WEB VIDEO WISSENSCHAFT

Ohne Bewegtbild läuft nichts mehr im Netz: Wie Wissenschaftsvideos das Publikum erobern

HERAUSGEGEBEN VON THILO KÖRKEL UND KERSTIN HOPPENHAUS

Gefördert von der EINLEITUNG ÜBER WEB, VIDEO UND WISSENSCHAFT

Offenlegung / Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten Diskussionsseite Danksagung

Es ist ein weiter Weg von Amateurvideos mit niedlichen schlag im Netz? Einige Antworten auf diese Frage will Katzen und süßen Babys, wie sie Youtube einst groß ge- das vorliegende E-Book geben – in Schlaglichtern und macht haben, zu Kurzfilmen im Netz, die wissenschaftli- keinesfalls nach Vollständigkeit strebend. ches Wissen über den evolutionären Stammbaum der Feli- Geht man das Thema naiv an und googelt nach den Be- den in eine spannende Geschichte verpacken oder ihre Zu- griffen »Wissenschaft« und »Video«, tauchen einige gro- schauer für die neuesten Erkenntnisse über die Embryoge- ße Namen aus der deutschen Medienlandschaft auf. Die nese im Mutterleib begeistern. Wo stehen wir auf diesem aber haben, so stellt man schnell fest, an Wissenschaftsvi- Weg, oder konkreter gefragt: Wie findet (Natur-)Wissen- deo nur wenig zu bieten, dem man eine gesonderte Be- schaft in Form bewegter Bilder gegenwärtig ihren Nieder- trachtung zukommen lassen müsste. Versucht man sein Über Web, Video und Wissenschaft 2

Glück direkt bei Youtube, konfrontieren uns gleich die ers- 125 Millionen Abrufe. Selbst die Mathematik zieht, etwa ten Trefferseiten zum Begriff »Wissenschaft« mit Quanten- in Person der Amerikanerin Vi(ctoria) Hart, die sich als esoterik, außerirdischen Flugobjekten und pseudowissen- selbst ernannte recreational mathemusician mit papierge- schaftlichen Begründungen religiöser Glaubensinhalte. falteten Hexaflexagonen einen Namen gemacht hat, den Satz des Pythagoras mittels Origami beweist und erklärt, Wer so sucht, wird den Boom der Wissenschaftsvideos warum manche Unendlichkeiten größer sind als andere. glatt verpassen. Befeuert wird er nicht von Suchmaschi- nen, sondern von den sozialen Medien. Zumindest im eng- Deutsche Youtuber ziehen inzwischen nach, wenn auch lischsprachigen Raum erlangten so einige Betreiber von mit weniger Durchschlagskraft. Zu ihnen zählen etwa die Wissenschaftskanälen auf Youtube in den vergangenen Kanäle Kurzgesagt, Leon Baars 100SekundenPhysik oder Jahren Kultstatus. Man nehme etwa Derek Muller, der mit Clixoom, produziert und moderiert vom Gründer des You- dem Kanal Veritasium berühmt wurde: 3,4 Millionen tube-Netzwerks Mediakraft, Christoph Krachten. (Links Abonnenten, über 250 Millionen Videoabrufe. Im Fernse- zu den in dieser Einleitung genannten Webangeboten fin- hen trat er kürzlich als Presenter der internationalen TV- den Sie am Ende des Beitrags.) Produktion »Uranium – Twisting the Dragon's Tail« auf. An bekannten Medienmarken aus dem Print- oder TV-Be- Seit langem ist der gebürtige Australier auch im australi- reich geht der Boom indessen vorbei: Erfolge erzielen vor schen Fernsehen zu erleben. allem jene, die im Netz groß geworden sind. Sie treffen An Brady Haran kommt ebenfalls so schnell niemand he- den Nerv ihrer Zuschauer, weil sie authentisch und mit ran. Auf einem guten Dutzend Kanälen berichtet er über großer Präsenz agieren und darüber hinaus die hohe Kunst Chemie, Mathematik, Philosophie und vieles mehr und des Storytelling beherrschen, wie Christoph Krachten als zählt allein auf dem Youtube-Kanal Periodic Videos über Youtube-Unternehmer der ersten Stunde weiß (zu seinem Über Web, Video und Wissenschaft 3

Artikel »Die Erfolgsfaktoren für Online-Video« ). Darüber hi- auf insgesamt zwölf Kanälen. naus konzentrieren sie sich auf klickträchtige Themen, oh- Weit abgeschlagen, aber dennoch Big Player auf ihrem je- ne dass sie in jedem Fall besonderen Wert auf eine kriti- weiligen Feld sind die großen Forschungseinrichtungen. sche Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand oder auf Sie müssen sich heutzutage nicht mehr durch das Nadel- inhaltlichen Tiefgang legen würden. Auch über die Frage, öhr der Medien zwängen, sondern treten selbst als Inhalte- ob es sich bei jedem von ihnen tatsächlich um einen »Wis- anbieter auf. Allen voran die US-Weltraumagentur NASA senschafts«-Youtuber oder vielleicht doch eher um einen (allein auf dem Hauptkanal mehr als 800.000 Abonnenten »Wissens«-Youtuber handelt, ließe sich in vielen Fällen und rund 100 Millionen Abrufe) und ihr europäisches Pen- streiten. dant, die ESA (145.000 Abonnenten, 35 Millionen Abru- Den wohl überraschendsten Erfolg feiert indessen schon fe) – denn Weltraum geht immer, überdies hat man exklu- seit Jahren eine Plattform, die genau dieses Rezept igno- sives Material. riert. Wer hätte vorausgesehen, dass ein Vortragsformat al- Fündig wird man auch in Deutschland. Hier zeigt etwa le Rekorde bricht? Die kalifornische Organisation TED, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt attraktives die von einer Stiftung getragen wird, begann als Veranstal- Material. Auffällig ist allerdings, dass die wissenschaftlich ter von Konferenzen zur Diskussion innovativer Ideen, ist breit aufgestellte Forschungseinrichtung sich mit ihren Vi- mittlerweile aber vor allem für ihre Videos im Netz be- deos dann doch nach dem Publikumsgeschmack richtet kannt. Sorgfältig ausgewählte Wissenschaftler und andere und weit überproportional auf Raumfahrtthemen setzt. Bei Fachleute, die zuvor von einem TED Speaker Team ge- der Max-Planck-Gesellschaft wiederum wird offensicht- coacht wurden, präsentieren hier ihre Ideen in typischer- lich, dass sie auch auf visuellem Feld am harten Brot der weise 18 Minuten. Die Belohnung: 1,6 Milliarden Aufrufe Grundlagenforschung kaut, dies aber mit ihrem Budget Über Web, Video und Wissenschaft 4 zum Teil wieder wettmachen kann. Science ausgezeichnet wurden und auch beim Fast-For- ward-Science-Wettbewerb 2015 einen Preis nach Hause Viel geboten ist auch in Bereichen, von denen dieses E- trugen). Auf die Angebote der Fernsehanstalten, etwa von Book nicht berichtet. Es handelt nicht oder nur am Rande ARTE, WDR und SWR, hätten wir ebenfalls gern einen von abgefilmten Vorlesungen, auch nicht von Massive Blick geworfen. Nicht zuletzt bleibt das große Thema Ga- Open Online Courses, die universitäre Inhalte vermitteln, mification außen vor. und auch nicht von zuweilen reizvollem Filmmaterial wie dem der mittlerweile abgewickelten IWF Wissen und Me- Doch selbst das, was noch übrig bleibt, ist überwältigend dien gGmbH, dem einstigen Institut für den Wissenschaft- heterogen. Neben etablierten Kanälen, deren Macher lichen Film in Göttingen. Interessant übrigens zu wissen: längst als Profis gelten müssen, versuchen sich allerorten Dessen Bestand ist im AV-Portal der Technischen Informa- Teams und Einzelkämpfer am Medium Wissenschaftsfilm, tionsbibliothek Hannover gelandet, wo es seit 2014 nach ob Wissenschaftler oder Studierende, Filmemacher oder und nach – von einem klugen, am Potsdamer Hasso-Platt- Künstler, technisch oder didaktisch Interessierte. Bei Kurz- ner-Institut entwickelten Algorithmus auch semantisch er- gesagt haben Informationsdesigner ohne naturwissen- schlossen – das digitale Tageslicht erblickt. schaftlichen Hintergrund das kreative Potenzial entdeckt, das sie bei der Illustration komplexer Zusammenhänge Ebenso wenig geht es um die so genannten Instructional ausschöpfen können. Anderswo stellen sich Professoren Videos, die schulisches und universitäres Lehrmaterial fil- vor die Kamera oder emanzipieren sich, wie Harald misch aufbereiten oder zumindest bewegt präsentieren. Lesch, auf Youtube vom linearen Fernsehen. Durch unser Raster fallen also etwa die Khan Academy oder deutsche Nachhilfekanäle wie TheSimpleClub (die Auch Forschungseinrichtungen oder ganze Forschungsver- 2015 mit dem Deutschen Webvideopreis in der Kategorie bünde präsentieren sich auf Youtube. Denn wer For- Über Web, Video und Wissenschaft 5 schungsgelder will, wird von den großen Forschungsförde- hören zu den unverzichtbaren Eckpfeilern einer demokrati- rern auch immer stärker in die Pflicht genommen, seine schen Gesellschaft«, steht darin zu lesen. »Sie versorgen Arbeit in die Öffentlichkeit zu tragen. Webvideowettbe- Politik und Gesellschaft mit vielfältigen und möglichst zu- werbe wie nanospots, das mittlerweile vom Foresight- verlässigen Informationen, stärken Bildung und Wissen Filmfestival abgelöst wurde, oder Fast Forward Science, der Bevölkerung, regen demokratische Diskurse an und für das sich der Stifterverband für die deutsche Wissen- sollen eine Basis für begründete politische, wirtschaftliche schaft und Wissenschaft im Dialog zusammengetan ha- und technologische Entscheidungen liefern.« Tatsächlich ben, greifen den Trend auf und verstärken ihn weiter. aber sehen die deutschen Akademien »die angemessene Wahrnehmung dieser Funktion durch eine Reihe von Ent- Trotz der Vielfalt bleibt einiges auf der Strecke. Genuin wicklungen im Wissenschafts- und Mediensystem beein- journalistische Inhalte wird man, wenn man von raubko- trächtigt«. pierter TV-Ware absieht, kaum finden. Denn die Geschäfts- modelle für journalistische Produkte sind erodiert, und wo Um wie vieles schärfer wäre dieser Satz wohl ausgefallen, mit Text nichts mehr zu verdienen ist, der sich immerhin wenn die Studie auch Wissenschaftsvideos thematisiert vergleichsweise günstig herstellen lässt, ist mit teurem hätte. Dann hätte sie neue Formen der Wissenschaftskom- Bewegtbild noch viel weniger zu holen. munikation untersuchen müssen, die ein Millionenpubli- kum erreichen, ohne dass sie bewährten redaktionellen Die Nationalakademie Leopoldina hat 2014 die Studie Kriterien unterliegen würden. Denn auf Youtube & Co. »Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissen- existieren kaum Strukturen, die dafür sorgen, dass zum schaft, Öffentlichkeit und den Medien«, kurz WÖM, veröf- Beispiel die Ausgewogenheit der Darstellung, die kriti- fentlicht (eine zweite Phase konzentriert sich derzeit auf sche Distanz zu Thema und Protagonisten oder auch nur die Sozialen Medien). »Wissenschaft und Journalismus ge- Über Web, Video und Wissenschaft 6 die Korrektheit des Inhalts sichergestellt sind. Nur bei Ge- senschaftsvideos natürlich trotzdem vor. Es geht nicht im- waltdarstellungen und Pornografischem greifen Prozesse, mer nur um Schwarze Löcher und die Echoortung von Fle- die entfernt mit redaktionellen Kriterien zu tun haben. dermäusen, sondern auch um neue Methoden, Gene zu ver- ändern oder dem Klimawandel zu begegnen. Diese The- Folgenschwer ist auch die Tatsache, dass Debatten und men müssen sich aber eben gerade nicht im Debattenkon- Kontroversen – Grundbestandteil demokratischer Mei- text behaupten, stattdessen beschränken sich Filmprodu- nungsbildungsprozesse – im Bewegtformat bislang prak- zenten (und ihre Auftraggeber) meist auf das Bebildern tisch nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. von Fakten – gerne in Kombination mit dem Hinweis, Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Aus Sicht journalis- dass man junge Menschen so an die Wissenschaft heran- tischer Medien ist der Aufwand hoch und wird mit niedri- führe. gen Klickzahlen abgestraft. Aus Sicht der institutionellen Wissenschaftskommunikation wären entsprechende For- Dankbar muss man für das sein, was Stiftungen und zum mate zwar gelegentlich leistbar. Aber welche Presse- oder Teil auch Unternehmen geholfen haben mit auf die Beine Kommunikationsabteilung will schon die eigene Arbeit zu stellen. Die Gerda Henkel Stiftung etwa ließ von Terra- als potenziell konfliktträchtig darstellen? Zu den rühmli- X-Produzent Peter Prestel anspruchsvolle Online-Dokus chen Ausnahmen zählt das Deutsche Primatenzentrum in zu archäologischen Themen produzieren, wie etwa »Die Göttingen, ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, das Schätze der Xiongnu«. Die Robert Bosch Stiftung unter- vor Kurzem die Videoserie »Über Tierversuche sprechen« stützte eine zwölfteilige Reihe von Interviews mit for- ins Netz gestellt hat und sogar Tiere auf dem Seziertisch schenden Frauen, die als »Significant Details« online gin- zeigt. gen . Cassie Williams, Digital Manager der Royal In- stitution in London, setzt nicht nur auf (sehenswerte) Ei- Themen von gesellschaftlicher Relevanz kommen in Wis- Über Web, Video und Wissenschaft 7 genproduktionen, sondern auch darauf, das Beste aus dem Schließlich gibt es auch das schöne Genre der Musikvide- Web zu zeigen (zu ihrem Artikel »Trusted Home Of Online os. Der Large Hadron Rap von Kate McAlpine aus dem Science Video« ). Und der Mischkonzern General Electric Jahr 2008 ist fast schon ein Klassiker. Der Kanadier Tim unterstützte 2012 und 2013 einen weltweiten Wettbewerb, Blais hat das Kunststück vollbracht, die Stringtheorie a zu dem renommierte Dokumentarfilmer aus der ganzen cappella vorzustellen, in einer grandios vorgetragenen Welt einen Drei-Minüter über aktuelle Themen einreichen Parodie des Queen-Songs Bohemian Rhapsody. Der Epic konnten. Dabei lernt man zum Beispiel, dass künstliche Rap Battle zwischen Albert Einstein und Stephen Herzen nicht unbedingt schlagen müssen. Ebenfalls ein se- Hawking bringt es gar auf 100 Millionen Klicks. Wird es henswertes Projekt: 94 Elements. Unterstützt vom British inhaltlich anspruchsvoller, sinkt die Reichweite wieder: Wellcome Trust, sammelt es Kurzfilme zu jedem natürlich Der Zähler von The Fracking Song (My Water's On Fire vorkommenden Element des Periodensystems. Tonight), der recht hörenswert Stimmung gegen die Aus- beutung von Schiefergas macht, steht auf 450.000. Zuweilen kommen auch Filmemacher zu Ehren, die einen eher losen Kontakt zur Wissenschaft haben. Riding light Erwähnt seien darüber hinaus, wenn auch ohne große Be- etwa, das ein Photon beim lichtschnellen Flug von der Er- geisterung, die Angebote deutschsprachiger Tageszeitun- de zu Jupiter zeigt – in Echtzeit –, ist das Werk eines Grafi- gen und Wissenschaftsmagazine, deren Videoangebot The- kers. Natürlich fängt es sich Expertenkritik ein (»Er hätte resa Moebus in einer Umfrage (»Als Print das Filmen lernte« die relativistischen Effekte berücksichtigen müssen!«), ) unter die Lupe genommen hat. Doch wo das Budget auch glänzt es durch ein Maximum an Handlungsarmut, fehlt, darf man den Ausführenden nicht ernsthaft einen wurde im Netz aber zu einem ansehnlichen Erfolg. Vorwurf machen. Dass viele ihr Geschäft beherrschen und ihr Publikum mit innovativen Erzählformen zu beeindru- Über Web, Video und Wissenschaft 8

cken wissen, sieht man dort, wo eine Stiftung nen ihrem Publikum zu bieten haben (»Vorstoß ins Neuland – (Masterclass »Zukunft des Wissenschaftsjournalismus« Webvideos in der Wissenschafts-PR« ). der Robert Bosch Stiftung ), ein Verlag (»Multimediage- Trotz mancher ernüchternder Erkenntnis, zu der er dabei ) oder eine Produktionsfirma schichten aus dem Texthaus« gelangt, ist die Ziehung der Grenzlinien zwischen Wissen- ( ) einfach mal Geld in die Hand ge- »Jenseits von Video« schafts-PR und Journalismus im Bereich wissenschaftli- nommen und ihr Glück versucht haben. Auch wenn es cher Webvideos aber dennoch nur ein Nebenschauplatz, hierbei manchmal nur am Rande um Wissenschaft geht: schließlich werden beide von erfolgreichen Wissen- Ihr Potenzial für Wissenschaftsthemen demonstrieren die schafts-Youtubern geradezu marginalisiert. Dringlicher er- Formate augenfällig, etwa indem sie auf mehreren inhaltli- scheint ein anderes Problem, und es muss institutionelle chen Ebenen unterschiedliche Zugänge zu einem Thema Wissenschaftskommunikatoren ebenso wie Journalisten eröffnen, ihre Zuschauer mit Videos auch emotional an- erschrecken. Youtube nämlich ist ein Eldorado für Ver- sprechen und all dies mit Erklär-Pop-ups und interaktiven schwörungstheoretiker, Impfgegner, Klimawandelleugner Grafiken, zuweilen sogar Spielen anreichern. und alternative Quantenheiler geworden, wie der Ganz eigene Fragen werfen die Videos auf, die von For- Klagenfurter Soziologe Joachim Allgaier schreibt (»Wo Wis- schungseinrichtungen als Teil ihrer Öffentlichkeitsarbeit senschaft auf Populärkultur trifft« ) – zahllose Videos mit für das Netz produziert werden. Können sie tatsächlich als vorgeblich wissenschaftlichem Gehalt finden hier ein gute Wissenschaftskommunikation gelten, oder geht es im klickfreudiges Publikum. Zweifel doch nur um Selbstdarstellung? Philipp Hummel Verhindern kann man das kaum, wohl aber dieser Entwick- hat sich für dieses E-Book aus journalistischer Perspekti- lung etwas entgegensetzen. Dem vorwiegend jüngeren ve angeschaut, was die großen Wissenschaftsorganisatio- Publikum müssen dringend bessere Angebote gemacht Über Web, Video und Wissenschaft 9 werden, verlangt Allgaier, und Franziska von Kempis, die pirischen Studien zum Thema ist sehr überschaubar. Wer mit Youtubern als Multiplikatoren für Bildungsinhalte ar- konsumiert überhaupt Wissenschaftsvideos? Auf welchen beitet (»Über die Influencer zur Zielgruppe« ), schlägt in diesel- Plattformen tut er das? Wie verändern die kurzen Clips be Kerbe: Ihr zufolge sind »gemeinnützige Institutionen, das Mediennutzungsverhalten? Welches Bild von Wissen- Stiftungen oder auch staatliche Akteure immer mehr gefor- schaft transportieren sie? Halten Erklärvideos, auch Ex- dert ..., im Netz mit Wissensthemen präsent zu sein«. Bis- plainer genannt, was sie in ihrem Namen versprechen? lang hätten sie dieses Feld aber noch kaum besetzt. Wie sehr verkommt Wissenschaft auf Youtube zum Unter- haltungsthema, statt als eminent wichtiger Faktor für die Unklar ist auch, wie groß das Problem eigentlich ist. Was Weiterentwicklung unserer Gesellschaft wahrgenommen genau bedeutet es, wenn viele junge Menschen weder die zu werden? Forschungsbedarf, wohin man sieht. Wissenschaftsseiten der Qualitätszeitungen noch die popu- lärwissenschaftlichen Magazine kennen, sondern auf Erfreulich ist daher, dass im deutschsprachigen Raum mitt- Youtube sozialisiert wurden und darum die dort angebote- lerweile medienwissenschaftliche Konferenzen stattfin- nen Wissenschaftsvideos für das Ganze nehmen? Fracking den, die – unter anderem – das Wissenschaftsvideo im und den LHC kennen sie dann in erster Linie als coole Blick haben. Zum Beispiel organisierten Thomas Metten Songs, CRISPR-Cas9 meint Cut and Paste im Genalpha- von der Universität Koblenz-Landau sowie Philipp Nie- bet, das – upps! – manchmal Monster produziert, und mann, Claudia Pinkas-Thompson und Timo Rouget vom Schwarze Löcher sind ein Kuriosum, in das man nicht hi- Karlsruher Institut für Technologie (die in diesem E-Book neinfallen sollte, wenn aber doch, gelangt man vielleicht auch mit ihrem Artikel »Was zeichnet eigentlich ein wissen- in ein Paralleluniversum. schaftliches Webvideo aus?« vertreten sind) im Juni 2015 Belastbare Daten hat allerdings niemand, die Zahl der em- die Konferenz »Wissen in Bewegung«. Im September folg- Über Web, Video und Wissenschaft 10 te in Klagenfurt die »International Conference on Science, wenn der Astrophysiker von der LMU München im Netz Research and Popular Culture«, organisiert von dem be- nur altbekannte TV-Formate reproduziert. reits erwähnten Joachim Allgaier und von Hauke Riesch Regelrecht fasziniert hat uns aber das erstaunliche »Pro- von der Brunel University London. Unter anderem stellten ject Rewalk« von Grégoire Courtine (Interview »Offene La- dort Jesús Muñoz Morcillo und seine Koautoren ihre »Ty- bortüren – Forschen unter dem Blick der Kamera« ). Der Profes- pologies of the Web Video« vor, die sie sor an der École polytechnique fédérale de Lausanne hier instruktiv zusammenfassen (»Eine Typologie der Wissen- (EPFL) realisiert gemeinsam mit einem Dokumentarfil- schaftskommunikation auf Youtube & Co.« ). mer, mit dem ihn ein stabiles Vertrauensverhältnis verbin- Im Mai 2016 steht im Rahmen der Grazer »STS Confe- det, ein sehenswertes Videoprojekt. Dabei geht es um rence – Critical Issues in Science, Technology and Society nichts Geringeres als die Frage, ob Lebewesen mit geschä- Studies« zudem das Panel »The Role of Webvideos in digtem Rückenmarksgewebe wieder zum Laufen verhol- Science and Research Communication« an, geleitet von fen werden kann. Joachim Allgaier sowie von Andrea Geipel von der Techni- Keine Frage: Neue technische Möglichkeiten, Bewegtbild- schen Universität München. formate zu produzieren und zu verbreiten, haben kreative Wünschenswert wäre auch ein genauerer Blick auf den Ty- Potenziale allerorten freigesetzt, etliche neuartige Formate pus des Forschers, der das Medium Video aktiv zu Kom- entstehen lassen und ein Millionenpublikum für wissen- munikationszwecken nutzt. Man denke etwa an Hans Ros- schaftliche Themen gewonnen. Doch gerade die Wissen- ling, den schwedischen Mediziner und Statistiker, an den schaftskommunikation sollte beim Bewegtbild nicht ste- Stringtheoretiker Brian Greene von der New Yorker Co- hen bleiben. Schließlich ist das Netz nicht nur Abspielstät- lumbia University und natürlich an Harald Lesch, auch te für Videos, sondern weitaus mehr, nämlich eine Über Web, Video und Wissenschaft 11

Plattform für crossmediale Formate, in denen sich Au- LINKS dio, Video, Text und Interaktivität im Verbund mit neuar- tiger Hardware zu völlig neuen Erfahrungswelten kombi- Veritasium | Youtube-Kanal nieren lassen. Wo ist der immersive 3-D-Globus, auf dem der Nutzer die Folgen des Klimawandels erleben Brady Haran | Filmemacher kann? Wo sind die digitalen Welten, die uns in die Tun- nel des Large Hadron Collider oder auf Plutos Eiswüs- Vi Hart | Youtube-Kanal ten entführen? Und wo ist das begehbare virtuelle Ge- hirn, das sich dem Nutzer selbst erklärt? KurzgesagtDE | Youtube-Kanal Doch das ist Zukunftsmusik. Bedeutender als alle techni- schen Avanciertheiten ist erst einmal die Frage, wie das 100SekundenPhysik | Youtube-Kanal publikumsträchtige Medium Wissenschaftsvideo seinen Teil zu demokratischen Meinungsbildungsprozessen bei- Clixoom | Youtube-Kanal tragen kann. Auf Youtube jedenfalls, von wo die kom- mende Generation derzeit ihre Informationen und Bil- TED | Youtube-Kanal dungsschnipsel bezieht, hat die Wissenschaft noch lange nicht genug zu bieten. NASAtelevision | Youtube-Kanal

. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt | Thilo Körkel und Kerstin Hoppenhaus Youtube-Kanal Heidelberg und Berlin, März 2016

Max-Planck-Gesellschaft | Youtube-Kanal Über Web, Video und Wissenschaft 12

sem Buch mehrfach genannt ist. Einige der SciViews-Me- Offenlegung / Erklärung zu möglichen dienpartner, wie sie auf SciViews.de im Menü Partnerka- Interessenskonflikten näle aufgeführt sind, finden im Folgenden ebenfalls Er- Die Herausgeber stehen zu einigen Unternehmen, Projek- wähnung. ten und Medienangeboten, die in den folgenden Texten Er- Thilo Körkel ist, wie im Kapitel »Was zeichnet eigentlich wähnung finden, in Beziehung, ebenso die Robert Bosch ein wissenschaftliches Webvideo aus?« beschrieben, der- Stiftung, die dieses E-Book finanziell unterstützt. jenige »Mitarbeiter des Spektrum-Verlags«, der eine deut- An denjenigen Stellen des vorliegenden E-Books, wo uns sche Fassung des Nature-Videos »Bat Sense« erstellt hat. ein entsprechender Hinweis besonders angebracht er- Die Herausgeberin Kerstin Hoppenhaus ist Freiberuflerin scheint, verweist darum das Icon auf diese Offenle- und hat die im Folgenden mehrfach genannte Videoreihe gung. »Significant Details« produziert. Für das Helmholtz-Zen- Der Herausgeber Thilo Körkel ist Angestellter von Spek- trum Berlin hat sie unter anderem das Video »BESSY trum der Wissenschaft und hat die Arbeit an diesem Buch VSR – The Art of Squeezing Electrons« produziert. zum Teil im Rahmen seiner Arbeitszeit durchgeführt. Der Die Robert Bosch Stiftung hat dem Verlag Spektrum der im Folgenden mehrfach erwähnte Verlag gehört ebenso Wissenschaft für dieses E-Book eine finanzielle Förde- wie das Fachjournal Nature und das populärwissenschaftli- rung im Rahmen ihres Programms »Neue Wege im Wis- che Magazin Scientific American zu dem Unternehmen senschaftsjournalismus« gewährt. Sie unterstützte auch Springer Nature. die Produktion der »Significant-Details«-Reihe, ebenso Thilo Körkel ist bei Spektrum der Wissenschaft zudem für wie das »WissensARTen«-Projekt der FAZ und die das Videoportal SciViews.de verantwortlich, das in die- »Masterclass Zukunft des Wissenschaftsjournalismus«. Über Web, Video und Wissenschaft 13

Theresa Moebus, Autorin des Beitrags »Als Print das Fil- Danksagung men lernte«, ist zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses E- Books freie Mitarbeiterin von SciViews.de. Ihren Beitrag Damit dieses E-Book entstehen konnte, mussten einige verfasste sie, bevor sie für SciViews zu arbeiten begann. glückliche Umstände zusammenkommen. Doch vor allem musste ein Anfang gemacht werden: Unser erster großer Philipp Hummel, Autor der Beiträge »Vorstoß ins Neu- Dank für die Idee, diesem Thema eine digitale Veröffentli- land« und »Eingerissene Mauern«, ist zum Zeitpunkt des chung zu widmen, geht darum an Arvid Leyh. Erscheinens dieses E-Books als freier Journalist für die Re- daktion von Spektrum.de tätig, dem Online-Auftritt des Ebenso sehr danken wir Verlags Spektrum der Wissenschaft. Seine Beiträge ver- der Robert Bosch Stiftung, die das Projekt im Rahmen ih- fasste er, bevor er diese Tätigkeit aufnahm. res Programms »Neue Wege im Wissenschaftsjournalis- mus« großzügig förderte, und dort insbesondere Patrick Klügel, auf dessen Unterstützung das Projekt von Anfang an zählen konnte,

den Autoren für ihre großartigen Manuskripte, für ihre Be- reitschaft, auch ausführliche Nachfragen zu beantworten, und für ihre Geduld, mit der sie den Entstehungsprozess begleiteten, Über Web, Video und Wissenschaft 14 den Interviewpartnern, die über außergewöhnliche Projek- Diskussionsseite te berichten konnten und uns freimütig Auskunft gaben, Auf Spektrum.de haben wir zu diesem E-Book die Seite Regina Huber für Gestaltung und technische Umsetzung www.spektrum.de/s/web-video-wissenschaft eingerichtet. dieses E-Books, bei der sie mancherlei Herausforderung bewältigte, und Als -Hashtag schlagen wir #WVWiss vor.

Christina Meyberg, die für die Schlussredaktion verant- wortlich war und dabei einerseits die strengen Maßstäbe von Spektrum der Wissenschaft zu Grunde legte, sie aber andererseits – zu unserer Erleichterung – freier als ge- wöhnlich interpretierte. MEDIENWISSENSCHAFT WO WISSENSCHAFT AUF 1 POPULÄRKULTUR TRIFFT

Weil auf Videoportalen kaum redaktionelle Mechanismen grei- Sieht man sich die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers fen, handelt es sich bei Youtube & Co. um Eldorados für Ver- 2015 an, einer von der gemeinnützigen Organisation schwörungstheoretiker, Impfgegner und Leugner des Klima- Wissenschaft im Dialog durchgeführten repräsentativen wandels. Noch setzen die etablierten wissenschaftlichen Ein- Meinungsumfrage zum Thema Wissenschaft und Gesell- richtungen dieser Entwicklung wenig entgegen. schaft, ist die Befundlage ziemlich eindeutig. Über zwei Drittel (69 Prozent) der befragten jungen Leute zwischen 14 und 29 Jahren geben an, sich auf Youtube oder ähnli- Von Joachim Allgaier chen Videoplattformen über Wissenschaft und For- schung zu informieren. Bei den 30- bis 39-Jährigen tun 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 16

dies ebenfalls mehr als die Hälfte (55 Prozent), bei den Youtubers LeFloid, in dem es etwa um Supercomputer aus 40- bis 49-Jährigen immerhin fast die Hälfte (46 Prozent). Affenhirnen? geht, findet dagegen weit über eine Million Außerdem wissen wir, dass Youtube in vielen Ländern zu Zuschauer, wobei noch deutlich höhere Views-Zahlen für den beliebtesten Internetseiten gehört. seine Videos keine Seltenheit sind.

Dass Wissenschaftsthemen auf Youtube nachgefragt wer- Plattformen wie Youtube oder Vimeo sind keine geordne- den, erklärt sich wohl vor allem auch dadurch, dass audio- ten oder nach inhaltlichen Maßstäben kuratierten Bewegt- visuell aufgearbeitete und unterhaltsam präsentierte The- bildarchive, sondern in der Regel kommerzielle Unterfan- men für viele Menschen zugänglicher sind als die glei- gen. Die Betreiber stellen eine technische Infrastruktur be- chen Informationen in Textform. Das Problem ist jedoch: reit und leben von dem, was die Benutzer daraus machen. Man weiß es nicht so genau. Ebenso wenig weiß man, Diese laden Inhalte nach Gutdünken hoch und kategorisie- was genau die Nutzerinnen und Nutzer sich eigentlich an- ren und verschlagworten sie, wie es ihnen gefällt. Es gibt geschaut haben, wenn sie meinen, auf Videoplattformen keine Redaktionen oder andere Gremien, die sich die In- über Wissenschaft und Forschung informiert worden zu halte ansehen und dann über ihre Veröffentlichung ent- sein. So verirren sich nur die wenigsten jugendlichen User scheiden. Nur bei groben Verstößen gegen die allgemei- auf die Websites oder Youtube-Kanäle der wissenschaftli- nen Nutzungsbedingungen der Portale – vor allem bei Vi- chen Organisationen. Das kann man sich zum Beispiel an deos, die Gewalt und Pornografie zeigen – schreiten die der Youtube-Playlist DFG Science TV der Deutschen For- Betreiber ein. schungsgemeinschaft klarmachen: Sie enthält etliche Vide- Dies hat zur Folge, dass Inhalte und Formate der auf den os, die im Verlauf von sechs Jahren nicht einmal vierstelli- Portalen geposteten Videos in ihrer Gesamtheit höchst viel- ge Zugriffszahlen erreicht haben. Ein Video des beliebten fältig sind. Dies gilt auch für Wissenschaftsvideos: Ein 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 17

Suchbegriff wie etwa »Evolution« kann auf Youtube span- Bürger eher verwirrend und unzugänglich sind. Suchte nende akademische Vorträge, besten Wissenschaftsjourna- man nun auf Youtube nach Kombinationen der Begriffe limus oder kreative Erklärvideos zum Vorschein bringen. HCB, Görtschitztal und Blaukalk, fand man als meistgese- Genauso gut können einem aber auch Schnipsel aus dämli- henes Video einen Beitrag des Kärntner Kabarettisten Petut- chen Unterhaltungsprogrammen, nervtötende Heimvide- schnig Hons , der die lokale Regierung wegen ihres Versa- os, alberne Werbeclips oder andere popkulturelle Darbie- gens durch den Kakao zog, gefolgt von einer Parodie, in tungen in Videoform nahegelegt werden. Auf diese Weise der die Band Jesus Bites Reloaded einen 80er-Jahre-Hit erscheint Wissenschaft auf Youtube häufig als Teil der der Spider Murphy Gang auf Skandal um Blaukalk umdich- Popkultur beziehungsweise vermischt sich mit ihr. tete – was zwar originell, aber wissenschaftlich nicht sehr Ein erhellendes Fallbeispiel ist eine wissenschaftlich-ge- erhellend war. sellschaftliche Kontroverse, die ab November 2014 eine Des Weiteren fanden sich unzählige Videos über Bürger- kleine Region in Kärnten in Atem hielt. Beim so genann- versammlungen und diverse Stellungnahmen zu der Fra- ten HCB-Skandal im Görtschitztal ging es um die Freiset- ge, wie sehr die Menschen im Görtschitztal unter der Kri- zung von für Menschen potenziell gefährlichem He- se leiden. Nur eine sehr kleine Anzahl von Videos ging xachlorbenzol (HCB), nachdem das lokale Zementwerk aber darauf ein, was HCB eigentlich ist, wie es wirkt und belasteten Blaukalk bei zu niedrigen Temperaturen ver- warum es gefährlich sein kann. Im Fall des HCB-Skan- brannt hatte. Wie oft bei derartigen Kontroversen spielten dals konnte man sich via Youtube also über ein (auch) wis- hier vor allem wissenschaftliche Expertisen, Fragen von senschaftliches Thema informieren, ohne dass man wirk- Grenz- und Belastungswerten und weitere Daten und Mes- lich wissenschaftliche Fakten erfahren hätte. sungen eine Rolle; Dinge, die für viele Bürgerinnen und 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 18

Die Suche nach Themen aus Wissenschaft und Forschung schaft auf Youtube: Das Videoportal ist eines der am we- auf Youtube birgt weitere Schwierigkeiten. So tritt hier, nigsten erforschten sozialen Internetmedien. Unter wie bei vielen anderen Suchmaschinen auch, das allge- anderem ist es gerade die erwähnte Personalisierung der mein bekannte Problem der Filterblase auf (wie es zum Such-ergebnisse, die es schwierig macht, Inhalte auf Beispiel der Autor und Netzkritiker Eli Pariser in seinem Youtube überhaupt systematisch zu untersuchen. sehenswerten TED-Vortrag Beware online »filter bubbles« Es scheint nämlich, dass diese Personalisierung selbst beschreibt). Es besagt, dass Nutzer unter Umständen unter- dann erfolgt, wenn man Youtube nutzt, ohne als Benutzer schiedliche Ergebnisse sehen, auch wenn sie dieselben Be- angemeldet zu sein. Im Kollegenkreis suchten wir testwei- griffe in die Youtube-Suchmaske eingeben. Grund dafür se mit unterschiedlichen Geräten nach denselben Begrif- ist, dass die Algorithmen von Youtube bei der Auswahl fen auf Youtube, ohne eingeloggt zu sein, und erhielten der angezeigten Suchergebnisse das bisherige Surfverhal- dennoch unterschiedliche Ergebnisse. Wenn also bereits ten des Nutzers berücksichtigen. Wer hauptsächlich Strick- unterschiedliche IP-Adressen zu unterschiedlichen Ergeb- videos ansieht, wird wahrscheinlich mehr Strickvideos an- nissen führen – wie soll man dann ein objektives Bild da- gezeigt bekommen; wer viele Kochvideos ansieht, dem von bekommen, was auf Youtube genau zu finden ist? werden in der Regel mehr Videos zum Thema Kochen und Essen vorgeschlagen. Der Nutzer bewegt sich infolge Ebenso wenig weiß man, wie die Nutzer überhaupt zu den dieser personalisierten Suche also in einer Blase, die ande- Webvideos gelangen. Vielleicht wurde ihnen ein Link per re Themen tendenziell ausschließt. E-Mail zugeschickt, vielleicht fanden sie das Video einge- bettet in einen Blog oder verlinkt auf Twitter oder Face- Von kommunikationswissenschaftlicher Seite weiß man book. Vielleicht wurde es aber auch in einem journalisti- bislang allerdings fast nichts über das Thema Wissen- schen Beitrag erwähnt oder auf einer beliebten Homepage 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 19 verlinkt. Die verschiedenen Routen können Auswirkungen Die Situation wäre einfacher und viele Probleme wären ge- darauf haben, wie glaubwürdig ein Webvideo seinem löst, wenn Wissenschaftler und wissenschaftliche Organisa- Betrachter erscheint. Folgt man beispielsweise einem tionen auf Youtube mit ihren Themen präsenter wären. Link zu einem Video, den man auf einer renommierten Doch viele von ihnen sind – wenn überhaupt – nur spora- wissenschaftsjournalistischen Seite findet, wird die wissen- disch auf Videoplattformen vertreten. (Selbstverständlich schaftliche Stichhaltigkeit und Glaubwürdigkeit dieses Vi- gibt es auch glänzende Ausnahmen, etwa die zum Teil sehr deos wahrscheinlich anders wahrgenommen, als wenn der innovativen und originellen Videos des Helmholtz-Zen- Link von einem Boulevardmedium stammt. Bislang ist je- trums Berlin wie BESSY VSR – The Art of Squeezing Electrons doch auch die Rezeption von Wissenschaftsvideos und ). -themen auf Videoportalen weitgehend unerforscht. Das führt dazu, dass – wie im Fall des HCB-Skandals – Schließlich weiß man auch sehr wenig darüber, wer eigent- unter Umständen zu bestimmten Themen keinerlei Youtu- lich welche Art von Inhalten produziert und auf Youtube be-Videos zu finden sind, die sachliche und fundierte Infor- verbreitet und welche Absichten er damit verfolgt. Es ist mation bieten. Doch selbst wenn es mehr von ihnen gäbe, derzeit sicherlich eines der größten Probleme für die öf- bliebe die Filterblasenproblematik bestehen: User, die in fentliche Wissenschaftskommunikation, dass sehr viele In- der Regel keine Wissenschaftsvideos ansehen, würden ent- ternetnutzer nicht in der Lage sind, die Glaub- und Vertrau- sprechende Ergebnisse – wenn sie doch einmal nach einem enswürdigkeit von Webvideos auf Youtube richtig einzu- wissenschaftlichen Begriff suchen – vielleicht gar nicht zu schätzen, vor allem dann, wenn deren Protagonisten über- Gesicht bekommen. zeugend vorgeben, die wissenschaftliche Expertise auf ih- In der bislang sehr dünnen Forschungsliteratur zum The- rer Seite zu haben. ma wird darum immer wieder gefordert, dass die autoritati- 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 20 ven Wissenschafts- und Gesundheitskommunikatoren das heiler, Anhänger der germanischen Medizin, Leugner des Kommunikationsmedium Webvideo ernster nehmen und Klimawandels, Kreationisten und viele weitere, die vorge- auf Videoportalen aktiv sein müssen, wenn sie die Bevöl- ben, wissenschaftliche Wahrheiten auf ihrer Seite zu ha- kerung erreichen und aufklären wollen. Denn wenn sie es ben, ohne dass sie in der wissenschaftlichen Debatte, wie nicht tun, so die Behauptung, werden andere das Feld be- sie etwa in Fachjournalen stattfindet, bestehen könnten. setzen. Und genau das scheint bereits passiert zu sein. Viele von ihnen kopieren und imitieren wissenschaftliche Kommunikation, gründen angeblich wissenschaftliche In- Sucht man beispielsweise auf Youtube nach den Begriffen stitute, Kliniken und andere Organisationen und geben Climate Engineering oder Geoengineering – Verfahren, sich als wissenschaftliche Koryphäen zu den von ihnen be- die in der Wissenschaft als mögliche technische Lösungen spielten Themen aus, die sie jedoch in Wirklichkeit nicht dafür diskutiert werden, den Klimawandel und seine Fol- sind. gen abzumildern oder zu verhindern –, findet man nur sehr wenige ernst zu nehmende wissenschaftliche Webvi- Dieses Phänomen wurde in einzelnen Fällen bereits syste- deos zum Thema. Stattdessen stößt man auf jede Menge matisch untersucht. Bei einer Studie zum Thema »Science kruder Verschwörungstheorien, die mit der wissenschaftli- and Medicine on Youtube« (Allgaier ), die 2016 erschei- chen Debatte praktisch nichts zu tun haben. nen wird und für die ich unter anderem die Forschung über die Darstellung des Themas Impfung auf Youtube zu- In diesem Match zwischen Verschwörungstheoretikern sammengefasst habe, zeigte sich zum einen, dass ein Groß- und Wissenschaftlern steht es längst 1 zu 0. Wegen des teil der auf dem Portal verfügbaren Information dem wis- Fehlens redaktioneller Prüfungen handelt es sich bei Vi- senschaftlichen Konsens widerspricht, und dass zum ande- deoportalen wie Youtube de facto um Eldorados für Ver- ren diejenigen Videos, die vom gesicherten medizinischen schwörungstheoretiker, Impfgegner, alternative Quanten- 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 21

Wissen abweichen, auch die meisten Beifallsbekundungen wird. Die Qualität der »Meinungsfreiheit«, die auf einem (»Likes«) durch die User bekommen haben. Portal herrscht, bemessen die Autoren an der Möglichkei- ten für Laien, Inhalte dort ungeprüft verbreiten zu können, Für ihre in der Fachzeitschrift Vaccine veröffentlichte Unter- und an der Wahrscheinlichkeit, dass die geposteten Inhalte suchung »Greater freedom of speech on Web 2.0 correlates online bleiben, statt von anderen Usern – wie etwa den Au- with dominance of views linking vaccines to autism« (Ven- toren der Wikipedia – unter Umständen wieder entfernt zu katraman et al. 2015 ) haben die in den USA tätigen Me- werden. dizinforscher Anand Venkatraman, Neetika Garg und Ni- lay Kumar Internetseiten zu medizinischen Themen da- Kreationisten, Impfgegner, Leugner des Klimawandels rauf hin untersucht, ob dort behauptet wird, dass und viele weitere Akteure, deren Botschaften wissenschaft- Masernimpfungen Autismus auslösen – eine Aussage, die lichen Sichtweisen entgegenstehen, sind oftmals finanziell von wissenschaftlicher Seite nicht bestätigt wird. Die Au- sehr gut ausgestattet, zum Beispiel dank Spenden oder toren kommen zu dem Ergebnis, dass Youtube im Ver- Sponsoren aus der Industrie. Dadurch können sie es sich gleich zu Google, Wikipedia und der medizinischen Daten- leisten, hochwertige kreative Dienstleistungen einzukau- bank PubMed die meisten Ergebnisse bereithält, die vom fen und zum Teil aufwändige Kampagnen durchzuführen. wissenschaftlichen Konsens abweichen und von Oft verstehen es diese Akteure auch hervorragend, Pseudo- Internetusern auch tatsächlich angesehen und zu Rate ge- wissenschaft als Spitzenforschung darzustellen und dabei zogen werden. popkulturelle Formate zu nutzen.

Dieser Umstand steht ihnen zufolge in einem eindeutigen Auf Youtube findet sich eine ganze Reihe von inszenier- Zusammenhang damit, dass Youtube von vielen Nutzern ten Nachrichtensendungen, Vorträgen, Animationen, aber als Ort besonders »freier Meinungsäußerung« aufgefasst auch Parodien, reißerische Dokumentationen und sogar 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 22

Musikvideos (über letztere habe ich im Beitrag »Fatboy heitskommunikatoren der Zukunft werden sich deshalb Slim und die Evolutionstheorie: Ein Blick auf Wissen- wohl oder übel auch mit popkulturellen Formaten und ins- schaft in Musikvideos« berichtet), die die konventionel- besondere mit der Nutzung von Webvideos beschäftigen len Wissenschaften auf unterschiedliche Art und Weise an- müssen, wenn sie mithalten und die Bevölkerung errei- greifen und den aktuellen wissenschaftlichen Wissens- chen wollen. Offensichtlich sind wir aber noch nicht so stand in Zweifel ziehen. Oft rufen sie ihre Anhänger auch weit. Eines von vielen ernüchternden Beispielen ist die zur Verbreitung und Multiplikation von Inhalten auf Porta- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), len wie Youtube auf – beispielsweise gibt das CreationWiki die immerhin einen eigenen Youtube-Kanal betreibt, auf ausführliche Hinweise, wie Kreationisten ihre Bot- diesem aber im Jahr 2010 zum letzten Mal ein Video ver- schaft am effektivsten unter das Volk bringen können – öffentlicht hat. oder machen sich geschickt die große Gefolgschaft von Zum Glück jedoch gibt es sehr viele interessante Wissen- Prominenten zu Nutze, die sie auf ihre Seite gezogen ha- schaftskanäle, vor allem in den USA, die ohne Anbindung ben. an eine wissenschaftliche Institution kreativ und kompe- Auf die Frage, wie der Nutzer die Glaubwürdigkeit derarti- tent wissenschaftliche Themen und Fakten vermitteln und ger Webvideos abschätzen kann, gibt es keine einfache eine große Gefolgschaft aufweisen. Ein Blogpost auf den Antwort. Klar erscheint jedoch, dass Akteure aus dem Um- Seiten des US-Wissenschaftsmagazins Scientific Ameri- feld der Wissenschaft unseriösen Gestalten auf Informati- can stellte im Juli 2015 fest, dass die amerikanischen Sci- onskanälen wie Youtube eigene Positionen entgegensetzen ence-Youtuber schon wesentlich mehr junge Menschen er- müssen und dass sie ihnen dieses einflussreiche Feld auf reicht haben als die bisher beliebtesten Fernsehwissen- keinen Fall überlassen dürfen. Wissenschafts- und Gesund- schaftler Carl Sagan und Neil deGrasse Tyson zusammen. 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 23

Science-Youtubern gelingt, woran viele institutionelle Wis- und von Amateuren betriebenen Youtube-Kanälen zum senschaftskanäle scheitern. Ihre Youtube-Kanäle werden Thema Wissenschaft. Professionelle Wissenschaftskanäle von ihren Zusehern abonniert, sodass diese immer sofort werden hier als Erweiterung kommerzieller Medienange- darüber informiert sind, sobald ein neues Video veröffent- bote etwa von Fernsehsendern definiert, die im Gegensatz licht wurde. Will man irgendwann von seinen Videos auf zu den Amateuren über einen oft wesentlich größeren fi- Youtube leben können – eine Reihe erfolgreicher Youtu- nanziellen Spielraum und über bessere technische Infra- ber tut dies bereits –, ist es wichtig, dass möglichst viele struktur verfügen. Nichtsdestotrotz kommen die beiden Abonnenten die jeweils neuen Webvideos ansehen, kom- Autoren zu dem Schluss, dass Kanäle von Amateuren we- mentieren, weiterleiten und Freunden empfehlen, so dass sentlich öfter abonniert und ihre Videos öfter angesehen schließlich hohe Abrufzahlen erreicht werden. werden als die von Wissenschaftskommunikatoren, die in- stitutionell gebunden sind. Des Weiteren spielt auch eine Die beiden australischen Kommunikationsforscher Dustin Rolle, ob ein Moderator – möglichst immer derselbe – als J. Welbourne und Will J. Grant gehören zu den wenigen menschliches Aushängeschild präsent ist. Forschern, die Wissenschaftsvideos auf Youtube systema- tisch untersucht haben. In ihrer kürzlich erschienenen Stu- Darüber hinaus glänzen Welbourne und Grant zufolge die die » on Youtube: Factors that af- erfolgreichsten Youtuber dadurch, dass sie es verstehen, fect channel and video popularity« (Welbourne/Grant im Videokurzformat kreativ und authentisch Geschichten 2015 , hier auf theconversation.com zusammengefasst) über Wissenschaft zu erzählen, die zugleich unterhaltsam, untersuchen sie, welche Faktoren dazu führen, dass Wis- informativ und natürlich faktisch korrekt sind. Sie bege- senschaftsvideos und -kanäle beim Publikum gut ankom- hen auch nicht den Fehler, Youtube lediglich als techni- men. Dabei unterscheiden sie zwischen professionellen sche Infrastruktur zu sehen, über die man hin und wieder 1 WO WISSENSCHAFT AUF POPULÄRKULTUR TRIFFT 24

Videobeiträge veröffentlicht, sondern nehmen das Vi- VIDEO-TIPPS VON JOACHIM ALLGAIER deoportal als soziales Netzwerk wahr, in dem die Gren- zen zwischen Medienproduzenten und Medienkonsu- menten zunehmend verschwimmen. LITERATUR Ist ein Video erst einmal veröffentlicht, ist die Arbeit also keineswegs getan. Es gilt dann zum Beispiel, auf Allgaier, J.: Science and Medicine on Youtube. In: Hunsin- die unzähligen Kommentare zu reagieren, Fragen zu ger, J., Klastrup, L. und Allen, M. (Hrsg.): International beantworten und Unklarheiten richtigzustellen, auf Kri- Handbook of Internet Research Volume 2. Springer, tik zu reagieren oder Fakten zu ergänzen. Die Beliebt- Dordrecht 2016. heit, Glaubwürdigkeit und Authentizität der erfolg- Allgaier, J.: Fatboy Slim und die Evolutionstheorie: reichsten Youtuber beruht insbesondere auch auf dieser Ein Blick auf Wissenschaft in Musikvideos. In: Telepolis, Art von Verfügbarkeit und Dialogbereitschaft. 13. Januar 2013. www.heise.de/tp/artikel/.../ Vielleicht sollten sich die professionellen Wissen- schaftsorganisationen von diesen zum Teil sehr erfolg- Allgaier, J.: Science on YouTube: What users find when reichen Amateuren die eine oder andere Scheibe ab- they search for climate science and climate manipulation. schneiden, sie vielleicht auch gelegentlich als Gäste Online-Preprint. .org/abs/1602.02692 , 8. Februar einladen. Möglicherweise erschließen sie auf diese 2016. Peer-Review-Veröffentlichung in Vorbereitung Weise sogar die zuweilen riesigen Gefolgschaften der Youtuber als neue Zielgruppen. Venkatraman, A., Garg, N., Kumar, N.: Greater freedom of speech on Web 2.0 correlates with dominance of views linking vaccines to autism. In: Vaccine, Volume 33, Issue 12, S. 1422-1425, 2015. dx.doi.org/10.1016/.../ (€) VIDEOPRODUKTION FÜR YOUTUBE DIE ERFOLGSFAKTOREN 2 FÜR ONLINE-VIDEO

Der Trend zu nichtlinearen Bewegtbildangeboten ist Seit einigen Jahren gewinnt Online-Video immer mehr unaufhaltsam. Wer mit Online-Videos erfolgreich sein will, an Bedeutung. Eine ganze Generation sieht kaum noch muss allerdings die Regeln des Netzes beherrschen – fern, sondern sucht und findet ihre Inhalte on demand im vor allem die der sozialen Medien. Web – etwa auf Youtube, in den Mediatheken der Fern- sehsender oder bei Abonnementangeboten wie . Gleichzeitig werden die Zuschauer immer jünger. Eltern setzen ihre dreijährigen Kinder vor Tablets, um sie zu be- schäftigen. Für die Generation der ab Sechsjährigen Von Christoph Krachten passt nur Online-Video noch in ihren von den sozialen 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 26

Medien bestimmten Tagesablauf. Zu Twitter, Facebook, stark davon ab, ob es gelang, das Zielpublikum zu einem Snapchat und WhatsApp bildet nichtlineares Video die per- bestimmten Zeitpunkt vor dem Fernseher zu versammeln, fekte Ergänzung: Es kann zu beliebigen Tageszeiten ge- entfallen solche zeitlichen und örtlichen Abhängigkeiten teilt, diskutiert und empfohlen werden und ist so nun – damit sind Chancen für neues Programm entstanden Bestandteil einer multimedialen Lebenswelt. und damit auch neue Zielgruppen.

Online-Video hat aber auch für alle anderen Zuschauer ei- Zwar müssen auch Online-Anbieter Marketingmaßnah- nen entscheidenden Vorteil gegenüber herkömmlichem men ergreifen, um potenzielle ZuschauerInnen auf ihre In- Fernsehen: Zu jeder Zeit, an nahezu jedem Ort können sie halte aufmerksam zu machen. Durch die sozialen Medien genau die Inhalte sehen, die sie gerne sehen möchten. haben sich die Rahmenbedingungen dafür aber grundle- Denn neue Technologien erlauben den Onlinezugang an gend verändert: Für die Verbreitung auf Twitter, Face- immer mehr Orten, flache Displays ermöglichen den Bau book, Instagram und anderen Plattformen spielen Fernseh- unzähliger Endgeräte in nahezu jeder Größe. Ob in der sender keine Rolle mehr – sie haben ihre Doorkeeper- Straßenbahn, auf dem Schulhof, auf der Reise ins Urlaubs- Funktion verloren. Jede und jeder kann sein Publikum di- land, zuhause am Schreibtisch oder im Wohnzimmer: Onli- rekt ansprechen und über die sozialen Medien Reichwei- ne-Video steht überall zur Verfügung. ten erzeugen.

Für die Anbieter von Inhalten hat diese Entwicklung um- Darüber hinaus bietet die Online-Videowelt einen weite- fassende Konsequenzen. Jeder Produzent, jede Produzen- ren entscheidenden Vorteil für InhalteproduzentInnen: tin hat jetzt die Möglichkeit, zumindest im Prinzip, jedes Wer relevanten Content bereitstellt, wird durch sein schon Individuum in einer ganz spezifischen Zielgruppe zu errei- gewonnenes Publikum neues Publikum erreichen. Denn chen. Hing die Zahl der ZuschauerInnen vorher extrem Online-Video stößt auf Zuschauer, die aktiv mit Inhalten 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 27 umgehen. Gefällt ihnen ein Inhalt, dann klicken sie auf Zielgruppe. Clixoom-ZuschauerInnen sind, so sagen es den »Gefällt mir«-Button bei Facebook oder teilen ihn auf die von Youtube bereitgestellten Statistiken, zwischen 18 Twitter – so verbreitet er sich weiter. und 34 Jahre alt und liegen damit deutlich über dem Youtu- be-Durchschnitt. Auf Portalen wie Youtube ist ein noch sehr junges Publi- kum aktiv, die meisten Nutzer sind zwischen 8 und 25 Jah- Allerdings muss sich auch Clixoom am Alter des jüngeren re alt. Zunehmend konsumiert aber auch älteres Publikum Youtube-Publikums orientieren und Themen behandeln, regelmäßig Online-Video-Inhalte, wie sich an den Nutzer- die in dieser Zielgruppe eine große Rolle spielen. So sind zahlen etwa von Netflix oder den Mediatheken der priva- Videos besonders erfolgreich, die sich aus wissenschaftli- ten und öffentlich-rechtlichen Sender ablesen lässt. Die cher Sicht mit Pubertät, Dating, Sexualität und anderen ju- Prognose ist erlaubt: Was man auf Abruf anschauen kann, gendnahen Themen beschäftigen. Trotzdem erzielen auch wird man in Zukunft auch nur noch auf Abruf anschauen. Beiträge mit so komplexen Themen wie der Relativitäts- Die Vorteile der zeit- und ortsunabhängigen Nutzung sind theorie hohe View-Zahlen, wenn sie didaktisch aufgearbei- so erheblich, dass schon in fünf bis zehn Jahren alle Alters- tet sind und gut präsentiert werden. gruppen Bewegtbildinhalte auf diese Weise konsumieren Die Bedingung für den Erfolg ist dabei stets, dass Inhalt werden. Lediglich Inhalte wie Sportereignisse wird man und Form an das Medium angepasst sind. Eine der größ- auch in Zukunft noch wirklich live sehen wollen. ten Herausforderungen, vor die uns die digitalen Medien Diese Entwicklung bietet auch für Wissenschaftsinhalte stellen, liegt darin zu verstehen, wie Online-Video im Ge- riesige Chancen. Mein Wissenschaftskanal Clixoom, den gensatz zu Fernsehen funktioniert. Auf welche Weise soll- ich als Moderator und Produzent betreibe, zeigt, wie gut te man Videos präsentieren? Wie strukturiert man sie idea- Science auf Youtube funktioniert, auch in einer älteren lerweise? Wie funktioniert Storytelling in Online-Videos, 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 28

Zuschauer mit einem ganz konkreten Menschen verbin- det, der als Präsentator Themen transportiert und für Kon- tinuität sorgt. Doch wer für seine Youtube-Videos einen Moderator engagiert, der für das TV schon glattgebügelt und bis zur Unkenntlichkeit gecoacht wurde, hat den ers- ten Schritt zum Misserfolg getan. Die junge Zielgruppe liebt echte Menschen, die authentisch agieren, und feiert sie.

Mit freundlicher von Genehmigung Christoph Krachten Darüber hinaus gilt für Online-Video noch mehr als für TV: Der oder die PräsentatorIn muss für das Programm Die Relativitätstheorie EINFACH ERKLÄRT | 01:56 min (Ausschnitt) Christoph Krachten spricht unter der Marke Clixoom junge Zielgruppen brennen. Ist er nicht absolut begeistert von dem, was er mit Wissenschaftsthemen an. (zum Video auf clixoom.de ) vor der Kamera erzählt, wird er sein Publikum nicht errei- chen. Und wenn er sein Publikum nicht erreicht, funktio- die ganz anderen Gesetzen unterliegen als Fernsehbeiträ- nieren seine Inhalte auch in den sozialen Medien nicht. ge? Wie macht man Videos zum Bestandteil sozialer Inter- Sie werden nicht verbreitet, nicht diskutiert und seine Vi- aktionen? Und so weiter und so fort. deos werden keine nennenswerten ZuschauerInnenzahlen erreichen. Als ich Clixoom vor einigen Jahren von einer Wer seine Inhalte auf Portalen wie Youtube verbreiten Online-Talkshow auf das Thema Wissenschaft umstellte, will, dem muss dabei vor allem auch klar sein, dass er zählte für mich nicht, welches Thema oder Format am bes- sich in einem sozialen Medium bewegt. Und in sozialen ten auf Youtube läuft. Vielmehr fragte ich mich, wo meine Medien funktionieren nur soziale Medien – solche, die der 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 29 journalistische Leidenschaft liegt: Was begeistert mich am Wegen solcher Unterschiede in der Formatentwicklung meisten? Was kann ich am überzeugendsten präsentieren? sind TV-Produktionsfirmen im Bereich Online-Video kaum erfolgreich. Meine Produktionsfirma momento me- Bei Online-Video-Formaten muss das Pferd also quasi dia, die auch Clixoom produziert, verfügte lange Zeit als von hinten aufgezäumt werden: Die größte Bedeutung einzige über Know-how sowohl im Bereich TV als auch kommt Faktoren zu, die im herkömmlichen Fernsehen im Bereich Online. Nicht zufällig ist Clixoom derjenige eher zweitrangig sind. Der Absender des Videos, der Kon- Kanal in der deutschsprachigen Youtube-Welt, der auf die text, in dem es seine Zuschauer erreicht, die Zielgruppe längste Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. und ihr Umgang mit sozialen Medien und so weiter spie- len eine viel größere Rolle als bei TV-Formaten. Jedes ein- Welche Faktoren sollte man also beachten, wenn man Er- zelne Skript ist wichtig, denn Online-Video muss sein Pub- folg mit Online-Videos haben will? likum jedes Mal neu finden. Ist ein Video nicht relevant, werden seine ZuschauerInnen viel schneller abspringen 1 Präsentation und neue Inhalte suchen. Auch die Kreativität spielt da- Die Frage nach dem passenden Präsentator oder der pas- rum eine sehr viel größere Rolle: Sie entsteht durch die senden Präsentatorin ist eine der schwierigsten bei der disruptive Zusammensetzung der einzelnen Elemente wie Konzeption von Online-Video-Formaten – und auch die Präsentation, Storytelling, Location und so weiter – Erfah- wichtigste. Ohne eine gute Antwort kann man sich die wei- rungen müssen gebrochen, gelernte Formate auf den Kopf tere Arbeit eigentlich sparen. Am entscheidendsten ist: Er gestellt werden, um das Publikum zu binden. oder sie muss sich in seinem Format souverän wie ein Al- leinherrscher verhalten, er oder sie muss es zu »seinem« oder »ihrem« Format machen. Nur wer hinter der Bot- 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 30

schaft des Kanals steht und sie lebt, kann sie mit der ent- 3 Multimedia statt Video sprechenden Überzeugungskraft präsentieren – nur dann Jede Online-Video-Produktion ist immer auch eine Multi- funktioniert ein Format in einem sozialen Medium. Leb- media-Produktion. Wer davon ausgeht, dass es reicht, ein haftigkeit, Leidenschaft und Authentizität sind, auch wenn Video online zu stellen und dann Feierabend zu machen, mancher diese Worte schon nicht mehr hören kann, unver- unterliegt einem Irrtum. Vielmehr muss er einen ganzheit- zichtbare Eigenschaften eines Moderators, die ihm durch lichen Ansatz verfolgen, der neben der Videoproduktion Coaches eher ausgetrieben werden. Anders gesagt: Mode- selbst auch Facebook, die eigene Webseite, Twitter, rationsroboter, wie sie für die gängigen TV-Formate im Instagram, Snapchat und viele Medien mehr berücksich- Einsatz sind, wären eine Fehlbesetzung. tigt. Für jede dieser Plattformen muss man sich überlegen, ob es sinnvoll ist, sie zu bespielen – und wenn ja, wie die- 2 Zielgruppe se Inhalte in ein Gesamtkonzept passen. Wen spreche ich an? Wie sieht die Lebenswelt meiner Zu- schauer aus? Wie sind sie in den sozialen Medien aktiv? 4 Soziale Medien Während Fernsehsender ihr Publikum und seine Erwartun- Nur wer die jeweilige Plattform kennt, sich hier intensiv gen sehr genau kennen, ist das bei Online-Video nicht der engagiert und mit dem Publikum auf allen Ebenen kommu- Fall. Im Gegenteil: Das Format muss sein Publikum erst niziert, wird es finden und an sich binden. Wie kann man finden. Und nur wenn der Produzent sehr genau überlegt, sein Publikum in die Inhalte einbeziehen, wie kann man welches Publikum er mit welchem Content erreichen will, mit ihm interagieren? Wie kann man seine ZuschauerIn- kann er sein Video-Format erfolgreich machen. nen aktivieren, und wie geschieht dies auf eine Weise, die alle Plattformen einbezieht? 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 31

5 Inhalte muss seine Zuschauer darum unmittelbar in seinen Bann ziehen; in der ersten Sekunde muss ihnen klar werden, Welche Inhalte interessieren das Publikum wirklich? Viele warum sie dieses Video unbedingt zu Ende sehen müssen. ProduzentInnen legen sich ihr Publikum so zurecht, wie Darum darf auch das Intro nur sehr kurz sein, obwohl es sie es gerne hätten. In einem linearen TV-Programm wer- für die Markenbindung entscheidend ist. Und am Ende den kleine Ungereimtheiten vielleicht noch vergeben, on des Videos müssen Links zu weiteren Videos führen. demand ist das aber nicht der Fall. Was nicht zum Zielpub- likum passt, wird einfach nicht gesehen. Nur Inhalte, die Hat man all diese Faktoren im Blick, muss man sich perfekt auf eine Zielgruppe zugeschnitten sind, werden schließlich auch noch dies klar machen: Produzenten von auch angeschaut und verbreitet. Online-Videos sind von den Plattformen abhängig, die sie zur Verbreitung nutzen. Diese haben zwar ein Eigeninte- 6 Unterhaltung resse an erfolgreichen Videoformaten, doch letztlich arbei- ten im Hintergrund Algorithmen, die darüber entscheiden, Seit sich Menschen die ersten Geschichten erzählten, seit was dem Zuschauer wie gezeigt wird: Welcher Inhalt er- sie in der Steinzeit zum ersten Mal miteinander tanzten, scheint in welchem Feed, welches Video taucht wo in der gilt dasselbe Gesetz: Das Publikum möchte so lange wie Suche auf und so weiter. Die Abhängigkeit von diesen Al- möglich so gut wie möglich unterhalten werden. Das hat gorithmen lässt sich nicht vermeiden – aber man kann sie sich auch in Zeiten von Online-Video nicht geändert. deutlich verringern, wenn man die Frage nach dem geeig- Doch schon Radio und Fernsehen haben die Möglichkei- neten Präsentator richtig beantwortet hat. ten geschaffen, mühelos zwischen verschiedenen Angebo- ten zu wählen. Heute, im Internet, sind gleich Tausende Zu guter Letzt entscheidet über den Erfolg eines Videofor- Alternativen nur einen Klick entfernt. Ein Online-Video mats auf Youtube, wie gut man die Gesetze des Netzes 2 DIE ERFOLGSFAKTOREN FÜR ONLINE-VIDEO 32 und der sozialen Medien beherrscht. Weil Online-Video ein noch sehr junges Medium ist und sich nur wenige VIDEO-TIPPS VON CHRISTOPH KRACHTEN Menschen wirklich mit seiner Produktion und Verbrei- tung auskennen, kommt es darauf an, die richtigen Mitar- beiterInnen zu finden und darüber hinaus Know-How aus allen möglichen Quellen zu schöpfen. Vor allem aber muss man sein gerade erworbenes Wissen ständig über- prüfen, umlernen und neu lernen – denn das Internet ist schon morgen nicht mehr das, was es heute noch ist. FALLSTUDIE ÜBER DIE INFLUENCER 3 ZUR ZIELGRUPPE

Wie gelangen Wissensinhalte an ihre Adressaten? Die Medien- Im Februar 2015 ist Youtube zehn Jahre alt geworden initiative MESH Collective spricht erfolgreich jugendliches und hat schon in dieser kurzen Zeit eine ganze Generati- Publikum mit Bildungsthemen an, indem sie mit reichweiten- on geprägt. Dabei wurde das Videoportal anfangs vor al- starken Youtubern kooperiert. Können davon auch Wissen- lem zum kostenlosen Musikhören verwendet: Viele Lie- schaftskommunikatoren lernen? der waren auf einmal frei zugänglich, überdies konnte man durch die Playlists anderer Nutzer stöbern. Youtube wurde wichtigster Partygast, brachte aber nicht nur Mu- sik mit, sondern auch die berühmt-berüchtigten Katzen- Von Franziska von Kempis und Homevideos. 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 34

Heute hat sich Youtube professionalisiert und zeigt sich 2015 als liebstes Internetangebot, weit vor Facebook mit zahlreichen Gesichtern. Eines davon interessiert uns, mit 36 Prozent und WhatsApp mit 29 Prozent. die Medieninitiative , ganz besonders: Ne- MESH Collective Um so wichtiger ist es darum, dass Jugendliche im Netz ben vielem anderen ist die Plattform nämlich ein digitales nicht nur fündig werden, sondern auch auf die »richtigen« Wissensarchiv geworden. Sie ist voller Videos von Men- Bildungsangebote stoßen. Dazu beizutragen ist unser An- schen, die uns mehr oder weniger unterhaltsam alle mögli- liegen. Die Medieninitiative MESH Collective, die bis En- chen Dinge erklären, voller kostenloser Tutorials, die uns de 2014 unter dem Namen »DU HAST DIE MACHT« fir- etwas beizubringen versuchen, aber auch voller Beiträge mierte, ist 2010 von der Robert Bosch Stiftung sowie unterschiedlichster Art über die politische und gesellschaft- der Film- und TV-Produktionsfirma UFA ins Leben geru- liche Lage in der Welt. Youtube präsentiert Wissen wahl- fen worden. Ihr Ziel: digitale Strategien im Umgang mit weise als Erklärbär, Ersatzlehrer, Storyteller oder Freund politik- und bildungsfernen Jugendlichen auszuloten. und steht jederzeit bereit, alle möglichen Fragen mit Vi- deohäppchen voller Informationen zu beantworten. Nachdem das Projekt fünf Jahre lang von der Stiftung ge- fördert und durch die Technische Universität Dresden wis- Wissensinhalte sind also auch auf Youtube immer nur ei- senschaftlich begleitet und evaluiert wurde, steht es nun nen Klick weit entfernt – und die Generation Youtube finanziell auf eigenen Beinen und ist Teil des UFA LAB weiß, wie sie diese findet. Ihr Bedarf wächst: Schon über Berlin, das digitale Inhalte produziert und außerdem für 90 Prozent der deutschen Schüler beziehen Informationen die Innovationsförderung zuständig ist. Hier sind wir für für ihre Hausaufgaben aus dem Netz, immer mehr holen den Bereich Online Video Education verantwortlich und sie auch direkt von Youtube. 61 Prozent der deutschen Ju- entwickeln für Auftraggeber aus dem öffentlichen, priva- gendlichen nannten die Videoplattform in der JIM-Studie ten und politischen Sektor Videos und Kampagnen, die 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 35

1. Wer junge Zielgruppen erreichen will, muss dort unter- wegs sein, wo sich diese aufhalten – auf Online-Plattfor- men. Und er muss die jeweils ganz unterschiedlichen Re- geln, Funktionsweisen und Eigenheiten dieser Plattformen kennen, denn was auf Facebook funktioniert, muss auf Youtube noch lange nicht zum Erfolg führen. 2. Der direk- teste Weg zu jungen Zuschauern, speziell zu bildungsfer- nen Zielgruppen, führt über jene Social Media Influencer,

Mit freundlicher von Genehmigung darkviktory die bereits große Zuschauergruppen, also Communities, Terrorplanung durch PS4? · DAS steckt hinter Anonymous! | Brain- aufgebaut haben und mit ihnen im permanenten Aus-

Fed #29 | 01:08 min (Ausschnitt) tausch stehen. 3. Ohne einen gewissen Kontrollverlust Der Youtuber darkviktory entwickelte zusammen mit MESH Collective geht es nicht. Wer – in seiner Rolle als Informationsver- das Format BrainFed. In Folge 29 (Video auf Youtube ) geht es unter anderem um die Frage, welche verschlüsselten und mittler und/oder Bildungsträger – nicht bereit ist, sich auf nichtverschlüsselten Kommunikationskanäle Terroristen nutzen. digitale Parameter und im Netz herrschende Regeln einzu- lassen, und stattdessen auf eigene Vorstellungen von For- für die sozialen Medien optimiert sind und sich an Jugend- men und Inhalten pocht, hat wenig Chancen, sich im Netz liche und junge Erwachsene richten. durchzusetzen.

Unsere Erfahrung in der (politischen) Bildung und mit der Bei MESH sind wir auf Bewegtbild und Webvideo spezia- Produktion von Wissensinhalten für unterschiedliche lisiert und damit vor allem auch auf Youtube unterwegs. Social-Media-Plattformen hat uns drei Dinge gelehrt: Was also muss man über das Portal wissen, um dort erfolg- 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 36 reich zu sein? Vor allem dies: Youtuber sind einerseits Influencern – also jungen Kreativen, die im Internet eine und Vorbilder, erscheinen ihren Fans aber anderer- große Reichweite haben – als Absendern arbeiten wollten. seits viel näher, als dies in den klassischen Medien der Dabei war uns klar, dass wir sie, um ihre Authentizität Fall wäre. Sie werden nicht unbedingt als ferne Idole wahr- und Glaubwürdigkeit zu wahren, von Anfang an in die in- genommen, sondern häufig als Erweiterung des eigenen haltliche Arbeit mit einbeziehen würden. Nur wenn sich Freundeskreises, als »Freunde«, die auf Augenhöhe gleich- der Kanalbesitzer als »Owner« seines Werks fühlt und den berechtigt mit ihren Zuschauern über Themen sprechen, Eindruck hat, ein Format oder Video passe zu ihm oder zu die sie selbst interessieren und die sie auch ausdiskutieren seinem Stil, es »gehöre« ihm, nur dann wird er oder sie wollen. Auf Youtube und anderen sozialen Plattformen das Video auch von sich aus mit Begeisterung im eigenen sind so neue Identifikationsfiguren für Jugendliche entstan- Kanal präsentieren. Umgekehrt gibt uns natürlich auch die den, die bedeutenden Einfluss haben. Sie sind Meinungs- direkte Rückmeldung eines Youtubers verlässliche Aus- macher: Youtuber wie MrWissen2go oder LeFloid errei- kunft darüber, ob ein bestimmtes Thema oder Vermitt- chen mit ihren durchaus politischen und wissensprallen Vi- lungsformat für seinen Kanal überhaupt geeignet ist. deos viele Tausende und in der Summe Millionen von Zu- Wissen auf Youtube ist global gesehen längst keine Ni- schauern, die ihre Ansichten sehr ernst nehmen. sche mehr. Manche Wissens-Youtuber in den USA wie die Aus dieser Erkenntnis haben wir für uns die Konsequenz oder genießen längst Starruhm. In gezogen, dass wir nicht selbst Sender und Vermittler von Deutschland wächst dieser Sektor noch, kann aber auch Informationen sein wollen – zumal unser Thema Bildung schon viele bekannte Protagonisten aufbieten. Sie vermit- häufig als dröge empfunden wird –, sondern dass wir mit teln Information und Wissen, das je nach Kanal von politi- Youtubern beziehungsweise so genannten Social Media schem über Alltags- oder »Partywissen« bis hin zu Wissen- 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 37

schaft reicht. MrWissen2go etwa erläutert auf seinem litische Bildung, setzen wir gegenwärtig zwei serielle Kanal einerseits historische Themen, geht aber vor allem Nachrichtenformate um: TenseInforms auf dem Youtube- allgemeinen, politischen Themen auf den Grund (»Warum Kanal TenseMakesSense und BrainFed , das auf dem hassen alle die USA?«, »Bahnstreik = Terror gegen Rei- Kanal darkviktory läuft. Zusammen haben beide News- sende?«). Auch Kurzgesagt zählen zu den deutschen Wis- formate bislang über 5 Millionen Views gesammelt. Bei- sensproduzenten; sie feiern vor allem mit ihrem eng- spielsweise erreicht eine Folge von BrainFed im Schnitt lischsprachigen Kanal (Kurzgesagt – In a Nutshell ) Erfolge. zwischen 75.000 und 100.000 Views und sammelt zwi- Ihnen geht Qualität vor Quantität, hinter jedem Video schen 600 und 1.200 Kommentare sowie 5.000 bis steht ein ganzes Team. Ihr Kanal präsentiert Wissen- 8.000 Youtube-Likes. schaftsthemen (»Wie funktioniert Evolution?«) ebenso Entwickelt haben wir diese Formate zusammen mit den wie aktuelle Ereignisse, oft auch mit Wissenschaftsbezug beiden Youtubern, die hinter den Kanälen stehen – Nico- (»Das Ebolavirus erklärt – Kampf ums Überleben«). las Lindken von TenseMakesSense und Marik Roeder von TechTastisch führt physikalische und chemische Experi- darkviktory –, und sie im Juli 2014 gelauncht. MESH mente vor, außerdem Lifehacks – Tipps, wie man Alltags- kümmert sich um Recherche, Quellenprüfung und Aufbe- probleme (technisch) in den Griff bekommt –, während Va- reitung der Themen, betreut außerdem die Produktion der lentastisch zum Beispiel über das Ende des Universums Videos und stimmt auf der anderen Seite Konzeption, The- und mathematische Fragen sinniert. Apropos Mathematik: men und Inhalte mit dem Auftraggeber ab. TheSimpleMaths waren mit ihren Nachhilfevideos 2015 Youtuber und Redaktion tauschen sich im Redaktionsall- sogar für einen Digitalen Emmy nominiert. tag zwar kontinuierlich zu Themen und Rechercheinhalten Für einen unserer Auftraggeber, die Bundeszentrale für po- aus, dennoch verfassen Erstere ihre eigenen Skripte. 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 38

Glaubwürdige Sprache und Vermittlung wollen wir als Re- daktion nicht künstlich herstellen. So kommt es auch, dass beispielsweise TenseInforms deutlich mehr popkulturelle Referenzen aufweist als »klassische« Newsmagazine und dass im knapp dreiminütigen Animationsformat BrainFed die News mit extrem hoher Schlagzahl verkündet werden und einem Zombie als Futter dienen.

Nicht nur die Klickerfolge zählen. Tense und darkviktory

regen Tausende User zu öffentlichen Diskussionen an, die Mit freundlicher von Genehmigung TenseMakesSense im Kommentarbereich unterhalb des Videos stattfinden Verschenkt Deutschland Smartphones an Flüchtlinge? – Tense- und sich auf Facebook und Twitter noch fortsetzen. Eben- Informs #23 | 03:23 min (Ausschnitt) diese sind es auch, die unseren Bildungsauftrag von der In diesem Video (zur Youtube-Fassung ) analysiert Nicolas Lindken reinen Vermittlung von Inhalten mit auf die nächste Ebene (»Tense«) unter anderem die Begriffe Patriotismus und Nationalismus. Produziert wurde es in Zusammenarbeit mit MESH Collective, die im heben, die der Partizipation. Wer wirklich wissen möchte, Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung tätig waren. wie ein Thema ankommt, schaut nicht nur auf Klicks und Likes, sondern dorthin, wo diskutiert, gestritten, wider- hat: #YTfragtMerkel – YouTube fragt Bundeskanzlerin Angela Mer- sprochen, getrollt, gefragt und geantwortet wird. kel . Anlass war ein Live-Interview, das US-Präsident Ba- Ein Beispiel für echte Partizipation ist auch eine Kampag- rack Obama mit drei bekannten amerikanischen Youtube- ne, die MESH gemeinsam mit Tense und darkviktory im Stars im Januar 2015 im Weißen Haus geführt hatte. Wir Rahmen der Newsformate im Februar 2015 umgesetzt fragten uns: Wäre so etwas in Deutschland auch möglich? 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 39

Und was würden die Zuschauer von der Bundeskanzlerin traggeber, die in den deutschen Medien und auf den sozia- wissen wollen? len Plattformen Wellen schlug. Knapp 30 von ihnen, da- runter die Betreiber der Kanäle Faktastisch, MrWissen2go Tense und darkviktory riefen dazu auf, unter dem Twitter- oder Die Klugscheisserin, bezogen mit Faktenvideos, Hashtag #YTfragtMerkel Fragen zu stellen. Mit Erfolg: VLogs, Reportagen und Songparodien zum Thema Frem- Binnen weniger Stunden landete der Hashtag auf Platz 1 denhass Position. Sie wollten sich damit gegen Fehlinfor- der deutschen Twitter-Trend-Charts. Insgesamt wurden an mationen und diskriminierende soziale Strömungen einset- die 6.000 Fragen formuliert, auf einige davon reagierte zen. Im Februar 2016 fand mit bereits die der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, am #YouGeHa2016 Tag der Kampagne sogar über seinen eigenen Twitter- nächste Kampagne statt. Account. Ihren Erfolg verdankt die Kampagne mehreren Auch bei RAPutation.TV , das noch im Rahmen von DU Parametern: reichweitenstarken Youtubern, die Lust auf HAST DIE MACHT entwickelt und umgesetzt wurde, ar- die Aktion hatten, der engagierten MESH-Redaktion und beiten wir mit Influencern. Die von uns kreierte Rap Cas- der Bereitschaft eines Bildungsträgers – in diesem Fall er- ting Show, bei der junge Hip-Hop-Talente eine Plattform neut die Bundeszentrale für politische Bildung als Auftrag- für ihre politischen Botschaften erhielten, wurde 2013 mit geberin der beiden Newsformate –, den nötigen Willen dem CIVIS Online Medienpreis für Integration ausge- zum Kontrollverlust an den Tag zu legen. zeichnet und im selben Jahr für den Grimme Online Einige deutsche Wissens-Youtuber wurden 2015 durch eine Award nominiert. unter anderem von MESH unterstützte, aber von Youtubern Zurück zu den Wissens-Youtubern im engeren Sinne. Wol- selbst ins Leben gerufene Aktion namens #YouGeHa (You- len wir mit diesen zum Teil noch sehr jungen Menschen Tuber gegen Hass) sichtbar – einer Kampagne ohne Auf- zusammenarbeiten, ist es, so unsere Erfahrung, ganz ent- 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 40 scheidend, dass wir ihnen redaktionelle Hilfe und Unter- dersprochen, erklärt, eingeordnet. Darum geht es uns: stützung zur Seite stellen. Denn nicht alle sind Journalis- Klick für Klick, Kommentar für Kommentar junge Men- ten, Rechercheprofis oder studierte Fachleute auf ihrem schen im Netz und auf Youtube mit einem Thema, einer Gebiet. Große Wissenskanäle in den USA, bei denen die Botschaft zu erreichen. Situation nicht anders ist, haben auf diesen Umstand be- Unsere Auftraggeber sind dabei in jedem Fall mitgefor- reits reagiert und arbeiten teilweise mit eigenen Redaktio- dert. Wollen sie in einer sonst schwer zugänglichen Ziel- nen. gruppe eine große Reichweite erzielen, müssen sie in ei- Weitere Fragen, die uns oft im Alltag und bei Auftragge- nem bestimmten Maß Kontrolle über Details der Kampag- bern begegnen: Wie »kontrolliert« man ein Video auf ei- ne abgeben. Sie müssen nicht nur anerkennen, dass die nem Kanal, auf den man keinen Zugriff hat? Wie geht Youtuber, mit denen sie zusammenarbeiten, nach ihren ei- man mit den Kommentardiskussionen um, die unter den genen Regeln agieren und dass es im Netz zu unvorherseh- Videos auftauchen? Auch hier ist die vertrauensvolle Zu- baren Auseinandersetzungen kommen kann. Hinzu kommt sammenarbeit mit den Youtubern entscheidend. Denn ein- das Risiko, dass das eigene Video auf Youtube unmittelbar fache Regeln gibt es nicht: Es geht nicht nur um das Über- neben, unter oder über einem anderen Video auftauchen prüfen oder gegebenenfalls Löschen von rechtswidrigen kann, dessen Botschaft völlig konträr zur eigenen ist. Und Kommentaren, stattdessen ist die Auseinandersetzung mit schließlich ist auch Youtube selbst mit im Spiel, eine kom- den Usern im Rahmen einer oft auch vom Youtuber vorge- merzielle Plattform mit wiederum eigenen Regeln, auf de- gebenen Netiquette häufig der bessere Weg. Die Commu- ren Algorithmen man keinen Einfluss hat. nities des jeweiligen Kanals diskutieren auch stark unterei- Aber: Unsere Auftraggeber gewinnen ein Publikum, das nander, nicht nur mit dem jeweiligen Youtuber; es wird wi- sie auf anderen Wegen nicht erreicht hätten, und regen zu 3 ÜBER DIE INFLUENCER ZUR ZIELGRUPPE 41

Diskussionen an – gerade für Wissensinhalte ist das VIDEO-TIPPS VON eine große neue Chance. FRANZISKA VON KEMPIS Festzuhalten bleibt: Gemeinnützige Institutionen, Stif- tungen oder auch staatliche Akteure sind zunehmend aufgerufen, im Netz mit Wissensthemen präsent zu sein. Denn auch immer mehr Konzerne greifen wirt- schaftliche, politische oder gesellschaftliche Themen auf, um diese für die Ansprache junger Menschen zu nutzen, haben dabei aber vor allem ihre eigene Marke im Fokus.

Will man ihnen in dieser beeinflussbaren Zielgruppe den Vorrang lassen, weil sie schneller, schlagkräftiger und zielorientierter agieren? Richtiger erscheint uns, dass auch Bildungsträger und Institutionen auf junge Zielgruppen zugehen – mit genau derselben Entschlos- LITERATUR senheit. Nur so können mittel- und langfristig neue in- haltliche Qualitätsstandards für Wissensthemen in Web- Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: videos entstehen. JIM-Studie 2015. Jugend, Information, (Multi-)Media. Pressemitteilung und Download: www.mpfs.de/index.php?id=676/ UMFRAGE ALS PRINT DAS 4 FILMEN LERNTE

Teil I: Als Print das Filmen lernte Teil II: Zur Methode

An Video kommt kaum ein Online-Auftritt eines Publikums- Über eines herrscht bei Vertretern der Publikumsmedien mediums mehr vorbei. Was haben die deutschsprachigen große Einigkeit: Die wissenschaftsinteressierten Nutzer der Print- und Online-Redakteure ihren Usern an Wissenschafts- Online-Angebote von Tages- und Wochenzeitungen, Maga- videos zu bieten, welche Strategien verfolgen sie, und was zinen und rein digitalen Publikationen wollen Video. Und bringt es ihnen? Wir haben uns in 14 Redaktionen umgehört. sie bekommen es, fast immer. Für die Redaktionen ist das mehr Arbeit, sie schätzen aber auch den Mehrwert: Bewegtbild eignet sich gut, um wissenschaftliche Themen zu erklären, um sie erfahrbar zu machen und um Begeiste- Von Theresa Moebus rung zu wecken – also für Oho- und Aha-Erlebnisse. 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 43

Was bedeutet das aber für die Videostrategie der Redaktio- Diese Strategie betreffe nicht nur das P.M.-Magazin, son- nen? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Wie dern auch andere Titel des Verlagshauses Gruner + Jahr, weit, das wollten wir genauer wissen. Unsere Frage laute- und solle auch nicht als grundsätzliches Desinteresse an te: Was haben diejenigen unter den deutschsprachigen On- wissenschaftlichen Webvideos interpretiert werden, »aber line-Medien, die in nennenswertem Umfang über Wissen- im Moment liegen die Prioritäten woanders«. Auch im E- schaft berichten, an Webvideos zu bieten – und warum? Paper und in der App zum Heft finden sich daher momen- Um Antworten zu finden, haben wir im Sommer 2015 die tan keine Videos – sie werden hier »so gut wie gar nicht« Vertreter von 14 Medien per Fragebogen sowie anschlie- eingebunden. Nur in den sozialen Netzwerken spielen Vi- ßendem Telefoninterview befragt; 12 von 14 Fragebögen deos für Saager eine Rolle, wenn sie darauf verlinkt oder erhielten wir ausgefüllt zurück. Radio- und Fernsehsender sie einbettet. blieben unberücksichtigt. Wie wir genau vorgegangen sind und wen wir ans Telefon bekamen, beschreiben wir Plattformen in »Zur Methode« .

Die meisten der in der Umfrage berücksichtigten Medien Für die hier betrachteten Medien ist die jeweils eigene sind mit Wissenschaftsvideos im Web gut vertreten. Eine Website der zentrale Ort, an dem sich alles rund ums Vi- bemerkenswerte Ausnahme bildet das P.M.-Magazin. Dort deo abspielt. Die meisten der per Fragebogen Befragten hat sich der Verlag 2015 dazu entschieden, die früher »re- bieten ein- bis dreimal pro Woche neue Wissenschaftsvide- lativ umfangreiche Website, für die 2013 auch einige Vide- os an (8 von 12 Befragten); alle anderen laden in etwa mo- os produziert wurden«, umzugestalten und vorrangig auf natlichen Abständen neue Videos hoch. Weitere Kanäle Print zu setzen, wie Redakteurin Nora Saager berichtet. und Plattformen werden erst in zweiter Reihe genannt. 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 44

Nur drei Medienhäuser geben an, dass sie in ihren iPad- Holger Dambeck, Ressortleiter Wissenschaft von Spiegel oder App-Ausgaben Videos »auch« (Spiegel.de, SZ.de) be- Online, nennt darüber hinaus animierte GIFs als beson- ziehungsweise »insbesondere« (Geo) verwenden. Zur Be- ders geeignete Form für die sozialen Medien: »Eigentlich kanntmachung ihrer Videos in den sozialen Medien nut- ist das eine völlig antiquierte Form der Animation, die to- zen die Befragten vorrangig Youtube, Facebook, Twitter tal speicherintensiv ist. Aber sie erzeugt Aufmerksamkeit und (selten) Instagram, wenn auch unterschiedlich inten- und wird von Twitter und Facebook unterstützt. Und da- siv. Dabei geben zwei von ihnen zu bedenken, dass aus mit kann man leicht sichtbar machen, wie eine Sonde zum rechtlichen Gründen – insbesondere bei Nutzung von Beispiel an Pluto heranfliegt oder wie ein bestimmtes Ori- Fremdmaterial – nicht jedes Video bei Facebook hochgela- gami funktioniert.« Nora Saager vom P.M.-Magazin hält den werden darf. vor allem jene Videos für die Social-Media-Auftritte ihrer Marke für geeignet, die witzig und unterhaltsam gemacht Eigens für die jeweiligen sozialen Medien konzipierte For- sind, sowie »alles, wo man staunen kann. Hauptsache ist, mate existieren kaum. Stattdessen finden sich gelegentlich dass sich die Leute nicht langweilen«. angepasste Formate: Filme werden gekürzt, oder es wer- den nur Trailer- und Teaserfilme auf Facebook hochgela- Weitere Plattformen und Abspielorte wie Snapchat oder den beziehungsweise eingebettet. Mit Trailern bewerben Vine nennt keiner der Befragten. Vimeo spielt nur für Ge- mindestens vier der hier untersuchten Medienhäuser selbst org Dahm, den Chefredakteur des Online-Magazins gedrehte Webvideos (Trailerbeispiele auf Facebook: Wie Substanz, eine Rolle. platzt ein Luftballon? von SZ.de oder Die Sonde »New Hori- Eine große Mehrheit der berücksichtigten Publikationen zons« rast Richtung Pluto von Faz.net). führt ihre Videos in einer eigenen Mediathek zusammen. Aber nicht alle. »Wir produzieren Videos vor allem für die 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 45

App- beziehungsweise Digitalausgabe des Geo-Magazins. Zuschauer Die Leser finden die Filme also innerhalb der jeweiligen Ausgaben wieder«, erklärt Multimedia-Redakteur Jan Hen- Fast alle Befragten geben an, dass sie zu den soziodemo- ne, »da brauchen wir im Netz keine Mediathek. Manche grafischen Merkmalen des Publikums ihrer Wissenschafts- der Videos finden sich zwar auch auf unserer Website videos nichts Näheres wissen. Georg Dahm von Substanz, Geo.de, aber nicht in Form einer gebündelten Form wie in das als reine Digitalausgabe konzipiert ist, vermag zumin- einer Mediathek.« dest seine Abonnenten zu beschreiben: »Fast die Hälfte un- Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer von der öster- serer Nutzer ist weiblich, und 61 Prozent der Nutzer sind reichischen Tageszeitung Der Standard meint: »Es gibt so jünger als 35 Jahre.« Damit erreicht das Magazin eine für viel ausgezeichnetes und gut produziertes Material im Wissenschaftsthemen eher ungewöhnliche und durchaus Netz, da fangen wir nicht auch noch selbst an, Videos zu umworbene Zielgruppe, die sich von der anderer Medien machen. Wir verlinken lieber und betten im Netz vorhan- deutlich unterscheiden dürfte. Allerdings sind die Nutzer- dene Videos ein.« Der Verlag Spektrum der Wissenschaft zahlen von Substanz wohl überschaubar: Nach einem Jahr argumentiert ähnlich. Er betreibt mit SciViews.de sogar pausiert das Magazin aus finanziellen Gründen und arbei- ein eigenes Videoportal, das überwiegend Inhalte von Drit- tet an einem neuen Finanzierungskonzept, um nach Mög- ten einbettet, und verzichtet aus diesem Grund auf eine ge- lichkeit wieder starten zu können. sonderte Mediathek. Auch das Substanz-Magazin be- Kaum einer der Befragten will genauere Angaben zu den sitzt keine. mit Videos erzielten Klickzahlen machen. Begründet wird die Zurückhaltung unter anderem damit, dass die Zahlen sehr unterschiedlich seien. Außerdem sehen einige Befrag- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 46 te aus den Fachredaktionen die entsprechende Zuständig- fert mindestens ein Achtel des gesamten Videoangebots keit eher bei den Videoredaktionen. bei Focus Online aus.

Allerdings betont Ute Brandenburger, Chefin vom Dienst Auch für Bild der Wissenschaft (bdw) ist die Reichweite in der Videoredaktion von Zeit Online: »Für uns spielt die der Videos auf der eigenen Plattform, dem bdw-Videoportal Reichweite eine große Rolle. Wir merken auch gerade bei zur deutschen Forschung , ein wichtiger Faktor: »Wir ach- wissenschaftlichen Videos, dass die oft eine breitere Nut- ten bei der Auswahl der Videos schon darauf, welche The- zerschaft interessieren – die Klickzahlen sind dann ähn- men da besonders gut laufen und was unsere Gemeinde lich hoch wie bei nichtwissenschaftlichen, tagesaktuellen gerne sieht.« Auf Basis dieser Erfahrungen könne man Nachrichten.« Und auch Bernd Czaya, Chef vom Dienst auch in Zukunft besonders geeignete Filme auswählen, für Bewegtbild von Spiegel.de, betont: »Wenn sie interes- sagt Martin Vieweg von der bdw-Online-Redaktion. sant sind, haben wissenschaftliche Videos einen erhebli- Andere Befragte, zumal wenn sie aus den Fachredaktio- chen Anteil an unseren Klickraten.« nen kommen, messen den Klickzahlen eine eher unterge- Für Peter Seiffert, Video-Ressortleiter bei Focus Online, ordnete Rolle zu, und das nicht nur wegen der Schwierig- sind Klickzahlen die entscheidende Größe: »Wir machen keiten, aus Klickzahlen allein aussagekräftige Erkenntnis- Videos nicht für den luftleeren Raum, sondern weil wir se über den Erfolg von Inhalten abzuleiten. Es sei im Re- die User begeistern wollen. Und Begeisterung heißt erst daktionsalltag einfach nicht möglich, »dass jeder Einzelne einmal, dass ein User unser Video sieht. Wir wollen nicht anfängt, bei jedem seiner Beiträge zu schauen, wie der Vi- nur die größte Video-Plattform sein, um die Nummer eins deobeitrag die Klickzahlen erhöht hat«, erklärt Christian zu sein. Sondern weil wir dann wissen, dass wir den User Speicher, Leiter der Wissenschaftsredaktion der Neuen überzeugt haben.« Wissenschaftsvideos machen laut Seif- Zürcher Zeitung (NZZ). 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 47

Christian Jocher-Wiltschka, Senior-Redakteur für Media/ Im Allgemeinen wird aber selten über eng gefasste Ziel- Video, fasst die Position der Süddeutschen Zeitung zu die- gruppen gesprochen. Stattdessen scheinen die meisten ähn- sem Thema so zusammen: »Wir sind in erster Linie ein lich wie Ute Brandenburger eine »breite Nutzerschaft« oh- Verlagshaus und definieren uns nicht wie Fernsehsender ne besonderes Vorwissen mit ihren Webvideos ansprechen über die Einschaltquote der Videos. Natürlich haben wir zu wollen. Wohl aus diesem Grund fordern sie von wissen- uns auch intern Vorgaben gegeben: Es wäre schön, wenn schaftlichen Webvideos daher oft auch »leichte Verständ- wir monatlich die Klickzahl X erreichen – wenn das aber lichkeit«. Bei Focus Online und der Welt sollen die Vide- nicht der Fall ist, ist das auch nicht so schlimm. Von daher os leicht konsumierbar und an die Sehgewohnheiten der sind wir auch in der Themenfindung nicht darauf angewie- Nutzer im Internet angepasst sein. Ideal seien kurze Bei- sen, uns genau zu überlegen: Ist das etwas, was die breite tragslängen und packende Filme, die auch ohne Ton Masse interessiert? Oder ist das einfach ein schönes The- verständlich sind. ma, das sich videotechnisch schön aufbereiten lässt, aber Inhaltlich stoße das Medium Video aber zuweilen an Gren- das dann vielleicht tausend Leute weniger klicken.« zen, meint etwa Christian Speicher von der NZZ: »Für Ähnlich argumentiert Andreas Krobok, der Leiter der Vi- komplexe und komplizierte Zusammenhänge ist immer deoredaktion bei Faz.net: »Für uns ist es natürlich von gro- noch der Text oder die Grafik das Mittel der Wahl.« Und ßer Bedeutung, Themen zu setzen, auch und gerade im auch Holger Dambeck von Spiegel.de ist der Meinung, Ressort Wissen. Wenn unsere Geschichten dann noch vi- »dass das passende Erzählmedium oft der Text ist, weil er ral verbreitet werden, ist das schön. Aber wir leben auch sehr effektiv und kompakt ist«. mal damit, nur für eine kleinere, für uns aber dennoch un- gemein wichtige Zielgruppe interessant zu sein.« 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 48

fen. Ohne Werbung kommt auch das bdw-Videoportal zur Einnahmen deutschen Forschung aus – zwangsläufig, denn vor einge- Mehr als die Hälfte der Befragten versuchen mit Videos bettete Videos lassen sich keine Clips schalten – sowie das Einnahmen zu erzielen. Zum Zeitpunkt der Recherche weitgehend von der Hertie-Stiftung finanzierte Portal standen bei Substanz einige Videos hinter einer Paywall. dasGehirn.info aus. Bei Geo.de ließen sie sich im Rahmen einer kostenpflichti- Verlässliche Zahlen zu Kosten und Einnahmen ließen sich gen Digitalausgabe ansehen; wer die Seite direkt besuch- bei der Umfrage nicht ermitteln. Zu vermuten ist aber, te, wurde aufgefordert, den Ad Blocker des Browsers zu dass die meisten Publikationen weit davon entfernt sind, deaktivieren oder alternativ einen Tagespass zu erwerben. die im Vergleich zu Text und Foto hohen Produktionskos- Bei Spiegel Online und der Süddeutschen Zeitung waren ten für Videos wieder einzunehmen. Etwa die Hälfte der Videos ebenfalls Teil der Digitalausgabe. Seinem frei zu- Befragten berichtet jedoch von gestiegenen Budgets im Vi- gänglichen Angebot schaltete zumindest Spiegel Online deobereich; die anderen machen hierzu keine Angaben. Werbung vor.

Spektrum.de dagegen lässt nur bei einigen wenigen Vide- Formate os auf dem Youtube-Kanal Spektrum der Wissenschaft zu, dass Youtube Werbung einblendet. Das Spektrum-Portal Erklärstücke sind die am weitesten verbreitete Form von SciViews verzichtet sogar gänzlich auf klassische Wer- Wissenschaftsvideos, wie unsere standardisierte Umfrage bung; dort verfolgt der Verlag vielmehr das Konzept, zah- ergab: Drei Viertel der Befragten geben sie als eines der lenden Partnern aus dem Bereich der Wissenschaftskom- Formate auf ihrer Website an (Mehrfachnennungen waren munikation zu mehr Reichweite für ihre Videos zu verhel- möglich). Das ist wenig überraschend: Der Erfolg der Ex- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 49 plainer – vergleichsweise zeitlose Erklärvideos mit Titeln konzipiert, dass sie sowohl für sich allein stehen als auch wie »Was ist eigentlich ein Schwarzes Loch?« oder »Wie im Text eingebettet sein können (7 Befragte). Für die Vide- funktioniert eine Solarzelle?« – hält im Netz weiterhin an. os bei Spektrum der Wissenschaft merkt Redakteur Thilo Körkel an: »Sie können ohne Weiteres für sich allein ste- Bei diesen Formaten geht es den Befragten zufolge weni- hen. Aber sie werden mehr geschaut, wenn sie im Rahmen ger um tagesaktuelle wissenschaftliche Nachrichten als eines Artikels veröffentlicht werden.« um die Erklärung von wissenschaftlichen Phänomenen an sich (dies gaben 11 von 12 Befragten an, Mehrfachnennun- gen waren möglich) oder von Alltagsfragen (5 von 12 Be- Selbst drehen oder Gedrehtes nehmen? fragten). Andererseits geben lediglich zwei der Befragten an, sich ausschließlich solchen zeitlosen, allgemeinbilden- Bis auf Bild der Wissenschaft und P.M. produzieren alle den Themen zuzuwenden. Die Aktualität spielt, zum Bei- befragten Medien auch eigene Wissenschaftsvideos. Aller- spiel in Form von Nachrichten aus der Wissenschaft, dings verfolgen nur Substanz und dasGehirn.info das Kon- ebenfalls eine Rolle (7 Befragte), vor allem bei den Redak- zept, praktisch ausschließlich selbst zu drehen. Die meis- teurInnen der Zeitungen. Interviews sind ein ebenso häu- ten Redaktionen mischen dagegen fremdes und eigenes Vi- fig genanntes Format (7 Befragte). deomaterial.

Thematisch ordnen alle Befragten ihre Videos den Natur- Vergleichsweise typisch erscheint, was Ute Brandenbur- wissenschaften zu. Andere häufig genannte Themengebie- ger von Zeit Online berichtet: »Die Webvideos können te sind Technik (9 Befragte) und Medizin (7 Befragte). auf unterschiedliche Arten auf die Seite kommen: Einer- Der Mehrheit der RedakteurInnen zufolge, die mittels Fra- seits übernehmen wir ausgewählte Videos von Agenturen, gebogen befragt wurden, sind die produzierten Videos so andererseits produzieren wir eigene Videos. Manchmal ar- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 50 beiten wir mit einem Mix aus Material von Dritten und »Bei der Welt bekommen wir das Material für Wissen- Selbstgedrehtem, oder aber die Beiträge sind komplett schaftsvideos zum größten Teil von Universitäten, anderen selbst gemacht. Bei Letzteren legen wir Wert darauf, dass Forschungseinrichtungen und über Agenturen. Das sind vor allem Themen ausgewählt werden, die möglichst für die Hauptquellen. Ich schätze mal: 50 Prozent Agenturen, einen längeren Zeitraum auf der Seite stehen können.« 50 Prozent Forschungseinrichtungen. Dieses Material wird bei uns manchmal neu zusammengeschnitten, was Während alle befragten Redaktionen Videomaterial nut- für einen Videoredakteur ungefähr zwei Stunden Arbeits- zen, das von Wissenschaftlern, Pressestellen oder aufwand bedeutet.« Agenturen zur Verfügung gestellt wird, tun sie dies in un- terschiedlichem Umfang und mit einem unterschiedlichen Gunter Hartmann, leitender Redakteur der Videoabteilung bei Die Welt Maß an Enthusiasmus. Fremdmaterial stammt vor allem von Forschungseinrichtungen (9 von 12 Befragten, Mehr- »Gutes Video-Ausgangsmaterial gibt es kostenlos im Inter- fachnennungen möglich). Agenturen spielen eine weniger net – da muss ich keine fünfstelligen Beträge in eigene Ka- wichtige Rolle (6 Befragte), während im Interview oft meras investieren. Die NASA zum Beispiel ist eine Instituti- auch wissenschaftliche Magazine wie Science und Nature on, die verstanden hat, was Medien brauchen, und auch, sowie Youtube-Channels von wissenschaftlichen Einrich- dass im Internet Aufmerksamkeit die Währung ist, mit der tungen genannt wurden, auf deren Angebote verlinkt wird bezahlt wird. Die NASA bietet mit ihrem Material und mit beziehungsweise deren Angebote eingebettet werden. der aggressiven Vermarktung genau das, was wir uns wün- Um die Praxis der Redaktionen zu illustrieren, zitieren wir schen: Man muss es uns Journalisten leicht machen. Deut- vier der Befragten ausführlicher. sche Hochschulen und Forschungseinrichtungen besitzen zwar auch viele Videos, aber man muss da sehr aktiv da- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 51 nach suchen und fragen. Die sitzen auf Schätzen, ohne sie »Kostenloses Videomaterial nutzen wir bei der NZZ vor zu nutzen. Und wenn wir dann sagen, wir stellen das auf allem von Forschungseinrichtungen wie der NASA oder die größte Video-Plattform, verlinken sie oder in einigen als Bestandteil von multimedialen Presseinhalten, zum Bei- Fällen bezahlen wir auch was dafür – dann sind sie dank- spiel von Science oder Nature. Allerdings begibt man sich bar.« dadurch schon in eine gewisse Abhängigkeit von denjeni-

Peter Seiffert, Ressortleiter Video bei Focus Online gen, die die Videos produzieren. Das gilt aber auch für Agenturen und Pressemitteilungen. Man hat das Gefühl, »Tagesaktuelle Wissenschaftsnachrichten finden sich bei dass dort viel mehr Manpower sitzt als in den Redaktio- Faz.net als Video seltener. Wenn doch, dann stammen sie nen.« meist von externen Zulieferern. Eigene Zeit verwenden Christian Speicher, Ressortleiter Wissenschaft NZZ wir gerne für opulentere Geschichten wie Storytellings. Auch kürzere Erklärstücke und Animationen, die oftmals Einige Redaktionen kooperieren außerdem mit TV-Redak- aus frei downloadbarem Material von Universitäten und tionen, entweder von öffentlich-rechtlichen Sendern oder Institutionen stammen, setzen wir gezielt ein. Von diesen von verlagseigenen oder -assoziierten Fernsehkanälen. hätten wir auch gerne noch mehr.« Der Grad der Kooperation ist jedoch sehr unterschiedlich

Andreas Krobok, Leiter Video von Faz.net und reicht von der reinen Übernahme des TV-Materials über eine gemeinsame Konzeption der Beiträge bis hin zu Formen der Zusammenarbeit, bei denen kaum ein gegen- seitiger Nutzen erkennbar ist. 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 52

Die Magazine Spektrum der Wissenschaft und Bild der Eigenproduktionen: Selbst gedreht und selbst Wissenschaft betreiben Portale, auf denen sie vorhandene geschnitten Videos kuratieren. Während die Spektrum-Plattform SciViews.de neben Filmen von Partnerorganisationen aus Einige Nachrichtenstücke produzieren die Redaktionen der Wissenschaft auch vielfältige Verlinkungen zu interna- komplett selbst, hinzu kommen weitere Eigenproduktio- tionalen Wissenschaftsvideos herstellt, stellt das bdw-Vi- nen. Hier einige Beispiele: Vier der befragten Medien be- deoportal zur deutschen Forschung gezielt deutschsprachi- treiben eine regelmäßige Videokolumne zu wissenschaftli- ge Wissenschaft vor. Dazu ist das Portal prominent auf der chen Themen. Alle vier sind Presenter-Formate, in deren bdw-Website platziert und zeigt einmal pro Woche ein aus- Zentrum ein Moderator steht, der direkt in die Kamera gewähltes Video von Forschungsorganisationen wie der spricht. Berichtet wird entweder über aktuelle Forschungs- Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft fragen oder über die Wissenschaft hinter Alltagsphänome- oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. nen. Die Presenter von Dr. Max (Zeit Online) und Schon »Wir möchten gerne bei der Verbreitung dieser schönen gewusst? (SZ.de) sind Wissenschaftsjournalisten. Der und aufwändig produzierten Videos der Forschungseinrich- Moderator der AstroViews von Sterne und Weltraum, ei- tungen helfen«, erklärt Martin Vieweg das Konzept. nem Schwestermagazin von Spektrum der Wissenschaft, »Denn letztlich sind es ja auch unsere Steuergelder, die da- ist wissenschaftlicher Referent an einem Max-Planck-Insti- rauf verwendet werden. Also sollte man das auch der Öf- tut und dort auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Im fentlichkeit zugänglich machen, finde ich.« Format des Substanz-Magazins Der Büker erklärt … steht der Physiker, Wissenschaftskommunikator und Science- Slammer Michael Büker im Zentrum. 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 53

Große Einigkeit unter den befragten Redakteuren herrscht Einige Redaktionen produzieren zudem Experteninter- zur Frage nach dem Nutzwert von Animationen. Sie wer- views. Sie sind relativ günstig herzustellen und lassen sich den gerade im wissenschaftsjournalistischen Bereich hoch auch im hektischen Redaktionsalltag noch realisieren. Zu geschätzt, wegen des sehr hohen Produktionsaufwands bis- den Beispielen zählt das Begleitvideo zu Befehl von oben: her aber praktisch nicht von den Redaktionen selbst herge- Fischbach ist einzunehmen beim Standard, Eric Kandel im In- stellt, sondern übernommen. terview auf dasGehirn.info sowie Klonpionier Mitalipov über Eine Ausnahme macht dasGehirn.info. »Animierte Erklär- seine Therapiepläne auf Faz.net. videos entstehen bei uns innerhalb von drei bis vier Mona- Georg Dahm geht bei seinem digitalen Magazin noch ei- ten«, erklärt Arvid Leyh, der als Chefredakteur auch für nen Schritt weiter: »Wir arbeiten bei Substanz zum Teil die Videoproduktionen auf der Plattform verantwortlich auch bewusst mit sehr einfachen Formaten. Zum Beispiel ist. »Wir entwickeln ein Storyboard, das wird gereviewed, kann man ein schönes Videointerview mit einem Forscher dann an eine Agentur weitergeleitet und die setzt das Gan- auch per Skype führen. Auch wenn das Bild dann mal ein ze um.« Animationen eignen sich Leyh zufolge mit am bisschen krümelig wird, muss das dem Charme eines sol- besten für das Erreichen des Ziels seiner Plattform: »Wir chen Formats überhaupt keinen Abbruch tun. Man muss wollen Hirnforschung übersetzen und das geht nirgends nicht immer mit einem Riesenaufwand, mit einem Team besser als mit Animationen. Darum achten wir sehr da- und drei Lampen anrollen – der Reiz eines Videos ist es ja rauf, dass wir das auch ausgiebig bedienen. Und manche oft, dass man einfach diese Persönlichkeit sieht und wie er unserer Clips sind auch so gut geworden, dass sie inzwi- oder sie drauf ist. Das bringt einfach noch einmal eine ande- schen im Hörsaal laufen.« re Note in die Geschichten.« Ein Skype-Interview begleitet zum Beispiel den Substanz-Artikel Wir Borstenzähler . 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 54

Andere Plattformen stehen dem reinen Interviewformat spiel in den Himalaja oder in eine Höhle – und dann vor eher skeptisch gegenüber. Und für Focus Online sei es Ort filmen. Und wenn sie wieder zurück in Deutschland laut Peter Seiffert schon deshalb nicht geeignet, weil Ton sind, interviewen wir sie zu ihrer Recherche und liefern so im Idealfall verzichtbar sein soll. Hintergrundinformationen zur Entstehung der Geschichte. Der fertige Film ist dann eine Kombination aus den vor Auch Vortrags- oder Veranstaltungsmitschnitte werden als Ort gedrehten Aufnahmen und den Interviewsequenzen. Video angeboten. Spektrum der Wissenschaft beispielswei- Video ist aber nicht unser Kerngeschäft – daher sind wir se stellte 2011 eine 70-teilige Reihe von astronomischen oftmals froh, wenn wir überhaupt Material vom Ort des Kurzvorträgen ins Netz (Universum für alle! ), die in Einzel- Geschehens haben. Wir schicken in aller Regel ja kein zu- fällen mittlerweile bis zu 25.000 Zugriffe verzeichnen. sätzliches Filmteam mit auf die Expeditionen.« Solche Angebote scheinen für die befragten RedakteurIn- nen jedoch keinen hohen Stellenwert zu haben und wer- Auch andere Redaktionen arbeiten mit FachredakteurIn- den entweder gar nicht oder nur in einem Nebensatz er- nen, die selbst filmen. Beim Magazin Substanz wird es wähnt. gern gesehen, wenn die Mitarbeiter mit einer digitalen Spiegelreflexkamera und einem Schnittprogramm arbeiten Für die Geo-Redaktion sind Videos meist ein Nebenpro- können. Andreas Krobok berichtet über gute Erfahrungen dukt, wenn auch ein sehr willkommenes. »Ein großer Teil bei Faz.net: »Es kommt bei uns durchaus vor, dass die unserer Videos sind Making-of-Formate«, sagt Jan Henne. Fachredakteure selbst filmen und kurze O-Töne ihrer Inter- »Das heißt, Reporter erzählen von ihren Expeditionen und viewpartner aufnehmen, die dann den Text ergänzen. Joa- Reportagen, die oftmals Wissenschaftsreportagen sind. chim Müller-Jung und auch andere Wissenschaftsredakteu- Ein häufiger Fall ist, dass unsere Reporter und Fotografen re nutzen dafür gerne ihre Smartphones, wenn sie unter- eine Gruppe von Wissenschaftlern begleiten – zum Bei- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 55 wegs sind. Wir haben kleine Zubehör-Kits, sprich Krawat- Focus Online setzt im Wissensbereich auch auf Rätsel tenmikrofone, die man ans Smartphone anschließen kann, (Beispiel: Kryptisches Rätsel lässt sich mit einem einfachen Trick und kleine Ministative oder auch Halterungen, damit das lösen – finden Sie ihn? ) und Alltagstipps, die als spieleri- Gerät sicher in der Hand liegt.« So entstand beispielsweise sche und serviceorientierte Form wissenschaftlicher Web- ein Interview mit dem Bioethik-Experten Markus Hengstschläger videos gesehen werden können. über Embryonenforschung.

Norbert Lossau dagegen, Leiter der Wissenschaftsredakti- Multimedia on bei der Welt, erinnert sich an ein Experiment vor eini- gen Jahren: »Damals gab es noch keine professionelle Vi- Wie in allen anderen Ressorts finden Multimedia-Reporta- deoredaktion, und die Redakteure sind selbst mit kleinen gen, die Text, Audio, Bild und Video miteinander verbin- Kameras losgezogen und haben die ungeschnittenen Vide- den, auch in den Wissenschaftsredaktionen eher unregel- os dann direkt ins Redaktionssystem eingespeist. Aber das mäßig statt. Jüngere Beispiele für multimediale Umsetzun- ist eine Phase, die wir abgeschlossen haben. Das war uns gen von Wissenschaftsthemen sind das mehrteilige Inter- nicht professionell genug.« viewprojekt WissensARTen , das gemeinsam mit der FAZ entstand, und andere Reportagen wie Bei Spektrum der Wissenschaft können die Videos des Unter tausend fremden wissenschaftlichen Fachjournals Nature als eine Art Eigen- Sonnen der FAZ, die Reportage Der schwarze Tod – Die Pest produktion gelten – beide Medienhäuser gehören zum auf Madagaskar der Süddeutschen Zeitung (siehe auch Holtzbrinck-Unternehmen Springer Nature. Spektrum »Multimediageschichten aus dem Texthaus« in diesem E- übernimmt die Videos aber nicht nur, sondern erstellt da- Book), die Menschenkinder-Reportage von Geo sowie vie- von teilweise deutschsprachige Fassungen. le der Projekte, die im Rahmen der Masterclass Zukunft des 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 56

der Robert Bosch Stiftung Wissenschaftsjournalismus Die Zukunft entstanden sind . Außerdem setzen viele Reportagen im digitalen Magazin Substanz stark auf Multimedia. Die zukünftige Rolle von Wissenschaftsvideos schätzen Dennoch kann man daraus nicht schließen, dass es Multi- die befragten RedakteurInnen unterschiedlich ein. »Video media in den redaktionellen Alltag der Wissenschaftsre- lohnt sich nur, wenn es für den Nutzer einen Mehrwert daktionen geschafft hätte. Im Gegenteil: Wenn es entspre- bringt«, sagt zum Beispiel Klaus Taschwer vom Standard. chende Angebote überhaupt gibt, zeichnen sie sich durch Und das sei eben längst nicht immer der Fall. Er hält In- unregelmäßige Erscheinungsweise aus. Die Ergebnisse vestitionen in andere Bereiche für sinnvoller, vor allem der Masterclass sind Schaufensterprojekte, die nur dank auch wegen des hohen technischen Aufwands für Video. finanzieller Zuschüsse der Stiftung zustande kamen. Bei »Bestimmte Sachverhalte kann man nach wie vor besser der Süddeutschen Zeitung ist es die Entwicklungsredakti- in Texten oder auch im Radio erzählen als über das Fernse- on, die – wohl ohne Aussicht auf direkte Refinanzierung – hen. Ich denke, dass Video sicher die Zukunft bereichern in Knowhow für neue Formate investiert. Auch das Pro- wird. Aber dass in Zukunft alles Video sein wird, das glau- jekt WissensARTen konnte offenbar nur mit Unterstüt- be ich nicht.« zung von FAZ und Robert Bosch Stiftung entstehen. Auch Holger Dambeck von Spiegel Online hält Video Gleichwohl zeigen diese Leuchtturmprojekte das Potenzi- nicht in jedem Fall für die passende Erzählform. »Videos al, das Multimedia und insbesondere Video für den Wis- sind halt immer etwas aufwändiger als nur Text und Fo- senschaftsjournalismus hat, wenn es denn im Einzelfall ge- tos, deswegen glaube ich nicht, dass Webvideo in Zukunft lingt, die immensen dafür notwendigen Ressourcen aufzu- die dominierende Form wird – aber es wird wichtig blei- bringen. ben und womöglich noch wichtiger werden. Vor allem Er- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 57 klärvideos, die mit Comics und Animationen arbeiten, wird. »Es gibt ganz viele Beispiele, wo Bild tatsächlich würden wir in Zukunft gerne vermehrt einsetzen. Im Re- Text schlägt. Das ist die Zukunft.« Sein Kollege Norbert daktionsalltag sind die allerdings nicht leicht zu realisie- Lossau von der Welt-Wissenschaftsredaktion berichtet ren, denn wenn es dann mal schnell gehen muss und man von der aktuellen Zielsetzung, dass »wir möglichst zu je- eben nur ein paar Stunden Zeit hat, dann landet man am dem Textbeitrag auch ein Video haben wollen«. Ein neues Ende doch wieder bei ganz klassischen Umsetzungen.« Format, das bei der Welt gegenwärtig umgesetzt wird, sind comicartige animierte Filme. Andere Redakteure setzen dagegen viel stärker auf Video als Medium der Zukunft. »Wir haben den Plan, so multi- »Das ist etwas, was im Kommen und im Wachsen ist«, medial wie möglich zu sein«, sagt zum Beispiel Andreas sagt Martin Vieweg von Bild der Wissenschaft. »Die Men- Krobok von Faz.net. »Unser Ziel ist es, in jeder Geschich- schen wollen gerne Videos sehen – die bringen die Sache te nicht nur Bilder oder Bildstrecken, sondern auch Be- einfach oft im Kern auf den Punkt. Und es ist ein Medi- wegtbilder zu haben. Das versuchen wir natürlich auch um, das sehr eingängig ist und Wissenschaft unter Umstän- bei den Wissensthemen.« Peter Seiffert von Focus Online den bequem und unterhaltsam vermittelt. Und da wollen sieht in Webvideos ebenfalls »eine Säule, auf der wir in wir gerne dabei sein und unseren Lesern das geben, was Zukunft viel stärker bauen wollen. Man merkt einfach, sie sich wünschen.« dass alles, was mit Wissenschaft, spektakulären Dingen »Video ist das nächste große Ding, gar keine Frage«, sagt und dem alltäglichen Leben zu tun hat, unsere User inte- schließlich Arvid Leyh von dasGehirn.info. »Bei den Ver- ressiert.« lagen scheint mir nur noch nicht so richtig angekommen Auch Gunter Hartmann von WeltN24 geht davon aus, zu sein, dass man dafür auch Geld in die Hand nehmen dass die Bedeutung von Wissenschaftsvideos zunehmen muss.« 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 58

Youtube wird von den Befragten zwar einerseits als Quel- Resümee und Ausblick le für wissenschaftliche Webvideos genutzt, um diese auf Dieser Text zeigt einen Schnappschuss der gegenwärtigen der eigenen Seite einzubinden oder auf sie zu verlinken. Situation, der sich nicht anmaßt, die Lage repräsentativ zu Andererseits haben die außerordentlich klickträchtigen beschreiben. Einige allgemeinere Feststellungen lassen Wissens- und Wissenschaftsformate, die sich auf Youtube sich dennoch treffen. Zum einen ist es offensichtlich, dass entwickelt haben, kaum Rückwirkungen auf die Eigenpro- die bei unserer Umfrage berücksichtigten Verlage und Re- duktionen der befragten Medienhäuser und Redaktionen. daktionen Wissenschaftsvideos für attraktive Inhalte hal- Vielmehr ist häufig eine einseitige, eher fernsehtypische ten, dass sie aber gleichwohl höchst heterogene Strategien Richtung der Kommunikation zu beobachten. Die erwähn- verfolgen. Auch erscheint klar, dass Videos zwar inhaltli- ten Serien Dr. Max, Schon gewusst? und Der Büker erklärt ... che Bausteine im jeweiligen redaktionellen Gesamtkon- ähneln erfolgreichen Presenter-Formaten auf Youtube wie et- zept darstellen und so eine wichtige Funktion besitzen, wa der SciShow noch am meisten. sich finanziell aber vermutlich nicht selbst tragen. Außer- Ebenfalls auffällig: Kritischer Wissenschaftsjournalismus dem stellt sich der Eindruck ein, dass mangels belastbarer per Webvideo scheint praktisch überhaupt nicht stattzufin- Daten zum Zuschauerverhalten, die über reine Klickstatis- den. Zumindest haben die Befragten entsprechende Forma- tiken hinausgehen, vor allem subjektive Einschätzungen te nicht von sich aus erwähnt, wohingegen sie »Erklär- zu Rate gezogen werden, um zu entscheiden, welche Stra- bär«-Stücke recht häufig nannten. tegie Erfolg versprechend sein könnte und woran sich die- Befragt man die RedakteurInnen über ihre Zukunftspläne ser Erfolg messen lassen muss. mit Webvideos, sind es vor allem die (animierten) Explainer-Formate, die sie ausbauen wollen. Eine der Aus- 4 ALS PRINT DAS FILMEN LERNTE 59 nahmen bildet das erwähnte WissensARTen-Projekt, das In der Summe sind wir der Ansicht, dass den untersuchten Sichtweisen von Künstlern mit der von Wissenschaftlern Publikationen eine eigene Profilierung per Wissenschafts- kontrastiert und damit einen anderen Zugang zur Wissen- video bislang kaum gelingt. Man könnte nun argumentie- schaft eröffnen will. ren, dass die befragten Medien schlicht noch mehr Zeit be- nötigen, um die Entwicklung voranzutreiben. Andererseits Die Nutzung von Fremdmaterial ist bei fast allen Medien sind nicht wenige Wissenschafts-Youtuber vor allem im ein essenzieller Bestandteil ihres Videoangebots. So englischsprachigen Raum schon auf einem hohen macht sich in den hier betrachteten Medien das Medium professionellen Niveau angekommen. Man denke nur an Video besonders anfällig dafür, dass es nur die Sicht den australisch-kanadischen Filmemacher Derek Muller, »aus« der Wissenschaft darstellt, nicht aber »über« sie dessen Youtube-Kanal über drei Millionen spricht, um es mit Matthias Kohrings Worten zu sagen Veritasium (Kohring 2005 ). Um regelmäßig komplett eigenprodu- Abonnenten zählt, an den Australier Brady Haran, der Er- zierte Wissenschaftsvideos zu zeigen, sind Verlage und Re- folgskanäle wie Periodic Videos betreibt, oder an die schon daktionen in der Regel weder personell noch finanziell gut erwähnte SciShow von mit ebenfalls über genug ausgestattet. drei Millionen Abonnenten.

Gleichzeitig wäre es aber falsch zu behaupten, dass an Ganz anders stellt sich die Lage indessen dort dar, wo die Webvideos keine Qualitätsstandards gelegt würden. Fast Medien bei der Produktion crossmedialer Formate auf ex- alle der hier befragten Redaktionen besitzen eine eigene terne Unterstützung bauen können oder selbst in erhebli- Videoabteilung, die nach Aussage der Befragten zum Bei- chem Umfang in sie investieren. Hier findet die Zukunft spiel in Sachen Bildqualität bei Fremdmaterial interve- des Wissenschaftsjournalismus, zumindest was die Darstel- niert oder gegebenenfalls eigene Videos dreht. lungsformen betrifft, schon auf hohem Niveau statt. 60

Für unsere Untersuchung nahmen wir Kontakt mit Zur Methode 22 deutschsprachigen Publikumsmedien auf, die in nen- nenswertem Umfang über Themen aus der Wissenschaft berichten. Die VertreterInnen von 14 Medien, darunter Teil I: Als Print das Filmen lernte sowohl VideoredakteurInnen als auch Angehörige der Fach- beziehungsweise Online-Redaktionen, stimmten Teil II: Zur Methode einer Befragung zu. Mit zwei Ausnahmen gehören sie Print-Medien beziehungsweisen deren Online-Ablegern an; nur die Website dasGehirn.info und das Magazin Von Theresa Moebus Substanz sind als ausschließlich digitale Angebote konzi- piert. Radio- und Fernsehsender blieben unberücksich- tigt, ebenso Youtuber, die sich auf Wissens- oder Wissen- schaftsformate konzentrieren.

Die Befragung wurde im Juli und August 2015 durchge- führt und erfolgte mittels eines standardisierten Fragebo- gens (Rücklauf: 12 Fragebögen) sowie eines anschließen- den Telefoninterviews anhand eines vorher erarbeiteten Leitfadens.

Von Anfang an war klar, dass sich der Begriff des »wis- senschaftlichen Webvideos« nicht streng definieren lässt. 4 ZUR METHODE 61

Hätten wir eine enge Definition gewählt, wären wir der UNTERSUCHTE DIGITALE ANGEBOTE Vielfalt des Angebots nicht gerecht geworden. Dadurch entsteht eine gewisse Unschärfe in den Antworten, da je- ... von Tages- und Wochenzeitungen der der Befragten diesen Begriff möglicherweise anders auffasst. Auch fällt die Produktion von Webvideos oft in ... von Print-Magazinen mit Schwerpunkt die Zuständigkeiten mehrerer Abteilungen, zum Beispiel allgemeine Berichterstattung sowohl in die der Fach- als auch in die der Videoredakti- on. Das bringt weitere Unschärfen mit ins Spiel, etwa bei ... von Print-Magazinen mit Schwerpunkt der Frage nach dem Budget oder den technischen Gege- wissenschaftliche Berichterstattung benheiten zum Erstellen wissenschaftlicher Webvideos. ... von Online-Magazinen mit Schwerpunkt Eine Unterscheidung zwischen Wissens- und Wissenschafts- wissenschaftliche Berichterstattung journalismus, wie sie in der Kommunikationswissenschaft manchmal vorgenommen wird, etwa von Jutta von Campen- hausen oder Holger Wormer (s. Literatur), trafen wir nicht. In der Praxis scheinen auch mindestens zwei Journalisten diese LITERATUR Abgrenzung nicht anzuwenden, da sie sogar sagten, dass un- Campenhausen, J.v.: Wissenschaftsjournalismus. klar sei, worin genau der Unterschied bestehe. Im Übrigen Reihe: Praktischer Journalismus, Band 88. ordneten die Befragten ihre Webvideos eher dem Wissen- UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2011. schaftsjournalismus zu (5 Antworten) oder sowohl Wissens- als auch Wissenschaftsjournalismus (4 Antworten). Kohring, M.: Definition Wissenschaftsjournalismus. In: Weischenberg, S., Kleinsteuber, H.J., Pörksen, B. FALLSTUDIE MULTIMEDIAGESCHICHTEN 5 AUS DEM TEXTHAUS

Wolfgang Jaschensky, Leiter der Entwicklungsredaktion von KERSTIN HOPPENHAUS: Herr Jaschensky, eine Ihrer SZ.de, will künftig mehr multimediale Geschichten produzie- jüngeren Multimedia-Produktionen berichtet über einen ren. Dank eines wachsenden Erfahrungsschatzes ist der Auf- Pestausbruch in Madagaskar. Worum geht es genau? wand für die Projekte deutlich gesunken. Kerstin Hoppen- WOLFGANG JASCHENSKY: Bei »Der Schwarze Tod« haus hat mit ihm geprochen. begeben sich zwei Reporter auf Spurensuche nach Mada- gaskar und zeichnen nach, wie die Pest, die wir aus euro- päischer Sicht eigentlich für ausgerottet halten, dort noch Interviewpartner Wolfgang Jaschensky wütet und weiter um sich greift. Formal ist die Geschich- te aus meiner Sicht interessant, weil sie für eine aus ei- 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 63 nem Texthaus wie der SZ kommende von Geschichten wird linear erzählt, In der Regel – das ist zumindest mei- Produktion sehr bildlastig ist. Und die andere ist das »Universum«, in ne Erfahrung – funktionieren lineare weil es uns gelungen ist, wie mir dem ich für den Leser oder Nutzer die Geschichten besser als Universumsge- scheint, die Geschichte so zu erzäh- Möglichkeit schaffe, sich die Ge- schichten, was allerdings nicht heißt, len, dass der Leser gut hindurchge- schichte auf verschlungenen Pfaden dass letztere nicht auch gut sein kön- führt wird und nicht das Gefühl hat – selbst zu erschließen. Beim »Schwar- nen. Es gibt zudem Mischformen, in wie oft bei Multimedia-Geschichten zen Tod« haben wir uns für die linear denen ich eine lineare Geschichte er- –, zwischen den Darstellungsformen erzählte Geschichte entschieden. zähle, die ich rechts und links etwas hin- und hergeworfen zu werden. Denn wenn man ehrlich ist, interes- vertiefe. Die Gefahr liegt aber auch siert die Pest in Deutschland keinen dann darin, dass man die Leute auf Warum kommt dieser Eindruck häufig Menschen, hier ist einfach niemand dem Weg verliert. auf? davon betroffen. Also muss ich die Le- Man tappt gern in die Falle, dass man ser anders kriegen, und das schaffe Wie kamen Sie überhaupt zu dieser Geschichte? Dinge nur deshalb macht, weil man ich über eine spannende Geschichte. sie machen kann: dass man also hier Aber ich verliere sie auch sofort wie- Die beiden Autoren, Christian Werner noch ein Feature hinzufügt, da noch der, wenn ich die Spannung abfallen und Isabelle Buckow, sind in Vorleis- ein Asset, da noch einen Zeitstrahl. lasse. Und das passiert leicht, wenn tung getreten und erst dann auf uns Die Folge ist oft, dass man die Ge- ich erwarte, dass sie sich eine halbe zugekommen, als sie die Recherche schichte aus den Augen verliert. Ich Stunde durch ein Universum klicken. und die Reise nach Madagaskar folge darum einer ganz hilfreichen schon abgeschlossen hatten. Schubladenlogik: Die eine Kategorie 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 64

Und wie lange hat dann die Produkti- Ist das denn üblich, solche Projekte besten Fall auch ein bisschen Auf- on gedauert? zu einem großen Teil extern durchzu- merksamkeit. Vor allem lernt man führen? Bei uns im Haus ungefähr vier Mona- aber eine Menge dabei. te, in denen wir aber nicht permanent Es gibt noch zu wenig Präzedenzfälle, Was haben Sie denn genau gelernt? daran gearbeitet haben. Wenn wir bei um das genau sagen zu können. Je solchen Geschichten mit Freien zu- nach Zählweise kommen wir auf ein Wir bauen uns nach und nach einen sammenarbeiten, ist unser eigener An- gutes Dutzend Geschichten dieser Werkzeugkasten zusammen. Beim ers- teil unterschiedlich hoch. In diesem Art. Davon haben wir einige komplett ten Mal haben wir praktisch alles von Fall sind die Animation, die die Ver- inhouse umgesetzt, andere entstanden Grund auf neu programmiert, beim breitungswege der Pest zeigt, und weit gehend außerhalb. Meine Abtei- zweiten Projekt konnten wir Versatz- auch die Grafiken bei uns entstanden. lung ist ja noch recht jung. Wir wol- stücke aus dem ersten nehmen, beim Ich selbst war vielleicht sieben oder len bald technisch und organisato- dritten haben wir wieder Neues dazu- acht Tage dabei, wenn man die reine risch so aufgestellt sein, dass unser entwickelt, und so weiter. So sind die Arbeitszeit rechnet. Das ist natürlich Workflow es erlaubt, solche Geschich- Produktionskosten innerhalb von vier nur ein Bruchteil der Gesamtarbeits- ten öfter, regelmäßiger und günstiger oder fünf Geschichten erheblich ge- zeit. Alleine die Recherche in Mada- umzusetzen. Im Moment ist jede ein- schrumpft. zelne so teuer, dass sie sich kaum refi- gaskar dauerte viel länger, hinzu Zum anderen geht es auch einfach da- nanzieren kann, zumindest dann kommt der Schnitt, das Texten. Die rum, herauszufinden, wie man die Ge- nicht, wenn man in einer reinen Ver- Kollegen haben viele Wochen mit der schichten überhaupt aufbaut. Was marktungslogik denkt. Aber so zeigt Produktion zugebracht. funktioniert, was nicht? Wie be- man, was man kann, und bekommt im 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 65 kommt man Video und Text zusam- men, wie setzt man zum Beispiel Vi- deo ein, damit ein Text angenommen wird? Wie setzen wir Projekte organi- satorisch um, welche technischen Skills, welche Rollen brauchen wir? Ich glaube nicht, dass man einfach be- schließen kann: In zwei Jahren begin- nen wir, tolle Multimedia-Geschich- ten zu erzählen, aber heute noch nicht, weil es sich noch nicht lohnt. Das funktioniert nicht von null auf Terberl, Laura / Süddeutsche.de Lukas Ondreka hundert, man muss das aufbauen. Wie wir ticken | 02:12 min Dieses Video aus der SZ-Multimedia-Geschichte »Wie wir ticken. Der Mensch und das Tempo« Wir als Entwicklungsredaktion sind (zur Geschichte auf SZ.de ) zeigt ein Experiment, das Unterschiede im Zeitempfinden illustriert, hier so eine Art Kompetenzzentrum. die davon abhängig sind, ob die Versuchsperson Tetris spielt oder Bäume zeichnet. Wir möchten, dass Leute aus dem Haus mit ihren Ideen zu uns kommen setzen. So etwas in eine Organisation halb des Hauses, sondern auch inner- – auch wenn sie nicht besonders multi- zu tragen, das braucht eben seine halb reden. mediaaffin sind oder keine Kamera- Zeit. Man braucht ein paar gute Bei- Ich denke, es ist ein bisschen wie An- ausbildung haben –, die wir dann um- spiele, über die Leute nicht nur außer- fang des letzten Jahrhunderts beim 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 66

Dokumentarfilm. Damals musste man an finanziellen Möglichkeiten haben, während man im Dokumentarfilm al- auch erst einmal verstehen, wie da bin ich schon auch ein bißchen nei- les immer sehr aufwändig in Bilder Bewegtbild überhaupt funktioniert. disch. packen muss – selbst dann, wenn es Inzwischen haben sich unglaubliche sich kaum mit Bildern erzählen lässt. viele Formen und Facetten herausge- Der »Schwarze Tod« lebt sehr stark Auf der anderen Seite habe ich, wenn von Videoelementen. Hätten Sie lie- bildet, die aber über die Zeit wachsen das geschriebene Wort an seine Gren- ber einen Dokumentarfilm gemacht? mussten. Man könnte sagen, zu einem zen stößt, zusätzliche Darstellungsfor- gewissen Grad arbeiten wir unprofes- Unsere Produktionskosten waren im men zur Verfügung. Ich kann zum sionell in dem Sinne, dass vieles noch Vergleich zu denen für einen Doku- Beispiel, ohne viele Worte zu ma- im Experimentierstadium ist und eben mentarfilm winzig. Wenn man sich chen, mit einer animierten Grafik zei- nicht professionalisiert. Das versuche vorstellt, mit welchem Aufwand die gen, wie sich der Pesterreger verbrei- ich meinen Leuten mit auf den Weg ARD einen 45-Minüter produziert hät- tet. zu geben: dass es völlig okay ist, te ... Für unsere Verhältnisse war »Ma- Und ich kann zum Video übergehen, wenn ein Experiment auch mal schei- dagaskar« aber trotzdem sehr, sehr wenn ich den Vater eines sterbens- tert oder nicht so gut wird. Wichtig teuer. Dennoch hätte das Budget wahr- kranken Pestpatienten am Kranken- ist, dass man dabei lernt. scheinlich gerade mal für ein, zwei bett zeigen will, der gerade erzählt, Minuten ARD-Film gereicht. Aber auch wir arbeiten natürlich wie er gemerkt hat, dass sein Sohn unter hohem Zeitdruck und mit be- Das Famose an Multimedia-Formaten die Krankheit hat. Der Leser erlebt grenztem Budget. Wenn ich sehe, was besteht doch darin, dass man vieles dann mit, wie der Mann um Fassung zum Beispiel die Kollegen von ARTE einfach im Text beschreiben kann, ringt und ihm nicht einmal mehr der 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 67

Name der Krankheit einfallen will.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Wissen- schaftsthemen im Allgemeinen?

Mit der Wissenschaft ist es ähnlich wie mit der Wirtschaft: Sehr oft kann man diese Dinge mit visuellen Mit- teln besser erklären, seien es Grafi- ken, Animationen oder auch interakti- ve Elemente. Wissenschaftliche Zu- sammenhänge im Bild zu zeigen, das funktioniert aus meiner Sicht regelmä- Süddeutsche.de, Bild: Melinda Gordon; Sue Süddeutsche.de, Warner Bros. Ent. ßig besser als zum Beispiel in der Po- litik. In seiner Videokolumne hat der Kann man durch ein Wurmloch springen? | 02:35 min (Ausschnitt) Patrick Illinger, Ressortleiter Wissen bei der Süddeutschen Zeitung, erklärt in der Videokolumne Leiter unseres Wissensressorts, Pat- »Schon gewusst?« auf SZ.de, ob es Wurmlöcher gibt und wie solche Abkürzungen im Weltall rick Illinger, über »Interstellar« be- funktionieren (zum Video auf SZ.de ). richtet, einen Hollywood-Scienceficti- on-Film. Was bei mir hängen geblie- überliegenden Seiten des Ballons sei- zwischen zwei Punkten auf der Bal- ben ist: Mit einem Luftballon hat er ne Zeigefinger in ihn hineingedrückt, lonhaut, die ursprünglich weit vonei- wundervoll erklärt, wie ein Wurm- bis sie sich berührten – der Abstand nander entfernt waren, ist so praktisch loch funktioniert. Er hat von gegen- 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 68 auf null geschrumpft. Und auf einmal von selbst losliefen. Stattdessen muss- normalerweise bringt eine neue kann man sich das viel besser vorstel- ten die Leser auf die Playtaste drü- Browserversion eine laufende Ge- len, als wenn man es aufgeschrieben cken. Wir waren dann ziemlich über- schichte nicht gleich zum Absturz. Au- vor sich gesehen hätte. rascht, wie wenig Leute auf Play ge- ßerdem: Die Geschichten sollen zwar drückt haben, obwohl die Videos ein möglichst lange im Netz stehen kön- Wissen Sie eigentlich etwas über Ihre sehr zentraler Bestandteil waren. Da- nen, aber die Geschichte kriegt nur Nutzer? raus zogen wir den Schluss, dass Vide- dann nennenswerte Aufmerksamkeit, Mit dem Tracking stehen wir noch os von alleine loslaufen müssen, da- solange sie auf der Homepage steht, ziemlich am Anfang. Wir sehen im- mit sie auch wahrgenommen werden. wenn sie gut ist und in den Social Me- merhin, dass viele Leute die Geschich- Inzwischen wissen wir allerdings, dia gefeatured wird. Manchmal erlebt te schon bis zu Ende lesen. Und aus dass es so einfach dann doch nicht ist, sie auch einen Social-Media-induzier- qualitativen Erhebungen wissen wir, unter anderem, weil Leser an mobilen ten zweiten Frühling. Aber nach dem dass die Leser solche Geschichten Geräten sich anders verhalten als sol- Tag, an dem die Geschichte auf dem von der Süddeutschen Zeitung erwar- che, die an einem PC sitzen. Markt war, ist der Traffic eigentlich ten. vorbei. Der Long Tail macht sich nur Ihre Geschichten basieren stark auf in der Summe unserer ganzen Ge- Aus unseren Daten haben wir zum Software. Müssen Sie sie im Lauf der schichten bemerkbar. Beispiel gelernt, wie wichtig Auto- Zeit technisch auf den neuesten Stand play für Videos sein kann. Einmal hat- bringen? Was ist denn ein guter Wert für die Be- ten wir die Videos in einer Geschichte Nein, alte Geschichten fassen wir in sucherzahlen? bewusst so eingestellt, dass sie nicht der Regel nicht noch mal an. Denn Wir hatten sechsstellige Zugriffszah- 5 MULTIMEDIAGESCHICHTEN AUS DEM TEXTHAUS 69 len, aber auch schon niedrige fünfstelli- hinter dem Link eine olle Nachricht MULTIMEDIA-TIPPS VON ge, 25.000 zum Beispiel für eine auf- steckt oder die aufwändigste Geschich- WOLFGANG JASCHENSKY wändigere Geschichte, was immer te aller Zeiten, das weiß der Leser erst noch okay ist. 100.000 und mehr kann mal gar nicht. Es ist nicht die Umset- man für eine Topgeschichte bekom- zung, die in die Geschichte führt, son- men. dern die Geschichte selbst. Darum hat man mit einer Multimedia-Geschichte Eine Multimedia-Geschichte funktio- dieselbe Pflicht, den Leser zu niert ja erst einmal nicht besser oder überzeugen, wie mit jeder anderen Ge- schlechter als eine Nicht-Multimedia- schichte auch, nämlich mit einem gu- Geschichte. Am meisten Traffic ten Teaser und einer guten Verkaufe. kommt über unsere Homepage, auf ihr Nur dann funktioniert eine Geschich- wird eine Geschichte prominent plat- te. Oder auch nicht. ziert, und vielleicht steht sie hier ein bisschen prominenter oder länger, weil wir sie ins Schaufenster stellen möch- ten. Und vielleicht schreiben wir auch dazu, dass sie eine interaktive Reporta- ge ist.

Aber niemand klickt darauf, weil dane- ben steht: interaktive Reportage. Ob INSTITUTIONELLE WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION VORSTOSS INS NEULAND – 6 WEBVIDEOS IN DER WISSEN- SCHAFTS-PR

Teil I: Vorstoß ins Neuland – Webvideos in der Wissenschafts-PR Teil II: Eingerissene Mauern ҆ Recherche mit Überraschungen

Reine Eigenwerbung oder gute Wissenschafts- In den ersten vier Minuten des Videos ist kein Mensch kommunikation? So präsentieren sich die großen zu sehen. Jedenfalls nicht aus der Nähe. Danach sieht Forschungsorganisationen filmisch im Netz. man endlich welche: Eine Forscherin im weißen Labor- kittel zerschneidet einen Zuckerrohrsteckling und gibt die Schnipsel in ein Reagenzglas. Doch sie spricht nicht. Niemand spricht, lediglich aus dem Off ist ein lobhudeln- der Kommentar zu hören. Mit monotoner Stimme preist die Sprecherin die Bedeutung der Forschung für Deutsch- Von Philipp Hummel lands Zukunft und die fabulöse Rolle, die die Deutsche 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 71

Forschungsgemeinschaft, DFG, dabei spielt. Merkel in der Zwischenzeit zum Status eines Sinnbilds für digitale Überforderung verhalf? Welche Chancen ergrei- Forscher drücken Knöpfe, schauen auf Monitore, blättern fen sie, um ihr Publikum mit Videos im Internet zu errei- Seiten um. Man sieht Menschen, die ihre Köpfe über Zet- chen? Welchen Verführungen der Selbstvermarktung sind tel beugen, es geht um die Wahl der Fachausschüsse, de- sie dabei ausgesetzt – und können sie ihnen immer wi- ren Ablauf penibel erläutert wird. Und niemand spricht je derstehen? in die Kamera. Gut zwanzig Minuten geht das so. Dieser Artikel konzentriert sich auf diejenigen Angebote, Die Szenen stammen aus einem Imagefilm der DFG vom die von den Institutionen selbst als Vorzeigeprojekte gese- Anfang der 1990er Jahre. Sein Titel: »Vorstoß ins Neu- hen werden oder wurden. Bei der DFG ist es das schon land – Die DFG und ihre Arbeit«. Zu finden ist er in der 2008 begonnene Projekt DFG Science TV , das Wissen- im März 2015 neu vorgestellten Mediathek DFG bewegt . schaftler mit Kameras ausstattete, damit diese ihre Arbeit In den letzten fast 25 Jahren hat sich in der Wissenschafts- im Film selbst dokumentieren. Bei der Max-Planck-Gesell- kommunikation per Bewegtbild viel getan, manches ist schaft ist es die Website Max Planck Cinema , die sich seit aber auch gleich geblieben. Dieser Artikel will aus der Per- 2014 insbesondere an Schüler und Lehrer wendet. Auch spektive eines Journalisten einige Schlaglichter darauf die Münchner Zentrale der Fraunhofer-Gesellschaft werfen, was die großen deutschen Forschungsinstitutionen mischt im Bewegtbildbereich mit (Youtube-Kanal der FhG filmisch gegenwärtig zu bieten haben. Welche Wege ge- ). Unter den Forschungszentren der Helmholtz-Gemein- hen die DFG, die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunho- schaft ragt schließlich, gemessen an seinem Videoange- fer-Gesellschaft und die Helmholtz-Gemeinschaft bei ih- bot, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, rem Vorstoß ins audiovisuelle »Neuland«, dem Kanzlerin DLR, heraus (Youtube-Kanal DLRde ), das 2014 die Ro- 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 72

je drei bis vier Minuten Länge stellten Forscher ihre Ar- beit vor, die Kamera nahmen sie selbst in die Hand. Zehn Sets an Filmequipment schaffte die DFG dafür an. Bevor sie den Wissenschaftlern die Technik überließ, mussten sich diese von einer Filmproduktionsfirma bei der Konzep- tion der einzelnen Serien beraten lassen. Im Anschluss an die Dreharbeiten wurde das Material professionell ge- schnitten.

Deutsches ZentrumDeutsches Luft- für V. e. Raumfahrt und (DLR) Das Ergebnis: Es kann fast alles bei diesem Ansatz heraus- Mission in Ungewisse – Der Kometenjäger Rosetta | 02:00 min kommen. Mal preisen peinliche Aufsagerfilmchen, in de- (Ausschnitt) nen die Protagonisten mechanisch agieren und sich an Mit den Filmen über die Landung auf dem Kometen 67P/Tschurju- schlechten Witz-komm-raus-Überleitungen versuchen, mow-Gerassimenko (zur Playlist auf Youtube ) traf das Videoteam eine neue Generation von aktiven optischen Linsen an; des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt den Nerv des Publi- kums. Journalistische Kriterien scheinen dabei aber eher nicht im Vor- unter der präsentierten Detailfülle erschließt sich dem Lai- dergrund zu stehen. en dabei nicht einmal deren Zweck (Youtube-Playlist Akti- ve Mikrooptik ). setta-Mission zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko Mal sind aber auch packende Reportagen zu sehen wie die filmisch verarbeitete. über den Verdrängungskampf zwischen einer einheimi- Das Science-TV-Projekt der DFG startete als innovatives schen und einer eingewanderten Flusskrebsart im Boden- Vorhaben. In Miniserien von sechs bis zwölf Episoden mit see, samt Unterwasserszenen, die man dramaturgisch 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 73 kaum besser hätte aufziehen können, und die von der Au- Das Beispiel eignet sich jedenfalls, um einen der Hauptun- thentizität zweier junger Forscher als Protagonisten getra- terschiede zwischen institutioneller PR einerseits und der gen wird (Tierische Invasion , in der Mediathek der DFG). Arbeit kritischer Journalisten andererseits zu benennen: Bei Ersterer bleiben die Auswahlkriterien für die Berich- Warum es manche DFG-geförderten Projekte in die Aus- terstattung eher intransparent, bei Letzterer liefern die jour- wahl schafften und andere nicht, lässt das Format unbeant- nalistischen Produkte im Idealfall durch ihren Gehalt wortet. Klar ist nur, dass sich selbst bewerben musste, wer selbst eine Begründung für ihr Dasein. Einer der wesentli- an dem Projekt teilnehmen wollte. Welche Kriterien ga- chen Faktoren bei der Entscheidung, welchem Thema sich ben aber dann den Ausschlag? Anhand der im Netz gezeig- ein journalistischer Beitrag widmet, ist dessen Relevanz ten Serien kann man den Eindruck gewinnen, dass nicht für das Zielpublikum – ein Kriterium, das man im PR-Be- ausschließlich die Bedeutung der Forschung für die Gesell- reich oft vergeblich sucht. Bei allen vier Institutionen, die schaft oder ihre herausragende Position im internationalen hier Gegenstand sind, lässt sich diese Form der Intranspa- Vergleich maßgeblich waren. Ebenso wenig spielten offen- renz in mehr oder minder starkem Maße beobachten. bar die Qualitäten der Forscher als Protagonisten eine Rol- le oder die Frage, ob ein Thema eine spannende Dramatur- Zu den Aufgaben von Journalisten gehört es darüber hi- gie hergibt. Vielleicht mussten mit den Miniserien, von de- naus, als Anwälte der Öffentlichkeit Auskünfte kritisch zu nen derzeit 22 mit insgesamt etwa 200 Episoden hinterfragen, die sie von den Institutionen erhalten. Gege- existieren, auch einfach politische Interessen innerhalb benenfalls stoßen sie dabei auf Missstände, die dann aufzu- der DFG befriedigt werden. Oder eine geringe Zahl von zeigen sind. Die Forschungsorganisationen hingegen blei- Bewerbern ließ kaum Spielraum zur Auswahl. ben weiter in der Vorstellung gefangen, sie müssten Über- zeugungsarbeit in der Kommunikation mit den Bürgern 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 74 leisten. Auch mit ihren Webvideos machen sie, wie dieser die Forderung nach Relevanz. Artikel zeigen wird, nichts anderes. Noch deutlicher wird der Siggener Kreis. Diese auf Initia- Ist ihnen daraus ein Vorwurf zu machen? Die Einrichtun- tive des Bundesverbands Hochschulkommunikation und gen der Wissenschaft können sich an einigen Leitplanken von Wissenschaft im Dialog entstandene Gruppierung, die orientieren. Eine davon ist das PUSH-Memorandum, das sich »als Denkwerkstatt und Impulsgeber für die Weiter- 1999 zur Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft entwicklung der Wissenschaftskommunikation« versteht, und Gesellschaft formuliert wurde (PUSH: Public Under- entwickelte ab 2013 »Leitlinien für gute Wissenschafts- standing of the Sciences and Humanities). In der Präam- kommunikation«. Im Siggener Diskussionspapier heißt es: bel des Dokuments, das unter anderem der damalige »Gute Wissenschaftskommunikation arbeitet faktentreu. DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker unterzeichnete, Sie übertreibt nicht in der Darstellung der Forschungserfol- heißt es: »Je mehr die Wissenschaften individuell spürbar ge und verharmlost oder verschweigt ihr bekannte Risiken die Bedingungen des Lebens verändern, umso mehr sind neuer Technologien nicht. Sie macht Grenzen ihrer Aussa- auch sie aufgefordert, solche Veränderungen öffentlich zu gen sichtbar. Außerdem sorgt sie für Transparenz der Inte- rechtfertigen, ja sogar vorausschauend öffentlich zu disku- ressen und finanzieller Abhängigkeiten. ... Sie beantwortet tieren.« Außerdem steht dort zu lesen, »dass man mit im- die Frage, welche Bedeutung die Informationen für Wis- mer weniger Bereitschaft seitens der Öffentlichkeit rech- senschaft und Gesellschaft haben, und ordnet sie in den ak- nen darf, diejenige Forschung und Entwicklung zu unter- tuellen Forschungsstand ein. Sie weicht nicht für Zwecke stützen, die die Erörterung ihrer gesellschaftlichen Rele- des Institutionenmarketings oder der Imagebildung von vanz unter Einbeziehung realistischer Chancen und mögli- Faktentreue und Transparenz ab.« cher Risiken unterlässt«. Auch hier ist sie also zu finden, 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 75

Messen wir DFG Science TV an diesen Sätzen. Fakten- Planck-Gesellschaft. Ende 2014 hat die MPG ein Video- treue ist vermutlich das geringste Problem, denn dieser portal eröffnet, auf dem sie neben Filmen aus den vergan- fühlen sich die meisten Wissenschaftskommunikatoren genen Jahren auch neue Produktionen präsentiert. Max verpflichtet. Schwieriger ist es mit dem, was weggelassen Planck Cinema richtet sich insbesondere an Schüler und wird. Eine Einordnung in den aktuellen Forschungsstand besteht aus einer Serie von derzeit rund dreißig Filmen, würde zum Beispiel die Nennung konkurrierender Wissen- die aus vielen Bereichen der von der MPG betriebenen schaftlerteams erfordern. Transparenz würde erfordern, ne- Forschung erzählt. ben den Kriterien für die Auswahl der Projekte das Eigen- Die Filme sind eher themen- als projektorientiert, es geht interesse der Forscher an einer positiven Evaluation durch zum Beispiel um »Gammablitze – Signale vom Anfang die DFG zu benennen – und damit verbunden ihr Interes- der Welt« oder um »Wehrhafte Pflanzen«. Die Zielgruppe se, sich im Video im besten Licht zu zeigen. Die Themati- versucht Max Planck Cinema mit gefälliger Popmusik zur sierung von Risiken ist ebenfalls nicht als wichtiger Untermalung, schnellen Bildern und aufwändigen Animati- Bestandteil der Videoproduktionen zu erkennen. Und erst onen für sich zu gewinnen. Es gibt beeindruckende Makro- recht kann nicht davon die Rede sein, dass die Beiträge ge- bilder ebenso wie Zeitrafferaufnahmen zu bestaunen. Dra- nau auf jene kontroversen Themen fokussieren, die am maturgie und Storytelling wirken gekonnt, auch wenn sie dringendsten einer gesellschaftlichen Debatte bedürfen. aus dem »Altland« Fernsehen stammen. Besonders starke Die letzten Episoden des Formats, 2013 veröffentlicht, darf Wirkung entfaltet der erklärerische Ansatz, der nah bei man – mit je wenigen hundert Views auf Youtube – übri- den wissenschaftlichen Prozessen bleibt und auch komple- gens beim öffentlichen Publikum als gescheitert betrachten. xen Zusammenhängen auf den Grund statt aus dem Weg geht. Von den eleganten Schilderungen können sich ande- Richten wir unseren Blick auf das Angebot der Max- 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 76

gen im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen, wie Quarks & Co, Nano oder Galileo.

Allein: Eine kritische Haltung zählt offenbar auch bei die- sem Format nicht zu den Zielsetzungen. Dass zum Bei- spiel Pflanzenschutzmittel mit der umstrittenen Gentech- nik zu tun haben, ist in den Filmen zwar offensichtlich – dass dies ein Problem sein könnte, aber nicht. Und durch- weg klingen die Filme so, als würden die darin vorgestell-

Fraunhofer-Gesellschaft ten grandiosen Forschungsthemen einzig von der MPG be- Diamantartige Schichten sparen Treibstoff | 01:18 min (Ausschnitt) ackert. Trotz all ihrer Qualitäten scheint also auch durch Die Fraunhofer-Gesellschaft setzt auf Videos, die auf Entscheider bei diese Beiträge der PR-Charakter durch. potenziellen Industriepartnern, in der Politik und in der Forschungsför- Was bietet dagegen die Fraunhofer-Gesellschaft? Ähnlich derung zugeschnitten scheinen. Die Forscherpersönlichkeiten stehen im Vordergrund, wissenschaftliche Details spielen eine weniger promi- wie die Helmholtz-Gemeinschaft hat sie den Gutteil ihrer nente Rolle. (zur Youtube-Fassung ) Videoaktivitäten in ihre einzelnen Institute ausgelagert. Betrachtet man nur die Filme der Zentrale, fällt auf, dass diese im Vergleich zu den anderen hier vorgestellten Ange- re Wissenschaftsfilmer durchaus eine Scheibe abschnei- boten stärkeren Imagecharakter besitzen. Besonders wich- den. Die Münchner Filmproduktion Massih Media, die die tig dürften aus Perspektive der FhG die Filme über den Jo- Videos für Max Planck Cinema produziert hat, bekommt seph-von-Fraunhofer-Preis sein, mit dem Forscher aus auch regelmäßig Aufträge von den großen Wissenssendun- dem eigenen Haus ausgezeichnet werden. 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 77

Drei solcher Auszeichnungen vergab die FhG 2015. In möglich«. Unübersehbar, dass man hier auf Geldgeber den begleitenden Videos geht es kaum um wissenschaftli- zielt: Die Beiträge wirken wie zugeschnitten auf Entschei- che Details, dafür stehen die Forscher im Vordergrund. Sie der bei potenziellen Industriepartnern, in der Politik und wirken authentisch, oft kommt Persönliches ins Spiel, wie in der Forschungsförderung. Womöglich dient demnach etwa die Motorradleidenschaft eines Schmierstoff-For- auch schon die Auswahl der Preisträger dem Zweck der schers (Diamantartige Schichten sparen Treibstoff , siehe auch Gewinnung oder Sicherung von Drittmitteln. den Filmausschnitt auf der vorangegangenen Seite) oder Zum Abschluss nun der Blick auf das DLR als Video- der Umstand, dass ein Preisträger, der an der Herstellung Flaggschiff der Helmholtz-Gemeinschaft. Bei seinem he- umweltfreundlichen Naturkautschuks arbeitet, von einem rausstechendsten Videoprojekt 2014 konnten die Verant- Bauernhof stammt (Naturkautschuk aus Löwenzahn ). wortlichen hinsichtlich Relevanz und Einordnung in den Zu Fragen nach der Relevanz der jeweiligen Forschung, internationalen Kontext nicht viel falsch machen, schließ- der Preiswürdigkeit der Preisträger oder der Einordnung lich handelte es von einem einzigartigen Projekt in der der Forschungsstärke im internationalen Vergleich schwei- Menschheitsgeschichte: eine Raumfahrtmission, die eine gen die Filme allerdings. Stattdessen werden die Forscher Landeeinheit auf einem Kometen absetzte. In den Reporta- und ihre Arbeit rein lösungsorientiert und sehr zukunftsop- gen über die Rosetta-Sonde auf ihrem Weg zum Kometen timistisch präsentiert. Hier scheut sich niemand davor, Tschuri, in die Material der Europäischen Weltraumorgani- dick aufzutragen: Die Fraunhofer-Forschung wird als sation eingeflossen ist, treten zudem starke Protagonisten »weltweit einzigartig« gelobt und der Fortschritt beispiels- auf. Auch dramaturgisch hat das hauseigene Videoteam weise auf dem Gebiet der Terahertztechnologie beschrie- das Abenteuer großartig in Szene gesetzt. Die Grundstruk- ben als »ohne Fraunhofer-Grundlagenforschung nicht tur einer Heldenreise, wie sie ungezählten erfolgreichen 6 VORSTOSS INS NEULAND – WEBVIDEOS IN DER WISSENSCHAFTS-PR 78

Kinofilmen zu Grunde liegt, bekamen die Filmer durch ihre Webvideos mitunter durch gutes Storytelling, didakti- den dramatischen Verlauf der Mission und die missglück- sches Geschick und andere Qualitäten überzeugen, steht te Landung des Philae-Moduls, die zunächst das außer Frage. Dass die Einrichtungen letztlich nur PR-Fil- Schlimmste befürchten ließ, quasi frei Haus geliefert. me drehen, aber ebenso wenig. Transparenz und Aufrich- Inklusive Happy End. tigkeit, wie sie in der Debatte um die Zukunft der Wissen- schaftskommunikation gefordert werden, wagen sie bis- Hat man aus journalistischer Sicht hier also alles richtig lang nicht. Im Gegenteil: Auf breiter Front erliegen sie gemacht? Nein. Denn zum Beispiel Politik, Bürokratie ganz schlicht der Versuchung, zwar ausgewählte Stilmittel und der Streit um Gelder und Ruhm, wie sie etwa in ei- des Journalismus anzuwenden, im Übrigen aber Eigenwer- nem Dossier der Zeit offengelegt wurden, finden in den bung zu produzieren und sie ungehemmt durchs Netz di- DLR-Dokumentationen über das Prestigeprojekt keinen rekt zu den Endnutzern zu tragen. Platz. Im Gegenteil: Die DLR-Beiträge stellen stark auf Harmonie ab, die Darstellung von Teamwork steht im Vor- dergrund – negative Aspekte bleiben außen vor. Unbe- streitbar jedoch zeigt die vergleichsweise große Resonanz im Netz – über 150.000 Klicks auf das Youtube-Video Landing on a Comet – The Rosetta Mission –, dass das DLR- Videoteam mit dieser Arbeit einen Nerv bei den Nutzern getroffen hat.

Was also lässt sich über die Bewegtbildangebote der hier diskutierten Forschungsorganisationen festhalten? Dass 79

Die Debatte um das Verhältnis zwischen Journalismus Eingerissene und PR hat in den letzten Jahren viele KollegInnen be- schäftigt. Besonders problematisch ist die Situation, Mauern wenn es zu einer unzulässigen Vermischung beider Sphä- ren kommt. Die Recherche zu dem vorangegangenen Bei- Recherche mit Überraschungen trag im Sommer 2015 hat nun ein Beispiel für genau eine solche Vermischung zutage gefördert. Sie zeigt, wie zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Teil I: Vorstoß ins Neuland und der Redaktion des Westdeutschen Rundfunks Teil II: Eingerissene Mauern - (WDR) Filmmaterial ausgetauscht wurde. Im Zentrum Recherche mit Überraschungen steht ein Journalist als freier Autor, dessen Autorenbüro aktiv versucht hat, die Trennung zwischen Journalismus und PR im Wissenschaftsbereich aufzuheben.

Der WDR, so ergab die Recherche, beauftragte den frei- Von Philipp Hummel en Autor damit, ein Filmporträt über den Gewinner des Communicator-Preises 2015, den Schmerzmediziner Bo- ris Zernikow, zu erstellen. Den »Communicator-Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes« erhält laut DFG, wer sich in hervorragender Weise um die Vermitt- lung seiner wissenschaftlichen Ergebnisse in die Öffent- 6 EINGERISSENE MAUERN – RECHERCHE MIT ÜBERRASCHUNGEN 80 lichkeit bemüht; er wird vom Stifterverband finanziert Dass ein öffentlich-rechtlicher Sender, der in einem seiner und von der DFG ausgeschrieben. Beiträge eine Institution erwähnt, dieser das entsprechen- de Filmmaterial für PR-Zwecke kostenlos zur Verfügung Das beauftragte Porträt wurde im öffentlich-rechtlichen stellt, ist mindestens verwunderlich. Ebenso verwunder- Fernsehen ausgestrahlt – in der Sendung Nano auf 3sat, lich klingt die Formulierung der DFG, dass die Porträts die einen Teil ihres Materials vom WDR bezieht. Unter der Communicator-Preisträger aus den Jahren zuvor »ver- dem Titel Fokus auf die Kinder war es bis vor kurzem in traglich geregelt beim SWR bestellt« worden seien und der 3sat-Mediathek zu sehen, eingeblendet war das 3sat- dieser sie auch gesendet habe. Logo. Mittlerweile ist der Beitrag dort »nicht (mehr) ver- fügbar«. Inhalte können aber auch den umgekehrten Weg nehmen. Geebnet wird dieser von Firmen, die versuchen, PR-Mate- Zuvor war Folgendes geschehen: Nach der Anfrage des rial von Forschungseinrichtungen gezielt in die journalisti- freien Autors beim Preisträger war die DFG auf den WDR sche Berichterstattung einzuschleusen. Auf der Website zugekommen, um eine Kooperation einzugehen. Infolge des Autorenbüros, dem der freie Autor des Zernikow-Por- dieser Absprache ist das WDR-Filmporträt nun auch in traits angehört, richtete sich – bis zu dieser Recherche – der DFG-Mediathek zu finden, diesmal allerdings unter folgender Text an potenzielle Auftraggeber: »Nun ist es einem anderen Titel – Film-Porträt des Communicator-Preisträ- nicht damit getan, vielfach nutzbares Filmmaterial zu ge- gers 2015 – Prof. Boris Zernikow –, unter Angabe des Copy- nerieren, es muss auch seinen Weg zu den entsprechenden rights »DFG« und ohne 3sat-Logo. Die Pressestelle der Internet-Plattformen und TV-Redaktionen finden. (...) Mit DFG bestätigt diesen Ablauf. Geld sei, zumindest in die- E-Mails und ggf. Anrufen in die Redaktion, informieren ser Kooperation, nicht geflossen. wir die Journalisten über das Filmangebot und die richti- 6 EINGERISSENE MAUERN – RECHERCHE MIT ÜBERRASCHUNGEN 81 gen Ansprechpartner zum Thema. Da mittlerweile auch Im Verlauf der Recherche und der Korrespondenz mit die öffentlich-rechtlichen Sender unter starken Sparzwän- dem Autor verschwand seine Handynummer von den Sei- gen leiden, wächst auch hier die Bereitschaft, fertiges ten des Autorenbüros. Auch das Angebot zur Unterbrin- Filmmaterial zu verwenden. Allerdings muss in der Sen- gung der Filme im Fernsehen wurde gelöscht. Stattdessen dung auch die Quelle des Materials genannt werden, was finden sich »Stories & Themenangebote« nun in einem einen zusätzlichen ›Werbeeffekt‹ für die entsprechende passwortgeschützten Bereich – um »Ideen und Copyright Forschungseinrichtung hat. Die Bereitschaft in den Redak- zu wahren«, wie es dort heißt. Auf eine Bitte um Stellung- tionen fertiges Filmmaterial von Forschungs-Institutionen nahme reagierte das Autorenbüro nicht. zu verwenden ist deutlich größer als jene, Filme von In- Der zuständige WDR-Redakteur Lorenz Beckhardt be- dustrieunternehmen zu verwenden.« tont, dass ihm eine PR-Tätigkeit des Autors für For- Das Autorenbüro warb bis zu dieser Recherche damit, schungsinstitutionen nicht bekannt sei – »sonst hätte ich dass sowohl der freie Autor des genannten Filmporträts ihn auch nicht mit dem Film beauftragt«. als auch ein zweites Mitglied des Autorenbüros für Nano Zusammengefasst stellt sich die Situation wie folgt dar: und den WDR tätig waren. Der WDR, ein öffentlich-rechtlicher Sender, der im Wis- Alle Fäden laufen bei dem freien Autor zusammen: Die senschaftsbereich gerade drastische Einsparungen vor- Domainregistrierung für die Website des Autorenbüros er- nimmt, reicht Filmmaterial in Form eines Forscherporträts folgte unter Angabe seiner Daten, auch war die Nummer kostenlos an eine Forschungsförderorganisation weiter. seines Handys als Kontaktinformation auf den Seiten ver- Diese nutzt es in ihrer Mediathek zu PR-Zwecken. merkt. Die Seiten des Autorenbüros und des Autors wei- Die Kooperation zwischen beiden bleibt nach außen hin sen starke Ähnlichkeiten auf, insbesondere ihre Logos. intransparent, zusätzlich führen die falsche Copyright-Nen- 6 EINGERISSENE MAUERN – 82 RECHERCHE MIT ÜBERRASCHUNGEN nung in der Mediathek der DFG, das fehlende Logo und der geänderte Titel den Nutzer in die Irre.

Der Autor des Forscherporträts ist Mitglied eines Autoren- büros, das Forschungseinrichtungen auf seiner Website an- bot, deren Filmmaterial in öffentlich-rechtlichen Redaktio- nen unterzubringen. Gleichzeitig arbeitete er als freier Au- tor für die Sendung Nano des WDR. Nach einer Anfrage bei dem Autor verschwanden Hinweise auf seine Rolle bei dem Autorenbüro von dessen Seite.

Verzwickt? Möglicherweise. Eins aber ist klar: Hier wer- den Grenzlinien zwischen Journalismus und PR überschrit- ten. Und keiner der Beteiligten trägt dazu bei, dass diese Grenzlinien noch erkennbar bleiben.

MATERIALIEN

Welche Aufwand investieren DFG, MPG, FhG und DLR in ihre Bewegtbildangebote im Netz? Formlose Übersicht der Rechercheergebnisse von Philipp Hummel. Versand per Mail, Anfragen bitte an [email protected] FALLSTUDIE OFFENE LABORTÜREN – 7 FORSCHEN UNTER DEM BLICK DER KAMERA

Ratten mit durchtrenntem Rückenmark auf dem Seziertisch: KERSTIN HOPPENHAUS: Monsieur Courtine, Sie haben Grégoire Courtine, Professor an der École Polytechnique Ihr Forschungsprojekt als Webdoku veröffentlicht. Fédérale de Lausanne, hat sein Labor für einen Dokumentar- Wie sind Sie auf diese ungewöhnliche Idee gekommen? filmer geöffnet. Das Ergebnis ist als Webdoku im Netz zu se- GRÉGOIRE COURTINE: Eigentlich ist das eine lange Ge- hen. Kerstin Hoppenhaus hat mit dem Experten für Neurore- schichte. Als Jugendlicher habe ich viel Theater gespielt, habilitation gesprochen. und es macht mir nichts aus, frei zu reden oder vor der Kamera zu stehen. Später, während meiner Doktorarbeit, Interviewpartner Grégoire Courtine habe ich oft an Outreach-Aktivitäten meiner Universität teilgenommen – an Science Fairs, Filmabenden, solchen 7 OFFENE LABORTÜREN – FORSCHEN UNTER DEM BLICK DER KAMERA 84

auf eine möglichst originelle Art. So kamen wir auf die Idee mit der Web- dokumentation. Und da habe ich Des- marchelier angesprochen, ob er nicht Regie führen will. Und nun begleitet er uns schon seit fast neun Jahren und war bei vielen Schlüsselereignissen live dabei. Die Begeisterung und die Emotionen, die in den Videos rüber- kommen, das ist nicht gespielt!

Jean-François Desmarchelier, Grégoire Courtine Und es geht immer noch weiter. Rewalk Episode 1 – Spinal Cord Injury | 2:51 min Als Grégoire Courtine sein Labor für einen Dokumentarfilmer öffnete, war er bereit, auch einen Ja, das ist das Schöne an diesem For- Teil der Kontrolle über die Dreharbeiten abzugeben. So konnte ein feinfühliges und intensives mat. Wir haben mehrere Episoden, Porträt seiner Arbeit entstehen, das auch die Darstellung von Tierversuchen umfasst. und immer, wenn etwas Neues pas- (Episode 1 auf der Rewalk-Website ) siert, können wir eine neue Episode, Dingen. Bei einer dieser Veranstaltun- Als wir dann mit diesem großen For- ein neues Kapitel veröffentlichen. gen habe ich den Regisseur Jean- schungsprojekt begannen, war uns Und am Ende steht dann vielleicht, François Desmarchelier kennen ge- wichtig, es zu dokumentieren und das wünscht sich der Regisseur, ein lernt. auch nach außen zu kommunizieren, ganzer Dokumentarfilm, der die wis- 7 OFFENE LABORTÜREN – FORSCHEN UNTER DEM BLICK DER KAMERA 85 senschaftliche Reise begleitet, vom wir hatten zumindest eine Grundlage. einen Wissenschaftler, seine Arbeit so Anfang bis zum Ende. nach außen zu präsentieren, wie ich Die nächste Stufe war schwieriger, das tue. Und das hat seinen Preis: Vie- aber ich denke, wir haben jetzt eine Sie gehen an einigen Stellen der Web- le meiner Kollegen finden das doku sehr ins Detail. Wer ist Ihre Ziel- gute Vereinbarung mit dem Schwei- überhaupt nicht in Ordnung. Und da- gruppe? Andere Wissenschaftler? zer Fernsehen gefunden. Sie werden rum bin ich da sehr zurückhaltend. die nächsten Episoden über die klini- Nein, Wissenschaftler eher nicht. Die schen Tests finanzieren, bei denen wir haben gar keine Zeit für so etwas ... Hat es auch damit zu tun, dass Sie bei unsere Methode das erste Mal bei Wir wenden uns eher an interessierte so großen Partnern wie der BBC, die Menschen einsetzen. Man kann dem auf ihrer journalistischen Unabhän- Laien, vor allem aber an unsere Pati- Abenteuer also weiter folgen. gigkeit bestehen, nicht mehr so gut enten und ihre Familien. kontrollieren können, was gesendet Ihr Forschungsthema, nämlich die wird? Woher hatten Sie denn das Geld für Therapie von Rückenmarksverletzun- ein so großes Videoprojekt? Das war auch eine der Sorgen, die das gen, ist ja sehr attraktiv für eine filmi- Schweizer Fernsehen hatte. »Was pas- Am Anfang war es über unser EU-Pro- sche Umsetzung. Wie kommt es, dass siert, wenn die klinischen Tests schei- jekt mitfinanziert. Da standen uns Sie das Fernsehen nicht von Anfang an mit im Boot hatten? tern? Es muss möglich sein, dass wir 50.000 Euro im Rahmen des Gesamt- das auch zeigen.« Und ich habe ge- budgets für Outreach zur Verfügung. Das wollte ich ausdrücklich vermei- sagt: »Natürlich werden wir das zei- Das war sehr schön. Es ist zwar nicht den! Die BBC und auch französische gen!« Ich habe auch nie in die Filmar- sehr viel Geld für denjenigen, der am Sender, die wollten alle dabei sein. beit von Desmarchelier eingegriffen. Ende den Film finanzieren muss, aber Aber es ist ja recht ungewöhnlich für 7 OFFENE LABORTÜREN – FORSCHEN UNTER DEM BLICK DER KAMERA 86

Er hat alle Freiheiten zu zeigen, was Ich weiß noch, einmal im Juni 2012, den jungen Leuten aus meiner Arbeits- er für richtig hält. kurz nachdem wir eine Publikation in gruppe, sie gehen was trinken, und Science veröffentlicht hatten, da hatte dann am nächsten Tag, wenn sie wie- Wie sieht die Zusammenarbeit in der ich mit so vielen Journalisten gespro- der im Labor sind, stellt er ganz bei- Praxis aus? Nimmt das Filmteam viel chen ... Und als dann er kam, zwei läufig seine Fragen. Einfluss? Inszeniert es die Abläufe, wie das beim Fernsehen oft ge- Wochen später, und ich anfing, mit Hatte er jemals Ideen, bei denen Sie schieht? ihm zu reden wie mit all den anderen sagen mussten: Stopp, das können wir Journalisten, da schaltete er erst mal Ich glaube, das ist eine große Stärke wirklich nicht machen? die Kamera aus, setzte sich neben dieses Filmemachers: Er inszeniert mich und sagte: »Okay, fangen wir al- Nein, das kam bisher noch nicht vor. überhaupt nicht! Er kommt mit einer, so von vorne an.« Und dann haben Am schwierigsten war das Filmen mit manchmal auch mit zwei Kameras und wir zwanzig Minuten lang geredet, den Affen. Die Arbeit mit ihnen ist fängt einfach an zu filmen. Und dann bis ich wieder locker war. Und dann eine notwendige Etappe vor den klini- vergessen wir, dass er da ist. Es ist al- erst haben wir das Interview gedreht. schen Studien am Menschen. Das ist les ganz natürlich. Und ich finde, das ein sensibles Thema, auch für ihn. Und ich glaube, das ist wirklich eine sieht man auch in der Webdoku. Oder Aber dabei ging es weniger um die Stärke. Er will, dass die Leute sich wenn er ein Interview filmt: Er stellt Frage, was wir zu zeigen bereit sind, wohlfühlen. Und dass sie etwas von die Kamera auf, und dann fangen wir sondern eher darum: Was kann man dem preisgeben, was sie wirklich im an zu reden, ganz entspannt, als ob wir dem Zuschauer zumuten? In der ent- Herzen bewegt. Und dafür nimmt er irgendwo in einer Bar säßen. sprechenden Episode sieht man ein sich Zeit. Manchmal zieht er los mit Interview und einen chirurgischen 7 OFFENE LABORTÜREN – FORSCHEN UNTER DEM BLICK DER KAMERA 87

Eingriff, aber man kann nicht wirk- Monster. Ich glaube, die Menschen Haben Sie sich im Vorfeld Gedanken lich erkennen, dass hier ein Affe liegt. verstehen, was wir hier tun. Sie sehen gemacht, ob Sie die Tierversuche zei- Im Gespräch geht es dann darum, unsere Tiere und können sich vorstel- gen wollen? dass Affen dem Menschen viel ähnli- len, dass man auf diese Weise viel- Ich war mir eigentlich immer sicher, cher sind als die Ratten, mit denen leicht auch Menschen heilen kann. dass die Leute das verstehen würden. wir sonst arbeiten, und um die Frage, Und ich glaube, das rechtfertigt in ih- Aber es kam beispielsweise zu Dis- was das für unsere Forschung bedeu- ren Augen, dass wir die Tiere benut- kussionen mit der Pressestelle meiner tet. zen. Hochschule, als wir ein Paper in Darüber hinaus zeigen die Filme ja Science veröffentlichten. Sie hatten Tierversuche sind ja ein heikles The- große Bedenken, die Ratten zu zei- ma. Und jetzt das: Sie beschädigen auch, dass jeder in meinem Labor das Rückenmark von Ratten und im- eine sehr enge Beziehung zu diesen gen, aber ich sagte: »Nein, das ist plantieren ihnen dann Elektroden in Tieren hat. Das ist fast wie zwischen wichtig! Wir können nicht nur behaup- Rückenmark und Gehirn. Das alles Patient und Therapeut. Und ohne die- ten, das wir eine gelähmte Ratte ha- kann man in den Videos ziemlich de- se enge Bindung, diesen Respekt ge- ben, die wieder gehen kann. Wir müs- tailliert sehen. Erhielten Sie jemals sen das zeigen.« Und dann haben wir negative Reaktionen von Ihren Zu- genüber den Tieren wären auch die Er- sie gezeigt. Und landeten damit auf schauern? gebnisse, die wir erzielen, gar nicht möglich. Wir investieren auch sehr der Titelseite der New York Times. Erstaunlicherweise sehr, sehr selten. viel in Tiertherapeuten, die für die Re- Und niemand hat sich beklagt. Ich habe in meinem Leben vielleicht habilitation unserer Tiere verantwort- drei E-Mails von Leuten bekommen, Wie geht es jetzt weiter? Wird der Fil- lich sind. die der Meinung sind, ich sei ein memacher, mit dem Sie zusammenar- 7 OFFENE LABORTÜREN – FORSCHEN UNTER DEM BLICK DER KAMERA 88 beiten, auch mit anderen Wissen- das Ganze eine sehr schöne Erfah- schaftlern sprechen, um deren Stel- rung. Ich genieße sie sehr, weil ich lungnahmen oder Kommentare zu Ih- auch die Arbeit mit dem Filmemacher rer Arbeit einzuholen? sehr genieße. Ich würde aber Ich bin nicht sicher. Bisher hat er das empfehlen, vorsichtig zu sein. Man nicht getan, soweit ich weiß. Ich glau- muss jemanden finden, dem man ver- be, er sieht das Ganze weniger als traut. Und wie gesagt, viele unserer eine journalistische Arbeit, sondern Wissenschaftskollegen haben nicht mehr als Dokumentation einer Hu- viel Respekt vor dieser Art von Öf- man Journey. Am Ende soll daraus fentlichkeitsarbeit. Am Ende kommt ein fünfzigminütiger Dokumentarfilm es einfach darauf an, wie man es entstehen, das ist sein eigentliches macht. Und in unserem Fall kann ich Ziel. Und ich denke, spätestens dann sagen: Es ist die Realität, die wir zei- wird er auch mit anderen Wissen- gen. Es ist echt. schaftlern sprechen müssen. Übersetzung: Kerstin Hoppenhaus

Würden Sie auch Ihren Kollegen empfehlen: Öffnet eure Labore und holt euch einen Filmer dazu, der eure Forschung dokumentiert?

Für meine Arbeitsgruppe und mich ist CASE STUDY »TRUSTED HOME OF ONLINE 8 SCIENCE VIDEO«

The explosive growth of video content provided the Royal In- The Royal Institution of Great Britain (Ri) was founded stitution in London with an opportunity to reach whole new in London in March 1799 with the aim of introducing audiences online – with remarkable success. The Ri Channel, new technologies and teaching science to the general founded in 2011, combines inhouse productions with curated public. Our charitable purpose has always been to en- content and adresses the general public. courage people to think more deeply about the wonders and applications of science, and we continue to be guided by this mission over 200 years later.

Von Cassie Williams Since sharing science with a wide public audience is at the heart of our work, the recent explosive growth in 8 »TRUSTED HOME OF ONLINE SCIENCE VIDEO« 90 video content provided us with an opportunity to reach larly important in the fast-changing online world. whole new audiences online, and so the was Ri Channel We’ve also found we get the most views and user engage- launched in December 2011. From the start, the Ri Chan- ment (comments, shares etc) via Youtube audience, so we nel’s mission has been »to become the trusted home of on- actively manage and promote this content. But we do not line science video and a world leader in digital science en- want to be tied to just one platform so we currently use the gagement« and, just like the Royal Institution, the Ri Channel bespoke player for our Christmas Lectures con- Ri Channel makes content aimed at a range of audiences, tent while most other Ri Channel videos are embedded including science enthusiasts, casual browsers, science from Youtube. In 2015 we were seeing a lot of engagement communicators and teachers, and parents. Funding for the with shorter videos uploaded directly to Facebook, and the videos comes from various sources including working Twitter video player is also something we are interested in with partners and sponsors, as well as income raised exploring. We also work with distribution partners, such as through commissions and licencing. Any shortfalls are AOL On, a subsidiary of media corporation AOL Inc., to covered within the overall budget of the Ri. help us promote and monetise our content on new plat- Strategically, reaching a wide audience is part of our core forms and websites, increasing our audience reach. We en- video strategy, so we like to put our content where people joy collaborating with other Youtube video channels to ex- watch it. We have our own Ri Channel video platform, tend our audience on this platform. A good example of this where we have options to embed video via a bespoke would be our video explaining the placebo effect which we player, and also from Youtube and Vimeo. This video host- made as part of the collaborative series 10 Unanswered ing arrangement (for more details read our blog post from Science Questions – Explained by the greatest minds on Youtube March 2012 ) was intentionally flexible, which is particu- brought together by the Alltime10s Youtube channel. 8 »TRUSTED HOME OF ONLINE SCIENCE VIDEO« 91

To date, the Ri Channel platform has had over 1 million technology, engineering and maths (STEM) and wherever visits and 2.8 million page views. We also have about possible we publish on an open-access basis, the users be- 190.000 subscribers to our Youtube Channel , where our ing free to watch, embed and download. And our Best of videos have been watched over 16 million times. As well the Web content makes the platform more than just Royal as being able to engage large numbers of people online, Institution content, we feature collections from other like- we’ve also found great success reaching a young adult minded organisations, such as Kew Gardens’ beautiful demographic – over 60% of our Youtube audience are Beyond the Gardens film series, as part of the Ri Chan- aged 18-34. We also have a wide geographical reach; only nel’s mission to become the »trusted home of online 16% of our audience are from the UK, a further 34% from science video«. the US and we have viewers from most countries around Because there are so many online science videos and chan- the world including Canada, China, Japan and Singapore, nels, for ours to stand out, it is important that we know as well as many European and Latin American countries. and understand our own voice. This not only sets our con- The Ri Channel’s content is split between videos produced tent apart from other channels, it also ensures we can or commissioned in house, such as our ExpeRimental se- make better decisions about what videos we make, and ries of videos for parents of young children, showing them how we approach their production. For us, this means that science experiments they can do with their children at the source of inspiration for the content of our unique home. We have also produced full-length science lectures Ri Channel videos frequently comes from the Royal Insti- from our public events programme, our Christmas Lectures tution’s public programmes, and that our mission of en- archive and curated Best of the Web science videos. couraging people to »think more deeply about science« un- These videos span the breadth of topics across science, derpins all the videos we make and curate. We also don’t 8 »TRUSTED HOME OF ONLINE SCIENCE VIDEO« 92 stick to pre-defined lengths for content, although we have more success placing shorter videos – less than 5 minutes long – on other websites. On Youtube some of our most successful content are our full-length lectures, see for ex- ample The Magic of Chemistry with more than 750.000 views.

To build an audience online, regular and consistent con- tent is important, but it is also important to us as an organi- sation to reach out to new audiences and to give the Ri Royal Greatof Institution Britain Channel team a chance to try new ideas and learn new Chromosome 1 – The Stuff of Life | 02:16 min skills. We try to achieve a balance between regular con- In 2013 the Ri Channel produced 24 short films about the human tent and new »collections« of videos. We may not always chromosomes and the mitochondrial DNA, with 2 to 4 minutes length each. In this video (see version on richannel.org ) geneticist Aoife get this balance right, but we learn from our experience. McLysaght from Trinity College, University of Dublin, explores how One example of a video collection is our 2013 advent calen- genes are organised and how genetic information is passed from one dar Chromosome , a series of 24 films plus one trailer, generation to the next. made in the run up to our 2013 Christmas Lectures. Whilst ogy, so making films on 22 chromosome pairs plus an addi- the Lectures are aimed at a teenage and family audience, tional one for the male/female chromosome plus a film our advent calendar videos are a space for us to create con- about mitochondrial DNA was a great fit. tent around the Lecture topic, but for a more adult audience. The 2013 Lectures were on the theme of evolutionary biol- 8 »TRUSTED HOME OF ONLINE SCIENCE VIDEO« 93

Funding is important for these projects as they are very la- bour intensive and include many additional costs such as VIDEO RECOMMENDATIONS BY CASSIE WILLIAMS travel, freelancers, music etc. And whilst they are being produced, it is all hands on deck. The chromosome films were made to a particularly tight deadline, with the con- tent only decided early Autumn 2013, leaving just a cou- ple of months for filming. About fifteen of the films were made entirely in-house, the rest by freelancers.

Unsurprisingly, coordinating so many films with a tight re- lease schedule in a short period of time was not an easy task, particularly when ensuring high production standards and thought provoking science content. We are a small team, with just one full time and two part time staff at that time, so both organisation and collaboration were essenti- al. To keep things on track we had someone acting as a production coordinator throughout the project. Two people were needed for each filming session, and scripting in advance was important. Making these films was at the ex- pense of making any other content in this period, but we were rewarded with strong audience figures, with over 350,000 views for the series. MEDIENWISSENSCHAFT WAS ZEICHNET EIGENTLICH 9 EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS?

Bewegtbildformate im Netz, die über Wissenschaft berichten, 1. Einleitung sind für die Wissenschaftskommunikationsforschung noch Neuland. In einer detaillierten Fallanalyse untersuchten vier Webvideos haben sich in den vergangenen Jahren zu ei- Medienwissenschaftler die Entstehungsbedingungen und nem wichtigen Medium der externen Wissenschaftskom- Charakteristika eines Webvideos. munikation entwickelt. Auf den Webseiten nahezu aller großen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen fin- den sich neben den klassischen Text- und Bild-Medien Von Thomas Metten, Philipp Niemann, Claudia Pinkas-Thompson, Timo Rouget inzwischen mehr oder weniger eigenständige Videopro- duktionen. So bietet beispielsweise die Deutsche For- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 95 schungsgemeinschaft das DFG Science TV an, das wissen- 4.000 Wissenschaftskanäle und 100.000 Wissenschaftsvi- schaftliche Projekte in filmischen Forschungstagebüchern deos existieren (vgl. Muñoz Morcillo/Czurda/Robertson- begleitet, das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozean- von Trotha 2015; Anm. d. Red.: Das ausführliche Litera- forschung unterhält eine eigene Webseite, auf der Themen turverzeichnis ist am Ende des Beitrags zu finden). Der Be- aus unterschiedlichen Bereichen der Meeresforschung in zug auf audiovisuelle Formen der externen Wissenschafts- Filmen präsentiert werden und die »Initiative Wissen- kommunikation ist für die Wissenschaftskommunikations- schaft Hannover« präsentiert unter der Rubrik »Forschung forschung insofern unumgänglich (zum aktuellen For- & Innovation« ganz selbstverständlich eine Reihe von schungsstand ). Webvideos, die Bereiche wie Werkstoffkunde oder Physik Der nachfolgende Beitrag setzt hier an und präsentiert die umfassen. Ergebnisse der Analyse des Webvideos Der akustische Populärwissenschaftliche Verlage und Zeitschriften wie Spiegel – Wie Fledermäuse Wasserflächen erkennen Nature, Spektrum der Wissenschaft oder Bild der Wissen- (2010, Redaktion Charlotte Stoddart), das in seiner Mach- schaft betreiben ebenfalls teils eigene Videoportale oder art als exemplarisch für zeitgenössische Formate der exter- sind an der Produktion von Webvideos beteiligt. Hinzu nen audiovisuellen Wissenschaftskommunikation in Onli- kommen bundesweite Wettbewerbe wie Fast Forward nemedien gelten kann. Einführend werden dazu die Cha- Science oder das Foresight Filmfestival sowie Seminare rakteristika von Webvideos im Bereich der Wissenschafts- für Nachwuchsfilmemacher, zum Beispiel von der scien- kommunikation dargestellt. Anschließend wird das Webvi- ce2movie-Academy, die gezielt auf eine Intensivierung deo selbst einer detaillierten Analyse unterzogen, wofür der wissenschaftlichen Videoproduktion hinarbeiten. Da- der audiovisuelle Medientext sowie Einzelheiten zum Pro- her überrascht es kaum, dass alleine bei Youtube rund duktionskontext, die durch Gespräche mit den beteiligten 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 96

Wissenschaftlern und Produzenten des Videos ermittelt wurden, den Ausgangspunkt bilden. Hervorgehend aus der WEBVIDEOFORMATE ALS NEUES Analyse werden fünf Aspekte herausgearbeitet, die für das FORSCHUNGSTHEMA Webvideo charakteristisch sind:

1. die Heterogenität und Hybridität des Filmmaterials,

2. die Einbindung epistemischer Bewegtbilder, Aus Sicht der Wissenschaftskommunikationsfor- schung erscheint die Untersuchung neuer Webvi- 3. die Mythomorphisierung, deoformate zu Wissenschaftsthemen vor allem 4. die Narrativierung und aus zwei Gründen relevant: 5. die Agentivierung der untersuchten Tiere. 1. Die Wende zum Bild, der so genannte iconic turn (Boehm) oder auch pictorial turn (Mitchell), 2. Wissenschaftskommunikation in Webvideos hat seit Mitte der 1990er Jahre nicht dazu ge- führt, dass audiovisuelle Medien vermehrt in den Die kommunikativen Ziele und Formate von Webvideos Blick der Forschung getreten sind. Reichert zur Wissenschaftskommunikation unterscheiden sich viel- (2007: 18f) hat dahingehend festgehalten: »Ge- fach deutlich – sie umfassen Aufzeichnungen von Veran- genwärtig beherrscht […] das Forschungsparadig- staltungen ebenso wie Interviews mit Wissenschaftlern, ma des Pictorial Turn die Debatten der unter- zudem finden sich Werbe- und Imagefilme, die als Marke- schiedlichen Fachbereiche. Zahlreiche Studien tinginstrumente konzipiert sind, ebenso wie popularisieren- de Darstellungen aktueller Forschungserkenntnisse. Un- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 97 scharf ist hierbei oftmals die Grenze zu wissenspopulari- Webvideos insgesamt weisen die folgende Merkmale auf: sierenden Formaten, die ohne direkten Bezug zur Wissen- multimodale Simultaneität von Bewegtbild, voice-over- schaft sind und didaktischen Formaten wie dem Lehr- und Kommentar, Schrift-Insert, animierten Grafiken, Musik Unterrichtsfilm nahe stehen (vgl. zur Unterscheidung von und weiteren audiovisuellen Elementen (vgl. Keazor/Wüb- Wissens- und Wissenschaftskommunikation Hellermann bena 2007: 59f.). Muñoz Morcillo, Czurda und Robert- 2015: 222-227). Regelmäßige Veröffentlichungen im Be- son-von Trotha (2015) zeigen in ihrer Studie, in der sie reich Wissenspopularisierung stammen aus dem Bereich 200 populärwissenschaftliche Webvideos von 100 Kanä- Scitainment, zum Beispiel die Youtube-Kanäle Doktor All- len auf ihre filmische Inszenierung (narrative Strategien, wissend, Die Klugscheisserin oder DorFuchs, oder sind Videobearbeitung, Einstellungen, Montage, Sound, Erklärvideos, zum Beispiel die Kanäle MrWissen2go, ex- Spezialeffekte und so weiter) hin untersucht haben, dass plainity einfach erklärt oder explain-it Erklärvideos. In bei- die Videos insgesamt eine hohe Variation in Genres und den Kategorien handelt es sich genau genommen jedoch Subgenres und eine entsprechende Komplexität in der um Webvideos zur Wissenskommunikation – einmal zum Montage und in der Narration aufweisen. Letztlich wür- Zweck der Unterhaltung, ein anderes Mal zur Nachhilfe den allerdings nur selten hochkomplexe Inszenierungstech- oder persönlichen Weiterbildung. Grundsätzlich lassen niken genutzt. sich solche Webvideos nicht als Filme über die Wissen- Auffällig sei außerdem, dass, analog zu bekannten Wissen- schaft klassifizieren, wie Kalkofen (2002: 1815) den popu- schaftlern wie Carl Sagan oder David Attenborough, die lärwissenschaftlichen Film bestimmt hat, da der direkte Youtuber ihre potentiellen Zuschauer direkt ansprechen Wissenschaftsbezug fehlt. und voller Begeisterung über ihren Gegenstand sprechen – so wird eine entsprechende Bindung zwischen 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 98

Produzent und Rezipient geschaffen (vgl. dazu Muñoz Ein weiteres Charakteristikum ist die universelle Verfüg- Morcillo/Czurda/Robertson-von Trotha 2015). Zudem ver- barkeit und Abrufbarkeit von Webvideos im Internet. Die ändert die Verlinkungsstruktur auf Hypertextbasis die Be- uneingeschränkte Abrufbarkeit zahlreicher Videos stellt trachtungsweise von Webvideos. Durch InVideo-Program- insbesondere für die jüngere Generation eine Alternative mierung kann zusätzlich während der Rezeption zu einem zum Fernseh- und Kinoprogramm dar, so dass Francesco anderen Video gesprungen werden, das den User gerade Casetti die Zeit dieser Veränderung für das Medium Film interessiert. Webvideos sind weiterhin mit durchschnitt- als »post-kinematographische Epoche« (Casetti 2010: 29) lich nur 5 bis 10 Minuten recht kurz – und werden den- bezeichnet. Auf Youtube können auch Privatpersonen noch unter Umständen nur ausschnitthaft geschaut. 1 Bei selbst Videos produzieren und hochladen (vgl. Bleicher (populär-)wissenschaftlichen Webvideos handelt es sich 2011: 13), so dass Amateure scheinbar unabhängig von somit um audiovisuelle Klein-Formate, die in eine Reihe Sendern, Produktionsfirmen und Fernsehredakteuren ihre mit anderen kleinen Formen wie Musikvideos, Film-Trai- Ideen für Formate umsetzen und durch zahlreiche Klicks lern oder Werbung gestellt werden können. Die besonde- für ihre Videos und hohe Abonnentenzahlen zu Stars avan- ren Erfordernisse solcher Formate liegen darin, dass inner- cieren, die ausschließlich auf Youtube bekannt sind. 2 halb einer sehr kurzen Zeitspanne und bei oftmals starker Eine Sammelstelle für Webvideos und damit den direktes- Verdichtung kommuniziert werden muss. Im konkreten ten Zugang für Privatnutzer bildet Youtube. Die seit 2005 Fall bedeutet dies, dass Wissenschaft auf kleinstem Raum existente Videoplattform ist die am stärksten frequentierte – das heißt innerhalb von drei Minuten – vermittelt wer- Website, auf der Bewegtbilder angeschaut werden können den muss. (vgl. Koch/Liebholz 2014: 397). Was aber bedeuten diese medialen Bedingungen und Möglichkeiten für die audiovi- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 99 suelle Wissenschaftskommunikation? Auch wenn das An- ne-Veröffentlichungen und Webstatistiken in diesem Arti- gebot bei Youtube Tag für Tag wächst, bleibt populäre kel: Stand 20.1.2016). Wissenschaftskommunikation hier ein Randgebiet. Die In- Charakteristisch für das Video ist, dass darin unmittelbar ternetseite SocialBlade, die Statistiken erfolgreicher Youtu- Bezug genommen wird auf einen wissenschaftlichen Fach- be-Kanäle führt, subsumiert populärwissenschaftliche aufsatz, der von Stefan Greif und Björn Siemers, beide ar- Webvideos unter die Kategorie »Science & Technology« beiteten damals am Max-Planck-Institut für Ornithologie, – fast alle relevanten Kanäle darin stammen jedoch aus verfasst wurde. Der Aufsatz ist unter dem Titel »Innate re- dem Techniksektor ( ). www.socialblade.com/... cognition of water bodies in echolocating bats« am 2. No- vember 2010 in der Fachzeitschrift Nature Communicati- 3. Das Webvideo Der akustische Spiegel ons erschienen. Die hier präsentierten Forschungsergebnis- se der Wissenschaftler liegen im Bereich der Sinnesphysio- Das Webvideo Der akustische Spiegel – Wie Fledermäuse logie von Fledermäusen. Ziel der Studie war es, die Wahr- Wasserflächen erkennen (zum Video auf Youtube ; außer- nehmungsleistung der Tiere, deren echoakustische Wahr- dem ist auf S. 103 eine eingebettete Fassung zu finden) nehmung im hochfrequenten Bereich liegt, besser zu ver- wurde am 2. November 2011 auf dem Youtube-Kanal des stehen. Während der Beutefang der Tiere zum Zeitpunkt Verlags Spektrum der Wissenschaft veröffentlicht. Insge- der Studie bereits gut verstanden war, galt es als unklar, samt wurde das Video mehr als 46.000 mal angeklickt; es wie sich die Tiere in großen Arealen orientieren und ob sie liegen 56 positive und 2 negative Bewertungen sowie 11 etwa unterschiedliche Arten von Bäumen oder Naturräu- Kommentare vor, wobei nahezu alle das Video als me wie Wälder und Gewässer unterscheiden können. Das »schön« oder »interessant« bewerten (alle Daten zu Onli- Webvideo, welches explizit auf den Fachaufsatz referiert 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 100 und angibt, die darin dargestellten Erkenntnisse zu vermit- ge kommt, muss es laut Stoddart a) ein »strong visual ele- teln, ist allerdings keine Einzelerscheinung: Allein der ment« besitzen, b) sich mit einem Thema auseinanderset- Spektrum-Verlag hat elf weitere Webvideos veröffentlicht, zen, das ein breites Publikum interessiert, und c) wesentli- die unmittelbar auf einen wissenschaftlichen Fachaufsatz che wissenschaftliche Forschungsergebnisse beinhalten. verweisen. Die Filme entstehen in der Regel in einem Produktionszeit- raum von zwei bis sechs Wochen. Bei dem hier untersuchten Webvideo handelt es sich zu- dem um die deutschsprachige Version einer Videoprodukti- Im Rahmen der Recherche zum englischsprachigen Origi- on der englischsprachigen Fachzeitschrift nature, die im nalvideo »Bat Sense« rezipierte Stoddart das wissenschaft- britischen Verlag Macmillan Publishers Ltd. erscheint. liche Paper von Greif und Siemers, sprach mit den Auto- Dem deutschsprachigen Video geht somit eine eng- ren und dem zuständigen »manuscript editor« von Nature lischsprachige Version voraus, die auch zuerst im eng- Communications. Pressemitteilungen zu dem Fachaufsatz lischsprachigen Raum veröffentlicht wurde. Recherchiert nutzte sie nicht. Sowohl die Forschungsfilmaufnahmen als und produziert wurde das Originalvideo »Bat Sense« von auch die Mehrzahl der eingesetzten Fotos stellten die Auto- der heutigen Leiterin der Abteilung Multimedia von na- ren des wissenschaftlichen Fachaufsatzes zur Verfügung. ture in London, Charlotte Stoddart. Ihr Team aus vier Mul- Nach Stoddarts Aussage habe man sich zur Steigerung der timedia-Redakteuren, die sowohl über einen naturwissen- Eingängigkeit des Videos »Bat Sense« bei der Wahl des schaftlichen Hintergrund als auch über journalistische Soundtracks an der Musik zum Batman-Film »The Dark Fachkenntnisse verfügen, stellt im Jahr zehn bis zwölf sol- Knight« orientiert. cher auf wissenschaftlichen Fachaufsätzen basierenden Vi- Die anschließende Adaption ins Deutsche erfolgte durch deos her. Damit ein Paper zur filmischen Umsetzung infra- einen Mitarbeiter des Spektrum-Verlags, der seit 2010 – 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 101 allerdings in unregelmäßigen Abständen – Wissenschafts- Die Adaption des englischsprachigen Vorgängervideos er- filme von nature in einem eigenen Youtube-Kanal um- folgte in vier Arbeitsschritten: (1) Erstellung eines Skripts, setzt. Die Auswahl der Filme erfolgt nach dem Prinzip (2) sprachliche Optimierung des Skripts, (3) Anpassung »best of und möglichst aktuell«, so der für die Umsetzun- des Skripts an das bereits bestehende Bildmaterial, gen zuständige Redakteur, der die Youtube-Aktivitäten (4) Aufnahme der Tonspur. In der Produktion konnte we- der Zeitschrift neben seiner Redaktionstätigkeit zunächst der auf bestehendes Know-How noch auf speziell geschul- alleine startete und mittlerweile das Videoportal des Ver- tes Personal oder Spezialequipment zurückgegriffen wer- lags, SciViews.de, verantwortet. Das Konzept für die deut- den, zumindest nicht im Verlag selbst: Zur Einführung in sche Version des Webvideos entstand ausschließlich durch die Erstellung des voice-over-Kommentars diente eine Orientierung am englischen nature-Originalfilm und da- Diplomarbeit, als Sprecherin fungierte die beruflich ein- mit produktbezogen. Der Austausch zwischen den Redak- schlägig tätige Lebensgefährtin des Redakteurs; aufge- teuren bezog sich auf technische Fragen; weiterführende zeichnet wurde im Profistudio eines Bekannten. Absprachen mit den Redakteuren von nature zu Konzept, Bildmaterial und so weiter gab es nicht. Zur Einarbeitung 4. Mediale Spezifika des Webvideos in die Fachthematik dienten dem Redakteur des deutschsprachigen Videos allein populärwissenschaftliche 4.1 Heterogenität und Hybridität des Filmmaterials Veröffentlichungen – das dem englischen Video zu Grun- de liegende wissenschaftliche Paper rezipierte er nicht. Charakteristisch für das analysierte Webvideo Der akusti- Auch eine wissenschaftliche Fachberatung bei der Produk- sche Spiegel ist die Integration von verschiedenartigem tion der deutschen Version des Youtube-Films gab es Filmmaterial, das Realfilmaufnahmen und computerani- nicht. mierte Elemente sowie Bewegt- und Standbilder umfasst. 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 102

Die im Video dominierenden Realfilmaufnahmen zeigen Neuronen, die die angeborene ›Verdrahtung‹ der Wasser- Landschaften und Fledermäuse, die von den Ornithologen oberflächenerkennung im Gehirn der Fledermäuse Stefan Greif und Björn Siemers selbst (teils allerdings in illustriert (Min. 02:42). Das in dem Webvideo verwendete anderen Zusammenhängen) erstellt wurden, sowie Aufnah- filmische Material erweist sich somit als äußerst hetero- men, die aus der im Video präsentierten Forschung hervor- gen. gegangen sind, und die die Wissenschaftler zur Verhaltens- In Anlehnung an Verdicchio (2010: 91-99) kann das Roh- analyse der echoakustischen Wassererkennung bei Fleder- material des Videos hinsichtlich seines Produktionskon- mäusen in einem eigens dazu konstruierten ›Flugraum‹ texts unterteilt werden in (a) primäres (originäres) Film- (vgl. dazu Greif/ Siemers 2010: 5) angefertigt hatten. In material, das für das entsprechende Video produziert wur- einer Schlüsselsequenz des Videos sind über die For- de, und (b) sekundäres (zitiertes) Filmmaterial, das ande- schungsfilmaufnahmen einer Fledermaus, die über eine ren Kontexten entlehnt wurde. Auffällig an dem vorliegen- Wasseroberfläche gleitet, zudem digital animierte grafi- den Beispiel ist, dass das verwendete Filmmaterial groß- sche Elemente gelegt, welche die Reflexion des Ultra- teils sekundär ist; in diesem Fall wurde es von den Wissen- schallrufs der Fledermaus zur Wasseroberfläche veran- schaftlern zur Verfügung gestellt. Dies betrifft die erwähn- schaulichen (Minute 01:57–02:07). Weiter finden sich ne- ten Landschafts-, Fledermaus- und Forschungsfilmaufnah- ben den audiovisuellen Bewegtbildern diverse Standbil- men. Außerdem gehören dazu die Aufnahme einer trinken- der, so zum Beispiel Fotografien von Fledermäusen den Fledermaus, die von dem Tierfilmer Dietmar Nill (Min. 00:41–00:46), ein Screenshot eines Videopro- stammt, sowie die elektronenmikroskopische Aufnahme gramms, das im Split-Screen-Verfahren vier Aufnahmen von Neuronen, die einem nicht näher bestimmbaren For- der Experimentalanordnung zeigt (Min. 01:29–01:32), so- schungskontext entnommen und vom nature-Videoteam wie eine elektronenmikroskopische Visualisierung von 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 103

Kommentare sowie die extradiegetische Musik. Den größ- ten Anteil des Webvideos macht somit zweitverwertetes Filmmaterial aus.

Die Unterschiede hinsichtlich der Materialität der im Vi- deo montierten (Bewegt-)Bilder sowie deren Herkunft aus verschiedenen Produktionskontexten werden im Endpro- dukt tendenziell nivelliert. Die Synthese der grundsätzlich heterogenen Ausgangsbestandteile erfolgt dabei (1) durch Spektrum der Wissenschaft, Macmillan Publishers Ltd 2010 MacmillanLtd Wissenschaft, Publishers der Spektrum die Kombination von primärem und sekundärem Filmma- Der akustische Spiegel – Wie Fledermäuse Wasserflächen terial im Zusammenspiel von visuellen und auditiven Ele- erkennen | 03:12 min menten sowie (2) durch die Verknüpfung des unterschiedli- Das Video »Bat Sense« von Nature (zum Original auf Youtube ), hier die deutsche Fassung von Spektrum der Wissenschaft (zum Original chen visuellen Materials mittels einer durchlaufenden Ton- auf Youtube ), kann nach Analyse der Autoren des nebenstehenden spur (Off-Kommentar, Musik). 3 Mit Blick auf das ver- Beitrags als exemplarisch für zeitgenössische Formate der externen wendete Filmmaterial kann das Webvideo daher als hy- audiovisuellen Wissenschaftskommunikation in Online-Medien gelten. brid bezeichnet werden.

Charakteristisch ist die Hybridität für das vorliegende als Bild-Metapher eingesetzt wurde. Als primäres Filmma- Webvideo, da ein Fachaufsatz, das heißt ein statisches terial können dagegen lediglich einzelne Elemente der Text-Bild-Medium, den Bezugs- und Ausgangspunkt bil- Bild- und Tonspur eindeutig identifiziert werden: die digi- det, die Vermittlung von Wissenschaft aber in einem ganz talen Animationen, die den Film begleitenden voice-over- anderen Medium erfolgt, das primär auf Bewegtbildern ba- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 104 siert. Während der voice-over-Kommentar der Sprecherin die Re- und Neu-Kombination des Filmmaterials, dessen auf den Fachaufsatz bezogen bleibt und dahingehend ge- nachträgliche Bearbeitung und Erweiterung durch zeigt werden kann, welche der englischsprachigen Textpas- Kommentar, Grafik, Schrift-Inserts und Musik sowie – in sagen in den Originalfilm eingegangen sind und wie diese der deutschsprachigen Fassung – die Übersetzung und in der deutschsprachigen Version übersetzt und angepasst Anpassung des bereits bestehenden Materials. Folglich wurden, tritt auf der visuellen Ebene die Herausforderung kann das Webvideo als Bricolage beschrieben werden auf, eigens für den Vermittlungsfilm Bildmaterial generie- (vgl. Levi-Strauss 1973: 29). Charakteristisch für diese ist, ren zu müssen. Eine direkte Übernahme beziehungsweise dass die Akteure mit begrenzten und heterogenen Überarbeitung von Textelementen aus dem Fachtext ist Materialien auskommen müssen, deren Zusammensetzung nicht möglich. Die bestehende Leerstelle kann durch die in keinem direkten Zusammenhang mit dem aktuellen Produktion von neuem Filmmaterial oder aber durch die Projekt steht, vielmehr handelt es sich bei dem Übernahme von Filmmaterial aus anderen Kontexten ge- verwendeten Material weitgehend um Konstruktionen und füllt werden. Im vorliegenden Fall wird sie – aus produkti- Resultate anderer Projekte (vgl. Levi-Strauss 1973: 30). onsökonomischen Gründen, wie vermutet werden darf – durch die Übernahme bereits bestehenden Materials ge- 4.2 Epistemische Bewegtbilder füllt. Von besonderer Bedeutung für die Wissenschaftskommu- Insgesamt erweist sich das Webvideo daher als ein nikation ist, dass in der Übernahme bestehenden filmi- Produkt, das durch mediale Praktiken der Aneignung, der schen Materials Forschungsfilmaufnahmen in das Webvi- Übertragung und der Transformation unterschiedlichen deo integriert wurden, die im Rahmen einer wissenschaftli- filmischen Materials geprägt ist; diese Praktiken umfassen chen Studie mit vier synchronisierten Videokameras 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 105 entstanden; zwei davon lieferten Überblicksaufnahmen, chen es diese allerdings auch, das Trinkverhalten der ver- die anderen beiden lieferten Nahaufnahmen der Fleder- schiedenen Arten zu unterscheiden. mäuse, die von den am Boden des Flugraums aufgebauten Jene Aufnahmen, die im Rahmen des Experimentalraums Metallplatten zu trinken versuchten. Die Aufnahmen konn- zu wissenschaftlichen Erkenntniszwecken entstanden ten mittels eines Videoprogramms in Echtzeit betrachtet sind, lassen sich darum als epistemische Bewegtbilder be- sowie später analysiert werden. Zusätzlich wurde eine stimmen. Der Flugraum ist Teil einer Feldstation, die die Hochgeschwindigkeitskamera für Vergleichsaufnahmen Ornithologen in Bulgarien aufgebaut hatten. Als Experi- des Trinkverhaltens der Fledermäuse über einer Wasser- mentalraum ermöglicht er Fragen zu den Wahrnehmungs- oberfläche und den Experimentalplatten genutzt. 4 leistungen der Tiere, die durch das Verhaltensexperiment Laut Aussage eines der beiden Wissenschaftler lassen sich erkennbar werden. Die Experimentalanordnung bildet so- die Forschungsfilmaufnahmen unterscheiden in solche, mit ein Gerüst, in das Prämissen und Hypothesen der Wis- die zur Dokumentation des Verhaltensexperiments erstellt senschaftler eingelassen sind, wodurch die Untersuchungs- wurden, und solche, die zur Präsentation der Forschung in gegenstände erfasst werden können (vgl. Rheinberger der wissenschaftsinternen Kommunikation, etwa bei Vor- 1992: 25, 70). Insofern wird das Experimentalsystem als trägen und Tagungen, erstellt wurden. So seien die High- Repräsentationsraum begriffen; es »schafft den Raum der Speed-Aufnahmen aus Erkenntnisgründen nicht notwen- Repräsentation für Dinge, die sonst als Wissenschaftsob- dig gewesen, sondern wurden eigens in einem weiteren jekt nicht greifbar gemacht werden können« (Rheinberger Versuchsdurchlauf aufgenommen, um besonders hochauf- 1992: 80). 6 lösende Aufnahmen für Präsentationen bei Fachkollegin- So ist die Echoortung der Fledermäuse, die für die Orien- nen und -kollegen zu erstellen. 5 Darüber hinaus ermögli- tierung der Tiere in ihrer Umwelt entscheidend ist, nicht 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 106 direkt beobachtbar, weshalb vom Verhalten der Tiere auf Als »epistemische Bilder« (Rheinberger 2001b) besitzen deren Sinneseindrücke geschlossen werden muss. Mög- die mit fünf verschiedenen Videokameras erstellten For- lich wird dies, da der Experimentalraum eine kontrollierte schungsfilmaufnahmen der Fledermäuse daher einen be- Umgebung schafft, die es erlaubt, Veränderungen im Ver- sonderen Status, da sie über den technisch-apparativen halten der Tiere aus den systematisch herbeigeführten Vari- Prozess in direkter Weise mit dem jeweiligen Wissensob- ationen des Versuchsaufbaus abzuleiten. Die Aufnahmen jekt verknüpft sind. Die starke Bindung der epistemischen dokumentieren hierbei zum einen die Anzahl der Trinkver- Bewegtbilder an den Entstehungskontext hat Konsequen- suche, zum anderen wird das Geschehen durch die Aufnah- zen für die Wahrnehmung und das Verständnis der For- men der Hochgeschwindigkeitskamera sowie die Verlang- schungsfilmaufnahmen im Webvideo. Die Übernahme der samung des Ablaufs en detail beobachtbar. Die Erkenntnis- Aufnahmen im Webvideo vollzieht eine De- und Re-Kon- bildung der Wissenschaftler ist somit auf die Aufzeichnun- textualisierung, mit der eine Verschiebung der Funktion gen angewiesen, die die Ereignisse dokumentieren und und der Bedeutsamkeit einhergeht. Angesichts der Einbin- durch eine Veränderung der Geschwindigkeit (hier: slow dung in das Webvideo stellt sich daher die Frage: Wie ver- motion) teils erst sichtbar werden lassen. Dabei sind die ändert sich der Status der Forschungsfilmaufnahmen, epistemischen Bewegtbilder ihrem Gegenstand gegenüber wenn diese, wie im vorliegenden Fall, nicht nur aus ihrem weder äußerlich, noch sind diese in einem einfachen Sin- Entstehungskontext in die diskursiven Zusammenhänge ne repräsentativ oder gar illustrativ, vielmehr müssen sie der Wissenschaft überführt werden, sondern darüber hi- als Teil der Materialisierung der Forschungsfrage selbst naus in externe Verwendungszusammenhänge wie den po- verstanden werden und dienen – wie Scholz (2008) heraus- pulärwissenschaftlichen Film einwandern? 7 gestellt hat – als »visuelle Analytika, die bestimmte Aussa- Die integrierende Montage des heterogenen Ausgangsma- gen über den Gegenstand möglich werden lassen […]«. 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 107 terials führt hier dazu, dass die unterschiedlichen Qualitä- insgesamt dazu, dass die Unterschiede zwischen primä- ten des Materials nicht kenntlich werden. So werden die rem und sekundärem Material sowie die Unterschiede zwi- Forschungsfilmaufnahmen der Ornithologen Greif und schen audiovisuellen Bewegtbildern, die etwas abbilden, Siemers, die die Bewegung der Fledermäuse in dem von und solchen, die etwas sichtbar machen, nivelliert wer- ihnen konstruierten Flugraum zeigen, im Wechsel mit den den. 8 Auf diese Weise entsteht eine Verbindung zwi- Aufnahmen der Höhle als dem natürlichen Lebensraum schen weitgehend inkommensurablen Bildtypen (vgl. Ver- der Tiere montiert, wobei die Übergänge zwischen den he- dicchio 2010: 15). Reichert spricht dahingehend von einer terogenen Filmmaterialien durch Tonbrücken ›geglättet‹ »narrative[n] Verdichtung divergierender visueller Kultu- werden. Folglich erscheint es so, als ob die Forschungs- ren« (2007: 30). Zugleich entsteht in der Überlagerung filmaufnahmen, der narrativen Logik des Webvideos ent- von faktualen und fiktionalen Momenten eine Mischmoda- sprechend, ebenfalls in der Höhle aufgenommen seien. lität, da das, was gezeigt wird, zwar auf Aufnahmen tat- sächlicher Ereignisse basiert, die Montage der verschiede- Da die Experimentalnatur der Forschungsfilmaufnahmen nen Aufnahmen jedoch einen filmischen Raum erzeugt, im Video unmarkiert bleibt, sind diese ohne Hintergrund- der als solcher nicht existiert. Die Modalität der Darstel- wissen nur noch bedingt als solche erkennbar. Folglich lung kann daher als faktional bezeichnet werden (vgl. Lie- verlieren die Aufnahmen ihren Status als epistemische Be- bert 2002: 269). wegtbilder, da sie mit informierenden und illustrierenden Aufnahmen auf eine Stufe gestellt und so zu Erzählele- 4.3 Mythomorphisierung menten umfunktioniert werden, die unterschiedslos in das audiovisuelle Narrativ des Vermittlungsfilms eingehen. Im Zuge der Re-Kontextualisierung verlieren die For- Die Montage des heterogenen Filmmaterials führt somit schungsfilmaufnahmen somit ihren »innerdisziplinären 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 108

Zeichencharakter« (Reichert 2007: 181), sie werden multi- maus ruckartig näher an den Rezipienten herangerückt funktional, polysemisch und anschlussfähig an nicht-wis- wird; musikalisch wird der Sprung in der Darstellung senschaftliche Bildtraditionen. Als Folge dessen werden durch einen Beckenschlag begleitet. die Bilder auch vor dem Hintergrund kulturgeschichtli- Zugleich vollzieht sich ein Wechsel der Bildästhetik: War cher Traditionen der Darstellung von Fledermäusen und die Aufnahme zuvor durch unklare Konturen und Dunkel- somit als ästhetische Objekte ›lesbar‹, das heißt, sie kön- heit geprägt, so sind die eingeblendeten Fotografien kon- nen als Fortschreibungen filmischer Ikonographien außer- trastierend dazu durch Bildschärfe, hohe Detailgenauig- wissenschaftlicher Darstellungen betrachtet werden. keit, starke Kontraste und lineare Konturen gekennzeich- Dies geschieht auch im vorliegenden Vermittlungsfilm – net. Der so geschaffene Kontrast steigert die Dramatik der insbesondere durch die Einbindung zweier Standbilder: Szene. Die dramatisierende Darstellung der Fledermaus Während der voice-over-Kommentar des Webvideos nahe ruft hierbei Assoziationen hervor, die durch kulturell etab- am Fachtext bleibt, wird die Fledermaus im Bild als Jäger lierte Vorstellungen der Fledermaus bestimmt sind. Die präsentiert (Min. 0:56 und 0:58). Der Zuschauer kann ver- Fledermaus gilt in der europäischen Tradition als Symbol folgen, wie Insekten aus dem Wasser sowie aus der Luft der Sünder und des Teufels und ist als ein Tier der Nacht ergriffen werden, wobei zwei Standbilder, auf denen die vornehmlich mit negativen Eigenschaften aufgeladen. Eng Fledermaus beim Erfassen der Beute gezeigt wird, einge- verbunden ist die Fledermaus in Europa auch mit der Vor- blendet werden. Die Einblendung zeigt genau jenen Mo- stellung eines blutsaugenden Vampirs, obwohl blutsaugen- ment, in dem die Fledermaus das Insekt ergreift, wodurch de Fledermäuse lediglich in der Neuen Welt nachgewiesen er explizit herausgestellt wird. Einhergehend damit erfolgt sind (vgl. Peil 2008: 105f). Die Einblendungen und die be- ein Wechsel der Einstellungsgröße, wodurch die Fleder- gleitende Musik stellen die Fledermaus somit in einen kul- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 109 turellen Horizont von Fledermaus-Darstellungen, wie sie dass sich das Verhältnis des Films zu seiner Realität so um- durch Filme von Nosferatu (1922) bis Bats – fliegende kehre (vgl. Meder 2006: 81). Der Film produziere infolge- Teufel (1999) entstanden ist. Die im kulturellen Gedächt- dessen seine eigene mediale Realität (vgl. ebd: 79). Natur nis konstituierten Vorstellungen organisieren und über- und Geschichte werden hierbei vertauscht; der Mythos schreiben so die Wahrnehmung der Tiere im Video. »verwandelt Geschichte in Natur« (Barthes 1964: 7, 113). Was historische Wirklichkeit ist, wird nicht als solche er- Eine solche kulturhistorisch überformte Darstellung kann kennbar, sondern erscheint infolge der Transformation als als mythomorph bezeichnet werden. 9 Der Begriff der natürlich. Genau genommen handelt es sich hierbei aller- Mythomorphisierung wird hier unter anderem in Anleh- dings um eine »Pseudonatur« (vgl. ebd.: 130). Da sich die nung an Roland Barthes' Konzept des Mythos als einem Darstellung der Fledermaus aus dem kulturellen Gedächt- sekundären semiologischen System gebraucht. 10 Der My- nis speist, verschwimmt auch hier die Grenze zwischen thos wird nach Barthes »nicht durch das Objekt seiner Bot- Faktizität und Fiktion. Die Präsentation der Tiere wird so- schaft definiert, sondern durch die Art und Weise, wie er mit an populäre Bildtraditionen anschließbar, wobei die dieses ausspricht« (Barthes 1964: 85). Die Einblendung Wahrnehmung von Naturphänomenen durch kulturelle der Fledermaus-Fotografien referiert in diesem Sinn nicht Vorstellungen überformt wird. auf die tatsächliche Fledermaus, vielmehr evoziert das Bild eine kulturelle Vorstellung der Fledermaus, weshalb der ursprüngliche Sinn des Bildes durch dessen Re-Kon- 5. Darstellungsformen des Webvideos textualisierung hin zu einem neuen Bildsinn verschoben wird (vgl. Barthes 1964: 93 und 102). Meder spricht dahin- 5.1 Narrativierung gehend von einem »extendierten Bild« und stellt heraus, In der Filmwissenschaft ist mittlerweile unumstritten, dass 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 110 nicht nur fiktionale (Spiel-)Filme, sondern auch faktuale eine temporale Struktur besitzen, das heißt, dass sie auf (Gebrauchs-)Filme häufig narrativ organisiert sind, das der Ebene des Dargestellten eine Kette von Ereignissen heißt ihre Gegenstände in erzählender Form präsentieren präsentieren, die auf der Ebene der Darstellung in einer (vgl. Hohenberger 2012: 22, Branigan 1992: 202). Ähnli- neuen Zeitordnung erscheint. Während narrativ organisier- ches wurde in Untersuchungen zu populärwissenschaftli- te Vermittlungstexte somit sukzessive Veränderungen dar- chen Vermittlungstexten in sprachbasierten und stellen, indem sie sich zum Beispiel an Forscherbiografien audiovisuellen Medien festgestellt: Hier werde üblicher- oder der schrittweisen Produktion wissenschaftlicher Er- weise »[a]nstelle einer außerhalb der Wissenschaften oft kenntnis orientieren, repräsentieren Fachtexte dagegen zu- langweilig wirkenden, sachbetonten, deskriptiv-argumen- meist statische Situationen, beschreiben Zustände oder ty- tativen Darstellung […] von Wissenschaft erzählt« (Nie- pologisieren Phänomene (vgl. Schmid 2008: 7). Des Wei- derhauser 1999: 198, Hervorheb. d. Autoren). 11 Im Ge- teren erscheinen deskriptiv-argumentativ verfasste Fach- gensatz dazu weisen etwa naturwissenschaftliche Fachauf- texte im Allgemeinen weniger stark vermittelt, in narrati- sätze der wissenschaftsinternen Kommunikation, wie auch ven Texten treten hingegen Vermittlungsinstanzen (Erzäh- im vorliegenden Beispiel, einen überwiegend deskriptiv- ler) auf, die mehr oder weniger explizit präsent sein kön- argumentativen Modus auf, der mit einem hohen Grad an nen und deren Funktion darin besteht, die dargestellten Er- fachlicher Abstraktheit, einer konzentrierten Darstellungs- eignisse auszuwählen, zu perspektivieren und in zeitlicher weise und einer starken Sachorientierung einhergeht (vgl. Gliederung zu entfalten. Niederhauser 1997: 110, Niederhauser 1999: 104-115 u. In Bezug auf das Medium Film kann man dabei differen- 197/198, Gläser 1998: 484, León 2005 u. 2007). zieren zwischen einer audiovisuellen Erzählinstanz, die ›Narrativ‹ im allgemeinsten Sinne bedeutet, dass die Texte die erzählte Welt im Zusammenspiel von Kamera, Mise- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 111 en-scène und Montage modellhaft hervorbringt, sowie zu- te Orientierung über den Ort, an dem sich das im Film be- sätzlichen fakultativen sprachlichen Erzählinstanzen, die handelte naturwissenschaftliche Phänomen abspielt (ein beispielsweise als intradiegetische Erzählerfiguren oder natürlicher Lebensraum), sowie dessen Zeitpunkt (die voice-over-Erzähler auftreten können (vgl. Kuhn 2011: Dämmerung beziehungsweise den Übergang zur Nacht), 81-102). Schließlich verfügen Erzählungen in der Regel wodurch eine für Erzählungen typische Situierung erfolgt. auch über Figuren, das heißt menschliche Individuen oder Die nächste Sequenz zeigt das Innere einer Kalksteinhöh- anthropomorphe Agenten, deren (intentionales) Handeln le, deren Boden von einer reflektierenden Wasseroberflä- die Geschichte vorantreibt und von deren perzeptivem che bedeckt ist, und der Blick des Zuschauers folgt dem Standpunkt die erzählte Welt mitunter dargestellt wird. Flug einer ins Bild geblendeten Fledermaus in die Höhle Verzeitlichung und Ereignishaftigkeit, Mittelbarkeit sowie hinein. Die sukzessive Abfolge der beiden Ereignisse – die Einführung von Handlungsagenten als grundlegende der Wechsel vom Tag zur Nacht sowie der Eintritt in die Merkmale des Narrativen zeichnen auch das untersuchte Höhle als Bewegung vom Außen- zum Innenraum – ist Webvideo Der akustische Spiegel aus. nach den Regeln des continuity editing im stufenweisen Wechsel der Einstellungsgrößen von der einführenden Das Video beginnt mit einem klassischen establishing Landschaftstotalen über diverse Halbtotalen der Höhle bis shot, der in einer Totalen eine in dunkelrotes Abendlicht hin zur Nahaufnahme einer Fledermaus geschnitten. Da- getauchte Landschaft zeigt (Min. 0:07-0:09). Am Horizont durch erfolgt eine schrittweise Heranführung des Rezipien- sieht man den glühenden Ball der Sonne untergehen, was ten an das Dargestellte, die den kontinuierlichen Fluss der durch das langsame Abblenden der Einstellung ins Erzählung befördert und die Aufmerksamkeit auf den prä- Schwarzbild eine zeitliche Raffung und Dynamisierung sentierten Inhalt lenkt. Zugleich markieren die beiden Er- erfährt. Dieser Einstieg vermittelt dem Zuschauer eine ers- eignisse den Übergang vom Alltäglich-Vertrauten zum Un- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 112 bekannten und stimulieren damit Neugier und Lust auf che die für wissensvermittelnde Darstellungen typische Er- Wissen – was durch die Suspense erzeugenden Geräusche klärsequenz (Min. 1:40-2:44) (vgl. Jahr 2000) eingebettet und Musikfragmente zusätzlich verstärkt wird. ist, kommt hierbei eine explizit vermittelnde Funktion zu: Zum einen ermöglicht diese einen leichteren Zugang, da Der Aufbau des Webvideos folgt somit über weite Teile sie Interesse für das Thema generiert; zum anderen stellt einer narrativen Logik, wie sie vor allem in fiktionalen Fil- diese den Bezug zum Laien-Alltag her, da sie die For- men entwickelt wurde. Die Aussagen über den gewählten schungen in der Lebenswelt der Rezipienten verortet (vgl. Erkenntnisgegenstand werden hier, anders als in dem zu- hierzu Niederhauser 1999: 198; vgl. Liebert 2002: 68). grunde liegenden wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatz, Die raumzeitliche Situierung des Dargestellten sowie die als narrative Verknüpfung von Ereignissen präsentiert. Im Einbettung der Erklärung in ein Mikro-Narrativ, beste- Gegensatz dazu wird beispielsweise in Forschungsfilmen hend aus der Ereignisverkettung von Sonnenuntergang in der Regel ein statischer Kamerastil gewählt, der sich und Fledermausflug, unterscheidet das populärwissen- durch eine feste Kadrierung und ein starres ›Draufhalten‹ schaftliche Webvideo somit grundlegend von dem wissen- auf die gezeigten Phänomene auszeichnet (vgl. Reichert schaftlichen Fachaufsatz, auf dem es basiert. 2013) und der durch lange Einstellungen die Vollständig- keit des Gezeigten sowie dessen intersubjektive Überprüf- 5.2 Zur Funktion des voice-over-Erzählers barkeit verbürgt. Insofern findet im Video, ähnlich wie in den meisten fiktionalen Filmen, eine gezielte Aufmerksam- Die Informationsvergabe erfolgt in dem Webvideo nun keitslenkung des Rezipienten durch dynamische Schnitte nicht nur über das Zeigen, sondern insbesondere auch und einen relativ schnellen Wechsel verschiedener Einstel- über das Sagen, sprich den narrativen Diskurs einer extra- lungen statt. Der narrativen Rahmenkonstruktion, in wel- diegetischen Vermittlungsinstanz. Eine (in der deutschen 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 113

Version weibliche) voice-over-Stimme führt in das Thema Auch in dem betrachteten Webvideo leistet die extradiege- ein, erläutert die Fragestellung der beiden Fledermausfor- tische Erzählinstanz nicht nur eine Wissensvermittlung, scher und informiert über Aufbau der Experimentalanord- sondern fungiert darüber hinaus als Garant für die Nach- nung, Verlauf des Experiments sowie dessen Ergebnisse. prüfbarkeit, Validität und diskursive Verortung des kom- Die grundsätzliche Bedeutung derartiger extra- sowie in- munizierten Wissens. Dies erfolgt beispielsweise durch tradiegetischer Erzählinstanzen in populärwissenschaftli- das Zitieren der Namen der beteiligten Forscher sowie chen Narrationen hat unter anderem Léon herausgestellt durch Einordnung der wissenschaftlichen Ergebnisse und und darauf verwiesen, dass der Erzähler hier über die kom- Hinweis auf deren Neuheitscharakter (»Erstmals fanden munikative Funktion hinaus insbesondere auch eine be- die Max-Planck-Forscher also einen Beleg dafür, [...]«, glaubigende und autoritative Funktion besitzt: Min. 2:35–2:38. Hervorheb. d. Autoren). Somit nimmt die Erzählinstanz innerhalb des Videos partiell jene Rolle ein, »The narrator-presenter plays a very important die in dem zugrunde liegenden Fachtext dem wissenschaft- role in television documentary since his voice and lichen Apparat zukommt. statements to camera are the backbone in the struc- ture of the programme. […] First of all, we must 5.3 Agentivierung keep in mind that documentaries have no refer- ences to scientific sources or footnotes, which Einhergehend mit der narrativierenden Darstellung findet seems to reinforce the presenter’s competence. In in dem Webvideo Der akustische Spiegel auch eine Agenti- some way he creates the impression of having dis- vierung der gezeigten Fledermäuse statt, das heißt ihre Prä- covered the scientific facts he is talking about.« sentation als figurenähnliche Bestandteile der Diegese, (Leon 2005: 25) wie dies beispielsweise häufig in populärwissenschaftli- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 114 chen Naturdokumentationen zu beobachten ist (vgl. León Teich frei (Min. 0:36-0:48). Wie Branigan (1984: 103- 2005, S. 22; ders. 2007, S. 79-83). Die Fledermäuse er- 121) dargelegt hat, suggeriert eine derartige Kopplung scheinen im Video nicht bloß als Wissensobjekte, über die zweier Einstellungen auf (1) eine Figur und (2) ein anvi- Erkenntnis generiert wird, sondern werden quasi selbst zu siertes Objekt dem Filmzuschauer eine fokalisierte Darstel- Handlungsagenten, die »ihre Umgebung […] erkennen« lung, das heißt die Bindung des Dargestellten an den sub- und »per Echoortung Objekte von Insektengröße identifi- jektiven Point-of-View der gezeigten Figur (bzw. im wei- zieren« (Min. 0:36-0:57. Hervorheb. d. Autoren). testen Sinne einer blickenden ›Präsenz‹ oder eines ›Be- wusstseins‹). Verstärkt wird diese Point-of-View-Kon- ›Agentivierung‹ ist dabei allerdings nicht identisch mit ei- struktion zusätzlich durch die doppelte Kadrierung des ner reinen Anthropomorphisierung als Zuschreibung Bildausschnitts, die eine eingeschränkte Sicht eines bli- menschlicher Eigenschaften auf Tiere oder Gegenstände. ckenden Subjekts impliziert, das aus dem Inneren der Höh- Stattdessen soll damit die in dem Webvideo vorgenomme- le nach draußen späht. 12 Die Agentivierung findet sich ne Fokussierung auf die Aktionen und Interaktionen der ebenfalls im voice-over-Kommentar, wenn es dort heißt, Fledermäuse sowie deren Sinneswahrnehmungen bezeich- dass die Fledermäuse die Gewässer »zur Orientierung nut- net werden. Dies geht an einer Stelle so weit, dass das Ge- zen« und dort »auf Nahrungssuche gehen«. schehen durch einen point-of-view-Shot gleichsam ›mit den Augen der Fledermaus‹ gezeigt wird: So ist zu Beginn Durch diese aktivische Beschreibung, die die Tiere als in- des Videos in einer Einstellung eine Fledermaus in einer tentional handelnde Akteure erscheinen lässt, vollzieht Höhle in Nahaufnahme zu sehen; in der darauf folgenden sich eine subtile Transformation des Fachtexts, der dem Einstellung gibt die Kamera den Blick aus der Höhle hi- entgegen davon ausgeht, dass die Tiere gerade kein Be- naus auf einen von Büschen und Felsbrocken gesäumten wusstsein dessen haben, sondern sich mit Bezug auf Was- 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES WEBVIDEO AUS? 115 seroberflächen lediglich verhalten. Für die Wissenschaft- tisch sind. Dabei zeigen sich einerseits bekannte Strategi- ler war es gerade erstaunlich, dass die Tiere die Platten, en der Vermittlung, wie die Narrativierung; andererseits die zur Simulation von Wasseroberflächen dienten, mit ei- treten mediale Spezifika wie die Hybridität des Webvide- ner enorm hohen Frequenz anflogen und offenbar nicht os hervor, die in dieser Form in anderen Medien nicht zu hinzulernten, dass es sich bei den Platten gerade nicht um finden sind. Aufgrund dessen stellen sich verschiedene Wasser handelte. Vielmehr führte der Sinnesreiz allein da- weiterführende Fragen: Grundsätzlich ist zu bedenken, in- zu, dass die Tiere die Platten sogar dann anflogen, wenn wiefern die hier aufgezeigten Aspekte auch in anderen diese eine vollkommen unnatürliche Situation bildeten. In Webvideos zu finden sind und inwiefern sich darin ein der filmischen Konstruktion einer subjektiven Perspektive wiederkehrendes, vielleicht sogar allgemeines Phänomen sowie in der agentivierenden Beschreibung des Fleder- zeigt. mausverhaltens durch den voice-over-Kommentar tritt so- Konkrete Fragen ergeben sich darüber hinaus etwa mit mit eine Verschiebung ein, die die Fledermaus als intentio- Blick auf die Übertragung fachspezifischer epistemischer nalen Akteur konstituiert und damit ein deutlich anderes Bewegtbilder in die Kontexte der Wissenschaftskommuni- Bild des Tiers erzeugt als es in der Fachwissenschaft be- kation; so ist hier offen, ob damit ein ähnliches Problem steht. hinsichtlich der Verständlichkeit auftritt wie etwa beim Ge- brauch von Fachbegriffen (vgl. Verdicchio 2010: 15, 60). 6. Fazit Hinsichtlich der Fachwörter hat Niederhauser darauf ver- wiesen, dass die für Experten präsenten Verweisungszu- Die vorliegende Detailanalyse konnte verschiedene Aspek- sammenhänge sowie das damit verbundene Fachwissen in te aufzeigen, die für das präsentierte Webvideo charakteris- der Wissenschaftsvermittlung seitens der Laien fehlen und 9 WAS ZEICHNET EIGENTLICH EIN WISSENSCHAFTLICHES 116 WEBVIDEO AUS? daher durch Erklärkontexte eigens geschaffen werden LITERATUR müssen (vgl. 1997: 113). Insofern stellt sich die Frage, ob der mit den wissenschaftlichen Visualisierungen ein- Adelmann, R.: Digitale Animationen in dokumentarischen hergehende wissenschaftliche Blick ebenso mit-vermit- Fernsehformaten. In: Böhnke, A., Schröter, J. (Hrsg.): Ana- telt werden muss (vgl. dazu Verdicchio 2010: 90, 122). log/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung, S. 387-405, Bielefeld: In einem letzten Punkt ist zu fassen, was zuvor als Agen- transcript, 2004. tivierung und Mythomorphisierung beschrieben wurde, dass also Tiere als Thema des Films zum einen als Ak- Allgaier, J.: On the Shoulders of Youtube. Science in Mu- teure dargestellt werden, ein Aspekt, der erst einmal sic Videos. In: Science Communication 35, S. 266-275, filmunspezifisch ist. Dass die Darstellung der Tiere aber 2013. auch durch kulturelle Vorstellungen geprägt sein kön- nen, d.h. dass die Darstellungen mythmorph sind, kann Barthes, R.: Mythen des Alltags. Frankfurt am Main: Suhr- im vorliegenden Fall als filmspezifisch bewertet wer- kamp, 1964. den. Angesichts der sich hierbei vollziehenden »interdis- kursiven Verschiebungen« (Reichert 2007: 31) stellt Bleicher, J. K.: Youtube als Supermedium im Spiegel der sich dahingehend auch die Frage, inwiefern Wissen- Forschung. In: Schumacher, J., Stuhlmann, A. (Hrsg.): Vi- schaftskommunikation an der Herausbildung populärer deoportale: Broadcast Yourself? Versprechen und Enttäu- Mythen und kultureller Narrative mitwirkt. schung, S. 13-26, Hamburg: Universitäts-Druckerei, 2011.

Blum, P., Stollfuß, S.: Logik des Filmischen. Wissen in be- wegten Bildern. In: MEDIENwissenschaft. 3., S. 294-310, 2011. MEDIENWISSENSCHAFT EINE TYPOLOGIE DER WISSEN- 10 SCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO.

Wie wird Wissenschaft auf Youtube vermittelt? Welche Die Produktion populärwissenschaftlicher Webvideos ist Genres dominieren? Und welche Präsentationsformen in den letzten Jahren stark gewachsen. Eine zunehmende versprechen den größten Erfolg? Eine Untersuchung von Anzahl an Filmproduzierenden bereichert Videoplattfor- 100 internationalen Wissenschaftskanälen gibt erste men wie Youtube oder Vimeo mit populärwissenschaftli- Aufschlüsse. chen Inhalten abseits der institutionalisierten Wissen- schaftskommunikation. Wissenschaftsvideos sind offen- sichtlich beliebt. Aber welche Faktoren liegen ihrer flo- Von Jesús Muñoz Morcillo, Klemens Czurda und Caroline Y. Robertson-von Trotha rierenden Produktion zu Grunde? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht, denn die Vielzahl unterschiedlicher 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 118

Formate und Produzierender erschwert eine qualitative De- Video« oder gar nur »Science Video«. Die korrekte Be- finition des populärwissenschaftlichen Webvideos. zeichnung auf Deutsch ist »populärwissenschaftliches Webvideo« oder kurz, wenn auch ungenauer, »Wissen- In den Jahren 2014 und 2015 haben wir im Rahmen der schaftsvideo«. Wissenschaftsvideos, die von Institutionen Studie »Typologies of the Popular Science Web Video« produziert werden, lassen sich als Unterkategorie populär- (Muñoz Morcillo 2015 ) 200 Webvideos aus 100 interna- wissenschaftlicher Webvideos verstehen. tionalen Videokanälen analysiert, um ihre Eigenschaften und die globalen Tendenzen der Webvideoproduktion Das globale Phänomen des populärwissenschaftlichen unter die Lupe zu nehmen. Unter einem populärwissen- Webvideos war bislang kaum Gegenstand eingehender schaftlichen Webvideo verstehen wir im Rahmen unserer Analysen, mit wenigen Ausnahmen wie der Studie der Forschung ein kurzes Video, das wissenschaftliche Inhalte australischen Forscher Dustin Welbourne und Will Grant in allgemein verständlicher Form über das Internet verbrei- über die Erfolgsfaktoren populärwissenschaftlicher Videos tet. Diese Definition grenzt das Untersuchungsobjekt von im Internet (Welbourne/Grant 2015 ). Evidenzbasierte anderen beliebten Videoproduktionen wie Tutorials, Vorle- Studien existieren so gut wie gar nicht, ein Umstand, der sungsaufzeichnungen oder Reviews neuer Technologien umso überraschender ist, als Youtube mit mehr als 4.000 und Gadgets ab, bei denen der Unterhaltungsfaktor und Wissenschaftskanälen und über 100.000 Wissenschaftsvi- die Experten-Laien-Kommunikation in den Hintergrund deos ein auffallend vielfältiges und wachsendes Videokor- rücken. pus mit weltweiter Erreichbarkeit hostet.

In unseren Veröffentlichungen verwenden wir die vollstän- Mit unserer eigenen Studie verfolgen wir unter anderem dige und korrekte Bezeichnung »Popular Science Web das Ziel der Identifizierung der beliebtesten Science- Video«, der Einfachheit halber oft auch »Science Web Video-Kanäle im Internet und die Erarbeitung einer 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 119 typologischen Studie über ästhetische und narrative kalisationen). Merkmale dieser Webvideos. Kanäle, die mit beiden Sucheinstellungen gefunden wur- den, wurden in die Studie aufgenommen; als zusätzliches Umriss der Methodologie Kriterium wurden diese Ergebnisse um systematisch ge- sammelte Empfehlungen aus der Blogosphäre ergänzt, bis Für die Analyse trafen wir eine repräsentative Webvideo- 100 Kanäle erreicht waren. Unter Blogosphäre verstehen Auswahl, basierend auf den beliebtesten Videokanälen. wir hier Blogs, Foren oder Websites in verschiedenen Hierfür haben wir uns zunächst des Suchalgorithmus von Weltsprachen, die wissenschaftliche Inhalte veröffentli- Youtube bedient. Die weltweit beliebtesten Kanäle aus der chen, wie Open Culture, Getting Smart, Maths Insider und Kategorie »Wissenschaft und Bildung« wurden ermittelt viele mehr. Die Empfehlungen aus der Blogosphäre liefer- und mit den Ergebnissen verglichen, die wir erhielten, ten zehn zusätzliche Videokanäle aus dem Videoportal Vi- wenn wir die Suche auf ein konkretes Land beschränkten. meo und anderen proprietären Plattformen. Von jedem Vi- Für dieses Unterfangen wurden zuerst der Browsercache deokanal wählten wir jeweils das populärste und das neu- geleert und Cookies gelöscht. So lässt sich der Einfluss este Video aus. Die vollständige Liste der untersuchten Ka- der so genannten Filterblase (vgl. Pariser 2011 ), die näle und Videos ist in unserer Publikation zu finden. durch die Abhängigkeit der Suchergebnisse von persönli- Mittels standardisierter Fragebögen erhoben geschulte Stu- chen Einstellungen und dem eigenen Surfverhalten ent- dienteilnehmerinnen und -teilnehmer daraufhin Daten steht, einigermaßen eindämmen. Daraufhin wurde die Län- über die Ästhetik, Produktionsweise und Erzählmethoden derwahl auf der Youtube-Startseite getroffen (neben der der Videos. Neben allgemeiner Information über die Vi- Einstellung »global« finden sich hier etwa 40 weitere Lo- deokanäle und Webvideos – wie Titel, Link, Videoanzahl 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 120 seit Gründung des Kanals, Abonnentenzahl, Aufrufe, Li- Die zehn populärsten Kanäle verzeichnen derzeit täglich kes, Dislikes und so weiter – wurden auch spezifische Da- mehr als 50.000 Videoaufrufe, wobei gilt, dass Kanäle mit ten über die beliebtesten und neuesten Videos erhoben. Da- mehr Videos tendenziell höhere Aufrufzahlen haben. Wir zu gehörten folgende Kriterien: Anzahl, Geschlecht und konnten auch neun extrem populäre Videos identifizieren, Alterseinschätzung der Akteure, Beschreibung der Vor- die schon in den ersten Tagen nach ihrer Veröffentlichung schaubilder, Drehorte, Kameraarbeit, durchschnittliche An- durchschnittlich über 100.000 Aufrufe pro Tag aufwiesen, zahl von Aufnahmen, Kategorisierung der Kameraeinstel- auf zwei davon entfiel sogar mehr als eine halbe Million: lungen, Storytelling-Merkmale, Gattung und dramatische Airbag Deploying in Slow Mo – The Slow Mo Guys und What Is Mittel, Beschreibung von Intro- und Outro-Sequenzen so- The Resolution Of The Eye? (Vsauce). wie Spezialeffekte, Licht- und Sounddesign, Musik und Die populärsten unter den wissenschaftlichen Webvideos Qualität der Erzählstimme. sind nicht zwingend die komplexesten oder profundesten. Mit unserer Studie verfolgten wir nicht systematisch das Die Produktionen von The Slow Mo Guys beispielsweise Ziel, quantitative Daten zu erheben, gewannen aber doch sind leicht zu verstehende und klar strukturierte Zeitlupen- einige Einsichten. Die meisten der analysierten Wissen- aufnahmen, unterhaltsam dargeboten. Vsauce , ein ande- schaftsvideos hatten an den ihrer jeweiligen Veröffentli- rer populärer Youtube-Kanal, definiert sich über mitreißen- chung folgenden Tagen durchschnittlich jeweils zwischen de Monologe mit didaktischem Ansatz über scheinbar tri- 100 und 6.500 Views. Die populärsten Videos wurden so- viale Themen wie die Frage »Warum Menschen küssen« gar von durchschnittlich 30.000 bis 100.000 Menschen oder »Was ist Gelb?«. Der in Deutschland populäre Imba pro Tag gesehen. Torben nutzt reißerische Titel wie »Todesmilch Titten?«, um über Laktoseintoleranz aufzuklären. 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 121

Hier werden auch die verschiedenen Auffassungen der Besonders populäre englische Beiträge werden häufig in Produzierenden über die Begriffe Wissenschaft und Bil- andere Sprachen übersetzt oder es wird deren Format über- dung offensichtlich. Was die analysierten Videos eint, ist nommen, zum Beispiel ist MinutoDeFisica die spanische der Umstand, dass sie im Verlauf einer kurzen Zeitspanne Version von MinutePhysics . Andererseits existieren auch didaktische Informationsvermittlung und Unterhaltung nicht englischsprachige Produktionen, die das Potenzial miteinander verbinden. zu einem globalen Erfolg haben – vorausgesetzt aller- Die Auswertung unserer Daten liefert tiefe Einblicke in Ei- dings, dass sie eine Übersetzung ins Englische oder in genschaften und Tendenzen der populärwissenschaftli- eine der anderen Weltsprachen anstreben, um so ihre Ziel- chen Webvideos. Die wichtigsten Aspekte: gruppe zu vergrößern. a) Englischsprachige Kanäle dominieren b) Vielfalt der (Unter-)Genres

Youtubes globale Videoliste wird von Produktionen in eng- Im Bereich des populärwissenschaftlichen Kurzvideos lischer Sprache dominiert. Zu den wenigen Ausnahmen existiert eine große Vielzahl von Genres und Untergenres. zählen spanischsprachige (wie Unicoos ) und portugiesi- Die Hauptgenres sind sche Kanäle (wie Vestibulandia ) – ebenfalls sehr beliebte, ‣ der Dokumentarfilm (zum Beispiel Sixty Symbols, aber noch nicht global agierende Wissenschaftsvideokanä- Numberphile oder Periodic Table of Videos, aber le. Einige der nicht englischsprachigen Produktionen auch Presenter-Formate wie Veritasium oder Smarter scheinen jedoch von Global Playern aus englischsprachi- Every Day und Monologe wie Vsauce oder Sci- gen Regionen beeinflusst zu sein. Show) 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 122

‣ der Animationsfilm (zum Beispiel TED Ed) de auf eine Unterlage gelegt und von Händen durch das Bild bewegt, um ein Geschehen darzustellen.) ‣ die Reportage (wie sie unter anderem in den meisten Hochschulproduktionen zum Einsatz kommt). ‣ Videos, die wir in die Sammelkategorie »Live Writing« einordnen. Dazu gehören Whiteboard- und Screencast- Innerhalb der Hauptgenres Dokumentar- und Animations- Videos, die vorwiegend mit Text und mathematischen film verdienen einige Subgenres besondere Erwähnung. Formeln auskommen, welche vor den Augen der Zu- ‣ Erklärvideos nach einem Frage-Antwort-Modell bezie- schauer auf Tafeln geschrieben werden. Das beste Bei- hungsweise einem FAQ-Modell (FAQ: englisch für Fre- spiel hierfür sind die Videos auf dem Kanal Khan Aca- quently Asked Questions) wie . Solche Er- demy. Weitere Beispiele sind editierte Vorträge (zum klärvideos sind auch in Form von Monologen oder Ani- Beispiel TED Talks), Wissenschaftlerporträts (FavSci- mationen zu finden. entist) oder moderierte Experimente . ‣ Videos, die wir in die Sammelkategorie »Live Dra- wing« einordnen. Dazu gehören animierte, teilani- c) Mittlere Produktionskomplexität mierte und nicht animierte Whiteboard-Videos sowie Während frühe Beiträge auf Youtube zumeist dilettanti- Flachfigurenfilme, wie sie AsapScience oder Minute sches Heimvideo-Flair ausstrahlten, findet man auf dem zeigen. (Bei Whiteboard-Videos kann der Zu- Portal mittlerweile viele Belege für eine wachsende Pro- schauer verfolgen, wie auf einer weißen Zeichenunterla- fessionalisierung der Videoproduktion, auch wenn der Ein- ge gezeichnete Illustrationen entstehen und quasi live satz von hochprofessionellen oder sehr teuren Aufnahme- den Sprechertext bebildern. In Flachfigurenfilmen wer- techniken (Dolly, Steadicam, Kamerafahrten) eine Ausnah- den aus Papier ausgeschnittene Figuren und Gegenstän- me bleibt. Filmspezifische Methoden, die auf die Professi- 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 123

onalität der Produktionen verweisen, werden mittlerweile e) Storytelling häufig eingesetzt, darunter die manuelle Einstellung des Das auffälligste Merkmal und möglicherweise auch die Weißabgleichs, der Einsatz von Studiolichtern, wiederkeh- Hauptursache für den Erfolg bestimmter populär- rende Spezialeffekte und die Nutzung von Stativen. wissenschaftlicher Webvideos ist der Umstand, dass entsprechende Youtuber und Filmemacher ihren Fokus auf d) Hohe Komplexität der Montage das Storytelling legen, also auf die Kunst des Für traditionelle TV- und Filmproduktionen ist typisch, Geschichtenerzählens: Hinter jedem erfolgreichen Video dass sie eine Vielzahl von Kameraeinstellungen und steckt eine sehr gut erzählte Geschichte. Die Macht eines Schnitten aufweisen – beides sind Indizien für eine intensi- unterhaltsamen Skripts in Verbindung mit einer aktiven ve Postproduktion. Auch die Mehrheit der untersuchten Vi- Community hat das Potenzial, jedes Video in ein virales deos zeichnet sich durch eine komplexe Montage aus. Die Ereignis zu verwandeln, auch wenn sein Thema nicht meisten weisen mehr als drei verschiedene Kameraeinstel- unbedingt hochrelevant für die Menschheit zu sein scheint lungen auf. und seine Qualität nicht die beste ist. Der unzuverlässige Dennoch gibt es auch Webvideos, die mit einer Planse- automatische Weißabgleich bei AsapScience, häufige quenz oder weniger als drei Takes (zum Beispiel »NurdRa- Überbelichtungen im Fall der Kanäle SmarterEveryDay ge«) auskommen. Ein Großteil der Videos dieser Art sind und Sixty Symbols oder kleinere Sound-Probleme stehen Live-Experimente mit oder ohne Moderation. Darüber hi- dem Erfolg nicht im Wege. naus sind die Verwendung externer Audiogeräte für gute Sprachqualität und der Einsatz von Sounddesigns für dra- matische Zwecke nicht ungewöhnlich. 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 124

f) Relevanz von Intro- und Outro-Sequenzen zählens zu beobachten. Die meisten Videos sind nach wie vor Low-Budget-Produktionen, und viele von ihnen wer- Die meisten untersuchten Videos setzen ausgearbeitete den tatsächlich noch von Amateuren und Quereinsteigern Intro- und Outro-Sequenzen ein. Sie sind für die Gewin- produziert. Für Storytelling und Inszenierung haben diese nung neuer Abonnenten und für die Überleitung zu ande- aber ein sehr gutes Gespür. ren Videos innerhalb des eigenen Kanals sehr wichtig. Vie- le Intro-Sequenzen funktionieren als Teil des dramaturgi- Interessant sind der häufige Einsatz von Nahaufnahmen, schen Aufbaus des Films. In ihrer Mehrheit sind sie als mit denen Menschen porträtiert werden, und der Einsatz Eyecatcher konzipiert, also als Blickfang oder Hingucker. unkonventioneller Perspektiven, der sich ebenfalls in ei- Wiedererkennbare Elemente wie animierte Logos und Jin- ner signifikanten Anzahl von Produktionen beobachten gle-Töne sind ebenfalls Teil von Intros. lässt. Das deutet darauf hin, dass die persönliche Anspra- che des Zuschauers für diese Form der Wissenschaftskom- Übliche Elemente einer Outro-Sequenz sind Links, Video- munikation mit der Öffentlichkeit sehr wichtig ist. Empfehlungen, mündliche Einladungen und Aufforderun- gen zum Abonnieren des Kanals. Die meisten Kurzdokumentationen – einschließlich ihrer Unterkategorien wie Monologe, FAQ-Videos, Porträts g) Die persönliche Note: Der Aufbau eines »emotionalen« oder sogar Interviews – scheinen der audiovisuellen Tradi- Netzwerks tion erfolgreicher TV-Dokumentationen zu folgen. In sol- chen Formaten bauten renommierte Wissenschaftler wie Die zunehmende Professionalisierung der Webvideopro- Carl Sagan oder David Attenborough eine persönliche Ver- duktion ist nicht so sehr in den Produktionstechniken wie bindung zur Öffentlichkeit auf, indem sie Wissenschaft in der Qualität der Filmmontage und des Geschichtener- verständlich präsentierten, ihr Kommunikationstalent ein- 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 125 setzten und Begeisterung verbreiteten. Oft ist es ein charismatischer, in jeder Folge wiederkehren- der Protagonist, der das Publikum direkt anspricht und in Während die Produktionen vieler Universitäten noch im- die Erzählung des Webvideos einführt. Etwa 60 Prozent mer auf das Format der Standard-TV-Reportage setzen, aller untersuchten Webvideos nutzen dafür die Anrede in um Forschungsergebnisse oder Projektinitiativen zu ver- der ersten Person. 26 Prozent der von uns analysierten mitteln, pflegen die neuen »Youtube-Pädagogen« ihre Youtube-Videos verwenden hingegen ein Erzählmodell in wachsenden Netze, indem sie kreative Formate präsentie- der dritten Person; mehr als ein Drittel dieser Videos sind ren und sich direkt mit dem Publikum austauschen. Sie ge- Animationen oder Whiteboard-Videos. Mit klassischen hen somit weit über die Produktion des eigentlichen Films TV-Reportagen haben sie aber wenig zu tun. Dank des ho- hinaus und betreiben tatsächlich Bewegtbildkommunikati- hen Unterhaltungswerts der innovativen und originellen on. Animationen wird der Zuschauer auch in diesen Fällen Wenn auch viele Youtuber im Geiste einer »Scientific emotional angesprochen. Literacy« handeln, also im Bestreben, eine gewisse Grund- Bei unserer Studie stießen wir auf einen weiteren auffal- bildung in den (Natur-)Wissenschaften zu vermitteln, wä- lenden Umstand, der allerdings noch genauerer Untersu- re es naiv zu behaupten, dass staatliche Initiativen zur För- chung bedarf. Es scheint, als würden in den von uns unter- derung eines wissenschaftlichen Dialogs die Ursache die- suchten Videos Wissenschaft und Bildung vor allem über ses Phänomens seien. Generell gilt das ungeschriebene Ge- didaktische Elemente vermittelt, Kontroversen aber ver- setz: Je deutlicher die Abgrenzung zur institutionalisierten mieden. Den Diskursen an der Schnittstelle von Gesell- Wissenschaftskommunikation ist, umso wahrscheinlicher schaft und Wissenschaft weichen die Videos meist aus, wird ein populärwissenschaftliches Videoprojekt im Inter- kontroverse Themen wie etwa Stammzellforschung oder net fruchten. 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 126

Naturzerstörung bleiben Randerscheinungen. Ob sich für diesen Eindruck auch quantifizierbare Evidenz finden LITERATUR lässt, muss vorläufig offenbleiben. Auch über die Frage, Morcillo, J.M. et al.: Typologies of the Popular warum dies so ist, lässt sich bislang nur spekulieren: Se- Science Web Video. Online-Preprint. arxiv.org/abs/.../ hen Produzenten die Gefahr, ihre Zuschauer mit kontrover- , 19. Juni 2015. Peer-Review-Veröffentlichung in sen Themen zu verlieren? Vorbereitung. Unsere Ergebnisse geben einen evidenzbasierten Einblick über ein recht unüberschaubares und sich ständig verän- Pariser, E.: The Filter Bubble: What the Internet Is Hi- derndes Gebiet: die Produktion von Wissenschaftsvideos ding from You. Penguin Press, New York, 2011 im Internet. Sie führen aber auch weiter. Teile unserer Da- tenerhebung dienen gegenwärtig als Grundlage für eine Welbourne, D.J., Grant, W.J.: Science communicati- weitere Studie, in der wir anhand der Analyse von Video- on on Youtube: Factors that affect channel and video beschreibungen, Abspännen und von Youtubern und Filme- popularity. In: Public Understanding of Science, 19. machern empfohlenen Inhalten einen Überblick über die Februar 2015. pus.sagepub.com/content/.../ , Produktionszusammenhänge von Webvideos gewinnen wollen. Es ist anzunehmen, dass eine Wechselbeziehung Yang, W., Qian, Z.: Understanding the Characteristics zwischen den untersuchten Typologien und kontextuellen of Category-Specific Youtube Videos. Entstanden im Produktionsaspekten herrscht, so dass Korrelations- und Rahmen eines Informatikseminars an der kanadi- Kausalitätsverhältnisse zwischen Videokanälen ans Licht schen Simon Fraser University, 2011. befördert werden können. citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/.../ , 10 EINE TYPOLOGIE DER WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF YOUTUBE & CO. 127

Vorerst kann man sagen, dass die Global Players der popu- lärwissenschaftlichen Videoproduktion im Internet eine re- lativ kleine Gruppe bilden, die möglicherweise die Ästhe- tik von lokalen Youtube-Educators und Videokommunika- toren beeinflusst. In vielen Fällen dürften es vermeintliche Amateure sein, welche die visuelle Sprache von Wissen- schaftsvideos entwickeln und prägen.

Das erhobene Material bietet sich darüber hinaus auch als Datenbasis für eine vergleichende Studie an. In wenigen Jahren können wir so unter anderem erfahren, ob sich die aktuellen Trends behaupten oder als vorübergehender Hy- pe herausstellen. Ebenfalls interessant ist die Frage, wie sich die institutionelle Wissenschaftskommunikation wei- terentwickelt: Werden Hochschulen und Forschungsinstitu- te zu Nachahmerinnen erfolgreicher Youtuber oder finden sie zu einer eigenen Filmsprache? FALLSTUDIE 11 JENSEITS VON VIDEO

Bei der Produktion der mittlerweile mehrfach ausgezeichne- KERSTIN HOPPENHAUS: Ihr crossmediales Projekt »net- ten crossmedialen Dokumentation »netwars / out of CTRL« wars / out of CTRL« über den Krieg im Netz erhielt kämpften Saskia Kress und ihr Team mit vielen Herausforde- mehrere Preise, unter anderem den Grimme Online Award. Warum haben Sie nicht einfach einen Dokumen- rungen. Nun will die Geschäftsführerin der Berliner Filmtank tarfilm gedreht? GmbH das Potenzial des Formats auf Wissenschaftsthemen ausweiten. Kerstin Hoppenhaus hat mit ihr gesprochen. SASKIA KRESS: Die Kernidee bei »netwars« bestand da- rin, das komplexe Thema Cyberwar eben gerade nicht so abzubilden, wie wir das üblicherweise machen, sondern Interviewpartnerin Saskia Kress andere, vielleicht sogar emotionalere Ansätze zu suchen, 11 JENSEITS VON VIDEO 129 mit denen wir auch Leute für das The- ma begeistern können, die sich sonst nicht damit beschäftigt hätten. Wir wollten ein ganzes Themenuniversum bauen, das die Nutzer auf ganz unter- schiedlichen Wegen erkunden kön- nen.

»Netwars« wird also nicht linear er- zählt. Welche Struktur hat die Ge- schichte?

Wir bespielen ganz verschiedene Platt- filmtank GmbH formen. Neben der TV-Dokumentati- Netwars – Out of Control (Trailer) | 3:04 min on und der interaktiven Webdoku, die In crossmedialen Produktionen wie »netwars« (netwars-project.com/de ), dessen Trailer hier im Browser läuft, haben wir eine drei- zu sehen ist, dienen Videoelemente unter anderem dazu, Nutzern einen emotionalen Zugang teilige interaktive Graphic Novel für auch zu Sachthemen zu eröffnen. Tablets entwickelt, die einen fiktiona- len, aber durchaus realistischen Plot tenbasierte fiktionale Geschichte ent- legt wurde. Darin taucht zum Beispiel hat. Wir erzählen also keine Science- wickelt. Außerdem ist eine zwölfteili- eine Figur aus der Graphic Novel auf, fiction, sondern haben eng mit Exper- ge E-Book-Reihe erschienen, The so dass zwischen beiden ein Link ten zusammengearbeitet und eine fak- Code, die auch als Taschenbuch ver- besteht. Inzwischen gibt es auch Hör- 11 JENSEITS VON VIDEO 130 bücher und ein Taschenbuch. Die schaffen das nur, indem wir neue Part- Angst davor verloren haben. Stattdes- Idee ist, dass dieses Universum im- ner mit an Bord holen. Damit meine sen haben wir angefangen, vor allem mer weiter wachsen kann. Das Digita- ich zum einen Finanzierungspartner, die Vorteile zu sehen, die das crossme- le ist ja ohnehin nie fertig: Man zum anderen zähle ich aber auch die diale Erzählen für uns als Journalisten braucht immer noch ein Budget, um vielen jungen Leute dazu, mit denen mit sich bringt. Gerade ein Thema das Ergebnis technisch nachzubessern wir jetzt zusammenarbeiten. Ihnen wie der Cyberwar, der Krieg im Netz, und zu pflegen, und man braucht steht die Welt noch offen, sie sehen ist erst mal sehr abstrakt und nicht be- auch Manpower, um weitere Partner- überall die Möglichkeiten, sind noch sonders sexy. Doch durch die neue Er- schaften auf den Weg zu bringen. nicht so abgegessen wie etwa frustrier- zählform können wir die Leute nun te Dokumentarfilmregisseure, die seit ganz anders emotional mit reinholen. Klingt anstrengend. Warum tut man zwanzig Jahren gegen die altbekann- sich das an? ten Maschinerien anlaufen. Man darf Wie entscheidet man sich für welches Format? Was kann dabei schiefge- Es gibt für uns zwei wichtige Gründe. nicht unterschätzen, was es allein hen? Zum einen ist der Dokumentarfilm- emotional für ein Gewinn ist, wenn markt, auf dem wir sonst tätig sind, man aufhört, über die jetzigen Struktu- Wir haben viele Konzepte verworfen, sehr, sehr schwierig geworden. Als ren zu jammern, und stattdessen et- weil es oft nur darum ging, dass hier Produktionsfirma, die von Sendern was Neues ausprobiert. etwas flimmert und man dort etwas und Filmförderungen abhängig ist, ha- anklicken kann. Diese Möglichkeiten Außerdem haben wir gesehen, dass ben wir uns gefragt: Wie können wir sind verführerisch, man muss aber im- diese neue Art des Erzählens das Er- uns aus dieser Abhängigkeit befreien? mer wieder hinterfragen, wie sinnvoll gebnis sehr bereichert, so dass wir die Und kamen zu dem Schluss: Wir die Interaktivität für die Geschichte 11 JENSEITS VON VIDEO 131 ist. Bei der Graphic Novel zum Bei- siert mich jetzt nicht. Und stattdessen es jetzt auf eigene Rechnung. Und spiel hatten wir anfangs noch viel weiter dem Protagonisten folgen. dann haben wir es gemacht. Weil wir mehr Games geplant. Doch irgend- das Gefühl hatten: Vielleicht hat ein- wann mussten wir entscheiden: Wol- Haben Sie inhaltlich erreicht, was Sie fach niemand verstanden, was wir vor- wollten? len wir jetzt ein Lesestück oder ein haben – aber wir finden den Plan gut. Game machen? Wir haben uns dann Auf alle Fälle. Alle Formate sind qua- eher fürs Lesen entschieden. litativ sehr gut geworden. Und auch Mit welchen finanziellen Mitteln ha- ben Sie »netwars« gestemmt? mit Blick auf die Webdoku sind alle Und bei der Webdoku haben wir ir- Beteiligten sehr glücklich darüber, Wir haben dann doch Förderungen be- gendwann beschlossen, ganz auf die wie sie geworden ist. Vielleicht auch kommen und auch Sender und Verla- Stärke unseres Protagonisten zu set- deshalb, weil der Weg dorthin so ein ge als Partner gewonnen. Aber bei der zen, den von Nikolai Kinski gespiel- harter Kampf war. Das ging mit der Webdoku haben wir irgendwann ge- ten Cyberdealer. Die Figur funktio- Finanzierung los. Wir haben zunächst merkt, dass dieses Ding schwer zu fi- niert einfach sehr gut, da will man keinerlei Film- oder Medienförderung nanzieren ist. Darum haben wir auch den Nutzern am besten gar nicht so bekommen, alle unsere eingereichten lange überlegt, mit Software- und viel Ablenkung bieten. Wer trotzdem Konzepte sind abgelehnt worden. Computerherstellern zu kooperieren, mehr erfahren will, kann auf die Aber irgendwann war so viel Arbeit und schon Gespräche geführt. Aber so nächsten Inhaltsebenen gehen, außer- und Zeit und Energie in das Projekt hätten wir unsere komplette journalis- dem bieten wir zwischendurch kleine geflossen, dass wir vor der Entschei- tische Objektivität gefährdet und da- spielerische Interaktionen an. Aber dung standen: Entweder wir werfen mit das ganze Projekt. man kann auch sagen: Das interes- alles auf den Müll, oder wir machen 11 JENSEITS VON VIDEO 132

Deshalb haben wir entschieden: Wir Graphic Novel verlegt, war sehr zu- wir uns verschätzt. Uns waren einfach brauchen für ein solches crossmedia- frieden, dass die Geschichte nicht nur die Arbeitsprozesse nicht klar, viele les Projekt ein starkes Format, das on- ein reiner Thriller ist, sondern auch mussten wir auch erst neu etablieren. line frei zugänglich ist, und wir wol- auf Fakten basiert. Das war für ihn Zum Beispiel haben wir früher immer len über diese Webdoku Aufmerksam- ein wichtiger Mehrwert. So wurde alles selbst getextet. Aber bei »net- keit bekommen, die wir anders nicht »netwars« am Ende ein journalisti- wars« haben wir an einigen Stellen ge- bekommen würden. Wir müssen es al- sches Format und erreichte große merkt, das ist gar nicht die Art des so einfach selbst durchziehen. Communities. Textens, die wir können, das hat mit Dadurch bekamen wir natürlich eine Filmtexten nichts zu tun. Und dann War Ihre Firma für eine crossmediale Riesenfreiheit. Wir konnten einfach Produktion denn überhaupt gut aufge- den Schritt zu machen und zu sagen: sagen: Es zahlt ja eh keiner dafür. Al- stellt? Ja, wir holen uns jetzt einen Texter – so machen wir »netwars« jetzt so, wie das war ein echter Lerneffekt. Es war für uns das erste Mal, dass wir wir es machen wollen. Überhaupt: Die Lernkurve war enorm nicht nur mit Filmleuten, sondern steil. Wir freuen uns, dass sie jetzt ein Und am Ende wurde die Webdoku auch mit Grafikern, Programmierern, bisschen abflacht und sich Dinge dann doch noch lizenziert, es kamen Gamedesignern und so weiter zusam- auch mal wiederholen. Gelder von ZDF, ARTE und Heise he- mengearbeitet haben. Wir mussten rein. Außerdem haben diese Partner Funktionen besetzen, von denen wir Rückblickend betrachtet: Lohnt der für viel Traffic gesorgt. Auch unser eigentlich gar keine Ahnung hatten. Aufwand? Verlag Bastei Entertainment, der die Da gab es einige Missverständnisse, Solche Formate sind wohl die Zu- E- und Audio-Books sowie die vor allem auch beim Aufwand haben 11 JENSEITS VON VIDEO 133 kunft, es hat also keinen Sinn, sich da- Ist es denn wirklich möglich, crossme- Ein Kollege, der Journalist und Exper- gegen zu verschließen. Die große He- diale Vorhaben klein zu halten? Der- te in Sachen Amphibien ist, wollte rausforderung ist es, sein Projekt so zeit sieht man überwiegend große, schon lange etwas über diese Tiere breit aufgestellte Leuchtturmprojekte, klein zu konzipieren, dass man es auf machen und trug das Thema an uns die mit dem journalistischen Alltag alle Fälle durchstehen kann. Denn praktisch nichts zu tun haben. heran. Jetzt ist dafür genau der richti- selbst wenn man viel in Eigenregie ge Moment, denn erst digital können oder mit befreundeten Programmie- Na ja, das ist die große Frage. Es gibt wir diese Frösche zu einem sympathi- rern realisiert, muss allen Beteiligten durchaus kreative Ideen für kleinere schen Leben erwecken. Das war mit klar sein, dass alles viel mehr Arbeit Formate, die gar nicht so teuer sind. Film bisher so nicht möglich. Wir ar- macht, als man je gedacht hat. Aber Man muss sich ein bisschen zwingen, beiten für Frogs & Friends mit Wis- man wächst auf alle Fälle daran, es be- kleiner zu denken, denn wir werden senschaftlern, Zoos und Naturkunde- reichert das Leben, man lernt neue so große Projekte auch in Zukunft museen in der Schweiz, Österreich Leute kennen und auch völlig neue nicht oft finanziert bekommen. Bei und Deutschland zusammen und berei- Perspektiven. Und man lernt auch, kleineren Formaten denke ich zum ten aktuell digitale Ausstellungen und wieder die eigene Qualifikation zu Beispiel an Smartphones: Wie können auch eine Webdoku vor. Wir wollen schätzen, das, was man selbst gut wir mit ihnen visuell und inhaltlich diese sympathischen Tiere zeigen, die macht. Das ist auch ziemlich schön. anspruchsvolle Formate schaffen? sonst nur unbeweglich und still im Di- Aber man muss eben aufpassen, dass Das ist eine große Herausforderung. ckicht sitzen oder in Schaukästen im man sich nicht verhebt. Zoo, und ihre spannenden Geschich- Eines Ihrer neuen Projekte hat das weltweite Amphibiensterben zum The- ten erzählen. Natürlich in der Hoff- ma. nung, dass sich künftig mehr Leute 11 JENSEITS VON VIDEO 134 um die kleinen Frösche kümmern und sich dann oberflächlich mit dem The- vielleicht auch mehr um das Frosch- ma auseinandersetzen, der Nächste sterben und den Klimawandel, durch geht mehr in die Tiefe, und der Dritte MULTIMEDIATIPPS VON SASKIA KRESS den es verstärkt wird. nutzt das für seinen Schulunterricht.

Kann man mit den neuen Erzählfor- Nach »netwars« geht es also crossme- men also auch Wissenschaftsthemen dial weiter? transportieren? Wir sind mit dem Projekt ein sehr gro- Ich glaube, in solchen Geschichten ßes Risiko eingegangen, und es war liegt sogar eine sehr große Chance für uns klar, dass wir diese Investition den Wissenschaftsjournalismus. Die mit »netwars« allein nicht mehr ein- Kunst besteht darin, die Geschichte spielen können. Aber der Plan ist auf- nicht nur auf der emotionalen Ebene gegangen, und wir haben heute eine spielen zu lassen. Die Leute sollen viel größere Kraft und mehr Möglich- LINK zwar Spaß haben, aber es muss auch keiten als früher. Jetzt können wir so- informativ sein – nicht zu schlicht, gar das Digitale in Ausstellungen und Vortrag von Saskia Kress beim sondern vielschichtig. Für den Wissen- Events integrieren, die im analogen »Symposium Webserien«, das die schaftsjournalismus ist besonders Raum stattfinden. Auch damit er- Filmakademie Baden-Württemberg wichtig, dass sich mit digitalen Forma- reicht man viele neue Leute. und die UfA im Sommer 2014 ver- ten verschiedene Informationsgrade Für uns war »netwars« eine Anfangs- anstalteten bereitstellen lassen. Der eine kann 11 JENSEITS VON VIDEO 135 investition in eine aussichtsreiche Zu- kunft für die Firma. Und die hat sich gelohnt, weil wir jetzt andere Aufträ- ge bekommen. Es fragen uns auch an- dere Partner an: aus der Werbung, aus der Wissenschaft, aus der Wirtschaft. Wir haben plötzlich die Möglichkeit, ganz andere Projekte zu machen, und haben dadurch wieder eine Zukunft bekommen. Wer weiß, wie lange Film- tank ohne »netwars« wirklich über- lebt hätte? LINKS INS BEWEGTE NETZ

Youtube-Kanäle und unabhängige Videoprojekte Zeitungen und Magazine Forschungseinrichtungen und -organisationen Musikvideos Stars im englischsprachigen Raum NobelpreisträgerInnen Festivals & Events

Dieses Kapitel führt stichprobenartig kleinere und größere Angebote an Wissenschaftsvideos auf, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten, darunter viele englischsprachige Angebote. TV-Sender bleiben im Folgenden unberücksichtigt.

In einigen Artikeln dieses E-Books sind weitere Links sowie kommentierte Video- und Multimedia- Tipps von AutorInnen und InterviewpartnerInnen zu finden. LINKS INS BEWEGTE NETZ 137

Youtube-Kanäle und unabhängige Videoprojekte

100SEKUNDENPHYSIK | Motto: »Wissenschaft in einfacher, knapper und unterhaltsamer Form«. Angelehnt an den englischen Kanal MinutePhysics . Whiteboard-Animationen, beglei- tet von einer Erzählstimme aus dem Off.

94 ELEMENTS | Filmemacher aus aller Welt tragen mit kurzen Dokumentarfilmen zu dem Pro- jekt bei, das die 94 natürlich vorkommenden Elemente des Periodensystems in je einem Film vorstellt. Finanziert unter anderem vom britischen Wellcome Trust.

ARTHROPODA | Neue Filmreihe der Dokumentarfilmerinnen Jessica Oreck und Michelle Enemark über Gliederfüßer: Insekten, Tausendfüßer, Spinnentiere und andere. Im verlinkten Beispiel geht es um die Madagaskar-Fauchschabe. Produziert für 75 East Broadway, ein noch ganz am Anfang stehendes Netzwerk für Online-Medien. Originell umgesetzt und vielverspre- chend.

SLOAN SCIENCE AND FILM | Das New Yorker Museum of the Moving Image präsentiert auf dieser Seite Kurzfilme über Wissenschaftsthemen, die mit Hilfe der sich für Wissenschaft und Forschung einsetzenden US-amerikanischen Alfred P. Sloan Foundation produziert wurden. Ziel der Plattform ist es, »die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Film auszuloten« und das Verständnis der Öffentlichkeit für Wissenschaft und Technologie zu fördern. LINKS INS BEWEGTE NETZ 138

RSANIMATE | Videoreihe der Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (RSA). Ziel der Institution ist »21st Century Enlightenment«. Die cartoonarti- gen Whiteboard-Animationen illustrieren Vorträge zu gesellschaftlichen und wissenschaftli- chen Themen. Die Methode wurde oft kopiert, ist aber selten mit so viel Spielfreude und Charme zu sehen wie hier. Ebenfalls schön: RSA Shorts

RIAUS | RiAus bezeichnet sich als »'s national science channel, promoting public awareness and understanding of science«. Mit Hilfe öffentlicher Gelder stellt sich die Non- Profit-Organisation nach eigener Aussage in die Tradition der Royal Institution of Great Britain und betreibt Wissenschaftskommunikation für die breite Öffentlichkeit.

KURZGESAGT | Youtube-Kanal von Münchner Animationsdesignern, die nach dem Überra- schungserfolg Fracking Explained mittlerweile regelmäßig kurze Animationsfilme in deutscher und englischer Fassung produzieren.

DORFUCHS | Er wurde für den Grimme Online Award nominiert, war Fernsehgast bei TV to- tal und bei Galileo: Der Sachse Johann Beurich alias DorFuchs ist Mathematikstudent und rappt über binomische Formeln, vedische Mathematik und lineare Funktionen. Ein Knüller im Netz und schon deshalb sehens- und hörenwert, weil das Format bislang so einzigartig ist.

CERN PEOPLE | In dieser Kurzfilmreihe über acht junge Wissenschaftler am Teilchenfor- schungszentrum CERN wirft Regisseurin Liz Mermin einen sensiblen Blick auf Forscher, die LINKS INS BEWEGTE NETZ 139

nicht im Rampenlicht stehen. Produziert für den von einer US-Produktionsfirma betriebenen Youtube-Kanal Intelligent Channel .

FOCUS FORWARD | Für die vom Konzern General Electric finanzierte und mittlerweile abge- schlossene Reihe waren renommierte Dokumentarfilmer aus aller Welt eingeladen, rund dreimi- nütige Videos mit künstlerischem Anspruch zu drehen. Motto: »Short films, big ideas«.

PBS DIGITAL STUDIOS | Der US-amerikanische Public Broadcasting Service (PBS) betreibt mit seinem Youtube-Kanal eine Art öffentlich-rechtliches Multichannel-Netzwerk, das diverse Kanäle mit eigens produzierten Inhalten zusammenfasst. Dazu zählen Schwergewichte wie »It’s okay to be smart« mit Joe Hanson oder »Crash Course Astronomer« mit »Bad As- tronomer« Phil Plait – überwiegend Presenter-Formate und Explainer. Besonders schön und bildstark ist Deep Look .

STURM DES WISSENS | Die erste – und wohl letzte – Staffel mit fünf Folgen ist formal eine (gelungene) Seifenoper, die wissenschaftliche Orte und Inhalte in den Fokus nimmt. Ziel der professionellen Produktion war es, Frauen für das Studium von MINT-Fächern zu gewinnen.

SIGNIFICANT DETAILS | In einer Serie von Interviews berichten forschende Frauen freimütig von ihrem Leben als Wissenschaftlerin. Aufhänger sind »significant details«; Gegenstände, die für die jeweilige Gesprächspartnerin auf ihrem Weg von besonderer Bedeutung waren.

THE FAB LAB WITH CRAZY AUNT LINDSEY | Youtube-Kanal der US-Amerikanerin LINKS INS BEWEGTE NETZ 140

Lindsey E. Murphy, die Do-it-yourself-Experimente für Kinder vorstellt. Nach erfolgreicher Crowdfunding-Kampagne demnächst mit neuen Folgen.

URKNALL, WELTALL UND DAS LEBEN | 2014 gegründeter Youtube-Kanal des Astrophysikers Harald Lesch und des Mathematikers Josef M. Gaßner. Kürzere oder längere unterhaltsame Vorträge. Begleitprodukt zum gleichnamigen Buch. Themen rund um das Weltall, formal in An- lehnung an die ebenfalls von Lesch präsentierte Sendung α-Centauri des Bayerischen Rund- funks.

IMAGINARY | Diese mit dem Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach verbundene Open-Source-Plattform für Mathematik wendet sich mit interaktiven Programmen, Bildergaleri- en und Filmen unter anderem an Schulen und Ausstellungsmacher.

I FUCKING LOVE SCIENCE | Die britische Bloggerin Elise Andrew ist mit ihrer Facebook-Seite I fucking love science berühmt geworden, auf der sie populärwissenschaftliche Inhalte verbrei- tet. In der Szene der Wissenschaftskommunikatoren steht sie in der Kritik, weil sie ihre Quel- len nicht immer angibt. Zwischenzeitlich produzierte sie in Zusammenarbeit mit Discovery Communications eine begleitende Videoserie.

CLIXOOM | Dieser von Christoph Krachten (siehe sein Beitrag in diesem E-Book ) moderierte Youtube-Kanal, der 2008 mit Prominenteninterviews an den Start ging, wendet sich mittlerwei- le mit Wissenschaftsnews an ein junges Publikum. Krachten gilt als Youtube-Unternehmer der LINKS INS BEWEGTE NETZ 141

ersten Stunde und ist Mitgründer des Multichannel-Netzwerks Mediakraft. Derzeit organisiert er unter anderem die Videodays , das größte Youtuber-Treffen Europas.

MATHSPACEWIEN | Der österreichische Mathematiker Rudolf Taschner, außerordentlicher Professor an der Technischen Universität Wien, setzt sich mit seinem Projekt math.space da- für ein, dass Mathematik der Öffentlichkeit zugänglich wird. Hier sind viele seiner populärwis- senschaftlichen Vorträge zu sehen.

BIONERD23 | Auf diesem Youtube-Kanal geht es vor allem um Radioaktivität und um ihre Ge- fahren, aber auch darum, diese Gefahren richtig einzuschätzen. Die deutsche Presenterin, die in ihren Videos Englisch spricht, gibt im Netz nichts über sich preis; mal ist sie als bionerd23, mal auch als Illy Sommer unterwegs. Kürzlich war sie in Wain Fimeris Dokumentarfilm »Uran und Mensch – Ein gespaltenes Verhältnis« (2015) neben dem bekannten Youtuber Derek Mul- ler (»Veritasium«) zu sehen.

SCIVIEWS | SciViews ist eine Plattform des Verlags Spektrum der Wissenschaft, die sehens- werte deutsche und zum Teil englische Wissenschaftsvideos auswählt (»kuratiert«) und Wissen- schaftsjournalisten und -blogger einlädt, kurze Videorezensionen zu verfassen.

BRITISH PATHÉ | Filmarchiv der einstigen britischen Filmproduktionsfirma Pathé News, das von 1896 bis 1976 reicht. Zu den Kategorien zählt »Science and Technology«. Ein Youtube-Ka- nal ergänzt das Angebot, hier ist beispielsweise die Playlist Atomic Science zu finden. LINKS INS BEWEGTE NETZ 142

DIMENSIONS | Der belgische Ingenieur und Videokünstler Jos Leys hat gemeinsam mit sei- nen Mitstreitern Étienne Ghys und Aurélien Alvarez ein zweistündiges Werk geschaffen, das alles zeigt und erklärt, was Mathematiker an Dimensionen fasziniert – auch wenn es sicher nicht jeden ansprechen dürfte. Wem das noch nicht reicht, dem bieten die Macher außerdem neun fast viertelstündige Video-Episoden über das Thema Chaos an – ein Film, so schreiben sie, »über dynamische Systeme, den Schmetterlingseffekt und Chaostheorie, und für ein breites Publikum gedacht«.

Forschungseinrichtungen und -organisationen

BEYOND THE GARDENS | Filmreihe der britischen Royal Botanic Gardens in Kew. Inhaltlich fundiert, formal und ästhetisch sehr ansprechend. Besonders sehenswert: Beyond the Gardens: The Plant Family Tree

DFG BEWEGT | Mediathek der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit breiter Palette an Videos zu natur-, geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung; unterschiedliche Formate aus dem eigenen Haus. Inzwischen abgeschlossen: DFG Science TV , eine Serie filmischer For- schungstagebücher.

MEDIATHEK DER ESA | Filme über die Arbeit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), LINKS INS BEWEGTE NETZ 143

oft mit exklusiven Bildern aus dem Weltraum. Übersichtlicher ist der zugehörige Youtube-Kanal . Kurze Videoclips sind außerdem auf ESA WEB-TV zu sehen.

TIB|AV-PORTAL | Diese »Plattform für qualitätsgeprüfte wissenschaftliche Videos aus Technik sowie Architektur, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik« wird von der Technischen In- formationsbibliothek (TIB) in Hannover betrieben, der Deutschen Zentralen Fachbibliothek für Technik sowie Architektur, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik. Besonderheiten sind die semantische Suche und die computergenerierten Transkripte von Videos.

EUROPÄISCHE SÜDSTERNWARTE | Youtube-Kanal der Europäischen Südsternwarte ESO über die von ihr in Chile betriebenen astronomischen Observatorien. Außerdem: ESOcast , eine kurze moderierte Nachrichtensendung.

HELMHOLTZ TV | Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren betreibt einen Youtube-Kanal, der vorwiegend Vorträge und Interviews zu Wissenschaftsthemen zeigt.

MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT | Youtube-Kanal der Max-Planck-Gesellschaft, der auch Filme einzelner Max-Planck-Institute vorstellt. Die deutsch- und englischsprachigen Videos im TV- Stil sind teilweise sehr hochwertig produziert. Eine große Anzahl der Filme ist auch auf der Tumblr-Website Max Planck Cinema zu sehen.

DEUTSCHES ZENTRUM FÜR LUFT- UND RAUMFAHRT | Auf ihrem Youtube-Kanal zeigt die zur LINKS INS BEWEGTE NETZ 144

Helmholtz-Gemeinschaft gehörende Forschungseinrichtung vorwiegend Beiträge zu visuell und inhaltlich attraktiven Raumfahrtthemen.

THE BRAIN SCOOP | Youtube-Kanal von Emily Grasslie, den sie als Praktikantin im Zoologi- schen Museum in Montana einrichtete und inzwischen hauptberuflich im Auftrag des renom- mierten Field Museum in Chicago betreibt. Berufsbezeichung Grasslies: »Chief Curiosity Cor- respondent«. Reports aus den Tiefen der Museumsdepots und von diversen exotischen Feldexkursionen. Engagiert und furchtlos.

INSIDE SCIENCE | Im Rahmen des Filmprojekts am Karlsruher Institut für Technologie wur- den Sonderforschungsbereiche etwa zur Teilchenphysik und zur Robotik in kleinen Filmreihen auf Youtube vorgestellt.

ZWEI MINUTEN WISSENSCHAFT | Fellows des Wissenschaftskollegs zu Berlin erklären, was sie an ihrer Forschung begeistert und warum sie einen großen Teil ihres Lebens einem bestimm- ten Fach beziehungsweise einer Fragestellung widmen. Einfaches Konzept, gut umgesetzt.

Stars im englischsprachigen Raum

BRADY HARAN | Der australische Filmemacher betreibt rund ein Dutzend Youtube-Kanäle, darunter Numberphile , Periodic Videos und Sixty Symbols . Sein Erfolg begann 2007 im Rah- LINKS INS BEWEGTE NETZ 145

men einer Zusammenarbeit der University of Nottingham mit der BBC, wo Haran damals arbei- tete. Die Reihe FavScientist stellt Experten die Frage nach ihrem Lieblingswissenschaftler und ergänzt die Interviews um drollige Animationen.

VI HART | Youtube-Kanal von Victoria Hart, die sich selbst als recreational mathemusician be- zeichnet; eingängige Doodle-Videos mit Zeichenstift, über zum Teil sehr komplexe mathemati- sche Phänomene. Ebenfalls schön: die Parable of the Polygons . Hier stellen Vi Hart und Nicky Case eine spielerische mathematisch-interaktive Formulierung des Segregationsproblems vor.

VERITASIUM | Der Youtube-Kanal des australisch-kanadischen Filmemachers Derek Muller gehört zu den erfolgreichsten seiner Art. Formal reichen die unterhaltsamen Videos, die auch jenseits des Youtube-Kosmos positive Resonanz finden, von Experteninterviews über wissen- schaftliche Experimente bis hin zu Songs.

Jeweils einige hundert Millionen Abrufe und einige Millionen Abonnenten zählen auch Youtu- be-Angebote wie AsapScience der beiden Kanadier Mitchell Moffit and Gregory Brown, die von Hank Green präsentierte SciShow , Michael Stevens' Kanal Vsauce , Destin Sandlins »educational videos« auf SmarterEveryDay oder die in Zeitlupe gefilmten Experimente der Slow Mo Guys . Im Video Science Youtubers Unite! ft. Vsauce, ViHart, , MinutePhysics, CGPGrey, SixtySymbols, SED stellt Derek Muller (Veritasium) seine »heroes« unter den Wissenschafts- Youtubern vor; der kurze Beitrag entstand 2012, als diese sich auf der BrainSTEM un- conference am kanadischen Perimeter Institute for Theoretical Physics trafen. LINKS INS BEWEGTE NETZ 146

Festivals & Events

BIOFICTION SCIENCE AND ART FESTIVAL | Das Festival zeigt originelle Kurzfilme zum Thema Synthetische Biologie, ob Experimentalfilm, Dokumentation oder Fiktion. Veranstaltet wird es von dem Wiener Unternehmen Biofaction, das sich der Wissenschaftskommunikation widmet. 2015 waren die Filme des Festivals auf Welttour. Unterstützt wird BioFiction vom Naturhistori- schen Museum Wien.

TED | Die Konferenzorganisation TED (Technology, Entertainment, Design) ist durch Video- kurzvorträge von Vordenkern unterschiedlicher Fachdisziplinen im Internet bekannt geworden. Millionen Zuschauern werden spannende, nicht selten provokante Ideen vorgestellt. Motto: Ideas worth spreading. Der Ableger TED-Ed bietet klug animierte Videos mit didaktischem Mehrwert.

FAMELAB GERMANY | Bei diesem deutschen Ableger einer von den britischen Cheltenham Festivals gegründeten Veranstaltungsreihe stellen junge Wissenschaftler in drei Minuten ihre Arbeit vor, eine Jury kommentiert ihren Auftritt. In das finale Voting wird auch das Publikum einbezogen.

FAST FORWARD SCIENCE | Der Webvideo-Wettbewerb wird jährlich von Wissenschaft im Dia- log und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft veranstaltet. Der zugehörige Youtu- LINKS INS BEWEGTE NETZ 147

be-Kanal zeigt die eingereichten Filme sowie Finalisten und Gewinner – ein bunter Mix von oft kreativen und unterhaltsamen Videos.

FALLING WALLS | Die am 20. Jahrestag des Mauerfalls erstmals durchgeführte Berliner Falling Walls Conference bietet je 20 Weltklasseforschern aller Disziplinen ein Podium, um in 15 Minuten ihre Arbeit vorzustellen. Der Youtube-Kanal dokumentiert ihre Reden sowie ande- re Veranstaltungen im Rahmen der Konferenz wie etwa das Falling Walls Lab.

FORESIGHT FILMFESTIVAL | Der vom Bundesforschungsministerium finanzierte Kurzfilm- wettbewerb fand 2015 zum Thema »Wie wollen, wie werden wir leben?« statt. Der Youtube-Ka- nal zeigt alle eingereichten Filme, darunter journalistische Werke ebenso wie studentische Projekte, PR- und Werbefilme. Vorgänger der Veranstaltung war das Nano-Kurzfilm-Festival nanospots . 2016 geht es um Themen wie Digitale Kompetenz und Open Space.

SCIENCESLAM | Wissenschaft mit Unterhaltungswert: Junge Wissenschaftler präsentieren in wenigen Minuten ihre Forschungsprojekte, das Publikum verteilt Noten. Zugehörige Website: scienceslam.de . Aufzeichnungen von Science Slams existieren daneben auch an zahlreichen anderen Orten im Netz. LINKS INS BEWEGTE NETZ 148

Zeitungen und Magazine

AEON VIDEO | Das 2012 gegründete digitale Magazin Aeon präsentiert kurze und lange doku- mentarische Filme mit hohem visuellem Anspruch, es geht um Wissenschaft, Philosophie und Gesellschaft, gezeigt werden Eigenproduktionen und Übernahmen. Dazu zählen Filme mit »Wow«-Wert wie The Whale Warehouse , aber auch gesellschaftlich relevante und kontroverse Themen wie X-ray Man über nukleare Tests an Soldaten oder Arcadia über den Konflikt zwi- schen der Nutzung erneuerbarer Energien und Landschaftszerstörung. Aeon wird von der briti- schen Aeon Media Ltd. produziert.

IN THEORY | David Kaplan, theoretischer Teilchenphysiker an der Johns Hopkins University, präsentiert kurze, teilweise animierte Reflexionen über aktuelle theoretische Fragen in der Wis- senschaft und bietet erstaunlich viel Tiefgang in drei Minuten. Produzent ist das von der US- amerikanischen Simons Foundation finanzierte Quanta Magazine. Themen: What happens to quantum information inside black holes? How does symmetry shape the laws of nature? und an- dere.

NATURE | Das britische Fachjournal Nature präsentiert kurze Videos zu aktuellen Nature-Pub- likationen aus unterschiedlichen Fachgebieten. Ein neues Format sind Interviews mit Nobel- preisträgern, die als witzige Animationsfiguren ihr Fachgebiet vorstellen: Nobel laureates in their own words . Die Inspiration für das Format lieferte möglicherweise die Serie Blank on Blank LINKS INS BEWEGTE NETZ 149

der US-Senderkette PBS, die sich Größen der Popkultur widmet.

SCIENCE VIDEO CHANNEL | Videokanal der New York Times, der hochwertige und originelle Wissenschaftsvideos zeigt, darunter viele Eigenproduktionen. Damit verwandt ist die Serie Ani- mated Life in der Times-Rubrik NYT OpDocs , ein kluges und mit Papierfiguren liebevoll ge- staltetes Interviewformat über Schlüsselfiguren in der Wissenschaft, das in Kooperation mit dem Howard Hughes Medical Institute realisiert wird.

Musikvideos

A CAPELLA SCIENCE – BOHEMIAN GRAVITY! | Dies ist kein Kanal, sondern der Link auf einen herausragenden Vertreter des Genres der wissenschaftlichen Musikvideos. Bohemian Gravity stammt von Tim(othy) Blais, der 2013 seinen Master in theoretischer Physik an der McGill Uni- versity, Montreal ablegte und in diesem bravourösen A-cappella-Song (rund 2,8 Millionen Ab- rufe) von der Stringtheorie erzählt.

BABA BRINKMAN | PEER REVIEWED RAP | Der kanadische Rapper Baba Brinkman präsentiert seine wissenschaftlichen Hip-Hop-Songs live auf der Bühne und in sehr vielfältigen Online-Vi- deos wie zum Beispiel Baba Brinkman – Gene's Eye View über die genetischen Grundlagen der Mukoviszidose oder sein Rap Guide to Evolution , produziert mit Unterstützung des britischen Wellcome Trust. LINKS INS BEWEGTE NETZ 150

Und wenn wir schon bei Science Songs sind: Wir empfehlen gerne A Firefly's Life von Christi- ne Lavin, den Large Hadron Rap von Alpinekat (nicht zu verwechseln mit LHC-Collider von Les Horribles Cernettes ) und natürlich den Klassiker: Tom Lehrer's The Elements (Audio; dane- ben gibt es Videofassungen, siehe den Wikipedia-Eintrag zum Song ), einschließlich des Updates The NEW Periodic Table Song (Updated) von AsapSCIENCE.

Weitere Beispiele für Musikvideos finden sich in Joachim Allgaiers Telepolis-Beitrag Fatboy Slim und die Evolutionstheorie. Ein Blick auf Wissenschaft in Musikvideos vom Januar 2013. Siehe au- ßerdem seinen Beitrag in diesem E-Book .

NobelpreisträgerInnen

LINDAU NOBEL MEDIATHEQUE | Bei der jährlichen Tagung der Nobelpreisträger in Lindau ent- stehen zahlreiche Mitschnitte von Vorträgen, aber auch eigens produzierte kurze Dokumentatio- nen. Die Mediathek ist umfangreich, die Beiträge sind zumeist in englischer Sprache. Auch das Fachjournal Nature zeigt in seiner Lindau Collection Videos des Treffens.

NOBELPRIZE.ORG | Auf der offiziellen Website des Nobelpreises (»The Official Web Site of the Nobel Prize«) findet sich eine umfangreiche Mediathek mit Preisträgerreden, Dokumentati- onen, Interviews und mehr. Der dazugehörige Youtube-Kanal heißt schlicht Nobel Prize . IMPRESSUM

© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Heidelberg 2016

Herausgeber: Thilo Körkel und Kerstin Hoppenhaus E-Book-Erstellung und grafische Gestaltung: Regina Huber Umschlaggestaltung und Illustration: Martina Buske (www.buske-grafik.de ) Videobearbeitung: Regina Huber Lektorat: Christina Meyberg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustim- mung des Verlags und der Herausgeber unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.