Sport

TEAM 2 Präsident Niebaum, Dortmunder Profis*: „Die Niederlage ist nicht seine Welt“

FUSSBALL Das Ende der Patriarchen und der VfB Stuttgart sind die Enttäuschungen der Saison. Beide Clubs werden von Präsidenten geführt, die zu einsamen Entscheidungen und zur Kumpanei mit den Stars neigen. Doch Alleinherrscher und

A. RENTZ / BONGARTS Mäzene alten Schlages halten im -Geschäft nicht mehr Schritt.

eil er im Westfalenstadion jeden seinem Domizil in Dortmund-Brünning- cher Einsicht. Kritikern begegnen sie mit Fluchtweg kennt, konnte Gerd hausen dann unverhofft ein Schlupfloch – nostalgiegetränktem Ehrgefühl. WNiebaum der Meute noch einmal die Bundesligatabelle. Sie bietet ihm die Dabei legt die sportliche Talfahrt ihrer entkommen. Unter weiträumiger Umwan- Gelegenheit, in den Abstiegskampf zu Vereine einen Schluss nahe: Die Ära der derung des Medientraktes gelangte der flüchten. Im Prinzip, hob er scheinbar Patriarchen neigt sich dem Ende zu. Auto- Steueranwalt und Notar nach Borussia bußfertig an, wäre er „gern bereit“, sich kratische Würdenträger und einsame Ent- Dortmunds jüngster Heimblamage unbe- „der Kritik zu stellen“. Nur könne er sich scheidungen sind im modernen Profifuß- helligt zum Parkplatz. leider mit der „ganzen Art von Vergan- ball ebenso passé wie die Herrschaft der Die Spuren des Club-Präsidenten, der zu genheitsbewältigung“ derzeit nicht aufhal- Gönner – jener Clubchefs, die aus ihrem besseren Zeiten seiner Regentschaft kaum ten – „jetzt geht es nur um den Erhalt der Mäzenatentum das Recht ableiten, ihre einer laufenden Kamera auswich, haben Klasse“. Fußballunternehmen zu führen wie einst sich dieser Tage nahezu verloren – die Lo- Das Versteckspiel des koketten Präsi- Schlotbarone ihre Fabriken. kalpresse wähnt Niebaum seit Wochen „auf denten wirkt wie ein bekannter Reflex. Mit Diese Leute, sagt Wolfgang Holzhäu- Tauchstation“. Die Niederlage nämlich, Kohlscher Halsstarrigkeit verweigern sich ser, Finanzgeschäftsführer beim Meister- bemerkte der Amtskollege eines Klassen- Niebaum in Dortmund oder Gerhard schaftsaspiranten Bayer Leverkusen, „ster- rivalen mokant, „ist nicht seine Welt“. Mayer-Vorfelder beim VfB Stuttgart jegli- ben aus“. Oder sie sehen, wie die scheinbar Zu Beginn der vergangenen Woche, auf unvergänglichen Zweitliga-Patrone Jean dem vorläufigen Höhepunkt der sport- * Miroslav Stevic, Stefan Reuter, Jürgen Kohler, Lars Löring („dä Schäng“) bei Fortuna Köln und lichen Krise, erspähte Niebaum, 51, aus Ricken. Heinz Weisener („Papa Heinz“) beim FC

234 der spiegel 13/2000 St. Pauli, dem Sturz ihrer Vereine in die Profis zur öffentlichen Be- Amateurklasse entgegen. Beim Karlsruher schwerde und Mitbestim- SC, dem ebenfalls Abstieg und Finanzkol- mung. Doch wenn der neue laps drohen, kündigte der allgewaltige Übungsleiter darüber räso- Roland Schmider jetzt nach 26 Jahren sei- niert, was alles bei Borussia nen Rücktritt vom Präsidentenamt an. „eingerissen“ und „ver- Der Niedergang von Borussia Dortmund schlampt worden“ sei, hört begann schleichend – noch bevor der Club der Clubchef angestrengt mit dem Gewinn der Champions League weg. Stattdessen fühlt sich 1997 seinen Gipfel erreicht hatte. Niebaum Niebaum „ein bisschen be- hatte den Vertrag mit dem angejahrten Mit- stätigt“ darin, „dass ich per- telfeldspieler Michael Zorc verlängert – per sönlich von Trainerwechseln Handschlag, ohne Rücksprache mit Trainer nichts halte“. . Der Drang des Präsiden- Auch andere Profis erfreuten sich präsi- ten ins operative Tagesge- dialer Fürsorge. Spieler wie Stefan Reuter schäft – deutliches Merkmal und , der treue Famulus des patriarchischen Führungs- Hitzfeld-Kritikers , durf- stils – brachte in Dortmund, ten sich in örtlichen Restaurants über Tak- neben wirtschaftlichen Re- tik und Aufstellung „regelmäßig auswei- AN N kordbilanzen, manche Skur- AU M nen“, wie sich Beobachter erinnern. B rilität auf den Weg. Die Ver- Menschlich ist das zu verstehen. Wer Stuttgarts Präsident Mayer-Vorfelder: „Deine Zeit ist um“ pflichtung Thomas Häßlers, säße nicht gern mit leibhaftigen Europa- der in Trainer Skibbes Kon- meistern über die feinen Verästelungen des zept passte wie Petersilie Profifußballs zu Rate? Wie viel Licht fällt zum Pudding, fädelte Bo- im Vergleich dazu in ein Notariat? russias Führung wohl aus Amtstechnisch wirkte die Einflussnahme gekränkter Eitelkeit ein – ins Sportliche fatal. „Wenn Spieler beim Prä- nämlich exakt zu der Zeit, sidenten ihr Leid klagen dürfen“, sagt der da es landläufig hieß, dem Frankfurter Fußball-Lehrer , Club sei das Geld ausgegan- „hast du als Trainer keine Chance mehr.“ gen. Da, erinnerte sich spä- In Dortmund konnten die Profis so ihren ter Manager Michael Meier, Erfolgstrainer demontieren. Hitzfeld hatte wollte man schlicht „das angekündigt, mehrere Stars auszutauschen: Gegenteil beweisen“. Die Hierarchie sollte durchmischt, Er- Der neue Star kassierte folgshunger neu geweckt werden. Etliche schnell kolportierte 4,7 Mil- Spieler fürchteten um ihre Pfründen – und lionen Mark Gehalt und bearbeiteten Niebaum. wechselte nach nur einem Die Ironie dieser Mobbing-Geschichte Jahr zu 1860 München. Das weitet sich für Niebaum nun zum Trauma weckte auch bei ande- aus: Dass Hitzfeld beim FC Bayern derzeit ren Begehrlichkeiten – die so autonom wie erfolgreich arbeiten kann, Westfalentruppe gilt inzwi- ist die eigentliche Niederlage der Borussia. schen als teuerstes En- Der Münchner Vorzeigeclub hat sich semble der Liga. Übertrie- schon 1979 seines letzten Diktators auf dem benes Kostenmanagement Präsidentenstuhl entledigt. Wilhelm Neu- gehört nicht zu den Vorlie- decker warf nach einer von Paul Breitner ben der Club-Oberen. Nach angeführten Spieler-Rebellion das Hand- AN N Kenntnis eines Spielerver- AU M tuch. Die heutigen Bayern-Bosse, Franz B mittlers können Bundesli- Beckenbauer, Karl-Heinz Rummenigge VfB-Trainer Rangnick, Star Balakow: Sparkurs durchgesetzt gaprofis bei einem Wechsel und Uli Hoeneß, haben es nicht nötig, nach Dortmund ihr Ein- sich im geborgten Glanz zu sonnen. Sie feld den Direktorenposten 1998 freige- kommen schon mal „verfünffachen – weil waren bereits vor ihrem Wechsel ins Funk- macht, beförderte Niebaum seinen Liebling sie sonst nicht in deren Gehaltsge- tionärswesen berühmt. Zorc auf den Posten des Sportmanagers. füge passen“. Den Dortmunder Chef hingegen brach- Seitdem wurden in zwei Jahren für rund 75 Solche Burlesken spielen nicht nur im te erst die Nähe zu Sammer, Möller, Ried- Millionen Mark 18 Spieler gekauft – eine Ruhrgebiet. Auch am Neckar, wo der ehe- le ins Fernsehen – ein Irrtum, daraus Fach- Ansammlung, so die „Süddeutsche Zei- malige baden-württembergische Finanz- kompetenz abzuleiten. Kaum hatte Hitz- tung“, „aus mittelmäßigen Schaumschlä- minister Mayer-Vorfelder seit 25 Jahren gern und verunsicherten Einzelkämpfern“. dem VfB Stuttgart vorsteht, führte höfi- Auch Niebaums Personalentscheidungen sches Gebaren in die Krise; nur dass sich für die Trainerbank gerieten zu Flops. Erst der Zar schon hämische Liedvorträge von versuchte er es mit dem renommierten Ita- den Stadionbesuchern anhören muss: liener , dann mit dem unerfah- „Gerhard, deine Zeit ist um.“ renen Jugendcoach Michael Skibbe. Neuerdings hat er sich sogar der wach- Eine Chance hatten beide nicht. „So senden Macht seiner Kontrolleure und große Schuhe“, zürnt , der vor Subalternen zu beugen. So musste er in sieben Wochen Skibbe ablöste, „kann man der vergangenen Woche der Öffentlichkeit gar nicht haben, um hier alle Brände auszu- eine radikale Umkehr der Vereinspolitik treten.“ Besonders empört ihn der Hang der erläutern. Sparen war dem ehrgeizigen

d e r s p i e g e l 1 3 / 2000 235 Sport

„MV“ („Ich lasse mir aus meinem VfB kein schwerden seiner kickenden Hätschelkin- zehnte rund 30 Millionen Mark in die Unterhaching machen“) bislang stets su- der immer so bereitwillig entgegennahm Clubkasse legte, kann heutzutage keinen spekt gewesen, doch nun hat sich die Op- wie Niebaum die seiner Dortmunder Pro- Machtanspruch mehr begründen. In Zei- position eine gezügeltere Investitionspla- tegés, beschäftigte der VfB in den letzten ten, da Bundesligaclubs dreistellige Mil- nung auferlegt. Aufsichtsratschef Heinz fünf Jahren acht verschiedene Cheftrainer. lionenbeträge umsetzen, reichen private Bandke sieht „nicht mehr die Möglichkeit, Im Gegenzug waren die Stars in ent- Zuwendungen von Mäzenen aus der Bau- am großen Rad zu drehen“. scheidenden Momenten zur Stelle. So oder Gebäudereinigungsbranche gerade Geschickt hatten die Kontrolleure im musste die Mannschaft zum 65. Geburtstag mal aus, eine Regionalligamannschaft vor Verbund mit den Club-Direktoren Hansi des Präsidenten vor zwei Jahren komplett dem Abstieg zu retten. Müller und Karlheinz Förster Meldungen in der Stuttgarter MV-Villa antreten – gegen Auch der Hamburger Architekt und Im- lanciert, wonach der lange allein herr- den Willen des damaligen Trainers Joa- mobilienkaufmann Heinz Weisener er- schende Chef das Geld verprasst habe. chim Löw. Denn obwohl am nächsten Mor- wartet für die mehr als 20 Millionen Mark, Derart zur öffentlichen Stellungnahme ge- gen der Abflug zur Europacup-Partie in die er nach eigenen Angaben seit 1990 in zwungen, wirkte der CDU-Mann wie vor- Prag auf dem Plan stand, hatte der Ver- den FC St. Pauli gesteckt hat, vor allem geführt – und war „erschüttert“. einsboss den Spielern Ausgang bis Mitter- eines: keine Widerrede. Die beinahe zwanghafte Neigung, ho- nacht gestattet. Lange wird sich Mayer-Vor- Bei genauem Hinsehen relativieren sich fierende Stars um sich zu scharen und ih- felder nicht mehr halten können. Vermut- indes die Mildtaten des Oberhauptes. Seit 1995 ist Weisener als Gesellschafter von St. Paulis Marketing GmbH bis Ende 2005 im Besitz der Vermark- tungsrechte. Der Vertrag zwischen Club und Gesellschaft, in der Prä- sidentensohn Götz Weisener als Geschäftsführer firmiert, garantiert dem Boss drei Viertel der Netto- umsatzerlöse. Von Fußball, urteilt ein Insider, verstehe Chef Weisener „so viel wie der Papst von der Wahl der Miss Universum“. Renitenten Auf- sichtsräten schickte Weisener Brie- fe in drohender Diktion: Bei Ab- lehnung seiner Pläne lasse sich „eine Katastrophe für unseren FC St. Pauli nicht abwenden“. Jetzt, da der Club ohne Hauptsponsor und Ausrüster vor dem sportlichen Abstieg steht, scheint sie trotzdem einzutreten. Ähnliche Finanzsorgen plagen Schmiders Karlsruher Sport-Club, der vor gut zwei Jahren noch auf der internationalen Bühne des Uefa- Cup unterwegs war. Der autoritäre

M. BRANDT / BONGARTS M. BRANDT Vereinsboss, seit 1974 im Amt, ver- Hamburger Fanproteste: „Katastrophe für unseren FC St. Pauli“ sorgte nach dem Abstieg in den letzten zwei Jahren 29 Spieler und nen jeden Gehaltswunsch von den Augen lich wechselt er auf den Chefposten beim 4 Trainer mit Verträgen wie aus dem Wun- abzulesen, hat den Fußball-Duodezfürsten nationalen Verband DFB. Letzte Woche derland. So kassiert , zu jetzt in die Defensive getrieben. Als der bezeichnete er diese Perspektive bereits Beginn dieser Saison vom Libero zum Sport- VfB-Präsident, der sich nach Spielschluss als „eine große Herausforderung“. direktor befördert, 800000 Mark im Jahr. gern mit brennender Roth-Händle und Widerspruch sind die Autokraten des Solche personalpolitischen Alleingänge geöffneter Pilsflasche zu den verschwitzten Profifußballs nicht gewohnt. Beim Kölner von Vereinsfürsten mögen seltener wer- Profis in der Kabine gesellt, seine Günst- Zweitligaclub SC Fortuna rühmte sich der den, je mehr Bundesligaclubs sich eine zeit- linge noch im Ministerbüro im Gartenflü- ewige Boss Löring noch vor kurzem, seit gemäße Struktur verordnen und in Kapi- gel des Neuen Schlosses zum Kaffee emp- 1966 außer Zustimmung nur „zwei Enthal- talgesellschaften umwandeln. In Dortmund fangen durfte, kehrte der Bulgare Krassimir tungen“ bei Vorstandswahlen kassiert zu hat man derlei Pläne allerdings vorerst Balakow einmal von einer solchen Unter- haben. Er vergaß freilich zu erwähnen, dass zurückgestellt – „weil die Kleinwetterlage“ redung mit einer Gehaltserhöhung auf er zwischen 1986 und 1996 gar keine Mit- ungünstig sei, wie Niebaum erklärt. sechs Millionen Mark per annum zurück. gliederversammlungen einberufen hatte. Die Borussia wollte in diesem Frühjahr Vergangene Woche musste MV jedoch ver- Die Vereinsgeschäfte werden in der obe- als erster deutscher Profiverein an die Bör- kraften, dass sein Lieblingsspieler vom ren Etage seiner Unternehmenszentrale se gehen. In sportlichen Krisenzeiten, ahnt Trainer als Kapitän abgesetzt wurde. zwischen Ölgemälden und Antiquitäten der Präsident, sollte jedoch eher verhalten Die Köpfe aus besseren Zeiten hängen geführt. Und wenn er einen der 26 Trainer über Kommerz und Kapital geredet wer- gerahmt an der Wand hinter dem Schreib- seiner Amtszeit entließ, wollte er angeblich den. Nicht, weil der Traditionsclub Scha- tisch im Präsidentenzimmer: Balakow ne- immer nur „Schaden von meinem Club den nehmen könnte, sondern dessen Chef. ben den abtrünnigen Giovane Elber und abwenden“ – der Gebrauch des Besitzpro- Niebaum: „Man sollte Positionen meiden, – das einstige „magische Drei- nomens ist durchaus kein Versprecher. wo man angreifbar wird.“ eck“. Nicht zuletzt, weil MV die Be- Dass der gelernte Elektriker über die Jahr- Jörg Kramer, Michael Wulzinger

236 der spiegel 13/2000