Können Computer Denken?
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Philosophie / Informatik / Sprachwissenschaft Sekundarstufe II Können Computer denken? „Künstliche Intelligenz“ als Thema für einen fächerübergreifenden Unterricht Unterrichtsmodul 2: Schlüsselproblem Sprachverstehen Amt für Schule 1996 Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung Amt für Schule Können Computer denken? „Künstliche Intelligenz“ als Thema für einen fächerübergreifenden Unterricht Unterrichtsmodul 2: Schlüsselproblem Sprachverstehen Fachreferenten: Dr. Uwe Heinrichs Amt für Schule S 13 Ulrich Polzin Amt für Schule S 13/33 Verfasser: Reinhard Golecki Gymnasium Klosterschule Hamburg, 1996 (PDF-Version März 2000) Inhaltsverzeichnis Unterrichtsmodul 2: Schlusselproblem¨ Sprachverstehen 5 Einfuhrung¨ 5 1 Wort-fur-Wort-¨ Ubersetzungen¨ 9 2 Syntax, Semantik, Pragmatik 15 3 Formale Systeme 19 4 Exkurs: Aussagenlogik 24 5 Formale Grammatiken 34 6 Automatische Syntaxanalyse: ein einfacher Parser 43 7 Maschinelle Ubersetzung¨ 52 8 Sprache, Denken, Welt 64 9 Sprechen ist Handeln 68 10 Formale Repr¨asentation der Semantik und Pragmatik 71 11 Kommunikation 78 Schlußbemerkung 91 Anhang 94 A Semantik und ihre formale Repr¨asentation 95 A.1 Zur Bedeutung von Bedeutung“ . 95 ” A.1.1 Philosophie und Logik . 99 A.1.2 Linguistik . 111 A.1.3 Psychologie . 119 A.1.4 Resumee¨ . 123 A.2 Klassische“ KI-Semantik: Netze, Rahmen, Skripte . 124 ” A.3 Kritische Einw¨ande . 130 A.4 Neuere Ans¨atze aus der Linguistik und Sprachphilosophie . 134 A.4.1 Montague-Grammatik . 135 A.4.2 Diskursrepr¨asentationstheorie . 140 A.4.3 Situationssemantik . 142 A.5 Offene Probleme der maschinellen Sprachverarbeitung . 146 B Literatur 152 B.1 Kommentierte Literaturhinweise . 152 B.2 Literaturverzeichnis . 156 Unterrichtsmodul 2 Schlusselproblem¨ Sprachverstehen Die Umgangssprache ist ein Teil des menschlichen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser. Ludwig Wittgenstein Einfuhrung¨ Gibt es etwas, wodurch sich der Mensch von allen anderen Tieren unterscheidet, qualita- tiv und nicht bloß graduell, als besonderes Merkmal, nicht nur als einzigartige Verbindung und Kombination auch sonst anzutreffender? Mit einer positiven Antwort l¨auft man leicht Gefahr, sich zu blamieren, denn genauere Studien der Primaten haben gezeigt: Auch Tie- re verhalten sich intelligent“, sie k¨onnen lernen, planen, Werkzeuge herstellen (auch auf ” Vorrat“, zum sp¨ateren Gebrauch), erworbenes Wissen weitergeben, soziale und politi- ” ” sche“ Koalitionen bilden, inklusive List und T¨auschung; es wird dann schwer, Begriffe wie Denken“, Bewußtsein“, Selbstbewußtsein“ anders als graduell zu verwenden. Es gibt ” ” ” allerdings eine (bisher) recht unbestrittene Kandidatin fur¨ eine positive Antwort (und mit ihr stehen andere Anw¨arter wie Gestaltung der Umwelt, Moral, Religion, Wissen um den Tod, im engen Zusammenhang1), die Sprache. Was ist das Besondere der menschlichen Sprache? Nach Buhler¨ gibt es drei wesentli- che Leistungen der Sprache: Ausdruck, Appell und Darstellung. Uber¨ die beiden ersten verfugen¨ auch die Kommunikationssysteme der Tiere: Angst- und Schmerzensschreie, Balz- und Warnrufe; eine Katze kann schnurren und so lange um die Beine streichen, bis man das Futter holt. Aber k¨onnen Tiere etwas darstellen? Darstellungen k¨onnen analog (etwa eine Skizze) oder digital 2 sein (z. B. die Buchstabenfolge r-o-s-e und die Wortfolge auf dieser Sei- te). Analoge Darstellungen kommen vereinzelt auch im Tierreich vor (z. B. der Bienentanz, 1Und nicht zuletzt auch das Projekt der Aufkl¨arung: Das Interesse an Mundigkeit¨ schwebt nicht bloß ” vor, es kann a priori eingesehen werden. Das, was uns aus Natur heraushebt, ist n¨amlich der einzige Sachverhalt, den wir seiner Natur nach kennen k¨onnen: die Sprache. Mit ihrer Struktur ist Mundigkeit¨ fur¨ uns gesetzt“ (Jurgen¨ Habermas (1968), S. 163). 2Es werden diskrete (und fur¨ sich bedeutungslose) Elemente aus einer endlichen Menge (Phoneme, Buchstaben) zu bedeutungsvollen Einheiten kombiniert, die wiederum zu (potentiell unendlich vielen) neuen Einheiten kombiniert werden k¨onnen. Eine solche Darstellung beruht nicht auf einer Ahnlichkeit¨ mit dem Dargestellten, und bei ihr k¨onnen schon kleine Anderungen¨ der Komponenten oder ihrer Reihenfolge 5 durch den Art, Richtung und Entfernung einer Nahrungsquelle dargestellt werden), aber – und das ist die entscheidende These – nur im menschlichen Bereich finden beide Kom- ” munikationsformen Anwendung“3, und das heißt, daß die menschlichen Sprachen Zei- ” chensysteme und Verst¨andigungsmittel zugleich sind.“4 Diese Verbindung pragmatischer und semantischer Aspekte mit einer syntaktischen Struktur, diese diskrete Unendlichkeit ” bedeutungsvoller Ausdrucke“¨ 5 ist es, was die menschliche Sprache wohl grunds¨atzlich von der tierischen Kommunikation unterscheidet6 und was sie so leistungsf¨ahig macht: • es k¨onnen Worte und S¨atze gebildet werden, die nie vorher gebildet wurden und dennoch von anderen verstanden werden (Kreativit¨at) • M¨oglichkeit der Negation und damit auch der Beschreibung logischer Verh¨altnisse wie wenn – dann“, entweder – oder“ ” ” • M¨oglichkeit situationsunabh¨angiger und kontrafaktischer Beschreibungen, Unabh¨an- gigkeit der Kommunikation von Raum und Zeit und von bestimmten Reizen • weitgehende Ubertragbarkeit¨ von einem Medium in ein anderes (Laute, Schriften, Gesten) • Tradierung von Erfahrungen und Sichtweisen auch ohne pers¨onlichen Kontakt, Ler- nen durch sprachliche Instruktionen • die Sprache selbst kann Thema der Sprache sein Ungeachtet strittiger (m¨oglicherweise niemals kl¨arbarer) Fragen nach der zeitlichen und logischen Priorit¨at ist die menschliche Sprache dadurch so eng mit der Kulturentwicklung, der artspezifischen Intelligenz und dem Denken der Menschen verbunden, daß Sprachver- stehen (d. h. im Geschriebenen oder Gesagten das Gemeinte erkennen) in vielerlei Hinsicht auch ein Schlusselproblem¨ fur¨ die KI und damit eine besonders interessante Zuspitzung der Frage K¨onnen Computer denken?“ darstellt. Im Bereich der kognitiven KI, nach deren ” Selbstverst¨andinis die Entwicklung intelligenter“ Computer auch ein Beitrag zur Erfor- ” schung der Intelligenz- und Denkprozesse des Menschen ist, zeigt sich das nicht zuletzt in der nicht verebbenden Diskussion um die beiden zentralen Gedankenexperimente der KI, Turing-Test (vgl. im Unterrichtsmodul 1 den Abschnitt 3 und Searles Chinesisch- ” Zimmer“ (vgl. die Abschnitte 5 und 6 vom Teil 2 dieser Heftreihe), die das Sprachverstehen jeweils in den Mittelpunkt stellen und mit denen Sinn und Erfolg dieses Unternehmens entweder be- oder widerlegt werden sollen. große Unterschiede bewirken. Die Bedeutung der einzelnen Einheiten ist im gewissen Sinne willkurlich¨ bzw. konventionell und kann sich ¨andern. Auf diesen Eigenschaften (Diskretheit, Dualit¨at, Produktivit¨at, Arbitrarit¨at) beruhen wesentlich die Flexibilit¨at, Vielseitigkeit und Effizienz der (menschlichen) Sprache (vgl. John Lyons (1983), S. 27–31). 3Paul Watzlawick, Janet H. Beavin & Don D. Jackson (1969), S. 63. 4Claude Hagege` (1987), S. 109. 5Noam Chomsky (1981), S. 45. 6Dem widersprechen die bekannten Experimente, Menschenaffen z. B. die Taubstummensprache oder den Umgang mit unterschiedlich geformten und gef¨arbten abstrakten Symbolen beizubringen, nicht un- bedingt. Erstens benutzen sie diese Zeichensysteme nicht untereinander (schon gar nicht in der Natur), zweitens sind die Ergebnisse widerspruchlich¨ und kontrovers. Zwar zeigt sich ein gewisses Symbolverst¨and- nis, aber fur¨ die (uber¨ unmittelbare Bedurfnisse¨ und Reize hinausgehende) Mitteilung von Sachverhalten und das Verst¨andnis fur¨ eine Syntax scheint es unuberwindbare¨ Grenzen zu geben. M¨oglicherweise zeigt sich aber auch hier, daß uns unsere n¨achsten Verwandten n¨aher sind als wir denken und daß auch Sprach- beherrschung nur ein gradueller Unterschied ist. 6 Aber auch in der technischen KI, deren Anspruche¨ einerseits niedriger (es soll eine be- stimmte Leistung maschinell erbracht werden, egal ob der Mensch das auch so macht), andererseits aber auch h¨oher sind (es sollen marktreife Produkte entwickelt werden), spie- len Naturlichsprachliche¨ Systeme“ eine große Rolle: als Schnittstelle zwischen Mensch ” und Maschine, als Erkl¨arungskomponente bei Expertensystemen, bei interaktiven Me- ” dien“ zum Aufbau von Benutzermodellen“ (welche Vorkenntnisse, Eigenschaften, Inter- ” essen hat vermutlich der jeweilige Anwender?), bei Auskunfts- und Dialogsystemen, bei der Datenbankrecherche, zur automatischen Text- und Spracherfassung usw. usf. (vgl. den Abschnitt 3.2 vom Teil 1 dieser Heftreihe). Im Anwendungsbereich besteht insbesondere ein großer Bedarf an maschineller Uberset-¨ zung (z. B. technische Dokumentationen, Handbucher,¨ Amtssprachen der EU). Der Ver- such der Realisierung – ermuntert durch die großen Erfolge maschineller Entschlusselung¨ von Geheimcodes (ENIGMA) – war in den funfziger¨ und sechziger Jahren das erste gran- diose Scheitern der maschinellen Sprachverarbeitung. Es wurde entdeckt, wie unzul¨anglich Ans¨atze an der Oberfl¨ache“ von Sprachen sind, welche große Bedeutung das syntaktische, ” semantische und pragmatische Wissen und K¨onnen der an der Kommunikation Beteiligten z. B. bei der kaum bewußten Behandlung von Mehrdeutigkeiten ist, und wie schwer es ist, diesen Hintergrund explizit zu machen und zu formalisieren. Zusammen mit ¨ahnlichen Problemen in anderen Anwendungsbereichen fuhrte¨ das dazu, daß die Repr¨asentation von Wissen“ und das formale Operieren darauf