Universität Wien

Institut für Ostasienwissenschaften

Hakuin Ekaku

Wiederbeleber des Rinzai-

Seminararbeit

Tamara Nikolic, Matrikelnummer: 1125351 Studienkennzahl lt. Studienblatt: 033 643 Lehrveranstaltung: Japanologisches Seminar 1 (Gruppe 3), WS 2016 Betreut von: Dr. Bernhard Scheid

Wien, am 19.02.2017

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 3 2. Das Leben des Hakuin ...... 6 2.1. Frühe religiöse Laufbahn ...... 6 2.2. Übung nach der Erleuchtung ...... 9 3. Wiederbelebung des Rinzai-Zen ...... 11 3.1. Das Rinzai-Zen im Verfall ...... 11 3.2. Hakuins Rolle bei der Wiederbelebung ...... 13 4. Conclusio ...... 16 Bibliographie ...... 18 Japanische Bibliografie ...... 20 Abbildungsverzeichnis ...... 20

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1. Einleitung

Der Zen-Meister 白隠慧鶴 (1686-1769), der in der mittleren Tokugawa- Periode (1600-1868) lebte und wirkte, gilt als letzter großer Patriarch des Zen-Buddhismus vor der Moderne (Borup 2008:20). Der Nachwelt ist er im Besonderen für seine originellen Tuschmalereien sowie sein kōan vom Ton der einen Hand bekannt. Innerhalb der Rinzai- Schule des Zen-Buddhismus nimmt er darüber hinaus eine überaus bedeutende Rolle ein: Ihm wird die Reformierung und Wiederbelebung der damals im Verfall begriffenen Schule zugesprochen. Sein Einfluss war derart weitreichend, dass selbst heute, mehr als 250 Jahre nach seinem Tod, fast alle modernen Rinzai-Meister auf Hakuin oder seine Schüler zurückgeführt werden können (Yoshizawa/Waddell 2009:1). Aus Hakuins Feder entsprang ein besonders reichhaltiges Schrifttum, das eine unverzichtbare Grundlage für unser heutiges Wissen zu seinem Leben bildet. Als bedeutendste Primärquellen zu Hakuins Biographie gelten darunter seine autobiographischen Schriften Sakushin osana monogatari 策進幼稚物語 (Die Erzählung davon, was mich in meiner Kindheit antrieb) und Itsumadegusa 壁生草 (Efeu1), welche beide in seiner letzten Lebensdekade veröffentlicht wurden, sowie die von seinem Schüler Tōrei Enji 東嶺円慈

(1721–1792) verfasste Biographie Ryūtaku kaiso shinki dokumyō zenji nenpu 龍澤開祖神機 独妙禪師年譜 (Biographie des Gründers von Ryūtaku, Zen-Meister Shinki Dokumyō2) dar. Während Hakuins Autobiographien seine erste Lebenshälfte behandeln, offenbart die von Tōrei kompilierte Biographie (fortan Biographie des Hakuin) ebenfalls Einblicke in seine späteren Jahre (Hakuin/Waddell 2009:xiii). Sakushin osana monogatari entstand laut Hakuin auf Anfrage einiger seiner fortgeschrittenen Schüler. Diese hatten Hakuin gebeten, die Bedeutung buddhistischer Übung nach der Erleuchtung näher zu erläutern, seine frühe religiöse Karriere darzustellen sowie eine Liste von Schülern, deren Erleuchtung er selbst anerkannt hatte, von Tempeln, an denen er Vorträge gehalten hatte, sowie von seinen schriftlichen Werken zusammenzustellen (Hakuin/Waddell 2009:3). Die angefragten Listen wurden allerdings nicht in Sakushin osana monogatari publiziert. Hakuins schriftliche Werke sowie die von ihm zu Vortragszwecken besuchten Tempel, nicht jedoch die Liste der Schüler, fanden in der nachfolgenden Autobiographie Erwähnung (Hakuin/Waddell 2009:5).

1 Itsumadegusa, wörtlich „Bis-wann-Gras“ oder „Wie-lange-Gras“, bezeichnet eine Pflanze, die scheinbar ohne Unterlass wächst und könnte damit auf humorvolle Weise Hakuins eigene Tendenz zur Langatmigkeit ausdrücken (Hakuin/Waddell 1999:xli). 2 Ryūtaku ist ein Tempel in Mishima in der Präfektur Shizuoka. Shinki dokumyō ist einer von zwei ehrerbietigen Zen-Meister-Titeln, die Hakuin posthum erhielt (Hakuin/Waddell 1999:xxxix). 3

Das 1766 publizierte Werk Itsumadegusa wurde in einer eigentümlichen Art der chinesischen kanshi-Verse, bestehend aus sieben Zeichen langen Zeilen und beeinflusst durch eine andere damals populäre Versform, verfasst, was die heutige Lesbarkeit deutlich erschwert (Hakuin/Waddell 1999:xlii-xliii). Es behandelt ebenso wie seine erste Autobiographie seine frühe religiöse Laufbahn, führt diese jedoch um einige Jahre nach seiner Lehrzeit bei Shōju Rōjin fort und hat ferner ebenfalls die von ihm erlittene „Zen- Krankheit“ mitsamt deren Heilung zum Gegenstand (Hakuin/Waddell 2009:xiii). Laut Waddell (1999:xxiii) kann die von Hakuin in Itsumadegusa betonte Bedeutung der Übung nach der Erleuchtung, also die Unterstützung anderer Menschen auf ihrem eigenen Weg zur Erleuchtung, als Leitmotiv von Hakuins gesamten Schrifttum bezeichnet werden. Die Biographie des Hakuin wurde großteils zu seinen Lebzeiten von seinem Schüler Tōrei Enji verfasst, wobei anzunehmen ist, dass Hakuin hierbei eine beratende, wenn nicht gar auch schriftlich aktive Rolle eingenommen hat (Hakuin/Waddell 2009:145). Die erste Publikation erfolgte erst 1820 durch Tōreis Schüler Taikan Bunshu 大観文珠 (1766-1842) im Ryūtaku-ji (Hakuin/Waddell 2009:145-146). Tōreis Werk sticht hervor als einzige biographische Darstellung Hakuins, die dessen Leben in seiner Gänze, insbesondere die vier Jahrzehnte andauernde Lehrtätigkeit, ausführlich und chronologisch nach explizit angeführten Jahreszahlen behandelt (Hakuin/Waddell 2009:143). Laut Masaki Matsubara (2014#General Overviews), Zen-Forscher und Rinzai-Priester, zeichnen sich unter den japanischsprachigen Sekundärquellen zu Hakuin vier Werke im Besonderen aus. Dies wäre zum Einen das 1963 erschienene Kōshō Hakuin oshō shōden 考証 白隠和尚詳伝 (Historische Studie: Detaillierte Biographie des buddhistischen Priesters Hakuin) von Rikukawa Taiun 陸川堆雲, das einen Vergleich zwischen dem Manuskript und der publizierten Fassung der Biographie des Hakuin anstellt. Auch das rund zwei Jahrzehnte später publizierte Hakuin oshō nempu 白隠和尚年譜 (Chronik des buddhistischen Priesters Hakuin) von Katō Shōshun 加藤正俊 befasst sich mit der Biographie des Hakuin, wobei hierbei die publizierte Fassung des Werkes durch Katō annotiert wurde. Das zeitnah erschienene Shamon Hakuin 沙門白隠 (Der buddhistischer Priester Hakuin) von Akiyama 秋山寛治 enthält wiederum kontextuell relevante Informationen wie Hakuins Familienverbindungen oder auch Lokalgeschichten. Das rezenteste Werk bzw. die rezenteste Werkreihe unter den vier japanischsprachigen Sekundärquellen stellt Hakuin zenji hōgo zenshū 白隠禅師法語全 (Vollständige Sammlung der -Schriften von Zen-Meister Hakuin) von Yoshizawa Katsuhiro 芳澤勝弘 dar. In dieser von 1999 bis 2003 beim 4

Zenbunka-kenkyūjo-Verlag 禅文化研究所 in Kyōtō publizierten 14-teilige Werkreihe ergänzte Yoshizawa Hakuins Dharma-Schriften um eigene Annotationen. Yoshizawa leistete ferner im Bereich der Erforschung von Hakuins Kunst, mit seiner 2005 erschienen Monografie Hakuin – Zenga no sekai 白隠 禅画の世界 (Hakuin – Die Welt des Zenga) einen bedeutenden Beitrag durch die Darstellung von Hakuins Kunstschaffen im Spiegel seines Lebens und seiner Zen-Lehre. Dieses Werk wurde 2009 in einer von Norman Waddell ins Englische übersetzten und inhaltlich revidierten Ausgabe mit dem Titel The religiōs art of Hakuin veröffentlicht. Auch der deutsche, jesuitische Theologe und Zen-Forscher (1988) interpretierte Hakuins künstlerisches Schaffen als Ausdruck seiner religiösen Erfahrungen. Bedeutende englischsprachige Sekundärquellen bilden ferner Yampolskys 1971 erschienene Monografie The Zen master Hakuin, welche die annotierten Übersetzungen von Oradegama 遠羅天釜, Yabukōji 藪柑子 und Hebiichigo 辺鄙以知 beinhaltet, sowie diverse Publikationen von Norman Waddell wie etwa die 1999 erschienene Übersetzung von Hakuins Autobiographie Itsumadegusa mit dem Titel Wild Ivy: The spiritual autobiography of Zen master Hakuin, oder auch das 2009 veröffentlichte Werk Hakuin's precious mirror cave. A Zen miscellany, in welchem unter anderem Sakushin osana monogatari sowie die Biographie des Hakuin ins Englische übertragen wurden. In der vorliegenden Seminararbeit soll nun in zwei Kapiteln Hakuins Leben und Wirken näher untersucht werden. Während im ersten Abschnitt, basierend auf den drei von Norman Waddell ins Englische übertragenen Primärquellen, Hakuins Biografie dargestellt wird, befasst sich das anschließende Kapitel mit der Wiederbelebung des Rinzai-Zen und der dabei von Hakuin eingenommenen Rolle.

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2. Das Leben des Hakuin

In diesem ersten Kapitel soll die Biographie Hakuin Ekakus näher erläutert werden. Aus praktischen Gründen wurde hierbei eine Zweiteilung vorgenommen, wobei als Trennlinie der jeweiligen Abschnitte Hakuins Erleuchtungserfahrung im Alter von 22 Jahren angesetzt wurde. Hakuins Kindheit und frühe religiöse Karriere bis zu diesem Ereignis werden im ersten Abschnitt behandelt, das nachfolgende Unterkapitel führt seine religiöse Karriere bis zu seinem Tod im Alter von 83 Jahren fort.

2.1. Frühe religiöse Laufbahn

Hakuin Ekaku wurde 16863 in der am Tōkaidō 東海道 gelegenen Poststation Hara 原宿 (heutiges Numazu in der Shizuoka-Präfektur) als Nagasawa Iwajirō 長澤岩次郎, das jüngste von fünf Kindern, geboren. Seine väterliche Familie der Sugiyama 杉山 entsprang dem Samurai-Stand und hatte Verbindungen zum Zen, seine mütterliche Familie der Nagasawa 長澤 war dem -Buddhismus zugehörig. Insbesondere zu seiner frommen Mutter pflegte der junge Hakuin ein inniges Verhältnis, mit ihr besuchte er auch die örtlichen Nichiren-Tempel. Ausschlaggebend für seine religiöse Karriere sollte ein gemeinsam besuchter Vortrag über die acht buddhistischen Höllen werden, der detailreich die zu erleidenden Peinigungen der Sünder darstellte. Der Vortrag versetzte den jungen Hakuin in eine solche Furcht, dass er nach Wegen suchte, einem solchen Schicksal zu entgehen (Hakuin/Waddell 1999:x-xiv). Zunächst rezitierte er, angestoßen durch seine Mutter, eifrig das Tenjin- und im weiteren Verlauf ebenfalls das Kannon-Sutra. Den Anstoß, das Priesterdasein anzustreben, brachte schließlich der Besuch eines Puppenspiels, das die Furchtlosigkeit und Unverwundbarkeit des Priesters Nisshin Shōnin 日親上人 (1407-1488), der dank des Lotus- wundersame Kräfte innehatte, zur Schau stellte. Begeistert von Shōnins Kräften, fasste Hakuin den Entschluss, ebenso wie dieser buddhistischer Priester zu werden (Hakuin/Waddell 2009:15-16). Mit 13 Jahren4 gewährten ihm die zunächst ablehnenden Eltern letztlich seinen Wunsch und Hakuin trat im nahe gelegenen Shōin-ji 松蔭寺, bei dem er sich in seinen späteren Jahren endgültig niederließ, in den Priesterstand ein. Dort erhielt er auch den Namen Ekaku (weiser

3 Die traditionelle japanischer Zählweise folgt einem lunisolaren Kalendersystem, das sich um einige Wochen von unserem heute verwendeten System unterscheidet. Folglich existieren bisweilen unterschiedliche Jahresangaben, wodurch Hakuin nach japanischer Zählweise 1685 geboren wurde. 4 In der Literatur über Hakuin existieren variierende Altersangaben, je nachdem ob 1685 oder 1686 als Geburtsjahr gewertet wird bzw. die in damals übliche Praxis, ein Kind bei der Geburt als ein Jahr alt zu bewerten, mitberücksichtigt wird. Die hier verwendeten Jahreszahlen richten sich nach der westlichen Zählweise. 6

Kranich) (Hakuin/Waddell 2009: 154-155). Bald darauf wechselte Hakuin jedoch in den Daishō-ji 大聖寺 des Nachbarortes, wo er unter Sokudō Fueki 息道普益 (?-1712) die nächsten drei oder vier Jahre sein Novizentraining absolvierte. Zu dieser Zeit las er auch das Lotus-Sutra, das ihn jedoch zu diesem frühen Zeitpunkt lediglich enttäuschte. In großer Hoffnung endlich sein formelles Training zu beginnen, womit er stundenlange, mühsame -Übungen im Sinne der frühen Zen-Figuren verband, suchte er mit 17 Jahren den Zensō-ji 禅叢寺 auf. Zu seiner Enttäuschung widmeten sich die dortigen Mönche indessen dem Studium von Texten, in diesem Fall einer Sammlung chinesischer Zen- Dichtung, etwas, das Hakuin zeitlebens als „quietistisches, nichts-tuendes Zen“ ablehnte. Für eine zeitnahe, weitere Enttäuschung sorgte die Kenntnis über die grausame Ermordung des bekannten chinesischen Zen-Meisters Yantou Quanhuo (Gantō Zenkatsu 巌頭全豁 , 828-887) durch Banditen. Hakuin war desillusioniert, er fürchtete seine eigenen Bestrebungen, den Höllen zu entgehen, nicht erreichen zu können, wenn bereits einem Zen-Meister von solch hohem Range ein derartiges Schicksal zuteilwurde. (Hakuin/Waddell 1999:xv-xvi). Die wundersame Geschichte von Nisshin Shōnin betrachtete er nun als Fiktion und er bereute, sich mit ihr als Antrieb für das Priesterdasein entschlossen zu haben (Hakuin/Waddell 2009: 18). Doch eine Rückkehr zu seiner Familie schien zu demütigend und so beschloss er, sich fortan der weltlichen Literatur und Malerei zu widmen, für buddhistische Sutren oder Bilder hingegen konnte er nun nur Abscheu/Abneigung erübrigen (Hakuin/Waddell 2009: 157-158). Sodann zog Hakuin angezogen vom Ruf des Priestergelehrten Baō Rōjin 馬翁老人 (o.J.), der Berichten zufolge zu seiner Zeit als führender Meister der Poesie und Literatur galt, in den Zuiun-ji 瑞雲寺 der Provinz Mino. Aber auch weiterhin ließ Hakuin die Furcht vor den buddhistischen Höllen nicht los: Bei der alljährlichen Lüftung von Baōs Bibliothek wandte er sich schließlich verzweifelt an die „Buddhas und Götter“, sie mögen ihm den rechten Weg weisen (Hakuin/Waddell 1999:19-21). Sollte er sich dem Konfuzianismus, dem Buddhismus oder doch dem Taoismus zuwenden? Mit geschlossenen Augen wählte Hakuin unter der Ansammlung von Schriftwerken Die Zen-Peitsche, ein zen-buddhistisches Werk von Yungqi Zhuhong 雲棲袾宏(Unsei Shukō,1535-1615), aus. Die zufällig aufgeschlagene Seite erläuterte, wie Shishuang Chuyuan 石霜楚圓 (Sekisō Soen, 986–1039) der Kälte und der Schläfrigkeit trotzend, unerbittlich seine zazen-Übungen fortführte. (Hakuin/Waddell 2009:158-159). Während Hakuin die Seite las, spürte er voller Freude, wie sein einstiger Glaube wiederkehrte. Eine eigene Kopie des Werkes, das ihm dazu verholfen hatte, trug er darauffolgend stets bei sich (Hakuin/Waddell 2009:21). Nach kurzer Zeit verließ Hakuin Baōs

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Tempel und unternahm die folgenden Jahre eine ausgedehnte Wanderschaft durch große Teile (Hakuin/Waddell 1999:xix). Während seiner Pilgerreisen verzog es Hakuin im Alter von 22 Jahren zu Vorträgen in den Eigan-ji 永巌寺 (Hakuin/Waddell 2009:165). Im Laufe eines Gesprächs mit dem hoch gepriesenen, Mönch, der die Vorträge abhalten sollte, stellte Hakuin jedoch ernüchtert fest, dass dieser nicht die Erleuchtung erlangt hatte, die ihm nachgesagt wurde. Daraufhin zog er sich alleine in ein Zimmer zurück und gab sich Tage lang intensiver Übungen hin. In der siebten Nacht schließlich erreichte Hakuin eine erste Erleuchtungserfahrung, die durch das Ertönen einer fernen Glocke eingeleitet wurde (Hakuin/Waddell 1999:23-24). Hakuin war überzeugt, als einziger in den letzten zweihundert oder dreihundert Jahren eine solche tiefe Erfahrung durchlebt zu haben (Hakuin/Waddell 2009:26). Bei der Vortragsveranstaltung im Eigan-ji lernte Hakuin auch einen Mönch kennen, zu dem er sogleich eine freundschaftliche Beziehung aufbaute und der ihn auf seinen eigenen Meister Shōju Rōjin 正受老人 (1642-1721) aufmerksam machte (Hakuin/Waddell 1999:26- 30). Da Shōju Rōjin laut Angaben seines Kameraden zur Dharma-Linie von Daien Hōkan Kokushi (Gudō Tōshuku 愚 堂 東 寔 (1577–1661)), gehörte, den Hakuin besonders hochschätzte, beschloss er ebenfalls dessen Schüler zu werden (Hakuin/Waddell 2006:31). Alsbald gelang es Shōju Hakuins Arroganz zu zerrütten: Er erkannte Hakuins Erleuchtung nicht als solche an und erteilte ihm einige kōan, deren Lösung sich für Hakuin jedoch als schwierig herausstellte. Erst als er bei einem Bettelgang durch einen nahe gelegenen Ort durch die Wucht eines Besens in Ohnmacht fällt und eine erneute Erleuchtungserfahrung durchlebt, bestätigt Shōju Hakuins neu gewonnenes Verständnis. Doch damit solle er sich nicht zufriedengeben, so sein Meister, und sich fortan intensiv der Übung nach der Erleuchtung widmen (Hakuin/Waddell 1999:30-34). Insgesamt blieb Hakuin über acht Monate bei Shōju Rōjin. In der Biographie des Hakuin heißt es, dass er seinen Meister verließ, um eine Gruppe von Mönchen, die ihn aufsuchten und gegebenenfalls in Shōjus Einsiedelei verbleiben würden, zurück in die Heimatprovinz zu begleiten (Hakuin/Waddell 2009:172- 174). Seinen Autobiografien zufolge stellt hingegen die erforderliche Pflege des erkrankten Priesters Nyoka Rōshi 5 den eigentlichen Auslöser dar (Hakuin/Waddell 1999:44, Hakuin/Waddell 2009:37).

5 Seine genaue Identität ist nicht gesichert. Generell wird vermutet, dass es sich hierbei um Sokudō Fueki vom Daishō-ji handelt (Hakuin/Waddell 1999:129). In der Biographie des Hakuin wird der zu pflegende Mönch eindeutig als Sokudō Fueki identifiziert, Nyoka Rōshi wird hier nicht erwähnt. Ferner wird die pflegerische Episode in Hakuins Leben erst etwas später mit 25 Jahren festgesetzt (Hakuin/Waddell 2009:182). 8

2.2. Übung nach der Erleuchtung

Nachdem Hakuin Shōju Rōjin verlassen hatte, merkte er jedoch allmählich eine Unstimmigkeit in seinem Erleuchtungsleben: Es gelang ihm nicht die Ruhe und Gelassenheit seines meditativen Lebens in den regen, aktiven Alltag zu übertragen. Hinzu kam eine gesundheitliche Verschlechterung, die Tōrei mit den langen Jahren des intensiven Übens in Verbindung bringt. Ständige Unruhe, ein brennendes Gefühl im Kopf oder auch kalte Extremitäten waren nur einige der von ihm beschriebenen Symptome. Doch ärztliche Konsultationen blieben erfolglos und so machte er sich auf die Suche nach einem möglichen Heilmittel (Hakuin/Waddell 2009:175-178). Dabei erfuhr er von verschiedenen Zen-Meistern, dass er an der so genannten Zen-Krankheit (zen-byō 禅病) erkrankt sei, sie ihm allerdings keine Hilfe anbieten könnten (Hakuin/Waddell 1999:49). Die Lösung brachte letzten Endes der in den Bergen bei Shirakawa lebende Einsiedler Hakuyū 白幽 mit seinem meditativen Heilverfahren des naikan 内観 (Innenschau), mit dessen Hilfe Hakuin die ihn seit Jahren plagende Krankheit nun endgültig besiegen konnte (Hakuin/Waddell 1999: 178-181). Als Dreißigjähriger kehrte Hakuin schließlich auf Wunsch des schwerkranken Vaters in seinen Heimatort zurück, wo er bald zum Abt des damals baufälligen und verarmten Shōin-ji, der zu jener Zeit ohne Priester war, ernannt wurde. Damals übernahm er auch den Namen Hakuin 6 (Hakuin/Waddell 2009:191-194). In den ersten zehn Jahren führte Hakuin, der zunächst lediglich von einem alten Diener und einem Mönch unterstützt wurde, ein relativ schweres Leben. Das Tempelgebäude des Shōin-ji befand sich in einem desolaten Zustand und auch die alltägliche Nahrungsmittelversorgung stellte sich als Schwierigkeit heraus. Hakuin verbrachte seine Zeit vorwiegend mit der Tempelführung, der Lehre einer noch geringen Zahl an Mönchen und Laienschülern, dem Halten von Vorträgen sowie seinen eigenen Übungen (Hakuin/Waddell 2009:192-197). Ferner schien er auch Jugendliche des Dorfes in Kalligraphie zu unterrichten (Yoshizawa/Waddell 2009:15). Nach zehn Jahren in seiner Funktion als Abt soll Hakuin letztlich im Alter von vierzig Jahren beim Lesen des Lotus-Sutras seine große, vollkommene Erleuchtung erfahren haben. Jegliche zuvor gehegten Zweifel und Unsicherheiten waren verschwunden. Erst jetzt erkannte Hakuin den wahren Kern von Shōjus-Zen und die wahre Bedeutung des Lotus-Sutra, das ihn in seinen jungen Jahren lediglich enttäuscht hatte (Hakuin/Waddell 2009:198). Eine Notiz im Manuskript der Biographie des Hakuin gibt nähere Auskunft über Hakuins neu gewonnenes

6 Die genauen Hintergründe des Namens Hakuin, wörtlich „verstecktes Weiß“ bzw. „versteckt in Weiß" sind nicht bekannt, jedoch scheint er mit dem schneebedeckten Fuji-san, den Hakuin von seinem Heimatort Hara aus betrachten konnte, in Verbindung zu stehen (Hakuin/Waddell 1999:xii). 9

Verständnis, vornehmlich über die wahre Natur des Geistes der Erleuchtung (Bodhi-Geist). Dieser bestünde nämlich in nichts anderem als der Befolgung der vier großen Gelübde und damit letztlich in der Unterstützung anderer auf ihrem Weg zur Erleuchtung (Yoshizawa/Waddell 2009:15-16). Die Gelübde lauten:

Sentient beings are numberless, I vow to save them all. Delusive passions are inexhaustible, I vow to end them all. The Dharma teachings are infinite, I vow to study them all. The Buddha Way is unsurpassable, I vow to master it completely. (Yoshizawa/Waddell 2009:16)

Die folgenden vier Jahrzehnte widmete Hakuin der Lehre (Waddell 1999:xxviii-xxxi). Allmählich gelang es ihm mithilfe seiner Vorträge eine immer größer werdende Schar von Schülern um sich zu werben. Nach sechs Jahren lebten und studierten bereits über zwanzig Mönche im Shōin-ji. Den Wendepunkt in seiner religiösen Karriere stellte eine von über 400 Schülern besuchte Vortragsveranstaltung im Shōin-ji dar, in der Hakuin seine grundlegenden Ansichten zum Zen präsentierte sowie sein Bestreben der Reformierung der Rinzai-Schule öffentlich bekundete. Fortan begaben sich zunehmend Mönche aus weiten Teilen Japans zum Shōin-ji, in der Hoffnung unter Hakuin zu studieren. Da der Tempel die Schar an Neuankömmlingen nicht versorgen konnte, mussten sie sich eigenständig im umliegenden Tempelgebiet ihre Unterkünfte organisieren. So entwickelte sich durch das Engagement der Schüler ein religiöses Zentrum (Waddell 1999:xxxii-xxxiii). Bis zu etwa 65 Jahren widmete sich Hakuin überwiegend den Schülern im Shōin-ji oder in anderen Tempeln, an denen er zu Vorträgen eingeladen wurde. Zeitnah richtete er seine Aufmerksamkeit auch dem Schreiben und der Verbreitung seiner Lehre unter dem einfachen Volk, wobei er nicht nach Geschlecht oder sozialer Schicht differenzierte (Waddell 1999:xxxiv). Im Zuge seiner Lehrtätigkeiten entstand ein besonders reichhaltiges schriftstellerisches Schaffen, aber auch zahlreiche Bilder sowie Kalligraphie hat er hinterlassen (Yoshizawa/Waddell: 2). Hakuins 70er erwiesen sich hierbei hinsichtlich des Schrifttums und Kunstschaffens als produktivste Periode, doch gegen Ende des Jahrzehnts machte sich zunehmend der Verlust der frühen Vitalität bemerkbar. Hakuin unterrichte nunmehr eine geringere Schüleranzahl, auch bei seinen Vorträgen mussten zunehmend seine Schüler assistieren, einzig in seinem künstlerischen Ausdruck schien er bis zum Tod 1786 im Alter von 83 Jahren nicht nachzulassen (Hakuin/Waddell 2009:xxiii-xxiv).

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3. Wiederbelebung des Rinzai-Zen Nach der biografischen Darstellung von Hakuins Leben widmet sich das folgende Kapitel nun der Rolle Hakuin Ekakus bei der Reformierung des Rinzai-Zen. Dies bedarf jedoch zunächst einer Erläuterung des Zustandes der Rinzai-Schule vor bzw. auch noch zu Hakuins Lebzeiten. Hierbei sollen insbesondere diverse externe sowie interne Faktoren untersucht werden, die die Wiederbelebung des Rinzai durch Hakuin im 18. Jahrhundert beeinflusst haben könnten.

3.1. Das Rinzai-Zen im Verfall Die Hakuins Lebzeiten vorangehende Muromachi-Periode (1336-1573), die Herrschaftszeit der Ashikaga Shogune, war eine Blütezeit des Rinzai. Rinzai-Zen war zu jener Zeit geprägt durch das gozan-System, ein hierarchisches Tempelsystem mit engen Verbindungen zum Shōgunat (Borup 2008:15). In weiterer Folge entwickelte sich eine damit zusammenhängende literarische Bewegung, auch bekannt als gozan bungaku 五山文学 (Literatur der fünf Berge), die indessen chinesische Dichtung und Literatur betonte und nicht zen-buddhistischer Erläuterungen diente. Die Mönche in den Tempeln schufen chinesische Gedichte, aber auch generell lässt sich ein vermehrtes künstlerisches Interesse der Gesellschaft vernehmen: Zen- Gärten erfreuten sich zunehmender Beliebtheit, Kunstobjekte wurden importiert. Auch die Verwendung von kōan in den Zen-Tempeln nahm eine stärker literarisch-erzieherische Note an, kōan als Mittel der zen-buddhistischen Übung rückten dagegen eher in den Hintergrund (Yampolsky 1971:7-9). Diverse Machtkonflikte, die an dieser Stelle nicht näher erwähnt werden sollen, resultierten schließlich Ende des 16. Jh. im Niedergang des Ashikaga- Shōgunats. Mit dem Verfall der alten Herrschaftsordnung und der Verbreitung eines mit Elementen des örtlichen Volksglaubens vermengten Zen-Buddhismus unter dem einfachen Volk schwand allmählich auch der Einfluss des Rinzai-Zen, wodurch auch dieser in eine Periode des Niedergangs eintrat (Herschock 2015:94-95) Die nachfolgende Gründung des Tokugawa-Shōgunats (1600-1868) brachte weitere Veränderungen in der religiösen Landschaft Japans mit sich. Zunächst ging die Verlagerung der Hauptstadt von Kyōtō nach Edo ebenfalls mit einer religiösen Verlagerung einher. Rinzai- Zen, das sich zuvor überwiegend an die höheren Gesellschaftsschichten sowie an den Hof von Kyōtō wandte, begann nun auch in einer größeren Bevölkerungsgruppe und örtlich verstreuter nach Anhängern zu suchen. (Yampolsky 1971:10). Auch die neue religiöse Gesetzgebung des Tokugawa-Shōgunats, die unter anderem eine verpflichtende Registrierung aller Familien in einen buddhistischen Tempel vorsah, zog eine Reihe von Veränderungen für den japanischen Zen-Buddhismus nach sich. Für den Rinzai bedeuteten die staatlichen religiösen Maßnahmen 11

eine Zunahme an politischer sowie finanzieller Unterstützung, sie gingen jedoch auch mit einer Zunahme an Materialismus und einer Abnahme der Disziplin in den Rinzai-Tempeln einher. Die herbeigeführten Änderungen erreichten schließlich ein derartiges Ausmaß, dass ein Großteil der Rinzai-Gemeinschaft selbst eine Reformierung für notwendig erachtete (Hershock 2014:97-98). Neben der Verlagerung der Hauptstadt sowie der staatlichen Maßnahmen wirkte ein weiterer externer Faktor einen bedeutenden Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung des Rinzai-Zen (aber auch des Sōtō-Zen) aus: Der chinesische Mönch Yinyuan Longqi 隠元隆琦 ( Ryūki, 1592-1673), führt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts infolge seiner Reise nach Japan ein neuartiges, mit Elementen des Reine-Land-Buddhismus der Ming- Dynastie vermengtes Rinzai-Zen ein, das sich zur Ōbaku-Schule entwickelte. (Yampolsky 1971:10). Das Shōgunat gewährte dieser neuen Zen-Schule sogar Schutz sowie die Errichtung eines eigenen Tempels nahe der Stadt Kyōtō, vermutlich um ein Gegengewicht zu den dortigen, dem kaiserlichen Hofe nahe stehenden, Zen-Tempeln zu erzeugen (Mohr 1994:346,349). Für die damaligen einheimischen Zen-Schulen der Sōtō und Rinzai bedeutete dies, dass sie eine Position hinsichtlich des Ōbaku-Zen, das sich auf diese Weise in Japan zu verfestigen schien, einnehmen mussten. Das Ōbaku-Zen, das sich als wahres Rinzai-Zen präsentierte, schien insbesondere der japanischen Ausprägung, die Yamposlky (1971:10) als „beinahe schlafend“ bezeichnet, neues Leben einzuhauchen, da sich nun polarisierende Fraktionen innerhalb der Schule bildeten (Mohr 1994:343). Unter diesen Rahmenbedingungen traten bereits im 17. Jahrhundert Zen-Meister in Erscheinung, die eine Umgestaltung des Rinzai-Zen anstrebten. Darunter sind unter anderem Takuan Sōhō 沢庵宗彭 (1573-1645), Shidō Bunan/Munan 至道無難 (1603-1676) oder Bankei Yōtaku 盤珪永琢 (1622-1693) zu zählen. Takuan kritisierte das vorherrschende Verständnis, der Zweck des zazen sei es, den Geist zum Stillstand zu bringen, sowie die übermäßige Betonung strenger monastischer Disziplin (Herschock 2015:98). Bunan, Schüler von Gudō, wiederum lehnte die ausschließliche Bestrebung nur der eigenen Erleuchtung ab (Dumōlin 1959:231). Der Zen-Meister Bankei schließlich sticht durch seine Bestrebungen hervor, mit seiner Zen-Lehre des Ungeborenen das einfache Volk (darunter auch Frauen) anzusprechen. Ungeachtet der Erneuerungsbewegungen solcher Zen-Meister wird das Rinzai- Zen zu jener Zeit allerdings generell als im Niedergang befindlich bewertet (Herschock 2015:99). Erst Hakuin Ekaku soll es im folgenden Jahrhundert gelungen sein, eine nachhaltige und wirkhafte Umgestaltung vorzunehmen.

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3.2. Hakuins Rolle bei der Wiederbelebung

Laut Yoshizawa (2005b) galt Hakuin bereits etwa hundert Jahre nach seinem Tod (1868) als Wiederbeleber des Rinzai-Zen, doch seiner Ansicht nach wäre der Begriff Reformer eine akkuratere Bezeichnung. Sowohl Yoshizawa (ebd.) als auch Yampolsky (1971:11-12) führen an, dass sich Hakuins Wirken nicht auf das Wiederaufgreifen ursprünglicher Rinzai-Zen- Praktiken beschränkte, sondern er vielmehr eigene Elemente integrierte. Im Folgenden soll nun durch die nähere Betrachtung einzelner Bestandteile von Hakuins Zen-Philosophie versucht werden, seine tatsächliche Rolle innerhalb des Rinzai des 18. Jahrhunderts zu untersuchen. Hakuins Rückkehr zur Tradition des Rinzai äußert sich am augenscheinlichsten in der starken Betonung der kōan, so wie es auch in der Sung-Periode üblich war. Die Lösung der kōan und die damit bezweckte erste Erleuchtungserfahrung des kenshō 見性 (Erkennen der eigenen Natur) sollten mithilfe von zazen 坐禅 sowie der Unterstützung des Meisters in persönlichen Interviews (sanzen 参禅) erfolgen (Yampolsky 1971:11-15). Laut Hershock (2014:213-214) waren dies jedoch keine ungewöhnlichen, neuartigen Elemente innerhalb des damaligen Rinzai-Zen. Als eigenständige Leistung Hakuins hierzu könnte laut Collinson und Wilkinson (1994:178) wohl die Anordnung der kōan zu einer Art Lehrprogramm sowie die Entwicklung eigener kōan wie beispielsweise dasjenige vom Ton der einen Hand (sekishu no onjō 隻手の音声) bezeichnet werden. Zudem fanden bei ihm kōan als Mittel zur zen- buddhistischen Übung und nicht als eine literarisch-erzieherische Praktik Verwendung, was Mohr (2000:266) als einen möglichen Grund für den Erfolg von Hakuin und seinen Schülern sieht. Laut Hakuin ist der beschrittene Weg zur Erleuchtung kein leichter, er erfordert ein außergewöhnliches Durchhaltevermögen des Schülers. Sollte man nach langem Bemühen schließlich doch die Erleuchtung erreicht haben, so würde der Weg des Zen-Schülers dennoch nicht an dieser Stelle enden, denn für Hakuin stellt Erleuchtung nicht das eigentliche Ziel des Zen dar. Vielmehr betonte er die lebenslange Hingabe und die Unterstützung anderer auf ihrem Weg zur Erleuchtung: Dementsprechend störte er sich vor allem an Zeitgenossen, die von der Leichtigkeit, mit der Erleuchtung erlangt werden kann, überzeugt waren (Hershock 2014:213-219). Generell lehnte Hakuin mokushō-Zen 黙照禅 ab, das eine im Vergleich zu seiner Zen-Philosophie, die die aktive Verwendung von kōan betont (-Zen 看話禅),

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quietistischere Herangehensweise aufweist. 7 Laut Yampolsky (1971:26) verstand Hakuin unter mokushō-Zen wohl neben dem erwähnten Zen des Ungeborenen von Bankei auch eine Verbindung von Zen mit Elementen des Reine-Land-Buddhismus. Hakuins oft geäußerte, starke Ablehnung gegenüber dem damaligen Zustand der Rinzai- Schule und anderer buddhistischer Lehrmethoden bedeutete jedoch nicht, dass er sich grundsätzlich gegen individualisierte Praktiken, die sich von den seinerseits üblicherweise angepriesenen unterschieden, aussprach (Hershock 2014:215). Ganz im Gegenteil schöpfte er aus einer Vielfalt von Lehrmethoden, um seine religiösen Ansichten zu verbreiten. So befürwortete er sowohl für Samurai als auch für gewöhnliche Bürger das Rezitieren des Wunder versprechenden Sutras Emmei jikku kannon gyō 延命十句観音経 (Das Kannon- Sutra aus zehn Versen zur Verlängerung des Lebens), dem er sogar ein Kapitel eines seiner Werke widmete. Interessanterweise empfahl Hakuin seinen Schülern hierbei eine Art der buddhistischen Übung, die an die Anrufung Amida Buddhas aus der Reinen-Land-Schule erinnert. Anzumerken hierbei ist jedoch, dass der von Hakuin beschriebene Nutzen des Rezitierens in dieser Welt zu erwarten ist und keine Erlösung bzw. Erleuchtung damit erreicht werden soll (Yampolsky 1971:18-19). Als weitere bedeutende Elemente von Hakuins Zen bzw. auch seiner Lehrmethoden können sein überaus reichhaltiges Schrifttum sowie Kunstschaffen betrachtet werden, die laut Waddell (1999:vii) zumindest teilweise die Ursache für seine überragende Bedeutung innerhalb des Rinzai darstellen. Beiden gemein ist Hakuins Offenheit in Bezug auf die eigene Person, die sich schriftlich in der umfangreichen Ausführung persönlicher Erlebnisse und künstlerisch in Form von Selbstbildnissen äußerte. Das Kennzeichnende stellt jedoch die schriftliche Offenheit dar, denn eine derart detaillierte autobiographische Darlegung und Beschreibung des eigenen religiösen Erfahrens war innerhalb des japanischen Zen- Buddhismus überaus ungewöhnlich. Hakuins primär intendierter Zweck dabei war ein erzieherischer. So unterbricht er oftmalig die eigentliche Erzählung, um persönlich als bedeutend empfundene Hinweise und Ansichten für den lesenden Schüler zu äußern (Hakuin/Waddell 1999:vii-viii). Auch Hakuins künstlerisches Oeuvre kann in demselben Licht betrachtet werden. Konträr zur Zen-Kunst der vorangegangenen Muromachi-Periode, die laut Kawai (2004:11- 12) einen stärkeren literarischen, rein künstlerischen Charakter aufweist und somit nicht vorrangig religiöser Natur ist, gilt Hakuins Kunstschaffen generell als ein Ausdruck seines

7 Eine derartige Unterscheidung in mozhao-Chan (mokushō-Zen) bzw. kanhua-Chan (kanna-Zen) war bereits im chinesischen Chan-Buddhismus üblich. Später wurden diese Begriffe auch im japanischen Zen übernommen (Keown 2004# mo-chao Ch'an). 14

religiösen Erfahrens (e.g. Dumoulin 1988, Yoshizawa/Waddell 2009). Als solcher präsentierte er seine Werke auch während seiner Lehrvorträge, um der Zuhörerschaft ein leichteres Verständnis des Gesagten zu ermöglichen (Kawai 2004:11). Ein häufiges Motiv seiner Bilder stellt Daruma () dar, das zur Veranschaulichung von Hakuins Kunstschaffen beispielhaft angeführt werden soll. Deutlich erkennbar sind die für Hakuins Darstellungen des Zen-Patriarchen charakteristischen großen, etwas ungleichen, Augen sowie die große Nase. Die Aufschrift in Abbildung 1 lautet jikishi

ninshin kenshō jōbutsu 直 指 人 心 見 性 成 佛 (Direkt ins menschliche Herz zeigen, Erkennen des eigenen Ichs und Buddha werden) und ist ein bedeutender Ausdruck innerhalb des Zen, der die Bedeutung des direkten menschlichen Kontaktes für die Weitergabe der Erleuchtung und damit des Verständnisses der eigenen Buddha-Natur ausdrückt (Kawai 2004:10). Hakuin gelang es eine beachtliche Anzahl von Laienschülern um sich zu werben (Hershock 2014:101). Ebenso wie Bankei bemühte er sich also um eine Verbreitung seines Zen unter einer größeren Bevölkerungsgruppe. Als Mittel, mit dem er diesem Bestreben nachkommen wollte, wird oftmals Hakuins Schrifttum angeführt, das an die Populärkultur der damaligen Zeit angelehnt war (Yampolsky 1971:18, Hakuin/Waddell 1999:xxxiv-xxxv). Abbildung 1 Daruma Dumoulin (1959:245) merkt ferner die große Anzahl der „in einfachem japanischem Kana-Stil abgefaßen Schriften für das Volk“ und deren leichte Einprägsamkeit, die selbst Analphabeten seine Zen-Philosophie näherbringen könnte, an. Diese weit verbreitete Sichtweise innerhalb der Forschung zu Hakuin scheint laut Yoshizawa (2005c) indessen zu generalisiert zu sein: Zwar dürfte sie auf einen Teil von Hakuins Dharma-Schriften (kana hōgō 仮名法語) zutreffen, doch auch Werke, deren Titel und äußerliche sprachliche Form auf eine leichte Verständlichkeit hindeuten könnten, verbergen bisweilen einen komplexen, schwer verständlichen Inhalt. Hakuins Schrifttum alleine kann folglich nicht als einziges Mittel zur Verbreitung seiner religiösen Ansichten unter dem Volk gedient haben, vielmehr dürfte die bereits erwähnte generelle Vielfalt der Lehrmethoden, also auch seine Kunst und individualisierte Praktiken, von Bedeutung gewesen sein.

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4. Conclusio

Wie wohl im ersten Abschnitt der Arbeit ersichtlich wurde, existieren über Hakuins Leben, seine religiösen Erfahrungen und Lehrtätigkeiten, zahlreiche Details, doch stammen die jeweiligen Informationen beinahe ausschließlich von Hakuin selbst oder seinem wohl bedeutendsten Schüler Tōrei, der bei der Abfassung der Biografie seines Meisters ebenfalls unter dessen Einfluss stand. Ferner verfasste Hakuin seine zwei autobiografischen Werke in seinen letzten Lebensjahren, weshalb diese folglich einen Rückblick auf sein Leben aus der Sichtweise eines Zen-Meisters fortgeschrittenen Alters geben. Einzelne Episoden seines Lebens können daher durch das große Zeitintervall zwischen dem tatsächlichen Erleben und dessen Verschriftung oder auch durch das Bestreben, die eigene Biografie als Mittel zur Verbreitung der eigenen Zen-Philosophie zu nutzen, gefärbt sein. Hierin können wohl die Ursachen für gewisse Diskrepanzen bzw. Unstimmigkeiten in seinen Erzählungen gesehen werden. Ein Aspekt, der näherer Betrachtung bedarf, stellt laut Waddell (1999:xxiii-xxiv) etwa Hakuins Beziehung zu seinem Meister Shōju Rōjin dar. Denn obgleich Hakuin in seinen Schriften Shōjus Zen und Lehrfähigkeiten lobpreist, sucht er ihn, nachdem er ihn nach acht Monaten der Übung verlassen hat, kein weiteres Mal mehr auf. Laut Waddell rührt dies vermutlich daher, dass Hakuin erst Jahre später, als er im Alter von 40 Jahren eine vollkommene Erleuchtungserfahrung durchlebt, die religiöse Lehre seines alten Meisters in ihrer Gänze verstand. Neben Shōju soll auch der Eremit Hakuyū, der Hakuin mithilfe seines meditativen Heilverfahrens von seinem langjährigen Leiden befreite, eine bedeutende Rolle in seinem Leben eingenommen haben. Laut Yoshizawa (2009:13) herrscht jedoch generell ein Konsens darüber, dass Hakuin das Treffen mit Hakuyū erfunden hat. Dies wird einerseits dadurch abgeleitet, dass ein Mann namens Hakuyū ein Jahr bevor das Treffen stattgefunden haben soll, verstarb. Andererseits soll bereits der Titel des Werkes, das sich mit dieser Episode aus Hakuins Leben befasst, auf eine fiktive Geschichte hindeuten. Der Titel Yasenkanna entspringt laut Yoshizawa der Redewendung Shirakawa yasen (Nachtboot am Shirakawa- Fluss), die verwendet wird, wenn eine Person über etwas, wovon sie eigentlich keine Kenntnis hat, berichtet. Dass Hakuin aber an einer Krankheit litt und sich mithilfe der von ihm beschriebenen Techniken heilte, wird hingegen nicht bestritten. Ob er die meditativen Heiltechniken nun doch selbst entwickelte oder von einem anderen Priester erlernte, kann nicht bestimmt werden.

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Der letzte Abschnitt der Arbeit setzte sich mit der Wiederbelebung des Rinzai-Zen auseinander. Wie bereits dargelegt wurde, zeigten sich schon im 17. Jahrhundert in der frühen Tokugawa-Periode erste Reformierungsbewegungen, die unter anderem von der neuen religiösen Gesetzgebung des Tokugawa-bakufu und vor allem auch durch die Ankunft einer neuen Zen-Schule beeinflusst waren. Hakuins religiöses Schaffen im darauffolgenden Jahrhundert sollte vor diesem Hintergrund betrachtet werden, denn diese frühen Versuche der internen Umgestaltungen (vornehmlich Bankeis Zen-Lehre des Ungeborenen) wirkten sich ebenfalls auf seine eigenen zen-buddhistischen Ansichten aus. Die Hakuin zugeschriebene Wiederbelebung des Rinzai scheint wohl auf einer gekonnten Verbindung von traditionellen Lehren und Praktiken, unter anderem der Betonung von kōan (jedoch nicht als literarische Übung), und veränderten Elementen dieser zu basieren.

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Daruma 15 https://en.wikipedia.org/wiki/Hakuin_Ekaku#/media/File:Daruma,_Hakuin_Ekaku_- _Indianapolis_Museum_of_Art_-_DSC00771.JPG (19.02.2017)

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