PROGRAMMFORSCHUNG 38 20/2007/2

Axel Dammler Von Fußballern, und Provokateuren

Helden und Heldinnen der Kinder aus Sicht der Marktforschung

Nicht nur haben Mädchen und ren, mögen sie Personen, die physi- aber auch mit seinem Mut und sei- Jungen unterschiedliche Vorlieben, sche Überlegenheit ausstrahlen. Kein nem Können als Sportler und Musi- was ihre Medienstars angeht – ihre Wunder, dass Sportstars in der Gunst ker erfolgreich in Szene setzt. fiktionalen und realen HeldInnen der Jungen weit vorne stehen, aber Mädchen suchen stärker nach Perso- erfüllen auch ganz verschiedene auch der Rapper 50 Cent mit seinen nen mit Projektionspotenzial. Zwar Funktionen. Muskelbergen und Tätowierungen erschließt sich die Attraktivität einer zeigt physische Potenz. Person auch für sie daraus, was die-

ädchen lieben Popstars und Schauspieler, Jungen haben Mvor allem Sportler als Hel- den – das sind, kurz gefasst, die we- sentlichen Ergebnisse unserer Studie. In der Liste der beliebtesten Personen, die das Institut iconkids & youth er- hebt,1 dominieren altbekannte Stereo- type. Befragt nach bekannten Perso- nen, die sie zur Zeit richtig gut fin- den, nannten im Frühjahr 2007 66 % der Jungen einen Sportler (meist Fuß- baller), 33 % nannten Musiker und 27 % Schauspieler. Bei den Mädchen Grafik 1: Die beliebtesten Personen der 6- bis 19-Jährigen ist das Verhältnis umgekehrt: Hier kommen die Sportler auf 24 %, weit Hinzu kommt, dass Jungen gern den se tut bzw. aus der Person selbst (sie abgeschlagen hinter Musikern (64 %) Vergleich mit anderen suchen (oder muss für Mädchen z. B. oft auch und Schauspielern 39 % – und dabei ihre Helden diesen Wettbewerb stell- »schön« sein), d. h., es geht auch bei konnten gerade die Fußballer vom vertretend führen lassen) und dabei Mädchen darum, sich ganz oder teil- WM 2006-Bonus zehren (s. Grafik 1). gewinnen wollen. Die Idole der Jun- weise mit diesen Personen identifi- gen müssen deswegen unbedingt zieren zu können. Aber ebenso wich- Gewinner sein, sonst kann man sich tig ist Mädchen – im Gegensatz zu Die HeldInnen der Jungen nicht mit ihnen identifizieren. Hier Jungen – der (soziale) Kontext, in den und Mädchen haben Sportler Vorteile, denn sie kön- die Person eingebunden ist.3 nen sich im Wettkampf beweisen, Dieses Phänomen ist sicher generali- Jungen wollen sich vor allem mit ih- und bei Musikern müssen bis zu ei- sierbar, wenn man über die Lieblings- ren Vorbildern identifizieren können, nem gewissen Grad die Chart-Posi- figuren der Mädchen spricht. Aller- d. h. sie suchen Persönlichkeiten, die tionen passen. Eine ganz eigene Art dings gibt es einen substanziellen Un- das verkörpern, was bzw. wie sie von Gewinner ist der Moderator Ste- terschied zwischen den »realen« Hel- selbst gerne wären.2 Weil Jungen sich fan Raab, der sich mit seiner Frech- den wie den Musik-Stars und vielen stark über ihre Körperlichkeit definie- heit gegenüber »größeren« Stars, fiktionalen Figuren, die Mädchen z. B. PROGRAMMFORSCHUNG 20/2007/2 39 in Fernsehserien wie Daily Soaps oder Zeichentrickse- rien wie Disneys große Pause schätzen. Die meis- ten realen Helden der Mäd-

chen im Grundschul- und Faktor Jugend 7 Quelle: BRAVO Teenageralter stammen aus einer heilen Welt, die im Gegensatz zu den Figuren z. B. aus Daily Soaps frei ist von Sorgen und Nöten. Manchmal ist dieser Grafik 2: Wie man die eigene Coolness einschätzt und wie man gern wäre (alle Angaben in Prozent) »traumhafte« soziale Kon- text sogar wichtiger als die Personen: Wie unterschiedlich Jungen und ben diese Coolness und die damit So ging es in den 90er-Jahren beim Mädchen mit Stars umgehen, lässt verbundene Provokation in ihr Kon- Phänomen der Kelly Family nicht nur sich am Beispiel von Sportstars zei- zept integriert. um die Personen, die bewiesen, dass gen. Nachdem Sven Hannawald für Bei Kindern muss man aber immer auch zum Star werden konnte, wer Jungen zunächst der umjubelte Held hinzufügen, dass es sich hier um eine nicht dem gängigen Schönheitsideal der Vier-Schanzen-Tournee war, geborgte Coolness handelt: Von der folgte. Es ging auch um das Ideal der schlug die Verehrung nach diversen Lebenswelt und der Philosophie, die Großfamilie, die sich auf ihrem Haus- Misserfolgen und seinen psychischen hinter solchen Stars mit Provoka- boot nicht mit Alltagsproblemen her- Problemen (von Jungen als Schwä- tionspotenzial steht, wissen die Jun- umschlagen muss. Heute repräsentie- che verstanden!) in wenigen Mona- gen in der Regel noch nichts. So be- ren Sarah Connor und ihr Ehemann ten in aggressive Ablehnung um. Die zeichnete sich einmal ein 12-Jähriger Marc Terenzi oder Heidi Klum und Mädchen hielten ihm länger die in einer Gruppendiskussion als Fan Seal eine modernere Form der Treue. Die Historie der Sportstars ist des Gruftrockers Marilyn Manson. »Wunschfamilie«, die die Mädchen voll von Heroen, die kurzfristig auf Auf Nachfrage stellte sich heraus, zum Träumen einlädt. dem Thron standen, um dann bei den dass er nur ein Manson-Lied von ei- Auch bei den immer wieder genann- Jungen umso drastischer »abzustür- nem Sampler kannte, und ansonsten ten Casting-Bands (von den No An- zen«, als die Leistung ausblieb. Gera- nur dessen schräges Aussehen. Wo- gels bis zu Monrose) oder beim dies- de weil man sich einmal mit diesem für Marilyn Manson steht, war ihm jährigen Hype um Heidi Klums Top Star identifiziert hatte, fällt die Abset- unbekannt – das war aber auch nicht Models war das Miterleben der »Star- zungsbewegung so drastisch aus: wichtig, denn seine Mutter war werdung«, das Mitleiden und Mitfüh- »Mann« will auf keinen Fall mit die- schockiert und seine Kumpel beein- len ein zentrales Element, nicht so sem »Verlierer« identifiziert werden. druckt … sehr die Identifikation mit einzelnen Ein weiterer wesentlicher Unter- Der große Unterschied echter Helden Teilnehmerinnen. Die Mädchen be- schied beim Zugang von Jungen und zu fiktionalen Figuren z. B. aus dem greifen diese medialen Personen Mädchen zu ihren Helden ist, dass für Fernsehen ist – so banal es klingt – nicht isoliert von deren vertikalem Mädchen ihre Stars auch sozial inte- deren Fiktionalität. Daraus ergibt sich (Beziehungs-)Kontext. Es geht ihnen grativ wirken, d. h. sie werden oft mit eine Reihe von Konsequenzen, denn oft sogar explizit um die Gruppe, den besten Freundinnen geteilt. Be- Realität zwingt zur Auseinanderset- schließlich sind die besten Freundin- sonders einfach geht das natürlich bei zung mit dem eigenen Leben. nen ja auch im realen Leben von zen- Boybands, bei denen sich die Mäd- Eine fiktionale Figur bringt eine mehr traler Bedeutung. Ein Herausbrechen chen dann darauf »einigen«, wer wen oder weniger große Distanz zum Le- aus der Gruppe wie derzeit bei Ni- anhimmelt. Jungen setzen ihre Stars ben der Kinder mit. Man muss bei ih- cole Scherzinger von den Pussycat viel häufiger dazu ein, um sich abzu- nen nicht den Bezug zu sich und zum Dolls wird als »Verrat« ausgelegt. grenzen – gegenüber Gleichaltrigen eigenen Leben herstellen. Wir wissen Man könnte den unterschiedlichen und gegenüber den Eltern. Stichwör- z. B. aus Befragungen zu Sportzeit- Zugang zu Stars so zusammenfassen: ter sind hier »Coolness« und »At- schriften, dass die Jungen den realen Während die Jungen gerne den Platz titude« der Stars, denn alle Jungen Karriereweg ihrer Fußballheroen gar ihrer Helden einnehmen würden, um wären gerne cool (s. Grafik 2), also nicht im Detail nachgezeichnet haben deren Status und Erfolg selbst zu er- »borgt« man sich die Coolness der wollen: Wer erfährt, dass dieser oder leben, wollen die Mädchen in die Si- Stars. Stefan Raab, aber auch Bands jener Spieler bereits mit 12 Jahren in tuation eintauchen. wie Die Ärzte oder Rammstein ha- einer Verbandsauswahl oder beim PROGRAMMFORSCHUNG 40 20/2007/2

Nachwuchs eines Bundesligisten ge- en) auf das reduziert, was man in dem reichen Sportstars die Leistungser- spielt hat, realisiert schnell, dass für Star sehen möchte. Als Oliver Kahn wartung und den Konformitätszwang ihn selbst der Zug zur Fußballerkar- seine Affäre begann, war das für die wider, dem die Jungen ausgesetzt riere abgefahren ist. Diesen Frust wol- Jungen kein Thema. Kahn blieb ihr sind, während coole Helden wie die len Jungs vermeiden, sie erleben dies Held, solange die sportliche Leistung genannten Rapper den Gegenpol, den als persönliches Scheitern. stimmte. Gleiches gilt für die Mäd- Wunsch nach undomestizierter Männ- Sänger aus Boygroups sind Projek- chen: Man muss sich als Erwachse- lichkeit repräsentieren. tionsflächen für die erwachenden ro- ner wundern, warum Mädchen frü- Die HeldInnen der Kinder sind in den mantischen Gefühle der Mädchen; her auf Jeanette Biedermann in ihren vergangenen Jahren durch Casting- viele erleben mit ihren Popstars die engen Latex-Outfits standen und heu- Shows und die generelle Gier der erste Liebe – zwar nur in der Fanta- te die Pussycat Dolls mit ihren expli- Medien nach Celebrities viel zugäng- sie, aber dennoch real. Allerdings ver- zit sexuellen Texten mögen. Die Ant- licher, aber auch kurzlebiger gewor- körpern männliche Popstars auch wort ist auch hier, dass diese Elemen- den. Dies bringt eine schwächere eine mehr oder weniger deutlich aus- te der Stars ausgeblendet werden und emotionale Anbindung an die Stars geprägte jugendliche oder erwachse- Mädchen stattdessen z. B. auf das mit sich. Kinder und auch Jugendli- ne Sexualität. Wenn diese Kompo- schöne Aussehen, das Tanzen oder che erklären zwar gerne, wen sie gut nente zu dominant wird, müssen sich Ähnliches fokussieren. Schwierig finden – als »Fan« will man sich aber Mädchen auch mit der eigenen Se- wird es erst, wenn sich solche Ele- irgendwann nicht mehr bezeichnen xualität auseinandersetzen – was sie mente nicht mehr ausblenden lassen, lassen und hält lieber Distanz. nicht wollen. So wählen sich gerade z. B. bei deutschen Texten von Rap- In der Konsequenz wird es in Zukunft die jüngeren Mädchen die jüngsten pern wie Bushido oder Fler. eher noch schwerer werden, die Hel- und am wenigsten männlichen Mit- Die Kinder gehen bei ihrer Star-Aus- dInnen der Kinder zu identifizieren. glieder aus den Boybands aus, weil wahl außerdem den Weg der Masse. Es wird aber dabei bleiben, dass die diese in Bezug auf Sexualität am Die Orientierung am Mainstream hilft Lieblingsstars die Wünsche und Träu- wenigsten bedrohlich sind, z. B. Bill ihnen, zu sicheren Entscheidungen zu me der Kinder verkörpern, und des- von Tokio Hotel. kommen, denn ihnen fehlt noch die wegen sollte man auch weiterhin ge- Bei fiktionalen Figuren tun sich Kin- Erfahrung und das Bewertungsraster, nau zuhören, wenn Kinder von ihren der deutlich leichter auszuwählen, wen um selbst eine Auswahl treffen zu Idolen berichten. sie toll finden und wen nicht. Gerade können. Kinderstars sind also immer bei Zeichentrickfiguren wird ihnen die Massenstars – und Medienstars, das ANMERKUNGEN Entscheidung oft durch die Gestaltung zeigen die Legionen der Sänger und vereinfacht, und selbst Schauspieler in Bands aus Casting-Shows wie DSDS 1 Alle aufgeführten Ergebnisse stammen aus den Studien Trend Tracking Kids® 2006 und 2007. Serien verhalten sich oft so stereoty- oder Popstars, die seit Jahren bei Jun- 2 Vgl. Winter/Neubauer 2006. pisiert bzw. werden so schematisiert gen und Mädchen auf den ersten Plät- 3 Vgl. Götz 2006. inszeniert, dass der Zugang zu diesen zen der Beliebtheit zu finden sind. Charakteren vergleichsweise einfach Bei den Jungen kommen auch nur die LITERATUR ist. Bei realen Personen ist es sehr viel Sportstars durch, die über einen län- Bauer Media KG (Hrsg.): BRAVO Faktor Jugend schwerer, zu einer Entscheidung zu geren Zeitraum im Fokus der Öffent- 7. Hamburg: Heinrich Bauer Verlag 2004. kommen: Zum einen gibt es eine grö- lichkeit bleiben. Das führt fast auto- Götz, M.: Nur schön, sozial und nachgiebig? Die ßere Auswahl potenzieller KandidatIn- matisch dazu, dass Fußballer die bes- Lieblingsfiguren der Mädchen. In: TelevIZIon, 19/2006/1, S. 24-29. nen , zum anderen sind Menschen im ten Chancen haben, denn sie sind fast Winter R.; Neubauer G.: Oben drüber oder unten Gegensatz zu Kunstfiguren nicht ein- das ganze Jahr über präsent. durch. Figurenqualitäten für 9- bis 11-jährige Jun- dimensional, sondern haben sehr un- Die Idole der Kinder sagen auch im- gen. In: TelevIZIon, 19/2006/1, S. 31-36. terschiedliche Facetten. mer etwas aus über die Gesellschaft, in der die Kinder aufwachsen. Dass DER AUTOR Mädchen bei Stars wie Sarah Connor Was macht Helden zu oder Heidi Klum auch nach dem Mo- Axel Dammler studierte Kom- Helden? dell einer heilen Familie suchen, ist munikationswis- sicherlich genauso aussagekräftig wie senschaft und ist Das Ausblenden von »Nebensächli- der kindlich-naive Ansatz, mit dem seit 1999 geschäfts- chem« ist ein wesentlicher Faktor bei übersexualisierte Bands wie die Pus- führender Gesell- der Starauswahl. Die Komplexität des sycat Dolls »normalisiert« werden. schafter bei iconkids & youth in- Menschen wird (auch dank der ein- Auf der anderen Seite spiegelt die ternational research, München. dimensional berichtenden Star-Medi- Orientierung von Jungen an erfolg-