Flirten Als Lebensform
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PSYCHOTHERAPEUTISCHE BERATUNGSSTELLE FÜR STUDENTEN (PBS) STUDENTENWERK KARLSRUHE Rudolfstr. 20 76131 Karlsruhe Tel.: 0721/93 34 060 Dipl.Psych.J.Dieker-Müting Studentenwerk Karlsruhe © Korrekturdatei Stand 10.99 Vom Anbaggern zum Flirten Flirten als Lebensform Der folgende Text ist eine Zusammenfassung von Notizen und Über- legungen aus und zu Flirtkursen mit Studenten der Hochschulen in Karls- ruhe. Der Text ist im Entwurf und bezüglich Gestaltung und Recht- schreibung nicht überarbeitet. Die Gliederung (am Ende) enthält keine gültigen Seitenzahlen sowie noch unbearbeitete Punkte. Die angefügten Übungen sind ebenfalls eher skizziert als ausgearbeitet. Es ist besser, sie dem Sinn nach zu verwenden, und nicht als Anleitung. Vorwort A. Einstein meinte, die liebevollen Beziehungen zwischen Menschen seien für die Menschheit wichtiger als jede wissenschaftliche Erkenntnis. Um so mehr wundere er sich darüber, daß er selber stets eher ein Einzelgänger gewesen sei. Das Know how zur Aufnahme und Entwicklung zwischen- menschlicher Beziehungen wird im Gegensatz zur Ausbildung in den Wissenschaften nicht öffentlich gefördert, obwohl die Präambeln von Schulen und Hochschulen dies eigentlich fordern. Die Kirchen als einzige Institutionen, die sich systematisch damit befassen, behandeln das Thema mehr normativ: Wie soll man miteinander umgehen. Es bleibt offen , wie man dahin kommt. Die Psychotherapeutische Beratungsstelle des Studentenwerkes Karlsruhe wird daher oft wegen Problemen im Bereich der Beziehungsaufnahme, der Beziehungsgestaltung und Lösung von Beziehungen aufgesucht. Dabei handelt es sich sowohl um Freundschaften, kollegiale und nachbarschaft- 1 liche Beziehungen, Liebesbeziehungen sowie Beziehungen zu Eltern. Manchen gelingen zwar Freundschaften, aber keine Liebesbeziehungen, andere haben gute Kollegen aber keine Freunde. Aus verschiedenen Gründen wurde der Kurs nur für Männer angeboten: Speziell an der Hoch- schule in Karlsruhe haben in etlichen Fakultäten besonders Männer nur geringe Chance, in ihrem Fachbereich eine Freundin zu finden, da der An- teil der Frauen verschwindend gering ist. Auf diese Weise bietet der Alltag wenig einfache Möglichkeiten in Kontakt zum anderen Geschlecht zu kommen. Hinzu kommt, daß an Naturwissenschaften interessierte Männer sich ohnehin eher Dingen als Menschen zuzuwenden pflegen, und so oft wenig Erfahrungen mit Menschen haben. In einer großen Befragung von Studierenden gaben fast die Hälfte aller Physiker und Mathematiker an, keinen Menschen zu haben, mit dem sie persönliche Dinge besprechen können. Männer haben auch in allen Beziehungsformen mehr Probleme als Frauen, in Kontakt zu kommen. Auf Anregung von Mitarbeitern des Arbeitskreises für Kommunikation und Kultur bot die PBS daher einige Male einen Flirtkurs an, um Männern einen zusätzlichen Weg zur Kontaktaufnahme zu vermitteln. Dieser Kurs unterscheidet sich wesentlich von den meisten auf dem Markt befindlichen Flirtanleitungen. Diese garantieren die Erreichung zweier wichtiger Ziele: 1. Wie bekomme ich den anderen ins Bett.(Flirten als Mittel zur Er- langung von Triebbefriedigung) (C. Elsner 1994, 17e "Wie man einen Mann aufreißt", 1994, 18e "Wie man eine Frau aufreißt") 2. Wie gewinne ich den begehrten Menschen als Freund und Lover. (Flirten als Weg zur Partnergewinnung). Regina Hamburger "Aller Liebe Anfang" (1994), E. Fromm "Die Kunst des Liebens"1956/1994, Ovid "Liebeskunst 1 AD, P. Hollinger "Flirten - der kurze Blick zum kleinen Glück". Diese Flirtanleitungen leben alle davon, daß sie sehr viel versprechen. (Papillon "Unwiderstehlich Flirten"1997). Das ist sehr bedauerlich, denn durch diese Instrumentalisierung des Flirtes wird er sofort mit Erwartungshaltungen überfrachtet - und genau das ist sein Tod. Die vielen nützlichen Anregungen, die in diesen Büchern enthalten sind, gehen dadurch unter. Des weiteren wird immer der Eindruck erweckt, als wenn man nur einen bestimmten Trick kennen müßte, um ans Ziel der Träume und Sehnsüchte zu kommen. Auch dieses ist irreführend, denn auch Flirten hat viel mit Lernen, Üben und Erfahrung zu tun, und, wie sich zeigen wird, mit Selbstbewußtsein im wörtlichen Sinne: Dem Bewußtsein dessen, was man in einem bestimmten Moment ist, tut, fühlt, denkt, träumt.... Ebenso irreführend ist es zu glauben, man bräuchte nur das falsche Ver- halten zu unterlassen, um dann sicher ans Ziel der Träume zu kommen. 2 Das ist verlockend, das Unterlassen eines Verhaltens ist vergleichsweise einfach. Es ist viel leichter, nichts zu sagen, als das richtige zu sagen. Aber die Abwesenheit von Negativem macht einen Menschen nicht liebenswert sondern allenfalls praktisch, bequem, angenehm bis lang- weilig, neutral und uninteressant. In diesem Flirtkurs wird daher ein anderer Weg eingeschlagen. Flirten wird weitaus umfassender als eine Lebenshaltung anderen Menschen und sich selber gegenüber verstanden. Das Anbandeln ist nach diesem Verständnis zwar ein sehr wichtiges, aber nicht das ein- zige Ziel unter vielen möglichen anderen Zielen. Auch Freundschaften, Nachbarschaften, Bekanntschaften, kollegiale Beziehungen oder Interessengemeinschaften können auf diesem Wege angebahnt werden. Diese Auffassung unterscheidet das vorliegende Konzept des "Flirtenlernens" von dem guten Dutzend der vorliegenden Selbsthilfe- bücher zu diesem Thema. Im Gespräch mit KollegInnen über Kurse zum Flirten kristallisierten sich stets zwei Wege heraus. Entweder, man macht einen klar strukturierten Kurs mit gut aufgebauten Übungen. Oder der Gruppenleiter flirtet mit dem Kurs selber und improvisiert je nach Lage der Dinge. Er wendet sozusagen das Flirtmodell dieses Kurses auf den Kurs selber an. Letzterer Weg hat sich bewährt, sicherlich auch, weil er meinen eigenen Neigungen und Möglichkeiten entspricht. Der starre Ablauf ist der Tod eines Flirts und führt eher zu Tragödien und Dramen, bestenfalls zu Komödien. Was für den Kurs gilt, habe ich für diese Niederschrift gelten lassen. Sie würde mißverstanden, wenn sie als starre Theorie und sichere Rezeptur verstanden würde. Es ist ein Spiel mit Gedanken, Phantasien, Über- legungen, Ideen, Vorstellungen, Erfahrungen. Bislang hat jeder weitere Kurs dazu geführt, daß zahlreiche Ergänzungen hinzukamen und anderes entfiel. Und je nach Gruppe und eigener Befindlichkeit, gebe ich mal mehr dem einen Aspekt, mal einem anderen den Vorrang. Die Lebendigkeit ist wichtiger als die Systematik. Sehr viel Material liegt noch unintegriert teils auf der physikalischen, teils auf der seelischen Festplatte. Es spricht also gar nichts dagegen, wenn Sie zwischendrin vorbeischauen, und sich die letzte Version kopieren. Wem dieses alles zu vage und unverbindlich ist, der wähle die Kurz- anleitung von Pütjer und Schnierda, Flirten für Studierende. 1. Flirten?- Qu'est ce que c'est? 3 Über das Flirten wird viel gesprochen, viel geschrieben. Nicht nur, daß Bücher und Kurse angeboten werden, selbst die Kontaktanzeigen in Zeitungen schmücken sich mit dem Titel Flirt, obwohl sie eher dem Gegenteil dienen, diesen überflüssig zu machen. Woher kommt dieses Interesse? Einige Autoren geben Gründe an: Die Nachfrage ist groß (Hollinger 1994), Hilfe für Partnersuchende (Hamburger 1993), Aufreiß- hilfen (Elsner 1983/94), Lebensbereicherung (Bönnen 1989), Hilfe für un- begabte Flirtwillige (Lucas 1994). Den gewichtigsten Grund lieferte jedoch kürzlich der Spiegel in einem Beitrag zur Entstehung des Menschen. Der Autor befaßte sich mit der Frage, was den Menschen dazu bewogen hat, nach der Entwicklung des aufrechten Ganges seinen Kopf mit Hirn zu füllen, und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: „Was aber war die Antriebskraft des zweiten Entwicklungsschubes auf dem Wege zum Menschen? Waren es, wie viele Forscher mutmaßten, Schaber, Messer und Hammer aus Stein? War es die erlesene Kost? Oder die Kunst des Flirtens?“ Keine Frage, sie war es! Und es ist ein Verdienst des Spiegels, wieder einmal die einfache Wahrheit auch einfach, und dazu noch bescheiden in Form einer Frage, auf den Begriff gebracht zu haben! Durch was sonst sollten der Egoismus des Triebes und die Indifferenz des Verstandes ihre lebenserhaltende Richtung bekommen, wenn nicht durch die Fähigkeit, aneinander Freude und füreinander Respekt zu haben? Erst auf dem Hintergrund der sozialen und emotionalen Intelligenz konnte sich das abstrakte Denken entwickeln. War das jetzt Ernst oder Satire? Der alte Grantler Arthur Schopenhauer hat bereits Anfang des letzten Jahrhunderts die Tätigkeit der Phantasie in der Kunst und der Liebe als deren wesent- lichstes Element bezeichnet. Was die Liebe anbetraf schien ihm das auch nur gerecht: Denn es gäbe ja kein wichtigeres Ziel als die Erzeugung der nächsten Generation - verdanken wir doch selber diesem Interesse unser Dasein! Kafka, der selber zur Einsiedelei neigte, sagte zu einem Freund: „Ein- siedelei ist widerlich, man beiße lieber ins Leben statt in seine Zunge.“ Recht hat er! Da man dabei aber Gefahr läuft, auch seine Zunge zwischen die Zähne zu bekommen, ist Kühnheit und Vorsicht geboten. Flirten hat immer mit beidem zu tun. Es soll gezeigt werden, daß mit der Fähigkeit zu Flirten Menschen in gute Beziehungen geraten und vorhandene Beziehungen wesentlich verbessern können. Flirten kann manchen Bedarf an psychologischer Beratung und Therapie überflüssig machen, denn es fördert direkt die persönliche und die soziale Lebensqualität und hilft so seelisches Leid zu senken und neuerlichem vorzu- beugen. Das fiel einer Redakteurin von Radio Bruchsal auf, die eine Schwerpunktsendung zum Thema Flirt machte: Beim Flirten macht man ja dasselbe