Wiederentdeckung eines Meisters : Ausstellung über Jean Tschumi an der EPF und ETH Zürich

Autor(en): Meier, Philippe

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Werk, Bauen + Wohnen

Band (Jahr): 95 (2008)

Heft 12: Gut und günstig = Bon et bon marché = Good and cheap

PDF erstellt am: 02.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-130940

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lassen zu können. Die Räumlichkeiten von Sandoz hat erste Aufträge für die gleichnamigen Archizoom bieten einen schönen Rahmen für die Laboratorien in Frankreich zur Folge. Erst im Jahr prägnante Schau und schnörkellose Ausstellungsarchitektur. 1944 lässt er sich definitiv mit seinem Büro in Diese vermag einen der Akteure der Lausanne nieder, einJahr, nachdem er dieLeitung architektonischen Bühne wieder ins Rampenlicht der neu gegründeten Ecole d’architecture et zu rücken, der sie vor bald einem halben Jahrhundert d’urbanisme de l’Université de Lausanne, der späteren zu früh, zu jung – im Alter von 57 Jahren – Ecole polytechnique de l’Université de Lausanne verlassen hat. EPUL), übernommen hatte. Im Laufe von Gilles de Bure erinnert in seiner kürzlich weniger als 20 Jahren wird Jean Tschumi einige der erschienenen Monografie zu Jean Tschumis Sohn bemerkenswertesten Bauten planen und umsetzen, Bernard daran, dass «JeanTschumi eine Reihe die im 20. Jahrhundert in der Genferseeregion architektonischer Wunder schuf, die, obschon allzu erstellt wurden. sehr verkannt, eigentliche Chefs d’oeuvre der Als 1997 einen Grossteil des 1950er Jahre darstellen»1. Den jungen Architektinnen Fundus seines Vaters3 den Archives de la construction undArchitekten ist JeanTschumi nur moderne überlässt, ist ihm bewusst, dass den aufgrund seiner bekanntesten Werke ein Begriff: dem künftigen Archivar eine schwierige Aufgabe

Izard Nestlé-Verwaltungsgebäude in , dem Sitz erwartet: 4400 eigenhändig erstellte Zeichnungen Pierre der Versicherung Mutuelle Vaudoise und der Aula undTausende von Zeichnungen aus den Ateliers, Bild: der EPFL sowie dem Sitz der Weltgesundheitsorganisation die häufig punkto Qualität denen des «Patrons» Jean Tschumi 1960,im Vordergrund das Modell des Nestlé- aus Hauptsitzes in Vevey WHO) in Genf. Doch die ebenbürtig sind. Hinzu kommen Dokumente Persönlichkeit dieses Architekten selbst wie auch sein dem administrativen und finanziellen Bereich, die Werdegang und sein Beitrag zum architektonischen die meisterhafte und kurze Karriere dieses Architekten Schaffen beinhalten zu viele Erfahrungen, von einer anderen Seite beleuchten. Für die Wiederentdeckung eines als dass diese hinter dem sichtbaren Teil seines Katalogisierung benötigten Jacques Gubler und Meisters Werkes verborgen bleiben und stillschweigend Guy Nicollierzwei Jahre, zwischen 1998 und 1999. übergangen werden dürften. Erklärtes Ziel dieser Lediglich ein Jahrzehnt später ist diese Ausstellung Ausstellung über Jean Tschumi an der Ausstellung ist es, genau darauf aufmerksam zu mitsamt Katalog nun zustande gekommen.4 EPF Lausanne und ETH Zürich machen. Klassisches Ausstellungskonzept Nachdem die Ausstellung « Jean Tschumi – Herkunft und Werdegang Die öffentlichePräsentation bietet auch Gelegenheit, architecture échelle grandeur» in den Räumen Archizoom Der 1904 in Genf geborene künftige Architekt nach deren museografischer Form zu fragen. der ETH Lausanne erstmals gezeigt wurde, wächst in einem Vorort westlich von Lausanne Die Räumlichkeiten von Archizoom genügen von ist sie nun bis am 22. Januar 2009 im Hauptgebäude auf. In dieser Stadt beginnt er eine Bauzeichnerlehre der Fläche her nicht, um die Fülle von der ETH Zürich zu sehen. Die folgende und schliesst dann am Technikum Biel sein Originaldokumenten zu zeigen, über welche die Archives Ausstellungskritik bezieht sich auf die Präsentation in Studium ab. Zu Begin der 1920er Jahre fährt er de la construction moderne verfügen. Dass sich Lausanne. nach und wird an der Ecole Nationale die Initianten der Ausstellung einschränken mussten, Supérieure des Beaux-Arts im Atelier von Emmanuel ist der einzige Anflug von Bedauern, der ei- DieDauer einer Ausstellung ist zeitlich beschränkt, Pontremoli aufgenommen. Nach Abschluss seines 1 Gilles de Bure, Bernard Tschumi, Paris: Edition Norma 2008, S. 79. wie Kurator Jacques Gubler anlässlich seiner akademischen Studiengangs setzt er seine Ausbildung 2 Bernard Tschumi, Eröffnungsrede zur Ausstellung «Jean Tschumi Eröffnungsrede an der ETH Lausanne EPFL) zu in verschiedenen Dekorationsateliers und – architecture échelle grandeur» EPFL, Lausanne, 18. September Recht bemerkte. Diejenigen, die die Ausstellung Innenarchitekturbüros fort, wo er denn auch das 2008. 3 Die Schwester von Bernard Tschumi hinterlegt den Rest im besuchen, sind für eine Weile Teilhabende aneiner konkrete Fachwissen erwirbt, die «Unmittelbarkeit Herbst 2007. 4 bestimmten Kultur und dürfen hoffen, sichdabei der Konstruktion»2 und die Wichtigkeit 1996 veröffentlichte die Zeitschrift Faces über das Werk von Jean Tschumi eine monografische Nummer von bemerkenswerter auf ein fragiles und unverzichtbares des architektonischen Details zu verstehen. Seine continuum Dichte – die bis zu diesem Zeitpunkt einzige vollständige mit einem berühmten Vorläuferdieser Kultur ein- Begegnung mit dem Bildhauer Edmond-Marcel Darstellung. Vgl. Faces, Nr. 39, Herbst 1996.

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EPFL EPFL

ACM, ACM,

Bild: Bild:

Perspektive eines Geschäftshauses in Paris, Projekt 1928 Projektperspektive der Nestlé in Vevey, 1956

Vulliemin Vulliemin

M. M.

Bild: Bild:

Hauptsitz der Versicherung Mutuelle Vaudoise in Lausanne, 1956 Getreidesilo in Renens, 1959

nen überkommen könnte. Die Ausstellung – Jacques Gubler hat sich dafür entschieden, nur die ses auf einem Pariser Boulevard ins Auge. Sieweist konzipiert nach dem klassischen Modell, bei dem originalen und beglaubigten Elemente auszustellen, darauf hin, dass Tschumi künftig ebenfalls und jedes Thema in logischer Abfolge, jedoch ohne einschliesslich Fotografien und Filme. Die gerne «die Betonungder Horizontalen, wie dies in vorgegebene Wegleitung dargestellt wird – Dokumente werden ohne Emphase im Originalformat den 1950er Jahren beliebt war»7 aufgreifen wird. versucht einen Inhalt darzustellen, indem sie ihn gezeigt, entweder an einer Wand oder auf Briefmarken und grosser Massstab: Dieses schlicht und einfach zeigt. Deshalb muss jedes speziell für den Anlass entworfenen Tischen5. Die Kapitel über den Werdegang von Jean Tschumi ausgewählte Element Zeichnung, Foto, Möbel) Ausstellung ist in mehrere Hauptteile gegliedert, enthüllt den Besucherinnen und Besuchern seine dazu geeignet sein, auf das Gesamte das Werk) zu die im äusserst elegant aufgemachten Katalog Fähigkeit, sich der Materie im Massstab eins zu verweisen und umgekehrt. Und genau hier liegt explizit kommentiert werden6. Zu ihnen zählen 5 Im Rahmen der Lausanner Ausstellung wurden Studierende die Schwierigkeit, die Architekturausstellungen insbesondere die folgenden Themen: der Ecole cantonale d’art de Lausanne eingeladen, Tische für die ganz allgemein innewohnt: Wie lässt sich dem Präsentation von Zeichnungen und Fotografien zu entwickeln. Besucher, der Besucherin das Interessante an einem Thematische Vertiefungen Davon wurde ein Projekt für die Räumlichkeiten von Archizoom berücksichtigt. Ausstellungsobjekt vermitteln, wenn weitestgehend Atelier Pontremoli: Gezeigt werden einige Tafeln 6 Jacques Gubler, Jean Tschumi – architecture échelle grandeur auf elitäre Erklärungen, die sich andie happy aus Jean Tschumis Zeit an der Ecole des Beaux Reihe «Les Archives de la construction moderne» hrsg. von: Presses polytechniques universitaires romandes), Lausanne 2008. few der Architektur richten, verzichtet werden Arts in Paris. Dabei sticht einem unter weiteren 7 Inès Lamunière, Patrick Devanthéry, «Revisiter les oeuvres de soll? Zeichnungen die Perspektive eines Geschäftshau¬ Jean Tschumi» in: Faces, Nr. 39, Herbst 1996, S. 6.

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eins zu stellen. Angeeignet hat er sich diese in den verschiedenen Ateliers, in denen er sich nach Abschluss seiner Studien mit der Ausgestaltung von Innenräumenbefasste. Die nahezu «taktile» Erfahrung in Kombination mitTschumis Vorliebe für kleine konzeptuelle Skizzen gibt diesem Ausstellungsteil denTitel. Abgesehen von der darin enthaltenen rhetorischenFigur geht es um die gesamte Art und Weise, wie die darunter zusammengefasste Architektur zu begreifen ist. Diese Art zu entwerfen ist aus didaktischer Sicht heute noch exemplarisch. Corporate architecture: Hier geht es um das Erscheinungsbild eines Unternehmens, wobei sich

« im Marketingfluss die Verkörperung des André

Fabriknamens in der grafischen Darstellung des Logos Yves äussert»8. Tschumi öffnet gemeinsam mit seinen Bild: Auftraggebern den Zugang zu dem, was das Ausstellung Jean Tschumi in den Räumen Archizoom, ETH Lausanne Starsystem in der Architektur derzeit so aktuell macht, der Trend nämlich, dass die Entscheidungsträger erfasst haben, wie wichtig es ist, die bedeutendsten Architekten aufzubieten. Eine Parallele lässt sich Letztlich können wir uns nur den von Inès Lamunière 8 Jacques Gubler, op. cit., S. 47. 9 Das Stadion von Peking ist beispielsweise auf den neusten mit einem Augenzwinkern zwischen dem historischen anlässlich ihrer Einführungsrede geäusserten chinesischen Banknoten abgebildet. Logo der Nestlé in Vevey – einemVogelnest Worten anschliessen, mit denen sie darauf 10 Inès Lamunière, Einführung zur Ausstellung «Jean Tschumi – architecture échelle grandeur» EPFL, Lausanne, 18. September – und dem ziehen, was Herzog & de Meuron hinwies, das Werk von JeanTschumi trage «[…] eine 2008. Nach einem Text von Inès Lamunière und Patrick Devanthéry, unlängst inPeking umgesetzt haben. Im letzteren Fall nonchalante Eleganz in sich, eine ganz besondere «Revisiter les oeuvres de Jean Tschumi» op. zit., S. 6. übertrifft die Nutzung der corporate architecture Verbindung mit der Landschaft, eine einwandfreie des «Vogelnests» alles, was in diesem Bereich je Konstruktion, eine erstaunliche Luminosität getan worden ist, um den Rang einer Ikone nationaler »10. Bernard Tschumi seinerseits erklärte am Identität zu erlangen9. Ende seiner Rede, die schönste Hommage an die Varianten: Unter diesem Stichwort wird gezeigt, Arbeit seines Vaters wäre, wenn die Anwesenden wie der Patron Tschumi in seinem Atelier die die mehrheitlich in einem exzellenten Zustand Kreativität zur Entfaltung bringt, indem er seine erhaltenen Gebäude wieder) besuchen würden. Mitarbeitenden zahlreiche Projektvarianten Genau das erreicht die Ausstellung: Sie weckt in entwerfen lässt, um letztlich darunter die beste uns die Lust auf die Wieder-)Entdeckung der auszuwählen. Eine Vorgehensweise, die möglicherweise Pilotis des Nestlé-Hauptsitzes mit dem schillernden von der akademischen Welt herrührt, die Genfersee im Hintergrund oder des unglaublichen jedoch ihre Umsetzung im Büro findet. Vibrierens der Sonnenblenden am Sitz der Enseignement an derEPUL:Zwei Ausstellungstische Weltgesundheitsorganisation vor der Kulisse des sind der Lehrtätigkeit Tschumis an der Mont-Blanc. Philippe Meier EPUL gewidmet, die er ab 1943 während 18 Jahren Die Ausstellung an der ETH Lausanne fand vom 18.September bis leitet. Anhand der Zeichnungen ehemaliger 24. Oktober statt. Noch bis am 22. Januar 2009 ist sie im Studierender lässt sich ableiten, dass Jean Tschumi Hauptgebäude der ETH Zürich zu sehen. Zur Ausstellung erschien ein Katalog. eine Generation von heute anerkannten Architekten und Architektinnen ausgebildet hat. Übersetzung: Jacqueline Dougoud, texte original: www.wbw.ch

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