Perspektiven Einer Anderen Natur D.30
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Andreas Becker Perspektiven einer anderen Natur D.30 Andreas Becker (Dr. phil.) ist Postdoktorand im Graduiertenkol- leg »Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung« an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Publikationen zur Filmge- schichte, zum Verhältnis von Zeit und filmischer Wahrnehmung, zu Alexander Kluge. Andreas Becker Perspektiven einer anderen Natur. Zur Geschichte und Theorie der filmischen Zeitraffung und Zeitdehnung Gedruckt mit Mitteln der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 transcript Verlag, Bielefeld This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License. Lektorat und Satz: Andreas Becker Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-239-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] INHALT EINLEITUNG. ZEITTHEORETISCHE UND TECHNISCHE VORÜBERLEGUNGEN 11 Etymologische Hinweise. Die Begriffe ›Zeitraffer‹ und ›Zeitlupe‹ 22 Zeit als relatives Maß. Gedankenexperimente 30 I DIE FILMISCHE ENTDECKUNG DER NATUR 47 I.1 Eadweard Muybridges späte Fotoserien und die Etablierung des kinematografischen Visualisierungsverfahrens 47 I.2 Exkurs: Roman Ingardens Filmtheorie und die Reproduzierbarkeit natürlicher Vorgänge 87 I.3 Das Phänomen der Zeitperspektive im Film 93 I.4 Beispiele und frühe Anwendungen der filmischen Zeitperspektiven im wissenschaftlichen Film und im Unterhaltungskino 100 I.5 Die Zeitperspektivierung bei Leni Riefenstahl, Arnold Fanck und Georges Rouquier 118 I.6 Temporale Karikaturen. Zeitperspektiven im Naturfilm: James Algar, Claude Nuridsany/Marie Pérennou, David Attenborough 155 II PERSPEKTIVEN EINER ANDEREN NATUR. ERRETTUNG ODER ›SPRENGUNG‹ DER PHYSISCHEN REALITÄT? 187 II.1 Die ›Enthüllung der physischen Realität‹. Siegfried Kracauers Realismus 190 II.2 Walter Benjamins Überlegungen zu Natur, Zeitraffer und Zeitlupe 205 III DIE ENTDECKUNG DER FILMISCHEN NATUR 225 III.1 Die Kamera als Agens eines gesellschaftstheoretischen Entwurfs bei Alexander Kluge 227 III.2 Zur Differenz von Leib- und Bildraum: Oskar Fischinger, Morten Skallerud, Godfrey Reggio, Peter Mettler, Peter Greenaway 256 III.3 Das Optisch-Unbewusste und die Zeitlupe: Bill Viola, Jean-Luc Godard 283 RESÜMEE 303 Der Film als Ersatz für Erfahrung. Ein ›Archiv unsinnlicher Ähnlichkeiten‹ 305 VERWENDETE MATERIALIEN: LITERATUR, FILME UND VIDEOAUFZEICHNUNGEN, ABBILDUNGSVERZEICHNIS, INTERNETDOKUMENTE 309 ABBILDUNGEN 345 VORWORT Auf den vorliegenden Seiten finden sich in schriftlicher Form Gedanken archiviert, die ich mir in den letzten Jahren zum Thema machte. Ohne die zahlreichen inspirierenden Diskussionen und ohne das nette Beisammen- sein mit den vielen lieben Menschen wäre es mir nicht möglich gewesen, sie in dieser Weise niederzuschreiben. Einigen sei dafür stellvertretend gedankt. Meinen Eltern Brigitte und Horst Becker für ihre Zuversicht und für das Vertrauen, welches sie mir schenkten. Meiner Lebenspartnerin Claudia Schmidt, meinen Freunden, den RadiomacherInnen von Radio X/Frankfurt am Main für die vielen schönen Stunden. Prof. Dr. Burkhardt Lindner für seine die Arbeit be- gleitende Aufmerksamkeit, die Hinweise und Gespräche, welche mir ein Verständnis so vieler Texte ermöglichten. Den Kollegiaten des Gradu- iertenkollegs ›Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung‹ für die schöne Zeit. Dank auch an Prof. Dr. Hans-Thies Lehmann, Prof. Dr. Heinz-B. Heller, Sibylle Hofter, das Deutsche Filmmuseum Frankfurt am Main, das Planetarium Jena, das Deutsche Filminstitut (DIF), das Institut für Wissenschaftlichen Film (IWF)/Wissen und Medien Göttingen, die Kurzfilmagentur Hamburg, Kairos Film und an das Deutsche Museum München. Die Hessische Landesgraduiertenförderung, die Deutsche For- schungsgemeinschaft (DFG) und die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften unterstützten dieses Projekt finanziell und ermöglichten so die Arbeit an dem vorliegenden Band. Nähere Informationen zu meinen Projekten und Arbeiten im Internet auf www.zeitrafferfilm.de. Frankfurt am Main, den 27. Juni 2004 Andreas Becker Ehe der Film auftrat, gab es Photo- büchlein, deren Bilder, durch einen Daumendruck schnell am Beschauer vorüberflitzend, einen Boxkampf oder ein Tennismatch vorführten; es gab die Automaten in den Bazaren, deren Bilderablauf durch eine Dreh- ung der Kurbel in Bewegung gehalten wurde. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro- duzierbarkeit1 EINLEITUNG. ZEITTHEORETISCHE UND TECHNISCHE VORÜBERLEGUNGEN Schon vor Erfindung des Films kündigte sich eine neuartige Wahrneh- mungsform an, welche unser Verständnis natürlicher Phänomene und Abläufe grundlegend verändern sollte. Der Film vollendete und bündelte technisch nur, was bereits mit dem Daumenkino, der Momentfotografie und vielen anderen optischen Geräten begann: die Aufzeichnung von Vorgängen und deren gezielte temporale Manipulation. Mit den von Walter Benjamin erwähnten ›Fotobüchlein‹ hatte man buchstäblich die Zeit ›in der Hand‹. Was hier begann, als Abweichung, als witziger Trick, war ein spielerischer Vorläufer der heutigen Zeitraf- fer- und Zeitlupenkinematografie.2 Dieses vage Verhältnis gegenüber den dargestellten Vorgängen blieb auch in den ersten Jahrzehnten der Filmgeschichte noch erhalten, weil sowohl die Kameras als auch die Projektoren mit einer Kurbel bedient wurden.3 1 Im folgenden Text zitiere ich nach der amerikanischen Konvention. Lediglich die Schriften Walter Benjamins werden abweichend davon angegeben, weil auf sie häufig zurückgegriffen wird. Das obige Zitat stammt aus Benjamin (Gesammelte Schriften (GS) VII.1: 378). 2 Wie Zglinicki berichtet, hat es diese Abblätterbüchlein schon 1760 ge- geben, sie wurden jedoch erst zum Ende des 19. Jahrhunderts von dem Berliner Unternehmer und frühen Filmemacher Max Skladanowsky wiederentdeckt (Zglinicki 1986: 66, siehe dazu auch Zglinicki 1956: 125 f.). 3 Die frühen Geräte zur Darstellung bewegter Bilder arbeiteten noch nach dem ›Daumenkinoprinzip‹, in ihnen wurden Fotografien durch 11 EINLEITUNG Es hing letztlich von der Willkür der Kameraleute und der Vorführer ab, mit welcher Geschwindigkeit die Szenen projiziert wurden. »Ein Schauspiel braucht ein gewisses Tempo der Vorführung, um seine Wir- kung restlos entfalten zu können. Dreht der Vorführer zu schnell vor, verzerren sich die Gebärden, grimmasieren die Gesichter. Führt er zu langsam vor, ersterben die Bewegungen in einer tötlichen Langeweile«, berichtet Max Mack in ›Die zappelnde Leinwand‹ (Mack 1917: 127). Erst das Aufkommen von Filmmusik und die Einführung des Ton- films machten eine synchrone Wiedergabe notwendig. Nur weil seit den dreißiger Jahren Elektromotoren das Filmband gleichmäßig transportie- ren, haben wir uns an eine normierte Filmgeschwindigkeit gewöhnt. In den letzten Jahrzehnten konnte man im Dokumentarfilm, im nar- rativen Spielfilm, im Experimentalfilm, im Videoclip und auch in der Werbung beobachten, wie FilmemacherInnen begannen, das fest gefügte Drehen an einer Kurbel abgeblättert und so in Bewegung versetzt, so in Oskar Messters ›Kosmoskop‹ und im berühmten Mutoskop (Messter 1936: 60 f.; Zglinicki 1986: 66 f.). Die Bilderfrequenz während der Aufnahme sowie bei der Filmvorführung schwankte bis in den Zeiten des Lichttons, also 1927, stark (zum Tonfilm siehe Zglinicki 1986: 150- 170). Es gab zu Beginn der Kinematografie noch keinerlei Normierung der Bildfrequenzen, auch wurden die Kameras und Projektoren noch per Kurbel bedient, so dass ein gleichmäßiger Lauf vom Geschick des Kameramanns und des Vorführers abgehangen haben dürfte. Filmpio- nier und Entwickler Oskar Messter schreibt dazu (Messter 1936: 25- 26): »Die Bildfrequenz betrug bei den ersten mir zur Verfügung ste- henden Edison-Filmen 46 Bilder in der Sekunde. Bei meinen eigenen Filmen legte ich die Bildfrequenz bereits im Jahre 1896 auf 18 per Se- kunde fest. Ab 1902 arbeitete ich bei meinen ersten Tonbildern mit 20 per Sekunde. Aber diese ›hohe‹ Vorführungsgeschwindigkeit bemän- gelten meine Abnehmer, und ich mußte damals aus wirtschaftlichen Gründen auf das allgemein eingeführte Tempo von 18 per Sekunde auch für meine Tonbilder zurückkehren. Etwa im Jahre 1919 hatte es sich eingebürgert, die Filme mit 30 und 40 Bildern in der Sekunde vor- zuführen, d.h. man sah alle Vorgänge um das Doppelte zu schnell. Der Grund hierfür lag in dem Wunsch der Kinotheaterbesitzer, dem Publi- kum während einer Vorstellung möglichst viel zu bieten. Jahrelang hat man dann auf diese Weise in einer Vorstellung zwei lange Spielfilme gezeigt, und damit das Kino in Mißkredit gebracht. Gegen diese Unsit- te bin ich wiederholt eingetreten, unter anderen 1926 auf dem Pariser Internationalen Kinokongreß und in meinem, in der Deutschen Kino- technischen Gesellschaft am 18. Januar 1928 gehaltenen Vortrag ›Zur Frage der Vorführungsgeschwindigkeit‹, in dem ich auch auf den Wert einer Tempo-Normung aus wirtschaftlichen Gründen hinwies. (Kino- technik vom 3. Februar 1928.) Mein Vorschlag ging dahin, das Normal- tempo auf 24 Bilder in der Sekunde festzulegen. Es ist dies dasselbe Tempo, welches tatsächlich für die Ende des Jahres 1928 erschiene- nen