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Edelgard Abenstein

Die noble Nomadin

Sybille Bedfords literarische Erinnerungen an ein vergangenes Europa

Musik

Sprecherin 1

„ ‚Wie war es, Ihr jüngeres Ich?‘ – ‚Jung‘. – ‚Das ist kein Verbrechen.‘ – ‚Ach, ich weiß nicht.‘ – Flavia nahm einen Briefbeschwerer, legte ihn hin, hob die Hand. – ‚Man macht komische Sachen. Wissen Sie, wenn man jung ist, fühlt man sich noch nicht zugehörig, als Teil der Menschheit; man tut Dinge, die noch nicht endgültig sind. Alles ist wie eine Probe, die man nach Belieben wiederholen kann. In der man etwas korrigieren kann, bis es ernst wird und der Vorhang aufgeht. Doch eines Tages merkt man, dass der Vorhang die ganze Zeit auf war. Dass es die Aufführung war.‘“

Sprecherin 2

„Ein trügerischer Sommer“ heißt der Roman, in dem eine 50-jährige Schriftstellerin auf ihr Leben als Siebzehnjährige zurückblickt. Als sie ihn 1968 veröffentlichte, war Sybille Bedford Ende 50. Sie, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts geboren wurde und zu Beginn des neuen Jahrhunderts, vor wenigen Monaten, gestorben ist, hat sich eine 2

»Davongekommene« genannt. Glaubt man diesem Buch von ihr und allen anderen, so hat sie, die wir für ihre Weltläufigkeit bewundern, denn sie ist weit herumgekommen, vielleicht am intensivsten in jenen Jahren gelebt, die sie „Entre-Les-Guerres“, „Zwischen den Kriegen“ nennt. Ein schmaler Grat zwischen zwei Welten, der, als er zerbrach, das Leben vieler in mehr als zwei Teile zerbrach. Um 1930. Im Süden Frankreichs. Da hatten sich Menschen versammelt, die mit neuen Lebensstilen experimentierten. Montparnasse, Bloomsbury, Schwabing und das Romanische Café an der Côte d’Azur. Zunächst suchten sie nur Ruhe und Sonne, wie die Aldous Huxleys, die Meier-Graefes und die Schönebecks.

Sprecherin 1

„ Dort verlebte ich das Ende meiner Kindheit, die Jahre der Adoleszenz, ein Jahrzehnt fast, eine Zeit, die in meinen Träumen nie vergehen sollte und nach der ich mich heute noch zurücksehne, meine glücklichsten Jahre... Das Glück an der Côte d‘ Azur hatte mit dem Ort zu tun, nicht mit Arbeit, nicht mit Ereignissen. Was dort geschah, war oft gut, zum Teil wunderbar, manches traumatisch. Mein Leben bestand aus Meer, Licht, Sonne, dem nächtlichen Konzert der Zikaden, ersten Liebesabenteuern, manche beglückend, manche hoffnungslos oder Irrtümer, einige Beziehungen überdauerten jede Veränderung.“

O-Ton 1 (Kreipe)

Den Anfang haben Maler gemacht, deutsche oder österreichische Maler, an deren Namen man sich nicht mehr erinnert, Rudolf Levy, der im Grunde Montparnasse erst zu dem gemacht hat, was es am Vorabend des I. Weltkrieges war, Erich Klossowski, der Vater des berühmten Malers Balthus..., oder der Kunsthistoriker und Schriftsteller Meier- Graefe. Der war sozusagen der Quartiermacher.

Sprecherin 2

Walter Kreipe kennt die Côte d’Azur genau. Als ehemaliger Französischlehrer organisiert er derzeit Stadtführungen in Berlin auf den Spuren von Künstlern, die 1933 ausgebürgert wurden, und er geht deren nach Frankreich führenden Wegen nach.

O-Ton 1a (Kreipe) 3

Und die Türen wurden auch geöffnet von René Schickele, der zwischen dem Elsass und Baden hin- und herpendelte und auch schon vor 1933 in Sanary war.

Sprecherin 2

Zuerst trafen diejenigen ein, die sich vor Mussolinis Schwarzhemden retten wollten, dann, als der Reichstag in Berlin brannte, kamen die Thomas Manns oder Feuchtwangers. Geflohen bis dorthin, wo Europa zuende war. Vor sich nur Meer und ein ungewisser Horizont. Sommergäste mit vorläufig unbegrenzter Aufenthaltszeit. Sie führten improvisierte Leben, in improvisierten Unterkünften, unter zeitweiligen Freunden. Hinter sich und als Aussicht viel Dunkles, aber hier doch vor allem ein hellschimmerndes Blau, es konnte vielleicht nur an dieser besonnten Küste passieren, dass sich für eine kleine Weile ein Gefühl von Sicherheit ergab, eine Atempause.

Musik (kurz)

Sprecherin 1

„Damals regnete es im Sommer nicht. Zwischen April und Oktober erwartete man keinen Regen, und es kam auch keiner. Kein frisches Grün spross, und nichts veränderte sich.... Trockenheit und Hitze; eine andere Zeit war nicht in Sicht, das Leben war jetzt, und jetzt war lang.“

Musik (kurz)

O-Ton 2 (Kreipe)

Sanary ist ein verträumter, ruhiger Ort, im Schatten der Glitzerstädte, des schicken Bandol, man hat dort seine Ruhe, es ist auch ein Ort, durch den nicht die Eisenbahn fährt, man wird nicht durch Autos oder Züge getrennt vom Meer. Man sitzt auch heute noch im Cafe de la Marine, die meisten heißen noch so wie früher.... man kann dort schreiben, spazierengehen, und Besuch kann ja jederzeit kommen.

Sprecherin 1

„Die Landschaft da unten war ausnehmend schön – karg und weit. Olivenbäume und Fels. Und das Licht. Dieses beständige Licht. Und natürlich das Meer. Es packte einen mit Macht, man wurde Teil davon und hatte zum Schluss das Gefühl, man könne nirgendwo anders mehr leben. Es war wie Liebe.“ 4

Musik

Sprecherin 2

Was für ein Leben hat diese Frau geführt: Halb Preußin, halb Britin wächst sie als deutsche Baroness in einem badischen Schloss auf. Ihr Vater, Maximilian von Schönebeck, ein verarmter Adliger, war ein Mann des 19. Jahrhunderts, Ästhet, Sammler von Antiquitäten und „Internationalist“. Frisch verwitwet, verlobte er sich mit der jungen Elizabeth Bernard, einer kapriziösen Engländerin aus einer vermögenden jüdischen Familie. Der Altersunterschied war groß, ihr Bräutigam exzentrisch und sie von flatterhaftem Wesen, kurzum: Sie hatte sich gerade entschlossen, die Verbindung zu lösen, da erschütterte die sogenannte Allenstein-Affäre, ein ausgemachter Sexskandal, die Familie Schönebeck, die Hocharistokratie in Berlin und das preußische Militär. Vom Tischende aus, der bestimmenden Perspektive ihrer Kindheit, so Sybille Bedford, habe sie die Erwachsenen davon sprechen hören. Aus diesem Stoff wurde ihr erster Roman, „A Legacy“, der nach seinem Erscheinen 1956 in für Aufsehen sorgte, während er knapp 50 Jahre auf seine deutsche Übersetzung unter dem Titel „Das Vermächtnis“ warten musste. In ihren Erinnerungen fasst sie das Geschehen, dem sie schließlich ihr Leben verdankt, noch einmal zusammen:

Sprecherin 1

„ Der ältere Bruder meines Vaters, Regimentskommandeur, war vom Liebhaber seiner Frau, einem Hauptmann seines Regiments, und mit ihrer Zustimmung erschossen worden. Sie selbst wurde alsbald zum Tode verurteilt, der Liebhaber erhängte sich in der Gefängniszelle. Diese Ereignisse (in der Elite des Militärs) lösten heftige Reaktionen der Öffentlichkeit aus, waren Wasser auf die Mühlen militärfeindlicher Gruppierungen und einer antisemitischen Bevölkerung – die Presse fiel über die Verbindungen meines Vaters her: steinreiche jüdische Schwiegereltern. Das wilhelminische Establishment wusste nicht, wie man die Sache vertuschen sollte, es gab einen politischen Skandal... Mein Vater reagierte distanziert und erschüttert... Meine Mutter fand, dass sie zu ihm halten müsse.“

Sprecherin 2

Und sie heiratete ihn. Vier Jahre später wird Sybille von Schönebeck geboren. 5

Musik (kurz)

Der Erinnerungsband „Quicksands“- „Treibsand“, den die Vierundneunzigjährige wenige Monate vor ihrem Tod abschloss, bündelt ein ganzes Leben. Was Stoff für vier Romane bot, kann nicht langweilig gewesen sein. Ein Erinnerungsstrom voll kurioser Ereignisse und Begegnungen tut sich auf, aber auch ein Stück europäischer Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Noch einmal taucht jene Welt auf, die die Autorin geprägt hat und die in den Umwälzungen des 20. Jahrhunderts unterging.

Sprecherin 1

„Wir unternahmen diese langen, langsamen Zugfahrten durch ganz Deutschland, von Süd nach Nord, mit stundenlangen Aufenthalten in grauen, verdunkelten Bahnhöfen, weil wir uns 1915 aus unserem Schloss, nur wenige Minuten von der französischen Grenze entfernt, in das sichere Berlin flüchteten. Und dann wieder zurück, November 1918, mitten während der Matrosenaufstände. Schüsse fielen, ... unsere Mitreisenden riefen, dass man uns ....erschießen werde. Die meisten von uns kauerten auf dem Fußboden. Nicht so meine Mutter – sie stand auf, um einen Blick hinauszuwerfen. Die Soldaten, sagte sie entschlossen, hätten recht – es sei Zeit, das Kaiserreich sei am Ende. Meine Mutter besaß Mut (den ich nicht geerbt habe). Ich kroch hinter ihr her.“

Sprecherin 2

Die Ehe der Eltern war kein Erfolg. Nach dem Ende des Krieges trennten sie sich. Während Sybille beim Vater blieb, zog die Mutter nach Italien. Das Schloss, das sie für ihn gekauft hatte, überließ sie ihm am Ende. Aber Maximilian von Schönebeck, der eine Sammlung von kostbaren Antiquitäten besaß, verfügte über keine finanziellen Mittel, um das Anwesen zu unterhalten.

Sprecherin 1

„Wir waren die Armen mit Besitz. Wir praktizierten Tauschhandel... ließen einen Teil des Rasens umpflügen und pflanzten Kartoffeln an...Es gab jede Menge Geflügel und einen übellaunigen Truthahn. Die Tiere hatten eine solche Hochachtung vor meinem Vater, dass sie uns andere, Lina und mich und den Briefträger, als Vertreter einer Untergattung ansahen, die sie nach Lust und Laune zwicken oder treten oder beißen konnten. Wir 6 hielten Schweine und zwei Schafe pro Jahr. Als die Schafe noch Lämmer waren, gab mein Vater ihnen Namen: Jacko und Billi.“

Sprecherin 2

...benannt nach Sybille und ihrer Schwester.

Musik

O-Ton 3 (Bedford)

(...) Mein Vater hatte im Schloss ein echtes Roulette und wir spielten um echtes Geld, obwohl wir keins hatten. Wir setzten mein Taschengeld und das einzige noch verbliebene Dienstmädchen seinen Wochenlohn. Am nächsten Tag bekamen wir alles zurück. (faites vos jeux, rien ne va plus)

Sprecherin 5

Diese skurrile Kindheit hat sie geprägt, Bücher spielen darin eine große Rolle, Sybille Bedford kann aus einem Fundus schöpfen, wie man ihn kaum noch findet. Der Vater lehrt sie am Herd die Haute Cuisine und die Facetten des guten Geschmacks. Nicht zufällig wird sie später eine der großen Weinkennerinnen Englands. Aber eine richtige Schule besucht sie niemals.

O-Ton 4 (Bedford)

(...)Ich war immer sehr an guter Küche interessiert, genau wie meine Eltern. Und als es uns dann finanziell immer schlechter ging, habe ich am Hundefutter experimentiert. Ich fand es geschmacklich zu eintönig. Da habe ich eben Risotto aus Resten gemacht. Und sie mochten es. (...)

Sprecherin 2

Ursula Bushnell, die Sybille Bedford noch kurz vor ihrem Tod befragen konnte, um sie für 3sat zu porträtieren, entdeckt nichts anderes als „Alice in Wonderland“ in dieser „surrealen“ Kindheit. 7

O-Ton 3 (Bedford)

(...)Ich spielte viel, mit meinem Schaukelpferd, stellen Sie sich vor, da war ich 16. Aber dann ging ich wieder zu meinen Büchern und las Proust. Das hat manche Leute etwas verwirrt. (...)

Sprecherin 2

Zuschauen, hinhören, ausprobieren – das war Sybille Bedfords Unterricht, sowohl im badischen Schlösschen als auch später in Italien, als die Mutter die Zwölfjährige zu sich nimmt. Sie reisen von Verona über viele Stationen nach Florenz, Rom, Neapel, gelegentlich begleitet vom jeweils aktuellen Liebhaber Elizabeth von Schönebecks. Nicht zufällig finden sich in allen Romanen Bedfords junge Mädchen, die ohne Aufsicht aufwachsen und sich unbedingt eine normale Ausbildung wünschen, ebenso wie solche, die, stets auf Reisen, ihre Ungebundenheit schätzen. Ein nur scheinbarer Widerspruch.

Sprecherin 1

„Sie war fasziniert, einen echten Römer kennen zu lernen, der in der Stadt geboren war, die sie gern die Ewige nannte und in der sie noch nie gewesen war. Der Fürst, damals ein sehr junger Fürst, war ein durchaus hübscher, wenn auch nicht sehr großer Bursche, mit einem Kopf, der an die Renaissance-Büste eines Jünglings erinnerte; er erwies sich schnell als unwiderstehlich. ... und obwohl Anna noch nicht volljährig war, gab es niemanden, der ihr die Zustimmung zur Heirat verweigert hätte. Von ihrer Seite wurde nur erwartet, dass sie aus Liebe heiratete... Rom erlag sie auf den ersten Blick. Die Stadt schlug sie in ihren Bann...ihre neuen Verwandten, die Mutter ihres Mannes... und ihr Kreis verfielen wiederum ihr. ...Annas Leben war vollkommen anders als alles, was man sonst über das Dasein ausländischer junger Ehefrauen hört und liest (und was ja auch sicher der Wahrheit entspricht), die in den ungeheizten Häusern der katholischen Aristokratie Europas unterdrückt werden....Rico, ihr Gatte, spielte bei alledem natürlich 8 auch eine Rolle. Er war zwar häufig abwesend, in seinem Club, beim Reiten, auf der Jagd, unternahm etwas mit Männern oder kümmerte sich in Umbrien um seinen Besitz, aber da Anna es von Kindheit an gewohnt war, dass ihr die Männer nicht den ganzen Tag im Weg waren, passte ihr das gut.“

Musik (unterlegen)

Sprecherin 2

In „Liebling der Götter“, unlängst neu ins Deutsche übertragen, setzt sie der wenig fürsorglichen, gleichwohl heftig bewunderten Mutter ein Denkmal: eine Kosmopolitin, geistreich, belesen, klug, temperamentvoll und sehr schön. Sie stellt einen neuen Zeittypus dar und eignet sich bestens als Modell für die schillernd selbstbestimmten Romanfiguren. Oder war es so, wie Bedford es in „Zeitschatten“ beschreibt, ihrem letzten „biographischen“ Roman von 1989, dass die Mutter das Kind tagelang allein im Hotel zurückließ, um mit ihrem neuen Geliebten nach Venedig zu fahren? Über den tatsächlichen Anteil an Wahrheit mochte die Autorin nie richtig Auskunft geben. Manfred Flügge, Schriftsteller und Autor des Standardwerkes „Wider Willen im Paradies. Deutsche Schriftsteller im Exil in Sanary-sur-Mer“ arbeitet an einer Neuauflage dieses Buches und widmet einen Schwerpunkt dem Aufenthalt von Sybille von Schönebeck. Bedford heißt sie erst seit 1936, als ein Freund der Huxleys, Walter Bedford, sie dank einer Gefälligkeitsheirat in den Besitz eines lebensrettenden britischen Passes brachte.

O-Ton 5( Flügge)

Die Liebschaften, die eine große Rolle spielen in ihren Büchern, sind Versuche, irgendwo eine Bindung, eine Anbindung zu finden, die natürlich nur zur Probe ist, es ist ein ganzes Leben zur Probe. Und solch ein Leben kann nur gelingen, und ich glaube, ihr Leben ist gelungen, wenn man schreibt oder eine ähnlich kreative Tätigkeit findet. Nur im Schreiben, in diesem Halbdunkel der Erinnerung, kann es eine Stabilität geben.

Sprecherin 1

„Constanza war überrascht, wie leicht und klar sie zu einer Entscheidung wegen Lewis gekommen war. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, ihn zu heiraten. ..In Genua hatte sie ein paar Tage lang gedacht, es sei der ‚coup de foudre‘. War es aber nicht; es war 9 ein Fehler, den sie begangen hatte, und damit basta.... Flavia, die wirklich sehr enttäuscht war, aber Gleichmut bewahrte, fragte: ‚Wie bricht man mit einem Mann?‘ – ‚Ich fand es nie schwer‘, sagte Constanza. ‚Wenn man sich wirklich trennen will und es auch tut. Es gibt stets einen natürlichen Brennpunkt, und einer der beiden Beteiligten erkennt ihn zuerst. Wenn man zulässt, dass sich die Dinge wieder einrenken – was natürlich möglich ist -, dann wird etwas anderes daraus, so etwas wie ein Kunstfasergewebe, und dann, ja, dann beginnt das Elend. Ich finde es überhaupt nicht leicht, es dir zu erklären, mein Liebes.‘ – Mit Lewis war es schwer... Lewis ließ sich nicht abspeisen.“

Musik (kurz)

Sprecherin 2 Fluchtbewegungen ziehen sich als Muster durch Bedfords Leben. Es fiel ihr darum immer leicht, sich später nur an Orten ihrer tiefen Sehnsüchte niederzulassen, in Italien, ganz besonders aber in Südfrankreich. Selten ist die Cote d’Azur als Zufluchtsort so lebendig beschrieben worden. Mit ihrer Mutter, die unterdessen einen 10 Jahre jüngeren Geliebten geheiratet hat, flieht sie vor dem Faschismus aus Italien.

Sprecherin 1

„Ihr gesellschaftliches Leben spielte sich hauptsächlich im Café de la Marine ab. Dort gingen sie nach dem Abendessen hin, um ‚belote‘ oder Domino zu spielen. Die Franzosen verziehen Constanza ihr stümperhaftes Spiel, weil sie so schön und lebhaft war und gern zuhörte, wenn sie erzählten. Es gab immer Geschichten ... vom Essen, von der Liebe, aus der Politik, von Beerdigungen und vom Geld. Was geredet wurde, entzückte Constanza am meisten. In Italien, sagte sie zu Flavia, habe man sie gelehrt, sich durch Ausrufe auszudrücken, in mittels eines Systems von fünf Begriffen. ‚Aber diese Leute benutzen Wörter!‘ Flavia wahrte mit der konservativen Haltung der Jugend Distanz, lernte aber fleißig richtiges Französisch.“ – ‚Sans accent‘, wurde ihr gesagt. Dann sprach sie sofort mit dem italienischen Akzent ihrer Mutter und danach englisches Französisch.

‚Sie ist ein Papagei‘, sagte Constanza. Aber wenn sie allein waren, bat sie Flavia, ihr die Geschichten noch einmal ganz genau in Südfranzösisch oder wohlartikuliertem Hochfranzösisch zu erzählen.“ 10

Musik

Sprecherin 1 „Welche Laune des Schicksals mochte diese Heerscharen der ‚haute culture‘, (wie wir sie gern nannten...) dazu gebracht haben, ausgerechnet in diesem verschlafenen Nest Zuflucht zu suchen? ...Es war ein Schritt, der weder in die Ferien noch in eine Zukunft führte. Zuviel und zuwenig Gepäck, um gleich in eine große Stadt einzutauchen? Ostern stand vor der Tür... der Sommer. Man brauchte einen stillen, nicht allzu teuren Ort, wo man seine Arbeit fortsetzen, sich die nächsten Schritte überlegen konnte...

Sprecherin 2

Thomas Mann und Lion Feuchtwanger unternahmen Vortragsreisen im Ausland, von denen sie im Frühjahr 1933 nicht mehr nach Deutschland zurückkehrten. Erika und lebten schon seit einigen Jahren im Exil, Erika in Zürich, Klaus pendelte zwischen Paris und der Côte d’Azur, schrieb seine Romane in Hotelzimmern, rauchte in Toulon Opium mit Jean Cocteau. Sie kannten die Riviera und suchten nun nach einem passenden Refugium für ihre Eltern und die jüngeren Geschwister.

Sprecherin 1

„Die Manns, ob jung oder alt, waren es gewohnt, Menschen zu begegnen, die sie kannten oder denen sie bekannt waren. Die beiden klingelten zufällig an der Toreinfahrt eines Hauses an der Hauptstraße, in dem ich vorübergehend wohnte. Es war gegen Ende der Siesta. Ich sah zwei junge Menschen in einem Cabriolet, gutaussehend, von der Reise ein wenig zerzaust. Ich hatte keine Vorstellung, wer sie waren. Sie sagten es mir. – ‚ Sie haben es also geschafft‘, sagte ich. – ‚Wir sind schon lange fort‘, sagte Erika nachdrücklich. – ‚Für immer‘, sagte ihr Bruder. – ‚Wir werden nie mehr zurückkehren.‘ – ‚Nie.‘- ‚Nie‘, sagte ich. Ich stand da, wie der junge Soldat, der die Stellung hält und antwortet: ‚Anwesend!‘“ 11

Musik

Sprecherin 2

Es war Sybille Bedford, die das Haus vermittelte, in dem er mit seiner Familie den ersten Sommer im Exil verbringen sollte: die Villa Tranquille. Besitzerin war die Schwiegermutter des deutschen Botschafters in Kairo, die eng mit Sybilles Mutter befreundet war.

O-Ton 6 (Flügge)

Was mir seltsam vorkommt, ist die zweite Ehe ihrer Mutter mit einem Italiener, dessen Namen sie in „Quicksands“ nicht nennt, er hieß Norberto Marchesani, war Innenarchitekt und hat den Emigranten geholfen, ihre Häuser einzurichten. Er war in stetem Kontakt mit den Emigranten, er kannte sie sehr genau. ..Ich werd‘ den Verdacht nicht los, dass diese Gruppe um Familie Marchesani, zu der auch eine Ilse von Günter gehörte, Besitzerin von La Tranquille, mit dem Auftrag kam, den naheliegenden Hafen von Toulon auszuspionieren.

Sprecherin 2

Sybille Bedford nimmt er von diesem Verdacht, für die Nazis spioniert zu haben, aus, da sie anfangs zu jung gewesen sei, aber Manfred Flügge bedauert ihre literarische Diskretion, auch in politischer Hinsicht. Auf die Neuauflage seines Buches darf man gespannt sein. Ob es ihm gelingt, seinen Verdacht zu erhärten?

O-Ton 7 (Flügge)

Sanary war ein Klatschnest, in Sanary gab es lauter Affären - lag es an der Exilsituation, an der Spannung, die in der Luft lag in diesen Vorkriegsjahren, an der Atmosphäre von Sanary und der Küste, ein Mini-St.-Tropez, wenn man will. Die Geschichten übereinander, das sieht man aus allen Tagebüchern, spielen eine große Rolle. Und Sybille von Schönebeck ist mittendrin. Huxley., ein Zwei-Meter-großer Mensch mit Augenproblemen war auch ein homme à femmes, der mehrere Affären hatte, u.a. mit Eva Herrmann, zu der Zeit, als sie die Geliebte von Lion Feuchtwanger war. Man kann eine ganze chronique scandaleuse von Sanary schreiben, und was ich bedaure ist, dass 12

Sybille Bedford das nicht ausführlicher getan hat, aber sie ist eine Liebhaberin des Halbschattens oder der Halbwahrheiten. Sie sagt die Namen nur dann, wenn es ihr passt.

Musik

Sprecherin 2

Nach den sieben Jahren Sanary gehörte Sybille 1933 sozusagen schon zu den Einheimischen, zumindest fühlte sie sich so. Außerdem hat sie sich dem britischen Clan angeschlossen, allen voran , der seit 1930 mit seiner Familie ein eigenes Haus bewohnte. Huxley war ihr Idol. Schreiben wollte sie wie er. Denn sie hatte längst beschlossen, Schriftstellerin zu werden. Ihre Haltung den deutschen Emigranten gegenüber war ambivalent.

Sprecherin 1

„Frau Manns immer wieder beiläufig geäußerte Feststellung: ‚Das sind wir unserem Weltruhm schuldig‘, war unwiderstehlich. Gloria mundi. Der verlangte, unter anderem ein angemessen eingerichtetes Haus. Als sie mich eines Sonntags am Hafen erwischte, machte sie mir mit deutlichen Worten klar, dass die Villa Tranquille nicht ihren Ansprüchen genüge. Wie kämen meine Freunde denn ohne Kartoffelstampfer klar? In einem normalen deutschen Haushalt stand am Sonntagmittag ein anständiger Braten auf dem Tisch. Wie sollte man ohne besagtes Gerät Kartoffelbrei machen?“

Sprecherin 2

In ihrer Huxley Biographie beschreibt sie aus der Warte der englischen Bewohner - sie selbst lebte damals gerade bei Aldous und Maria Huxley -eine Party, die im Haus des amerikanischen Schriftstellers William Seabrook stattfand, einem wilden, geselligen Trinker, der gern das Gerücht verbreitete, er habe in Afrika Menschenfleisch gegessen. 13

Sprecherin 1

„ Es war ein glühend heißer Nachmittag; Tee und Drinks flossen in Strömen. Petit fours schmolzen in der Sonne. Willie Seabrook, einem Nervenzusammenbruch nahe, hatte sich das Hemd vom Leib gerissen und empfing seine Gäste in Khakishorts und mit nacktem Oberkörper: Heinrich Mann, eher noch steifer und formeller als sein Bruder, erschien mit Stehkragen und schwarzem Gehrock und streckte jedem, wie Monsieur de Charlus, zwei Finger zur Begrüßung entgegen. ... jeder hielt Hof, umringt von seiner Entourage. Nur Feuchtwanger bewegte sich in der Runde der jüngeren und attraktiveren Frauen und erzählte ihnen seine neuesten Verkaufserfolge. Was... verblüffte, war die Bedeutung, die manche von ihnen sich selbst zumaßen... Sie waren pompös. Ihre weibliche Gefolgschaft sprach von ihnen als ‚Dichterfürsten‘. Und obwohl sie sich im Abscheu vor den Nazis einig waren, waren sie doch weit davon entfernt, eine große, fröhliche Familie zu sein.“

Sprecherin 2

Sybille Bedford mokiert sich über das Gebaren der deutschen Literaturstars nicht allein. Die Engländer kichern gemeinsam. Und sie wird zur boshaften Chronistin. Die Gesellschaft bei Thomas Mann an einem Juli-Abend in seinem Garten hörte der Passage vom Segensbetrug zu, die, so der Gastgeber selber, „tiefe Wirkung hervorrief“. Sybille Bedford schilderte die Choreographie der Darbietung.

Sprecherin 1

„In der Mitte der Terrasse saß an einem erhöhten Tisch Thomas Mann, seine drei Kollegen (Feuchtwanger, Schickele, Zweig) neben ihm. Hinter ihnen waren Stühle für ihre Frauen und Erika Mann. Auf dem Boden unterhalb, auf Stufen, Kissen, Gartenbänken breitete sich das Fußvolk aus – die jüngeren Mann-Kinder, Schickeles kleiner Sohn, ein bekannter englischer Kritiker, Aldous und Maria Huxlex, meine Mutter, Eddy Sackville-West, Heinrich Manns junoeske Gefährtin und ich. Erika brachte das Pult mit dem Manuskript ihres Vaters. Etwa 50 Minuten lang las er mit sehr verhaltener 14

Stimme ein Kapitel aus „Joseph und seine Brüder“. Danach wurde der hohen Gesellschaft Riesling und Hühnersalat serviert. Die da unten bekamen Obst und Biskuits. Lediglich Meier-Graefe griff sich frech einen Stuhl und fütterte seine junge Frau mit Stückchen vom Huhn.“

Musik

O-Ton 8 ( Bedford) (....) Er verachtete mich, weil ich meine Sachen nicht auf Deutsch schrieb . Die Manns waren erfüllt von ihrer Bedeutung und ihrem Kulturauftrag. Man muss sich das vorstellen. Er setzte den Fuß auf amerikanischen Boden und sagte zu den Zollbeamten mit dieser großen Geste: ich bringe die deutsche Kultur nach Amerika, sagte er zu den Zollbeamten.(...)

Sprecherin 2

Später, im amerikanischen Exil, muss Sybille Bedford seinen Pudel Nico nach Kalifornien transportieren. Während Thomas und Katja den vollklimatisierten Zug nehmen, durchquert ein Konvoi im heißen Juli 1940 den ganzen Kontinent. Vorne Sybille mit dem arroganten Nico. In einer zweiten Limousine der schwarze Chauffeur von Thomas Mann.

O-Ton 9 ( Bedford )

(...) Wir wurden aus den Hotels rausgeworfen. Es war doch die Zeit, als draußen dranstand: Keine Hunde, keine Nigger.(...)