haben, obwohl die Kon- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4887

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) struktion der europäischen Währung kompliziert ist und exakte Gegenteil dessen enthalten, was Sie den Men- (C) viele am Anfang gezweifelt haben, ob sie überhaupt schen versprochen haben. funktioniert – die Debatte über die Frage „Kann eine Geldpolitik mit unterschiedlichen Finanz- und Wirt- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schaftspolitiken klappen?“ haben viele Ökonomen über Der Steuerzahler soll weiter bluten, und in Zukunft Jahrzehnte geführt –, die Vertrauenskrise gut überwun- soll auch noch der europäische Rettungsschirm ESM di- den, weil wir ganz konsequent an dem Grundsatz „Hilfe rekt von den Banken angezapft werden können. und Solidarität gegen Hilfe zur Selbsthilfe“ festgehalten haben. Es geht immer um Hilfe zur Selbsthilfe. ( [SPD]: Haben Sie eben nicht zugehört?) Die Geschichte der fünf Länder, die Rettungspro- gramme bekommen haben, ist eine Erfolgsgeschichte. Denn genau das ist doch der eigentliche Sinn dieser gan- Sie alle haben die strukturellen Reformen umgesetzt und zen Bankenunion: dass die Banker künftig auch dann sind auf dem richtigen Weg. Diejenigen, die heute ihren finanziellen Giftmüll auf den Schultern der Allge- Probleme haben, können aus dieser Erfolgsgeschichte meinheit abladen können, wenn die Kapazitäten des je- lernen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass jedes Mit- weiligen Nationalstaates überfordert wären. gliedsland seine eigenen Reformen und Strukturanpas- (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) sungen durchführt. Dann werden wir alle gemeinsam in Europa Erfolg haben. Das heißt, künftig haftet der Spanier nicht nur für den Irrsinn der spanischen Banken und der Deutsche nicht Die Bankenunion, die wir mit diesen vier Gesetzen nur für den Irrsinn von Hypo Real Estate, Commerzbank schaffen, ist ein wichtiger Schritt, um in einer Zeit voller und Co, sondern alle europäischen Steuerzahler haften Ungewissheiten Europa noch ein Stück stabiler und gemeinsam für den Irrsinn der europäischen Finanzma- handlungsfähiger zu machen. Deswegen bitte ich Sie um fia. Das ist ein großartiger Fortschritt. Dazu kann man sorgfältige Beratung und am Ende um Zustimmung zu der Großbankerlobby nur gratulieren. Ganz nebenbei diesen Gesetzentwürfen. sollen zusätzlich über den Abwicklungsfonds, den von (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ihnen erwähnten Bankenfonds, Banken mit einem soli- den Geschäftsmodell wie unsere Sparkassen und Genos- Präsident Dr. Norbert Lammert: senschaftsbanken Mittel zur Deckung der Verluste der Unsoliden bereitstellen. Das ist ein Konstrukt, das die Für die Fraktion Die Linke erhält nun die Kollegin Linke ablehnt. Deswegen werden wir dagegenstimmen. Sahra Wagenknecht das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Es kommt noch schlimmer: In Zukunft soll der Bun- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): destag noch nicht einmal mehr befasst werden, wenn Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! deutsches Steuergeld fließt; denn nach Ihrem Gesetz Wenn man sich vergegenwärtigt, was Mitglieder der werden dann nur noch ein paar Mitglieder des Haus- Bundesregierung seit 2008 erzählen und was heute zur haltsausschusses informiert, die auch noch zu strikter Beratung vorgelegt wurde, dann muss man sich nicht Geheimhaltung verpflichtet sind. Das heißt, hier im Bun- wundern, dass immer mehr Menschen jeden Glauben an destag können Sie weiterhin von schwarzen Nullen und die Demokratie verloren haben. Schuldenbremsen fabulieren, während über die Banken- hilfen des ESM die Milliarden verbrannt werden, die wir (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) hier für Infrastruktur, für Gesundheit, für Rente und für Herr Schäuble, Sie und die Bundesregierung haben soziale Ausgaben brauchen würden. versprochen, dass Steuerzahler nie wieder für waghal- (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch sige Geschäfte der Bankster bluten müssen. Sie haben Schwachsinn, was Sie da erzählen!) versprochen, dass auch für Banken irgendwann das gel- ten soll, was für jeden kleinen Handwerkerbetrieb eine Offenbar ist das die schöne neue Welt der marktkonfor- Selbstverständlichkeit ist: dass man für Risiken, die man men Demokratie, von der Frau Merkel träumt. Die SPD eingeht, selber haften muss. Sie haben hoch und heilig gibt wie immer ihre Stimme dazu. versprochen, dass es kein Geld aus den Mitteln des euro- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Frau Wagenknecht päischen Rettungsschirms ESM direkt für die Banken bringt wieder einiges durcheinander!) geben wird, für den der deutsche Steuerzahler mit im- merhin 200 Milliarden Euro geradesteht. Das ist etwa Deswegen: Hören Sie endlich auf, die Öffentlichkeit das 15-Fache dessen, was der Bund jährlich für Bildung für dumm zu verkaufen! Sie reden von Eigentümer- und und Forschung ausgibt. Gläubigerbeteiligung. Sie suggerieren, die Banken wür- den jetzt so richtig hart angefasst. Sie haben es selber er- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein wähnt: Die private Haftung ist faktisch auf 8 Prozent der Schwachsinn!) Bilanz beschränkt. Ich glaube, viele Familien in Deutsch- Herr Schäuble, entweder haben Sie bewusst gelogen, land wären Ihnen ganz dankbar, wenn der Staat sie ähn- um die Menschen zu täuschen, oder Sie haben Verspre- lich hart anfassen würde. Eine Haftung von 8 Prozent chungen gemacht, die Sie nicht einhalten konnten. Auf heißt, dass eine Familie mit 10 000 Euro Schulden ganze jeden Fall beraten wir heute Gesetzentwürfe, die das 800 Euro selber zurückzahlen müsste, und für den Rest 4888 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Sahra Wagenknecht (A) bürgt der großzügige Staat. Aber der Unterschied ist, Wirtschaft solchen Spekulanten zu überlassen. Man (C) dass in diesem Europa mit so viel Großzügigkeit immer weiß das alles; aber getan wurde nichts dagegen. Es ist nur die Banken und nie die Bürgerinnen und Bürger eher noch schlimmer geworden. Die großen Finanzhäu- rechnen können. Das ist absolut inakzeptabel. ser Europas haben mit der alten Idee von Banken als Dienern der Realwirtschaft vielleicht noch so viel zu tun (Beifall bei der LINKEN) wie das Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ mit der Idee Herr Schäuble, Sie haben auch nicht erwähnt: Es gibt einer friedfertigen Religionsgemeinschaft, nämlich gar da noch eine Klausel in den Verträgen, mit der die ge- nichts. samte Haftungskaskade ausgesetzt werden kann, wenn (Beifall bei der LINKEN) nämlich eine „schwere Störung der Volkswirtschaft“ oder eine Notwendigkeit zur „Wahrung der Finanzstabi- Sie verkaufen uns hier eine Bankenunion als großen lität“ besteht. Dann gibt es die Möglichkeit, dass Staats- Durchbruch, obwohl diese Union im Kern darin besteht, knete sofort fließt, ohne jedwede Vorbedingung. Wer dass alles weiterläuft wie bisher, nur dass die Haftung sich erinnert, dass die deutsche Regierung einst eine der Allgemeinheit für diesen Wahnsinn europäisiert mögliche Pleite der kleinen IKB zum potenziellen Aus- wird. Ich glaube, das ist wirklich unerträglich. löser einer Kernschmelze des Finanzsystems hochfanta- Ja, Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Ebendes- siert hat, ahnt, wie groß das Scheunentor für unser aller halb gehört sie nicht in die Hände zockender Investment- Steuergeld ist, das allein durch diese Klausel geöffnet banker. wird. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Wer glaubt, dass der ehemalige Goldman-Sachs-Boy und künftige Oberaufseher aller Banken, Herr Draghi, Wir brauchen Banken, die dem Gemeinwohl verpflichtet den Banken jetzt so richtig auf den Zahn fühlen wird, der sind und die Investitionen finanzieren, nicht solche Ban- muss wirklich mit Naivität geschlagen sein. Es sind doch ken, die Kasino spielen. Dafür brauchen wir endlich eine gerade Draghis Billiggeldinjektionen, dank derer die Politik, Spekulation heute boomt wie nie zuvor und die Invest- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die mentbanker wieder Rekordgewinne machen, während alles verstaatlicht!) der Kleinsparer seine Ersparnisse wegen Niedrigzinsen wegschmelzen sieht. die das Kreuz hat, sich mit der Finanzmafia anzulegen, statt ihr aus der Hand zu fressen. Ausgerechnet den Markt für Kreditverbriefungen – einer der Hauptauslöser der letzten Krise – will Draghi (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) jetzt auch noch mit einem milliardenschweren Kaufpro- Die Gesetzentwürfe, die wir heute beraten, sind leider gramm beleben. Man stelle sich einmal vor: Die Lebens- ein Beispiel für Letzteres, und deshalb lehnt die Linke mittelüberwachung in Deutschland würde den Res- sie ab. taurants, in deren Küchen die Kakerlaken feiern und das Gammelfleisch stinkt, den Ankauf aller verdorbenen Le- (Beifall bei der LINKEN) bensmittel anbieten, bevor ihre Kontrolleure das Haus betreten. Genau das ist es, was der große Oberaufseher Präsident Dr. Norbert Lammert: aller Banken Draghi jetzt macht: Er kauft den Banken ihr Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Schneider Gammelfleisch ab, bevor die Kontrolleure kommen, für die SPD-Fraktion. sprich: bevor der Stresstest stattfindet, und zwar auf un- sere Rechnung. Wenn Sie sagen, dass Sie damit nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) glücklich sind, dann finde ich das zwar sehr erfreulich, aber dann frage ich mich, weshalb die Bundesregierung Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): nicht endlich interveniert, wenn solche Pläne gemacht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werden. habe mich, als Sie, Frau Wagenknecht, zum Pult gegan- (Beifall bei der LINKEN) gen sind, gefragt, wie jetzt eigentlich die Kritiklinie der Linkspartei sein wird. Die große Finanzkrise mit ihren katastrophalen Fol- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen für Wohlstand, Arbeitsplätze und Staatsfinanzen hat NEN]: So wie immer!) vor mittlerweile fast sieben Jahren begonnen. Seit min- destens sieben Jahren weiß man, dass durch laxe Vor- Ich habe vermutet, dass die Kritiklinie vielleicht die ei- schriften und blinde Aufsichtsbehörden gigantische ner aufgeklärten Linken ist, die sagt: „Global agierende Spielhöllen hochgezüchtet wurden und hochgezüchtet Banken müssen wir auch global reglementieren“, die werden, deren Geschäfte niemand mehr ernsthaft über- vielleicht die Vorschläge, die hier gemacht werden, für wachen und die im Pleitefall auch niemand geordnet ab- nicht ausreichend auf internationaler Ebene hält. Aber wickeln kann. was ich erleben musste, war purer Populismus und ein Rückfall in die Politik eines Nationalstaates. Spätestens seitdem weiß man, dass die internationale Vernetzung dieser Spielhöllen gefährliche Kettenreaktio- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nen auslöst. Man weiß, dass es unverantwortlich ist, die bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ersparnisse der Bürger und die Kreditversorgung der GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4889

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Frau Wagenknecht, Sie sind vollkommen fernab der Debatten 2008/09 über die Frage der Verstaatlichung der (C) wissenschaftlichen und ökonomischen Debatte, wenn es Hypo Real Estate zu entscheiden. Niemand von denjeni- um die Kontrolle der Finanzmärkte und des Bankensek- gen, die damals zugestimmt haben, hat das mit großer tors geht. Wir sind froh, dass die AfD nicht hier im Bun- Freude getan. Aber ein Institut mit 400 Milliarden Euro destag sitzt. Aber: Diese Rede hätte auch ein Funktionär Bilanzsumme war ein systemrelevantes Institut. Bei der der AfD halten können. IKB konnte man durchaus anderer Auffassung sein; richtig, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Bei (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Hypo Real Estate jedenfalls war es so. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ge- Wir mussten – wenige Klagen dagegen sind noch an- nau so!) hängig – diese Bank vom Markt nehmen, um sie geord- Warum beraten wir nicht erst seit heute, da wir diese net abwickeln zu können. Wir waren rechtlich aber ge- Gesetzentwürfe im Bundestag haben, die Frage der zwungen, auch noch Entschädigungen an die Aktionäre Finanzstabilität, der Erpressbarkeit von Staaten, der Ret- zu zahlen, weil wir keine gesetzliche Grundlage für die tung von Banken in der Finanzkrise der Jahre 2008/ Abwicklung von Banken hatten. Das war ein Fehler. 2009 ff., sondern schon seit vier Jahren immer wieder? (Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Weil Sie Weil sich gezeigt hat, dass wir im Bereich der Banken- es blöd angestellt haben!) aufsicht nur national organisiert waren, überall. Diesen Fehler bereinigen wir jetzt, indem wir ein In- Wir hatten es aber mit einem globalen Bankensektor solvenzrecht für Banken schaffen, indem wir eine klare zu tun – gerade bei den großen Banken! Ich rede nicht Haftungsreihenfolge festlegen, wer bei Verlusten bezah- von den Volksbanken und Sparkassen, sondern von den len muss. Diese Haftungsreihenfolge ist schon genannt, Landesbanken, der Hypo Real Estate, der Deutschen aber auch bereits durchexerziert worden, letztlich auf Bank, der Commerzbank, der Société Générale und von Druck der SPD und des Deutschen Bundestages, näm- vielen anderen großen, international tätigen Banken und lich im Fall Zypern. Das ist die Blaupause für das, was Finanzinstituten. Deren Aufsicht konnte eben nicht mehr jetzt mit den Gesetzentwürfen, die wir beraten und be- wirksam von Deutschland aus oder von Irland aus, wo es schließen werden, umgesetzt werden soll. im Übrigen eine sehr schwache Aufsicht gab, ausgeübt werden. Danach gilt: Zuerst haften die Aktionäre. Deren Geld ist weg, wenn Verluste zu decken sind. Nach ihnen haf- Insofern ist die Antwort auf einen europäischen Bin- ten die nachrangigen Gläubiger, die den Banken Darle- nenmarkt, in dem Kapitalverkehrsfreiheit herrscht und in hen gegeben haben und dafür Zinsen bekommen. An- dem umfangreiche Bankgeschäfte stattfinden – was auch (B) schließend haften die vorrangigen Gläubiger und dann (D) in Ordnung ist – nicht das Zurück zum Nationalstaat, auch die Einleger ab einer Einlagenhöhe von über sondern das Hin zu einer europäischen Institution, die 100 000 Euro. Es ist nicht hinnehmbar, dass jemand aus europäischem Blickwinkel nach klaren Grundsätzen Geld, das er angelegt hat, quasi zu 100 Prozent wieder- – Stichworte: Haftung, Frage nach der Verantwortung – bekommt, aber der Steuerzahler dafür zahlen müsste. beaufsichtigt und entscheidet. Genau diesen Weg gehen Das geht nicht. Das passiert nicht mehr. Deswegen ma- wir heute ein Stück weiter. Das ist gerade für eine aufge- chen wir einen Strich drunter: 100 000 Euro sind ge- klärte Linke, wenn Sie es denn sind, der richtige Weg. schützt, mit dem Rest wird auch gehaftet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn eine Bank dann immer noch Verluste hat, tritt der CDU/CSU) der Bankenhaftungsfonds ein, der gespeist wird über Ich finde es auch fatal, mit der Angst der Menschen eine Bankenabgabe, die wir als Sozialdemokraten schon zu spielen. Auch ich habe meine Probleme mit der Mög- 2009 gefordert haben. Hätten wir sie damals eingeführt, lichkeit der Direktrekapitalisierung von Banken; ich dann hätten wir zum Beispiel keine Verluste aus dem komme darauf noch zurück. Aber wir haben den richti- Fall der Hypo Real Estate zu tragen. Glücklicherweise gen Schritt hin zur gemeinsamen Bankenaufsicht bei der geht es dabei nicht um die damals befürchteten bis zu Europäischen Zentralbank getan, bei allen Problemen, 480 Milliarden Euro; in Summe werden wir am Ende die der Minister genannt hat. Man muss in diesem Zu- vielleicht über 20 oder 30 Milliarden Euro reden. sammenhang sicher auch über eine Vertragsänderung Der Bankenhaftungsfonds wird ein gemeinsamer eu- nachdenken. Denn die Banken, die europaweit vernetzt ropäischer Fonds. Es ist auch richtig, diesen europäisch waren und sind, haben bisher in Europa Geschäfte ge- aufzustellen und nicht national. Dafür haben wir Sozial- macht, die wir in Teilen gar nicht gesehen haben, weil demokraten gekämpft, weil wir eine Trennung der Risi- die Aufsicht zersplittert war. Dass dieser Schritt richtig ken aus dem Bankensektor von denen aus dem Staats- ist, steht außer Frage. Ich kenne niemanden mit Sachver- sektor haben wollen. Wir haben doch gesehen: Nur zu stand, der sagt, dass der Schritt zu einer europäischen einem kleinen Teil schlug die Finanzmarktkrise in eine Bankenaufsicht falsch ist. Frau Wagenknecht, Sie sind Staatsfinanzierungskrise um, zu einem großen Teil war auf dem Holzweg. es eine Bankenkrise, die nur dann zu einer Staatsfinan- Der zweite Schritt – den zur Aufsicht haben wir schon zierungskrise geführt hat, weil die Länder durch die gemacht – ist dann, dass man Banken auch zur Rechen- Bankenrettung überschuldet waren. Irland ist das beste schaft ziehen können muss, wenn sie Geschäfte machen, Beispiel; bei Spanien trifft das nicht ganz zu. Diese die zu große Verluste bringen. Wir hatten hier in heißen Trennung ist extrem wichtig, um die Staaten künftig vor 4890 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Verlusten aus dem Bankensektor zu schützen, um den in diesem Fall waren Ihre Zahlen falsch. Es geht nicht (C) Sozialstaat erhalten zu können. Deswegen machen wir um 200 Milliarden Euro. Das wird gedeckelt auf maxi- das so. mal 60 Milliarden Euro, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Dr. [DIE LINKE]: Das macht es jetzt CDU/CSU) nicht besser!) Wir reden jetzt und in den nächsten Tagen viel über für die dann alle Länder gemäß dem geltenden ESM- Konjunkturprogramme auf europäischer Ebene. Das Schlüssels haften. Aber über jede Einzelfallentscheidung wichtigste Konjunkturprogramm ist die Bereinigung des wird im Bundestag beraten und entschieden werden. Bankensektors von faulen Krediten, das Aufstellen der Und das wird so restriktiv gehandhabt werden, dass die- Banken mit genügend Eigenkapital, damit sie wieder ses Instrument hoffentlich nie angewendet werden wird. kreditvergabefähig werden. Das passiert jetzt. Wegen mir bräuchte man das auch nicht. Es wird aber wohl so sein – das beraten wir derzeit –, dass die direkte Im Oktober, parallel zu unseren Beratungen, werden Bankenrekapitalisierung aus dem ESM wahrscheinlich die Anlagen und Portfolien aller Banken von der EZB nie angewendet wird. Wir werden jedenfalls im Einzel- geprüft und verglichen. Dann wird es auch in Deutsch- nen darüber zu entscheiden haben. land wohl noch Überraschungen geben. Es wird ein Stresstest durchgeführt und geprüft: Was passiert im Kri- Zwei Punkte sind mir noch wichtig. senfall? Ist die Bank genügend stark? Wenn sie es nicht ist, wird entschieden werden müssen, ob sie geschlossen, Erstens – das ist ein ganz entscheidender Punkt – ist restrukturiert oder vielleicht rekapitalisiert wird. es mir wichtig, zu mehr Integration auf europäischer Ebene, zur Vervollständigung der Währungsunion auch Ich will für Deutschland sagen: Ich kann mir nicht in Richtung einer Wirtschafts- und Fiskalunion zu kom- vorstellen, dass durch diesen Test, der sehr hart sein men. Das, was wir hier machen, reicht nicht aus; es be- muss, damit die EZB bei der Bankenaufsicht Glaubwür- trifft nur den Finanzmarktsektor. digkeit gewinnt, alle Banken durchkommen. Wir hatten das schon ein- oder zweimal im Zusammenhang mit Der zweite Punkt betrifft die Einnahmeseite. Ich bin Stresstests der EBA, in deren Folge die Probleme hoch- der Auffassung, dass wir mehr einheitliche bzw. gemein- kamen. Ich habe Vertrauen in die Europäische Zentral- same Politik auf europäischer Ebene brauchen, damit bank, dass sie das hart testen wird. das Steuerdumping und die Steuerhinterziehung aufhö- ren. (Zuruf der Abg. Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]) Hinsichtlich der Bankenabgabe stellt sich allerdings (B) auch die Frage, wer diese in welcher Höhe und aufgrund (D) Wir werden im Bedarfsfall dann in Deutschland ent- welcher Risiken zahlt. Wir sind dafür, dass die Deutsche scheiden müssen, welches Gesetz wir in der Übergangs- Bank grundsätzlich mehr zahlen muss als die Sparkas- zeit anwenden, das zur Abwicklung bzw. Restrukturie- sen, weil sie ein gefährlicheres Geschäftsmodell hat. rung oder das zur Rekapitalisierung. Ich glaube, dass es die eine oder andere Bank geben kann, bei der es im Unbeantwortet bleibt hier in Teilen die Frage des „too Zweifel besser sein wird, sie abzuwickeln, wenn ein big to fail“ einer zu großen Bank. Dass aber die Banken- tragfähiges Geschäftsmodell eben nicht da ist, als sie abgabe, die gezahlt wird, in Deutschland nicht steuerlich künstlich am Leben zu erhalten. Liebe Kolleginnen und abzugsfähig ist – das heißt, der Steuerzahler zahlt bei ei- Kollegen, auch das wird uns in den nächsten zwei, drei ner Inanspruchnahme letztendlich nicht ein Drittel durch Monaten beschäftigen. Das wird ein Quantensprung ein geringeres Körperschaftssteueraufkommen mit –, ist werden. richtig. In anderen europäischen Ländern wird aber nicht so verfahren, sondern dort ist die gezahlte Bankenab- (Zurufe von den LINKEN: Oh!) gabe steuerlich abzugsfähig. Es gibt zum Teil allerdings auch höhere Bankenabgaben, beispielsweise in Öster- Dadurch wird mehr Klarheit über die Risiken des Ban- reich. kensektors, mehr Stabilität im Finanzbereich und – das ist letztendlich der entscheidende Punkt – ein Schutz des Ich finde – das will ich für die SPD-Fraktion klar sa- Staates vor den Verlusten aus dem Bankensektor ge- gen –, dass es klar sein muss, dass, bevor es weitere Inte- schaffen. grationsschritte gibt – auf der Ausgabenseite sind viele Länder immer schnell dabei –, der Wettbewerb zulasten Ja, auch ich hätte mir vorstellen können, Frau der Steuerzahler um die niedrigsten Steuersätze aufhören Wagenknecht, dass – das Europäische Parlament hat diese muss. Dieser Wettbewerb muss gestoppt werden. Richtlinie verhandelt – die geschaffenen Möglichkeiten für Direktrekapitalisierungen, aber auch zu Eingriffen der (Beifall bei der SPD) Staaten selbst nicht in der Form eröffnet worden wären. Das ist aber ein europäischer Kompromiss. Ein Bericht- Deswegen, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie dabei erstatter im Europäischen Parlament ist auch sehr stark unsere volle Unterstützung, was eine Vereinbarung auf in diese Richtung gegangen. Daher werden wir das auf dem G-20-Gipfel – ich nenne das Stichwort BEPS – be- nationaler Ebene einführen bzw. ermöglichen müssen. trifft, was die Bankenabgabe betrifft, aber auch, was den Kampf gegen diejenigen betrifft, die von den Rettungs- Ja, auch ich bin sehr skeptisch, was das Instrument maßnahmen enorm profitiert haben, nämlich die Speku- der direkten Bankenrekapitalisierung betrifft. Aber auch lanten und ihre Spekulationsgeschäfte. Wir erwarten bis Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4891

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Ende des Jahres klare Schritte in Richtung einer Finanz- Das war die Logik 2008. Wir haben in den letzten (C) transaktionsteuer. Wenn dies nicht entscheidend voran- Jahren gesehen, wie sauber der Bankensektor in Europa geht, dann müssen wir uns überlegen, diese national ein- geworden ist. Bis heute ist er voll von Schmodder, weil zuführen. man damals dem genannten Prinzip der deutschen Bun- desregierung gefolgt ist. Und dafür müssen Sie auch Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf Verantwortung übernehmen. emanzipiert den Staat vom Bankensektor. Geschäfte in diesem Sektor werden sicherer werden. Diejenigen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie diese Geschäfte machen, werden weniger Gewinne er- bei Abgeordneten der LINKEN) zielen und im Zweifel für die Verluste haften. Ich finde, das tut einer sozialen Marktwirtschaft gut. Es ist ja toll, sich als Kanzlerin immer als große Ma- nagerin und Retterin und als Finanzminister als großer Vielen Dank. Europäer darzustellen. An dieser Stelle haben Sie zum (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schaden ganz Europas antieuropäisch gehandelt. Und der CDU/CSU) das belastet uns bis heute. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Präsident Dr. Norbert Lammert: des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Gerhard Schick das Wort. Jeder einzelne Staat sah sich nämlich gefangen in der Logik: Wenn ich meinen Banken kein Steuergeld gebe, dann fließt das Geld aus meinem Finanzsektor ab, und Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dann ist das für meine Wirtschaft ein großes Problem. NEN): Diese Logik hat alle Staaten gezwungen, entsprechend Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zu handeln. Wenn man dies anders gemacht hätte, wäre Bundesfinanzminister hat seine Ausführungen mit dem vieles anders gelaufen. Hinweis darauf begonnen, dass eines der Kernprobleme bei der Euro-Staatsschuldenkrise war, dass die einzelnen Nun kann man sagen: Das ist vergossene Milch. Aber Mitgliedstaaten für die Rettung ihrer Banken zuständig das Problem ist, dass Sie aus dem Fehler von damals waren, dass also aus Bankenschulden Staatsschulden nichts gelernt haben, sondern in den Jahren bis 2012, als wurden. Da stimme ich mit ihm völlig überein. Das ist das ganze Desaster, das Nikolas Sarkozy vorhergesagt ein zentrales Problem, das die Steuerzahlerinnen und die hat – Angelas Desaster –, eingetroffen ist, immer noch Steuerzahler in Europa viele, viele Milliarden gekostet gegen die Bankenunion gearbeitet haben und alles getan (B) hat, uns noch bis heute beschäftigt und die Haushalte haben, dass sie nicht kommt. 2012 sind sie nur durch den (D) auch noch zukünftig belasten wird. Druck der anderen europäischen Regierungen gezwun- gen worden, dem zuzustimmen, was Sie heute vorlegen. Man muss aber wissen, dass der Zusammenhang zwi- Sie haben das nie gewollt. schen den Bankproblemen und den nationalen Haushal- ten in der Euro-Zone nicht zwangsläufig so hätte sein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) müssen oder gar vom Himmel gefallen ist. Es war 2008 vielmehr eine politische Entscheidung, dass es so sein Es geht noch weiter: Sie haben nachher in den Ver- sollte. Im Herbst 2008, als die Bankenkrise auf einen ih- handlungen alles getan, damit man gemäß dieser fal- rer Höhepunkte zusteuerte, hat die niederländische Re- schen Logik weiterarbeitet. Die Bankenunion tritt auf- gierung nämlich einen Vorschlag gemacht und eine euro- grund der Verhandlungen der Bundesregierung später in päische Lösung aufgezeigt, wie man ein gemeinsames Kraft, als sie in Kraft treten könnte. Deswegen bleiben Bollwerk gegen die wackeligen Finanzmärkte schaffen die Steuerzahler noch länger im Risiko, als es nötig könnte. Damals hat es viel Unterstützung für diesen Vor- wäre. Auch das ist ein Fehler, der Ihnen anzukreiden ist. schlag gegeben, aber eine Regierung hat Nein gesagt: die deutsche Bundesregierung unter . Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist überliefert – sehr gut dargestellt in dem Buch von Und Sie haben dafür gesorgt, dass der Abwicklungs- Cerstin Gammelin und Raimund Löw –, dass Nikolas fonds noch viele Jahre, nämlich noch bis 2024, nationale Sarkozy bei den Verhandlungen Anfang Oktober 2008 Abteilungen und nationale Verantwortung hat und damit sehr enttäuscht über Angela Merkel und ihr Nein war erst später ein wirkliches europäisches Konstrukt ent- – ich zitiere –: steht. Bei der Verabschiedung … an den Stufen des Ély- Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen sée lässt er seiner Enttäuschung freien Lauf: „Wenn lassen: Sie begannen Ihre Rede mit der Fehleranalyse, wir keine europäische Lösung zusammenbringen, indem Sie sagten: Dass die nationalen Haushalte verant- dann wird das ein Debakel sein“, klagt Sarkozy … wortlich sind für die Banken, ist eines der zentralen Pro- „Aber nicht meines, sondern Angelas Debakel … bleme. – In Verhandlungen haben Sie sich jedoch dafür Und weiter: eingesetzt, dass die nationalen Haushalte noch länger verantwortlich sind für die Bankenrettung. Das passt Angela Merkel habe im Élysée-Palast schlicht doch überhaupt nicht zusammen. Johann Wolfgang Goethe zitiert: „Ein jeder kehr’ vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 4892 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Gerhard Schick (A) Sie bleiben aber auch, leider, bei dem Vorliegenden Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) an ein paar Stellen in einer zweiten gefährlichen Logik. Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Ralph Wenn Banken Schwierigkeiten haben, kann man entwe- Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. der sagen, man rettet sie – im Zweifelsfall mit Steuergel- dern –, oder, man wickelt sie ab. Der Grundsatz des jetzt (Beifall bei der CDU/CSU) vorliegenden Gesetzentwurfes ist richtig. Wir wollen in Zukunft abwickeln. Es gibt allerdings drei Stellen, an de- Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): nen dieser Grundsatz leider nicht durchgesetzt wird, son- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben dern Sie in der alten, falschen Logik bleiben: schon eine drollige Opposition: Die Grünen zitieren Nicolas Sarkozy als ihren Kronzeugen, Erstens. Es gibt eine Klausel – darauf ist schon hinge- wiesen worden –, die regelt, dass man, wenn es eine Ge- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) fahr für die Finanzmärkte gibt, doch wieder retten kann. und die Linken halten eine Rede, die beim Kongress der Genau diese Begründung musste immer wieder für die europäischen Rechtspopulisten für viel Beifall gesorgt Bankenrettungen in Irland, Spanien und Zypern herhal- hätte. ten. Insofern ist es eine sehr gefährliche Lücke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Zweitens bei der Frage der direkten Bankenkapitali- neten der SPD – Widerspruch bei der LIN- sierung. Es ist ja richtig, dass es irgendwo das gibt, was KEN) Experten einen Backstop nennen, also sozusagen eine Möglichkeit, im Zweifelsfall noch einzugreifen. Aber da Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las- gibt es jetzt zwei verschiedene Wege: Der eine Weg sen. wäre, eine Kreditlinie für den Abwicklungsfonds festzu- (Zurufe von der LINKEN) legen, sodass der ESM den Banken Geld ausleihen kann, das sie später zurückzahlen müssen. Die Verantwortung Frau Wagenknecht, wenn Sie sagen, dass in den letz- bliebe so bei den Banken. Vor allem bliebe man so in der ten fünf Jahren im Bereich der Regulierung nichts pas- Logik des Abwicklungsfonds und seiner Expertise, dass siert ist, dann bedeutet dies, dass man entweder bewusst Banken wirklich abgewickelt würden. Oder man kann es die Wahrheit verschweigt oder dass man so redet, weil wie Sie über die direkte Bankenkapitalisierung machen. man in den vergangenen fünf Jahren verdammt oft ge- Dann wird wieder Steuergeld ins Schaufenster gestellt. fehlt hat. Das wollen wir nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt! – Norbert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Barthle [CDU/CSU]: Beides trifft zu!) (B) (D) Da sind Sie in der alten, falschen Logik. Dementsprechend kann ich Ihnen nur eines sagen: Keine Regierung hat so viel am Finanzmarkt reguliert wie Drittens wird der Grundsatz nicht auf nationaler diese Regierung und die Regierung davor – über 30 Ebene umgesetzt. Warum wird jetzt die Bankenrettung Maßnahmen. in Deutschland gemäß der alten Logik, dass man Steuer- geld ins Schaufenster stellt, noch einmal verlängert? Wa- Herr Schick, Sie sagen, Sie hätten es immer schon ge- rum denn? Sie haben doch gerade gesagt, dass es richtig wusst. Ich sage Ihnen: Wir waren die Ersten, die ein ist, Banken abzuwickeln. Warum wollen Sie in Deutsch- Bankenrestrukturierungsgesetz auf den Weg gebracht land noch einmal die Möglichkeit schaffen, im Zweifels- haben, und zwar 2010 fall Steuergeld für die Bankenrettung einzusetzen? Wir (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Grünen sind überzeugt: Das Prinzip „Wenn eine Bank GRÜNEN]: Aber Sie vertrauen wohl nicht da- ein Problem hat, löst man es mit Steuergeld“ muss end- rauf! Sonst bräuchten Sie nicht den Soffin zu lich der Vergangenheit angehören. verlängern!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Restrukturierungsgesetz ist die Blaupause für das, was nun in Europa entwickelt worden ist. Wir haben Es gibt noch eine Reihe von Fragen zur Ausgestal- damit Maßstäbe gesetzt. tung: Kann das Europäische Parlament überhaupt kon- trollieren, was dieser Fonds macht? Wie ist die Banken- (Beifall bei der CDU/CSU) abgabe im Einzelnen ausgestaltet? Das werden wir Meine Damen und Herren, heute ist ein Tag, an dem diskutieren müssen. wir auf das kernsanierte Haus der europäischen Banken- Insgesamt aber ist das Projekt einer europäischen regulierung das Dach setzen. Denn die Bankenunion ist Bankenunion richtig. Wir Grüne haben das seit langem das Dach; sie ist fürchterlich wichtig, denn ohne sie gefordert. Wir müssen heute feststellen, dass der Finanz- funktioniert das ganze System nicht. Ist das Dach un- minister das, was er heute vorlegt, nie gewollt hat. Aber dicht, dann ist auch das Haus nicht gut gebaut. Dement- es ist gut, dass er sich nicht durchgesetzt hat. sprechend freue ich mich, dass wir es geschafft haben, heute die entsprechenden Gesetzentwürfe in den Deut- Danke schön. schen Bundestag einzubringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber die Begeisterung – wir haben es gehört – hält sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sich an vielen Stellen in Grenzen, aus ganz unterschied- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4893

Ralph Brinkhaus (A) lichen Motiven. Aber dahinter steht etwas, was leider zu Dieser neuen Bankenwelt müssen wir uns stellen, hier (C) einem Grundaxiom der Politik am rechten und auch am müssen wir für Regulierung sorgen. Das haben wir ge- linken Rand geworden ist. Das ist etwas Neues, das ist macht. Nur zu sagen: „Da gibt es eine ganz einfache Lö- etwas anderes, das ist etwas Internationales, und – das sung“, oder, um den Wagenknecht’schen Wortbaukasten ist, glaube ich, den Menschen gemein – etwas Neues zu verwenden: „Das sind Zombies und Zocker! Es gibt sehe ich erst einmal skeptisch. Früher war doch eh alles Abgründe“, das ist toll für Volksreden hier im Deutschen besser. Warum können wir nicht die schöne alte Welt Bundestag, aber das bringt uns kein Stück weiter. von früher zurückhaben? – Das hören wir in ganz vielen Politikbereichen. Insbesondere die Rechten sagen: Frü- Ich würde mit Ihnen gerne über die Inhalte diskutie- her war doch irgendwie alles viel einfacher. Da konnte ren. Sie haben es rudimentär angesprochen: Die 8 Pro- man zwischen Gut und Böse unterscheiden. Griechen- zent, die die Bail-in-fähigen Gruppen leisten müssen, land und Spanien waren höchstens relevant, wenn das sind Ihnen nicht genug. 8 Prozent hätten aber in der alten Urlaubswetter schlecht war. Der Fremde kam aus der Finanzkrise in den meisten Fällen ausgereicht. Das ge- Nachbarschaft. Der Maschinenbauer hat maximal nach hört auch zur Wahrheit dazu. Holland geliefert. Alles war ganz fürchterlich einfach. Lassen Sie uns uns doch einmal über die Mechanis- Es wird nun suggeriert, dass wir diese einfache Welt men unterhalten, wann wer wie wo einen Sanierungs- wieder zurückbekommen könnten und dass wir uns auf und Abwicklungsplan erstellen muss. Lassen Sie uns uns den nationalen Bereich zurückziehen könnten. Dabei doch einmal über die Mechanismen unterhalten, wer wird verkannt, dass sich die Welt in der Zwischenzeit wann wo wie was entscheidet. verändert hat, und zwar verdammt schnell. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Politik ist, den GRÜNEN]: Kompliziert genug!) Menschen zu suggerieren, dass alles wieder wie früher Lassen Sie uns uns doch einmal über die Mechanismen und einfacher werden kann. Die Aufgabe der Politik ist unterhalten, wer wann wie wo feststellt, welcher Teil ei- es vielmehr, sich den Herausforderungen dieser verän- ner Bank systemgefährdend ist und welcher Teil einer derten Welt zu stellen. Genau das haben wir im Bereich Bank nicht systemgefährdend ist. Darüber müssen wir der Finanzmarktregulierung gemacht. Wir haben aus uns unterhalten. Genau hier anzusetzen, das wäre seriöse dem gelernt, was 2008 passiert ist. Wir sind Schritt für Oppositionsarbeit. Aber es ist keine seriöse Oppositions- Schritt in die richtige Richtung gegangen. Heute setzen arbeit, wenn man hier Volksreden hält, die im Übrigen wir das Dach auf die ganze Geschichte; und das ist aller nicht einmal richtig waren. Ehren wert. Man muss hinzufügen: All das ist in einer Geschwindigkeit vollzogen worden, die in der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) (D) schichte der Regulierung weltweit ihresgleichen sucht. Ich will damit nicht sagen, dass das, was hier vor sich Auch das ist aller Ehren wert, und das sollte man an die- geht, nicht zu kritisieren ist. Die entsprechenden Punkte ser Stelle auch einmal sagen. sind angesprochen worden, auch vom Finanzminister. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die EZB ist nicht sakrosankt. Es ist nicht alles richtig, neten der SPD) was sie macht. Da kann man auch durchaus einmal sa- gen: Das passt uns nicht. Dass sich die Welt verändert hat, das kann man am Beispiel Banken jedermann sehr gut und plastisch klar- Natürlich muss die EZB im Zuge dieses Aufsichts- machen. Früher war alles sehr einfach. Früher gab es die prozesses Vertrauen aufbauen. Im Zusammenhang mit kleine Bank vor Ort. Der Sparkassendirektor wohnte in den Stresstests ist das nicht immer gut gelungen; das hat der Nachbarschaft. Die Kredite wurden an den Hand- der eine oder andere Kollege bereits angesprochen. Na- werker oder Häuslebauer im Ort vergeben. Es gab keine türlich müssen wir uns immer wieder fragen – übrigens Derivate, keinen Hochfrequenzhandel, keine internatio- viel früher als heute hier im Bundestag –: Sind die ge- nal agierenden Börsen. Alles war schön und einfach. troffenen Regeln wirklich gut? Das haben wir gemacht. Aber dann ist Folgendes passiert: Die Sparkassen und Wir haben gemeinsam mit den Kollegen der SPD inten- Volksbanken haben auf einmal so viel Geld eingesam- siv mit unseren europäischen Kollegen gesprochen, da- melt, dass sie es in ihren Städten und auch im Land nicht mit genau das nicht passiert, was befürchtet wird, näm- mehr unterbringen konnten, und sind dann an die inter- lich dass die Sparkassen und Volksbanken die Zeche nationalen Kapitalmärkte gegangen. Dann hat der Mit- zahlen. Das ist unsere gemeinsame Initiative gewesen. telständler irgendwo in den USA eine Tochtergesell- Dafür haben wir gesorgt, meine Damen und Herren. Da schaft gegründet; das musste bankenmäßig abgedeckt werden wir auch weiter dranbleiben. werden. Dann wurden Produkte in Länder exportiert, die Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Regulierung, wir vorher nicht kannten, und es mussten Devisen- und die wir vornehmen, immer besser wird. Es gibt ganz Währungsrisiken abgedeckt werden. Das war die neue viele Ansatzpunkte für Kritik. Aber ich will dafür wer- Welt. ben, dass wir in der Sache kritisieren und uns auf Details Zur Wahrheit gehört dazu, zu sagen: Einige Leute einlassen. Denn eines haben wir im Zuge der Finanz- sind auf die Idee gekommen, dass man mit Garantien marktregulierung gelernt: Es gibt nicht den großen grü- und Derivaten auch handeln kann, ohne dass man den nen Knopf, auf den man drückt, und dann wird alles gut, Mittelständler und Häuslebauer braucht. Das war die sondern es sind Hunderte von kleinen Maßnahmen nö- neue Bankenwelt, die am Ende des Tages entstanden ist. tig. Es handelt sich um Gesetzespakete, die 500 bis 4894 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Ralph Brinkhaus (A) 600 Seiten umfassen, die man sich durchlesen muss und päisches Abwicklungssystem vom Prinzip her erst ein- (C) bei denen man an kleinen Schräubchen justieren muss. mal sinnvoll ist. Es muss aber eben auch funktionieren. Um im Bild vom Kollegen Brinkhaus zu bleiben: Wenn (Manfred Zöllmer [SPD]: Verstehen muss man am Schluss das Dach fehlerhaft ist, dann hat man eben sie auch noch!) einen Dachschaden. All das vermisse ich bei ganz vielen von der Opposition. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann Sie wirklich nur bitten: Nutzen Sie diesen Das könnte das Problem sein, über das wir hier noch re- Gesetzgebungsprozess dazu, mit uns darüber zu disku- den müssen. tieren, wie man die vier vorliegenden Gesetzentwürfe gut bzw. besser machen kann. Nutzen Sie die Zeit aber Ich möchte zumindest zwei Punkte aus einer Reihe auch dazu, zu überlegen, wie wir uns in all die Prozesse von Punkten ansprechen, die für meine Begriffe völlig der europäischen Bankenregulierung noch stärker und ungelöst sind: früher einbringen können. Richtig ist nämlich auch: Eine Erster Punkt. Einige Banken sind nach wie vor we- hundertprozentige Sicherheit haben wir nicht. Richtig ist sentlich zu groß, zu komplex und zu vernetzt. Ich auch: Wir müssen noch ziemlich viel arbeiten, bis die möchte das am Beispiel der Deutschen Bank aufzeigen. Bankenregulierung so ausgestaltet ist, dass wir den Bür- Die Deutsche Bank hat sich innerhalb des Finanzsystems gerinnen und Bürgern sagen können, dass sie als Steuer- mit 250 Milliarden Euro verschuldet. Sie hat ihrerseits zahler tatsächlich nicht mehr für Banken haften müssen, Forderungen gegen andere Banken in einer Größenord- dass wir den Bürgerinnen und Bürgern sagen können, nung von 300 Milliarden Euro. Solche Forderungen dass Banken ein ganz normaler Teil des Wirtschaftssys- kann man nicht vernünftig abwickeln, ohne dass man tems wie die Automobilindustrie, der Handwerker und Schneeball- bzw. Dominoeffekte auslöst. Wenn man be- viele andere auch sind, dass wir den Bürgerinnen und denkt, dass wir allein in der Euro-Zone zehn Banken ha- Bürgern sagen können: Ja, eine Bank kann in die Insol- ben, die eine Bilanzsumme von über 1,5 Billionen Euro venz und in die Abwicklung gehen, ohne dass dadurch aufweisen, dann muss man an diese Banken heran und das gesamte Finanzsystem oder ganze Volkswirtschaften schauen, dass man sie auf ein vernünftiges Maß verklei- in den Abgrund gerissen werden. nert. Das muss man dann wirklich auch erzwingen. Wir gehen heute einen ganz wichtigen Schritt in diese (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Richtung. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratun- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen in der Sache, und zwar ohne irgendwelche Volksre- den. Ich denke, das kriegen wir gut hin. Es handelt sich dabei in der Tat um einen komplizierten Prozess, bei dem man sich mit der Finanzbranche anle- (B) (D) Danke schön. gen muss. Darum kommt man aber nicht herum. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollege Brinkhaus, wir beide waren damals in New der CDU/CSU) York in der Filiale der Deutschen Bank und waren uns einig: Ein Konstrukt mit der Größenordnung wie die Präsident Dr. Norbert Lammert: Deutsche Bank kriegt man weder als kapitalistisches Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion noch als vergesellschaftetes Unternehmen vernünftig ge- Die Linke. managt. Insofern müssen wir an diese Größenordnungen heran. Denn man merkt, dass in der Branche die Zocke- (Beifall bei der LINKEN) rei schon wieder überall angefangen hat.

Dr. Axel Troost (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Zweiter Punkt. Die Idee eines europäischen Abwick- alle erinnern uns noch daran, wie wir vor ein paar Jahren lungssystems hört sich gut an, wenn es auch alle Stand- hier gestanden und ein Bankenrettungspaket nach dem orte erfasst. Von den 40 großen europäischen, grenzüber- anderen durchgezogen haben. Sicherlich dienten die schreitenden Bankengruppen agieren aber nur heutigen Lobreden in Bezug auf das, was wir beraten 5 Bankengruppen in Staaten der Bankenunion. Im Rah- und verabschieden sollen, auch dazu, noch einmal deut- men unseres Besuches in Großbritannien haben uns Ver- lich zu machen, wie unwürdig das damalige Verfahren treter der Finanzbranche und auch die Abgeordneten gewesen ist und dass sich nun alle bemühen, dass so et- dort gesagt: Gute Idee mit der europäischen Banken- was nicht mehr zustande kommt. Ich glaube auch, dass union. Aber nicht mit uns. es sich heute keine Regierung und keine Regierungsfrak- tion mehr leisten kann, noch einmal so vorzugehen, wie (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das damals der Fall war. NEN]: Sie stimmen da genauso ab in der Frak- tion!) (Beifall bei der LINKEN) Zu Deutsch: All die Banken, die in London, dem größten Wir haben gesehen, dass eine Bankenkrise in der Tat Börsenplatz, in erheblichem Umfang aktiv sind – das nicht allein auf nationaler Ebene zu lösen ist und dass sind fast alle großen –, sind nicht in vollem Umfang im bei Abwicklungen aufgrund verschiedener Regelungen Bereich der Bankenunion erfasst. Das heißt: In Krisen- in den jeweiligen Ländern natürlich erheblicher Abstim- fällen wird man vor dem Problem stehen, wie man das mungsbedarf besteht. Insofern glaube ich, dass ein euro- britische Geschäft vom Restgeschäft abgrenzt, um das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4895

Dr. Axel Troost (A) Risikogeschäft in den Griff zu bekommen. Insofern Liebe Frau Wagenknecht, mit billigem Talkshowpopu- (C) glaube ich, dass es noch erhebliche Schwächen gibt, die lismus aus der Phrasendreschmaschine kann man kom- aus dem hektischen Schritt resultieren, die EZB für das plexe Probleme nicht lösen. Ganze zuständig zu machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ralph Ein letzter Punkt, der für mich ganz zentral ist, ist die Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das!) Frage der Bankenabgabe, also des Aufbaus des Banken- Die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, sind rettungsfonds. Diesbezüglich ist noch nichts entschie- wirklich komplex. Ich darf noch einmal daran erinnern: den, aber es zeichnet sich ab, dass in ganz erheblichem Von 2008 bis 2012 musste das Finanzsystem in Europa Umfang auch kleine Banken herangezogen werden, also mit 1,5 Billionen Euro vor dem Kollaps bewahrt werden. kleine Sparkassen und kleine Genossenschaftsbanken. Die Finanzkrise hat eine tiefe Rezession ausgelöst, deren Diese haben nichts mit diesem Fonds zu tun, weil sie Folgen in vielen Ländern im Süden bis heute nicht über- erstens im Zweifelsfall überhaupt nicht gerettet, sondern wunden sind. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau abgewickelt würden, weil sie zweitens eigene Siche- gestiegen. Viele Menschen haben dramatische Wohl- rungssysteme haben, die aber einfach nicht zur Kenntnis standseinbußen erlitten. Von der Finanzkrise ging es genommen werden, und weil sie drittens ein Geschäfts- dann nahtlos über in die Staatsschuldenkrise. Das Ver- modell haben, das dafür sorgt, dass sie solche Probleme trauen in die Stabilität des Finanzsystems ist bei vielen gar nicht erst bekommen. Ich spreche in diesem Zusam- Menschen nach wie vor erschüttert. Deswegen ist es so menhang von den Sparkassen, nicht von den Landesban- wichtig, Problemlösungen zu präsentieren. ken. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und wer gibt Die Lehre, die wir aus der Finanzkrise gezogen ha- das Geld den Landesbanken?) ben, war: Eine solche Krise darf sich nicht wiederholen, die Finanzmärkte müssen eingefangen werden, sie brau- – Das hat doch damit nichts zu tun. Die Landesbanken chen Leitplanken, und nie wieder soll der Steuerzahler sollen doch die Abgabe zahlen. Aber deswegen muss die Zeche für die Gier von Bankern zahlen müssen. doch nicht auch die kleine Sparkasse zahlen, die damit nichts zu tun hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Dann stimmen (Beifall bei der LINKEN) Sie jetzt auch dagegen?) Deswegen müssen auch wir als deutsches Parlament Die Banken waren, wie man das auf Englisch sagt, noch einmal deutlich machen, dass nicht die Falschen „too big to fail“, also zu groß, um pleitezugehen, weil zur Finanzierung von Großzockerbanken herangezogen damit unkalkulierbare Risiken für das gesamte Finanz- (B) werden dürfen, sondern die Kleinen weitestgehend be- system verbunden waren und damit Risiken für alle (D) freit werden müssen. Das ist ein ganz großes Anliegen Menschen. der Sparkassen und der Kreditgenossenschaften. (Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Die Danke schön. sind doch heute noch größer!) (Beifall bei der LINKEN) Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun, aber viel mit zu großer wirtschaftlicher Macht. Diese Banken haben Präsident Dr. Norbert Lammert: sich der nationalen Kontrolle entzogen; denn sie agieren Herr Kollege, ich entnehme Ihrem Beitrag vor allen europaweit und weltweit. Wir hatten damals eine natio- Dingen die ermutigende Auskunft, dass gemeinsame nale Bankenaufsicht. Dies war nicht mehr vernünftig. Dienstreisen von Ihnen und dem Kollegen Brinkhaus zur Die Bankenaufsicht konnte die Funktion nicht adäquat Beförderung gemeinsamer Einsichten erheblich beitra- erfüllen. Die Krise hat das mit aller Deutlichkeit gezeigt. gen können. Deshalb sollte, deshalb musste eine Bankenunion in (Heiterkeit – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Europa errichtet werden. Das war von Anfang an die Das stimmt! – Manuel Sarrazin [BÜND- Forderung von uns Sozialdemokraten. Der Kollege NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn jetzt noch Schick hat eben deutlich gemacht, dass der Weg dahin mehr mitreisen dürften! Stellen Sie sich vor, es etwas holprig war, aber jetzt haben wir sie. Der Banken- hätten mehr als zwei mitfahren dürfen, Herr sektor musste stabilisiert werden, damit die Folgen von Lammert! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ich wirtschaftlichem Fehlverhalten beherrschbar bleiben. kriege jetzt keine Reisegenehmigung mehr Nicht der Steuerzahler, sondern der Eigentümer und der nach der Nummer!) Gläubiger sollen und müssen zukünftig die finanziellen Folgen tragen. Das haben wir als Sozialdemokraten von Nun hat der Kollege Zöllmer für die SPD-Fraktion Anfang an gefordert. das Wort. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket soll diese For- (Beifall bei der SPD) derung nun schrittweise umgesetzt werden. Eine grund- legende Neugestaltung des Regulierungs- und Aufsichts- Manfred Zöllmer (SPD): rahmens des Finanzsektors soll nun Realität werden. Es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein geht dabei um eine gemeinsame Bankenaufsicht sowie kluger Mann hat einmal gesagt: Für jedes komplexe Pro- um einen gemeinsamen Rahmen für die Sanierung und blem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch. – Abwicklung von Kreditinstituten. 4896 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Manfred Zöllmer (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bankenunion Steuerzahlers umgesetzt. In Deutschland wird die (C) ist ein wirklicher Quantensprung der Integration der Finanzmarktstabilisierungsanstalt die Sanierung und Ab- Finanzmärkte, ein neues Stück Europa, wicklung für eine Übergangszeit durchführen. Danach wird das Ganze in die BaFin überführt und dort als soge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nannte Anstalt in der Anstalt angesiedelt. der CDU/CSU) Wir werden im Beratungsprozess dieser Gesetzent- eine wirkliche Integrationsrevolution. Sie war vor zehn würfe über eine ganze Reihe von Fragen zu diskutieren Jahren noch völlig undenkbar. haben. Dabei geht es um die Frage eines möglicherweise Die Bankenaufsicht für systemrelevante große Insti- zwangsweisen Rechtsformwechsels in einer Krisensitua- tute soll zukünftig von der EZB übernommen werden. tion. Das betrifft Sparkassen und Genossenschaftsban- Der Finanzminister hat eben ausgeführt, dass es nicht ken. Wir werden uns mit diesem Thema intensiv aus- ganz einfach ist, Geldpolitik und gleichzeitig Banken- einandersetzen und dies prüfen müssen. aufsicht zu betreiben. Wir brauchen eine adäquate Tren- nung dieser beiden Bereiche, und wir brauchen die Per- Zusammenfassend möchte ich deutlich machen: Mit spektive, dass die Bankenaufsicht in Zukunft wieder aus diesem Gesetzespaket wird eine neue Ära eines refor- der EZB herausgelöst und in eine eigenständige Behörde mierten Finanzsektors begonnen. Er wird sicherer und überführt wird. stabiler sein. Im Falle einer Krise werden zukünftig der Eigentümer und der Gläubiger und wird nicht mehr der (Beifall bei der SPD) Steuerzahler zur Kasse gebeten. Auch Banken können Die Bankenaufsicht muss so gestaltet werden, dass sie dann abgewickelt werden. Dieser Bereich wird dann schlagkräftig ist, dass sie leistungsfähiger ist und über keine marktwirtschaftsfreie Zone mehr sein, und das ist den notwendigen Biss verfügt. Dazu ist eine enge Ko- auch gut so. operation mit den nationalen Aufsehern notwendig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dazu brauchen wir klare Schnittstellen sowie klare Zu- der CDU/CSU) ständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf beiden Sei- ten. Das gilt für die EZB, das gilt in Deutschland für die Präsident Dr. Norbert Lammert: BaFin und genauso für die Bundesbank. Der Kollege Sarrazin bekommt als nächster Redner Wer Banken sanieren und abwickeln muss und will, das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. braucht dazu Geld, im Regelfall viel Geld. Wir wollen, dass dieses Geld zukünftig nicht mehr vom Steuerzahler Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): aufgebracht wird. Ein zentrales Instrument in diesem (B) Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- (D) Zusammenhang ist der Bankenhaftungsfonds. Er soll legen! Zunächst nachträglich herzlichen Glückwunsch von Beiträgen der Banken gespeist werden. Der Fonds zum Geburtstag an Bundesminister Schäuble. Ich soll nach einer Übergangsfrist in acht Jahren mit einem glaube, Ihnen auch zur Ausgestaltung der Bankenunion Volumen von 55 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. zu gratulieren, ist vielleicht richtig; Sie sind schon ein Die Ausgestaltung der Beiträge, die die Banken zu leis- echter Europäer. Aber Ihnen dazu zu gratulieren, dass ten haben, wird durch einen delegierten Rechtsakt auf Sie den größten Anteil an der am Ende inhaltlich viel europäischer Ebene festgelegt. Ohne ein faires System besser gewordenen Ausgestaltung hatten, das wäre zu der Bankenabgabe – das sage ich hier mit aller Deutlich- viel des Lobes. Sie haben bei diesem wichtigen Thema keit – wird es allerdings keine Zustimmung meiner Frak- lange Zeit zu bremsen versucht und allein darauf gedrun- tion zu dem Gesamtpaket geben. Das ist für uns ein ganz gen, dass wir jetzt unter anderem einen Gesetzentwurf wichtiger Punkt. vorliegen haben, um eine völkerrechtliche Vereinbarung (Beifall bei der SPD – Dr. Gerhard Schick zur Ausgestaltung der Bankenunion, des Abwicklungs- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, eine rote fonds und des Abwicklungsmechanismus zu ratifizieren. Linie!) Das haben Sie durchgesetzt mit einer Interpretation Banken mit hohem Risiko müssen den Löwenanteil des Gemeinschaftsrechts, die exklusiv Sie hatten. Sie ha- der Mittel aufbringen. Wer höhere Risiken hat, muss hö- ben diesen Weg gewählt, um die Abgeordneten des here Abgaben zahlen. Das bedeutet auch, dass diese Bei- Europäischen Parlaments, die in diesem Fall durchge- träge – ein Kollege hat vorhin darauf hingewiesen – setzt haben, dass nationale Bankenrettungsinteressen nicht von der Steuer abgesetzt werden dürfen. nicht mehr Vorrang haben können vor europäischen Inte- ressen, auch Gläubiger zu beteiligen, in den Verhandlun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen zu negieren. Das ist Ihnen nicht gelungen. Die euro- Auch hier muss die Eigenverantwortung der Institute päischen Abgeordneten haben Ihnen mehr abverhandelt, und darf nicht der Steuerzahler das Maß aller Dinge sein. als Sie wollten, und, ganz nebenbei, mehr als die 27 an- deren Finanzminister. Von daher gratuliere ich Ihnen, Wir haben gehört, dass es eine Haftungskaskade gibt. Herr Minister, zum Geburtstag, und ich gratuliere unse- Bevor diese Mittel in Anspruch genommen werden, ren Kollegen im Europäischen Parlament dazu, dass müssen die Anteilseigner und Gläubiger die Verluste bis heute im Bundestag damit begonnen wird, etwas durch- zu einem Gesamtvolumen von 8 Prozent der gesamten zusetzen, an dem sie einen wichtigen Anteil hatten. Verbindlichkeiten nebst Eigenmitteln tragen. Mit dieser Haftungskaskade wird das Ziel einer Entlastung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4897

Manuel Sarrazin (A) Das Prinzip ist doch eigentlich ziemlich logisch: Wir Ich möchte eines hinzufügen: Ich persönlich habe (C) brauchen die Bankenunion auch, um die wirtschaftliche beim Thema „direkte Bankenrekapitalisierung“ oftmals Erholung in den Ländern, in denen die Krise besonders eine Meinung vertreten, die auch die SPD angegriffen schlimm zugeschlagen hat, voranzubringen. Wenn vor hat. Ich glaube, dass wir einen Backstop brauchen, und allem kleine und mittelständische Unternehmen nicht ich finde, man muss immer wieder offen darüber reden, mehr Zugang zu den Finanzmärkten haben, nicht mehr ob man ein solches Instrument vielleicht braucht. Des- Kredite verlängern können, dann werden Menschen ar- wegen haben wir Grüne auch offene Diskussionen da- beitslos. In Portugal sind 90 Prozent der Arbeitneh- rüber geführt. merinnen und Arbeitnehmer in Betrieben beschäftigt, in Ehrlich gesagt, haben wir mit der Bankenunion eine denen weniger als neun Menschen arbeiten. Gerade Entwicklung, bei der wir uns fragen: Warum integriert diese Betriebe haben jetzt Probleme, an Kapital zu kom- man diesen Backstop jetzt nicht in die Struktur der Ban- men. Das führt dazu, dass Menschen nicht mehr in Ar- kenunion? Warum sorgt man für eine neue Struktur? Wa- beit, nicht mehr in Ausbildung kommen. Deswegen ist rum gibt man jetzt dem ESM eine solche Kompetenz, die Bankenunion richtig. anstatt zu sagen: „Bis das Geld vorhanden ist, organisie- Aber eine Lehre aus der Krise muss doch auch sein, ren wir den Backstop über eine Kreditlinie im ESM für dass wir starke gemeinsame europäische Institutionen den Bankenabwicklungsfonds bzw. den Bankenabwick- brauchen, die unter Berücksichtigung nationaler Interes- lungsmechanismus, um so nicht wieder einen Wald von sen, aber eben auch unter Berücksichtigung des europäi- Regeln zu schaffen, den am Ende keiner mehr versteht, schen Interesses entscheiden. Hier musste das Europäi- sondern um das gemeinsame europäische Haus zu voll- sche Parlament Ihnen abverhandeln, dass nicht die enden und an dieser Stelle gut genug auszustatten“? Nationalstaaten – vor allem Deutschland und Frankreich – Vielen Dank. etwas verhindern können, was im europäischen Interesse wäre. Deswegen sind wir mit dem Verhandlungsergebnis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Bankenunion ganz zufrieden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Man muss aber sagen, dass das Verfahren im Hinblick Die Kollegin Antje Tillmann erhält nun das Wort für auf diesen völkerrechtlichen Vertrag genau diesem Inte- die CDU/CSU-Fraktion. resse in zweierlei Hinsicht massiv schadet: (Beifall bei der CDU/CSU) Erstens. Es ist unserer Meinung nach ein klares Rechtsprinzip, dass dort, wo eine europäische Kompe- Antje Tillmann (CDU/CSU): (B) tenz vorliegt, diese auch genutzt werden muss. Man Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D) kann nicht in einem Bereich, wo ein Mitentscheidungs- Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Sarrazin, recht des Europäischen Parlaments vorliegt, eine völker- Ihren Satz, dass die Bankenunion richtig ist, kann ich so- rechtliche Vereinbarung schließen – das wäre das aller- fort unterschreiben. erste Mal –, auf die das Europäische Parlament im offiziellen Verfahren keinen Einfluss mehr hat. Das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ein Präzedenzfall, der, wenn dies Schule macht, zu einer Anders als Sie sind wir aber der Meinung, dass es auch Erosion der demokratischen Verfasstheit der Europäi- richtig ist, dass Entscheidungen über das Geld des deut- schen Union beitragen kann. Denn man könnte sich da- schen Steuerzahlers – und darüber reden wir ja zum Bei- rauf berufen: Einmal ging das, jetzt geht das immer. spiel beim Bankenabwicklungsfonds – im deutschen Parlament getroffen werden. Die Kollegen im Europäi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Parlament sind gut unterwegs; die Zusammenar- Zweitens. Mit dieser komischen Konstruktion ma- beit ist hervorragend. Aber wenn wir über deutsche chen Sie die Bankenunion auch nicht rechtssicherer. Zu- Steuergelder sprechen, dann sollten wir in diesem Parla- mindest wir sind davon überzeugt, dass die antieuropäi- ment auch Rechenschaft gegenüber den deutschen schen Kläger aus Linkspartei und AfD und der Kollege Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ablegen. Deshalb Gauweiler – der in dieser Hinsicht meistens die klügsten glaube ich, dass Sie in diesem Punkt irren. Angriffspunkte findet; inhaltlich hat er jedoch unrecht – (Beifall bei der CDU/CSU) genau auf diesen Punkt rekurrieren werden. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie den Mut hätten, durch eine or- Die Bankenunion ist ein Teil eines Sicherheitskon- dentliche europäische Lösung und durch Bestätigung der zepts, das wir seit 2008 nach und nach einpflocken. europäischen Kompetenz – beispielsweise durch eine Finanzmärkte, Finanzakteure und Finanzinstrumente un- Stellungnahme des Deutschen Bundestages, wie wir sie terliegen längst einer besseren Aufsicht. Neben den klas- eingebracht haben – die Zweifel, die vielleicht in Karls- sischen Instrumenten, wie dem Entzug der Bankzulas- ruhe an der Legitimation aus Deutschland vorliegen sung oder der Abberufung von Vorständen, haben wir könnten, auszuräumen, statt einen Präzedenzfall zu die Eigenkapitalvorschriften für die Banken verschärft. schaffen, der dafür sorgt, dass das Europäische Parla- Wir haben empfindliche Bußgelder bei fehlerhafter Be- ment in Zukunft umgangen werden kann, wenn man das ratung eingeführt, und wir haben, Herr Kollege Troost, möchte. durch das Trennbankengesetz immerhin sichergestellt, dass große Banken zwar nicht zwangsverkleinert wer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den, sie aber ihre riskanten Geschäfte von den weniger 4898 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Antje Tillmann (A) riskanten Geschäften abtrennen müssen; darüber werden Die Einlagensicherung haben wir europäisiert. Der (C) wir in diesem Gesetzgebungsverfahren noch diskutieren. Kleinsparer in Europa kann sicher sein, dass er sein Gut- Natürlich müssen wir auch hier sicherstellen, dass sich haben auch dann wiederbekommt, wenn er es nicht in Großbanken im Zusammenhang mit diesem Abwick- Deutschland, sondern bei einer europäischen Bank an- lungsmechanismus sicherer aufstellen, als sie es bisher legt, und zwar selbst dann, wenn diese Bank in Schwie- tun. rigkeiten gerät. Zu diesem Sicherheitssystem gehört auch der Fiskal- Was geschieht heute? Heute vollenden wir diese Si- pakt. Ein Land, das selber eine solide Haushaltsführung cherheitsmaßnahmen für die Finanzmärkte mit der Ban- hat, kann seine eigenen Banken natürlich sehr viel eher kenunion. Wir verhindern weitgehend, dass der europäi- auf solide Füße stellen. Deshalb haben wir mit der Ein- sche Steuerzahler künftig ein weiteres Mal für bankrotte führung der Schuldenbremse in Europa einen wesentli- Banken zahlen muss, weil wir nämlich zunächst die Ei- chen Schritt dazu beigetragen, dass die Finanzmärkte si- gentümer haften lassen. Frau Wagenknecht, Ihre Aus- cherer werden. Ich glaube, keiner von uns hätte damit sage, dass nach 8 Prozent Eigentümerhaftung der deut- gerechnet, dass eine Einigung so schnell erreicht werden sche Steuerzahler zahlt, ist schlicht falsch. Sie haben kann. Wir führen ja parallel die Haushaltsberatungen: nämlich die Kreditgeber und den Bankenfonds, der Deutschland ist hier Vorreiter. Wir werden unsere Defi- ebenfalls vor dem Steuerzahler zahlen und haften muss, zite reduzieren, und wir hoffen, dass die europäischen völlig aus den Augen verloren. Partner Ähnliches tun; denn auch der Fiskalpakt ist ein (Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Ja, Teil der Sicherheit für die Steuerzahlerinnen und Steuer- wenn er mal irgendwann gefüllt ist!) zahler in Europa. Das ist sachlich falsch, das verunsichert die Bürgerinnen Neben der Haushaltskonsolidierung haben wir als und Bürger, das ist unverantwortlich und stimmt einfach zweite Sicherheitsschwelle den Europäischen Stabilitäts- nicht. mechanismus eingeführt. Über den ESM kann jedes europäische Land, das in eine Krise gerät und aus dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Krise nicht alleine herauskommt, Reformmaßnahmen Ja, im Rahmen der Gesetze, mit deren Beratung wir finanzieren. Das Land muss ein Sanierungsprogramm heute beginnen, ist auch die direkte Bankenrekapitalisie- vorlegen und kann dann für eine Überganszeit Hilfen be- rung ein Thema. Aber in der Vergangenheit hätte bis auf kommen. Dass das kein Kinderspiel ist, zeigt sich daran, einen Fall in allen Fällen der Bankenrettung und Ban- dass sich viele Länder lange geweigert haben, überhaupt kenabwicklung das heutige Haftungssystem ausgereicht. unter den Rettungsschirm zu gehen. Dass dies aber zu ei- (B) Der ESM wäre für eine direkte Bankenrekapitalisierung (D) nem Erfolg führen kann, zeigen die Länder Irland, Portu- überhaupt nicht in Anspruch genommen worden. Es gal und Spanien, die über diese Hilfen auf einem guten hätte ausgereicht, Eigentümer, Kreditgeber und den Ban- Weg sind, ihre Haushalte zu konsolidieren. kenfonds zahlen zu lassen. Wir hätten den ESM nicht (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gebraucht. Trotzdem ist es richtig, dass als letzte Sicher- heitsmaßnahme auch der ESM für die direkte Banken- Und was ist mit Griechenland?) rekapitalisierung zur Verfügung steht, aber natürlich un- Für den Ernstfall vorbereitet zu sein, kann aber nicht ter den gleichen Voraussetzungen, unter denen der ESM unser primäres Ziel sein. Ziel muss es sein, den Ernstfall auch Länder finanzieren kann: mit ganz strengen Sanie- zu verhindern. Deswegen haben wir weitreichende Re- rungsauflagen und mit ganz strengen, nachvollziehbaren formen – höhere Eigenkapitalanforderungen, die Regu- Sanierungsprogrammen. Wir sind sehr optimistisch, dass lierung von Ratingagenturen und bisher außerbörslicher ein solcher Fall überhaupt nicht in Kraft treten wird. Termingeschäfte sowie die Stärkung der Finanzaufsicht – (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sehr schön!) beschlossen. Wir wollen verhindern, dass Banken nur auf kurzfristigen Profit aus sind. Deshalb haben wir die Wir haben das Gesetzgebungsverfahren ganz bewusst Banker-Boni beschränkt und einen längerfristigen Be- – Herr Kollege Zöllmer, da sind wir uns einig – so ge- trachtungshorizont zugrunde gelegt. Außerdem haben staltet, dass wir abwarten können, wie sich die Europäi- wir strenge Strafen für solche Bankvorstände eingeführt, sche Kommission zur Bankenabgabe aufstellt. Wir be- die ihr Institut bewusst in Schieflage bringen. schließen mit diesen Gesetzentwürfen, die im Deutschen Bundestag zu verabschieden sind, dass die Bankenab- Neben der Regulierung der Banken haben wir aber gabe auf jeden Fall größenorientiert und risikoabhängig auch die nationalen Aufsichtsbehörden im Blick. Es ist sein muss. Damit haben wir einen ersten Pflock einge- heute schon darauf hingewiesen worden, dass in der Ver- schlagen, kleinere, nicht risikoorientierte Banken, zum gangenheit nationale Aufsichten offensichtlich nicht so Beispiel Genossenschaftsbanken und Sparkassen, nicht gut aufgestellt waren, dass sie Risiken rechtzeitig er- übermäßig zu belasten. Wir werden im weiteren Gesetz- kannt haben, geschweige denn, dass sie sie hätten ver- gebungsverfahren abwarten, ob die Kommission ihren hindern können. Am 4. November dieses Jahres, also Vorschlag im Oktober dieses Jahres konkretisiert. Wir übernächsten Monat, beginnt die europäische Banken- werden dann reagieren und entscheiden, wie weit wir aufsicht für die größten europäischen Banken. Auch das diese Maßnahmen im Deutschen Bundestag unterstützen ist ein Weg hin zu gemeinsamer europäischer Sicherheit können. Der Zeitplan sieht das vor, und wir werden in auf den Finanzmärkten. den weiteren Beratungen hierauf reagieren können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4899

Antje Tillmann (A) Axel Troost hat darauf hingewiesen – ich glaube, da dies zeigt auch die Schnittstelle zwischen der AfD und der (C) sind wir uns einig –: Wir müssen uns europäisch aufstel- Linken, die immer mit der Vorstellung kommen, dass wir len und die europäische Situation im Auge behalten. – der größte Nettozahler sind und unser Geld in Europa ver- Deshalb kann es nicht bei jedem Einzelpunkt einen Son- lieren –: 1 Euro fließt nach Europa. Dann kommt er in derplan für Deutschland geben. Hier stehen wir alle auf Brüssel an und ist weg. Jetzt kann man natürlich an die- einer Seite. Kleine Banken, die nicht risikoorientiert ser Stelle aufhören, zu denken. Aber wir denken heute sind, sollen nach Möglichkeit nicht für die Bankenab- ausnahmsweise einmal weiter. gabe aufkommen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Die Spanier bekommen diesen Euro nur, wenn sie einen zweiten Euro hinzufügen. Mit diesen beiden kau- Die Bankenunion ist also auf einem guten Weg. Ich hatte fen die Spanier in Deutschland eine Straßenbauma- bei der Opposition nicht den Eindruck, dass es da große schine. Bedenken gibt. (Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Ich Dass der Finanzminister keinen Glückwunsch be- habe über Bankenrettung geredet und nicht kommen soll, Herr Sarrazin, ist ihm, glaube ich, egal. über Investitionen!) (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beim Kauf dieser Maschine wird der eine Euro für das NEN]: Na dann!) Material ausgegeben und der andere Euro für die Löhne. Gut ist, dass Sie die Bankenunion positiv dargestellt ha- Die Arbeitnehmer fahren dann mit diesen Löhnen nach ben. Wir sind damit aber noch nicht am Ende. Wir wer- Spanien in Urlaub. Jetzt merkt man plötzlich, wie sich den nach der Bankenunion mit dem Einpflocken des ein Geldkreislauf schließt. Sicherheitssystems bei Schattenbanken weitermachen (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir kritisieren müssen. Was die Versicherungen angeht, werden wir im ja, dass die Banken wirtschaftlich gar nicht an- Rahmen von Solvency II Maßnahmen einführen, die den gebunden sind!) Finanzsektor sicherer machen werden. Jede einzelne die- ser Maßnahmen bringt mehr Sicherheit auf den Finanz- Wenn man solche Sätze, wie Sie es getan haben, for- märkten und einen größeren Schutz der Steuerzahlerin- muliert, muss man also immer schauen, dass man nicht nen und Steuerzahler. Wir sind auf einem guten Weg, einem Irrtum aufsitzt, weil sich, wenn man in einem run- aber natürlich noch nicht fertig. Wir sollten diesen Weg den Modell nur weit genug nach rechts oder nach links weiter beschreiten. Dazu fordere ich Sie herzlich auf. geht, (B) (D) Danke. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder nach Spanien!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) die Methoden verdächtig nahekommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Präsident Dr. Norbert Lammert: bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für GRÜNEN) die SPD-Fraktion. Man muss sehr aufpassen, wenn man solche Sätze for- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muliert. der CDU/CSU) Schauen wir einmal vorsichtig, ob wir uns trotzdem annähern können, wenn wir eine gewisse Rationalität Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): walten lassen. Sie wollen ja nicht, dass das Geld ver- Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! brannt wird, obwohl Sie noch gar nicht erklärt haben, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir ein paar was das eigentlich bedeutet: Wer hat das Geld, wenn es Worte zu Sahra Wagenknecht. Sie haben gesagt: Im irgendwo verschwindet? Irgendjemand hat es ja. ESM wird das Geld verbrannt, das hier für die Infra- struktur gebraucht wird. – Das hat uns natürlich aufmer- Wir wollen, dass in der allergrößten Not zunächst ein- ken lassen; denn der ESM ist ja ein europäisches Kon- mal die Aktionäre, die auf eine Dividende gehofft haben, zept. In ihm ist übrigens nicht nur deutsches Geld, verantwortlich sind. Wären wir uns da einig? Die Aktio- sondern auch das Geld vieler anderer Länder enthalten. näre sollen zahlen. Diese sind ja tendenziell ohnehin die Ihre Formulierung – das Geld, das hier gebraucht wird – Bösen. Sie zahlen zuerst. Dann kommen die Gläubiger deutet in einer gewissen Weise auf Deutschland hin und – vorrangige und nachrangige –, die auch auf Gewinne hat uns, wie gesagt, hellhörig gemacht. gehofft haben. Auf der Grundlage einer solchen Haftungs- kaskade ist also klar, wer welche Verantwortung trägt. Ich möchte einen komplexen, volkswirtschaftlichen Wahrscheinlich wären wir da auch noch einig. Dann kom- Zusammenhang anhand eines Beispiels quantifiziert dar- men die Anleger mit Einlagen über 100 000 Euro. Das stellen, und zwar so einfach, dass man ihn gut verstehen sind die, von denen wir wähnen, dass sie starke Schul- kann – tern haben und ein solches Risiko eher tragen können als (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der die, die vielleicht ihren Spargroschen abgegeben haben. SPD) Dann kommt der Bankenhaftungsfonds, bei dem es uns 4900 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Lothar Binding (Heidelberg) (A) ganz wichtig war, dass er von den Banken gespeist wird. Zweitens. Wenn Sie fragen: „Wer soll es denn bezah- (C) Ihr Zwischenruf lautete: Ja, wenn er denn mal voll ist! – len?“, dann muss ich sagen, dass das eine absurde Frage Das stimmt. Er soll 55 Milliarden Euro umfassen. Das ist. Wenn ein kleiner Handwerksbetrieb oder ein Mittel- wird eine Weile dauern. Aber zumindest sind die Banken ständler pleitegeht, wer zahlt denn dann? Zahlt dann der verantwortlich dafür, 55 Milliarden Euro einzuzahlen. Staat? Natürlich zahlt nicht der Staat, sondern es zahlen 55 Milliarden Euro sind ja immerhin mehr als nichts. die Eigentümer und die Gläubiger, und zwar nicht gede- Dann kommen die Länder, und irgendwann kommt der ckelt auf 8 Prozent, sondern mit dem gesamten Volu- ESM ins Spiel. men, das da ist. Sie sagen: Dort wird unser Geld verbrannt. Das sollen Das Kernproblem ist ja – daran knüpft auch meine nicht die Steuerzahler übernehmen. Meine Frage: Was Frage an, ob wir da auf einen gemeinsamen Nenner schlagen Sie vor? Wer soll dieses Risiko tragen? – Sie kommen –: Solange man den Banken erlaubt, weiter so gestikulieren; das ist aber die falsche Bewegung. Sie zu spekulieren, wie sie es derzeit tun, wird sich nichts müssen sich fragen: Wer? ändern. Ich erinnere daran, dass allein die Deutsche Bank – wir reden ja nicht nur über spanische Banken, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei sondern auch über deutsche – mit einer Bilanzsumme Abgeordneten der CDU/CSU) von etwa 2 000 Milliarden Euro und einem Eigenkapital von 50 Milliarden Euro Derivate mit einem Nominalvo- Wessen Geld will Frau Wagenknecht in dieser größten lumen von 55 000 Milliarden Euro in den Büchern hat. Not einsetzen? Sie sagen: Ich weiß nicht, wer es bezah- len soll, aber jedenfalls nicht der Steuerzahler. (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber die Frage kommt noch?) Jetzt frage ich einmal ganz ehrlich: Wer, wenn wir nicht den Steuerzahler meinen, soll das in letzter Konse- Diese sind natürlich nicht ausgewiesen, aber man kann quenz zahlen? Wer ist denn dann gemeint? Vielleicht der das trotzdem berechnen. Also, mit 50 Milliarden Euro Sparer, dessen Geld noch im System ist? Vielleicht die Eigenkapital wird ein riesiges Rad gedreht, in dem Deri- Versicherung, die der Bank ihr Geld zum Anlegen gege- vate von 55 000 Milliarden Euro enthalten sind. Banken, ben hat? Die Versicherung bekommt das Geld ja von den die solche absurden Geschäfte machen, haben natürlich Versicherungsnehmern. Ich rede immerhin von 1 400 Mil- ein allgemeingefährliches Potenzial. Wenn Sie sagen, liarden Euro. Oder vielleicht derjenige, der sein Geld, dafür haften dann die Eigentümer und die Gläubiger das sich jetzt noch im Bankensystem findet, zur Alters- nicht, dann sollten Sie sich endlich einmal dafür einset- vorsorge angelegt hat? Würden die dann bezahlen? Wol- zen, dass diese Regierung das Trennbankensystem nicht len Sie mir den Unterschied zwischen Steuerzahler und weiter aufweicht, sondern dass man die Banken ver- (B) Sparer noch erklären? Das wird eine komplizierte Ange- pflichtet, so viel Eigenkapital vorzuhalten, dass sie für (D) legenheit. ihre Risiken selber haften können. Da wäre das Geld, da ist die Verantwortung, da ist die Haftung – das ist nor- male Marktwirtschaft. Alles andere, was Sie erzählen, ist Präsident Dr. Norbert Lammert: Unsinn. Kollege Binding, darf die Kollegin Wagenknecht Ih- nen eine Zwischenfrage stellen? (Beifall bei der LINKEN)

Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Es ist immer klug, wenn man nur Vergleichbares mit- Ja, darf sie. einander vergleicht. Eine Insolvenz ist natürlich eine In- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- solvenz. Aber die Insolvenz eines kleinen Handwerkers NEN]: Aber nur mit der richtigen Handbewe- und die Insolvenz einer Bank sind eben nicht vergleich- gung!) bar, weil der Handwerker ja keiner ist, der als Geldsam- melstelle, als Dienstleister fungiert, dieses Geld klug – Nur wenn die richtige Handbewegung gemacht wird; oder dumm anzulegen. Hier handelt es sich um eine völ- das ist klar. lig andere Struktur. Die sind gar nicht miteinander ver- gleichbar. Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Sie haben gesagt: Der Handwerker trägt das Risiko. – Handbewegungen werden hier ja etwas seltsam ge- Wer trägt denn bei der Bank das Risiko? Der Bankvor- deutet. – Bevor ich die Frage stelle, sage ich noch etwas stand? – Nein. Der Bankvorstand kann das Risiko doch zu Ihrem Eingangsstatement. Sie haben gesagt: Das gar nicht tragen, wenn er auch noch so viel verdient. Das Geld wird ja nicht verbrannt, sondern damit kaufen Risiko tragen die Einleger, die Sparer, letztlich alle die, Spanier Maschinen. – Sie sollten wissen: Wenn der ESM die ihr Geld der Bank geben. Die werden es verlieren. Banken rekapitalisiert, ob in Spanien oder irgendwo Deshalb ist es klug, sich darum zu kümmern, dass das in sonst, dann werden damit Altlasten oder Spekulations- dieser Weise nicht passiert, dass wir eine geordnete Haf- verluste abgedeckt, aber kein einziger Kredit für irgend- tungskaskade haben und dass der Bürger, der Sparer, der eine Maschine bereitgestellt. Das wollte ich zunächst Steuerzahler zuallerletzt kommt. Alle die, die sich von einmal festhalten. dieser Bank Gewinne versprochen haben, sollen dann auch das Risiko tragen. So gehören Haftung und Risiko (Beifall bei der LINKEN) zusammen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4901

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Gleichwohl will ich Ihnen konzedieren, dass wir na- Also, wir merken: Es ist immer der gesamte Kreislauf (C) türlich regulieren müssen. Wir haben in der Regulierung in den Blick zu nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch Fehler gemacht. Es ist auch noch nicht alles regu- hier sehr viel mehr machen. Deshalb wollen wir einen liert. Ich würde sogar sagen, Bankenregulierung ist ein funktionierenden Bankensektor. Wir wollen so weit ge- andauernder Prozess, vielleicht sogar ein Prozess, in hen, dass wir nicht nur eine Aufsicht haben; denn das dem man permanent dazulernen muss. Aber dieser Auf- Aufsichtsregime allein ist ohne Abwicklungsregime ein gabe müssen wir uns stellen. Deshalb ist es wichtig, zu stumpfes Schwert. Über dieses Abwicklungsregime re- sagen, was man will, und nicht nur zu sagen, was man den wir heute. Da sind wir mit dem jetzt vorgeschlage- nicht will. Diesen Schritt haben Sie leider noch nicht ge- nen Modell und der Haftungskaskade auf einem sehr gu- hen können, aber ich denke, wir sind gemeinsam auf ei- ten Weg. Ich bin gespannt, ob wir in zwei Jahren sagen nem guten Weg, oder? können: Wir haben ein seriöses Bankensystem und eine prosperierende Wirtschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜND- Schönen Dank. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wolltet ja einmal ein Trennbankensystem! Ist das noch aktuell?) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn wir ganz ehrlich sind, glaube ich, müssen wir Präsident Dr. Norbert Lammert: sagen, dass vor zwei Jahren keiner von uns gedacht hätte, dass wir mit unserer Regulierung so weit kommen Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für würden. Auch diese Regulierung, auch dieser Abwick- die CDU/CSU-Fraktion. lungsmechanismus, ist noch nicht perfekt. Das ist völlig (Beifall bei der CDU/CSU) klar. Gerhard Schick hat doch einen ganz guten Vor- schlag gemacht, den man sogar hätte verfolgen können. Norbert Barthle (CDU/CSU): Aber er hat ihn gemacht, ohne die Franzosen zu fragen, ohne die Italiener zu fragen, ohne die Spanier zu fragen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Die sind nicht dieser Meinung, dass wir das machen Damen und Herren! Ich glaube, diese heutige Debatte können. Wenn man aber in Europa etwas machen will, zur europäischen Bankenunion ist eine gute Gelegenheit ist man leider darauf angewiesen, dass andere mittun. – das zeigen die Reden der Vorredner –, um uns noch Das ist im Moment noch nicht so weit, aber wir können einmal zu vergewissern, wo wir in Europa eigentlich ste- gemeinsam – auch parlamentarisch – die anderen Länder hen; denn gerade die jüngsten Debatten und auch die überzeugen. Dann könnten wir vielleicht eines Tages Auseinandersetzung zwischen Lothar Binding und Sahra diesen Weg gehen. Wagenknecht zeigen doch, dass es immer noch Euro- (B) Skeptiker gibt, die versuchen, mit dieser Euro-Skepsis (D) Vor zehn Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellen am linken oder rechten Rand des Parteienspektrums können, dass wir so weit gehen müssen. Ich glaube, die Stimmen zu fischen. meisten, die hier sitzen, müssen sich eingestehen, wenn sie ehrlich reflektieren, was vor zehn Jahren war, dass (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE keiner eine Vorstellung von der Dimension dessen hatte, GRÜNEN]: Auch in der Unionsfraktion! – was heute passiert und passieren muss. Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Gähn!) Wenn wir heute über die Banken reden, reden wir ei- Zu beobachten, ob sich beide irgendwo treffen, ist schon gentlich über eine Funktion, die letztlich der Realwirt- ein spannendes Momentum. schaft dient. Manfred Zöllmer und Carsten Schneider (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haben darauf hingewiesen: Eigentlich geht es darum, neten der SPD) dass die Menschen in Europa wieder Arbeit finden, dass wir wieder investieren, und zwar nicht nur in Deutsch- Wenn man sich die Situation vor Augen führt, muss land, sondern eben in ganz Europa. Wenn man mit Ame- man doch feststellen: Deutschland steht gut da. Auch rikanern spricht, dann hört man, dass die eine ganz an- Europa steht deutlich besser da, als es noch vor zwei dere Erwartung an Deutschland haben. Die sagen auch: Jahren von vielen vermutet wurde. Es ist noch nicht so Ihr müsst mehr investieren. Ihr mit eurer Schuldenpanik, lange her, da wurde uns von ernst zu nehmenden Ökono- das ist ein schwerer Fehler. Es kommt sofort das Wort men vorhergesagt, dass es keine zwei oder drei Jahre „Austerität“. Sie sagen: Das ist die falsche Richtung. – mehr dauern würde, bis der Euro weg sei, zerbröselt und Ich meine auch, dass das die falsche Richtung ist. Also, als unsere gemeinsame Währung zu Grabe getragen wer- da müssen wir sicherlich noch sehr viel mehr überlegen. den müsse. Wo sind diese klugen Redner heute? Ich bin froh, sie nicht mehr sehen und hören zu müssen. Gleichwohl: Mit dem, was wir heute machen, um das Bankensystem zu retten, schaffen wir etwas Wichtiges Unsere Stabilisierungspolitik hat gewirkt, und sie für den Erhalt der Dienstleistungsfunktion der Banken, wirkt weiter. Die Hilfsprogramme für Spanien, für Irland der Realwirtschaft zu dienen und letztlich auch das Ein- und für Portugal laufen ordnungsgemäß aus. Irland zahlt kommen der Familien zu sichern; denn ohne Arbeit kein bereits Kredite zurück; auch das ist ein Argument für un- Einkommen, ohne Einkommen keine Binnennachfrage, sere Politik. Es wurde immer gesagt, diese Kredite seien ohne Binnennachfrage keine Wirtschaftsdynamik. Vom verlorenes Geld. Sie werden bereits zurückgezahlt. Grie- Export können wir nur so lange leben, wie diejenigen, chenland und Zypern sind zwar noch unter dem Ret- die importieren, unsere Nachbarn, reich genug sind. tungsschirm, aber in beiden Ländern geht es voran. 4902 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Norbert Barthle (A) Kein Mensch redet mehr von einem dritten Hilfspro- sen. Man muss vorsichtig damit umgehen. Es ist gut, (C) gramm für Griechenland. Herr Samaras, der diese Wo- dass es als letzte Option bzw. als Backstop gehandhabt che bei Angela Merkel zu Besuch war, sagt selbst: Auch wird. Denn wäre es nicht vorhanden, dann entstünde tat- in Griechenland will niemand mehr ein drittes Hilfspro- sächlich die Situation, dass – Lothar Binding hat darauf gramm. – Frau Wagenknecht, lesen Sie einmal Ihre Re- hingewiesen – letztendlich der Staat bzw. die Steuerzah- den nach. Dann werden Sie feststellen: Auch Sie haben ler für die Rekapitalisierung einer Bank einstehen müss- an dieser Stelle geirrt. Griechenland begibt bereits zehn- ten. Das ist ein nicht akzeptabler Weg, den wir vermei- jährige Anleihen an den Finanzmärkten, die mit weniger den wollen. als 5 Prozent rentieren. Das heißt, das Vertrauen der Ka- Deshalb ist es gut, dass uns dieses Instrument zur Ver- pitalmärkte in den Euro ist Schritt für Schritt zurückge- fügung steht, aber eben nur als letzte Option für den kehrt. Rückgriff oder sozusagen als letzter im Einzelfall not- Das ist ein Erfolg unserer Hilfsprogramme, die wir wendiger Backstop. teilweise wirklich in hohem Tempo, im Schweinsgalopp Was das zweite Instrument angeht, das wir einführen, durch dieses Parlament gejagt haben. Aber aus dieser muss man die Aussage der Frau Wagenknecht korrigie- akuten Hilfe ist nach und nach eine neue Stabilitätsarchi- ren. Wir werden das Ganze mit einer umfangreichen Par- tektur in Europa entstanden, deren Pfeiler bereits be- lamentsbeteiligung ausgestalten. Es wird nichts im Hin- nannt wurden: Der Fiskalvertrag steht. Der Stabilitäts- terzimmer gemauschelt und an der Öffentlichkeit vorbei und Wachstumspakt wurde ausdifferenziert und durch gemacht, sondern das wird ganz offen im Deutschen Sixpack und Twopack verbessert. Der ESM steht im Bundestag ausgehandelt. Rahmen von Notprogrammen zur Verfügung. Jetzt re- geln wir noch die Bankenunion. Damit haben wir die (Widerspruch der Abg. Karin Binder [DIE notwendigen Pfeiler errichtet, um dieses europäische LINKE]) Haus wirklich mit neuem Leben zu erfüllen. Denn der vorliegende Gesetzentwurf sieht folgende Wir haben eine neue Stabilitätsarchitektur geschaffen, Konstruktion vor: Wenn das Instrument der direkten die dabei hilft, dieses Haus, lieber Kollege Ralph Bankenrekapitalisierung jemals zum Einsatz kommen Brinkhaus – ich möchte dieses Bild noch einmal aufgrei- sollte, dann müsste das Plenum des Deutschen Bundes- fen –, mit Leben zu erfüllen. Dafür brauchen wir eine tages immer vorher zustimmen, und die dafür notwendi- neue Stabilitätskultur in Europa. Diese neue Stabilitäts- gen Informationen, um diese Zustimmung zu erreichen, kultur neben der Regulierung der Finanzmärkte vermisse liegen dann allen – auch Ihnen – vor. Das ist auch im Ge- ich noch etwas. setzentwurf unstrittig. (B) Mit dem Reformeifer und dem Reformwillen ist es in Wir müssen allerdings noch im Detail regeln, wie wir (D) einigen Ländern noch nicht ganz so bestellt, wie man mit streng vertraulichen Daten umgehen. Dafür ist bisher das Sondergremium vorgesehen. Wir werden Wege, sich das wünscht. Ich erinnere mich da immer an die Ge- Möglichkeiten und Lösungen finden, um auch diesen schichte von dem Möbelpacker, der seinem Freund er- Weg so auszugestalten, dass er vor den Richtern in zählt, wie furchtbar anstrengend sein Beruf mit der Karlsruhe Bestand haben wird. Davon bin ich überzeugt. Möbelschlepperei sei. Als der Freund fragt: „Wie lange Das wird das Beratungsverfahren zu diesem Gesetz noch machst du das denn schon?“, ist die Antwort: Morgen ergeben. fange ich an. – Mit den Reformen in Europa scheint das ähnlich zu sein. Insofern geschieht nichts hinter verschlossenen Tü- ren, sondern immer in der Verantwortung des Deutschen (Zuruf von der LINKEN: Toller Witz!) Bundestages. Damit ist auch an der Stelle gewährleistet, Um noch einmal darauf zurückzukommen: Diese Sta- dass die in diesem Bereich weit ausgestalteten parlamen- bilitätskultur setzt voraus, dass wir nicht kurzfristige tarischen Beteiligungsrechte Bestand haben und auch in schuldenfinanzierte Impulse setzen, weder aus dem der Frage einer direkten Rekapitalisierung von Banken ESM noch sonst wo her; denn es hat sich herausgestellt, oder einer Bank aus dem ESM angewandt werden kön- dass das der falsche Weg ist. Deshalb bin ich sehr froh, nen. dass der Finanzminister klar und deutlich gesagt hat: Der Wenn ich das zusammenfasse, dann haben wir mit all ESM steht nicht für kurzfristige Wachstumsprogramme den Maßnahmen – den vier Pfeilern, die ich beschrieben zur Verfügung. habe – etwas erreicht, was die Voraussetzung für neues (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Vertrauen in Europa und in unsere Währung und damit die Voraussetzung für Wachstum, Beschäftigung und Das Geld liegt dort und ist für andere Zwecke vorgese- Wohlergehen schafft. hen, und dort liegt es auch gut und soll dort liegen blei- ben. Ich bedanke mich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nun reden wir über zwei neue Instrumente innerhalb Präsident Dr. Norbert Lammert: der Bankenunion. Das eine ist das Instrument der Ban- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der kenrekapitalisierung, das im Instrumentenkasten des Kollege Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. ESM Platz finden soll. Dieses Instrument ist nicht unge- fährlich. Darauf haben auch meine Vorredner hingewie- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4903

(A) Alexander Radwan (CDU/CSU): Es ist positiv, dass die Institutssicherung auf europäi- (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe scher Ebene zumindest vom Grundsatz her akzeptiert Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute das wird. Das war ein harter Kampf; denn es musste zuerst Thema Bankenunion, und die Bankenunion ist der logi- erklärt werden, was Institutssicherung bedeutet. Ich sche letzte Schritt auf einem Weg, der mit der Einfüh- danke Ihnen, Herr Minister Schäuble, dass das entspre- rung des Euros und der Kreierung des Binnenmarkts chend vorangetrieben wird. Wir sollten unsere Kollegen 1999 – damals ist es losgegangen, vor der Finanzmarkt- im Europäischen Parlament, die hier bereits vorstellig krise – begonnen hat. Jetzt folgt die Bankenunion, bei werden, unterstützen, indem wir unser Votum im Hin- der die europäische Aufsicht ein Kernelement ist. blick auf das weitere Vorgehen genau abstimmen. Die europäische Aufsicht der Europäischen Zentral- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- bank startet am 4. November dieses Jahres. Sie bereitet ten der SPD) jetzt mit Stresstests die Daten vor, damit sie bereits am Bei den nun anstehenden Beratungen werden wir den Anfang effektiv arbeiten kann und genau weiß, wo die Spielraum, den uns Europa gibt, kreativ nutzen. Ich ge- Risiken sind. In einem europäischen Binnenmarkt mit höre zu denjenigen, die sich nicht zu sehr anleinen lassen grenzüberschreitend tätigen Banken und grenzüber- möchten. Wir werden intensiv über die nationalen Vor- schreitendem Handel mit Produkten ist es wichtig, dass gaben betreffend das Trennbankensystem, die Rolle der wir dies auch auf europäischer Ebene verfolgen können. BaFin und der Bundesbank sowie die Rechtsformen bei Darum ist dieser Schritt nicht nur überfällig, sondern der Abwicklung der Institute debattieren müssen. Dann auch sehr zu begrüßen. werden wir beobachten, ob sich das alles in der Praxis bewährt. Den von mir bereits angedeuteten Kampf und Wir müssen dann in der Praxis auf europäischer die Diskussion um das Drei-Säulen-Modell erleben wir Ebene genau hinschauen. Es gibt den Zielkonflikt zwi- nun bei der EZB in puncto Aufsicht. Das werden wir schen Aufsicht und Geldpolitik, den Minister Schäuble auch in den nächsten Jahren bei der weiteren Gesetzge- angesprochen hat. Wir müssen im Blick behalten, wel- bung in Bezug auf die Regulierung erleben; Antje che Modelle die Europäische Zentralbank anwendet, und Tillmann hat in diesem Zusammenhang schon einiges darauf achten, dass mehr auf Qualität als auf Quantität angesprochen. Mir ist besonders wichtig, dass wir als geachtet wird. Wir müssen bei den Vorgaben aus den Parlament darum kämpfen, unseren parlamentarischen Thinktanks darauf achten, dass sie nicht zu stark angel- Einfluss im Zusammenhang mit dem Komitologiever- sächsisch geprägt sind. fahren auf Level 2, wo BaFin und Bundesbank unsere Wir werden im Deutschen Bundestag diesen Prozess Vertreter sind, zu behalten. Hier ist das Selbstverständnis entsprechend kritisch begleiten müssen. Ich hoffe, dass des Deutschen Bundestages gefordert. (B) die Vertreter der BaFin und der Bundesbank dies ge- Der Deutsche Bundestag muss klarmachen, dass es (D) nauso tun. darum geht, europäisches Recht durchzusetzen. Ich bin ein wenig verwundert über die Reden der Oppositions- Neben der Aufsicht stellt die bereits mehrfach ange- vertreter in diesem Zusammenhang. Frau Wagenknecht, sprochene Haftungskaskade eine Neuerung dar. Neu ist wir waren gemeinsam fünf Jahre in Brüssel. Wir haben ebenfalls der Bail-in. Das heißt, Gläubiger und Eigentü- uns zwar nicht so oft gesehen, obwohl wir im gleichen mer werden im entsprechenden Fall herangezogen. Wir Ausschuss waren. Aber Sie kennen zumindest die Me- richten einen Fonds ein, dessen Gesamtvolumen 1 Pro- chanismen auf europäischer Ebene. zent der gedeckten Einlagen entspricht und sich schließ- lich auf 55 Milliarden Euro belaufen soll; das ist zu be- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – grüßen. Aber wir werden darauf achten müssen, wer Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diesen Fonds in welcher Form weiterentwickeln kann NEN]: Wer hat es bezahlt? Der Steuerzahler, und wer dafür die Verantwortung hat. Herr Radwan!) Im Mittelpunkt unserer Diskussion steht die Banken- Herr Schick, das, was Sie heute an die Adresse von Herrn abgabe. Die Europäische Kommission wird entspre- Schäuble gesagt haben, kann ich nur so deuten: Entweder chende Vorschläge unterbreiten. Ich kann mich nur all haben Sie Frust über die erfolgreiche Politik der Bundes- denjenigen Rednern anschließen, die gesagt haben, dass regierung in Brüssel – dann würde ich das noch verste- sie das IGA nur dann ratifizieren, wenn sie genau wis- hen –, oder Sie sind der Meinung – weil Herrn Minister sen, um welche Summen es hier geht, und wenn sicher- Schäuble ständig vorgeworfen wird, er sei auf Griechen gestellt wird, dass insbesondere diejenigen, die an der und Portugiesen nicht ausreichend eingegangen –, dass es Finanzmarktkrise nicht primär schuld sind wie Klein- am besten gewesen wäre, wenn wir die Blaupausen von banken und Regionalbanken, nicht in Mitleidenschaft Griechenland und Portugal übernommen hätten. gezogen werden. Diese haben schließlich zusätzliche (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Leistungen bei den Aufsichtsvergütungen zu erbringen. GRÜNEN]: Nein, das war ein Vorschlag aus Obwohl sie auf nationaler Ebene beaufsichtigt werden, den Niederlanden! Sie stellen das völlig schief müssen sie einen Beitrag zur EZB leisten. Die Lasten für dar!) kleine Banken kumulieren sich also. Hier müssen wir darauf achten, dass der Rahmen entsprechend der Risi- Aber dann hätten wir die deutsche Position nicht ent- ken so gesteckt wird, dass es nicht zu einer Überlastung sprechend zur Geltung gebracht und nicht dafür gesorgt, kommt. Die nun zur Diskussion stehende Grenze in dass die deutsche Stabilitätspolitik im Währungsbereich Höhe von 300 Millionen Euro halte ich für zu niedrig. und bei der Finanzmarktaufsicht europäisiert wird. Das 4904 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Alexander Radwan (A) ist uns nun gelungen, und das werden wir weiterhin um- ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) setzen. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- neten Katharina Dröge, Katja Keul, Bärbel ten der SPD) Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Nur dann, wenn Europa und die Mitgliedstaaten zu ei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ner entsprechenden Disziplinierung und Stabilitätspoli- Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für tik kommen – das ist nicht in Ihrem Sinn; Sie wollen auf Konzerne europäischer Ebene nicht sparen –, wird es möglich sein, die Europäische Zentralbank in ihrer Verantwor- Drucksachen 18/1458, 18/2646 tung für die Zinspolitik und die Aufkäufe von Anleihen – das ABS-Programm sehen wir sehr kritisch – zu ent- Die Fraktion Die Linke hat zu der Antwort der Bundes- lasten. Die Politik muss die Verantwortung überneh- regierung auf ihre Große Anfrage zwei Entschließungsan- men und darf sie nicht bei der EZB abladen. Das ist ein träge eingebracht, über die wir später namentlich abstim- gutes Werk, um andere Staaten in die Verantwortung zu men werden. Auch über die Beschlussempfehlung des nehmen. Herzlichen Dank an die Bundesregierung und Ausschusses für Wirtschaft und Energie wird am Schluss viel Erfolg bei der Umsetzung! dieser Debatte namentlich abgestimmt. Diese drei na- mentlichen Abstimmungen werden unmittelbar aufeinan- Besten Dank. der folgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch neten der SPD) für diese Aussprache eine Gesamtzeit von 96 Minuten vorgesehen. – Dazu besteht offensichtlich Einverneh- Präsident Dr. Norbert Lammert: men. Also können wir so verfahren. Ich schließe die Aussprache. Ich erteile dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen Die Linke das Wort. auf den Drucksachen 18/2575, 18/2626, 18/2576, 18/2627, (Beifall bei der LINKEN) 18/2577, 18/2629, 18/2580 und 18/2628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Klaus Ernst (DIE LINKE): Hat dagegen irgendjemand Einwände? – Das ist offen- sichtlich nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und beschlossen. Herren! Es ist gut, dass wir heute hier noch einmal über (B) die Handelsabkommen reden können. Es ist ebenfalls (D) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie gut, dass in der Öffentlichkeit darüber eine sehr kritische die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: Diskussion stattfindet. Viele Fragen sind ungeklärt. 4 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung Wir haben eine Große Anfrage an die Bundesregie- auf die Große Anfrage der Abgeordneten rung gerichtet und zum Beispiel gefragt: Warum werden Klaus Ernst, Thomas Nord, Herbert Behrens, die Verhandlungen hinter dem Rücken der Menschen weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE geführt? Was haben die Verhandler eigentlich zu verber- LINKE gen? Zweitens: Warum soll ein besonderes Konzernkla- gerecht an den nationalen Gerichtsbarkeiten vorbei ein- Soziale, ökologische, ökonomische und geführt werden? politische Effekte des EU-USA-Freihan- delsabkommens (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksachen 18/432, 18/2100 – Was daran so lächerlich ist, kann ich mir nicht vorstel- len, Herr Pfeiffer. Die Position, die Sie hier vertreten, ist b) Beratung des Antrags der Abgeordneten die des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Inso- Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang fern kenne ich Ihre Argumente sehr gut. Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ( [CDU/CSU]: Die Tarifver- handlungen der Gewerkschaften werden auch Freihandelsabkommen zwischen der EU hinter dem Rücken der Öffentlichkeit geführt!) und Kanada CETA zurückweisen Es besteht die Gefahr, dass es zu Absenkungen von Drucksache 18/2604 demokratisch beschlossenen Standards vom Arbeits- ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten schutz bis zum Verbraucherschutz kommt. Wir wollten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, Klarheit. Die Antwort der Bundesregierung fiel dagegen weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- eher klein aus, und unsere Befürchtungen sind durch die NIS 90/DIE GRÜNEN Realität bestätigt worden. Keine Klageprivilegien für Konzerne – (Beifall bei der LINKEN) CETA-Vertragsentwurf ablehnen Zwei Beispiele: Wir fragten, was die Bundesregie- Drucksache 18/2620 rung unternimmt, um Transparenz herzustellen. Die Ant- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4905

Klaus Ernst (A) wort war, die Bundesregierung setze sich dafür ein. vollständig übernommen. Aber es soll ja nicht zum Ab- (C) Nach wie vor sind aber nicht einmal die Verhandlungs- bau von Standards im Bereich der Arbeitsregelungen mandate, also die Zielsetzung, was überhaupt verhandelt kommen. – Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. wird, der Öffentlichkeit bekannt. Ist das unser Verständ- Übrigens ist nach wie vor auch die Frage offen, ob nis von Transparenz? Die Regierung verweist auf die wir hier zustimmen müssen, dürfen, können, wenn sol- Notwendigkeit eines einstimmigen Ratsbeschlusses, che Abkommen abgeschlossen werden. Die Europäische wenn man das ändern wolle. Wenn unsere Bundesregie- Union hat hier eine ganz andere Position als die Bundes- rung wirklich mehr Transparenz will, wann hat sie dann regierung. einen solchen Beschluss beantragt, und wann wurde er abgelehnt? Ist es nicht schon unglaublich, dass wir über Auch in den Reihen der SPD wird der Widerstand im- das Ganze im Unklaren gelassen werden? Bezogen auf mer größer; das ist schön. Es freut mich natürlich, dass CETA weiß die Öffentlichkeit nicht einmal, was das deshalb ein Parteikonvent der SPD beschlossen hat, dass Mandat der Europäischen Union ist. diesen Abkommen einige Giftzähne gezogen werden sollen. Ich halte es für vollkommen richtig, dass man Zweites Beispiel: Hauptziel der Verhandlungen soll diese Giftzähne zieht. Dieser Beschluss Ihres Parteikon- der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse sein. Auf vents nützt aber nichts, wenn er ein Parteibeschluss die Frage, was denn nichttarifäre Handelshemmnisse ei- bleibt. Wenn er wirklich Wirksamkeit entfalten soll, gentlich seien, bekamen wir die Antwort, es gebe keine muss das Beschlusslage in diesem Parlament werden. Definition. Wenn es gar keine Definition gibt, woher Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das ge- nimmt die Bundesregierung dann eigentlich ihre Sicher- lingt, dann haben Sie etwas Vernünftiges hingekriegt. heit, dass Arbeitsschutzvorschriften und Arbeitnehmer- schutzrechte keine nichttarifären Handelshemmnisse (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. sind und diese somit nicht betroffen sind? So geht es in Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE der Antwort der Bundesregierung von Seite zu Seite. GRÜNEN] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie denn eigene Vorschläge, oder kön- Aber es gibt etwas anderes, etwas Erhellendes, das nen Sie nur rumschreien?) zeigt, worum es wirklich geht. Das ist der Text des Han- delsabkommens mit Kanada, CETA, der inzwischen vor- Meine Damen und Herren, was haben Sie in Ihrem liegt, natürlich auch geheim, nicht für die Öffentlichkeit, Beschluss festgelegt? Sie haben festgelegt: kein Investo- inzwischen aber Gott sei Dank im Netz veröffentlicht. renschutz und keine privaten Schiedsgerichte in diesen Da kann man nachlesen, was wirklich ausgehandelt wor- Abkommen. Sie haben festgelegt: Die ILO-Arbeitsnor- den ist. men müssen Grundlage sein. Sie haben festgelegt: öf- fentliche Daseinsvorsorge, parlamentarische Hoheit über (B) (D) Dieses Abkommen CETA ist deshalb so wichtig, weil die Regelung von Standards usw. es die Blaupause für das Abkommen mit den USA sein wird. Wer heute die Süddeutsche Zeitung gelesen hat, (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) weiß, dass De Gucht, also der zuständige EU-Kommis- Genau diesen Beschluss müssen wir hier fassen, wenn sar, das auch explizit so sieht. Er sagt: TTIP beruht letzt- man das Schlimmste verhindern will. Ich bin gespannt endlich auf dem Abkommen CETA. – Was ist also in – das sage ich, weil ich gerade Ihre Zwischenrufe höre –, CETA drin, und was ist nicht drin? ob Sie Ihren Parteibeschluss wirklich ernst nehmen oder Obwohl uns die Bundesregierung in der Antwort auf ob das, was Sie auf Ihrem Parteikonvent beschlossen ha- die Große Anfrage und auch sonst versichert, ein beson- ben, eine Luftnummer war. Wenn Sie das wirklich ernst derer Schutz von Investoren durch besondere private meinen, dann beschließen Sie es hier und nicht nur auf Schiedsgerichte sei nicht notwendig, sie wolle das nicht, einem Parteikonvent! ist er im CETA-Abkommen drin. Die Süddeutsche Zei- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. tung zitiert aus einem internen Gesprächsprotokoll aus Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Brüssel. Danach haben die Vertreter Deutschlands er- GRÜNEN] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: klärt, dass Deutschland die Kapitel zum Investitions- Oh! Das ist aber eine geschickte Strategie!) schutz in der vorliegenden Textfassung nicht für zustim- mungsfähig hält. Ihr Beschluss heißt in aller Klarheit, dass das CETA- Abkommen in der jetzigen Form abgelehnt werden Meine Damen und Herren, das scheint die EU aber muss. Ihre Anforderungen und Ihre Haltelinien sind ge- nicht besonders zu interessieren. Schlagen Sie heute ein- nau nicht enthalten. mal die Süddeutsche Zeitung auf und schauen Sie nach, was De Gucht da sagt! Er sagt letztendlich, dass ihn (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Unglaublich!) überhaupt nicht interessiert, welche Position wir hier ha- Wenn De Gucht sagt: „Das ist nicht mehr veränderbar“, ben. Er erklärt: Wenn wir die Verhandlungen über CETA das aber nicht enthalten ist, dann bleibt doch von der Lo- wieder neu öffnen, ist das Abkommen tot. – Er lehnt jede gik her gar nichts anderes übrig, Veränderung an dem Abkommen ab – jede Veränderung! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Als Ja zu sagen!) Im Gegensatz zum Investorenschutz, der enthalten ist, als diese Geschichten abzulehnen. sind nicht einmal die ILO-Kernarbeitsnormen als Grund- lage zur Regelung der Arbeitsbeziehungen aufgenom- Morgen schon soll auf dem EU-Kanada-Gipfel das men. Kanada hat nämlich die ILO-Bestimmungen nicht Ende der CETA-Verhandlungen verkündet werden. 4906 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Klaus Ernst (A) CETA hat Präjudizwirkung; ich habe es bereits gesagt. gebnis dazu kommt, Herr Klaus, dass das Schiedsge- (C) Glauben Sie wirklich, dass sich die Amerikaner mit we- richtsverfahren – – niger abspeisen lassen, als Sie mit Kanada vereinbart ha- ben? Wenn Sie das, was Sie selber der Öffentlichkeit (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr verkünden in der Frage, was Sie wollen, und auf einem Claus ist gar nicht da!) Parteikonvent beschließen, hier ablehnen, dann machen – Herr Ernst. Sorry. Sonst duze ich dich ja immer, Klaus. Sie sich so vollständig unglaubwürdig; schlimmer kann Du darfst mich demnächst mit „Herr Sigmar“ anreden. man es sich eigentlich gar nicht vorstellen. (Heiterkeit – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger meint das auch nicht ernst!) [CDU/CSU]: Das ist wie bei den Linken!) Kollege Ernst, der Gutachter sagt, der Investitions- Ich möchte noch eine kurze Bemerkung zu dem Gut- schutz im europäisch-kanadischen Abkommen CETA sei achten machen, Sigmar Gabriel, das von Ihrem Hause so schlecht, dass er den kanadischen Investoren empfehle, veröffentlicht wurde, nämlich zu der Wirksamkeit und sich lieber auf den deutschen Rechtsweg zu begeben, als Notwendigkeit dieser Schiedsverfahren. Wir haben das auf das Schiedsgerichtsverfahren zurückzugreifen. Das einmal recherchiert. Es ist schon merkwürdig, dass der sagt jemand, der in solchen Schiedsgerichtsverfahren Gutachter, der dieses Gutachten gemacht hat, selbst vertreten ist und im Übrigen als Wissenschaftler des Schiedsrichter bei internationalen Schiedsverfahren ist. Max-Planck-Instituts unumstritten ist. Deswegen bitte Wenn jemand als Gutachter sozusagen vor der Frage ich Sie, vollständig vorzutragen und nicht nur das, was steht: „Führe ich mich selber ad absurdum, oder sage der Legende, die Sie stricken wollen, entspricht. ich, dass ich notwendig bin?“, dann weiß man doch, was herauskommt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei längerer Rede- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten zeit könnte ich das!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, 125 detaillierte Fragen hat Was das soll, das versteht doch kein Mensch. die Fraktion Die Linke gestellt. Diese haben wir nach Jetzt möchte ich Ihnen noch ein Zitat des Gutachters bestem Wissen und Gewissen beantwortet. Ich frage mitgeben und von Ihnen wissen, ob Sie das teilen. Der mich allerdings – das will ich gleich am Anfang meiner Gutachter sagt: Bedenken gegen die Investitionsschutz- Rede an einigen Beispielen aus Ihrer Rede nachweisen –, rechte gibt es nicht. ob Sie wirklich ein Interesse an der Sache haben oder ob das alles nur eine Showveranstaltung ist. (B) Weiter sagt er: Schiedsgerichte sprechen Recht im (D) Namen der Parteien und nicht im Namen der Völker und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bürger. – Das sei der Vorteil. Herr Kollege Ernst, Sie fragen, an welchem Tag denn Weiter sagt er: Schiedsgerichte setzen Recht, indem nun die Bundesregierung ihr prinzipielles Problem mit sie normative Erwartungen generieren und stabilisieren. dem Investor-Staat-Schiedsverfahren deutlich gemacht Damit üben sie ebenso wie internationale und nationale habe und wann wir für die Veröffentlichung des Mandats Gerichte öffentliche Gewalt aus. eingetreten seien. Sie haben gesagt, wir würden von Transparenz reden, aber gar nicht dafür Sorge tragen. Meine Damen und Herren, ich möchte, dass öffentli- che Gewalt von öffentlichen Gremien ausgeübt wird, Ich sage Ihnen das. In der Sitzung des Ausschusses aber nicht privatisiert wird, was offensichtlich Ihr Gut- der Ständigen Vertreter am 15. Mai hat die Bundesrepu- achter will. Lehnen Sie diese Geschichte ab. Dann ma- blik Deutschland die Veröffentlichung des Mandats be- chen Sie etwas Vernünftiges. antragt. Im Übrigen wäre es albern, es nicht zu veröf- fentlichen; denn es steht längst im Internet. Warum man (Beifall bei der LINKEN) das vorher nicht gemacht hat, hat uns nicht überzeugt. Wir haben das aber nicht hinbekommen, weil dies eines Vizepräsidentin : einstimmigen Beschlusses bedarf und elf Mitgliedstaa- Danke, Herr Kollege Ernst. ten der Europäischen Union dagegen gestimmt haben. Ich wünsche Ihnen allen und auch den Gästen auf der Tun Sie doch bitte nicht so. Sie versuchen, uns in die Tribüne einen schönen guten Morgen. Ecke zu drängen, wir redeten öffentlich anders, als wir tatsächlich handelten. Nächster Redner ist Bundesminister Sigmar Gabriel. (Zuruf von der LINKEN: Machen Sie auch!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich werde nachher nachweisen, warum jeder hier im Saal guten Gewissens Ihren Antrag ablehnen kann. Be- reiten Sie sich schon einmal auf eine schwierige Lage Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und vor; denn das, was Sie fordern, haben wir längst getan. Energie: Auch das werde ich Ihnen nachher vorlesen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu- nächst möchte ich klären, was das für ein Gutachter war. Meine Damen und Herren, nach meinem Eindruck ist Er ist ein Vertreter des Max-Planck-Instituts, der im Er- die Oppositionsfraktion Die Linke an einem transatlanti- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4907

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) schen Freihandelsabkommen ohnehin nicht interessiert. Karin Binder (DIE LINKE): (C) Dabei ist es vollkommen egal, was wir aushandeln. Herr Kollege Gabriel, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Fraktion sehr wohl Kritik an der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Politik der EU äußert, aber keinesfalls gegen Europa Das Ganze passt Ihnen weder in Bezug auf die Frei- aufgestellt ist. heit des Handels, noch passt es Ihnen in Richtung eines (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei transatlantischen Bündnisses. Es ist ganz egal, was wir der CDU/CSU und der SPD) verhandeln. Am Ende werden Sie gegen jedes Abkom- men sein; denn Sie wollen weder das eine noch das an- Wir verstehen uns als Internationalisten. Wir möch- dere. ten, dass die Menschen in diesem Europa etwas zu mel- den haben. Unser Kritikpunkt ist die Politik, die über die Im Grunde heißt Ihre Parole: Schotten dicht. – Das ist EU geführt wird. Das ist Wirtschaftspolitik. Da hat we- aber keine Parole, die wir für unser Land, für Europa und der Soziales noch Arbeit bisher Einzug gehalten. für den Welthandel als sinnvoll erachten. Im Gegenteil, das wäre ein Schritt zurück in Richtung Nationalismus (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder und Provinzialismus. [CDU/CSU]: Dieselbe Rhetorik wie bei der AfD!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie es nicht noch eine Nummer dicker? – Vizepräsidentin Claudia Roth: Thomas Oppermann [SPD]: Nationale Linke!) Würden Sie bitte stehen bleiben? Das gehört sich so, – Anders als bei der Rede des Kollegen Ernst ist es bei wenn der Herr Minister antwortet. meiner Rede ruhig. Jetzt sind Sie aber ganz aufgeregt – das verstehe ich –, weil Sie sich scheinbar getroffen Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und fühlen. Energie: Ich versuche, aus Ihren Ausführungen eine Frage zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) destillieren. Aus Ihrer Partei wurde ein Programment- Sie behaupten doch, Arbeitnehmerinteressen zu ver- wurf für die Europawahl vorgelegt, in dem Sie sich mas- treten. In unserem Land und in Europa arbeiten Millio- siv gegen Europa gestellt haben. Als die Europäische nen Menschen in der Industrie und im Dienstleistungs- Union den Friedensnobelpreis bekommen hat, kam aus bereich, die auf Freihandel angewiesen sind. Ihrer Partei die Behauptung, die Europäische Union sei ein Kriegstreiber. Aus Ihrer Partei kamen Vorschläge, (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) den Euro aufzulösen und ganz Südeuropa damit in die (D) Katastrophe zu schicken. Hunderttausende von Menschen arbeiten in mittelständi- schen Unternehmen, für die es heute sehr schwer ist, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – zum Beispiel auf dem nordamerikanischen Markt Fuß zu Widerspruch bei der LINKEN) fassen und die dort kaum eine Chance haben. Es liegt auf einer Linie, dass Sie den Menschen etwas Sie sind natürlich dagegen, weil sie den Leuten den über die Notwendigkeit von Europäisierung und Interna- Eindruck vermitteln, dass es besser ist, national ge- tionalität vormachen. Hinter dem Vorhang treffen Sie schützt zu bleiben. Übrigens: Wer sich noch einmal da- sich bei dieser Frage mit der AfD. So läuft das bei Ihnen. ran erinnert, wie Ihre Fraktion über Europa hergezogen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker ist, hat eine Vorstellung vom nationalstaatlichen Denken, Kauder [CDU/CSU]: Genau so ist es!) dem Protektionismus, der bei Ihnen zu Hause ist. Mit dem stolzen Internationalismus der Arbeiterbe- (Zuruf von der LINKEN) wegung hat das jedenfalls nichts zu tun. Dann halten sie Sonntagsreden: Wir brauchen Regeln für die Globalisie- Sie sind mit dieser Position eine richtige Jobkillerpartei rung! – Beim ersten Versuch, mit dem Mutterland der in Deutschland. Globalisierung Regeln zu verhandeln, fordern Sie gleich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) den Abbruch der Verhandlungen. Wenn wir dem folgen, wäre nur meine Bitte: Nie wieder eine Rede über Globa- lisierungsregeln. Sie haben doch gar nicht den Mut, sich Vizepräsidentin Claudia Roth: auf Verhandlungen einzulassen. Sie wollen sie lieber Herr Gabriel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder vorher abbrechen, damit Sie nicht in öffentliche Erklä- Bemerkung der Kollegin Binder? rungsnot kommen. Das ist die Politik, die Sie betreiben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Klar ist auch: Nichts ist unterschrieben, nicht einmal Gerne. das kanadische Abkommen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir darüber reden. Weil die Verhandlungen offen sind, haben der DGB und das Wirtschaftsministerium et- Vizepräsidentin Claudia Roth: was ganz Einfaches getan. Wir haben Anforderungen an Gut. die Freihandelsgespräche zwischen der EU und den 4908 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) USA definiert. Natürlich sind das auch Anforderungen, Fraktionsvize findet Gewerkschafts-Offenheit für (C) die für CETA gelten müssen. Hier ist es nur deshalb das TTIP-Abkommen „unverständlich“ schwerer – da hatte der Kollege Ernst recht –, weil ers- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) tens die Verhandlungen weit fortgeschritten sind und zweitens bei CETA – anders als bei TTIP – der Investi- Und dann kommen Sie hierher und sagen zu uns, Sie tionsschutz im Mandat ohne Einschränkungen enthalten fänden es doch wunderbar, was der DGB mit uns verab- ist. Das ist bei TTIP nicht der Fall. Dort ist es optional, schiedet hat; wir sollten doch mal dazu stehen. deswegen ist es dort schwieriger. (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordne- Trotzdem sage ich Ihnen: Ich bin dagegen, dass Sie ten der SPD – Zurufe von der LINKEN) immer Herrn De Gucht zitieren. Der ist auf dem Weg in die Rente. Der scheidet aus der Kommission aus. Ich Vizepräsidentin Claudia Roth: würde das lesen, was der neue Kommissionspräsident zu Herr Gabriel, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung diesem Verfahren sagt. Das gibt Ihnen vielleicht ein biss- oder einen Kommentar von Klaus Ernst? chen Hoffnung. Jean-Claude Juncker sagte am 15. Juli in seiner Erklärung gegenüber dem Europäischen Parla- ment: Das Abkommen wird nicht zu jedem Preis Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und geschlossen. Wir können nicht unsere Standards im Ge- Energie: sundheitsbereich senken. Wir können nicht unsere Stan- Selbstverständlich. dards im Sozialbereich senken. Wir können nicht unsere Datenschutzstandards senken. Ich möchte nicht, dass der Klaus Ernst (DIE LINKE): Datenschutz überhaupt Teil der Verhandlungen wird. Ich Sehr geehrter Herr Minister, zum Thema Gewerk- will nicht, dass wir eine parallele Geheimgerichtsbarkeit schaften will ich noch einmal etwas sagen. schaffen. Erstens. Ich weiß, dass es innerhalb der Gewerkschaf- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen gibt; Die Vereinigten Staaten wie Europa sind Rechtsstaaten. Sie wissen das auch. Die erste Gewerkschaft, die das Wir wenden das Recht an. Wir werden die Verhandlun- Abkommen sehr stark kritisiert hat, war die IG Metall; gen mit maximaler Transparenz führen. – aber darum geht es nicht. Auf der einen Seite gibt es eine Verabredung zwischen Ihnen und den Gewerkschaften, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die, wie Sie wissen, innerhalb der Gewerkschaften sehr Das sagt derjenige, der jetzt ins Amt kommt. Sie zitieren kontrovers diskutiert wird. Auf der anderen Seite gibt es (B) denjenigen, der aus dem Amt geht. Wir wollen lieber mit jetzt einen Beschluss Ihres Parteikonvents. Das ist ein (D) dem reden, der jetzt etwas zu sagen hat, und nicht mit bisschen etwas anderes. dem, der in der Tat nichts mehr zu sagen hat. Da sage (Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) ich: Es ist auch gut so, dass er nichts mehr zu sagen hat. Meine große Befürchtung ist, dass Sie diesen Beschluss (Beifall bei der SPD) nicht ernst nehmen. Ich zitiere noch einmal Jean-Claude Juncker: (Widerspruch bei der SPD) Ebenso wenig werde ich akzeptieren, dass die Würden Sie den Beschluss nämlich wirklich ernst neh- Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitglied- men – auch Sie in der Fraktion –, dann müssten Sie ihn staaten durch Sonderregelungen für Investorenkla- hier beschließen. Wenn Sie den Beschluss auf dem Par- gen eingeschränkt wird. Rechtsstaatlichkeit und teikonvent fassen, aber es hier lassen, dann bedeutet Gleichheit vor dem Gesetz müssen auch in diesem dies, dass Sie am letzten Wochenende – das sage ich Ih- Kontext gelten. nen – eine Luftnummer für die Öffentlichkeit abgezogen Das ist die Verhandlungsposition des neuen Kommis- haben. Das ist die Wahrheit. sionspräsidenten. Ich finde, es ist die richtige Verhand- (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei lungsposition; ihr wollen wir uns anschließen. Insofern der SPD) sind die Dinge, die wir mit dem DGB verabredet haben, für mich in der Tat verbindliche Leitlinien für die Ge- Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und spräche mit der Kommission. Energie: Gemeinsam haben BMWi und DGB zuerst die Chan- Was? cen dieses Freihandelsabkommens beschrieben. Das ist ganz interessant: Sie beziehen sich in Ihrem Antrag am Klaus Ernst (DIE LINKE): Ende darauf, wenn Sie sinngemäß sagen, wir sollten mit Sie können sich darüber aufregen; wir werden ja se- den Verhandlungen neu beginnen. Ich sage Ihnen: Ers- hen, wie Sie abstimmen. tens finde ich es doch ein bisschen komisch, dass, unmit- telbar nachdem wir das mit dem DGB vereinbart haben, (Wolfgang Tiefensee [SPD]: Sie haben es Folgendes veröffentlicht wird – und zwar wird Klaus schon vorher abgelehnt!) Ernst persönlich zitiert –: Zweitens: zur Öffentlichkeit. Sigmar Gabriel, ich Linkspartei enttäuscht vom DGB habe wirklich Probleme damit, dass Sie behaupten: Wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4909

Klaus Ernst (A) machen alles öffentlich. – Als Bundesbürger wissen wir und EU braucht man keinen völkerrechtlichen Investiti- (C) nicht einmal, um welchen Betrag es bei der Schadens- onsschutz. Jedenfalls müssen die Bedingungen aus deut- ersatzklage von Vattenfall geht, obwohl das Verfahren scher Sicht an wichtigen Stellen nachgebessert werden. bei uns in der Bundesrepublik geführt wird – das wissen Das Kapitel Investitionsschutz ist in der vorliegenden wir nicht! Fassung der EU für Deutschland nicht zustimmungsfä- hig. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Ich sage Ihnen: Wir wissen es deshalb nicht, weil Ihr Sie fordern uns in Ihrem Antrag auf, etwas zurückzu- Ministerium das für geheimhaltungswürdig hält und die weisen. Aber das haben wir schon getan. Wissen Sie, deutsche Öffentlichkeit nicht informiert. Sie tun so, als warum wir Ihren Antrag ablehnen werden? Wir werden würden Sie alles öffentlich machen; also bitte ich Sie, ihn aus zwei Gründen ablehnen. Erstens, weil er unehr- Ihr Verhalten zu ändern und die deutsche Öffentlichkeit lich ist, da Sie das DGB-Abkommen kritisieren, und ausführlich darüber zu informieren, welche Nachteile sie zweitens, weil er erledigt ist, weil wir das, was Sie for- durch solche Investorenschutzabkommen zu erwarten dern, längst getan haben. hat; denn es gibt schon welche. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Vizepräsidentin Claudia Roth: Erstens. Ich stelle fest: Sie möchten gerne, dass der Deutsche Bundestag und die SPD-Fraktion einem Papier So, weiter in der Rede. zustimmen, das ich mit den deutschen Gewerkschaften erarbeitet habe und das Sie selber ablehnen und kritisie- Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und ren. Energie: (Lachen und Beifall bei der SPD – Zuruf des Wenn Sie uns wirklich in Schwierigkeiten hätten brin- Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) gen wollen – ein Tipp für die nächste Sitzung –, – Na ja, Sie sagen, das Papier sei schlecht, und heute ma- (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne- chen Sie es zu einer Frage der Glaubwürdigkeit, ob wir ten der CDU/CSU) dem zustimmen. Es ist zuerst einmal eine Frage der dann hätten Sie den Mumm haben müssen, den gesam- (B) Glaubwürdigkeit, ob Sie dem zustimmen. Sie haben es (D) ten mit dem DGB vereinbarten Text zur Abstimmung zu nämlich bisher abgelehnt. stellen. Aber den Mut hatten Sie nicht, weil darin steht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass die Gewerkschaften das Freihandelsabkommen der CDU/CSU) prinzipiell für eine gute Sache halten. Der Unterschied ist: Die wissen, dass das Millionen von Jobs sichern Zweitens. Ich weiß nicht, ob Sie Ihren Antrag kennen; kann, und Sie wissen das nicht. ich lese ihn zur Sicherheit vor. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Darin steht – Drucksache 18/2611 –: Es ist völlig klar, dass wir das Investor-Staat-Schieds- verfahren ablehnen. Bei CETA haben wir das Problem, Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- dass die Verfahren Teil des Verhandlungsmandats sind. rung auf, Trotzdem bemühen wir uns, auch hier Veränderungen das CETA-Verhandlungsergebnis zurückzuweisen herbeizuführen. Das ist schwieriger als bei TTIP. Aber und darauf hinzuwirken, dass die Verhandlungs- ich bin sicher, dass die Debatte längst nicht zu Ende ist. mandate der EU-Kommission für TTIP und CETA Im Übrigen empfehle ich tatsächlich, das Mandat im Sinne der Mindestbedingungen geändert wer- nachzulesen, auch TTIP; denn darin werden Sach- den. verhalte aufgegriffen, die in der öffentlichen Debatte im- Das ist doch Ihr Antrag, dem wir zustimmen sollen, oder? mer infrage gestellt werden. Es steht zum Beispiel darin, Dann sind wir glaubwürdig, oder? Einverstanden? – dass das Abkommen auch Mechanismen zur Unterstüt- zung der Förderung menschenwürdiger Arbeit durch die (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Darüber haben Sie wirksame interne Umsetzung der Kernarbeitsnormen der ja abgestimmt!) Internationalen Arbeitsorganisation umfassen wird. – – Passen Sie mal auf: Am 12. September 2014 hat die Warum haben Sie das vorhin eigentlich nicht zitiert? Bundesregierung über das Bundeswirtschaftsministe- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil es nicht drin rium folgende Erklärung zum Entwurf des CETA-Ver- ist!) trags abgegeben, im Drahtbericht dokumentiert: Deutschland unterstreicht, dass aus Sicht der Bundes- – Für TTIP gibt es doch gar keinen Verhandlungstext. Es regierung Investitionsschutz in CETA nicht erforderlich ist das Mandat, in dem steht: Ihr müsst die Kernarbeits- ist. Zwischen entwickelten Rechtssystemen wie Kanada normen durchsetzen. 4910 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Man merkt bei Ihnen relativ schnell, worum es geht. Das Kapitel zum Investitionsschutz ist laut Protokoll (C) Sie nutzen Ängste – die in Teilen im Übrigen durchaus – ich zitiere – „in der vorliegenden Textfassung für DEU berechtigt sind; ich kritisiere überhaupt nicht, dass Fra- nicht zustimmungsfähig“. – Wir haben also klar Stellung gen gestellt werden – für Ihre ziemlich populistische und bezogen. Ich bin der Auffassung, dass es im deutschen platte Strategie, um Ihren Nationalismus und Ihren Pro- Interesse ist, CETA an dieser Stelle zu verändern und vinzialismus voranzubringen. auch zum Erfolg zu bringen. (Karin Binder [DIE LINKE]: Schon wieder? Wir haben für Europa viel erreicht. Wir haben Zugang Das ist eine Unverschämtheit! – Klaus Ernst für öffentliche Beschaffung bis hinab zur Ebene der Pro- [DIE LINKE]: Das ist ja lächerlich!) vinzen erreicht. Produkt- und Herkunftsbezeichnungen sind gesichert. CETA, meine Damen und Herren, ist ein Sie finden in der Antwort der Bundesregierung viele gutes Abkommen. Es wäre falsch, es jetzt grundsätzlich Beispiele dafür, dass die Bundesregierung und die Euro- infrage zu stellen oder sich bereits jetzt dagegen zu posi- päische Kommission schon jetzt mehr Transparenz tionieren. Wir müssen vielmehr versuchen, diesen kriti- schaffen, unter der neuen Kommissarin hoffentlich noch schen Punkt mit der EU und mit Kanada mehr. Die EU-Kommission informiert regelmäßig Zivil- weiterzuverhandeln. Er ist viel zu unbedeutend – das gesellschaft und Verbände, auch der Deutsche Bundes- sagt der Gutachter aus –, als dass wir deshalb das ge- tag wird regelmäßig informiert. Das Bundesministerium samte Abkommen jetzt schon sozusagen in den Orkus für Wirtschaft und Energie hat im Mai außerdem einen schicken sollten. Ich glaube, dass das letzte Wort noch Beirat für TTIP berufen – das gilt sicher auch für CETA –, nicht gesprochen ist. dem Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften, Sozial-, Morgen wird die EU erklären, dass die Verhandlun- Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie des gen abgeschlossen sind. Das kann ich verstehen. Die Kulturbereichs angehören. Ich hoffe, dass das in der Eu- Kommission geht aus dem Amt und will noch etwas ropäischen Union Beispiel macht. abliefern. Das ist aber am 18. Oktober 2013 schon ein- mal passiert, und danach ist trotzdem kräftig weiter- Der Investitionsschutz ist schon von der alten Bun- verhandelt worden. Wir werden vermutlich mindestens desregierung in der Art, wie er jetzt geplant ist, nicht für acht Monate brauchen, bis die Übersetzungen und die erforderlich gehalten worden. Daran hat sich nichts ge- Voraussetzungen für eine Unterzeichnung überhaupt ändert. Übrigens gibt es inzwischen auch in den USA vorliegen. Wir sollten dringend alles dafür tun, in dieser und Kanada Freihandelsabkommen ohne solche Bestim- Zeit Mehrheiten für die deutsche Position, auch im Hin- mungen, zum Beispiel zwischen den USA und Austra- blick auf CETA und das Investitionsschutzverfahren, zu lien, Singapur oder Israel. In jedem Fall muss der Hand- bekommen. (B) lungsspielraum des Gesetzgebers gewahrt bleiben. (D) Darauf werden wir nicht nur bei den Verhandlungen mit Viel einfacher wäre es, wenn es Staat-zu-Staat- den Vereinigten Staaten achten, sondern jetzt auch in der Schiedsverfahren gäbe. Somit würde man verhindern, Debatte über das kanadische Abkommen, dessen Ausar- dass Unternehmen einfach loslaufen und versuchen, ih- beitung leider viel weiter vorangeschritten ist. ren Interessen Geltung zu verschaffen. Ich weise aber auch darauf hin, dass der Gutachter vom Max-Planck- Es darf keine doppelten Standards geben. Es darf Institut der Überzeugung ist, dass das jetzige Abkom- nicht sein, dass internationale Investoren vor Schiedsge- men für die Investoren eigentlich zu schlechte Bedin- richten Rechte und Einflussmöglichkeiten erhalten, die gungen schafft. nationale Unternehmen im eigenen Land nicht haben. So wichtig und notwendig es ist, die deutschen Posi- Das macht deutlich, dass auch die Wettbewerbsgleich- tionen zu beschreiben, so wichtig ist es auch, bei dieser heit notwendig ist. Debatte auf Folgendes hinzuweisen: Wir reden hier über Im Verhandlungsmandat für TTIP ist kein Automatis- ein europäisches Projekt. Man muss ein bisschen aufpas- mus zur Einrichtung von Investor-Staat-Schiedsver- sen, dass man nicht glaubt, ausländische Investoren fahren vorgesehen. Deswegen ist es gut, dass die EU- hätten den Eindruck, überall in Europa seien ihre Inves- Kommission die Verhandlungen darüber ausgesetzt hat titionen so sicher wie in unserem Land. Es gibt ein paar und ein Konsultationsverfahren durchführt. Allerdings Mitgliedstaaten, in denen wir Verfahren führen und Her- haben die Kommission und der Europäische Rat bei mesbürgschaften für die Zukunft sperren, weil dort der CETA – ich glaube, im Jahr 2011 – das Europäische Par- Investorenschutz nicht gegeben ist. Das heißt: Wenn lament ignoriert und Investor-Staat-Schiedsverfahren im man beim Thema Investorenschutz den Blick nur auf Mandat vorgesehen. Ich bin der Überzeugung: Auch bei Deutschland richtet, dann ist dieser natürlich verkürzt. CETA ist diese Form von Investor-Staat-Schiedsverfah- Wir alle wissen: Es gibt Mitgliedstaaten der Europäi- ren überflüssig. Deswegen habe ich Ihnen eben noch schen Union, in denen die Unternehmen nicht immer vor einmal die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsminis- Willkür geschützt sind und es eine politische Einfluss- teriums im handelspolitischen Ausschuss der EU am nahme gibt, die es ihnen wirklich schwer macht. Des- 12. September 2014 vorgetragen. Darin steht, was Sie wegen ist der Weg zum Freihandelsabkommen nicht so vom Parlament verlangen, nämlich dass die Bundesre- einfach, wie das hier einige Kolleginnen und Kollegen in gierung das Schiedsverfahren zurückweisen soll. Das ist der Öffentlichkeit immer wieder gerne darstellen; so erfolgt. Ihr Antrag hat sich deshalb erledigt, sehr geehr- macht es auch die Linkspartei anhand ihrer Bemerkun- ter Herr Ernst. gen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4911

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Freihandel schön –, er wolle sie nicht wirklich ausweiten. Mir fällt (C) brauchen. Wir brauchen Freihandel aber nicht um jeden da eine in einem ganz anderen Zusammenhang geäu- Preis. Er muss all das respektieren, was Jean-Claude ßerte Formulierung ein: Verbale Aufgeschlossenheit bei Juncker in seiner Rede gesagt hat. Ich bin der festen weitgehender Verhaltensstarre. Überzeugung, dass wir keine Investor-Staat-Schiedsver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fahren, wie sie hier vorgeschlagen werden, brauchen. Ich und bei der LINKEN) bin auch der Überzeugung, dass wir reden und verhan- deln müssen. Es macht keinen Sinn, die Verhandlungen Ich meine damit: Es ist ja schön, was Sie uns hier alles jetzt abzubrechen, somit Risiken für gegeben anzu- erzählen. Entscheidend ist aber nicht, was Sie uns hier nehmen und Chancen auf Arbeitsplätze in Europa zu erzählen, sondern die entscheidende Frage ist: Stimmt zerstören. die Bundesrepublik Deutschland am Ende einem Ab- kommen zu, in dem genau diese Klagemöglichkeit ent- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. halten ist? Das ist die entscheidende Frage, und das ist (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das, was wir von Ihnen wissen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: und bei der LINKEN) Vielen Dank, Sigmar Gabriel. – Der nächste Redner in der Debatte ist Dr. Toni Hofreiter für Bündnis 90/Die Für Sie, Herr Gabriel, und für die SPD müsste es doch Grünen. eigentlich eine klare Sache sein, auf welcher Seite Sie stehen. Aber eingeklemmt zwischen Frau Merkel und dem BDI auf der einen Seite und dem Widerstand der Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bürgerinnen und Bürger, der Umweltschutzbewegung, NEN): der Verbraucherschutzbewegung, der Kulturschaffenden Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr und der mittelständischen Industrie haben Sie sich offen- Minister Gabriel! Lieber Sigmar! sichtlich für so eine Art Eiertanz entschieden. Schauen (Zurufe von der SPD: Oh! – Thomas Oppermann wir uns an, was am Wochenende passiert ist: Am [SPD]: Fraternisierung!) Wochenende konnten wir ein schönes Schauspiel be- obachten. Wir konnten wunderschön beobachten, wie Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann vom ameri- sich die SPD auf ihrem Parteikonvent unter Ausschluss kanischen Chlorhuhn halten, was man will. Das antibio- der Öffentlichkeit, hinter verschlossenen Türen darüber tikaverseuchte Hühnchen aus Europa ist sicher nicht bes- aufgeregt hat, dass diese Verhandlungen im Rahmen der ser. Aber eines hat das Chlorhühnchen erreicht: Es hat es Geheimdiplomatie stattfinden, dass es bei diesen Ver- (B) (D) geschafft, dass der Scheinwerfer auf die Verhandlungen handlungen an Transparenz mangelt. Ist Ihnen das nicht zu TTIP und CETA gerichtet ist. Wir führen eine schöne, selbst total absurd vorgekommen? breite und öffentliche Debatte darüber. Aber man hat den Eindruck, dass das vielen nicht gefällt. Die EU-Kommis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sion scheut die öffentliche Auseinandersetzung darüber und bei der LINKEN) offensichtlich so sehr, dass sie eine Europäische Bürger- Am Ende haben Sie sich entschieden – damit sind Sie initiative dazu ablehnt, sie verhindert bzw. ausbremst. ganz zufrieden und glücklich –, gegen diese Investitions- Haben die Befürworter von TTIP und CETA so wenig schutzverfahren zu sein. Aber was war 48 Stunden überzeugende Argumente? Müssen sie die offene De- später, Herr Gabriel? 48 Stunden später haben Sie ein batte so sehr scheuen? Im Fall der Schiedsverfahren für Gutachten veröffentlicht, nach dem diese Investitions- Konzerne stelle ich eindeutig fest: Ja. schutzklauseln gar nicht so schlimm sein sollen. Das steht in einem von Ihnen bestellten Gutachten. Sie haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Gutachter schon einiges gesagt. Wissen Sie, und bei der LINKEN) auch wenn dieser Gutachter Wissenschaftler am Max- Diese Schiedsverfahren stehen völlig zu Recht in der Planck-Institut ist und wir diesem Gutachter als Person Kritik. Hinterzimmergerichte urteilen, ob demokratisch nichts Schlechtes nachsagen wollen, sollten Sie sich ein- verfasste Gesetze den Gewinninteressen der Unterneh- mal Folgendes überlegen: Der Gutachter arbeitet für men entgegenstehen. In der Konsequenz droht, dass Bür- diese Schiedsgerichte. Er ist nominiert für diese Schieds- gerinnen und Bürger mit ihren Steuergeldern Millionen gerichte. Und Sie erwarten von ihm, dass er diese und Milliarden als Schadensersatz zahlen müssen. Schiedsgerichte neutral beurteilt? Das ist doch nicht wirklich Ihr Ernst? Das ist keine rein theoretische Sache. Wir kennen sol- che Fälle bereits. Philip Morris zum Beispiel verklagt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Uruguay wegen Gesundheitsschutzmaßnahmen im und bei der LINKEN) Bereich der Zigarettenindustrie auf Schadensersatz in Ich habe den Eindruck, dass Sie schlichtweg Ihr Einkni- Millionenhöhe. Oder Vattenfall: Vattenfall hat Hamburg cken vorbereiten. und die Bundesrepublik Deutschland verklagt – im Fall der Klage gegen die Bundesrepublik Deutschlang wegen Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie des Atomausstiegs. Dabei geht es um Milliardensum- haben eine ganz schöne Kampagne mit vielen bunten men. Und diese Klagemöglichkeit wollen Sie jetzt noch Bildern für TTIP gestartet. Rauf und runter loben Sie die ausweiten? Herr Gabriel erzählt uns hier – das ist ja Chancen, die dadurch für den Mittelstand entstehen. 4912 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Anton Hofreiter (A) Hören wir uns doch einmal gemeinsam an, was der Mit- handelsabkommen mit den USA und mit Kanada. Wir (C) telstand selbst dazu sagt. Ich meine nicht das, was der sind fest davon überzeugt, dass nicht nur die Wirtschaft, Mittelstand nach Meinung der CDU zu denken hat, son- sondern auch die Menschen in unserem Land, die Men- dern das, was der Mittelstand selbst sagt. Eine gute schen in Europa und auch die Menschen in den USA und Quelle ist der Bundesverband der mittelständischen Kanada von solchen Abkommen profitieren können. Wirtschaft. Er hat eine sehr klare Stellungnahme abgege- ben – ich darf zitieren –: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD] – Der Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus … [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit ist in dem geplanten TTIP-Abkommen zwischen dem Mittelstand?) der Europäischen Union und den USA überflüssig und strikt abzulehnen. Die geplanten Regelungen So gerne ich mit Ihnen, auch mit Ihnen, lieber Herr benachteiligen die mittelständische Wirtschaft, he- Hofreiter, in den kleinteiligen Disput eintrete, tut es not, beln die Rechtsstaatlichkeit aus und gehen so zu dass wir uns noch einmal vergewissern, warum wir über Lasten der Mitgliedsstaaten der EU. Freihandelsabkommen reden. Es geht im Kern um die Frage, ob wir als Europäer gemeinsam mit unseren Der Mittelstand fürchtet zu Recht, dass diese Verfah- transatlantischen Partnern bis weit in das 21. Jahrhundert ren nur den Großkonzernen nutzen. hinein weltweit Standards setzen oder ob wir das nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie tun und anderen überlassen. Das ist die zentrale Frage bei Abgeordneten der LINKEN) dabei, warum wir für oder gegen ein Freihandelsabkom- men sind. Sie haben sich entschieden, dagegen zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Das muss man an dieser Stelle einmal festhalten. Das hören Sie doch einfach auf den Mittelstand, anstatt ihm bedeutet also: Sie sind bereit, darauf zu verzichten, dass zu sagen, was er zu denken hat, und lehnen Sie diese die Europäer, die Amerikaner und Kanadier gemeinsam Verfahren doch einfach einmal ab! darüber reden, welche Standards wir weltweit setzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie wollen. Das kann man zunächst einmal festhalten, bevor bei Abgeordneten der LINKEN) wir uns den Details nähern. Mich persönlich würde auch interessieren: Was ist ei- (Beifall bei der CDU/CSU) gentlich die Meinung der Bundesregierung? Die Mei- nungen der einzelnen Teile haben wir inzwischen gehört, Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, aber es wäre doch schön, bei dieser wichtigen Frage zu zunächst einmal beglückwünsche ich Sie zu Ihrem Mut. Fragen zu stellen, ist ja nicht verkehrt; denn meistens (B) hören, was die gemeinsame Meinung der Bundesregie- (D) rung ist. Es ist doch vollkommen absurd, wie gespalten dient es der Bewusstseinserweiterung und auch der Bil- Sie hier auftreten. dung. Das Ganze wird nur dann schwierig, wenn Sie Fragen stellen, bei denen man davon ausgehen kann, Zum Abschluss. Ja, wir wollen ein gutes Abkommen. dass sie Ihnen weiterhelfen, Sie dann aber komplett die Wir wollen ein Abkommen, das den Unternehmen und Antworten, die die Bundesregierung Ihnen gegeben hat, den Menschen nutzt. Wir wollen ein Abkommen, das ignorieren. Das hat man an der Debatte und an Ihrem unnötige Bürokratie und Zölle abbaut. Wir wollen ein Beitrag, lieber Herr Ernst, sehr deutlich gemerkt. Abkommen, das zu höchsten Standards führt und diese höchstens Standards zur Regel werden lässt. Dazu sagen Was haben Sie in der Vergangenheit getan, wenn über wir Ja. Aber wir sagen klar Nein zu einem Abkommen die Freihandelsabkommen geredet wurde? Sie haben je- voller Privilegien für die Konzerne und Nachteile für die weils nach Symbolen gesucht, mit denen die Ängste und mittelständische Wirtschaft, voller Risiken für Verbrau- auch die kritischen Fragen von Menschen verstärkt wor- cher und Umwelt. den sind. Sie haben sich an keiner Stelle in der Debatte darum bemüht, Ängste und Sorgen aufzugreifen und ih- Vielen Dank. nen positiv zu begegnen, indem Sie sagen: Wir versu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie chen, dies im Sinne der Menschen umzusetzen, Sorgen bei Abgeordneten der LINKEN) aufzugreifen und eine Antwort zu geben. – Das Erste war das Chlorhühnchen. Nachdem klar war, dass das Chlorhühnchen mit dem Freihandelsabkommen nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: kommt, haben Sie sich etwas Neues gesucht. Dann war Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Nächster Red- es Fracking. Sie sagten, dass Fracking durch die Hinter- ner in der Debatte: Dr. Peter Tauber für die CDU/CSU- tür mit dem Freihandelsabkommen bei uns eingeführt Fraktion. wird. Als klar war, dass auch Fracking nicht durch die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hintertür mit dem Freihandelsabkommen kommt, haben Wolfgang Tiefensee [SPD]) Sie als Nächstes gesagt: Es wird ja alles so geheim und intransparent verhandelt; man weiß gar nicht, was wirk- lich kommt. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird GRÜNEN]: Wenn das Ihre Argumente dafür Sie nicht verwundern: CDU und CSU sind für die Frei- sind, haben Sie nicht viel!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4913

Dr. Peter Tauber (A) Nachdem jetzt klar ist, dass sehr wohl für alle nachvoll- nehmen Sie sich daran für die Zukunft mal ein Beispiel. (C) ziehbar ist, worüber wir da eigentlich reden, rudern Sie Genau darum geht es bei dem Freihandelsabkommen. ein bisschen herum. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Am Ende kommen Sie zu einer grundlegenden Hal- neten der SPD) tung. Bei den Linken ist diese noch durch einen tief ver- Warum ist so ein Abkommen per se erst einmal eine wurzelten Antiamerikanismus gespeist. Bei den Grünen, gute Sache? Wir müssen uns natürlich die Inhalte an- bei Ihnen, Herr Hofreiter, höre ich jetzt eine leichte Wen- schauen und dann entscheiden – wobei Sie diese Ent- dung heraus: Grundsätzlich ist man nicht dagegen. scheidung durch Ihre ablehnende Haltung schon vor- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE wegnehmen. Es kommt doch darauf an, dass wir die GRÜNEN]: Es kommt bei einem Vertrag im- richtigen Dinge hineinschreiben. Aber wenn wir uns mer auf den Inhalt des Vertrages an!) dem positiv nähern, dann ist ja die spannende Frage: „Warum wollen wir dieses Abkommen?“, und es gibt viele, viele gute Gründe: Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, würden Sie eine Rückfrage oder einen Weltweit steht Deutschland auf Platz eins der Länder Kommentar von Frau Höhn erlauben? mit der dichtesten Vernetzung der Volkswirtschaften. Das heißt, wir sind ganz besonders darauf angewiesen, Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): dass Handelshemmnisse abgebaut werden, für unsere Wirtschaft, und zwar nicht nur, wie Sie suggerieren, für Jetzt bin ich gerade so schön im Redefluss, Frau Prä- die großen Konzerne, sondern auch für die kleinen Un- sidentin. ternehmen, für den Mittelstand, für viele KMU. Ich will Ihnen da nachher gerne noch ein Beispiel näherbringen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Also nicht. Die University of Chicago hat in einer aktuellen Stu- die errechnet, dass der reale Wohlstand in Deutschland (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ohne diese zahlreichen Handelsbeziehungen nur halb so Oh!) hoch wäre. Und da stellen Sie ernsthaft die grundsätzli- chen Vorteile eines solchen Abkommens infrage? Das ist Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): in der Tat nur schwer nachvollziehbar. Sie kann ja gerne nachher erwidern. Dann werde ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ihre Anmerkungen gerne aufgreifen. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es geht (B) nicht um die jetzigen Abkommen! Es geht um (D) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Angsthase! – das TTIP-Abkommen!) Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das klingt nach wenig argumentativer Jetzt geht es um die Frage: Was sind denn die auch Stärke, Herr Generalsekretär!) von der Bundesregierung an vielen Stellen schon formu- lierten roten Linien, was ist denn unsere Position in die- Schauen Sie sich einmal selber an, wie Sie sich dazu äu- sen Verhandlungen? Natürlich haben wir klar gesagt, ßern. dass wir bei der Nachhaltigkeit, beim Gesundheits-, Ver- An die Adresse der Linkspartei gerichtet muss man braucher- und auch Arbeitnehmerschutz, beim Waren- sagen: Sie haben klar gesagt, Sie wollen ein Freihandels- handel positive Impulse setzen wollen. Natürlich wollen abkommen nicht positiv begleiten. Ich kann mich, ehr- wir keine Standards preisgeben. Sie suggerieren das im- lich gesagt, an keine politische Debatte in diesem Hohen mer; aber in der Antwort der Bundesregierung auf die Hause erinnern, in der die Linkspartei irgendein Projekt, Große Anfrage der Linken wird deutlich, dass wir die das in die Zukunft weist, positiv begleitet hätte; insofern positiven Impulse eines solchen Abkommens stärken ist diese Haltung nicht verwunderlich. wollen. Dort heißt es – ich darf zitieren –: (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LIN- Der Verzicht auf ein solches Freihandelsabkommen KEN: Das ist bei Amnesie so!) zwischen den beiden größten Wirtschaftsräumen der Welt – Europa und USA – würde zugleich den An die Adresse der Grünen: Vielleicht haben Sie gele- Verzicht auf Einflussnahme für internationale Stan- sen, was Ihr grüner Ministerpräsident, Herr Kretschmann, dards in den globalisierten Wirtschaftsbeziehungen heute im Zeit-Interview gesagt hat, an Ihre eigene Adresse bedeuten. gerichtet. Das heißt, es geht nicht nur um die wirtschaftlichen Be- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE ziehungen zu den USA, sondern wir greifen weit darüber GRÜNEN]: In welchem der beiden Zeit-Inter- hinaus, wenn es darum geht, unseren Standards bei den views: im autorisierten oder im nichtautori- genannten Punkten Verbraucherschutz, Umweltschutz sierten?) weltweit zur Durchsetzung zu verhelfen. Er sagt in dem Interview: Warum geht meine Partei so Dann gibt es eine zweite Legende, die Sie immer wie- defensiv ran, mit so einer Abwehrhaltung? Da muss man der bemühen: Nur die großen Konzerne würden von sol- doch offensiv reingehen und das gestalten. – Das sagt Ihr chen Abkommen profitieren. – Das ist nicht so. Es gibt Ministerpräsident an Ihre Adresse gerichtet. Vielleicht dazu eine aktuelle Studie. Sie haben die Zahlen des ifo- 4914 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Peter Tauber (A) Instituts erwähnt. Wir haben darauf zurückgegriffen bei (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bis wann denn? – (C) unserer Kampagne für ein Freihandelsabkommen; denn Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In wel- diese Zahlen zeigen genau das Gegenteil: dass, wenn wir chem Zeitraum?) das Abkommen gut verhandeln, die normalen Bürgerin- nen und Bürger die Chance haben, davon zu profitieren. Es gibt einen schönen Satz der Präsidentin des Ge- samtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, ( [DIE LINKE]: Wie denn?) in dem viele kleine und mittelständische Unternehmen Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, der in der zusammengeschlossen sind. Sie hat gesagt, es wäre ganz Debatte von Ihnen völlig negiert wird. schön, wenn man dieses Thema „mal ohne German Angst“ diskutieren würde. Genau das müssen wir tun, Sie behaupten ferner, das werde alles geheim verhan- und dazu sind Sie leider nicht in der Lage. delt und keiner wisse, was in dem Abkommen stehe. Ich frage mich ernsthaft, was Sie für ein Selbstverständnis (Lachen des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) als Abgeordnete haben und was für eine Kollegialität Sie Sie erinnert uns daran, dass die deutsche Textil- und hier zum Ausdruck bringen. Glauben Sie ernsthaft, dass Modeindustrie einen Jahresumsatz von 28 Milliarden die Kollegen in unserer Fraktion, dass die Kollegen im Euro hat, und sie ist Weltmarktführer bei hochinnovati- Europäischen Parlament – egal welcher Fraktion sie an- ven technischen Textilien für Medizintechnik, Bautech- gehören – so ein Abkommen abnicken, ohne es sich an- nik, Luft- und Verkehrstechnik. Aber: Für diese Branche zuschauen, ohne eigene Vorstellungen einzubringen? gibt es Handelsschranken. Die Kosten für Einfuhrabfer- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tigung und Einhaltung aller Vorschriften führen dazu, NEN]: Ja! – Lachen und Beifall bei Abgeord- dass sich die Produkte um bis zu 20 Prozent verteuern. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Es gibt in diesem Bereich eine Bürokratie, die wir drin- Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – gend abbauen müssen, weil sie für kleine und mittelstän- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE dische Unternehmen schlichtweg nicht zu leisten ist. GRÜNEN]: Das war jetzt ein Eigentor!) Wenn Sie einen Männeranorak, wesentlich aus Baum- – Es lässt tief blicken, was Ihr eigenes parlamentarisches wolle, in die USA exportieren wollen, dann zahlen Sie Selbstverständnis angeht, wenn Sie Kolleginnen und dafür einen Zollsatz von 9,4 Prozent. Kollegen so etwas unterstellen. Das ist zutiefst unkolle- gial und einfach nur billige Polemik für den kurzen Ef- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo kommt er her?) fekt; mehr ist es nicht. Wenn derselbe Anorak hauptsächlich aus Chemiefasern (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. hergestellt ist, dann liegt der Zollsatz bei 27 Prozent. (B) (D) Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Gegen- Das ist ein gutes und ganz lebensnahes Beispiel, weg ruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]: Da von Ihren Angstszenarien, die Sie aufbauen. Dieses Bei- muss man sich halt mal informieren!) spiel zeigt, warum wir ein solches Freihandelsabkom- men wollen. Davon profitieren nämlich auch die Bürge- Was sind die Vorteile, auch für den Mittelstand? rinnen und Bürger und nicht nur die Industrie, und es Wenn wir dieses Abkommen gut verhandeln, dann kön- gilt, unseren Standards und Werten auch im Wirtschafts- nen in Europa mehr als 1 Million zusätzliche Arbeits- bereich zur Durchsetzung zu verhelfen. plätze entstehen. Sie appellieren doch immer, dass wir Impulse setzen für die Staaten in Süd-, Ost- und Mittel- europa. Selbst in Deutschland, das sagen Prognosen, Vizepräsidentin Claudia Roth: könnten bei den richtigen Rahmenbedingungen 200 000 Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit. zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. (Karin Binder [DIE LINKE]: Und wie viele gehen Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): verloren? – Weitere Zurufe von der LINKEN) Ich komme zum letzten Satz. – Es wäre schön, wenn Sie sich dem nicht weiter verschließen, sondern einen Der deutsche Export in die USA könnte sich um 94 Pro- Beitrag dafür leisten würden, zent steigern. Das alles sind positive Chancen, die nicht von vorn- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es wäre schön, herein gegeben sind und die wir ergreifen müssen. Es wenn Sie die Frage zugelassen hätten!) kommt auf das Ergebnis an. Wenn wir immer nur darauf dass unser Land dort eine Perspektive bekommt und wir schauen, dass es nicht klappt, dann werden wir die Zu- die transatlantische Partnerschaft auch in diesem Bereich kunft nicht gewinnen. Deswegen ist es so enorm wichtig, stärken. Das wollen und das können Sie aus ideologi- dass wir die richtigen Leitplanken einziehen und positiv schen Gründen nicht, und das ist sehr bedauerlich. in diese Debatte gehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- Dasselbe gilt in Bezug auf die Steigerung der realen ten der SPD) Löhne. Wenn das Abkommen richtig verhandelt ist, dann kann jedem Haushalt mit vier Personen am Ende ein zusätzliches Einkommen von bis zu 545 Euro zur Vizepräsidentin Claudia Roth: Verfügung stehen, ohne dass die Standards abgesenkt Danke, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Kurzinter- werden. Das ist eine gute und wichtige Botschaft. vention hat die Kollegin Höhn. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4915

(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sigmar Gabriel (SPD): (C) Herr Kollege Tauber, Sie haben eben das Fracking im Danke, Frau Präsidentin. – Weil ich zur Sachaufklä- Zusammenhang mit diesem Abkommen angesprochen. rung beitragen kann, werde ich Frau Kollegin Höhn die Ich möchte Sie hier auf Folgendes hinweisen: Auf der Passage aus dem europäisch-kanadischen Freihandels- Grundlage der jetzigen Handelsabkommen klagt Lone abkommen CETA übermitteln, in der steht, dass zur Pine gegen Quebec, und zwar deshalb, weil Quebec, ge- Wahrung natürlicher Ressourcen Moratorien erlassen nauso wie Nordrhein-Westfalen, ein Moratorium erlas- werden können, und in der exakt das, was Sie befürch- sen hat. Quebec hat noch keine Lizenzen für das Fra- ten, wegen der Erfahrung, die Kanada in Quebec ge- cking an sich vergeben, sondern nur Lizenzen für macht hat, ausgeschlossen wird. Wegen genau der Erfah- Probebohrungen, und jetzt haben sie dieses Moratorium rung, die Sie zu Recht geschildert haben, hat Kanada erlassen. Lone Pine klagt gegen Quebec auf einen Scha- dem Vorschlag, gerade zur Nutzung natürlicher Ressour- densersatz von 250 Millionen Kanadische Dollar. cen Schutzvorschriften – für Kanada und auch für Genau diese Möglichkeit eröffnet der Text zum Europa – zu erlassen, zugestimmt. Ich übermittle Ihnen CETA, der uns momentan vorliegt, den Unternehmen. das gerne. Nordrhein-Westfalen hat auch ein solches Moratorium, wie gesagt, erlassen. Welche Passage in den Texten, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) uns jetzt vorliegen, können Sie anführen, woraus hervor- geht, dass eine solche Klage, die jetzt gegen Quebec ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: führt wird, nicht auch Nordrhein-Westfalen droht? Nach Danke, Herr Abgeordneter Gabriel. unseren Informationen ist sehr klar: Schadensersatzkla- gen wie die gegen Quebec können aufgrund des CETA- (Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE Textes zum Beispiel auch gegen Nordrhein-Westfalen GRÜNEN] meldet sich zur einer Kurzinter- geführt werden. Nennen Sie mir bitte die Passage, die vention) das aus Ihrer Sicht nicht zulässt. – Melden Sie sich zu einer Kurzintervention? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja!) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Gut. – Nach § 27 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung, Danke, Frau Kollegin. – Herr Dr. Tauber. wie Sie sicher wissen, nun eine Kurzintervention von Frau Dröge. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): (B) (Dr. [CDU/CSU]: Die redet (D) Frau Kollegin, erstens kennen Sie die Haltung der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zum Fra- doch noch!) cking im Rahmen der TTIP-Verhandlungen. – Das Recht hat sie, liebe Kollegen. Das können auch (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Sie machen. GRÜNEN]: Welche Haltung? – Sven- (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- SPD) NEN]: Wie ist sie denn?)

Zweitens kann man zu dem Verfahren, das Sie jetzt er- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wähnt haben, abschließend noch gar nichts sagen, weil es noch nicht entschieden ist. Auch ich habe mich zu einer Kurzintervention gemel- det. Herr Gabriel wollte ja vermeintlich zur Aufklärung (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um den des Sachverhaltes beitragen. Auch ich muss zur Aufklä- gegenwärtigen Text! Das war der Gegenstand rung des Sachverhaltes beitragen, weil das, was Sie hier der Frage!) dargestellt haben, nicht ganz korrekt war. – Ich habe hier eine Menge Papier vor mir auf dem Tisch Auch wir haben – zusätzlich zu Ihrem Rechtsgutach- liegen, aber diese entsprechende Passage leider nicht. ten, Herr Gabriel – ein Rechtsgutachten in Auftrag gege- Vielleicht haben Sie das. Dann bringen Sie es mir, und ben. Es besagt ganz eindeutig, dass das Investitions- dann zeige ich es Ihnen ganz entspannt. – Das ändert schutzkapitel in CETA die öffentlichen Genehmigungen doch nichts an der Tatsache, dass Sie negieren, dass gel- nach Artikel 14 Grundgesetz so nicht schützt, dass zum tendes Recht nicht geändert wird – und das gilt auch für Beispiel der Entzug von bereits genehmigten Fracking- dieses Freihandelsabkommen. Lizenzen, die es ja auch in Deutschland schon gibt, Herzlichen Dank. durch das Investitionsschutzkapitel in CETA so nicht ge- schützt ist und dass Klagen weiterhin möglich sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ich schicke Vizepräsidentin Claudia Roth: Ihnen einfach den Originaltext! – Dirk Wiese Danke, Herr Kollege Dr. Tauber. – Der Abgeordnete [SPD]: Zwei Juristen, drei Meinungen!) Gabriel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Deswegen kann es nicht einfach so stehen bleiben, dass (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Sie hier den Eindruck erwecken, die Frage von Frau 4916 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Katharina Dröge (A) Höhn entspricht nicht den Tatsachen. Im Gegenteil: (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (C) Unser Gutachten zeigt etwas anderes. In diesem Fall würde Ihr Antrag aus einem Satz beste- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hen. Dann könnte man ihn viel einfacher verstehen und und bei der LINKEN – Sigmar Gabriel, Bun- natürlich viel einfacher ablehnen. desminister: Ich schicke Ihnen einfach den Originaltext!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Gleiche gilt im Übrigen aber auch für den Antrag Wir machen jetzt mit der Debatte weiter. der Grünen. Ich habe in den Gesprächen, die wir nicht zuletzt auch im Ausschuss miteinander geführt haben, Der nächste Redner in der Debatte ist Wolfgang gelernt, dass Sie offensichtlich nicht zu der Fraktion ge- Tiefensee für die SPD-Fraktion. hören, die Freihandelsabkommen grundsätzlich ablehnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der CDU/CSU) Nein!)

Wolfgang Tiefensee (SPD): – Willkommen im Klub! Das ist gut. – Sie machen das Gegenteil von dem, was die Linke tut. Aus den roten Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Linien, also dem, was wir in den Verhandlungen verhin- Herren! Wir diskutieren einmal mehr über TTIP und dern wollen, greifen Sie sich nur einen Teil heraus – über CETA. Diese Debatte ist gut, weil wir das, was in wahrscheinlich den, der ganz besonders populär ist. der Öffentlichkeit diskutiert wird, sehr ernst nehmen. Ich will ausdrücklich unterstreichen, dass wir diese öffent- Sie sprechen nicht davon, dass wir verhandeln wol- liche Debatte brauchen und all denjenigen, die sich kri- len, dass die ILO-Kernarbeitsnormen in einem Kapitel tisch äußern, zurufen: Meldet euch! Wir wollen mit euch ihren Widerhall finden müssen. Sie sprechen nicht da- diskutieren. von, dass es uns um öffentliche Daseinsvorsorge geht. Was schlecht ist, ist die Grundlage der heutigen Sie sprechen nicht davon, dass wir die Standards nicht Debatte, nämlich die drei uns vorliegenden Anträge. absenken wollen, sondern dass wir die US-Standards Einer ist von der Fraktion Die Linke. Er zeichnet sich und die europäischen Standards auf das jeweils höchste dadurch aus, dass man das, was auf dem Parteikonvent Niveau heben wollen. Sie sprechen nicht davon, dass wir gesagt wurde, als Steinbruch genommen hat, sich genau bei Kultur und Medien aufpassen wollen, dass beispiels- weise die Buchpreisbindung nicht unter die Räder gerät. (B) die Passagen herausgesucht hat, die einem passen, sie (D) zusammengeschrieben und zu einem Antrag formuliert Das alles spielt keine Rolle, weil es in der Diskussion hat. Das, liebe Fraktion der Linken, ist Kindergarten, kein so schlagkräftiges Argument ist. Sie beziehen sich große Gruppe. nur auf einen Teil. Deshalb also meine Bitte: Reden Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Klartext. Stehen Sie zu den Verhandlungen. Stehen Sie dazu, dass wir die Vorteile für den Mittelstand, für die Etwas einfach nur abzuschreiben, keine eigenen Ideen Industrie, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzutragen und vor allen Dingen dann auch noch den nutzen und dass wir alles Erdenkliche tun wollen, dass eigentlich entscheidenden Punkt wegzulassen, ist für ein diese Abkommen zum Abschluss kommen. Oder stellen solches Haus eigentlich nicht akzeptabel. Das sollten Sie Sie sich auf die andere Seite, die alles grundsätzlich in der Zukunft unterlassen. ablehnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will es hier noch einmal ganz deutlich sagen: der CDU/CSU) Was meine ich damit? In der öffentlichen Debatte Vizepräsidentin Claudia Roth: kommt es zuallererst darauf an, zu berichten, warum wir Aber kurz. ein solches Abkommen überhaupt abschließen wollen, warum es diese Verhandlungen gibt. Wir müssen Wolfgang Tiefensee (SPD): zunächst deutlich machen, dass wir die Handelsräume zusammenführen, die sogenannten nichttarifären Han- Die sozialdemokratische Fraktion wird alles dafür delshemmnisse, diese unsäglichen unterschiedlichen tun, dass sowohl CETA als auch TTIP keinen Investo- Normen und Standards, abbauen und die Verfahren für renschutz und keine Schiedsgerichtsklausel enthalten, Mittelstand und Großindustrie erleichtern wollen. Wenn dass die ILO-Kernarbeitsnormen ihre Verankerung fin- wir das kommuniziert haben, dann sollten wir auch den, dass die Standards nicht abgesenkt werden, dass der sagen, wo die roten Linien sind. Genau das tun Sie nicht. öffentliche Dienst nicht gefährdet wird, dass es keine Sie suchen immer wieder Gelegenheiten und Sie suchen genmanipulierten Nahrungsmittel gibt. Das sind unsere – wie in einem Steinbruch – Textbausteine, um deutlich Ziele. Diese werden wir durchsetzen, und zwar auf unse- zu machen: An dieser Stelle mit uns nicht. – Ich bitte rem Wege. Sie, irgendwann ausdrücklich zu erklären: Wir wollen Vielen Dank. keine Freihandelsabkommen. Wir wollen TTIP nicht. Wir wollen CETA nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4917

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Maschine baut und nach Amerika exportieren will, baut (C) Herr Kollege, erlauben Sie kurz vor Schluss noch eine sie zuvor noch einmal auseinander – andere Kabel, Zwischenfrage? andere Schellen, andere Einzelteile –, um sie dann, neu zusammengebaut, nach Amerika zu liefern, damit die Wolfgang Tiefensee (SPD): Maschine dort den Test besteht. Genau das will der Mit- Sehr gerne. – Die ist nicht von mir bestellt; aber ich telstand nicht. Genau das will der BVMW nicht. Diese freue mich über die Verlängerung der Redezeit. nichttarifären Handelshemmnisse müssen abgebaut werden, damit Kosten gespart werden, Arbeitsplätze ent- (Beifall bei der SPD) stehen bzw. Arbeitsplätze erhalten werden. Sie werden sehen: Wenn wir all diese roten Linien nicht überschrei- Vizepräsidentin Claudia Roth: ten und die Vorteile in die Verhandlungen eingebracht Das glaube ich, dass die nicht von Ihnen bestellt ist. – haben, werden am Ende der BVMW und der Mittelstand Bitte schön. genauso wie der DGB zustimmen. Vielen Dank. Ralph Lenkert (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank, Herr Kollege Tiefensee. – Weil Sie ge- der CDU/CSU) rade sagten, dass die Abkommen gut für den Mittelstand seien, wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass der Bundesverband mittelständische Wirtschaft die Ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: handlungen ablehnt. Danke, Herr Kollege Tiefensee. – Nächster Redner in der Debatte: Alexander Ulrich für die Linke. ( [CDU/CSU]: Das hatten wir doch gerade gehört! Waren Sie da noch (Beifall bei der LINKEN) nicht im Plenum?) Wenn Sie das wissen, wieso behaupten Sie dann hier das Alexander Ulrich (DIE LINKE): Gegenteil? Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lassen da keinen Zweifel, Herr Tiefensee: Die Lin- (Beifall bei der LINKEN – Andreas G. ken lehnen CETA ab, und wir wollen, dass die Verhand- Lämmel [CDU/CSU]: Zuhören!) lungen zu TTIP abgebrochen werden – ohne Wenn und Aber. Wolfgang Tiefensee (SPD): (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann Da fragen Sie jetzt gerade den Richtigen. Gemeinsam [SPD]: Egal, was drinsteht!) (B) mit Ihrem Kollegen Gysi und anderen – Cem Özdemir (D) zum Beispiel – habe ich die große Ehre, Mitglied im Wir lassen da keine Zweifel. Wir wollen Ihnen nur die politischen Beirat des BVMW zu sein. Ich sitze also als Chance geben, zu erklären, ob Sie bereit sind, auch par- Berater im Vorstand. Wir haben darüber diskutiert, wie lamentarisch für die roten Linien zu kämpfen, die Sie am es um TTIP bestellt ist. Ich bin dem Wirtschaftsminister Wochenende beschlossen haben. sehr dankbar, dass er den BVMW an den Tisch des Bera- terkreises geholt hat und dass er sich direkt mit ihm (Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das machen wir austauscht. Die Situation stellt sich folgendermaßen dar: schon selber!) Das Präsidium des BVMW sagt: Wir werden, genauso Die heutige Debatte zeigt, dass Sie das nicht wollen. wie das die Parteien der Koalition machen, auf eine ganze Reihe von Dingen achten müssen. – Diese habe (Beifall bei der LINKEN) ich vorhin aufgezählt. Wir erhoffen uns Vorteile bei der Wir haben einen Wirtschaftsminister, der uns heute Beseitigung nichttarifärer Hemmnisse. erklärt, dass alle diejenigen, die Kritik an diesen Verfah- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist das denn?) ren, an diesen Inhalten äußern, offensichtlich die Jobkil- ler Deutschlands sind. Weil Sie mich danach fragen, Herr Ernst, darf ich ein Beispiel nennen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ich frage Sie, Herr Wirtschaftsminister: Haben Sie schon Vizepräsidentin Claudia Roth: einmal bemerkt, dass wir auch ohne diese Verträge sehr Herr Kollege, machen Sie es bitte kurz, sonst kriege erfolgreich im Export sind? ich Ärger. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht mit (Thomas Oppermann [SPD]: Er hat doch eine Ihnen!) Frage gestellt!) Haben Sie denn schon gemerkt, dass Handel heute schon möglich ist? Sie tun ja gerade so, als wären alle Kritiker Wolfgang Tiefensee (SPD): dafür, den Handel zu verbieten. Das ist großer Unsinn, Wenn Sie eine Maschine bauen, die Zucker herstellt, und es ist eigentlich für einen Wirtschaftsminister nicht dann müssen Sie berücksichtigen, dass Zucker im letzten recht, sich hier so zu äußern. Verfahrensschritt explosiv ist. Aus diesem Grund muss die Maschine explosionssicher sein. Es gibt dafür einen (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil deutschen Standard. Der Maschinenbauer, der diese [Peine] [SPD]: Sie meinen nicht mich?) 4918 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Alexander Ulrich (A) Herr Gabriel, das, was Sie hier betrieben haben, ist ja Deshalb erwarten wir morgen eine klare Aussage, (C) schon ein bisschen Demagogie. Herr Gabriel. Deshalb – so glaube ich – wird auch die IG Metall am Wochenende kundtun, dass hier jetzt etwas zu (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht’s erwarten ist. Sonst ist das Papier wirklich nichts wert. aber! – Wolfgang Tiefensee [SPD]: Vorsicht, Vorsicht!) Wenn Sie sich hier hinstellen und uns vorwerfen, wir würden Arbeitsplätze gefährden, muss ich sagen: Dann Sie legen ja großen Wert auf das, finden wir uns in einer richtig großen Runde von (Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das verdient Umweltverbänden, von Verbraucherschützern, kirchli- schon fast einen Ordnungsruf!) chen Organisationen, mittelständischen Unternehmen wieder. Auch viele Kommunalpolitiker mit CDU-, CSU- was Sie scheinbar mit dem DGB beschlossen haben. und mit SPD-Parteibuch gehören dazu. Das geht bis zu (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: „Scheinbar“? den Bierbrauern, Herr Kauder. Sie alle haben Angst vor Lesen können Sie auch nicht!) dem, was hier gemacht wird. Wenn diese ganzen Organi- sationen quasi Jobs gefährden, ja, dann muss ja etwas Ich möchte dazu einmal Herrn Wetzel von der IG Metall daran sein, dass das wohl nicht so ist, wie Sie sagen. zitieren, Oder glauben Sie wirklich, die IG Metall oder mittel- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mein Vorsitzen- ständische Unternehmen würden Kritik äußern, weil sie der!) Jobs vernichten wollen? Offensichtlich ist die Bundesregierung nicht bereit, der Folgendes gesagt hat – am gleichen Tag, als Sie das diese große Anzahl von Verbänden, Organisationen ernst Papier veröffentlicht haben. Er sagt: Dieses Papier steht zu nehmen. Sie will sie in eine Ecke stellen. So kann unter einem Vorbehalt. Wortwörtlich: man zwar Politik betreiben, aber die SPD wird deshalb Die IG Metall erwartet, dass die Bundesregierung nie mehr einen Kanzler stellen. den aktuellen Entwurf zum Handelsabkommen (Beifall bei der LINKEN) CETA mit Kanada ablehnt und dies auch auf EU- Ebene durchsetzt. Das ist die Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit der Vereinbarung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit? (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er doch!) Alexander Ulrich (DIE LINKE): (B) Herr Gabriel, morgen ist die Nagelprobe. Morgen Ja, ich bin auch gleich am Ende. – Nur noch so viel, (D) wird in Ottawa etwas verkündet. Und wenn das die weil immer wieder erzählt wird, wie viele Jobs entstün- Nagelprobe ist, erwarte ich morgen von Ihnen, dass Sie den: Gucken Sie sich einmal an, wie viele Jobs durch das öffentlich sagen: Unsere roten Linien sind nicht beachtet Abkommen NAFTA „entstanden“ sind. In den USA sind worden. Wir lehnen dieses Verhandlungsergebnis ab. 1,2 Millionen Jobs verloren gegangen, in Mexiko über Hier muss nachverhandelt werden. – Wenn Sie das mor- 1 Million allein in der Landwirtschaft. Es gibt kein gen nicht tun, haben Sie nicht nur den DGB, sondern alle Abkommen in der Welt, das nicht Sozial- und die Um- Gewerkschaften enttäuscht. weltstandards gefährdet und nicht Jobs vernichtet hat. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Das Gegenteil ist der Fall!) Sie bleiben hier auch die Antworten schuldig. Sie er- klären uns, man bräuchte dem Antrag ja nicht zuzustim- Sie führen hier eine Debatte ums Goldene Kalb, nur um men, denn das wäre ja schon umgesetzt. Dann frage ich die Interessen der Verbraucher und der Arbeitnehmer der Sie in Ihrer Eigenschaft als SPD-Parteivorsitzender: Wirtschaft zu opfern. Sie sind der verlängerte Arm der Wenn das schon alles umgesetzt ist, warum haben Sie Kapitalisten und Großkonzerne. dann am Wochenende so viel Mühe gehabt, das bei Ihren Leuten überhaupt durchzukriegen? (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Waren Sie dabei?) Offensichtlich ist ja noch nichts durchgesetzt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Kurzinter- Herr Tiefensee erklärt uns hier: Investorenschutz soll vention hat der Kollege Hubertus Heil. aus TTIP heraus bzw. ist nicht Bestandteil. Gucken Sie sich den Vertrag an, da steht drin: „soll“ und „kann“. Na- Hubertus Heil (Peine) (SPD): türlich: Jeder weiß doch, dass das, was morgen veröf- fentlicht wird, die Blaupause für TTIP ist. Oder glauben Lieber Kollege, es gibt zwei Gründe, warum ich mich Sie ernsthaft, dass die Amerikaner mit der Europäischen aufgrund Ihres Redebeitrags zu einer Kurzintervention Union eine schlechtere Vereinbarung schließen als die bemüßigt sehe. Der erste Punkt ist eine prinzipielle Bitte Kanadier? – sie betrifft mich selbst und uns alle in diesem Parla- ment –: Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Jahren (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt: Alles wir alle miteinander, die Vertreter aller Parteien – auch nicht!) Sie haben das getan –, in der Auseinandersetzung um Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4919

Hubertus Heil (Peine) (A) eine Sache in unseren Reden zunächst einmal das Ziel (Beifall bei der LINKEN) (C) verfolgen, dem politischen Mitbewerber die Glaubwür- digkeit abzusprechen. Wenn wir das alle miteinander im- Wir mussten uns anhören, wir wären, weil wir Kritik ge- mer wieder tun, dürfen wir uns über den Verlust an äußert haben, Nationalisten Glaubwürdigkeit von demokratischer Politik nicht wun- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – dern. Lassen Sie uns in der Sache ordentlich streiten. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das sind Aber dem anderen jedes Mal den moralischen Anspruch, Sie doch auch!) das Beste für dieses Land und die Menschen zu wollen, mit unterschiedlichen Überzeugungen abzusprechen, be- und würden in großem Umfang Jobs gefährden. So ge- schädigt das Ansehen demokratischer Politik. So billig hen Sie mit diesem wichtigen Thema um. dürfen Sie hier nicht agieren. Das ist meine herzliche (Zurufe von der SPD) Bitte. – Frau Wagenknecht hat heute zu diesem Thema nichts (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gesagt. Wenn Sie etwas dazu gesagt hätte, hätte sie der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE wahrscheinlich eine gute Rede gehalten. LINKE]: Ihr Parteivorsitzender hat uns belei- digt!) Noch einmal: Die Debatte verlassen hat meines Er- achtens der Wirtschaftsminister, indem er die Kritik auf Zur Sache selbst – das ist der zweite Punkt – will ich eine andere Schiene gelenkt hat. Ihnen eines sagen. Ich als Sozialdemokrat vertrete hier aus Überzeugung die Position, dass wir als Exportnation, (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat Ihnen den Spie- deren Arbeitsplätze davon abhängen – das sage ich auch gel vorgehalten!) als IG-Metall-Mitglied, lieber Kollege –, von einem Freihandel profitieren. Aber wir sagen auch: Freihandel Ich sage es noch einmal: Ihre Argumentation, die Sie ge- nicht um jeden Preis. Wir haben klare Kriterien formu- gen uns richten, richtet sich gleichsam gegen alle ande- liert. Sie haben die Bundesregierung für morgen zum ren Organisationen, die Kritik gegenüber CETA und Handeln aufgefordert. Es wird keine Abstimmung der TTIP äußern; Europäischen Kommission geben; vielmehr wird sie nur (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) eine Erklärung abgeben, dass die Verhandlungen been- det sind. Es ist aber so, dass wir das, was Sie verlangen, denn das, was wir fordern, ist Konsens innerhalb des schon getan haben. Die Bundesregierung hat den Inves- großen Bündnisses „TTIP verhindern“. Das heißt, das, titionsschutz im CETA-Abkommen abgelehnt – der Herr was wir hier vorbringen, ist keine parteipolitische Ideo- Minister hat das vorhin deutlich gemacht – und gleich- logie, sondern die Auffassung vieler Organisationen, wie (B) (D) zeitig zu Nachverhandlungen und weiteren Gesprächen man mit diesem Thema umgehen sollte. aufgerufen. Dafür brauchen wir in Europa Verbündete. Ich glaube, es wäre besser, Sie würden sich hier hin- Das ist nicht leicht, gar keine Frage. stellen und sagen: Es ist verkehrt, dass die EU-Kommis- Die Position, die wir vertreten, ist eindeutig. Deshalb sion eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP ab- sage ich Ihnen: Die Organisationen, die Sie genannt ha- lehnt. – Sie müssen zulassen, dass sich die Menschen ben, die die Debatte zu Recht kritisch führen, mit be- demokratisch zu Wort melden, und sollten vielleicht da- rechtigten, manchmal auch mit unberechtigten Beden- bei sein, wenn am 11. Oktober die Menschen gegen ken, für Ihre kleinkarierten parteipolitischen Interessen TTIP und CETA demonstrieren. Dann würden Sie wahr- in Anspruch zu nehmen, wie Sie es hier tun, ist aus mei- scheinlich etwas erreichen. Sich aber hier zu Wort zu ner Sicht nicht in Ordnung. In einer Auseinandersetzung melden und uns mit unserer Position in die Ecke zu stel- sollten wir in diesem Haus über die Sache reden und uns len, ist ein bisschen fade. Herr Gabriel, Sie können es nicht ständig die Glaubwürdigkeit absprechen. gerne nachlesen; aber Sie haben heute mit der Demago- gie begonnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU]: Sie vertiefen die Ängste, anstatt Auf- klärung zu betreiben!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt kann der Kollege Ulrich darauf antworten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt gibt es nach § 43 unserer Geschäftsordnung Alexander Ulrich (DIE LINKE): – Recht auf jederzeitiges Gehör – den Wunsch, hier zu Herr Kollege, ich finde Ihren Wortbeitrag sehr bemer- sprechen. Es heißt dort: kenswert. Ich glaube aber, Sie haben nicht mich als Die Mitglieder der Bundesregierung und des Bun- Adressaten gemeint, sondern wollten eigentlich Ihren desrates sowie ihre Beauftragten müssen … auf ihr Wirtschaftsminister zur Ordnung rufen; Verlangen jederzeit gehört werden. (Beifall bei der LINKEN) Dieser Wunsch wurde von Minister Sigmar Gabriel ge- denn wenn heute jemand mit Demagogie vom Thema äußert. Deswegen gebe ich ihm nach § 43 unserer Ge- abgelenkt hat, und zwar relativ früh, dann war es Herr schäftsordnung das Wort. Seine Redezeit wird von der Gabriel. der Sozialdemokraten abgezogen. – Herr Gabriel, bitte. 4920 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Energie: Ich will nur sagen: Wir haben eine bestimmte Rede- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ma- zeit für heute. Irgendwann ist Mitternacht. che das deshalb, weil ich finde, dass wir gerade wegen (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir haben auch eine der großen Öffentlichkeit aufpassen müssen, dass keine Geschäftsordnung!) Legenden in die Welt gesetzt werden. – Moment, ganz ruhig. Ja, wir haben eine Geschäftsord- Herr Kollege, noch einmal in aller Klarheit: Morgen nung. Die kenne ich auch. Deswegen lasse ich jetzt noch entscheidet nur die EU, und zwar die alte Kommission, einmal eine Kurzintervention zu, und zwar auf die nach darüber, dass, wie sie glaubt, die Verhandlungen beendet § 43 unserer Geschäftsordnung erfolgte Wortmeldung sind. Sie fordern mich in Ihrem Antrag auf – mit Bezug von Herrn Gabriel. auf das Papier von SPD und DGB, das ich übrigens wörtlich mit dem Kollegen Wetzel abgesprochen habe –, Alexander Ulrich (DIE LINKE): dass ich das Verhandlungsergebnis mit dem Hinweis auf Herr Gabriel, es freut uns, dass wir heute offensicht- das Investitionsschutzabkommen und anderes zurück- lich einen wunden Punkt getroffen haben. weisen soll. (Widerspruch bei der SPD) Ich habe Ihnen vorhin vorgetragen, dass wir am Ohne die Anträge insbesondere meiner Fraktion und 12. September gegenüber der Europäischen Kommission auch der Grünen hätte es bis heute im Bundestag noch exakt das getan haben. keine einzige Debatte über CETA und TTIP gegeben, (Beifall bei der SPD) weil Sie die gleiche Politik wie die EU-Kommission ma- chen wollten. Das ist im Drahtbericht der Bundesregierung nachzule- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ sen. Wir schicken Ihnen gerne meine Weisung an die DIE GRÜNEN) Kollegen, die im Ausschuss der Ständigen Vertreter für das Bundeswirtschaftsministerium gesprochen haben, Ich sage es Ihnen jetzt noch einmal: Wenn das alles aber auch meine Weisung an den Handelspolitischen schon erledigt wäre, warum tun Sie sich dann stunden- Ausschuss. Dort ist exakt diese Stellungnahme längst lange Debatten auf einem Parteikonvent an? abgegeben. Deswegen werden wir weiterverhandeln. (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil Gestern hat das österreichische Parlament – ich glaube, [Peine] [SPD]: Weil wir eine demokratische mit einer Zweidrittelmehrheit – aus demselben Grund Partei sind!) (B) beschlossen, dass sie ebenfalls weiterverhandeln wollen. (D) Wenn alles schon erledigt gewesen wäre, dann könnten Hören Sie erstens bitte auf, den Eindruck zu vermit- Sie sagen: Es ist doch schon alles erledigt. Sie wollen teln, es bedürfe Ihres Antrags! Dieser Antrag ist erledigt schon wieder die Leute hinter die Fichte führen. durch Handeln der Bundesregierung. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Noch etwas: Herr Wetzel hat am selben Tag – ich kann CDU/CSU) Ihnen die Pressemitteilung der IG Metall zeigen – gesagt: Das Papier ist den Inhalt nicht wert, wenn die Bundesregie- Ich kann mir das übrigens deshalb so gut merken, weil es rung das Verhandlungsergebnis zu CETA nicht zurück- an meinem Geburtstag passiert ist; es war aber kein Ge- weist. Ich möchte nicht, dass Sie das irgendwo heimlich burtstagsgeschenk. Tun Sie zweitens bitte nicht so, als machen. Die Öffentlichkeit erwartet morgen von Ihnen, gäbe es keinerlei Chance, weiter zu reden! Das tun die dass Sie sich an die Presse wenden und sagen: Wir leh- Österreicher, das werden andere tun, und das werden nen dieses Verhandlungsergebnis ab. – Dann hätten Sie auch wir machen. Der letzte Satz in der Positionierung einmal etwas getan, das auch bei den Bündnissen zu Ge- vom 12. September lautet: In der jetzigen Fassung ist das hör kommt. Ein Brief nach Brüssel, von dem niemand Abkommen für Deutschland nicht zustimmungsfähig. etwas mitbekommt, kann nachher wieder verschwinden. Ich hoffe, dass Sie jetzt nie wieder die Behauptung Sagen Sie einfach als Wirtschaftsminister: „Das akzep- aufstellen, wir hätten nichts getan. Das Problem ist, dass tieren wir nicht, was morgen in Ottawa diskutiert wird“! Sie erstens viel zu spät kommen und zweitens nicht den Sie sind auch heute trotz viermaliger Wortmeldungen Mut hatten, das gesamte Papier mit dem DGB zum An- nicht in der Lage, das deutlich zum Ausdruck zu brin- gen. trag zu erheben, weil Sie gegen die Inhalte sind. Das ha- ben Sie dankenswerterweise auch gesagt. Wo die Ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten werkschaften erklärt haben, sie erhoffen sich Chancen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) für Arbeitsplätze, haben Sie gesagt: Ich will die Ver- handlungen nicht; ich will sie abbrechen. – Diese Posi- Vizepräsidentin Claudia Roth: tion des Deutschen Gewerkschaftsbundes teilen Sie Danke, Herr Kollege Ulrich. – Jetzt kommt die andere nicht, und deswegen ist der Vorwurf an Sie, dass Sie Ar- Seite des Hauses wieder dran. Das Wort hat Andreas beitsplätze gefährden, berechtigt. Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4921

(A) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): fensichtlich die Geister, die Sie riefen, nicht mehr ein- (C) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und fangen können. Herren! Das ist schon ein Trauerspiel, was sich heute (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE hier abspielt. GRÜNEN]: Wenn Sie zitieren, dann gefälligst (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE richtig!) GRÜNEN]: Nein, das ist mal eine lebendige Die Grünen positionieren sich wieder einmal ganz klar Debatte! Das schadet nichts!) als eine Partei, die sich gegen alles stellt. Das ist nach Nachdem ich die Beiträge vor allem von der Linksfrak- wie vor Ihre Position. Ich warte ab, was Ihr heutiges „Ja, tion verfolgt habe, muss ich klarstellen: Es geht hier aber“ tatsächlich bedeuten wird. nicht um ein Beistands- und Freundschaftsabkommen Mir sei die Frage gestattet, wie es sein kann, dass eine zwischen sozialistischen Bruderländern, bei dem einer NGO in Deutschland 700 000 Unterschriften gegen ein bestimmt, was zu tun ist, und den anderen ausplündert. Abkommen sammelt, Vielmehr diskutieren wir über Freihandelsabkommen, die für die Welt sehr wichtig sind. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- das überhaupt nicht existiert. Sie haben doch die Men- ten der SPD) schen belogen und ihnen gar nicht den Inhalt von TTIP erklären können. Was Sie in der Öffentlichkeit verbreitet Der Minister hat schon deutlich gemacht, wie wichtig haben, ist eine glatte Lüge. Es gibt überhaupt kein Ab- gerade für Deutschland freier Welthandel ist. Natürlich kommen, über das man heute entscheiden kann. Das wäre es uns tausendmal lieber, wenn wir im Rahmen der sollten Sie den Menschen deutlich sagen. Dass man über Welthandelsorganisation Abkommen schließen könn- die Inhalte und die einzelnen Positionen diskutiert, ist ten, die weltweit gelten und praktisch alle Probleme, doch selbstverständlich. Letztendlich wird kein Abkom- über die wir nun diskutieren, behandeln würden. Leider men geschlossen werden, wenn nicht beide Partner klar ist die Verhandlungsführung innerhalb der Welthandels- dahinterstehen. organisation im Moment kaum spürbar. Das letzte Ab- Noch eine Anmerkung. Der DGB ist doch keine Ne- kommen, das im letzten Jahr auf Bali unter großen Mü- benregierung. Bei den Verhandlungen über das Freihan- hen geschlossen wurde, wurde nun durch die indische delsabkommen spielt der DGB eine genauso wichtige Regierung aufgekündigt, sodass nichts daraus wird. Rolle wie die Vertretung der deutschen Wirtschaft. Ihre Herr Ernst, Sie haben sich hier aufgeplustert. Ich kann Darstellung, dass mit Ihrem Antrag gleichzeitig die Mei- (B) Ihnen nur raten: Bleiben Sie ruhig! Ihr Blutdruck macht nung des DGB im Deutschen Bundestag zur Abstim- (D) das sonst nicht lange mit. Als vor zwei Jahren das letzte mung steht, ist doch völlig absurd, Herr Ernst. Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum?) und Südkorea geschlossen wurde, ist das an Ihnen wahr- scheinlich völlig vorbeigegangen. Das Thema Welthandel Nun zu den Schiedsgerichten. Es wird so getan, als ob hat Sie damals überhaupt nicht interessiert. Auf jeden Fall Schiedsgerichte das Schlimmste auf der Welt wären. ist schon zwei Jahre nach Abschluss dieses Freihandelsab- Schiedsgerichte sind aber keine neue Erfindung. Sie le- kommens sichtbar, welche positiven Effekte es für beide gen beispielsweise Nachbarschaftsstreitigkeiten über Seiten hat, sowohl für die südkoreanische Wirtschaft als Knallerbsensträucher bei. Auch bei der Welthandelsor- auch in überproportionalem Maße für die deutsche Wirt- ganisation und der Weltschifffahrtsorganisation gibt es schaft. Schiedsgerichte und Schiedsverfahren. Es gibt zum Bei- spiel ein großes Schiedsverfahren zwischen Airbus und Dass nun die zwei wirtschaftsstärksten Räume der Boeing wegen Subventionen im Bereich der Flugzeugin- Welt, die Europäische Union und die Vereinigten Staa- dustrie. ten, begonnen haben, über ein Freihandelsabkommen zu verhandeln, ist doch das Beste, was uns passieren kann. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es mag sein, dass Ihnen das nicht passt. Aber dass Sie NEN) Ihre Versuche, die Sie in den letzten Monaten unternom- Bei einem Schiedsgericht ist es doch erstens wichtig, men haben, um dieses Abkommen zu diskreditieren, nun dass man klar definiert, was denn überhaupt Gegenstand als Willen der Bürger darstellen, ist schlimm. Herr eines Schiedsverfahrens sein darf, zweitens, wie man die Hofreiter, hier kann ich Sie nicht herauslassen, auch Schiedsrichter beruft, und drittens, wie öffentlich so ein wenn Sie nun sagen, dass Ihr Hinweis auf das Chlor- Verfahren ist. Deswegen kann man aus meiner Sicht hühnchen nicht so ernst gemeint gewesen sei. nicht von vornherein sagen, Schiedsgerichte seien defi- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nitiv abzulehnen. Darauf hatte der Minister hingewiesen. NEN]: Das hat er auch nicht gesagt! Sie müs- Sie von der linken Seite stellen es so dar, als ob Deutsch- sen mal zuhören!) land Verhandlungsführer wäre. Das stimmt nicht. Da müssen Sie einmal die europäischen Verträge lesen. Sie Tatsächlich haben Sie das Chlorhühnchen als Beispiel lesen aber nur die Passagen, die Ihnen irgendwie nütz- genutzt, um von Anfang an die Verhandlungen zwischen lich sein könnten. In den europäischen Verträgen steht den Vereinigten Staaten und Europa zu diskreditieren. ganz klar, dass die Mitgliedstaaten das Recht der Ver- Nun bekommen Sie es mit der Angst zu tun, weil Sie of- handlungen an die Europäische Kommission abgetreten 4922 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Andreas G. Lämmel (A) haben. Die Bedingungen, über die wir hier diskutieren, Vielen Dank. (C) sind natürlich nicht in allen europäischen Ländern (Beifall bei der CDU/CSU sowie des gleich. Rumänien und Bulgarien zum Beispiel sind Län- Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) der, bei denen man nicht davon ausgehen kann, dass das rechtliche System so gestaltet ist wie in Deutschland. Man muss bei diesen Verhandlungen natürlich schon die Vizepräsidentin Claudia Roth: Situation in allen europäischen Ländern im Auge haben. Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Nächste Red- nerin in der Debatte ist Katharina Dröge für Bündnis 90/ Die Freihandelsabkommen, die bisher geschlossen Die Grünen. worden sind, sind ganz klar Abkommen zum Vorteil von kleinen und mittleren Unternehmen. Das Hauptfeindbild Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Linken und der Grünen sind die großen Konzerne, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und und es wird behauptet, diese würden den Staat und die Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich muss Demokratie aushebeln. Der Hauptadressat von Freihan- Ihnen lassen: Sie sind ein guter Redner. delsabkommen ist aber der Mittelstand, weil genau der es sich oftmals nicht leisten kann, zweite Prüfverfahren (Beifall bei der SPD) durchzuführen oder sich neuen Normen zu unterwerfen. Die Rede, die Sie hier gehalten haben, war geschickt. Das heißt, wir müssen diese Hemmnisse abbauen, damit Abgesehen von dem Teil, in dem Sie die Linke be- sich auch kleine und mittlere Unternehmen frei auf den schimpft haben und den ich weder sonderlich gelungen Märkten bewegen können. Darum geht es im Wesentli- noch sonderlich angemessen fand, chen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich habe auch noch nie gehört, dass Sie dagegen und bei der LINKEN) wären, dass wir zum Beispiel mit Japan ein weiteres Freihandelsabkommen aushandeln wollen oder dass wir kann ich verstehen, dass Sie in dem Dilemma, in dem mit den Mercosur-Ländern in Gesprächen über ein Frei- Sie gerade stecken, eine solche Rede gehalten haben. Ihr handelsabkommen sind. Sie sind in Ihrem Antiamerika- Problem ist nur: Auch so eine Rede löst Ihr Dilemma nismus ausschließlich gegen ein Abkommen mit den nicht. Vereinigten Staaten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Auch mit und bei der LINKEN) Kanada!) Sie sind Wirtschaftsminister, und Sie wollen die Frei- (B) Eines dürfte sehr wichtig sein: Wenn es gelingt, zwi- handelsabkommen zum Erfolg führen. Sie hoffen auf (D) schen Europa und Amerika ein Freihandelsabkommen Wachstum und Arbeitsplätze für Deutschland. Ich habe zu schließen, das höchste Standards hat – Sie behaupten allerdings erhebliche Zweifel an den Wachstumsprogno- immer, in Amerika sei alles schlecht und die Standards sen, insbesondere wenn man ernst nimmt, was Sie hier würden den europäischen Standards nicht entsprechen; zum Schutz der Standards sagen. Wenn man die Gutach- das ist natürlich nur die halbe Wahrheit –, glauben Sie, ten liest, dann erkennt man: 90 Prozent der erwarteten dass dann in anderen Teilen der Welt Freihandelsabkom- Wachstumseffekte sind auf den Abbau nichttarifärer men geschlossen werden könnten, die unter diesem Handelshemmnisse zurückzuführen. Schauen Sie sich Niveau liegen? Das heißt also, dass wir hier die Trend- einmal ganz genau an, was unter nichttarifären Handels- setter sind. Genau deswegen ist es auch sehr wichtig, hemmnissen zu verstehen ist! Wenn man gleichzeitig dass die zwei größten Wirtschaftsräume der Welt Standards schützen und Wachstum generieren will, dann Handlungsfähigkeit beweisen. hat man da ein Problem. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Ernst – Sie wollen (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Man hat vielleicht in Brandenburg wieder mitregieren; man kann überhaupt kein Problem!) nur hoffen, dass Ihr Wahlergebnis bei der nächsten Wahl Ich will gerne eine Frage an die Kolleginnen und Kol- nicht nur halbiert wird, sondern nur noch ein Zehntel be- legen von der CSU richten, weil die CDU anscheinend trägt –: eine wundersame Prognosefähigkeit besitzt. Sie ver- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: In Thürin- spricht im Internet, durch TTIP würden auf gar keinen gen stellen wir erst mal den Ministerpräsiden- Fall Arbeitsplätze verloren gehen. Ich bin gespannt, ten!) liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wie Sie das den bayerischen Landwirten erklären werden, wenn Sie spielen immer mit den Ängsten der Leute und versu- TTIP tatsächlich kommen sollte. chen, diese für sich politisch zu nutzen. Dass das nicht funktioniert, müssten Sie anhand der letzten Wahler- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebnisse mitbekommen haben. Ich kann Ihnen nur emp- und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ fehlen, Ihre Haltung dazu zu überdenken. CSU]: Das lassen Sie mal unser Problem sein!) Wir als CDU/CSU-Fraktion stehen zu den Verhand- – Ja, das wird dann auch Ihr Problem sein. lungen über das Freihandelsabkommen. Wir sind dafür, dass diese Verhandlungen in absehbarer Zeit zum Ab- Unabhängig von den Zweifeln, die ich an den Wachs- schluss kommen. tumsprognosen habe, kann ich verstehen, dass ein Wirt- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4923

Katharina Dröge (A) schaftsminister gegenüber der Industrie das Signal geben Antworten auf Kleine Anfragen, in denen steht: Auf gar (C) möchte, dass die Vereinheitlichung technischer Stan- keinen Fall wird die regulatorische Kooperation in TTIP dards, beispielsweise bei Autospiegeln und Blinkerfar- dazu führen, dass die Standards gesenkt werden. – Nur ben, nicht an der deutschen Bundesregierung scheitert. auf die eine Frage, wie Sie das machen wollen, welche Das Problem ist nur: Weder TTIP noch CETA be- Vorstellungen Sie haben, das zu sichern, habe ich noch schränkt sich auf solche Sachen, und das wissen Sie keine einzige Antwort von Ihnen bekommen. ganz genau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ und bei der LINKEN) CSU]: Frau Dröge, das sagen wir Ihnen recht- zeitig!) Ich nehme Ihnen als SPD-Parteivorsitzendem ab, dass es Ihnen nicht egal ist, dass die Zivilgesellschaft, die Ge- Dann noch zu Ihnen, Herr Tiefensee. Sie haben hier werkschaften, die Umweltverbände, die Kommunen und gesagt, wir Grünen hätten uns im Bundestag zu wenig auch die mittelständische Wirtschaft erhebliche Beden- positioniert. Dazu hat mein Kollege von den Linken ken gegen diese Freihandelsabkommen haben. Ich schon etwas gesagt. Von der SPD und auch von der nehme Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU ist in dieser Wahlperiode noch kein einziger SPD, auch ab, dass Sie viele Kritikpunkte nachvollzie- Antrag zu TTIP und CETA in den Deutschen Bundestag hen können und einige der Kritikpunkte sogar teilen. eingebracht worden. Damit kommen wir zu dem Parteikonventsbeschluss, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!) den Sie am Wochenende gefasst haben. Ich kann sagen: Darin sind viele richtige Punkte, denen wir auch zustim- Von uns ist dazu schon eine ganze Reihe von Anträgen men würden. Es ist jetzt Ihre Sache, liebe Kolleginnen in den Deutschen Bundestag eingebracht worden, und Kollegen von der SPD, wie Sie mit diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschluss umgehen und was Sie damit dann hier im Ple- und bei der LINKEN) num machen; da werde ich Ihnen nicht reinreden. und die Anträge haben Sie vor der Europawahl in die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ausschüsse versenkt. Ihnen, Herr Gabriel, habe ich genau zugehört. Sie ha- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist der ben hier vor wenigen Minuten gesagt, dass Sie diese Unterschied zwischen Regierung und Opposi- Punkte zur Maxime Ihres Regierungshandelns machen tion!) werden. Das Problem ist nur: All das, was Sie hier vor- Sie haben die Debatte nicht ermöglicht – zu einem Zeit- (B) getragen haben und was Sie aufgeschrieben haben, hat (D) mit der Realität recht wenig zu tun. punkt, als das TTIP-Konsultationsverfahren noch lief und es notwendig und sinnvoll gewesen wäre, dass der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutsche Bundestag Stellung nimmt, so wie es 150 000 und bei der LINKEN) Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa getan haben. Das hat mit den Protokollen, die wir von den TTIP- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhandlungen zu lesen bekommen, und auch mit dem und bei der LINKEN) CETA-Vertragsentwurf, der uns seit Anfang August vorliegt, wenig zu tun. Ich erwarte von Ihnen als Wirt- Diese Chance hat der Deutsche Bundestag verpasst, weil schaftsminister schon, dass Sie sich auch mit der Realität Sie die Anträge in die Ausschüsse versenkt haben und auseinandersetzen. die Frist nun abgelaufen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt noch ganz kurz Folgendes: Meine Fraktion hat und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ sich die Entscheidung zu der Positionierung zu TTIP und CSU]: So eine Frechheit, Frau Dröge!) CETA nicht leicht gemacht. Es gibt niemanden in mei- ner Fraktion, der sagt, dass gute Standards und ein fairer Die Realität ist ein CETA-Abkommen, in dem ein Welthandel nicht etwas sind, was wir Grünen fördern Investitionsschutzkapitel und Klageprivilegien für wollen und woran wir Grünen arbeiten. Wir haben uns Konzerne enthalten sind, die es Großunternehmen er- konkret mit dem auseinandergesetzt, was hier vorliegt. möglichen, gegen die Bürger und gegen den Umwelt- Wir haben Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Wir ha- schutz zu klagen. Dafür, dass das keine Erfindung von ben uns sogar noch einmal mit Ihrem Rechtsgutachten uns ist, gibt es vielfältige Beispiele auf der ganzen Welt, auseinandergesetzt, Herr Gabriel. Heute haben wir ein die Sie sich sehr genau anschauen sollten, Herr Kauder. zweites Gutachten vorgestellt, in dem erhebliche Zweifel daran geäußert werden, dass das, was Sie hier verspre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen, nämlich dass das Investitionsschutzkapitel in und bei der LINKEN) CETA eine Lappalie sei, gegeben ist. Im Gegenteil: Wir Die Realität sind außerdem TTIP-Verhandlungen, in sehen weiterhin erhebliche Risiken in dem Vorschlag, denen uns die Bundesregierung bislang keine einzige den Sie uns hier vorlegen. klare Antwort darauf gegeben hat, wie das europäische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vorsorgeprinzip geschützt werden soll und wie garan- tiert werden kann, dass die Standards nicht abgesenkt Wir haben uns damit auseinandergesetzt und kommen zu werden. Ich bekomme von Ihnen Antworten über dem Ergebnis, dass es nicht verantwortbar ist, diese 4924 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Katharina Dröge (A) beiden Freihandelsabkommen in der aktuellen Fassung Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) mitzutragen. Dies gilt insbesondere für die Ausgestal- Erlauben Sie eine Rückfrage vom „Chlorhühnchen“ tung der Investitionsschutzkapitel. Klaus Ernst? Sie versprechen uns hier viel. Das Einzige aber, was (Heiterkeit) Sie nicht machen, ist, sich festzulegen. Sie sagen immer nur, dass Sie Investitionsschutz ablehnen. Wenn es aber zum Schwur kommt, wenn wir Anträge stellen, dann Dirk Wiese (SPD): stimmen Sie nicht zu. Das wird auch heute leider so sein. Ja, selbstverständlich. Ich kann nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie das ernst meinen, was Sie am Klaus Ernst (DIE LINKE): Wochenende beschlossen haben, nämlich dass ein Inves- Es freut mich, dass Sie hier noch für Stimmung sor- tor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren in jedem Fall abzu- gen. Aber sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass lehnen ist, dann stimmen Sie unserem Antrag heute bitte es hier gar nicht um ein Handelsabkommen mit Russland zu. geht? Weil das so ist, möchte ich außerdem fragen: Glauben Sie tatsächlich, dass ich als Oberbayer eine Vizepräsidentin Claudia Roth: ganz besondere Affinität zu Russland habe? Das müss- Bitte kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin. ten Sie mir schon einmal nachweisen. Ich möchte noch etwas sagen. Ich erlebe in dieser De- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): batte permanent gegenseitige Diffamierungen, ohne dass Linke und Grüne haben in diesem Bundestag aktuell auf den Inhalt eingegangen wird. Da noch mehrere Red- leider keine Mehrheit, um das durchsetzen zu können. ner von der Koalition sprechen werden, möchte ich Sie (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – bitten, auch ein wenig zum Inhalt zu sagen. Ich habe Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Gut für heute gehört, wir seien Nationalisten. Außerdem habe Deutschland!) ich gehört, wir seien fast so wie die AfD. Dann höre ich berechtigterweise den Hinweis, man solle doch bitte Wenn Sie das ernst meinen, was Sie sagen, dann haben schön ein bisschen vorsichtig sein und auf die gegen- Sie eine Mehrheit für Ihre Position im Deutschen seitige Glaubwürdigkeit achten. Glauben Sie nicht, dass Bundestag. Wir würden uns freuen, wenn Sie den Weg es angesichts der langen Redezeit, die den Regierungs- frei machen. fraktionen noch zur Verfügung steht, sodass wir Ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch zuhören dürfen, auch sinnvoll wäre, ein wenig auf (B) und bei der LINKEN) den Inhalt einzugehen und sich den Unfug mit Russland (D) zu sparen? Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Danke, Frau Kollegin Dröge. – Nächster Redner in des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Debatte ist Dirk Wiese für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Kollege Ernst, ich nehme das gerne zur Dirk Wiese (SPD): Kenntnis. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass ich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- gerade einmal 37 Sekunden geredet habe. Insofern ginnen und Kollegen! Zunächst drei Anmerkungen. komme ich auf die Inhalte noch zu sprechen. Deshalb Erstens. Die von der Fraktion Die Linke vorgelegten bitte ich Sie an dieser Stelle um ein bisschen Geduld. Entschließungsanträge sind vor allem eines: Was ich mit diesem Vergleich deutlich machen (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gut!) möchte – das sage ich hier ganz offen –, ist, dass es Gysi-Plag im Deutschen Bundestag, alles abgeschrieben Ihnen nicht um die Details des Abkommens geht. und geklaut, Copy-and-Paste in Reinform, kein Zeugnis (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Natürlich!) von einer eigenen sachlichen und kritischen Auseinan- dersetzung mit dem Thema. Ihnen geht es nicht darum, was später drinstehen wird. (Beifall bei der SPD) Es geht Ihnen nur darum, mit wem das Abkommen ge- schlossen wird. Das ist ganz klar. Zweitens. Den Gegnern aufseiten der Linken geht es doch nicht um Arbeitnehmerrechte, Sozialstandards und (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Verbraucherschutz. Denn wenn es um ein Freihandels- Ernst [DIE LINKE]: Sie fahren genauso fort, abkommen mit Putins Russland ginge, dann würde sich wie Sie begonnen haben!) Klaus Ernst als Erster eine Schürze umbinden und im An dieser Stelle sind Sie geschlossen und geeint in Ihren Bundestag Chlorhühnchen brutzeln. Reihen: Amerika ist schlecht. Mit den Amerikanern (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei macht man keine gemeinsame Sache. – Zu dieser Aus- Abgeordneten der CDU/CSU) sage stehe ich auch an dieser Stelle. Sie würden auf eine Vertragsunterzeichnung drängen. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4925

Dirk Wiese (A) Drittens. Selbst wenn wir bei den Abkommen – an Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (C) dieser Stelle werde ich polemisch – die sofortige Ver- staatlichung von Schlüsselindustrien und die Einführung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) des Sozialismus beschließen würden, die Linke würde nicht zustimmen. Das Gleiche gilt beim Verbraucher- Vizepräsidentin Claudia Roth: schutz. Hierzu nenne ich Ihnen ein Beispiel. Fettige Vielen Dank, Herr Kollege Wiese. – Nächster Redner Pommes aus Europa sind Ihres Erachtens gut – die essen in der Debatte ist Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/ Sie auch –, fettige Pommes bei McDonald’s lehnen Sie CSU-Fraktion. aber ab. Dies ist nur ein Beispiel. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Es ist eigentlich sinnlos, auf die Vorwürfe und Ver- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): zerrungen der Opposition einzugehen. George Orwell Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten hat aber einmal zu Recht gesagt: Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, wie Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie wichtig es ist, dass wir hier im Deutschen Bundestag nicht hören wollen. sicher nicht zum letzten Mal über diese wichtige Frage reden. Bei diesem Abkommen mit den USA handelt es Das will ich als Mitglied des Ausschusses für Ernährung sich um eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ent- und Landwirtschaft gerne machen. scheidungen, wahrscheinlich für die nächsten Jahre. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip „farm to fork“. In Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten den USA gilt dieses Prinzip nicht. Meine klare Einschät- uns darüber im klaren sein – das wurde heute schon zung ist, dass wir hier nicht zusammenfinden; denn was mehrfach gesagt –: Unsere Stärke, der Wohlstand unse- für die Europäer ein amerikanisches Chlorhühnchen ist res Landes beruhen darauf, dass es offene Märkte gibt, – da gebe ich Ihnen recht –, betrachten die Amerikaner dass es freien Handel gibt. Sie, Kollegen von den Lin- bei uns zu Recht als europäisches Salmonellenhühnchen. ken, sollten nach 25 Jahren langsam einmal lernen, dass Die finden unseres nicht gut, wir finden ihres nicht gut. man Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand nicht schafft, Dann kommen wir nicht zusammen. Dann kommt es indem man Mauern um Länder baut, sondern indem man eben hier nicht auf den Teller und dort auch nicht. Ich Märkte öffnet. Das ist der entscheidende Punkt, und des- persönlich glaube, dass das Wort „Chlorhühnchen“ – ge- wegen ist es hier so wichtig. statten Sie mir an dieser Stelle die Anmerkung – 2014 das Unwort des Jahres wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) neten der SPD) (D) Gerade im Bereich von Lebensmitteln und Landwirt- schaft wird der Markt für Chlorhühnchen, genveränderte Wir haben eine Verantwortung, die über Deutschland Lebensmittel oder hormonbehandeltes Rindfleisch zu- hinausgeht. 25, 26 Millionen Arbeitslose in Europa bleiben. Das führt aber in den Verhandlungen dazu, dass haben mit einem Freihandelsabkommen jetzt die Chance wir ein Geben und Nehmen haben. Wir müssen auf geschätzt zwischen einer halben und anderthalb vielleicht darüber nachdenken, den Markt für nicht hor- Millionen neue Arbeitsplätze. Ich glaube, diese Chance monbehandeltes Rindfleisch zu öffnen oder den USA zu dürfen wir uns nicht entgehen lassen. sagen, dass Käse und Milch aus Europa gar nicht so Wir sind ein Land, das eine Exportquote von 40 Pro- schlecht sind; denn sie haben dort ein paar Vorurteile. zent hat. Kollege Tauber hat schon darauf hingewiesen: Wichtig ist nur, dass es zu keiner Absenkung von Experten haben ausgerechnet, wenn wir keine offenen Standards kommt. Lassen Sie uns nicht immer von einer Märkte hätten, dann hätten wir in Deutschland nur noch Absenkung von Standards reden. Lassen Sie uns einmal die Hälfte unseres Wohlstands. Das heißt, jeder hätte darüber reden: Warum setzen wir uns nicht alle gemein- Monat für Monat nur noch die Hälfte des Einkommens sam dafür ein, unsere hohen europäischen Standards in der Tasche. Ich glaube, das zeigt, welche Bedeutung zum Exportschlager zu machen? Lassen Sie uns diese offene Märkte und freier Handel haben. Debatte einmal andersherum führen. Lassen Sie mich ein Wort zu den Grünen sagen: Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verstehe, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, der CDU/CSU) dass Sie keine richtigen Themen mehr haben. Die Kern- energie ist Ihnen weggenommen worden. Sie haben Glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen der keine Botschaft mehr. Ich bitte Sie, wenn Sie neue The- Linkspartei: Die gesamte SPD diskutiert sehr intensiv men suchen, nehmen Sie nicht die falschen. Werden Sie über ein Für und Wider des Abkommens. Viele berech- bitte Ihrer Verantwortung gerecht. Hier geht es um viel tigte Kritikpunkte finden sich im von Ihnen geklauten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die und zudem unvollständig vorgelegten Beschluss des Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Menschen in Parteikonvents. Wir sehen aber auch die Chancen. Wich- Deutschland und Europa. Ich bitte Sie um eine differen- tig ist mir als Mitglied des Deutschen Bundestages – ich zierte Diskussion und nicht um eine holzschnittartige, glaube, hier kann ich für alle Kolleginnen und Kollegen wie wir sie hier erlebt haben. sprechen –, dass es ein gemischtes Abkommen ist, dass wir am Ende mitentscheiden. Das ist das Wichtige. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des tragen Mitverantwortung. Darauf kommt es mir an. Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD]) 4926 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) Natürlich – der Bundeswirtschaftsminister hat darauf Waren und Güter. – Wir, die Europäer, und die Amerika- (C) hingewiesen – gibt es im Zusammenhang mit diesem ner können diejenigen sein, die die Reisepässe ausstel- Abkommen auch Herausforderungen. Es ist natürlich ein len, und das ist ein Riesenvorteil auch für unsere mittel- Unterschied, ob man ein Freihandelsabkommen mit ei- ständischen Unternehmer. Das muss man doch nem Entwicklungsland macht, wo die Strukturen relativ begreifen, anstatt immer über Konzerne zu schwadronie- einfach, überschaubar sind, oder ob hochentwickelte ren; das ist der falsche Weg. Unsere Mittelständler wer- Industriegesellschaften zusammen ein Freihandels- den von diesem Abkommen und der Normensetzung am abkommen machen, weil dort die Komplexität der allermeisten profitieren. Neben- und Auswirkungen viel größer ist. Deswegen (Beifall bei der CDU/CSU) muss man da sorgfältig herangehen und differenziert diskutieren. Deswegen ist der Stil und die Art und Es geht nicht um die Absenkung von Standards; das Weise, wie diskutiert wird – holzschnittartig, schwarz ist sowohl in den USA als auch in Europa immer wieder und weiß –, der falsche Weg. Wir müssen die Chancen von höchster Stelle erklärt worden. Meine Damen und nutzen und die Risiken minimieren. Das ist auch unsere Herren, weder die europäische noch die amerikanische Aufgabe als gewählte Parlamentarier in diesem Haus. Wirtschaft hat es nötig, Standards einzuführen, um damit Dumping auf anderen Märkten zu betreiben; beide haben (Beifall bei der CDU/CSU) es nicht nötig, und beide brauchen es nicht. Ich möchte gerne auf den Kern dieses Freihandelsab- Im Übrigen: Bei Umfragen in den Vereinigten Staaten kommens – eigentlich jedes Freihandelsabkommens – sagen die Verbraucher dort, dass die amerikanischen Si- eingehen. Es geht zum einen darum, dass keine Zölle cherheits- und Gesundheitsstandards selbstverständlich mehr erhoben werden. Zölle führen dazu, dass die viel höher als die europäischen sind. Sie können die Um- Verbraucher in den Ländern, in die geliefert wird, mehr frage machen, wo Sie wollen: Jeder glaubt, dass er die zahlen müssen und die Waren nicht in einem fairen höchsten Standards hat. Wir werden in diesem Abkom- Wettbewerb stehen; das beste Produkt, das in der Regel men keine Mechanismen akzeptieren, die zur Ab- aus Deutschland kommt, setzt sich vielleicht nicht durch, senkung von Standards im Umweltbereich, im Sozial- weil es durch Zölle benachteiligt wird. Deswegen ist der bereich, im Gesundheitsbereich – wo auch immer – Abbau von Zöllen immer wichtig. führen. Das ist, glaube ich, Konsens, auch in diesem Nun wird eingewendet – sicherlich zu Recht –, die Haus. Umgekehrt sage ich aber auch: Wir können nicht Zölle in Richtung USA seien gar nicht so hoch. Aber wir erwarten, dass die Amerikaner akzeptieren werden, dass haben an dem Beispiel, das Kollege Tauber vorhin ge- das Betriebsverfassungsgesetz morgen auch in den USA nannt hat, gesehen: In einzelnen Branchen und Berei- gilt. Ich bitte darum, die Erwartungen, was das angeht, (B) chen sind die Zölle höchst relevant. Wenn die Zölle in vielleicht etwas zu senken. (D) der Summe 20 bis 27 Prozent betragen, dann sind sie für Das Thema Dienstleistungen muss angesprochen eine Branche natürlich ein Nachteil. Deswegen ist der werden; denn Dienstleistungen machen inzwischen ein Abbau von Zöllen wichtig. Drittel des Handels zwischen Deutschland und den USA Der eigentliche Kern dieses Freihandelsabkommens aus. Das ist ein wichtiger Punkt. Vor allem Logistik- und besteht aber in etwas anderem, nämlich in der Chance, Unternehmensdienstleistungen sind zentrale Themen. dass Europa und Amerika künftig in der Lage sind, bei Bitte hören Sie auf, zu behaupten, die Dienstleistungs- neuen Technologien gemeinsam die Normen zu setzen, freiheit, die in diesem Abkommen vorgesehen ist, würde die dann weltweit gelten. In der EU und den USA leben zur Privatisierung der Daseinsvorsorge führen. Solch ei- gerade einmal gut 820 Millionen Menschen, aber dort nen Unfug habe ich überhaupt noch nie gehört. werden 50 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) erwirtschaftet. Diese 820 Millionen Menschen haben die Chance, die Standards für die restliche Welt – für China, Handelsvorschriften führen nicht zu einem Zwang zur Afrika, Südamerika – zu setzen, die dann dort befolgt Privatisierung. Wer so etwas behauptet, redet den Leuten werden müssen. Diese Chance müssen wir wahrnehmen. einfach Dinge ein; das hat einen Zweck, der nicht mit dem zu vereinbaren ist, was wir als Abgeordnete und als Ein Experte hat einmal richtigerweise gesagt: Nor- Parlamentarier letzten Endes zu verantworten haben. men sind die Sprache des Welthandels, und wer die Normen setzt, in dessen Sprache wird der Welthandel Ich will etwas zum Thema Finanzdienstleistungen sa- stattfinden. – Das ist ein ganz entscheidender Punkt. gen; das ist ein wichtiger Punkt. Beim Thema Finanz- Wenn wir in Europa jetzt die Chance verpassen, zusam- dienstleistungen müssen wir sehr genau hinschauen, um men mit den USA die Normensetzer für neue Technolo- zu wissen, worum es da geht. Den Rahmen – das hat gien der Zukunft zu werden – da geht es gar nicht mal Kollege Lämmel vorhin angedeutet – bilden im Grunde um die bisher bestehenden Normen der Vergangenheit, die G 20; auf dieser Ebene wurden sehr viele Regulie- sondern um neue Technologien, die tagein, tagaus erfun- rungen im Bereich der Bankenaufsicht vorgenommen. den werden und häufig auch wichtig werden –, dann ma- Aber es gibt bisher noch wenig Konsistenz bei der Um- chen wir einen entscheidenden und großen Fehler. setzung. Wir könnten versuchen, gemeinsame Standards der Vereinigten Staaten und Europas bei der Regulierung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Finanzmärkte und der Wertpapier- bzw. Bankenauf- Ein deutscher Mittelständler hat es einmal so formu- sicht zu etablieren. Das kann eine große Chance sein. liert: Die technischen Normen sind die Reisepässe für Auch hier gilt unser Credo: Wir werden keine Absen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4927

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) kung und keine Lockerung der Regulierung und der Dr. Sascha Raabe (SPD): (C) Standards im Bereich Finanzdienstleistungen und Ban- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen ken zulassen. und Kollegen! Eigentlich ist es schräg und missverständ- (Beifall bei der CDU/CSU) lich, dass die Debatte die Überschrift „Freihandels- abkommen“ trägt. Es wird so getan, als sei der Handel Ein letztes Wort zum Investitionsschutzabkommen. zurzeit nicht frei. Denklogisch ist es nicht notwendig, dass ein Freihan- delsabkommen ein Investitionsschutzabkommen hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Man kann das eine ohne das andere machen; das ist Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) überhaupt keine Frage. Auf der anderen Seite wissen Ich sage: Der Handel ist einerseits im Bereich Arbeit- Sie, dass Deutschland die Investitionsschutzabkommen nehmerrechte und Menschenrechte leider zurzeit ein erfunden hat, weil man verhindern wollte, dass deut- sehr freier Handel. Andererseits gibt es technische Nor- sches Kapitel irgendwo im Ausland verschwindet und men, die den Handel beschränken, zum Beispiel Zölle. deutsche Sparer enteignet werden. Wir stehen vor einer verrückten Situation: Ein Auto- Die Bundesrepublik hat bereits über 130 Investitions- blinker, der die falsche Farbe hat, eine Banane, die nicht schutzabkommen abgeschlossen. In den über 3 000 Ab- die richtige Krümmung hat, dürfen in die Europäischen kommen, die es weltweit gibt, sind Unzulänglichkeiten Union nicht eingeführt werden. Aber ein T-Shirt, an dem festzustellen; darauf ist bereits hingewiesen worden. Ein Blut klebt, weil Näherinnen und Näher wie Sklaven Problem ist die Intransparenz. Man weiß nicht genau, ausgebeutet werden, weil Fabriken einstürzen und die wie die Schiedsrichter ausgewählt werden. Das muss Menschen bei lebendigem Leib verbrennen, darf in die man ändern. Ein weiteres Problem ist, dass Kosten ent- Europäische Union eingeführt werden. stehen, die für Mittelständler untragbar sind. Man hat ausgerechnet: Eine Klage kostet 8 Millionen Dollar. Uns geht es bei dem Abkommen mit den USA des- Eine solche Summe macht jeden Mittelständler platt. Im halb darum, jetzt die entsprechenden Normen zu setzen. Grunde genommen steht er vor einer Rechtsverweige- Herr Kollege Hans-Peter Friedrich, es kann dabei aber rung. nicht nur um technische Normen gehen, die aus europäi- scher Sicht weltweit gelten sollen. Wir müssen uns dafür Vizepräsidentin Claudia Roth: einsetzen, dass in den Freihandelsabkommen auch Nor- Herr Kollege, Sie stehen vor dem Ende Ihrer Rede- men in Bezug auf Arbeitnehmerrechte und Menschen- zeit. rechte verankert werden. Freihandel muss zukünftig Freiheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (B) bedeuten. Sie sollen frei und gut arbeiten können. Wir (D) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): wollen Arbeitsplätze, und zwar gute Arbeitsplätze. Da- All diese Dinge müssen berücksichtigt werden. Es be- für setzen wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozial- steht die Chance – wenn man das will und wenn man die demokraten ein. Kraft dazu hat –, dass man in einem Investitionsschutz- abkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten all diese offenen Fragen regelt. Aber das wird der der CDU/CSU) weitere Verlauf der Diskussion mit sich bringen. Herr Kollege Tauber, Sie haben als Beispiel die Präsi- Ich bitte Sie nur um eine differenzierte Diskussion. dentin des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Hören Sie auf, Schwarz-Weiß-Malerei und holz- Modeindustrie angeführt, die gesagt hat, sie könne nach schnittartige Angstmache zu betreiben. Das entspricht Abschluss von TTIP besser in die USA exportieren. Wir nicht der Wahrnehmung der Verantwortung von Parla- müssen allerdings gerade auch im Hinblick auf die mentariern. Textilindustrie bedenken: Die Europäische Union ver- handelt derzeit ebenso Freihandelsabkommen mit Indien Vielen Dank. und Vietnam. Wenn wir jetzt ein Abkommen schließen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das fast die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts neten der SPD) umfasst, dann ist es umso wichtiger, dass wir messer- scharf hineinschreiben, dass entsprechende Standards Vizepräsidentin Claudia Roth: gesetzt und die acht ILO-Kernarbeitsnormen sowohl im Abkommen mit Kanada als auch mit den USA verbind- Vielen Dank, Herr Kollege Friedrich. – Es stehen lich verankert werden mit überprüfbaren und wirksamen noch drei Redner auf meiner Liste, und ich bitte Sie, die- Sanktionsmechanismen, wie sie auch für die anderen sen drei Rednern auch noch zuzuhören. Wir führen eine Kapitel gelten. Denn nur dann können wir auch den In- sehr lebendige Parlamentsdebatte. Ich stelle fest, dass dern sagen, dass wir das Gleiche von ihnen erwarten. immer mehr Zwischengespräche geführt werden. Sie Denn wir wollen, dass die Globalisierung endlich den mögen interessant sein, aber ich bitte Sie: Führen Sie die Menschen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Gespräche nicht hier im Saal. dient. Dafür werden wir uns in den Gesprächen zum Nächster Redner ist Sascha Raabe für die SPD. Freihandelsabkommen einsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hans- der CDU/CSU) Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]) 4928 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Sascha Raabe (A) Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich haben uns aber noch nicht so genau den kanadischen (C) dankbar dafür, dass er in dem Papier, das mit dem DGB Markt angesehen und geschaut, was wir da machen kön- erarbeitet wurde, und auch im Beschluss des Parteikon- nen. Ich glaube, dass die Dimension vielen Bürgerinnen vents, und zwar ganz am Anfang, ausdrücklich betont: und Bürgern draußen im Land auch nicht so bewusst ist. Das Freihandelsabkommen „muss seinen Wert … darin Kanada ist einer der wichtigsten Handelspartner der Eu- beweisen, dass es zu Fortschritten beim Schutz von Ar- ropäischen Union. 2013 haben wir Exporte im Umfang beitnehmerrechten, dem Verbraucherschutz und nach- von „nur“ 31 Milliarden Euro nach Kanada geschickt. haltigem Wirtschaften im globalen Maßstab beiträgt. … Zu den meistgehandelten Gütern aus der EU nach Ka- Diese normsetzende Kraft des Abkommens kann zum nada zählen Maschinen und Ausrüstungen – 22 Prozent –, Hebel einer politischen Gestaltung der wirtschaftlichen Chemikalien – ungefähr genauso viel – und Autos und Globalisierung werden.“ Autoteile mit fast 11 Prozent. Danach folgen Transport- materialien, Petroleum, Getränke und andere Dinge. Genau darum geht es. So steht es auch an zwei Stellen im Koalitionsvertrag. Wir werden unseren Wirtschafts- Deutschland ist einer der wichtigsten Partner von Ka- minister dabei unterstützen, dass die Arbeitnehmerrechte nada. Insgesamt entfielen aber nur 9 Milliarden von die- voll eingehalten werden. In dem Sinne brauchen wir kei- sen 31 Milliarden Euro auf unseren Export. Da geht et- nen zusätzlichen Antrag, in dem gefordert wird, was wir was mehr. Da ist mehr Umsatz und mehr Geschäft für selbst in den Koalitionsvertrag geschrieben haben und deutsche Unternehmen drin. Es können Arbeitsplätze was die SPD im Konvent beschlossen hat. geschaffen werden, weil Zölle abgeschafft und einheitli- che Standards erarbeitet werden. Freihandel bringt Vor- Wenn die Kollegen bei der CDU sagen, sie haben teile für unsere Unternehmen. Probleme mit dem Beschluss des Parteikonvents, dann können sie im Koalitionsvertrag nachlesen, dass wir die Herr Kollege Hofreiter, jetzt hören Sie gut zu. Das be- Freihandelsabkommen immer an die verbindliche Ver- trifft insbesondere die mittelständischen Unternehmen, pflichtung gebunden haben, die Kernarbeitsnormen der die Sie vorhin angesprochen haben. Internationalen Arbeitsorganisation einzuhalten und (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Menschenrechte sowie soziale und ökologische Stan- GRÜNEN]: Ich habe die mittelständischen dards zu wahren. Dafür werden wir streiten. Wir haben Unternehmen zitiert!) die große Chance, als Parlamentarier die Globalisierung im Sinne der Menschen politisch zu gestalten. Gerade die Verfahren zur Zulassung von Produkten er- schweren den kleinen und mittelständischen Unterneh- Vielen Dank. men den Zugang zum amerikanischen und kanadischen Markt. Da Sie gefragt haben, will ich Ihnen gern ein paar (B) (Beifall bei der SPD) (D) Beispiele mit auf den Weg geben: Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Sascha Raabe. – Nächster Redner in der GRÜNEN]: Sie brauchen nicht mich zu über- Debatte ist Dr. Matthias Heider für die CDU/CSU-Frak- zeugen! Überzeugen Sie doch erst mal den tion. Mittelstand davon!) (Beifall bei der CDU/CSU) In Deutschland müssen zum Beispiel im Maschinen- bau Notabschaltknöpfe in Höhe von 1,10 bis 1,30 Me- Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): tern an Maschinen angebracht werden. In den USA sind Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! es 90 Zentimeter bis 1,10 Meter. In der EU sind Neutral- Das ist heute schon eine sehr polarisierende Debatte. Ich leiterkabel in der Elektronik standardmäßig blau gefärbt. glaube aber, dass es nicht sinnvoll ist, den Wert von Han- In den USA müssen die gleichen Kabel weiß sein. Pro- delsabkommen kleinzureden. Es ist unsere Aufgabe als dukte wie Ventilatoren müssen in der EU zertifiziert Abgeordnete, bei diesen Abkommen Chancen zu ermög- werden und erhalten das CE-Zeichen. Wenn Sie in die lichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, USA exportieren wollen, dann müssen Sie das gleiche ich kann heute nicht erkennen, dass Sie dazu beitragen. Verfahren nach US-Norm noch einmal durchlaufen. In Sie wollen Deutschland auf Standby halten. Es kommt einem deutschen Unternehmen braucht es allein 15 Ent- bei diesen Handelsabkommen aber auf mehr an. Dazu wickler, um diese amerikanischen Standards abzubilden. sind Sie aber einfach nicht bereit. Im chemischen Bereich führt die unterschiedliche Kenn- zeichnungspraxis dazu, dass viele Produkte für den Ver- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist wieder kauf in die USA anders bezeichnet und anders etikettiert dieselbe Leier!) werden müssen. Außerdem müssen Labore in der Che- Herr Kollege Ernst, es braucht zwei, um einen Tango zu mie und im Medizinbereich von zwei Behörden, sowohl tanzen. Sie wollen ihn gerne allein tanzen. Das wird aber von der europäischen wie auch von der amerikanischen nicht funktionieren. Behörde, zertifiziert werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich tanze Lam- Ein weiterer Teil der Abkommen ist, dass viele Her- bada! Schuhplattler!) kunftsbezeichnungen, auch im landwirtschaftlichen Be- reich, betroffen sind. Ein Beispiel: Deutsche Brauereien Bisher hat es eine ganze Reihe von guten Argumenten werden in den USA mit einer Reihe von bayerischen gegeben, auf deren Basis wir heute diskutiert haben. Wir Bieren konfrontiert, die überhaupt nicht aus Bayern Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4929

Dr. Matthias Heider (A) stammen. Das Gleiche gilt für Schwarzwälder Schinken, renz zusammen und auch damit, dass die Besetzung die- (C) für Spreewälder Gurken, für Kölsch und für Dresdner ser Schiedsgerichte nach einem etwas anderen Schlüssel Stollen. Die Pflicht zur Bezeichnung der geografischen erfolgt. Im Übrigen werden verschiedene Schiedsge- Herkunft würde den Handel mit diesen Produkten enorm richtsordnungen zur Wahl gestellt. Ich glaube, dass das fördern. Herr Hofreiter, das müssen Sie den mittelständi- auch mit Blick auf die Entwicklung der Standards der schen Unternehmen in Ihrem Wahlkreis einmal erläu- Schiedsgerichtsbarkeit ein guter Schritt ist. Wir müssen tern. Ich habe die ganz herzliche Bitte an Sie, dass Sie aber daran mitwirken. Wenn wir uns dem verschließen, dieses Abkommen unterstützen und nicht pauschal dage- dann werden wir auf den Märkten keine Trends setzen, genreden. dann werden wir auch mit dem Abschluss dieser Ab- kommen keine Trends setzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Dritter Irrtum. Dass wir soziale Standards und Um- weltstandards abschaffen oder verhindern würden, ist Besonders pikant ist, dass Ihr Kollege Trittin zu diesem von meinen Vorrednern eindrucksvoll widerlegt worden. Zeitpunkt ein Buch mit dem Titel „Stillstand made in Das bedarf keiner weiteren Erläuterung. – Ein anderes Land ist möglich!“ vorstellt. Ich glaube, eindrucksvoller kann man seine Meinung nicht Deshalb lehnen wir Ihre Anträge ab. Sie wollen Chan- unter Beweis stellen. cen verhindern. Wir wollen sie ermöglichen. Deshalb sind diese Abkommen ein guter Weg. Die Zeit, die dort (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und noch für die Verifizierung, für das Verhandeln gebraucht der SPD) wird, wird genutzt werden. Ich glaube, dass wir da auf Auch Investitionsschutzkapitel gehören zu den Streit- einem hervorragenden Weg sind. beilegungsverfahren. Im Freihandel sind sie notwendig. Sie entlasten nationale, ordentliche Gerichte von langen Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. und schwierigen Verfahren. Dass solche Verfahren gar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht so häufig stattfinden, mögen Sie daran erkennen, neten der SPD) dass es bisher weniger als fünf Verfahren dieser Art ge- gen Deutschland gegeben hat. Das Gutachten, das der Vizepräsidentin Claudia Roth: Bundeswirtschaftsminister vorhin zitiert hat, zeigt, dass Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich möchte noch einmal die Rechte, die kanadische Investoren beispielsweise sehr ernsthaft darauf hinweisen, dass auch der letzte durch CETA bekommen, kaum über die nationalen Redner dieser Debatte das Recht hat, dass man ihm zu- Rechte in Deutschland hinausgehen. Im Hinblick auf hört. Wer das nicht will, sondern sich unterhält, soll das den Bestandsschutz getätigter Investitionen gegen ge- (B) bitte draußen tun. Ich meine das sehr ernsthaft. Wenn (D) setzgeberische Eingriffe bleibt CETA sogar hinter den dies nicht geschieht, wird jetzt mit seiner Rede nicht an- nationalen juristischen Möglichkeiten des ordentlichen gefangen, und wir warten einfach so lange, bis die Kolle- Rechts, aber auch des Verfassungsrechts und des ginnen und Kollegen, die sich in den Gängen miteinan- Unionsrechts signifikant zurück. Das ist sicherlich ein der unterhalten, nach draußen gehen. sehr spannender Punkt für viele Bürgerinnen und Bürger. Ich habe die Bitte: Sagen Sie in aller Klarheit, worum es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dabei geht, anstatt in dieser Diskussion Nebelkerzen zu der LINKEN) werfen. Darf ich das noch einmal sagen? Ich sehe einige bei der (Beifall bei der CDU/CSU) SPD. Bitte hören Sie Ihrem Kollegen zu, oder gehen Sie raus. Auch er als letzter Redner in dieser Debatte hat das Meine Damen und Herren, ich möchte die drei großen Recht, dass ihm zugehört wird. Irrtümer, die hier hochgehalten werden, noch einmal beim Namen nennen: Ich gebe das Wort Peter Beyer. Erstens. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Inves- (Beifall bei der CDU/CSU) titionsschutzkapitel keine Aufhebung von gesetzgeberi- schen Maßnahmen oder den Erlass neuer Maßnahmen Peter Beyer (CDU/CSU): bewirken. Auch hierzu heißt es in dem Gutachten – das Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten steht dort schwarz auf weiß –: Die Aufhebung oder der Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlass gesetzgeberischer Maßnahmen kann nicht ver- Dass intensive Wirtschaftsintegration, wie beim EU- langt werden. Binnenmarkt gesehen, zu Wohlstandsgewinnen führt, Der zweite Irrtum betrifft das angebliche Schaffen ei- das wissen wir, das wissen Volkswirtschaftler, aber nicht ner Paralleljustiz. Das Wort hört sich an, als stamme es nur die. Das hat auch kürzlich wieder eine aktuelle aus einem Science-Fiction-Film mit einer ganzen Reihe Prognos-Studie belegt. Die Schaffung des EU-Binnen- von Parallelwelten. Ich muss Sie enttäuschen: TTIP und marktes ist seinerzeit, wenn wir uns erinnern, nicht ganz CETA werden keine Parallelwelten aufbauen, auch wenn ohne Kontroversen und auch nicht ohne Ängste und Sor- das in die Horrorgeschichte, die Sie im Rahmen Ihrer gen bei den Menschen vonstattengegangen. Kampagne erzählen, gut hineinpassen würde. Das erinnert an die Situation, wie wir sie heute im Die Schiedsgerichtsverfahren sind mit einer Reihe Hinblick auf TTIP und CETA haben. Dank einer weit- von Neuerungen versehen. Das hängt mit der Transpa- sichtigen, auf die Zukunft Europas ausgerichteten Politik 4930 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Peter Beyer (A) wurde die wirtschaftliche Integration Europas damals Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, (C) gut betrieben, und sie ist gut gelungen. Ziel einer transat- Marktwirtschaft und auch der Respekt vor dem Indivi- lantischen Wirtschaftsintegration ist zwar nicht die duum – um das nicht als Letztes zu nennen. Schaffung eines Binnenmarktes, wie wir ihn in der EU Natürlich dürfen wir nicht die Augen verschließen haben; es geht dabei aber immerhin um nicht weniger als vor berechtigter Kritik und auch nicht vor den Ängsten um die Schaffung des größten Wirtschaftsraums der und Sorgen der Menschen, die uns begegnen. Aber an- Welt und damit um die Steigerung des wirtschaftlichen ders als andere halte ich es für schier verantwortungslos, Wohlstands der Menschen in unserem Land, in den Ver- in die Kerbe der Ängste und Sorgen der Menschen auch einigten Staaten und in der EU. noch hineinzuschlagen. Unsere Aufgabe als verantwor- Ich möchte ein bisschen weg von reinen Zahlen, Da- tungsvoll handelnde Parlamentarier muss es doch viel- ten und Fakten; denn CETA und TTIP sind weit mehr als mehr sein, sich selbst auf einen Informationsstand zu ein bloßes Zahlengerüst. Es geht über rein ökonomische bringen, der es erlaubt, Menschen aufzuklären und mit Ziele hinaus. Ich möchte den Fokus auf die enorme stra- ihnen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Deswe- tegische und auf die geopolitische Bedeutung legen. gen sind wir uns auch alle einig in diesem Haus, dass das TTIP wird nicht nur die bilateralen Wirtschaftsbeziehun- europäische Schutzniveau in den Bereichen Umwelt, gen vertiefen, sondern auch die weltweite Vorreiterrolle Verbraucherschutz, Arbeitsrecht, Gesundheit und auch Europas und der USA inmitten starker globaler Konkur- Produktsicherheit nicht nach unten angepasst werden renz dauerhaft stärken. Überall auf der Welt gibt es im darf. Wir werden alle keinem Abkommen zustimmen Übrigen Bestrebungen, Handelsräume stärker zu inte- – weder bei CETA noch bei TTIP –, das diesen hohen grieren, zusammenzulegen und den Warenaustausch zu europäischen Schutzstandards nicht Rechnung trägt. vereinfachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und TTIP und CETA sichern der EU und damit der Bun- der SPD) desrepublik und den Menschen, die hier leben, eine Freihandelsabkommen sind ein wunderbares Beispiel wichtige Positionierung in einer multipolaren Weltord- dafür, wie Bürokratieabbau – und zwar nicht nur im Klei- nung. Diese Chance auf eine weitreichende Setzung von nen, sondern in wirklich bedeutsamem Maße – gelingen Standards in dieser globalisierten Wirtschaftswelt sollten kann. Wir haben heute in der Debatte schon mehrfach wir gerade jetzt ergreifen; denn sie bietet sich uns mit ei- Beispiele für Doppelzulassungsverfahren, Doppelkontrol- nem Partner, der eine gleiche Wertebasis hat wie wir. len gehört: immer dann, wenn es ähnliche Sicherheits- Dabei muss es uns ein zentrales Anliegen sein, dass das und Schutzstandards gibt. Diese Bürokratie führt zu einer Abkommen die hohen europäischen Schutzniveaus mit Verschwendung von Ressourcen – beim Personaleinsatz, dem geltenden europäischen Recht und den nationalen (B) bei Zeit, bei Geld –, und diese Ressourcen stehen dann (D) Gesetzen sichert. Ein Verzicht auf TTIP und ein Verzicht nicht für die wirklich wichtigen Dinge, für Innovation und auf CETA würden einem Verzicht auf die Einflussnahme technologischen Fortschritt, zur Verfügung. Auch aus die- beim Setzen internationaler Standards gleichkommen. sem Grund ist es für mich ein – wenn ich dieses neue Wir würden damit das Spielfeld anderen überlassen, die deutsche Wort benutzen darf – No-Brainer, TTIP und nicht unsere Wertebasis haben. Ich halte das gerade als CETA zuzustimmen. Parlamentarier für verantwortungslos. Kurz noch zu Investitionsschutzklauseln: Es ist ja TTIP und CETA kann man auch nicht als isolierte auch eine Sorge, dass eine geheime Paralleljustiz ent- Projekte behandeln, sondern sie müssen in einem euro- steht, die gerade Großkonzerne begünstige. Zu diesem atlantischen Kontext gesehen werden. Wir müssen dabei Thema haben wir heute schon viel Richtiges gehört. Es all das, was derzeit transatlantisch läuft, betrachten. Das darf natürlich keine Einschränkung des politischen Megaprojekt TTIP wird in einem Umfeld, in einer Zeit Handlungsspielraums von Staaten mit diesen Abkom- verhandelt, wo es um die transatlantischen Beziehungen men einhergehen. In der Tat haben internationale Inves- nicht gerade gut bestellt ist. 25 Jahre nach dem Fall der tor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren so, wie wir sie heute Berliner Mauer braucht die transatlantische Partner- kennen, ihre Schwächen. Viele alte Investitionsschutzab- schaft belebende Impulse und bedarf der Selbstver- kommen laden regelrecht zum Missbrauch ein. Deswe- gewisserung und der Stärkung. Wir müssen uns auf den gen muss es unser Ziel sein, dass wir ein reformiertes Weg begeben, über das transatlantische Verhältnis Schiedsgerichtsbarkeitssystem in CETA und TTIP hi- grundlegend nachzudenken. Ich bin dankbar, dass diese neinverhandeln, integrieren, welches Missbrauch einen Diskussion geführt wird. Riegel vorschiebt. Das kann gelingen durch bessere Re- Angesichts des verloren gegangenen Vertrauens bietet geln und Rahmenbedingungen, vor allen Dingen durch TTIP eine wichtige Chance, zur Sacharbeit zurückzu- Transparenz des Verfahrens, durch einen Schutzmecha- kehren und gegenseitiges Vertrauen wieder aufzubauen. nismus gegen ungerechtfertigte Klagen und auch durch Dabei müssen wir Partner auf Augenhöhe sein, meine die Schaffung einer Revisionsinstanz. Damen und Herren. Meine Damen und Herren, ich versuche, die Zeit ein- Die gemeinsamen Werte, die ich bereits angesprochen zuhalten. Ich habe noch eine knappe Minute. Deswegen habe, und die gemeinsamen Interessen mit den Amerika- komme ich zum Schluss. Ich möchte noch einmal, wie nern bilden dabei ein stabiles und belastbares Funda- der Kollege Wiese es getan hat, darauf hinweisen, dass ment. Uns verbinden nicht nur gemeinsame historische wir es bei CETA und bei TTIP mit gemischten Abkom- Erfahrungen, sondern auch die gemeinsamen Werte und men zu tun haben. Deswegen müssen wir alle dafür Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4931

Peter Beyer (A) kämpfen – ich appelliere insbesondere an die Adresse Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches (C) der Europäischen Kommission, der scheidenden wie der bisher nicht an der zweiten namentlichen Abstimmung neuen –, dass die 28 nationalen Parlamente der Europäi- teilgenommen hat und dies noch tun will? – Haben alle schen Union zustimmen müssen, dass sie ratifizieren Mitglieder des Hauses an der zweiten namentlichen Ab- müssen, dass wir nicht außen vor sind. Das muss uns ein stimmung teilgenommen? – Ich schließe die Abstim- wichtiges Anliegen sein, meine Damen und Herren. Des- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wegen appelliere ich an Sie: Seien Sie für TTIP; das ist mit der Auszählung zu beginnen. etwas Gutes für die Menschen in diesem Lande. Die Chance, die uns gerade jetzt geboten wird, dies auch tat- Wir kommen zum Zusatzpunkt 3: Abstimmung über kräftig, positiv, konstruktiv zu begleiten, sollten wir nut- die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- zen. Wir sollten nicht fragen: „Warum gerade jetzt?“, schaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bünd- sondern sagen: Gerade jetzt! nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne“. Der Ausschuss Vielen Dank. empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/2646, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Grünen auf Drucksache 18/1458 abzulehnen. Wir stim- neten der SPD) men nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Vizepräsidentin : Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Ich schließe die Aussprache. Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentli- Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte che Abstimmung. Es geht um die Beschlussempfehlung ich darauf hinweisen, dass wir jetzt drei namentliche Ab- zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. stimmungen nacheinander durchführen werden. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Wir kommen zu den Abstimmungen über die beiden Stimme zur dritten namentlichen Abstimmung nicht ab- Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke, zu denen gegeben hat? Ich mache darauf aufmerksam, dass die jeweils namentliche Abstimmung verlangt wurde, und Auszählung der Stimmen der ersten und zweiten na- beginnen mit dem Entschließungsantrag auf Drucksache mentlichen Abstimmung schon begonnen hat. Wir kön- 18/2612. nen also zu diesen Abstimmungen keine Stimmen mehr entgegennehmen. Ich möchte jetzt wissen, wer an der Zu dieser namentlichen Abstimmung wie auch zu den dritten namentlichen Abstimmung noch teilnehmen beiden folgenden namentlichen Abstimmungen liegt mir will. – Ich schließe die Abstimmung und bitte die eine große Anzahl an Erklärungen nach § 31 unserer Ge- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- (B) (D) schäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln neh- lung zu beginnen. men wir diese ins Protokoll auf.1) Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die werden Ihnen später bekannt gegeben.2) vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass gestern Abend viele Liebe Kollegen, da wir jetzt gleich weitere Abstim- Schriftführerinnen und Schriftführer mit dem Präsidium mungen vorzunehmen haben, bitte ich Sie, uns zu er- des Deutschen Bundestages über die Organisation der möglichen, die Abstimmungsergebnisse auch festzustel- Arbeit beraten haben. Dabei haben wir uns auch darauf len. Dazu gehört, dass jeder, der hier am weiteren geeinigt, dass bei Aufruf einer namentlichen Abstim- Betrieb teilnehmen möchte, sich bitte einen Sitzplatz mung an jeder Abstimmungsurne ein Schriftführer der wählt. Es sind nach unserem Überblick genügend Plätze Oppositionsfraktionen und ein Schriftführer der die Ko- vorhanden. – Liebe Kollegen, ich gestehe, dass ich mich alition tragenden Fraktionen anwesend sind. Das scheint im Moment von Ihnen nicht ernst genommen fühle. Wir mir im Moment aber noch nicht der Fall zu sein. Auch werden nicht fortfahren, bevor wir nicht die notwendige hier vorne fehlen noch Schriftführer. – Sind alle Urnen Ordnung im Saal hergestellt haben. Dazu gehört, dass besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die erste namentli- diejenigen, die an den weiteren Verhandlungen teilneh- che Abstimmung. Es geht um den Entschließungsantrag men und die nachfolgenden Abstimmungen mit bestrei- auf Drucksache 18/2612. ten wollen, sich bitte in den Reihen ihrer Fraktion oder einer Fraktion ihrer Wahl einen Sitzplatz suchen. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Ich schließe die Abstim- Der guten Ordnung halber stelle ich noch einmal fest, mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dass Ihnen die Ergebnisse der drei namentlichen Abstim- mit der Auszählung zu beginnen. mungen, die wir gerade absolviert haben, später bekannt gegeben werden. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611 namentlich Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion Die ab. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ih- Linke auf Drucksache 18/2604 mit dem Titel „Freihan- ren Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite na- delsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA zu- mentliche Abstimmung. Es geht um den Entschließungs- rückweisen“. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstim- antrag auf Drucksache 18/2611. mung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und

1) Anlagen 2 bis 12 2) Ergebnis Seite 4933 D, 4936 A, 4938 B 4932 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an Überweisungsvorschlag: (C) den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitbera- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) tend an den Finanzausschuss, an den Ausschuss für Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Recht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für für die Angelegenheiten der Europäischen Union. die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer minister der Justiz, Heiko Maas. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Überweisung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der CDU/CSU) der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so be- schlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- Drucksache 18/2604 nicht in der Sache ab. braucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über Damen und Herren! Im Dezember 2012 musste das OLG den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Koblenz einen Lehrer, der eine 14-jährige Schülerin ver- Drucksache 18/2620 mit dem Titel „Keine Klageprivile- führt hatte, vom Vorwurf des Missbrauchs von Schutz- gien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen“. befohlenen freisprechen. Er hatte sich gezielt an das Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstim- Mädchen herangemacht und es über fünf Monate zum mung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und Sex gedrängt. Trotzdem: Der Mann konnte nicht verur- der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend teilt werden. Der Grund: Er unterrichtete in der Klasse an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitbe- des Mädchens nicht regelmäßig, sondern er war nur Ver- ratend an den Finanzausschuss, an den Ausschuss für tretungslehrer. Deshalb bestand kein sogenanntes Ob- Recht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss hutsverhältnis zu der Neuntklässlerin. Diese Schutzlücke für die Angelegenheiten der Europäischen Union. wollen wir heute mit diesem Gesetz schließen. Niemand soll seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchen Wir stimmen nach ständiger Übung auch hier zuerst dürfen, egal ob er Klassenlehrer ist oder nur vertretungs- über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich weise unterrichtet. Das wird durch dieses Gesetz jetzt frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überwei- auch gewährleistet. sung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – (B) Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koali- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke so beschlossen. Wir verlängern des Weiteren die Verjährungsfristen Wir stimmen damit heute nicht über den Antrag auf beim sexuellen Missbrauch. Denken Sie an die Vor- Drucksache 18/2620 in der Sache ab. würfe, die im Zusammenhang mit der Odenwaldschule oder auch kirchlichen Organisationen bekannt geworden Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den Zusatz- sind. Ein Großteil der Taten war und ist bereits verjährt. punkt 4 auf: Wir wissen heute von den Opfern, dass diese ihr Leid verdrängen, um überhaupt ein normales Leben führen zu 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der können. CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei- nes … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- Opfer brauchen Zeit – oftmals sehr viel Zeit –, um buches – Umsetzung europäischer Vorgaben den Mut zu fassen, sich zu äußern. In Zukunft soll des- zum Sexualstrafrecht halb die Verjährung erst mit dem 30. Lebensjahr des Op- fers beginnen. Bei schweren Missbrauchsfällen tritt die Drucksache 18/2601 Verjährung erst mit dem 50. Lebensjahr des Opfers ein. Täter dürfen nicht länger davon profitieren, dass die Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) grausamen Folgen ihrer Tat, nämlich die Traumatisie- Auswärtiger Ausschuss rung der Opfer, die Täter auch noch vor Strafverfolgung Innenausschuss schützen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wichtig ist bei diesem Gesetzentwurf auch, dass wir Ausschuss Digitale Agenda den Katalog der Auslandsstraftaten erweitern. Wenn ein Deutscher, der in Thailand lebt, dort einen sexuellen ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Missbrauch begeht, was leider noch viel zu häufig der Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea Fall ist, dann kommt es für die Strafbarkeit nach deut- Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion schem Recht in einigen Fällen darauf an, ob das Opfer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seine Lebensgrundlage in Deutschland hat oder nicht. Kinder schützen – Prävention stärken Das Unrecht einer solchen Tat hängt aber ganz sicher nicht davon ab, ob ein Kind die deutsche Staatsbürger- Drucksache 18/2619 schaft hat oder nicht. Der Missbrauch eines jeden Kindes Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4933

Bundesminister Heiko Maas (A) durch einen Deutschen muss bestraft werden. Die bisher Zweitens. Es muss auch niemand befürchten, dass es (C) geltende Regelung werden wir jetzt ändern. in Zukunft eine Flut von Ermittlungen geben wird. (Beifall im ganzen Hause) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) Wir schützen zukünftig insbesondere Kinder davor, Dieser Straftatbestand ist ein Antragsdelikt. Das heißt, dass von ihnen Nacktbilder, zum Beispiel im Internet, die Staatsanwaltschaft wird in der Regel nicht von sich verbreitet werden. Niemand soll in Zukunft ungestraft aus aktiv werden, sondern nur auf Antrag. mit den nackten Körpern von Kindern Geschäfte machen können. Bislang waren nur Bilder strafbar, die Kinder in Drittens. Es ist nichts unbefugt – auch das sei in aller unnatürlicher, geschlechtsbetonter Haltung zeigten, die Deutlichkeit gesagt –, was etwa vom Presserecht oder sogenannten Posingbilder. Diese Strafvorschriften wer- von der vom Grundgesetz garantierten Pressefreiheit ab- den seit vielen Jahren von Pädophilennetzwerken gezielt gedeckt ist. Die Presse kann und darf selbstverständlich umgangen. Es gibt mittlerweile ganze Magazine und In- auch in Zukunft von Prominenten unvorteilhafte Bilder ternetseiten, die diese Schutzlücke ganz gezielt ausnut- schießen und sie abdrucken. Sie handelt nämlich in sol- zen. Es werden dann Nacktbilder von Kindern verbreitet chen Fällen nicht unbefugt, sondern sie nimmt eine und gehandelt, die scheinbar keinen sexuellen Bezug ha- wichtige Gemeinschaftsaufgabe wahr. Ihre Freiheit wird ben. Auch das ist, finde ich, strafwürdig. Mit den nack- durch diese Vorschriften in keiner Weise eingeschränkt. ten Körpern von Kindern sollen nicht mehr ungestraft Mit dem Gesetzentwurf ziehen wir auch die Konse- Geschäfte gemacht werden. Deshalb werden wir diese quenz aus dem technischen Wandel, der sich in den letz- Schutzlücke ebenso schließen. ten Jahren ergeben hat. Digitalfotos können heute mit ei- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nem Klick weltweit im Internet verbreitet werden. bei Abgeordneten der LINKEN) Manche Handyfotos werden sogar automatisch im Netz gespeichert. Wenn solche Fotos erst einmal veröffent- Eine weitere Schutzlücke, die wir mit diesem Gesetz licht sind, kriegt man sie aus dem Internet kaum noch schließen, ist die beim Cybermobbing. Welch schreckli- heraus. Sie bleiben über Jahre zugänglich, und dies zu- che Konsequenzen so etwas haben kann, zeigt das Bei- lasten von Kindern, Heranwachsenden und auch erwach- spiel eines jungen Mädchens namens Amanda. Sie war senen Personen. zwölf Jahre alt, als ein peinliches Foto von ihr entstand, das sie halbnackt zeigte. Es wurde im Internet verbreitet Deshalb meine ich, Kinder haben ein Recht darauf, und war Anlass für jahrelanges Cybermobbing durch dass sie dagegen geschützt werden. Und die technische ihre Mitschüler. Es folgten Schulwechsel, Selbstverlet- Entwicklung macht es notwendig, dass der Schutz unse- zungen und ein gescheiterter Suizidversuch. Ende 2012, rer Kinder früher einsetzt, als das bisher der Fall gewe- (B) (D) im Alter von 15 Jahren, gelang es Amanda, sich das Le- sen ist. Ja, wir erwarten mehr Sorgfalt und Verantwor- ben zu nehmen. Solche Schicksale dürfen uns nicht tungsbewusstsein von allen im Umgang mit Kindern und gleichgültig lassen. Mit diesem Gesetz sorgen wir auch ihren Rechten. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt. dafür, dass gegen Cybermobbing besser vorgegangen werden kann. Das ist alles andere als ein Kavaliersdelikt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Ich will aber auch ganz klar sagen, dass viele Be- fürchtungen, die in den letzten Tagen im Hinblick auf Vizepräsidentin Petra Pau: die Vorlagen, die wir heute einbringen, geäußert worden Ich korrigiere: Das war natürlich der Bundesminister sind, nicht gerechtfertigt sind: der Justiz und für Verbraucherschutz, damit das vollstän- dig festgehalten wird. Erstens. Wir kriminalisieren nichts, was sozial völlig üblich ist. Auch in Zukunft dürfen Eltern ihre Kinder Bevor wir mit der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen nackt beim Planschen im Urlaub am See fotografieren. die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- Sie erfüllen schon den entsprechenden Tatbestand nicht; telten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen denn sie handeln nicht unbefugt. Ich will in Bezug auf bekannt. das eine oder andere, was ich in den letzten Tagen gele- Erste namentliche Abstimmung zum Entschließungs- sen habe, was zukünftig auf Kindergeburtstagen oder antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2612 Kindergartenfesten nicht mehr möglich sein soll, hinzu- zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die fügen: Bei manchen, die diese Kritik verfasst haben, Große Anfrage der Fraktion Die Linke „Soziale, ökolo- habe ich wirklich den Eindruck, dass sie schon lange gische, ökonomische und politische Effekte des EU- nicht mehr auf einem Kindergeburtstag oder in einem USA Freihandelsabkommens“: abgegebene Stimmen Kindergarten gewesen sind. Die Lebenswirklichkeit ist 586. Mit Ja haben 114 Kolleginnen und Kollegen ge- eine völlig andere. stimmt, mit Nein 466, 6 haben sich enthalten. Der Ent- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schließungsantrag ist damit abgelehnt. 4934 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Endgültiges Ergebnis BÜNDNIS 90/ Thomas Bareiß (C) Abgegebene Stimmen: 585; DIE GRÜNEN Norbert Barthle Julia Bartz Dr. davon Günter Baumann ja: 113 Kerstin Andreae Mark Hauptmann Annalena Baerbock nein: 466 (Börde) Dr. Stefan Heck Marieluise Beck (Bremen) enthalten: 6 Dr. Matthias Heider Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Ja Agnieszka Brugger Dr. André Berghegger Ekin Deligöz Dr. (Chemnitz) DIE LINKE Katja Dörner Mark Helfrich Peter Beyer Uda Heller Dr. Katharina Dröge Harald Ebner Jörg Hellmuth Herbert Behrens Karin Binder Matthias Gastel Matthias W. Birkwald Ansgar Heveling Anja Hajduk Britta Haßelmann Christine Buchholz Klaus Brähmig Eva Bulling-Schröter Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Michael Brand Dr. Dr. Reinhard Brandl Robert Hochbaum Dr. Alexander Hoffmann Klaus Ernst Katja Keul Dr. Karl Holmeier Wolfgang Gehrcke Sven-Christian Kindler Franz-Josef Holzenkamp Maria Klein-Schmeink Ralph Brinkhaus Dr. Diana Golze Tom Koenigs Cajus Caesar Bettina Hornhues Dr. Sylvia Kotting-Uhl Charles M. Huber Dr. André Hahn Alexandra Dinges-Dierig Anette Hübinger Heike Hänsel Stephan Kühn (Dresden) Michael Donth Hubert Hüppe Dr. Christian Kühn (Tübingen) Inge Höger Renate Künast Thomas Dörflinger Andrej Hunko Markus Kurth Marie-Luise Dött Sigrid Hupach Hansjörg Durz Sylvia Jörrißen Ulla Jelpke Steffi Lemke Jutta Eckenbach Susanna Karawanskij Dr. Dr. Bernd Fabritius Dr. Nicole Maisch Hermann Färber (B) Peter Meiwald Bartholomäus Kalb (D) Dr. Hans-Werner Kammer Katrin Kunert Beate Müller-Gemmeke Enak Ferlemann Steffen Kampeter Caren Lay Özcan Mutlu Ingrid Fischbach Steffen Kanitz Sabine Leidig Dr. Konstantin von Notz Dirk Fischer (Hamburg) Ralph Lenkert Axel E. Fischer (Karlsruhe- Brigitte Pothmer Land) Bernhard Kaster Dr. Gesine Lötzsch Tabea Rößner Dr. Volker Kauder Thomas Lutze Claudia Roth (Augsburg) Thorsten Frei Dr. Stefan Kaufmann Cornelia Möhring Corinna Rüffer Dr. Manuel Sarrazin Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Dr. Alexander S. Neu Elisabeth Scharfenberg (Hof) Thomas Nord Jürgen Klimke Petra Pau Dr. Gerhard Schick Hans-Joachim Fuchtel (Havelland) Dr. Alexander Funk Richard Pitterle Kordula Schulz-Asche Ingo Gädechens Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Carsten Körber Michael Schlecht Kuhn Hartmut Koschyk Dr. Petra Sitte Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Dr. Josef Göppel Azize Tank Jürgen Trittin Rüdiger Kruse Frank Tempel Dr. Ursula Groden-Kranich Dr. Axel Troost Doris Wagner Hermann Gröhe Dr. Roy Kühne Alexander Ulrich Beate Walter-Rosenheimer Klaus-Dieter Gröhler Günter Lach Kathrin Vogler Michael Grosse-Brömer Uwe Lagosky Dr. Sahra Wagenknecht Astrid Grotelüschen Dr. Karl A. Lamers Halina Wawzyniak Nein Markus Grübel Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert CDU/CSU Birgit Wöllert Monika Grütters Ulrich Lange Jörn Wunderlich Katrin Albsteiger Dr. Barbara Lanzinger Hubertus Zdebel Fritz Güntzler Dr. Silke Launert Artur Auernhammer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4935

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Anja Weisgerber Ulrike Gottschalck (C) Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Kerstin Griese Dr. Gabriele Groneberg Philipp Graf Lerchenfeld Norbert Schindler Karl-Georg Wellmann Michael Groß Tankred Schipanski Uli Grötsch Heiko Schmelzle Waldemar Westermayer Wolfgang Gunkel Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Bettina Hagedorn Andrea Lindholz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Peter Wichtel Metin Hakverdi Dr. Heinz Wiese (Ehingen) Ulrich Hampel Dr. Klaus-Peter Willsch Sebastian Hartmann Wilfried Lorenz Nadine Schön (St. Wendel) Elisabeth Winkelmeier- Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Ole Schröder Becker Hubertus Heil (Peine) Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Kristina Schröder Gabriela Heinrich Daniela Ludwig (Wiesbaden) Dagmar G. Wöhrl Marcus Held Karin Maag Bernhard Schulte-Drüggelte Barbara Woltmann Dr. Klaus-Peter Schulze Heidtrud Henn Thomas Mahlberg Heinrich Zertik Gustav Herzog Dr. Thomas de Maizière (Weil am Emmi Zeulner Gabriele Hiller-Ohm Rhein) Dr. Petra Hinz (Essen) Christina Schwarzer Gudrun Zollner Hans-Georg von der Marwitz Detlef Seif Dr. Eva Högl SPD Matthias Ilgen (Altötting) Niels Annen Christina Jantz Reiner Meier Dr. Ingrid Arndt-Brauer Frank Junge Dr. Bernd Siebert Dr. Angela Merkel Heike Baehrens Johannes Kahrs Ulrike Bahr Christina Kampmann Heinz-Joachim Barchmann Ralf Kapschack Dr. Mathias Middelberg Dr. Katarina Barley Gabriele Katzmarek Philipp Mißfelder Dr. Dr. Hans-Peter Bartels Ulrich Kelber Dr. Marina Kermer Karsten Möring Dr. Cansel Kiziltepe Sören Bartol Bärbel Bas (B) Carsten Müller Sebastian Steineke Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dr. Bärbel Kofler (D) (Braunschweig) Daniela Kolbe Stefan Müller (Erlangen) Christian Freiherr von Stetten Lothar Binding (Heidelberg) Birgit Kömpel Dr. Dieter Stier Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Rita Stockhofe Dr. Karl-Heinz Brunner Christian Lange (Backnang) Helmut Nowak Dr. Dr. Georg Nüßlein Max Straubinger Martin Burkert Steffen-Claudio Lemme Matthäus Strebl Dr. Lars Castellucci Florian Oßner Petra Crone Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Tim Ostermann Thomas Stritzl Hiltrud Lotze Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Kirsten Lühmann Lena Strothmann Sabine Dittmar Caren Marks Michael Stübgen Martin Dörmann Katja Mast Dr. Sabine Sütterlin-Waack Elvira Drobinski-Weiß Hilde Mattheis Dr. Martin Pätzold Dr. Peter Tauber Siegmund Ehrmann Dr. Matthias Miersch Ulrich Petzold Antje Tillmann Michaela Engelmeier Klaus Mindrup Dr. Joachim Pfeiffer Astrid Timmermann-Fechter Dr. h. c. Gernot Erler Sibylle Pfeiffer Dr. Hans-Peter Uhl Petra Ernstberger Bettina Müller Dr. Volker Ullrich Saskia Esken Michelle Müntefering Karin Evers-Meyer Dr. Rolf Mützenich Dr. Johannes Fechner Ulli Nissen Alexander Radwan Dr. Thomas Oppermann Alois Rainer Michael Vietz Elke Ferner Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. (Kleinsaara) Dr. Ute Finckh-Krämer Aydan Özoğuz Sven Volmering Christian Flisek Markus Paschke Christel Voßbeck-Kayser Gabriele Fograscher Dr. Jeannine Pflugradt Dr. Dr. Johann Wadephul Ulrich Freese Detlev Pilger Johannes Röring Dagmar Freitag Sabine Poschmann Dr. Norbert Röttgen Sigmar Gabriel Joachim Poß Erwin Rüddel Michael Gerdes Martin Gerster (Minden) Anita Schäfer (Saalstadt) (Hamburg) Iris Gleicke Dr. Wilhelm Priesmeier 4936 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Axel Schäfer (Bochum) (C) Dr. Sascha Raabe Dr. Nina Scheer Peer Steinbrück Dr. Simone Raatz Marianne Schieder Kerstin Tack Enthalten Udo Schiefner Claudia Tausend Mechthild Rawert Dr. Dorothee Schlegel Michael Thews CDU/CSU Stefan Rebmann (Aachen) Franz Thönnes Gerold Reichenbach Matthias Schmidt (Berlin) Wolfgang Tiefensee Dr. Dr. Carola Reimann (Wetzlar) Carsten Träger Andreas Rimkus Carsten Schneider (Erfurt) Ute Vogt SPD Sönke Rix Ursula Schulte Dirk Vöpel Marco Bülow Swen Schulz (Spandau) Gabi Weber Dr. Martin Rosemann Ewald Schurer Bernd Westphal BÜNDNIS 90/ René Röspel Andrea Wicklein DIE GRÜNEN Dr. Ernst Dieter Rossmann Stefan Schwartze Dirk Wiese Michael Roth (Heringen) Waltraud Wolff Dr. Thomas Gambke Susann Rüthrich Rita Schwarzelühr-Sutter (Wolmirstedt) Bernd Rützel Dr. Gülistan Yüksel Cem Özdemir Johann Saathoff Dagmar Ziegler Dr. Valerie Wilms Annette Sawade Norbert Spinrath Stefan Zierke Dr. Hans-Joachim Dr. Jens Zimmermann Schabedoth Martina Stamm-Fibich Manfred Zöllmer

Zweite namentliche Abstimmung zum Entschließungs- mens“: Daran haben 576 Kolleginnen und Kollegen teil- antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611 genommen. Mit Ja haben 110 gestimmt, mit Nein 460, zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die und 6 haben sich enthalten. Der Entschließungsantrag ist Große Anfrage „Soziale, ökologische, ökonomische und abgelehnt. politische Effekte des EU-USA Freihandelsabkom-

(B) (D) Endgültiges Ergebnis Susanna Karawanskij Hubertus Zdebel Markus Kurth Abgegebene Stimmen: 578; Kerstin Kassner Pia Zimmermann Monika Lazar davon Katja Kipping Steffi Lemke Jutta Krellmann BÜNDNIS 90/ ja: 112 Dr. Tobias Lindner Katrin Kunert DIE GRÜNEN Nicole Maisch nein: 460 Caren Lay Luise Amtsberg Peter Meiwald enthalten: 6 Sabine Leidig Kerstin Andreae Ralph Lenkert Irene Mihalic Annalena Baerbock Beate Müller-Gemmeke Ja Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Marieluise Beck (Bremen) Özcan Mutlu Cornelia Möhring Volker Beck (Köln) Dr. Konstantin von Notz DIE LINKE Dr. Franziska Brantner Niema Movassat Lisa Paus Agnieszka Brugger Dr. Dietmar Bartsch Dr. Alexander S. Neu Brigitte Pothmer Herbert Behrens Ekin Deligöz Thomas Nord Tabea Rößner Karin Binder Katja Dörner Petra Pau Claudia Roth (Augsburg) Matthias W. Birkwald Harald Petzold (Havelland) Katharina Dröge Corinna Rüffer Heidrun Bluhm Richard Pitterle Harald Ebner Christine Buchholz Martina Renner Matthias Gastel Manuel Sarrazin Eva Bulling-Schröter Michael Schlecht Kai Gehring Elisabeth Scharfenberg Roland Claus Dr. Petra Sitte Anja Hajduk Ulle Schauws Dr. Diether Dehm Kersten Steinke Britta Haßelmann Dr. Gerhard Schick Klaus Ernst Dr. Kirsten Tackmann Dr. Anton Hofreiter Dr. Frithjof Schmidt Wolfgang Gehrcke Azize Tank Bärbel Höhn Kordula Schulz-Asche Nicole Gohlke Frank Tempel Uwe Kekeritz Dr. Wolfgang Strengmann- Diana Golze Dr. Axel Troost Katja Keul Kuhn Sven-Christian Kindler Dr. Gregor Gysi Alexander Ulrich Hans-Christian Ströbele Dr. André Hahn Kathrin Vogler Maria Klein-Schmeink Dr. Harald Terpe Heike Hänsel Dr. Sahra Wagenknecht Tom Koenigs Dr. Rosemarie Hein Halina Wawzyniak Sylvia Kotting-Uhl Markus Tressel Inge Höger Harald Weinberg Oliver Krischer Jürgen Trittin Andrej Hunko Katrin Werner Stephan Kühn (Dresden) Dr. Julia Verlinden Sigrid Hupach Birgit Wöllert Christian Kühn (Tübingen) Doris Wagner Ulla Jelpke Jörn Wunderlich Renate Künast Beate Walter-Rosenheimer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4937

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Nein Markus Grübel Andreas G. Lämmel Dr. Heinz Riesenhuber (C) Manfred Grund Dr. Norbert Lammert Johannes Röring CDU/CSU Oliver Grundmann Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen Monika Grütters Ulrich Lange Erwin Rüddel Stephan Albani Dr. Herlind Gundelach Barbara Lanzinger Albert Rupprecht Katrin Albsteiger Fritz Güntzler Dr. Silke Launert Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Altmaier Artur Auernhammer Olav Gutting Paul Lehrieder Dr. Wolfgang Schäuble Thomas Bareiß Christian Haase Dr. Katja Leikert Karl Schiewerling Norbert Barthle Florian Hahn Dr. Philipp Lengsfeld Jana Schimke Julia Bartz Dr. Stephan Harbarth Philipp Graf Lerchenfeld Norbert Schindler Günter Baumann Matthias Hauer Antje Lezius Tankred Schipanski Maik Beermann Mark Hauptmann Ingbert Liebing Heiko Schmelzle Manfred Behrens (Börde) Dr. Stefan Heck Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Veronika Bellmann Dr. Matthias Heider Andrea Lindholz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Sybille Benning Helmut Heiderich Dr. Carsten Linnemann Patrick Schnieder Dr. André Berghegger Mechthild Heil Patricia Lips Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Christoph Bergner Frank Heinrich (Chemnitz) Wilfried Lorenz Nadine Schön (St. Wendel) Ute Bertram Mark Helfrich Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Ole Schröder Peter Beyer Uda Heller Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Kristina Schröder Steffen Bilger Jörg Hellmuth Daniela Ludwig (Wiesbaden) Clemens Binninger Rudolf Henke Karin Maag Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Bleser Michael Hennrich Yvonne Magwas Dr. Klaus-Peter Schulze Wolfgang Bosbach Ansgar Heveling Thomas Mahlberg Uwe Schummer Norbert Brackmann Peter Hintze Dr. Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am Klaus Brähmig Christian Hirte Gisela Manderla Rhein) Michael Brand Dr. Heribert Hirte Matern von Marschall Christina Schwarzer Dr. Reinhard Brandl Robert Hochbaum Hans-Georg von der Marwitz Detlef Seif Helmut Brandt Alexander Hoffmann Andreas Mattfeldt Johannes Selle Dr. Ralf Brauksiepe Karl Holmeier Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Heike Brehmer Franz-Josef Holzenkamp Reiner Meier Dr. Patrick Sensburg Ralph Brinkhaus Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Michael Meister Bernd Siebert Cajus Caesar Bettina Hornhues Dr. Angela Merkel Thomas Silberhorn Gitta Connemann Charles M. Huber Jan Metzler Johannes Singhammer Alexandra Dinges-Dierig Anette Hübinger Maria Michalk Tino Sorge (B) Michael Donth Hubert Hüppe Dr. Mathias Middelberg Jens Spahn (D) Thomas Dörflinger Erich Irlstorfer Philipp Mißfelder Dr. Frank Steffel Marie-Luise Dött Thomas Jarzombek Dietrich Monstadt Dr. Wolfgang Stefinger Hansjörg Durz Sylvia Jörrißen Karsten Möring Albert Stegemann Jutta Eckenbach Andreas Jung Marlene Mortler Peter Stein Dr. Bernd Fabritius Dr. Franz Josef Jung Elisabeth Motschmann Erika Steinbach Hermann Färber Xaver Jung Carsten Müller Sebastian Steineke Uwe Feiler Bartholomäus Kalb (Braunschweig) Johannes Steiniger Dr. Thomas Feist Hans-Werner Kammer Stefan Müller (Erlangen) Christian Freiherr von Stetten Enak Ferlemann Steffen Kampeter Dr. Philipp Murmann Dieter Stier Ingrid Fischbach Steffen Kanitz Dr. Andreas Nick Rita Stockhofe Dirk Fischer (Hamburg) Alois Karl Michaela Noll Gero Storjohann Axel E. Fischer (Karlsruhe- Anja Karliczek Helmut Nowak Stephan Stracke Land) Bernhard Kaster Dr. Georg Nüßlein Max Straubinger Dr. Maria Flachsbarth Volker Kauder Wilfried Oellers Matthäus Strebl Thorsten Frei Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Karin Strenz Dr. Astrid Freudenstein Roderich Kiesewetter Dr. Tim Ostermann Thomas Stritzl Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Georg Kippels Henning Otte Thomas Strobl (Heilbronn) (Hof) Volkmar Klein Ingrid Pahlmann Lena Strothmann Michael Frieser Jürgen Klimke Sylvia Pantel Michael Stübgen Hans-Joachim Fuchtel Axel Knoerig Martin Patzelt Dr. Sabine Sütterlin-Waack Alexander Funk Jens Koeppen Dr. Martin Pätzold Dr. Peter Tauber Ingo Gädechens Markus Koob Ulrich Petzold Antje Tillmann Dr. Thomas Gebhart Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Astrid Timmermann-Fechter Alois Gerig Hartmut Koschyk Sibylle Pfeiffer Dr. Hans-Peter Uhl Eberhard Gienger Kordula Kovac Ronald Pofalla Dr. Volker Ullrich Cemile Giousouf Michael Kretschmer Eckhard Pols Arnold Vaatz Josef Göppel Gunther Krichbaum Thomas Rachel Oswin Veith Reinhard Grindel Rüdiger Kruse Alexander Radwan Thomas Viesehon Ursula Groden-Kranich Bettina Kudla Alois Rainer Michael Vietz Hermann Gröhe Dr. Roy Kühne Dr. Peter Ramsauer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Klaus-Dieter Gröhler Günter Lach Eckhardt Rehberg Sven Volmering Michael Grosse-Brömer Uwe Lagosky Lothar Riebsamen Christel Voßbeck-Kayser Astrid Grotelüschen Dr. Karl A. Lamers Josef Rief Kees de Vries 4938 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Johann Wadephul Dr. h. c. Gernot Erler Christian Lange (Backnang) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (C) Marco Wanderwitz Petra Ernstberger Dr. Karl Lauterbach Carsten Schneider (Erfurt) Nina Warken Saskia Esken Steffen-Claudio Lemme Ursula Schulte Kai Wegner Karin Evers-Meyer Burkhard Lischka Swen Schulz (Spandau) Albert Weiler Dr. Johannes Fechner Gabriele Lösekrug-Möller Ewald Schurer Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Fritz Felgentreu Hiltrud Lotze Frank Schwabe Dr. Anja Weisgerber Elke Ferner Kirsten Lühmann Stefan Schwartze Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Ute Finckh-Krämer Caren Marks Andreas Schwarz Ingo Wellenreuther Christian Flisek Katja Mast Rita Schwarzelühr-Sutter Karl-Georg Wellmann Gabriele Fograscher Hilde Mattheis Dr. Carsten Sieling Dr. Edgar Franke Dr. Matthias Miersch Marian Wendt Rainer Spiering Ulrich Freese Klaus Mindrup Waldemar Westermayer Norbert Spinrath Kai Whittaker Dagmar Freitag Susanne Mittag Svenja Stadler Peter Wichtel Sigmar Gabriel Bettina Müller Martina Stamm-Fibich Heinz Wiese (Ehingen) Michael Gerdes Michelle Müntefering Sonja Steffen Klaus-Peter Willsch Martin Gerster Dr. Rolf Mützenich Elisabeth Winkelmeier- Iris Gleicke Ulli Nissen Peer Steinbrück Becker Ulrike Gottschalck Thomas Oppermann Kerstin Tack Oliver Wittke Kerstin Griese Mahmut Özdemir (Duisburg) Claudia Tausend Dagmar G. Wöhrl Gabriele Groneberg Aydan Özoğuz Michael Thews Barbara Woltmann Michael Groß Markus Paschke Franz Thönnes Tobias Zech Uli Grötsch Christian Petry Wolfgang Tiefensee Emmi Zeulner Wolfgang Gunkel Jeannine Pflugradt Carsten Träger Dr. Matthias Zimmer Bettina Hagedorn Detlev Pilger Ute Vogt Gudrun Zollner Metin Hakverdi Sabine Poschmann Dirk Vöpel Ulrich Hampel Joachim Poß Gabi Weber SPD Sebastian Hartmann Florian Post Bernd Westphal Dirk Heidenblut Achim Post (Minden) Andrea Wicklein Niels Annen Hubertus Heil (Peine) Dr. Wilhelm Priesmeier Ingrid Arndt-Brauer Dirk Wiese Gabriela Heinrich Florian Pronold Waltraud Wolff Rainer Arnold Marcus Held Dr. Sascha Raabe Heike Baehrens (Wolmirstedt) Wolfgang Hellmich Dr. Simone Raatz Gülistan Yüksel Ulrike Bahr Heidtrud Henn Martin Rabanus Dagmar Ziegler Heinz-Joachim Barchmann Gustav Herzog Mechthild Rawert Stefan Zierke Dr. Katarina Barley Gabriele Hiller-Ohm Stefan Rebmann Dr. Jens Zimmermann (B) Dr. Hans-Peter Bartels Petra Hinz (Essen) Gerold Reichenbach (D) Klaus Barthel Thomas Hitschler Dr. Carola Reimann Manfred Zöllmer Dr. Matthias Bartke Dr. Eva Högl Andreas Rimkus Brigitte Zypries Sören Bartol Matthias Ilgen Sönke Rix Bärbel Bas Christina Jantz Dennis Rohde Enthalten Sabine Bätzing-Lichtenthäler Frank Junge Dr. Martin Rosemann Dirk Becker Oliver Kaczmarek René Röspel CDU/CSU Lothar Binding (Heidelberg) Johannes Kahrs Dr. Ernst Dieter Rossmann Burkhard Blienert Christina Kampmann Michael Roth (Heringen) Dr. Peter Gauweiler Willi Brase Ralf Kapschack Susann Rüthrich Dr. Karl-Heinz Brunner Gabriele Katzmarek Bernd Rützel SPD Edelgard Bulmahn Ulrich Kelber Johann Saathoff Marco Bülow Martin Burkert Marina Kermer Annette Sawade Petra Crone Arno Klare Axel Schäfer (Bochum) BÜNDNIS 90/ Bernhard Daldrup Lars Klingbeil Dr. Nina Scheer DIE GRÜNEN Dr. Karamba Diaby Dr. Bärbel Kofler Marianne Schieder Sabine Dittmar Daniela Kolbe Udo Schiefner Dr. Thomas Gambke Martin Dörmann Birgit Kömpel Dr. Dorothee Schlegel Dieter Janecek Elvira Drobinski-Weiß Dr. Hans-Ulrich Krüger Ulla Schmidt (Aachen) Cem Özdemir Michaela Engelmeier Christine Lambrecht Matthias Schmidt (Berlin) Dr. Valerie Wilms

Dritte namentliche Abstimmung über die Beschluss- zerne“: Hieran haben 581 Kolleginnen und Kollegen teil- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie genommen. Mit Ja haben 460 gestimmt, mit Nein 119, zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 2 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist da- „Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Kon- mit angenommen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4939

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Endgültiges Ergebnis Cemile Giousouf Gunther Krichbaum Thomas Rachel (C) Abgegebene Stimmen: 583; Reinhard Grindel Rüdiger Kruse Alexander Radwan davon Ursula Groden-Kranich Bettina Kudla Alois Rainer Hermann Gröhe Dr. Roy Kühne Dr. Peter Ramsauer ja: 462 Klaus-Dieter Gröhler Günter Lach Eckhardt Rehberg nein: 119 Michael Grosse-Brömer Uwe Lagosky Lothar Riebsamen enthalten: 2 Astrid Grotelüschen Dr. Karl A. Lamers Josef Rief Markus Grübel Andreas G. Lämmel Dr. Heinz Riesenhuber Ja Manfred Grund Dr. Norbert Lammert Johannes Röring Oliver Grundmann Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU Monika Grütters Ulrich Lange Erwin Rüddel Dr. Herlind Gundelach Barbara Lanzinger Albert Rupprecht Stephan Albani Fritz Güntzler Dr. Silke Launert Anita Schäfer (Saalstadt) Katrin Albsteiger Olav Gutting Paul Lehrieder Dr. Wolfgang Schäuble Peter Altmaier Christian Haase Dr. Katja Leikert Karl Schiewerling Artur Auernhammer Florian Hahn Dr. Philipp Lengsfeld Jana Schimke Thomas Bareiß Dr. Stephan Harbarth Dr. Andreas Lenz Norbert Schindler Norbert Barthle Matthias Hauer Philipp Graf Lerchenfeld Tankred Schipanski Julia Bartz Mark Hauptmann Antje Lezius Heiko Schmelzle Günter Baumann Dr. Stefan Heck Ingbert Liebing Christian Schmidt (Fürth) Maik Beermann Dr. Matthias Heider Matthias Lietz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Manfred Behrens (Börde) Helmut Heiderich Andrea Lindholz Patrick Schnieder Veronika Bellmann Mechthild Heil Dr. Carsten Linnemann Dr. Andreas Schockenhoff Sybille Benning Frank Heinrich (Chemnitz) Patricia Lips Nadine Schön (St. Wendel) Dr. André Berghegger Mark Helfrich Wilfried Lorenz Dr. Ole Schröder Dr. Christoph Bergner Uda Heller Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Kristina Schröder Ute Bertram Jörg Hellmuth Dr. Jan-Marco Luczak (Wiesbaden) Peter Beyer Rudolf Henke Daniela Ludwig Bernhard Schulte-Drüggelte Steffen Bilger Michael Hennrich Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Clemens Binninger Ansgar Heveling Uwe Schummer Peter Bleser Yvonne Magwas Wolfgang Bosbach Peter Hintze Thomas Mahlberg Armin Schuster (Weil am Norbert Brackmann Christian Hirte Dr. Thomas de Maizière Rhein) Klaus Brähmig Dr. Heribert Hirte Gisela Manderla Christina Schwarzer Michael Brand Robert Hochbaum Matern von Marschall Detlef Seif (B) Dr. Reinhard Brandl Alexander Hoffmann Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle (D) Helmut Brandt Karl Holmeier Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker Dr. Ralf Brauksiepe Franz-Josef Holzenkamp Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg Heike Brehmer Dr. Hendrik Hoppenstedt Reiner Meier Bernd Siebert Ralph Brinkhaus Bettina Hornhues Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn Cajus Caesar Charles M. Huber Dr. Angela Merkel Johannes Singhammer Gitta Connemann Anette Hübinger Jan Metzler Tino Sorge Alexandra Dinges-Dierig Hubert Hüppe Maria Michalk Jens Spahn Michael Donth Erich Irlstorfer Dr. Mathias Middelberg Dr. Frank Steffel Thomas Dörflinger Thomas Jarzombek Philipp Mißfelder Dr. Wolfgang Stefinger Marie-Luise Dött Sylvia Jörrißen Dietrich Monstadt Albert Stegemann Hansjörg Durz Andreas Jung Karsten Möring Peter Stein Jutta Eckenbach Dr. Franz Josef Jung Marlene Mortler Erika Steinbach Dr. Bernd Fabritius Xaver Jung Elisabeth Motschmann Sebastian Steineke Hermann Färber Bartholomäus Kalb Carsten Müller Johannes Steiniger Uwe Feiler Hans-Werner Kammer (Braunschweig) Christian Freiherr von Stetten Dr. Thomas Feist Steffen Kampeter Stefan Müller (Erlangen) Dieter Stier Enak Ferlemann Steffen Kanitz Dr. Philipp Murmann Rita Stockhofe Ingrid Fischbach Alois Karl Dr. Andreas Nick Gero Storjohann Dirk Fischer (Hamburg) Anja Karliczek Michaela Noll Stephan Stracke Axel E. Fischer (Karlsruhe- Bernhard Kaster Helmut Nowak Max Straubinger Land) Volker Kauder Dr. Georg Nüßlein Matthäus Strebl Dr. Maria Flachsbarth Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Karin Strenz Thorsten Frei Roderich Kiesewetter Florian Oßner Thomas Stritzl Dr. Astrid Freudenstein Dr. Georg Kippels Dr. Tim Ostermann Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Hans-Peter Friedrich Volkmar Klein Henning Otte Lena Strothmann (Hof) Jürgen Klimke Ingrid Pahlmann Michael Stübgen Michael Frieser Axel Knoerig Sylvia Pantel Dr. Sabine Sütterlin-Waack Hans-Joachim Fuchtel Jens Koeppen Martin Patzelt Dr. Peter Tauber Alexander Funk Markus Koob Dr. Martin Pätzold Antje Tillmann Ingo Gädechens Carsten Körber Ulrich Petzold Astrid Timmermann-Fechter Dr. Thomas Gebhart Hartmut Koschyk Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Hans-Peter Uhl Alois Gerig Kordula Kovac Sibylle Pfeiffer Dr. Volker Ullrich Eberhard Gienger Michael Kretschmer Eckhard Pols Arnold Vaatz 4940 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Oswin Veith Dr. Fritz Felgentreu Thomas Oppermann Waltraud Wolff (C) Thomas Viesehon Elke Ferner Mahmut Özdemir (Duisburg) (Wolmirstedt) Michael Vietz Dr. Ute Finckh-Krämer Aydan Özoğuz Gülistan Yüksel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christian Flisek Markus Paschke Dagmar Ziegler Sven Volmering Gabriele Fograscher Christian Petry Stefan Zierke Christel Voßbeck-Kayser Dr. Edgar Franke Jeannine Pflugradt Dr. Jens Zimmermann Kees de Vries Ulrich Freese Detlev Pilger Manfred Zöllmer Dr. Johann Wadephul Dagmar Freitag Sabine Poschmann Brigitte Zypries Marco Wanderwitz Sigmar Gabriel Joachim Poß Nina Warken Michael Gerdes Florian Post Nein Kai Wegner Martin Gerster Achim Post (Minden) Albert Weiler Iris Gleicke Dr. Wilhelm Priesmeier SPD Marcus Weinberg (Hamburg) Ulrike Gottschalck Florian Pronold Dr. Anja Weisgerber Kerstin Griese Dr. Sascha Raabe Marco Bülow Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg Dr. Simone Raatz Claudia Tausend Ingo Wellenreuther Michael Groß Martin Rabanus DIE LINKE Karl-Georg Wellmann Uli Grötsch Mechthild Rawert Marian Wendt Wolfgang Gunkel Stefan Rebmann Dr. Dietmar Bartsch Waldemar Westermayer Bettina Hagedorn Gerold Reichenbach Herbert Behrens Kai Whittaker Metin Hakverdi Dr. Carola Reimann Karin Binder Peter Wichtel Ulrich Hampel Andreas Rimkus Matthias W. Birkwald Heinz Wiese (Ehingen) Sebastian Hartmann Sönke Rix Heidrun Bluhm Klaus-Peter Willsch Dirk Heidenblut Dennis Rohde Christine Buchholz Elisabeth Winkelmeier- Hubertus Heil (Peine) Dr. Martin Rosemann Eva Bulling-Schröter Becker Gabriela Heinrich René Röspel Roland Claus Oliver Wittke Marcus Held Dr. Diether Dehm Dagmar G. Wöhrl Dr. Ernst Dieter Rossmann Wolfgang Hellmich Michael Roth (Heringen) Klaus Ernst Barbara Woltmann Heidtrud Henn Wolfgang Gehrcke Tobias Zech Susann Rüthrich Gustav Herzog Bernd Rützel Nicole Gohlke Heinrich Zertik Gabriele Hiller-Ohm Johann Saathoff Diana Golze Emmi Zeulner Petra Hinz (Essen) Annette Sawade Dr. Gregor Gysi Dr. Matthias Zimmer Thomas Hitschler Dr. Hans-Joachim Dr. André Hahn Gudrun Zollner Dr. Eva Högl Schabedoth Heike Hänsel Matthias Ilgen Axel Schäfer (Bochum) Dr. Rosemarie Hein SPD Christina Jantz (B) Dr. Nina Scheer Inge Höger (D) Frank Junge Niels Annen Marianne Schieder Andrej Hunko Oliver Kaczmarek Ingrid Arndt-Brauer Udo Schiefner Sigrid Hupach Johannes Kahrs Rainer Arnold Dr. Dorothee Schlegel Ulla Jelpke Heike Baehrens Christina Kampmann Susanna Karawanskij Ralf Kapschack Ulla Schmidt (Aachen) Ulrike Bahr Matthias Schmidt (Berlin) Kerstin Kassner Gabriele Katzmarek Katja Kipping Heinz-Joachim Barchmann Dagmar Schmidt (Wetzlar) Ulrich Kelber Jutta Krellmann Dr. Katarina Barley Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Hans-Peter Bartels Marina Kermer Katrin Kunert Ursula Schulte Klaus Barthel Cansel Kiziltepe Caren Lay Swen Schulz (Spandau) Dr. Matthias Bartke Arno Klare Sabine Leidig Ewald Schurer Sören Bartol Lars Klingbeil Ralph Lenkert Frank Schwabe Bärbel Bas Dr. Bärbel Kofler Stefan Liebich Stefan Schwartze Sabine Bätzing-Lichtenthäler Daniela Kolbe Dr. Gesine Lötzsch Dirk Becker Birgit Kömpel Andreas Schwarz Thomas Lutze Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Hans-Ulrich Krüger Rita Schwarzelühr-Sutter Cornelia Möhring Burkhard Blienert Christine Lambrecht Dr. Carsten Sieling Niema Movassat Willi Brase Christian Lange (Backnang) Rainer Spiering Dr. Alexander S. Neu Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Karl Lauterbach Norbert Spinrath Thomas Nord Edelgard Bulmahn Steffen-Claudio Lemme Svenja Stadler Petra Pau Martin Burkert Burkhard Lischka Martina Stamm-Fibich Harald Petzold (Havelland) Dr. Lars Castellucci Gabriele Lösekrug-Möller Sonja Steffen Richard Pitterle Petra Crone Hiltrud Lotze Peer Steinbrück Martina Renner Bernhard Daldrup Kirsten Lühmann Kerstin Tack Michael Schlecht Dr. Karamba Diaby Caren Marks Michael Thews Dr. Petra Sitte Sabine Dittmar Katja Mast Franz Thönnes Kersten Steinke Martin Dörmann Hilde Mattheis Wolfgang Tiefensee Dr. Kirsten Tackmann Elvira Drobinski-Weiß Dr. Matthias Miersch Carsten Träger Azize Tank Michaela Engelmeier Klaus Mindrup Ute Vogt Frank Tempel Dr. h. c. Gernot Erler Susanne Mittag Dirk Vöpel Dr. Axel Troost Petra Ernstberger Bettina Müller Gabi Weber Alexander Ulrich Saskia Esken Michelle Müntefering Bernd Westphal Kathrin Vogler Karin Evers-Meyer Dr. Rolf Mützenich Andrea Wicklein Dr. Sahra Wagenknecht Dr. Johannes Fechner Ulli Nissen Dirk Wiese Halina Wawzyniak Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4941

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Harald Weinberg Harald Ebner Monika Lazar Kordula Schulz-Asche (C) Katrin Werner Dr. Thomas Gambke Steffi Lemke Dr. Wolfgang Strengmann- Birgit Wöllert Matthias Gastel Dr. Tobias Lindner Kuhn Jörn Wunderlich Kai Gehring Nicole Maisch Hans-Christian Ströbele Anja Hajduk Peter Meiwald Hubertus Zdebel Dr. Harald Terpe Pia Zimmermann Britta Haßelmann Irene Mihalic Dr. Anton Hofreiter Beate Müller-Gemmeke Markus Tressel BÜNDNIS 90/ Bärbel Höhn Özcan Mutlu Jürgen Trittin DIE GRÜNEN Dieter Janecek Dr. Konstantin von Notz Dr. Julia Verlinden Uwe Kekeritz Cem Özdemir Doris Wagner Luise Amtsberg Katja Keul Lisa Paus Beate Walter-Rosenheimer Kerstin Andreae Sven-Christian Kindler Brigitte Pothmer Dr. Valerie Wilms Annalena Baerbock Maria Klein-Schmeink Tabea Rößner Marieluise Beck (Bremen) Tom Koenigs Claudia Roth (Augsburg) Volker Beck (Köln) Sylvia Kotting-Uhl Corinna Rüffer Enthalten Dr. Franziska Brantner Oliver Krischer Manuel Sarrazin Agnieszka Brugger Stephan Kühn (Dresden) Elisabeth Scharfenberg CDU/CSU Ekin Deligöz Christian Kühn (Tübingen) Ulle Schauws Katja Dörner Renate Künast Dr. Gerhard Schick Dr. Peter Gauweiler Katharina Dröge Markus Kurth Dr. Frithjof Schmidt Josef Göppel

Wir kommen nun zurück zur Debatte zum Tagesord- fer, auch noch zu einem recht späten Zeitpunkt eine nungspunkt 5. Das Wort hat die Kollegin Halina Strafbarkeit der Täter zu ermöglichen. Trotzdem muss Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. ich Ihnen sagen: Mich persönlich überzeugt der Vor- schlag nicht. Die Mehrheit in diesem Haus hat im Jahr (Beifall bei der LINKEN) 2013 mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Op- fern sexuellen Missbrauchs die strafrechtlichen Verjäh- Halina Wawzyniak (DIE LINKE): rungsfristen verlängert. Eine Evaluation, was diese Ver- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen längerung gebracht hat, liegt uns nicht vor. Ich glaube, und Kollegen! Debatten zum Sexualstrafrecht zählen zu wir brauchen zuerst eine Evaluierung, bevor wir wieder (B) den schwierigsten. Sie eignen sich nicht für Polemik und Verjährungsfristen verlängern. (D) nicht für Polterei. Deswegen sage ich sehr deutlich: Jede Straftat in diesem Bereich ist eine Straftat zu viel. Es gibt (Beifall bei der LINKEN) keine Rechtfertigung. Es ist eine Binsenweisheit, dass es, je länger eine (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD Straftat zurückliegt, desto schwieriger ist, mit rechts- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) staatlichen Mitteln eine solche Straftat nachzuweisen. Unser zentraler Ansatzpunkt bei der Bewertung des Möglicherweise – ich bitte einfach nur, darüber nachzu- Gesetzentwurfs ist Prävention. Ich bin sehr froh, dass denken – führt eine Verlängerung der strafrechtlichen das Ministerium das Projekt „Kein Täter werden“ unter- Verjährungsfristen dazu, dass wir die berechtigten Hoff- stützt. Wir glauben, es ist notwendig, dass es einen nungen von Opfern sexualisierter Gewalt enttäuschen, Rechtsanspruch auf Therapie in den Strafvollzugsgeset- weil aufgrund der langen Zeit Straftaten rechtsstaatlich zen gibt. Wir glauben, dass es zur Verhinderung von nicht mehr nachgewiesen werden können. Wenn wir die Rückfalltaten nötig ist, nach Verbüßung einer Freiheits- Hoffnungen der Opfer enttäuschen, dann schadet das am strafe umfassende Hilfe und Unterstützung bei der Reso- Ende auch dem Rechtsstaat. zialisierung anzubieten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE In § 184 b StGB soll der Begriff der Kinderpornogra- GRÜNEN) fie erweitert werden. Es soll strafbar sein „die Wieder- Strafrecht ist immer Ultima Ratio. Deswegen braucht gabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in ein rechtsstaatliches Strafrecht Straftatbestände, die dem unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Sie sel- Bestimmtheitsgebot entsprechen. Wir haben uns bei der ber weisen in der Gesetzesbegründung auch darauf hin, Bewertung des Gesetzentwurfes mit den einzelnen Maß- dass der BGH sagt, dass das bereits jetzt strafbar ist. nahmen befasst und geschaut, ob sie unter rechtsstaatli- Nach der Begründung sollen auch „unwillkürlich einge- chen Gesichtspunkten erforderlich oder hilfreich sind, nommene geschlechtsbetonte Körperhaltungen, etwa um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu durch ein schlafendes Kind“, Kinderpornografie sein. Es verhindern. soll „lediglich auf die Körperhaltung selbst“ ankommen. Der Gesetzentwurf will – darauf ist hingewiesen wor- Ich verstehe auch hier das Anliegen hinter diesem den – die Verlängerung der Ruhensvorschriften der Ver- Vorschlag. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich hier er- jährung. Wir haben Verständnis für das Anliegen der Op- hebliche Schwierigkeiten mit dem Bestimmtheitsgebot 4942 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Halina Wawzyniak (A) sehe. Wir brauchen in diesem Bereich Rechtssicherheit der Gesetzesbegründung stellen Sie – das ist die Ur- (C) und keine Rechtsunsicherheit. sprungsformulierung aus dem Referentenentwurf – auf bloßstellende Bildaufnahmen ab. Darunter werden sol- (Beifall bei der LINKEN) che verstanden, „die die abgebildete Person in peinli- Nach dem, was in der Begründung steht, weiß niemand, chen oder entwürdigenden Situationen oder in einem der ein schlafendes Kind fotografiert, ob er unter diesen solchen Zustand zeigen, und bei denen angenommen Straftatbestand fällt oder nicht. Ich weiß, dass es um das werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran be- Kindeswohl geht; und das Kindeswohl liegt uns am Her- steht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Dritten zen. Aber ich glaube, dass dies der falsche Weg ist. zugänglich gemacht werden“. Ich sage Ihnen: Anwältin- nen und Anwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Richterinnen und Richter freuen sich schon jetzt auf die Nach der vorgesehenen Änderung des § 184 d soll Bearbeitung all der Einzelfälle, in denen zu entscheiden auch der bestraft werden, „wer es unternimmt, einen kin- ist, ob die Aufnahme nun eine ist, die geeignet ist, dem derpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzuru- Ansehen der abgebildeten Person erheblichen Schaden fen“. Soweit es um den Download geht, sind wir uns alle zuzufügen. Das ist einfach nicht fassbar. einig, dass das strafbar ist und dass das strafbar bleiben (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten muss. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Um dem noch einen draufzusetzen – ich muss sagen: Wenn ich aber den Gesetzentwurf richtig gelesen und das ist aus meiner Sicht die Krone der Unvernunft –, auch verstanden habe – das ist ja nicht immer dasselbe –, wollen Sie die Herstellung solcher Bilder unter Strafe stellen. Wenn also jemand findet, dass jemand ein Foto (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zuruf gemacht hat, welches geeignet ist, dem Ansehen der ab- von der CDU/CSU: Wohl wahr!) gebildeten Person erheblich zu schaden, erstattet er oder wird mit dieser Formulierung allein der Aufruf und da- sie Anzeige. Dann wird ermittelt, ob der Tatbestand er- mit auch der unbeabsichtigte Aufruf unter Strafe gestellt. füllt ist, also ob das Foto wirklich geeignet ist, dem An- In der Gesetzesbegründung heißt es, „wobei der Abruf sehen erheblichen Schaden zuzufügen. Blöd nur, wenn nicht die Speicherung des Werkes bei dem Abrufenden das Foto schon wieder gelöscht wurde, ohne dass es ir- voraussetzt“. Unsere europäischen Nachbarn verlangen gendwo abgespeichert oder gar irgendwohin übertragen für ähnliche Straftatbestände eine bewusste Handlung, wurde. Was Sie erreichen – das sage ich Ihnen voraus –, die sich zum Beispiel durch Speichern oder Bezahlen ist eine Erhöhung der in der Kriminalstatistik erfassten Straftaten. Was Sie erreichen, sind Ermittlungen gegen (B) manifestiert. Die entscheidende Frage an dieser Stelle (D) lautet, wie denn ein Aufruf, nur ein Aufruf, überhaupt Personen, die ein solches Foto machen. Ich sage Ihnen: kontrolliert werden soll. Kann es möglicherweise sein, Das ist eine Vergeudung von Ressourcen. Diese Mittel dass sich hier Befürworter der anlasslosen Vorratsdaten- wären viel besser im Bereich der Prävention eingesetzt. speicherung ein Hintertürchen für die kommenden De- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten batten offen gelassen haben? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]) Die Kritik der Rechtswissenschaft an dieser Stelle ist verheerend, und zwar zu Recht. Das allergrößte Problem in Ihrem Gesetzentwurf ha- ben wir aber mit der Änderung des § 201 a StGB. Das Ich komme zum Schluss. Wenn ich Sie richtig ver- hat nichts mehr mit dem Sexualstrafrecht zu tun. Nach standen habe, sollten mit der zweiten Alternative Bild- diesem Vorschlag soll sich künftig strafbar machen, aufnahmen unbekleideter Kinder erfasst werden. Im Ge- „wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildauf- setzentwurf steht aber „Personen“. Das ist ungenau. Wir nahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten können Sie nur dringend bitten: Ziehen Sie diesen Ge- Person erheblich zu schaden, oder unbefugt eine Bild- setzentwurf zurück und überdenken Sie ihn! Er ist für aufnahme einer unbekleideten anderen Person herstellt uns in dieser Art und Weise nicht zustimmungsfähig. oder überträgt“. Nun ist in § 22 Kunsturhebergesetz ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten regelt, dass Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebil- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) deten verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen. In § 23 sind Ausnahmen geregelt, zum Beispiel Vizepräsidentin Petra Pau: für Personen des öffentlichen Lebens. In § 23 Absatz 2 gibt es wiederum Ausnahmen von der Ausnahme. Die Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Verbreitung ist ohne Einwilligung dann nicht erlaubt, Thomas Strobl. wenn das berechtigte Interesse verletzt wird. Ein Verstoß (Beifall bei der CDU/CSU) gegen das Kunsturhebergesetz ist nach § 33 strafbar. Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht die Regelungslücke, die Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Sie hier schließen wollen. Darüber hinaus ist eine Defi- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- nition von „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten gen! Der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung Person erheblich zu schaden“, die dem Bestimmtheitsge- und Gewalt ist für mich eines der wichtigsten Vorhaben bot in irgendeiner Weise entspricht, nicht erkennbar. In in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4943

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Heute gehen wir einen guten Schritt vorwärts, um die Bislang gibt es, Frau Kollegin, keine einheitliche (C) Schwächsten in unserer Gesellschaft besser zu schützen. strafrechtliche Praxis bezüglich der Frage, welche Nacktbilder strafbar sind und welche nicht. Es kann pas- (Beifall bei der CDU/CSU) sieren, dass die Staatsanwaltschaft in München ein Ver- Wir bringen heute zahlreiche Verbesserungen für die fahren wegen einer Nacktaufnahme einleitet und in Opfer sexueller Gewalt auf den Weg. Warum ist das so Hamburg die gleiche Nacktaufnahme als unbedenklich wichtig? Das ist deswegen so wichtig, weil die, um die eingestuft wird. Die Zahl solcher Wertungs- und Ausle- es geht, sich selber nicht wehren können. Deswegen gungsfragen wollen wir minimieren. müssen wir schnell handeln, und deswegen handelt diese Damit das klar wird – darauf hat der Bundesjustizmi- Große Koalition heute. nister ja zu Recht hingewiesen –, sage ich auch noch ein- (Beifall bei der CDU/CSU) mal: Selbstverständlich dürfen Eltern ihre Kinder beim Kindergeburtstag, ja, auch beim Spielen in der Bade- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir wanne und am Strand weiter fotografieren. Allerdings ganz klar: Der Handel mit Nacktbildern von Kindern ist erlauben wir uns, allen Eltern den Rat zu geben, mit die- kriminell. Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist keine Ord- sen Bildern sorgfältig umzugehen und sie beispielsweise nungswidrigkeit, das ist keine Bagatelltat, sondern das nicht achtlos in soziale Netzwerke zu stellen, auch wenn ist eine kriminelle Straftat. das nicht strafbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie neten der SPD und der LINKEN) bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erstmals ist auch klar, dass weniger eindeutige Nackt- bilder – insofern beseitigen wir Auslegungsschwierig- Unbefugt gemachte Nacktaufnahmen von Kindern keiten, Frau Kollegin – von Kindern nicht mehr geduldet ohne eindeutigen sexuellen Bezug allerdings fallen künf- sind. Ein Verstecken hinter schwierigen Abgrenzungs- tig unter den ausgeweiteten Intimsphärenschutz, und das fragen darf es in Zukunft nicht mehr geben. Ganz klar ist auch richtig so. Wenn ich vom Präsidenten des Deut- ist: Mit Nacktbildern von Kindern macht man in schen Anwaltvereins höre, das gehe ihm zu weit, er Deutschland ab heute keine Geschäfte mehr. wolle lieber in einer freien Gesellschaft leben, dann kann ich nur sagen: Es gibt keine Freiheit und kein Recht zum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Anschauen von Nacktbildern fremder Kinder. neten der SPD) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Opferschutz, der Schutz von Kindern, meine Da- Hat er nicht gesagt!) (B) men und Herren, beruht auf drei Säulen: erstens auf Prä- (D) vention, zweitens auf einem lückenlosen Strafrecht, drit- Freiheit auf Kosten der Schwächsten, das ist für uns tens auf effektiven Strafverfolgungsmöglichkeiten. keine Alternative. Zur Prävention: Männer mit pädophilen Fantasien (Beifall bei der CDU/CSU) von Taten abzuhalten, hat sich die Initiative „Kein Täter Wir müssen sehen, meine Damen und Herren, dass werden“ zur Aufgabe gemacht. Ich bin sehr froh – ich gerade über die sozialen Netzwerke, über das Internet glaube, wir alle sind sehr froh –, dass wir in den aktuel- diese Bilder in jeden Lebensbereich kommen. Rück- len Haushaltsberatungen die Förderung und damit das zugsgebiete gibt es nicht mehr. Was einmal im Netz ver- Fortbestehen dieser Einrichtung gesichert haben; denn breitet wurde, das bleibt im Zweifel dort stehen. Hier wirksame Prävention in diesem Bereich ist Kinder- handeln wir. Es darf nicht sein, dass ein einziges Foto schutz. das Leben eines jungen Menschen ein Leben lang belas- tet oder es sogar zerstört. Der Bundesjustizminister hat (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie hier ein schreckliches Beispiel eindrücklich geschildert. bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die dramatische Wirkung einer Straftat über das In- ternet zeigt sich auch beim Thema Cybermobbing. Das Wir schließen mit diesem Gesetz aber auch im Straf- Thema Mobbing ist nicht neu. Ebenso wenig sind die recht empfindliche Schutzlücken. Das Ziel lautet: keine Gründe neu, welche zu Mobbing führen. Die Dimension Geschäfte mit Nacktbildern von Kindern, besserer von Mobbing im Internet und dort speziell in den sozia- Schutz vor Missbrauch. Die vorgelegten Änderungen len Netzwerken ist aber aufgrund der damit verbundenen sind auch notwendig. Es ist bittertraurig, dass es inzwi- Öffentlichkeit noch um ein Vielfaches größer. schen eine ganze Industrie gibt, die ihre Grundlage in unendlichem Leid der schwächsten Mitglieder der Ge- Jemand, der über das Internet sexuelle Kontakte zu ei- sellschaft hat. Deswegen ist es so notwendig und richtig, nem Kind anbahnt, wird künftig ebenfalls einfacher be- dass keine Geschäfte mehr mit Nacktaufnahmen von langt werden können. Es ist richtig und notwendig, dass Kindern gemacht werden können. Es ist ein unerträgli- wir das Recht entsprechend angleichen. cher Zustand, dass es überhaupt so eine Industrie gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir werden auch das Tauschen von solchen Bildern ver- neten der SPD) bieten; denn den Opfern ist es letztlich egal, ob es ein Entgelt für die Bilder gibt oder ob sie nur getauscht wer- Meine Damen und Herren, das Beispiel, das der Bun- den. desjustizminister Maas zu Beginn seiner Ausführungen 4944 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) genannt hat, ist bekannt. Es darf doch keinen Unter- nicht mehr geleugnet und verharmlost wird. Dass die (C) schied machen, ob der Lehrer, der sich mit einer Schü- Betroffenen heute endlich angehört und ernst genommen lerin sexuell einlässt, ein Vertretungslehrer oder ein werden nach all den Jahrzehnten des Leids, ist für die Klassenlehrer ist. Anderslautende Rechtsprechung hat es meisten eine echte Befreiung. Und wenn der Staat heute aber immer und immer wieder gegeben. Deswegen stel- seine Schutzpflichten gegenüber Kindern erst nehmen len wir künftig sicher, dass sexuelle Kontakte zu Schüle- will, dann sollten wir das nicht als bloße Prüderie abtun. rinnen und Schülern für alle Lehrer strafrechtliche Kon- sequenzen haben. Für die Eltern und für die Opfer macht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es nämlich keinen Unterschied, ob das ein Klassenlehrer sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) oder nur ein Vertretungslehrer ist. Wir begrüßen daher als Grüne die Klarstellungen im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gesetz zu den Fällen des sogenannten Posing und Groo- neten der SPD) ming, dem Anbahnen von sexuellen Kontakten zu Kin- dern im Internet. Die Verlängerung der Verjährungshem- Wir werden auch den Strafrahmen erweitern. Wer mung auf das 30. Lebensjahr ist zwar unter Juristen nicht kinderpornografisches Material hortet, muss künftig mit unumstritten, aber auch dabei gehen wir mit; denn das einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. hat für die Opfer eine ganz zentrale Bedeutung: Zeit zu Diese Straferhöhung um ein Jahr ist in jedem Fall rich- heilen und Kraft zu schöpfen ohne den Druck der dro- tig; denn durch das Internet bieten wir Extremsammlern henden Verjährung. eine Plattform, auf der sie problemlos Hunderte, ja Tau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sende von solchen Bildern speichern und horten können. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Diese Bildermessies müssen entsprechend bestraft wer- der SPD) den. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter jedem einzelnen Bild steckt eine verletzte Kinderseele und die Gefahr ei- Ansonsten muss ich Ihnen aber leider sagen: Gut ge- nes ruinierten Lebens. meint ist nicht immer gut gemacht. Zunächst als Beispiel ein Problem aus dem Bereich des eigentlichen Sexual- Meine Damen und Herren, es ist auch richtig, dass strafrechts: die Vorschrift zur Jugendpornografie. Es dürfte wir die Verjährungsfristen verlängern. Zahlreiche Opfer unstrittig sein, dass eine 19-Jährige mit einem 17-Jährigen sexueller Gewalt – das ist doch nachvollziehbar – sind ein Verhältnis haben darf. Wenn sie aber mit seinem psychisch über Jahre hinweg traumatisiert und können Einverständnis intime Fotos macht, soll das künftig au- erst nach vielen Jahren, manche erst nach vielen Jahr- tomatisch strafbar sein, ohne dass diese Fotos jemals zehnten über das Erlebte sprechen, sich jemandem an- verbreitet oder veröffentlicht werden. Damit stellen Sie vertrauen und dies dann auch entsprechend zur Anzeige einvernehmlich gemachte Bildaufnahmen von Jugendli- (B) bringen. Daher gestalten wir die Verjährung so, dass alle chen ebenso unter Strafe wie bei einem Kind, obwohl (D) Opfer sexueller Gewalt künftig die Chance erhalten, Sexualkontakte mit Jugendlichen nicht per se Straftaten dann, wenn sie dazu in der Lage sind, gegen ihre Peini- sind. Falls dies ein Versehen gewesen sein sollte, dann ger vorzugehen. Deswegen ruht die Verjährung künftig ändern Sie das doch bitte noch. Die Strafbarkeit muss an bis zum 30. Lebensjahr des Opfers und beginnt erst dann dieser Stelle auf das Verbreiten von Aufnahmen be- zu laufen. schränkt werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, klar ist, mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gesetze bringen nicht automatisch mehr Gerechtigkeit und weniger Straftaten und weniger Leid. Ich finde aber, Noch schlimmer ist die neue Vorschrift zum allgemei- wir haben heute ein gutes Paket auf den Weg gebracht, nen Persönlichkeitsschutz, geregelt in § 201 a StGB. Da- um den Opfern zu helfen – und darauf kommt es an. Die nach soll jetzt strafbar werden die Herstellung einer Einzelheiten werden wir uns im Gesetzgebungsverfah- „Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abge- ren anschauen. Sofern wir noch nachjustieren können bildeten Person erheblich zu schaden“. Ich will Ihnen und müssen, werden wir dies auch tun. zur Verdeutlichung einige Fallbeispiele anhand eines Wochenverlaufs nennen, wie Sie ihn hoffentlich nie erle- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Montag: Sie spazieren auf der Reeperbahn in Hamburg neten der SPD) und machen einige Fotos von interessanten Fassaden. Plötzlich kommt, just als Sie den Auslöser betätigen, aus Vizepräsidentin Petra Pau: dem Hauseingang eines einschlägigen Etablissements Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion ein bundesweit bekannter Politiker. Jetzt die Frage: Wer Bündnis 90/Die Grünen. hat sich gerade strafbar gemacht? – Genau: Das Bild ist geeignet, das Ansehen zu schädigen – ob es dazu ver- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wendet wird, darauf kommt es nicht an. Mit der Herstel- lung selbst ist der Tatbestand erfüllt. Selbst die unver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr zügliche Löschung des Fotos ändert daran nichts mehr. Minister Maas! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr Am Montag haben Sie noch Glück: Der Kollege verzich- geehrte Damen und Herren! Bevor ich hier meine Kritik tet auf eine Strafanzeige. an diesem Gesetzentwurf darlege, will ich eines vorweg- schicken: Es ist eine großartige Veränderung in unserer Dienstag. Sie beobachten zufällig, wie ein Fahrer ei- Gesellschaft, dass sexueller Missbrauch von Kindern ner dunklen Limousine langsam neben einer Grundschü- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4945

Katja Keul (A) lerin im Schritttempo herfährt, das Fenster herunterdreht Dr. Johannes Fechner (SPD): (C) und dem verunsicherten Kind ein Gespräch aufdrängt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Sie haben ein ungutes Gefühl und nutzen Ihr iPhone, um nen und Kollegen! Wir behandeln heute ein Thema, bei schnell eine Aufnahme von der Szene zu machen – man dem es um den Schutz der Schwächsten und der Wehrlo- weiß ja nie. Dummerweise hat der Fahrer Sie entdeckt, sesten in unserer Gesellschaft geht. Der Missbrauch von dreht nach der nächsten Ecke um und kommt zurück, Kindern ist für mich eines der schwersten Verbrechen während er die Polizei hinzuzieht. Wer hat jetzt ein Pro- überhaupt, weil er das ganze Leben der Opfer beein- blem mit dem Strafrecht? Sie oder er? – Irgendeine Aus- trächtigt und beeinflusst. Genau deshalb dürfen wir als rede wird er schon haben, jedenfalls will er sicher nicht Staat, als Gesellschaft, dürfen wir als Politikerinnen und als potenzieller Pädophiler dargestellt werden. Sie mei- Politiker in diesem Bereich keine Strafbarkeitslücken nen vielleicht, die Staatsanwaltschaft würde in einem dulden. solchen Fall wohl nicht ermitteln. In einem Rechtsstaat ist es allerdings so, dass die Frage von strafrechtlicher (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Verfolgung nicht im Ermessen der Behörden liegen darf, Wir haben uns deshalb in der Großen Koalition vor- sondern gesetzlich bestimmt sein muss. Wenn ein Tat- genommen, die inakzeptablen Lücken im Sexualstraf- verdacht besteht, muss die Staatsanwaltschaft ermitteln. recht zum Schutz der Kinder zu schließen. Auch kom- Das nennt man Legalitätsprinzip. men wir damit einer EU-Richtlinie nach, die uns Mittwoch. Es läuft wirklich schlecht. Sie werden von auffordert, eine Gesetzgebung zur Bekämpfung von Kin- zwei brutalen Typen zusammengeschlagen, während ein desmissbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern dritter das Ganze grinsend filmt. Der soll doch jetzt we- zu schaffen. Dieser Aufforderung ist der Justizminister nigstens auch unter das neue Gesetz fallen, denken Sie. mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachgekommen. Sie sind aber weder unbekleidet noch schädigt es Ihren Ich möchte mich ausdrücklich für diese konsequente Ruf, Opfer einer Straftat geworden zu sein. Merkwürdig Vorlage, für diesen konsequenten Gesetzestext bedan- finden Sie das nach dem, was Ihnen am Vortag widerfah- ken, weil er viele Verbesserungen zum Schutz der Kin- ren ist. der in Deutschland bringt. Ganz herzlichen Dank. Donnerstag. Ein Kollege erzählt Ihnen, dass er regel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mäßig Nacktbilder von Kindern im Internet ankauft, die der CDU/CSU) aber keinesfalls pornografisch seien. Jetzt denken Sie: Ein paar Punkte möchte ich herausstellen. In der Tat Den kriegen wir! – Weit gefehlt: Der Ausgangsfall für werden wir das Strafmaß für den Besitz von Kinderpor- die ganze öffentliche Diskussion ist nach wie vor nicht nografie von zwei auf drei Jahre erhöhen. Wir werden erfasst. Strafbar soll ausschließlich das Verbreiten und das Erstellen und vor allem das Verbreiten der sogenann- (B) Veröffentlichen sein, nicht aber der Bezug von Bildern. (D) ten Posingbilder, also von Bildern, die Kinder in unna- Wir halten also fest: Das, was Sie erfassen wollten, türlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen, als erfasst das Gesetz nicht, dafür alle möglichen Konstella- Kinderpornografie definieren. Ich finde, wir schließen tionen, die uns jeden Tag passieren können. Es gibt am hier eine sehr bedenkliche Strafbarkeitslücke. Wir haben Ende einen einzigen weiteren Fall, über den wir ernst- hier einen Grauzonenbereich, den wir nicht nur der Defi- haft reden müssen. nition der Rechtsprechung überlassen sollten, sondern wo wir eine Rechtsregelung, einen Straftatbestand, schaffen Freitag. Sie fahren mit Ihren Kindern an die Nordsee, sollten, wenn wir – das müssen wir – den Handel mit um sich von der anstrengenden Woche zu erholen. Wäh- Bildern von nackten Kinderkörpern verhindern wollen. rend Ihre Kleinen nackt im Sand spielen, entdecken Sie Das muss das Ziel sein. plötzlich einen Herrn mit Sonnenbrille, der offensicht- lich mit seiner Digitalkamera hantiert. Diese Konstella- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tion ist in der Tat bislang nicht vom Strafrecht erfasst der CDU/CSU) und könnte eine Strafrechtsänderung rechtfertigen. Dazu Wir wollen den Straftatbestand des sexuellen Miss- müsste es Ihnen gelingen, einen Entwurf vorzulegen, der brauchs von Schutzbefohlenen erweitern. Nach unseren genau diese Konstellation erfasst, ohne uns alle tagtäg- Plänen sollen beispielsweise auch Stiefeltern oder der lich in die Illegalität zu treiben. Ich weiß, dass das keine neue Lebenspartner eines Elternteils von dem Straftat- leichte Aufgabe ist. Es ist aber der rechtsstaatliche Maß- stab, an dem Sie sich messen lassen müssen. Ihr Gesetz bestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohle- wird diesem Maßstab jedenfalls nicht gerecht. nen erfasst werden. Auch damit schließen wir eine Lücke, die es bisher gab. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Schließlich – das ist noch gar nicht angesprochen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN worden, aber es ist ganz wichtig – werden viele Kinder sowie bei Abgeordneten der LINKEN) im Internet von Straftätern mit dem Ziel angesprochen, sexuelle Handlungen bei den Kindern zu provozieren; das ist das sogenannte Cybergrooming. Auch das wer- Vizepräsidentin Petra Pau: den wir mit einem eigenen Straftatbestand regeln. Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Johannes Fechner. Weil viele Kinder – wie schon von einigen Vorred- nern gesagt – erst viele Jahre nach der Tat, als Erwach- (Beifall bei der SPD) sene, in der Lage sind, die erlittene Tat überhaupt zu 4946 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Johannes Fechner (A) verarbeiten, darüber zu sprechen und sie zur Strafan- heute diesen Gesetzentwurf persönlich in die parlamen- (C) zeige zu bringen, ist es richtig und wichtig, dass wir die tarische Beratung eingebracht haben; denn dies zeigt, Verjährungsfrist erst ab dem 30. Lebensjahr des Opfers wie wichtig uns allen dieses Gesetzgebungsprojekt ist. beginnen lassen. Dennoch möchte ich den von Ihnen eingangs geschil- Das alles sind wichtige Verbesserungen zum Schutz derten Fall zum Anlass nehmen, Werbung für eine Re- der Kinder. Dass wir hiermit richtigliegen, zeigt ein form des § 177 StGB zu machen. Sie hatten vorhin den Blick auf die Verbandsreaktionen: Wenn selbst die Fall geschildert, dass ein Lehrer ein Mädchen zum Sex Gewerkschaft der Polizei, der Bund Deutscher Kriminal- gezwungen hat. Sie hätten dann aber auch erklären müs- beamter und – das ist für mich besonders wichtig – der sen, warum man den Lehrer nicht nach § 177 StGB be- Deutsche Kinderschutzbund diese Gesetzesinitiative langen kann. Ich möchte hier den einen oder anderen ausdrücklich loben, dann ist das ein klares Zeichen da- Satz dazu verlieren, weil mir, mit Verlaub, die Haltung für, dass wir hier einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher- von Kindern vor sexuellem Missbrauch leisten. schutz zum Bedarf einer Reform des § 177 StGB (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schlichtweg nicht nachvollziehbar erscheint. Eines ist dabei auch klar: Mit Gesetzesverschärfun- Zunächst einmal die Problemstellung, die uns allen gen allein ist es nicht getan. Die Strafverfolgungsbehör- bekannt ist: Die aktuelle Fassung des § 177 Absatz 1 den müssen natürlich auch personell und technisch in der StGB setzt für eine Strafbarkeit voraus, dass der Täter Lage sein, die Gesetze umzusetzen. Wir handeln auch in die Handlungen entweder mit Gewalt, durch Drohung diesem Bereich. Im 2. Untersuchungsausschuss untersu- mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder un- chen wir, ob das BKA in dieser Hinsicht technisch und ter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwir- personell ausreichend ausgerüstet ist. Länder wie Baden- kung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, durchführt. Württemberg reagieren auch. Ich freue mich, dass in Eine Vornahme sexueller Handlungen nur gegen den Baden-Württemberg im nächsten Haushalt keine einzige Willen des Opfers reicht in Deutschland nicht zur Straf- Stelle im Justizbereich wegfällt. Das sind wichtige Maß- barkeit aus. Sie wissen auch, dass die Rechtsprechung nahmen. gerade Absatz 1 Ziffer 3 sehr restriktiv auslegt und eine Ganz besonders wichtig ist uns als SPD-Fraktion, das Objektivierung der Zwangslage fordert. Thema Prävention zu fördern. Beispielhaft für gelun- Damit komme ich zu einem Fall, wie er schon mehr- gene Präventionsprojekte möchte ich das vom Bund mals abgeurteilt worden ist: Eine Frau lebt in einer geförderte Projekt „Kein Täter werden“ hier in Berlin an Gewaltbeziehung. Ihr Mann kommt am Abend sturz- der Charité oder das Programm „Keine Gewalt- und Se- (B) betrunken nach Hause und will den Beischlaf vollziehen. (D) xualstraftat begehen“ in Baden-Württemberg nennen. Diese gelungenen Projekte zeigen: Gesetze verschärfen Sie will das nicht, sagt mehrmals Nein, und trotzdem ge- allein reicht nicht; der beste Opferschutz ist die Präven- schieht das Ganze, während sie weinend unter ihm liegt, tion, weil wir dadurch verhindern, dass diese schlimmen starr vor Schreck ist und sich nicht wehrt. – Denken wir Straftaten überhaupt erst begangen werden, liebe Kolle- daran: Opferschutzverbände empfehlen Opfern, sich in ginnen und Kollegen. solchen Situationen nicht zu wehren, weil die Lage tat- sächlich eskalieren könnte; er könnte sie grün und blau (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schlagen. Ein solcher Fall ist in Deutschland bis heute Ich komme zum Schluss. Wir müssen den Kindes- nicht strafbar, auch wenn der Ehemann morgen in die missbrauch in Deutschland bekämpfen. Dazu müssen Kneipe geht und mit dem Geschehenen prahlt, die Frage wir Präventionsprojekte fördern, die technische und der Beweisbarkeit also überhaupt kein Problem ist. personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden Hinzu kommt, dass das Übereinkommen des Europa- verbessern und die im Moment bestehenden inakzepta- rats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen blen Strafbarkeitslücken im deutschen Strafrecht schlie- Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011, die so- ßen. genannte Istanbul-Konvention, in Artikel 36 Absatz 1 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. explizit fordert – das haben auch wir vereinbart –, dass sonstige nicht einverständliche, sexuell bestimmte (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Handlungen mit einer anderen Person im Falle vorsätzli- chen Verhaltens unter Strafe zu stellen sind. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für Mit Verlaub: Vor diesem Hintergrund habe ich es als die CDU/CSU-Fraktion. kühn empfunden, dass es auf Seite 23 des von Ihrem Haus vorgelegten Referentenentwurfs in der Fassung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- vom 7. April 2014 in Bezug auf § 177 StGB hieß, dass neten der SPD) kein Handlungsbedarf bestehe. Wortwörtlich heißt es: „Artikel 36 der Istanbul-Konvention wird ebenfalls Alexander Hoffmann (CDU/CSU): durch § 177 StGB umgesetzt“. – Eine krasse Fehlein- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- schätzung. Umso dankbarer bin ich, dass im nun vorlie- nen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Sehr genden Referentenentwurf ausdrücklich eine eingehende geehrter Herr Minister, ich bin sehr dankbar, dass Sie Prüfung des Reformbedarfs zugesagt wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4947

Alexander Hoffmann (A) Meine Damen, meine Herren, dass wir uns nicht persönlichen Lebensbereichs aburteilen. Ich fordere da- (C) falsch verstehen: Ich habe Verständnis dafür, dass es Zeit her eine entsprechende Neuformulierung. braucht, eine tatbestandsmäßige Erfassung schwieriger Fallkonstellationen zu formulieren, die mit einer erhebli- Derzeit wird im Bundesrat ein, wie ich finde, sehr gu- chen Beweisschwierigkeit verbunden sind. Aber ich ter Ansatz diskutiert. Wir müssen durch eine gesetzliche habe kein Verständnis dafür, dass erst viel Druck auf das Regelung deutlich machen, dass bereits dann ein Sexual- Ministerium aufgebaut werden muss, bis ein Umdenken delikt vorliegt, wenn Nahaufnahmen der Genitalien von stattfindet – und das bei einer Sachlage, die meines Er- Kindern und Jugendlichen aus sexuellen Motiven gefer- achtens völlig eindeutig ist. tigt, getauscht oder gewerbsmäßig gehandelt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE wie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Und erworben werden!) DIE GRÜNEN]) Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob das Kind durch eigenes Handeln posiert oder in einem bestimmten Wir alle waren geschockt, als im Zuge der Edathy- Zustand, sei es raufend, gefesselt, schlafend oder be- Affäre – so will ich es einmal nennen – bekannt gewor- wusstlos, abgelichtet wird. den ist, dass es mittlerweile einen ganzen Markt gibt, der mit gerade noch legalem Material handelt. Sogenannte Am Ende noch einige Sätze zu § 201 a StGB. Wir Regisseure drücken osteuropäischen Knaben 5 Euro in müssten uns einig sein, dass dies nicht ein bloßer Auf- die Hand, damit sie nackt miteinander raufen. Dabei fangtatbestand für eigentliche Sexualdelikte sein darf. werden Nahaufnahmen von den Genitalien gemacht. Dafür ist die Norm am Ende untauglich. Ich will Ihnen das anhand verschiedener Beispiele zeigen: Mittlerweile gibt es viele Händler und Tauschringe, es ist fast eine ganze Branche, die Millionenumsätze macht. Denken Sie an die Eintragung im Bundeszentralregis- Wir alle waren uns einig, dass bereits in dieser Situation ter. Da wird die Norm bezeichnet und die Tatbezeich- sexueller Missbrauch vorliegt. Wir alle hatten mit die- nung niedergeschrieben. Am Schluss ist nicht ersicht- sem Reformprojekt sehr große Hoffnungen verbunden, lich, ob die Tat mit Kindern bzw. mit sexueller und wir haben sie heute noch. Unser Ziel war eine Motivation zu tun hatte oder ob es sich einfach nur um Normierung der Strafbarkeit, die Schließung von Straf- ein unvorteilhaftes Foto eines betrunkenen Nackten am barkeitslücken und die Trockenlegung des Marktes. Ich mallorquinischen Strand handelt. Denken Sie daran: Was plädiere an dieser Stelle dafür, dass wir uns den Gesetz- im Bundeszentralregister steht, steht am Schluss auch im entwurf im weiteren Verfahren sehr dezidiert vorneh- Führungszeugnis. Was im Führungszeugnis steht, brau- men; denn wir sind von dem uns gesteckten Ziel noch chen wir für die Beurteilung der Frage, ob so jemand un- (B) ein ganzes Stück entfernt. sere Kinder und Jugendlichen zum Beispiel als Übungs- (D) leiter unterrichten darf. Ich will Ihnen das zunächst anhand der im vorliegen- den Referentenentwurf neu formulierten § 184 b und c Ich will anmahnen, dass wir, wenn wir die Absicht des StGB deutlich machen. Ich hätte mir hier eine weit- haben, § 201 a StGB in diese Richtung zu formulieren, reichendere Regelung gewünscht. In der Begründung über Folgeänderungen des § 25 Absatz 1 Nummer 3 heißt es, dass es sich nur um eine Klarstellung handelt. Jugendarbeitsschutzgesetz nachdenken müssen. Das Be- Es soll also nur das in Form gegossen werden, was ohne- schäftigungsverbot wäre eine zwingende Konsequenz, hin gängige Rechtsprechung des BGH ist, nämlich dass wenn die Tat im Zusammenhang mit Nacktaufnahmen das Posieren in sexualbetonter Körperhaltung bereits von Kindern und Jugendlichen steht. Die Straftat nach heute den Tatbestand der Kinder- und Jugendpornografie § 201 a StGB ist zudem – das ist vorhin schon angeklun- erfüllt. gen – nur ein Antragsdelikt und kein Offizialdelikt. Ich bezweifle, dass das mit dem Unrechtsgehalt einer sol- Den Fall, den ich eben geschildert habe, werden Sie chen Tat in Einklang zu bringen ist. durch die Neuregelung leider nicht fassen. Es wäre wichtiger gewesen, zumindest den Versuch zu unterneh- Abschließend muss ich sagen: Der geplante Satz 2 in men, auch Nahaufnahmen von Genitalien zu vorwiegend § 201 a Absatz 1 StGB – die zweite Alternative – ist mir sexuellen Zwecken unter Strafe zu stellen – und das, zu weit gefasst; denn er stellt die Aufnahme der Nackt- ohne eine eigene Handlungskomponente des Opfers zu heit situationsunabhängig unter Strafe. Da haben wir fordern. Dann würde der geschilderte Fall nämlich er- einen Wertungswiderspruch: Im momentanen Wortlaut fasst werden. stellt die Norm denjenigen, der abends den Sonnenunter- gang am FKK-Strand fotografiert und unbedachterweise Genau das fordert auch Artikel 20 Absatz 2 des Über- zum Beispiel eine unbekannte nackte männliche Person einkommens des Europarates zum Schutz von Kindern auf dem Foto hat, mit demjenigen gleich, der als Regis- vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch, seur osteuropäischen Knaben 5 Euro in die Hand drückt, landläufig Lanzarote-Konvention genannt. Der Un- um sie nackt vor sich raufen zu lassen und dabei zu foto- rechtsgehalt einer solchen Tat – denken Sie bitte wieder grafieren. an den Regisseur, der osteuropäischen Knaben 5 Euro in die Hand drückt, um sie in entsprechender Situation zu Zum Ende noch eine Bemerkung in Richtung der Lin- fotografieren – rechtfertigt es nicht, wenn wir eine sol- ken: Kollegin Wawzyniak, ich war schon erschrocken, che Tat am Ende lediglich in einen neu formulierten dass Sie bei einem so wichtigen Thema vor allem wieder § 201 a StGB fassen, sie also als bloße Verletzung des Angst vor einer verkappten Vorratsdatenspeicherung 4948 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Alexander Hoffmann (A) haben. Damit zeigen Sie doch ganz deutlich, welche der Sommerpause und damit weit vor Ihnen aufgegriffen (C) Täterschaft Sie – unbewusst, aber faktisch – mit Ihrer haben? Ihr Antrag hat sich dem Grunde nach erledigt, ideologischen Verweigerungshaltung schützen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Wir brau- NEN]: Das ist doch Unsinn! Schon vom Ver- chen noch ein bisschen, bis wir eine trennscharfe – – fahren her! Also wirklich! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: weil das Ministerium schon lange Reformbedarf in Be- Kollege Hoffmann, die Ankündigung des Endes der zug auf § 177 StGB sieht und daran arbeitet. Deswegen Rede ersetzt nicht den Schlusspunkt. Ich bitte Sie, zum meine Frage, ob Sie das zur Kenntnis genommen und Ende zu kommen. verstanden haben. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] und (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) NEN]: Total daneben!)

Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist der Schlusssatz. – Sie sehen also, dass wir NEN): noch lange brauchen, bis wir eine trennscharfe und funk- Sie warten also auf das Ministerium. Der Antrag ist tionierende Waffe, ein effektives Instrument gegen Kin- übrigens vom 2. Juli 2014. derpornografie und für die Schließung der Strafbarkeits- lücken geschaffen haben. Ich freue mich auf die weitere (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja! Da Debatte. Ich freue mich vor allem auf die Anhörungen waren wir schon weit vorneweg!) und in diesem Sinne auf ein konstruktives Miteinander. Es ist nicht so, dass wir Grünen nicht schon länger daran Vielen Dank. gearbeitet hätten. Wir haben gedacht, das hier ist ein gu- ter Zeitpunkt, diesen Antrag zu diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau! – Alexander Hoffmann [CDU/ Vizepräsidentin Petra Pau: CSU]: Das ist doch schon lange passiert! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol- Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: legin Dr. Franziska Brantner das Wort. Wo ist denn Ihr Antrag?) Auch Sie haben dieses Thema gerade angesprochen. Sie (B) (D) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- selber haben gesagt, da gibt es noch Lücken. Warum NEN): sollten wir als Parlament darüber nicht diskutieren kön- Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen, während das Ministerium vielleicht noch prüft? Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Uns hat es etwas (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) überrascht, dass der Kollege Hoffmann § 177 StGB und Artikel 36 der Istanbul-Konvention angesprochen hat. Nun aber zum Thema Prävention. Wir haben es heute Wir Grüne hatten einen Antrag eingebracht mit dem Ti- – das haben einige Kolleginnen und Kollegen schon tel: „Artikel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen – Be- gesagt – mit einem sehr schwierigen Thema zu tun: se- stehende Strafbarkeitslücken bei sexueller Gewalt und xuelle Gewaltbilder, Missbrauchsabbildungen – „Nackt- Vergewaltigung schließen“ und wollten ihn heute auf die bilder“ ist übrigens ein fast verharmlosender Ausdruck; Tagesordnung setzen. Ihre Fraktion hat das ohne Grund es sind Missbrauchsabbildungen –, Cybergrooming, abgelehnt. Wir fanden es sehr erstaunlich, dass dieser Sexting. Die Opfer leiden ihr Leben lang. Deswegen ist Antrag heute nicht mitbehandelt wurde. es gut, dass bestehende Regelungslücken angegangen und geschlossen werden. Aber das reicht nicht. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) brauchen zusätzliche präventive Maßnahmen. Dafür ha- ben wir in unserem Antrag ein umfangreiches Paket vor- Vizepräsidentin Petra Pau: gelegt. Drei Punkte möchte ich gerne hervorheben: Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kolle- gen Hoffmann? Erstens. Wir müssen Kinder in ihrem Selbstbewusst- sein stärken, Nein zu sagen, Grenzen aufzuzeigen und ihre Rechte einzufordern. Aber dazu müssen sie diese Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erst einmal kennen, zum Beispiel ihr Recht an ihrem NEN): Bild. In der Kinderkommission wurde gestern von Ex- Ja. perten die Kampagne „Jedes Mädchen und jeder Junge hat das Recht am eigenen Bild“ vorgeschlagen. Das ist Vizepräsidentin Petra Pau: eine sehr gute Idee. Ich hoffe, sie wird aufgegriffen. Bitte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Frau Kollegin, danke für den Hinweis. – Ist Ihnen be- Damit sich Kinder über derart Schlimmes überhaupt kannt, dass wir dieses Thema eigentlich schon weit vor beschweren können, müssen sie positive Erfahrungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4949

Dr. Franziska Brantner (A) damit gemacht haben, sich auch einmal über sehr viel ohne Gewalt und ohne Ausbeutung aufzuwachsen. Kin- (C) weniger schlimme Dinge, zum Beispiel über schlechtes der können ihre eigene Intimsphäre meist schwer selbst Essen, zu beschweren. Es muss Vertraute geben, an die schützen, deswegen müssen wir alle das tun – zum einen sich Kinder wenden können. Das Fehlen eines guten Be- über eindeutige Gesetze, zum anderen über eine Gesell- schwerdesystems in Deutschland bemängelt der UN- schaft, die wirksame Prävention unterstützt. Beide Be- Kinderrechtsausschuss seit langem. Lassen Sie uns das reiche greifen dabei ineinander. Thema endlich angehen und die UN-Kinderrechtskon- Der hier vorliegende Gesetzentwurf unterstreicht vention einhalten. deutlich, dass wir in unserer Gesellschaft sexuelle Ge- Die Aus- und Fortbildung all jener, die mit Kindern walt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben, muss dazu befähigen, Missbrauch und nicht dulden. Die Straftatbestände sind jetzt konkreter Misshandlungen zu erkennen und richtig damit umzuge- und klarer beschrieben. Das ist gut so, auch für diejeni- hen. Das gilt für alle Einrichtungen, von der Kita an. gen, die die Gesetze werden anwenden müssen. Hier braucht es genügend Personal, damit wir uns darauf ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lassen können, dass das Gesetz umgesetzt wird. und bei der LINKEN) Doch das Gesetz ist nur die eine Seite der Medaille. Der zweite Punkt ist für uns die Stärkung der Medien- Was wir in der Gesellschaft zu tun bereit sind, um Kin- kompetenz. Wir haben schon von Cybergrooming ge- der zu schützen, das ist die andere Seite. Wir müssen uns hört: Erwachsene nähern sich unter Vortäuschung fal- darüber im Klaren sein, dass ein pädophil geprägter scher Identitäten Kindern und Jugendlichen im Internet Mensch sich in den allerwenigsten Fällen von einem und bahnen sexuelle Kontakte an. Die Antwort darauf noch so guten Gesetz allein abhalten lässt. Leider greifen lautet immer pauschal, es müsse die Medienkompetenz Gesetze erst dann, wenn es zu spät ist, nämlich wenn die gestärkt werden. Aber dies wird in jedem Bundesland Straftat bereits begangen ist. Das ist für das betroffene anders definiert. Zum Teil wird es sogar gar nicht defi- Kind zu spät. Damit es erst gar nicht dazu kommt, brau- niert und gar nicht vermittelt. Wir brauchen deswegen chen wir Prävention. ein Netzwerk, eine Koordinierungsstelle, um endlich einheitliche Standards für die Medienkompetenzförde- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem rung zu erarbeiten und diese dann auch zu vermitteln. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE Das fängt bei den Kindern selbst an. Jedes Kind darf, LINKE]) ja soll und muss Nein sagen. Jedes Kind muss mit Selbstvertrauen die eigenen Bedürfnisse und die eigenen (B) Drittens müssen wir jedem Kind und jedem Jugendli- (D) chen, dem sexuelle Gewalt widerfahren ist oder dessen Grenzen kennen und diese ohne Scheu benennen kön- Bilder missbraucht worden sind, und auch ihrem Umfeld nen. Das fängt für mich bei dem aufgedrängten Kuss der helfen. Dazu gehört die Arbeit mit Gruppen junger Men- Tante bei einer Familienfeier an. Wenn das Kind an die- schen, unter denen es zu Grenzverletzungen kam. Wir ser Stelle Nein sagt, dann haben wir das zu respektieren müssen ihnen helfen, damit umzugehen. Dafür brauchen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wir kompetente Beratungsstellen. Das kostet Geld. Das LINKEN) sollten uns die Kinder und Jugendlichen in unserer Ge- sellschaft aber wert sein. und dürfen das Kind nicht dafür rügen, dass es unhöflich sei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gerade dann, wenn sich ein Kind gefährdet fühlt oder Wir sind gern bereit, bei diesem Thema fraktions- Opfer wurde, braucht es verlässliche Vertrauensperso- übergreifend zu arbeiten. Wir freuen uns auf Ihre Unter- nen. Diese müssen nicht nur etwas tun, sondern sie müs- stützung für unseren Antrag. Am Ende möchte ich Herrn sen das Richtige tun. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Tsokos zitieren, der heute in der Zeit wie folgt zitiert Lehrerinnen und Lehrer etc. brauchen fachliche Unter- wird: „Was wir brauchen, ist eine Kultur des Handelns.“ stützung, Begleitung und Leitfäden, alles, was ihnen Si- Lassen Sie uns gemeinsam handeln. cherheit beim Erkennen und beim Reagieren gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Opferschutz bedeutet auch, aus potenziellen Tätern sowie der Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD] und Täterinnen keine tatsächlichen werden zu lassen. und Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Daher ist es richtig, Projekten wie „Kein Täter werden“ mehr Geld zu geben. Ein Vertreter des Projektes war gestern bei uns in der Kinderkommission. Er bestätigte: Vizepräsidentin Petra Pau: Die Prävention muss so zeitig wie irgend möglich anfan- Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Susann gen. Es ist möglich, Jugendliche bereits in der Pubertät, Rüthrich. während sich die sexuelle Prägung ausbildet, zu beglei- (Beifall bei der SPD) ten und auch schon dort wirksam präventiv tätig zu wer- den. Susann Rüthrich (SPD): Wer kann noch helfen, das Richtige zu tun? Beispiels- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und weise die Betroffenen selbst. Zum Ende dieses Jahres Kollegen! Jedes Kind muss ein Recht darauf haben, wird Herr Rörig, der unabhängige Beauftragte für Fra- 4950 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Susann Rüthrich (A) gen des sexuellen Kindesmissbrauchs, einen Betroffe- kleinen Kindern umgeht. Plötzlich kommen dann diese (C) nenbeirat einrichten. Wer wüsste besser als diese Men- alten Geschichten aus dem Nichts hervor. schen, was ihnen wirklich geholfen hätte und was nur gut gemeint gewesen wäre? Nehmen wir diese Kompe- Wir wollen durch diesen Entwurf Gesetzeslücken tenzen ernst und handeln entsprechend. schließen bei Vertretungslehrern, aber auch bei Perso- nen, die mit dem Kind in einem Haushalt leben. Ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ganz großer Anwendungsfall in der Praxis sind sexuelle der LINKEN) Übergriffe durch den Stiefvater oder die Großeltern. Auch da haben wir Schutzlücken geschlossen, und ich Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion fordere ich die freue mich sehr, dass wir da vorangehen. Einsetzung eines Bundeskinderbeauftragten. Er oder sie würde darauf achten, dass Kinder durch Gesetze und Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten Posing- durch uns als Gesellschaft geschützt und gefördert wer- bilder, der eigentliche Anlass der Reform; so habe ich es den. zumindest empfunden. Ich gebe zu, da muss ich leider ein paar Kritikpunkte anbringen. Wir haben bei der Vielen Dank. Strafbarkeit wegen Kinder- und Jugendpornografie – § 184 b und c StGB – den Wortlaut erweitert: Bilder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten „einer ganz oder teilweise unbekleideten Person … in der CDU/CSU und der LINKEN) unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ fallen jetzt auch darunter. Das ist aber – darauf haben wir früh- Vizepräsidentin Petra Pau: zeitig hingewiesen – keine phänomenale Erweiterung Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dr. Silke gegenüber der bisherigen Rechtsprechung. Sie haben na- Launert das Wort. türlich recht: Das macht wieder Abgrenzungsprobleme, auch wenn es jetzt das Auffangbecken „Verletzungen (Beifall bei der CDU/CSU) des Persönlichkeitsrechts“ gibt. Es macht schon einen Unterschied, ob Posingbilder Dr. Silke Launert (CDU/CSU): als Kinderpornografie bestraft werden oder als bloße Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts – § 201 a StGB –, Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Zuckerbrot worunter jetzt Nacktbilder von allen Personen, die unbe- und Peitsche – leider muss ich bei meiner Rede zum Ent- fugt aufgenommen wurden – vor allem natürlich die von wurf der Reform des Sexualstrafrechts heute nach dieser Kindern –, fallen sollen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Für Methode vorgehen. Zunächst freut es mich außerordent- mich zählen dazu Nacktbilder von Kindern zu primär se- lich, dass der Bundesjustizminister den Fall Edathy zum xuellen Zwecken. Das ist mein Hauptanliegen bei dieser (B) Anlass genommen hat, dieses Thema schnell auf die Reform. Das steht übrigens auch in der EU-Richtlinie, (D) Agenda zu setzen. Er hat sein Ministerium einen Ent- die wir umsetzen müssen. Da steht ganz eindeutig: Kin- wurf erarbeiten lassen mit dem Ziel, Gesetzeslücken derpornografie ist auch „jegliche Darstellung der Ge- bzw. Schutzlücken zu schließen und europäische Vorga- schlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwe- ben, die noch nicht ausreichend umgesetzt sind, vollstän- cke“. dig umzusetzen. Es ging zügig voran. Es freut mich, wenn schnell gehandelt wird. Da frage ich mich schon: Wieso können wir das nicht auch zur Kinderpornografie zählen? Ich bin auch Juris- Es gibt wirklich sehr viele positive Aspekte. Der eine tin, ich kenne die Gesetzessystematik, nur, ganz ehrlich: ist, dass Sexualstraftaten gegenüber Personen unter Wir sind der Gesetzgeber. Wir können die Gesetzessys- 30 Jahren länger strafrechtlich verfolgt werden können, tematik ändern. Wir können die Überschrift „Straftaten weil die Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebens- gegen sexuelle Selbstbestimmung und Kinderpornogra- jahres ruht; wir haben es schon mehrfach angesprochen. fie“ nennen. Der entsprechende Paragraf beginnt dann: Frau Wawzyniak, ich brauche da keine Evaluation. „Kinderpornografie ist …“, und dann formulieren wir Kommen Sie einfach zu mir, und ich erzähle Ihnen von das so, wie es in der EU-Richtlinie steht. Ich persönlich zig Fällen in der Praxis, die sich freuen, dass die Verjäh- muss sagen: Je länger ich mich damit befasse, desto bes- rung jetzt nicht so früh eintritt. ser finde ich die Formulierung in der EU-Richtlinie. Sie hätte uns viele Abgrenzungsfragen erspart. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich möchte noch kurz den Aspekt ansprechen, warum es gar nicht so falsch ist, Kinderpornografie bei den Se- Das hängt nicht nur mit möglicher Verdrängung zu- xualstraftaten einzuordnen. Wenn es uns um die Posing- sammen oder damit, dass die Opfer einfach so viel Zeit bilder – Nacktbilder von Kindern zu primär sexuellen brauchen, weil es natürlich einen ganz intimen Bereich Zwecken – geht, dann gibt es natürlich einen Zusam- betrifft. Vielmehr führt eine solche Tat gerade bei Klein- menhang mit den Sexualstraftaten. Mein Mann ist Straf- kindern – wenn man sich ein bisschen mit Psychologie richter; ich selbst war auch Richterin und Staatsanwältin. beschäftigt, weiß man das – zu einer Art Abkapselung. Er kam eines Tages – das war drei Wochen vor dem Fall Sie können Fragen dazu gar nicht beantworten. Dieses Edathy – nach Hause und erzählte mir, dass er an jenem Trauma wird frühzeitig in Form einer Abkapselung ver- Tag jemanden wegen Kindesmissbrauch verurteilt habe. drängt. Erst 20 Jahre später, im Erwachsenenalter, taucht Der Täter war vorbestraft wegen Kinderpornografie. die Erfahrung plötzlich auf – ich kann Ihnen auch dazu konkrete Beispiele nennen –, oft erst, wenn der Täter (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist doch kein wieder als Trainer im Sportverein tätig ist, wieder mit zwingender Zusammenhang!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4951

Dr. Silke Launert (A) Dann sagte mein Mann so schön abstrakt: Offensichtlich Letztlich haben wir alle ein Ziel: den Schutz unserer (C) gibt es doch einen Zusammenhang. – Jetzt weiß ich na- Kinder. Dazu brauchen wir das Gesetz, die Prävention türlich – wir hatten diesen Punkt in der Sachverständi- – wie gesagt –, aber auch die Polizei. genanhörung –, dass das nicht immer so ist. In der Sach- verständigenanhörung hieß es auch, dazu gebe es keine Vizepräsidentin Petra Pau: Statistiken. Frau Kollegin Launert. Die Praktiker – zu denen ich mich zähle – haben aber ein etwas anderes Gefühl: Dies trifft nicht bei jedem Tä- Dr. Silke Launert (CDU/CSU): ter zu, definitiv nicht bei jedem, aber bei einigen. Das ist Ich komme zum Schluss. – Wir benötigen auch eine ja auch nur menschlich. Auch wenn, wie mir die Prakti- gute Ausstattung des BKA; denn ganz ehrlich: Als ker bei der AG Recht sagen, nicht 30 Prozent, sondern Staatsanwältin habe ich oft ein Jahr lang gewartet, bis „nur“ 5 Prozent „schwach werden“ und ihre Sexualität kinderpornografisches Material ausgewertet worden ein einziges Mal ausleben wollen, dann sind das schon war. Was kann da in der Zwischenzeit alles passiert 5 Prozent zu viel. Es wäre durchaus möglich gewesen sein!? – ob des Sachzusammenhangs oder unter dem Gesichts- Vielen Dank. punkt einer abstrakten Gefährdung –, Posingbilder dort mit einzuordnen und die Überschrift neu zu gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass wir das noch ändern. Vizepräsidentin Petra Pau: Eine kleine Korrektur: Natürlich ist nicht Ihre Zeit ab- Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, gelaufen, sondern nur die Redezeit. dass wir einen weiteren Punkt ändern; er betrifft eine der Konsequenzen der Einordnung der Nacktbilder beim all- (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE gemeinen Persönlichkeitsrecht. Herr Hoffmann hat es LINKE]) angesprochen: Wenn ein Ersttäter nach dem neuen Ge- Sicherlich können die Dinge, die Sie hier nicht mehr an- setzentwurf bestraft wird, bekommt er für den Besitz bringen konnten, in der weiteren Antragsbearbeitung mehrerer Nacktbilder 50, 60, 70 Tagessätze, gilt aber und -beratung hier im Hause noch diskutiert werden. nicht als vorbestraft; somit steht nichts im Führungs- zeugnis. Im erweiterten Führungszeugnis würde es ste- Ich schließe die Aussprache. hen, wenn die Nacktbilder kinderpornografisches Mate- rial wären. Das sind sie jetzt ja nicht. Also steht das nicht Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (B) darin. den Drucksachen 18/2601 und 18/2619 an die in der Ta- (D) gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Stellen Sie sich vor, ein Kind von Ihnen ist im Sport- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall Dann verein – ich habe zwei kleine Kinder –, und der Trainer sind die Überweisungen so beschlossen. ist wegen des Besitzes sogenannter Posingbilder von Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 g sowie nackten Kindern vorbestraft, was aber nicht im erweiter- die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf: ten Führungszeugnis steht. Ich denke, hier können wir noch nachbessern. Es wurde ja schon in vielen Punkten 25 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung nachgebessert, sodass ich hier die Hoffnung noch nicht eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu aufgegeben habe. dem Vertrag vom 14. April 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen muss, ist Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen – die Strafverschärfung. Ich habe mich sehr gefreut, als ich Körperschaft des öffentlichen Rechts gehört habe, dass man den Strafrahmen für den Besitz und den Erwerb von kinderpornografischem Material Drucksache 18/2587 von zwei auf drei Jahre erhöht hat. Kinderpornografi- Überweisungsvorschlag: sche Bilder sind Vergewaltigungsbilder oder harte Innenausschuss Nacktbilder. Bis jetzt betrug hier das Strafmaß maximal b) Erste Beratung des von der Bundesregierung zwei Jahre. Das ist zu wenig. Drei Jahre sind besser, aber eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu für mich immer noch zu wenig. Die Höchststrafe für ei- dem Abkommen vom 22. Juni 2010 zur nen Diebstahl beträgt fünf Jahre. Für mich stimmt hier zweiten Änderung des Partnerschaftsab- das Verhältnis immer noch nicht. kommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibi- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemein- Zum Cybergrooming komme ich jetzt leider nicht schaft und ihren Mitgliedstaaten anderer- mehr, weil meine Zeit abgelaufen ist, aber auch hier kön- seits (Zweites Änderungsabkommen zum nen wir noch ein bisschen nachbessern. Herr Minister, AKP-EG-Partnerschaftsabkommen) ich habe wirklich mit Freude zur Kenntnis genommen, dass im Vergleich zum ersten Entwurf an vielen Stellen Drucksache 18/2591 nachgebessert wurde. Ich hoffe, wir tun das weiterhin an Überweisungsvorschlag: den Stellen, an denen wir noch drehen können. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 4952 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Entwicklung (f) f) Beratung der Unterrichtung durch die Deut- (C) Auswärtiger Ausschuss sche Welle Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Evaluationsbericht 2013 der Deutschen Union Welle c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksache 17/14285 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internen Abkommen vom 24. Juni Überweisungsvorschlag: 2013 zwischen den im Rat vereinigten Ver- Ausschuss für Kultur und Medien (f) Auswärtiger Ausschuss tretern der Regierungen der Mitgliedstaa- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ten der Europäischen Union über die Entwicklung Finanzierung der im mehrjährigen Ausschuss für Tourismus Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 2020 vorgesehenen Hilfe der Europäischen Ausschuss Digitale Agenda Union im Rahmen des AKP-EU-Partner- Haushaltsauschuss schaftsabkommens und über die Bereit- stellung von finanzieller Hilfe für die über- g) Beratung der Unterrichtung durch die Deut- seeischen Länder und Gebiete, auf die der sche Welle vierte Teil des Vertrags über die Arbeits- Aufgabenplanung der Deutschen Welle weise der Europäischen Union Anwen- 2014 bis 2017 dung findet (Internes Abkommen) Drucksache 18/2536 Drucksache 18/2588 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Auswärtiger Ausschuss Entwicklung (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Auswärtiger Ausschuss Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Ausschuss für Tourismus Union Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss Digitale Agenda Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Haushaltsauschuss Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten (B) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina NEN Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Kündigung des bilateralen Atomabkom- Fraktion DIE LINKE mens mit Brasilien Wiedereingliederung fördern – Gefan- Drucksache 18/2610 gene in die Renten-, Kranken- und Pflege- versicherung einbeziehen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Drucksache 18/2606 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Federführung strittig Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz e) Beratung des Berichts des Ausschusses für Ausschuss für Gesundheit Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe schätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Geschäftsordnung Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Technikfolgenabschätzung (TA) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herausforderungen einer nachhaltigen Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völker- Wasserwirtschaft mord an den Rohingya verhindern Drucksache 18/2085 Drucksache 18/2615 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Ausschuss für Bildung, Forschung und Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und Entwicklung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4953

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Menschenrechtsförderung stärken – Ge- Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- (C) setzliche Grundlage für Deutsches Institut haltsauschusses (8. Ausschuss) für Menschenrechte schaffen Drucksache 18/2645 Drucksache 18/2618 Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) empfehlung auf Drucksache 18/2645, den Gesetzentwurf Auswärtiger Ausschuss der Bundesregierung auf Drucksache 18/2230 anzuneh- Innenausschuss men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist ten Verfahren ohne Debatte. damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sungen: nen angenommen. Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c und 25 e bis 25 g Dritte Beratung sowie Zusatzpunkte 5 a bis 5 c. Interfraktionell wird vor- geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem aufgeführten Ausschüssen zu überweisen. Sind Sie da- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Überweisungen so beschlossen. entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal- Federführung strittig ist, und zwar Tagesordnungs- tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen, punkt 25 d: Interfraktionell wird Überweisung des An- wobei eine Kollegin der Grünen dies aus den Reihen der trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Kündi- Unionsfraktion bewerkstelligt hat. gung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien auf (Heiterkeit) Drucksache 18/2610 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Tagesordnungspunkte 26 b bis 26 i. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener- Tagesordnungspunkt 26 b: gie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Fe- derführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- (B) (D) Bau und Reaktorsicherheit. tionsausschusses (2. Ausschuss) Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- Sammelübersicht 83 zu Petitionen vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Fe- Drucksache 18/2508 derführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Über- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Sammelübersicht 83 ist einstimmig an- hält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den genommen. Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Tagesordnungspunkt 26 c: Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- tionsausschusses (2. Ausschuss) schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Fe- derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Sammelübersicht 84 zu Petitionen Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer Drucksache 18/2509 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei- sungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es tionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Sammelübersicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. 84 ist einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 i auf. Tagesordnungspunkt 26 d: Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 26 a: Sammelübersicht 85 zu Petitionen Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 18/2510 zes zur Teilauflösung des Sondervermögens Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- „Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Auf- hält sich? – Die Sammelübersicht 85 ist bei Enthaltung bauhilfeverordnung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ansonsten auch ein- Drucksache 18/2230 stimmig angenommen. 4954 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Tagesordnungspunkt 26 e: Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: (C) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Aktuelle Stunde tionsausschusses (2. Ausschuss) auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Sammelübersicht 86 zu Petitionen Humanitäre Katastrophe an der türkisch- syrischen Grenze – Nach dem militärischen Drucksache 18/2511 Aufmarsch des IS Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- hält sich? – Die Sammelübersicht 86 ist einstimmig an- gin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke. genommen. (Beifall bei der LINKEN) Tagesordnungspunkt 26 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Heike Hänsel (DIE LINKE): tionsausschusses (2. Ausschuss) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Die Situation an der syrisch-türkischen Grenze ist Sammelübersicht 87 zu Petitionen dramatisch. Deshalb hat meine Fraktion diese Aktuelle Drucksache 18/2512 Stunde beantragt. Zehntausende in der Region, vor allem viele Kurden und Kurdinnen, sind auf der Flucht. Ich Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- war am Sonntag selbst vor Ort und konnte mit eigenen hält sich? – Die Sammelübersicht 87 ist mit den Stim- Augen sehen, wie das Erdogan-Regime die Grenze zu men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Syrien für kurdische Flüchtlinge, Familien und Kinder, Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die die mit ihrem Hab und Gut am Stacheldrahtzaun saßen, Grünen angenommen. geschlossen hatte. Sie fliehen vor den Terrorgruppen des „Islamischen Staates“. Die Dorfbevölkerung auf der tür- Tagesordnungspunkt 26 g: kischen Seite, die helfen wollte, wurde mit Tränengas Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- beschossen. Die Nahrungsmittel und die Zelte, die sie tionsausschusses (2. Ausschuss) mitgebracht hatten, wurden von türkischen Sicherheits- kräften zerstört. Sammelübersicht 88 zu Petitionen Wer vor Ort ist, bekommt ein ganz anderes Bild, als Drucksache 18/2513 es hier in den Medien vermittelt wird, auch was die große Anzahl von Flüchtlingen betrifft, die jetzt angeb- (B) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- lich über die Grenze gekommen sind. Ich habe sie nicht (D) hält sich? – Die Sammelübersicht 88 ist mit den Stimmen gesehen. Es gibt zweifelsohne sehr viele Flüchtlinge, der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die aber sie werden eben bei weitem nicht alle über die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange- Grenze gelassen. Das ist in dieser Notsituation schlicht- nommen. weg kriminell. Die Türkei muss die Grenzen für diese Tagesordnungspunkt 26 h: Flüchtlinge öffnen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- (Beifall bei der LINKEN) tionsausschusses (2. Ausschuss) Wir brauchen viel mehr humanitäre Hilfe. Die UN Sammelübersicht 89 zu Petitionen oder der Rote Halbmond waren in dieser Region nicht vor Ort. Die gesamte Hilfe in der Grenzstadt Suruc wird Drucksache 18/2514 ausschließlich von der kurdischen Zivilbevölkerung in der Türkei geleistet, die zum Teil selbst sehr arm ist. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Sammelübersicht 89 ist mit den Stim- Was hat eigentlich die Bundesregierung gemacht? Ich men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der habe von Ihnen zu dieser Situation vor Ort nichts gehört. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Sie haben nicht einmal den türkischen Botschafter einbe- Fraktion Die Linke angenommen. stellt, um gegen diese Politik zu protestieren. Ich finde das beschämend. Tagesordnungspunkt 26 i: (Beifall bei der LINKEN) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Haben Sie ernsthaft versucht, auf die Türkei einzu- wirken, damit diese ihre Unterstützungspolitik für den Sammelübersicht 90 zu Petitionen „Islamischen Staat“ aufgibt und stattdessen die Grenzen Drucksache 18/2515 für die kurdischen Flüchtlinge öffnet? Es häufen sich nämlich Berichte, zum Beispiel auch in der New York Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Times, über Rekrutierungen des „Islamischen Staates“ in hält sich? – Die Sammelübersicht 90 ist mit den Stim- der Türkei, von Krankenhausaufenthalten. Uns liegen men der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die zum Beispiel Berichte vor, dass IS-Kämpfer aus Kobani Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- mittlerweile in Urfa im Krankenhaus behandelt werden, nis 90/Die Grünen angenommen. oder über Ölverkäufe des „Islamischen Staates“ an die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4955

Heike Hänsel (A) Türkei usw. Dass die türkische Grenze für IS-Kämpfer Wir fordern eine außenpolitische Wende, verantwor- (C) offen ist, aber für Flüchtlinge nicht, das ist inakzeptabel. tungsvolle, friedliche Politik, die alle Akteure in der Re- gion einbezieht – auch den Iran, auch Russland –, die die (Beifall bei der LINKEN) Zivilbevölkerung im Rahmen einer neuen Syrien-Initia- Die Bundesregierung betreibt eine Politik des organi- tive für eine politische Lösung mit einbezieht, die für sierten Wegschauens. Hier könnten Sie internationale eine umfassende politische Lösung streitet. Dann kom- Verantwortung zeigen. Aber Sie übersetzen das ja nur men wir vielleicht dazu, dass Menschen nicht mehr aus noch mit Militärinterventionen, Waffenlieferungen und ihren Ländern fliehen müssen. imperialer Einflussnahme. Sie, Herr Roth, waren in Zy- pern, um die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Tür- Danke. kei voranzutreiben. Ich bitte Sie wirklich: Erklären Sie (Beifall bei der LINKEN) dies einmal der Öffentlichkeit hier im Land. Sie wollen ausgerechnet jetzt die Beitrittsverhandlungen mit dem Vizepräsidentin Petra Pau: Erdogan-Regime intensivieren, das diese Mörder des „Islamischen Staates“ unterstützt hat und offenbar wei- Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat für die CDU/ terhin unterstützt. Ich frage mich: Sieht so Ihre angeblich CSU-Fraktion das Wort. wertegeleitete Außenpolitik aus? Wir brauchen endlich (Beifall bei der CDU/CSU) einen Kurswechsel in der Außenpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wir brauchen eine Außenpolitik, die Verantwortung Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ernst nimmt und eben nicht mit den Sponsoren und Un- Herren! Ich habe mich eigentlich gefreut, als die Links- terstützern des „Islamischen Staates“ paktiert. Deshalb fraktion das Thema der Flüchtlingssituation an der fordern wir auch, dass Rüstungsexporte in die Türkei ge- Grenze zwischen der Türkei und Syrien und auch an der stoppt und die dort stationierten Patriot-Raketen und Grenze zum Irak für die Aktuelle Stunde benannt hat. Bundeswehrsoldaten abgezogen werden. Das wäre ein Das nicht deshalb, weil es schön wäre, darüber zu debat- deutliches Zeichen. tieren, sondern deshalb, weil es wichtig ist, über diese humanitäre Katastrophe zu sprechen und sich Gedanken (Beifall bei der LINKEN) zu machen, welchen Beitrag Deutschland dazu leisten Stattdessen kriminalisieren Sie hier in Deutschland kann, das Leid der Menschen dort zu reduzieren. Das ist, weiterhin ausgerechnet die kurdischen Organisationen, glaube ich, unseres gedanklichen Einsatzes hier in die- wie zum Beispiel die PKK, die im Norden Syriens und sem Haus und letztlich auch des Einsatzes von allen (B) (D) im Irak nachweislich die einzigen waren, die die verfolg- Menschen, die dort in deutscher Verantwortung tätig ten Jesiden verteidigten und die sich jetzt in Syrien ge- werden können, wert. gen den „Islamischen Staat“ selbst verteidigen. Die Aber dass Sie das jetzt auf solch eine billige Art und Linke setzt sich für ein Ende des PKK-Verbots in Weise instrumentalisieren, Ihre wohlbekannte Kritik an Deutschland ein. Das ist überfällig. der Türkei hier zu wiederholen und auch in einer verein- (Beifall bei der LINKEN) fachenden Art und Weise zu wiederholen und eine Wende in der deutschen Außenpolitik zu fordern, Die USA bombardieren nun völkerrechtswidrig Syrien im Verbund mit den Golf-Diktaturen, ausgerech- (Widerspruch der Abg. Ulla Jelpke [DIE net mit den Staaten, die zu den Brandstiftern im Nahen LINKE]) Osten gehören. Die Kanzlerin rollt dem blutigen Dikta- wobei Sie der deutschen Außenpolitik – das habe ich ja tor Katars auch noch den roten Teppich in Berlin aus. bisher noch gar nicht gehört – eine imperiale Einfluss- Das ist wirklich nicht mehr zu übertreffen. Wir lehnen nahme unterstellen, das stimmt heute noch trauriger als auch diese US-Bombardierungen ab. Sie bedeuten neue das Flüchtlingsschicksal. Das ist eine wirklich traurige Opfer, neue Fluchtbewegungen. Das ist für uns keine Vorstellung. Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch Die katastrophale Situation im Nahen Osten mit die- der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) sen Millionen von Flüchtlingen, mit all dem Elend, ist Die Flüchtlingssituation ist wirklich beklemmend. Ich nämlich die Folge der zahlreichen militärischen Inter- glaube, Deutschland leistet heute sehr viel. Wir haben ventionen in der Region: allen voran der Irakkrieg, der darüber bei der Diskussion über Waffenlieferungen mit- die Menschen dort ethnisch und religiös gespalten hat, einander gesprochen. Deutschland braucht sich im euro- und die Politik der Destabilisierung des syrischen Staa- päischen Konzert in keinster Weise zu verstecken. Das tes, diese massive Einmischung von außen, diese Re- heißt aber trotzdem nicht, dass wir Anlass zum Selbstlob gime-Change-Politik. Nun werden Sie diese Geister, die hätten. Es ist einfach unser Selbstverständnis, dass wir Sie riefen, nicht mehr los. Den Preis zahlen die Men- als eine starke Volkswirtschaft das tun, was wir an Mög- schen in der Region. Wir haben diese Politik von Anfang lichkeiten haben, dort wirtschaftlich zu helfen und insbe- an abgelehnt. sondere die humanitäre Katastrophe abzuwenden. Das (Beifall bei der LINKEN) wird nicht vollends gelingen. Ich glaube auch nicht, dass 4956 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Johann Wadephul (A) wir am Ende unserer Möglichkeiten sind, meine lieben ten vielleicht aufhören, diese Organisation so zu nennen –, (C) Kolleginnen und Kollegen. noch nicht am Ende. Aber wir müssen sicherlich neben einer militärischen Antwort auch noch viele andere Ant- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem worten geben. Darüber werden wir viel diskutieren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch einen Aspekt aufwerfen, der sehr ak- Ich glaube, wir sollten uns dafür einsetzen, die Mittel zu tuell ist und den Sie angesprochen haben. Sie werfen uns erhöhen. Bei allem Bekenntnis, zu dem ich stehe und das vor, wir hätten für eine Destabilisierung des syrischen ja auch Grundlage unserer Koalitionsarbeit ist, dass wir Staates gesorgt. keine neuen Schulden machen wollen, müssen wir hier, glaube ich, neue Schwerpunkte setzen. Wir können nicht (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE die Augen davor verschließen, dass Menschen in diesem GRÜNEN]: Aberwitzig!) großen Umfang leiden, sterben, dahinsiechen. Da ist Das haben wir nicht. Ich bin auch dagegen, dass man Deutschland gefordert. Das glaube ich ganz sicher. sich jetzt hinstellt und einfach sagt: Weil sich Assad in (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem letzter Zeit so verhält, wie er sich verhält, und diese isla- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mistischen Krieger möglicherweise jetzt auch bekämpft, ist es nur logisch, zu sagen: Der Feind meines Feindes ist Wir müssen aber dennoch sehen, dass es hier keine mein Freund. – Das stimmt nicht. einfachen Rezepte gibt. Ich habe im Auswärtigen Aus- schuss von der Linksfraktion gehört, die Waffenlieferun- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem gen seien an die „falschen“ Kurden erfolgt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Assad hat Giftwaffen eingesetzt. Sein Handeln dürfen wir nie unterstützen und legitimieren. Na gut. Darin wäre ja die Aussage enthalten, Waffenlie- ferungen an sich wären schon einmal richtig. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Auf der Seite solcher Regimeführer dürfen wir nie ste- GRÜNEN]: Interessant!) hen. Den Eindruck haben Sie bedauerlicherweise er- weckt. Die Diskussion geht aber weiter. Wenn das jetzt Ihre Kehrtwende in der Außenpolitik ist, dann würde ich auch noch einmal bitten, die dem Hohen Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Haus insgesamt zu erläutern, damit wir das Bild auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie stimmig kriegen. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (B) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) GRÜNEN]: Ja, sehr gut!) Aber es gibt doch niemanden im Deutschen Bundes- Vizepräsidentin Petra Pau: tag – darüber haben wir lange diskutiert –, der hier sagen Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Frak- würde: Das ist die einzige Maßnahme, die hilft, die ein- tion Bündnis 90/Die Grünen. zige Maßnahme, bei der wir zu 100 Prozent der Meinung sind, dass sie in dieser Situation richtig ist. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vielmehr müssen wir in unserer Hilflosigkeit einräu- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und men, dass es leider keine andere Möglichkeit gibt, um Kollegen! 140 000 Menschen in vier Tagen: 140 000 hier kurzfristig zumindest für eine geringe Entlastung zu Menschen, die aus Angst vor der Terrorherrschaft des sorgen, und daher bedauerlicherweise ein militärischer ISIS aus Syrien in die Türkei geflohen sind! Einsatz notwendig ist. Alle, die diesen Einsatz unterstüt- 140 000 Menschen sind mehr als die knapp 130 000 zen, tun das nicht, um imperiale Einflussnahme auszu- Flüchtlinge, die im gesamten Jahr 2013 in Deutschland üben, sondern sie tun das, um in dieser ganz schwierigen Asyl beantragt haben. Damit erhöht sich die Zahl der Situation Menschenleben zu retten. Flüchtlinge, die seit über drei Jahren in der Türkei aufge- (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) nommen worden sind, auf etwa 1,5 Millionen: Frauen, Männer und Kinder. Sie sind in Istanbul, in Ankara, in Alle, die das vor Ort tun, welcher Religion, welcher Na- Antakya und auch und vor allem in der Stadt Midyat in tionalität und welchem Stamm auch immer sie angehö- der Provinz Mardin zu sehen, wo nicht nur Christen, ren, haben unseren Respekt und unsere Unterstützung sondern auch Jesiden aufgenommen worden sind. verdient; denn sie helfen, Menschenleben zu retten. 11,5 Millionen, über die Hälfte aller Syrerinnen und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Syrer, sind auf der Flucht vor dem brutalen Krieg Assads BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – da gebe ich Ihnen absolut recht –, der jeden Tag wei- Eine Aktuelle Stunde mit jeweils fünf Minuten für tergeht, und vor dem Terror des ISIS; Millionen von den einzelnen Redner ist natürlich nicht geeignet, um die Flüchtlingen in den Nachbarländern, im Libanon, in Jor- Thematik wirklich grundlegend zu erklären. Wir sind bei danien, in der Türkei, in Irakisch-Kurdistan sowie im der Analyse der Probleme mit dieser Organisation, die Irak, und zusätzlich 1,8 Millionen Binnenvertriebene: sich zu Unrecht, wie selbst alle führenden geistigen Füh- Christen, Jesiden, Turkmenen, Schiiten und auch Sunni- rer des Islam sagen, „Islamischer Staat“ nennt – wir soll- ten. Die Realität ist ein Exodus, eine Vertreibung bibli- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4957

Claudia Roth (Augsburg) (A) schen Ausmaßes. Die Realität sind über 200 000 Tote, Systems, eine Erleichterung der Familienzusammenfüh- (C) sind Folter, sind Misshandlungen, sind entgrenzte Ge- rung, Visa aus humanitären Gründen für Menschen auf walt. der Flucht, ein breit angelegtes Resettlement-Programm und eine sehr viel größere Zahl von Flüchtlingen, die Eigentlich fehlen mir die Worte, das Ausmaß der Tra- Deutschland und die Europäische Union aufnehmen gödie zu beschreiben, das António Guterres, der Hohe müssen. Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, und gestern auch Ban Ki-moon als die größte humanitäre Ka- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tastrophe mit den höchsten Flüchtlingszahlen seit dem Mich erreichen in diesen Tagen Briefe – sicherlich Zweiten Weltkrieg dramatisch beschrieben haben. Es bekommen viele von Ihnen ähnliche Briefe – wie der fehlt buchstäblich an allem. Ich konnte mir zuletzt in Brief einer verzweifelten Frau aus Deutschland, die ver- Dohuk ein Bild davon machen. Es fehlt an einer breiten sucht, ihre aus Kobani in die Türkei geflüchtete Cousine und sehr viel größeren internationalen Unterstützung. Es mit ihren drei Kindern nach Deutschland zu holen. In braucht eine humanitäre Offensive, um Menschenleben solchen Fällen können wir zeigen, dass wir unsere zu retten und das Überleben vieler Menschen zu sichern, Schutzverantwortung ernst nehmen. eine Unterstützung, die aber auf lange Zeit angelegt sein muss; denn die Flüchtlinge können nicht so schnell in Ich danke Ihnen. ihre Heimat zurückkehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es fehlt an Lebensmitteln, an Kleidung und an Ge- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der sundheitsversorgung, um Epidemien zu verhindern. Wir CDU/CSU) haben gestern im Ausschuss gehört, dass inzwischen im Irak Polio ausgebrochen ist. Es braucht Traumabehand- Vizepräsidentin Petra Pau: lung. Es braucht sanitäre Einrichtungen. Es braucht feste Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD- Unterkünfte. Denn nach der brütenden Hitze im Sommer Fraktion. steht jetzt der bitterkalte Winter vor der Tür. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn ich dazu auffordere, die UN-Organisationen, der CDU/CSU) denen die Mittel ausgehen, zu unterstützen und auch Hilfsorganisationen wie die Caritas, die Diakonie, die Welthungerhilfe und medico international viel stärker zu Niels Annen (SPD): unterstützen, dann ist das nicht nur die Einforderung hu- Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine sehr verehrten manitärer Verantwortung für Menschen in allergrößter Damen und Herren! Die erneute, von ISIS ausgelöste (B) Not, sondern das ist auch und vor allem der Versuch, zur Flüchtlingswelle verschärft in der Tat die humanitäre (D) politischen Stabilisierung der Aufnahmeländer, der Katastrophe in der Region. Ich glaube, es geht uns allen Nachbarländer Syriens, beizutragen, deren Infrastruktur so: Die Berichte von den Flüchtlingen, die sich in die unmittelbar zu kollabieren droht. Türkei retten konnten, sind erschütternd. Angesichts der anhaltenden Flüchtlingskatastrophe in der gesamten Re- Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständ- gion – wir reden in der Tat über Syrien, Libanon, Jorda- lich ist es unbedingt notwendig, dass die Grenzen der nien und auch über den Iran und den Irak, weil alle diese Türkei, Libanons, Jordaniens oder des Iraks für Schutz- Länder auch innerhalb ihrer staatlichen Grenzen noch suchende offenbleiben, damit sie sich vor Krieg, Gewalt einmal Flüchtlinge aufgenommen haben – ist die Lage und Verfolgung retten können. Aber ich rate sehr, nicht dramatisch. mit dem erhobenen Zeigefinger auf diese Länder zu zei- gen, bei aller Kritik über die Bilder, die wir auch gese- Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber ich glaube, hen haben, und bei aller Kritik an der Syrien-Politik von wir alle müssen angesichts dieser Bilder, die täglich über Tayyip Erdogan. den Fernsehschirm flimmern, ein bisschen aufpassen, dass wir nicht abstumpfen gegenüber den Bildern, die Denn wie sieht es mit der Aufnahme von syrischen dort auf uns einprasseln. Die Ermordung, Versklavung und irakischen Flüchtlingen bei uns aus? Wie sieht es und Vertreibung von politischen Gegnern und Angehöri- mit der Aufnahme von Flüchtlingen in der Europäischen gen anderer Glaubensgemeinschaften, die ISIS zu politi- Union aus? Deutschland nimmt zwar mehr Menschen schen Gegnern erklärt hat, ist ein Teil der perfiden Stra- auf als andere EU-Länder, und zwar 20 000 Menschen tegie des sogenannten „Islamischen Staates“. seit 2011; dem stehen aber 1,5 Millionen Menschen ge- Wenn wir, so wie es die Bundesregierung tut, den genüber, die die Türkei aufnimmt. Das ist nicht einmal Flüchtlingen helfen, dann tun wir das aus humanitärer ein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss einen doch Verantwortung, aber auch deshalb – ich teile die Mei- angesichts dieser großen Katastrophe beschämen, dass nung der Kollegin Roth –, weil es ein Teil einer politi- die Europäische Union insgesamt ihrer Verantwortung schen Antwort auf den Krieg von ISIS ist. nicht gerecht wird oder dass Deutschland zum Beispiel dem EU-Fonds für Syrien nicht beitreten will. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir unterstützen Innenminister de Maizière, wenn er eine europäische Flüchtlingspolitik einfordert. Das heißt Die Kämpfer von ISIS versuchen, ihre Ideologie und dann aber auch, dass sie endlich menschenrechtskon- Vorstellungen durch breitflächige Vertreibung durchzu- form werden muss: durch die Abschaffung des Dublin- setzen und gleichzeitig mit den von ihnen ausgelösten 4958 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Niels Annen (A) Flüchtlingsströmen die Stabilität der gesamten Region (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Welche Terror- (C) zu erschüttern und dabei ihren eigenen Machtbereich anschläge meinen Sie denn?) auszuweiten. Wir stellen dem die entschlossene Be- Es ist ebenfalls eine unverantwortliche Politik, auszu- kämpfung von ISIS entgegen und sorgen gleichzeitig für blenden, dass es dort, wo der PKK-Ableger in Syrien eine Stärkung der Staatlichkeit; darum geht es letztlich. eine regionale Machtbasis aufgebaut hat, keine politi- Zur Stärkung der Staatlichkeit gehört auch die Stärkung sche Alternative gibt. Reden Sie doch einmal mit den von UN-Organisationen wie UNHCR, Welternährungs- Kurden, die in Opposition zu PYD stehen. programm, UNICEF sowie vielen privaten NGO, die sich engagieren und einen Teil zur Regierbarkeit dieser (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Es geht um den Region beitragen. Friedensprozess!) Es ist gut, dass wir wieder im Rahmen der Vereinten Es handelt sich dabei weiterhin um eine straff organi- Nationen über die Probleme diskutieren. Es gibt nun sierte, autoritäre Partei. Ich finde es ein wenig irritie- eine Resolution gegen sogenannte Foreign Fighters. Es rend, wie Sie hier mit unterschiedlichem Maß messen. ist ein Fortschritt, dass der Sicherheitsrat zu einer ein- stimmigen Empfehlung und einem Beschluss gekommen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ist. Der Gang vor die Vereinten Nationen ist der richtige Ich glaube, wir sind insgesamt sehr verantwortlich Weg. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, sich mit einer ausgesprochen schwierigen Situation umge- noch stärker für die Aufwertung der UNO einzusetzen. gangen. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen sollte Die SPD unterstützt die Bemühungen der Bundesregie- nicht die kurzfristige Suche nach einer Überschrift in der rung für eine inklusive Regierung in Bagdad und für eine nächsten Ausgabe einer Zeitung stehen. Vielmehr sollten breite regionalpolitische Allianz gegen ISIS. Hier haben die Bemühungen im Mittelpunkt stehen, die humanitäre wir Fortschritte erzielt. Lage für die Menschen zu verbessern. Frau Kollegin Hänsel, es gibt sicherlich viele Punkte, Ich danke für die Aufmerksamkeit. die an der Regierung Erdogan zu kritisieren sind. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass in den letzten Monaten und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Jahren zu häufig die Abschnitte der Grenze zu Syrien of- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE fen waren, die eigentlich hätten geschlossen sein müs- GRÜNEN) sen, und dass ausgerechnet die Abschnitte der Grenze geschlossen waren, die für humanitäre Hilfe hätten ge- Vizepräsident Johannes Singhammer: öffnet sein müssen; das ist richtig. Aber die Art und Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der (B) Weise, wie Sie hier den plakativen Vorwurf gegen die Kollege Dr. Bernd Fabritius. (D) türkische Regierung ohne jegliche Unterlegung von Fak- (Beifall bei der CDU/CSU) ten erheben, den „Islamischen Staat“ zu unterstützen,

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das alles kann Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): man in Zeitungen nachlesen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! macht eine konstruktive Kritik nicht einfach. Ich glaube, Meine Damen und Herren! Der Krieg des IS gegen die es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung in Dialogen zivilisierte Welt führt zu einer humanitären Katastrophe und Zusammenarbeit engagiert. Im Übrigen will ich da- unvorstellbaren Ausmaßes. Tiefe Betroffenheit und rauf hinweisen, dass Sie mit Ihrer Vorstellung, man sei Empathie mit den Flüchtlingen wurden bereits deutlich gut beraten, mit einem radikalen Schnitt bei den Bei- artikuliert. Im Kampf gegen das Elend der Flüchtlinge trittsverhandlungen für eine Änderung der Politik Anka- müssen wir daher die Wurzel des Übels angehen. Der ras zu sorgen, auf dem Holzweg sind. marodierende und mordende IS muss zurückgedrängt werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Deutschland übernimmt in dieser schwierigen Situa- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tion in vielfältiger Weise Verantwortung. Auch die Lie- Wir haben in den letzten Monaten weitestgehend un- ferung von Waffen an die kurdischen Peschmerga war beobachtet von der Öffentlichkeit – ich bin der Bundes- richtig. Das ist bestimmt keine imperiale Einflussnahme, regierung dafür dankbar – Fortschritte gemacht, auch bei Frau Kollegin Hänsel. Eine derartige Diktion hätte ich den Beitrittsverhandlungen. Wir brauchen die Türkei. von Ihnen eher bei der russischen Präsenz in der Ukraine Wenn wir die Türkei als Teil eines regionalen Bündnis- erwartet. ses brauchen, dann ist die Politik, die Sie uns empfehlen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kein Weg in die richtige Richtung. Es ist in den letzten Jahren doch ein großer Verdienst der Regierung Erdogan Die Unterstützung der Weltgemeinschaft bei der gewesen, Friedensgespräche mit der PKK zu führen. Die Bekämpfung des IS ist beachtlich. Auch beim NATO- aktuelle Situation zeigt, wie richtig und wichtig dieser Partner Türkei würde ich mir eine entschiedenere Posi- Weg ist. Ich will Ihnen offen sagen, dass ich dafür bin, tionierung gegenüber dem IS wünschen. Die Türkei ist dort, wo es notwendig ist, Gespräche mit der PKK und eines der Hauptaufnahmeländer in der Region und hat ihrem syrischen Ableger zu führen. Aber Sie blenden für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen vollkommen aus, dass diese Organisation Terroran- große Anerkennung verdient. Die Eindämmung der Ter- schläge begangen hat, auch hier in Deutschland. rorgruppe IS erfordert ebenfalls gemeinsame Anstren- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4959

Dr. Bernd Fabritius (A) gungen, und gerade die Türkei als direkter Nachbar Verbesserung der Infrastruktur in den Nachbarstaaten (C) spielt eine entscheidende Rolle. Das gestrige Umdenken Syriens bereitgestellt. des türkischen Präsidenten war überfällig. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Viel zu wenig!) Aber auch wir in Deutschland müssen wachsam sein. Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgt Radikalisierung findet auch hier statt. Der Kampf gegen für sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern. Die den IS beginnt in Deutschland. Wir müssen Radikalisie- Erfahrungen aus diesem Engagement haben deutlich ge- rung bereits im Ansatz unterbinden. Dafür sind wir auf zeigt: Jeder Euro Hilfe vor Ort erreicht mehr Menschen die Unterstützung der muslimischen Gemeinschaft ange- als bei einer Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland. wiesen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Islamverbände am vergangenen Freitag deutlich gemacht haben, dass (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Terror und Hass nicht geduldet werden dürfen. Hier ste- NEN]: Deshalb kürzen Sie! – Heike Hänsel hen die Verbände weiter in der Pflicht. Für schlechte [DIE LINKE]: Falsch! Stimmt doch gar nicht!) Scherze wie die Schariapolizei in Nordrhein-Westfalen Es muss letztlich unser oberstes Ziel sein, dass unsere habe ich bei dem Ernst der Lage überhaupt kein Ver- Hilfe so viele Menschen wie möglich erreicht. ständnis. Vorhin sprach ich davon, die Wurzeln des Übels anzu- (Beifall bei der CDU/CSU) gehen. Die beste Lösung der humanitären Katastrophe Bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Region an der türkisch-syrischen Grenze ist die Befriedung im nimmt Deutschland ganz deutlich Verantwortung wahr. Krisengebiet. Die Eindämmung des IS sowie eine Innerhalb Europas tragen wir – das wurde schon ge- Lösung des Syrien-Konflikts sind die Voraussetzungen sagt – den größten Anteil. Die Akzeptanz in der Bevöl- dafür, dass die zahllosen Flüchtlinge bald wieder in ihr kerung und die Bereitschaft, zu helfen, sind hoch. Aber Heimatland zurückkehren können. Das sollte unser aller gerade weil die Lage in der Region so dramatisch ist und Ziel sein. wir mit weiteren Flüchtlingsströmen rechnen müssen, ist Danke. es wichtig, diese hohe Akzeptanz nicht zu gefährden. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung war die Be- (Beifall bei der CDU/CSU) stimmung sicherer Herkunftsländer. Dadurch werden in Deutschland dringend benötigte Kapazitäten frei, sodass Vizepräsident Johannes Singhammer: die wirklich Schutzbedürftigen wie die Flüchtlinge aus Der Kollege Andrej Hunko spricht jetzt für die Linke. Syrien aufgenommen werden können. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte zur Vermeidung der Radikalisierung je- (B) (D) doch noch einen Schritt weitergehen. Es wird oft gefor- Andrej Hunko (DIE LINKE): dert, Fremde sollten zwar integriert, aber nicht assimi- liert werden. Mit derartigen Aussagen machen wir es uns Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- zu einfach. Selbstverständlich sollen bei uns lebende lege Fabritius, Sie sprachen von der Wurzel des Übels, Menschen ihre kulturelle Identität behalten und gerne die angegangen werden muss. Diese Auffassung teilen ihre Bräuche pflegen. Ich fordere jedoch eine Assimilie- wir. Wir diskutieren darüber, wie diese Wurzel angegan- rung in unsere Wertegemeinschaft, an der wir festhalten gen werden muss. Was ich aber nicht akzeptieren kann, und die wir nicht preisgeben wollen. ist, dass die notwendige Flüchtlingshilfe, die wir auch hier leisten müssen, dem sozusagen gegenübergestellt Die Bereitschaft, differenziert Verantwortung in wird, das gegeneinander ausgespielt wird. Das ist ange- Europa zu übernehmen, ist leider nicht überall zu be- sichts der Situation beschämend. obachten. Wir müssen immer wieder feststellen, dass an- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise dere EU-Länder ihren Verpflichtungen, zum Beispiel im Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rahmen des Dublin-Verfahrens, nicht angemessen nach- kommen. Insbesondere beim Zustrom von Flüchtlingen Gegenwärtig ist die Verteidigungsministerin von der über das Mittelmeer kommt es oft zu Unregelmäßigkei- Leyen in Arbil, um die Waffenübergabe an die kurdi- ten. Italien verzichtet auf eine Registrierung und lässt an schen Peschmerga zu überwachen. Es ist Ihre Politik, seinen Küsten angelandete Flüchtlinge ungehindert wei- liebe Kollegen von der Bundesregierung, die die Kurden terreisen. Auch Österreich nimmt seine Verantwortung in gute Kurden und schlechte Kurden einteilt. Die Pesch- bei den entsprechenden Kontrollen häufig nicht ernst ge- merga werden mit Waffen beliefert. Gleichzeitig gibt es nug. Sollten geltende EU-Prinzipien auch weiterhin auf keine ernsthafte Stellungnahme Ihrerseits zu der Situa- diese Art und Weise verletzt werden, sollten wir drin- tion an der türkisch-syrischen Grenze. Ich würde mir gend über die Möglichkeit vorübergehender Grenzkon- wünschen, dass ein Vertreter der Bundesregierung jetzt trollen auch innerhalb des Schengen-Raums nachden- konkret zu dieser türkisch-syrischen Grenze fährt, um ken. sich die Lage vor Ort anzuschauen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hey!) (Beifall bei der LINKEN) Der Schwerpunkt der Flüchtlingshilfe muss in den Wir sprachen von der Wurzel des Übels. Herr Nachbarstaaten Syriens liegen. Dort kommen die meis- Fabritius, der IS, der sogenannte IS – ich mag den Be- ten Flüchtlinge an. Deutschland hat seit 2012 rund eine griff auch nicht –, ist eine Erscheinungsform des Übels, halbe Milliarde Euro für humanitäre Hilfe und zur aber nicht die Wurzel. Die Wurzel liegt in jahrzehntelan- 4960 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Andrej Hunko (A) ger kolonialer und imperialer Politik in dieser Region, schen Staats“ erlaubt waren, während die Polizei bei (C) besonders in Kriegen. Und da folgte ein Krieg nach dem Fahnen der PKK einschreiten musste. Ich glaube, dass anderen: Irakkrieg 1991, Irakkrieg 2003 mit Hunderttau- diese Politik der Kriminalisierung eines Teils der Kurden senden Toten. Einige Truppenverbände des IS rekrutie- aufhören muss. Ich denke, das PKK-Verbot muss über- ren sich aus den sogenannten Revolutionsgarden von prüft werden. Auch die Listung der PKK auf der EU- Saddam Hussein, die aus diesem Krieg hervorgegangen Terrorliste muss überprüft werden. sind. (Beifall bei der LINKEN) (Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Wie reißen wir dann die Wurzel raus? – Manfred Grund Es gibt sehr konkrete Handlungsempfehlungen der [CDU/CSU]: Das ist eine gute Erklärung, wa- Kurden in Deutschland, konkret des kurdischen Zen- rum Köpfe abgeschlagen werden!) trums für Öffentlichkeitsarbeit, was die Situation an der Grenze angeht. Ich glaube, diese kann man unterstützen. Die Wurzel des Übels liegt auch in der Politik, die in den letzten Jahren, leider auch vom Westen, in Syrien Es geht um die vollständige Öffnung des Grenzüber- gemacht worden ist. gangs Mürsitpinar für die grenzüberschreitende Not- hilfe. Es geht um die Unterbindung der Grenzübertritte (Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Wo ist die für IS-Mitglieder und Dschihadisten, die sich dem IS an- Lösung?) schließen wollen. Es geht um die Unterstützung aller Man war richtig besessen davon, Assad zu stürzen, und kurdischen Gruppen, nicht nur bestimmter kurdischer hat gar nicht mehr hingeschaut, welche Kräfte in Syrien Gruppen. Es geht um die Anerkennung der demokra- unterstützt worden sind, darunter auch dschihadistische tisch-autonomen Verwaltungen in Rojava. Es geht um Kräfte. die Ausweitung der humanitären Hilfe. Ich unterstütze natürlich auch die Forderung, dass wir in dieser akuten (Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann Situation mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Wadephul [CDU/CSU]: Wer im Westen hat denn Dschihadisten unterstützt?) Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen. Meine Kollegin Heike Hänsel war am Wochenende vor Ort. Ich Selbst in der Türkei wird das offen diskutiert. Ich will bitte Vertreter der anderen Fraktionen und der Bundesre- gar nicht mit dem Finger darauf zeigen; ich zitiere jetzt gierung, auch zur Grenze zu fahren und sich die Situa- einfach einen türkischen Journalisten. Er schreibt: tion vor Ort anzuschauen. Nicht alle Informationen, die Das Duo Tayyip Erdogan – Ahmet Davutoglu hat wir hier bekommen, entsprechen den wirklichen Ereig- regelrechte „Geburtshilfe“ bei der Geburt des „Isla- nissen vor Ort. (B) mischen Staats“ an der gesamten Südgrenze zu un- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (D) serem Land geleistet … (Beifall bei der LINKEN) Ich will einfach nur, dass die Bundesregierung klar sagt: Diese Unterstützung muss aufhören. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der LINKEN) Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriela Heinrich für die Sozialdemokraten. Wir reden über die Flüchtlinge aus der Region Rojava in Syrien. Das ist eine Region, die sich in den letzten (Beifall bei der SPD) drei Jahren weitgehend selbst verwaltet hat, in demokra- tischer Selbstverwaltung, wo der Versuch unternommen Gabriela Heinrich (SPD): wird, alle Ethnien und Religionen der Region in einen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- demokratischen Prozess einzubeziehen. Es ist ein hoch- ren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Rund 9 000 spannender Prozess. Für mich ist es einer der Hoff- Flüchtlinge haben in den ersten Monaten dieses Jahres nungsschimmer in der Region. Ich glaube, dieser Pro- die Grenze überquert. Das Aufnahmeland muss diese zess sollte anerkannt und auch international diskutiert Flüchtlinge versorgen, medizinisch betreuen und men- werden; denn er könnte ein Modell sein für ein friedli- schenwürdig unterbringen. Das ist unzweifelhaft eine ches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und große Herausforderung für das Aufnahmeland. Die Religionen in der Region. Herausforderung ist so groß, dass gedroht wurde, die (Beifall bei der LINKEN) Grenze zu kontrollieren. Auch da würde ich mir wünschen, dass das vonseiten der Gemeint war die bayerisch-österreichische Grenze, Bundesregierung klar benannt wird. um die Einreise von weiteren Flüchtlingen zu verhin- dern. Es war der bayerische Ministerpräsident, der die Wir hatten vor wenigen Wochen die Situation am Rückkehr zu Grenzkontrollen forderte und angesichts Berg Schengal, wo Einheiten der syrischen Kurden, der der Flüchtlingszahlen eine Überforderung Bayerns und YPG, zusammen mit der PKK Zehntausenden Jesiden Deutschlands beklagte. das Leben gerettet haben. Wir hatten gleichzeitig in Deutschland die Gesetzeslage, dass die PKK verboten Meine Damen und Herren, es liegt mir völlig fern, war, während zu dem Zeitpunkt der sogenannte „Islami- mich mit diesem Vergleich lustig zu machen. Mir ist sehr sche Staat“ noch erlaubt war. Es kam auf Demonstratio- wohl bewusst, welche Schwierigkeiten unsere Kommu- nen zu der absurden Situation, dass Fahnen des „Islami- nen angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen bewälti- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4961

Gabriela Heinrich (A) gen müssen. Ich gebe aber zu, dass ich genau daran den- Flüchtlinge kümmern, Ärzte und Krankenschwestern (C) ken musste, als angesichts der Zahlen, die wir aus Syrien helfen, die Ankommenden medizinisch zu versorgen, gehört haben, vor ein paar Tagen die Empörung über die wie in meiner Heimatstadt Nürnberg. Es gibt durchaus zeitweilige Schließung der Grenzen in der Türkei hoch- viele, die verstanden haben, dass über 50 Millionen kochte. Flüchtlinge auf der Welt auch unseren Teil an Solidarität einfordern, und sie erwarten dies auch von unserer Poli- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE tik. GRÜNEN]: Ich auch!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Meine Damen und Herren, Sie kennen die Zahlen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kollegin Roth hat sie heute schon benannt. 130 000 Menschen sind innerhalb weniger Tage aus Die Wertegemeinschaft steht vor einer ungeheuren Syrien in die Türkei geflohen. 1,5 Millionen syrische Herausforderung. Terrorismusbekämpfung und Massen- Flüchtlinge befinden sich bereits in der Türkei. 3 Millio- morde zu stoppen, ist die eine Seite, schnelle humanitäre nen Syrer sind in die Nachbarländer geflohen, neben der Hilfe ist die andere. Seit 2012 hat Deutschland die Kri- Türkei in den Libanon, nach Jordanien, nach Ägypten senregion mit über 600 Millionen Euro unterstützt. An- und in den Irak. Nur 4 Prozent dieser syrischen Flücht- gesichts der aktuellen Flüchtlingsströme – nicht nur in linge haben in Europa Asyl beantragt. die Türkei – ist der Bedarf an dieser Hilfe aber nicht we- niger, sondern mehr geworden. Deswegen setzt sich die Besonders schwierig ist die Situation der syrischen SPD in den Haushaltsberatungen für eine Aufstockung Frauen. Jede vierte syrische Flüchtlingsfamilie wird von der humanitären Hilfe ein. einer Frau geführt. Nur wenige werden von Verwandten unterstützt. Sie sind meist völlig auf sich selbst gestellt, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist nicht müssen ihre Familien irgendwie durchbringen und haben glaubwürdig!) häufig keine Chance auf eine existenzsichernde Arbeit. Ohne einen begleitenden Ehemann werden sie gedemü- Wir haben heute gehört, dass dies in der Koalition Kon- tigt und belästigt. Sexuelle Übergriffe sind an der Tages- sens ist. ordnung. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Natio- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Darauf komme nen hat deswegen zur verstärkten Unterstützung dieser ich zurück!) Frauen aufgerufen. Es muss uns gelingen, das Morden und Zerstören in Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Syrien und im Irak zu beenden. Die Weltgemeinschaft macht mit der geplanten Flüchtlingskonferenz zur Hilfe wird sich diesmal aber auch beim Wiederaufbau lang- der Anrainerstaaten deutlich, dass das Thema Flücht- (B) fristig engagieren müssen, um die Weichen für einen (D) linge ganz oben auf der politischen Agenda steht. Die nachhaltigen Frieden zu stellen. Erinnern wir uns an die Probleme der Frauen müssen Teil dieser Konferenz wer- Solidarität, die wir als Deutsche nach dem Zweiten Welt- den. krieg erfahren haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Danke schön. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Es wurde bereits erwähnt, dass Deutschland aus hu- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) manitären Gründen 20 000 syrische Flüchtlinge aufge- nommen hat. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Es ist auch richtig, wenn wir mehr Solidarität innerhalb der Vizepräsident Johannes Singhammer: Europäischen Union einfordern. Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour vom Bündnis 90/Die Grünen. Europa ist mehr als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Wir müssen uns zuallererst als Wertegemeinschaft be- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): greifen, wenn wir eine gemeinsame Zukunft haben wol- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! len. Dazu gehört das Recht auf Asyl in den Ländern der Die Barbaren von ISIS haben an diesem Wochenende Europäischen Union. Aber welche Handlungen leiten in 48 Stunden 60 Dörfer erobert. Die Menschen, die in wir von diesem Wert ab? Europa kann nicht von den diesen Dörfern leben, hatten die unglaublichen Gräuelta- Nachbarländern Syriens erwarten, dass sie 3 Millionen ten, die wir kennen, vor Augen. Allein die Zahl der jesi- Flüchtlinge angemessen versorgen, jedoch die Auf- dischen Frauen, die mittlerweile auf Sklavenmärkten nahme von Flüchtlingen weitgehend ablehnen. verkauft worden sein sollen, liegt bei 5 000. Selbstver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE ständlich sind die Menschen geflohen. Was blieb ihnen GRÜNEN) denn übrig? Die Zahl von 140 000, die über die türkische Grenze geflohen sind, ist bereits genannt worden. Wir können es auch dann nicht erwarten, wenn wir viel Geld für die humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Ja, es gab den Einsatz von Wasserwerfern und Trä- nengas durch türkische Sicherheitskräfte. Ja, es gab (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Chaos. Ja, einiges, was Ankara macht, ist problematisch Nehmen wir uns ein Beispiel an den Kommunen in bis hochambivalent. Ja, es ist ein Problem, wenn die Deutschland. Vielerorts bilden sich Unterstützerkreise, Grenzen zeitweise geschlossen werden. Ja, es ist ein gro- in denen sich Nachbarn und Kirchengemeinden um die ßes Problem, dass es in der Vergangenheit für ISIS- 4962 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Omid Nouripour (A) Kämpfer tatsächlich freien Grenzverkehr gab. Ja, es ist Die UN haben es an bestimmten Punkten tatsächlich (C) ein Problem, wenn die humanitäre Hilfe an der Grenze geschafft, zu reagieren. Wir wissen, der Sicherheitsrat ist steckenbleibt. Ja, wir brauchen klare Worte Richtung blockiert, die Lage ist kompliziert; aber die Resolution Ankara. Aber trotzdem machen Sie es sich viel zu ein- 2165 ist eindeutig. Es geht darum, dass geholfen wird, fach, verehrte Kollegin Hänsel. Es ist einfach nicht die dass humanitäre Hilfe grenz- und frontübergreifend ge- Zeit, um darüber zu sprechen, dass wir jetzt nicht mehr leistet wird. mit der Türkei reden, dass wir die Drähte kappen und mit der Türkei jetzt nicht mehr über einen Beitritt reden. In dieser Situation ist es alles andere als nachvollzieh- Wir brauchen Richtung Türkei jetzt mehr Engagement. bar, dass die Europäische Union EU-Hilfsmittel für die- Wir dürfen nicht nur Vorwürfe machen, sondern müssen ses Jahr um die Hälfte streicht. Wenn mir dann aus Brüs- deutlich mehr Hilfe anbieten. sel erzählt wird, dass Herr Schäuble derjenige sei, der da den meisten Druck gemacht habe, dann fehlen mir, ehr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lich gesagt, die Worte und jedes Verständnis dafür. bei der CDU/CSU und der SPD – Heike Herr Fabritius sagt völlig zu Recht: Jeder Cent, den Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Gespräche, aber wir für die humanitäre Hilfe in den Grenzgebieten auf- nicht mehr Verhandlungen!) wenden, ist ein großer Beitrag dazu, dass es den Men- – Aber auch mehr Hilfe anbieten. Natürlich ist die Tür- schen besser geht. – Dazu kann ich nur sagen: Verflucht kei überfordert. Welches Land wäre es nicht? noch mal, schauen Sie doch mal in Ihren eigenen Haus- haltsentwurf für 2015! Sie kürzen die Mittel für humani- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE täre Hilfe um 38 Prozent, und das in einer Zeit, in der die GRÜNEN]: 1,5 Millionen!) Katastrophen Tag für Tag größer und mehr werden. 1,5 Millionen Menschen hat die Türkei schon aufgenom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men. Ganz ehrlich: Wir haben unsere Geschichte in die- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sem Land mit der PKK. Man sollte der PKK jederzeit Das hat mit den vielen schönen und hehren Worten, die die Möglichkeit geben, zu zeigen, dass sie sich verändert Sie hier sprechen, nichts zu tun. hat. Aber die PKK hat am Wochenende erklärt, dass sie zum Kampf, und zwar zum grenzenlosen Kampf, auf- Kollege Oppermann hat hier in der letzten großen De- ruft. Wenn man die Geschichte der PKK kennt, dann batte, die wir hatten, das schöne Versprechen von sich kann man sich vorstellen, dass diese Erklärung nicht un- gegeben, dass die SPD stets darauf achten wird, dass die bedingt großes Vertrauen in Ankara ausgelöst hat. Des- Mittel für humanitäre Hilfe im Irak mindestens genauso halb muss man hier ein bisschen vorsichtiger agieren mit hoch sind wie die für militärische Hilfe, die zurzeit (B) (D) den Vorwürfen, die man in alle Richtungen von sich gibt. 70 Millionen Euro betragen. Gestern haben wir aber im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und fahren, dass die Mittel für humanitäre Hilfe nur 25 Mil- bei der SPD) lionen Euro betragen. Ich will nicht alles Gesagte zur humanitären Hilfe (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE hier wiederholen. Ich will auf einen einzigen Punkt hi- GRÜNEN]: Was?) naus, der schon einmal genannt worden ist. Es gibt vie- les, was die Menschen brauchen. Die meisten Menschen Da kann ich die SPD nur dringend auffordern, mit ganz fliehen von der einen zur anderen Minute mit nichts an- viel Nachdruck dafür zu sorgen, dass dieses Versprechen derem als dem, was sie am Körper tragen. Wir rennen tatsächlich erfüllt wird. jetzt auf den Winter zu; in acht Wochen wird in vielen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie dieser Gegenden Schnee liegen. Deshalb, liebe Bundes- der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) regierung: Reden Sie bitte mit den anderen Regierungen der EU, schicken Sie feste Unterkünfte – Container, Alles andere wäre Augenwischerei. Container, Container! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Das ist das Notwendigste, was jetzt gebraucht wird. Bitte Dagmar Wöhrl, CDU/CSU. achten Sie darauf. (Beifall bei der CDU/CSU) Sämtliche Katastrophen an der Grenze, über die wir gerade sprechen, sind wirklich nur ein kleiner Ausschnitt Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): des Horrors und des Grauens, nicht nur im Nordirak, Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Hänsel, dass ich sondern auch in ganz Syrien; dort reden wir mittlerweile Ihnen einmal Danke sagen sollte, hätte ich zwar nicht von bis zu 200 000 Toten, darunter viele Kinder. Wir re- gedacht; aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die heutige den davon, dass mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung Aktuelle Stunde initiiert haben. Syriens humanitäre Hilfe braucht. Wir reden über Hun- ger als Kriegswaffe; sie wird immer wieder von der Re- Auf der anderen Seite muss ich sagen: Herr Kollege gierung Assad eingesetzt, in Yarmouk, in Sabadani, in Hunko, dass Sie hier versuchen, den IS zu rechtfertigen, Homs – oder dort, wo die Stadt Homs früher einmal war. ist für mich unverständlich. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4963

Dagmar G. Wöhrl (A) (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was? – Weite- mit die Mittel für humanitäre Hilfe aufgestockt werden (C) rer Zuruf von der LINKEN: Er hat ihn nicht können. Die Not zwingt uns dazu. gerechtfertigt!) Diejenigen von uns, die in den letzten Wochen und Es gibt keine Rechtfertigung für diese Terrororganisa- Monaten in Flüchtlingslagern gewesen sind – ob im tion, liebe Kolleginnen und Kollegen. Libanon, im Irak oder sonst wo –, haben eines festge- stellt: Die Flüchtlingscamps sind nicht mehr so wie frü- (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel her. [DIE LINKE]: Das hat er doch gar nicht ge- macht!) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!) Es sind Monster. Sie töten unsere Frauen und Kin- der. Sie überziehen das ganze Land wie ein unauf- Es sind Städte geworden, inzwischen auch mit Einkaufs- haltsames Krebsgeschwür. zentren. Die Menschen stellen sich darauf ein, dass sie nicht von heute auf morgen wieder in ihre Heimat zu- Das waren die Worte eines Flüchtlings, als er nach end- rückkehren können. Das bedeutet auch, dass ihnen eine losen Strapazen endlich auf der anderen Seite der langfristige Zukunftsperspektive fehlt. Dadurch entsteht Grenze zur Türkei angekommen war. Das sind Worte, Hoffnungslosigkeit. Kinder wachsen in Gewalt auf. Sie die einem im Gedächtnis bleiben, ebenso die dramati- kennen nichts anderes als dieses Umfeld. Das ist die Ge- schen, schrecklichen Szenen, die wir in den letzten Wo- fahr, die wir in diesem Zusammenhang sehen. chen immer wieder erleben. Der IS brüstet sich mit Mas- sakern, er stellt Videos davon ins Netz – brutalste Wir müssen ISIS zeigen, dass er verwundbar ist. Wir Szenen, wie wir sie uns nicht schlimmer vorstellen kön- müssen das auch den Menschen zeigen, damit sie die nen. Er hat es geschafft, innerhalb von drei Tagen Angst vor diesen Terroristen verlieren. In diesem Zu- 60 Dörfer zu überrollen. Alle jungen Männer über zwölf sammenhang bin ich dankbar für die UN-Resolution, die Jahren wurden getötet. Die Frauen wurden vergewaltigt gestern angenommen worden ist. Endlich sind alle Län- und misshandelt; es sollen insgesamt über 5 000 gewe- der der Vereinten Nationen verpflichtet, ein Gesetz zu sen sein. Die Frauen haben nur eine Chance, wenn sie erlassen, das das Reisen zu terroristischen Zwecken un- bereit sind, sich zu bekehren, wenn sie bereit sind, die terbindet. Wir hoffen, dass sich dadurch wenigstens die „Richtiggläubigen“ zu ehelichen. Ansonsten werden sie Zahl der Foreign Fighters verringert. zu Sklavendiensten missbraucht oder auf dem Markt Wir dürfen nicht naiv sein. Wir wissen: Ohne militäri- verkauft; man spricht von einem Preis von 200 Dollar. sches Eingreifen kann die Weltgemeinschaft dieser Lage Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Men- nicht Herr werden. Deswegen sind wir froh, dass die (B) schen, für die Frauen mit ihren Kindern bleibt nur die USA aktiv geworden sind. Wir sind froh, dass sie von (D) Flucht. Wir sprechen heute von 140 000 Flüchtlingen, den Franzosen unterstützt werden. Wir sind froh, dass die innerhalb von drei Tagen über die syrisch-türkische sie von arabischen Partnern unterstützt werden. Um die Grenze geflohen sind. Wenn es IS schafft, Kobani einzu- Not der Menschen zu lindern, müssen wir diese militäri- nehmen, was er ja vorhat, dann wird sich die Zahl der schen Maßnahmen durch politische Intervention und hu- Flüchtlinge auf über 400 000 erhöhen. manitäre Hilfe ergänzen, wie wir es bisher schon getan haben. Man ist sprachlos. Wenn man das sieht und hört, weiß man gar nicht, was man noch machen kann. Man ist ver- Wir schulden der Türkei Dank für die Aufnahme der zweifelt. Es gibt nicht genügend grausame Worte, um Flüchtlinge. Die Zahl ist immens, für uns unvorstellbar: überhaupt zu beschreiben, was sich dort abspielt. 1,6 Millionen. Das wird nicht das Ende der Fahnen- stange sein, das wissen wir. Wir müssen hier unterstüt- Wir brauchen Lösungen. Es ist uns unverständlich, zen. Wir sind ebenfalls froh, dass sich Erdogan gestern was für eine Anziehungskraft die Dschihadisten haben. in der UN-Vollversammlung zum ersten Mal dazu be- Inzwischen soll es über 15 000 Foreign Fighters geben, kannt hat, die internationale Gemeinschaft im Kampf ge- das heißt junge Menschen aus dem Ausland, die in das gen IS zu unterstützen. Es wurde auch Zeit. Das ist eine Land strömen, um die Dschihadisten und den IS zu un- Aussage, auf die wir lange, lange gewartet haben. terstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie Wir brauchen Lösungen; denn die Hälfte aller Flücht- der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) linge sind Kinder. Von der Krise in Syrien und seinen Nachbarländern sind inzwischen 6,6 Millionen Kinder betroffen, Zehntausende sind bereits gestorben. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Redezeit? Ich bin froh, dass die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung annimmt. Aber es muss noch mehr Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): getan werden. Auch wir versuchen, unserer Verantwor- Ja, danke schön. – Für uns war es nicht zu verstehen, tung durch humanitäre Hilfe gerecht zu werden. Wir un- dass Rekruten in der Türkei in Moscheen ausgebildet terstützen UNICEF. Wir gewähren Soforthilfe. Unsere worden sind und dass Leute durch die Türkei in den Iran zuständigen Minister stocken die Mittel für humanitäre reisen konnten. Aber wir sind dankbar für seine Worte. Hilfe auf. Sie wissen, dass es notwendig ist. Herr Nouripour, ich bin auch froh: Es wird einen Nachtrags- Wir sind bereit, mit unseren internationalen Partnern haushalt für den Etat des Auswärtigen Amtes geben, da- in Zukunft gemeinsam vorzugehen. Unseren internatio- 4964 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dagmar G. Wöhrl (A) nalen Partnerorganisationen, die vor Ort das Menschen- Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat – das hat (C) mögliche machen, gilt unser Dank. Wir hoffen, dass die Gabriela Heinrich eben schon erwähnt – für den 28. Ok- Kinder dadurch eine Perspektive für die Zukunft haben. tober 2014 nach Berlin zu einer Konferenz eingeladen, bei der über Hilfen für die Nachbarstaaten Syriens und Vielen Dank. des Iraks beraten wird. Das begrüße ich sehr und möchte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Außenminister an dieser Stelle ausdrücklich dafür neten der SPD) danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Johannes Singhammer: der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ute Finckh- [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Krämer für die Sozialdemokraten. Deutschland muss einen weiteren substanziellen Bei- (Beifall bei der SPD) trag leisten, um seiner internationalen Verantwortung für die Flüchtlinge gerecht zu werden. Das betrifft sowohl Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): die Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe im laufenden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Jahr, die gegebenenfalls im Rahmen eines Nachtrags- Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf der haushaltes aufgestockt werden müssen, als auch die Mit- Tribüne! Heute tagt – schon länger angekündigt – im tel für 2015, die im vorliegenden Entwurf in der Tat viel Auswärtigen Amt der Koordinierungsausschuss Huma- zu niedrig angesetzt sind und daher im Rahmen der wei- nitäre Hilfe. Seit 20 Jahren bringt er mehrmals im Jahr teren Haushaltsberatungen massiv aufgestockt werden Vertreter der Bundesregierung und der humanitären müssen, wie es mein Kollege Frank Schwabe bei der De- Nichtregierungsorganisationen zusammen. Seine heuti- batte zur ersten Lesung des Bundeshaushaltes 2015 be- gen Themen – unter anderem: Irak, Syrien und die Ebo- reits gefordert hat. Die Hilfsorganisationen und ihre lo- lakrise in Westafrika – sind brandaktuell. kalen Partner brauchen Planungssicherheit und die Ursprünglich war geplant, dass heute Mittag eine di- Flüchtlinge die Gewissheit, dass sie so lange Hilfe erhal- rekte Begegnung der Mitglieder des Bundestagsaus- ten, wie sie benötigen. schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe mit Neben Geld für die schon länger in der Region tätigen diesem Koordinierungsausschuss stattfinden sollte. Lei- Hilfsorganisationen und für den UNHCR wird mögli- der haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der cherweise auch qualifizierte technische Hilfe nötig wer- Linken, genau in diese Mittagszeit zwei namentliche den, wenn es darum geht, allen Flüchtlingen winterfeste Abstimmungen gelegt. Insofern musste das offizielle Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Viele von uns Ab- (B) Gespräch abgesetzt werden, geordneten haben sich am Dienstag beim Technischen (D) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: So ist das im Hilfswerk darüber informiert, was diese Organisation Parlamentarismus!) beim Aufbau von Notunterkünften oder bei der Trink- wasserversorgung leisten kann – übrigens zu über und ich konnte mich nur kürzer als erhofft darüber infor- 98 Prozent durch den Einsatz von Freiwilligen, das heißt mieren, was deutsche Hilfsorganisationen wie die Welt- von ehrenamtlich Tätigen. Wenn die Türkei konkrete hungerhilfe, medico international und der Malteser Hilfe in diesem Bereich bei der Bundesregierung oder Hilfsdienst derzeit im syrisch-türkischen Grenzgebiet bei der Europäischen Union anfordert, könnte das THW leisten. Ich möchte diesen Organisationen und den wei- diese, wie in der Vergangenheit in anderen Ländern, teren Organisationen, die dort im Augenblick tätig sind, schnell und effektiv bereitstellen. an dieser Stelle ausdrücklich für ihr professionelles En- gagement vor Ort danken. Ich möchte im Zusammenhang mit der heutigen Dis- kussion an die Grundprinzipien der humanitären Hilfe (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem erinnern: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Menschlichkeit. Sie dienen dem Schutz sowohl der- Liebe Frau Hänsel, sowohl gestern im Ausschuss für jenigen, die Hilfe leisten, als auch derjenigen, denen sie Menschenrechte und Humanitäre Hilfe als auch heute im zuteil wird. Sie verhindern, dass Konflikte durch einsei- Koordinierungsausschuss hat die Bundesregierung über tige Hilfeleistung entstehen oder eskalieren. Humanitäre die Situation in der Grenzregion berichtet. Auch die Hilfe darf nicht für politische Interessen instrumentali- Hilfsorganisationen, die heute vertreten waren, haben siert werden. berichtet. Die Berichte entsprachen nicht ganz dem, was Besonders wichtig ist die Neutralität der humanitären Sie eben vorgetragen haben. Hilfe in bewaffneten Konflikten bzw. in deren unmittel- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil die auch barer Nachbarschaft. Deutschland hat sich 2003 nicht woanders sind!) am Angriffskrieg der USA gegen den Irak beteiligt und lehnt jetzt zu Recht die Beteiligung an den Luftangriffen Die Flüchtlinge kommen diesen Berichten zufolge zwar der USA auf den Irak und Syrien ab. Damit können deut- in der Tat nicht überall und sofort, aber doch sukzessive sche Hilfsorganisationen in der Region glaubwürdig als über die Grenze. Die meisten bleiben auch nicht in der unparteilich auftreten. unmittelbaren Grenzregion, sondern fahren in Ortschaf- ten weiter, in denen sie zum Beispiel bei Verwandten un- Wir müssen uns über die humanitäre Hilfe hinaus Ge- terkommen können. danken machen, wie wir nicht nur mit Mitteln der Ent- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4965

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) wicklungszusammenarbeit, sondern auch mit friedens- grund des bevorstehenden Winters zuspitzt und die Ma- (C) fördernden Maßnahmen einen Beitrag dazu leisten terialien nicht ausreichen. Hier ist nicht nur Deutschland können, die Lebenssituation der Menschen in der Region gefordert, sondern die EU und die ganze Welt sind ge- langfristig zu verbessern. Daher wird die heutige Dis- fragt, alles Erdenkliche zu tun, um die humanitären kussion sicher nicht die letzte zum Thema Türkei, Sy- Hilfsleistungen in den nächsten Wochen zu verstärken. rien, Irak gewesen sein. Ich möchte auf den UN-Sicherheitsrat eingehen; Herr Danke schön. Annen, Sie haben das erwähnt. Ich möchte das noch ein- mal betonen: Es ist ein ermutigendes Signal, dass die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Resolution einstimmig beschlossen wurde. Wenn wir der CDU/CSU) uns zurückerinnern: Das hat es bei solchen Konflikten so oft nicht gegeben. Das ist aber nur der erste Schritt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Unser Außenminister ist, glaube ich, im ZDF gestern Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jörg Hell- Abend in einem Interview dazu befragt worden. Zwei muth. Fragen sind mir in Erinnerung geblieben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die erste Frage war: Wie wird die Hilfeleistung Deutschlands eingeschätzt? Ist sie ausreichend? Er hat Jörg Hellmuth (CDU/CSU): im Rückblick auf die Gespräche geantwortet: Das ist Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und überhaupt nicht das Thema. Die Unterstützung und die Herren! Als wir vor einigen Monaten die ersten Informa- Hilfe finden bei der UN allergrößte Anerkennung. – Ich tionen über ISIS – damals sprach man noch von ISIS – denke, das sollte man an dieser Stelle auch einmal er- erhalten haben, war zu lesen, dass die militärische Basis wähnen. insbesondere aus ehemaligen Offizieren der irakischen Die zweite Frage war: Wie stellen Sie sich denn die Armee besteht. Das hat mich schon seinerzeit mit Sorge Umsetzung vor? Die ist doch nicht einfach. Unser Au- erfüllt. Diese Erkenntnis ist in den letzten Wochen etwas ßenminister antwortete darauf: Daran werden wir noch in den Hintergrund geraten, nicht zuletzt aufgrund der viele Wochen arbeiten. – Die Umsetzung wird noch ein unglaublichen Gräueltaten. Aber nach wie vor, so denke Stück Arbeit werden. Es gibt da ja eine Vielzahl von ich, bilden gut ausgebildete Offiziere der irakischen Ar- Problemen. Trotzdem sehe ich diesen einstimmigen Be- mee die militärische Basis – eine Generation Enttäusch- schluss als außerordentlich ermutigendes Signal. ter, die nur darauf sinnen, für ihren ehemaligen Diktator Rache zu nehmen. Zum Schluss. Das Agieren der Türkei werden wir in (B) den nächsten Tagen und Wochen intensiv beobachten: (D) Herr Hunko, Sie haben Analyse und Aufarbeitung an- am Wochenende erst Grenzöffnung, dann wieder ein gesprochen. Das ist sicherlich notwendig, heute und hier Schließen der Grenzen, einerseits diese ominösen Ver- ist aber nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ich möchte Ih- handlungen, was die Freilassung der Geiseln betrifft, an- nen Folgendes sagen: Ich musste vor knapp 40 Jahren in dererseits gestern am Rande der UN-Vollversammlung meiner Lehrzeit unweit von Berlin, 50 Kilometer von das Bekenntnis des türkischen Präsidenten, mit in die hier, Militär-Lkw zusammenbauen, von denen viele Front zur ISIS-Bekämpfung einzusteigen. Wir werden – das war schon eine ordentliche Größenordnung – in ihn in den nächsten Tagen und Wochen beim Wort neh- den Irak gegangen sind. Damals hat die DDR Militär- men. berater, Militär-Lkw und andere Militärtechnik in den Irak geliefert. Während es hier an allem Möglichen Vielen Dank. fehlte, hat das System der DDR das irakische Militär mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- aufgebaut und unterstützt. Meine herzliche Bitte lautet: neten der SPD) Wenn Sie die Geschichte aufarbeiten bzw. analysieren, dann vergessen Sie diesen Teil der Geschichte bitte Vizepräsident Johannes Singhammer: nicht. Abschließender Redner in dieser Aktuellen Stunde ist (Beifall bei der CDU/CSU) der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU. Als wir vor einigen Wochen mit der Bundesministerin (Beifall bei der CDU/CSU) der Verteidigung, Frau von der Leyen, in unserer Ar- beitsgruppe die Situation erörtert haben, habe ich diese Thorsten Frei (CDU/CSU): Frage gestellt: Wie belastbar sind die Informationen über Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die diese Gräueltaten, über diese Zustände? Und: Ist das al- Bilder des Arabischen Frühlings und das, was wir damit les nicht noch viel schlimmer? In der Tat scheint es so zu verbunden haben, haben sich in Luft aufgelöst. Die ara- sein. In den letzten Tagen hat sich die Situation derma- bische Welt und ihre Ordnung sind in der tiefsten Krise ßen zugespitzt, dass einem wirklich die Worte fehlen. seit dem 13. Jahrhundert. Das gilt nicht nur für die Län- Frau Roth, man hätte es nicht für möglich gehalten, dass der, auf die wir jetzt hauptsächlich den Fokus legen, für so etwas im 21. Jahrhundert noch möglich ist. den Irak und Syrien, sondern das gilt genauso für den Je- men und Libyen. Über die humanitäre Hilfe wurde hier schon viel ge- sprochen. Das kann man nur ausdrücklich unterstützen. (Zuruf des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/ Ich habe die Befürchtung, dass sich die Situation auf- DIE GRÜNEN]) 4966 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Thorsten Frei (A) Wenn wir uns anschauen, was sich in den vergange- Niemand ist so naiv, zu glauben, dass ein paar Ge- (C) nen Tagen an der türkisch-syrischen Grenze ereignet hat wehre für die Peschmerga das Problem ISIS aus der – es ist vielfach beschrieben worden –, dann sehen wir: Welt bringen. Es ist in der Tat entsetzlich und kaum vorstellbar. Wenn innerhalb von wenigen Stunden 130 000 Menschen an Richtig, wir brauchen in der Tat eine international abge- die türkische Grenze gedrängt werden und in die Türkei stimmte Strategie. Da geht es darum, dass man Geld- fliehen, dann ist das für uns kaum vorstellbar. Es ist voll- ströme kappt. Da geht es darum, dass man die ethnischen kommen klar, dass wir in einer solchen Situation helfen und religiösen Gruppen in diesen Prozess integriert, dass müssen. Uns muss auch klar sein, dass das in der Tat man vor Ort die Akteure ertüchtigt, sich selbst zu helfen, nicht das Ende der Fahnenstange ist. Angesichts von so wie wir es im Nordirak getan haben. 1,8 Millionen Binnenflüchtlingen im Irak und in Syrien Aber, drittens, meine sehr verehrten Damen und Her- steht uns noch einiges bevor. ren, ich warne auch davor, zum jetzigen Zeitpunkt alles Ich möchte zum Schluss der Debatte vier wesentliche andere auszuschließen. Ich glaube, es ist notwendig, Aspekte benennen, die aus meiner Sicht hier nottun. dass die Amerikaner mit Luftschlägen versuchen, zu hel- fen, die Not dort zu bekämpfen, indem man IS unmittel- Erstens. Natürlich müssen wir Flüchtlinge aufneh- bar angeht. men, selbstverständlich. Es erfüllt mich mit großem Re- spekt, wenn ich sehe, was beispielsweise in der Türkei, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Seit wann haben im Libanon und auch in Jordanien passiert. Die Länder Bomben Not beseitigt?) dort vollbringen ganz enorme Leistungen. Ich halte es für falsch, wenn wir, ohne die Lage abschlie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ßend beurteilen zu können, dieses grundsätzlich aus- neten der SPD) schließen. Aber Fakt ist eben auch, dass außerhalb der Region kein (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was heißt das anderes Land so viel tut, um Flüchtlinge aufzunehmen, denn jetzt?) wie Deutschland. Es ist darüber hinaus fraglich, ob das ausreicht. Viel- Ich möchte an dieser Stelle eines sagen: Es kann, leicht muss man noch sehr viel mehr tun, wenn man glaube ich, nicht das Ziel sein, dass wir so viele Flücht- keinen jahre- oder gar jahrzehntelangen Konflikt an die- linge wie möglich zu uns holen und hier aufnehmen. ser Stelle haben möchte; auch das müssen wir bedenken. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Als letzten, vierten Punkt will ich erwähnen: Es geht (B) GRÜNEN]: Das sagt ja auch keiner!) aus meiner Sicht auch darum, die Sicherheit der Men- (D) schen bei uns im Land zu gewährleisten, und die ist in Denn sie möchten ja nicht ihre Heimat verlassen. der Tat in Gefahr. Wenn man sieht, dass 400 gewaltbe- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die haben keine reite Menschen aus Deutschland sich dem IS ange- Heimat mehr!) schlossen haben, wenn wir davon ausgehen müssen, dass mindestens 25 kampferprobte Dschihadisten wieder zu- Sie möchten nicht nach Deutschland und Europa. Sie rückgekehrt sind nach Deutschland, dann müssen wir, fliehen aus ihrer Heimat, weil sie vertrieben werden von glaube ich, auch in diesem Bereich den gesetzlichen Terroristen, die völlig verroht sind, die sie aus ihrer Hei- Rahmen voll ausschöpfen. Wir müssen Doppelstaatlern, mat vertreiben, massakrieren und abschlachten. Dort die sich so weit vom Boden des Grundgesetzes und der müssen wir helfen. Wir müssen hier bei uns helfen, aber freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt ha- auch unmittelbar vor Ort. Es ist schon gesagt worden: ben, die Pässe entziehen. Wir müssen alles tun, um deut- Der Winter steht vor der Tür. Deshalb muss es schnelle lich zu machen, dass, wer so etwas tut, letztlich sein Hilfe geben. Ich bin dafür dankbar, dass wir die haus- Rückkehrrecht nach Deutschland verwirkt hat, meine haltspolitische Flexibilität haben, entsprechend darauf sehr verehrten Damen und Herren. zu reagieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt benennen. Es Abg. Kerstin Griese [SPD]) ist in der Tat so, dass es nicht reicht, nur die Symptome zu bekämpfen – Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: In der Tat, es kommt auf eine international abgestimmte Lösung an, (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die die Kräfte vor Ort integriert. Dazu gehört – ob uns NEN]: Ach?) das gefällt oder nicht – auch der Iran. Richtig ist auch, dass die Türkei dabei eine zentrale Rolle spielen muss. man muss auch an die Wurzel des Übels. Deshalb ist es Ich schließe mich insofern den Vorrednern an: Was wir richtig, die Terrororganisation IS mit allen Kräften zu in den letzten 48 Stunden von Staatspräsident Erdogan bekämpfen. gehört haben, ist ermutigend. Zweitens. Wir haben am 1. September hier im Bun- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. destag darum gerungen, ob wir den kurdischen Pesch- merga Waffen liefern wollen. Wenig danach hat unser (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Außenminister gesagt: neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4967

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- (C) Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. nern: Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gen! Ich bringe hiermit den Gesetzentwurf zur Änderung a) Erste Beratung des von der Bundesregierung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- ein. derung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften Ich darf daran erinnern, dass wir Anfang des Jahres – auch angestoßen von der CSU – eine Debatte über die Drucksache 18/2581 Frage hatten: Wie gehen wir mit sogenannten Armutsmi- Überweisungsvorschlag: granten um, und wie groß ist das Problem? – Es war aber Innenausschuss (f) nicht nur die CSU, die diese Debatte angestoßen hat: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Kommunen und kommunale Spitzenverbände hatten Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ihrerseits in dringlichen Appellen auf die Belastungen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hingewiesen, die mit einer steigenden Zuwanderung aus Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO der EU verbunden sind. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Das Ergebnis unserer Arbeit ist in diesem Gesetzent- gierung wurf und in dem Bericht des Staatssekretärsausschusses Zwischenbericht des Staatssekretärsausschus- niedergelegt. Beides liegt dem Parlament vor. Das Er- ses zu Rechtsfragen und Herausforderungen gebnis lautet: Es gab und gibt in Deutschland kein flä- bei der Inanspruchnahme der sozialen Siche- chendeckendes Problem damit. Es gibt aber eine Reihe rungssysteme durch Angehörige der EU-Mit- von Kommunen – insbesondere Großstädte –, die durch gliedstaaten die Folgen eines stetig wachsenden Zuzuges aus weni- gen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besonders Drucksache 18/960 betroffen und belastet sind, und darauf reagieren wir mit Überweisungsvorschlag: den Maßnahmen, die jetzt hier anstehen. Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Finanzausschuss Sehr richtig!) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Die Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten der (B) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Europäischen Union hat in den letzten Jahren zugenom- (D) Reaktorsicherheit men. Das birgt für unser Land Chancen und viel Gutes. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Der weit überwiegende Teil dieser Zuwanderer kommt c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- zu uns, um hier eine Arbeit zu finden, eine Ausbildung gierung zu beginnen oder ein Studium aufzunehmen. Diese Men- schen suchen für sich und ihre Familien bessere Chancen Abschlussbericht des Staatssekretärsausschus- und tragen zu Wohlstand und Entwicklung in Deutsch- ses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen land bei. Angesichts unserer demografischen Entwick- bei der Inanspruchnahme der sozialen Siche- lung sind wir natürlich auf die Zuwanderung derjenigen, rungssysteme durch Angehörige der EU-Mit- die hier arbeiten können und wollen, angewiesen. gliedstaaten“ Ich will auch keinen Zweifel daran lassen, dass die Drucksache 18/2470 Freizügigkeit in der Europäischen Union nach unserer Überweisungsvorschlag: Auffassung eine der großen Errungenschaften ist, die Innenausschuss (f) nicht zur Disposition stehen. Sie ist eine der großen Vor- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss züge Europas für seine Bürger und insbesondere auch Ausschuss für Arbeit und Soziales für uns Deutsche. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Gleichzeitig dürfen wir aber nicht die Augen davor Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union verschließen, dass vor Ort mit einem wachsenden Zuzug Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für aus bestimmten EU-Mitgliedstaaten Probleme verbun- diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre den sind. Diese Städte und Gemeinden berichten über keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. eine Verschärfung sozialer Probleme und über eine stei- gende Belastung ihrer Systeme der kommunalen Damit eröffne ich die Aussprache. Daseinsvorsorge. Das betrifft den Bereich Schule, die Erster Redner ist Bundesminister Dr. Thomas de Versorgung mit Wohnraum, die unangemessene und Maizière. unberechtigte Inanspruchnahme sozialer Leistungen oder den Bereich Gesundheitsversorgung. Das müssen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wir adressieren, und darüber dürfen wir ebenfalls nicht der SPD) hinwegsehen. 4968 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) Wenn wir heute eine Bilanz der Arbeit des Staats- falsche Angaben wird unter Strafe gestellt. Beim Kin- (C) sekretärsausschusses ziehen, können wir dreierlei fest- dergeld sollen Doppelzahlungen und Missbrauch unter- halten: bunden werden. Künftig wird die Kindergeldzahlung von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern Erstens. Der Abschlussbericht hat die Daten- und und Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifika- Faktenlage sowie die Rechtsfragen bewertet und damit tionsnummer abhängig sein. Wir wollen entschieden ge- zu einer Versachlichung der Debatte überall beigetragen. gen Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit vorge- Ich glaube, das war gut und richtig. hen. Dazu sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Regelung vor, durch die die Zusammenarbeit mit der Fi- GRÜNEN]: Wenn man sich den Gesetzent- nanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert wird. Über den wurf anschaut, dann kann man das nicht be- Gesetzentwurf hinaus gibt es einige Maßnahmen, die auf haupten!) dem Verordnungswege oder durch Verwaltungsvor- schriften erlassen werden sollen. So soll im Bereich der Zweitens. Wir wollen die betroffenen Kommunen Familienleistungen konkretisiert werden, in welchen substanziell entlasten. Der Bericht und der vorliegende Fällen die Freizügigkeitsberechtigung von Antragstel- Gesetzentwurf enthalten dazu eine Reihe von Maßnah- lern konsequent und genau zu prüfen ist. Auch Gewerbe- men. Ich nenne sie gleich kurz. Diese Entlastungen sol- anzeigen werden künftig konsequent auf Anhaltspunkte len noch in diesem Jahr und in den Folgejahren wirksam für Scheinselbstständigkeit geprüft. werden. Deswegen bitte ich auch um eine zügige Bera- tung dieses Gesetzentwurfs, damit die Kommunen noch Bevor gleich in der Debatte vorgetragen wird, das al- in den Genuss der Fördermaßnahmen kommen können, les seien Maßnahmen, die sich gegen Betroffene, die die mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind. hierherkommen, richten könnten, will ich Folgendes sa- gen: Der Missbrauch, der hier betrieben wird, wird nicht Drittens. Wir wollen die Freizügigkeit in Europa er- allein durch diejenigen betrieben, die zu uns kommen, halten und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft sichern. sondern überwiegend durch das kriminelle Handeln der- Gerade deshalb ist es wichtig, gegen einen Missbrauch jenigen, die diese Menschen hierherlocken und ausbeu- dieses Rechts wirkungsvoll vorzugehen. ten. Wenn ein Vermieter in einem abbruchreifen Haus Was heißt das? Die Unterstützung geschieht in Form eine große Familie mit Luftmatratzen unterbringt und einer entsprechenden finanziellen Ausstattung des Städ- dafür 300 oder 400 Euro Miete nimmt, dann ist das tebauförderprogramms „Soziale Stadt“ und der verschie- nichts anderes als eine Schweinerei. denen Programme aus europäischen Fonds. Wir stocken die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) (D) Heizung im Sozialgesetzbuch II auf. Das Geld kann Wenn jemand mit einem fertig ausgefüllten, in perfek- noch in diesem Jahr – ich erwähnte es – an die Länder tem Deutsch formulierten Gewerbeantrag eine Gewerbe- fließen, in denen die besonders betroffenen Städte und erlaubnis beantragt, dann riecht das nach Scheinselbst- Gemeinden liegen, damit es dann – das unterstreiche ich ständigkeit. noch einmal – an die Kommunen weitergegeben wird, und zwar so, wie das beabsichtigt ist. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Beck? Durch eine Änderung des SGB V werden künftig bei Kindern und Jugendlichen aus EU-Staaten ohne geklär- Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- ten Krankenversicherungsschutz die Impfkosten über- nern: nommen. Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen; So weit zu den die Kommunen entlastenden Maßnah- dann darf gerne eine Zwischenfrage gestellt werden. – men. Wenn Männer auf einem sogenannten Arbeitsstrich ste- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- hen und für 1 bis 2 Euro pro Stunde Arbeit annehmen, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das war es dann sind die Menschen, die ihnen Arbeit anbieten, schon?) Schweinehunde. Wenn Frauen, die ihren Lebensunter- halt nicht bestreiten können, auf den Strich geschickt Zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammen- werden, dann ist es kriminell, diesen Missbrauch zu dul- hang mit dem Freizügigkeitsrecht sieht der vorliegende den. Deswegen ist alles, was wir tun, auch darauf gerich- Gesetzentwurf eine Reihe von Maßnahmen aus den Zu- tet, denjenigen, die mit Armutsmigranten Geld verdie- ständigkeitsbereichen verschiedener Ressorts vor: nen, den Hahn abzudrehen. Im Freizügigkeitsrecht sollen befristete Wiederein- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) reisesperren im Falle eines Rechtsmissbrauchs oder Betrugs ermöglicht werden. Das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche soll in Übereinstimmung mit dem europäi- Vizepräsident Johannes Singhammer: schen Recht auf sechs Monate befristet werden. Die Jetzt hat der Kollege Volker Beck zu einer Zwischen- Erschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durch bemerkung das Wort. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4969

(A) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Zusammenhang mit den Sozialleistungen insgesamt (C) Was die Zielvorstellungen angeht, sind wir uns hun- stehen zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes an. dertprozentig einig. Wenn diese Urteile vorliegen, werden wir diesen Fall und ähnliche Fälle zu bewerten haben und dann mögli- Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- cherweise noch Änderungen vornehmen. Schließlich nern: wollen wir unsere Arbeit evaluieren. Schon Ende 2014 Das ist ja mal etwas. Das ist nicht immer so. wollen wir prüfen, ob die Maßnahmen ausreichen oder ob weitergehende Maßnahmen geboten sind. Das Thema bleibt sicher auf der Tagesordnung. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, eben. – Ich würde gerne wissen, an welcher Ein wichtiger Schritt ist die Beratung und Verabschie- Stelle die Frage beantwortet wurde, von der Sie gerade dung des Gesetzes, das ich Ihnen heute vorstelle. Ich gesagt haben, dass Sie sie beantworten wollen: Es geht bitte, wie eingangs begründet, um zügige Beratung und um arme Menschen, die im Rahmen der EU-Freizügig- eine möglichst große Zustimmung. keit zu uns gekommen und zugewandert sind, die in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wohnungen wohnen, in denen sie ausgebeutet werden, oder die in Schrottimmobilien leben. Es gibt dazu eine Regelung, und zwar in Nordrhein-Westfalen; die dortige Vizepräsident Johannes Singhammer: Landesregierung will die Kontrolle verstärken. Aber in Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist diesem Gesetzentwurf habe ich keinen Satz zu dieser die Kollegin Ulla Jelpke für die Linke. Problematik gelesen. (Beifall bei der LINKEN)

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- Ulla Jelpke (DIE LINKE): nern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Herr Abgeordneter Beck, dazu bedarf es auch keiner Minister, seit über einem Jahr wird insbesondere vonsei- neuen gesetzlichen Regelung. Wenn wir sonst über Ge- ten der CDU/CSU immer wieder über den angeblichen setzesverschärfungen reden, sind Sie immer der Erste, Sozialhilfemissbrauch der Zuwanderer aus Osteuropa der sagt: Kümmert euch doch erst einmal um den Ver- geredet. Auch Sie haben es heute wieder so dargestellt. waltungsvollzug, bevor ihr Gesetze verschärft. – Hier ist Wir erleben seit einem Jahr eine regelrecht hysterische es genauso. Eine solche ausbeuterische Miete ist sitten- Kampagne, die durch gar nichts gerechtfertigt ist. widrig und nichtig. Derjenige, der ein solches Objekt vermietet, macht sich möglicherweise auch strafbar. Je- (Beifall bei der LINKEN) (B) denfalls sollte man ihm die Hammelbeine langziehen. (D) Dazu bedarf es keines neuen Bundesgesetzes. Mit diesem Gesetzentwurf wird nur weiter Öl ins Feuer gegossen. Sie schüren Vorurteile gegen Menschen aus (Beifall bei der CDU/CSU) Osteuropa, insbesondere gegen Roma. Indem Sie die Auch für den Fall, dass jemand einen anderen zur Freizügigkeit eingrenzen, entziehen Sie diesen Men- Scheinselbstständigkeit verleitet, brauchen wir keine zu- schen das Grundrecht auf europäische Freizügigkeit. Ich sätzlichen Gesetze. Ich möchte mit den harten Worten, sage ganz klar: Nicht mit der Linken! die ich hier sage, erreichen, dass wir den Blick nicht nur (Beifall bei der LINKEN – Oswin Veith auf diejenigen, die sich in Deutschland aufhalten, und [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) auf die Lasten, die für die Kommunen damit verbunden sind, richten, sondern auch auf diejenigen, die die Lage Die Linke hat, wenn das Bundesministerium von der dieser Menschen ausnutzen, in Bulgarien, in Rumänien Union geführt wurde und von dem angeblichen Sozial- und in Deutschland. missbrauch die Rede war, immer wieder Kleine Anfra- gen gestellt. Die Bundesregierung musste zugeben, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck Zahlen dazu überhaupt nicht vorliegen; auch die Bun- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel- desagentur für Arbeit hat dies zugegeben. Auch der Be- leicht muss man bei den Schrottimmobilien richt der Staatsminister, die sich lange damit befasst ha- aber trotzdem mal etwas tun!) ben, hat keinerlei Beweise dafür gebracht. Trotzdem Meine Damen und Herren, der Abschlussbericht, den wird hier die Schlussfolgerung gezogen, dass man ein wir heute vorlegen, ist natürlich nicht der Endpunkt. Wir solches Gesetz braucht. Die Faktenlage beweist genau haben noch einige Prüfbitten und Prüfungen vor uns. das Gegenteil; das hat der Minister eben immerhin ge- Der erste Punkt ist sehr wichtig: Es ist zu prüfen, ob die sagt. Unter den Zuwanderern aus Rumänien hat jeder Höhe des Kindergeldes in Zukunft an die Lebenshal- Vierte einen akademischen Abschluss. Die Arbeitslosen- tungskosten am Wohnort des Kindes angepasst wird. quote in Deutschland unter Bulgaren und Rumänen ist Das ist eine wichtige Frage, die viele Menschen in niedriger als unter den übrigen EU-Ausländern. Deutschland beschäftigt, die europarechtlich aber nicht Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages leicht zu beantworten ist. Wir werden sie weiter intensiv – Herr Minister, jetzt sollten Sie genau zuhören – hat ge- prüfen. sagt: Nicht der Missbrauch von Sozialleistungen ist un- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ser Problem. Unsere Hauptsorge ist, dass wir zu wenig GRÜNEN]: Gibt es denn dann auch mehr Kin- Geld haben, um diese Menschen unterzubringen und zu dergeld?) integrieren. – Von 267 000 Rumänen, die in Deutschland 4970 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Ulla Jelpke (A) leben, sind laut Polizeilicher Kriminalstatistik ganze 91 Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) verdächtig – verdächtig, nicht verurteilt –, Sozialleis- Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege tungsbetrug begangen zu haben. Man muss sich wirklich Dr. Lars Castellucci. an den Kopf fassen, wenn die CDU/CSU hier durch die Sprecherin der Landesgruppe der CSU verkünden lässt, (Beifall bei der SPD) man habe jetzt entscheidende Forderungen gegen den Sozialbetrug bei der Armutszuwanderung durchgesetzt. Dr. Lars Castellucci (SPD): Nein, das haben Sie nicht. Was Sie getan haben, ist, die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Themen Zuwanderung und Freizügigkeit willkürlich mit Uns liegen der Abschlussbericht des Staatssekretärsaus- den Themen Missbrauch und Armut zu verrühren. schusses zur Zuwanderung und der Regierungsentwurf, mit dem das EU-Freizügigkeitsgesetz geändert werden (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) soll, vor. Ich möchte auch drei Punkte ansprechen, Herr Genau das hat fatale Folgen. Sie fördern damit Ressenti- Bundesminister. Zwei Punkte sehen wir ähnlich. Das ist ments in der Gesellschaft, die sich vor allem gegen Sinti großkoalitionär doch gar kein schlechter Schnitt. und Roma richten, auch wenn diese nur einen geringen (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Teil der Zuwanderer ausmachen. Eine Leipziger Studie NEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE hat uns Mitte des Jahres bestätigt, dass die Feindseligkeit GRÜNEN]: Da klatscht niemand!) gegenüber Roma immer weiter ansteigt. Dieses An- wachsen des Antiziganismus ist eine direkte Folge der Bei dem dritten Punkt ist es ein bisschen anders. Aber von der Union befeuerten Kampagne gegen vermeintli- das müssen wir miteinander aushalten. che Betrüger. Erstens. Dieser Staatssekretärsausschuss war eine (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sehr sinnvolle Einrichtung. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Oswin Veith [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) GRÜNEN]: Dass Sie sich nicht genieren! Elf Staatssekretäre ein halbes Jahr lang!) Zuwanderer aus Osteuropa kommen nicht hierher, um Sozialleistungen zu beziehen. Sie kommen hierher, um Er hat einen guten Bericht vorgelegt und zur Versachli- zu arbeiten. Das müssen Sie endlich einsehen. Hören Sie chung der Debatte beigetragen. auf mit Ihrer unfairen Kampagne! Zweitens. In den Großstädten, in denen sich die Pro- (Beifall bei der LINKEN) bleme häufen, steht die Bundesregierung mit Hilfen an (B) der Seite dieser Kommunen. Auch das ist eine gute (D) Arbeitslose EU-Bürger sollen jetzt nach sechs Mona- Nachricht. ten Aufenthalt ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn sie keine Arbeit haben. Ich möchte einmal die Menschen se- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE hen, die das schaffen. In Einzelfällen soll sogar von der GRÜNEN]: 20 Millionen Euro sind dabei he- Wiedereinreisesperre Gebrauch gemacht werden. Der rausgekommen! Dafür brauchten wir den Kindergeldbezug soll schärfer geprüft werden usw. Das Staatssekretärsausschuss?) widerspricht absolut dem Gedanken der europäischen Drittens. Mit diesem Bericht gibt die Bundesregie- Freizügigkeit. Das lehnen wir auch ganz klar ab. rung im Prinzip Entwarnung. Er enthält nämlich keiner- (Beifall bei der LINKEN) lei Anhaltspunkte, die die Aufregung rechtfertigen wür- den, Meine Damen und Herren, die Kommunen brauchen keine neuen Gesetze, sondern vor allen Dingen Unter- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE stützung. Da wird jetzt auch einiges getan. Der Bund GRÜNEN]: Warum ändern Sie denn dann das gibt Geld an die Kommunen, insbesondere an die, die Freizügigkeitsrecht?) bedürftig sind. Das ist gut und richtig. Wir schließen uns die zur Einrichtung dieses Staatssekretärsausschusses aber dem Deutschen Städtetag an, der gefordert hat: Wir geführt haben. brauchen einen Rechtsanspruch auf Integrationskurse auch für EU-Bürger. Ich zitiere einmal aus dem Bericht. Erstes Zitat: Mein Appell an die Bundesregierung ist: Belassen Sie Die Bundesregierung steht zur Freizügigkeit und es bei der Hilfe für die Kommunen! Versachlichen Sie Deutschland profitiert davon. die Debatte! Verzichten Sie auf Verschärfungen des Frei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zügigkeitsrechts! Treten Sie rassistischen Stimmungen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) entgegen! Nehmen Sie Antiziganismus endlich als Be- drohung in unserer Gesellschaft wahr, und gehen Sie – Applaus. Danke schön. entschlossen dagegen vor! (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Bei Zitaten Ich danke Ihnen. gibt es immer Applaus!) Guter Bericht. – Zweites Zitat: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Menschen sind bei uns willkommen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4971

Dr. Lars Castellucci (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das ist so, als würden wir jemandem, der mit 17 oder (C) DIE GRÜNEN) 18 Jahren die Fahrerlaubnis erhält, vorwerfen, dass er anschließend mit dem Auto fährt. Probleme bekommt er Drittes Zitat: freilich, wenn er über eine rote Ampel fährt. Das ist Der größte Anteil der Zugewanderten sind Arbeit- schon richtig; das ist auch gut so. Aber gerade für einen nehmer. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt selbst Missbrauch oder zumindest für eine Rechtsverletzung und tragen damit zugleich zum Wohlstand in unse- wird mit diesem Bericht kein Datenmaterial vorgelegt. rem Land bei. Ich finde, das muss hier klar gesagt werden; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Clemens Binninger [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU]: Das hat auch der Minister gesagt!) denn das ist die Realität in diesem Lande, und von den – Das hat auch der Minister gesagt. – Ich würde jetzt am realen Gegebenheiten müssen wir ausgehen, sonst kön- liebsten zehn Minuten lang diese Sätze wiederholen, nen wir keine vernünftige Politik machen. Deswegen möchte auch ich dazu aufrufen, dass wir miteinander (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) eine Rhetorik pflegen, die die Dinge klar benennt – das weil es mich manchmal in diesem Land etwas wahnsin- ist selbstverständlich –, aber gleichzeitig deutlich macht, nig macht, dass wir wegen 5 Prozent, die vielleicht nicht dass die Menschen, die hier sind, und die Menschen, die optimal sind, die 95 Prozent, die eigentlich gut sind, aus zu uns kommen, miteinander auskommen müssen. den Augen verlieren, und dass damit draußen Stimmung gemacht wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Wir werden ohnehin vielfältiger und bunter werden. Das LINKEN) ist nicht immer einfach. Also: Wir profitieren von Zuwanderung. Wir heißen die Als ich hier in Berlin kürzlich in einem großen Wohn- Menschen willkommen, und gemeinsam bringen wir block war, habe ich im Fahrstuhl eine ältere Dame mit dieses Land voran. Wo es Probleme gibt, halten wir die ihrem Rollator getroffen, die mir sagte: Gott sei Dank Augen offen und finden Lösungen. Das ist unser Weg. sieht man auch einmal wieder ein deutsches Gesicht. Zum Begriff „Versachlichung“. So sachlich, wie wir (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der heute diskutiert haben, könnten wir die Debatte weiter LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) führen. Wenn wir sie so sachlich führen würden, brauch- GRÜNEN) (D) ten wir keine Staatssekretärsausschüsse, die zur Versach- lichung beitragen müssen. Im Fahrstuhl hatte ich wenig Zeit für Differenzierungen und habe mich auch nicht persönlich vorgestellt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Ich habe aber auch nicht den blöden Reflex gehabt, Denn versachlichen muss man natürlich nur etwas, was gleich zu denken, dass die Dame ausländerfeindlich ist. vorher unsachlich war. Dabei ist „unsachlich“ noch eine Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur in freundliche Formulierung für einige der Debattenbei- Schubladen denken. träge, die uns Anfang des Jahres zu Ohren gekommen sind. Ich habe mit Blick auf diese Dame folgende Ge- schichte vor Augen gehabt: Sie wohnt dort schon Jahr- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zehnte, und ihr ganzes Umfeld verändert sich. Da sind BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leute weggezogen, mit denen sie lange zusammenge- Es hat ja nicht einzelner Parteien bedurft, um uns auf wohnt hat. Da sind vielleicht auch Leute verstorben, mit diese Probleme hinzuweisen. Vielmehr haben wir uns denen sie befreundet war. Jetzt leben dort andere Men- schon im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir schen. Da geht es plötzlich anders zu. Es gibt andere den betroffenen Städten und Gemeinden helfen müssen. Bräuche; es riecht vielleicht auch anders. Es ist in die- Das ist eine richtige Entscheidung gewesen. sem Hause vielleicht auch zu Zeiten laut, zu denen es vorher nicht laut war. Das alles führt zu Irritationen. Die Ich will jetzt nicht dieses geflügelte Wort ausspre- Veränderungen müssen wir erst einmal annehmen und chen; aber ich möchte ein Beispiel nennen: Missbrauch auch gestaltend wirken. Ich frage mich, ob in diesem der EU-Freizügigkeit. Was damit ausweislich des Be- Haus über die Hausordnung hinaus einmal jemand da- richts gemeint ist, ist, dass Menschen zu uns kommen, rangegangen ist, die Menschen neu miteinander in Be- dass also Zuwanderung stattfindet. Wenn aber die Men- ziehung zu setzen, dafür zu werben, dass man sich neue, schen zu uns kommen, dann missbrauchen sie nicht die gemeinsame Spielregeln gibt. Vielfalt, Recht und Gesetz EU-Freizügigkeit, sondern machen von ihrem Recht auf und Spielregeln sind keine Gegensätze, sondern gehören Freizügigkeit Gebrauch. zusammen. Wir müssen also Vielfalt gestalten. Ich bin (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Überzeugung: Wenn wir Vielfalt gut gestalten wol- DIE GRÜNEN) len, dann brauchen wir positive Zukunftsbilder. 4972 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Lars Castellucci (A) Ich probiere das einmal. Also: Deutschland hat Wir wollen unterschiedliche Wege nach Deutschland (C) 60 Jahre Erfahrung mit Arbeitsmigration. Wir haben offenhalten, aus humanitären Gründen, für die Sicherung Dinge falsch gemacht. Wir haben aber auch viele Dinge des Fachkräftebedarfs usw. gut gemacht. In jedem Fall haben wir eine Menge ge- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- lernt. Wir wissen jetzt, was gutes Zusammenleben för- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das mit dert und ausmacht. Wir wissen: Sprache ist der Schlüs- Europa noch nicht so richtig verstanden, sel. Wer würde dem in diesem Haus widersprechen? glaube ich! Das ist anders gemeint!) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Widerspruch Deswegen können wir es auch mittragen, dass eine Frist dazu gab es eine ganze Zeit lang!) von sechs Monaten eingeführt wird, die für EU-Bürger gilt, die zur Arbeitssuche einreisen; sie haben in diesen Wir wissen: Auf gute Bildung kommt es an. Gute Bil- sechs Monaten Zeit, Arbeit zu finden. Der Europäische dung führt dazu, dass die Menschen ihre Potenziale ent- Gerichtshof räumt uns die Möglichkeit einer Befristung wickeln und in die Gemeinschaft einbringen können. Ja, ausdrücklich ein. Weiterhin wird der Einzelfall betrach- wir setzen jetzt eine Frist von sechs Monaten. Aber wir tet; es gibt keinen Automatismus. Es ist vorgesehen, dass tun in diesen sechs Monaten alles, damit die Menschen jemand, der sich ernsthaft um Arbeit bemüht, weiter in Arbeit kommen können, damit sie hier ihre Talente hierbleiben kann. einbringen können; denn jedes Talent wird in einem Der Gesetzentwurf enthält auch manches, was sich Land gebraucht, in dem künftig weniger Menschen le- Sozialdemokraten alleine vielleicht nicht ausdenken ben werden. Wir brauchen diese Menschen, um unseren würden. Aber er enthält auch kluge Vorschläge. Wohlstand zu halten. Wir sehen die Sehnsucht der Men- schen, die Sehnsucht nach Aufstieg, nach einer guten Frau Jelpke, ich schätze Sie, Zukunft für sich selbst und ihre Kinder und vielleicht (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir haben zehn!) auch den Willen, denen, die zurückgeblieben sind, zu zeigen: Ja, wir haben etwas gewagt. Jetzt wollen wir und Sie haben ein großes Herz. Das meine ich ernst. Aber selbst Sie wollen doch kein Kindergeld an Kinder auch gewinnen. – Wir machen uns diese Potenziale und zahlen, die es gar nicht gibt. diese Kraft zunutze. Aus diesen individuellen Lebens- wegen erwächst ein Nutzen für Deutschland, wenn wir (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist so mini- das so wollen. mal, wenn es überhaupt so ist! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Im Bericht heißt es: Wir heißen die Menschen will- inwiefern hat das jetzt mit Bulgaren und Ru- kommen. Da heißt es nicht: Wir heißen die Menschen, mänen zu tun? Das habe ich nicht verstanden!) (B) die willkommen sind, willkommen. Frau Jelpke, das will (D) Deswegen ist es doch klug, wenn wir Vorkehrungen tref- ich Ihnen so sagen. Wir heißen die Menschen willkom- fen, dass wir Kindergeld wirklich nur an diejenigen zah- men. Es finden sich in diesem Bericht keinerlei Hin- len, die auch kindergeldberechtigt sind. weise darauf, dass wir Unterscheidungen treffen. Es kann nämlich keine geteilte Willkommenskultur geben. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Damit wird doch Wenn wir die Willkommenskultur teilen, dann schaffen auch wieder ein Vorurteil geschürt!) wir kein Willkommen, sondern stellen das Willkommen Es ist auch sinnvoll – der Bundesminister hat darauf unter Vorbehalt. Damit schaffen wir keine Willkom- hingewiesen –, dass wir prüfen, ob wir die Lebenshal- menskultur, sondern neue Vorbehalte. tungskosten in den Herkunftsländern betrachten, wenn die Kinder dort leben und nicht hier bei uns. Dass man Natürlich kann man die Zuwanderung auch nicht ein- Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit bekämpft, ist fach laufen lassen. Man muss sie steuern, man muss sie auch im Interesse der Linken. Denn auch Sie wollen ge- gestalten. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzent- meinsam mit uns für ordentliche Verhältnisse auf dem wurf zur Freizügigkeit. Wir können nicht alle Probleme Arbeitsmarkt sorgen. Deswegen sind diese Regelungen der Welt lösen, schon gar nicht hier. im vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls sinnvoll. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Das steht alles in diesem Gesetz?) Meine Damen und Herren, ich möchte mit dem schließen, was ich eingangs gesagt habe. Wir haben Pro- Deswegen ist mir in der aktuellen Situation, in der so bleme, die sich auf einige wenige große Kommunen be- viele Flüchtlinge zu uns kommen, weil sie vor Folter, ziehen. Dort müssen die Hilfen jetzt auch schnell an- Krieg und Vergewaltigung, vor Terror fliehen müssen, kommen. Aber wir profitieren von Freizügigkeit. Wir wichtig, dass wir die Aufnahmebereitschaft in der Be- heißen die Menschen hier willkommen, und wir wissen völkerung erhalten. In meinem eigenen Wahlkreis gibt es seit der Vorlage des Berichts des Staatssekretärsaus- Ortsteile, in denen ein Viertel der dort lebenden Men- schusses, dass der größte Anteil derjenigen, die zu uns schen Flüchtlinge sind. Das ist schwierig; aber es ist kommen, den Lebensunterhalt selbst finanzieren kann auch toll, was ich dort an Hilfsbereitschaft erlebe. Ich und zum Wohlstand in diesem Land beiträgt. Gute Nach- möchte, damit wir das nicht aufs Spiel setzen, dass wir richten! deutlich machen: Wir brauchen eine gesteuerte und ver- Vielen Dank. nünftige Zuwanderung. Wir können die Dinge nicht lau- fen lassen. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4973

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Es ist richtig, den Doppelbezug zu verhindern. Aber so- (C) Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege weit ich weiß, sind unter deutschen Beamten überwie- Volker Beck. gend keine Rumänen und Bulgaren; das ergibt sich aus der Natur der Sache. Daher ist es infam, diesen EU-Bür- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das zeigt die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gute Verlogenheit der ganzen Debatte. Rede, Herr Castellucci, vor allen Dingen der erste Teil, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dem Sie sich nicht zum Gesetzentwurf geäußert ha- und bei der LINKEN) ben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genauso infam und absurd ist das, was Sie im Hin- blick auf das EU-Freizügigkeitsrecht vorschlagen. Sie Die Freizügigkeit in der EU ist eine der wichtigsten haben wohlweislich die gegenwärtige Rechtslage als den Errungenschaften des europäischen Einigungspro- Regelungsgehalt Ihres Gesetzentwurfs dargestellt. Da zesses und einer der sichtbarsten Vorzüge Europas wäre ich bei Ihnen; denn die geltende Rechtslage ist ver- für die Bürgerinnen und Bürger. nünftig. Wer ernsthaft Arbeit sucht, darf bei uns länger So steht es im Gesetzentwurf. Das ist richtig, und so weit als sechs Monate bleiben. Das kann die Ausländerbe- gehen ungefähr die Gemeinsamkeiten zwischen uns und hörde relativ gut beurteilen. Sie muss nur darauf achten, den Vorstellungen der Koalition. Richtig ist auch: Sie was der Betreffende macht, um Arbeit zu finden. Wenn entlasten die Kommunen mit 25 Millionen Euro im Jahr. er nichts tut, muss er schon nach heutiger Rechtslage Das ist aber bei weitem nicht ausreichend. Das ist ange- Deutschland verlassen, weil es ohne ernsthafte Arbeits- sichts der Problemlage eher ein Witz. suche keinen Grund zum Aufenthalt gibt. Aber Sie ver- langen nun von den Ausländerämtern, was nur die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeitsagenturen leisten können. Die Ausländerämter Aber dieser Gesetzentwurf – der Minister hat es ein- sollen beurteilen, ob die Betreffenden mit Aussicht auf gangs erwähnt – hat eine Geschichte. Er ist die Konse- Erfolg Arbeit suchen. Wie soll das der Jurist in der quenz der Kampagne der CSU unter dem Motto „Wer be- Ausländerbehörde, der Paragrafen, aber nicht den Ar- trügt, der fliegt“. Ich meine jetzt nicht Frau Haderthauer; beitsmarkt kennt, überhaupt beurteilen? Diese sinnlose ich meine die Bulgaren und Rumänen, denen Sie das un- Regelung wird zu vielen Prozessen und falschen Ent- terstellt haben. Damit haben Sie eine Kampagne betrie- scheidungen in der Sache führen. ben und eine Welle gemacht, auf der die AfD locker in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN drei Landtage surfen konnte. Das gehört zu Ihrer politi- (B) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (D) schen Verantwortung; denn die Fakten geben Ihre Kam- pagne nicht her. Nun zum Erschleichen der Freizügigkeit. Herr de (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maizière, ich weiß, dass Sie ein kluger Mann und ein und bei der LINKEN) sehr guter Jurist sind – ich bin keiner – und sich ausken- nen. Warum Sie sich das von Herrn Seehofer in den Ge- Ich habe die Bundesregierung wiederholt gefragt, ob setzentwurf haben diktieren lassen, ist mir schleierhaft. sie jetzt Zahlen hat, weil sie nicht im Bericht stehen. Die Sie wollen das Erschleichen der Freizügigkeit mit Bundesregierung hat geantwortet: Für das Jahr 2013 Wiedereinreisesperren belegen und so Sozialbetrug be- wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik in Sachen kämpfen. Nun besagt die EU-Freizügigkeitsrichtlinie in Sozialversicherungsbetrug 10 Bulgaren und 50 Rumä- Artikel 35 klipp und klar: Eine Entscheidung, die die nen erfasst – als Tatverdächtige wohlgemerkt, nicht als Freizügigkeit von Unionsbürgern beschränkt und nicht Verurteilte bzw. festgestellte Straftäter. In Bezug auf So- aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und zialleistungsbetrug – Kindergeld gehört dazu – waren es Gesundheit erlassen wird, darf nicht mit einem Einreise- 44 Bulgaren und 91 Rumänen, wiederum als Tatver- verbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen. – Diese dächtige. Regel ist klipp und klar. Ihre Regelung ist also von vorne Im Gesetzentwurf finden wir eine Regelung zur Kin- bis hinten EU-rechtswidrig und verstößt gegen den dergeldzahlung, gegen die ich in der Sache nichts habe. Wortlaut europäischen Rechts. Wie Sie wissen, sind öf- Sie war übrigens schon einmal Gegenstand einer Frage fentliche Ordnung und Sicherheit im europäischen Recht der Kolleginnen Franziska Brantner und Lisa Paus, die nicht so zu verstehen wie im deutschen Polizeirecht. sie in der Fragestunde an die Regierung gerichtet haben. Dazu gibt es eine Rechtsprechung des Europäischen Ge- Damals ging es aber nicht um Bulgaren und Rumänen. richtshofes. Dieser hat in einem Urteil gesagt: Die Tatsa- Es ging auch nicht um 40 oder 90 Tatverdächtige. Es che einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich ging vielmehr um die Zahl von 2 400 Fällen mit einem allein nicht. – Dann genügt das falsche Ausfüllen eines Schaden von 6,5 Millionen Euro durch Kindergeldbe- Sozialhilfeantrags oder eines ALG-II-Antrags erst recht trug. Laut Rechnungshofbericht von 2009 waren die Tä- nicht. Ihre Regelung ist also Makulatur. Der EuGH muss ter deutsche Beamte. Es geht also nicht um eine Rege- sie aufheben, wenn Sie nicht zu Verstand kommen. Ich lung, die die schlimmen Sozialbetrüger aus dem verstehe nicht, wie Sie nach Ihrer Rede einen solchen europäischen Ausland betrifft, sondern um eine Rege- europarechtswidrigen Unsinn mitmachen können. Ihre lung, die Sie machen mussten, weil es bei den Familien- Regelung dient nur dazu, die EU-Freizügigkeit in ihrem kassen keine Ordnung und keinen Datenabgleich gibt. Bestand zu diskreditieren. Das sollten wir nicht tun. Im 4974 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Volker Beck (Köln) (A) Gegenteil: Wir sollten sie verteidigen gegen die Ratten- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- (C) fänger von der AfD. ten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Bericht belegt eindeutig, dass die Freizügigkeit und bei der LINKEN) auch Probleme verursacht. Binnen Jahresfrist ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Ru- Vizepräsident Johannes Singhammer: mänien und Bulgarien in einigen deutschen Kommunen um 40 Prozent, 80 Prozent, ja sogar um 147 Prozent ge- Herr Kollege Beck, auch bei großzügigster Ausle- stiegen. Vor allem in den strukturschwachen Regionen gung ist die Redezeit limitiert. und den Großstädten führt das zu erheblichen Proble- men, und das bestätigen uns die betroffenen Kommunen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch immer wieder. Das ist schade. Aber im Wesentlichen bin ich fertig. Es ist daher nur konsequent, dass der Bund noch in Streichen Sie aus Ihrem Gesetzentwurf den Teil be- diesem Jahr 35 Millionen Euro bereitstellen wird – und treffend die EU-Freizügigkeit! Über die Kindergeldrege- das sind keine Peanuts –, um die Kommunen bei den lung – weil sie in einem anderen Zusammenhang richtig Kosten für Wohnung, Heizung und Gesundheitsvorsorge ist – und die Hilfe für die Kommunen können Sie mit zu entlasten. uns jederzeit reden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Doch, das sind Peanuts!) Vizepräsident Johannes Singhammer: – Das mögen für Sie Peanuts sein, für mich sind es keine Bevor ich jetzt unserer Kollegin Andrea Lindholz für Peanuts. die CDU/CSU das Wort erteile, möchte ich ihr herzlich Ebenfalls werden Integrations- und Sprachkurse an gratulieren, weil sie heute Geburtstag hat. Herzlichen Brennpunkten intensiviert. Der Bund stellt über das Pro- Glückwunsch und ein glückliches neues Lebensjahr! gramm „Soziale Stadt“ in den nächsten Jahren 200 Mil- (Beifall) lionen Euro zur Verfügung, die die Kommunen durch ei- gene, passgenaue Lösungen abfragen können. Die Bitte, Frau Lindholz. Bundesregierung nimmt damit ihre Verantwortung ge- genüber den deutschen Kommunen und Europa gleicher- Andrea Lindholz (CDU/CSU): maßen wahr. (B) (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Es wäre aber falsch, zu glauben, dass wir diesen He- und Herren! Zuerst möchte ich dem Staatssekretärs- rausforderungen, die die europäische Binnenmigration ausschuss für den detaillierten Bericht danken. Auf die- mit sich bringt, alleine mit der Bereitstellung von Steuer- ser Basis können wir uns einer zentralen Fragestellung geldern begegnen könnten. Die Wahlergebnisse der letz- zuwenden: Wie kann die europäische Freizügigkeit mit ten Monate zeigen, dass auch in Deutschland die öffent- den nationalen Sozialleistungssystemen in Einklang liche Zustimmung für ein zusammenwachsendes Europa gebracht werden? Der Bericht zeigt uns, dass die Mi- keine Selbstverständlichkeit ist. Als Bundespolitiker tra- grationsströme aus den EU-Staaten nach Deutschland gen wir besondere Verantwortung, das Vertrauen unserer zunehmen. Die steigende Mobilität der Europäer ist Bevölkerung in die Europäische Union zu stärken. grundsätzlich zu begrüßen und gewollt. Allerdings ist die wesentliche Ursache dieses Zuwachses die anhaltend (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- schwierige wirtschaftliche Lage in Teilen Europas. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig! Sagen Sie das mal der eigenen Partei!) Die nationalen Sicherungssysteme werden von jedem Mitgliedstaat selbstständig gestaltet und finanziert. Wenn die europäische Freizügigkeit missbraucht Deutschland ist durch seine Wirtschaftskraft in der Krise wird, um vom deutschen Sozialleistungssystem zu profi- zum Stabilitätsanker für unzählige Europäer geworden, tieren – da genügt ein einzelner Fall –, dann leidet ge- und darauf können wir stolz sein. rade dieses Vertrauen. Betrug und Missbrauch dürfen wir nicht dulden; denn auch das schadet der europäi- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Idee. Natürlich profitiert Deutschland auch von der unkom- (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck plizierten Zuwanderung im Rahmen der europäischen [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Freizügigkeit. Der Zuzug von Facharbeitern aus der EU deutschen Beamten hatten Sie fünf Jahre Zeit macht es gerade kleinen und mittleren Unternehmen vom Rechnungshofbericht bis heute! Das ist leichter, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir brau- bigott!) chen zweifellos die Zuwanderung aus der EU. Aber die – Ich hatte sie nicht, Herr Kollege Beck. Ich bin erst seit europäische Freizügigkeit darf auch nicht sakrosankt September letzten Jahres im Deutschen Bundestag. sein. Wir dürfen nicht nur ihre Vorteile sehen, sondern wir müssen auch Probleme und Fehlentwicklungen an- Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des sprechen, sachlich diskutieren und die Freizügigkeit bei Freizügigkeitsgesetzes setzt ein wichtiges Signal: Die Bedarf neu ordnen. Bundesregierung benennt Missstände im Rahmen der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4975

Andrea Lindholz (A) europäischen Integration und will sie auch beheben. Der mir sicher, dass wir hier auf europäischer und nationaler (C) Gesetzentwurf stellt das Erschleichen von Aufenthalts- Ebene Handlungsspielräume haben, die wir nutzen karten unter Strafe. Im Betrugsfall können Wiedereinrei- könnten. Jede Sozialleistung in einem Land hat dort eine sesperren von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Der bestimmte nationale Zielvorgabe zu erfüllen. Eine Ab- Aufenthalt zur Arbeitssuche wird generell auf sechs Mo- stufung des Kindergelds wäre ein Signal für ein gemein- nate befristet. Wer nach einem halben Jahr keine begrün- sames Europa, das auch in der Lage ist, offensichtliche dete Aussicht auf Arbeit hat, muss ausreisen. An dieser nationale Unterschiede zu berücksichtigen. Stelle möchte ich dem Kollegen Beck zustimmen: Auch nach meiner Auffassung sollten wir die begründete Aus- Vielen Dank. sicht in der Gesetzesbegründung an konkrete und über- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Lars prüfbare Kriterien knüpfen, um den Gerichten eine ein- Castellucci [SPD]) heitliche Rechtsprechung zu ermöglichen. Vorschläge hierzu habe ich selbst unterbreitet. Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Behörden werden im Kampf gegen Schwarzar- Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Damit beit und Scheinselbstständigkeit besser vernetzt. Die Ge- schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungs- werbeämter sollen schon den ersten Verdachtsfall auf punkt. Scheinselbstständigkeit prüfen und ihn direkt der Fi- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen nanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll melden. Schließ- auf den Drucksachen 18/2581, 18/960 und 18/2470 an lich werden durch die Steueridentifikationsnummer, die die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- jetzt angegeben werden muss, Missbrauch und vor allen schlagen. – Weil sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich Dingen Doppelzahlungen verhindert. Dieses Maßnah- davon aus, dass Sie mit den Überweisungen einverstan- menbündel stärkt das Vertrauen in Europa, und es zeigt den sind. auch, dass die Bundesregierung handelt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: Ich sehe aber nicht nur eine Gefahr für die Zustim- mung zu Europa in Problemen oder im Missbrauch. Zum Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Beispiel wirft auch der legale Bezug von Kindergeld Ge- Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, wei- rechtigkeitsfragen auf, die wir nicht einfach ignorieren terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sollten. Ich begrüße daher ausdrücklich den im Bericht NIS 90/DIE GRÜNEN enthaltenen Prüfauftrag. EU-Bürger, die in Deutschland Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhin- arbeiten, haben einen legalen Anspruch auf Kindergeld, dern (B) egal ob ihr Kind in Deutschland oder im europäischen (D) Ausland lebt. Das ist dem Grunde nach auch richtig. Ist Drucksache 18/2616 es aber richtig, dass ein Kind, das zum Beispiel in Polen Überweisungsvorschlag: lebt, die gleichen 184 Euro Kindergeld erhält wie ein Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Kind in Deutschland? Laut Eurostat liegt das Preisni- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für veau für Lebensmittel in Polen um 45 Prozent unter dem die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- deutschen Niveau. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist dann mit der nerin der Kollegin Nicole Maisch, Bündnis 90/Die Grü- Schweiz und mit Luxemburg?) nen, das Wort. Alle Kinder, die in Deutschland leben, werden damit im Ergebnis schlechtergestellt, unabhängig davon, ob sie Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): deutsche oder andere Staatsbürger sind. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Daher bin ich der Auffassung, dass wir das Kinder- Als Christian Schmidt, der Agrarminister, letzte Woche geld an die Lebenshaltungskosten am Wohnort anpassen seine Initiative für mehr Tierwohl vorgestellt hat, war sollten. ich zunächst einmal überrascht, nicht darüber, dass er die Initiative ergriffen hat – irgendwann in dieser Legislatur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – musste ja einmal eine Initiative kommen –, sondern da- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rüber, dass er dieses Werk „Eine Frage der Haltung“ ge- NEN]: Auch in der Schweiz?) nannt hat. Das ist clever plagiiert. Das ist nämlich ein grüner Slogan, mit dem wir nicht zuletzt bei der Land- Nicht umsonst bzw. aus gutem Grund haben wir eine tagswahl in Niedersachsen Jahrzehnte schwarzer Agrar- solche Abstufung bereits im Unterhaltsrecht und im Ein- politik abgelöst haben. kommensteuerrecht beim Kinderfreibetrag. Das Kinder- geld dient ebenso wie der Kinderfreibetrag explizit der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sicherung des steuerfreien Existenzminimums in Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Mal Deutschland. sehen, wie lange das hält!) Die Freizügigkeit ist ein großer Fortschritt. Ich will Aber bei Tierschutz führen wir keine Urheberrechtsde- sie auch nicht infrage stellen, aber sie muss mit den na- batten. Da können Sie sich die Etiketten gern nehmen, tionalen Sozialleistungssystemen harmonieren. Ich bin wenn denn auch der Inhalt stimmt. Das ist in diesem Fall 4976 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Nicole Maisch (A) leider nicht so. Das ist ein Etikettenschwindel gegenüber und Beschäftigung der Tiere zu sorgen, hat ihre ethische (C) der Bevölkerung in diesem Land. Legitimation verspielt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Meine Damen und Herren, der Tierschutz braucht Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!) klare Regeln, keine Lippenbekenntnisse, und das sehen nach einer aktuellen Umfrage von PROVIEH 91 Prozent Der Minister tippt in seiner Tierwohlinitiative viele der Deutschen so. 91 Prozent der Deutschen möchten wichtige Themen an. Das muss man ihm lassen. Er hat klare Gesetze, bessere Gesetze zum Schutz der Tiere. die richtigen Überschriften gesetzt. Wenn er aber im Zu- Aber diese Bundesregierung und diese Koalition sind of- sammenhang mit dem illegalen Welpenhandel die Tier- fensichtlich nicht dieser Meinung. schutzverbände zum runden Tisch einlädt, dann muss er auch darauf hören, was die Fachleute sagen. Diese sagen Die Tierwohlinitiative des Ministers will ausschließ- zum Beispiel, Hunde müssen gekennzeichnet werden. lich freiwillige Verbindlichkeit. Das ist nicht nur seman- Das findet Staatssekretär Bleser aber überflüssig. Ich tisch interessant, sondern auch weitgehend wirkungslos. finde, man braucht sich nicht zusammenzusetzen, um zu Sie spielen auf Zeit – und das auf Kosten der Tiere. reden, wenn man den Rat der Experten dann doch nicht hören möchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für echten Tierschutz müssten Sie Haltung zeigen, müsste der Minister Haltung zeigen, und zwar vor allem Wenn man wirklich für mehr Tierwohl sorgen gegenüber der eigenen Fraktion. Wer hat denn bei der möchte, dann muss man das vergurkte Tierschutzgesetz letzten Tierschutznovelle auch noch die kleinste Verbes- der vergangenen Legislaturperiode angehen. Das sagen serung kleingehäckselt? Das waren Abgeordnete der nicht nur die Grünen, sondern das sagt auch die EU-Tier- Union. Das waren die eigenen Staatssekretäre von Ilse versuchsrichtlinie. Diese schreibt eine faire Abwägung Aigner. zwischen Tierschutz- und Forschungsinteressen vor. Das sind zwei Interessen von Verfassungsrang, die gegenein- Die Koalition sagt: informelle Gesprächsrunden zum ander abgewogen werden müssen. Tierschutz. Wir sagen: Dieses Parlament, dieser Raum hier ist der Ort, um über mehr Tierschutz zu debattieren. Ich sage Ihnen: Wenn es immer noch so ist, dass für das Antifaltenmittel Botox jedes Jahr Tausende von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mäusen totgespritzt werden, dann stimmt doch irgendet- (B) was nicht bei dieser Abwägung. Botox auf der einen (D) Deshalb haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem Seite, Mäuse totspritzen auf der anderen Seite. Ist das wir Ihnen das präsentieren wollen, was nicht nur die wirklich eine faire Abwägung, wenn wir nicht einmal in Grünen, sondern auch Millionen von Bürgerinnen und der Lage sind, diese Praxis zu beenden? Schließlich gibt Bürgern in diesem Land von der Politik erwarten. Er- es schon tierversuchsfreie Alternativen. möglicht werden muss nämlich ein würdiges Dasein für die Tiere in diesem Land. Das bedeutet: Endlich Schluss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen mit Qualzuchten! sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Die Leute in diesem Land wollen Ich finde, dadurch wird sehr deutlich: Sie haben bei keine Puten mehr, die unter dem Gewicht ihres eigenen der Tierschutznovelle Dinge verschlafen und schlecht Brustfleischs zusammenbrechen. Die Leute wollen keine umgesetzt. Weil im Zusammenhang mit dem Tierschutz Sauen mehr, die so viele Ferkel werfen, dass ein Teil da- in diesem Land so viel im Argen liegt, brauchen wir von auf der Steilkante kaputtgeschlagen werden muss. schlagkräftige Strukturen in Deutschland, um die Tiere Die Leute in diesem Land wollen auch keine Rasse- zu schützen. hunde, die so dicke Köpfe haben, dass die Welpen nicht mehr auf natürlichem Wege geworfen werden können, In einigen Bundesländern haben wir gute Erfahrun- sondern dass der Tierarzt per Kaiserschnitt nachhelfen gen mit dem Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisa- muss. Das ist pervers. Das kann so nicht bleiben. Da- tionen gemacht. In Hessen und in Baden-Württemberg rüber muss man nicht lange reden, sondern das muss ein hat man gute Erfahrungen mit einem Beauftragten bzw. Ende haben. mit einer Beauftragten für Tierschutz gemacht. Das möchten wir auch für die Bundesebene. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Die Ställe in diesem Land müssen Meine Damen und Herren, Tierschutz ist eine Frage sich den Bedürfnissen der Tiere anpassen, nicht die Tiere der Haltung. Damit hat der Minister recht. Wir werden müssen den Bedürfnissen der Ställe gemäß zurechtge- ihn daran messen, ob er bei dieser Frage auch Rückgrat schnippelt werden. beweisen kann und wirklich etwas Substanzielles zum Kühe haben Hörner, Hühner haben spitze Schnäbel, Schutz der Tiere in diesem Land erreichen wird. und Schweine haben Ringelschwänze. Eine Tierhal- Ich danke Ihnen. tungsform, der dazu nichts anderes einfällt, als zu ampu- tieren und abzuschneiden, statt für Auslauf, Bewegung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4977

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: erkennt man immer daran, dass man Lösungsmöglich- (C) Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU keiten aufzeigt, die realistisch und auch umsetzbar sind. der Kollege Dieter Stier. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die Kollegin gemacht!) Dieter Stier (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesem Ziel fühlen wir uns als Union verpflichtet. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Wie diese Tierschutzvorstellungen in einer Gesell- nen mit dem Titel „Tierschutz ernst nehmen – Tierleid schaft mit modernen landwirtschaftlichen Produktions- verhindern“. methoden, aber auch Verbraucher- und Tierschutzver- bandsinteressen in Einklang zu bringen sind, wird im (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr Eckpunktepapier von Minister Schmidt umfassend und gut!) in zehn Punkten fundiert festgeschrieben. Zunächst einmal bin ich den Fraktionsgeschäftsfüh- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rern sehr dankbar, dass wir heute ein landwirtschaftli- NEN]: Produktionsmethoden! Und das von ei- ches Thema und damit ein Thema, das in großer Breite ner katholischen Partei!) den ländlichen Raum in unserem Land tangiert, nicht fünf Minuten vor Mitternacht, sondern jetzt debattieren Es ist eine tragfähige, programmatisch dichte Tier- können. schutzkonzeption geworden, die uns über die Legislatur- periode hinaus verpflichtet. Der von uns befürwortete (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und mitgetragene Maßnahmenkatalog für mehr Tierwohl Das liegt an uns!) ist ambitioniert, seine Vorhaben sind aber realistisch. Ich glaube im Übrigen, Agrarthemen haben es ver- Sehr geehrte Kollegen der Bündnisgrünen, nun zu ei- dient, zur besten Sendezeit im Hohen Haus beraten zu nigen Forderungen aus Ihrem Antrag im Detail. Wenn werden. ich einen Blick in diesen Antrag werfe, muss ich mit (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner Enttäuschung feststellen, dass Sie an den tatsächlichen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr hättet Erfordernissen eines zeitgemäßen Tierschutzes wieder auch mal so was aufsetzen können!) einmal völlig vorbei argumentieren. Ihre willkürliche Zusammenstellung und Auflistung alter Forderungen Wie ernst die Union das gesellschaftlich bedeutende zeigt, dass Sie nicht willens sind, einen verantwortlichen Thema des Tierwohls nimmt und wie viel Aufmerksam- und gesellschaftlich akzeptierbaren Beitrag zum Tier- (B) keit sie diesem Thema schenkt, das konnten wir mit der schutz in Deutschland zu leisten, sondern dass Sie Emo- (D) gerade von Ihnen zitierten Tierwohlinitiative unseres tionen schüren wollen. Das ist für mich persönlich ent- Bundeslandwirtschaftsministers verdeutlichen, täuschend. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Wie die Kollegin schon sagte!) die in der vorigen Woche einer breiten Öffentlichkeit Drei Strukturelemente liegen Ihrem Antrag zugrunde: vorgestellt wurde und die Sie gestern persönlich mit ihm Unterstellungen, Fehleinschätzungen und überdies noch im Agrarausschuss debattieren konnten. Herr Staatsse- fachliche Unkenntnis. Lassen Sie mich hierzu nachfol- kretär, ich bitte Sie, dem Minister noch einmal einen gend einige Beispiele herausgreifen, die das belegen und herzlichen Dank auszurichten. Ihren Irrweg aufzeigen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zuerst möchte ich auf Ihre Unterstellungen eingehen, mit denen Sie uns vorwerfen, nichts zu unternehmen, ob- Diese Große Koalition wird dem Tierwohl – das ha- wohl wir im Tierschutz erwiesenermaßen sehr aktiv ben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart – künftig sind. Sie fordern in Ihrem Antrag, man müsse Tieren in noch mehr Bedeutung beimessen als bisher. Meine Da- der Landwirtschaft ein würdiges Dasein ermöglichen. men und Herren, wir leben in einem Land, das bereits Sie haben meine volle Zustimmung für diese Aussage. heute die höchsten Tierschutzstandards der Welt aufzu- Der Punkt ist, dass dies bereits überwiegend der Fall ist. weisen hat. Gleichwohl gibt es nichts, das man nicht Mit der erst in der letzten Legislaturperiode erfolgten noch besser machen kann. Sie, liebe Antragsteller, ver- Novellierung des Tierschutzgesetzes wurden weitere suchen nun, aufgeschreckt vom positiven Echo auf die Verbesserungen auf den Weg gebracht. Initiative des Ministers, mit Ihrem eingebrachten Antrag den erfolgreich eingeschlagenen Weg zu mehr Tierwohl (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich sage wieder einmal öffentlich zu beschädigen, anstatt an kon- gleich: Schenkelbrand!) struktiven Lösungen mitzuwirken. – Dazu komme ich gleich noch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit der Novelle des Arzneimittelgesetzes wurde der Liebe Frau Maisch, ich sage es Ihnen gleich zu Be- Antibiotikaeinsatz bereits wirksam gesenkt. Ich bin auch ginn: Ihr Kalkül mit dem Bemühen der grünen Angst- überzeugt, dass die Initiative der Branche weitere industrie wird nicht aufgehen. Eine verantwortungsbe- Verbesserungen bringen wird. Man kann nicht oft genug wusste Politik, geschätzte Kollegen der Opposition, öffentlich feststellen, dass wir bereits über höchste Stan- 4978 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dieter Stier (A) dards, auch im europäischen und internationalen Maß- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) stab, verfügen. NEN]: Nichts anderes sagen wir!) (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch hier handeln wir entschlossen. Ergebnisse der For- NEN]: Warum muss der Minister dann eine schung zur Geschlechtsbestimmung an Hühnereiern Initiative machen, wenn alles so gut ist?) werden bereits Anfang 2015 vorliegen. Dank der Tier- Selbstverständlich gibt es auch schwarze Schafe. wohlinitiative wird das BMEL die Umsetzung eines ge- Die vorhandenen Sanktionsmechanismen unserer Tier- eigneten Verfahrens zur Geschlechtsbestimmung am Ei schutzgesetzgebung geben jedoch heute schon die Mög- in der Praxis begleiten und damit eine neue Lösung auf lichkeit, die Verantwortlichen ohne Ansehen der Person den Weg bringen. Das ist ein Beispiel, an dem deutlich zur Rechenschaft zu ziehen. Ich glaube, auch der Voll- wird, dass wir die aus der Gesellschaft an uns herange- zug in den Bundesländern muss hierzu einen Beitrag tragenen Tierschutzvorstellungen sehr ernst nehmen. leisten. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich habe übrigens Vertrauen in unsere Behörden. NEN]: Dann ist es gut, dass wir darauf ge- Kontrollen und Sanktionen geschehen aber oft auch drängt haben!) ohne mediale Begleitung und reißerische Berichterstat- Ich begrüße es, dass es in diesem Zusammenhang ei- tung, sodass es von den ewigen Kritikern nicht wahrge- nen Kompetenzkreis Tierwohl geben wird: Praktiker, nommen wird. Wissenschaftler und Vertreter von Tierschutzverbänden (Beifall bei der CDU/CSU) und berufsständischen Organisationen werden die Um- setzung politischer Maßnahmen kenntnisreich begleiten Sie unterstellen weiter, wir würden einer ungeregelten und sich mit eigenen Vorstellungen einbringen. Darüber Intensivtierhaltung freien Lauf lassen. Das ist eines Ihrer hinaus haben wir, schon bevor die Tierwohlinitiative absoluten Lieblingsargumente. Erstens haben Sie uns bis vorgestellt wurde, in beträchtlichem Maße neue For- heute keine Definition geliefert, was Sie unter den von schungsmittel in den Agrarhaushalt eingestellt, um die Ihnen häufig gebrauchten Begriffen verstehen. Zweitens finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, das sage ich Ihnen: Jeder Stallneubau in diesem Land bringt Tierwohl zu stärken. Ihr Vorwurf, wir würden die Augen Verbesserungen für das Tierwohl. Es wäre deshalb hilf- verschließen und den Nutztieren in der Landwirtschaft reich, diese Maßnahmen vor Ort nicht ständig zu verhin- ein würdiges Dasein verwehren, entbehrt jeder seriösen dern. Grundlage. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner (Beifall bei der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann (B) (D) müsste mehr Geld in den tierschutzgerechten Zweitens. Im Folgenden möchte ich auf den nächsten Umbau von Ställen!) großen Schwachpunkt Ihres Antrages, nämlich Ihre wie- derkehrende Neigung zu Fehleinschätzungen, eingehen. Wir treten zielbewusst mit zahlreichen Maßnahmen Richten wir hierfür unseren Blick einmal exemplarisch an, um die Haltungsbedingungen weiter zu verbessern. auf die Tiere, die in deutschen Tierheimen untergebracht Es gilt, sie den Bedürfnissen der Tiere weiter anzupas- sind. Sie verlangen in Ihrem Antrag, die Situation der sen. Tierheime zu verbessern. Die Tierwohlinitiative des Landwirtschaftsministers (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sieht dabei auch vor, einige nicht kurative Eingriffe bei NEN]: Das verlangt der Koalitionsvertrag Nutztieren zu beenden. Dabei dürfen nach unserer Auf- auch!) fassung aber keine neuen Tierschutzprobleme entstehen. Wir setzen hier auf einen konsensstiftenden Dialog der Gut, dieser Forderung kann ich vorbehaltlos zustimmen. beteiligten Akteure. Sie wollen ausschließlich mit Ver- Das ist richtig, muss unterstützt werden und ist im Koali- boten und Regulierungsinstrumenten gegen landwirt- tionsvertrag vereinbart; wir haben uns dazu bekannt. schaftliche Betriebe zu Felde ziehen. Das unterscheidet Doch dann wird es abenteuerlich: Sie fordern nämlich, uns. die „Versorgung von abgegebenen oder entlaufenen Haustieren auch in Fällen überdurchschnittlicher Belas- (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner tungen“ der Tierheime zu ermöglichen. Das klingt zu- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bis wann nächst harmlos und tierlieb. Doch wissen Sie eigentlich, soll das passieren?) was das konkret heißt? Das ist das Gegenteil von Tier- Forderungen zu stellen, die kein landwirtschaftlicher schutz. Schlimmer noch: Es ist falsch verstandener Tier- Betrieb in der Praxis umsetzen kann, ohne seine ökono- schutz. Sie leisten damit einer unverantwortlichen Über- mische Existenz und damit seine landwirtschaftliche füllung von Tierheimen rücksichtslos Vorschub, und Produktion selbst aufs Spiel zu setzen, sind mit uns nicht zwar auf Kosten von Tieren und Gesellschaft. Sie for- zu machen. dern hier praktisch die Überbelegung. Meine Damen und Herren, wir schauen nicht weg, Wohin die fatalen, unsinnigen Forderungen führen, sondern stellen uns auch den hochkontroversen Tier- die Sie hier aufstellen, kann ich Ihnen heute aus meiner schutzthemen. Es ist uns klar, dass zum Beispiel die Tö- Heimatstadt Weißenfels brandaktuell – in der Mitteldeut- tung männlicher Küken in der jetzigen Form von der schen Zeitung vom Dienstag dieser Woche nachzulesen – Mehrheit der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr erfährt. berichten. Dort leitet eine nach Ihrem Verständnis be- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4979

Dieter Stier (A) geisterte Tierschützerin ein Tierheim, dem Ende des Jah- Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) res die Schließung droht, und zwar weil die Leiterin die Für die Linke spricht jetzt der Kollege Hubertus Forderung aus Ihrem Antrag wortwörtlich umgesetzt Zdebel. hat. Die Mängelliste ist erschreckend: kein Buch über den Bestand an Katzen, Heim- und Quarantänezimmer (Beifall bei der LINKEN) überbelegt, weder Büro noch Behandlungsraum vorhan- den, Leiterin ohne Befähigungsnachweis, und die Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Katzen fristen ihr Dasein im Dunkeln, bei hygienischen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Problemen und baulichen Mängeln. Die Tierheimleiterin Herren! Es ist sehr zu begrüßen, dass wieder verstärkt – so kommuniziert es die Facebook-Community – über Tierschutz und Tierwohl geredet und diskutiert wird, sammle regelrecht Katzen, ohne dass sie auch nur eine auch hier im Deutschen Bundestag. Gesellschaftlicher herausrücke. Das, liebe Kollegen, ist nicht das, was wir Druck konnte zwar bereits einige Verbesserungen zum wollen. Wohl der Tiere durchsetzen, doch wir sind noch weit von einem wirksamen Tierschutz entfernt. Die Linke ist der Drittens. Zuletzt will ich auf den Aspekt der fachli- Meinung, dass Tiere als Wesen zu akzeptieren sind und chen Unkenntnis eingehen. Selbstverständlich werde ich nicht wie Sachen behandelt werden dürfen. das auch heute am Beispiel Ihrer erneuten Forderung nach dem Verbot des Schenkelbrandes, einer langjährig (Beifall bei der LINKEN) bewährten Methode der Kennzeichnung von Pferden, tun. Darüber haben wir in der Vergangenheit immer wie- der gestritten. In der vergangenen Legislaturperiode ha- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ben wir viele Anträge dazu eingebracht, zum Beispiel Das ist ein heißes Eisen, Herr Kollege!) Eindämmung von Megaställen, zum Ausstieg aus der Qualzucht, zur Einführung eines Verbandsklagerechts Hier fühle ich mich nicht nur als Landwirt, sondern auch für Tierschutzverbände und vieles mehr. Ich füge hinzu: als ausgebildeter Pferdewirtschaftsmeister berufen, Ih- Wäre in der vergangenen Legislaturperiode nur einer un- nen einiges in Erinnerung zu rufen, was Sie offenbar serer Vorschläge tatsächlich aufgegriffen worden, wären schon vergessen haben. wir, was das Tierwohl angeht, jetzt sicherlich ein erheb- (Ute Vogt [SPD]: Das kann man doch wohl liches Stück weiter. nicht gutheißen!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Dass Sie dieses Thema wieder hervorholen, obwohl wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es bereits in der letzten Legislaturperiode erschöpfend (B) Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass (D) parlamentarisch beraten und abgeschlossen haben, die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Agrar- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und Lebensmittelindustrie schwindet. Weil! Gerade deshalb, Herr Kollege!) Eigentlicher Hintergrund für die heutige Diskussion zeigt nur, dass Ihnen offenbar die Themen ausgehen. Es – das ist deutlich geworden – ist die in der vergangenen gab eine Anhörung im Agrarausschuss, die alle wesentli- Woche angekündigte sogenannte Tierwohlinitiative des chen Aspekte fachlich beleuchtete. Landwirtschaftsministers. Wir werden diese Tierwohl- initiative in den Punkten unterstützen, wo den Ankündi- (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gungen auch Taten folgen, die zu spürbaren Verbesse- NEN]: Und die Ergebnisse haben Sie nicht in- rungen für das Tierwohl führen. Das ist völlig klar. Wir teressiert!) werden den Minister aber auch scharf kritisieren und Das Parlament hat mit großer Mehrheit und nach klarer, stellen, wenn es bei der jetzigen Ankündigungspolitik reiflicher Überlegung und Abwägung der Argumente bleibt. entschieden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mich am Ende noch einmal grundsätzlich festhalten: Die Wir finden es erst einmal gut, dass in dem Eckpunktepa- wachsende Bedeutung der Tierschutzbelange in der Ge- pier einige Probleme erkannt und angesprochen werden, sellschaft verlangt nach der richtigen Antwort, also nach aber dennoch gibt es von unserer Seite Kritik; denn die so- unserer Tierwohlinitiative. Als Abgeordnete dieses Hau- genannte Tierwohlinitiative droht zu einem Scheinrie- ses unterstützen wir den Tierschutz mit ergänzenden sen, vergleichbar mit dem bei Jim Knopf, zu werden: Je Mitteln. Wir werden das Thema kritisch begleiten, wo es näher man diesem Riesen kommt, desto kleiner wird er. uns geboten erscheint. Das Eckpunktepapier des Ministers setzt auf die Frei- Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil wir den Tierschutz willigkeit der Agrar- und Lebensmittelindustrie. Dass bereits sehr ernst nehmen, weil wir bereits Tierleid ver- aber Modelle der freiwilligen Selbstverpflichtung nichts hindern und – ich ergänze Ihre Überschrift – weil wir bringen, zeigen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Da- uns bereits heute für mehr Tierwohl einsetzen. für gibt es zahlreiche Beispiele, egal ob bei der Dispo- Vielen Dank. abzocke der Banken oder bei der Korruption im Gesund- heitswesen. Ohne vernünftige gesetzliche Regelung (Beifall bei der CDU/CSU) setzen sich eben nicht jene Betriebe durch, die auf so- 4980 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Hubertus Zdebel (A) zial-ökologische Verantwortung setzen. Sie werden Herzlichen Dank. (C) schlicht von denjenigen verdrängt, die ausschließlich (Beifall bei der LINKEN) ihre Profite im Blick haben.

(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wir brauchen vernünftige – ich betone: vernünftige – Vielen Dank. – Christina Jantz ist jetzt die nächste gesetzliche Regelungen und wirksame Kontrollen, doch Rednerin für die SPD-Fraktion. diese sind in der Tierwohlinitiative nicht zu finden. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten taz hat dies zu Recht mit „Warme Worte, keine Taten“ der CDU/CSU) kommentiert. In der Tat: Das Abschneiden von Schwän- zen bei Schweinen, das Kupieren von Schnäbeln bei Ge- flügel oder das millionenfache Töten männlicher Küken Christina Jantz (SPD): werden zwar angesprochen, aber gehandelt wird nicht. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Mit dieser Tierquälerei muss aber sofort Schluss sein. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Beginn – und auch nicht zum ersten Mal (Beifall bei der LINKEN) an dieser Stelle – sagen: Wir als SPD nehmen den Tier- Daher ist der vorliegende Antrag der Grünen zu begrü- schutz sehr ernst. ßen, weil er konkrete gesetzliche Maßnahmen in diesem (Beifall bei der SPD) Bereich vorschlägt. Unser Ziel ist es, entscheidende Verbesserungen beim Interessant ist auch, was in der sogenannten Tier- Tierschutz auf den Weg zu bringen. wohlinitiative nicht erwähnt wird, etwa dass in deut- schen Tierfabriken millionenfach und ohne Betäubung Als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ich Ferkel kastriert werden oder dass Wildtiere in Wander- mich deshalb besonders, dass Sie, liebe Kolleginnen und zirkussen unter nicht artgerechten Bedingungen gehalten Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, uns bei dieser und eingesetzt werden. Diese Liste ließe sich weiter fort- Zielsetzung offensichtlich – das sieht man auch an Ihrem setzen und zeigt: Wir brauchen endlich gesetzliche Schritte Antrag – grundsätzlich unterstützen wollen. und Verbote statt Absichtserklärungen und Selbstver- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pflichtungen. NEN]: Ja, aber hallo!) Auch bei der Eindämmung von Tierversuchen Ich denke, gemeinsam teilen wir die Einschätzung, dass herrscht Zahnlosigkeit. Die jüngst heimlich gefilmte Do- wir jetzt handeln müssen. kumentation der Folter von Menschenaffen am Max- (B) (D) Planck-Institut in Tübingen – leider geduldet durch eine Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, enthält viele grün-rote Landesregierung – zeigt: Das ist nur die Spitze gute Ziele. Darüber hinaus fordern Sie allerdings Dinge, des Eisberges, mit der wir es im Moment zu tun haben. die bereits Gegenstand unserer aktuellen Haushaltsbera- tungen sind. Lassen Sie mich hier beispielsweise die Laut Tierwohlinitiative soll nun die Ersatzmethoden- Haushaltsmittel für die ZEBET nennen. forschung ausgebaut werden, und der Landwirtschafts- minister erklärt, die Zahl der Versuchstiere eindämmen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu wollen. Konsequent wäre es aber, die Logik umzu- NEN]: Doppelt hält besser!) kehren, nämlich Tierversuche grundsätzlich zu verbieten Zudem teile ich Ihre Kritik nicht, dass sich seit dem und nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Jahr 2002 im Tierschutz praktisch nichts getan habe. Im (Beifall bei der LINKEN) Gegenteil: Die Menschen haben ihre Einstellung gegen- über den Tieren geändert. Nicht nur im Konsumverhal- Der Landwirtschaftsminister verweist auf die Verant- ten, sondern allgemein hat sich ein Bewusstsein für mehr wortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieses Tierschutz entwickelt. Argument wird oft gebracht, wenn die Politik, wie auch jetzt, nicht oder nicht konsequent handelt. Doch von der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher der CDU/CSU) zu reden und zugleich zu sinkenden Löhnen, Hartz IV Wir sehen diese Veränderung an ganz unterschiedlichen und millionenfacher Armut in Deutschland zu schwei- Stellen. Ein gutes Beispiel sind die sich verändernden gen, ist zynisch. Soziale Gerechtigkeit und nachhaltiges Konsumentenwünsche. Jüngste Studien zeigen erneut Kaufverhalten müssen zusammen diskutiert werden. sehr deutlich, dass die Verbraucher eine klarere Kenn- (Beifall bei der LINKEN) zeichnung von Lebensmitteln wollen. Dazu gehören na- türlich die Herkunftsangaben; dazu gehören aber auch Zusammengefasst: Die Tierwohlinitiative des Minis- Angaben zu den Lebensbedingungen der Tiere. ters ist eine Mischung aus Absichtserklärungen und wir- kungslosen Appellen an die Wirtschaft. Hier müssen Ta- Apropos Veränderungen: Wenn ich mir Ihren Antrag ten folgen. Daran werden wir Sie messen. Ich freue mich und das Eckpunktepapier von Bundesminister Schmidt auf weitere spannende Diskussionen im Ausschuss und anschaue, denke ich: Wer hätte noch vor wenigen Jahren darauf, dass wir es tatsächlich schaffen, in dieser Legis- gedacht, dass die Grünen und ein Minister der CSU in laturperiode, an einigen Stellen vielleicht sogar gemein- Sachen Tierschutz einmal an einem Strang ziehen wür- sam, etwas Vernünftiges auf den Weg zu bringen. den! Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4981

Christina Jantz (A) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd- (C) NEN]: Verbal sind wir schon so weit!) nis 90/Die Grünen, ich teile Ihre Ansicht, dass zu lange diskutiert wurde und die Vorgängerregierung in vielen Es gibt anscheinend einen überfraktionellen Konsens für tierschutzrelevanten Bereichen nicht gehandelt hat. Nun mehr Tierschutz. liegt aber ein Eckpunktepapier des Ministers für mehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Tierschutz vor. Allerdings müssen Taten folgen. Meine Damen und Herren, wir als SPD sind uns seit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- langem unserer Verantwortung bewusst. Wir wollen ein- SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra deutige Regelungen für den Tierschutz. Die SPD hat da- Crone [SPD]) für das Fundament geschaffen. Wir haben dem Thema Ich lade Sie daher ein, auf einer sachlichen Ebene mit Tierschutz im Koalitionsvertrag viel Raum zugestanden. uns gemeinsam Lösungen zu erarbeiten; denn wir wollen (Beifall bei der SPD) das Beste für die Tiere erreichen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden, wie der Minister angekündigt hat, in einem ersten Schritt die Haltungsbedingungen sowohl der (Beifall bei der SPD) Nutz- als auch der Haustiere verbessern. Wir sind ver- pflichtet, die sich verändernden gesellschaftlichen An- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sprüche an eine moderne Tierhaltung aufzugreifen und – das sage ich auch klar – die erforderlichen gesetzlichen Vielen Dank. – Nächster Redner ist Artur Anpassungen auf nationaler Ebene vorzunehmen, aber Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion. auch auf europäischer Ebene voranzutreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Auch wenn das Grundgesetz eine art- und verhaltens- gerechte Unterbringung und ausreichende Bewegungs- freiheit für Tiere vorsieht, sehen wir, dass Tierschutzstan- Artur Auernhammer (CDU/CSU): dards in der Landwirtschaft diesem Anspruch oftmals Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nicht genügen. Ganz grundsätzlich möchte ich sagen: Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind keine Kava- Wer mit Tieren umgeht, der weiß, dass schnelle und hef- liersdelikte. tige Bewegungen nicht zum Erfolg führen, sondern man ruhig und sachlich an das Tier herantreten sollte. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sollte auch für unsere Debatte über den Tierschutz gel- (B) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE ten. Wenn wir zum Erfolg kommen wollen, dann müssen (D) GRÜNEN) wir sachlich darüber diskutieren und die besten Lösun- Unser Ziel ist es, Systeme zur Haltung landwirtschaft- gen finden. licher Nutztiere an die arteigenen Bedürfnisse der Tiere Die Frage der Haltung von Tieren, die Frage von Tier- anzupassen. Aber auch – ganz wichtig – die Heimtiere schutz und Tierwohl, ist aber auch eine Frage der Ethik, dürfen wir hierbei nicht aus dem Blick verlieren. eine Frage des Selbstverständnisses unserer Gesell- Zu Beginn der Woche haben wir seitens der SPD- schaft. Der Kollege von den Linken hat gerade erwähnt, Fraktion uns gemeinsam mit Experten aus Österreich dass Tiere eigentlich ein Wirtschaftsgut sind und dass und der Schweiz sowie Vertretern der Verbände und wir Tiere nicht als Wesen bezeichnen. Als Landwirt verschiedener NGOs genau zu diesem Thema – obliga- muss ich dazu sagen: Für mich sind meine Tiere im Stall torische Prüf- und Zulassungsverfahren für artgerechte, Wesen, mit denen ich gerne umgehe, die mich kennen, praxisgerechte Haltungssysteme – ausgetauscht. Ein Er- die ich alle beim Namen kenne. gebnis war, dass einheitliche Systeme natürlich Vorteile (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für alle Seiten bringen. Sie sind für die Tiere sowie die NEN]: Warum stehen sie dann im Stall?) Tierhalter von Interesse; aber auch die Hersteller hätten endlich Investitions- und Rechtssicherheit. Dies ist je- Deshalb bitte ich, dass wir in der öffentlichen Diskus- doch nur ein Schritt. Wir brauchen zudem klare Vorga- sion die Leistungen unserer Landwirte, unserer Bäuerin- ben für Betäubungseinrichtungen beim Schlachten sowie nen und Bauern nicht so diskreditieren. schärfere Vorgaben für die Tiertransporte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein weiteres Thema: Wir müssen die Qualzuchten be- Seit dem Jahr 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel im enden. Grundgesetz verankert. Dass wir weiter darüber disku- (Beifall bei der SPD) tieren müssen und wir hier weiterhin gemeinsam nach guten Lösungen suchen sollten, ist uns klar. Minister Hier muss das Tierschutzgesetz konkretisiert werden. Schmidt hat eine Tierwohlinitiative vorgelegt, die von Zudem werden wir den Wildtierschutz verbessern. Im- uns in der Regierungskoalition gemeinsam getragen porte von Wildfängen in der EU möchten wir grundsätz- wird; davon gehe ich aus. Meine sehr verehrten Damen lich verbieten, und gewerbliche Tierbörsen für exotische und Herren von den Grünen, ich wäre dankbar, wenn Sie Tiere möchten wir untersagen. Diesen Zielen, insbeson- mit uns über diese Initiative des Bundesministers disku- dere dem Tierschutz, fühlen wir uns verpflichtet. tieren würden. Ich sehe Ihren Antrag eigentlich als Dis- 4982 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Artur Auernhammer (A) kussionsgrundlage im Zusammenhang mit dieser Initia- Wir wollen also gemeinsam darüber diskutieren, wie (C) tive. wir den Tierschutz weiter nach vorne bringen. In der letzten Legislaturperiode wurde hier bereits sehr massiv (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über die Ferkelkastration gestritten. Ich selbst habe in NEN]: Danke, Kollege! Genau so war es ge- meiner Ausbildungszeit auch Ferkel kastriert. Diese Fer- dacht!) kel waren 15 bis 20 Kilo schwer. Das war weder für das Hinsichtlich der Zielvorstellungen gehen unsere Ansich- Ferkel noch für den Lehrling eine angenehme Erfahrung. ten an der einen oder anderen Stelle allerdings auseinan- Heute werden Ferkel bereits am dritten oder vierten Le- der. benstag durch einen kurzen chirurgischen Einschnitt kastriert. Nach der Kastration haben die Ferkel eigent- lich nur ein Ziel: Wie komme ich am schnellsten wieder Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zur Muttersau, damit ich an die gute Muttermilch heran- Herr Abgeordneter Auernhammer, gestatten Sie eine komme? Das ist jetzt die Situation in den Betrieben. Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter von der Diese sollten wir unterstützen, und wir sollten nicht mit Fraktion Die Linke? überzogenen Auflagen noch mehr Bürokratie gerade für die kleinstrukturierten Betriebe schaffen. Artur Auernhammer (CDU/CSU): Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass Tierställe Ja, gerne. keine Streichelzoos sind. Tierställe sind nach wie vor die wirtschaftliche Grundlage für viele Bäuerinnen und Bau- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ern und für viele Familienbetriebe. Deshalb sollten wir Bitte schön. die Sachlichkeit in der Diskussion wahren. Gerade im Bereich der Rinderhaltung – da bin ich bei der kleinbäu- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): erlichen Struktur – wurden sehr viele neue Investitionen in sogenannten Kuhkomfort getätigt, wodurch eine Um- Danke schön, Kollege Auernhammer. – Ich habe in stellung von Anbindehaltung auf Laufstallhaltung er- der Rede meines Kollegen nicht gehört, dass er die Bau- folgt ist. Die Tiere haben mehr Platz. Sie können sich be- ern diskreditiert hat. Auch Sie kennen sicher die Fern- wegen. Sie fühlen sich wohl. Ich glaube, das ist gut so. sehberichte, in denen gezeigt wird, wie eine Hilfskraft in Wenn wir hier mit Forderungen zu schnell vorangehen, einer großen Agrarfabrik durch die Reihen geht, ein, werden wir gerade diese bäuerlichen Familienstrukturen zwei Ferkel herausnimmt und erschlägt. Das ist nicht, zerstören und diese Betriebe zum Aufgeben zwingen. wie Herr Stier sagt, Meinungsmache. Wenn ich mich Das ist nicht meine Intention. (B) recht erinnere, ging es um das Bundesland, aus dem er (D) kommt. Ferkel so zu töten, so etwas muss doch definitiv (Beifall bei der CDU/CSU) abgeschafft werden. Gerade die Zuchtverbände und die Besamungsorgani- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sationen arbeiten zum Beispiel intensiv daran, die Horn- Ich vermisse auch eine Diskussion über die Frage, losigkeit bei der Tierzucht voranzubringen, damit eine wie man dagegen vorgehen kann, dass die Preise von Enthornung von Kälbern nicht mehr notwendig ist. Ich großen Lebensmittelkonzernen diktiert werden. Die habe hier bereits gute Erfolge gesehen. Hier sind wir auf Bauern – das sagen Sie zu Recht – lieben vielfach ihre einem sehr guten Weg. Diesen sollten wir weiterhin be- Tiere. Aus wirtschaftlichen Gründen können sie aber gar schreiten. Das gilt auch für andere Tierhaltungsformen. nicht anders, als die Tiere so zu behandeln, wie sie es Die Zucht nach Hornlosigkeit wird sicherlich einen Bei- tun. Mir fehlt eine Debatte darüber, dass Lebensmittel trag dazu leisten, dass unsere Tiere tiergerechter gehal- etwas wert sein müssen, darüber, dass nicht zulasten der ten werden können. Tiere Profit gemacht werden darf, darüber, dass kein Ich darf hier auch erwähnen, dass gerade in der Tierleid produziert werden darf. Das wollte ich Ihnen ei- Milchviehhaltung seit den letzten Jahren verstärkt der gentlich nur sagen, und ich wollte Sie fragen, ob Sie Fokus auf die Langlebigkeit, auf die Lebensleistung der diesbezüglich meine Meinung teilen. Tiere gelegt wird und nicht auf den schnellen Profit im ersten Jahr. Ich glaube, hier sind wir in der Landwirt- Artur Auernhammer (CDU/CSU): schaft auf einem guten Weg. Auf diesem sollten wir uns Sehr verehrte Frau Kollegin, warten Sie ab, bis ich weiter bewegen. mit meiner Rede zu Ende bin, dann werden Sie sicher- lich auch davon überzeugt sein, dass wir die eine oder Ich komme zum Thema Tiertransporte. Das ist natür- andere Gemeinsamkeit haben. Große Missstände in gro- lich ein Lieblingsthema der Grünen. Tiertransportzeiten ßen Tieranlagen kenne ich aus der Zeit, aus der Ihre Par- sollten möglichst kurz gehalten werden. Ich bin aber tei eigentlich stammt. Das möchte ich hier noch erwähnt auch ein Freund marktwirtschaftlicher Entscheidungen. haben. Wenn ich meine Schlachttiere nur für eine bestimmte Zeit transportieren darf, dann bin ich dazu verdonnert, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – meine Tiere zu bestimmten Abnehmern in der Nähe zu Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dagmar liefern. Würden Ihre Forderungen umgesetzt, könnte ich Ziegler [SPD]: Das ändert aber jetzt an der mir die Vermarktungsorganisation nicht aussuchen, weil Wahrheit von heute auch nichts!) der Transport dorthin vielleicht eine halbe Stunde zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4983

Artur Auernhammer (A) lange dauert. Das kann keine tiergerechte Transportlö- ber, wir könnten hier mehr Geld in die Hand nehmen. (C) sung sein. Ich werde mich auch dafür einsetzen, um den Umbau von der – ich sage es jetzt konkret – Anbindehaltung zur Die gesamte Tierschutzdebatte hat auch einen euro- kuhkomfortgerechten Laufstallhaltung zu ermöglichen. päischen und vor allem einen internationalen Ansatz. Es macht wenig Sinn, wenn wir – es ist bereits erwähnt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und worden – in Deutschland die höchsten Tierschutzstan- der SPD) dards haben und dann mit noch höheren Standards un- Frau Präsidentin, habe ich jetzt noch Zeit? sere Tierhaltung herunterfahren, stilllegen, uns aus der Tierhaltung verabschieden. Das soll nicht unsere Land- wirtschaftspolitik sein. Wir wollen mit unseren Tierhal- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tungsformen in Deutschland Vorbild sein für andere Für den Schlusssatz haben Sie noch Zeit. Staaten, auch für die Kollegen in Holland, die das eine oder andere vielleicht nicht so freundlich machen, wie es Artur Auernhammer (CDU/CSU): sein soll. Wenn wir dann allerdings all diese gesellschaftlichen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anforderungen erfüllen – mehr Tierschutz, mehr Tier- Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wohl –, ist aber das Entscheidende: Honoriert uns das NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) auch der Verbraucher? – Da habe ich, das sage ich ganz ehrlich, manchmal meine Zweifel. – Der Herr Kollege Ebner hat eine Frage, und bevor Sie fragen, Frau Präsidentin: Ich möchte diese Frage zulas- Ich glaube aber nicht, dass es nur am Verbraucher sen. liegt – es liegt auch an den Strukturen in unserem Le- bensmitteleinzelhandel. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das entscheide immer noch ich. der SPD) (Heiterkeit – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ Wenn wir heute hören, dass ganze 85 Prozent der Le- CSU]: So ist es in Ordnung!) bensmittel, die in Deutschland gehandelt werden, von gerade einmal einer Handvoll Lebensmitteleinzelhändler vermarktet werden, dann erkennen wir: Wir haben hier Artur Auernhammer (CDU/CSU): eine große Aufgabe. Hier ist die Landwirtschaft gefor- Okay. dert; aber auch wir, die Politik, sind gefordert, uns dage- (B) gen aufzustellen und die Vermarktungsstrukturen besser (D) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zu begleiten. Bitte schön: Sie dürfen die Frage zulassen, und ich (Beifall der Abg. Petra Crone [SPD]) entscheide, dass er jetzt reden darf.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. Jetzt ist der Schlusssatz wirklich zu Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Auernhammer, Ende. für die Schaffung der Aufmerksamkeit aufseiten des Prä- sidiums. (Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU] ver- neigt sich vor dem Präsidium – Heiterkeit – Sie haben die bäuerlichen Betriebe angesprochen. Da Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sind wir uns vollständig einig. Deshalb möchte ich Sie jetzt fragen, ob Sie mit mir einer Meinung sind, dass – Bitte schön. Wir waren jetzt wirklich großzügig. wir darüber nachdenken sollten, wie wir die Betriebe Nächste Rednerin ist Ute Vogt, SPD-Fraktion. bei einer schnelleren Umstellung auf tiergerechte Hal- tung, für mehr Tierschutz, finanziell unterstützen kön- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der nen – vielleicht fallen uns auch noch andere Arten der CDU/CSU) Unterstützung ein; aber Geld ist immer das Erste, was einem einfällt –, um, Sie haben das angesprochen, diese Ute Vogt (SPD): Ungleichheit am Start zwischen größeren Betrieben und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den kleinen, bäuerlichen Familienstrukturen besser aus- Der Kollege Auernhammer hat es schon angesprochen: zugleichen. Wir haben in Artikel 20 a unseres Grundgesetzes – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitiere ich – festge- Artur Auernhammer (CDU/CSU): schrieben: Herr Kollege, da bitte ich Sie, einmal einen Blick auf Der Staat schützt auch in Verantwortung für die die bayerische Agrarpolitik zu werfen. Wir haben hier künftigen Generationen die natürlichen Lebens- sehr umfangreiche Stallfördermaßnahmen. Sicherlich grundlagen und die Tiere im Rahmen der verfas- kann man hier das eine oder andere mehr tun. Aber In- sungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung … vestitionen gerade in Milchviehanlagen sind sehr teuer; da reden wir sehr schnell von einer halben Million Euro. Wir haben uns damit als Haus mit einer deutlichen Wir unterstützen das nach wie vor. Mir wäre es auch lie- Mehrheit – mit einer Zweidrittelmehrheit – eindeutig 4984 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Ute Vogt (A) verpflichtet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich auch zulasten der Landwirte – und einfach versucht, die (C) denke schon, dass wir dieser Verpflichtung durch die Verbraucherinnen und Verbraucher durch immer mehr praktische Gesetzgebung besser nachkommen müssen, Dumpingpreise zu locken, wodurch noch mehr Elend in als es bisher passiert ist. der Tierhaltung hervorgerufen wird. Herr Kollege Stier, ich bin aufgrund Ihres Redebei- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta trags etwas ernüchtert – so will ich es einmal sagen –, Connemann [CDU/CSU]) weil es jetzt nicht darum geht, dass es ein paar schwarze Uns geht es darum, dieses Elend nicht nur zu reduzie- Schafe gibt, die man irgendwie herausfinden und zur ren, sondern tatsächlich auch zu beenden. Ich denke, hier Ordnung rufen muss; bei diesem Thema geht es viel- geht es um eine Bewusstseinsänderung. Das können wir mehr um eine grundsätzlich andere Einstellung. nicht nur einzelnen Tierschützern überlassen, die mit (Beifall bei der SPD) entsprechenden Kampagnen tätig werden, Die Einstellung hat sich bei vielen Menschen – ge- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!) rade auch bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern sondern wir sind hier aufgefordert, die notwendigen ge- in Deutschland – schon sehr verändert. Es geht darum, setzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen. dass der angesprochene Lebensmitteleinzelhandel und eben auch die Landwirtschaft sowie die Erzeuger im Zu- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta sammenwirken mit uns entsprechend reagieren. Deshalb Connemann [CDU/CSU]) finde ich es so bedauerlich, dass Sie so unsinnige und Ich glaube, die Bereitschaft in der Gesellschaft ist da. Ich – ich sage es jetzt wirklich einmal so – quälerische sehe auch in der Landwirtschaft immer mehr verantwor- Dinge wie den Schenkelbrand auch heute wieder vertei- tungsvolle Menschen, die gerne einen anderen Weg mit digt haben. uns gehen wollen. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die meis- NEN]: Ja! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE ten sind in der CDU!) GRÜNEN]: Das ist unerträglich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Schächten Deshalb will ich noch einmal sagen: Wir sollten mög- ist viel schlimmer!) lichst schnell vorgehen und nicht bei jeder Maßnahme die vorgesehene Dialogzeit von zwei Jahren ausnutzen. Ich will Ihnen sagen: Wir haben jetzt eine andere Ko- Wir müssen damit anfangen, das, was notwendig ist, alition als in der letzten Legislaturperiode. Stück für Stück umzusetzen. Darauf freuen wir uns, und (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des ich glaube, wir können hier möglicherweise etwas errei- (D) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen, hinter dem wieder, wie damals bei der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz, das ganze Haus steht. Ich möchte nicht mehr erleben, dass es uns so ergeht wie Das fände ich ideal; denn es geht um eine sehr ethische beim letzten Mal, als Frau Aigner etwas durchaus Bewertung dieser Themen und nicht nur um Streitereien Brauchbares vorgelegt hat, wovon am Ende praktisch zwischen den einzelnen Fraktionen. nichts mehr übrig geblieben ist. In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zu- Wir sind wirklich fest entschlossen, Minister sammenarbeit aller Fraktionen, aber vor allen Dingen Christian Schmidt in seinen Überlegungen mit voller auch auf eine zügige Umsetzung. Kraft zu unterstützen. Wir haben das im Koalitionsver- trag gemeinsam vereinbart, und es reicht nicht aus, wenn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Sie sich jetzt darauf zurückziehen, im Grunde nur das zu CDU/CSU) tun, was Sie auch in der letzten Legislaturperiode schon nicht tun wollten. Es muss also schon ein bisschen mehr Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sein. Es geht auch darum, dass wir das alles nicht zwei Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende dieser De- Jahre lang hinauszögern dürfen. In vielen Bereichen lie- batte. gen die Erkenntnisse vor und ist die Qual offensichtlich. Es ist unsere Aufgabe – auch nach dem, was uns das Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Grundgesetz vorgibt –, hier zügig zu handeln. Drucksache 18/2616 an die in der Tageordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Dann können wir verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die ja gemeinsam etwas tun!) Überweisung so beschlossen. Es geht uns darum, den Verbraucherinnen und Ver- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: brauchern die Chance zu geben, ihre Entscheidung auf Erste Beratung des von den Fraktionen der der Grundlage der besten Information zu treffen. Der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei- Deutsche Tierschutzbund hat gestern eine Kampagne nes … Gesetzes zur Änderung des Urheber- mit dem Titel „Hinter billig steckt mehr als Sie denken“ rechtsgesetzes ins Leben gerufen. Mit dieser Kampagne sollen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher darauf aufmerksam Drucksache 18/2602 gemacht werden, was es bedeutet, wenn man den Wert Überweisungsvorschlag: von Tieren, von Mitgeschöpfen, nicht erkennt – übrigens Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4985

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ausschuss für Wirtschaft und Energie geführt worden. Die Befristung wurde dreimal verlän- (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und gert. Aber die damaligen Koalitionen – auch das muss Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien man sagen – konnten sich nicht dazu durchringen, diese Ausschuss Digitale Agenda Norm endgültig zu entfristen, sehr zu meinem Unver- ständnis. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Ich möchte anfügen, dass ein Gesetzentwurf meiner nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Fraktion bereits in der letzten Legislaturperiode eine sol- che unbefristete Geltung vorgesehen hat. Dieser Stand- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Christian punkt fand damals allerdings leider keine Mehrheit. Des- Flisek, SPD-Fraktion. halb bin ich froh, dass wir heute einen wesentlichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schritt weiter sind und diesen Paragrafen hoffentlich der CDU/CSU) ohne größere Aufregung entfristen können. Das ist ein gutes Zeichen an alle Bildungsträger, Lehrkräfte, Schü- Christian Flisek (SPD): ler und Studenten in unserem Land. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der SPD) legen! Ich möchte Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Entfristung einer Regelung im Urheberrechtsgesetz vor- Diese Entfristung steht aber auch für das, was meiner stellen. Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen Fraktion in allen urheberrechtlich relevanten Fragen be- der Union haben wir uns darauf verständigt, den § 52 a sonders wichtig ist. Es geht darum, die Rechte der kreati- im Urheberrechtsgesetz in seinem Inhalt unangetastet ven Urheber und auch ihrer Verwerter in einem digitalen und ohne weitere Befristung in den urheberrechtlichen Umfeld zu stärken. Es geht auch darum, die Rechte der Normenbestand zu übernehmen. Ich finde, auch mit Nutzer auf eine legale Nutzung digitaler Inhalte zu ei- solch scheinbar kleinen Gesetzesänderungen kann man nem angemessenen Ausgleich zu bringen. manchmal Weitreichendes bewirken. Dieser Paragraf ist In diesem Zieldreieck von Kreativen, Verwertern und von großer Relevanz, wenn es um einen angemessenen Nutzern solch einen angemessenen Ausgleich herzustel- und zeitgemäßen Zugang junger Menschen zu Bildung len, erfordert in vielen Detailfragen oft urheberrechtli- und Lehrmaterialien geht. ches Fingerspitzengefühl, sehr viel Arbeit und sehr oft Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an ei- auch Geduld. Alle, die sich im parlamentarisch-politi- nem Beispiel verdeutlichen. Stellen Sie sich die allge- schen Umfeld mit Urheberrecht beschäftigen, wissen das meine Situation in einer Schule oder an einer Universität und können das sicherlich bestätigen. (B) vor: Studenten an einer Universität sollen für ein Semi- (D) Das Urheberrecht belohnt den kreativen Urheber für nar ein kurzes Kapitel aus einem Lehrbuch durcharbei- seine Kreativität grundsätzlich mit einem Monopol für ten, oder Schüler sollen im Deutschunterricht ein be- sein kreatives Schaffen. Nach den Vorstellungen des Ge- stimmtes Gedicht aus einem Sammelband lesen, um es setzes entscheidet er selbst allein, ob er sein Werk veröf- dann im Unterricht zu behandeln. Wie wird dieses Lehr- fentlicht, wem er Rechte an diesem Werk einräumt und material heute den Schülerinnen und Schülern zur Verfü- zu welchen Bedingungen dies geschieht. Der Alltag und gung gestellt? die Praxis vieler Kreativer in Deutschland sehen dage- Wie den meisten von uns erging es auch mir so: gen gewiss anders aus. Sie sind froh, wenn sie ihr kreati- Früher hat der Lehrer das kopiert und anschließend ves Schaffen in ein halbwegs planbares Einkommen ausgeteilt. Das hat sich geändert. Heute haben interne verwandeln können. Bei dieser Sachlage sind neben Netzwerke mit passwortgeschützten Zugängen für Schü- Lizenzen vor allen Dingen vergütungspflichtige Schran- lerinnen und Schüler und für Studenten Einzug gehalten. ken ein Mittel dafür, dass der Urheber und seine Verwer- Sie erleichtern auch das Leben aller Beteiligten. Die ter ihre angemessene Vergütung erhalten und dem allge- Lehrkraft scannt die entsprechenden Seiten ein und stellt meinen Interesse an einer Nutzung Rechnung getragen sie den Schülern und Studenten im Intranet der Schule werden kann. § 52 a des Urheberrechtsgesetzes ist eine oder der Universität zur Verfügung. Die Schüler und solche Schranke, die sich in der Praxis bewährt hat, und Studenten laden sich das Unterrichtsmaterial einfach he- das sicherlich nicht zuletzt auch aufgrund der Konkreti- runter. Genau das erlaubt § 52 a des Urheberrechtsgeset- sierungen, die durch den Bundesgerichtshof in Urteilen zes – jedoch nach geltender Rechtslage nur noch bis zum vorgenommen worden sind. Ende dieses Jahres. Deshalb bringen wir heute den vor- Lassen Sie mich aber auch etwas Allgemeines zu den liegenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Wir nut- Schranken sagen. Durch die Digitalisierung ist die Zahl zen hiermit die Chancen der Digitalisierung und stellen der Ausgleichsschranken im Urheberrechtsgesetz gestie- die geschilderten, etablierten alltäglichen Arbeitsweisen gen. Es ist sicherlich kein Geheimnis, dass viele dieser in Schulen und Universitäten dauerhaft auf rechtlich sta- Schranken mittlerweile unverständlich, komplex und bile Füße. damit auch für den Rechtsalltag wenig praktikabel ge- Und diejenigen, die sich in der Vergangenheit mit Ur- worden sind. Wir werden es daher in dieser Legislatur- heberrechtsfragen beschäftigt haben, wissen: Der § 52 a periode nicht bei der Entfristung des § 52 a belassen. des Urheberrechtsgesetzes hat eine Geschichte hinter Der Koalitionsvertrag sieht vor, eine einheitliche Bil- sich, genauer: eine über zehnjährige Geschichte. Mit be- dungs- und Wissenschaftsschranke für das Urheberrecht fristeter Geltungsdauer ist er im Jahr 2003 erstmals ein- zu regeln. Das bedeutet: Urheberrechtlich geschütztes 4986 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Christian Flisek (A) Material soll rechtssicher für Bildung und Wissenschaft leichtern. Passiert ist seitdem wenig. Immerhin, seit un- (C) genutzt werden können. Zugleich sollen die Rechteinha- gefähr einem Dreivierteljahr, steht im Koalitionsvertrag ber, also die Autoren und die Verlage, hierfür eine faire – darauf wurde schon verwiesen –: Kompensation erhalten. Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen- Wir wollen die Schrankenregelungen im Bereich schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung Bildung und Wissenschaft praktikabler und für alle An- tragen und eine Bildungs- und Wissenschafts- wender verständlicher gestalten. Wir werden diese neue schranke einführen. einheitliche Schrankenregelung für Bildung und Wissen- schaft im Dialog mit allen Beteiligten entwickeln. Das Vorschläge, wie diese umzusetzen wäre, gibt es mehr als wird keine leichte Aufgabe sein. Und dass dies alles un- einen. Schon länger bekannt sind beispielsweise die Vor- ter den gegebenen europäischen Rahmenbedingungen zu schläge der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und erfolgen hat, macht die Angelegenheit sicherlich nicht der Kultusministerkonferenz. Anfang des Jahres legte einfacher. Für einen solchen Dialogprozess braucht es eine Urheberrechtsexpertin von der Humboldt-Universi- Zeit. Und dass ein solcher größerer Entwurf bis Ende tät, deren Nachname ungefähr einfach wie meiner ist, dieses Jahres, also bis Ende 2014, sicherlich nicht zu weswegen ich ihn hier nicht nennen kann, leisten ist, liegt auf der Hand. Das ist auch der Grund, (Heiterkeit des Abg. Christian Flisek [SPD]) warum wir in einem ersten Schritt § 52 a entfristen: Um zu verhindern, dass er Ende dieses Jahres ersatzlos außer einen Regelungsentwurf vor, dessen Erarbeitung auch Kraft tritt. noch vom Bildungs- und Forschungsministerium geför- dert wurde. Als Reaktion darauf hat das Aktionsbündnis Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ seinen äl- Kollegen, es ist durchaus kein kompliziertes Gesetz, teren Vorschlag überarbeitet und aktualisiert. welches wir hier im Entwurf vorlegen. Eine Regelung, die sich bewährt hat, soll dadurch entfristet werden, dass Kurzum, es gab und gibt eine sehr lange Debatte, es ein Satz gestrichen wird, der da lautet: „§ 52 a ist mit gibt diverse konkrete Vorschläge, wie in Sachen Urhe- Ablauf des 31. Dezember 2014 nicht mehr anzuwen- berrecht, Lernen und Forschen zeitgemäße Lösungen den.“ Es ist aber ein wichtiges Gesetz. Die Träger von gefunden werden können, Lösungen, die Sie von der Schulen, Hochschulen, also letztlich die Bundesländer, Koalition auch wollen. erhalten mit dieser Entfristung Planungssicherheit, um Aber was machen Sie jetzt mit dem Gesetzentwurf? – entsprechende Infrastrukturen für ihre Institutionen auf- Sie schreiben in den heute zu diskutierenden Gesetzent- zubauen, wo bisher Unsicherheit herrschte. wurf zur Entfristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz (B) Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Beitrag für die hinein, dass diese Gesetzesänderung notwendig wird, (D) weitere Entwicklung hin zu einem bildungs- und wissen- weil Sie eine – ich zitiere – „intensive rechtspolitische schaftsfreundlichen Urheberrecht. Meine Damen und Diskussion“ über die Bildungs- und Wissenschafts- Herren, ich glaube, manchmal können auch einfache Ge- schranke für erforderlich halten, die Sie dieses Jahr nicht setze wie dieses eine große Wirkung entfalten. mehr abgeschlossen bekommen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue (Christian Flisek [SPD]: Ja, selbstverständ- mich auf die Diskussion. lich! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ja richtig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Das steht darin. Richtig. Man kann es ja so zusammenfassen: Einerseits wollen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie den wichtigen Belangen von Wissenschaft, For- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Halina schung, Bildung und Kultur stärker Rechnung tragen. Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. Andererseits liegen aber genau aus diesen Bereichen konkrete, ernst zu nehmende Gesetzesvorschläge vor. Es (Beifall bei der LINKEN) gibt eine lange Debatte. Auf die gehen Sie aber nicht ein. Sie nehmen diese Vorschläge nicht auf. Sie hätten ja ei- Halina Wawzyniak (DIE LINKE): nen von diesen Vorschlägen aufnehmen können. Und Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und weil Sie das nicht machen, also weil Sie diese Vor- Herren! Als vor fünf Jahren meine Zeit als Bundestags- schläge nicht aufnehmen, kommt es jetzt zur Entfristung abgeordnete anfing, hofften noch einige Interessierte aus des § 52 a, der Regelung zur Zugänglichmachung von Bildung und Wissenschaft, dass die damalige schwarz- kleinen Teilen von urheberrechtlich geschützten Werken gelbe Bundesregierung endlich den sogenannten Dritten im Intranet von Hochschulen. Korb der Anfang des Jahrtausends angefangenen Urhe- Die Entfristung – das gebe ich Ihnen zu – ist mehr als berrechtsreform anpacken würde. Der Dritte Korb sollte der Wegfall dieser kleinen Schranke und auch mehr als ausdrücklich den Bedürfnissen von Bildung und Wissen- eine neuerliche Befristung. Aber eine wirkliche Verbes- schaft gewidmet sein. Ein großes Ziel dabei war die serung, ein Ernstnehmen der wichtigen Belange von Bil- sogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke, also dung und Wissenschaft ist es eben nicht. Bereichsausnahmen im Urheberrecht, die den Informa- tionsfluss zum Wohle von Lernen und Forschung er- (Marianne Schieder [SPD]: Na ja!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4987

Halina Wawzyniak (A) Denn dank des Urteils des BGH vom vergangenen Auch die Gesetzgebung kennt ähnliche Phänomene, (C) November ist die Schrankenwirkung bis zur Belang- die sogenannte Sunset Legislation, nämlich eine durch losigkeit verkleinert. Es wurde eben höchstrichterlich den Gesetzgeber vorgesehene Auslaufklausel für Ge- der Lizenzvorrang festgestellt. Die Hochschulen müssen setze. Das bedeutet, dass ein Gesetz nur bis zu einem also vor der Inanspruchnahme der Schrankenprivilegien festgelegten Datum, also bis zum sinnbildlichen Sonnen- zunächst prüfen, ob es ein Lizenzangebot der Verlage untergang, Gültigkeit besitzt. Der Gesetzgeber kann gibt, und dieses im Zweifelsfall annehmen. Die privat- diese Frist dann bei Bedarf verlängern. Lässt er die Frist wirtschaftlichen Interessen haben Vorrang vor der Aus- einfach verstreichen, läuft die Regelung aus. Rechtstech- nahme im Urheberrecht, die dem Wohle der Lehre die- nisch ist das also eine auflösende Bedingung. Formal nen soll – eine Ausnahme, die wohlgemerkt immer geht auch heute bei der ersten Beratung der Änderung vergütungspflichtig gedacht war. Das bedeutet nicht nur des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes genau darum; denn mehr Aufwand und wohl auch mehr Kosten für jede ein- der Sonnenuntergang dieser Vorschrift würde hier am zelne Uni, nein, die geltende Auslegung des § 52 a trägt 31. Dezember eintreten. den wichtigen Belangen der Lehre gerade keine Rech- nung. Verwehren wollen wir – so haben wir das in der Koalition entschieden – die Wissenschaftsschranke in Die Entfristung ist nicht verkehrt, aber es muss mehr § 52 a des Urheberrechtsgesetzes allerdings auch nach als entfristet werden. Das, was die Koalition hier vor- dem Fristablauf niemandem. Deshalb haben wir, CDU/ schlägt, ist das Minimum, um eine unbefriedigende Si- CSU und SPD, gemeinsam entschieden, durch die vor- tuation nicht noch schlechter werden zu lassen, aber der geschlagene Regelung die mehr als zehn Jahre geltende Anwendungsbereich muss so ausgeweitet werden, dass Befristung aufzuheben und die Vorschrift des § 52 a Ur- die Hochschulen tatsächlich etwas davon haben. Er muss heberrechtsgesetz endgültig wirksam werden zu lassen. Teil einer allgemeinen Wissenschaftsschranke werden, wie sie die Linke und unzählige Wissenschaftsverbände § 52 a des Urheberrechtsgesetzes war 2003 in immer wieder gefordert haben. Deutschland die erste Urheberrechtsvorschrift über- haupt, die der Gesetzgeber als befristete Regelung einge- Sie haben ja gesagt, Sie werden eine Diskussion unter führt hat. Eine solche Sunset Legislation hatte es bis da- Einbeziehung aller führen. hin im deutschen Urheberrecht noch nie gegeben. Dass (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: das Gesetz befristet wurde, ist dem Umstand geschuldet, Das wird auch Zeit!) dass die Einführung der Schranke seinerzeit politisch sehr umstritten war und sich der Gesetzgeber durch die Dann freuen wir uns auf die Einladung und werden Befristung selbst zu disziplinieren gedachte, um Erfah- (B) selbstverständlich an den Gesprächen teilnehmen. rungen aus der Anwendung der Vorschrift zur Grundlage (D) der Entscheidung über die weitere Befristung oder die (Beifall bei der LINKEN – Marianne Schieder Entfristung zu machen. [SPD]: Na, hoffentlich! Bestritten ist die Vorschrift jedenfalls über viele Jahre Vizepräsidentin Ulla Schmidt: insoweit gewesen, als sie über alle zivilrechtlichen In- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Ansgar Heveling, stanzen hinweg Gegenstand gerichtlicher Auseinander- CDU/CSU-Fraktion. setzungen gewesen ist. Nunmehr hat die Rechtsprechung im vergangenen Jahr endgültig entschieden und damit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einige wichtige Hinweise zum Umfang, zur Geltung und neten der SPD) damit zur weiteren Ausgestaltung des § 52 a des Urhe- berrechtsgesetzes gegeben. In der Summe führen die Erkenntnisse nun dazu, dass die Regelung endgültig ent- Ansgar Heveling (CDU/CSU): fristet werden kann, da eine weitreichende Konturierung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! durch die Rechtsprechung mittlerweile erfolgt ist. Mitte dieser Woche hat zumindest kalendarisch der Herbst begonnen, und zwar am 23. September ziemlich In zwei Verfahren ging es zum einen um die Defini- genau um 4.29 Uhr, als die Sonne exakt senkrecht über tion der Angabe „kleine Teile“ eines Werkes. Diese An- dem Äquator stand. gabe hat der Bundesgerichtshof nun klar eingegrenzt: Eine Universität oder eine andere Forschungseinrichtung (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – darf ihren Studierenden ein urheberrechtlich geschütztes Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist Werk in Teilen nur dann elektronisch zugänglich ma- schon einmal ein guter Anfang!) chen, wenn diese Teile nicht mehr als 12 Prozent oder Der kalendarische Herbstanfang richtet sich nämlich 100 Seiten in der Summe ausmachen. nach dem Stand der Sonne. Was hat das nun mit § 52 a des Urheberrechtsgesetzes zu tun? Zum anderen – das ist, glaube ich, eine wichtigere Er- kenntnis – hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU diese Zugänglichmachung nicht geboten ist, wenn der und der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, das Rechteinhaber eine angemessene Lizenz für die Nutzung fragen wir uns gerade auch! – Oliver Krischer angeboten hat. Das heißt, der Bundesgerichtshof geht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen ganz klar davon aus, dass vertragliche Regelungen Vor- wir uns auch!) rang vor der Anwendung der Schranke haben. Die 4988 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Ansgar Heveling (A) Rechtsprechung räumt also einem angemessenen Li- Anwendung kommt, die dann fälligen Vergütungen auch (C) zenzangebot eines Verlages den Vorrang ein. tatsächlich gezahlt werden. Hier ist der bisherige Umgang mit § 52 a des Urheberrechtsgesetzes für die Es wäre jetzt die Frage gewesen, ob man diese Er- Beteiligten sicherlich kein leuchtendes Beispiel oder als kenntnisse des Bundesgerichtshofes auch in das Gesetz Best Practice anzusehen. Denn auch das muss klar sein: hineinschreibt. Wir haben uns jedoch für eine reine Ent- Die Inanspruchnahme einer solchen Schranke ermög- fristung entschieden, da durch den Bundesgerichtshof licht zwar den freien Zugang zu Werkteilen, sie ist aber nun klar konturiert ausgesprochen worden ist, wie man nicht die Eintrittskarte für einen kostenfreien Zugang. den § 52 a des Urheberrechtsgesetzes zu verstehen hat. Vielen Dank. Wir sollten uns bei allen Veränderungen und bei allem Veränderungsbedarf im Urheberrecht immer bewusst (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) machen: Ausgangspunkt, Dreh- und Angelpunkt des Urheberrechts ist Artikel 14 unseres Grundgesetzes. Ar- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tikel 14 garantiert und schützt das Eigentum, sei es mate- Vielen Dank auch. – Nächste Rednerin ist Renate rielles oder geistiges Eigentum. Beschränkungen dieses Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Eigentumsrechts, also auch die sogenannten Schranken des Urheberrechts, sind daher immer als Ausnahme zu verstehen und lassen sich nur durch die Interessen des Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Allgemeinwohls begründen. Vor diesem Hintergrund Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vor müssen wir gesetzliche Änderungen im Urheberrecht einigen Tagen der Gesetzentwurf der Koalition zur Än- immer betrachten, und vor diesem Hintergrund müssen derung des Urheberrechtsgesetzes auf die Tagesordnung sich auch diejenigen messen lassen, die eine Schranken- gesetzt wurde, hat das gleich etwas bei mir im Büro aus- regelung für sich in Anspruch nehmen. In den beiden gelöst, nämlich einen vermehrten Eingang von Telefon- vergangenen großen Urheberrechtsreformen hat der Ge- anrufen und Mails mit Anfragen, ob ich herausfinden setzgeber bereits umfassende Privilegien für den Bereich könnte, was die Koalition so regeln möchte, und ob dies Wissenschaft geschaffen. Mit der Sunset Legislation, der große Reformentwurf sei oder ob irgendwelche be- also der vorläufigen Befristung, wollte der Gesetzgeber deutenden Änderungen vorgesehen seien. Dienstag- den Befürchtungen aus dem Bereich der Wissenschafts- abend konnte ich dann alle diese Fragen beantworten: Es verlage vor unzumutbaren Beeinträchtigungen beikom- ist eigentlich nichts – um es einmal ganz ehrlich zu sa- men. gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Die Schranken im Bereich Bildung und Wissenschaft (D) sind schon seit vielen Jahren Gegenstand von Verhand- Na ja, der Berg kreißte und gebar eine Maus. Es war aber lungen zwischen Forschungs- und Bildungseinrichtun- eine kleine Maus. gen auf der einen Seite und Wissenschaftlern und Verla- gen auf der anderen Seite. Mittlerweile ist zudem auch (Marianne Schieder [SPD]: Immerhin!) ein recht unübersichtlich gewordener Flickenteppich an – Immerhin. Es hätte auch gar nichts dabei herauskom- Regelungen entstanden, der bei den Beteiligten zu men können, kann ich der Kollegin jetzt noch zurufen. Rechtsunsicherheit und damit auch bei der Rechtsan- wendung durchaus zu Problemen führen kann. (Marianne Schieder [SPD]: Eben! Dann hätten Sie gesagt: Nicht einmal das habt Ihr ge- Mit der endgültigen Entfristung von § 52 a Urheber- schafft!) rechtsgesetz werden wir zumindest an dieser Stelle schon einmal für mehr Klarheit für alle Beteiligten sor- Insofern fand ich den großen Gestus der schönen Rede gen. Das ist ein erster Schritt. Denn im Koalitionsvertrag von Herrn Flisek quasi reziprok proportional zum Inhalt. haben wir vereinbart, eine allgemeine Bildungs- und Aber Sie, Herr Flisek, haben Ihre Redezeit, ehrlich ge- Wissenschaftsschranke einzuführen, die diesen Flicken- sagt, auch damit gefüllt, über das zu reden, was noch teppich an Regelungen beseitigen und zusammenfassen kommen wird. soll, was zusammengehört. Dabei werden wir uns Zeit für die Diskussion nehmen; denn das ist nötig. Frau Kol- (Marianne Schieder [SPD]: Das ist doch auch legin Wawzyniak, wir sollten uns auch die Zeit nehmen, gut!) unter anderem, um das Gutachten von Frau Professor de Mit dem, was im Gesetzentwurf steht, hätten Sie die sie- la Durantaye intensiv zu diskutieren, und dann überle- ben Minuten nicht füllen können. gen, wie wir eine allgemeine Wissenschaftsschranke ausgestalten können. Dabei sollten wir darauf achten, ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Christian Flisek [SPD]: Das ist Arbeitsverwei- Interessen der Verlage und denen der Wissenschaft zu gerung im Rechtsausschuss!) finden, der sich dann auch entsprechend im Gesetz nie- – Ach so. derschlägt. Diese Entfristung ist durchaus richtig. Vor allem aber muss mit Blick auf § 52 a Urheber- rechtsgesetz gewährleistet sein, dass, wenn eine entspre- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das chende Schranke, wie sie dieser Paragraf darstellt, zur erste Lob! Es geht los!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4989

Renate Künast (A) – Das ist jetzt die höchste Form des Lobes, Herr Grosse- stimmigkeiten durch die Rechtsprechung und deshalb (C) Brömer, zu der ich angesichts dieses Sachverhaltes in immer wieder Streit über den Umfang der Wissen- der Lage bin. schaftsschranke. Der Widerspruch zum Wortlaut des § 53 Absatz 3 des Urheberrechts hätte durch eine Neu- (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Jetzt wird es formulierung aufgelöst werden müssen. Statt „zur Veran- gefährlich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ schaulichung im Unterricht“ hätte es zum Beispiel „zur CSU]: Ich bekomme auch gerade gute Laune!) Veranschaulichung für alle Zwecke des Unterrichts“ hei- Wir haben es jetzt erlebt, dass im Gesetzentwurf viermal ßen können. eine andere Frist genannt wurde. Im Gesetzentwurf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stand mit vier unterschiedlichen Daten: Am 31. Dezem- sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE ber des Jahres XY läuft das Ganze aus. Es ist klar, dass LINKE]) das endlich ein Ende finden musste. Denn es war doch widersprüchlich: Sie reden immer von der Digitalen Der Unterricht möchte ja auch vorbereitet sein. Es darf Agenda und davon, dass jetzt alles anders wird, von durchaus sein, dass Schülerinnen und Schüler selber et- Innovationen und sonst was. was analysieren und Selbststudium betreiben, um sich weiterzuentwickeln. Auch das ist ja Sinn und Zweck von (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Bildung. Insofern ist die nun vorgesehene Entfristung Sehr richtig!) das, was die Medizin einen minimalinvasiven Eingriff Gleichzeitig krepelt so ein Paragraf von Lebenszeit zu nennt. Lebenszeit, sozusagen von Silvester zu Silvester vor sich (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hin. Das ist eine Praxis, die faktisch die digitale Ent- war schön vorsichtig!) wicklung und Nutzung des Digitalen massiv behindert Dieser Eingriff wird allerdings auch nur minimale Ände- hat. rungen zur Folge haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine Damen und Herren, ich will Ihnen klar sagen: sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE Das ist ein kleiner, netter Schritt. Ich weiß, dass es nicht LINKE]) einfach ist, das Urheberrecht in die digitale Welt des Klar ist doch: Wissenschaft und Bildung leben – das 21. Jahrhunderts zu transportieren. So höre ich mit besagt auch das Grundgesetz – vom Austausch von Freude, dass Herr Flisek sagt, nun komme die große Dis- Informationen und vom Zugang zu Informationen. Sonst kussion. Ich habe aber auch einen Wunsch: Nach einem handelt es sich nicht um Wissenschaft und Bildung. Zur Jahr unter einer 80-Prozent-Koalition wünsche ich mir, dass diese angekündigte große Diskussion im und um (B) Bildung gehört ja auch, sich einem Sachverhalt zu wid- (D) men, ihn zu analysieren und nachzuschauen, ob sich den Bundestag nach den Methoden des 21. Jahrhunderts bereits jemand anderes Gedanken dazu gemacht hat. demokratisch und offen verläuft. Ich hoffe, dass es nicht Zugang ist also das A und O von Wissenschaft und Bil- wieder so wie in der Vergangenheit ist: Die Koalition dung. kreist um sich selber und führt interne Anhörungen durch. Wenn sie dann im letzten Augenblick ein Ergeb- Wir wissen aber auch – Herr Flisek hat das vorhin nis erzielt, dann knallt sie es uns hin, und der Rest des ebenfalls gesagt –, dass der Großteil der Informationen Parlaments muss es in wenigen Tagen durchzocken. in Werken eingebunden ist, die urheberrechtlich ge- schützt sind. Man kann also, weil andere davon leben Versuchen Sie also, im Bereich des Urheberrechts wollen und müssen, nicht einfach sagen: Ich nehme und ganz neue Maßstäbe zu setzen! Hier könnte ein Meilen- nutze es. – Insofern ist die Erlaubnis in § 52 a Urheber- stein gesetzt werden. Das ist aber nur möglich, wenn rechtsgesetz inhaltlich absolut richtig; denn sie wahrt eine offene Debatte geführt wird, an der im wahrsten Sinne des Wortes alle beteiligt werden und bei der alle zum einen die Interessen der Urheber, zum anderen er- mitdiskutierten können. So kann das Eigentumsrecht in möglicht sie auch einen einfachen Weg für Bildung und das 21. Jahrhundert transportiert werden. Sie könnten Wissenschaft. mich überraschen. Wir wissen ja, wie es funktioniert. Diese Regelung er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN klärt es unter anderem für zulässig, kleine Teile eines sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nächs- Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veran- tes Mal koalieren Sie mit uns! Dann haben Sie schaulichung im Unterricht an bestimmten Einrichtun- diese Probleme nicht!) gen öffentlich zugänglich zu machen, etwa im passwort- geschützten Intranet. Der Urheber muss also faktisch nicht freigeben, dass sich alle Welt etwas kostenlos zu- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gänglich macht, mit dem er Geld verdienen will. Zudem Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Marianne ist der Personenkreis, der Zugang erhält, begrenzt. Schieder, SPD-Fraktion. Jetzt kommt mein großes Aber: Obwohl uns die große (Beifall bei der SPD) Urheberrechtsreform noch bevorsteht, hätte ich mir mehr als nur diesen minimalistischen Gesetzentwurf, der Marianne Schieder (SPD): bloß eine Entfristung vorsieht, gewünscht. Wie wir alle Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wissen, gibt es sprachliche Ungenauigkeiten und Un- Kollegen! Mit der endgültigen Entfristung des § 52 a im 4990 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Marianne Schieder (A) Urheberrechtsgesetz – auch ich möchte dies ausdrück- ten Werken in bestimmtem Umfang für Zwecke von Bil- (C) lich betonen – machen wir uns endlich auf den Weg zu dung und Wissenschaft zu ermöglichen. einem Urheberrecht, das den Herausforderungen und Selbstverständlich muss über entsprechende kollek- Notwendigkeiten in Bildung, Wissenschaft und For- tive Vergütungsregelungen ein ausreichender Ausgleich schung gerecht wird. Auch ich weiß, liebe Frau Künast, für die Urheber realisiert werden. Das, was wir jetzt ha- dass dieser Schritt ein kleiner Schritt ist. Aber es ist ein ben, nämlich Schrankenregelungen an verschiedenen Schritt, der in die richtige Richtung geht, nämlich hin zu Stellen verstreut, unübersichtlich und wenig transparent, einer effektiven und zukunftsorientierten Bildungs- und kleinteilig und zum Teil schon technisch überholt, kann Wissenschaftsschranke. so nicht bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD) CDU/CSU) Für uns als Sozialdemokraten ist klar: Stillstand im Lange hat es gedauert – ich gebe zu: uns Sozialdemo- Urheberrecht blockiert Innovation, blockiert bessere kraten zu lange –, bis die überfällige Entscheidung zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und blo- Entfristung endlich auf den Weg gebracht wurde. Es ist ckiert moderne Lehr- und Lernmethoden. Deshalb müs- immerhin schon elf Jahre her, seit § 52 a in das Urheber- sen wir in der Sache endlich vorwärtskommen. Ich freue rechtsgesetz eingefügt wurde. Dann folgten Befristun- mich wirklich auf eine intensive Diskussion. Frau gen bis zum 31. Dezember 2006, bis Ende 2008, bis Künast, Sie können versichert sein: Diese Diskussion Ende 2012 und schließlich bis zum 31. Dezember 2014. wird eine offene Diskussion sein. Ich bitte Sie aber: Ma- In der Zwischenzeit gab es drei Evaluierungen und zwei chen auch Sie Vorschläge, und zwar ein bisschen mehr Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Nicht zu ver- als dieses kleine Detail, das Sie zum Thema Unterricht gessen ist auch ein Gesetzentwurf der SPD-Bundestags- angefügt haben. fraktion – damals noch in der Opposition – auf dauer- hafte Entfristung. Leider wurde unser Vorschlag damals (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE ohne überzeugende Argumente abgelehnt. LINKE]) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Das war nicht einmal das Schwänzchen von dem Mäus- stimmt so nicht!) chen, das Sie uns vorwerfen. Aber, na ja, man kann sagen: Was lange währt, wird end- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der lich gut; wenigstens jetzt schaffen wir Klarheit für alle, CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ die auf diesen § 52 a angewiesen sind. DIE GRÜNEN]: Ihre Maus hat ja gar keinen Schwanz!) (B) Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich den Kollegin- (D) nen und Kollegen Rechtspolitikerinnen und Rechtspoli- Wenn wir etwas verbessern wollen, müssen wir alle mit- tikern der Union dafür, dass es jetzt endlich geklappt hat einander beherzt einsteigen. und es zu dieser Entfristung kommt. Vielen Dank fürs Zuhören. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn (Beifall bei der SPD) wir euch einen Gefallen tun können!) Ich sage aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kolle- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gen: Das reicht bei weitem nicht aus, wenn es uns wirk- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katrin lich darum gehen soll, ein modernes, bildungs- und wis- Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion. senschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Im (Beifall bei der CDU/CSU) Koalitionsvertrag steht das, was wir wollen: Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen- Katrin Albsteiger (CDU/CSU): schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politik tragen und eine Bildungs- und Wissenschafts- macht am meisten Spaß, wenn sie konkret wird. Heute schranke einführen. erleben wir eine Debatte, in der man anschaulich sehen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen den kann, wie konkrete Verbesserungen tatsächlich einen un- Koalitionsvertrag ernst, und wir wollen umsetzen, was mittelbaren Einfluss auf den Alltag der Menschen haben, darin steht. und zwar einen positiven Einfluss. Als ehemalige Be- troffene kann ich das ganz gut nachempfinden. Ich habe (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer in Augsburg von 2003 bis 2008 Politikwissenschaft stu- [CDU/CSU]: Und wir erst!) diert. So lange ist das noch nicht her. Es kann außerdem nicht schaden, wenn man sich mit dem, was hier im – Schauen wir einmal. Hause passiert, vorher ein bisschen systematisch aus- Mit dem Anfang dieses Jahres vorgelegten Gutachten einandersetzt. zu dieser Thematik haben wir wirklich eine gute Grund- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr lage für die kommenden Debatten. Ich bin zuversicht- gut! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE lich, dass es uns gelingen wird, die Interessen der Urhe- GRÜNEN]: Wie lange haben Sie studiert?) berinnen und Urheber zu wahren – das muss natürlich gewährleistet sein – und dennoch im Interesse der All- Politikwissenschaft ist eine Diskussionswissenschaft. gemeinheit die Nutzung von urheberrechtlich geschütz- Bei einer Diskussionswissenschaft – im positiven Sinne Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4991

Katrin Albsteiger (A) – geht es darum, dass man sich mit einer Vielzahl von ßen manchmal zu einem größeren bürokratischen Auf- (C) Beiträgen unterschiedlicher Art auseinandersetzt. Diese wand aufseiten der Hochschulen führen kann. Trotzdem kommen in einer schier unendlichen Zahl von Mono- glaube ich, dass wir dieses Urteil als durchaus nachvoll- grafien, Handbüchern, Aufsatzsammlungen und Perio- ziehbar betrachten können. Es bestätigt schließlich die dika vor. Da ist es ganz wichtig, dass es Semesterapparate Politik von CDU und CSU, so wie wir sie bisher betrie- gibt, die diese Vielzahl von Themen, diese unterschiedli- ben haben. Es geht hier auch um einen Interessenaus- chen Auffassungen auch tatsächlich abbilden. gleich. Es geht darum, dass wir einerseits dem, was der Wissenschafts- und Bildungsbetrieb braucht, Rechnung (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was wollen tragen, andererseits diesen aber nicht gegen die Verlage Sie uns eigentlich sagen? Kommen Sie zum ausspielen. Es geht also um praktikable Lösungen und Thema!) verantwortungsvolle Politik. Noch viel wichtiger ist es bei so vielen Studenten, die Zusammenfassend: Der BGH hat beiden Seiten der wir in unserem Land haben, dass diese Vielzahl von Praxis konkrete Werte an die Hand gegeben, mit denen Themen auch tatsächlich umfänglich abrufbar ist. Es es sich gut arbeiten lässt. Aus diesem Grund schlagen gibt schließlich in einem Seminar 20 oder 30 Studenten wir vor, § 52 a Urheberrechtsgesetz zu entfristen. So be- oder heutzutage auch 500 oder 1 000 Studenten, die kommen wir genügend Zeit und können ohne Zeitdruck gleichzeitig auf einen Text oder eine Information zugrei- an der Umsetzung einer Vereinbarung unseres Koali- fen müssen. Genau deshalb reden wir hier über die Frage tionsvertrags arbeiten, der Ausgestaltung einer allgemei- der Praktikabilität, wie der Zugriff auf Werke und wie nen Bildungs- und Wissenschaftsschranke. die Zusammenstellung wissenschaftlicher Werke er- leichtert werden kann. Genau für diese Erleichterung Vielen herzlichen Dank. sorgen wir hier. Wohlgemerkt: nicht kommerziell und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nur für einen bestimmten, abgegrenzten Nutzerkreis. Es neten der SPD) erleichtert den Wissenschaftsbetrieb nämlich ungemein, dass wir in § 52 Urheberrechtsgesetz die Wissenschafts- schranke eingebaut haben. Das ist eine konkrete Erleich- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: terung für eine ganze Menge Menschen, nämlich zum Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tankred Beispiel für über 2,5 Millionen Studenten und ihr Lehr- Schipanski, CDU/CSU-Fraktion. personal sowie, wohlgemerkt, natürlich auch für über (Beifall bei der CDU/CSU) 700 000 Lehrer und über 11 Millionen Schüler in Deutschland. Das ist wirklich schön. So schön kann Tankred Schipanski (CDU/CSU): Politik sein! (B) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte (D) Nun zu den Fakten – sie wurden zum Teil eben schon nicht gedacht, dass ich mit Frau Schieder einmal einer genannt –: Der Bundesgerichtshof hat sich mittlerweile Meinung bin. zum § 52 a des Urheberrechtsgesetzes geäußert. Seine Hauptbotschaft ist: Der § 52 a ist im Bildungs- und Wis- (Marianne Schieder [SPD]: Da schau her: Es senschaftsbereich praktikabel anwendbar. – Damit besteht gibt Fortschritte bei Ihnen!) Rechtssicherheit, insbesondere auch deshalb, weil ent- Aber, liebe Frau Schieder, Sie haben ganz recht: Der scheidende unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Norm tat- Vorschlag der Entfristung des § 52 a Urheberrechtsge- sächlich enthalten hat, weswegen sie befristet gewesen ist, setz ist ein erster Schritt. Es ist ein richtiger Schritt. nun klar definiert sind: Liebe Frau Künast, weitere Schritte werden folgen. Erstens. Der sogenannte kleine Teil wird jetzt mit ein- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wann deutigen Werten definiert: maximal 12 Prozent eines denn?) Werkes und maximal insgesamt 100 Seiten. Sie nehmen aus der Debatte heute mit, was noch alles Zweitens. Es dürfen auch in Zukunft weiter PDF-Do- folgen wird. kumente verwertet werden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drittens. Wer unter den – Zitat – „bestimmt abge- Wie lange sagen Sie das noch? Wie lange kün- grenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ fällt, sagt digt die Union eigentlich schon eine Änderung der BGH ebenfalls klar: Erfasst ist jeder Student, der für des Urheberrechts an?) den Studiengang, in dem das entsprechende Werk zur Wenn Ihr Telefon wieder klingelt, können Sie, so hoffe Anwendung kommen soll, immatrikuliert ist. Ein weite- ich, berichten, was im Urheberrecht alles geplant ist. rer Kontrollmechanismus ist nicht notwendig. – Das ist Hätten Sie vorher in den Koalitionsvertrag geschaut, hät- ein relativ klares Urteil, weshalb keine Änderung not- ten Sie das schon früher erkennen können. wendig ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und In einem weiteren Urteil sieht der BGH aber auch der SPD) ganz klar den Vorrang von vertraglichen Angeboten, wenn diese angemessen sind. Ich kann mir vorstellen, Mit der Entfristung schaffen wir ein ganzes Stück mehr dass die Universitäten hierüber nicht in Begeisterungs- Rechtssicherheit für alle betroffenen Akteure, ob Lehrer, stürme ausbrechen, weil die Angemessenheit natürlich Wissenschaftler, Forscher oder Bibliothekare, aber auch im Einzelfall geprüft werden muss, was zugegebenerma- für Autoren und Verleger. Gleichzeitig schränkt die vor- 4992 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Tankred Schipanski (A) gestellte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Wir brauchen eine technologieoffene Regelung, die wir (C) Praktikabilität des § 52 a für Wissenschaftler und For- nicht nach jeder technischen Neuentwicklung anpassen scher ein; Ansgar Heveling und Katrin Albsteiger haben müssen. Wir brauchen eine lesbare und verständliche darauf zu Recht hingewiesen. Regelung sowie langfristige Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Daher ist der Gesetzgeber jetzt gefragt, inwieweit er dieses Richterrecht ausformt oder abändert. Politisch ha- Frau de la Durantaye schlägt eine schlanke und ele- ben wir uns klar entschieden: Ziel ist es, die in § 52 a ge- gante Formel vor, die meines Erachtens eine sehr geeig- regelten Ausnahmen zusammen mit den anderen urhe- nete Diskussionsgrundlage ist. Für die Nutzung einer berrechtlichen Regelungen in den Bereichen Unterricht Schranke möchte sie selbstverständlich auch eine Vergü- und Forschung zu einer einheitlichen Bildungs- und tungspflicht einführen. Wissenschaftsschranke im Urheberrecht zusammenzu- An dieser Stelle muss ich dem Kollegen Heveling ein führen. bisschen Wasser in den Wein gießen. Es wurde gesagt, nach § 52 a des Urheberrechtsgesetzes fließe aktuell keine (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wann?) Vergütung. Das muss man fairerweise dahin gehend Das haben wir im Koalitionsvertrag klar vereinbart. Die richtigstellen, dass die VG Wort die angebotenen Gelder Bundesregierung – Frau Künast hat darauf hingewie- – auch als Abschlagszahlung – bisher mit dem Hinweis sen – hat das auch ganz klar in der Digitalen Agenda for- auf die ungeklärte Rechtslage abgelehnt hat. Mit der muliert; darüber freue ich mich. Aussage, dass kein Geld geflossen sei, werden also die Tatsachen etwas verdreht. Die Verhandlungen über einen Wir geben uns mit der Entfristung jetzt Zeit, mit der Rahmenvertrag stehen kurz vor dem Abschluss. Danach gebotenen Sorgfalt über die Ausgestaltung einer allge- wird rückwirkend für die vergangenen Jahre gezahlt meinen Wissenschaftsschranke zu diskutieren. Diese werden. Zeit brauchen wir auch. Die Kollegen, die schon eine Weile an diesem Thema dran sind, wissen, dass es ge- In den bevorstehenden Verhandlungen zu einer ein- heitlichen Wissenschaftsschranke gilt es also, die Inte- gensätzliche, aber gut begründbare Interessen gibt, die ressen der Wissenschaft gegen die Interessen der Rechte- aufeinanderprallen. Ein fairer Ausgleich lässt sich nicht inhaber abzuwägen. Dabei muss es uns insbesondere in einem Hauruckverfahren erreichen. gelingen, der wachsenden Bedeutung der elektronischen Dabei ist es mir wichtig, dass mit der allgemeinen Kommunikation für Wissenschaft und Forschung sowie Wissenschaftsschranke auch die Bibliotheken und Ar- für die akademische Lehre Rechnung zu tragen. Nur so chive angemessen berücksichtigt werden. Auch für den können wir ein modernes, zeitgemäßes und nutzer- Bibliotheksbereich macht der Koalitionsvertrag klare freundliches Urheberrecht schaffen. (B) (D) Vorgaben. In diesem Sinne freue ich mich auf die vor uns lie- Meine Damen und Herren, die Gestaltung einer allge- gende Arbeit und danke für Ihre Aufmerksamkeit. meinen Wissenschaftsschranke ist keine triviale Aufgabe; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kollege Flisek hat das dargestellt. Eine europarechtskon- neten der SPD) forme Ausgestaltung, die sowohl den Interessen der Rechteinhaber als auch den Interessen der Wissenschaft Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gerecht wird, ist nicht einfach zu erreichen. Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Daher ist es höchst erfreulich, dass das BMBF aktiv Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf geworden ist und ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, Drucksache 18/2602 an die in der Tagesordnung aufge- das meines Erachtens eine sehr gute Diskussionsgrund- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- lage darstellt. Dieses Gutachten – es wurde von Frau verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Professorin de la Durantaye verfasst – wurde schon an- Überweisung so beschlossen. gesprochen. Sie hat innerhalb von eineinhalb Jahren eine Leitplanke für eine künftige Schrankenregelung entwi- Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: ckelt, insbesondere mit Blick auf die Einordnung in in- Beratung des Antrags der Abgeordneten ternationales Recht. Cornelia Möhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter Die derzeitige Rechtslage wurde nicht nur von der und der Fraktion DIE LINKE technischen Entwicklung überholt. Sie ist auch nicht sonderlich verständlich formuliert. Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht ent- lassen (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oh, und Sie machen das besser?) Drucksache 18/2630 – Frau Wawzyniak, so ist es. – Wir wollen nicht, dass Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Forscher und Bibliothekare ein Aufbaustudium im Urhe- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- berrecht benötigen, um rechtssicher mit wissenschaftli- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. chen Publikationen umgehen zu können. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das braucht man jetzt auch nicht!) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4993

(A) Cornelia Möhring (DIE LINKE): gentlich. Leider haben es hier im Hause noch nicht alle (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! begriffen. Ich sage es noch einmal: Frauen sind in der Eigentlich sollten wir jetzt über den Antrag mit dem Ti- Lage, die Informationen zur Anwendung zu verstehen. tel „Den Bundesratsbeschluss zur rezeptfreien ,Pille da- Die Apotheker und Apothekerinnen haben in ihrem Stu- nach‘ schnell umsetzen“ diskutieren und darüber abstim- dium den Schwerpunkt Pharmazie und können beraten. men. Eigentlich hätte der Gesundheitsausschuss gestern Leider suchen wir die notwendige und sehr einfache Ver- eine Beschlussempfehlung dazu beschließen können, da- kündung im Bundesanzeiger bisher vergeblich. Herr mit wir heute zu einer Entscheidung im Plenum kom- Minister Gröhe ist nicht anwesend, deshalb muss Frau men. Eigentlich hätte dann eine Mehrheit im Bundestag Staatssekretärin Fischbach ihm dies weiterleiten: Ich die Chance gehabt, Minister Gröhe gemeinsam aufzufor- finde, das ist nicht hinnehmbar. dern, seine Blockadehaltung aufzugeben und die Frei- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gabe im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Für genauso wenig hinnehmbar halte ich es, dass Sie NIS 90/DIE GRÜNEN) in Ihren Antworten auf unsere Kleine Anfrage vom März Nun hat aber die SPD noch Beratungsbedarf angemel- Frauen – und Apotheker und Apothekerinnen gleich mit det und aus diesem Grund keine Beschlussempfehlung – für blöd erklären. zugelassen, und das, obwohl ihr Kollege Lauterbach in (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das stimmt doch der ersten Plenarwoche im Februar sehr überzeugend ar- nicht!) gumentiert hat, warum der Freigabe nichts Vernünftiges entgegensteht. Der Beratungsbedarf scheint also eher an Denn laut Ihrer Aussage haben nur Ärzte aufgrund ihrer ihrem Koalitionsgefängnis zu liegen. Ausbildung besondere Kenntnisse über die – ich zitiere – „geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen“. Ich (Beifall bei der LINKEN) finde, solche Aussagen passen eher in eine Vorabendse- Damit wir das „eigentlich“ in ein „trotzdem“ ändern, rie oder in einen Arztroman, aber bestimmt nicht in die haben wir zu dem gleichen Thema einen neuen Antrag Politik. eingebracht. Ich hoffe sehr, dass wir Ihren Beratungsbe- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- darf dadurch erheblich abkürzen können. Jetzt heißt der NIS 90/DIE GRÜNEN) Antrag „Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlas- sen“. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt kei- Frau Staatsekretärin, werte Kollegen und Kolleginnen nerlei vernünftige Gründe, eine rezeptfreie Abgabe der der Regierungskoalition, noch einmal zum Mitschrei- (B) Pille danach länger zu verhindern. ben: Frauen sind in der Lage, den Bedarf und die Folgen (D) einer Notfallverhütung – darum geht es – selbstbestimmt (Beifall bei der LINKEN) einzuschätzen. Apotheker und Apothekerinnen können In diesem Zusammenhang muss man Folgendes zur über den Wirkstoff und seine Wirkung kompetent bera- Kenntnis nehmen: ten. Erstens. Der Wirkstoff Levonorgestrel ist medizinisch Hand aufs Herz: Was, bitte schön, soll der Arzt oder unbedenklich. die Ärztin Außergewöhnliches verkünden, wenn der Gummi geplatzt ist? Zweitens. Es geht hier nicht um eine Abtreibungspille und auch nicht um ein Dauerverhütungsmittel, sondern (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der um eine Notfallverhütung. LINKEN) Drittens. Je früher diese Notfallverhütung eingenom- Soll er oder sie sagen: „Wenn Sie jetzt nicht ungewollt men wird, umso besser wirkt sie. schwanger werden wollen, müssen Sie ausnahmsweise mal anders verhüten“? Hallo, das weiß die Frau schon, Viertens. Wir wissen, dass es gerade am Wochenende seitdem sie die Entscheidung traf, eine Arztpraxis aufzu- fast unmöglich ist, eine Arztpraxis zur Beratung aufzu- suchen. suchen, wodurch erhebliche Verzögerungen entstehen können. (Beifall bei der LINKEN) Fünftens. In immerhin weltweit 79 Ländern gibt es Ich sage noch einmal: Es gibt keinen vernünftigen die Pille danach rezeptfrei, und sie ist gut erprobt. Grund, die Freigabe länger zu verhindern, es sei denn, Sie haben Lust auf die Bevormundung und Repression Sechstens. Von der Weltgesundheitsorganisation bis von Frauen. zum Sachverständigenausschuss für Verschreibungs- pflicht sind sich alle einig: Alle gesundheitspolitischen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Argumente sind widerlegt. NIS 90/DIE GRÜNEN) Und siebtens. Der Bundesrat hat die politische Ent- Lassen Sie es sein. Zur Unterstützung möchte ich noch scheidung für die rezeptfreie Abgabe beschlossen, und einmal den Kollegen Lauterbach zitieren, der in der De- das zuletzt im Mai 2014. batte im Februar sehr treffend sagte – Zitat –: Wir haben sowohl im Bundestag als auch in den meis- Ich komme zum Fazit: Es scheint hier so zu sein, ten Bundesländern dafür eine politische Mehrheit – ei- dass Frauen in einer Notlage – das ist sicherlich im- 4994 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Cornelia Möhring (A) mer eine Notlage – das Recht auf Hilfe ohne gute senden homophoben Einschlägen, mit Machtgehabe ge- (C) Begründung, also willkürlich, vorenthalten werden genüber Frauen, mit Familienbildern aus dem 19. Jahr- soll. Das ist nicht zeitgemäß. hundert daher. Ich bitte Sie sehr: Machen Sie da nicht länger mit! Hier geht es lediglich um den unkomplizier- Da hat er völlig recht. ten Zugang zu einer selbstbestimmten Notfallschwan- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gerschaftsverhütung, und das, liebe Kolleginnen und NIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen, sollte im 21. Jahrhundert eine Selbstverständ- lichkeit sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich wende mich explizit an Sie: Es war doch schon alles Danke. klar. Aus Ihrer Fraktion kamen sehr deutliche Worte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Deswegen finde ich jetzt Ihre stillschweigende Zustim- NIS 90/DIE GRÜNEN) mung zur Haltung des Gesundheitsministers und Ihre neue Verhinderungstaktik unerträglich. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie diese Mithaftung für ein vor- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sintflutliches Patriarchat beenden könnten. Frau Kollegin Möhring, ich habe Ihre Redezeit schon sehr großzügig ausgelegt und erst spät daran erinnert, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten zum Schluss zu kommen. Ich darf daran erinnern, dass des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir alle miteinander die Redezeiten vereinbaren. Wenn Das ist doch im Kern die Wiederkehr einer Bevölke- jeder oder jede anderthalb Minuten länger spricht, begin- rungspolitik, in der Selbstbestimmungsrechte von Frauen nen die nachfolgenden Debatten zu spät. Wir sind schon zum Spielball ganz anderer Interessen werden. Dabei großzügig, aber man darf es nicht übertreiben. könnte mit der Lex Gröhe, der Verweigerung der rezept- Nächste Rednerin ist jetzt Emmi Zeulner, CDU/CSU- freien Abgabe der Pille danach, sehr schnell Schluss Fraktion. sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es wirklich in der Koalition krachen sollte, dann wäre es doch ein (Beifall bei der CDU/CSU) würdiger Anlass, wenn es bei der Frage der Fraueninte- ressen dazu käme. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN) Kollegen! Sehr geehrte Kollegin Möhring, eigentlich Also, lassen Sie es krachen! Aber vielleicht haben Sie ja fühle ich mich in Deutschland selbstbestimmt, und nicht auch die Hoffnung, tatsächlich die Beratungsresistenz zu nur eigentlich, sondern ganz sicher entscheide ich selbst, (B) durchbrechen. was ich mit meinem Partner mache und was nicht. (D) Wenn es um das Recht der Selbstbestimmung von (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frauen über ihren Körper geht – dazu gehört eine selbst- NEN]: Das wollen wir aber auch hoffen!) bestimmte Familienplanung –, haben Vorschriften vom Bereits im Februar haben wir die Rezeptfreiheit von Staat, von einer Institution wie der Kirche oder auch von Levonorgestrel, kurz LNG, hier im Plenum des Bundes- anderen Menschen nichts zu suchen. Was eine Frau mit tags diskutiert. Zwischenzeitlich hat eine öffentliche An- ihrem Partner oder ihrer Partnerin in einer konfliktrei- hörung dazu stattgefunden, und wir haben in den Ar- chen Lebenslage entscheidet – es ist eine konfliktreiche beitsgruppen und auch im Ausschuss darüber debattiert. Lebenslage, wenn eine Schwangerschaft beginnt und Die Argumente auf beiden Seiten sind dieselben geblie- diese ungewollt ist –, ist allein ihre Sache. ben. Ich erkenne aber an, dass wir uns im Sinne der (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Frauengesundheit eine Entscheidung nicht leicht machen DIE GRÜNEN) dürfen, und respektiere den weiteren Diskussionsbedarf im demokratischen Sinne; dieses Anliegen eint uns wohl Es ist auch allein ihre Sache, an wen sie sich wendet, um alle. beraten zu werden, ob sie zur Apotheke geht oder eine Arztpraxis aufsucht. Seien Sie versichert: Ich bin mir bei der ganzen Dis- kussion bewusst, dass wir sowohl das hohe Gut der Pa- Lassen Sie mich abschließend festhalten: Dass wir tientensicherheit als auch das Recht auf Selbstbestim- immer noch über die Rezeptfreiheit der Pille danach dis- mung berücksichtigen müssen. Bei einer Entscheidung kutieren, ist leider Teil eines spürbaren Rollbacks hin- über die Freigabe von LNG muss beides abgewogen sichtlich sexueller und reproduktiver Rechte von Frauen, werden. zu denen selbstverständlich auch eine selbstbestimmte Familienplanung gehört. Die Fraktion Die Linke hat ihre Abwägung diesbe- züglich getroffen. Für mich sind die Verbesserungen, die sich durch die Freigabe von LNG für die Frauen einstel- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: len sollen, jedoch nicht so klar erkennbar. Laut Ihrem Frau Kollegin. Antrag soll die Freigabe unter anderem einer Stigmati- sierung der betroffenen Frauen entgegenwirken. Doch Cornelia Möhring (DIE LINKE): ich bitte Sie, nochmals genau hinzusehen, was die sub- Ich komme zum Ende. – Dieses Rollback, diese jektive Wahrnehmung der Betroffenen angeht. Denn laut Rückschritte – das wissen Sie alle – kommen mit wach- einer aktuellen europäischen Studie fühlen sich 30 Pro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4995

Emmi Zeulner (A) zent der Frauen unwohl, stigmatisiert und bevormundet, che Berufsrecht, das Fernbehandlungen und Arzneimit- (C) wenn sie sich eine Notfallkontrazeption besorgen müs- telverschreibungen ohne Patientenkontakt verbietet, un- sen, und das unabhängig davon, ob in den jeweiligen terlaufen. Nein, hinzu kommt, dass die Kosten für die Ländern die Rezeptfreiheit von LNG bereits eingeführt Behandlungen, vor allem für die Folgebehandlungen wurde oder nicht. Eine Stigmatisierung von Mädchen aufgrund von Komplikationen oder Fehldiagnosen, die und Frauen, gerade in Notsituationen, möchte nicht nur Solidargemeinschaft in Deutschland tragen muss. ich verhindern, sondern – da bin ich mir sicher – alle in Eine der Stärken unseres deutschen Gesundheitssys- diesem Saal Anwesenden. tems ist es, dass wir den Arzt-Patienten-Kontakt als Vo- Wenn wir von der subjektiven Wahrnehmung der raussetzung für Erstverschreibungen von Arzneimitteln Frauen reden, müssen wir in diesem Zusammenhang festgelegt haben. auch die als unzureichend empfundene Aufklärung über (Mechthild Rawert [SPD]: Kommt sehr auf die Wirkung der Pille danach in den Fokus nehmen. Im- das Medikament an! – Sabine Dittmar [SPD]: mer noch herrscht laut der bereits zitierten Studie aus Aber nicht bei Diclofenac!) dem Jahr 2014 gefährliche Unwissenheit über die Effi- zienz einer hormonellen Notfallkontrazeption. Dies hob Um dieses System nicht zu unterlaufen, werden wir, wie auch Dr. Julia Bartley, Leiterin der Hormonsprechstunde im Koalitionsvertrag verankert, das Verbot von Online- an der Charité, in ihrer Stellungnahme zu der öffentli- konsultationen rechtlich fixieren. Weiterhin sehe ich es chen Anhörung hervor. Über 80 Prozent der befragten sehr kritisch, dass bei einer Freigabe den Herstellern der Frauen wünschen sich demnach eine bessere Aufklärung Weg offen stünde, für ihr Produkt zu werben. über die Pille danach. Davor dürfen wir in Deutschland Sowohl die Bundesärztekammer als auch der Deut- nicht die Augen verschließen; denn nur eine aufgeklärte sche Apothekerverband sprechen sich ausdrücklich ge- Frau kann im Notfall zu einer informierten und selbstbe- gen Werbung für das Präparat LNG aus. Werbung für die stimmten Entscheidung kommen. Pille danach würde ein falsches Signal senden; denn sie (Beifall bei der CDU/CSU) ist kein Ersatz für die weiterhin verschreibungspflichtige Antibabypille, sondern ein hochdosiertes Notfallmedika- Über das Ziel sind wir uns somit alle einig: Frauen in ment. Deutschland soll, wenn eine Notfallverhütung notwen- dig ist, rasche und umfassende Hilfe zuteilwerden. Un- (Beifall bei der CDU/CSU) eins hingegen sind wir uns über den Weg zu dieser Hilfe Zusammenfassend möchte ich sagen: Für mich sind und über die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen. folgende Argumente am treffendsten: (B) Die bewährten Rahmenbedingungen für die Pille da- Erstens müssen wir den Frauen eine Beratung in ei- (D) nach dürfen wir durch eine Freigabe nicht etwa schmä- nem geschützten Raum unter vier Augen gewähren; lern, sondern wir müssen sie weiter erhalten. Dies gilt denn die Empfänger der Pille danach sind eben nicht nur auch im Hinblick auf die Entscheidungen auf europäi- Frauen, die mitten im Leben stehen, sondern auch Min- scher Ebene. In diesem Punkt stehe ich voll hinter un- derjährige oder Frauen, denen Gewalt angetan wurde. serem Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der aus Eine solche Beratung kann nachts am Apothekerfenster nachvollziehbaren Gründen an der bewährten Linie oder durch ein kurzes Onlinevideo meiner Ansicht nach Deutschlands in diesem Punkt festhält. Auch wenn die nicht gewährleistet werden und entspricht auch nicht den Entscheidung der EU-Kommission über das Präparat Bedürfnissen der Betroffenen. UPA, die im November vorliegen soll, ihre Schatten vor- auswirft, muss es erst recht unser Anliegen sein, den be- (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws troffenen Frauen in Deutschland eine fundierte Beratung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie zukommen zu lassen. mit den Frauen darüber gesprochen?) (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens besteht für die Frauen nur im Rahmen des direkten Arztkontaktes die Möglichkeit, im Notfall indi- Auch die Konsultation des Internets, wie es einigen viduell und fachkundig beraten zu werden. Ich sehe un- Kollegen vorschwebt, ist für mich keine ausreichende sere Verantwortung als Gesundheitspolitiker darin, im Beratungsgrundlage. Die Kompetenz von Ärzten sollte Sinne und zum Wohl der Patienten zu entscheiden. Der nicht durch einen Fragebogen im Internet, wie es schon Arzt muss die zentrale Beratungsfigur bleiben; denn nur heute über die Seite DrEd möglich ist, oder durch einen er kann im Zweifelsfall eine gynäkologische Untersu- bloßen Klick auf den Button „In den Einkaufswagen“ er- chung sowie eine Nachsorge vornehmen, die der Ge- setzt werden. Kann Ihrer Meinung nach ein zweiminüti- sundheit der Frauen gerecht wird. ger Videoclip dasselbe leisten wie das Vieraugenge- spräch in einem geschützten Raum mit einem (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich approbierten Arzt? [DIE LINKE]: Und am Wochenende kommt der Notarzt, der ein Orthopäde ist!) (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wie kann eine Frau so paternalistisch daherreden! Das ist Drittens hinkt der Vergleich mit anderen Ländern, wie fürchterlich!) Sie ihn in Ihrem Antrag anstellen. Anhand der Aus- gangsbedingungen in Deutschland erkenne ich keine – Hallo? Ich höre auch zu, wenn Sie sprechen. – Durch Notwendigkeit für eine Freigabe. Wir haben bestens das Geschäftsmodell von DrEd wird nicht nur das ärztli- qualifizierte Ärzte und eine hohe Dichte an niedergelas- 4996 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Emmi Zeulner (A) senen Gynäkologen. Auch außerhalb der regulären Öff- dung von Frauen zu und unterstellt ihnen, sie würden (C) nungszeiten der Praxen ist durch den Ärztlichen Bereit- oder könnten nicht verantwortungsvoll selbst entschei- schaftsdienst, der dem Patienten rund um die Uhr zur den. Zweitens lässt sie sich vor den Karren von berufs- Verfügung steht, eine Betreuung gewährleistet. Auch politischen Interessen sowie den Absatzinteressen eines dank unseres funktionierenden Gesundheitssystems, das einzelnen Pharmaherstellers spannen. auch die Rezeptpflicht von LNG umfasst, haben wir eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie beispiellos niedrige Abtreibungsrate, die weiterhin rück- bei Abgeordneten der LINKEN) läufig ist. Drittens ist die SPD in der Koalitionsdisziplin gefangen: (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie will zwar, aber sie kann nicht. NEN]: Wer hat Ihnen denn diese Rede ge- schrieben?) Besonders pikant ist, dass die Union durch das Hören auf einzelne Ärzteverbände den Hersteller des doppelt so Viertens. Ich sehe in dem Gang zum Arzt noch immer teuren, in seinen Nebenwirkungen weniger bekannten keine Einschränkung meiner Selbstbestimmung. Denn Wirkstoffs Ulipristalacetat massiv fördert. wer fängt die Frau denn auf, wenn sie mit den Nebenwir- kungen der Pille danach zu kämpfen hat oder wenn Fra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gen auftauchen, die das DrEd-Video nicht in zwei Minu- bei der LINKEN) ten zu beantworten geschafft hat? Das verwundert; denn dieses Arzneimittel entstammt Ich komme zu dem Schluss: Das Recht auf Selbstbe- derselben Wirkstoffklasse wie das Produkt Mifepriston, stimmung und das hohe Gut der Patientensicherheit das für medizinisch induzierte Schwangerschaftsabbrü- che zugelassen ist. Eine abtreibende Wirkung kann also (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht ausgeschlossen werden. Überspitzt formuliert heißt Patientinnensicherheit!) das: Die Union fördert den Absatz einer Abtreibungs- schließen sich nicht aus – sie ergänzen sich. anstelle einer Verhütungspille. Damit hätte ich übrigens – vermutlich im Gegensatz zu Ihnen – kein grundsätzli- Vielen Dank. ches Problem. Ich habe aber ein Problem damit, dass deutsche Frauenärzte diesen Wirkstoff zum Standard er- (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring klären wollen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lebens- fremd kann man eigentlich sein? – Jörn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wunderlich [DIE LINKE]: Zu Risiken und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt, aber Das, meine Damen und Herren, steht im klaren Wider- (B) bloß nicht Ihren Apotheker!) (D) spruch zur Bewertung des Bundesinstituts für Arznei- mittel und Medizinprodukte, das eine dem Gesundheits- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ministerium untergeordnete Behörde ist. Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Kordula Schulz- Asche, Bündnis 90/Die Grünen. Das Geschmäckle wird verstärkt, wenn die treibende Kraft hinter den Empfehlungen der deutschen Frauen- arztverbände, den Wirkstoff Ulipristalacetat als Standard Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu definieren, eindeutig in Interessenkonflikten steht. So NEN): findet man in internationalen Publikationen den Hinweis Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erneut darauf, dass diese treibende Kraft der Frauenärzte als fordern wir heute, die sogenannte Pille danach endlich Berater von HRA, dem Hersteller des Wirkstoffs, tätig aus der Rezeptpflicht zu entlassen, und erneut erleben ist. Hinzu kommt, dass die Empfehlung der Frauenarzt- wir heute ein Trauerspiel der CDU/CSU. Sie steht gegen verbände ausschließlich auf die Hotline und die Internet- die Mehrheit dieses Hauses, die Mehrheit des Bundesra- seite dieses Herstellers verweist. Hinweise auf Seiten tes und auch gegen die Vernunft. von Herstellern der Pille danach mit dem Wirkstoff Le- vonorgestrel fehlen völlig. Dies ist übrigens vor allem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und im Interesse des Herstellers HRA; denn der Absatz sei- bei der LINKEN) nes Produkts beschränkt sich faktisch ausschließlich auf Die Position der Union ist fachlich nicht haltbar, und Deutschland. In anderen Ländern der EU ist er gar nicht ihr fällt nicht einmal auf, dass sie sich instrumentalisie- auf dem Markt. Auch das verstärkt das Gefühl, dass hier ren lässt. Seit Jahren wird das Selbstbestimmungsrecht unerwünschte Interessenverquickungen vorliegen. von Frauen in Deutschland beschnitten, die befürchten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nach einem Geschlechtsverkehr ungewollt schwanger zu bei der LINKEN) werden. CDU und CSU verweigern diesen Frauen, was in fast allen europäischen Ländern und den USA übliche Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass Frauen das Recht Praxis ist: der direkte, rezeptfreie, schnelle Zugang zur haben, nach einer Verhütungspanne selbstbestimmt eine Notfallverhütung mit dem Wirkstoff Levonorgestrel. nicht gewollte Schwangerschaft zu verhindern, dass das Wenn es nach der Vernunft gehen würde, dürfte ihre Ver- Medikament so schnell wie möglich zur Verfügung hinderungsstrategie nicht länger greifen. Wir haben es steht, weil es dann besonders wirksam ist, und dass hier mit einer kruden Mischung aus mindestens drei Frauen eine informierte Entscheidung treffen können. Punkten zu tun: Erstens lässt die Union eine Bevormun- Dazu wollen wir die Beratung in den Apotheken stärken Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4997

Kordula Schulz-Asche (A) und Entscheidungshilfen im Internet anbieten. Daher keit aussieht: Im Internet kann man mit zwei Klicks und (C) fordern wir, die Rezeptfreiheit für die Pille danach mit dem Ausfüllen eines kleinen Beratungsformulars für dem Wirkstoff Levonorgestrel in Deutschland endlich 25 Euro ein Rezept bekommen. Auch das ist die Wirk- einzuführen. lichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir als SPD haben unsere Forderung im Koalitions- und bei der LINKEN) vertrag nicht verankern können. Unsere Haltung ist ein- Die Unionsabgeordneten und -abgeordnetinnen for- deutig. Wir wollen natürlich das Beste und das Richtige dere ich ausdrücklich auf, kritisch zu überprüfen, ob sie erreichen, nämlich die Selbstbestimmung der Frauen si- sich von anderen vor den Karren spannen lassen wollen. cherstellen und eine optimale Beratungssituation. Wir Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. wollen auch klarmachen, dass wir alle miteinander hier nicht über Empfängnisverhütung diskutieren; denn wir Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, wissen, dass die Pille danach alles andere ist. Wir disku- tieren aber auch nicht über Schwangerschaftsabbrüche, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern wir diskutieren über die Rezeptfreiheit der Pille und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/ danach. Das ist eine andere Ebene. CSU]: Nicht so abschätzig, Frau Kollegin! „Abgeordnetinnen“! Nicht so abschätzig, auch (Beifall bei der SPD) wenn Sie sie nicht leiden mögen!) Lassen Sie uns das fachlich und sachgerecht, aber nicht gerade und besonders Ihnen ganz persönlich. Danke überdimensioniert angehen. Es geht um die Rezeptfrei- schön. heit. Meine Fraktion hat in der letzten Legislaturperiode Vizepräsidentin Ulla Schmidt: einen Antrag eingebracht, in dem wir die unserer Mei- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis, nung nach wichtigen Bausteine formuliert haben. Dabei SPD-Fraktion. geht es auch um die Datenerhebung; denn man braucht (Beifall bei der SPD) eine fundierte Datengrundlage, um die richtigen Schluss- folgerungen zu ziehen. Da geht es aber auch darum, dass man sich die Beratungssituation genau anschaut, und, Hilde Mattheis (SPD): und, und. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Möhring hat eingangs den Kollegen Lauterbach zi- tiert. Ich glaube, Sie hätten viele von uns in der SPD- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) Bundestagsfraktion zitieren können. Wir müssen uns Frau Kollegin. (D) hier ja nichts vormachen: Das BfArM fordert die Re- zeptfreiheit seit 2003, 2009 hat Spanien die Rezeptfrei- Hilde Mattheis (SPD): heit als eines der letzten europäischen Länder durchge- Ich finde, wir sollten dieses Thema hier mit der hin- setzt, und 2010 hat auch die WHO diese Empfehlung reichenden souveränen Gelassenheit angehen, die die- gegeben. sem Thema entspricht. Denn es geht darum, für Frauen An die Debatte kann man unterschiedlich herangehen. etwas zu erreichen. Wir wollen das, und wir schaffen das Man kann auch unterschiedliche Problemlösungsstrate- gemeinsam mit einer nüchternen, ruhigen und sachli- gien fahren. Ich bin dafür, dass wir die Beratungszeit, die chen Beratung und Überzeugungsarbeit. wir vereinbart haben, vollumfänglich ausschöpfen, nach Ich danke. dem Grundsatz: Beraten und Überzeugen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der CDU/CSU) Frau Kollegin Mattheis, gestatten Sie eine Zwischen- frage der Kollegin Vogler, oder haben Sie gerade Ihre Wir wollen überzeugen und deutlich machen, dass es na- Rede beendet? türlich um das Selbstbestimmungsrecht der Frau und da- rum geht, Lösungen für Konfliktsituationen, für wirkli- che Notsituationen zu finden. Am Wochenende zum Hilde Mattheis (SPD): Beispiel kann eine solche Notsituation auftreten – wir Ich war jetzt gerade fertig. wissen um die Frist, die man einhalten muss, um eine optimale Wirkung zu erzielen –, wenn die Beratung in Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der Notfallstation erfolgt und zufällig kein Gynäkologe Sie hatten noch Redezeit. Sie könnten also noch die anwesend ist. Wir versuchen auch, dahin gehend zu Zwischenfrage zulassen. überzeugen, dass auch Apotheker Beratungen vollum- fänglich durchführen und Beratungssituationen profes- Hilde Mattheis (SPD): sionell gestalten können. Ich war gerade fertig. Ich glaube, dass es wichtig ist, auf die europäische Danke schön. Ebene zu schauen. Die Rezeptfreiheit des Wirkstoffs Ulipristal ist eine Möglichkeit; darüber wird im Novem- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ber entschieden. Wir wissen aber alle, wie die Wirklich- der CDU/CSU) 4998 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: – Wir sprachen vorhin über Souveränität, aber ich sehe, (C) Nächste Rednerin ist Karin Maag, CDU/CSU-Frak- dass ich diese nicht von jedem Mitglied dieses Hohen tion. Hauses erwarten sollte. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben in der Anhörung auch gehört, dass bei 13 Prozent der deutschen Mädchen und 19 Prozent der Karin Maag (CDU/CSU): Mädchen mit Migrationshintergrund – das berichtete Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Professorin Brucker – sexueller Kontakt gegen den Wil- Die Linke ist offensichtlich nicht bereit, den Beratungs- len der Betroffenen stattfindet. Die Chance, dass diese bedarf, den unsere Kollegen aus der Koalition ange- sich nachts in der Apotheke, womöglich am Nachtschal- mahnt haben, zu akzeptieren. Ich finde das schade. Ich ter, öffnen, ist ungleich geringer als im vertraulichen finde es mit Kollegin Mattheis wenig souverän, solche Arztgespräch. Dinge im Schweinsgalopp durch das Parlament zu peit- (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das wird schen. doch nicht verboten dadurch! – Kathrin Vogler (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [DIE LINKE]: Wir halten die gar nicht davon NEN) ab, zum Arzt zu gehen! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Wenn ich Kollegin Möhring oder auch Frau Vogler höre, dann wünsche ich mir tatsächlich Martina Bunge oder – Wir sollten die Diskussion jetzt auch nicht ideologisch Kathrin Senger-Schäfer zurück. Da war zumindest ein überfrachten. verantwortungsvollerer Umgang mit Redezeit im Deut- Ich, meine Fraktion und vielleicht auch die Kollegin- schen Bundestag gewährleistet. nen von der SPD sehen das sexuelle Selbstbestimmungs- (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Dann wählen recht der Frauen nicht in Gefahr. Sie uns! Vielleicht kommen sie dann wieder!) (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist es aber!) Wenn wir nun schon darüber reden, will ich gerne un- Mir ganz persönlich geht es vor allem um eine infor- sere Positionen wiederholen. Ja, wir wollen die Rezept- mierte Entscheidung. Mir geht es darum, dass die Ge- pflicht für die Pille danach beibehalten, vor allem, weil sundheit der betroffenen Frauen so wenig wie möglich wir den hohen Beratungsbedarf im geschützten Arzt-Pa- beeinträchtigt wird. Vielleicht sind Sie sogar mit mir der tientinnen-Gespräch sehen. Wenn Sie bei der Anhörung Ansicht – ich hoffe es bei Ihnen von den Linken nicht waren oder das Protokoll der Anhörung gelesen haben, mehr –, dass Männer den Frauen, zum Beispiel im Falle werden Sie viele Argumente gefunden haben, die diese einer Verhütungspanne, die Entscheidung nicht alleine (B) Position bestätigen. (D) überlassen müssen, dürfen, sollen, sondern dass der ge- Warum wollen wir diese Beratung? Der Einzelsach- meinsame Weg zum Arzt sinnvoller ist. Diese Gemein- verständige Dr. Albring hat erneut bestätigt, dass insbe- samkeit wird eher bei einem Arztbesuch gewährleistet, sondere über die Wirkung von Levonorgestrel aufgeklärt als wenn Sie die Frau alleine in die Apotheke schicken. werden muss. Im Beratungsgespräch sollte zum Beispiel vorab geklärt werden, ob überhaupt ein Notfallkontra- (Beifall bei der CDU/CSU) zeptivum genommen werden muss. Es gibt nämlich eine Bei der Pille danach ist der Weg mit Rezeptpflicht Reihe von Zeiten im Zyklus, in denen die Pille danach meines Erachtens der weniger belastende Weg. Es gibt in gar nicht notwendig ist. In diesen Zeiten muss natürlich der Praxis bei rund 400 000 Verordnungen kaum Schwie- eine Patientin, eine Frau auch nicht das Risiko hoher rigkeiten. In Deutschland ist die Zahl der Schwanger- Hormongaben und Nebenwirkungen eingehen. Wenn schaftsabbrüche in den letzten Jahren um 39 Prozent zu- dann doch ein Notfallkontrazeptivum angezeigt sein rückgegangen – auch eine Folge kompetenter Beratung. sollte, geht es natürlich um das geeignete Präparat, aber In Großbritannien ist die Pille danach seit zwölf Jahren zum Beispiel auch um die Frage, ob nicht die Kupferspi- rezeptfrei erhältlich; die Abbruchraten sind seither um rale, die höchste Sicherheit in der Notfallverhütung bie- 7,7 Prozent gestiegen, sie sind fünfmal so hoch wie in tet – das hat übrigens auch eine Anhörung ergeben –, Deutschland. In Frankreich ist die Pille danach seit 1999 empfohlen werden muss. rezeptfrei erhältlich; die Abbruchraten sind doppelt so Beratungskapazität ist vorhanden. Wir haben in hoch wie in Deutschland. Wir haben uns in der Anhö- Deutschland – Kollegin Zeulner hat es bereits erwähnt – rung mit Herrn Dr. Baumgärtel darüber unterhalten, dass eine flächendeckende ärztliche Versorgung mit Bereit- die Verkaufszahlen in Österreich seit der Abgabe ohne schaftsdienst, mit Notdienst rund um die Uhr. Rezept um 50 Prozent gestiegen sind; die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist dort, so Frau Professor (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Was?) Dr. Brucker, viermal so hoch wie in Deutschland. Ich In Deutschland gibt es rund 10 000 niedergelassene sehe deshalb wenig Grund, von unserem funktionieren- Gynäkologen; auf einen dieser Gynäkologen kommen den System abzuweichen. Im Gegenteil, aus meiner 4 000 Patientinnen. Sie erwähnen gelegentlich Frank- Sicht gibt es weiter zahlreiche gute Gründe, dies gerade reich und England. Da betreuen die Frauenärzte jeweils nicht zu tun. doppelt so viele Patientinnen. Das Argument, schnelle- Jetzt komme ich zur Wirksamkeit. Zwei Wirkstoffe ren Zugang zu haben, zieht also meines Erachtens nicht. sind im Moment in der Diskussion: Levonorgestrel und (Zurufe von der LINKEN) Ulipristalacetat. Bei der Diskussion über die Entlassung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4999

Karin Maag (A) von Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht reden wir – ich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (C) zitiere jetzt Professor Dr. Wallwiener, auch aus der An- Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das ist hörung im Juli – vom weniger effektiven Präparat. Wa- schon einmal gut!) rum weniger effektiv? Auch darüber haben wir uns schon mehrfach unterhalten: Die Wirksamkeit ist abhän- Frauen und Mädchen haben das Recht, selber über ih- gig vom Zeitpunkt der Einnahme. Bei Levonorgestrel ist ren Körper und ihr Leben zu bestimmen. Niemand sonst. die Wirksamkeit nach 72 Stunden nicht mehr ausrei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des chend gegeben, bei Ulipristalacetat nach 120 Stunden BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht mehr. Levonorgestrel verschiebt den Eisprung um fünf Tage; das funktioniert aber nur – so die Anhörung – Für dieses Menschenrecht hat sich die SPD immer ein- bis Tag zwei vor dem Eisprung. Ob der Eisprung nun gesetzt – in Deutschland und weltweit. kurz bevorsteht, kann man, glaube ich, nicht in der Apo- Bevor ich zu dem heute vorliegenden Antrag direkt theke klären; das sollte per Ultraschall festgestellt wer- komme, möchte ich uns alle an etwas anderes erinnern: den. 1994 haben 179 Staaten – darunter Deutschland – auf (Hilde Mattheis [SPD]: Vom Orthopäden?) der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo die sexuel- len Rechte und die sexuelle Selbstbestimmung der Die Wirkung von Levonorgestrel verändert sich bei Frauen zu einem Menschenrecht erklärt. Dieses Frauen- gleichzeitiger Einnahme von Antiepileptika, Antidepres- recht umfasst – ich zitiere – siva und Antibiotika. Ein Drittel der deutschen Frauen ihr Recht, frei von Zwang, Diskriminierung und wiegt über 75 Kilogramm, da wirkt Levonorgestrel gar Gewalt über Angelegenheiten im Zusammenhang nicht; auch dieses Argument wurde schon mehrfach ge- nannt. mit ihrer Sexualität, einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, bestimmen und frei (Mechthild Rawert [SPD]: Entkräftet!) und eigenverantwortlich entscheiden zu können. Ich komme zu den Kosten und zum Werbeverbot. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Und bitte zum Schluss. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kollegin Rawert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler? Karin Maag (CDU/CSU): (B) Versicherte bis zum vollendeten 20. Lebensjahr haben (D) Mechthild Rawert (SPD): Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, soweit sie ärztlich verordnet werden. Ich glaube nicht, dass es den Ja. Zugang zur Pille danach erleichtert, wenn die Jugendli- chen dann 18 bis 35 Euro zahlen müssen. Das Publi- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: kumswerbeverbot würde fallen; ich möchte aber auch Bitte schön. nicht erleben, dass im Kino, im Fernsehen oder am Bahnhof für die Pille danach geworben wird. Kathrin Vogler (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwischenbemerkung zulassen. Kurzum: Es sprechen weiterhin viele gute Gründe da- für, die Pille danach verschreibungspflichtig zu lassen. Ich habe mich gerade ein bisschen über den Satz, den Ich bin aber gemeinsam mit den Kolleginnen aus der Sie gesagt haben, gefreut, Sie seien keine Freigängerin SPD gerne bereit, weiter darüber zu diskutieren. aus dem Koalitionsknast, sondern eine frei gewählte Ab- geordnete. Herzlichen Dank. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie hat (Beifall bei der CDU/CSU) „Gefängnis“ und nicht „Knast“ gesagt!) An diese frei gewählte Abgeordnete und alle ihre Kolle- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ginnen und Kollegen möchte ich gerne meinen Appell Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- richten, genau diese Tatsache im Blick zu behalten. nungspunkt ist die Kollegin Mechthild Rawert, SPD- Fraktion. (Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Frage, Frau Präsidentin! – Weitere Zurufe von der CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU: Frage!) – Ich stelle keine Frage. Lesen Sie bitte die Geschäfts- Mechthild Rawert (SPD): ordnung. – Ich möchte Sie ermutigen, auch einmal über Liebe Frau Möhring, als Erstes möchte ich natürlich ein anderes Verhalten als dem reflexartigen Ablehnen feststellen, dass wir Parlamentarierinnen hier alle keine unserer Vorlagen nachzudenken, zumal unser Antrag Freigängerinnen aus dem Koalitionsgefängnis, sondern weitestgehend dem entspricht, was der Bundesrat schon frei gewählte Abgeordnete sind. mit SPD-Stimmen beschlossen hat. 5000 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Kathrin Vogler (A) Ich möchte Sie dazu mit den Worten der Abgeordne- nern sowie vom Familienstand sicherzustellen ist. Wir (C) ten Lisa Gnadl aus der Sitzung des Sozial- und Integra- haben explizit den freien – ich zitiere – tionspolitischen Ausschusses des Hessischen Landtags Zugang zu einer Bandbreite von sicheren, zuverläs- am 11. September dieses Jahres ermutigen, in der sie ge- sigen, qualitativ hochwertigen und erschwinglichen sagt hat – ich zitiere –: Verhütungsmitteln, inklusive Notfallkontrazeptiva, Für meine Begriffe kann man einen schnellen und gefordert. diskriminierungsfreien Zugang zur „Pille danach“ nur gewährleisten, wenn sie rezeptfrei ist. In allen Und ich fordere für die Frauen in Deutschland das Debatten zu diesem Thema, auch im Bundestag, Gleiche, was wir für die Frauen in anderen Ländern auch habe ich nie irgendwelche medizinischen Gründe wollen. gehört, die gegen eine rezeptfreie „Pille danach“ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sprechen. der LINKEN und der Abg. Karin Maag [CDU/ (Karin Maag [CDU/CSU]: Zuhören!) CSU]) Diese SPD-Abgeordnete sagte weiter: Es kann nicht sein, dass das, was in 79 Staaten – darun- ter die meisten europäischen Staaten – längst medizini- Ich finde es wichtig, dass wir es begrüßen und un- scher und pharmakologischer Alltag ist, uns hier in terstützen, dass dieses Medikament aus der Ver- Deutschland verwehrt wird. schreibungspflicht herausgenommen wird. Noch eines, Frau Zeulner: Aufklärung ja, aber Auf- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das kann klärung im Vorfeld, Hilfe allerdings beim geplatzten man doch im Protokoll auch nachlesen!) Gummi, und das zügig und mit Rezeptfreiheit. Ich verstehe nicht, warum Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der – damit wendet sie sich an Union und Grüne – LINKEN) sich um diesen Punkt so herumdrücken und diesen Frau Maag, die Kosten einer Kupferspirale liegen bei Antrag der LINKEN nicht unterstützen wollen. mehreren Hundert Euro. Wir werden weiter über dieses Thema debattieren. Wir haben Beratungsbedarf, weil wir Ich glaube, viele Frauen draußen werden es auch selbstverständlich auch den Aspekt der Kosten der ein- nicht verstehen, wenn ihr, liebe Mechthild, diesen An- zelnen Verhütungsmittel nicht außer Acht lassen wollen. trag der Linken heute nicht unterstützt Das betrifft auch den Vergleich zwischen der Pille da- nach auf UPA- und der auf LNG-Basis. Unsere Haltung (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Redet jetzt die (D) Linke?) ist, dass wir die Frauen nicht mit Mehrkosten belasten wollen, und euch mit uns dafür einsetzt, dass das, was ihr ja mehrfach dokumentiert habt und auch selber wollt, (Karin Maag [CDU/CSU]: Ja, genau! Deswegen Wirklichkeit wird. muss es rezeptpflichtig bleiben!) (Beifall bei der LINKEN) wenn es schon ein Rezept gibt, das millionenfach sicher- stellt, dass eine ungewollte Schwangerschaft verhindert wird. Mechthild Rawert (SPD): Herzlichen Dank für die Erinnerung, dass mit dieser (Karin Maag [CDU/CSU]: Da sind wir uns ja Diskussion sowohl der Bundestag als auch der Bundes- wunderbar einig!) rat befasst sind. Wir werden nach der europarechtlichen Entscheidung (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zur Pille auf UPA-Basis ernsthaft über diese Interessen- CDU/CSU) verquickungen reden. Wir werden auch die Unterschei- dung zwischen der Pille danach auf LNG-Basis und der Zurück zu Kairo: Dieses Aktionsprogramm von Kairo auf UPA-Basis diskutieren. Wir werden somit also auch wurde vor drei Tagen noch einmal beschlossen. über die freien Zugänge und die Rechte der Frauen dis- Wir Abgeordnete lassen eine Bundesregierung ja kutieren. nicht unvorbereitet nach New York fahren. Wir wissen: Die Pille danach, auch auf LNG-Basis (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sehr – darüber brauchen wir gar kein Wort mehr zu verlieren –, gut!) ist für die Frauen nicht gesundheitsgefährdend, und sie ist nebenwirkungsarm. Machen wir uns nichts vor – ma- Deswegen haben wir Abgeordnete von CDU, CSU und chen wir uns in diesem Fall ehrlich –: Es geht hier weni- SPD unter anderem in einem Antrag im Vorfeld dieser ger um die Pille danach als Medikament. Es geht um Sondertagung gefordert, dass jedem Menschen eine unterschiedliche Wertentscheidungen hinsichtlich der selbstverantwortliche und freie Entscheidung über Zeit- Selbstbestimmung und der Bevormundung von Frauen. punkt und Anzahl der eigenen Kinder ermöglicht werden Vor allen Dingen geht es – erst recht, wenn ich an die muss und dass der Zugang zu anerkannten und moder- Diskussionen im Rahmen des Bündnisses für sexuelle nen Methoden und Leistungen der Familienplanung un- Selbstbestimmung vom vergangenen Wochenende denke – abhängig von der Zustimmung von Eltern und Ehepart- um den freien Zugang zu Rechten. Dafür stehen wir So- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5001

Mechthild Rawert (A) zialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Da machen militärischen Großgeräte, aber auch für die vielfach ver- (C) wir weiter. Wir diskutieren intensiv weiter. Ich freue nachlässigte bauliche Infrastruktur. Der Inspekteur des mich auf die Diskussion. Wir überzeugen Sie noch. Heeres hat ja vorgetragen, dass wie beispielsweise in Hammelburg vielfach ein Boxer durch zwei Füchse er- (Beifall bei der SPD) setzt werden muss und dass das natürlich eine Problem- lage schafft. Inzwischen ist es ja so, dass selbst die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ministerin durch zwei Staatssekretäre ersetzt werden Vielen Dank. – Da es eben auf der von mir aus rech- muss. Das scheint also ein typisches Verhalten zu sein. ten Seite des Saales etwas Unruhe gegeben hat, möchte ich darauf hinweisen, dass Zwischenfragen oder Zwischenbe- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die merkungen nach § 27 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung Ministerin ist unersetzbar!) dann erlaubt sind, wenn der Redner bzw. die Rednerin Im aktuellen Jahresbericht hatte ich ebenso wie be- sie zulässt. Ich mache allerdings alle Kollegen, die von reits in den Vorjahren dargestellt, dass die Rüstungspla- diesem Instrument Gebrauch machen wollen, auch die nung die sach- und zeitgerechte Deckung des Einsatzbe- Kollegin Vogler, darauf aufmerksam, dass in der Ge- darfes nicht gewährleistet. Das BMVg hat daraufhin schäftsordnung steht: Sie müssen kurz und präzise sein. – zugesichert, die materielle Ausstattung habe mit Blick Das sage ich für die Zukunft. auf eine optimierte Einsatzfähigkeit und Auftragserfül- (Beifall bei der CDU/CSU) lung höchste Priorität. Meine Damen und Herren, das kann ich aber in der konkreten Situation nicht erkennen. Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Die Linke Die jetzt öffentlich gewordene Techniksituation mit auf Drucksache 18/2630 mit dem Titel „Pille danach Technikpannen und Defiziten in der Ausrüstung belegt jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen“. Die Fraktion Die die Richtigkeit meiner damaligen Hinweise, die als maß- Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktio- lose Übertreibung zurückgewiesen worden waren. Of- nen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überwei- fenbar wurde eben nicht in ausreichendem Umfang Vor- sung, und zwar federführend an den Ausschuss für Ge- sorge getroffen, um die vorhandenen Gerätschaften zu sundheit und mitberatend an den Ausschuss für Familie, unterhalten, wie das BMVg seinerzeit kommentierte. Senioren, Frauen und Jugend. Im Januar hatte ich mich von dieser Stelle aus mit Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den dem Wunsch an die Ministerin gewandt, bei unseren An- Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: geboten an die internationale Gemeinschaft mehr Auf- Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer merksamkeit als bisher auf die Begrenztheit unserer Mit- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die (B) tel zu lenken. Ich habe darauf hingewiesen, dass bei dem (D) Überweisung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD geradezu routinemäßig gegebenen Angebot von Sani- und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und täts- und Lufttransportkapazitäten nicht berücksichtigt - der Fraktion Die Linke so beschlossen. Wir stimmen da werde, wie gering unsere Reserven in diesem Bereich mit über den Antrag auf Drucksache 18/2630 heute nicht bereits für den Regelbetrieb sind. Ich glaube, nun zeigt in der Sache ab. sich jedermann, wie begründet diese Mahnung war. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Schon jetzt hat sich beispielsweise bei den Marineflie- gern der durchschnittliche Instandhaltungsaufwand für Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- eine Flugstunde des großen Hubschraubers Sea King richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- von 50 auf 120 Stunden erhöht. Dies stellt eine nicht hin- schuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbe- nehmbare Überlastung für das verantwortliche Personal auftragten dar; denn die Personalausstattung wurde ja nicht verbes- Jahresbericht 2013 (55. Bericht) sert, sondern im Gegenteil weiter reduziert. Drucksachen 18/300, 18/1917 Dieser Aspekt führt mich zu einem weiteren Problem, das weiterhin ungelöst ist: die hohe und bis an die Gren- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zen gehende Einsatzbelastung von Personal mit Schlüssel- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- qualifikationen, etwa beim Flugverkehrskontrolldienst nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. oder bei den Luftumschlags- und Feuerwehrkräften. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbe- Viele Soldatinnen und Soldaten sind seit langer Zeit im- auftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut mer wieder mehr als 250 Tage pro Jahr einsatzbedingt Königshaus. – Bitte schön. von zu Hause abwesend. Das gilt auch für die Marine. Das ist langfristig gesehen unzumutbar. Es ist für die Zu- kunft unzumutbar nach einem so langen Vorlauf. Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deut- schen Bundestages: Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aus- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und landseinsätze der Bundeswehr sind mit der derzeitigen Herren Abgeordneten! Ich glaube, spätestens seit den Ausstattung nicht weiter ausweitbar, schon gar nicht un- Darlegungen der Inspekteure gestern im Verteidigungs- begrenzt. Es gibt nur zwei Optionen: Entweder werden ausschuss zur Situation in den Teilstreitkräften ist eines die Aufgaben an die personellen und materiellen Rah- klar: Die Bundeswehr ist in weiten Bereichen in einem menbedingungen angepasst oder aber die Rahmenbedin- beklagenswerten Zustand. Das gilt insbesondere für die gungen werden entsprechend angepasst. 5002 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus (A) Sorgen bereitet auch weiterhin die verfallende bauli- Denn Teilzeitarbeit darf in den einzelnen Arbeitseinhei- (C) che Infrastruktur. Diese wurde an einer Reihe von Stand- ten nicht länger zu einer Mehrbelastung der übrigen Ka- orten über viele Jahre vernachlässigt. Das hat auch etwas meradinnen und Kameraden führen. Dies wurde bisher mit der Frage zu tun, wo in Zukunft noch Standortsicher- insbesondere in Teilen des Sanitätsdienstes immer wie- heit gegeben ist. Das ist verständlich, erklärt aber nicht der, und zwar völlig zu Recht, beklagt. alles. Rost und Schimmelbefall, Kloakengeruch, defekte Deshalb ist das in meinen Jahresberichten schon Heizkörper in Sanitärgebäuden – übrigens auch in den mehrfach angeregte Vakanzenmanagement für Teilzeit- Wintermonaten – sind niemandem zumutbar. Ich bin arbeit und sonstige familienbedingte Ausfallzeiten un- froh, dass die dafür zuständigen Stellen in Büchel, wo verzichtbar. ich besonders erschreckende Verhältnisse vorfand, schnell reagiert haben. Aber das löst ja nicht das grund- Ich bedauere in diesem Zusammenhang auch, dass die sätzliche Problem. Wenn die Soldatinnen und Soldaten in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Wahlfreiheit sich, so wie die Ministerin das wollte, in ihren Dienst- zwischen Umzugskostenvergütung und Trennungsgeld stellen zu Hause fühlen sollen – das ist ja unser aller nun doch nicht in das Artikelgesetz aufgenommen wird. Ziel –, dann muss noch viel investiert werden. Ich glaube, hier ist der Gesetzgeber noch einmal selber gefordert, darüber nachzudenken, ob er diese Zusage in Dabei wären die zusätzlich erforderlichen Mittel ja der Koalitionsvereinbarung nicht einhalten will. verfügbar. Zuletzt wurden für das Haushaltsjahr 2013 unter anderem wegen der von der Industrie nicht gelie- Kritisch betrachte ich ebenso, dass die geplanten Ver- ferten Rüstungsgüter hohe Summen an das Bundes- besserungen bei der Übertragung von rentenrechtlichen ministerium der Finanzen zurückgegeben. Das ist im Anwartschaften der ausscheidenden Zeitsoldaten im Ar- Übrigen auch für das laufende Haushaltsjahr zu erwar- tikelgesetz keinen Niederschlag finden sollen. Die ange- ten. Diese Mittel sollten in andere dringende Vorhaben kündigte Evaluation der Neuausrichtung böte nun die umgeleitet werden. Hierfür muss das BMVg allerdings Gelegenheit, notwendige Verbesserungen vorzunehmen. ausführungsreife Planungen vorhalten. Dringlicher Be- Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, den Ab- darf jedenfalls ist vorhanden. geordneten des Deutschen Bundestags, ebenso wie der Nicht erst im Jahresbericht 2013, sondern bereits in Bundesministerin, dem Bundesministerium der Verteidi- den Berichten der Vorjahre hatte ich Maßnahmen zur At- gung insgesamt und natürlich der Bundeswehr insgesamt traktivitätssteigerung, insbesondere nachhaltige Verbes- für die Unterstützung meiner Arbeit und die vertrauens- serungen bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie volle Zusammenarbeit. Ein Dank, ein ganz besonderer in der Bundeswehr eingefordert. Insoweit habe ich es als Dank, geht natürlich auch an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im Amt. (B) sehr wohltuend empfunden, dass sich die Bundesminis- (D) terin, Frau Dr. von der Leyen, der besseren Vereinbarkeit Ich glaube, wenn Sie einen Blick nach vorn werfen, des Soldatenberufs mit dem Familienleben angenommen dann werden Sie feststellen, dass wir inzwischen bei den hat. Referatsleitungsstellen einen Frauenanteil von 50 Pro- Dabei sehe ich es auch durchaus als eine Bestätigung zent erreicht haben. der Arbeit des Wehrbeauftragten und seiner Mitarbeite- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem rinnen und Mitarbeiter, dass sich in der Agenda und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Artikelgesetz eine Reihe von Anregungen aus meinen Jahresberichten wiederfinden. Ein besonderer Dank gebührt von dieser Stelle aus aber natürlich den Soldatinnen und Soldaten der Bundes- Allerdings wird bereits bei den ersten von der Minis- wehr und ihren Angehörigen. terin angekündigten kleineren Maßnahmen deutlich, wo- ran so manche Veränderung schon im Ansatz zu schei- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem tern droht. Die Ministerin will beispielsweise in den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stuben der Soldatinnen und Soldaten Kühlschränke auf- Die Soldatinnen und Soldaten müssen – ich habe das stellen lassen. Kaum angekündigt, melden sich bereits eben dargestellt – unter oftmals wirklich nicht optimalen die Veterinäre der Bundeswehr und kündigen an, dass sie Bedingungen einen aufopferungsvollen und erfolgrei- den Gebrauch der Kühlschränke unterbinden werden, chen Dienst für unser Land leisten. Sie tun das mit Enga- wenn nicht zusätzliches Kontrollpersonal eingestellt gement. Ich glaube, dafür sind wir alle ihnen zu Dank werde, um durch Überprüfung alle 14 Tage sicherzustel- verpflichtet, nicht nur der Wehrbeauftragte. len, dass die Kühlschränke von den Soldatinnen und Sol- daten sachgerecht genutzt und gereinigt werden. Meine Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Damen und Herren, so wird das natürlich nichts. Dank. (Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unterstützung verdienen auch die Pläne der Ministe- rin, die tatsächliche Anzahl der Soldatinnen und Solda- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ten an die im Personalstrukturmodell vorgesehene Zahl Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anita Schäfer von 185 000 Vollzeitstellen heranzuführen, die gegen- das Wort. wärtig weit unterschritten ist. Nur so kann im Übrigen wie vorgesehen die Teilzeitarbeit ausgeweitet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5003

(A) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): und Soldaten nicht ohne die bestmögliche Ausrüstung in (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Einsätze schicken, die wir mandatieren. Aber ohne Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Die Ereignisse der zeitgemäße attraktive Dienstbedingungen werden wir vergangenen Monate haben uns den Wert eines in ge- unsere Soldatinnen und Soldaten nicht in der Freiwilli- meinsamer Sicherheit verbundenen friedlichen Europas genarmee Bundeswehr halten können. Beides wird Geld einmal mehr eindrücklich vor Augen geführt, und zwar kosten. gerade deshalb, weil es an den Rändern Europas derzeit Lassen Sie mich auf diese eng verbundenen Bereiche ganz und gar nicht friedlich zugeht. Die Lage dort ist etwas genauer eingehen. Das in diesem Jahr von der durch staatliche Instabilität und vieltausendfaches Bundesverteidigungsministerin von der Leyen vorge- menschliches Leid gekennzeichnet. stellte neue Attraktivitätsprogramm für die Bundeswehr Da ist der andauernde Bürgerkrieg in Syrien, der mitt- enthält viele weitere Detailverbesserungen für schwierige lerweile auf den Irak übergegriffen hat, was dazu geführt Themen, um die wir uns schon seit längerem kümmern hat, dass die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ihre und bemühen, wie etwa Unterbringung, Kinderbetreuung, Schreckensherrschaft bis an die Grenzen des NATO- Teilzeit- und Telearbeitsmodelle sowie Kommunikation Partners Türkei ausgedehnt hat. Verteidigungsministerin im Einsatz. von der Leyen ist zurzeit im Irak, um sich ein Bild von Ich möchte einmal an einem Beispiel verdeutlichen, der Umsetzung des deutschen Engagements zum Schutz warum ich gerade die Vereinbarkeit von Familie und der Kurden, Jesiden und anderen von IS bedrohten Min- Dienst hier an dieser Stelle und anderswo immer wieder derheiten im Norden des Landes zu machen. so hervorgehoben habe. In meinem Wahlkreis liegt der Da sind weiterhin die Kämpfe zwischen Israelis und Bundeswehrstandort Zweibrücken mit Teilen der bishe- Palästinensern und zwischen verschiedenen Parteien in rigen Luftlandebrigade 26. Anfang des Jahres entstand Libyen. Und da sind vor allem die russische Annexion hier das Problem, dass weiterverpflichtungswillige Sol- der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der daten in der Region keine freien Dienstposten mehr fan- Ostukraine mit militärischen Mitteln. Es ist das erste den, auf die sie sich hätten bewerben können. Dabei ging Mal seit 1945, dass in Europa unter Androhung oder so- es zum Teil um einsatzerfahrene, hochengagierte Unter- gar unter Einsatz von bewaffneter Gewalt staatliche offiziersdienstgrade. Von diesen Soldaten, die zu den Grenzen verschoben worden sind. Besten gehören, die die Bundeswehr zu bieten hat, haben viele lieber auf eine Weiterverpflichtung verzichtet, als (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Falsch! eine Versetzung aus der Region in Kauf zu nehmen, weil Jugoslawien! Erzählen Sie keine Märchen!) sie und ihre Familien in ihrem sozialen Umfeld verwur- Erst vor kurzem haben wir im Parlament des Beginns zelt sind. Das kann sich die Bundeswehr heute weniger (B) (D) des Zweiten Weltkriegs gedacht, mit dem Deutschland denn je leisten. vor 75 Jahren Europa in die Katastrophe gestürzt hat. In diesem Fall ist mittlerweile durch eine Nachjustie- Dass der polnische Präsident heute als Vertreter eines rung der Standortplanung und viel Flexibilität der Bun- NATO-Partnerstaates im Deutschen Bundestag die Be- deswehr eine Entspannung eingetreten. Bei allen, die an deutung der Solidarität für ein sicheres Zusammenleben dieser Lösung mitgewirkt haben, möchte ich mich an unter Nachbarn hervorhebt, zeigt, wie weit wir gekom- dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken. men sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist neten der SPD) wahr!) Das zeigt, wie viel bei gutem Willen möglich ist. Es Es zeigt aber auch, dass wir den Frieden in Europa zeigt aber auch, wie schwer die Bindung an Umfeld und nicht als selbstverständlich betrachten können. Es unter- Familie heute bei Karriereentscheidungen wiegt. Vor die streicht die Bedeutung eines Sicherheitsbündnisses wie Wahl einer Versetzung mit Umzug der ganzen Familie der NATO für die Erhaltung des Friedens, zu der auch oder einer Wochenendbeziehung gestellt, entscheidet Deutschland mit seinen Streitkräften beitragen muss. sich so mancher dafür, gleich ganz auszusteigen. Schon vor der Eskalation der Ukraine-Krise haben Wenn man sich vor Augen hält, dass ein Karrierepfad wir aktuelle Diskussionen über die Zukunft der Bundes- bislang alle zwei bis drei Jahre eine Versetzung erfordern wehr geführt, die jede auf ihre Weise die Tätigkeit des kann, wird das Ausmaß des Problems klar. Deswegen Wehrbeauftragten berührt haben. Es ging dabei vor- empfinde ich den Ansatz des Attraktivitätsprogramms, nehmlich um die Attraktivität des Dienstes einerseits die Häufigkeit von Versetzungen überhaupt zu reduzie- und die Ausrüstung der Truppe andererseits. Bei dieser ren, als einen so großen Schritt. Künftig muss man nicht Gelegenheit möchte ich dem Wehrbeauftragten und sei- mehr alle bisherigen Verwendungen durchlaufen, um nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Einsatz in Karriere zu machen. Zudem soll am selben Standort die diesen und vielen anderen Fragen hinsichtlich der Be- Beförderung um bis zu drei Besoldungsstufen möglich lange der Soldatinnen und Soldaten danken. werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ab 2015 soll Personal in Führungsverwendungen drei Dabei kann es nicht um ein Entweder-oder zwischen statt bisher zwei Jahre auf derselben Stelle bleiben; Spe- Attraktivität und Ausrüstung gehen. Beides ist wichtig. zialisten sollen für mindestens fünf Jahre bleiben. Soweit Wir als Deutscher Bundestag können unsere Soldatinnen Versetzungen erforderlich sind, sollen diese ab 2016 nur 5004 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Anita Schäfer (Saalstadt) (A) noch an zwei festen Terminen im Jahr stattfinden, näm- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) lich zu Jahresbeginn und in den Sommerferien. Ich neten der SPD) denke, das ist sehr familienfreundlich. Es bedeutet aber nicht, dass wir Investitionen in die ge- Meine Damen und Herren, damit möchte ich zu dem meinsame Verteidigungsfähigkeit künftig anderen über- zweiten der eingangs genannten Komplexe kommen: der lassen dürfen. Gerade Deutschland als Nation, die den Ausrüstung. Der Ausrüstungszustand der Bundeswehr Rahmen für solche Vorhaben bildet, muss vielmehr wei- ist nach unseren Bemühungen der letzten Jahre im We- terhin einen seiner Größe angemessenen Beitrag hierzu sentlichen gut. Viele große Beschaffungsprojekte, die leisten. sich lange hingezogen haben, stehen mittlerweile in oder Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich vor der Umsetzung, etwa die für dieses Jahr geplante unseren Soldatinnen und Soldaten ganz herzlich danken, Einführung des Transportflugzeugs A400M, das die die ihren Dienst im In- und Ausland für unsere Sicher- treue, aber betagte Transall ablösen wird. Das wird auch heit leisten. Dabei möchte ich auch ihre Familien einbe- höchste Zeit; denn die Verfügbarkeit der Transall-Flotte ziehen, die diesen wichtigen Dienst trotz aller Belastun- sinkt. Auch der alte Schützenpanzer Marder wird nun gen mittragen. bald durch den Puma abgelöst. Herzlichen Dank. Bei einigen neuen Systemen wie dem gepanzerten Transportfahrzeug Boxer oder den Hubschraubern Tiger (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und NH90 hat sich die Versorgung mit Ersatzteilen und Ähnlichem noch nicht eingespielt. Trotzdem haben sie Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: sich bereits im Einsatz bewiesen. Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Christine In anderen Bereichen ist die Ablösung alten Geräts Buchholz. noch dringend erforderlich, wie sich gerade bei den Ma- (Beifall bei der LINKEN) rinehubschraubern gezeigt hat. Glücklicherweise ist auch hier die erste Beschaffung neuer Maschinen bereits ein- geleitet, auch wenn diese nur einen Teil des Bedarfs ab- Christine Buchholz (DIE LINKE): decken wird. Gerade beim Fluggerät zeigen sich die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge- Spätfolgen von Sparmaßnahmen bei der Beschaffung ehrter Herr Königshaus! Liebe Mitarbeiterinnen und von Ersatzteilen vor einigen Jahren. Das zeigt, dass sich Mitarbeiter des Wehrbeauftragten! In diesen Tagen wird der Verteidigungshaushalt nicht als Steinbruch für Spar- vor allem über den schlechten Zustand des Bundeswehr- maßnahmen eignet, weil kurzfristige Kürzungen lang- materials berichtet und diskutiert. Aber dank des Jahres- (B) fristige Folgen haben werden. berichts des Wehrbeauftragten erfahren wir, dass auch (D) die Fürsorgepflicht der Bundeswehr gegenüber den eige- Wichtig ist aber, dass die Bundeswehr die ihr gestell- nen Soldatinnen und Soldaten deutliche Defizite auf- ten Aufgaben erfüllen kann. Das ist gegenwärtig der weist. Wir diskutieren heute über die Reaktion des Ver- Fall. Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass dies so teidigungsministeriums auf den Jahresbericht über das bleibt. Jahr 2013. Erinnern wir uns: Das ist der Bericht, der so In diesem Zusammenhang begrüße ich besonders, viele Beschwerden von Soldatinnen und Soldaten be- dass im BMVg nunmehr die Entscheidungen zur Neube- inhaltet wie noch nie. setzung der Stellen im Beschaffungsbereich ebenso wie Wie fällt die Antwort des Verteidigungsministeriums zur Evaluierung des gesamten Bereichs getroffen wur- zu den Problemen aus, die Herr Königshaus benannt den. Ich hoffe, dass es hier nun zügig vorangeht. hat? Die Antwort ist im besten Fall unzureichend, im Angesichts neuer Herausforderungen sollte im Rah- schlechtesten Fall zynisch. Hier einige Beispiele: men der Evaluierung auch an der einen oder anderen Beispiel Afghanistan: In Kabul wurden deutsche Sol- Stelle noch einmal über Stückzahlen von Waffensyste- daten im US-geführten Camp Eggers untergebracht. Die men nachgedacht werden. Die Ukraine-Krise hat inner- Sanitäranlagen seien durch Rost und Schwarzschimmel- halb der NATO die Frage der Bündnisverteidigung wie- befall hygienisch nicht hinnehmbar. Die Antwort des der stärker in den Fokus gerückt. Daher sollten wir Verteidigungsministeriums: Den Soldaten wurden Reini- prüfen, ob nicht doch alle mechanisierten Verbände statt gungsmittel und Farbe zur Verfügung gestellt. der bislang geplanten Pool-Lösung eine Vollausstattung mit Kampffahrzeugen erhalten sollten. Beispiel Mali: Die deutschen Soldaten sind in einem Malariagebiet untergebracht. Doch passende Moskito- Hinzu kommt die Frage, inwieweit wir unsere osteu- netze werden erst mit monatelanger Verspätung angelie- ropäischen Verbündeten beim Aufbau eigener Fähigkei- fert. Das ist unglaublich. ten unterstützen sollten, auch mit Ausrüstungsabgaben, die gleichzeitig der Modernisierung unseres eigenen Be- Ministerin von der Leyen behauptet, die Bundeswehr standes dienen können. Deutschland hat auf dem NATO- zu einem familienfreundlichen Unternehmen machen zu Gipfel in Wales bereits eine Initiative angestoßen, bei wollen. Aber ich werde den Eindruck nicht los: Viele der wir unsere Kooperation in einer Reihe von Feldern Maßnahmen sind vor allem eines: Fassade. Dort, wo die mit neuen Partnern langfristig vertiefen werden. Rücksicht auf Familie der Einsatzfähigkeit im Weg steht, fällt die Fassade. So regte der Wehrbeauftragte erneut Das sind zudem Schritte in Richtung echter europäi- an, die Erziehung von Kindern unter drei Jahren durch scher Streitkräfte. alleinerziehende Soldatinnen und Soldaten als Einsatz- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5005

Christine Buchholz (A) hinderungsgrund festzuschreiben. Aber das Ministerium Ganz besonders grüße ich alle Angehörigen der Bundes- (C) antwortete, das sei „nicht erforderlich“. wehr. Um Sie geht es nämlich in dieser Debatte. In den letzten Tagen haben Sie lesen und hören müssen, welche (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Unglaub- Probleme Ihr Arbeitgeber hat, dass die Ausstattung lich!) schlecht ist, dass die Ministerin Fehler macht. Überhaupt Doch, meine Damen und Herren, doch, das ist es! ist für einige Journalisten die Bundeswehr ein einziger Trümmerhaufen. (Beifall bei der LINKEN) Wie wenig es dem Ministerium um den Menschen Beim Lesen der Pressemappe habe ich an die gestrige und wie sehr es ihm um seine Verwendung im Auslands- Eröffnung der Ausstellung „Operation Heimkehr“ ge- einsatz geht, zeigt auch der Umgang mit einsatzbeding- dacht. Herr Königshaus, Sie haben gestern im Paul- ten psychischen Erkrankungen. Es geht weitgehend um Löbe-Haus ein Grußwort dazu gesprochen. Die Berichte eines: die Durchhaltefähigkeit vor und während des Ein- der Männer und Frauen, die im Kosovo, am Hindukusch, satzes zu stärken. Auf keinen Fall geht es darum, psy- in Mali oder am Horn von Afrika ihren Dienst geleistet chisch kranken Soldaten den Einsatz zu ersparen. So be- haben, prägen sich ein. Ich habe dieses besondere Buch tont das Ministerium in seiner Antwort auf den Bericht, gelesen. Ich lege auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol- es werde weiterhin auch psychisch vorbelastete Soldaten legen, ans Herz, es zu lesen. Die Erfahrungen, die unsere in Auslandseinsätze schicken. Es sei „noch nicht hinrei- Soldatinnen und Soldaten gemacht haben, gehen unter chend erforscht, welche psychischen Vorbelastungen die die Haut. Es ist nicht irgendein Buch, es ist ein Buch individuelle Einsatzverwendungsfähigkeit tatsächlich zum Nachdenken. Ich stellte mir die Frage, als ich es ge- einschränken können“. Das grenzt zumindest an Zynis- lesen hatte: Wie gehen wir, unsere Gesellschaft, mit un- mus. Wenn die Soldaten aus dem Einsatz und der Bun- seren Mitbürgern und Mitbürgerinnen in Uniform um? deswehr heraus sind, werden sie uninteressant. Wenn Ich wünsche mir eine andere und eine objektivere Be- sich Jahre später Traumata einstellen, dann erwartet den richterstattung über den Zustand unserer Bundeswehr, einzelnen Soldaten ein Papierkrieg um die Anerkennung mehr Berichte über die Menschen in der Bundeswehr. einer Wehrdienstbeschädigung. Diese ist die Vorausset- Die Missstände bei der Bundeswehr sind uns bekannt. zung, um die Chance auf eine vernünftige Therapie im Erst gestern haben wir im Ausschuss ausführlich darüber Rahmen der Bundeswehr zu erhalten. Das ist nicht hin- nehmbar. gesprochen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen muss geprüft werden, wo mehr Geld benötigt wird und wo (Beifall bei der LINKEN) Geld anders verteilt werden muss. Eine ehrliche Debatte ist mir dabei lieber als eine wohlfeile Bekundung. Fakt Immer mehr Auslandseinsätze haben offenkundig zu ist: Nur wer Probleme benennt, wer offen und ehrlich (B) einer Überdehnung der Kapazitäten der Bundeswehr in sagt, wo es klemmt, kann Probleme lösen. Ja, unsere (D) jeglicher Hinsicht geführt. Das gilt sowohl für das Mate- Bundeswehr braucht Geld, und wir können es eigentlich rial, für dessen schlechten Zustand der Steuerzahler zu- gar nicht zulassen, dass jedes Jahr Millionen zurückge- künftig tiefer in die Tasche greifen muss – die Kollegin geben werden. Wir brauchen aber auch einen guten Um- Schäfer hat das vorhin angedeutet –, als auch für die gang mit dem Geld. Wir können von der Bevölkerung Menschen, die im Zweifelsfall ihren Kopf hinhalten für nicht Unterstützung erwarten, wenn sich der Eindruck die politischen Entscheidungen, die hier im Bundestag eines Trümmerhaufens in den Köpfen festsetzt. gefällt werden, nämlich die Soldatinnen und Soldaten. Ich bin hier ganz bei Herrn Königshaus, auch wenn wir Damit wir Abgeordnete unsere Aufgabe erledigen zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Es gibt können, legt uns der Wehrbeauftragte des Bundestages nur zwei Optionen. Entweder treiben Sie die Auf- und seinen jährlichen Bericht vor. Der Bericht ist ehrlich und Umrüstung hin zur Einsatzarmee weiter voran, wie es gilt als Mängelbericht. In diesem Bericht geht es um die auch der Wehrbeauftragte leider immer wieder fordert, materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Ganz we- und lassen die Steuerzahler sowie die Soldatinnen und sentlich geht es hier aber auch um die Menschen in und Soldaten weiter für Ihre Interventionspolitik zahlen, oder bei der Bundeswehr. Die Statistik zum Bericht des Wehr- Sie entscheiden sich endlich für einen Kurswechsel. Die beauftragten zeigt mit 4 842 bearbeiteten Vorgängen für Linke sagt: Beenden Sie die Auslandseinsätze der das Berichtsjahr 2013 eine enorm hohe Quote. Die meis- Bundeswehr! Bauen Sie endlich die zivile Hilfe massiv ten Probleme bezogen sich auf Menschenführung und aus, und holen Sie die Soldatinnen und Soldaten nach soldatische Ordnung. Mit dem Attraktivitätsprogramm Hause – besser heute als morgen! und dem Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des (Beifall bei der LINKEN) Dienstes in der Bundeswehr wird sich an dieser Zahl hoffentlich viel ändern. Es ist an der Zeit. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Lieber Herr Königshaus, wir beraten heute, Monate Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Heidtrud später als geplant, Ihren Bericht für das Jahr 2013. Sehr Henn. geehrter Herr Wehrbeauftragter, Sie wissen, was nun (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kommt: Danke an Sie und an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, Heidtrud Henn (SPD): (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geordneten der LINKEN) 5006 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Heidtrud Henn (A) dass Sie uns Parlamentarier dabei unterstützen, unsere Haushaltsberatungen sagen, wo wir Handlungsbedarf se- (C) Arbeit zu machen; denn ohne Sie könnten wir uns kein hen und wie die Mittel dafür erwirtschaftet werden. umfassendes Bild über die innere Lage der Bundeswehr machen. Sie fassen zusammen, was die Soldatinnen und Gerade die derzeit rund 3 470 Soldatinnen und Solda- ten der Bundeswehr im Einsatz, die gemeinsam mit un- Soldaten bewegt. Sie zeigen keine Fotos wie die Aus- seren internationalen Partnern im Ausland ausbilden, stellung „Operation Heimkehr“, aber Sie bilden ab, was Wege sichern, schützen und auch beschützen, verdienen ist, und treten engagiert für Soldatinnen und Soldaten unsere besondere Anerkennung. Aber nicht nur das: Die ein. Die Zusammenarbeit mit Ihnen schätze ich sehr, und Soldatinnen und Soldaten im Einsatz verdienen den be- ich weiß, dass vielen Kolleginnen und Kollegen das sonderen Einsatz von uns Bundestagsabgeordneten, auch so geht. wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass sie ihre Arbeit Ich war in der vergangenen Woche in Mayen. Mein gut und vor allem sicher erledigen können. Ziel war das dort ansässige Zentrum Operative Kom- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie munikation der Bundeswehr. Hier arbeiten mehr als bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE 900 Angehörige der Bundeswehr für die Truppe im Ein- GRÜNEN) satz. Hier sendet das berühmte Radio Andernach, das in diesem Jahr 40 Jahre alt wird. Auch hier lohnt ein Be- Für Sicherheit und Gesundheit im Ausland sorgt der such. Ich war sehr beeindruckt von der Leistungsbereit- Sanitätsdienst. Hier geht es manchmal um Leben und schaft und – ja, ich möchte sagen – der Hingabe, mit der Tod und manchmal um ein Pflaster. Organisatorisch Soldatinnen und Soldaten und natürlich auch die zivilen muss hier einiges passieren, wie die Eingaben an Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Dienst leisten. ganz deutlich zeigen. Auch in Mayen geht es darum, Bilder zu zeigen und zu Auch wenn das Geld nicht alles ist: Die Stellenzula- sagen, was im Auslandseinsatz los ist. gen in diesem Bereich sind aus meiner Sicht wichtig und Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müs- sollten ausgeweitet werden; denn wer gut behandeln sen mehr und wir müssen anders über die Bundeswehr soll, muss auch gut behandelt werden. und über unsere sicherheits- und verteidigungspoliti- Gerade und ganz besonders im Einsatz wird deutlich, schen Gedanken sprechen. Wir können das Thema kei- wie wichtig und wie hervorragend ausgebildet die Män- ner kleinen Elite überlassen. Wir sprechen oft über He- ner und Frauen sind. In Gesprächen höre ich immer wie- rausforderungen, vor denen wir international stehen, und der, dass der Sanitätsdienst im Einsatz tadellos funktio- wir meinen dabei manchmal tatsächlich Gefahren. niert. Wenn der Sanitätsbereich als Patient bezeichnet wird, dann deshalb, weil der Spagat, der zwischen In- (B) Wir müssen also darüber reden, was die Bundeswehr lands- und Auslandseinsätzen zu absolvieren ist, nicht (D) leisten kann und was sie leisten soll, am besten ohne Ab- optimal gelingen kann. kürzungen, sodass alle verstehen, worum es geht. Wir können nicht davon ausgehen, dass uns viele Bürger via Die primäre Aufgabe des Sanitätsdienstes ist die Un- Fernseher oder Internet zu dieser Zeit zuschauen. Natür- terstützung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. lich wären wir froh, wenn bei der Beratung zum Bericht Aber es muss auch Sorge dafür getragen werden, dass des Wehrbeauftragten mehr Kolleginnen und Kollegen unsere Soldatinnen und Soldaten zu Hause gut versorgt anwesend wären. Vielen Dank an Sie, die Sie anwesend werden. Soldatinnen und Soldaten sollten in Bundes- sind! wehrkrankenhäusern immer die wichtigsten Patienten sein. Kranke Soldatinnen und Soldaten im Inland sollten Wir müssen mit unserem politischen Fachthema zu keine gefühlten Weltreisen zu den regionalen Sanitäts- den Bürgern und nicht umgekehrt. einrichtungen unternehmen müssen, um versorgt werden zu können. Die Truppe mit ihren Einsätzen im Ausland hat den Wehrbeauftragten in seinem Bericht beschäftigt. Man Meine Damen und Herren, ich möchte unseren Solda- kann sich nur schwer vorstellen, was es heißt, im Einsatz tinnen und Soldaten im Einsatz ganz liebe Grüße senden zu sein. Ein ganzes Kapitel nehmen die Auslandsein- und ihnen eine gesunde Rückkehr wünschen. sätze im Bericht des Wehrbeauftragten ein. Die Stellung- Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit und nahmen des BMVg dazu habe ich zur Kenntnis ge- wünsche uns allen Gottes Segen. nommen. Bei meinem Besuch in Masar-i-Scharif und Trabzon habe ich mir selbst ein kleines Bild von der Si- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tuation machen können. An Trabzon denke ich oft. Die Bundeswehr verschifft hier seit April 2013 Material aus Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: dem Afghanistan-Einsatz zurück nach Deutschland. Es Als nächste Rednerin hat die Kollegin Doris Wagner ist eine logistische Meisterleistung, die die Soldatinnen das Wort. und Soldaten dort vollbringen! Eine Verbesserung der Betreuungskommunikation im Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einsatz wird es ebenso geben wie Verbesserungen bei Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr der Einsatz- und Beschädigtenversorgung. Natürlich Staatssekretär! Verehrter Herr Königshaus! Werte Kolle- muss die persönliche Ausrüstung den Erfordernissen an- ginnen und Kollegen! Für Ministerin von der Leyen gemessen sein. Wir Sozialdemokraten werden bei den hätte dies eine richtig schöne Woche werden können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5007

Doris Wagner (A) Gestern der Kabinettsbeschluss und heute ein glänzender ten einer betrieblichen Rentenabsicherung. Aber statt (C) Auftritt im Bundestag; viele Probleme, die der Wehrbe- neue Wege zu beschreiten, speisen Sie die Soldatinnen richt aufwirft, gelöst. Unsere Soldatinnen und Soldaten und Soldaten mit Kleinkleckerles ab. hätten zufrieden sein können. Das Artikelgesetz wird also in vielen Punkten nicht Stattdessen hat sich aber die Bundesregierung auch der große Wurf, den Frau von der Leyen versprochen nach Monaten der Beratung nicht auf das Artikelgesetz hat. Deshalb hoffe ich wirklich, dass wenigstens die At- verständigt, das wesentlich zur Attraktivität des Dienstes traktivitätsagenda beherzt umgesetzt wird. in der Bundeswehr beitragen könnte. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft erwarten. Ein großer Teil der Sie alle haben es im Wehrbericht gelesen: Ein weite- Missstände, von denen Herr Königshaus berichtet, sind rer großer Teil der Beschwerden aus der Truppe bezieht auf einen eklatanten Personalmangel zurückzuführen. sich auf das Führungsverhalten der Vorgesetzten. Mal Bei den Technikern, der Flugsicherung, im Sanitäts- werden Untergebene als „Schwuchteln“ oder „Mongos“ dienst oder bei der Marine, wie wir gehört haben, ist die bezeichnet, mal wird einem jungen SaZler eine Dienst- Lage längst dramatisch. zeitverkürzung verweigert, wenn er eine Stelle im zivi- len Bereich antreten will. Nun soll es ein verpflichtendes Meine Fraktion hat die Attraktivitätsinitiativen der individuelles Coaching für das Spitzenpersonal geben; Ministerin deshalb ausdrücklich begrüßt. Doch nun müs- denn die Führungs- und Organisationskultur soll verbes- sen wir mit ansehen, wie sich die Ministerien im Streit sert werden. Das Verteidigungsministerium ist derzeit über die Details des geplanten Artikelgesetzes verhed- dabei, diese Coachings zu konzipieren, und steht vor der dern. Dabei brauchen wir doch jetzt eine wirkliche Ini- Entscheidung, ob die Coachings ausschließlich von ex- tiative. ternen zivilen Coaches durchgeführt werden sollen oder Was macht einen Job eigentlich attraktiv? Dies ist na- ob auch die bundeswehreigenen Coaches vom Zentrum türlich zunächst einmal die Bezahlung. Vielleicht erin- Innere Führung beteiligt sein sollen. Ich hoffe wirklich nern Sie sich noch an die Berichte vom vergangenen sehr, dass sich die Ministerin entscheidet, auch die Bun- Jahr. Manche Soldatinnen und Soldaten heuern im Ur- deswehrcoaches einzubinden. Denn wer sollte die solda- laub tatsächlich mittlerweile bei privaten Sicherheitsfir- tischen Führungskräfte besser verstehen als ein Soldat men an, um ihr Einkommen aufzubessern. Das kann oder eine Soldatin? Deshalb brauchen wir keine klang- doch nicht wahr sein. vollen Beraternamen, sondern Coaches, die die Lage ih- res Gegenübers wirklich verstehen. Deshalb möchte die Ministerin die Stellenzulagen für Bundeswehrangehörige anheben. Doch der Innenminis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) ter ist dagegen. Der öffentliche Dienst könnte ja das (D) Gleiche fordern. Jetzt wird nur gekleckert. Die Erhöhung Aber eine grundsätzliche Veränderung des Bewusst- der Stellenzulage soll nur für einige wenige Bundes- seins und des Führungsverhaltens in der Breite erreichen wehrdienstposten gelten. wir nicht, indem wir mal schnell die Spitzenkräfte einen Tag lang zwangsanalysieren, so wie es jetzt angedacht Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, solch eine ist. Deshalb wünschen wir uns sehr: Lassen Sie es nicht Beschränkung ist doch nicht zielführend, wenn wir die dabei bewenden, Frau Ministerin. Binden Sie die bun- Bundeswehr insgesamt attraktiver machen wollen. Des- deswehrinternen Coaches in das Spitzencoaching ein. halb mein Appell an die Ministerin: Denken Sie doch Aber mehr noch: Stärken Sie die Fähigkeit der Bundes- bitte noch einmal über eine Erhöhung der Stellenzulage wehr zur Selbstreflexion nachhaltig, indem Sie die Zahl für alle Bundeswehrangehörigen nach. der Coaches im Zentrum Innere Führung erhöhen. Nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) so werden wir die Probleme der Personalführung dauer- haft in den Griff bekommen. Was macht einen Job noch attraktiv? Dies ist natürlich auch die soziale Absicherung. Aber leider kleckert die Meine Damen und Herren, angesichts der militäri- Regierung auch hier. Künftig werden drei von vier Sol- schen Konflikte in unserer Nachbarschaft ist es vielleicht datinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Zeit angehö- verführerisch, die Beschwerden der Soldatinnen und ren. Zudem werden die Verpflichtungszeiten immer län- Soldaten als Kinkerlitzchen abzutun. Davor möchte ich ger. ausdrücklich warnen. Dinge wie die unattraktive Bezah- lung – ich komme zum Schluss –, die unbefriedigende Eine gute Altersabsicherung dieser Soldatinnen und Altersabsicherung und der rüde Umgang von Vorgesetz- Soldaten trägt daher erheblich zur Attraktivität der Bun- ten mit Untergebenen sind keine Luxusprobleme. deswehr bei. Doch jetzt, nach all dem Geschachere um das Artikelgesetz, fällt die Erhöhung der gesetzlichen Lassen Sie die Chance, die sich mit dem Artikelgesetz Nachversicherung mehr als mager aus und trägt nicht und der Attraktivitätsagenda bietet, nicht verstreichen. dazu bei, den jungen Leuten, die heute zur Bundeswehr Nicht kleckern, sondern klotzen! gehen, eine gute Altersversorgung zu bieten. Vielen Dank. Meine Damen und Herren, attraktiv ist wirklich etwas anderes. Ich hätte erwartet, dass die Ministerin einmal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – über andere Modelle der Altersabsicherung nachdenkt, Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir warten auf über Versorgungsanwartschaften oder über Möglichkei- die Anträge zum Einzelplan 14!) 5008 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Waffensystemen immer wieder diese Debatte geführt: (C) Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Reinhard Verleiten wir die Soldaten zum Schießen oder vielleicht Brandl das Wort. auch zu unethischem Handeln, wenn wir solche Waffen- systeme zur Verfügung stellen? Ich habe mir den Jahres- (Beifall bei der CDU/CSU) bericht des Wehrbeauftragten unter diesem Gesichts- punkt angesehen. Im Bericht des Wehrbeauftragten steht Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): viel drin; wir haben 200 000 Soldaten, und da läuft nicht Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- alles rund. Da gibt es manchmal Verfehlungen, auch im gen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Lassen Sie persönlichen Bereich; Sie haben Verfehlungen im Füh- mich am Anfang Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre rungsverhalten angesprochen. Es ist aber bezeichnend, Arbeit danken. Sie sind für uns im Verteidigungsaus- dass im Bericht des Wehrbeauftragten kein Satz, kein schuss ein unverzichtbares Instrument. Sie sind unser Wort darüber steht, dass Soldaten bei der Anwendung Ohr an der Truppe und geben uns und dem Ministerium von militärischer Gewalt in irgendeiner Form verantwor- wichtige Hinweise, wo etwas schiefläuft und wo wir ge- tungslos oder völkerrechtswidrig gehandelt haben. gebenenfalls politisch oder vonseiten des Ministeriums (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nachsteuern müssen. neten der SPD) Ein Thema, das Sie in Ihrer Amtszeit immer wieder Ich kann Ihnen sagen: Die Soldaten sind hervorragende aufgegriffen haben – das gefällt nicht jedem; das ist aber Botschafter unseres Landes im Ausland. Sie verdienen wichtig –, ist die Frage der Ausrüstung. Ausrüstung ist das Vertrauen, das wir ihnen hier im Parlament entge- Teil der Attraktivität. Ausrüstung ist Teil der Verantwor- genbringen. Sie verdienen auch die bestmögliche Aus- tung des Dienstherrn und des Parlamentes. Eine gute rüstung. Ausrüstung ist auch eine sicherheitspolitische Notwen- digkeit. Wir haben in dieser Woche eine wichtige Debatte zum Thema Einsatzbereitschaft geführt. Da gibt es The- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. men, bei denen wir nachsteuern müssen. Für jeden ein- Heidtrud Henn [SPD]) zelnen Bereich gibt es immer Begründungen – die In- Wir erleben gerade eine unglaubliche Gleichzeitigkeit spekteure haben viele Begründungen geliefert –, warum von verschiedenen Krisenherden in der Welt. Dies macht dieses oder jenes nicht funktioniert. Aber in der Summe es notwendig, dass die Bundeswehr zum Beispiel im ist es für uns natürlich unbefriedigend. Wir wollen eine Irak und bei der Bekämpfung von Ebola plötzlich und gut ausgerüstete Bundeswehr, die jederzeit einsatzbereit schnell reagiert. Wir haben unsere Bundeswehr schon re- ist. Dafür kämpft der Wehrbeauftragte, dafür kämpfen (B) duziert; das ist das Konzept „Breite vor Tiefe“. Wir ha- wir. (D) ben aber die Breite vorgehalten. Damit dieses Konzept funktioniert, ist es unerlässlich, dass die Ausrüstung, die Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wir haben, funktioniert und für Einsatzzwecke zur Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fügung steht. Lieber Herr Wehrbeauftragter, ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie da den Finger in die Wunde Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: gelegt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Es ist aber auch wichtig für uns im Parlament. Wir be- Aussprache. schließen hier jedes Auslandsmandat der Bundeswehr. Ein Auslandsmandat ist immer auch mit Risiken für Leib Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi- und Leben der Soldaten verbunden. Wenn wir das be- gungsausschusses zu dem Jahresbericht 2013 des Wehr- schließen, ist von unserer Seite damit die Verpflichtung beauftragten; das sind die Drucksachen 18/300 und verbunden, dass wir den Soldaten die entsprechende 18/1917. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Un- Ausrüstung zur Verfügung stellen, damit diese Risiken terrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für Leib und Leben minimiert werden. für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die CDU/ CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer stimmt Meine Damen und Herren, ich will in dem Zusam- dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist die Linke. Damit menhang auf eine Debatte hinweisen, die heute noch ist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der nicht angesprochen worden ist, aber die der Wehrbeauf- Stimmen angenommen worden. tragte vor der Sommerpause sehr intensiv geführt hat: die Beschaffung von möglicherweise bewaffnungsfähi- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: gen Drohnen. Sie ermöglichen auf der einen Seite bes- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas sere Aufklärung, auf der anderen Seite, wenn es nötig Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, ist, einen zielgenaueren Waffeneinsatz, damit das Risiko weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- für die eigenen Soldaten und für möglicherweise betei- NIS 90/DIE GRÜNEN ligte Zivilisten minimiert werden kann. Mit Transparenz Steuervermeidung multina- Wenn wir hier im Parlament mit Mehrheit einen Ein- tionaler Unternehmen eindämmen – Country- satz beschließen, dann ist es auch ethisch geboten, eine by-Country-Reporting einführen angemessene Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Wir haben gerade bei den Drohnen, aber auch bei anderen Drucksache 18/2617 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5009

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Überweisungsvorschlag: (Manfred Zöllmer [SPD]: Wir sind dabei, Herr (C) Finanzausschuss (f) Kollege!) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Zeigen Sie, dass Sie es ernst meinen mit dem Kampf ge- Entwicklung gen Steuervermeidung! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Problem ist: Die Konzernberichterstattung ist derzeit eine Blackbox. Sie sehen nur das zusammenge- Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Red- fasste Ergebnis aller weltweiten Konzerngesellschaften, ner Herrn Dr. Thomas Gambke das Wort. aber die länderbezogenen Angaben sehen Sie nicht. Sie können also nicht erkennen, ob der Konzern seine Ge- Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- winne in Niedrigsteuerländer schleust und wie er das NEN): macht. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das müssen wir ändern. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuhörer auf den Rängen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Zur späten Stunde reden wir darüber des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) (Manfred Zöllmer [SPD]: So spät ist es ja nun Die OECD hat jetzt einen Vorschlag zu länderbezoge- auch nicht!) nen Offenlegungspflichten gemacht, Country-by-Coun- try-Reporting genannt. Aber ist das wirklich der Durch- – so spät ist es nicht; das ist richtig –: Unternehmen bruch? Nein! Denn die OECD schlägt vor, dass die sollen dort Steuern zahlen, wo ihre tatsächliche Wert- Informationen nur an die jeweiligen Finanzämter weiter- schöpfung stattfindet und öffentliche Güter in An- geleitet werden, also nicht öffentlich sind. Damit haben spruch genommen werden – ein Satz, den wohl jeder wir gar nichts gewonnen. Im schlimmsten Fall führt das hier unterschreiben wird. Die Praxis sieht anders aus: sogar zu einem noch intensiveren Streit der nationalen Multinationale Unternehmen verschieben heute ihre Steuerbehörden, aber nicht zu einer Lösung des Pro- Gewinne ganz legal in Niedrigsteuerländer, sie spie- blems. Deshalb fordern wir Transparenz bei allen wichti- len verschiedene Steuerrechtssysteme gegeneinander gen Eckdaten der Konzerne, also Öffentlichkeit. aus. Gleichzeitig locken Staaten aktiv mit extremen steu- erlichen Sonderangeboten. Meine Damen und Herren, Es ist ganz simpel: Wir brauchen die öffentliche Kennt- wir sind uns hoffentlich auch noch hier darüber einig, nis über die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen (B) dass wir diesen Zustand dringend verändern müssen. im Verhältnis zu ihren Steuerzahlungen, damit die Öf- (D) fentlichkeit nachvollziehen kann, ob das einzelne Unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nehmen seinen Obolus wirklich entrichtet. Wenn ein bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- Missverhältnis besteht, weil ein Unternehmen in erhebli- ordneten der CDU/CSU) chem Maße wirtschaftlich tätig ist, aber keine Steuern zahlt oder wirtschaftlich nicht tätig ist, aber hohe Ge- – Mich freut der Beifall über alle Fraktionen hinweg. winne anfallen, dann müssen wir handeln. Da muss öf- fentlicher Druck entstehen; denn nur dann werden die Auch Frau Merkel und Herr Schäuble teilen diese Staaten bereit sein, ihre individuelle nationale Steuerge- Auffassung. Sie haben der OECD im Rahmen der G 20 setzgebung zu verändern. Deshalb brauchen wir die den Auftrag erteilt, aktiv gegen Steuergestaltung vorzu- Transparenz. gehen. Denn unter dem Strich verlieren Nationalstaaten Steuereinnahmen. Am Ende sind die kleinen und mittle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ren Unternehmen die Dummen; denn sie können die Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Also Fi- Steuertricks der Großen nicht anwenden. Es gibt wissen- nanzämter können auch für sich handeln, wenn schaftliche Evidenz dahin gehend, dass multinationale sie das Wissen haben!) Unternehmen 30 Prozent weniger Steuern zahlen als kleine und mittlere Unternehmen. Da wird der Wettbe- Aber wer blockiert das? Das sind natürlich die Kon- werb massiv verzerrt, und deshalb müssen wir das än- zerne, die befürchten, möglicherweise durch eine höhere dern. Steuerquote belastet zu werden. Da müssen Sie sich fra- gen, Herr Brinkhaus: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ich?) Aber wie können wir das eindämmen? Wir müssen Ist es wirklich richtig, die Frösche zu fragen, wenn Sie wissen, welche wirtschaftliche Aktivität, welche Wert- den Teich trockenlegen wollen? Fragen Sie einmal die schöpfung das einzelne Unternehmen in einem Land hat. Mittelständler! Fragen Sie kleine und mittlere Unterneh- In der letzten Legislatur haben wir mit Ihnen, den Kolle- men! Sie werden unsere Forderung unterstützen, diese ginnen und Kollegen von der SPD, einen entsprechen- Steuerpraktiken endlich öffentlich zu machen. den Antrag zu länderbezogenen Offenlegungspflichten hier in den Bundestag eingebracht. Jetzt gehe ich davon aus, dass Sie Ihre Kollegen von der Union dazu bewe- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: gen, mitzumachen. Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. 5010 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Punkt, sondern ein Punkt, den auch wir für sinnvoll und (C) NEN): zweckmäßig halten. Wir halten es allerdings nicht nur Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, für ausreichend, sondern vor dem Hintergrund des in wir legen Ihnen heute einen sehr konstruktiven Vor- Deutschland immer noch geltenden Steuergeheimnisses schlag zur Eindämmung von Steuergestaltung vor. Die auch für angebracht, dass hier ein sauberes Reporting SPD hat schon einmal zugestimmt. Machen Sie mit! gegenüber den Steuerbehörden stattfindet. Da soll dann Lassen Sie uns nicht nur reden, sondern auch handeln! sichergestellt werden – das kann auf diese Art und Weise Unterstützen Sie unseren Vorschlag, öffentliches Coun- auch sichergestellt werden –, dass die Steueransprüche try-by-Country-Reporting einzuführen. durchgesetzt werden. Das ist der entscheidende Punkt. Wir halten nichts davon, einen Pranger zu errichten und Danke schön. einzelne Unternehmen an diesen Pranger zu stellen. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie sehen schon an der gegenwärtig stattfindenden Diskus- des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) sion über große Unternehmen wie Google, Amazon und Starbucks – diese sind ja vielfach Gegenstand der Dis- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: kussion –, dass manche Steuerpraktiken völlig offen und Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Mathias offensichtlich sind. Gleichwohl lassen sich diese Unter- Middelberg das Wort. nehmen davon nicht beeindrucken. Sie würden sich im Zweifel auch von einem schlichten Reporting nicht be- (Beifall bei der CDU/CSU) eindrucken lassen.

Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Wir müssen zum Kern der Sache kommen: Wir müs- sen mit den internationalen Partnern auf dem Verhand- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber lungswege eine wirkliche Harmonisierung der Besteue- Herr Gambke, was die Zielsetzung angeht, wir sind uns rung erreichen. Das ist ein schwieriger Weg. Aber ich ja einig. Ich denke, wir alle im Haus verfolgen das Ziel, glaube, Wolfgang Schäuble ist da schon einige Schritte legale Steuervermeidung und die Verlagerung von Ge- winnen in beträchtlichem Ausmaß zu bekämpfen. vorangekommen. Wir haben gute Erwartungen, dass wir auf diesem Weg weiterkommen werden. Aber wovon ich Nun kann man einzelne Elemente herausgreifen und nichts halte, ist ein öffentlicher Pranger. Das kann nicht im Detail diskutieren, in diesem Fall das Country-by- Sinn der Sache sein. Country-Reporting. Wir halten es aber für sinnvoller, ein wirkliches Gesamtprogramm ins Werk zu setzen. Denn (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard es ist ja nicht mit einzelnen Maßnahmen – ich will gleich Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die (D) (B) gerne auf das Country-by-Country-Reporting eingehen – Unternehmensbilanz ist doch auch kein Pran- getan. Unser Bundesfinanzminister ist – das finde ich ger!) sehr richtig, und das möchte ich an dieser Stelle aus- drücklich loben – da wirklich beispielhaft in der Welt, Im Übrigen haben Sie den § 267 HGB erwähnt und indem er das Programm gegen Base Erosion and Profit sprechen in Ihrem Antrag von ziemlich großen Unter- Shifting, also gegen das Abschmelzen der Steuerbasis nehmen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was unter und das internationale Verschieben von Gewinnen, ganz § 267 HGB fällt, sehen Sie, dass das durchaus auch die massiv mit gepusht hat. Breite des gehobenen Mittelstands umfasst. Da sind Sie bei 38 Millionen Euro Umsatz und 250 Arbeitnehmern. Am letzten Wochenende war das Finanzministertref- Gleichzeitig fordern Sie weniger Bürokratie. Das wäre fen in Australien. Da ist ein umfassender Katalog, aber gerade ein Beitrag zu mehr Bürokratie. Zudem sind nämlich das OECD-Projekt BEPS, beraten worden. das nun wirklich nicht die Patienten – um das einmal un- Die Finanzminister der OECD sind sich zunächst ein- technisch zu sagen –, die uns beim Thema Steuerverla- mal, jedenfalls im Wesentlichen, wenigstens über sieben gerung im großen internationalen Rahmen Probleme ma- Punkte einig geworden. Es ist ein großer Katalog, ein chen. Auch das muss man einmal sagen. umfassendes Programm. Es gibt noch weitere Punkte, die da beraten werden. Das wird uns auch noch eine Zeit Ich halte nichts davon – das ist der letzte Punkt –, lang beschäftigen. Aber ich halte es für sinnvoll und wenn wir in der Frage des Reportings an die gesamte Öf- auch für unumgänglich – sonst bekommen wir das Pro- fentlichkeit eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir geben in blem der internationalen Gewinnverlagerung gar nicht in den Verhandlungen, wenn wir auf der anderen Seite auch den Griff –, es im Rahmen eines großen, umfassenden nehmen können. Unser Ziel muss es sein, eine wirkli- Paketes anzugehen, bei dem wir Transparenz und auch che Harmonisierung zu erreichen, eine gleichmäßige eine Harmonisierung der Besteuerung anstreben. Das Besteuerung auf internationaler Ebene. Dann werden muss unser Ziel sein. wir die Krankheit der Gewinnverlagerung und der Steu- ervermeidung heilen können. Das muss das Ziel sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit BEPS und weiteren Initiativen sind wir auf einem Jetzt möchte ich etwas zum Country-by-Country-Re- guten Weg. Ende Oktober findet auf Einladung unseres porting sagen. Auch dieser Ansatz ist ja nicht unvernünf- Bundesfinanzministers ein großes Treffen der Finanzminis- tig. Sie haben richtigerweise betont: Auch er ist Teil des ter statt, auf dem 40 Staaten ein Abkommen unterzeichnen BEPS-Kataloges. Da geht es um die Verrechnungspreis- werden, nach dem es ab 2017 einen automatischen Infor- dokumentation. Das ist überhaupt kein problematischer mationsaustausch gibt. Das sind grundlegende Schritte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5011

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: gen des Antrags ausdrücklich. Dort, wo die Wertschöp- (C) Herr Kollege, auch Sie müssen jetzt zum Schluss fung der großen Unternehmen stattfindet, müssen sie kommen. auch Steuern zahlen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Das sind Schritte in der Breite, mit denen wir wirklich ten der SPD) vorankommen. Mehr Offenlegungspflichten sind zwar ein wichtiger Vielen Dank. Schritt, aber eben nur ein Schritt zur Bekämpfung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gewinnverschleierung. neten der SPD) Interessant ist das Verhalten der Großen Koalition in dieser Sache. In der letzten Legislaturperiode hat die Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: SPD noch gemeinsam mit den Grünen die Einführung Als nächster Redner hat der Kollege Richard Pitterle des Country-by-Country-Reportings, also die Offenle- das Wort. gung, gefordert. Nun steht das sogar im Koalitionsver- (Beifall bei der LINKEN) trag, den die SPD mit der Union geschlossen hat. Ob die Union hier mitspielen wird, wage ich allerdings zu be- Richard Pitterle (DIE LINKE): zweifeln. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- Lieber Herr Kollege Binding von der SPD, ginnen und Kollegen! Wirtschaftsminister Gabriel be- zeichnete die Steuervermeidungsstrategien der Konzerne (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja?) von A wie Amazon oder Apple bis Z wie Zara – diese Sie erklärten damals, die Ideen dieses Antrags zur Ver- Liste ist längst nicht vollständig – kürzlich als „asozial“. hinderung von Steuervermeidung seien mutig und kon- Dazu kann ich nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe! Nicht nur sequent. jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer, auch jeder Handwerker und jeder Inhaber eines mittelständischen (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja!) Betriebs, also alle, die brav ihre Steuern zahlen, bekom- men zu Recht einen dicken Hals, wenn sie sehen, wie in- Lassen Sie, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von ternational tätige Unternehmen jedes, aber auch wirklich der SPD-Fraktion, diesen Worten doch auch Taten fol- jedes Schlupfloch nutzen, um ihre Steuerzahlungen zu gen, und setzen Sie diesen Antrag gemeinsam mit Grü- minimieren. nen und Linken zur Not auch gegen die Union durch. (B) (D) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zu (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Recht!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist in der Tat ein Skandal. Nun zur Union. Ausgerechnet die CDU/CSU hat bei (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dieser Debatte damals im Finanzausschuss – heute ist et- neten der SPD) was Ähnliches bei dem Hinweis auf den Pranger ange- klungen – den Datenschutz vorgeschoben. Ich bitte Sie, Aber eines sollte klar sein: Die bekannten Konzerne das ist doch paradox: Dass die alltägliche Kommunika- nutzen nur die Schlupflöcher, die ihnen die Politik, ins- tion der Bevölkerung durch ausländische Geheimdienste besondere die Regierung, aber auch wir als Parlament, überwacht wird, ist aus Sicht der Union nicht weiter tra- gelassen haben. Das Problem ist schon seit vielen Jahren gisch, aber wenn Konzerne ihre Daten offenlegen sollen, bekannt. Bislang können die international tätigen Unter- erfolgt der große Aufschrei. Ein Schelm, wer hier an In- nehmen ihre Gewinne intern fröhlich von Land zu Land teressenpolitik denkt. verschieben. Aus den Konzernbilanzen geht nämlich nicht genau hervor, welche Umsätze in welchem Land (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- erzielt werden. NIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist aber arg holzschnittartig!) Es ist an der Regierung, endlich zu handeln und diese Löcher zu stopfen. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Unionsfraktion, kommen Sie mir bitte nicht mit dem Steuergeheimnis. Das gilt bekanntlich nur im Verhältnis Dazu gehört in erster Linie, mehr Licht in den Dschun- zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwal- gel der Rechnungslegung zu bringen. Die Bilanzen eines tung. Im Antrag wird aber nicht verlangt, dass die Fi- international tätigen Konzerns müssen künftig nach Län- nanzverwaltung die Zahlen herausgibt. Die Offenle- dern gelistet werden. Diese Listen müssen die Gewinne gungspflicht liegt bei den transnationalen Konzernen. und die in den Ländern gezahlten Steuern enthalten. Nur Das ist durch das öffentliche Interesse an der Steuerge- so können wir uns überhaupt einen Überblick über die rechtigkeit auch allemal gerechtfertigt. Leistungsfähigkeit, den wichtigsten Anknüpfungspunkt für eine gerechte Besteuerung, verschaffen. Vielen Dank. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht daher in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die richtige Richtung. Die Linke unterstützt das Anlie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 5012 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Im vorliegenden Antrag wird eine Vorreiterrolle (C) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Cansel Deutschlands für mehr Transparenz hinsichtlich der Kiziltepe das Wort. Wertschöpfungsketten multinational tätiger Unterneh- men gefordert. Vorreiterrolle klingt gut. Wer ist nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gerne Vorreiter? der CDU/CSU) (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE Cansel Kiziltepe (SPD): GRÜNEN]: Man braucht Mut dazu!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! – Ja. – Doch was bringt eine Vorreiterrolle Deutschlands, Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr wenn niemand folgt? Gambke, auch wenn ich in der letzten Legislaturperiode noch nicht im Bundestag war, kenne ich den Antrag. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hätte mir, ehrlich gesagt, ein bisschen mehr Kreativität der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] gewünscht, als einfach den Antrag gleichlautend einzu- [SPD]: Das ist ein schöner Satz! – Dr. Thomas bringen und dabei die Fortschritte der letzten Monate zu Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An- verkennen. dere werden folgen!) (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE Als Beispiel: Es gibt aktuell etwa 300 bilaterale Ver- GRÜNEN]: Wir haben ihn schon noch er- träge, die nichts bringen. Die Verschiebebahnhöfe exis- gänzt! Sie haben ihn nicht gelesen!) tieren weiter. Die Einführung des Country-by-Country- Reportings ist zwar eine gute Idee – wir haben sie in der – Doch, habe ich. letzten Legislaturperiode bejaht –; aber der Alleingang (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE würde zu einer internationalen Asymmetrie führen. Wir GRÜNEN]: Nicht richtig!) halten es deshalb für nicht sinnvoll und im Rahmen der aktuellen Verhandlungen sogar für eher schädlich. Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass wir heute über die Steuergestaltung global tätiger Großkonzerne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sprechen; der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hier ist die internationale Staatengemeinschaft gefor- der CDU/CSU) dert. In den vergangenen 15 Monaten haben wir hin- sichtlich des Aktionsplans, mit dem Steuerschlupflöcher denn global tätige Unternehmen dürfen nicht weniger für global tätige Großkonzerne geschlossen werden Steuerbelastungen haben als andere. Wir wollen Ge- sollen, erste substanzielle Fortschritte erzielt, auch hin- (B) (D) winnverschiebungsmethoden und den internationalen sichtlich des Country-by-Country-Reportings. Am ver- Steuersenkungswettlauf stoppen. gangenen Wochenende haben sich die G-20-Staaten ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie pflichtet, einige Steuerschlupflöcher für multinationale des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ Konzerne zu schließen. Mittlerweile liegen die Richtli- DIE GRÜNEN]) nien hinsichtlich der Verrechnungspreisdokumentation vor. Diese Richtlinien der OECD sehen unter anderem Beim Country-by-Country-Reporting handelt es sich eine jährliche Berichterstattung dieser Konzerne vor, um einen Aspekt in einem größeren Zusammenhang; das zwar nicht in dem Maße, wie Sie es in Ihrem Antrag for- wurde vorhin schon zum Ausdruck gebracht. Der grö- dern; aber das ist aus unserer Sicht in diesem internatio- ßere Zusammenhang ist der Aktionsplan gegen Gewinn- nalen Zusammenhang nicht unbedingt notwendig, vor kürzungen und -verlagerungen, also gegen Base Erosion allem nicht in hochentwickelten Industriestaaten. Denn and Profit Shifting, kurz BEPS genannt, welcher eine eine gute solide Finanzverwaltung benötigt keinen zu- Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung aggressiver sätzlichen Druck der Öffentlichkeit. Steuerplanung und Gewinnverlagerung in Niedrigst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steuerländer vorsieht. Diese Gewinnverschiebungsme- der CDU/CSU – Dr. Thomas Gambke thoden sind heute völlig legal. Das ist fatal. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wegt sich dann nichts? Warum ist es so, wie es der CDU/CSU und der LINKEN) ist?) Daher ist dieses Projekt die wichtigste internationale Der von der OECD vorgesehene Austausch zwischen Steuerreform seit 100 Jahren und ein Beitrag für mehr den Finanzbehörden wird funktionieren und zielführend Steuergerechtigkeit. Großzügige Steuergeschenke kön- sein. nen wir uns wahrlich nicht leisten. Das Country-by- Wir teilen ja viele der Punkte in Ihrem Antrag – es ist Country-Reporting ist lediglich ein Teil des BEPS-Ak- ja nicht so, dass wir alles verneinen –, insbesondere die tionsplans. Ihre Forderung nach einer Einführung des Analyse, die Sie vornehmen, um das Problem der Steu- Country-by-Country-Reportings allein in Deutschland ervermeidung internationaler Großkonzerne zu beseiti- schafft vielleicht öffentliche Empörung; aber dieser Al- gen. Wir unterstützen auch den Ansatz, dass wir hier leingang beseitigt nicht das Problem der Niedriglohnbe- eine internationale Zusammenarbeit brauchen. Die Er- steuerung im Ausland. gebnisse der letzten Monate sind aber Antworten auf (Beifall bei der SPD) Ihre Forderungen. Mit einem nationalen Vorreitermo- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5013

Cansel Kiziltepe (A) dell, das Sie fordern, kommen wir in diesem Punkt wirk- (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE (C) lich nicht weiter. GRÜNEN]: Es kommen noch weitere Vor- schläge!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beides erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht. Stattdessen ist das gemeinschaftliche Vorgehen der mitt- (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Genau! lerweile 44 Staaten richtig. Gemeinsam hat man sich auf Uns auch nicht!) den Aktionsplan gegen Steuergestaltung und -vermei- Daher bin ich gespannt auf die Behandlung und Bera- dung verständigt, und nur gemeinsam wird man am tung des Antrags im Ausschuss. Ende auch global erfolgreich sein. Vielen Dank. Wenn man über Country-by-Country-Reporting bzw. auch allgemein über Maßnahmen gegen BEPS redet, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) muss man eines betonen: Es geht hier – dieser Punkt ist mir wirklich besonders wichtig – um Steuergerechtig- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: keit, Als letzter Redner in dieser Debatte hat Philipp Lerchenfeld das Wort. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Genau!) (Beifall bei der CDU/CSU) um Wettbewerbs- und Chancengleichheit für die Unter- nehmen, die sich dieser Methoden zur Verlagerung von Gewinnen nicht bedienen können. Durch die Steuerver- Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): meidung der internationalen Großkonzerne haben deut- Verehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Verehrte sche mittelständische Unternehmen einen gravierenden Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach darge- Wettbewerbsnachteil, und das wollen wir beseitigen. stellt worden, welchen großartigen Verhandlungserfolg die Finanzminister der G-20-Staaten in Australien errei- (Beifall bei der SPD) chen konnten. Ich möchte natürlich auch betonen, dass es sich beim (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE Kampf gegen die internationale Steuergestaltung in ers- GRÜNEN]: Sie haben keine Lizenzbox ver- ter Linie um den Kampf gegen ein skandalöses Verhalten hindert! Das ist schwierig! Gar nichts!) von Unternehmen handelt. Dieses Verhalten gegenüber Sieben Punkte wurden verabschiedet, und acht weitere der Allgemeinheit ist wirklich abstoßend. Die Nutzung Punkte, die die OECD ebenfalls vorgeschlagen hat, wer- (B) (D) der staatlichen Infrastruktur wird als gegeben vorausge- den im kommenden Jahr verhandelt werden. setzt; an den Kosten will sich aber keiner beteiligen. Deshalb halten wir die Bekämpfung der Gewinnver- Unter anderem ist in Australien über das von der schiebungsmethoden und selbstverständlich auch das OECD vorgeschlagene einheitliche Modell für Steuerer- Country-by-Country-Reporting für notwendig. Es ist klärungen von Unternehmen verhandelt worden. Hierbei klar: Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und geht es um den Punkt Harmonisierung. Außerdem sollen dürfen diese Methoden nicht dulden; denn wir sind auf die Unternehmen Auskunft über ihre Umsätze, Gewinne, die Steuereinnahmen dringend angewiesen und wissen, Beschäftigten und die Steuern, die sie in den unter- wie schwierig es ist, mit wenig öffentlichen Mitteln schiedlichen Ländern zahlen, geben. Diese Erklärungen staatlich aktiv zu sein. sollen aber nicht veröffentlicht, sondern den Steuerbe- hörden anderer Länder übermittelt werden. Das ist eine Daher frage ich mich, was mit diesem Antrag erreicht kluge Entscheidung. werden soll. Er ist zwar eindrucksvoll, bringt in der Sa- che aber nur wenig, und eine Beschleunigung des Ver- Inzwischen hat sich in vielen Ländern weitgehend die fahrens ist damit auch nicht zu erwarten. Angesichts des- Meinung durchgesetzt – sogar dort, wo Steuerflucht eine sen, was bis jetzt bereits erreicht worden ist, finde ich es entsprechende Amassierung von Vermögen bringt –, beinahe fahrlässig, einen solchen Antrag zu stellen. dass man gegen Steuerflucht etwas unternehmen muss. Mit einem legalen Trick namens „Double Irish“ können Der Zeitplan ist klar: Er sieht die ersten sieben Maß- Großkonzerne aus Amerika wie Google und Microsoft nahmen inklusive des Country-by-Country-Reportings ihre Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe über Ir- bis Ende des Jahres vor. Die Umsetzung der weiteren land in die Karibik verschieben. Wenn sie es klug anstel- acht Maßnahmen soll bis Ende 2015 erreicht werden. len, machen sie das Ganze mit dem „Dutch Sandwich“; Das Wichtigste ist: Es funktioniert. Bereits Ende des das heißt, sie sparen auch noch die Quellensteuer in Ir- nächsten Jahres wird man evaluieren und gegebenenfalls land. Auch die USA haben mittlerweile erkannt, dass ih- nachsteuern. nen durch entsprechende Steuergesetze Milliardenge- winne, in etwa 1 Billion US-Dollar, entgehen. Insgesamt Daher bleibe ich bei meinen Fragen: Warum sollen ist erkennbar, dass aus diesen Gründen die Steuerbehör- wir vom internationalen Vorgehen abweichen? Warum den der meisten Länder Maßnahmen vorbereiten oder löst man eine einzelne Maßnahme aus insgesamt bereits ergriffen haben, um Steuerflucht zu verhindern. 15 gleichwertigen heraus und präsentiert sie als Ei des Kolumbus beim Vorgehen gegen Steuervermeidung und Sie, liebe Kollegen von den Grünen, fordern in Ihrem Steuerplanung? Antrag unter dem Mäntelchen der Transparenz die Of- 5014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Philipp Graf Lerchenfeld (A) fenlegung der Steuerbelastung internationaler Konzerne Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (C) nach einzelnen Ländern. Das widerspricht erstens den schusses für Recht und Verbraucherschutz Vorschlägen der OECD und entspricht zweitens in kei- (6. Ausschuss) ner Weise dem in Deutschland Gott sei Dank immer Drucksache 18/2643 noch geltenden Steuergeheimnis. Ich frage mich natür- lich: Wie soll man das gegen international bereits abge- Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat stimmte OECD-Punkte eigentlich durchsetzen? Wenn den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Sie sagen, Deutschland solle die Vorreiterrolle überneh- auf Drucksache 18/478 zum Übereinkommen der Ver- men, glauben Sie dann, dass alle hinterherlaufen? Da ha- einten Nationen gegen Korruption in seine Beschluss- ben Sie wohl ein bisschen zu viel von der Wirkung deut- empfehlung mit einbezogen. Dieser Gesetzentwurf soll scher Steuergesetze in der Welt erwartet. jetzt ebenfalls beraten werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ihr Antrag ist ziemlich populistisch. Sie wollen an- scheinend nur internationale Konzerne als Buhmänner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für an den Pranger stellen. Es geht Ihnen dabei nicht darum, die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Steuerflucht, die durch ein 15-Punkte-Programm der nen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. OECD ganz klar verhindert wird, zu verhindern. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Staatssekre- (Beifall bei der CDU/CSU) tär Christian Lange als erstem Redner das Wort.

Kollege Gambke, Sie haben vorhin beim Begriff Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- „Steuergeheimnis“ so komisch geschaut. Ich hoffe, Sie minister der Justiz und für Verbraucherschutz: verstehen, was ich damit meine. Das ist nämlich eine der Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und wichtigsten Regelungen, die wir in Deutschland haben. Herren! Der Bundestag entscheidet heute über die Zu- stimmung zum Übereinkommen der Vereinten Nationen Wir begrüßen auf jeden Fall den Verhandlungserfolg, vom 31. Oktober 2003 gegen Korruption. Korruption den die Finanzminister in Australien erzielt haben. Wir untergräbt das Vertrauen in die Integrität und Funktions- lehnen Ihren Antrag ab, weil Ihr Vorschlag eines Coun- fähigkeit von Verwaltungen und Regierungen. Sie behin- try-by-Country-Reporting das Steuergeheimnis in funda- dert einen freien und fairen Wettbewerb und verursacht mentaler Weise verletzt und die Verhandlungen über ver- erhebliche volkswirtschaftliche Schäden. Die Verhinde- nünftige OECD-Vorschläge auf jeden Fall erschweren rung und Bekämpfung von Korruption in allen Ausprä- würde. gungen gehört daher zu den zentralen staatlichen Aufga- (B) Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ben. (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Korruption ist freilich kein nationales Phänomen. Sie neten der SPD) macht vor staatlichen Grenzen bekanntlich nicht halt. Gründe hierfür sind die Öffnung von Grenzen, die enge Zusammenarbeit vieler Staaten auf dem Weltmarkt und Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: die Globalisierung der Wirtschaft. Dem internationalen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Phänomen Korruption ist deshalb auch durch ein inter- Aussprache. national abgestimmtes Vorgehen der Staatengemein- schaft entgegenzutreten. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2617 an die in der Tagesordnung aufge- Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Korruption wurde am 31. Oktober 2003 von der Gene- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung ralversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. so beschlossen. Es ist das erste weltweite Regelungswerk zur Bekämp- fung der in- und ausländischen Korruption. Es wurde Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: mittlerweile von 170 Vertragsstaaten ratifiziert und hat damit bei einer Mitgliederzahl der Vereinten Nationen – Zweite Beratung und Schlussabstimmung von 193 Staaten nahezu universelle Geltung. Deutsch- des von der Bundesregierung eingebrachten land hat das Übereinkommen bereits am 9. Dezember Entwurfs eines Gesetzes zu dem Überein- 2003 unterzeichnet und gehört damit zu den Erstunter- kommen der Vereinten Nationen vom zeichnern des Übereinkommens. 31. Oktober 2003 gegen Korruption (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Drucksache 18/2138 In den vergangenen Jahren hat Deutschland erhebli- – Zweite Beratung und Schlussabstimmung che Anstrengungen im Kampf gegen Korruption unter- des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE nommen. GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE setzes zum Übereinkommen der Vereinten GRÜNEN]: Aber nicht ratifiziert!) Nationen gegen Korruption Bestechungsfälle im In- und Ausland können verfolgt Drucksache 18/478 werden und werden verfolgt. Das Bewusstsein für die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5015

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) Sozialschädlichkeit von Korruption ist heute sehr viel Angesichts von rund 8 000 Korruptionsdelikten im (C) höher als früher. Jahr fällt auf, dass der Anteil der politischen Ebene rela- tiv gering ist. Das heißt aber nicht, dass Abgeordnete die In einem Punkt blieb Deutschland allerdings hinter besseren Menschen sind. Das liegt vielmehr daran, dass den Vorgaben des Übereinkommens zurück: bei der Ab- es an entsprechenden Strafvorschriften fehlte. geordnetenbestechung. Die Kritik, die dies, wie ich meine, zu Recht hervorgerufen hat, dürfte uns allen wohl (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und entspre- noch in Erinnerung sein. Ich möchte an dieser Stelle chenden Taten!) ganz bewusst keine inhaltlichen Ausführungen zum Um diese Lücke zu schließen, haben wir vor der Som- Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung machen. merpause gemeinsam unsere Hausaufgabe gemacht. Der Bundestag hat entschieden. Der erweiterte Straftat- Doch zumindest die Lehrer hier im Haus werden wissen, bestand der Abgeordnetenbestechung ist seit dem dass es, um eine gute Note zu bekommen, nicht reicht, 1. September dieses Jahres in Kraft. Ich möchte die Ge- die Hausaufgaben einfach nur machen, sondern dass legenheit nutzen, den Koalitionsfraktionen für ihre Ini- man sie auch richtig, gut und vor allem vollständig ma- tiative herzlich zu danken. Dadurch ist es möglich, die chen muss. Für eine Eins oder eine Zwei reicht das in Vorgaben des Übereinkommens zu erfüllen. Das ist diesem Fall noch nicht ganz. heute der Fall. Heute geht es also darum, den Weg für die Ratifikation frei zu machen, damit Deutschland dem (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Übereinkommen der Vereinten Nationen als einem der GRÜNEN]: Stimmt!) wichtigsten internationalen Instrumente gegen Korrup- tion endlich angehören kann. Genau darum bitte ich Sie Ich darf Sie an dieser Stelle noch einmal an meine heute Abend. Kritik zur sehr engen Fassung der Abgeordnetenbeste- chung erinnern. Die enge Bindung erlangter Vorteile an Herzlichen Dank. klar nachweisbare Anweisungen und Aufträge macht diese Strafvorschrift fast unanwendbar. Die Linke hat (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) diesem Straftatbestand damals im Interesse der Ratifizie- rung dieses Übereinkommens zugestimmt, aber mit der Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: klaren Ansage, dass wir natürlich eine Evaluierung der Als nächster Redner spricht Frank Tempel. Anwendbarkeit der Strafvorschrift in der Praxis einfor- dern werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (B) Frank Tempel (DIE LINKE): Wenn zum Beispiel ein Konzern einem Abgeordneten (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Geld oder geldwerte Vorteile zukommen lässt und dafür und Herren! Während meiner Dienstzeit beim Landes- nur allgemein ein Handeln in seinem Sinne erwartet und kriminalamt Thüringen war ich drei Jahre ausschließlich bekommt, ist das nach wie vor nicht strafbar. Es ist aber mit Korruptionsdelikten beschäftigt, drei Jahre, in denen definitiv eine korruptive Verhaltensweise. Mehr als eine ich lernte, dass Deutschland beim Thema Korruption Vier minus ist also für die Hausaufgabe „Straftatbestand keinen Grund hat, auf andere Länder zu zeigen, da sich der Abgeordnetenbestechung“ nicht zu vergeben. Die auch hier noch einiges im Argen befindet. Insofern be- Linke wird dafür kämpfen, dass es einen wirksamen steht hier im Haus wohl Einigkeit darüber, dass es eine Straftatbestand auch in diesem Bereich geben wird. absolute Notwendigkeit ist, dass sich auch die Bundesre- (Beifall bei der LINKEN) publik an einem Übereinkommen beteiligt, bei dem es um so wichtige Punkte geht wie Vorschriften zur Kor- Wir haben noch weitere Hausaufgaben, und ich sagte ruptionsprävention, Vereinbarungen zu Strafvorschrif- ja, dass man die Hausaufgaben auch vollständig machen ten und Vereinbarungen zum Umgang mit durch Korrup- muss. Seit 2009 kritisiert der Europarat mangelnde Vor- tion erlangten Vermögenswerten. Bis zu dieser Stelle gaben zur Parteienfinanzierung. Auch das gehört dazu. können übrigens alle klatschen. Da geht es zum Beispiel um Fragen der Zulässigkeit von Direktspenden an Abgeordnete oder um die hohen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Grenzwerte bei der Veröffentlichung von Spenden an die neten der SPD und der Abg. Elisabeth Parteien. Auch das gehört zum Thema Korruptionsprä- Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) vention, auch wenn Sie das nicht gern hören angesichts Dieses Übereinkommen der Vereinten Nationen der Spenden, die Sie bekommen. wurde, wie gesagt, am 31. Oktober 2003 beschlossen (Zuruf von der CDU/CSU: Und was ist mit und von Deutschland im selben Jahr unterzeichnet. Das dem SED-Vermögen?) war im Jahr 2003, meine Damen und Herren. So viel zum Thema Erstunterzeichner; denn erst jetzt, 2014, – Ja, wenn Sie es finden. Ich würde auch gern etwas ab- kommen wir zur Ratifizierung dieses Abkommens. Dass haben wollen. das so lange gedauert hat – die Gründe dafür hat mein (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Vorredner bereits benannt –, lag unter anderem daran, Lachen bei der CDU/CSU) dass es dem Bundestag nicht gelang, sich auf eine ent- sprechende Strafvorschrift zur Abgeordnetenbestechung – Ja, ich habe einen Kreisverband, der immer bei plus/ zu einigen. minus null liegt. Wir würden uns alle freuen, wenn die- 5016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Frank Tempel (A) ses Geld dann auch vernünftigen Zwecken zugutekäme. auch in den unterschiedlichsten Mehrheitskonstellatio- (C) Bloß, bisher ist es ja nicht zu finden. nen darum gerungen, eine Lösung zu finden. Einen Vorschlag von Transparency International soll- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ten wir auch noch diskutieren, nämlich den Vorschlag, GRÜNEN]: Aber nicht gefunden, weil Sie eine Wertgrenze von 150 Euro bei Einladungen und Ge- nicht wollten! Die Union hat sich geweigert!) schenken an Abgeordnete vorzuschreiben. Im Europarat Die Diskussion hat viel Zeit in Anspruch genommen. ist das übrigens eine gängige Lösung. Diese Idee ist des- Jetzt sind wir aber weitergekommen. halb eine Diskussion wert, weil eine derartige Grenze das Problem der korruptiven Einflussnahme lösen Das Übereinkommen ist zwischenzeitlich von könnte; denn wie gesagt: Der bisherige Straftatbestand 170 Staaten ratifiziert worden. Deutschland wird nun der Abgeordnetenbestechung verhindert das nicht. bald auch dazugehören. Es sind dann nur noch wenige Länder übrig – wie Saudi-Arabien, Sudan, Nordkorea Die Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korrup- und Syrien –, die diese Konvention nicht gezeichnet ha- tion ist also kein Anlass zum Schulterklopfen, sondern ben. Es war ja auch immer Gegenstand der Diskussio- sollte uns Motivation sein, den Kampf gegen Korruption nen, dass gesagt wurde: Mit diesen Staaten wollen wir gerade im politischen Bereich wirklich ernsthaft zu füh- uns nicht gemeinmachen. ren. Scheinparagrafen gehören nicht dazu. Da die Lampe vor mir blinkt, sage ich nur noch: Man darf eben nicht Jetzt ratifizieren wir das Übereinkommen und treten sagen, man habe Hausaufgaben gemacht, sondern man damit in den Kreis der Staaten ein, die das Abkommen muss sagen: Ich muss die Hausaufgaben besser machen, umgesetzt haben. Das ist, für sich genommen, natürlich ich muss sie vollständig machen. noch kein Garant dafür, dass gegen korruptive Verhal- tensweisen vorgegangen wird; denn zu den Staaten, die Danke. die Konvention gezeichnet und umgesetzt haben, gehö- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ren zum Beispiel Libyen, Venezuela und Paraguay, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sicherlich keine Musterbeispiele, was das Thema Kor- ruptionsbekämpfung angeht. Bislang scheiterte die Rati- fizierung der UN-Konvention in Deutschland daran, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: dass es Änderungen im materiellen Strafrecht bedurfte, Als nächster Redner hat Ansgar Heveling das Wort. insbesondere die Erweiterung des Straftatbestandes der (Beifall bei der CDU/CSU) Abgeordnetenbestechung, gegen die lange erhebliche Bedenken bestanden und um die sich eine lange Diskus- sion entsponnen hat. (B) Ansgar Heveling (CDU/CSU): (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Deutschland ist die Bekämpfung der Korruption Ich glaube, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. aber ein wichtiges Anliegen. Deutschland verfügt schon Wir haben unsere Hausaufgaben gut gemacht seit vielen Jahren über ein hohes strafrechtliches Schutz- niveau bezüglich der Korruption. Wir hatten auch schon (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE mit § 108 e StGB in alter Fassung einen Straftatbestand, GRÜNEN]: Fragen wir mal die Lehrer!) der als Verbot des Stimmenkaufs oder -verkaufs die Ab- geordnetenbestechung im Ansatz geregelt hat. und können heute mit der Zustimmung zu dem Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkommen der Vereinten Na- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE tionen gegen Korruption einen langen Prozess, auch ei- GRÜNEN]: Aber nicht ein Mal angewandt nen langen Diskussionsprozess abschließen. Er findet wurde!) damit sein formales Ende. Wir haben viele weitere Regelungen gegen korruptive Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Zu- Verhaltensweisen in den §§ 331 ff. des Strafgesetzbu- stimmung des Bundestages zur Ratifizierung des Über- ches. einkommens der Vereinten Nationen vom 31. Oktober Darüber hinaus haben wir aber vor allem eine funk- 2003 vor, das im Dezember 2005 in Kraft getreten ist. tionierende, aktive und öffentliche Zivilgesellschaft. Das Die Konvention ist der erste weltweit völkerrechtlich ist das viel Entscheidendere. Das Entscheidende ist, dass verbindliche Vertrag zur Bekämpfung der in- und aus- wir ein gesellschaftliches Klima der Transparenz haben, ländischen Korruption. Ich glaube, wir sind uns hier alle das dafür sorgt, dass korruptive Verhaltensweisen tat- einig, dass die Konvention viele sinnvolle Regelungen, sächlich ans Licht kommen. Damit wird Korruption in beispielsweise zur Prävention und zur strafrechtlichen all ihren Formen am besten der Boden entzogen. Verfolgung der Korruption und zur internationalen straf- rechtlichen Zusammenarbeit, enthält. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland hat die Konvention bereits am 9. De- Da breche ich gerne eine Lanze für unsere funktionie- zember 2003 unterzeichnet, die Ratifikation im Folgen- rende Zivilgesellschaft. Presse und Öffentlichkeit neh- den aber nicht eingeleitet, weil bei strafrechtlichen men ihre Wächterfunktion wahr, wahrscheinlich besser, als es das Strafrecht je könnte. Vorschriften Anpassungsbedarf bestanden hat. Der Par- lamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode hat der Justiz und für Verbraucherschutz hat darauf eben schon Bundestag ein Gesetz zur Verschärfung der Regelungen hingewiesen. Der Bundestag hat über die ganzen Jahre gegen die Abgeordnetenbestechung, das am 1. Septem- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5017

Ansgar Heveling (A) ber 2014 in Kraft getreten ist, verabschiedet. Damit sind den ganzen Deutschen Bundestag. Von den Unterzeich- (C) die erforderlichen Anpassungen bei der Abgeordneten- nern dieser Konvention wird zum Beispiel gefordert, bestechung vorgenommen worden und die Vorausset- dass Sie sich Gedanken machen und in einigen Berei- zungen geschaffen worden, die jetzt eine Ratifizierung chen gesetzgeberisch tätig werden, die Sie bisher über- ermöglichen. Mithin haben wir den Weg beschritten, zu- haupt nicht angehen wollten. Das ist erstens das Korrup- nächst die erforderlichen materiell-rechtlichen straf- tionsregister. In jeder Legislaturperiode haben wir das rechtlichen Anpassungen vorzunehmen und so die mate- Thema eingebracht. Unter Rot-Grün haben wir damals riellen Voraussetzungen für die Ratifizierung geschaffen, sogar schon ein Gesetz verabschiedet, das dann aber statt durch eine Ratifizierung im Vorhinein unnötig nicht mehr zur Anwendung gekommen ist. Druck für eine zeitlich befristete Umsetzungspflicht zu begründen. Mit anderen Worten: Nachdem wir die mate- Ein Korruptionsregister für Deutschland ist dringend riellen Voraussetzungen geschaffen haben, schaffen wir erforderlich. Denn jeder Beamte – vor allem jeder und nun mit diesem Gesetz die formellen Voraussetzungen, jede Stelle im öffentlichen Bereich, die Aufträge verge- die UN-Konvention zu ratifizieren. Ich bitte daher um ben – muss doch wissen, ob ein Unternehmen, das sich Ihre Zustimmung. um einen Auftrag bewirbt, schon einmal mit Korruption aufgefallen ist. Sonst kann man doch keine vernünftige (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Entscheidung treffen. Das wollen Sie aber bisher nicht, obwohl die Konvention auch vorsieht, dass man sich da- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: rum kümmert. Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele. Ein zweiter Punkt ist: In dieser Konvention wird ge- fordert, dass die Transparenz der Parteienfinanzierung Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vervollständigt werden muss. Auch da können wir noch NEN): sehr viel leisten. Wir diskutieren das Thema immer wie- Guten Abend, Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe der im Deutschen Bundestag, sind aber mit dem, was wir Kolleginnen und Kollegen! Ich bin aus dem Untersu- alles erreichen müssen, noch lange nicht am Ende der chungsausschuss schnell herübergelaufen, um hier ei- Fahnenstange. nige Bedenken zu äußern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das haben wir Der dritte Punkt – das ist auch ein interessanter Punkt, auch nicht anders erwartet!) Herr Kollege Lange; das trifft nämlich die Regierung – Ich fange erst einmal mit einem Lob an, wie ich das ist, dass für Regierungsmitglieder Karenzzeiten einge- führt werden sollen. Man soll gesetzgeberisch tätig wer- (B) bei diesem Thema jedes Mal mache. Vor elf Jahren gab (D) es unter Rot-Grün eine sehr mutige Justizministerin. Sie den und mit Karenzzeiten regeln, wann man nach Aus- hat seinerzeit im Dezember 2003 – darauf haben einige scheiden aus dem Amt in der Industrie oder sonst schon hingewiesen – gegen den Willen der Mehrheit der irgendwo einen Job annehmen kann. Auch dafür wün- damaligen Koalition und gegen den Willen der Mehrheit sche ich Ihnen viel Glück und viel Mut. Sie haben unsere der Opposition diese Konvention unterschrieben, weil Unterstützung, wenn etwas zustande kommt. Das ist sie gesagt hat: In dieser Konvention steht so viel Richti- dringend erforderlich und muss sofort gemacht werden. ges – das stellt uns vor große Herausforderungen –, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) man sie unterschreiben muss. – Allerdings ist danach nichts geschehen. Wir sind in der Reihe der Staaten, die Jetzt komme ich abschließend zu meinem Lieb- ratifiziert haben, immer weiter nach hinten gerutscht. lingsthema – auch das ist Gegenstand der Konvention –: Heute sind wir auf Platz 170 in der Weltgemeinschaft die Whistleblower. In der Konvention ist nämlich vorge- – darauf ist schon hingewiesen worden –; das ist kein sehen, dass gesetzliche Regelungen dafür getroffen wer- medaillenverdächtiger Platz. Das lag daran – das muss den, dass man, ob im öffentlichen Dienst, in einer Firma man hier klar sagen –, dass sich die verschiedenen Ko- oder bei einem anderen Arbeitgeber, straflos und ohne alitionen – Rot-Grün hat damals noch daran gearbeitet, Nachteile Missstände, Verbrechen oder mögliche Ge- ist aber nicht ganz fertig geworden – nicht darauf einigen sundheitsgefährdungen von großen Teilen der Bevölke- konnten, ein Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung, das rung anzeigen kann, ohne dass man seinen Job verliert diesen Namen wirklich verdient hätte, zu verabschieden. oder bestraft wird. Dieses Gesetz ist jetzt verabschiedet. Zur Note würde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich sagen: gerade noch ausreichend. Wir haben auch zu- und bei der LINKEN) gestimmt, damit überhaupt irgendetwas kommt. Aber eine Note wie befriedigend oder gut würde ich dem nicht Damit bin ich jetzt wieder bei dem Thema, um das es geben. auch im Untersuchungsausschuss geht, in den ich gleich wieder zurücklaufe. Natürlich muss auch in Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Regelung für Whistleblower her, die etwa Geheim- und bei der LINKEN) nisse verraten, wenn diese mit Tätigkeiten verbunden sind, die strafbare Handlungen sind, die in Grundrechte Aber was überwiegend vergessen worden ist – von Ih- von Millionen von Menschen eingreifen. nen ist ein Punkt angesprochen worden –: In dieser Kon- vention ist noch vieles andere Richtige und Wichtige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthalten. Das ist noch viel Arbeit für Sie, für uns, für und bei der LINKEN) 5018 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Hans-Christian Ströbele (A) Das muss man straflos und möglicherweise mit dem No- Deutschland gehörte schließlich – das wurde schon aus- (C) belpreis oder dem Alternativen Nobelpreis belobigt tun geführt – zu den Erstunterzeichnern. Ein Großteil der dürfen und sollen. Diesen Menschen müssen wir Mut deutschen Gesetzgebung genügte bereits damals den machen. Vorgaben des Übereinkommens. Doch die Ratifizierung ließ sehr lange auf sich warten; denn jahrelang sträubte Ich komme gerade aus den Vereinigten Staaten. sich Schwarz-Gelb, den Bereich der Abgeordnetenbeste- chung als Grundlage für eine abschließende Verabschie- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: dung des Vertragsgesetzes anzufassen. Während dieser Herr Kollege Ströbele, ungeachtet der Bedeutung des Zeit hagelte es Kritik aus den unterschiedlichsten Berei- Themas muss ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen. chen. Unter Federführung des damaligen Präsidenten der Internationalen Handelskammer beschwerten sich fast Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 40 Vorsitzende großer, namhafter deutscher Konzerne. NEN): Die fehlende Ratifizierung schade dem Ansehen der Das steht in der Konvention, was wir alles noch um- deutschen Wirtschaft – so lautete ihre Aussage – im setzen müssen, Frau Präsidentin. Ausland. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Aber nicht heute Deutschland befindet sich in Gesellschaft von Staaten Abend!) wie dem Sudan, Nordkorea und Syrien. Bereits 170 Staa- ten haben das Übereinkommen ratifiziert. Deutschland stand und steht, wie gesagt, in der internationalen Kritik. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: EU-weit ist unser Land, seit Tschechien das Überein- – Genau. Wir haben auch eine Geschäftsordnung. kommen Ende 2012 als letzter EU-Mitgliedstaat umge- setzt hat, Schlusslicht im Hinblick auf die Ratifizierung. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Erfreuli- NEN): cherweise haben die Kolleginnen und Kollegen der In den USA gibt es eine Whistleblower-Regelung. CDU/CSU mit der SPD nun einen Koalitionspartner an Wir sollten uns im Deutschen Bundestag an die Arbeit ihrer Seite, mit dem es endlich möglich war, die Erweite- machen, dass wir möglichst bald auch in Deutschland so rung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung etwas haben. umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der SPD) des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Dank uns ist nun der Weg frei. Am 1. September trat (B) das Strafrechtsänderungsgesetz zur Abgeordnetenbeste- (D) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: chung in Kraft. Das vorliegende Vertragsgesetz kann Als nächste Rednerin spricht Christina Jantz. nun verabschiedet werden. Da dieses allerdings zustim- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mungsbedürftig ist, begrüße ich ausdrücklich, dass es bereits am 10. Oktober dem Bundesrat vorgelegt werden soll und zeitnah dem Bundespräsidenten zugeleitet wer- Christina Jantz (SPD): den kann. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine in vieler- Die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ist bedeut- lei Hinsicht historische Debatte strebt heute Abend tat- sam und liegt in unser aller Interesse. Durch die Ratifi- sächlich ihrem Ende entgegen. Knapp elf Jahre, nachdem zierung schaffen wir es, die Wirtschaft bei der Korrup- die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen tionsprävention zu unterstützen und gemeinsam mit der Vereinten Nationen gegen Korruption unterzeichnet anderen Staaten noch entschiedener gegen Missstände hat – nachdem Sie die grüne Justizministerin erwähnt vorzugehen. Wir schließen ein Kapitel, das viel zu lange haben offen war. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN]: Das war keine Grüne! Eine Ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nossin! Frau Zypries war das!) – Entschuldigung, eine rote –, muss ich auch unseren ro- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ten Bundeskanzler, Gerhard Schröder, erwähnen, unter Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege dem das 2003 erfolgt ist –, können wir es nun ratifizie- Dr. Volker Ullrich das Wort. ren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie wichtig die Bekämpfung von Korruption ist, hat bereits der Staatssekretär Christian Lange ausgeführt, Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): und diese Meinung teile ich voll und ganz. Es ist für mich selbstverständlich, dass Deutschland bei der Kor- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ruptionsbekämpfung international eine Vorreiterrolle Herren! Die heutige Debatte über das Korruptionsab- einnehmen sollte. kommen der Vereinten Nationen eignet sich nicht zur Heldenverehrung und zur Geschichtsstunde. Es sei da- (Beifall bei der SPD) rauf hingewiesen, dass Rot-Grün zwischen 2003 und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5019

Dr. Volker Ullrich (A) 2005 eineinhalb Jahre Zeit gehabt hätte, mit eigener Aber wichtig ist auch, dass es nicht allein – das hat (C) Mehrheit die entsprechende Konvention in allen Punkten der Kollege Ansgar Heveling sehr zutreffend ausge- umzusetzen. Ja, es ist nicht unbedingt rühmlich für die- führt – auf die staatlichen Stellen ankommt. Die Bekämp- ses Haus, dass wir insgesamt elf Jahre gebraucht haben. fung der Korruption ist vielmehr eine gesamtgesellschaft- liche Aufgabe, die von jedem Einzelnen umsichtiges (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Handeln und auch Mut verlangt. In diesem Zusammen- GRÜNEN]: Die Union war leider auch dage- hang sei ein italienischer Kämpfer gegen Korruption zi- gen!) tiert, Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo, Allerdings hat dieser 18. Deutsche Bundestag unter Fe- der einmal gesagt hat: Die Chance für den Kampf gegen derführung der Unionsfraktion gleich als allererstes Korruption ist Zivilcourage und das Einstehen jedes Ein- Gesetzesvorhaben die Regelung betreffend die Abgeord- zelnen. – So wollen wir gemeinsam auf der einen Seite netenbestechung angepackt und damit das Ratifizie- weiteres gesetzgeberisches Handeln voranbringen und rungsabkommen ermöglicht. Dementsprechend gilt der auf der anderen Seite an die Bürgerinnen und Bürger in Dank den Kolleginnen und Kollegen, die dieses Vorha- diesem Land appellieren, es nicht zuzulassen, dass eine ben unter CDU/CSU-Führung zum Abschluss gebracht Hand die andere wäscht und dass man sich, weil man haben. sich kennt, über die Grenzen des Rechts hinaus hilft. In diesem Sinne ist die Verabschiedung dieses Gesetzes (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner heute ein Schritt, aber wir werden weitere Schritte beim [SPD]: Wir waren auch dabei!) Kampf gegen die Korruption folgen lassen. Es sei aber auch angesprochen, dass es bei der Kor- Vielen Dank. ruptionsbekämpfung nicht allein auf die Ratifizierung dieses Abkommens ankommt. Es gibt Staaten, die dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Abkommen bereits wenige Monate oder Jahre danach unterzeichnet haben – diese Staaten nenne ich jetzt Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: nicht – und bei denen sich seit vielen Jahren nichts be- Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da- wegt hat. In Deutschland dagegen hat der Bund gemein- mit kommen wir zur Abstimmung über den von der sam mit den Ländern über viele Jahre hinweg für eine Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes größere Sensibilisierung gegenüber Korruption im öf- zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom fentlichen Bereich gesorgt. Es gibt entsprechende Schwer- 31. Oktober 2003 gegen Korruption. Die damals zustän- punktstaatsanwaltschaften, und das Bundeskriminalamt dige Ministerin Brigitte Zypries ist auch dabei und wird geht gezielt gegen Korruption vor. Deswegen muss sicherlich mit großer Genugtuung diesen Beschluss Deutschland als Land, das beim Korruptionsindex glück- (B) heute mittragen, so wie alle anderen Kolleginnen und (D) licherweise immer zu den Top-10- oder Top-20-Staaten Kollegen, die das in dieser Debatte ausdrücklich unter- gehört, sich nicht vorhalten lassen, nicht genügend ge- strichen haben. gen Korruption zu tun. (Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, es ist eine gute Entscheidung, die wir jetzt Gleichwohl bleibt natürlich einiges auch in Zukunft hier treffen. anzuschieben. Zweite Beratung (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Das ist gar keine Frage. Das wollen und werden wir ge- Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2643, den Ge- meinsam in dieser Großen Koalition tun. Ich spreche das setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/ Gesetz gegen Korruption und Bestechlichkeit im Ge- 2138 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz sundheitswesen an, welches die Koalition noch in die- zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage- sem Herbst auf den Weg bringen wird und welches wir gen? – Enthaltungen? – Es enthält sich niemand. Damit 2015 verabschieden werden, um damit in diesem großen ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen wor- Bereich der Kliniken, der Krankenhäuser und der den. Das ist sehr erfreulich. Pharmaunternehmen die möglichen Ansatzpunkte für korruptives Verhalten zu begrenzen und Korruption ein- (Beifall im ganzen Hause) zudämmen. Das, meine ich, ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Bekämpfung der Korruption in diesem Land. Ich komme zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schutz zu dem Entwurf eines Gesetzes der Fraktion neten der SPD) Bündnis 90/Die Grünen zum Übereinkommen der Ver- einten Nationen gegen Korruption auf Drucksache Herr Kollege Ströbele, seien Sie versichert: Wir wer- 18/478. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- den auch weitere Fragen, die sich stellen, sehr sorgsam ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2643, den und mit der notwendigen gesetzgeberischen Ernsthaftig- Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für keit verfolgen und weitere Maßnahmen umsetzen. erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE empfehlung? – Das sind wieder alle Fraktionen. Gibt es GRÜNEN]: Ich bin gespannt!) jemanden, der dagegen stimmt? – Das ist nicht der Fall. 5020 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig Beine stellen kann. Dabei setzen wir auf Kooperation (C) angenommen worden. Es war niemand mehr da, der sich statt Konkurrenz zwischen den Bahnunternehmen. hätte enthalten können – nur um das klarzustellen. Ich bin überzeugt: Mit vernünftiger Planung und bes- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: seren Reisekonzepten könnten noch viel mehr Fahrgäste für die Schiene gewonnen werden. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Es gibt tolle Ideen. Es gibt übrigens auch ungeheuer viel Reisekultur in Europa fördern Kompetenz bei den Beschäftigten und auch bei enga- gierten Bahnexperten. Das Rad müsste nicht neu erfun- Drucksache 18/2494 den werden. Zum Beispiel könnte man die komfortablen Überweisungsvorschlag: Talgo-Doppelstockzüge aufmöbeln, die derzeit auf dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Abstellgleis in Hamm vergammeln. Kleine pfiffige Ein- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zelkabinen kann man mit Klappelementen umbauen und Ausschuss für Tourismus flexibel nutzen. Man könnte auch Schlafwagen für Nachtfahrten anhängen usw. Ideen gibt es viele. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Gestern haben die Beschäftigten, Kundinnen und nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Kunden sowie Bürgerbahninitiativen hier in Berlin eine Kundgebung veranstaltet. 7 000 Protestpostkarten sind Sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze ein- am BahnTower übergeben worden. genommen haben, beginnen wir mit der Aussprache. – Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Ein Passant dort meinte: Ich frage mich, weshalb es in Kollegin Sabine Leidig das Wort. Zeiten von Länderbahnen, Kaltem Krieg usw. möglich war, Nachtzüge durch ganz Europa zu schicken, und im (Beifall bei der LINKEN) vereinten Europa des 21. Jahrhunderts soll das nicht mehr möglich sein. Sabine Leidig (DIE LINKE): In einer Onlinepetition heißt es: Die Uhrzeit passt zum Thema, werte Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Die Bahn schränkt von De- Insbesondere die Streichung der Verbindung Ber- (B) zember an ihr Angebot ein. Die Autoreisezüge sollen lin– ist ein verheerendes Signal im Hinblick (D) verschwinden und viele Nachtzüge auch. Zum Glück auf das Zusammenwachsen Europas und die Mobi- regt sich öffentlicher Widerstand dagegen. Es geht um lität seiner Bürger. Diese Zugverbindung ist seit rund 1 000 Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren Jahren viel genutzt und die Streichung durch nichts werden. Es geht um mehr: um die Zukunft der europäi- zu rechtfertigen! Die einzige direkte Zugverbin- schen Reisekultur. Die müsste klimafreundlich werden. dung zwischen beiden Hauptstädten muss als um- weltfreundlichstes Verkehrsmittel erhalten bleiben! Wir Linken bestehen darauf, dass das Parlament sich nicht aus der Verantwortung stehlen kann. Das Grundge- Richtig! setz gilt. Dort steht, dass der Bund als alleiniger Eigentü- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. mer der Deutschen Bahn AG nicht nur für die Schienen- Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- infrastruktur verantwortlich ist, sondern auch dafür, dass NEN]) es darauf ein Fernverkehrsangebot gibt, das den allge- meinen Verkehrsbedürfnissen entspricht. Ich will am Schluss eine sehr konkrete Utopie benen- nen und um Ihre Unterstützung werben. Bei der Fußball- Nachtzüge gibt es in Deutschland seit 162 Jahren, Au- europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlan- tozüge seit fast 60 Jahren. Beide sind feste Bestandteile den und auch bei der WM 2006 in Deutschland sind die dieses Angebots, und die Nachfrage zeigt deutlich, dass Nachtzüge der Deutschen Bahn von Fußballfans aus vie- viele Familien, Geschäftsreisende, Leute mit Flugangst len Ländern intensiv genutzt worden, weil die durch das oder Handicaps und Umweltbewusste diesen Bedarf ha- Reisen in der Nacht einen Tag gewinnen wollten. Nun ist ben. Deshalb sind wir alle gefordert, den geplanten die Fußball-WM 2020 an 13 verschiedene Städte Euro- Kahlschlag zu verhindern. pas in 13 verschiedenen Ländern vergeben worden, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Nein, Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht die WM!) NEN]) und die Fans werden vom Achtelfinale in Bilbao zum Die Linke beantragt, dass die Kürzungen bei Auto- Viertelfinale nach Baku und von dort weiter nach Lon- reise- und Nachtzügen zurückgenommen werden. Wir don reisen usw.; Kopenhagen, Glasgow, Budapest sind fordern ein mindestens zweijähriges Moratorium, damit in der Liste. Wir wollen, dass nicht nur die Fluggesell- in dieser Zeit sinnvolle Alternativen geprüft werden kön- schaften in jenen Sommerwochen gute Geschäfte nen. Wir verlangen eine Studie, die untersucht, wie man machen, sondern dass vor allem die europäischen Bahn- ein gutes europäisches Zug- und Nachtzugnetz auf die unternehmen und auch die Deutsche Bahn zu den Ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5021

Sabine Leidig (A) winnern zählen, weil grenzüberschreitende Tages- und Beide Verkehre sind im Sommer stark, im restlichen (C) Nachtverbindungen angeboten werden, die viel besser Jahr aber fast gar nicht ausgelastet. Die Bahn muss sich sind als heute. Wir Linke jedenfalls werden uns dafür wie jeder andere in der freien Wirtschaft und im freien einsetzen, und zwar europaweit. Wettbewerb stehende Betrieb auch nach der Wirtschaft- lichkeit und nach der Nachfrage richten. Danke. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten NEN]: Die Nachfrage ist da!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn dies aber nicht so gegeben ist, wie es sich der eine Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: oder andere wünscht, muss sich die Bahn überlegen, ob sie ein Segment einstellt oder es gegebenenfalls umbaut. Als nächste Rednerin spricht Daniela Ludwig. Die Bahn stellt das Segment der Autoreisezüge nicht ein, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern baut es um. Künftig wird es das Angebot „Auto plus Zug“ geben. Das läuft derzeit in einer Testphase. Bis Ende des Jahres werden wir diesbezüglich deutlich Daniela Ludwig (CDU/CSU): schlauer sein, ob es funktioniert und ob die Leute es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch annehmen oder ob man nur aus einer gewissen Ver- Wenn man den Antrag der Linken liest, möchte man gangenheitsverliebtheit an einem Segment festhält, weil meinen, es bahnt sich eine sehr große Katastrophe im – wie Sie es so schön schreiben – es den Auto- und den Verkehrsbereich an, weil die Bahn die Nacht- und Auto- Nachtreisezug seit 162 Jahren gibt, das nicht mehr wirt- reisezüge entweder streicht oder das Angebot zumindest schaftlich ist und das die Leute auch nicht mehr nachfra- deutlich einschränkt. gen. Ich meine, das sollte der Deutschen Bahn schon er- Man muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass laubt sein. sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten das Mo- Sie haben die Fußballeuropameisterschaft angespro- bilitätsverhalten jedes Einzelnen sehr deutlich verändert chen. Das sind aber auch nur vier Wochen. Dafür sollten hat. Wir leben nun einmal in einem Zeitalter, in dem man Segmente aufrechterhalten werden, die nicht funktionie- in Europa sehr schnell mit dem Flugzeug von A nach B ren? reisen kann. Das erschließt sich mir schlicht und ergreifend nicht. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Deshalb muss die Bahn die Freiheit haben, die wir ihr Die meisten Menschen suchen sich halt den bequemsten auch zubilligen, sodass sie auf Angebote verzichtet, die nicht mehr nachgefragt werden. Das scheint mir in die- (B) und schnellsten Weg aus, aber nicht den Weg, der Ihnen (D) vielleicht am besten gefällt. Das möchte ich diesen Leu- sem Fall so zu sein. ten auch nicht untersagen. (Zuruf von der LINKEN) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Versuchen Sie – Ich nicht. Ich bitte Sie aber, die Testphase bis Ende des einmal, den Nachtreisezug zu buchen!) Jahres zu nutzen. Fahren Sie fleißig „Auto plus Zug“, damit es wenigstens das noch weiterhin gibt. Ich gehe Außerdem bestimmt auch bei der Frage, ob es weiterhin davon aus, dass Sie sich rege daran beteiligen. Nacht- und Autoreisezüge gibt, die Nachfrage das Ange- bot. Vielen Dank. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Die Nachfrage ist hoch! Sie kriegen gar keine Plätze!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich weiß aber auch, dass Ihnen solche Mechanismen Als nächster Redner spricht Matthias Gastel. fremd sind. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe Es ist aber nun einmal nicht von der Hand zu weisen, Kolleginnen und Kollegen! Wie jeden Abend so auch dass die Nachtreiseverkehre in den vergangenen Jahren heute wird Berlin in den nächsten Stunden durch sechs 30 Prozent der Nachfrage eingebüßt haben. Ähnliches Nachtzugverbindungen angefahren. Doch wie lange gilt auch für die Autoreisezüge. Für beide Verkehre gilt: noch? Wie lange noch werden die deutschen Großstädte Sie sind saisonal stark unterschiedlich ausgeprägt. Das mit Nachtzügen miteinander verbunden? Wie lange noch heißt, in den Sommermonaten kommt es zu einer massi- werden die europäischen Metropolen mit Nachtzügen ven Auslastung. miteinander verbunden? Das wissen wir derzeit noch nicht. Wir wissen aber, dass es sich lohnt, für die Nacht- (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) züge zu kämpfen. – Sie wollen das nicht lesen. Sie wollen das auch nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lernen. Das macht nichts. Ich rede trotzdem weiter. und bei der LINKEN) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie sollten ein- Eine Ausdünnung oder gar Einstellung der Nachtzug- fach andere Zahlen heranziehen!) verbindungen wäre schlecht für die Fahrgäste, schlecht 5022 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Matthias Gastel (A) für die DB, schlecht für das System Schiene und Ich erinnere hier an die EEG-Umlage, die von der Gro- (C) schlecht für den Klimaschutz. ßen Koalition verändert wurde. Die Belastung für das System Schiene ist glatt verdoppelt worden. Das muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rückgängig gemacht werden. Das belastet die Schiene so und bei der LINKEN) wie kein anderes Verkehrsmittel. Es benachteiligt das Warum lohnt es sich, im Interesse der Fahrgäste für Verkehrsmittel Schiene im Gegensatz zum Flugzeug den Erhalt der Nachtzüge zu kämpfen? Der Nachtzug ist oder zu anderen Verkehrsmitteln völlig zu Unrecht und praktisch und beliebt. Reisen während des Schlafens, die ist ein großer Nachteil im Wettbewerb. Hotelübernachtung sparen, zu günstiger Morgenstunde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Reiseziel ankommen und mehr vom Tag haben. Ge- und bei der LINKEN) schäftsleute wie Familien nutzen dieses Angebot rege. Die meisten CNL-Verbindungen verfügen über rollstuhl- Darüber hinaus ist es so, dass alle Verkehrsträger und gerechte Liegeabteile. Meistens ist auch die Fahrradmit- nicht allein die Schienenbahnen in den Emissionshandel nahme möglich. einbezogen werden müssen. Bahn und Flugzeug sollen auch bei der Mehrwertsteuer im grenzüberschreitenden Liebe Frau Kollegin Ludwig, die Beliebtheit zeigt Verkehr gleichbehandelt werden. sich in der Auslastung. Wenn man genau hinschaut und einmal versucht, ein Ticket zu ergattern, wird man fest- Deswegen unser Appell an die DB und die Bundes- stellen: Der Nachtzug ist meistens schon Wochen im Vo- regierung: Machen Sie den Nachtzug nicht kaputt! Un- raus ausgebucht. Seit ich im Bundestag bin, also seit Ok- terstützen und entwickeln Sie zukunftsfähige Konzepte! tober letzten Jahres, bin ich 15-mal mit dem Nachtzug Die Fahrgäste wollen das. Das Klima braucht es. gefahren. Ich wäre mindestens doppelt so oft gefahren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätte ich noch eine Kabine gefunden, die frei ist. Wo- und bei der LINKEN) chen im Voraus sind diese Kabinen ausgebucht, weil die- ser Zug eine starke Nachfrage hat. Es gibt also einen An- gebotsengpass und keinen Nachfrageengpass. Das ist Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: doch das Entscheidende. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kirsten Lühmann das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Warum lohnt es sich, sich im Interesse der DB und des gesamten Systems Schiene für den Nachtzug einzu- Kirsten Lühmann (SPD): (B) setzen? Befragungen der Deutschen Bahn, und zwar sehr Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- (D) aktuelle, haben bestätigt: Die Kundenzufriedenheit mit nen! Sehr verehrte Gäste! Haben Sie schon einmal mit diesem Angebot ist hoch. Mindestens die Hälfte der fünf Personen und zwei Hunden eine Nacht in einem Kunden würde bei einer Streichung der Nachtzüge nicht Abteil eines Autoreisezuges verbracht? auf andere Züge umsteigen, sondern beispielsweise auf (Gustav Herzog [SPD]: Nein!) das Flugzeug. Das können wir alle gemeinsam nicht wollen. Ohne Nachtzüge würde die DB Fahrgäste verlie- Wir haben das mehrere Jahre lang sehr erfolgreich ren. Darüber hinaus wäre das Schienennetz über den Tag und sehr gerne gemacht. Wir haben nette Bekanntschaf- betrachtet ungleicher ausgelastet, als es derzeit der Fall ten geschlossen. Unsere Kinder haben das Ganze als ist. Warum lohnt es sich, im Interesse des Klimaschutzes Abenteuer verstanden. Ich sage Ihnen: Auch damals war für den Nachtzug zu kämpfen? Ganz einfach deshalb, dieses Angebot schon sehr teuer. Wir haben das kompen- weil die Bahn das effizienteste Verkehrsmittel ist und da- siert, indem wir am Urlaubsort gespart haben, indem wir mit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet. auf einem Campingplatz untergekommen sind. Das ha- ben viele Menschen so gemacht. Aber wir müssen zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kenntnis nehmen, dass ein Umdenken stattgefunden hat, und bei der LINKEN) auch bei der Mobilität. Die Menschen wollen bei der Leider aber wirkt die DB in Sachen Nachtzug lustlos, Reise sparen, um mehr Geld für den Komfort am Ur- fantasielos und konzeptlos. Wir fordern von der DB eine laubsort zu haben. Die Bahn konnte lange Zeit die sin- Bestandsgarantie der Nachtzugangebote für zwei Jahre. kenden Reisendenzahlen kompensieren, weil sie das rol- Die DB soll diese Zeit nutzen, zukunftsfähige fahrgast- lende Material zur Verfügung hat. Aber jetzt sind sie gerechte Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. aufgrund gesetzlicher Normen gezwungen, aus Sicher- heitsgründen neue Autotransportwagen zu kaufen. Bei- Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie als Ei- des zusammen – sinkende Nutzendenzahlen und nötiger gentümer der DB Einfluss nimmt auf das, was ich gerade Invest; das kann man nicht wegdiskutieren – ist wirt- gesagt habe, dass nämlich keine weiteren Nachtzugange- schaftlich einfach nicht zu bewältigen. Das wissen wir bote gestrichen werden und dass die Konzeption, die auch: Kostendeckende Preise will und kann kaum einer dringend notwendig ist, geschaffen wird. zahlen. Sosehr ich die Menschen, die hier in Berlin für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Erhalt der Autoreisezüge demonstriert haben, auch aufgrund meiner Erfahrungen persönlich verstehe, kann Die Bundesregierung muss darüber hinaus dafür sorgen, ich die Entscheidung der Deutschen Bahn nachvollzie- dass endlich Wettbewerbsgerechtigkeit geschaffen wird. hen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5023

Kirsten Lühmann (A) Glücklicherweise sieht das bei den Nachtzügen an- tungs- und Finanzierungsvereinbarung zuverlässiger ma- (C) ders aus. Das Ziel der Bahn war einmal, alle Fahrten ab chen. Dazu werden wir noch mehr Steuergelder investie- sechs Stunden Fahrtzeit in die Nacht zu verlegen. Daher ren. Wir brauchen zweitens – das wurde heute Abend gab es 2002 auch 20 Nachtzugverbindungen europa- auch schon gesagt – in diesem guten Netz Wettbewerbs- weit – also genauso, wie es im Antrag gefordert wird. möglichkeiten, um Güter- und Personenfernverkehre Aber schon 2011 führte die Konkurrenz von Hochge- leistungsfähiger und effizienter zu machen. Drittens schwindigkeitszügen und Billigfliegern zu deutlichen müssen wir den Nahverkehr an die erhöhten Pendler- Verlusten in dieser Sparte. Aus der Zeitung konnte ich ströme insbesondere in den Ballungsräumen anpassen, entnehmen, dass zurzeit jährlich 48 Millionen Euro Ein- ohne dabei die Erschließung der ländlichen Räume mit nahmen 60 Millionen Euro Kosten gegenüberstehen. den geringer werdenden Bevölkerungen aus den Augen Diese Verluste, liebe Kollegen und Kolleginnen, haben zu verlieren. Auch hierfür werden wir mehr Steuergelder sich in den letzten drei Jahren verdoppelt; die Fahrgast- benötigen. Die Verhandlungen mit den Ländern dazu zahlen gingen um etwa ein Drittel zurück. laufen gerade. Jetzt will die Bahn drei besonders defizitäre Routen Diesen Weg, liebe Kollegen und Kolleginnen, müssen aufgeben. Dazu gehört leider auch die traditionelle wir weitergehen. Das ist es, was die Millionen Pendler Route Berlin–Paris. Ich selber habe diese Route oft ge- und Pendlerinnen von uns erwarten. Darüber hinaus auf nutzt, als sie noch über Brüssel führte. Aber schon da- die Deutsche Bahn einzuwirken und sie bei ihren Bemü- mals konnte ich immer ohne Buchung einen Platz fin- hungen, ein zukunftsfähiges Konzept für die Nachtzug- den, und wenn ich einen Platz in einem Zweier- oder verbindungen zu erstellen, zu begleiten und sie gegebe- Dreierabteil reserviert hatte, lag ich dort immer allein. nenfalls an ihr Versprechen zu erinnern, dass sie alles tun Hinzu kam, dass die Kosten in den letzten Jahren deut- will, um diese sinnvollen europäischen Verbindungen zu lich gestiegen sind, unter anderem durch extreme Tras- erhalten und sie nicht einzustellen, sind wir den Men- senpreiserhöhungen in Belgien und Frankreich. Die schen schuldig, die bewusst den Nachtzug dem Billigflie- Bahn hat jetzt zugesagt, die verbleibenden Verbindungen ger vorziehen. Dieser Verpflichtung werden wir nach- in den nächsten zwei Jahren auf neue Füße zu stellen, kommen, auch ohne Ihren Antrag. und zwar auch ohne ein Moratorium, wie es im Antrag gefordert wird. Herzlichen Dank. Der vorliegende Antrag suggeriert jedoch auch, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das Grundgesetz von uns fordert, diese Zugarten auf- grund von Allgemeinwohl- und Verkehrsbedürfnissen zu Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) erhalten. Wie bei vielen einfachen Lösungen lohnt es (D) sich auch hier, einmal genauer hinzuschauen. Ich möchte Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- jetzt keine philosophische Debatte über die Defini- punkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSU. tion des Allgemeinwohls beginnen; kluge Köpfe von (Beifall bei der CDU/CSU) Aristoteles bis Habermas haben das zur Genüge getan. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass di- verse Rechtsexperten festlegen: Das Allgemeinwohl ist Michael Donth (CDU/CSU): ein unbestimmter Rechtsbegriff. Also ist es nicht so ein- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und deutig, wie uns dieser Antrag glauben machen will. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eindeutiger ist jedoch der Begriff des Verkehrsbe- „Orientexpress“, „Calais-Mediterranée-Express“, „Die dürfnisses. Zwar ist auch er nicht direkt definiert, aber es Brück’ am Tay“, beim Lesen Ihres Antrags könnte sich gibt diverse Gerichtsurteile, in denen festgestellt wird, beinahe eine abenteuerromantische Stimmung in diesem dass zu einem Verkehrsbedürfnis auch die Möglichkeit Haus entfalten. Man könnte anfangen, zu träumen von ge- gehört, dieses wirtschaftlich zu befriedigen. Zur Wirt- heimnisvollen Gestalten im Schummerlicht des Orient- schaftlichkeit haben wir heute Abend schon einiges ge- expresses, der mit gleichmäßigem Rattern der Schiene hört. Also kommen wir mit dem Grundgesetz hier nicht durch ferne Steppen zieht. Man könnte versuchen, die weiter. Träume festzuhalten und sie zu diesem Zweck in Ge- setze zu gießen. Dafür sind wir aber nicht hier. Aber die Frage, die wir uns heute Abend stellen, geht über das Grundgesetz hinaus. Diese Frage lautet: Wollen (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie sind aber und können wir Autoreisezüge und Nachtzugverbindun- dafür, jedes Jahr 10 Milliarden in den Flugver- gen, und zwar auch die defizitären, mit Steuermitteln kehr zu stecken!) subventionieren? Ich will hier gar nicht beleuchten, ob Wir sind hier, um nach bestem Wissen und Gewissen die EU das beihilferechtlich befürworten würde oder die Entscheidungen zu treffen, die dem Wohl dieses Lan- nicht. Mir geht es um etwas ganz anderes; mir geht es des dienen. Unter diesen Voraussetzungen müssen wir um unser Ziel. Unser Ziel muss sein, den Bahnverkehr die Realität, die tatsächlichen Gegebenheiten zur Kennt- insgesamt auf sichere Füße zu stellen. nis nehmen. Wir können nicht auf Basis unserer Wün- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sche oder Träume handeln. Vor diesem Hintergrund soll- ten wir eigentlich auch Anträge stellen. Dazu benötigen wir erstens ein leistungsfähiges Schienennetz. Dieses wollen wir mit der neuen Leis- (Beifall bei der CDU/CSU) 5024 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Michael Donth (A) Tatsache ist, dass das Geschäft im Bereich der Auto- onensummen auf Kosten der anderen Reisenden zu sub- (C) reisezüge und der Nachtzüge bereits seit Jahren defizitär ventionieren. ist. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Weil man da lange nichts investiert NEN]: Tatsache ist, dass die Züge gut ausge- hat!) lastet sind!) Indem man Verbindungen durch Zuschüsse am Leben In den vergangenen zehn Jahren – das haben wir auch erhält, kann man vielleicht ihren Tod verhindern; man schon gehört – sind die Fahrgastzahlen bei gleichblei- kann auf diese Weise aber keine Genesung von Eisen- bendem Angebot zurückgegangen. Da die Nachfrage bahnunternehmen einleiten. nach Autoreise- und Nachtzügen bei einem Preis, der zu verlangen wäre, um kostendeckend zu arbeiten, zurück- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Meine Güte!) geht – und sie dürfte noch weiter zurückgehen –, ist doch Um gesund zu sein, muss ein Unternehmen seine klar, dass es weniger Bedarf an solchen Zügen gibt. Kräfte sammeln und nicht zerstreuen. Daher ist es rich- Artikel 87 e des Grundgesetzes, der auch schon ange- tig, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunterneh- sprochen wurde, verpflichtet den Bund insbesondere, men ihre Angebote regelmäßig überprüft, die Marktent- den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Das ist wicklung beobachtet und dann mit neuen Produkten durch das angepasste Verkehrsangebot der Bahn gewähr- reagiert, die die unrentablen Produkte ablösen. leistet. Es gibt keinen Grund, in die Streckenentschei- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dung der DB AG einzugreifen. Überdies ist es dem Bund Wo bleiben die neuen Produkte?) als Eigentümer nach dem Aktiengesetz grundsätzlich auch nicht erlaubt, in unternehmerische Entscheidungen Schließlich kann auch nur ein gesundes Unternehmen unmittelbar und im Detail Einfluss zu nehmen. langfristig Arbeitsplätze und Angebote sichern. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Die meisten europäischen Nachbarbahnen haben im SES 90/DIE GRÜNEN) Übrigen Gleiches getan. Ich räume ein: nicht alle. Sie führen im Antrag ausdrücklich die russischen Staatsbah- Mit dem Reduzieren der Nachtzugstrecken eine Spal- nen als Gegenbeispiel an. Deren Marktwirtschaftlichkeit tung Europas heraufzubeschwören, wie Sie es in Ihrem und Konkurrenzsituation kann ich leider nicht beurtei- Antrag tun, ist sogar noch abenteuerlicher als die Fahrt len. im Orientexpress. Das Gegenteil ist doch der Fall: Die sinkende Nachfrage nach Nachtzügen ist doch gerade (B) Die Behauptung im Antrag, dass die hochqualifizier- (D) eine Folge des Zusammenwachsens Europas. ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der DB ERS Die Mobilität der Europäer nimmt zu. Günstige Flug- mit einer Betriebsschließung arbeitslos werden, ist angebote und neue Hochgeschwindigkeitsstrecken, falsch. Sie sind alle in die DB-Beschäftigungssicherung Fernbusse und Mitfahrzentralen machen es möglich, in integriert und bekommen eine Weiterbeschäftigung in- Europa innerhalb weniger Stunden und preisgünstig von nerhalb des Konzerns angeboten, wenngleich – das A nach B zu kommen. Die Anzahl der Hotels hat zuge- räume ich ein – unter Umständen nicht in derselben nommen. Das Buchen über das Internet ist leichter ge- Stadt und in einem anderen Betriebsteil. Dies ist eine worden. Es ist verständlich, dass die Mehrzahl der Rei- Versorgung, von der Angestellte in vielen anderen Wirt- senden lieber auf die heute bestehenden Möglichkeiten schaftsunternehmen manchmal nur träumen können. zurückgreift als auf lange Nachtzugreisen. Meine Damen und Herren von den Linken, es gibt (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Die anderen ha- manche, die der Meinung sind, ihre Fraktion sei eine ben Pech gehabt!) Schlafwagengesellschaft. Die ehemalige Nachtzugstrecke Frankfurt–Paris bei- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Oh Gott!) spielsweise kann heute mit dem ICE in nur dreidreivier- Mit diesem Antrag haben Sie das bewiesen. tel Stunden bewältigt werden. Vielen Dank. Die gegenwärtige Entwicklung entspricht dem Grundgedanken und dem Ziel der europäischen Eini- (Beifall bei der CDU/CSU) gung, da durch sie der Binnenmarkt im Verkehrssektor belebt wird. Auf dem Markt bestimmt die Nachfrage das Vizepräsident Johannes Singhammer: Angebot. Ein Rückgang bei der Nachfrage führt zu ei- nem Rückgang beim Angebot. Das nennt man übrigens Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages- Marktwirtschaft; ohne jemanden belehren zu wollen. ordnungspunkt. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja, oder Um- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf weltzerstörung!) Drucksache 18/2494 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Da ich keinen Wi- Es kann nicht unser Ziel sein, für ein paar Nostalgiker derspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit – wir sprechen lediglich über 0,5 Promille der Bahnrei- einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so be- senden – ein defizitäres Angebot mit zweistelligen Milli- schlossen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5025

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: Bevor ich auf einzelne Vorschläge der Kommission (C) eingehe, lassen Sie mich zunächst anmerken, dass in Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der gesamten Europäischen Union hier offensichtlich richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- ein Informationsdefizit besteht. Es muss daher in ers- cherschutz (6. Ausschuss) zu dem ter Linie dafür Sorge getragen werden, dass das Ver- Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- fahren insbesondere bei den handelnden Personen wie schen Parlaments und des Rates zur Ände- Rechtsanwälten und Richtern bekannter gemacht wird. rung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Und zwar europaweit! Erst dann kann eine sorgfältige Europäischen Parlaments und des Rates vom und zuverlässige Evaluierung des Verfahrens erfolgen. 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäi- Der gesetzgeberische Handlungsbedarf kann erst schen Verfahrens für geringfügige Forderun- dann abgesteckt werden, wenn wir genau wissen, wo gen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 die Probleme liegen. des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Die Kommission möchte nun unter anderem die Europäischen Mahnverfahrens Streitwertgrenze von 2 000 Euro auf 10 000 Euro an- KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 heben und die Begriffsbestimmung für grenzüber- schreitende Rechtssachen deutlich erweitern. Dieser Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647 Vorschlag stößt jedoch auf erhebliche Bedenken. Er Wie mir mitgeteilt worden ist, sollen die Reden zu lässt nicht nur die Schutzbedürftigkeit der Prozesspar- Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damit teien außer Acht, sondern eröffnet zusätzlich eine einverstanden sind. Bandbreite an Missbrauchsmöglichkeiten. Die auf das Fünffache angehobene Streitwertgrenze ist für Bürger sowie die meisten Unternehmen keine Bagatelle mehr Sebastian Steineke (CDU/CSU): – die Geringfügigkeitsgrenze in der ZPO liegt bekann- Wir beraten heute über den Änderungsvorschlag termaßen bei 600 Euro –, und die dahinter stehenden der Europäischen Kommission zur Verordnung über Rechtsstreitigkeiten sind in der Regel auch keine einfa- das europäische Verfahren für geringfügige Forderun- chen Verfahren. Knapp zwei Drittel aller Verfahren vor gen in Zivil- und Handelssachen, die sogenannte deutschen Amtsgerichten haben einen Streitwert unter Small-Claims-Verordnung. 2 000 Euro und fallen damit schon jetzt unter diese Diese Verordnung gibt es bereits seit 2009, und mit Verordnung. Bei der geplanten Erhöhung könnten fast ihrer Hilfe sollen grenzüberschreitende Forderungen alle deutschen Zivilprozesse im Anwendungsbereich (B) bis zu 2 000 Euro für Verbraucherinnen und Verbrau- der Verordnung liegen. Dieser Ansatz geht aus deut- (D) cher sowie für kleine und mittlere Unternehmen besser scher Sicht zu weit und ist daher abzulehnen. durchgesetzt werden können. Dabei kann zum Beispiel Ebenso fragwürdig ist, dass der Änderungsvor- lediglich mittels eines Formblattes Klage erhoben schlag auch keine Vertretung durch einen Rechtsanwalt werden, eine mündliche Verhandlung oder die Vertre- vorsieht. Durch die Erhöhung der Streitwertgrenze tung durch einen Rechtsanwalt ist nicht vorgesehen, würden auch die Verfahren, die in die Zuständigkeit und es gelten sehr kurze Fristen. der Landgerichte fallen und damit dem Anwaltszwang Im Grundsatz ist der Ansatz aus Brüssel, das Ver- unterliegen, davon betroffen sein. Das Anwaltserfor- fahren bei Rechtsstreitigkeiten mit einem geringen dernis halten wir jedoch für ausgesprochen wichtig. Streitwert zu vereinfachen, zu begrüßen, weil hier- Gerade in Prozessen mit höheren Streitwerten ist vor durch die Möglichkeit zur Durchsetzung von Rechten dem Hintergrund einer effizienten Prozessführung und und Forderungen für die Betroffenen gestärkt wird. Gerichtsorganisation die Beteiligung von Rechtsan- Gerade innerhalb der heute geltenden Freizügigkeit wälten mehr als zielführend. Durch den Wegfall des auf dem europäischen Binnenmarkt müssen wir ein be- Anwaltserfordernisses wird weder die Attraktivität sonderes Interesse daran haben, dass unsere export- dieses Verfahrens erhöht, noch ist den Verbraucherin- orientierten Unternehmen einen effektiveren Rechts- nen und Verbrauchern in Deutschland mit solch einer schutz erhalten. Die Vorschläge der Europäischen Einführung einer europäischen ZPO durch die Hinter- Kommission gehen jedoch weit über das hinaus, was tür geholfen. aus unserer Sicht die Effektivität und Vereinfachung des Verfahrens ausmacht. Des Weiteren hat Brüssel den Begriff „grenzüber- schreitende Rechtssachen“ noch weiter gefasst als bis- Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Small- her. Auch hier melden wir starke Bedenken an. Bislang Claims-Verfahren auch mehrere Jahre nach Anwen- lag eine „grenzüberschreitende Rechtssache“ im dungsbeginn nur äußerst spärlich genutzt wird. Um Sinne der Verordnung nur vor, wenn eine der Parteien dies zu ändern, soll nun der Anwendungsbereich der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in ei- Verordnung massiv ausgeweitet werden. Bei der Be- nem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen gründung des Änderungsvorschlags geht die Kommis- Gerichts hatte. Nach dem Vorschlag der Kommission sion davon aus, dass die Ursache im fehlenden Be- wäre die Verordnung zukünftig auch auf rein inner- kanntheitsgrad sowie in Mängeln der Ausgestaltung staatliche Sachverhalte anwendbar, wenn sich zum der Verordnung liege. Beispiel lediglich der Ort einer eventuellen Vollstre- 5026 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Sebastian Steineke (A) ckung in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Damit Mittelstand, eröffnet der grenzüberschreitende digitale (C) würden rein nationale Fälle in den Regelungsbereich Binnenmarkt neue Möglichkeiten. der Verordnung fallen. Die EU hat hierfür keine Rege- lungskompetenz. Die Europäische Union fördert den Ausbau des di- gitalen Binnenmarktes seit Jahren, beispielsweise Durch die Vielzahl der zu berücksichtigenden Para- durch die Verbraucherrechterichtlinie. Diese habe ich meter bei der Frage, ob die Verordnung anzuwenden als Abgeordnete des Europäischen Parlaments aktiv ist, wird das Gericht in vielen Fällen erst einmal damit mitgestaltet. Durch die Richtlinie haben wir die Rechte beschäftigt sein, erhebliche Aufklärungsarbeit zu be- der europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher treiben. Dies widerspricht dem Sinn dieser Verord- im grenzüberschreitenden Handel – besonders auch im nung, die eine Vereinfachung des Gerichtsverfahrens Onlinehandel – gestärkt und europaweit einen einheit- anstrebt. Missbrauch und Umgehung wären hier zu- lichen Rahmen entwickelt. dem Tür und Tor geöffnet. Das geht eindeutig zu weit Genauso wichtig wie die Stärkung der Verbraucher- und kann von uns so nicht akzeptiert werden. sicherheit und -information ist eine Stärkung des Das Gleiche gilt für den Kostenansatz. Mit dem Vor- Rechtsschutzes für die Verbraucher – und natürlich schlag der Kommission, die Gerichtsgebühren auf ma- auch für die Wirtschaft. Wo Menschen über Grenzen ximal 10 Prozent des Streitwerts zu deckeln und die hinweg miteinander zu tun haben, muss es Regelungen Mindestgebühr auf 35 Euro zu beschränken, wäre das geben, die den grenzüberschreitenden Besonderheiten Verfahren in vielen Fällen deutlich günstiger als natio- Rechnung tragen. Das unterstützt die Menschen darin, nale Verfahren, obwohl es durch die grenzüberschrei- von den Möglichkeiten, die Europa ihnen eröffnet, tenden Besonderheiten mehr Kosten verursachen auch tatsächlich Gebrauch zu machen. dürfte. Hier ist eine Berücksichtigung aller den Aus diesem Grund hat die EU das Europäische Ver- Rechtsstreit betreffenden Kosten angebracht. Die al- fahren für geringfügige Forderungen, die sogenannte leinige Beschränkung der Kostenfrage auf die Ge- Small-Claims-Verordnung, und das Europäische richtsgebühren lehnen wir daher ab. Mahnverfahren eingeführt. Die Small-Claims-Verord- nung soll seit 2009 helfen, grenzüberschreitende ge- Ein letzter kritischer Punkt ist die Konkretisierung ringfügige Forderungen leichter geltend zu machen. der Beratungs- und Informationspflichten durch das Das hat einige Vorteile: Man kann die Forderungen Gericht. Hier ist zwingend darauf zu achten, dass die schriftlich und im Heimatland stellen, man hat keine Neuregelungen mit den Grundsätzen des deutschen Anwaltskosten, und man muss nicht vor Gericht gehen. (B) Rechtsdienstleistungsgesetzes und der Neutralitäts- Obwohl das Verfahren sehr einfach, zeit- und kosten- (D) pflicht vereinbar sind. Gerade bei der Frage nach der sparend ist, ist es nur wenigen Verbrauchern bekannt. Zuständigkeit des Gerichtes und bei der praktischen Lediglich 12 Prozent der EU-Bürger haben überhaupt Hilfestellung beim Ausfüllen der notwendigen Form- schon einmal etwas vom Europäischen Bagatellver- blätter dürfen die Neuregelungen nicht dazu führen, fahren gehört. Nur 1 Prozent hat das Verfahren ge- dass die Klage durch derartige Beratungen und Aus- nutzt. Auch Kollegen aus der Anwaltschaft bestätigen füllhilfen erst schlüssig gemacht wird. das: Nur sehr wenige sind mit dem Verfahren schon Aufgrund dieser zahlreichen Probleme freue ich einmal in Berührung gekommen. mich, dass wir eine fraktionsübergreifende Beschluss- Um dies zu ändern, will die EU-Kommission nun empfehlung erreicht haben. Dies zeigt, dass unsere den Anwendungsbereich durch den vorliegenden Positionen einen breiten Konsens im Parlament genie- Änderungsvorschlag deutlich ausweiten. Es ist im ßen. Grundsatz zu begrüßen, dass die Kommission Rechts- streitigkeiten mit geringem Streitwert in grenzüber- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): schreitenden Fällen weiter vereinfachen möchte. So können die Attraktivität des Verfahrens erhöht und da- In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der mit die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrau- Menschen, die online einkaufen, mehr als verdoppelt. chern gestärkt werden. Zudem kann sich das auch po- Heute kaufen bereits 45 Prozent der europäischen Ver- sitiv auf unsere Exportwirtschaft auswirken. braucher über das Internet ein. Auch grenzüberschrei- tende Einkäufe erfreuen sich immer größerer Beliebt- Allerdings ist zweifelhaft, ob die Änderungsvor- heit. Allerdings besteht hier noch großes Potenzial – schläge der Kommission in dem Maße angemessen und sowohl für Verbraucher als auch für die Wirtschaft. erforderlich sind. Dies gilt insbesondere für die Erhö- Denn durch die Wirtschaftskrise ist der grenzüber- hung des Schwellenwertes von 2 000 auf 10 000 Euro schreitende Handel in den Jahren 2008 und 2009 deut- und die Ausweitung der Definition für „grenzüber- lich zurückgegangen, erholt sich aber bereits wieder. schreitende Rechtssachen“. Bei Streitwerten über Ein erleichterter Zugang zu grenzüberschreitenden 2 000 Euro handelt es sich nach deutschem Verständ- und Onlineangeboten kann diesen Trend verstärken. nis schon nicht mehr um geringfügige Forderungen. Denn dann haben Verbraucherinnen und Verbraucher Zum Vergleich: Die in der deutschen Zivilprozessord- mehr Auswahlmöglichkeiten, um das beste Angebot zu nung festgelegte Bagatellgrenze liegt bei 600 Euro. finden. Aber auch Unternehmen, insbesondere dem Eine Erhöhung der Streitwertgrenze würde damit die

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5027

Dr. Anja Weisgerber (A) Mehrheit der Zivilprozesse in Deutschland treffen. ist bei geringfügigen Forderungen durchaus effizient (C) Während das nationale Recht bei Verfahren von in der und sinnvoll. Regel über 5 000 Euro einen Anwaltszwang vorsieht, besteht gemäß der Small-Claims-Verordnung keine Die deutschen Bürgerinnen und Bürger können in Pflicht zur anwaltlichen Vertretung. Eine Umsetzung Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug wählen, ob würde daher zu einer Senkung der Verfahrensstandards sie vor einem deutschen Gericht klagen wollen oder ob führen. Die geplante Streitwertgrenze von 10 000 Euro sie in diesen Fällen das Small-Claims-Verfahren nut- ist daher deutlich zu weitgehend und abzulehnen. zen. Bisher ist das Verfahren in Deutschland und in den anderen Mitgliedstaaten wenig bekannt, wird Auch die Ausweitung der Definition für „grenzüber- kaum genutzt. schreitende Rechtssachen“ geht zu weit. Die massive Erweiterung – nach der ein grenzüberschreitender Be- Das hat die Kommission zu dem Vorschlag veran- zug ausreichen würde – hätte eine Verlagerung von lasst, den Anwendungsbereich für das Small-Claims- rein nationalen Fällen in den Anwendungsbereich der Verfahren zu erweitern, um es zu etablieren und den Verordnung zur Folge. Für Deutschland würde das be- Bekanntheitsgrad zu steigern. Das wird von mir deuten, dass sich die Zahl der Verfahren im Jahr 2012 grundsätzlich begrüßt. von 500 auf circa 60 000 Fälle erhöhen würde. Eine Trotzdem gibt es einige Punkte, an denen der Ver- Anhebung der Bagatellgrenze – in Verbindung mit der ordnungsvorschlag meiner Ansicht nach noch verbes- geplanten Ausweitung der Definition für „grenzüber- sert werden kann. Deshalb haben wir eine Stellung- schreitende Rechtssachen“ – birgt die Gefahr, die nahme erarbeitet, die heute hier zur Abstimmung steht. Intensität des deutschen Rechtsschutzes zu senken. Da- Ausdrücklich bedanke ich mich bei den beteiligten her ist es fraglich, ob der Vorschlag der EU-Kommis- Kolleginnen und Kollegen für die gute und konstruk- sion die Attraktivität des Verfahrens steigert und damit tive Zusammenarbeit. den deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft. Ich erläutere nun im Folgenden kurz einige wesent- liche Kritikpunkte an dem Verordnungsvorschlag: Es freut mich daher, dass wir eine fraktionsüber- Erstens. Die Erhöhung der Streitwertgrenze auf greifende Beschlussempfehlung erreicht haben, in der 10 000 Euro, die der Verordnungsvorschlag vorsieht, wir die Probleme hervorheben. Selbst für die Kommis- ist abzulehnen. Bei Streitwerten von mehr als sion ist der Bekanntheitsgrad die Ursache für die ge- 2 000 Euro kann nach meiner Ansicht nicht mehr von ringe Bedeutung in der Praxis. Es sollte doch zunächst geringfügigen Forderungen gesprochen werden. Die (B) an dieser Stelle angesetzt werden, anstatt den Anwen- Erhöhung ist allein schon deswegen zu weitgehend, (D) dungsbereich der Verordnung so deutlich auszuweiten. weil der Vorschlag auf das nach unserem Recht gel- Allein die Steigerung der Bekanntheit würde sicherlich tende und sinnvolle Anwaltserfordernis verzichtet. die Attraktivität des Verfahrens steigern. Hier könnte Denn in Deutschland finden Zivilprozesse bei einem ich mir gezielte Information und Aufklärung der Ver- Streitwert ab 5 000 Euro vor dem Landgericht statt. braucherinnen und Verbraucher, Unternehmen, aber Laut § 78 Absatz 1 ZPO müssen sich die Parteien dann auch der Rechtsanwender vorstellen. von einem Rechtsanwalt vertreten lassen. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass sowohl die Parteien Dr. Johannes Fechner (SPD): als auch die Gerichte vom Sachverstand der Rechtsan- wälte profitieren und das Risiko zum Beispiel der Seit dem 1. Januar 2009 können innerhalb der EU Fristversäumung etc. geringer ist. Eine Erhöhung der grenzüberschreitende Streitigkeiten bei einem Streit- Streitwertgrenze auf 10 000 Euro würde dieser Syste- wert von bis zu 2 000 Euro durch ein spezielles Ge- matik zuwiderlaufen. richtsverfahren geltend gemacht werden, das in allen Mitgliedstaaten bis auf Dänemark gilt. Dieses Verfah- Aber auch im Bereich zwischen 2 000 und ren für geringfügige Forderungen – oder im Engli- 5 000 Euro wäre eine Vielzahl der Zivilprozesse vor schen Small Claims Procedure genannt – erleichtert den Amtsgerichten in Deutschland von der Absenkung den Unionsbürgerinnen und -bürgern bei grenzüber- der Verfahrensstandards betroffen. In unserer erwei- schreitenden Sachverhalten den Zugang zur Justiz. terten Stellungnahme haben wir uns deshalb klar dafür ausgesprochen, dass das Small-Claims-Verfahren nur Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen bis zu einer Streitwertgrenze von 2 000 Euro Anwen- können kostengünstiger und vor allem schneller beige- dung finden soll. legt werden. Die Prozessparteien können mittels dieses Verfahrens innerhalb von nur wenigen Monaten zu ei- Zweitens. Erheblichen Bedenken unterliegt unserer nem Titel gelangen. Denn bei dem Small-Claims-Ver- Ansicht nach auch die geplante Erweiterung der Defi- fahren handelt sich im Wesentlichen um ein schriftli- nition für „grenzüberschreitende Rechtssachen“. ches Verfahren mit kurzen Fristen, bei dem außerdem Sachverhalte, bei denen beide Parteien aus einem Mit- Standardformulare verwendet werden. Die Prozess- gliedstaat stammen und bei denen ein grenzüber- parteien und Zeugen können sich lange Wege in andere schreitender Bezug dem Charakter des Vertragsver- Mitgliedstaaten und Anreisekosten ersparen, wenn hältnisses nicht entspricht, dürfen nicht dem keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Das Anwendungsbereich des Small-Claims-Verfahrens un-

Zu Protokoll gegebene Reden 5028 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Johannes Fechner (A) terfallen, um mitgliedstaatliche Verfahrensstandards braucherinnen und Verbraucher werden es sich zwei- (C) zu erhalten. oder dreimal überlegen, ob sie diese Strapazen wirk- lich wegen ein paar Hundert Euro auf sich nehmen Drittens. Auch die im Verordnungsvorschlag vorge- wollen. sehene Deckelung der Gerichtsgebühren auf maximal 10 Prozent des Streitwertes und die Beschränkung der Die vorgeschlagene Verordnung könnte für genau Mindestgebühr auf 35 Euro widersprechen dem deut- solche Fälle zumindest ein Stück weit Abhilfe schaffen. schen Gerichtskostensystem und wären mit erhebli- Gläubigerinnen und Gläubiger sollen im Europäi- chen Kosten für die Bundesländer verbunden. schen Mahnverfahren künftig einfacher an ihr Geld gelangen. Zu diesem Zweck soll das Verfahren bei For- Viertens. Neben der eben von mir dargestellten be- derungen bis 10 000 Euro, statt wie bisher bis 2 000 Euro rechtigten Kritik begrüßen wir aber ausdrücklich den anwendbar sein. Das kommt insbesondere kleinen und Ansatz, elektronische Fernkommunikation in Zivilpro- mittleren Unternehmen entgegen. zessen verstärkt zu nutzen. Die Übertragung von Vi- deo- und Telekommunikationskonferenzen im Ge- Darüber hinaus sollen Telefon- und Videokonferen- richtsverfahren ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass zen das persönliche Erscheinen bei mündlichen Ver- den Parteien die unter Umständen kosten- und zeitin- handlungen überflüssig machen, was wiederum Reise- tensive Anreise erspart werden kann. Auf der anderen kosten spart. Seite sieht der Verordnungsvorschlag weiterhin die Möglichkeit vor, dass eine mündliche Verhandlung Zudem soll das Europäische Mahnverfahren künftig durchgeführt wird, wenn das Gericht sie für sachdien- bei deutlich mehr Streitigkeiten anwendbar sein, auch lich erachtet oder die Parteien dies beantragen. Das zwischen inländischen Streitparteien, solange ein be- trägt dem Grundsatz der Mündlichkeit im Zivilprozess stimmter Auslandsbezug besteht, zum Beispiel bei der Rechnung und ist ausdrücklich positiv zu werten. Vermietung eines Ferienhauses im Ausland. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal ausdrück- Soweit die vorgeschlagene Verordnung hierdurch lich sagen, dass die Harmonisierung der Zivilverfah- dem kleinen Handwerksunternehmen oder den geprell- ren innerhalb der Europäischen Union ein erstrebens- ten Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft, an ihr wertes Anliegen ist. Geld zu kommen, begrüße ich das ausdrücklich. Es ist aber wichtig, dass die zuvor genannten be- Allerdings gibt es auch hier zwei Seiten der Me- rechtigten Kritikpunkte Gehör finden, ich bitte Sie da- daille. Was für die Gläubigerinnen und Gläubiger gut her heute um Zustimmung zu unserer Stellungnahme. ist, ist für die Schuldnerinnen und Schuldner naturge- (B) mäß eher schlecht. Das Mahnverfahren nach dem (D) deutschen Zivilrecht ist mehrstufig ausgestaltet und Richard Pitterle (DIE LINKE): bietet der Schuldnerseite daher mehr Reaktionsmög- Viele kleine und mittlere Unternehmen in der EU lichkeiten und somit mehr Schutz. Insbesondere wenn kennen das folgende Problem: Man erfüllt einen Auf- auf Schuldnerseite Verbraucherinnen und Verbraucher trag für ein größeres Unternehmen aus einem anderen stehen, kann die im Europäischen Mahnverfahren EU-Staat, und dieses lässt sich danach ewig Zeit, die quasi automatisch folgende Vollstreckbarkeit der For- Rechnung zu bezahlen. Das Schlimme ist: Das kleine derung unangemessen sein. Hier müsste noch nachge- Handwerksunternehmen oder der kleine Zulieferbe- bessert werden. trieb kann dadurch schnell in eine finanzielle Schief- lage geraten. Möglichkeiten zur Zwischenfinanzierung Und bei dieser Gelegenheit noch einmal etwas ganz gibt es für diese nämlich kaum, und auch Aufträge in Grundsätzliches, meine Damen und Herren von der der Größenordnung von nur ein paar Tausend Euro Bundesregierung: Das hehre Ziel, die Mühlen der Jus- können hier von existenzieller Bedeutung sein. Im tiz schneller und reibungsloser laufen zu lassen, er- schlimmsten Fall kann sogar die Pleite drohen. reicht man nicht nur durch Verfahrensvereinfachun- gen, die zudem irgendwann an die Grenzen der Ein anderes Beispiel: Verbraucherinnen und Ver- Rechtsstaatlichkeit stoßen können. Der grundgesetz- braucher bestellen sich immer mehr Waren online aus lich garantierte Zugang der Bürgerinnen und Bürger allen Ecken der EU und bekommen diese per Post. Die zu den Gerichten darf nämlich keinesfalls missachtet bezahlte Ware wird dann aus irgendeinem Grund re- werden. Viel wichtiger ist daher eine endlich ausrei- tourniert, und der gezahlte Kaufpreis muss von der chende finanzielle und personelle Ausstattung der Ge- Verkäuferseite zurückerstattet werden. In manchen richte und Justizbehörden. Und hier, sehr geehrter Fällen passiert das aber leider nicht, und die Verbrau- Herr Maas, liegt leider noch ein ganzes Stück Arbeit cherinnen und Verbraucher gucken in die Röhre. vor Ihnen und den Landesregierungen. Sowohl das kleine Handwerksunternehmen als auch die Verbraucherinnen und Verbraucher aus diesen Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beispielen könnten nun versuchen, ihren Anspruch Die EU-Kommission will dem Small-Claims-Verfah- gerichtlich durchzusetzen. Aber das ist zumeist auf- ren zu mehr Ruhm verhelfen und dafür den Anwendungs- wendig und langwierig, gerade wenn es um grenz- bereich neu festlegen. Das Ansinnen, geringfügige For- überschreitende Streitigkeiten geht. Insbesondere Ver- derungen aus grenzüberschreitenden Streitigkeiten

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5029

Katja Keul (A) leichter verfolgen zu können, ist ja grundsätzlich nicht Vermutlich wäre eine Werbekampagne eher geeig- (C) schlecht. Es sollte kein Problem sein, vor ein Gericht net, die Verfahrenszahlen zu erhöhen, als eine Auswei- in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu ziehen, um tung des Anwendungsbereichs. seine Forderung geltend zu machen. Verbindliche Standards, gemeinsame Verfahrensregelungen und Die Vorstellungen der Kommission sind allerdings kostenreduzierende Videokonferenzen können hier ohnehin utopisch: so sollen die Anzahl der Verfahren sinnvolle Maßnahmen sein, um Hemmschwellen zu von 500 auf 60 000 steigen, was quasi 5 Prozent aller senken. Prozesse im Jahr unter einem Streitwert von 10 000 Euro in Deutschland wären! Vor diesem Hintergrund enthält die Verordnung Ver- fahrenserleichterungen für Streitigkeiten mit einem Mit unserer interfraktionellen Stellungnahme ge- Streitwert von bis zu 2 000 Euro. Allerdings hat sich genüber der Bundesregierung haben wir deutlich ge- herausgestellt, dass die Verordnung in der Praxis macht: Zivilprozesse dürfen nicht ausschließlich durch kaum angewendet wurde. die Brille der Wirtschaftlichkeit gesehen werden. Ge- ringerer Arbeitsaufwand ist nur dann erfreulich, wenn Die schlichte Ausweitung des Anwendungsbereichs die Rechtsprechungsqualität nicht darunter leidet. der Verordnung ins Uferlose, wie sie die Kommission Mündliche Verhandlungen und anwaltliche Vertretung jetzt vorschlägt, ist aber keine gangbare Lösung. Ich schützen sowohl den Verbraucher als auch den Recht- bin froh, dass darüber hier im Haus Einigkeit besteht! suchenden und dürfen deshalb nicht zur Ausnahme Zum einen hat die Kommission offensichtlich merk- werden. würdige Vorstellungen über „geringfügige Forde- rungen“. So soll der Grenzstreitwert von 2 000 auf Wir hoffen also darauf, dass die Bundesregierung 10 000 Euro heraufgesetzt werden. Das werden die unsere Stellungnahme nicht nur berücksichtigt, son- meisten der Bürgerinnen und Bürger nicht als gering- dern die genannten Punkte auch gegenüber der EU- wertig ansehen, und einem Großteil der kleinen und Kommission durchsetzt. mittleren Unternehmen dürfte es genauso gehen. Bei Streitwerten von über 5 000 Euro gehen Verfah- Vizepräsident Johannes Singhammer: ren in Deutschland bisher üblicherweise schon in ers- Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be- ter Instanz vor das Landgericht, und anwaltliche Ver- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- tretung ist zwingend vorgeschrieben. Ab 10 000 Euro braucherschutz auf Drucksache 18/2647. Der Ausschuss kann schnell mal die Existenz auf dem Spiel stehen. empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie- (B) ßung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (D) Wenn die Pläne der Kommission Realität würden, anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- dann könnten zudem auch rein innerstaatliche Sach- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – verhalte nach der Small-Claims-Verordnung behandelt Damit ist diese Beschlussempfehlung bei Enthaltung der werden. Künftig muss nämlich nicht mehr einer der Fraktion Die Linke angenommen. Vertragspartner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im EU-Ausland haben, sondern es soll rei- Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 8 auf: chen, wenn zum Beispiel der Ort der Vertragserfüllung im EU-Ausland liegt, wie beispielsweise bei Pauschal- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie reisen; und das selbst dann, wenn sie beim heimischen Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Reiseanbieter um die Ecke buchen, der seinen Ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schäftssitz im Inland hat. Sofern das Unternehmen dann gegenüber dem Ver- Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwal- braucher aus Kostengründen das Small-Claims-Ver- tung konsequent fortsetzen fahren wählt, führt das nicht nur zu einer verringerten Drucksache 18/1341 gerichtlichen Prüfung. Auch eine mündliche Verhand- Überweisungsvorschlag: lung findet nur noch auf Antrag statt, wenn das Ge- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) richt sie für sachdienlich hält. Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Anwaltliche Vertretung soll nicht mehr erforderlich Ausschuss für Arbeit und Soziales sein. Und dass in einem Bereich, in dem die Verbrau- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und cher typischerweise größeren Konzernen gegenüber- Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus stehen (TUI etc.) und gemeinhin als besonders schutz- Haushaltsausschuss bedürftig angesehen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Das wahre Problem der bisherigen Regelung ist die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- doch ein ganz anderes: Die Verordnung leidet schlicht- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. weg an ihrer Unbekanntheit. Da geht es ihr vielleicht ähnlich wie einigen EU-Kommissaren – die das mit Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile das dieser Verordnung aber wahrscheinlich auch nicht Wort der Kollegin Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die werden ändern können. Grünen. 5030 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erstens. Es braucht eine Budgetverantwortung direkt (C) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei in den Ämtern vor Ort. meinen vielen Besuchen in den Wasser- und Schiff- Zweitens. Es braucht dringend eine vollständige Kos- fahrtsämtern und bei Personalversammlungen erlebe ich ten- und Leistungsrechnung für ein wirksames Control- immer wieder, wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitar- ling. Das ist eine Selbstverständlichkeit in jedem Wirt- beiter nach einer echten Reform sehnen, eben nach einer, schaftsunternehmen; aber in der WSV ist es nicht zu die diesen Namen auch verdient. Die Mitarbeiter vor Ort finden. – denken wir bitte daran, dass es unsere Mitarbeiter sind, nämlich Mitarbeiter des Bundes – sollen die Verantwor- Drittens. Es braucht dringend eine Anlagenbuchhal- tung für die Anlagen übernehmen. tung für unsere Wasserstraßen. Damit erhält das Parla- ment einen besseren Überblick über das Anlagevermö- Die Übernahme der notwendigen Verantwortung für gen, das in den Wasserstraßen steckt. Vor allen Dingen den Ressourceneinsatz, also für das Geld, wird ihnen erfahren wir, wann wir in den Ersatz investieren müssen. aber nicht zugetraut. Jeder Kleinkram muss bereits ab Das macht jeder ehrbare Kaufmann, und zwar nicht ohne 50 000 Euro über den langen Verwaltungsweg beantragt Grund. werden. So wird Frust geschaffen, aber keine Motivation für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Reform wird also noch ein paar Jährchen in An- spruch nehmen. Insofern brauchen Sie noch mehr Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) formeifer und vor allem Durchhaltevermögen. Liebe Diese sind es aber, die sich täglich für funktionierende Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zeigen Sie end- Wasserstraßen einsetzen. lich Reformwillen. Die Mitarbeiter vor Ort werden es Ih- nen danken, Wortakrobatik statt echter Reformbereitschaft haben wir in den letzten 20 Jahren schon oft genug gehört. Jetzt (Gustav Herzog [SPD]: Das machen sie schon! muss gehandelt werden. Es darf nicht länger gewartet Sie bedanken sich bei uns!) werden. und auch die Schifffahrtsbranche. Seien Sie endlich ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mal für die Wirtschaft da, wie es Ihr Vorsitzender aktuell predigt. Selbst der frühere Verkehrsminister Ramsauer hat ir- gendwann eingesehen, dass er ohne eine Reform in sei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nem eigenen Haus nicht auskommt. So weit, so gut. Meine Botschaft an das Verkehrsministerium, das hier Oder sollte ich besser sagen: „so schlecht“? sogar zu zweit vertreten ist, und an die Koalition der Re- (B) Heute koaliert die Union mit der SPD, und da sieht formbremser lautet: Die Reform steht nicht vor dem Ab- (D) manches schon wieder ganz anders aus. Die Union schluss. Im Gegenteil: Jetzt muss es losgehen. wollte mal ein bisschen, und die SPD wollte noch nie so Herzlichen Dank. richtig. Was dabei herauskommt, konnte man in einer Pressemitteilung des BMVI vom 29. August 2014 lesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich zitiere eine Aussage von Minister Dobrindt: Vizepräsident Johannes Singhammer: Das enorme Reformprojekt der Neuausrichtung der Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta- Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes … rische Staatssekretär Enak Ferlemann. steht kurz vor dem Abschluss … (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das ist schlichtweg falsch. Das Reformprojekt steht neten der SPD) nicht kurz vor dem Abschluss. Es muss jetzt endlich ein- mal ernsthaft umgesetzt werden. Das ist der richtige Weg. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten habe ich einen Antrag der Grünen Die Aussage hat mich insofern schon sehr verwundert, gelesen, der so gut war. Frau Wilms, da haben Sie sich Herr Kollege Ferlemann. Die Äußerung nährt bei mir wirklich Mühe gegeben. den Eindruck, das Ministerium möchte sich schnell ei- nen schlanken Fuß machen. Es ist anscheinend froh, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wenn die Reform so schnell und geräuschlos wie mög- Ja! So muss das sein! Ich stimme zu!) lich abgeschlossen wird, egal mit welchem Ergebnis. Sie Hinsichtlich dessen, was Sie dort beschrieben haben, dürfen sich jetzt nicht zurücklehnen und so tun, als ob al- sind wir uns sehr einig, auch hinsichtlich dessen, was Sie les schon erledigt sei. Das wäre fatal. Was wir brauchen, hier gesagt haben, mit zwei Ausnahmen: ist eine echte Reform: weg von der Verwaltung der Was- serstraßen, hin zu einem wirklichen Dienstleister für die (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schifffahrt. NEN]: Na!) Durch die Reform wird das System Wasserstraße ver- Sie haben gesagt, wir seien noch gar nicht gestartet. bessert. Dafür müssen aber folgende Punkte umgesetzt Wenn man Ihren Antrag liest, ist man erstaunt; denn Sie werden: beziehen sich auf den 5. Bericht. Sollte der Fraktion der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5031

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) Grünen entgangen sein, dass es schon längst einen 6. Be- die eine sehr hohe Kompetenz hat und, statt Aufträge zu (C) richt gibt? Das wäre schade. vergeben, vieles auch selber erledigen kann. Manchmal ist es effizienter, etwas selber zu machen. Nicht alles (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auszuschreiben, ist immer der richtige Weg. Man muss NEN]: Schauen Sie einmal drauf, wann der einen guten Mittelweg finden. Antrag kam! Im Mai!) Ich glaube, der Reformansatz, den wir gewählt haben, Frau Wilms, Sie haben gesagt, die Reform habe noch ist dafür richtig. Ich freue mich sehr, dass das auf die Zu- nicht begonnen. Sie läuft doch schon längst, und sie wird stimmung der Grünen stößt. Unterstützen Sie uns weiter. auch fortgesetzt. Natürlich, bei einem so großen Reform- vorhaben wie der Reform der Wasser- und Schifffahrts- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. verwaltung, von der circa 14 000 Personen betroffen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind, geht das nicht von heute auf morgen. Das ist ein neten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜND- langsamer und langwieriger Prozess, weil Sie die Men- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterstützen Sie un- schen mitnehmen müssen und weil Sie Verwaltungs- seren Antrag auch!) strukturen nicht abrupt zerschlagen können. Das wollen wir auch nicht. Sie müssen mit den Menschen gemein- Vizepräsident Johannes Singhammer: sam arbeiten. Die Menschen müssen ja auch Vertrauen Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der haben. Kollege Herbert Behrens. Ich stelle fest, dass wir eine hervorragend aufgestellte (Beifall bei der LINKEN) Wasser- und Schifffahrtsverwaltung haben. Die Kolle- ginnen und Kollegen leisten eine hervorragende Arbeit. Gleichwohl – recht haben Sie –: Wir brauchen eine An- Herbert Behrens (DIE LINKE): lagenbuchhaltung, und wir brauchen moderne kaufmän- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die nische Steuerungselemente und Steuerungssysteme. Das Kolleginnen und Kollegen der Wasser- und Schifffahrts- sieht die Reform auch so vor. verwaltung machen sich seit vielen Jahren große Sorgen um ihre Zukunft. Junge Auszubildende werden nicht Wir werden das sukzessive umsetzen, so wie wir es übernommen. Ausscheidende Kolleginnen und Kollegen gesagt haben. Wir nehmen eine Entscheidungsebene he- werden nicht ersetzt. Die Belegschaft schrumpft seit Jah- raus, die Wasser- und Schifffahrtsdirektion, konzentrie- ren. Zur gleichen Zeit beklagen die Verbände der Wirt- ren uns in der Führung auf die Generaldirektion Wasser- schaft den Zerfall der Bundeswasserstraßen. Die Sper- und Schifffahrt, ziehen dort auch Kompetenzen aus dem rung der Schifffahrt am Nord-Ostsee-Kanal kam uns Ministerium in die Mittelbehörde mit einer hohen Ent- (B) teuer zu stehen, weil die maroden Schleusen ihren Geist (D) scheidungskompetenz, aber natürlich auch mit Entschei- aufgaben. Das ist nur eines von vielen Beispielen. dungsverantwortung, und wir schaffen 18 Reviere, in de- Doch die CDU/CSU-geführte Regierung der vergan- nen dann Amtsleiter die regionale Verantwortung genen Legislaturperiode, die zusammen mit der inzwi- wahrnehmen, ausgestattet mit einer hohen Entschei- schen ebenfalls vergangenen FDP regiert hat, war vom dungskompetenz. Geist der Privatisierung geprägt; man könnte es auch Ich glaube, dass diese Struktur, die mit dem 6. Bericht „umnebelt“ nennen. Statt darauf zu schauen, was die Bin- vorgeschlagen wird, ein sehr positives Echo gefunden nen- und Küstenschifffahrt zu einem modernen, ökolo- hat, sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gisch orientierten Verkehrssystem beitragen kann, nahm als auch bei den Ländern als auch bei der Wirtschaft. sich die Regierung die WSV als Apparat vor. Deswegen glaube ich, dass wir diese Reform in diesem Aber die ganze Geschichte ist schon älter. Zitat: Seit Herbst gemeinsam so auf das Gleis bringen, dass wir das 1995 befasst sich das Bundesverkehrsministerium mit als Ministerium letztlich umsetzen können. Das wird ab der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des 1. Januar 2015 scharfgestellt, und dann beginnt sukzes- Bundes. – Das schreibt der Bundesrechnungshof in sei- sive die Umwandlung. nem Bericht von 2010. Ich zitiere weiter: Mit der Re- Dazu gehört auch die Einführung der Kosten- und form soll es auf die haushaltsgesetzliche Einsparquote Leistungsrechnung; denn auch die brauchen wir – da bei den Dienstposten reagieren. – Genau darum geht es: gebe ich Ihnen recht –, um kaufmännisch richtig steuern Personalabbau als Maßstab von Reformen, das ist seit zu können. Das lässt sich aber nicht von heute auf mor- 20 Jahren die Erfahrung der Beschäftigten bei der WSV. gen bewerkstelligen, wie Sie aus eigener Erfahrung und Der Begriff „Reform“ wird mit „Personalabbau“ über- Ihren vielen Besuchen bei den vielen Ämtern ja wissen. setzt. Das akzeptieren wir nicht. Insofern stelle ich fest: Die Grünen sind etwas hinter (Beifall bei der LINKEN) dem Mond bei dem Ansatz, wie weit wir schon sind. Ich freue mich aber, dass Sie uns so unterstützen. Denn bis- Außenämter zusammenlegen, Schleusen automatisie- her hat Sie ausgezeichnet, dass Sie uns bei diesem Re- ren, Bündelung von Dienstleistungen mit dem Ziel der formprozess aktiv unterstützt haben und wir gemeinsam Personaleinsparung, das waren übrigens die gemeinsa- in die richtige Richtung marschiert sind. Ich glaube, wir men politischen Ziele der Regierungen seit jener Zeit, bekommen es hin. und zwar in den unterschiedlichsten Zusammensetzun- gen. Doch die Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben Ziel muss es sein, eine effiziente, hochleistungsfähige gezeigt und zeigen noch heute, wie wichtig ihre Arbeit und starke Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zu haben, ist. Sie fahren bei Wind und Wetter raus, um die Schleu- 5032 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Herbert Behrens (A) sen gangbar zu halten. Sie sind Tag und Nacht unter- Gustav Herzog (SPD): (C) wegs, wenn zu viel oder auch zu wenig Wasser da ist, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich um die Schifffahrt gangbar zu halten. Schnell und kom- will uns freundlich einstimmen: Vielen Dank den Grü- petent reagieren sie, wenn es auf dem Wasser zu einem nen für diesen Antrag! Er ist zwar etwas überholt – er Malheur kommt, und sie beweisen mit ihrer täglichen wurde im Mai gestellt –, aber er gibt eine gute Gelegen- Arbeit auch, dass sie Dinge erhalten. Dadurch kommt es heit, hier im Plenum nicht nur über ein verkehrspoliti- nur selten zu Malheurs. Die Zahl der Zwischenfälle lässt sches Thema, sondern auch über ein Thema zu reden, bei sich wirklich an wenigen Fingern abzählen, und das dem die Große Koalition schon nach kurzer Zeit eine selbst bei Anlagen, die Jahrzehnte, manche sogar ein positive Bilanz ziehen kann. ganzes Jahrhundert alt sind. (Lachen der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND- Die Linke hat in den Jahren der letzten schwarz-gelben NIS 90/DIE GRÜNEN]) Koalition die Belegschaft der Wasser- und Schifffahrts- verwaltung bei ihrem Kampf um den Erhalt einer funk- Ich kann Ihnen ankündigen: Wir werden als Koali- tionsfähigen Ausführungsverwaltung unterstützt. Heute, tionsfraktionen einen gemeinsamen Antrag einbringen, nachdem der ziellose Umbau der WSV halbwegs ge- in dem wir insbesondere den 6. Bericht zur Reform der stoppt werden konnte, beraten wir den Antrag „Reform WSV aufgreifen. Lieber Kollege Hans-Werner Kammer, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fort- ich glaube, das wird nicht nur ein aktuellerer Antrag, setzen“. Das haben die Kolleginnen und Kollegen der sondern auch ein besserer Antrag als der von den Grü- WSV nicht verdient. Sie brauchen keine WSV-Re- nen. form II, nachdem die WSV-Reform I gescheitert ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann er gar nicht Wir unterstützen die Aussagen im Antrag der Grünen werden!) sehr wohl, in dem es heißt, dass neue Aufgaben, etwa im Natur- und Artenschutz, zu bewältigen sind und dass die Liebe Kollegin Wilms, im Text Ihres Antrags ist ein Unterhaltung der Flüsse nach ökologischen Kriterien an kleiner Fehler. Nicht im Juni 2012 wurde die Reform an- Bedeutung gewinnt. Das alles ist richtig. Aber es hilft gestoßen; vielmehr begann das Elend im Oktober 2010, uns hier nicht weiter, an einem Umbau der WSV festzu- in jenem berühmten Herbst der Entscheidungen, als die halten, der eben nicht an den neuen ökologischen Aufga- FDP ihren großen Koalitionspartner dazu gebracht hat, ben der WSV orientiert ist. Wir können doch nicht fort- im Haushaltsausschuss einen sehr verhängnisvollen Be- setzen wollen, was von vornherein ausschließlich auf schluss zu fassen – lieber Kollege Behrens, in der ersten Personalabbau ausgerichtet war und die Zerschlagung Abstimmung geschah das zusammen mit den Linken – (D) (B) der WSV und die Privatisierung von Aufgaben zum Ziel hatte. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ja!) Die Linke unterstützt stattdessen die WSV-Beleg- und das Ministerium aufzufordern, eine Reform durch- schaft in ihrem Engagement für eine zukunftsfähige zuführen, die zu all dem geführt hat, was wir vier Jahre Bundesbehörde. Ihre Arbeit wird sich verändern. Wer lang erlebt haben, nämlich zu einem echten Schlinger- weiß das besser als die Betroffenen selber! Sie sind doch kurs. heute schon dabei, im Netzwerk zu arbeiten, und sie bil- Wenn ich an die Berichte 1 bis 5 denke, dann fällt mir den selbstständig arbeitende Inspektionstrupps, die Stö- auf, wie häufig wir über unterschiedliche Zahlen von rungen des Schiffsverkehrs erst gar nicht aufkommen Ämtern geredet haben und wie häufig die Funktion der lassen. Das tun sie mit guten Ingenieuren und guten Ämter verändert worden ist. Außerdem denke ich dann Handwerkern, wie wir zum Beispiel in Aurich haben se- an diesen wirklich unsäglichen Personalabbau von hen können. 12 000 auf unter 10 000. Dahinter steckte die Ideologie (Beifall bei der LINKEN) der FDP, möglichst viel zu vergeben und möglichst we- nig selbst zu tun; das sei ganz gut. Die FDP wollte keine Es bleibt dabei: Eine Reform der Wasser- und Schiff- Durchführungsverwaltung mehr, sondern eine Gewähr- fahrtsverwaltung des Bundes muss die Behörde so mo- leistungsverwaltung. dernisieren, dass sie ihre Arbeit erledigen kann. Dafür braucht sie qualifiziertes Personal, eine gute technische (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Und jetzt Ausstattung und einen klaren Auftrag. Dafür tragen wir kommt die SPD!) die Verantwortung. Mit einem Antrag, der die Unsicher- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hagelte damals heit der Belegschaft verstärkt, kommen wir dieser Ver- Kritik. Ich rufe heute gerne in Erinnerung, dass auch antwortung nicht nach. sehr viel Kritik aus der Wirtschaft kam. Frau Kollegin (Beifall bei der LINKEN) Wilms, diejenigen aus der Wirtschaft, mit denen ich ge- sprochen habe – das waren nicht nur Vertreter der Ver- Vizepräsident Johannes Singhammer: bände, sondern auch Menschen, die im Hafen und auf dem Schiff ihrer Arbeit nachgegangen sind –, haben die Nächster Redner ist der Kollege Gustav Herzog für WSV nie als eine Verwaltung, sondern immer als eine die Sozialdemokraten. Organisation verstanden, die ihnen bei all ihren Proble- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men geholfen hat. Das war ein echter Erfolg. Die Leute der CDU/CSU) haben gute Arbeit geleistet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5033

Gustav Herzog (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem 6. Bericht umgesetzt worden ist. Frau Kollegin (C) der CDU/CSU) Wilms, dann wird es auch eine Kosten-Leistungs-Rech- nung geben. Die Beschäftigten waren aber so verunsichert, dass es zu einem Streik gekommen ist, der die Branche emp- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- findlich getroffen hat. Ich bin froh, Herr Staatssekretär, NEN]: Da bin ich ja mal gespannt, ob das je- dass es eine klare Erklärung der drei beteiligten Ministe- mals kommen wird!) rien gegeben hat, dass die weitere Reform wirklich so- Dann wird es auch einen klaren Vergabekatalog geben. zialverträglich umgesetzt wird. Ich bin Minister Dobrindt sehr dankbar, dass er er- Aber auch die Länder haben heftig kritisiert. Minis- klärt hat: Wir wollen darauf achten, dass unsere Organi- terpräsidenten der Union haben Briefe geschrieben und sation, die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bun- das klare Signal gegeben, dass man mit dieser Reform scheitern wird. Auch deswegen wurde ein Gesetzent- des, ihre eigene Kompetenz behält und nicht von wurf der alten Koalition zurückgezogen. Monopolen abhängig wird, die es in dem Markt, in dem wir unsere Ausschreibungen machen, gibt. Dann kamen die Bundestagswahl, die Koalitionsver- handlungen, ein Koalitionsvertrag – und es gab eine an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dere Situation. Wir haben klar festgelegt: Wir wollen bei der CDU/CSU) den weiteren Reformschritten die Kompetenz der Es gibt einen weiteren Punkt, in dem sich der 6. Be- Beschäftigten mit einbinden, und wir wollen eine regio- richt sehr wohlwollend von den ersten fünf Berichten nale Verankerung vornehmen. In beidem hat die Koali- unterscheidet: Wir wenden uns dem Personal zu. Wir sa- tion – hier gilt mein ganz persönlicher Dank Minister gen: Wir wollen mehr für Aus-, Fort- und Weiterbildung Dobrindt – Wort gehalten. tun. Wir haben bei der Übernahme von Auszubildenden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schon deutliche Verbesserungen erzielt. Von daher wie- der CDU/CSU) derhole ich, was ich zu Beginn gesagt habe: Wir sind jetzt auf einem klaren Kurs. Was vier Jahre nicht geklappt hat, haben wir in vier Monaten hinbekommen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich blei- ben noch ein paar Fragen offen: Wie wird die Kompe- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tenz vom Ministerium auf die Generaldirektion und auf NEN]: Von wegen! Verhindert habt ihr die Re- die Ämter abgeschichtet? Herr Staatssekretär, wo bleibt form!) der Infrastrukturbericht? Wir sind nicht die Einzigen, die sagen: Wir wollen nicht warten, bis der Bundesverkehrs- (B) Es gibt eine klare Linie. Jetzt werden sich der Rech- (D) nungsprüfungsausschuss und der Haushaltsausschuss wegeplan kommt, sondern wir hätten gern vorher klare damit beschäftigen. Mein besonderer Dank geht an un- Auskunft. – Wir werden uns intensiv mit dem Konzept sere Kollegen Bettina Hagedorn und Eckhardt Rehberg, zum Wassertourismus beschäftigen; je früher es da ist, die als Haushälter ein erstes Signal gesendet haben; denn desto besser für alle Beteiligten. schon jetzt können wir im Bereich der WSV mehr Perso- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nal einstellen. Dieses Signal ist wichtig, weil wir als Ar- NEN]: Das ist doch noch aus der 16. Wahlpe- beitgeber in Anbetracht der Konkurrenz bestehen müs- riode!) sen. Wir brauchen kompetente Leute, die engagiert ihre Arbeit machen. Eine Verwaltung jedoch, die zum Ziel Wir werden uns dem Spannungsfeld von Kategorisierun- hat, Personal abzubauen, ist niemals ein attraktiver Ar- gen und Priorisierungen im Bundesverkehrswegeplan beitgeber. zuwenden; die alten Kategorien können nicht die neuen sein. Von daher ist es gut, dass wir vier Botschaften aussen- den: Es wird keinen Personalabbau mehr geben. Wir geben (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die unsägliche Idee der Trennung von Bau und Verkehr auf. NEN]: Aha! Also doch ein Ende der Reform?) Es wird in den Ämtern weiterhin einen Ansprechpartner Ich denke, dieses Parlament sollte damit nicht bis April geben: für die Länder, für die Kommunen, für die Wirt- 2015 warten, bis das Rechtsbereinigungsgesetz vorliegt. schaft. Alle Standorte werden erhalten bleiben. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Insgesamt wird die WSV infolge dieser Konzentra- die Debatte im Ausschuss. Wir sehen uns dann zum glei- tion effizienter arbeiten. Es wird 18 Ämter geben, die chen Thema hier im Plenum wieder. kompetent, leistungsstark, zuverlässig und in der Region verwurzelt ihre Arbeit tun. Dabei werden nicht alle Äm- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ter alles machen. Es wird, abhängig von den unterschied- lichen Aufgaben in der Region, unterschiedliche Schwer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten punkte geben. Sicherlich wird es auch Synergieeffekte der CDU/CSU) geben, indem bestimmte Ämter Arbeiten für die gesamte WSV erledigen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der In einem weiteren Schritt werden wir uns den Außen- Kollege Hans-Werner Kammer, CDU/CSU. bezirken, Revieren und Verkehrszentralen zuwenden, dies aber erst dann, wenn dieser Teil der Reform aus (Beifall bei der CDU/CSU) 5034 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): noch viel Potenzial, das wir nutzen können, um andere (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verkehrsträger zu entlasten. Sehr geehrte Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grü- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nen haben ja auch schon in der letzten Legislatur inten- Haben Sie den Antrag gelesen?) siv und forsch für eine Reform der Wasser- und Schiff- fahrtsverwaltung geworben. Mit dem vorliegenden Wer aber wie Sie den Verkehr von Straße und Schiene Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, auf das Wasser holen will, darf die Bundeswasserstraßen die Reform konsequent umzusetzen. Liebe Frau nicht zum Naturschutzgebiet machen. Dr. Wilms, genau das tut die Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung. Der Bundesverkehrsminister hat (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mit dem 6. Bericht zum Stand der Reform den Kurs klar Haben Sie das überhaupt gelesen?) vorgegeben. Konsequent gehen Sie den Irrweg Ihres letzten Bun- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- destagswahlprogramms weiter. NEN]: Und sie für beendet erklärt!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch wenn über Details sicherlich noch zu reden ist, NEN]: Sie müssen den Antrag lesen! Pein- liegt das Konzept, mit dem die WSV zukunftsfest wird, lich!) auf dem Tisch. Den von Ihnen befürchteten Reformstau Dort stand die Förderung der Binnenschifffahrt unter hat es nicht gegeben. Ich habe bei Ihren Beiträgen, Frau dem Vorbehalt, dass sich die Schiffe dem Fluss anpassen Dr. Wilms und Herr Behrens, den Eindruck gehabt, dass müssen. Sie diesen 6. Bericht bisher nicht gelesen haben. Uns ist es in den letzten Wochen vielmehr gelungen, auch die (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord zu holen. Das NISSES 90/DIE GRÜNEN) war ein klarer Auftrag des Koalitionsvertrages, dem das – Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln; das stand da Ministerium in vollem Umfang Rechnung getragen hat. tatsächlich drin. – 2005 hat Ihr damaliger Umweltminis- Insofern kann ich Sie, liebe Kollegen von den Grünen, ter Jürgen Trittin ein solches Schiff mit öffentlichen Mit- beruhigen: Die Reform geht weiter. teln gefördert. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber der Minister erzählt etwas ganz NEN]: Herr Kammer, kommen Sie einmal in anderes!) die Realität zurück!) Aber bei der konkreten Umsetzung, liebe Frau (B) Die „RMS Kiel“ war jedoch ein Fehlschlag. Das hat so- (D) Dr. Wilms, der Reform hören die Gemeinsamkeiten zwi- gar der Bundesrechnungshof bestätigt. schen Koalition und Grünenfraktion auf. Ihr Antrag ist abzulehnen. Sie haben leider zu Ihrem Antrag im (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grunde kaum gesprochen. Ich möchte Ihnen deshalb sa- NEN]: Kommen Sie in die Realität!) gen: Sie wollen eine andere WSV als wir und übrigens Sie leben in einer Traumwelt, wenn Sie an eine Zu- auch eine andere als die WSV-Beschäftigten und die kunft der Schifffahrt glauben, ohne dass bestehende Wirtschaft. Schifffahrtswege ausgebaut werden. Wahrscheinlich se- (Widerspruch der Abg. Dr. Valerie Wilms hen Sie die Zukunft der Handelsschifffahrt so wie die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zukunft des Wassertourismus, nämlich muskelbetrieben. Das Thema Verkehrsinfrastruktur spielt bei Ihnen nur (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: noch eine zweite Geige. Stattdessen lese ich in Ihrem Oh!) Antrag nur von Renaturierung, ökologischer Wiederher- Das geht aber an der Realität vorbei und ist mit uns nicht stellung und dem Ausgleich zwischen Schifffahrt und zu machen. Ökologie. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE Umweltschutz liegt uns allen am Herzen, aber die GRÜNEN]: Die Rede ist auch schon 20 Jahre WSV ist zuerst eine Verkehrsverwaltung. Die Effizienz- alt!) steigerungen und Einsparungen der Reform wollen Sie für Umweltmaßnahmen aufwenden. Das steht so in Ih- Das Verkehrsministerium hat in enger Abstimmung rem Antrag. Der bedenkliche Zustand vieler Bundeswas- mit den Beschäftigten den richtigen Kurs eingeschlagen. serstraßen ist Ihnen sicherlich bekannt. Sie wollen doch Die Organisationsstruktur wird deutlich gestrafft. Die nicht im Ernst den Nord-Ostsee-Kanal im Namen des bestehenden Personalprobleme werden offensiv ange- Umweltschutzes verkommen lassen. gangen. So ist gewährleistet, dass die WSV in Zukunft noch besser als bisher die Bundeswasserstraßen betreuen (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kann, ohne zentrale Aufgaben an Dritte vergeben zu NEN]: Steht da auch nicht drin!) müssen. Zu den Aufgaben der WSV wird es aber auch Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass ich ausge- weiterhin gehören, Wasserwege gegebenenfalls auszu- rechnet Sie daran erinnern muss, dass das Schiff immer bauen. Nur so kann das große Potenzial des Verkehrs- noch das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist. Gerade mittels Schiff genutzt werden, um die in Zukunft massiv für Massengüter und Schwerlastverkehr bietet das Schiff zunehmenden Verkehrsströme zu schultern. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5035

Hans-Werner Kammer (A) Für die Koalition ist klar: Die WSV wird eine mo- kommunalen und staatlichen Grundbuchämter sollen (C) derne Infrastrukturverwaltung und keine Naturschutzbe- aufgelöst und die Grundbuchaufgaben bis spätestens hörde. Der Kollege Herzog hat ja bereits angekündigt, Ende 2017 dreizehn zentralen Amtsgerichten zugewie- dass es einen entsprechenden Antrag der Koalition dazu sen werden. geben wird. Diesem können Sie dann mit Begeisterung zustimmen. Eine amtsangemessene Weiterbeschäftigung der Ratschreiber und der Beschlussfertiger wäre nach der- Herzlichen Dank. zeitiger Rechtslage nicht möglich. Auf ihre Mitarbeit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) will das Land Baden-Württemberg aber auch in Zu- kunft nicht verzichten, einerseits wegen des grund- buchrechtlichen Fachwissens und ihrer praktischen Vizepräsident Johannes Singhammer: Erfahrung, andererseits, weil nach der Reform zusätz- Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages- ordnungspunkt. licher Personalbedarf bei den Amtsgerichten entste- hen wird. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1341 an die in der Tagesordnung aufge- Das Rechtspflegergesetz soll deshalb um einen § 35 führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- a ergänzt werden. Nach dem Gesetzentwurf dürfen verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das Ratschreiber mit der Befähigung zum gehobenen Ver- der Fall und die Überweisung somit beschlossen. waltungs- oder Justizdienst, die das Amt mindestens drei Jahre ausgeübt haben, die Aufgaben eines Rechts- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf: pflegers in Grundbuchsachen wahrnehmen. Die fach- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat liche Qualifikation soll durch Fortbildungen sicherge- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er- stellt werden. leichterung der Umsetzung der Grundbuch- Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, dass Be- amtsreform in Baden-Württemberg schlussfertiger, die seit mindestens fünf Jahren im Jus- Drucksache 18/70 tizdienst beschäftigt sind, ebenfalls die Aufgaben eines Rechtspflegers in Grundbuchsachen wahrnehmen dür- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- fen. Voraussetzung soll eine fachbezogene Fortbildung schusses für Recht und Verbraucherschutz von drei Monaten an einer Fachhochschule sein. (6. Ausschuss) Drucksache 18/2644 Der Gesetzentwurf sorgte bei den Rechtspflegern für Unmut. Hier steht man dem sogenannten „Be- (B) Nach meiner Information sollen die Reden zu Proto- reichsrechtspfleger“ kritisch gegenüber. Das Vorha- (D) koll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein Wider- ben des Landes Baden-Württemberg stellt aus Sicht spruch. Damit sind Sie einverstanden. des Bundes Deutscher Rechtspfleger einen statusrecht- lichen Angriff auf die Berufsgruppe der Rechtspfleger Detlef Seif (CDU/CSU): dar und sei wirtschaftlich und in der Sache nicht sinn- Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den voll. Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Umset- Die Kritik des Verbandes ist verständlich. Der zung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württem- Rechtspfleger als Beamter der Laufbahn des gehobe- berg. In Deutschland wird das Grundbuch zentral von nen Dienstes ist ein selbstständiges Organ der Rechts- den Amtsgerichten geführt. Baden-Württemberg pflege. Seine ihm übertragenen, ehemals richterlichen weicht historisch bedingt hiervon ab. Das Grundbuch Geschäfte nimmt er eigenverantwortlich und in sachli- wird dort überwiegend von den Kommunen geführt. cher Unabhängigkeit wahr. Aufgrund dieser dem Rich- Die Notare oder Rechtspfleger werden von den teramt ähnlichen Stellung wird er auch als die zweite Ratschreibern unterstützt. Ratschreiber mit der Befä- Säule der dritten Gewalt bezeichnet. higung zum höheren oder gehobenen Verwaltungs- oder Justizdienst sind befugt, grundbuchrechtliche Er- Wer die hohe Hürde des Bewerbungsverfahrens als klärungen zu entwerfen und Erklärungen zu beurkun- Rechtspfleger genommen hat, wird im Rahmen eines den. In der Praxis werden Grundbucheintragungen dreijährigen Vorbereitungsdienstes als Anwärter mit derzeit von den Ratschreibern bis zur Eintragungsreife einem anspruchsvollen Studium an einer Fachhoch- vorbereitet, die Eintragung selbst nimmt aber in der schule in Theorie und Praxis auf die spätere Tätigkeit Regel ein Amtsnotar vor. umfassend vorbereitet. Der angehende Rechtspfleger soll befähigt werden, vollkommen selbstständig Le- Neben den kommunalen Grundbuchämtern gibt es benssachverhalte zu erfassen, Rechtsfragen zu erken- auch staatliche Grundbuchämter. Sie sind mit Rechts- nen und zu lösen und sachgerechte Entscheidungen zu pflegern als Grundbuchbeamten und Beschlussferti- treffen. Die fachtheoretische Ausbildung ist entspre- gern besetzt. Beschlussfertiger sind Beamte des mittle- chend umfangreich und umfasst unter anderem das ren Dienstes und bereiten Grundbuchanträge für den Bürgerliche Recht, einschließlich Familienrecht, Erb- Rechtspfleger unterschriftsreif vor. recht, Immobiliarsachenrecht, das Zivilprozess- und Baden-Württemberg hat über den Bundesrat den Zwangsvollstreckungsrecht, das Handelsrecht ein- vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Die 654 schließlich Registerrecht sowie das Gesellschafts- 5036 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Detlef Seif (A) recht, das Grundbuchrecht, das Betreuungsrecht, die Der erste sieht eine Änderung in § 26 Nummer 8 (C) Freiwillige Gerichtsbarkeit, das Zwangsversteige- Satz 1 EGZPO vor. Nach dieser Vorschrift ist die Be- rungsrecht, das Insolvenzrecht und das Kostenrecht. schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ge- mäß § 544 ZPO bis zum 31. Dezember 2014 nur bei ei- Zweifelsohne handelt es sich bei dem Grundbuch- ner Beschwer von mindestens 20 000 Euro zulässig. wesen um einen besonders sensiblen Bereich. Hier Diese Übergangsfrist soll mit dem Gesetzentwurf um geht es um die Prüfung komplizierter Rechtsfragen, zwei Jahre verlängert werden. insbesondere um die rechtliche Beurteilung von Grundstückskaufverträgen, die Eintragung neuer Die zweite Änderung betrifft § 62 Absatz 2 WEG. Eigentümer in das Grundbuch, die Prüfung und Hiernach ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung Eintragung von Grundstücksbelastungen wie Grund- der Revision ausgeschlossen, wenn die anzufechtende schulden, Hypotheken, Wege- und Wohnrechten. Um- Entscheidung vor dem 31. Dezember 2014 verkündet fassende Kenntnisse des materiellen Rechts sind un- wurde. Nach dem Gesetzentwurf soll die Frist um ein umgänglich. Wegen des bestehenden öffentlichen Jahr verlängert werden. Glaubens des Grundbuches nach § 892 BGB und der damit verbundenen positiven und negativen Publizi- Mit der Verlängerung der Fristen will die Bundesre- tätswirkung müssen Eintragungen unbedingt materi- gierung dem immensen Arbeitsaufkommen und der Ar- ellrechtlich korrekt sein und dürfen nur von qualifi- beitsüberlastung des Bundesgerichtshofs Rechnung zierten Grundbuchbeamten vorgenommen werden. tragen. Aber in der Begründung zum Gesetzentwurf vom 1. April 2011 (Bundestagsdrucksache 17/5334) Eine Sachverständigenanhörung im Rahmen eines führte die Bundesregierung aus, dass die Nichtzulas- erweiterten Berichterstattergesprächs brachte zur sungsbeschwerde erforderlich sei, um einer Zersplitte- Frage des Umfangs der erforderlichen Zusatzausbil- rung der Zivilrechtspflege entgegenzuwirken. Die Be- dung der Beschlussfertiger kein eindeutiges Ergebnis. rufungsgerichte hatten nämlich von der Möglichkeit Während die einen Sachverständigen überhaupt des § 522 Absatz 2 ZPO, eine Berufung durch einstim- keinen Weiterbildungsbedarf sehen bzw. die vorge- migen Beschluss zurückzuweisen, völlig unterschied- schlagene Ausbildungsdauer von drei Monaten für lich Gebrauch gemacht. Um dieser Zersplitterung der ausreichend halten, fordern andere entweder eine Voll- Rechtspflege entgegenzuwirken, ist der Bundesjustiz- ausbildung der Beschlussfertiger in Form der dreijäh- minister in der Pflicht, einen zielführenden Vorschlag rigen Rechtspflegerausbildung oder weiterhin nur den zu machen. Es muss ausgeschlossen werden, dass die Einsatz im Bereich der grundbuchrechtlichen Vor- und Übergangsfristen demnächst nochmals verlängert werden müssen. (B) Nachbereitung. (D) Sachverständige der Fachhochschulen kamen zu Es wurde Kritik daran geübt, dass die vorgenannten dem Schluss, dass eine Aufgabenübertragung auf die Regelungsvorschläge erst im Rahmen eines Omnibus- Beschlussfertiger dem Grunde nach möglich sei, die verfahrens nach der ersten Lesung des Gesetzes aufge- vorgesehene Mindestausbildungsdauer allerdings zu nommen wurden. Die Kritik greift hier aber nicht. Es knapp bemessen sei. Die Auffassungen zur angemesse- handelt sich nicht um komplizierte Fragestellungen nen Ausbildungsdauer schwankten zwischen sechs und oder komplexe Sachverhalte. Die Entscheidung, ob zwölf Monaten. Übergangsvorschriften verlängert werden, ist ohne ei- nen intensiven Prüfungsumfang möglich. Lassen Sie Einerseits galt es, die hohe Qualität im Grundbuch- uns deshalb heute das Gesetz in seinem kompletten wesen sicherzustellen, andererseits wollten wir dem Umfang beschließen. Land Baden-Württemberg grundsätzlich ermöglichen, das Personal auch weiterhin amtsangemessen einzu- setzen. Der gefundene Kompromiss der Koalitions- Dr. Johannes Fechner (SPD): fraktionen führte in der Abwägung aller Umstände und Mit diesem Gesetz tragen wir dazu bei, dass die der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung zu ei- Grundbuchanfragen und Grundbuchänderungsan- ner Anhebung der Ausbildungsdauer von drei Monaten träge der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württem- auf 8 Monate. berg künftig wieder zügiger und professionell bearbei- tet werden können. Viele von Ihnen werden bereits An die Adresse der Rechtspfleger gerichtet, ist eines erfahren haben, dass das Grundbuchwesen in Baden- zu betonen: Bei der gesetzlichen Regelung handelt es Württemberg grundlegend umstrukturiert wird. Die sich um eine absolute Ausnahme. Es ist nicht beabsich- Grundbuchämter, die bisher überwiegend von den tigt, den sogenannten Bereichsrechtspfleger als Regel- Kommunen geführt wurden, werden bis 2018 in fall einzuführen. Wir wissen, welch hochqualifizierte 13 zentrale Grundbuchämter eingegliedert. und gute Arbeit die Rechtspfleger in Deutschland leis- ten. Hieran soll sich auch in Zukunft nichts ändern. Bei dieser Aufgabenverlagerung von der Kommune auf das Land ist es absehbar, dass in den zentralen Mit dem Änderungsantrag finden zugleich auch Grundbuchämtern ein erheblicher Personalbedarf an zwei weitere Artikel im Rahmen eines Omnibusverfah- Rechtspflegern in Grundbuchsachen entstehen wird, rens Eingang in den Gesetzentwurf. Mit ihnen sollen ein Personalbedarf, der allein durch die verstärkte zwei Übergangsvorschriften verlängert werden. Ausbildung von Rechtspflegern in Baden-Württemberg

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5037

Dr. Johannes Fechner (A) derzeit nicht gedeckt werden kann. Diesem Umstand Richard Pitterle (DIE LINKE): (C) trägt der Gesetzentwurf Rechnung. Was ist uns eine qualifizierte Justiz wert? Der Lan- desregierung von Baden-Württemberg und der Bun- Der Gesetzentwurf sieht nämlich vor, dass diejeni- desregierung offenbar nicht viel. Denn dort sollen die gen, die bisher in den kommunalen Grundbuchämtern Ratsschreiber und Beschlussfertiger aus den Gemein- selbstständig und kompetent gearbeitet haben, an den in die Amtsgerichte versetzt werden und dort die Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen und anschlie- hochqualifizierten Aufgaben von Rechtspflegern im ßend die Möglichkeit erhalten, als sogenannte Rechts- Grundbuchamt übernehmen. Das soll im Rahmen der pfleger in Grundbuchsachen bei den neuen Grund- anstehenden Grundbuchreform im „Ländle“ gesche- buchämtern zu arbeiten. hen. Bei den im Gesetzentwurf vorgesehenen Personen- Im Grundbuch werden bekanntlich die Eigentüme- gruppen, den sogenannten Ratsschreibern und den Be- rinnen und Eigentümer von Grundstücken, Häusern schlussfertigern, handelt es sich um besonders qualifi- und Wohnungen eingetragen. Wer ein Haus oder eine zierte Beamte des gehobenen bzw. des mittleren Wohnung kauft, wird im Grundbuch eingetragen. Wenn Dienstes. Diese Beamten verfügen über langjährige jemand bei seiner Bank auf sein Haus einen Kredit Erfahrungen im Grundbuchbereich. Ihr Fachwissen aufnimmt, wird die Bank im Grundbuch als Gläubige- soll durch entsprechend geeignete Weiterbildungsmaß- rin eingetragen und kann beispielsweise die Immobilie nahmen ergänzt und ausgebaut werden. versteigern lassen, wenn der Kredit nicht mehr zurück- Bei den Beamten des mittleren Dienstes sieht der gezahlt wird, ohne lange irgendwelche Beweise vorzu- Gesetzentwurf explizit vor, dass eine Qualifizierung an legen. Wir haben es hier also nicht mit irgendwelchen Fachhochschulen für Rechtspflege erfolgen soll, um Listen zu tun, die ein Gericht führt. Es ist ein amtliches sicherzustellen, dass die Beamten die Rechtsfragen im öffentliches Verzeichnis; Eintragungen im Grundbuch Grundbuchwesen in Zukunft kompetent und eigenver- genießen allerhöchstes Vertrauen. Der Inhalt des antwortlich bearbeiten können. Die geplanten Lehr- Grundbuchs gilt immer als richtig, auch dann, wenn er mal nicht richtig ist (§ 892 BGB). veranstaltungen sind speziell darauf ausgerichtet, ver- tiefte Kenntnisse in allen relevanten Rechtsbereichen Gerade deshalb sind korrekte Entscheidungen ganz zu erwerben, die für die zukünftige Tätigkeit in den wichtig. Und diese Entscheidungen treffen der Rechts- Grundbuchämtern notwendig sind. pfleger, die Rechtspflegerin. Ratsschreiber und Be- schlussfertiger haben bisher nur die Eintragungen Damit die Qualität des Grundbuchwesens nicht ge- (B) vorgenommen – also ausführende Tätigkeiten. Die (D) fährdet wird, sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor, „Qualitätssicherung“ machen die Rechtspflegerinnen dass die Beamten acht Monate Zeit haben, sich inten- und Rechtspfleger. Ratsschreiber und Beschlussferti- siv mit den unterschiedlichen relevanten Rechtsgebie- ger als „Bereichsrechtspfleger“ und ihre Gleichstel- ten zu beschäftigen. Von einem Crashkurs kann bei ei- lung mit den Rechtspflegern geht an den Anforderun- ner Ausbildungszeit von acht Monaten damit keine gen der Rechtspraxis völlig vorbei. Rede sein. Ich bin überzeugt, dass die Fortbildungs- maßnahmen mehr als geeignet sind, um die Beamten Die Qualifikation und das ausgewogene Urteil ei- auf ihre künftige Tätigkeit als Rechtspfleger in Grund- nes juristisch ausreichend Ausgebildeten – sei es als buchsachen umfassend vorzubereiten und um gleich- Justizangestellter, sei es als Rechtspfleger, sei es als zeitig die hohe Qualität des baden-württembergischen Richter – ist für mich ein hoher Wert, egal ob das im Grundbuchwesens für die Bürgerinnen und Bürger zu Grundbuchamt ist, im Nachlassgericht, im Handelsre- erhalten. gister, im Vereinsregister. Daher führt nach meiner Meinung auch kein Weg an einer umfassenden Nach- Wie Sie sehen, ist der Gesetzentwurf somit für beide qualifizierung der bisherigen Ratsschreiber und Be- Seiten vorteilhaft: Die Beamten erhalten die Möglich- schlussfertiger vorbei, damit die hohe Qualifikation keit, ihr praktisch erworbenes Fachwissen bei den zen- der Justiz erhalten bleibt und wir nicht Verhältnisse tralen Grundbuchämtern einzubringen, und die wie in vielen anderen europäischen Staaten bekom- Grundbuchämter können den erheblichen Mehrbedarf men. an Personal mit erfahrenen Beamten vorübergehend ausgleichen. Letzteres ist auch deswegen so wichtig, Doch diese Nachqualifizierung soll es nicht geben; weil bereits jetzt die Grundbuchämter mit der Bearbei- es sind lediglich einige Fortbildungen geplant, die tung der Anfragen überlastet sind. Aus meiner Heimat aber in keinster Weise an die gestellten Anforderungen in Emmendingen wird mir zum Beispiel berichtet, dass für Rechtspfleger herankommen. sich ein erheblicher Rückstau der Anfragen beim Grundbuchamt ergeben habe. Und für wie viele Leute wird dieses Gesetz eigent- lich gemacht? Es geht hier nach Angaben des baden- Auch deswegen hoffe ich, dass viele Personen, die württembergischen Justizministers um weniger als zurzeit in den kommunalen Grundbuchämtern tätig 30 Personen. Dafür wäre auch eine andere Lösung sind, die Möglichkeit der Fortbildung zum Rechtspfle- möglich. So wird aber ein Bundesgesetz geschaffen, es ger in Grundbuchsachen wahrnehmen werden. werden Debatten geführt usw.

Zu Protokoll gegebene Reden 5038 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Richard Pitterle (A) Mit diesem Gesetzentwurf wird ein weiterer Beitrag heitlichung der Grundbuchamtsführung in Deutsch- (C) zur Aushöhlung der Justiz geleistet. Außerdem wird ein land. Einfallstor für andere Justizbereiche geöffnet, genauso Heute ist ein guter Tag für die Grundbuchämter in vorzugehen. Wir brauchen aber nicht immer mehr Spe- Baden-Württemberg; denn mit der Grundbuchamts- zialisten, die nur noch einen ganz engen Bereich reform sichert Baden-Württemberg die hohe Qualität durchblicken und lediglich mehr oder weniger gut für des Grundbuchwesens. Hierfür ist es auch wichtig, den ihr spezielles Arbeitsgebiet angelernt sind, aber keinen Sachverstand der Menschen, die bisher in den kommu- Überblick mehr besitzen. Wohin das führt, kennen wir nalen Grundbuchämtern arbeiten, nicht zu verlieren. zur Genüge aus der Industrie oder dem Einzelhandel. In den badischen Grundbuchämtern arbeiten Beamtin- Wir lehnen deshalb Ihren Gesetzentwurf ab. nen und Beamte im mittleren Dienst, sogenannte Beschlussfertiger. Diese sollen nach einer Weiter- Und zum Abschluss des parlamentarischen Wegs bildung – der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung dieses Gesetzentwurfs verwöhnt uns die Bundesregie- sieht dafür acht Monate vor – als Beamtinnen und rung noch mit zwei Änderungen, die völlig andere Ge- Beamte im Landesdienst die Aufgaben von Rechts- setze betreffen, aber mit diesem Gesetzentwurf durch pflegerinnen und Rechtspflegern im Grundbuchamt die Hintertür durchgedrückt werden sollen – vielleicht wahrnehmen. Es ist richtig, dass das Land Baden- mit der Hoffnung, dass es kaum jemand merkt. Diese Württemberg den bisherigen Beschlussfertigern eine Unsitte der Bundesregierung über ein sogenanntes weitere Perspektive in den Grundbuchämtern gibt und Omnibusgesetz ganz andere Bereiche zu regulieren dadurch weiterhin auf diesen Sachverstand zurück- und dem Ausschuss ein nicht zustehendes Initiativrecht greifen kann. für Gesetzgebung einzuräumen, hat die Linke früher als verfassungswidrig abgelehnt und lehnt es auch Die Debatten, die wir hier im Bundestag geführt ha- diesmal ab. ben, drehten sich weitestgehend um die Frage der Länge der Ausbildungsdauer. Die Landesregierung Denn was haben die geplanten Änderungen in der hatte hierfür ursprünglich drei Monate vorgesehen. Zivilprozessordnung und im Wohnungseigentums- Diese Ausbildungsdauer möchte der Bundestag nun gesetz mit der Grundrechtsreform in Baden-Württem- auf mindestens acht Monate erweitern. Dadurch berg zu tun? Gar nichts. Zudem enthalten die Änderun- können in den Lehrgang auch praktische Elemente der gen eine Rechtsmittelverkürzung, die wir ebenfalls Tätigkeit berücksichtigt werden. Wir unterstützen es, ablehnen. Ihre Vorgehensweise schafft nur ein Durch- dass den Beschlussfertigern so Einblick in die prakti- einander in den Gesetzen. Arbeiten Sie nicht so chao- sche Tätigkeit von Rechtspflegerinnen und Rechtspfle- (B) tisch, und achten Sie endlich die Vorgaben der Verfas- gern im Grundbuchamt gegeben werden kann. (D) sung. Gerne hätten wir daher diesem Gesetzentwurf heute zugestimmt. Wieder einmal aber nutzt die Große Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Koalition das sogenannte Omnibusverfahren, um an GRÜNEN): einen Gesetzentwurf sachfremde Themen anzuhängen. Grund und Boden gehören zu den Gütern, die nicht Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang, da das Grund- vermehrt werden können und aufgrund ihrer Knapp- buchwesen in Baden-Württemberg, die Zivilprozess- heit zu den wertvollsten Gütern überhaupt zählen. ordnung und das Wohneigentumsgesetz nichts mitei- Dem Eigentum an einem Grundstück kommt daher nander zu tun haben. Dieses Verfahren finden wir eine besondere Bedeutung zu – und natürlich auch den hochproblematisch. Die Große Koalition beeinträch- Grundbuchämtern. Denn in den Grundbüchern tigt hierdurch die Transparenz des Gesetzgebungspro- werden die Rechtsverhältnisse eines Grundstücks zu- zesses erheblich. Nach dem EEG-Chaos ist es jetzt verlässig und verbindlich festgehalten. Jeden Tag schon das zweite Mal in diesem Jahr, dass Union und wechseln Grundstücke ihre Eigentümerinnen und Ei- SPD im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz gentümer. Erst mit der Eintragung ins Grundbuch aber dieses Verfahren anwenden. Sie wollen mit ihrem geht ein Grundstück in das Eigentum über. Deshalb ist Änderungsantrag erreichen, dass die bisher bis zum es wichtig, dass wir moderne, zuverlässige und effi- 31. Dezember 2014 befristete Regelung in § 26 Num- ziente Grundbuchämter haben. mer 8 EGZPO, wonach die Nichtzulässigkeits- beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen eine Abweichend von den anderen Bundesländern Revision nur zulässig ist, wenn die Beschwerde 20 000 werden die Grundbuchämter in Baden-Württemberg Euro übersteigt um zwei Jahre verlängert wird. Wir überwiegend bei den Kommunen geführt. Baden- halten diese Regelung für falsch. Der Zugang zur Jus- Württemberg hat sich nun dazu entschlossen, die tiz sollte nicht unnötig erschwert werden. Deshalb leh- Grundbuchverwaltung zu modernisieren. Infolge der nen wir auch die vorgeschlagene Verlängerung um Grundbuchamtsreform wird nun die Grundbuchfüh- zwei weitere Jahre ab. Aus demselben Grund lehnen rung den 13 zentralen Amtsgerichten zugewiesen und wir auch die Verlängerung der Geltung des § 62 Ab- soll ausschließlich von Rechtspflegerinnen und satz 2 WEG um ein weiteres Jahr ab. Rechtspflegern vorgenommen werden. So wird die Struktur des Grundbuchrechts derjenigen im übrigen Aufgrund der nicht hinnehmbaren Verquickung von Bundesgebiet angeglichen. Wir begrüßen diese Verein- Zivilprozessordnung und Wohneigentumsgesetz mit

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5039

Christian Kühn (Tübingen) (A) dem Gesetz zur Erleichterung der Grundbuchamtsre- auch über das Jahr 2014 hinaus fortgelten. In den letz- (C) form in Baden-Württemberg werden wir dieses Gesetz ten drei Jahren ist die Zahl der beim Bundesgerichts- heute ablehnen. Die Abgeordneten der Großen Koali- hof eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden erheb- tion haben die Chance verspielt, eine breite Mehrheit lich gestiegen. Grund dafür ist die Änderung des § 522 für die Grundbuchamtsreform im Plenum zu ermögli- der Zivilprozessordnung im November 2011. Seitdem chen. sind nicht nur die Urteile, sondern auch die Zurück- weisungsbeschlüsse der Berufungsgerichte mit der Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bun- Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar. Das soll auch desminister der Justiz und Verbraucherschutz: so bleiben, führt aber zu einer schwierigen Belastungs- situation bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs. Ihnen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes zur Er- Deshalb muss die Höhe der Wertgrenze weiter über- leichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform prüft werden, sodass eine Verlängerung der Geltung in Baden-Württemberg vor. In Baden-Württemberg um zwei Jahre sinnvoll erscheint. Wir werden dann se- werden mit der Grundbuchamtsreform landesrechtli- hen, ob sich die Eingangszahlen auf ein konstantes che Besonderheiten beseitigt und die gerichtlichen Maß eingependelt haben. Strukturen im Grundbuchbereich denen im übrigen Bundesgebiet angeglichen. Die Grundbuchführung Wir nehmen aber die aktuelle Belastung des Bun- wird demnach bis zum 1. Januar 2018 schrittweise auf desgerichtshofs sehr ernst und suchen – zusammen mit die Grundbuchabteilungen von landesweit 13 Amtsge- dem BGH – nach Lösungen. Das gestaltet sich nicht richten übertragen. Mit der Auflösung der 654 bisheri- einfach und benötigt Zeit. gen dezentralen Grundbuchämter entfallen auch die spezifischen Aufgaben der Ratsschreiber und Beschluss- Die geschilderte Belastungssituation beim Bundes- fertiger. Sie bereiteten bisher Grundbuchsachen bis gerichtshof ist auch der Anlass für eine weitere Ände- zur Entscheidungsreife vor. Ratsschreiber beurkunden rung des Gesetzentwurfs: Wir wollen die Frist, bis zu zudem selbstständig in bestimmten Konstellationen deren Ablauf die Beschwerde gegen die Nichtzulas- Verträge, Bewilligungen und Auflassungen. Mit dem sung der Revision in Wohnungseigentumssachen aus- Gesetzentwurf wird die Weiternutzung des grundbuch- geschlossen ist, um ein Jahr bis zum 31. Dezember rechtlichen Fachwissens der Ratschreiber und Be- 2015 verlängern. Die Eingangsentwicklung in Woh- schlussfertiger gewährleistet. nungseigentumssachen bei den Berufungsgerichten steigt seit der WEG-Reform im Jahr 2007 stetig. Für Den Ratsschreibern und Beschlussfertigern wird die die Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde soll ab- Möglichkeit eröffnet, Aufgaben eines Rechtspflegers in (B) gewartet werden, auf welchem Niveau sich die Zahlen (D) Grundbuchsachen wahrzunehmen – jedoch, um die stabilisieren. Auf einer soliden Datenbasis soll dann hohe fachliche Qualität der Tätigkeit des Rechtspfle- entschieden werden, ob und gegebenenfalls unter wel- gers in Grundbuchsachen zu sichern, nur unter be- chen Voraussetzungen auch für diese Streitigkeiten die stimmten Voraussetzungen. Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses eröffnet werden kann. Ich bitte Sie daher um Ihre Zu- sieht hierbei die Erhöhung der im ursprünglichen Ge- stimmung. setzentwurf vorgesehenen Dauer der Fortbildung für Beschlussfertiger von drei auf acht Monate vor. Dies Vizepräsident Johannes Singhammer: dient der weiteren Qualitätssicherung der anspruchs- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für vollen Sachbearbeitung im Grundbuchbereich. Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be- Ich bin mir sicher: Die bisherigen Ratsschreiber schlussempfehlung auf Drucksache 18/2644, den Ge- setzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 18/70 in der und Beschlussfertiger werden, unterstützt durch diese Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejeni- Maßnahmen, ihrer neuen Verantwortung gerecht wer- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- den und die ihnen neu zuwachsende Tätigkeit kompe- stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- tent erledigen. gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist Darüber hinaus sind in der Beschlussempfehlung damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali- zwei Maßnahmen enthalten, mit denen auf eine akute tionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Belastungssituation beim Bundesgerichtshof reagiert Grünen und Die Linke angenommen. werden soll. Wir kommen jetzt zur Mit der ersten Maßnahme wollen wir die geltende dritten Beratung Streitwertgrenze in Höhe von 20 000 Euro für Nichtzu- lassungsbeschwerden in Zivilverfahren zum Bundesge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem richtshof um weitere zwei Jahre bis Ende 2016 verlän- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – gern. Die Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden Wer stimmt dagegen? – Niemand enthält sich. Damit ist hat sich grundsätzlich bewährt. Ohne sie wäre es dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen schon längst zu einer nicht mehr tragbaren Belastung der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken des Bundesgerichtshofs gekommen. Sie muss deshalb und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. 5040 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf: Das Wegekostengutachten 2013 dient auch als Grund- (C) lage für eine günstigere Mautkategorie für die besonders Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- schadstoffarmen Lkw der Euro-VI-Klasse. Zudem ent- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes hält es auch Berechnungen zu den externen Kosten aus zur Änderung des Bundesfernstraßenmautge- Luftverschmutzung und Lärmbelastung, die seit einer setzes Änderung der Eurovignetten-Richtlinie aus dem Jahr Drucksache 18/2444 2011 zusätzlich angelastet werden können. Zunächst sollen nur die Kosten für die Luftverschmutzung ange- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) lastet werden. Die Anlastung aus der Lärmbelastung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und wird später kommen, weil die Grundlagendaten hierzu Reaktorsicherheit ganz neu erhoben werden müssen. Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Durch die neuen Mautsätze ergeben sich im Zeitraum Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für 2015 bis 2017 Mindereinnahmen gegenüber dem ur- diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Weil ich sprünglichen Finanzplan 2014 bis 2018 von insgesamt keinen Widerspruch höre, ist das damit auch so be- 460 Millionen Euro. Diese Einnahmelücke muss ge- schlossen. schlossen werden, um die notwendige Finanzierung der Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für Verkehrsinfrastruktur auch in Zukunft sicherzustellen. die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekre- Was ist hier geplant? Hierzu soll zum 1. Juli 2015 die tärin Katherina Reiche. Mautpflicht auf weitere circa 1 100 Kilometer vierstrei- fige Bundesstraßen ausgeweitet werden. Auch soll die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Mautpflichtgrenze von 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zuläs- neten der SPD) siges Gesamtgewicht abgesenkt werden. Diese Maßnah- men sind, wie Sie wissen, noch nicht Gegenstand des Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun- vorliegenden Gesetzentwurfs. Sie werden später in ei- desminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: nem separaten Gesetz umgesetzt. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Eine der großen Aufgaben in dieser Legislaturperiode ren! Seit 2005 wird auf deutschen Autobahnen und seit wird es sein, eine leistungsfähige Infrastruktur in unse- 2012 zusätzlich auf bestimmten vier- und mehrstreifigen rem Land sicherzustellen. Wir wollen und müssen dafür Bundesstraßen eine Maut für Lkw ab 12 Tonnen zulässi- sorgen, dass der Finanzierungskreislauf Straße auch in gem Gesamtgewicht erhoben. Das geschieht ohne Ein- Zukunft funktioniert. Deshalb bitte ich Sie um Zustim- griff in den Verkehrsfluss und weitgehend vollautoma- mung. (B) tisch durch die intelligente Kombination aus Satelliten, (D) Navigation und Mobilfunk. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Lkw-Maut leistet einen wichtigen Beitrag zum Vizepräsident Johannes Singhammer: Ausbau und zum Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur. Gemäß dem Bundesfernstraßenmautgesetz werden die Der Kollege Herbert Behrens spricht jetzt für die Einnahmen dem Verkehrshaushalt zugeführt. Sie werden Linke. in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung (Beifall bei der LINKEN) der Verkehrsinfrastruktur verwendet. Die EU-Mitgliedstaaten müssen bei der Erhebung der Herbert Behrens (DIE LINKE): Maut die Vorgaben der Eurovignetten-Richtlinie beach- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Womit ten. Danach müssen sich die gewogenen durchschnittli- lange nicht zu rechnen war, wird nun unversehens doch chen Infrastrukturgebühren an den Baukosten und an wahr: Ein Jahr nach der letzten Bundestagswahl legt der den Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des Bundesverkehrsminister einen Gesetzentwurf zur Maut betreffenden Verkehrsweges orientieren. Die jeweils gel- vor. Dass es sich dabei aber nicht um das Lieblingspro- tenden Mautsätze werden durch wissenschaftlich fun- jekt der CSU, nämlich die Ausländermaut handelt, lasse dierte Wegekostengutachten ermittelt. Bislang gab es ich einfach einmal beiseite. Angesichts des Stillstandes zwei, und zwar 2002 und 2007. Das neue Wegekosten- im Hause des Bundesverkehrsministers ist es schon er- gutachten haben wir im März 2014 vorgestellt. Es deckt staunlich, dass hier etwas passiert. den Zeitraum von 2013 bis 2017 ab. (Zurufe von der CDU/CSU) Nun liegt der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Dieser Stillstand lässt sich nur noch dadurch überde- Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes vor. Die cken, dass es ein Dauerfeuer in Sachen Pkw-Maut gibt, geltenden Mautsätze müssen an die Ergebnisse des We- mit dem versucht wird, den Stillstand zu kaschieren. gekostengutachtens 2013 angepasst werden. Daraus er- Aber genug der Vorrede. geben sich nun zukünftig geringere Mautsätze. Warum? Die gegenüber der Erstellung des vorherigen Wegekos- Ich will jetzt nicht in den Kanon der Kritiker einstim- tengutachtens deutlich gesunkenen Zinskosten sind hier men, die die starke Abhängigkeit der Wegekosten, über die wesentliche Ursache. Das ist ein Vorteil für den die wir hier reden, vom Zinsniveau anprangern. Ich will Bund, und dieser Vorteil muss an die Nutzer weitergege- Ihnen auch nicht vorhalten, dass die EU-Wegekosten- ben werden. richtlinie die Berücksichtigung einer Kapitalverzinsung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5041

Herbert Behrens (A) nicht zwingend vorschreibt; das können die Kolleginnen (Beifall bei der LINKEN) (C) und Kollegen der Grünen sicherlich besser. Eine solche Herangehensweise wäre zum einen unpolitisch; denn sie Aber in Zeiten von PPP-Knebelverträgen wie dem mit ließe die Gründe für das niedrige Zinsniveau bzw. die Toll Collect kann man sich das wohl nicht mehr anders verzweifelt lockere Geldpolitik der EZB völlig außer aussuchen. Acht. Zum anderen sollte man sich insbesondere aus der Dass die Bundesregierung durch die Vertragsverlän- ökologischen Perspektive nicht allzu unkritisch auf die gerung das selbstgesteckte Ziel der Ausweitung der Wegekostenrichtlinie beziehen; denn diese ist bei nähe- Maut auf alle Bundesstraßen aufgibt, zeigt deutlich, wer rer Betrachtung eigentlich eine Wegekostenbegren- in Sachen Lkw-Maut die Hosen anhat. Der Bund ist es zungsrichtlinie. jedenfalls nicht. Was ich dem Verkehrsminister und auch seinem Der Verkehrsminister wäre gut beraten, jetzt sofort Amtsvorgänger und Parteifreund oder, besser gesagt, die Call-Option zu ziehen und ein Lkw-Mautsystem seinem Parteikollegen Peter Ramsauer ankreide, ist, dass nach Schweizer Vorbild zu installieren. Okay, das lässt beide nichts unternommen haben, um die Lkw-Maut zu das EU-Recht heute noch nicht zu. einem echten verkehrs- und umweltpolitischen Instru- ment zu machen. Seit Jahren liegen Vorschläge auf dem (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Das ist ja nur Tisch, wie man die externen Kosten des Straßenverkehrs eine Marginalie!) in den Wegekosten abbilden kann. Passiert ist jedoch wenig. Aber das nimmt man an anderer Stelle ja auch nicht ganz so ernst. Das Schweizer Modell würde jedenfalls zumin- Die neuen Mautsätze enthalten eine emissionsbezo- dest deutlich mehr Mittel für die maroden Verkehrswege gene Umweltkomponente, aber wenn wir ehrlich sind, bringen. Ihre Hochglanzbroschüren wären dann nicht müssen wir feststellen, dass der damit verbundene finan- mehr nur heiße Luft, und vor allem könnte der Verkehrs- zielle Anreiz nicht groß genug ist, um mehr Verkehr von minister endlich die Ausländermaut begraben; sie würde der Straße auf die Schiene zu verlagern. Genau das ist ihn nicht mehr um den Schlaf bringen das erklärte Ziel der EU und auch der Bundesregierung, zumindest wenn man die Sonntagsreden hört und die (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Der schläft Hochglanzbroschüren liest. schon gut! Keine Sorge!) Noch schlechter ist es um die Lärmkosten bestellt. und vielleicht auch nicht um den Ministersessel. Hier ist in den letzten Jahren rein gar nichts passiert, ob- (Beifall bei der LINKEN) wohl klar ist, dass der Straßenverkehrslärm eines der (B) größten Gesundheitsrisiken ist. Das haben wir schon an (D) anderer Stelle diskutiert. Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Es ist schon eine Farce, dass die Bundesregierung im Sebastian Hartmann. Gesetzentwurf behauptet, dass – ich zitiere – „die techni- schen Voraussetzungen für eine Anlastung der Lärm- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten belastungskosten nur mit einem größeren zeitlichen der CDU/CSU) Vorlauf geschaffen werden können“. Das ist keine Frage der Technik. Sie differenzieren doch selber, welcher Sebastian Hartmann (SPD): Fahrzeugklasse beispielsweise welcher Anteil an den Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kosten für Lärmschutzwände zuzuschreiben ist. Warum Damen und Herren! Wir begrüßen die Vorlage des Ent- ziehen Sie das nicht heran, um eine Anlastung der Lärm- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes- belastungskosten auf den Weg zu bringen? fernstraßenmautgesetzes, und wir begrüßen insbeson- (Beifall bei der LINKEN) dere, dass der Entwurf es uns ermöglicht, den schon seit einiger Zeit gesetzten europäischen Rahmen weiter als Sie tun das deshalb nicht, weil dann klar werden würde, bisher auszuschöpfen. wie teuer uns der Straßengüterverkehr wirklich zu stehen kommt. Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs ist zweifels- ohne, dass es zu einer Absenkung der Mautsätze für Lkw Beim Thema Lkw-Maut hat die Bundesregierung in aufgrund des neuen Wegekostengutachtens für die Jahre den letzten Jahren völlig versagt. Heute wird in den Me- 2013 bis 2017 kommt. Das ist aber noch nicht alles. dien gemeldet: Der Vertrag mit Toll Collect wird verlän- Kompensiert werden die daraus entstehenden Einnahme- gert. Das ist nichts anderes als eine Kapitulation vor den ausfälle teilweise durch die erstmalige Anrechnung der Gesellschaftern von Toll Collect, die es in den letzten Kosten aus der Luftverschmutzung, die infolge der euro- Jahren gut verstanden haben, durch das Verschleppen parechtlichen Änderungen möglich wurde. Denn ein we- des Schiedsverfahrens dem Bund jeglichen Handlungs- sentlicher Teil der Systematik der Mauterhebung beruht spielraum zu nehmen. Es sollte hier allen klar sein, dass bekanntlich auf der genauen Abbildung des langsamen Toll Collect den Bund mit Milliardensummen aus dem Verschleißes von Infrastruktur durch Benutzung, also ei- Schiedsverfahren erpresst hat. Beim Ziehen der Call-Op- nem Verursachungsprinzip: Wer fährt, verschleißt Stra- tion hätte man sie abschreiben müssen. Mit einem sol- ßen und Wege. Ebenso bekannt ist, dass der Lkw dies chen Vertragspartner würde ich keine Geschäfte machen. viel stärker tut als der Pkw. 5042 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Sebastian Hartmann (A) Doch jenseits dieser Feststellung zählen tatsächlich und auch die Anwohnerinnen und Anwohner vor mehr (C) auch ökologische Argumente. Es ist nicht zu bestreiten, Lärm stärker geschützt werden. Mehr wollen wir an die- dass vom motorisierten Verkehr auf den Straßen eine er- ser Stelle auch nicht erreichen. hebliche Belastung nicht nur der Straßen selbst, sondern auch der Umwelt ausgeht. Dazu gehören die Abgase und Da wir schon bei den Ausblicken sind: Natürlich Feinstaube. Dazu gehört ebenfalls – wie bei Schiene und muss man auf der europäischen Ebene über einen Punkt Luftverkehr – der Lärm, der den Anwohnern in der un- genau nachdenken. Wenn wir tatsächliche Wegekosten mittelbaren Umgebung unserer Straßen teilweise schwer abbilden und dauerhafte Einnahmen für die Finanzie- zu schaffen macht. Das bestreitet niemand. rung unserer Infrastruktur erzielen wollen, sollten wir uns Gedanken darüber machen, ob wir das von einem Der notwendigen Anlastung von Immissionen aus Zinsniveau abhängig machen müssen. Wir wollen eine Schadstoffen kommt in diesem Fall zu Hilfe, dass nach verkehrsmengenabhängige Einnahme mit der Maut er- der EU-Richtlinie – die muss man im Zweifel genau le- zielen. Aber wir erleben auch, dass diese zum Teil we- sen – nur zwischen den innerörtlichen Straßen und den gen der Anrechnung der Zinskosten auf die Baukosten Fernstraßen entsprechend differenziert wird, aber an- bzw. das Anlagevermögen auch anderen Steuerungs- sonsten eine schlichte Berechnung der Gesamtmenge an- effekten unterliegt. Zu entsprechenden Verzerrungen hand der eingebrachten Schadstoffe ausreicht, um sie wird es sowohl in Niedrigzinsphasen als auch in Hoch- den Wegekosten anzulasten. Eben das steht da drin. zinsphasen kommen. Deswegen würden wir es begrü- Die Richtlinie setzt aber in der Tat eine Obergrenze ßen, dass man das europäische Rechtsregime an dieser für die anlastbaren Kosten. Wir bemängeln auch, dass Stelle weiterentwickelt, damit dauerhaft ein kalkulierba- laut Gutachten – das ist da genau nachzulesen – die tat- rer Beitrag zur Finanzierung der deutschen Infrastruktur sächlichen Kosten nur zu 13 Prozent anzulasten sind. geleistet wird, ohne das Speditionsgewerbe überzubelas- Wir glauben, dass wir an der Stelle die europäische ten. Richtlinie noch weiterentwickeln müssen, damit wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zukünftig die tatsächlichen Kosten einfließen lassen können. Bleiben wir beim Ausblick. In der Weiterentwicklung der Maut werden wir darauf zu achten haben, dass alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kostenfaktoren nach dem Verursacherprinzip angelastet der CDU/CSU) werden können. Den Hinweis auf die entsprechende Dieser Wert springt nun tatsächlich auf das Dreifache, europäische Rahmenrichtlinie habe ich bereits gegeben. weil eine weitere Schadstoffklasse einbezogen werden Aber ebenso wird entscheidend sein, zukünftig die kann. Das ist gewollt und auch notwendig, damit zu- Einbeziehung der Lkw zwischen 7,5 und 12 Tonnen zu (B) (D) künftig immer weniger Fahrzeuge unsere Umwelt durch ermöglichen und auch die Ausweitung auf 1 100 Kilo- entsprechende Luftschadstoffe belasten. Das ist das poli- meter zusätzliche Bundesstraßen – wie im Koalitions- tische Ziel, das wir verfolgen. Aber wir sagen auch in al- vertrag vereinbart – tatsächlich zu erreichen. ler Klarheit – damit gehe ich auf die Kritikpunkte ein –, dass wir den Rechtsrahmen erweitern müssen. Wir wol- (Beifall bei der SPD) len diesen Rechtsrahmen ausnutzen und ihn erweitern, Diese Aussage, die man auch dem Koalitionsvertrag un- wenn es um die Luftbelastung geht. schwer entnehmen kann, möchte ich, da sie angespro- Was ist heute schon möglich? Die Einbeziehung von chen wurde, nicht so einfach im Raum stehen lassen. Kosten aus Lärmbelastung! Im Wegekostengutachten Uns ist die rechtlich sehr diffizile Situation angesichts steht allerdings ebenso deutlich drin – das weiß man, der vertraglichen Beziehungen zu Toll Collect und des wenn man es gelesen hat –, dass wir mit den bisher erho- bevorstehenden Auslaufens des Vertrages sehr bewusst. benen Daten die Belastungen durch Lärm eben nicht ab- Den Betreibervertrag jedoch einfach zu verlängern, bilden können, was wir zukünftig aber tun wollen. Daher schafft nicht zwangsläufig die gewünschte Klarheit, son- kann das im vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht ab- dern möglicherweise auch neue Verunsicherung. gebildet werden. Unsere Forderung ist – der Minister kennt sie ja –, den gegebenen europäischen Rahmen zu- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- künftig dauerhaft auszuschöpfen, auch was den Lärm NEN]: Genau!) angeht. Aber dazu müssen im neuen Wegekostengutach- ten genauere Daten erhoben werden: Auf einem Raster Denn wir riskieren damit möglicherweise, dass durch von 100 mal 100 Metern ist genau nachzuprüfen, wel- Klagen abgewiesener Wettbewerber die Erzielung der cher Lärm an welcher Stelle entsteht. Dann geht das, was dringend benötigten zusätzlichen Einnahmen aus der er- Sie, liebe Kollegen von der Linken, wollen, tatsächlich weiterten Mauterhebung verzögert wird. und nicht nur theoretisch bzw. in einer Rede hier am (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist Pult. Das wird zukünftig also der Fall sein. Das garan- wahr!) tiere ich Ihnen. Das bestreitet doch niemand. Wir haben im Koalitions- (Beifall bei der SPD) vertrag die Ausdehnung auf alle Bundesstraßen verein- Die Anlastung der Wegekosten, die tatsächlich entste- bart. Das sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass wir hen, wird nicht nur mehr Einnahmen garantieren, sondern unnötigerweise zumindest kurzfristig auf das Ziehen der auch dafür sorgen, dass die Umwelt stärker geschützt wird Call-Option verzichten. Wir wollen doch die Infrastruk- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5043

Sebastian Hartmann (A) tur dauerhaft durch einen angemessenen Nutzerbeitrag kommen, dann holen Sie sich doch die Kosten für die (C) finanzieren. Schadensbeseitigung sicherlich vom Verursacher. Das ist ganz simpel und für jeden nachvollziehbar. Aber leider Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für die halten wir uns nicht daran, wenn es um öffentliches Ei- Aufmerksamkeit. gentum geht. Als Eigentümer stellt die öffentliche Hand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein Verkehrsnetz zur Verfügung, und sie bezahlt auch der CDU/CSU) noch dafür, wenn es kaputtgefahren wurde. Das kann nicht funktionieren, hier muss sich etwas ändern, und Vizepräsident Johannes Singhammer: zwar dringend. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Valerie Wilms, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen. Der Straßenverkehr verursacht durch Unfälle, Lärm, Luftverschmutzung und Klimawandel Schäden von etwa Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 88 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Kosten werden zum Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich größten Teil – auch Kollege Hartmann ist schon darauf freue mich tatsächlich, heute hier in diesem Plenarsaal eingegangen – nicht von den Verursachern, sondern von über ein neues Mautgesetzt sprechen zu können. Ganz der gesamten Gesellschaft getragen. Das können wir sicher kann man sich da ja nicht immer sein. Die Koali- nicht weiter so hinnehmen. tion sitzt Debatten in letzter Zeit auch gerne aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erst gestern haben die Damen und Herren der Koali- tion dafür gesorgt, dass der Verkehrsausschuss mundtot Leider geht die Koalition mit dem vorliegenden Ge- gemacht wurde. Mit ihrer Mehrheit haben sie eine De- setz genau den entgegengesetzten Weg. Es verursacht batte mit Fachleuten über die unsägliche CSU-Maut, das höhere Kosten für die Allgemeinheit, und es schadet der Dobrindt’sche Pickerl, Umwelt und dem Klimaschutz, weil der klimaschäd- lichste Verkehrsträger billiger wird. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) verhindert, obwohl sie die Anhörung vorher selbst mit- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau! Das ist beschlossen haben. der Punkt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- Dabei gibt es auch einen anderen Weg. Die EU-Richt- rufe von der LINKEN: Unglaublich!) linie erlaubt ausdrücklich, einen Teil der externen Kos- ten bei der Mauthöhe zu berücksichtigen. Das ist seit (B) Die Koalition weiß, warum: Die CSU-Maut wird einer 2011, seit der letzten Wahlperiode, möglich. Aber auch (D) fachlichen Prüfung nicht standhalten. drei Jahre danach fehlen im Verkehrsministerium noch immer die technischen Voraussetzungen zur Einbezie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hung der Lärmkosten. Man muss es sagen, wie es ist: bei der LINKEN) Das Ministerium unter CSU-Führung macht einfach sei- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nun zur Lkw- nen Job nicht. Maut. Sie soll durch den eingebrachten Gesetzentwurf gesenkt werden. Das ist eine völlig verkehrte Welt. Seit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Jahren beschäftigen sich Kommissionen mit fehlenden bei der LINKEN) Mitteln zum Erhalt der Verkehrswege. Die Infrastruktur Es hat erstens bei der Berücksichtigung der Lärmkosten als Basis unseres Wohlstands bröckelt weg. Lkw sind für innerhalb der Lkw-Maut gepennt, und es hat zweitens 98 Prozent der Straßenschäden verantwortlich. Sie ver- bei der Verlängerung des Vertrages mit dem Mauteintrei- schleißen die Verkehrswege etwa 60 000-mal stärker als ber Toll Collect gepennt. Im Ergebnis heißt das: Die Pkw. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was Lkw-Maut muss sinken und kann auf absehbare Zeit dieser Verkehrsminister anrichtet. nicht auf alle Bundesstraßen ausgeweitet werden. Es ist (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) eine katastrophale Politik, die Sie hier zeigen. Während Straßen und Brücken wegbröckeln, sollen die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Hauptverursacher weniger zahlen. Das ist völlig absurde bei der LINKEN) Politik. Insgesamt gehen uns damit jährlich über 2 Milliarden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Euro verloren. Das ist die Verantwortung der CSU- bei Abgeordneten der LINKEN) Minister Ramsauer und jetzt Dobrindt. Stattdessen reden Sie seit Jahren von einer Pkw-Maut für Ausländer, die Sie machen die Probleme größer, statt sie zu lösen. Der nicht funktionieren wird und kein Geld einbringt. Sie Verkehrsminister macht es sich einfach, wenn er mit schaffen neue Probleme, statt bestehende zu lösen. Das dem Finger auf Europa zeigt. Der Sinn der europäischen ist leider die bittere Wahrheit. Richtlinie ist Kostenwahrheit. Nutzer von Verkehrswe- gen sollen für die Schäden zahlen, die sie verursachen. Danke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie Ihr Auto (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verleihen und es anschließend mit einer Beule zurückbe- und bei der LINKEN) 5044 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: hat: Diese Lücke werden wir aus dem Haushalt schlie- (C) Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kol- ßen. – Das ist eine ressortübergreifende hervorragende lege Karl Holmeier, CDU/CSU. Infrastrukturpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das neue Wegekostengutachten wird uns verkehrs- Karl Holmeier (CDU/CSU): politisch nicht ausbremsen. Der Koalitionsvertrag ist Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen gut, und wir werden ihn einhalten. und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wilms, ich weiß nicht, ob das eine Märchenstunde (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- war. Ich will Ihnen aber sagen: Wir hatten einen guten NEN]: Alles super!) Verkehrsminister Ramsauer, Wir halten ohne Wenn und Aber an den zugesagten (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 5 Milliarden Euro mehr für Investitionen in die öffentli- che Verkehrsinfrastruktur in dieser Wahlperiode fest. Ich haben einen guten Verkehrsminister Dobrindt, wiederhole: 5 Milliarden Euro zusätzlich für vier Jahre. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!) (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE und wir machen eine gute Verkehrspolitik. GRÜNEN]: Da müsste man die Minderein- nahmen gegenrechnen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!) Man könnte sich natürlich mehr wünschen, aber diese 5 Milliarden Euro sind ein riesiger Erfolg, ein Erfolg im Wenn man sich die Misere anschaut und fragt, warum Hinblick auf die Investitionen. wir zu wenig Geld haben, dann muss man zehn Jahre zu- rückgehen. Als die Maut eingeführt wurde, hat man die Ein Erfolg ist auch der Haushalt 2015, der nach 1969 Haushaltsmittel reduziert. Das war die Ursache, und da- – denken Sie zurück! – erstmals ein Haushalt ohne neue ran knabbern wir noch. Schulden ist. Wer war das damals? Ein Mann von der CSU: Franz Josef Strauß. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war denn im Jahr 2005 in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Regierung? – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/ Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wer wohl DIE GRÜNEN: Die Große Koalition!) sonst!) – Wir nicht! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nehmen wir die (B) Ergebnisse des Wegekostengutachtens auf. Wir entwi- (D) Im März dieses Jahres wurde das neue Wegekosten- ckeln die Lkw-Maut zukunftsfest und vor allem ökolo- gutachten zur Berechnung der Lkw-Mautsätze vorgelegt. gisch weiter. Bislang haben wir in Deutschland bei der Aufgrund gesunkener Zinskosten müssen die Lkw- Berechnung der Lkw-Maut lediglich die allgemeinen In- Mautsätze im Vergleich zum Vorgängergutachten aus frastrukturkosten angelastet. Wir reformieren die Lkw- dem Jahr 2007 reduziert werden. Wir werden das umset- Maut im Einklang mit dem europäischen Recht. Nach zen. An dieser Reduzierung führt kein Weg vorbei. dem Gesetzentwurf werden wir dem Schwerlastverkehr die durch ihn verursachte Luftverschmutzung anlasten. Nach den vorliegenden Berechnungen werden durch Neben einer ökologischen Lenkungswirkung, nämlich die Reduzierung der Mautsätze und nach der aktuellen hin zu verbrauchsärmeren Lkw, hat die Anlastung der Gesetzeslage bis zum Jahr 2017 etwa 2 Milliarden Euro Luftverschmutzung auch Mehreinnahmen zur Folge. So fehlen. Wir haben diese 2 Milliarden Euro natürlich ein- können wir die Mindereinnahmen bei der Lkw-Maut geplant. Wir werden das, was wir als Koalition im Be- teilweise ausgleichen. reich der Verkehrsinfrastruktur versprochen haben, auch umsetzen. Auch das wurde bereits angesprochen: Wir haben in der Finanzplanung 460 Millionen Euro zusätzliche Ein- Blicken wir zurück: Im Jahr 2003 waren es noch nahmen vorgesehen. Bis zum Jahr 2017 wird sich das 4,65 Milliarden Euro Investitionsmittel für den Bereich auf insgesamt 1,08 Milliarden Euro erhöhen. Straße. Im Jahr 2017 werden es 6,06 Milliarden Euro sein. Frau Wilms, das ist eine gewaltige Steigerung. Wir stärken den Umweltfaktor beim Lkw-Verkehr, in- dem wir eine eigene günstige Mautklasse für besonders Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen umweltfreundliche Fahrzeuge einführen – das ist Um- zu den Ansprüchen, die wir selbst an unsere hervorra- weltpolitik –, und zwar für die Euro-6-Klasse. gende Verkehrspolitik haben. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – GRÜNEN]: Das hätte Ramsauer schon ma- Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dr. Valerie chen müssen!) Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Bröckelbrücken!) So schaffen wir Anreize für unsere Speditionen, in einen modernen verbrauchsarmen Fuhrpark zu investieren. Es freut mich sehr – ich danke dem Finanzministerium –, dass nach Bekanntwerden der Mindereinnahmen bei der Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die Lkw-Maut der Bundesfinanzminister sofort zugesagt Bundesregierung auch den Forderungen des Transport- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5045

Karl Holmeier (A) gewerbes und der Handwerkerschaft im ländlichen Be- Andrea Lindholz (CDU/CSU): (C) reich nach. Das aktuelle Wegekostengutachten sah für Franz Josef Strauß war bekannt für seinen scharf- Bundesstraßen höhere Mautsätze vor als für Autobah- züngigen Humor. Selbst die Statistiker waren vor sei- nen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ha- nen Sticheleien nicht sicher. So soll Strauß gespottet ben wir im Gesetzentwurf nicht übernommen. Die Maut- haben: Wenn man den Kopf in der Sauna hat und die sätze auf Autobahnen und Bundesstraßen werden somit Füße im Kühlschrank, sprechen Statistiker von einer die gleiche Höhe haben. Gerade das ist für den ländli- angenehmen mittleren Temperatur. – Dieses Zitat chen Raum von großer Bedeutung. zeugt nicht nur von dem berüchtigten Humor des Weitere Termine stehen an. Wir beabsichtigen, ab Herrn Strauß, sondern auch von dem etwas ambi- dem 1. Juli 2015 die Mautpflicht auf weitere 1 000 Kilo- valenten Verhältnis, das die Politik gegenüber der Sta- meter autobahnähnliche Bundesstraßen auszuweiten. So tistik pflegt. können bis 2017 Mehreinnahmen von rund 500 Millio- Einerseits wird die Statistik gerne belächelt. Nur nen Euro erzielt werden. wenige interessieren sich dafür, wie unsere Statistiken Schließlich planen wir, die Grenze, ab der die Lkw- entstehen. Andererseits berufen gerade wir Politiker Maut zu zahlen ist, zum 1. Oktober 2015 von 12 Tonnen uns ständig auf alle möglichen Statistiken. Statistische auf 7,5 Tonnen zu senken. Die erwarteten Mehreinnah- Erkenntnisse helfen uns dabei, Probleme zu erkennen, men belaufen sich bis 2017 auf circa 200 Millionen sie beeinflussen unseren Blick auf die Realität und un- Euro. termauern unsere Argumente. Statistik spielt also eine Zum 1. Juli 2018 wird, wie es im Koalitionsvertrag entscheidende und häufig unterschätzte Rolle im poli- steht, die Mautpflicht für Lkw auf alle Bundesstraßen in tischen Diskurs. Deutschland ausgeweitet. Angesichts des Einflusses, den gerade auch der Ich stelle fest – Frau Wilms, passen Sie auf –: Unser Mikrozensus auf die Politik hat, ist es zweifellos gebo- Verkehrsminister und die Große Koalition haben die ten, sich die Hintergründe dieser Statistik genauer nachhaltige Entwicklung einer ökologischen Lkw-Maut anzusehen. Seit 1957 liefert uns der Mikrozensus fest im Griff und auch im Blick. Wir werden die Lkw- Informationen über die Bevölkerungsstruktur, zur Maut in Deutschland zukunftssicher weiterentwickeln. wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen, zu Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Familie und Lebenspartnerschaft, Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit, Beruf und Ausbildung. Im Gegensatz Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte zum großen Zensus wird der Mikrozensus jedes Jahr Frau Wilms, auch die Pkw-Vignette ist auf einem guten erhoben. Ein Prozent der Gesamtbevölkerung, also (B) (D) Weg. rund 830 000 Personen in 370 000 Haushalten, wer- Vielen Dank. den dafür befragt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms Wer durch das Zufallsverfahren ausgewählt wurde, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich ist gesetzlich zur Teilnahme über mehrere Jahre hin- aber gespannt! In welchem Jahr denn?) weg verpflichtet. Der Fragebogen des Mikrozensus 2014, der zugleich der Stichprobenerhebung über Vizepräsident Johannes Singhammer: Arbeitskräfte in Europa dient, umfasst immerhin Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages- 186 Fragen. Die Befragten müssen also in erhebli- ordnungspunkt. chem Maße Zeit opfern. Das muss man berücksichti- gen. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/2444 an die in der Tagesord- Mit der vorliegenden Gesetzesänderung werden nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil nun auch mehrmalige Befragungen einer Person in- ich keine anderen Vorschläge dazu feststellen kann, gehe nerhalb eines Jahres eingeführt. Diese sogenannten ich davon aus, dass Sie alle einverstanden sind. Somit ist unterjährigen Befragungen können einen nicht uner- die Überweisung beschlossen. heblichen zeitlichen Mehraufwand für die Teilnehmer bedeuten. Hintergrund dieser Neuerung sind anste- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: hende Änderungen einer entsprechenden EU-Verord- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- nung. gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 Ich begrüße es sehr, dass – parallel zum zeitlichen und des Bevölkerungsstatistikgesetzes Mehraufwand infolge der unterjährigen Befragungen – darauf geachtet wird, die Gesamtbelastung für die Drucksache 18/2141 Teilnehmer zu reduzieren. Dazu soll vor allem der ver- Überweisungsvorschlag: stärkte Einsatz elektronischer Befragungselemente, Innenausschuss (f) sprich Internet oder Telefon, dienen. Zudem sollen die Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Befragten durch eine umfassende Reform der gesam- Nach meiner Information sollen die Reden dazu zu ten Haushaltserhebung entlastet werden. Wir müssen Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein nur darauf achten, dass die Entlastungen bei den Teil- Widerspruch. Dann sind Sie damit einverstanden. nehmern effektiv ankommen. 5046 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Andrea Lindholz (A) Zweifellos lohnt sich die Mühe aber. Der Mikrozen- maßnahmen einleiten. Positive Entwicklungen können (C) sus wurde sukzessive verfeinert. Die Weiterentwick- verstärkt werden. lung des Mikrozensus ist in gewisser Hinsicht ein Spie- Ein Beispiel, das jedem sofort in den Sinn kommen gelbild der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in dürfte, ist der demografische Wandel. Nur durch die Deutschland. Zum Beispiel unterschied der Mikrozen- statistische Erfassung der Geburten und der Lebenser- sus bis 2005 lediglich zwischen Deutschen und Aus- wartung sind wir in der Lage, die problematische ländern. Die Tatsache, dass inzwischen 20 Prozent der Entwicklung schon jetzt zu identifizieren und gegenzu- deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund lenken. haben, fiel bis dato unter den Tisch. Gerade solche Zahlen sind aber entscheidend, wenn über die Frage Unverzichtbar ist jedoch die Qualität der Statisti- diskutiert wird, ob Deutschland ein Einwanderungs- ken; denn ansonsten würden Entscheidungen auf völ- land ist oder nicht. Manch einer in Deutschland stellt lig falscher Grundlage getroffen. Welche konkreten diese Tatsache ja immer noch infrage. Auswirkungen dies haben kann, haben wir erst kürz- lich bei den Ergebnissen der Volkszählung betrachten Dank des modernen Mikrozensus können wir solche können. In allen Bundesländern wichen die tatsächli- Diskussionen beenden und uns den wirklich relevanten chen Bevölkerungszahlen derart ab, dass der Länder- Fragen zuwenden. Zum Beispiel: Wie wird Deutsch- finanzausgleich völlig neu berechnet werden musste. land attraktiv für die dringend benötigten gut ausge- bildeten Migranten? Wie stellen wir deren Integration Um die Qualität der staatlichen Statistiken geht es sicher und erhalten die Akzeptanz für Migration in auch in unserem heutigen Gesetzentwurf, der aus zwei Deutschland? – Auch zu diesen Fragen liefert uns der Teilen besteht. Einerseits soll in das Mikrozensus- Mikrozensus immer wieder wichtige Anhaltspunkte. gesetz, welches die Erhebung von Daten über unsere Gesellschaft regelt, wie etwa die Bevölkerungsstruktur, Die Weiterentwicklung des Mikrozensus mit dem die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung vorliegenden Gesetzentwurf ist daher zu begrüßen. oder die Erwerbstätigkeit, eine Experimentierklausel eingeführt werden. Hintergrund dieser Klausel ist die Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Änderung einer EU-Verordnung, die Stichprobenerhe- Wir leben bekanntermaßen in einer Wissensgesell- bungen über Arbeitskräfte regelt. Zur Vorbereitung auf schaft. In einer solchen Gesellschaft stellen Wissen und die Veränderungen soll bereits jetzt eine gewisse Zahl Informationen zunehmend die Basis von politischen an Erhebungen unter den veränderten Erhebungs- Entscheidungen sowie des sozialen und ökonomischen bedingungen stattfinden. Dadurch können etwaige (B) Zusammenlebens dar. Vor allem die Aufbereitung und Probleme in der Datenerhebung schon während der (D) Organisation von Informationen in Statistiken haben Experimentierphase erkannt und behoben werden. dabei eine große Bedeutung erlangt. Der zweite Teil ist eine Änderung des Bevölkerungs- statistikgesetzes, welches die Ermittlung der Zahl und Kaum ein Lebensbereich kommt heute noch ohne der Zusammensetzung der Bevölkerung regelt. Hier Statistiken aus. Dies fängt schon beim Lieblingssport hat sich gezeigt, dass weitere Hilfsmerkmale die Qua- der Deutschen an: dem Fußball. Ohne Ballbesitzstatis- lität der Statistik verbessern können, insbesondere im tik, Gelaufene-Kilometer-Statistik, Passstatistik oder Hinblick auf die Bestimmung der Einwohnerzahl und die sogenannten Heatmaps scheint heute kein Fußball- deren Fortschreibung. Dabei entsteht keine weiter ge- kommentator mehr seine Berichterstattung absolvie- hende Belastung der Bürger, da die Daten bereits in ren zu können. In den Profiklubs werden solche Statis- verschiedenen Verwaltungsdatensätzen existieren. Sie tiken längst zur konsequenten Weiterentwicklung ihres müssen lediglich dem Statistischen Bundesamt anony- Spielvortrags genutzt. misiert zur Verfügung gestellt werden. Jedes Wirtschaftsunternehmen muss sich stark auf Ich sehe den Gesetzentwurf sehr positiv. Aus meiner statistische Werte stützen: Wie viele Produkte haben Sicht ist hier ein guter Gesetzentwurf gelungen, der wir in einem bestimmten Zeitraum abgesetzt? Wohin unmittelbare Verbesserungen für unsere staatlichen setzen wir welchen Anteil unserer Produkte ab? Wie Statistiken mit sich bringt. Nur wenn unsere statisti- stark ist die Resonanz auf unsere Werbestrategie? Wie schen Grundlagen stimmen, kann die Politik Maßnah- entwickeln sich die Kosten? Ohne diese Statistiken men zum Wohle der Gesellschaft ergreifen. Mit diesen lässt sich ein moderner wirtschaftlicher Betrieb nicht Gesetzesänderungen gehen wir einen weiteren Schritt mehr steuern. Die Unternehmen hätten keine belast- in die richtige Richtung. bare Grundlage für ihre Geschäftsstrategie oder ihre Investitionsentscheidungen. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Für die Politik spielen Statistiken ebenfalls eine Wir behandeln heute in erster Lesung einen Gesetz- große Rolle. Nur mit der statistischen Erfassung von entwurf zur Änderung des Mikrozensusgesetzes und Informationen können wirtschaftliche oder gesell- des Bevölkerungsstatistikgesetzes. Statistische Erhe- schaftliche Trends überhaupt identifiziert werden. bungen sind die Grundlage für viele Lebensbereiche, Wenn bestimmte Entwicklungen negative Folgen nach die uns umgeben. Für den Kindergarten um die Ecke, sich ziehen, kann die Politik entsprechende Gegen- für Schulen, Krankenhäuser oder sogar die Taktzeiten

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5047

Matthias Schmidt (Berlin) (A) der Bahn. Sie sind die Basis für sämtliche Planungen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung unserer Ge- (C) der Länder und Kommunen sowie auch für die Wirt- sellschaft. schaft. Das gesamte Gemeinwesen fußt auf dieser Zah- lengrundlage. Lassen Sie mich Ihnen das über folgen- In einem Bereich würde auch uns Abgeordnete das des Szenario näherbringen: unmittelbar betreffen. Auf Basis der Bevölkerungs- anzahl werden die Wahlkreise zugeschnitten. Wer von Stellen Sie sich einmal vor, wir würden auf Erhebun- uns würde schon wollen, dass das ein Zufallsprodukt gen, wie den Mikrozensus oder vergleichbare Statisti- würde? Auch die wichtigen Aussagen der Wahlstatistik ken verzichten. Wie Sie alle wissen, werden dafür bei gingen verloren, und diese ist gesamtgesellschaftlich der Bevölkerung Daten erhoben, so zur Bevölkerungs- von erheblicher Bedeutung. Wie ist es um unsere De- struktur, zur Familie und Lebenspartnerschaft, zu Be- mokratie bestellt? Ohne Wahlstatistik muss diese ruf und Ausbildung, zu Erwerbsbeteiligung und Be- Frage offen bleiben. Die Szenarien ließen sich noch schäftigung, um nur einige der Daten zu nennen. lange fortsetzen – alle mit einem beängstigenden Er- Greifen wir uns die Daten zur Familie einmal heraus. gebnis: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft würden Ohne die Daten zu der Anzahl der Familien in ihre Entscheidungsgrundlage verlieren. Der Wert von Deutschland, der Anzahl und dem Alter der Kinder, statistischen Erhebungen ist beträchtlich – da sind wir der Zahl der Frauen und Männer, die ihre Kinder al- uns sicher einig. leine erziehen, stünden wir familienpolitisch im Nebel. Nun ist die Statistik tatsächlich auch in keiner Weise Wir wüssten dann nicht, wie hoch der Bedarf an gefährdet – im Gegenteil. Mit den Ihnen vorliegenden Horten, Kitas, Grundschulen, Kinderärzten oder Änderungen im Mikrozensusgesetz und im Bevölke- Spielplätzen ist. Wir müssten in den Kommunen „pi rungstatistikgesetz werden wir sie vielmehr qualifizie- mal Daumen“ Einrichtungen schaffen, um die Fami- ren. Anlass ist die gemeinsam mit dem Mikrozensus lien zu versorgen. Ganze Stadtteile wären in Zeiten durchzuführende EU-Stichprobenerhebung für Ar- knapper Kassen tendenziell unterversorgt, und das mit beitskräfte. Eine geplante Veränderung in der EU- dramatischen Folgen. Frauen könnten keiner Er- Verordnung macht es erforderlich, dass auch die natio- werbstätigkeit nachgehen, da sie keine Betreuung für nalen Gesetze verändert werden. So ist in dem Gesetz- ihre Kinder fänden. Die Kinder würden in ihrer Wohn- entwurf vorgesehen, das Mikrozensusgesetz um eine nähe keine Spiel- oder Abenteurerplätze finden, und Experimentierklausel zu ergänzen. Damit können neue was wäre bei einer Erkrankung der Kleinen? Die Wege Erhebungsverfahren erprobt werden, um die Qualität zu Kinderärzten oder Krankenhäusern wären mögli- der Statistik zu verbessern. Eine damit verbundene Zielrichtung ist, befragte Bürgerinnen und Bürger zu (B) cherweise mit langen Wegstrecken verbunden, weil die (D) Kommunen nicht zielgenau planen konnten. Auch entlasten, indem Erhebungen zusammengefasst wer- könnten viele Kinder von der vorschulischen Bildung den. In der Bevölkerungsstatistik können durch die Ge- in den Kitas nicht profitieren und hätten damit setzesänderung weitere Merkmale erhoben werden. schlechtere Ausgangschancen. Werfen wir auch einen Diese Änderung ist notwendig, weil mit dem Inkrafttre- Blick auf alleinerziehende Frauen. Wir wüssten gar ten des Bevölkerungsstatistikgesetzes am 1. Januar nicht, wie viele von ihnen einer besonderen Förderung 2014 einige „handwerkliche Mängel“ offenbar wur- bedürfen, und könnten unsere Arbeitsmarktpolitik den. Wir korrigieren diese nun und ermöglichen da- nicht daran orientieren und entsprechend gestalten. durch die Fortschreibung der Statistik. Es sind kleine Änderungen mit viel Gewicht, die uns wie vielen ande- Auch die Finanzausstattung der Länder wäre ein ren Stellen die Arbeit erleichtern. Wir werden diese Lotteriespiel mit Konsequenzen. Ohne eine Einwoh- Änderungen in den Ausschüssen erörtern. nerzahl könnten weder Länder noch Kommunen ver- nünftig planen. Nun stellen Sie sich einmal vor, was Lassen Sie mich am Ende noch einmal auf die Men- das für Berlin bedeuten würde: Straßen würden nicht schen kommen, die tagtäglich an den Statistiken arbei- gebaut, weil man den Finanzierungsaufwand scheuen ten und diese fortentwickeln. Sie leisten mir ihrer müsste, Wohnungen wohlmöglich gar abgerissen, weil Arbeit einen überaus wichtigen gesellschaftlichen Bei- die demografische Entwicklung nicht abgeschätzt wer- trag. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich den könnte. Die Anzahl an Pflegeeinrichtungen würde für den engagierten Einsatz danken, von dem wir alle einem Zufallsprodukt entsprechen. profitieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Dank. Ich Auch privatwirtschaftliche Investitionen kämen zum freue mich auf die Beratung mit Ihnen! Erliegen. Unternehmen würden kein Kapital darauf verwenden, in eine unkalkulierbare geschäftliche Zu- kunft zu investieren. Neue Standorte, Expansionen Jan Korte (DIE LINKE): oder die Entwicklung neuer Geschäftsbereiche stün- Mit dem hier heute zur Debatte stehenden Entwurf den infrage. Und davon wäre dann auch der Arbeits- eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes markt betroffen. Welches Unternehmen würde schon 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes soll einer ausbilden oder einstellen, wenn die Entwicklung auf bevorstehenden Novellierung der EU-Verordnung der Grundlage von statistischen Daten nicht planbar (EG) Nr. 577/98 des Rates vom 9. März 1998 ent- wäre? Das wiederum hätte verheerende Konsequenzen sprochen werden. Durch die bereits 1968 erfolgte

Zu Protokoll gegebene Reden 5048 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Jan Korte (A) Kopplung des Mikrozensus mit der EU-Arbeitskräfte- basieren nicht auf fehlenden Daten, sondern auf der (C) erhebung erscheint eine entsprechende Anpassung fol- falschen Bewertung vorhandener Daten“. gerichtig. Die beabsichtigten Änderungen sind zwar übersichtlich, haben aber durchaus relevante Auswir- Aus unserer Sicht steht eine Zwangserhebung – und kungen. darum geht es ja beim Mikrozensus – auch im Wider- spruch zum Recht auf informationelle Selbstbestim- Worum geht es im Detail? Beim Mikrozensus wer- mung. Hier muss man sich doch die Frage stellen, ob den vier Jahre lang jährlich circa 830 000 Bürgerin- der Staat und die Statistiker heutzutage nicht endlich nen und Bürger zu Auskünften auf detaillierte persön- auf die Mittel Auskunftszwang, Zwangsgelder und liche Fragen verpflichtet, deren Beantwortung nach Drohbriefe verzichten können, wenn sie Informationen Angaben des Statistischen Bundesamtes je nach Fall für bestimmte Projekte brauchen. Ich zumindest emp- rund eine halbe Stunde dauern soll. Zudem werden je- finde die gedankliche Unfähigkeit, Bürgerinnen und weils 200 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften Bürger zur freiwilligen Mitwirkung und Datenabgabe auf weitere Fragen verpflichtet, deren Beantwortung bewegen zu wollen, tatsächlich als rückständig und zusätzliche 15 Minuten in Anspruch nimmt. Wenn man nicht innovativ. Dass die „Datenqualität“ bei einer sich der Beantwortung der Fragen verweigert, wird Mikrozensuserhebung auf Freiwilligkeit nicht auf- man mit Zwangsgeldern von bis zu 5 000 Euro bzw. ge- rechterhalten werden könnte, halte ich zudem für gebenenfalls Beugehaft bestraft. Seit dem 15. März Zweckpropaganda auf Basis unbewiesener Gerüchte. 1998 schreibt die EU-Verordnung zur Durchführung Wenn Sie jetzt im Mikrozensusgesetz eine sogenannte einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der „Experimentierklausel“ einfügen wollen, dann zeigen Gemeinschaft ein sogenanntes unterjähriges Erhe- Sie doch auch mal etwas Mut und experimentieren Sie bungskonzept vor. Das heißt nichts anderes, als dass endlich mit einem ersten Freiwilligkeits-Praxistest. die Betroffenen nicht einmal, sondern mehrmals jähr- Worum geht es heute noch? Das noch frische Bevöl- lich befragt werden sollen. Das bis heute gültige kerungsstatistikgesetz soll nach Ihrem Willen gleich Mikrozensusgesetz lässt bislang aber eine unterjährige mit aufgebohrt werden. Im Gesetzentwurf heißt es Erhebung nicht zu. Übergangsweise konnte Deutsch- diesbezüglich: „Das Bevölkerungsstatistikgesetz ist land bei seinem davon abweichenden Erhebungs- am 1. Januar 2014 in Kraft getreten. Bei der Vorberei- konzept bleiben. Damit soll nun aber Schluss sein. Zu- tung seiner Umsetzung hat sich herausgestellt, dass dem sollen die Erhebungen vermehrt elektronisch weitere Hilfsmerkmale erforderlich sind, um die Qua- durchgeführt werden, zum Beispiel per Telefon oder lität der Statistik insbesondere im Hinblick auf die Ein- Internet – ein aus Datenschutzsicht nicht unproblema- wohnerzahl und deren Fortschreibung zu sichern und (B) (D) tisches Unterfangen. Dazu später mehr. zu verbessern.“ Meine Fraktion hatte das Mikrozensusgesetz 2005 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß zwar abgelehnt, weil aus unserer Sicht und nach Auffassung nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie so etwas lesen oder vieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, seine hören, aber bei mir führt das zu Zweierlei: Erstens Notwendigkeit nicht konkret nachgewiesen, der Um- lässt es kein allzu großes Vertrauen in die Verfasser fang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unver- wachsen, die derart schwerwiegende Probleme nicht ständlich bis diskriminierend gewesen ist. An dieser vorher erkannt haben. Zweitens ist das genau das, was grundsätzlichen Kritik halten wir fest. Doch selbst immer befürchtet wird: Zunächst wird ein Fuß in die wenn man die Auffassung vertritt, dass der Mikrozen- Tür gestellt, alle beteuern Datensparsamkeit, und nur sus zur Erfüllung legitimer Zwecke nötig und un- wenig später erweitert man dann die Datenerhebun- verzichtbar ist, dann erfordert die Verhältnismäßigkeit gen oder Verwendungszwecke über den ursprüngli- eben, dass es dann tatsächlich bei den Maßnahmen chen Zweck hinaus. bleibt, die der jeweilige legitime Zweck, beispielsweise § 13 a (1) Punkt 2 erlaubt die „vorübergehende“ die Organisation des Länderfinanzausgleichs, erfor- Zusammenführung von personenbezogenen Daten der dert. Für die Organisation des Länderfinanzausgleichs Befragten (Hilfsmerkmale) mit deren weiteren Befra- muss ich aber nicht wissen, welcher Religion der jewei- gungsergebnissen (Erhebungsmerkmalen). Zwar steht lige Bürger anhängt oder wer noch alles bei ihm in der dem die „Einwilligung der Betroffenen“ zuvor, aber Wohnung lebt. dass die Aufhebung der Anonymisierung statistischer Daten im IT-System angelegt wird, besorgt mich und Mir ist im Übrigen auch kein einziger politischer lässt mich grundsätzlich an der Sicherheit der Anony- Bereich bekannt, in dem es in letzter Zeit wegen fehlen- misierung der Personendaten zweifeln. Rein sachlich der „Daten“ zu problematischen Entscheidungen kam. gibt es ja gar keine Anonymisierung, sondern lediglich Es ist zum Beispiel seit vielen Jahren hinreichend be- eine Pseudonymisierung. Dies ist aus meiner Sicht im kannt, dass es hierzulande viel zu wenig Kinderbetreu- Jahr eins nach Snowden alles andere als ausreichend. ung gibt. Konkret fehlt es eben nicht an Daten, sondern am politischen Willen, dieses Problem zu lösen. Thilo An dieser Stelle möchte ich Sie mal fragen, wer von Weichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutz Ihnen schon einmal eine mehrjährige andauernde in Schleswig-Holstein, hat das sehr richtig folgen- Mikrozensus-Befragung hinter sich gebracht hat. Das dermaßen ausgedrückt: „Politische Fehlplanungen würde mich wirklich interessieren. Vor allem aber

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5049

Jan Korte (A) würde mich interessieren, ob diejenigen, die hier kei- Qualitätspolitik. Meine Fraktion plädiert hingegen für (C) nerlei Problem mit all dem erkennen lassen, auch frei- das Prinzip der Freiwilligkeit bei Volkszählungen willig den 64 Seiten langen Fragebogen des derzeiti- jeder Art und für den konkreten Nachweis der Erfor- gen Mikrozensus und seine 164 Fragen zu zahlreichen derlichkeit von Zahlen für nachvollziehbare Zwecke. detaillierten persönlichen Angaben ausfüllen und Ich würde mich freuen, wenn auch Sie sich zu einer diese Daten den IT-Systemen des Statistischen Bundes- Umkehr für mehr Freiheit, Datenschutz und Daten- amtes übergeben würden. Ich glaube, bei dem aktuel- sparsamkeit durchringen könnten. len Erhebungsdesign dürften das nicht allzu viele von Ihnen ehrlichen Herzens behaupten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE Der Mikrozensus ist für viele von den Befragungen GRÜNEN): Betroffenen schon heute eine große Belastung. Die ge- Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden plante mehrmalige Befragung der Leute pro Jahr insgesamt rund 830 000 Personen in etwa 370 000 pri- macht das noch viel schlimmer und erhöht den Druck vaten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften stell- auf die Menschen. Dann von „kein zusätzlicher Erfül- vertretend für die gesamte Bevölkerung zu ihren Le- lungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger“ zu spre- bensbedingungen befragt. chen, trifft es ja wohl nicht so ganz. Es sei denn, dass die mehrmalige Befragung pro Jahr den gesamten Was so lapidar unter dem Stichwort Befragung Befragungsprozess zeitlich reduzieren würde, wenn läuft, entpuppt sich für die davon Betroffenen oft als also zum Beispiel gleich viel Befragungen in zwei statt ein mittlerer Alptraum: Endlose Fragebögen mit sehr in vier oder fünf Jahren stattfinden. Ob das allerdings fein granulierten Fragen zu nahezu allen Lebensberei- beabsichtigt ist, wird aus Ihrem Gesetzentwurf über- chen, das Ganze bußgeldbewehrt. Die Datenschutzbe- haupt nicht deutlich. So muss man wahrscheinlich viel hörden und auch die Abgeordneten des Deutschen eher davon ausgehen, dass die Befragungen stattdes- Bundestages wissen davon ein Lied zu singen: Keines- sen im Umfang erheblich ausgeweitet werden. falls kann von einer allgemeinen Akzeptanz dieses Ver- fahrens in der Bevölkerung gesprochen werden, eine Die Möglichkeit einer Ausweitung der elektroni- anhaltend hohe Zahl von Eingaben und Zuschriften schen Befragungen zum Beispiel durch Telefoninter- der betroffenen Bürgerinnen und Bürger belegt dies. views halte ich aus Datenschutzgründen ebenfalls für schlecht. Wer kann garantieren, dass durch diese Richtig ist: Die offiziellen Statistiken unserer Be- Praktiken nicht das Missbrauchsrisiko erheblich hörden sorgen für eine informierte Politik. Sie stellen steigt? Wer kann ernsthaft davon ausgehen, dass die deshalb ein wichtiges Merkmal rationaler und infor- (B) elektronisch erhobenen Daten angesichts immer neuer mierter Entscheidungsprozesse in Regierung wie im (D) Erkenntnisse über Überwachungs- und Ausspähprak- Parlament dar. Wir erwarten aber, dass diese Verfah- tiken staatlicher und privater Stellen sicher sind? ren grundrechtsschonend und im Hinblick auf die er- Zu guter Letzt kommen wir zu den von Ihnen prog- fassten Merkmale realitätsgerecht erfolgen. nostizierten Kosten. Nach Kostenkalkulationen des Verfassungsrechtlich wie datenschutzrechtlich bleibt Statistischen Bundesamtes sowie der statistischen es dabei: Wir haben es mit durchaus grundrechtsinten- Ämter der Länder sollen durch die beabsichtigten Än- siven Eingriffen zu tun, da die Befragung über eine derungen des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Be- Auskunftspflicht erzwungen wird und der Umfang der völkerungsstatistikgesetzes bei Bund und Ländern ein- Erhebungen zu sehr weitgehenden Profilen der betrof- malig Kosten in Höhe von insgesamt 872 601 Euro fenen Bürgerinnen und Bürger führt. entstehen. Beim Bevölkerungsstatistikgesetz entstehen zusätzlich bei den Ländern jährliche Mehrkosten in Die Rechtfertigungsanforderungen sind deshalb Höhe von mindestens 64 000 Euro. Außerdem heißt es hochzuhalten: Die strenge Zweckbindung des Statistik- im Gesetzentwurf zu Mehrkosten beim BevStatG: „Für geheimnisses schützt vor unbefugten Weitergaben und die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die durch Zugriffen, die Datensätze verbleiben in ihrer primären dieses Gesetz zu Datenlieferungen verpflichtet werden, Nutzbarkeit als primär anonymisierte Informations- entstehen für die Anpassung von vorhandenen Soft- quelle. Zusätzlich muss jedoch sichergestellt sein, dass warelösungen gegebenenfalls einmalige Kosten, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim laufenden angesichts der unterschiedlichen Gestaltung der Umbau des Verfahrens, wie wir es nun seit Jahren jeweiligen Fachverfahren nicht beziffert werden schon erleben, gleichbleibend ernsthaft angewandt können.“ Das ist ja nun nicht gerade sehr informativ. wird. Besitzen Sie denn nicht wenigstens eine Schätzung, mit Der vorliegende Entwurf enthält einmal mehr welchen Kosten die zuständigen Stellen zu rechnen – diesmal EU-bedingt – den Ausbau der zu erhebenden haben? Ohne wenigstens das annähernd absehen zu Merkmale, und bei den sogenannten unterjährigen Be- können, kann man doch so eine Änderung nicht seriös fragungen sattelt er zusätzlich auf: Die Betroffenen beschließen. sind nicht nur einmal jährlich, sondern mehrfach im Zusammengefasst: Dieser Gesetzentwurf reiht sich Jahr zu Angaben bezüglich ihrer Arbeitsverhältnisse in die voranschreitende Katalogisierung des Bürgers verpflichtet. Die gesetzlich vorgesehene Experimen- ein. Er setzt auf die Herrschaft der Zahl statt auf tierklausel soll sicherstellen, dass die Statistikbehör-

Zu Protokoll gegebene Reden 5050 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

Dr. Konstantin von Notz (A) den nicht unvorbereitet in die demnächst verpflichtend Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (C) zu realisierenden Erhebungsanforderungen gehen, das im Ausland angenommen wurden. erscheint nachvollziehbar. Auch bei Kindergeburten soll nicht nur die Angabe Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Ankündi- übermittelt werden, ob die Eltern des Kindes miteinan- gung der Bundesregierung, diese Befragungen so weit der verheiratet sind, sondern auch, ob einer bzw. beide wie möglich reduzieren und auch insgesamt weitere der Eltern in einer bzw. zwei Lebenspartnerschaften Entlastungen der Betroffenen bewirken zu wollen. Wir leben. erwarten von den Statistikbehörden, dass sie das ihnen Und schließlich sollen Gerichte nicht nur bei ge- Mögliche tun, um sicherzustellen, dass das Verfahren richtlichen Entscheidungen über Ehesachen den sta- des Mikrozensus nicht uferlos weiter aufgeblasen wird, tistischen Ämtern der Länder unter anderem die Zahl weil dies am Ende womöglich wieder in eine grund- der lebenden gemeinschaftlichen minderjährigen Kin- sätzliche Auseinandersetzung zumindest über den obli- der übermitteln. Auch bei Aufhebungen von Le- gatorischen Charakter dieses Verfahrens münden benspartnerschaften soll das entsprechend geschehen. könnte. Nur so werden wir der familiären Realität gerecht Lassen Sie mich noch zu einem Sonderpunkt kom- und können zukünftig auch Familien, bei denen Kinder men, der zu unserer Linie der weiteren sachgerechten bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern leben, auf ei- Durchführung von Mikrozensen steht. Wenn schon Mi- ner fundierten Basis in die Familienpolitik einbezie- krozensus, dann ohne selektive Brille: hen.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Frak- Vizepräsident Johannes Singhammer: tion zum Thema „Regenbogenfamilien in Deutsch- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- land“ gab die Bundesregierung zu, dass sie nichts von wurfs auf Drucksache 18/2141 an die in der Tagesord- der Lebensrealität von Regenbogenfamilien weiß. Ihre nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil es einzigen Erkenntnisse basieren auf Erhebungen von dazu keine anderweitigen Vorschläge gibt, ist die Über- 2006 und können daher nicht ernsthaft als aktuell und weisung damit beschlossen. ausreichend bewertet werden. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- Mit der vorliegenden Novelle bekommt der Bundes- ordnung. Ich danke Ihnen allen recht herzlich für die tag nun die Chance, die immer wachsende Zahl von konzentrierte Beratung in den vergangenen Stunden und Regenbogenfamilien endlich auch in der Bevölke- wünsche Ihnen einen weiterhin angenehmen Abend und (B) rungsstatistik zu berücksichtigen. später eine gute Nacht. (D) Bei Begründungen von Lebenspartnerschaften soll Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- deshalb auch die Zahl der gemeinsamen Kinder der destages auf Freitag, den 26. September 2014, 9 Uhr, ein und schließe damit die Sitzung. Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner übermittelt werden. Dies kann relevant sein, wenn Kinder vor der (Schluss: 22.12 Uhr) Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5051

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

van Aken, Jan DIE LINKE 25.09.2014 Strässer, Christoph SPD 25.09.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 25.09.2014 Veit, Rüdiger SPD 25.09.2014 Beckmeyer, Uwe SPD 25.09.2014 Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 25.09.2014 Dr. Braun, Helge CDU/CSU 25.09.2014 Anlage 2 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 25.09.2014 Erklärung nach § 31 GO Dr. De Ridder, Daniela SPD 25.09.2014 der Abgeordneten Ulrike Bahr, Bärbel Bas, Dobrindt, Alexander CDU/CSU 25.09.2014 Dr. Karl-Heinz Brunner, Martin Burkert, Dr. Lars Castellucci, Michela Engelmeier, Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 25.09.2014 Dr. h.c. Gernot Erler, Saskia Esken, Karin Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 25.09.2014 Evers-Meyer, Dr. Johannes Fechner, Christian DIE GRÜNEN Flisek, Gabriele Fograscher, Ulrich Freese, Dagmar Freitag, Michael Gerdes, Martin Groth, Annette DIE LINKE 25.09.2014 Gerster, Ulrike Gottschalck, Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Metin Hakverdi, Hagl-Kehl, Rita SPD 25.09.2014 Sebastian Hartmann, Gabriela Heinrich, Marcus Held, Petra Hinz (Essen), Christina (B) Hardt, Jürgen CDU/CSU 25.09.2014 Jantz, Frank Junge, Christina Kampmann, (D) Gabriele Katzmarek, Birgit Kömpel, Dr. Hans- Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 25.09.2014 Ulrich Krüger, Steffen-Claudio Lemme, Caren Dr. Hendricks, Barbara SPD 25.09.2014 Marks, Katja Mast, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Carola Reimann, Horb, Margaret CDU/CSU 25.09.2014 Andreas Rimkus, Dr. Martin Rosemann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bernd Rützel, Korte, Jan DIE LINKE 25.09.2014 Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Udo Schiefner, Matthias Schmidt Dr. von der Leyen, CDU/CSU 25.09.2014 (Berlin), Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Ursula Kerstin Tack, Franz Thönnes, Wolfgang Tiefensee, Carsten Träger, Dirk Vöpel, Gabi Dr. Malecha-Nissen, SPD 25.09.2014 Weber, Bernd Westphal, Gülistan Yüksel, Birgit Dagmar Ziegler und Stefan Zierke zur nament- lichen Abstimmung über den Entschließungs- Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 25.09.2014 antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Nahles, Andrea SPD 25.09.2014 Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nietan, Dietmar SPD 25.09.2014 – Drucksache 18/2612 – Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ 25.09.2014 zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- DIE GRÜNEN rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Radomski, Kerstin CDU/CSU 25.09.2014 Fraktion DIE LINKE Scheuer, Andreas CDU/CSU 25.09.2014 – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Stauche, Carola CDU/CSU 25.09.2014 Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- Dr. Steinmeier, Frank- SPD 25.09.2014 mens Walter (Tagesordnungspunkt 4 a) 5052 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Wir stimmen mit unserer Fraktion gegen den Ent- Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- (C) schließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine 18/2612. Zustimmung sind. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindest- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein anforderungen für die Verhandlungen für ein Freihan- den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel delsabkommen mit den USA benannt. Diese „Mindest- müssen Eingang in den Text finden. anforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- vom 20. September 2014. len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Die bewährten deutschen und europäischen Standards Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- gehen möchten wir nicht durch eine Zustimmung zu dem men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Antrag fördern. Allerdings ist es uns wichtig, zu erklären, dass wir den Beschluss des Parteikonvents vom 20. Septem- Anlage 3 ber 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlun- Erklärung nach § 31 GO gen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/ der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Ewald 20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneinge- Schurer und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) schränkt unterstützen und ihn uns zu eigen machen. (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- Fraktion DIE LINKE minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den (B) Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- – Drucksache 18/2612 – (D) kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem Fraktion DIE LINKE einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig Soziale, ökologische, ökonomische und politi- eingeladen werden. sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- (Tagesordnungspunkt 4 a) schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines Wir stimmen mit unserer Fraktion gegen den Ent- gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- schließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache riums mit dem DGB gefasst wurde. 18/2612. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- Sie lauten im Wesentlichen: derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika tember 2014. und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese vorrangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5053

(A) gehen möchte wir nicht durch eine Zustimmung zu dem einem Abkommen zwischen den USA und der EU (C) Antrag fördern. grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor- Allerdings ist es uns wichtig, zu erklären, dass wir Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September Rechtsbergriffen wie „faire und gerechte Behandlung“ 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen oder „indirekte Enteignung“ abzulehnen. zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt Anlage 4 unterstützen und ihn uns zu eigen machen. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst Erklärung nach § 31 GO mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- der Abgeordneten Michael Groß und Klaus minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- Mindrup (beide SPD) zur namentlichen Ab- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- stimmung über den Entschließungsantrag der sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeord- öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- neter und der Fraktion DIE LINKE missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in – Drucksache 18/2612 – Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Ver- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- Fraktion DIE LINKE geladen werden. – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- Soziale, ökologische, ökonomische und politi- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- mens riums mit dem DGB gefasst wurde. (Tagesordnungspunkt 4 a) Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- Wir stimmen mit unserer Fraktion gegen den Ent- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen schließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- (B) 18/2612. (D) gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Sie lauten im Wesentlichen: sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- tember 2014. delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion stimmung sind. Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchten wir nicht durch eine Zustimmung zu dem Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- Antrag fördern. beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein Allerdings ist es uns wichtig, zu erklären, dass wir den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September müssen Eingang in den Text finden. 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- unterstützen und ihn uns zu eigen machen. sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst Die bewährten deutschen und europäischen Standards mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- Schiedsverfahren. Investitionsschutzvorschriften sind in sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine 5054 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- vestitionen aus der EU in die USA. Die EU-Mitglied- (C) missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- staaten hielten Ende 2011 circa 1 573 Milliarden US- man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- Dollar an Investitionsbeständen in den USA, die US-Di- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem rektinvestitionen in der EU betrugen 2 094 Milliarden einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Ver- US-Dollar. Dies ist ein deutliches Zeichen für das gegen- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- seitige Vertrauen in die vorhandenen rechtlichen und de- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- mokratischen Rahmenbedingungen für Investitionen. Es geladen werden. besteht somit keine Notwendigkeit der Aufnahme eines ISDS-Mechanismus in das TTIP-Abkommen. Aufgrund Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der der hohen durchschnittlichen Verfahrenskosten – die SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- OECD geht von 8 Millionen Dollar pro Verfahren aus – schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines können mittelständische Unternehmen den ISDS-Me- gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- chanismus in der Praxis nicht nutzen. Der ISDS-Mecha- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, nismus begünstigt Großkonzerne, die so geltendes natio- dass Partei und Fraktion eine gemeinsame Auffassung nales Recht und die staatliche Gerichtsbarkeit umgehen über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsab- können. Sollte ein entsprechender Mechanismus in der kommen haben. derzeit zur Diskussion stehenden Form in das TTIP-Ab- Sie lauten im Wesentlichen: kommen integriert werden, würde dies massive negative Folgen für Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- für die mittelständische Wirtschaft nach sich ziehen. Die schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika Erfahrungen aus den bisher stattgefundenen Schiedsver- und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- fahren zeigen, dass es dem Verfahren an Transparenz delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nach- und einer übergeordneten ständigen Berufungsinstanz haltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vorrangig mangelt. Es besteht nicht nur die Gefahr der Aushebe- das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Handels- lung der staatlichen Gerichtsbarkeit, sondern zudem eine hemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großin- mögliche indirekte Beeinflussung der staatlichen Regu- dustrie vor allem dem Mittelstand zugute. lierungspolitik.“ Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- Die Kritik an Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- gilt für uns ausdrücklich auch für das Freihandelsabkom- stimmung sind. men CETA zwischen Kanada und der EU. Es gibt eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen den USA (B) Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- (D) beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- und Kanada. Erstens wäre mit einer derartigen Regelung tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein „die Tür für derartige Verfahren offen“. Zweitens könnte den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel man den USA kaum das verweigern, was man Kanada müssen Eingang in den Text finden. gestattet. Damit droht der bekannte „Rutschbahneffekt“. Es geht um die Bewahrung von Rechtsstaat und Demo- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in kratie und den Vorrang des öffentlichen Rechts auf der der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- Basis unseres Grundgesetzes. len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards Anlage 5 dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Erklärungen nach § 31 GO Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- zur namentlichen Abstimmung über den Ent- men sind sie entbehrlich. schließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Wir schließen uns ausdrücklich der Begründung des DIE LINKE Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft an, die In- vestor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren ablehnt: „Die – Drucksache 18/2612 – grundlegende Idee hinter Investitionsschutzkapiteln und ISDS-Mechanismus ist die Gewährleistung hoher und zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- hoheitlicher, rechtsstaatlicher Standards. Investoren sol- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten len so vor staatlicher Willkür und dem Verlust ihrer In- Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der vestitionen geschützt werden. Mangelnde Rechtsstaat- Fraktion DIE LINKE lichkeit, korrupte Justizsysteme oder fehlendes – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Investorenvertrauen treffen auf zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer zu, jedoch nicht auf die beiden Soziale, ökologische, ökonomische und politi- Verhandlungsparteien, die USA und die Europäische sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- Union. Die USA waren im vergangenen Jahr mit mens 313 Milliarden Euro der mit Abstand größte Direktin- vestor in der EU. Im Gegenzug flossen die meisten In- (Tagesordnungspunkt 4 a) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5055

(A) Heike Baehrens (SPD): Ich stimme mit meiner Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- (C) Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- Die Linke, Drucksache 18/2612. stimmung sind. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- müssen Eingang in den Text finden. derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- tember 2014. len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche – in wesentlichen Teilen – wortgleichen Anträge Die bewährten deutschen und europäischen Standards einbringen, anstatt eigene inhaltliche Positionen zu ent- dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. wickeln. Einem solchen Versuch, eine Regierungsfrak- Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- tion zu einer Vorfestlegung zu zwingen, werde ich nicht Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- zustimmen. men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September Dr. Katarina Barley (SPD): Ich stimme mit meiner 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// Die Linke, Drucksache 18/2612. www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/2014092 0_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis unterstütze und ihn mir zu eigen mache. auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindest- Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst anforderungen für die Verhandlungen für ein Freihan- mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- delsabkommen mit den USA benannt. Diese „Mindest- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- anforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die (B) sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents (D) öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- vom 20. September 2014. kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem eingeladen werden. Antrag fördern. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// riums mit dem DGB gefasst wurde. www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen unterstütze und ihn mir zu eigen mache. zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, rangig das Ziel neben den Zöllen die nichttarifären Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. eingeladen werden. 5056 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den (C) SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt riums mit dem DGB gefasst wurde. unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- zu den Freihandelsabkommen haben. minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- Sie lauten im Wesentlichen: kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. eingeladen werden. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- Zustimmung sind. schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes riums mit dem DGB gefasst wurde. Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen müssen Eingang in den Text finden. zu den Freihandelsabkommen haben. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in Sie lauten im Wesentlichen: der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika (B) sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- (D) Die bewährten deutschen und europäischen Standards delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Schiedsverfahren. Unter entwickelten Rechtsstaaten be- Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. nötigen wir diese schlichtweg nicht. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Ich stimme stimmung sind. mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- müssen Eingang in den Text finden. forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. tember 2014. Die bewährten deutschen und europäischen Standards Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemein- Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den same Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Be- Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 schluss des SPD-Konvents unter vollständigem Verzicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5057

(A) auf einen eigenen intellektuellen Beitrag Mindestanfor- – Hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge – (C) derungen für die Verhandlungen für ein Freihandelsab- mindestens auf dem Niveau der EU. kommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanforde- rungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich – Garantierter Gestaltungsspielraum für die nationalen, mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- regionalen und lokalen Gebietskörperschaften. gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- – Keine Absenkung der bewährten deutschen und euro- tember 2014. päischen Standards. Es steht einer Oppositionsfraktion natürlich zu, ihre – Keine Investor-Staat-Schiedsverfahren in Verträgen Ideenarmut durch kopierte Anträge zu kaschieren, um zwischen Staaten mit entwickelten Rechtssystemen. auf diese Art eine Regierungsfraktion – gebunden an einen Koalitionsvertrag – vorzuführen. Eine solch Vorfestlegungen meines Abstimmungsverhaltens hin- schlichte Taktik verdient Ablehnung. Deshalb stimme sichtlich eines bisher nur fragmentarisch bekannten ich mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag Vertragstextes über eine Transatlantische Handels- und der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. Investitionspartnerschaft – Transatlantic Trade and In- vestment Partnership – zwischen der EU und den USA Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den sind mir nicht möglich. Beschluss des Parteikonvents der SPD vom 20. Septem- ber 2014 zu Anforderungen an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP unterstütze Sabine Dittmar (SPD): Ich stimme mit meiner Frak- (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/ tion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die 20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html). Linke, Drucksache 18/2612. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis Bundesminister für Wirtschaft und Energie wurde zu den auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öf- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- fentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- missar De Gucht und US-Chefverhandler Mike Froman derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbrau- tember 2014. cher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerk- (B) Wenn eine Oppositionsfraktion, ob nun aus Mangel (D) schaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingela- an eigenen inhaltlichen Positionen oder aus purer Provo- den werden. kation, einen Beschluss eines Parteigremiums einer Re- gierungspartei wortgleich als Antrag in den Bundestag Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der einbringt und auf diese Art versucht, diese Regierungs- SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- fraktion vorzuführen, entspricht das meines Erachtens schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines nicht den guten Gepflogenheiten der parlamentarischen gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- Auseinandersetzung. Ein solch durchschaubares Vorge- riums mit dem DGB gefasst wurde. hen werde ich nicht durch meine Zustimmung zu dem Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion über die Antrag fördern. Freihandelsabkommen CETA und TTIP eine gemein- Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den same Auffassung haben. Dabei gehe ich optimistisch da- Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 von aus, dass die USA die schließlich verhandelten Ver- zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den tragsinhalte und Verfahren auch einhalten werden. Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt un- und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- terstütze und ihn mir zu eigen mache. delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst nachhaltig zu gestalten – faire und nachhaltige Handels- mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- beziehungen schließen Handel und Politik gegenüber minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- den Ländern des Südens mit ein. handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- Die Chancen solcher Abkommen zu entfalten und zu sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine nutzen, umfasst neben transparenten Verfahren eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- Reihe bestimmter Bedingungen als Voraussetzung für missar De Gucht und US-Chefverhandler Mike Froman eine Zustimmung: sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen – Hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzni- Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbrau- veau; dabei internationale Verständigung auf verbind- cher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerk- liche Normen wie vor allem die ILO-Kernarbeitsnor- schaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingela- men. den werden. 5058 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Diese Initiative wie auch die Debatten innerhalb der Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den (C) SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// riums mit dem DGB gefasst wurde. www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- unterstütze und ihn mir zu eigen mache. meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- Sie lauten im Wesentlichen: handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Ver- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. geladen werden. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- stimmung sind. schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- riums mit dem DGB gefasst wurde. tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind (B) der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. (D) len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Sie lauten im Wesentlichen: Die bewährten deutschen und europäischen Standards Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ich stimme mit mei- Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. ner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke, Drucksache 18/2612. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis stimmung sind. auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- müssen Eingang in den Text finden. gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die bewährten deutschen und europäischen Standards Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Mehr noch: Es muss gewährleistet werden, dass sie Antrag fördern. künftig angehoben werden können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5059

(A) Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- (C) Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- rangig das Ziel neben den Zöllen die nichttarifären Han- men halten wir sie für entbehrlich. Ich lehne sie ab. delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Siegmund Ehrmann (SPD): Ich stimme mit meiner Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- Die Linke, Drucksache 18/2612. stimmung sind. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- müssen Eingang in den Text finden. derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- tember 2014. len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Die bewährten deutschen und europäischen Standards Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- Antrag fördern. men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 Bettina Hagedorn (SPD): Ich lehne die Anträge der zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu Linken ab: den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 Erstens. Ich begrüße, dass Bundeswirtschaftsminister 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt Gabriel unter anderem mit der Schaffung eines Beirates unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilge- (B) sellschaft in diesen komplexen Fragen ermöglicht hat. (D) Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst Die großen Herausforderungen der Zukunft werden nur mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- mit internationalen Vereinbarungen gelöst werden kön- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den nen. Eine pauschale Ablehnung internationaler Abkom- Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- men wäre hier nicht zielführend. Auf der anderen Seite kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine dürfen entsprechende Abkommen nicht dazu genutzt öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- werden, demokratische Grundprinzipien außer Kraft zu missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike setzen. Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem Zweitens. Ich vertrete die Auffassung, dass der Deut- einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, sche Bundestag über die Freihandelsabkommen CETA Verbraucher-, Kultur- und Sozialverbände neben den und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Ab- Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern re- kommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstim- gelmäßig eingeladen werden. men könnte. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der Drittens. Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- DGB haben ein Positionspapier zum Freihandelsabkom- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines men TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- dieses Positionspapier am vergangenen Samstag eben- riums mit dem DGB gefasst wurde. falls beschlossen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkom- Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- men mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkable- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen blob/123760/data/20140920_parteikonvent_beschluss_ zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teile ich voll- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind ständig. nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Viertens. Ein zentraler Punkt ist für mich die klare Ablehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika menhang mit Investitionsschutz und vieles mehr ermög- und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- lichen. Ich sehe in diesen Konstruktionen Versuche, de- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und mokratische Strukturen zu unterlaufen. 5060 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Cansel Kiziltepe (SPD): Ich stimme mit meiner Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- (C) Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- Die Linke, Drucksache 18/2612. stimmung sind. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- tionale Übereinkünfte und Normen, wie vor allem ein forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel, abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- müssen Eingang in den Text finden. derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- tember 2014. len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Die bewährten deutschen und europäischen Standards Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem men, wie sie in den EU-Mitgliedsländern vorhanden Antrag fördern. sind, halten wir sie für nicht erforderlich. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September Hilde Mattheis (SPD): Die Fraktion der Linken hat 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlun- einen Entschließungsantrag eingebracht, der wortgleich gen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP mit dem Beschluss des SPD-Parteikonvents vom Sams- (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/ tag, dem 20. September 2014, ist. Dieses Verfahren ist 20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneinge- für den Deutschen Bundestag ungewöhnlich. schränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Für mich ist der Beschluss des Konvents maßgeblich. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst Die SPD hat beschlossen, dass der Bundeswirtschafts- mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister die Verhandlungen zu den Freihandelsabkom- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- men TTIP und CETA nur unter festgelegten Bedingun- (B) handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- gen weiterführen kann. (D) sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- Diese Bedingungen bilden somit die Grenzen für die missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- zukünftigen Verhandlungen. Sie müssen zwingend alle man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- erfüllt sein, wenn die SPD-Bundestagsfraktion den Frei- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem handelsabkommen TTIP und CETA zustimmen soll. einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Ver- Ziel dieser Abkommen muss es sein, Handel fair und braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- nachhaltig zu gestalten sowie Maßstäbe und Standards werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- global zu setzen bzw. zu erhöhen. Stellen wir fest, dass geladen werden. im Gegenteil die Gefahr droht, dass EU-weite Standards Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der geschleift und die Demokratie ausgehöhlt oder abgebaut SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- wird, müssen TTIP und CETA auf jeden Fall verhindert schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines werden. gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- Die von der SPD formulierten Bedingungen wie die riums mit dem DGB gefasst wurde. Ablehnung von Investor-Staat-Schiedsverfahren, die Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- verbindliche Ratifizierung und Umsetzung der ILO- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen Kernarbeitsnormen durch alle Verhandlungspartner, die zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- Ablehnung von sogenannten Ratchet- und Standstill- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind Klauseln sowie die Bewahrung aller Rechte und Pflich- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. ten demokratisch gewählter Parlamente und Regierun- gen, die nicht durch einen „Regulierungsrat“ einge- Sie lauten im Wesentlichen: schränkt werden dürfen, werden sicherstellen, dass die verhandelten Freihandelsabkommen dem von der SPD Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- formulierten Ziel gerecht werden. schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- Es ist erfreulich, dass die Fraktion Die Linke unsere delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Ansicht in diesem Punkt teilt. Dennoch ist es äußerst un- nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- üblich, dass der Deutsche Bundestag wortgleich einen rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- Beschluss der SPD als seine Position übernehmen soll. delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Dieses Verfahren dient offensichtlich dazu, eine Regie- Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. rungsfraktion vorzuführen. Obwohl ich dieses Verfahren Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5061

(A) nicht mit einer Zustimmung befördern will, erhoffe ich dem Deutschen Gewerkschaftsbund hinweist, lehne ich (C) mir von den Oppositionsfraktionen, dass sie die SPD in den Antrag der Fraktion Die Linke ab. ihrem Kurs, die Verhandlungen zu den Freihandelsab- kommen kritisch und konstruktiv zu begleiten, unterstüt- Letztendlich: Die hohe Qualität der öffentlichen Da- zen werden. seinsvorsorge in der EU muss weiterhin gewahrt blei- ben. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskör- perschaften muss ein umfassender Gestaltungsspielraum Markus Paschke (SPD): Ich stimme mit meiner garantiert werden. Die bewährten deutschen und euro- Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion päischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht Die Linke, Drucksache 18/2612. abgesenkt werden. Derzeit verhandelt die Europäische Union, EU, die Freihandelsabkommen TTIP mit den USA sowie CETA Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- mit Kanada. Die Handelsgespräche zwischen den großen Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- Wirtschaftsräumen USA und EU, die in ein Freihandels- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. abkommen münden, eröffnen die Chance, die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme mit meiner nachhaltiger zu gestalten. Das Abkommen kann auch Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion dazu beitragen, faire und nachhaltige Handelsregeln glo- Die Linke, Drucksache 18/2612. bal voranzutreiben. Es geht darum, zusätzlichen Wohl- stand tatsächlich breiten Bevölkerungsschichten zukom- In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis men zu lassen, wirtschaftliche, soziale und ökologische auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Standards zu verbessern sowie faire Wettbewerbs- und sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- Allerdings: Die Verhandlungen müssen so geführt derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich werden, dass Geheimhaltungsvorschriften und Intrans- mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- parenz eine öffentliche Debatte nicht verhindern. Zudem gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- darf das Abkommen weder Arbeitnehmerrechte noch tember 2014. Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards gefährden. Auch die hohe Qualität der öffentlichen Da- Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen seinsvorsorge in der EU muss gewahrt bleiben. solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Wichtig ist zudem, dass hinsichtlich der Einhaltung Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion (B) von arbeitsrechtlichen, sozialen und tarifvertraglichen (D) Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- Regelungen in der EU das Ziellandprinzip festgeschrie- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem ben und von Anfang an bei allen entsandten Beschäftig- Antrag fördern. ten angewandt wird, sofern es für diese günstiger ist. Vor allem die Erfahrungen aus der jüngsten Weltwirtschafts- Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den krise zeigen, dass eine Regulierung der Finanzmärkte Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu notwendig ist. Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Frei- Entscheidend wird auch sein, dass TIPP nicht nur der handelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/ Wirtschaft, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern nutzt – presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_ und hier spielen die Interessen der Arbeitnehmerinnen parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und Arbeitnehmer natürlich eine zentrale Rolle. Die vom und ihn mir zu eigen mache. SPD-Parteikonvent beschlossenen Eckpunkte müssen Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst deshalb die Grundlage für weitere Gespräche auf euro- mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- päischer Ebene, im sogenannten Handelspolitischen minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Ausschuss, sein, wo Deutschland vom Bundesministe- Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- rium für Wirtschaft und Energie vertreten ist. kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- gungen zu formulieren, die die Voraussetzung für eine missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Zustimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucher- Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem schutzniveau. Internationale Übereinkünfte und Normen einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen ent- Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, sprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. Barrieren wie Zölle und andere Handelshemmnisse sollen fallen – Umwelt-, Arbeits- und Verbraucher- Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der schutzstandards hingegen nicht. Da die SPD Mindestan- SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines abkommen mit den USA genannt hat und der Beschluss gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- des SPD-Konvents auch auf ein gemeinsames Papier mit riums mit dem DGB gefasst wurde. 5062 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- (C) meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- zu den Freihandelsabkommen haben. sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- Sie lauten im Wesentlichen: missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Ver- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- rangig das Ziel neben den Zöllen die nichttarifären geladen werden. Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines ben „rote Linien“, die Voraussetzung für eine Zustim- gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- mung sind. riums mit dem DGB gefasst wurde. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbrau- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen cherschutzniveau. Internationale Übereinkünfte und zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text fin- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. den. Sie lauten im Wesentlichen: Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- der EU unter anderem im Gesundheitssektor muss ge- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika wahrt werden. Den nationalen, regionalen und lokalen und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- Gebietskörperschaften muss ein umfassender Gestal- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und tungsspielraum garantiert werden. nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- Die bewährten deutschen und europäischen Standards rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. (D) (B) Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Ich gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- lehne sie ab. stimmung sind. Für mich als Sozialdemokratin zählt dazu ein hohes Susann Rüthrich (SPD): Ich stimme mit meiner Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein Die Linke, Drucksache 18/2612. den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindest- der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- anforderungen für die Verhandlungen für ein Freihan- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- delsabkommen mit den USA benannt. Diese „Mindest- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. anforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. Die bewährten deutschen und europäischen Standards wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Ich bekräftige die von meiner Partei und Fraktion ge- äußerte Kritik an Investor-Staat-Schiedsverfahren. Zwi- Ich fühle mich an die Beschlusslage meiner Partei ge- schen entwickelten Rechtssystemen halten wir sie für bunden. Dementsprechend bedarf es für mich keiner grundsätzlich entbehrlich. nochmaligen Aufforderung durch die Opposition. Ich erkläre, dass ich den Beschluss des Parteikonvents Johann Saathoff (SPD): Ich stimme mit meiner vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA Die Linke, Drucksache 18/2612. und TTIP (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/ 123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html) In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5063

(A) derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- (C) mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- Antrag fördern. tember 2014. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Ein solch durchschaubares Vorgehen möchte ich nicht Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// Es ist mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anfor- 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt derungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihan- unterstütze und ihn mir zu eigen mache. delsabkommen CETA und TTIP uneingeschränkt unter- stütze und ihn mir zu eigen mache. Partei und Fraktion haben eine gemeinsame Auffas- sung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihan- Partei und Fraktion haben eine gemeinsame Auffas- delsabkommen. Unsere Erwartungen an die transatlanti- sung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihan- schen Freihandelsgespräche sind nicht primär von delsabkommen. Unsere Erwartungen an die transatlanti- Misstrauen und Angst geprägt. schen Freihandelsgespräche sind primär von den Chancen geprägt und nicht von Misstrauen und Angst. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Bedingungen für das Abkommen sind: Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- Für uns Sozialdemokraten steht ein hohes Arbeits-, stimmung sind. Umwelt- und Verbraucherschutzniveau im Vordergrund. Internationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- (B) ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- (D) müssen Eingang in den Text finden. tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in müssen Eingang in den Text finden. der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- Die bewährten deutschen und europäischen Standards sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- Michael Thews (SPD): Ich stimme mit meiner Frak- menhalten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. tion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. Ute Vogt (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion ge- gen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Ver- Drucksache 18/2612. weis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Min- In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis destanforderungen für die Verhandlungen für ein Frei- auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB handelsabkommen mit den USA benannt. Diese „Min- sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- destanforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich vom 20. September 2014. mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen tember 2014. solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Es ist ein rein taktisches Manöver, dass Oppositions- Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion fraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und 5064 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzu- Die bewährten deutschen und europäischen Standards (C) führen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschau- Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- bares Vorgehen möchte ich nicht durch eine Zustim- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- mung zu dem Antrag fördern. men halten wir sie für grundsätzlich überflüssig. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Frei- Anlage 6 handelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/ Erklärungen nach § 31 GO presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_ parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze zu den namentlichen Abstimmungen über die und ihn mir zu eigen mache. Entschließungsanträge der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die SPD ist in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit DIE LINKE der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fraktion DIE LINKE Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem – Drucksachen 18/432, 18/2100 – einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Soziale, ökologische, ökonomische und politi- Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig mens eingeladen werden. (Tagesordnungspunkt 4 a) Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines Hiltrud Lotze (SPD): Ich stimme mit meiner Frak- gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- tion gegen die Entschließungsanträge der Fraktion Die riums mit dem DGB gefasst wurde. Linke, Drucksachen 18/2612 und 18/2611. (B) (D) Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- In den Anträgen werden unter ausdrücklichem Ver- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen weis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Min- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind destanforderungen für die Verhandlungen für ein Frei- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt, aber wir handelsabkommen mit den USA benannt. Diese „Min- begleiten sie kritisch und konstruktiv. destanforderungen“ in dem Antrag, Drucksache 18/2612, sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anfor- Wesentlich ist für mich: derungen an die Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu den Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Anträgen fördern. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 Zustimmung sind. zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein unterstütze und ihn mir zu eigen mache. den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5065

(A) missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- Umgang mit Umweltschutz- und Gesundheitsstandards (C) man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- bedeuten, entsprechen nicht dem rechtsstaatlichen Ver- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem ständnis der Bürgerinnen und Bürger, sondern schüren einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Ver- Rechtspopulismus sowie Europafeindlichkeit. braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- Am Beispiel Deutschlands ist zu erkennen, dass Ver- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten trauensschutz und damit auch Investitionsschutz im be- innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in stehenden Rechtssystem bereits verankert ist und sich den Beschluss des Parteikonvents gefunden, der auf Ba- hier stets fortentwickelt. Gesonderte Investitionsschutz- sis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschafts- abkommen als Bestandteil von Freihandelsabkommen ministeriums mit dem DGB gefasst wurde. werden dieser Rechtskultur nicht gerecht. Die Einrich- tung von Schiedsgerichten untergräbt darüber hinaus die Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- ordentlichen Gerichtsbarkeiten der Mitgliedstaaten bzw. meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen Vertragspartner. zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind Vertragliche Schiedsgerichtsbarkeiten oder Investi- nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. tionsschutz, wonach „das demokratische Recht, Rege- lungen zum Schutz von Gemeinwohlzeilen zu schaffen, Sie lauten im Wesentlichen: gefährdet, ausgehebelt oder umgangen wird oder (dass) Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, ein- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika klagbar wird“ (SPD-Parteikonvent-Beschluss vom und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- 22. September 2014), müssen ausgeschlossen werden. delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- Freihandelsabkommen darf kein faktischer Vorrang rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- gegenüber gesetzlichen Grenzen für Markt und Handel delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der eingeräumt werden. Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Die betreffenden Vertragsverhandlungsergebnisse Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- – CETA – lassen noch keine abschließende Aussage zu, gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- ob letztlich ein Investitionsschutz enthalten sein wird. stimmung sind: Insofern ist es wichtig und zu begrüßen, dass sich Bun- deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für eine Strei- Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- (B) chung von Investitionsschutzvorgaben im Rahmen von (D) beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- CETA einsetzt. Parallel gilt es, die Vertragsentwurfsin- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein halte – auch mit Blick auf die laufenden Verhandlungen den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel zu TTIP – daraufhin zu überprüfen, welche Aussagen müssen Eingang in den Text finden. darin mit welchen Auswirkungen investitionsschützende Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in Wirkungen entfalten können. Hierfür bedarf es einer ein- der EU muss gewahrt werden. gehenden Prüfung und verbindlichen Übersetzung des Vertragsentwurfes. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskör- perschaften muss ein umfassender Gestaltungsspielraum Eine pauschale Zurückweisung des CETA-Verhand- garantiert werden. lungsergebnisses wie im Antrag der Linken – Drucksa- che 18/2611 – gefordert, wird dem gegebenen Aufklä- Die bewährten deutschen und europäischen Standards rungsinteresse nicht gerecht. dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. In dem Antrag auf Drucksache 18/2612 erklärt die Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Fraktion Die Linke Mindestanforderungen für die Ver- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- handlungen um Freihandelsabkommen, die identisch men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen aus dem Beschluss des SPD-Parteikonvents vom 20. Sep- Dr. Nina Scheer (SPD): Es bedarf einer umgehen- tember 2014 sind. Konventbeschlüsse einer koalitions- den öffentlich nachvollziehbaren Klarstellung des Ver- bildenden Partei sind nicht darauf angelegt Gegenstand handlungsergebnisses bei CETA sowie aktueller Ver- von Beschlüssen einer Regierungskoalition zu werden. handlungsgegenstände bei TTIP für eine konstruktive Insofern wird mit dem Antrag der Fraktion Die Linke of- Auseinandersetzung mit den betreffenden Inhalten. Es fensichtlich eine vermeintliche Kontroverse zwischen ist weder für die Sache noch für die demokratische Kul- der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion gesucht und tur der EU förderlich, dass seit Monaten nur auf Grund- verfolgt. Eine solche lässt sich aber mit der klaren Posi- lage von Spekulationen und durchgesickerten Dokumen- tionierung unserer Fraktion im Rahmen der Aussprache ten über mögliche Vereinbarungen diskutiert wird. und auch des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Demokratie lebt von Öffentlichkeit und Transparenz. Gabriel nicht herleiten. Geheimhaltungen über Abkommen, die möglicherweise weitreichende Eingriffe in mitgliedstaatlich gewachsene Aus diesen Gründen verneine ich die betreffenden Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft und etwa im Anträge – Drucksachen 18/2611 und 18/2612. 5066 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) Anlage 7 gelöst werden können. Eine pauschale Ablehnung inter- (C) nationaler Abkommen wäre hier nicht zielführend. Auf Erklärung nach § 31 GO der anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen der Abgeordneten Dr. Uta Finckh-Krämer, Ralf nicht dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzi- Kapschack, Ulrich Hampel, Dr. Bärbel Kofler, pien außer Kraft zu setzen. Bettina Müller, Christian Petry, Sönke Rix, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz (Spandau), Zweitens. Wir vertreten die Auffassung, dass der Frank Schwabe, Stefan Schwartze, Dr. Carsten Deutsche Bundestag über die Freihandelsabkommen Sieling, Martina Stamm-Fibich zu der nament- CETA und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch lichen Abstimmung über den Entschließungs- kein Abkommen vor, über das der Deutsche Bundestag antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer abstimmen könnte. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Drittens. Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der – Drucksache 18/2612 – DGB haben ein Positionspapier zum Freihandelsabkom- men TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- dieses Positionspapier am vergangenen Samstag eben- rung auf die Große Anfrage des Abgeordneten falls beschlossen und gleichzeitig die darin enthaltenen Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkom- Fraktion DIE LINKE. men mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkab- – Drucksachen 18/432, 18/2100 – leblob/123760/data/2Q140920_parteikonvent_beschluss Soziale, ökologische, ökonomische und politi- _ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teilen wir sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- vollständig. mens Viertens. Ein zentraler Punkt ist für uns die klare Ab- (Tagesordnungspunkt 4 a), lehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- zu der namentlichen Abstimmung über den An- menhang mit Investitionsschutz und vielem mehr er- trag der Abgeordneten Katharina Dröge, weite- möglichen. Wir sehen in diesen Konstruktionen Versu- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- che, demokratische Strukturen zu unterlaufen. NIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Anlage 8 Konzerne Erklärung nach § 31 GO – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – der Abgeordneten Daniela Kolbe und (Zusatztagesordnungspunkt 3) (B) Dr. Matthias Miersch (beide SPD) (D) Es ist das gute Recht der Opposition, Anträge zu stel- zu der namentlichen Abstimmung über den len, um die Regierungskoalition unter Zugzwang zu set- zen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, Passagen aus Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Wahlprogrammen anderer Parteien zu entnehmen und Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion zur Abstimmung zu stellen, um einer Regierungsfraktion DIE LINKE dann Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Der vorlie- – Drucksache 18/2612 – gende Entschließungsantrag der Linken scheint dieses zu beabsichtigen. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- sind bereits einmal in Regierungsverantwortung gewe- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten sen und wissen sehr genau, dass in einer Koalition zu- Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der nächst versucht wird, gemeinsame Lösungen und Kom- Fraktion DIE LINKE promisse zu entwickeln. – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder Soziale, ökologische, ökonomische und politi- auch bei Gewissensfragen nehmen wir für uns das Recht sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des mens Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über Freihan- delsabkommen CETA und TTIP könnten entsprechende (Tagesordnungspunkt 4 a), Abstimmungen sein. Heute wird nicht über die Abkom- zu der namentlichen Abstimmung über den men abgestimmt. Es liegen lediglich Anträge anderer Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Fraktionen vor, die zudem offenbar nicht inhaltlich moti- weiterer Abgeordneter und der Fraktion viert sind und nur das Ziel haben, eine Regierungspartei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: vorzuführen. Ein solches Vorgehen möchten wir nicht unterstützen. Deshalb erklären wir angesichts der heuti- Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für gen Abstimmungen: Konzerne Erstens. Zunächst begrüßen wir, dass Bundeswirt- – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – schaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung (Zusatztagesordnungspunkt 3) eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglichkei- ten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen er- Es ist das gute Recht der Opposition, Anträge zu möglicht haben. Die großen Herausforderungen der Zu- stellen, um die Regierungskoalition unter Zugzwang zu kunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen setzen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, Passagen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5067

(A) aus Wahlprogrammen anderer Parteien zu entnehmen zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- (C) und zur Abstimmung zu stellen, um einer Regierungs- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten fraktion dann Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Der Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der vorliegende Entschließungsantrag der Linken scheint Fraktion DIE LINKE dieses zu beabsichtigen. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind bereits einmal in Regierungsverantwor- – Drucksachen 18/432, 18/2100 – tung gewesen und wissen sehr genau, dass zunächst in Soziale, ökologische, ökonomische und politi- einer Koalition versucht wird, gemeinsame Lösungen sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- und Kompromisse zu entwickeln. mens Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder (Tagesordnungspunkt 4 a), auch bei Gewissensfragen nehmen wir für uns das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des zu der namentlichen Abstimmung über den Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über die Han- Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, delsabkommen CETA und TTIP könnten entsprechende weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abstimmungen sein. Heute wird nicht über die Abkom- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: men abgestimmt. Es liegen lediglich Anträge anderer Fraktionen vor, die zudem offenbar nicht inhaltlich moti- Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für viert sind und nur das Ziel haben, eine Regierungspartei Konzerne vorzuführen. Ein solches Vorgehen möchten wir gar nicht unterstützen. Deshalb erklären wir angesichts der – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – heutigen Abstimmungen: (Zusatztagesordnungspunkt 3) Erstens: Zunächst begrüßen wir, dass Bundeswirt- schaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung Ulrich Kelber (SPD): Es ist das gute Recht der Op- eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglich- position, Anträge zu stellen, um die Regierungskoalition keiten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen unter Zugzwang zu setzen. Zudem gibt es auch die ermöglicht hat. Die großen Herausforderungen der Zu- Möglichkeit, Passagen aus Wahlprogrammen anderer kunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen ge- Parteien zu entnehmen und zur Abstimmung zu stellen, löst werden können. Eine pauschale Ablehnung interna- um einer Regierungsfraktion dann Unglaubwürdigkeit tionaler Abkommen wäre hier nicht zielführend. Auf der zu unterstellen. Der vorliegende Entschließungsantrag anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen nicht der Linken scheint dieses zu beabsichtigen. Alle Fraktio- dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen. nen im Deutschen Bundestag sind bereits einmal in Re- (B) gierungsverantwortung gewesen und wissen sehr genau, (D) Zweitens: Wir vertreten die Auffassung, dass der dass in einer Koalition zunächst versucht wird, gemein- Deutsche Bundestag über die Handelsabkommen CETA same Lösungen und Kompromisse zu entwickeln. und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Ab- kommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstim- Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder men könnte. auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des Drittens: Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über die Frei- DGB haben ein Positionspapier zum Handelsabkommen handelsabkommen CETA und TTIP könnten entspre- TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses chende Abstimmungen sein. Heute wird nicht über die Positionspapier am vergangenen Samstag ebenfalls Abkommen abgestimmt. Es liegen lediglich Anträge an- beschlossen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussa- gen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkommen mit derer Fraktionen vor, die zudem offenbar nicht inhaltlich Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkablebiob/ motiviert sind und nur das Ziel haben, eine Regierungs- 123760/data/2014092Q parteikonvent_beschluss_ttip.pdf). partei vorzuführen. Ein solches Vorgehen möchte ich Die darin getroffenen Aussagen teilen wir vollständig. nicht unterstützen. Deshalb erkläre ich angesichts der heutigen Abstimmungen: Viertens: Ein zentraler Punkt ist für uns die klare Ab- lehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Erstens: Zunächst begrüße ich, dass Bundeswirt- Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- schaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung menhang mit Investitionsschutz und vieles mehr ermög- eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglich- lichen. Wir sehen in diesen Konstruktionen Versuche, keiten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen demokratische Strukturen zu unterlaufen. ermöglicht hat. Die großen Herausforderungen der Zu- kunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen ge- löst werden können. Eine pauschale Ablehnung interna- Anlage 9 tionaler Abkommen wäre hier nicht zielführend. Auf der Erklärungen nach § 31 GO anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen nicht zu der namentlichen Abstimmung über den dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzipien Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus außer Kraft zu setzen. Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Zweitens: Ich vertrete die Auffassung, dass der Deut- DIE LINKE sche Bundestag über die Freihandelsabkommen CETA – Drucksache 18/2612 – und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Ab- 5068 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) kommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstim- schaftsminister Gabriel und andere mit der Schaffung ei- (C) men könnte. nes Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglichkei- ten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen Drittens: Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der ermöglicht haben. Die großen Herausforderungen der DGB haben ein Positionspapier zum Freihandelsabkom- Zukunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen men TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat gelöst werden können. Auf der anderen Seite dürfen ent- dieses Positionspapier am vergangenen Samstag sprechende Abkommen nicht dazu genutzt werden, de- ebenfalls beschlossen und gleichzeitig die darin enthalte- mokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen. nen Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkommen mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/ Ich vertrete die Auffassung, dass der Deutsche Bun- linkableblob/123760/data/20140920_parteikonvent_be destag über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP schluss_ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teile abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Abkommen ich vollständig. Der Antrag der Linken zitiert zwar vor, über das der Deutsche Bundestag abstimmen einzelne Sätze des Positionspapiers, es fehlen aber we- könnte. sentliche Teile, weil die Linke diese Freihandelsabkom- Die Anforderungen, die ich für mich an eine Zustim- men grundsätzlich ablehnt. mung zu den Abkommen stelle, sind von Bundeswirt- Viertens: Ein zentraler Punkt ist für mich die klare schaftsminister Gabriel und dem DGB in einem Posi- Ablehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum tionspapier zum Freihandelsabkommen TTIP Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses Posi- menhang mit Investitionsschutz und vielem mehr er- tionspapier am vergangenen Samstag ebenfalls beschlos- möglichen. Ich sehe in diesen Konstruktionen Versuche, sen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussagen und demokratische Strukturen zu unterlaufen. aufgezeigten roten Linien auf das Abkommen mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkableblob/ Gerold Reichenbach (SPD): Es ist das gute Recht 123760/data/20140920_parteikonvent_beschluss_ttip.pdf). der Opposition, Anträge zu stellen, um die Regierungs- Die darin getroffenen Aussagen teile ich vollständig. koalition unter Zugzwang zu setzen. Zudem gibt es auch Meine Ablehnung der Anträge der Linken ist deshalb die Möglichkeit, Passagen aus Wahlprogrammen anderer weder eine grundsätzliche Zustimmung zu den Abkom- Parteien zu entnehmen und zur Abstimmung zu stellen, men noch ein Verzicht auf die im Beschluss des Partei- um einer Fraktion dann Unglaubwürdigkeit zu unterstel- konvents der SPD beschriebenen Bedingungen als Vo- len. Das ist die offensichtliche Motivation des Entschlie- raussetzung für eine Zustimmung. ßungsantrags der Linken. Ihr geht es dabei ganz offen- (B) kundig nicht um die Sache, zumal sie selbst die putative (D) Ablehnung des Abkommens ohne Ansehung der endgül- Anlage 10 tigen Inhalte fordert und auch jedem Versuch, die Inhalte im Rahmen weiterer Verhandlungen positiv zu gestalten, Erklärungen nach § 31 GO eine Absage erteilt. zu den namentlichen Abstimmungen über Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind zumin- die Entschließungsanträge der Abgeordneten dest in einem Bundesland bereits einmal in Regierungs- Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der verantwortung gewesen und wissen sehr genau, dass in Fraktion DIE LINKE einer Koalition zunächst versucht wird, gemeinsame Lö- – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – sungen und Kompromisse zu entwickeln. zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des Fraktion DIE LINKE Grundgesetzes in Anspruch. – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Beschlüsse über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP könnten entsprechende Abstimmungen sein. Soziale, ökologische, ökonomische und politi- Heute wird jedoch nicht über die Abkommen abge- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- stimmt. Es liegen lediglich Anträge anderer Fraktionen mens vor, die lediglich das Ziel haben, eine Scheinentschei- (Tagesordnungspunkt 4 a), dung propagandistisch auszunutzen. Unabhängig von meiner kritischen Einstellung gegenüber den Abkom- zu der namentlichen Abstimmung über den men werde ich ein solches Vorgehen nicht unterstützen. Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Eine pauschale bedingungslose Ablehnung internationa- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ler Abkommen ohne Ansehung der Verhandlungsmög- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: lichkeit und des endgültigen Inhaltes ist nicht zielfüh- Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für rend. Sie ist vielmehr Ausdruck politischer Konzerne Gestaltungsunfähigkeit. – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – Ich will die Verhandlungen kritisch begleiten und Einfluss nehmen. Darum begrüße ich, dass Bundeswirt- (Zusatztagesordnungspunkt 3) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5069

(A) Kirsten Lühmann (SPD): Ich stimme mit meiner Abkommen handelt. Diese müssen nicht nur vom Euro- (C) Fraktion gegen die Entschließungsanträge der Fraktion päischen Parlament, sondern auch von den jeweiligen Die Linke, Drucksachen 18/2612 und 18/2611, sowie nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Werden die dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Freihandelsabkommen den nationalen Parlamenten und Drucksache 18/1458. damit auch dem Deutschen Bundestag vorgelegt, werde ich diese sehr genau prüfen. Eine Zustimmung werde ich Die Partei Die Linke bringt in der heutigen Abstim- davon abhängig machen, ob die europäischen Standards mung einen Antrag ein, der identisch mit einem Be- gewährleistet bleiben. schluss des SPD-Parteikonventes vom vergangenen Samstag ist. Mit diesem Parteikonventsbeschluss haben wir den SPD-Vorsitzenden und Wirtschaftsminister Anlage 11 Sigmar Gabriel beauftragt, in die gemeinsamen Ver- handlungen mit unserem Koalitionspartner der CDU/ Erklärung nach § 31 GO CSU Fraktion zu gehen, um die Position der SPD zu der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der TTIP zu der Position der gesamten Bundesregierung zu namentlichen Abstimmung über den Antrag machen. Mit der Zustimmung zu den Anträgen der der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Linksfraktion nähme ich Sigmar Gabriel die Chance, ei- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ nen Konsens in der Großen Koalition herzustellen, und DIE GRÜNEN: riskierte, dass die Position der SPD nicht als Position Deutschlands in der Europäischen Union durchgesetzt Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für werden kann. Konzerne Für den Antrag der Grünen, der bei anderem Wortlaut – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – einen ähnlichen Inhalt hat, gilt dasselbe. (Zusatztagesordnungspunkt 3) Ich stehe voll hinter dem Beschluss des SPD-Partei- Die Aussage des betreffenden Antrags von Bündnis 90/ konvents und werde mich in meiner parlamentarischen Die Grünen, wonach die Bundesregierung aufgefordert Arbeit für seine Umsetzung einsetzen. wird, sich „unverzüglich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass in TTIP kein Mechanismus zu Ulli Nissen (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion außergerichtlichen Schiedsverfahren zwischen Investo- gegen die Anträgeder Linken und gegen den Antrag von ren und Staaten aufgenommen wird, beziehungsweise Bündnis 90/Die Grünen. ein Abkommen, das einen solche Streitbeilegungsme- (B) chanismus vorsieht, abzulehnen“, sowie „sich unverzüg- (D) Der Parteikonvent der SPD hat am 20. September lich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, 2014 die Erwartungen an die transatlantischen Freihan- dass in CETA kein Mechanismus zu außergerichtlichen delsgespräche klar formuliert. Eine intensive Diskussion Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten auf- über die TTIP-Verhandlungen sowie auch über das ge- genommen wird, beziehungsweise ein Abkommen, das plante Freihandelsabkommen mit Kanada – CETA – ist einen solchen Streitbeilegungsmechanismus vorsieht, in der Öffentlichkeit von zentraler Bedeutung. Zur Vor- abzulehnen“, teile ich inhaltlich. bereitung politischer Entscheidungen muss die Möglich- keit zur Diskussion, Meinungsbildung und Mitsprache Der für Freihandelsabkommen federführend zustän- bestehen. dige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat be- reits darauf hingewiesen, dass er sich für die Heraus- In dem Diskussionsprozess muss es Raum dafür ge- nahme von Investitionsschutzvorgaben aus CETA ben, die Chancen der Freihandelsabkommen TTIP und einsetzen wird bzw. dass diese nicht in TTIP aufgenom- CETA genauso zu thematisieren wie kritische Aspekte men werden. Diese Haltung hat er in seiner heutigen und Befürchtungen, die sich mit TTIP und CETA ver- Rede, auch unter Bezugnahme auf den SPD-Parteikon- binden. ventsbeschluss vom 20. September 2014, nochmals be- Wirtschaft und Handel müssen sich demokratischen tont. Insofern bedarf es keiner Aufforderung der Bundes- Spielregeln unterwerfen. Wenn es mit TTIP und CETA regierung vonseiten des Deutschen Bundestages, sich gelingt, bessere Regeln für den transatlantischen Handel hierfür im Rat der EU einzusetzen. und die globale Wirtschaft zu entwickeln, wäre dies ein Freihandelsabkommen, die Investitionsschutzvorga- enormer Fortschritt in der politischen und demokrati- ben, Schiedsgerichtsbarkeiten oder andere Elemente ent- schen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung. halten, die geeignet sind, demokratische Strukturen bzw. Fest steht allerdings auch: Ein Freihandelsabkommen Gestaltungshoheiten zu unterwandern, kann und werde darf nicht dazu führen, dass europäische Standards etwa ich im Zuge der Ratifizierung nicht zustimmen. Ich halte im Arbeits- und Umweltrecht, beim Daten- oder Ver- es für unerlässlich, dass die betreffenden Abkommen ei- braucherschutz infrage gestellt werden oder Investoren nem solchen Ratifizierungsprozess durch die mitglied- vor internationalen Schiedsstellen rechtsstaatliche Stan- staatlichen Parlamente unterzogen werden und zuvor dards und demokratische politische Regelungen zum umfassend eine Offenlegung der Vertragstexte mit ver- Schutz von Gemeinwohlzielen aushebeln können. bindlichen Übersetzungen erfolgt. Ich bin der Auffassung, dass es sich bei den beiden Eine Entscheidung über CETA bzw. TTIP durch den Freihandelsabkommen CETA und TTIP um gemischte Deutschen Bundestag steht mit dem betreffenden Antrag 5070 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014

(A) nicht an, womit ich der Beschlussempfehlung zur Ableh- weiterer Abgeordneter und der Fraktion (C) nung desselben folge. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne Anlage 12 – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – Erklärung nach § 31 GO (Zusatztagesordnungspunkt 3) der Abgeordneten Claudia Tausend (SPD) zu Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt. der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Mein Votum lautet Ja.

(B) (D)

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