Medium | Format
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zeitschrift für medienwissenschaft 1/2020 gesellschaft für medienwissenschaft (hg.) zeitschrift für medienwissenschaft 1/2020 22 MEDIUM | FORMAT — EDITORIAL Medienwissenschaft zu betreiben bedeutet immer auch, sich zu fragen, was die Voraussetzungen und Bedingungen der eigenen Forschung sind. Die Medialität von Dingen und Ereignissen wird häufig erst in der Beschäftigung mit ihrer Theorie und Geschichte, ihrer Technik und Ästhetik freigelegt. In diesem Sinne betreibt die ZfM eine kulturwissenschaftlich orientierte Medienwissenschaft, die Untersuchungen zu Einzelmedien aufgreift und durchquert, um nach politischen Kräften und epis- temischen Konstellationen zu fragen. Unter dieser Prämisse sind Verbindungen zu internationaler Forschung ebenso wichtig wie die Präsenz von Wissenschaftler_innen verschiedener disziplinärer Herkunft. Die ZfM bringt zudem verschiedene Schreibweisen und Textformate, Bilder und Gespräche zusammen, um der Vielfalt, mit der geschrieben, nachgedacht und experimentiert werden kann, Raum zu geben. Jedes Heft eröffnet mit einem SCHWERPUNKTTHEMA , das von einer Gastredaktion konzipiert wird. Unter EXTRA erscheinen aktuelle Aufsätze, die nicht auf das Schwerpunktthema bezogen sind. DEBATTE bietet Platz für theoretische und / oder (wissenschafts-)politische Stellungnahmen. Die Kolumne WERKZEUGE reflektiert die Soft- und Hardware, die Tools und Apps, die an unserem Forschen und Lehren mitarbeiten. In den BESPRECHUNGEN werden aktuelle Veröffentlichungen thematisch in Sammelrezensionen diskutiert. Die LABORGESPRÄCHE setzen sich mit wissenschaft- lichen oder künstlerischen Forschungslaboratorien und Praxisfeldern auseinander. Von Gebrauch, Ort und Struktur visueller Archive handelt die BILDSTRECKE. Aus gegebenen Anlässen konzipiert die Redaktion ein INSERT. Getragen wird die ZfM von den Mitgliedern der Gesellschaft für Medienwissenschaft, aus der sich auch die Redaktion (immer wieder neu) zusammensetzt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich an der ZfM zu beteiligen: (1) die Entwicklung und redaktionelle Betreuung eines Schwerpunktthemas, (2) die Einreichung von Aufsätzen und Reviewessays für das Heft und (3) von Buchrezensionen und Tagungsberichten für die Website. Die Veröffentlichung der Aufsätze erfolgt nach einem Peer- Review-Verfahren. Alle Beiträge sind im Open Access verfügbar. Auf www. zfmedienwissenschaft.de befinden sich das Heftarchiv, aktuelle Besprechungen und Beiträge in den Web-Extras, der Gender- und der Open-Media-Studies-Blog sowie genauere Hinweise zu Einreichungen. — DANIEL ESCHKÖTTER, MAJA FIGGE, MAREN HAFFKE, JANA MANGOLD, FLORIAN SPRENGER, STEPHAN TRINKAUS, THOMAS WAITZ, BRIGITTE WEINGART, SERJOSCHA WIEMER — INHALT Editorial MEDIUM | FORMAT 10 O. FAHLE / M. JANCOVIC / E. LINSEISEN / A. SCHNEIDER Medium | F ormat Einleitung in den Schwerpunkt 19 AXEL VOLMAR Das Format als medienindustriell motivierte Form Überlegungen zu einem medienkulturwissenschaftlichen Formatbegriff 31 FABIAN WINTER Pharmakon und Formation: Aby Warburgs Ordnungsformate der Psyche 42 DANIELA WENTZ Das GIF Geschichte und Geltung eines Formats aus dem Geist des Tanzes 53 ANJA SCHÜRMANN InDesign als Methode? Wahrnehmungstheoretische Überlegungen zu analogen und digitalen Displaykulturen der Fotografie 67 LAURA WALDE Der Kurzfilm als (kleines) Format 74 THOMAS VEIGL Formate und User_innen als Akteur_innen der Innovation 87 ENRICO CAMPORESI Super 8 ausstellen Notizen zur Obsoleszenz eines Formats BILDSTRECKE 96 OLIA LIALINA vorgestellt von MAREK JANCOVIC und ELISA LINSEISEN The Only Thing We Know About Cyberspace Is That It’s 640 x 480 LABORGESPRÄCH 106 V. M. WILMOT / M. ELOMDA / C. STEHRENBERGER und U. LINDNER im Gespräch mit N. GRAMLICH und J. MANGOLD Erfurt dekolonisieren EXTRA 122 ULRIKE BERGERMANN Baumwolle: Gefüge mit Gewalt 130 FABIAN SCHÄFER / PETER MÜHLEDER Konnektiver Zynismus und Neue Rechte Das Beispiel des YouTubers Adlersson DEBATTEN Für gute Arbeit in der Wissenschaft Teil VI 152 TOBIAS CONRADI / GUIDO KIRSTEN / MAIKE S. REINERTH Die Habilitation in Frage stellen 156 STEPHAN PACKARD Gute wissenschaftliche Arbeit nach der Promotion ist keine Frage der Habilitation Methoden der Medienwissenschaft Teil III 161 TOBIAS MATZNER Wege und Ziele. Überlegungen zum (inter-)disziplinären Selbstverständnis der Medienwissenschaft 167 SEBASTIAN GIESSMANN Hätte, hätte, Drittmittelkette. Über neue Wege und Ziele der Medienforschung 173 ANNA TUSCHLING Methoden sind politisch 179 JULIA BEE / JENNIFER EICKELMANN / KATRIN KÖPPERT Diffraktion, Individuation, Spekulation WERKZEUGE 190 MAREN HAFFKE Cancel-Culture Über Noise-Cancelling-Kopfhörer 196 MICHAEL DOMINIK HAGEL Wo bleibt der Katalog? BESPRECHUNGEN 202 CHRISTIANE HEIBACH Intermedialität revisited. Neue Perspektiven auf die Medienkunst 207 VERA MADER Morgen, das 22. Jahrhundert. Neue, alte und Andere Zukünfte 214 WANDA STRAUVEN Medienarchäologie nach Thomas Elsaesser Von der «Hermeneutik des Erstaunens» zu «imaginierten Zukünften» 219 AUTOR_INNEN 223 BILDNACHWEISE 224 IMPRESSUM — MEDIUM | FORMAT Annette Kelm: Red Stripes, 2018 Fotografie (Orig. in Farbe) MEDIUM | FORMAT — Einleitung in den Schwerpunkt Spätestens seit Jonathan Sternes programmatischem Aufruf zur Entwicklung ei- ner «format theory»1 lässt sich die Relevanz der Auseinandersetzung mit Formaten für eine medienwissenschaftliche Theoriebildung ermessen. Denn Sterne fordert eine solche «Formattheorie» als Bedingung von Medientheorie.2 Der Blick aufs Format würde der Möglichkeit zur ‹Maßstabsänderung› von Medienanalysen zu- arbeiten und Medialität als skalierbare ‹Größe› in Bezug auf verschiedene Zeit- und Raumebenen ergründbar machen. Damit einher gehe der Anspruch an eine medienwissenschaftliche Auseinandersetzung, die sich nicht an generalisierende, subsumierende oder klassifizierende Überbegriffe, an die semiotischen wie die physischen ‹Schubladen› oder an die «boxes our media come in»,3 richtet. Der vorliegende Schwerpunkt folgt Sternes Anwartschaft auf eine ‹Skalie- rung› der Betrachtung von Medialität, wie man es nennen könnte, die mit der Untersuchung von Formaten angesprochen ist. Den vom Format gebotenen Einsatz – das analytische Miteinbeziehen mikro- und makromedialer Regis- ter – möchten wir in einen Zusammenhang mit aktuellen Theorien medien- wissenschaftlichen Forschens und Fragens stellen. Denn Formate sind in verschiedenste medien- und kulturwissenschaftliche Problemstellungen einge- schrieben, wie diese Einleitung beispielhaft anhand von drei für die Medien- wissenschaft zentralen Konzepten – Transformation, Performativität und In- formation – explizieren möchte. Transformation Rosa Menkmans A Vernacular of File Formats (2010) kann als Bildatlas digitaler 1 Jonathan Sterne: MP3. The Meaning of a Format, Durham, Prozessualität gelesen werden. Die niederländische Künstlerin trägt in Form eines London 2012, 7. Nachschlagewerks Kompressionsartefakte verschiedener digitaler Bildformate, 2 Der bekannte Satz lautet: «If there is such a thing as media z. B. unkomprimierter RAW-, BMP-, verlustfreier GIF- oder TIFF-Dateien, zu- theory, there should also be a sammen. Menkmans Screenshot-Sammlung ist eine Antwort auf die massenme- format theory», ebd., 7. 3 Ebd., 11. diale Standardisierung der ‹Störfallästhetik›, die ja ursprünglich konventionelle 10 ZfM 22, 1/2020 Bild- und Sehanordnungen kritisch befragen sollte. Durch die Kategorisierung von Übertragungsfehlern und Kompressionsdefekten entwickelt Menkman eine Repräsentationskritik, die das Paradox der berechneten Fehlerhaftigkeit adres- siert. Glitches, nicht vorhersehbare und daher schwer fassbare ‹Signalstörungen›, besitzen für die Künstlerin gerade in ihrer prozessualen Widerständigkeit ex- pressive Qualitäten. Menkmans Kritik richtet sich nun gegen die schnelle und einfache Konsumierbarkeit von glitches, wenn diese als Filterästhetik benutzt und über Digitalbilder gelegt werden. Diese wertnormative Transformation mache Formatfehler kommerzialisierbar. Glitches fänden als «coffee table book» Ein- gang in die hyperkapitalistische «world of latte drinking designers and […] Kanye West».4 Ihre Kritik bringt Menkman nun nicht etwa in der Verwerfung der mit den glitches benannten Logik kultureller und ästhetischer Auf- und Abwertungs- prozesse vor, sondern in deren Überstrapazieren. A Vernacular of File Formats gibt sich exzessiv der unkontrollierten und deswegen auch nicht vor Kontexten der schnellen Konsumierbarkeit haltmachenden Prozessualität digitaler Formate hin. Die künstlerische Arbeit bereitet den Dialekt einer Digitalkultur verständ- lich auf. Digitale Mundart ist, als vermeintlich herkömmliches Zeichensystem, dann immer schon ein Spektrum zwischen Inkommensurabilität und Kommuni- zierbarkeit, Slang und Jargon, Abweichung und Standardisierung. Menkmans Arbeit ruft Charakteristiken auf, die sich bei der Beschäftigung mit Formaten ergeben. Formate materialisieren kulturelle, wertbezogene, aber auch zeitliche und räumliche Transformationsprozesse. Sie modifizieren Medien über den Gegensatz von Regelbruch und Normierung – philosophisch zugespitzt: von Chaos und Ordnung. Über die Kontexte, Wirkungen und Be- deutungen, die Formate in Medienkulturen zugesprochen bekommen, können Entscheidungsprozesse, die mit Formaten Ordnungen und Regeln festlegen, eine explosive, widerstreitende Dimension erreichen: ‹Formatkriege› stehen nicht nur auf der medienökonomischen Tagesordnung. Diese ‹Brennpunkte› zeigen ihr politisches Ausmaß auch jenseits von Betamax und VHS, dem in der westlichen Medienkulturgeschichte wohl bekanntesten Standardisierungskampf. Das soll