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Margrit Frölich

„DER ERSTE KUSS DER WAHREN LIEBE“ – LIEBES- UND ERLÖSUNGSWÜNSCHE IN

Als SHREK (Shrek – Der tollkühne Held, USA 2001, R: Andrew Adam- son/) in die Kinos kam, waren die Zuschauer verzückt: von der vollständig digital produzierten Animation, die sich 3-D-Verfahren zunutze machte; vor allem aber von den originellen Zeichentrickfiguren, denen nam- hafte Hollywoodschauspieler ihre Stimme geliehen haben, und der fantasie- vollen Geschichte, die der Film erzählt.1 Die enorme Popularität des ersten Shrek-Films2, der einen Oscar als bester Animationsfilm gewann, wurde vom zweiten sogar noch übertroffen.3 (Shrek – Der tollkühne Held kehrt zurück, USA 2004, R: /Kelly Asbury/) nahm als erster Animationsfilm in mehr als fünfzig Jahren – seit der Disneyverfil- mung Peter Pan, USA 1953 – am Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes teil. Auch die weiteren Filme der insgesamt vier Folgen umfassenden Serie, (Shrek der Dritte, USA 2007, R: Chris Miller/Raman Hui) und (Für immer Shrek, USA 2010, R: Mike Mitchell), konnten an die Publikumserfolge der beiden ersten anschließen, wenngleich die Filmkritik zum Teil einen Rückgang an Einfallsreichtum ge- genüber den vorangegangenen beiden Filmen monierte. Die SHREK-Filme, die auf dem illustrierten Kinderbuch von William Steig basieren, das 1990 un- ter dem Titel Shrek! erschien, zählen bereits heute zu den Klassikern des po- pulären Kinos.4 Sie bieten Unterhaltung über Altersgrenzen hinweg. Denn bei aller Opulenz der Bilder und der Subtilität der Dialoge erzählt SHREK eine ganz einfache Geschichte, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen berührt. Sie handelt von Sehnsucht nach wahrer Liebe und echter Freundschaft. Der Philosoph Ernst Bloch hat sich in einem 1930 entstandenen Text mit der Besonderheit des Märchens befasst, die darin besteht, dass es unsere ge- genwärtigen Wunschprojektionen widerzuspiegeln vermag, obwohl die in ihm

1 Einblicke in den kreativen Prozess, der den SHREK-Filmen zugrunde liegt, bieten drei illust- rierte Bücher, die begleitend zu den Filmen publiziert wurden. Vgl. Hopkins, John: Shrek. From the Swamp to the Screen, New York 2004; Jones, Kathleen: Shrek. The Art of the Quest, San Rafael 2007; Schmitz, Jerry: The Art of Shrek Forever After, San Rafael 2010. 2 Weltweit spielte der Film 479 Millionen Dollar ein. 3 SHREK 2 spielte 880 Millionen Dollar ein. 4 Der Märchenforscher Jack Zipes hat die Unterschiede zwischen Buch und Film herausgear- beitet. So weist er beispielsweise auch auf den New Yorker jüdischen Humor des Buches hin, von dem in der Verfilmung jedoch nichts mehr zu spüren ist. Vgl. Zipes, Jack: The Enchanted Screen. The Unknown History of Fairy-Tale Films, New York/London 2011, 242. 224 MARGRIT FRÖLICH beschriebenen Welten längst der Vergangenheit angehören. „Die märchenhaf- te Welt“, schreibt er, „besonders als magische, ist selbstverständlich nicht mehr von heute: Wieso kann das Märchen sie anders spiegeln als auf völlig abgelaufene Weise? Es gibt nicht einmal mehr richtige Könige, erst recht scheint die atavistische, zugleich feudal-transzendente Welt versunken, aus der das Märchen stammt und mit der es verbunden scheint. Dennoch ist der Märchenspiegel nicht trüb geworden und die Art Wunscherfüllung, die nicht nur an seine Zeit und das Kostüm ihrer Inhalte gebunden ist. Zum Unterschied von der allemal lokalisierten Sage ist das Märchen freibleibend; es zieht un- eingelöst, also unveraltet durch die Zeiten. Nicht nur bleibt das Bedürfnis, das zum Märchen treibt, so frisch wie die Sehnsucht oder die Liebe, sondern hier wirken Dämonisch-Böses, woran das Märchen reich ist, immer noch als ge- genwärtig, das Glück im ‚Es war einmal’ woran das Märchen reicher ist, im- mer noch als zukünftig. [...] So beleben Walt Disneys Märchenfilme – mitten in Amerika, als einem Land ohne feudale und transzendente Überlieferung – alle Elemente des alten Märchens, ohne daß sie dem Zuschauer unverständlich wären. Im Gegenteil: der geneigte Zuschauer denkt an vieles, er denkt an fast alles in seinem Leben; auch er will fliegen, auch er will dem Riesen entrinnen, auch er will über dem Nebel in der Sonne wohnen.“5 Tatsächlich ist das Märchen bis heute Spiegel unserer Sehnsüchte, Ängste und Wünsche geblieben. Mit dem Film hat es gemeinsam, dass es die Affekte und Emotionen der Menschen bedient. Auch die Religion tut dies, bietet zu- sätzlich jedoch Transzendenz. Im Märchen und im populären Film setzt sich am Ende meist das Gute durch und die Figuren finden Erlösung. Sie bleiben jedoch in aller Regel in ihrer irdischen Existenz verankert. Die Versprechen der Filme, schreibt der Theologe Werner Schneider-Quindeau über das popu- läre Medium, entspringen den Träumen und dem Begehren des Menschen.6 Das Märchen und der Film erzählen jeweils von elementarem menschlichen Begehren, etwa von Liebe, Macht und Reichtum. Mit Blick auf Shrek ist be- merkenswert, wie das Begehren nach Liebe einerseits und Macht andererseits zueinander in Beziehung gesetzt werden. Sowohl im populären Film als auch im Märchen gehen Wünsche noch in Erfüllung: „I was hoping this would be a happy ending“ wird sich am Ende des ersten SHREK-Films der sprechende Esel (Eddie Murphy) freuen. Wenngleich dieses Happy End, wie wir sehen werden, mit unseren an den Konventionen des Märchens angelehnten Erwar- tungen bricht. In einer klugen Analyse des populären Films hat der Filmkritiker Georg Seeßlen dargelegt, wie die Geschichten, die das Kino erzählt, als religiöse

5 Bloch, Ernst: „Das Märchen geht selber in der Zeit“. In: Ders.: Die Kunst, Schiller zu spre- chen und andere literarische Aufsätze, Frankfurt a.M. 1969, 10/11. 6 Schneider-Quindeau, Werner: Bewegte Blicke oder „Motion Pictures“. Erfahrungen mit dem Sehen in Film und Glaube. In: Magazin für Theologie und Ästhetik (1999) H. 3, 5, online verfügbar unter: http://www.theomag.de/03/wsq1.htm (Stand: 21.12.2011).