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WILLKOMMEN IM DSCHUNGEL ― GLAM, HARDCORE UND METAL IN LOS ANGELES Dietmar Elflein Die Geschichte populärer Musik kann auch als ein Netzwerk regionaler oder lokaler Szenen und der mit ihnen verbundenen Musiken gelesen werden. Historisch wirkungsmächtige Stile populärer Musik lassen sich so als Weiter- entwicklungen ehemals regionaler Stile deuten, die ― aus welchen Gründen und auf welche Art auch immer ― internationale Beachtung gefunden haben. Im Extremfall wird der Name einer Stadt mit einer bestimmten Epoche oder Stilistik populärer Musik (z.B. Chicago Blues) gleichgesetzt. Regional betrachtet bilden meist Institutionen wie Auftrittsorte, Tonstudios und Schallplattenfirmen wichtige Knotenpunkte in solch einem Netzwerk, um die sich dann Musikerinnen und Musiker scharen können, die ähnliche musikalische Interessen verfolgen oder eine ― wie auch immer begrenzte ― öffentliche Wahrnehmung ihrer Musik suchen (vgl. Slobin 2000: 11-23). Das Verhältnis solch regionaler Szenen und ihrer jeweiligen Sounds zu ihrer geographischen, sozialen und kulturellen Umgebung, wie z.B. der Stadt, ist komplex und besteht aus sich widersprechenden und ergänzenden Diskur- sen. Im Spannungsfeld von Punk und Hard Rock bzw. Heavy Metal entwickel- ten sich zwischen 1975 und 1985 im Großraum Los Angeles parallel mehrere unterschiedliche Modelle solch regionaler Musiken und Zentren: ― die Glam-, Hair Metal- und Sleaze-Szene rund um die Auftrittsorte am Sunset Strip, ― die Heavy Metal-Szene rund um die Schallplattenfirma Metal Blade Records und ― die Hardcore-Szene rund um die Band Black Flag mit ihrer Schall- plattenfirma SST Records. Jede dieser Musiken und Szenen ist ein Netzwerkknoten im Netzwerk der Geschichte populärer Musik ― keine ist jedoch zum klanglichen Synonym für Los Angeles geworden. Sie können aber stellvertretend für Organisations- 125 DIETMAR ELFLEIN formen regionaler Szenen stehen, in denen sich Stilistiken populärer Musik zentrieren. Zwischen den drei ausgewählten regionalen Szenen kam es immer wie- der zu Berührungspunkten, Austausch und auch Rivalitäten. Im Sinne einer methodischen Trennschärfe wird im Folgenden vor allem das Trennende, die Unterschiedlichkeit betont, um die verschiedenen Organisationsmuster herausarbeiten zu können. Zu Beginn soll jedoch der gemeinsame regionale Ursprung, Los Angeles und das, was darunter in diesem speziellen Fall zu verstehen ist, etwas genauer definiert werden. Mythos Los Angeles Los Angeles erscheint oft weniger als ein konkreter, geographisch bestimm- barer Ort im Süden Kaliforniens als vielmehr ein populär-kultureller Mythos, der sich aus unendlich vielen Büchern, Filmen und Musikstücken speist. Mike Davis (1994) hat diesen in seinem Buch City of Quartz ausführlich beschrie- ben und auch entmythologisiert. Das Bild, das gerade außerhalb der USA von dem konkreten Ort Los Angeles existiert, entspricht selten den Tatsachen. Los Angeles ist zudem in seiner Geschichte und Struktur nicht oder nur begrenzt vergleichbar mit deutschen oder europäischen Metropolen, Groß- städten und Ballungsräumen und die Dynamik seiner Entwicklung ist auch nur bedingt auf andere US-amerikanische Ballungsräume übertragbar. Als Los Angeles wird häufig ― und so auch in diesem Artikel ― die so genannte Greater L.A. Area bezeichnet, die kein politisches Gebilde ist und weder mit der City of Los Angeles noch mit dem County Los Angeles über- einstimmt. Die geographischen Zentren der drei hier in Frage stehenden regionalen Szenen lassen sich zum Teil im Los Angeles County, zum Teil in der City of Los Angeles und zum Teil auch in Orange County lokalisieren. So liegt der Sunset Strip ― Zentrum der Glam- und Hair Metal-Szene ― im Los Angeles County. Die Hardcore-Szene entwickelte sich vor allem in den strandnahen Vorstädten, die entweder zum County oder zur City gehören und verbreitete sich schnell auch nach Orange County und damit in die Greater L.A. Area. Die Metal-Szene rund um das Label Metal Blade besteht aus Musikern und Fans aus dem Los Angeles County und dem Orange County. Der Sitz von Metal Blade Records liegt in Sherman Oaks, dem einzigen hier besprochenen Gebiet, das ausschließlich zur City of Los Angeles gehört. Die Greater L.A. Area wird statistisch definiert als die aus Los Angeles County und Orange County bestehende Los Angeles-Long Beach-Santa Ana Metropolitan Area mit ca. 12 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 126 WILLKOMMEN IM DSCHUNGEL ― GLAM, HARDCORE UND METAL IN LOS ANGELES 12.562 km2. Die Bevölkerungsdichte ist mit 1.029 Einwohnern/km2 ver- gleichsweise gering.1 Ein Grund hierfür ist der hohe Anteil an Einfamilien- häusern an der Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Wohneinheiten, der mit 45,5% (City of Los Angeles), 56,2% (Los Angeles County) bzw. 62,2% Prozent (Orange County) erheblich größer ist als z.B. in der BRD mit 28,4% Prozent.2 Im County von Los Angeles leben knapp zehn Millionen, in der City of Los Angeles 3,7 Millionen Menschen. Eigenständige Städte innerhalb dieser Metropolitan Area darf man sich nun nicht als im europäischen Sinne geschlossene Siedlungsräume vor- stellen, die jeweils von Gebieten umgeben sind, die zum County gehören. Vielmehr existiert ein unübersichtlicher Flickenteppich von Nachbarschaften und Siedlungsgebieten mit wechselnden regionalen Zugehörigkeiten. Bei- spielsweise ist West-Hollywood, zu dem der Sunset Strip gehört, eine eigen- ständige, zum County Los Angeles gehörende Stadt, die jedoch komplett von der City of Los Angeles umgeben ist. Diese von Davis (1994: 179-256) ausführlich beschriebene Ausgründung von Siedlungsgebieten aus der City of Los Angeles erfolgte wegen der Mög- lichkeit einer eigenständigen Steuergesetzgebung sowie eines eigenen Flä- chennutzungsplans und zielte auf eine Wertsteigerung der Einfamilienhäuser über eine Regulierung des Zuzugs weiterer Bewohner nach ökonomischen und auch rassischen Kriterien. In West Hollywood leben beispielsweise 36.000 Menschen, deren Zusammensetzung sich deutlich vom Durchschnitt von County und City of Los Angeles unterscheidet. Während die Hispanics im County mit 47,2 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe stellen ― gefolgt von Weißen (29%), Asiaten (12,8%) und Afroamerikanern (8,6%), sind in West 1 Zum Vergleich: Berlin 3.810 Einwohner/km2, Hamburg 2.312, London 4.700 und New York City 10.359. Quelle für die metropolitan und combined statistical areas ist das U.S. Census Bureau (http://www.census.gov/population/www/ estimates/Estimates%20pages_final.html; Stand vom 22.11.2006). 2 Zahlen für die Greater L.A. Area liegen nicht vor. Gleiches gilt für Berlin und andere europäische Großstädte. In Hamburg liegt der Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser am Gesamtwohnungsbestand bei 20,7%. Für die USA insgesamt liegt der Anteil der Einfamilienhäuser am Gesamtwohnungsbestand bei 66,8%. Die Zahlen für die USA entstammen dem 2005 American Community Survey (http://factfinder.census.gov/home/saff/main.html?_lang=en; Stand vom 22.11.2006). Die Zahlen für die BRD und Hamburg entsprechen den Angaben des Statistischen Bundesamtes bzw. des Statistikamtes Nord (http://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath= struktur,vollanzeige.csp&ID=1019434 bzw. http://www.statistik-nord.de/index. php?id=457; Stand vom 22.11.2006). 127 DIETMAR ELFLEIN Hollywood nur 9% der Bevölkerung Hispanics, dagegen aber mindestens 75% der Bevölkerung Weiße.3 Glam, Hair Metal und Sleaze ― der Sunset Strip Der in West Hollywood gelegene Teil des Sunset Boulevard wird auf einer Länge von ca. zwei Kilometern als Sunset Strip bezeichnet und ist seit den Anfängen der Filmindustrie ein Zentrum des Nachtlebens in der Greater L.A. Area, da er in räumlicher Nähe zu den großen Filmstudios und einigen Zentralen der internationalen Unterhaltungsindustrie liegt. Dementspre- chend bilden Auftrittsorte und Personen, die einen ― vermeintlichen oder realen ― Zugang zur Unterhaltungsindustrie versprechen, die Knotenpunkte, um die sich Szenen der populären Musik entwickeln. Musikerinnen und Musi- ker reisen aus den ganzen USA zum Sunset Strip, alle mit dem Traum, in Klubs wie dem Whisky, dem Troubadour oder dem House of Blues den öko- nomischen Durchbruch zu schaffen. In der Folge prägten bereits seit den 1960er Jahren jugendliche Ausreißer und auch jugendliche Obdachlose die Szenen am Sunset Strip entscheidend mit. Wie Penelope Spheeris in ihrem Dokumentarfilm von 1988 The Decline of the Western Civilisation Part II: The Metal Years zeigt, galt dies auch für die Glam- und Hair Metal-Szene am Sunset Strip. Die von ihr interviewte Band London ― in den frühen 1980er Jahren immerhin der erste Karriere- schritt am Sunset Strip für spätere Popstars wie Blackie Lawless (W.A.S.P.), Nikki Sixx (Mötley Crüe), Slash und Izzy Stradlin (beide Guns N' Roses) ― ist zum Zeitpunkt des Interviews obdachlos und lebt gemeinsam in einem Wohnmobil. Das Video zu »Welcome To The Jungle«, dem ersten Hit von Guns N' Roses (1987), thematisiert den gleichen Zusammenhang: Es insze- niert die Ankunft des Sängers Axl Rose am Sunset Strip per Bus, während Gitarrist Slash vermeintlich obdachlos und trinkend auf dem Bürgersteig sitzt. Slash ist übrigens das einzige Mitglied von Guns N' Roses, das in Hollywood bzw. Los Angeles aufgewachsen ist. Viele der mit der Glam-, Hair Metal- und Sleaze-Szene verbundenen Musiker sind der Anziehungskraft des Sunset Strip erlegen und zugezogen ― Risiken wie mögliche Obdachlosigkeit wurden und werden in Kauf genommen. Der oben erwähnte Blackie Lawless stammt aus Staten Island, New York, Nikki Sixx aus San José, Kalifornien. 3 Die entsprechenden